Synthesis bei Kant 3110089815, 9783110089813


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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Die Mehrdeutigkeit
II. Transzendentale Synthesis und Assoziation
III. Objektive Einheit der Apperzeption
IV. Apperzeption und Selbstbewusstsein
V. Synthesis und Naturgesetzgebung
Rückenmaterie
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister
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Synthesis bei Kant
 3110089815, 9783110089813

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Synthesis bei Kant Das Problem der Verbindung von Vorstellungen und ihrer Gegenstandsbeziehung in der „Kritik der reinen Vernunft"

von Hansgeorg Hoppe

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1983 Unauthenticated Download Date | 3/15/16 12:29 PM

CIP-Kurztitelanfnahme der Deutschen Bibliothek

Hoppe, Hansgeorg: Synthesis bei Kant : d. Problem d. Verbindung von Vorstellungen u. ihrer Gegenstandsbeziehung in d. „Kritik der reinen Vernunft" / von Hansgeorg Hoppe. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1983. (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 19) ISBN 3-11-008981-5 NE: GT

© 1983 by Walter de Gruyter Sc Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit Sc Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Einband: Lüderitz & Bauer, Berlin

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Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 1978/79 von der Philosophischen Fakultät der Universität Saarbrücken als Habilitationsschrift angenommen und danach geringfügig überarbeitet. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Karl-Heinz Iking; durch Gespräche mit ihm ist die Arbeit wesentlich gefördert worden. Danken möchte ich ebenfalls der DFG für die Gewährung eines Habilitationsstipendiums in den Jahren 1966 bis 1969. Saarbrücken, den 31. Juli 1983

H.H.

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Inhaltsverzeichnis Einleitung 1. Das Thema der „Kritik der reinen Vernunft" 2. Kants transzendentale Psychologie 3. Inhalt und Gang der Untersuchung

1 9 22

I. Die Mehrdeutigkeit des kantischen Erfahrungsproblems 4. Wahrnehmungs- und Erfahrungsuiteile 5. Das Verhältnis von kategorialen und faktischen Bestimmungen . .

29 45

II. Transzendentale Synthesis und Assoziation 6. Kants Stellung zum englischen Empirismus 59 7. Die Erkennbarkeit von Sachzusammenhängen bei Locke und Hume 66 8. Atomismus und Gestalttheorie 77 9. Die intentionale Gegenstandsbeziehung einfacher Vorstellungen 82 10. Assoziation und Synthesis als faktische Verbindungen 92 11. Die kategoriale Kennzeichnung von Assoziation und Synthesis 104

III. Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung 12. Verbindung als Verstandeshandlung 113 13. Die objektive Einheit des Selbstbewußtseins 119 14. Das „Gewühle der Erscheinungen" 129 14a. Exkurs: Entgleitungen und Entgleisungen in pathologischen Zuständen und Verläufen 140 15. Denken und Gegenstandsbeziehung 147 16. Der Gegenstand der Erkenntnis 157 17. Die Kategorien als Alternativen von Begriffen 169

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X

Inhaltsverzeichnis

18. Die drei Synthesen 176 a) Synthesis der Apprehension in der Anschauung 179 b) Synthesis der Reproduktion in der Einbildung 181 c) Synthesis der Rekognition im Begriff 185 19. Kants Lehre vom transzendentalen Gegenstand 194 20. Die synthetische Einheit von Vorstellungen in der 2. Auflage der „Kritik" 204 IV. Apperzeption und Selbstbewußtsein 21. Empirisches und reines Ich 22. Die Einheit des Selbstbewußtseins

210 217

V. Synthesis und Naturgesetzgebung 23. Die Objektivität der Kategorien 224 24. Das Problem der Gegenstandsbeziehung in den Grundsätzen des reinen Verstandes 229 Literaturverzeichnis

242

Personenregister

247

Sachregister

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Einleitung 1. Das Thema der „Kritik der reinen Vernunft" Im wesentlichen sind es zwei Probleme, vor die die „Kritik der reinen Vernunft" die Interpretation heute stellt: zu klären ist erstens, welches Kants Beweisziele sind, und zweitens ist zu entscheiden, ob,zur Sicherung der von Kant gewünschten Ergebnisse die von ihm verwendeten Beweismittel überhaupt geeignet sind. Von diesen Problemen ist das erste im Grunde nicht neu, es ist aber unter der Herrschaft einer auf sehr einseitige Weise „wissenschaftstheoretisch" 1 orientierten Auffassung vom Wesen der Kantischen Transzendentalphilosophie lange Zeit nicht aktuell gewesen. Worum geht es Kant, wenn er nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung fragt? Für die wissenschaftstheoretische Kant-Interpretation, die sich auf viele Äußerungen Kants stützen kann, ist die Antwort nicht schwer: eigentliches Thema der „Kritik der reinen Vernunft" ist die philosophische Grundlegung der objektiven, in letzter Konsequenz wissenschaftlichen Erkenntnis, und dabei ist häufig mitgemeint und manchmal ausdrücklich betont, daß es Kant auch um die philosophische Begründung der Prinzipien der Newtonschen Physik gegangen sei.2 Enthalten ist darin die These einer starken Zeitgebunden1

Ich verwende den Ausdruck „wissenschaftstheoretisch" (in einem vom heute üblichen Sprachgebrauch abweichenden Sinn) zur Bezeichnung all jener Ansätze in der Kant-Auslegung, nach denen der für Kants erkenntnistheoretische Problematik entscheidende Gesichtspunkt die Frage nach der Möglichkeit und Begründung einer objektiven, d. h. letztlich wissenschaftlichen Erkenntnis ist. Hierher gehört die ausdrücklich am Problem der Möglichkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis orientierte Auffassung Cohens, Natorps und Philonenkos, aber auch die Auffassung, etwa von Wolff (S. 112), daß es Kant um die Begründung von objektiven Erkenntnissen im Gegensatz zu bloß subjektiver Einbildung (mere subjective fancy) gehe. — Dagegen hat es die „Wissenschaftstheorie" im Sinne der Philosophy of Science mit der Untersuchung des Aufbaus und der Interpretation von empirischen Wissenschaften sowie der in ihnen angewendeten Begründungs- und Überprüfungsverfahren und der für sie typischen Begriffsbildungen zu tun. Eigentlich erkenntnistheoretische Probleme, wie z. B. das der Begründung von Beobachtungssätzen, werden in ihr nicht behandelt (vgl. von Kutschera 11—3).

2

Mehr oder weniger abgewandelt ist diese Auffassung auch in der neueren Kant-Literatur immer wieder vertreten worden, etwa von Zocher, wenn er den Beweis für die objektive

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Einleitung

heit der Kantischen Transzendentalphilosophie, und das hat angesichts einer inzwischen grundlegend geänderten Wissenschaftssituation dazu geführt, daß man starke Einwände gegen Kants Erfahrungstheorie insgesamt u. a. schon von deren Problemstellung her hat erheben können. 3 Aber umGültigkeit der Kategorien darin erblickt, daß sie von Kant als das Fundament geltender positiver Wissenschaft erwiesen werden (S. 13); nach Zocher ist der Ausdruck .Natur' bei Kant „im Sinne des Objekts der mathematischen Physik" verwendet (S. 23). Nach Ewing besteht der Hauptzweck der transzendentalen Kategorien-Deduktion darin „to justify science philosophically" (S. 68). Für Kambartel richtet sich „Kants transzendentaler Ansatz . . . zwar nicht zuerst auf eine Grundlegung der Naturwissenschaften, sondern auf eine Kritik der Metaphysik", dieses metaphysikkritische Programm setze aber eine Klärung der Konstitution des Bereichs möglicher Erfahrung voraus, wobei Kant „unter der Uberschrift .Erfahrung' sogleich den für die exakten Naturwissenschaften konstitutiven Operationsbereich" abgrenze (S. 88). Ahnlich ist nach G. Martin die Natur bei Kant Newtonsche Natur; wenn Kant von Erfahrung spricht, meine er das Verfahren der klassischen Physik (S. 94). Für Lauener stellt Kant den ,Wahrnehmungsurteilen' Humes, die höchstens im alltäglichen Leben brauchbar seien (S. 113), ,Erfahrungsurteile' entgegen, „die, weil sie für ein Bewußtsein überhaupt gelten, apodiktische Notwendigkeit haben" (S. 78) und die deshalb „Tatsachen der wissenschaftlichen Erkenntnis" ausdrücken; in der transzendentalen Deduktion soll es Kant allein um diese „Erfahrung im strengen Sinne" gehen, die in Erfahrungsurteilen Ausdruck findet (S. 105). Ähnlich sagt Bröcker-. „Die Erfahrung, von der er redet, ist für Kant in erster Linie die Erfahrung im Stile der Physik Newtons" (S. 32), und noch Hossenfelder führt seine kritische Auseinandersetzung mit Kant ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Frage, ob es Kant gelungen sei, die Wahrheit bestimmter Gesetzesaussagen a priori zu beweisen (S. 1). Hierher gehört auch die Auffassung von Karen Gloy, nach der Kant den Ausdruck ,Erfahrung' so gebraucht, daß er „nicht das vorwissenschaftliche, natürliche oder auch alltägliche Verständnis der Erfahrung . . . meint, sondern das . . . wissenschaftliche Verständnis einer objektiven und gesetzmäßigen Erfahrung" (S. 87—8). —

3

Wie stark diese Auffassung auch heute noch nachwirkt, ergibt sich daraus, daß das Verständnis Kants außerhalb der eigentlichen Kant-Philologie entscheidend durch sie bestimmt ist. Als Beispiel erwähne ich Tugendbat; nach ihm ist Kants Frage „nicht, wie es dazu kommt, daß wir uns auf Dinge beziehen, auf solches, was jeweils etwas (ein Gegenstand) ist, sondern inwiefern die Zusammenhänge unserer Vorstellungen nicht bloß subjektiv, sondern objektiv sind" (S. 359—60), wobei „objektiv" hier im Sinne von „nicht-scheinbar" verstanden ist (S. 360). Das tut z. B. Delekat, der in Kants transzendentaler Logik eine „Lehre von den konstitutiven Prinzipien der wissenschaftlichen Erfahrung" sieht (S. 75—76); für ihn besteht wegen der inzwischen erfolgten tiefgreifenden Änderungen im Wissenschaftsverständnis heute deshalb nicht einmal mehr das Problem der transzendentalen Deduktion in seiner damaligen Form (S. 105). Aus demselben Grunde ist auch für Philonenko Kant heute nicht mehr aktuell (S. 336). Nach Popper ist Kants Problem „not only insoluble, but also misconceived", obwohl es in gewisser Weise „inescapable" sei. Aber da es „arose out of the contemporary Situation in sience", sei es heute nicht mehr aktuell (S. 93). In ähnlichem Sinne werden bei Körner (S. 72) Kants Ergebnisse, z. B. der Beweis des allgemeinen Kausalitätsgesetzes, als ungültig angesehen, weil sie im Widerspruch zu bestimmten modernen wissenschaftlichen Theorien stehen. Auch Hossenfelder ist der Ansicht, daß die Einwände gegen Kant, die sich auf die Entdeckung nichteuklidischer Geometrien und auf die Quantenphysik stützen, „wirklich treffen" (S. 15-6) und ernst zu nehmen seien (S. 15—6); allerdings kritisiert Hossenfelder selbst Kant nur immanent.

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Das Thema der „Kritik der reinen Vernunft"

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gekehrt ist es auch gerade die wissenschaftstheoretische Kant-Auffassung, der es zu verdanken ist, daß die Aktualität Kants heute fraglos andauert. Vor allem in der wissenschaftstheoretischen Auffassung ist die „Kritik der reinen Vernunft" der immerwährende Anstoß gewesen, auch transzendentale Gesichtspunkte und Argumente in die erkenntnistheoretische Diskussion um die Grundlagen der exakten Wissenschaften einzubringen. Zweifelhaft ist allerdings, ob Kant im angegebenen Sinne überhaupt Wissenschaftstheoretiker ist. Das hat in neuerer Zeit nachdrücklich zuerst Heidegger bestritten; in seinem Kant-Buch vertritt er die Auffassung, daß die „Kritik der reinen Vernunft" in ihrer Absicht vollkommen verkannt werde, wenn man sie als .Theorie der Erfahrung' oder gar als Theorie der positiven Wissenschaften auslegt. 4 Seine Auffassung hatte 1928 noch als besonders unkantisch gelten können, 5 denn tatsächlich war hier etwas in Abrede gestellt, was damals weithin für ganz selbstverständlich angesehen wurde. Inzwischen jedoch scheinen sich die Fronten genau umgekehrt zu haben, und vorherrschend ist heute eher die Ansicht, daß Kant es überhaupt nicht mit Problemen der wissenschaftlichen Erfahrung zu tun gehabt habe. 6 So ist z. B. Strawson der Meinung, daß Kant subjektiv zwar häufig der Versuchung erlegen sei, die von ihm herausgestellten notwendigen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zugleich auch als die notwendigen Voraussetzungen der Physik aufzufassen. 7 Aber für Strawson kann es 4 5 6

7

Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik 25, vgl. 21. Vgl. z. B. Levy 13. Daß Kant keineswegs in erster Linie an wissenschaftstheoretischen Fragen interessiert ist, ist die Meinung von Bird: „It would be wrong . . . to think that in the Transcendental Deduction Kant is primarily engaged in what we should call ,philosophy of science'" (S. 87, vgl. 130). Im gleichen Sinne heißt es unter Berufung auf Riehl bei Jahnsohn-. „Es kann aber als gesichert gelten, daß . . . der Erfahrungsbegriff Kants nicht beschränkt ist auf den von Cohen besonders betonten Inbegriff der mathematisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern daß tatsächlich auch noch nichtwissenschaftliche ,Erfahrung' Erfahrung im Kantischen Sinne ist" (S. 215). Ähnlich auch Buchdahl; er nennt Kant zwar den „philosopher of science par excellence" (S. 471), aber nach Buchdahl ist es „important to realise that he (Kant) embarks on the object of ,laying foundations' for science in a very roundabout way, the most exciting aspects of which have very little to do with the foundations of science as such, but rather with empirical knowledge in general" (S. 480); nachdrücklich sagt Buchdahl: „Kant's pregnant question: How is knowledge of objects (Erkenntnis, cognitive grasp of what is objective as such) possible? must be understood, not as scientifically orientated but as asking what the components of the logical structure of .phenomena' and of .experience' have to be so as to yield, cognitively, an object, corresponding to our concept of such an object" (S. 620). Besonders bezeichnend für die geänderte Auffassung vom Wesen der Kantischen Transzendentalphilosophie ist die Tatsache, daß bei Prauss und Henrich das Problem der Wissenschaftsbegründung nicht einmal mehr erwähnt ist. Strawson, Bounds of Sense 120—1, vgl. 128—9.

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Einleitung

keinen Zweifel geben, daß Kant im Grunde dennoch gerade nicht nach den Bedingungen der wissenschaftlichen Erfahrung fragt, und zwar weder der wissenschaftlichen Erfahrung seiner Zeit noch der wissenschaftlichen Erfahrung überhaupt. 8 Nach Strawson geht es Kant allein um das ,limiting framework' jener Vorstellungen und Prinzipien, die wesentlich für alle empirische Erkenntnis sind. Worauf es Kant allein ankomme, sei, die ,begriffliche Struktur' herauszuarbeiten, die in allen empirischen Untersuchungen und in jedem kohärenten Begriff von Erfahrung, den wir vernünftigerweise überhaupt haben können, vorausgesetzt ist. 9 Zweifellos ist die Herausstellung solcher Züge gegenüber der alten einseitigen wissenschaftstheoretischen Auffassung ein Fortschritt. Aber dennoch läßt sich auch nicht übersehen, daß die radikale Leugnung jeder wissenschaftstheoretischen Orientierung von Kants „Kritik" nicht weniger einseitig ist als jene Position, gegen die sie sich ausdrücklich oder unausdrücklich wendet. Denn tatsächlich hat Kant selber sich sowohl im Ansatz seiner Untersuchungen als auch in der Interpretation der Ergebnisse stets an der Frage nach der Möglichkeit von apodiktisch gewissen, intersubjektiv gültigen und wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, und trotz aller tiefgreifenden Veränderungen, denen dabei insbesondere der Begriff der Erfahrung selber unterliegt, hat er zweifellos an dieser wissenschaftstheoretischen Fragestellung auch immer festgehalten. Die wissenschaftstheoretische Orientierung von Kants Fragen ist also sicher objektiv kennzeichnend für einen wichtigen Problembestand der „Kritik der reinen Vernunft". Aber andererseits ist es ebenfalls richtig, daß Kants Fragestellungen auf wissenschaftstheoretische Probleme eben nicht beschränkt sind. Vielmehr läßt sich zeigen, daß es gerade die Ausgangsfrage nach der Möglichkeit einer objektiven Erfahrung und ihren apodiktisch gewissen apriorischen Prinzipien ist, wodurch Kants Problemstellung schließlich über den Bereich rein wissenschaftstheoretischer Zielsetzungen auch gänzlich hinausgeführt wird. Dabei tritt neben einen engeren Begriff der Erfahrung, wonach diese die wahre und streng intersubjektiv gültige Erkenntnis von „objektiven" Sachverhalten ist, die Auffassung, daß Erfahrung (in einem weiteren 8 9

E b d . 121. Ebd. 18. — Im selben Sinne beklagt auch Walsh, daß Kant die Kategoriendeduktion mit Fragen der reinen Physik in Zusammenhang bringt: „ H i s account of the function of categories in the Transcendental Deduction is sound enough, but his association of them with ,pure physics' is far from happy" (S. 42); für Walsh ist unabhängig von wissenschaftstheoretischen Problemen die Deduktion deshalb richtig, weil in ihr die Kategorien als notwendige Bedingung dafür erwiesen werden, daß wir überhaupt Erfahrung haben (if we are to have objective experience of any kind — S. 48).

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Das Thema der „Kritik der reinen Vernunft"

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Sinne) nur das kognitive Haben von „ W e l t " bedeutet — im Sinne eines bloß vermeinenden (und u. U . auch falschen) Sich-Beziehens überhaupt auf etwas Gegenständliches. D a Kant dabei an seinen wissenschaftstheoretischen Intentionen allerdings festhält, ergibt sich freilich, daß so das Ziel seiner transzendentalphilosophischen Untersuchungen insgesamt nicht mehr eindeutig bestimmt ist, ja, daß streng genommen, das Kantische Gesamtprogramm in sich widersprüchlich wird. Aber trotz solcher Widersprüchlichkeiten ist unverkennbar, daß im Interesse der Lösung eines wissenschaftstheoretischen Problems Kant schließlich positiv zu neuen, in sich sinnvollen und stimmigen Fragestellungen gelangt und daß er diese Fragestellungen für sich weiterverfolgt, auch wenn das oft in einem Kontext geschieht, der ihnen streng genommen fremd ist. 1 0 So haben wir einerseits — als Ausgangspunkt — die Frage Kants nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori und — damit unmittelbar zusammenhängend — das Programm, gegen H u m e die Erfahrung als die objektive Erkenntnis von notwendigen Sachzusammenhängen zu rehabilitieren. Hier geht es Kant um einen Begriff von Erfahrung, wonach diese sich von der bloß subjektiv gültigen Wahrnehmung wesentlich unter dem Gesichtspunkt der Wahrheit und der in ihr erreichten Objektivität ihrer Erkenntnisse unterscheidet. — Zugleich aber haben wir es bei Kant auch mit der Frage nach der Möglichkeit des vermeinenden Habens überhaupt von Gegenständen zu tun. Aber dies Vermeinen von Gegenständen ist anders als das wahre und objektive Erkennen nun gerade nicht durch den Gegensatz zu zufälligen oder bloß subjektiven und deshalb häufig falschen Wahrnehmungs-Erkenntnissen bestimmt, sondern durch den Gegensatz zu Zuständen, in denen der intentionale Erkenntnisbezug auf Gegenständliches überhaupt fehlt. Die beiden Gesichtspunkte, unter denen die Erfahrung bei Kant thematisiert ist, sind sicher nicht völlig unabhängig voneinander — man kann die Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung als wahrer Erkenntnis als Spezialfall der allgemeineren Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung als des Habens überhaupt von Gegenständen ansehen —, aber dennoch käme im Interesse sachlicher Klarheit natürlich alles darauf an, beide Ansätze in ihrer unterschiedlichen Intention und in ihrer unterschiedlichen Relevanz einander gerade auch entgegenzusetzen. 10

Es ist also nicht so, daß aufgrund von widersprüchlichen Bestimmungen bei Kant von einem definiten Erkenntnisproblem nun gar nicht mehr die Rede sein könnte. Man kann in der „ K r i t i k " auch sonst sehr viele widersprüchliche Bestimmungen finden, es zeugt aber von wenig Problem Verständnis, wenn man wie Rosenstock glaubt, Kant mit dem Hinweis darauf in Bausch und Bogen widerlegen zu können.

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Einleitung

Um so verwunderlicher ist es, daß bei Kant terminologisch beides überhaupt nicht unterschieden ist. Uber die Gründe dafür kann man anfänglich nur Vermutungen anstellen, und deshalb ist es vordringlich, zunächst einmal überhaupt am Text die Mehr- und Vieldeutigkeit in der Zielsetzung der transzendentalphilosophischen Untersuchungen Kants im einzelnen herauszuarbeiten — in der Hoffnung, so dann auch die Gründe zu finden, aus denen Kant die auseinanderstrebenden Momente seiner Konzeption wenigstens terminologisch glaubt zusammenhalten zu können. Hier kommt es also zunächst darauf an, die wesentlich verschiedenen Bedeutungen des Terminus „Erfahrung" zu sondern, deren Differenz in der scheinbar eindeutigen Formel der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung bei Kant häufig einfach aufgehoben scheint. Darüber hinaus muß man aber auch im Hinblick auf wichtige andere Begriffe differenzieren, die Kant bereits zur Kennzeichnung des Ziels seiner transzendentalphilosophischen Untersuchungen verwendet. Das betrifft vor allem Ausdrücke wie „Gegenstand" und „Gegenstandsbeziehung", aber auch alle jene Begriffe und Bestimmungen, die mit ihnen systematisch zusammenhängen, in erster Linie also die „Notwendigkeit" oder „Zufälligkeit" sowie die „Subjektivität" oder „Objektivität" von Vorstellungsverbindungen. Erforderlich ist hier überall die Unterscheidung zwischen der „faktischen" und „kategorialen" Bedeutung solcher Bestimmungen; 11 ohne diese Unterscheidung müssen bestimmte Fragen und Argumentationszusammenhänge der „Kritik der reinen Vernunft" (und auch der „Prolegomena") in ihrem Sinn einfach unverständlich bleiben und manche von ihnen sogar als in sich unheilbar widersprüchlich erscheinen. Dagegen läßt sich umgekehrt mit dieser Unterscheidung zeigen, daß solche Widersprüche bei Kant mit Notwendigkeit auftreten müssen. So unterscheidet Kant beispielsweise „objektive" Vorstellungsverbindungen, auf denen die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellung beruhen soll, von bloß „subjektiven" Assoziationsverbindungen dadurch, daß er jene als „notwendige", diese dagegen als bloß „zufällige" bestimmt. Aber

11

Vgl. unten Abschn. 5. S. 40ff. „Faktische" Bestimmungen sind solche, über deren Vorliegen oder NichtVorliegen nur innerhalb der „wirklichen" Erfahrung (vgl. A 766/B 794) entschieden werden kann; es ist eine Sachfrage, ob bestimmte Meinungen „objektiv" oder „subjektiv" sind. Dagegen ist mit „kategorialen" Bestimmungen auf die Voraussetzungen dafür hingewiesen, daß man überhaupt Sachfragen stellen kann. Die kategoriale Objektivität von Vorstellungen bedeutet nur, daß sie überhaupt in der Dimension einer möglichen intentionalen Bezugnahme auf Gegenstände und Sachverhalte stehen; sie sind kategorial subjektiv, wo dies nicht der Fall ist (z.B. bei kleinen Kindern), vgl. unten Abschnitt 14.

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D a s Thema der „ K r i t i k der reinen Vernunft"

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was bedeuten diese Ausdrücke? Eben je nach dem Kontext, d. h. je nachdem, um welchen Begriff von Erfahrung es sich handelt, ganz Verschiedenes, und nur die Ansicht, die Ausdrücke „subjektiv" und „ o b j e k t i v " hätten nur eine einzige, etwa ihre eher wissenschaftstheoretische faktische Bedeutung, kann dazu verleiten, z. B. „notwendige" Erfahrungsurteile schlechthin und ausschließlich als wissenschaftliche, d. h. in hohem Maße objektivierte Urteile aufzufassen — im Gegensatz zu „zufälligen" Wahrnehmungsurteilen, die auf subjektiven assoziativen Vorstellungsverbindungen beruhen. Wenn man Kant so versteht, muß man wichtige Bedeutungsmomente der fraglichen Ausdrücke unterschlagen; da sie aber bei der Textlektüre dennoch fühlbar sind, ist dann allerdings der Schluß ganz unausweichlich, daß bestimmte wichtige Fragestellungen Kants bereits im Ansatz völlig unklar seien. Das gilt vor allem gerade für die Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen und ist auch der Grund, weshalb in der Literatur häufig der ganze Abschnitt der „Prolegomena", in dem Kant diese Unterscheidung zu explizieren (und für eine Lösung des Problems der Erfahrungsermöglichung nutzbar zu machen) sucht, als gänzlich verunglückt angesehen worden ist. 1 2 Dies Urteil ist sicherlich weithin ganz zutreffend, und mit Recht ist nicht nur an diesem Punkt in der Kant-Literatur immer wieder darüber geklagt worden, daß Kant sich gerade im Hinblick auf wichtige Schlüsselbegriffe höchst unklar und undeutlich äußert. Aber so richtig diese Feststellung auch ist — es genügt nicht, daß man bei ihr stehen bleibt. Man muß sich darüber hinaus, und zwar bereits am Beginn einer Interpretation der „ K r i t i k der reinen Vernunft", erstens Klarheit darüber verschaffen, welches die Hinsichten und Sinn-Alternativen sind, in deren Rahmen bei Kant mit wesentlich verschiedenen Bedeutungen bei scheinbar eindeutigen Begriffen zu rechnen ist, und zweitens muß man auch die Gründe angeben, die zu solchen Mehrdeutigkeiten führen. In der vorliegenden Arbeit wird versucht, der ersten Forderung durch den Nachweis gerecht zu werden, daß die „ K r i t i k " mindestens durch eine Zweiheit von transzendentalen Problemen und transzendentalen Beweiszielen im Hinblick auf die Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung gekennzeichnet ist. Wie gesagt, kann man das zweite dieser Probleme, die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung im weiteren Sinne, als eine Verallgemeinerung des ersteren, engeren Problems, der Frage nach den Bedingungen der Erfahrung als wahrer und objektiv gültiger 12

Vgl. dazu den sehr instruktiven Uberblick bei Prauss, Erscheinung bei Kant 139ff.

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8

Einleitung

Erkenntnis auffassen. Die beiden Probleme hängen also insofern miteinander zusammen, als das zweite mit bestimmten Voraussetzungen zu tun hat, die erfüllt sein müssen, damit sich die Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung als objektiver und gültiger Erkenntnis überhaupt stellen kann. Aber trotz dieses Zusammenhangs sind sie im Hinblick auf Struktur und Zweck grundsätzlich so verschieden, daß ihre Nichtunterscheidung zu ganz außerordentlich großen Schwierigkeiten in der Exposition und im Verständnis des transzendentalphilosophischen Problems führen muß. Immerhin erklärt der Zusammenhang beider Probleme, weshalb es hier überhaupt zu einer Mehrdeutigkeit kommen kann. Aber das allein reicht sicher nicht aus, wenn man sich die Gründe für die Mehrheit von Beweiszielen und für die bei Kant bestehende Unentschiedenheit im Hinblick auf das Verhältnis der Beweisziele zueinander wirklich verständlich machen will. Wir versuchen daher zweitens auch zu zeigen, wie sich diese Mehrheit von Beweiszielen aus Kants Eingangsfrage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori ergibt. Ausgegangen wird dabei davon, daß in der Frontstellung gegen Hume sich für Kant das Problem synthetischer Urteile a priori unmittelbar aus der Frage nach der Möglichkeit einer objektiven und wahren Erfahrungserkenntnis ergibt, daß Kant dieses Problem aber gerade nicht im Rückgang auf die Objektivität qua Wahrheit der Erfahrung, sondern qua intentionaler Gegenstandsbeziehung unserer empirischen Vorstellungen zu lösen sucht. Kant stellt dabei den wichtigen Unterschied beider Objektivitätsbegriffe nicht deutlich heraus, und deshalb können für ihn auf dem Weg über die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori beide Erfahrungsprobleme ganz eng zusammen gehören. Tatsächlich jedoch ist es so, daß die Lösung des Problems der Möglichkeit der Erfahrung im weiteren Sinne zur Lösung des Problems der Wahrheit und Objektivität unserer Erfahrungserkenntnisse und der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori gar nichts beiträgt. Indem Kant aber dennoch den Anspruch erhebt, daß er gerade über das Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung zu einer Lösung des Problems der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori gelangt, ergibt sich mit Notwendigkeit, daß die Mehrdeutigkeit seiner Terminologie und nicht weniger auch die seiner Beweisstrategie für ihn verdeckt bleiben müssen. Wäre das nicht der Fall, so wäre Kant zu dem Eingeständnis gezwungen, daß seine Transzendentalphilosophie gerade in jenem Punkt, der nach seiner Meinung vielleicht der allerwichtigste ist, gescheitert ist.

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Kants transzendentale Psychologie

2. Kants transzendentale

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Psychologie

Die Unterscheidung von zwei Erfahrungsbegriffen und damit zusammenhängend von zwei Arten von Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen ergibt nun freilich — und damit kommen wir zum zweiten der eingangs genannten Probleme — die Notwendigkeit, unter diesem Gesichtspunkt erneut auch auf die methodologische Frage nach Kants Beweismitteln einzugehen. Wenn wir es in der „Kritik der reinen Vernunft" nicht nur mit einem einzigen Problem zu tun haben, dann kompliziert sich auch das Problem, ob Kant in seinen Untersuchungen methodisch angemessen verfährt. Es könnte sein, daß er je nach dem Problemzusammenhang verschieden vorgeht und auch verschieden vorgehen muß, um den unterschiedlichen Forderungen sowohl von wissenschaftstheoretischen Fragestellungen als auch von solchen, die mit dem Haben überhaupt von Welt zusammenhängen, gerecht zu werden. Insbesondere ließe sich vielleicht von daher auch die häufig beklagte Gemengelage verständlich machen, in der bei Kant an wichtigen Stellen „logische" und eher „psychologische" Argumente und Überlegungen scheinbar untrennbar miteinander verschmolzen sind. Für die wissenschaftstheoretische Kant-Auffassung stellt sich das methodologische Problem natürlich einfacher dar, nämlich deshalb, weil es Kant nach ihr nur mit Fragen der Gültigkeit von wahren Sätzen zu tun hat. Im Rahmen einer solchen Auffassung liegt es nahe, die transzendentalen Argumente Kants, soweit sie wirklich stichhaltig sind, als ausschließlich „logische" anzusehen und sie als „logische" zu rekonstruieren, womit sich dann leicht konstatieren läßt, daß trotz aller „psychologischen" Anklänge, die sich bei Kant finden, er in der Hauptsache und im wesentlichen dennoch vollkommen problemgerecht vorgeht. Allerdings muß man sehen, daß es bei Kant mehr als nur psychologische „Anklänge" gibt. Auffällig ist jedenfalls, wie unbefangen Kant das transzendentalphilosophische Problem der Erfahrungsermöglichung, und zwar auch in seiner wissenschaftstheoretischen Version, nicht nur ganz im Rahmen einer mentalistischen und deutlich von den psychologischen Anschauungen seiner Zeit geprägten Terminologie exponiert, sondern es mit ihrer Hilfe auch zu lösen sucht. Kant redet ohne Vorbehalte von „Vorstellungen", die er als innere Bewußtseinsvorkommnisse, als seelische Ereignisse, auffaßt, und ebenso spricht er von ihrer Verbindung (Synthesis) als von einer Handlung des Subjekts, das dadurch seine Vorstellungen zur Einheit seines Selbstbewußtseins bringt und ihnen so allererst Gegenstandsbeziehung verleiht. Diese „psychologische" Redeweise ist kennzeichnend vor al-

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Einleitung

lern für die erste Auflage der „ K r i t i k " , aber sie kommt auch dort vor, wo Kant nach der Meinung seiner Ausleger gegenüber der „psychologischen" Fassung der Kategoriendeduktion der ersten Auflage diese in der zweiten Auflage „logischer" gefaßt hat; sie findet sich sogar in den „Prolegomena" mit ihrer expliziten Frage nach der Möglichkeit einer reinen Naturwissenschaft. Das braucht jedoch in der wissenschaftstheoretischen Auffassung nicht weiter zu beunruhigen, denn mit guten Gründen kann man behaupten, daß es sich hierbei um grundsätzlich Entbehrliches handelt. Die psychologischen Argumente lassen sich als Redeweise, als eine zeitbedingte façon de parier auffassen, die man ohne Schwierigkeiten durch richtiges, d. h. „logisches" Sprechen ersetzen kann 1 , und deshalb sind in der wissenschaftstheoretischen Darstellung der „ K r i t i k " die vielen Ansätze zu einer „transzendentalen Psychologie", wie sie sich bei Kant finden, auch ganz in den Hintergrund gedrängt oder in charakteristischer Weise doch wenigstens umgedeutet. Wie das gemacht wird, läßt sich gut an Cohens Vorgehen verdeutlichen. A u s der Bestimmung von Kants transzendentalem Problem als der Frage nach den philosophischen Grundlagen und Voraussetzungen der mathematischen Physik 2 ergibt sich bei ihm zunächst, daß die transzendentale Methode eigentlich nur jene Elemente des erkennenden Bewußtseins anzugeben habe, „welche hinreichend und notwendig sind, das Faktum der Wissenschaft zu begründen und zu festigen". 3 Diese Bewußtseinselemente sollen sich aber — wie auch sonst alles Bewußtsein — nach Cohen prinzipiell der psychologischen Analyse entziehen 4 , und zwar schon deshalb, weil nach Cohen Bewußtseinsprobleme im eigentlichen Sinne hier gar nicht vorliegen, und schon gar nicht solche eines individuellen oder „persönlichen" Bewußtseins. 5 Unter dem Titel „Bewußtsein" wäre bei Kant vielmehr nur der „Inbegriff von Methoden" thematisiert, „die Erfahrung in ihrem wissenschaftlichen Gehalte, ja samt allen ihren Inhalten zu erzeugen". 6 Wir 1

Vgl. dazu z. B. Hossenfelder, der den nach seiner Meinung zutreffenden Vorwurf des Psychologismus für geeignet hält, den historischen Kant zu widerlegen, der aber zugleich der Meinung ist, daß der Kantische „Gesetzmäßigkeitsbeweis" sich systematisch unabhängig von der Konstitutionstheorie und deren psychologischen Implikationen rekonstruieren läßt (S. 16; vgl. 119); freilich wird dieser Beweis auch dadurch für Hossenfelder nicht gültig, vgl. seine skeptischen Schlußworte S. 170.

2

Vgl. Ebd. Ebd. Vgl.

3 4 5

Cohen 80. 108. 99-100. ebd. 107.

6

Ebd. 8 9 - 9 0 .

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Kants transzendentale Psychologie

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haben es danach in der „Kritik" überhaupt nicht mit psychologischen Fragen zu tun, sondern ausschließlich mit der „logischen" Analyse der Struktur von wissenschaftlichen Theorien. Im Hinblick darauf, daß die „Kritik" gewiß auch wissenschaftstheoretische Zielsetzungen hat, ist dieser methodologische Interpretationsansatz beim Problem der „Logik" der Erfahrung sicher berechtigt. Die Frage ist allerdings, ob man die darin implizierte antipsychologistische Haltung ohne weiteres auch dann beibehalten kann, wenn man das Kantische Problem allgemeiner faßt, nämlich als die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung — nicht nur der wissenschaftlichen. Genau diese Erweiterung liegt z. B. in der analytischen Kant-Auslegung vor. Aber indem auch hier vor allem die begriffliche Struktur der Erfahrung herausgestellt wird, wird auch in der analytischen Kant-Auslegung ebenso wie in der wissenschaftstheoretischen das Hauptgewicht schließlich wiederum allein auf die logische Analyse von Erkenntnisstrukturen gelegt. Ebenso wie für die wissenschaftstheoretische Auffassung sind deshalb auch für die analytische Interpretation die „psychologischen" Argumente Kants und seine „psychologischen" Erwägungen nicht nur durchaus entbehrlich, sie werden sogar als grundsätzlich verfehlt angesehen. Nach Strawson z. B. kann man auf Kants gesamten „transzendentalen Psychologismus" 7 schon deshalb verzichten, weil dieser Psychologismus in systematischer Hinsicht zum eigentlichen Ziel der Kantischen Untersuchungen, d. h. der analytischen Klärung der begrifflichen Struktur der Erfahrung 8 und ihrer ,limiting features' 9 , sowieso nichts beiträgt. Nach Strawson muß man aber auch auf ihn verzichten, und zwar deshalb, weil er in höchstem Maße irreführend ist. Ausschließlich auf diesen transzendentalen Psychologismus gehen für Strawson Kants verfehlter transzendentaler Idealismus und die nicht haltbare Unterscheidung zwischen Dingen an sich und Erscheinungen zurück; auch in Strawsons Rekonstruktion von Kants Transzendentalphilosophie tritt deshalb alles Psychologische völlig in den Hintergrund. 10 7

8 9 10

Dazu zählt Strawson (Bounds of Sense) Kants Theorie des Selbstbewußtseins (S. 107) und seine Synthesis-Lehre (S. 32, 96 und öfter), aber auch schon, daß Kant den für alle Erfahrung grundlegenden Dualismus von allgemeinen Begriffen und unter sie fallenden Einzeldingen durch die zwei „Vermögen" von Denken und Sinnlichkeit erklärt (S. 20). Ebd. 18, 144. Ebd. 24. Die Ablehnung psychologischer Argumente ist für die analytisch orientierte Kant-Auslegung insgesamt charakteristisch. Sie führt zuerst bei Bird zum systematischen Versuch einer „translation of Kant's terminology into a more modern language of conceptual analysis" (S. 11); Bird legt großen Wert darauf, daß auch für Kant selber wichtige Themen und Zu-

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Einleitung

Nun kann man zweifellos Kants Vorhaben, und zwar gerade, was das Problem der Möglichkeit der Erfahrung im weiteren Sinne angeht, mit analytischen Mitteln zutreffend kennzeichnen. Unabhängig von aller Psychologie erhält man dann mit Strawson als allgemeinstes Ergebnis der Deduktion erstens, daß alle Erfahrung (experience) mit Notwendigkeit die eines selbstbewußten Subjekts muß sein können, und zweitens, daß sie deshalb eine bestimmte, nämlich sich in Gegenstandsbegriffen artikulierende Einheit aufweisen muß, aufgrund derer sie immer auch die Erfahrung einer objektiven Welt sein kann. 1 1 Strawson geht bei der Herleitung dieses Ergebnisses davon aus, daß zu aller „Erfahrung" (experience) notwendig die „Erkenntnis" von Einzelnem, als unter allgemeine Begriffe fallend, gehören soll. 12 Er sucht zu zeigen, daß darin für das Subjekt der Erkenntnis die Möglichkeit der Selbstzuschreibung aller seiner Erfahrungen (experiences) impliziert ist, 13 und weist im Anschluß daran nach, daß diese Selbstzuschreibung ihrerseits unmöglich wäre, wenn nicht wenigstens in einigen Fällen zwischen der subjektiven Erfahrung von etwas einerseits und den erfahrenen objektiven Sachverhalten andererseits unterschieden werden könnte. 14 Damit ist für Strawson das Hauptziel der Kategoriendeduktion erreicht, nämlich der Nachweis, daß zu aller Erfahrung mit Notwendigkeit die Möglichkeit der Erkenntnis von Objekten im gewichtigen Sinne 15 gehört, d. h. von Gegenständen, die von ihrem Erfahrenwerden unterschieden sind. 16

sammenhänge, „which he naturally expressed in an inherited psychological terminology are based on logical or conceptual distinctions" (S. 11) und daß der „account . . . of even the psychological terms", mit denen Kant von Rekognition und Bewußtsein spricht, „is not of an empirical so much as of a conceptual kind" (S. 111). Ebenso bemüht sich Bennet, Kant's Analytic, in seiner „analytischen" Interpretation, Kants transzendentale Synthesis als logische und begriffliche, nicht als psychologische Voraussetzung der Erkenntnis zu begreifen (S. 112—4); vgl. auch Walsh 48—9. Ausdrücklich wendet sich gegen Kants Psychologismus sowohl in der Kategoriendeduktion, die nach seiner Meinung nicht-psychologisch rekonstruiert werden kann (vgl. S. 53, 54ff.), als auch vor allem in Kants Synthesis-Lehre (S. 61, vgl. 16, 46) auch Wilkerson. 11

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Strawson, Bounds of Sense 114, vgl. 87, 97. Sehr suggestiv hat das im Anschluß an Strawson Wilkerson so ausgedrückt, daß er sagt, man könne überhaupt keine Erfahrung (experience) haben und man könne sich auch nicht einzelner Erfahrungen (experiences) als seiner eigenen bewußt sein, außer wenn man einige von ihnen als Wahrnehmungen einer äußeren Welt auffaßt (S. 56). Strawson, Bounds of Sense 72, 97. Ebd. 1 0 0 - 1 , 110. Ebd. 101, vgl. 9 2 - 3 , 110. „In the weighty sense", ebd. 88. Vgl. ebd. 73.

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Das ist nun allerdings ein recht überraschendes Ergebnis, denn man sollte meinen, daß davon Kant eher ausgegangen ist, als daß er es in seinen transzendentalphilosophischen Untersuchungen schließlich erreicht hätte. Denn tatsächlich fragt Kant ja gar nicht, ob die von Strawson angegebenen Merkmale mit Notwendigkeit zur Erfahrung gehören, dies ist bei ihm vorausgesetzt; er fragt vielmehr, wie die Erfahrung in diesem Sinne insgesamt möglich ist, d. h. aufgrund welcher subjektiven Leistungen sie zusammen mit den von Strawson angegebenen Eigentümlichkeiten zustandekommt. Insofern würde Strawsons Darstellung an dem Problem, auf das es Kant in erster Linie ankommt, also einfach vorbeigehen, und zwar gerade deshalb, weil Strawson aufgrund seines „logischen" Vorurteils nicht auf Kants transzendentaler Psychologie eingeht. Jedoch liegen die Dinge so einfach nicht, und vor allem ist es nicht so, als wenn in der analytischen Kant-Auslegung über für die Erfahrungsanalyse möglicherweise wichtige Einsichten Kants einfach hinweggegangen würde. Denn wenn hier auch gegen Kants psychologisch-genetische Fragestellung eingewendet wird, daß man statt nach subjektiven Leistungen sinnvoll allein nach der begrifflichen Struktur der Erfahrung fragen könne, so liegt darin nach analytischer Auffassung eben prinzipiell gar keine Einengung des Problems. Jedenfalls soll sich in Kants psychologisch-genetischen Untersuchungen nichts von der Sache her Wichtiges finden, was nicht auch im Rahmen eines logisch-begrifflichen Ansatzes herausgearbeitet werden könnte. Tatsächlich jedoch trifft das nur bedingt zu, jedenfalls für Strawson. Denn was ist mit seinem Ergebnis erreicht? Zunächst einmal zweifellos eine Entfaltung und Klärung von wichtigen Strukturen der Erfahrung, wozu vor allem auch der Nachweis gehört, daß unsere auf Objekte bezogenen Vorstellungen in einem begrifflich artikulierten Zusammenhang stehen, vermöge dessen alle objektiven Einzelerscheinungen sich mit Notwendigkeit in den Rahmen der einen vereinheitlichten Erfahrung der Wirklichkeit integrieren lassen. 17 Sowohl in diesem wichtigen Punkt als auch in den anderen genannten Einzelheiten ist die Untersuchung Strawsons ganz ohne Zweifel einer der wenigen wirklich gelungenen Versuche, die tragfähigen Argumente der Kantischen Kategoriendeduktion kritisch und im Detail zu rekonstruieren. Aber andererseits läßt sich auch nicht übersehen, daß Teile des Strawsonschen Resultats für sich gar nicht zutreffend sind oder daß sie zumindest 17

Ebd. 89, 114, 121.

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Einleitung

auf sehr charakteristische Weise zu kurz greifen. Kann man z. B. wirklich aufrechterhalten, daß alle Erfahrung notwendig die Erkenntnis von Objekten im gewichtigen Sinne ist? Ich glaube nicht, und daß läßt sich am leichtesten anhand jener „Erfahrungen" zeigen, die etwa Tiere machen oder die kennzeichnend sind für die frühen Stufen der Intelligenzentwicklung bei Kindern. Man kann sinnvoll davon sprechen, daß für solche „Erfahrungen" die Prämisse, von der Strawson ausgeht, erfüllt ist, denn auch in ihnen wird Einzelnes unter allgemeinen Gesichtspunkten rekognosziert 18 , und in gewisser Weise findet hier auch eine „Selbstzuschreibung" von Erlebnissen statt. 19 Aber dennoch können „Erfahrungen" dieses Typs vernünftigerweise nicht als die Erkenntnis von Objekten im gewichtigen Sinne gelten, d. h. als die Erkenntnis von Gegenständen, die vom Tun und Erleben des „erkennenden" Subjektes losgelöst und unterschieden wären. Wenn man fragt, wie Strawson dennoch zu seinem Ergebnis gelangen kann, so gibt es, glaube ich, nur eine Antwort: entgegen der Versicherung, im zugrundegelegten Begriff der Erfahrung (experience) sei die Beziehung auf Gegenstände im gewichtigen Sinn nicht vorausgesetzt20, ist sie tatsächlich doch darin enthalten; es wäre sonst der von Strawson behauptete analytische Zusammenhang ja auch gar nicht herleitbar. Aber gerade am Bestehen eines logisch-analytischen Zusammenhangs zwischen dem zugrundegelegten Begriff der Erfahrung und der Beziehung auf Gegenstände im gewichtigen Sinne zeigt sich auch, daß hier bestimmte wichtige Fragen einfach abgeblendet sind, vor allem die nach einer negativen Kennzeichnung der Erfahrung. Aber erst von einer solchen negativen Kennzeichnung her läßt sich entscheiden, nicht nur, welches die mit einem bestimmten Begriff von Erfahrung notwendig verknüpften Strukturen der Erfahrung sind, sondern auch, welche von ihnen die wesentlichen und wichtigen sind. Denn ohne negative Kennzeichnung, die die unterscheidenden Merkmale unserer Art von Erkenntnis gegenüber anderen Typen von „Erfahrung" herausstellt, kann man keine Gründe dafür angeben, weshalb bestimmte Züge analytisch mit dem Begriff der Erfahrung verbunden sind, und das läuft in letzter Konsequenz darauf hinaus, daß man dann den Begriff der Erfahrung, der analysiert werden soll, eigentlich gar nicht vollständig kennt oder daß man sich bei vollständiger Kenntnis dennoch bei der Analyse nur auf einen Bedeutungsausschnitt beschränkt. 18

19

Vgl. Kaminski 384—9. Wahrscheinlich würde Strawson das nicht akzeptieren, da für ihn der Begriff des Einzelnen und des Allgemeinen höherstufig ist, vgl. Particular and General 3 6 ff. und Individuais 202 ff. 2 0 Bounds of Sense 73 - 4 , Vgl. unten Kapitel IV. 85.

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Das wird in Strawsons Darstellung z. B. dort deutlich, wo bei ihm die Selbstzuschreibung von Erfahrungen ins Spiel kommt. Hier ist das Subjekt der Erfahrung stillschweigend bereits im Ansatz als ein solches aufgefaßt, das wie wir erwachsene Menschen sich der Welt gegenüber findet oder in der Reflexion sich dieses Gegenüber doch bewußt machen kann und das genau deshalb in seinen Erfahrungen immer schon auf Objekte im gewichtigen Sinne bezogen ist. Nur deshalb kann das Subjekt sich seine Erlebnisse auch thematisch als seine eigenen aneignen, was umgekehrt Tieren und sehr kleinen Kindern deshalb nicht möglich ist, weil sie nicht über die dafür erforderlichen Realkategorien verfügen; Tiere und sehr kleine Kinder sind nicht auf Objekte im gewichtigen Sinne bezogen. Aber das ist nur die andere Seite der Tatsache, daß sie eben auch nicht sich selbst der Welt gegenüber finden können. Auf sehr charakteristische Weise ist also an diesem Punkt das analytische Vorgehen in seinen Ergebnissen von semantischen Entscheidungen abhängig, die ihrerseits — auf eine bei Strawson nicht diskutierte Weise 21 — auf empirischen Kenntnissen und Vormeinungen bezüglich dessen beruhen, was „Erfahrung" ist und wie das dazugehörige Subjekt zu denken ist. Ausschließlich an dieser letztlich empirisch fundierten Entscheidung liegt es nun aber, daß in Strawsons Kant-Darstellung ein wichtiges Problem nicht den Platz einnimmt, den es verdient: die Frage nämlich, wie sich die Erfahrung von Objekten von einer, wenn man so will, objektlosen Erfahrung unterscheidet. Gerade damit aber beschäftigt sich Kant, und zwar unter dem von Strawson in den Hintergrund gedrängten 22 „psychologischen" Gesichtspunkt der „Synthesis" von Vorstellungen und ihrer ursprünglichen Einheit. Denn in der Kategoriendeduktion will Kant ja nicht zeigen, daß unsere Erfahrung mit Notwendigkeit objektiv ist; das setzt er voraus. Er will vielmehr die wesentlichen Bedingungen angeben, die erfüllt sein müssen, damit es diese Objektivität für uns geben kann. Deshalb steht bei Kant die Frage des Zusammenhangs unserer Vorteilungen, ihrer „connectedness", um mit Strawson zu sprechen, im Mittelpunkt der Deduktion, und nur deshalb spielt auch das Problem der ursprünglichen Einheit der Apperzeption, zu der das Mannigfaltige unserer Vorstellungen durch eine 21

22

D a s gilt nur für Strawsons Kant-Buch. In Individuais versucht Strawson ausdrücklich, die Bezugnahme auf Einzeldinge und den begrifflichen Rahmen, innerhalb dessen diese Bezugnahme allein möglich ist, auch von negativen Modellen her (rein auditive Welt, Sprache ohne Einzeldinge mit nur ,feature-placing sentences' anstelle von Subjekt-Prädikat-Sätzen) verständlich zu machen, vgl. Individuais 5 9 f f . , 2 1 4 f f . Bounds of Sense 96—7.

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Einleitung

Synthesis gebracht sein muß, in Kants Darlegungen eine so große Rolle: Nach Kant ist es allein ein bestimmter Zusammenhang unserer Vorstellungen, der die Erfahrung als die Erkenntnis von Objekten im gewichtigen Sinne ermöglicht, und zwar die Erfahrung gerade im Gegensatz zu einer objektlosen Erfahrung. Bei Strawson dagegen ist das Problem des Zusammenhangs unserer Vorstellungen zwar nicht übergangen, aber es ist eben nicht als das zentrale Problem behandelt, von dem her allein sich die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung beantworten läßt. Dabei hätte der Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse, wie sie kennzeichnend sind für das ausgebildete kognitive Verhalten des Menschen, nicht nur zeigen können, daß die Erfahrung von Objekten im gewichtigen Sinne nicht ohne Realkategorien möglich ist — das weiß natürlich auch Strawson —, sondern vor allem auch, daß die Kategorien in ihrer Struktur und in ihrer Funktion, wie Kant es wollte, sich einerseits nur im Gegensatz zu einer „objektlosen" Erfahrung und andererseits auch nur unter dem Gesichtspunkt des synthetischen Zusammengehörens unserer Vorstellungen angemessen fassen lassen. Indem Kant nicht nur den analytischen Zusammenhang herausarbeitet, der zwischen der Einheit des Selbstbewußtseins und der Beziehung unserer Vorstellungen auf von ihnen verschiedene Gegenstände besteht, sondern indem er im Rahmen von „psychologischen" Fragestellungen auch untersucht, wie diese Gegenstandsbeziehung zustandekommt, d.h., was sie in ihren wesentlichen Zügen gerade im Unterschied zu einer objektlosen Erfahrung ist, fragt er also systematisch weiter als Strawson. Damit stellt sich nun aber erneut die Frage, wie Kants „transzendentale Psychologie" eigentlich zu beurteilen ist. Es mag durchaus zutreffend sein, wenn man sagt, daß im Hinblick auf die wissenschaftstheoretische Problematik der Kantischen Erkenntnistheorie alles „Psychologische" entbehrlich ist; aber nach dem Gesagten ist deutlich, daß das nicht auch im Hinblick auf das Problem des Habens von Welt überhaupt das letzte Wort sein kann. Im Gegenteil kommt offenbar gerade in Kants transzendentaler Psychologie das Erkenntnisproblem unter einem Gesichtspunkt zur Sprache, der nicht nur für ein tieferdringendes Verständnis der Kantischen Erfahrungstheorie, sondern überhaupt für die richtige Auffassung des Erfahrungs- und Erkenntnisproblems von entscheidender Bedeutung zu sein scheint. In beiden Hinsichten wird es also darauf ankommen, an Kants „psychologische" Lehren und insbesondere an seine Theorie der Synthesis eher gerade anzuknüpfen, als den „psychologischen" Problemkomplex einfach völlig beiseite zu lassen.

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Das bedeutet natürlich nicht, daß Kants transzendentalpsychologischer Apparat nun in all seinen Einzelheiten zu übernehmen wäre; ganz im Gegenteil. Kants transzendentale Psychologie läßt sich als Ganzes sicher nicht rechtfertigen, und wenn wir im Folgenden bestimmte Punkte der Kantischen transzendentalen Psychologie in den Vordergrund rücken, so ist dabei nicht an eine Wiederbelebung der Kantischen transzendentalen Vermögenslehre insgesamt gedacht. Wir wollen im Ausgang von Kants Psychologie vielmehr zunächst einmal nur bestimmte Fragen herausarbeiten, die für die erkenntnistheoretische Problemstellung insgesamt von Wichtigkeit sind, und das muß noch nicht einmal bedeuten, daß wir dabei auch Kants psychologische Sprechweise zu übernehmen hätten. Worauf es ankommt, ist allein, Kants Psychologie zu nutzen als Hinweis auf etwas, was ohne sie vielleicht gar nicht gesehen würde und was faktisch — jedenfalls in der analytischen Kant-Auslegung — unter dem Zwang von scheinbar selbstverständlichen und deshalb nicht mehr reflektierten empirischen Annahmen auch tatsächlich nicht gesehen ist. 23 Dabei könnte man nun einfach stehenbleiben. Die Kantischen „psychologischen" Äußerungen über die Verbindung eines sonst unverbundenen und chaotischen Mannigfaltigen von Empfindungen und Anschauungen wären dann stets in ausdrücklich nicht-psychologischer Einstellung nur als Hinweise auf bestimmte wichtige Strukturen der Erfahrung zu lesen, die ihrerseits rein begrifflich und analytisch zu klären wären. Aber wenn man soweit ist, dann liegt es nahe, solche analytischen Untersuchungen auf dem Weg über die Kantische „Psychologie" nun überhaupt und prinzipiell in Zusammenhang zu halten mit den tatsächlich vorkommenden und empirisch erforschbaren Eigentümlichkeiten unseres Erkennens. Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß dadurch die Philosophie sich in empirische Psychologie verwandeln müßte. Tatsächlich würde sie so nur den wichtigen Anschluß an die Wirklichkeit unseres Erkennens zurückgewinnen, den sie haben muß, wenn sie nicht bloß klar sein will, sondern auch von Belang für die Klärung unseres Welt- und Selbstverständnisses. In der vorliegenden Arbeit wird deshalb die Kantische Synthesis-Lehre und insbesondere der damit aufs engste zusammenhängende Begriff der ursprünglichen und objektiven Einheit der Apperzeption in den Mittelpunkt der Interpretation gerückt, wobei in systematischer Hinsicht der Anspruch 23

Was Strawson angeht, so gilt das, wie gesagt, nur für seine Kant-Auslegung; dagegen ist in Individuais der (synthetische) Zusammenhang von Vorstellungen im begrifflichen Rahmen der Bezugnahme auf (materielle) Einzeldinge nachdrücklich herausgestellt (vgl. Ch. 1 Bodies).

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Einleitung

erhoben ist, daß die Kantische Synthesis-Lehre im Prinzip richtig ist und daß sie sich im Ausgang von der empirischen Wirklichkeit der menschlichen Gegenstandserkenntnis und ihren realen Sinnvoraussetzungen auf einsichtige Weise rekonstruieren läßt. Methodologisch ist dabei die Überlegung leitend, daß — wie gesagt — wir in unseren Theorien ohnehin auf empirische Annahmen angewiesen sind und daß dies nicht nur ein unvermeidliches Übel ist. Selbst im Sinn eines rein analytischen Vorgehens ist diese Bezogenheit auf Empirisches enthalten,24 und zwar deshalb, weil auch analytische (und ebenso auch transzendentalphilosophische) Untersuchungen etwas Wirkliches und empirisch Konstatierbares erklären und verständlich machen sollen — nämlich die Sinnstrukturen des spezifisch menschlichen kognitiven Verhaltens —, so daß sie deshalb auch von diesem Wirklichen her prinzipiell überprüfbar und kritisierbar sein müssen. Wie solche Sinnstrukturen aussehen, daß sie beim erwachsenen Menschen, nicht aber bei Neugeborenen vorliegen und warum dies so ist, kann man aber nicht erfahrungsunabhängig feststellen, und dies gilt ebenso auch für den Unterschied im kognitiven Verhalten von Menschen und Tieren, der bei der positiven Wesensbestimmung des menschlichen Erkennens zu berücksichtigen ist. Insofern gehen empirische Kenntnisse also notwendig in analytische Fragestellungen25 ein, und es ist dieser Sachverhalt, der es rechtfertigt, daß man die Gesichtspunkte für logische Sinn-Analysen des Erkennens von Anfang an in Rücksicht auf die in der Wirklichkeit bestehenden Verhältnissen auswählt. Wie dabei vorzugehen ist, läßt sich nun aber gerade Kants SynthesisLehre entnehmen, und zwar vor allem der Kantischen Reflexion darauf, was der Fall wäre, wenn unsere Vorstellungen nicht in der ursprünglichen 24

25

So ist, um ein Beispiel zu nehmen, für Strawson alle Erfahrung wesentlich gekennzeichnet durch ,,a certain fundamental duality, inescapable in any philosophical thinking about experience or empirical knowledge", nämlich „the duality of general concepts, on the one hand, and particular instances of general concepts, encountered in experience, on the other" (Bounds of Sense 20). Diese Dualität spielt in Strawsons Rekonstruktion von Kants Kategoriendeduktion wohl die ganz entscheidende Rolle (vgl. etwa S. 47, 72 —4, 97, 110), sie läßt sich aber nicht gut behaupten, wenn man nicht empirisch weiß, wie unsere Erfahrung nach ihren Hauptmerkmalen und Hauptwesenszügen aussieht. Tatsächlich ist schon wegen der Relativität des Unterschiedes zwischen analytischen und synthetischen Bestimmungen jede „logische" Analyse in ihren Ergebnissen letztlich auch von empirischem (synthetischem) Wissen abhängig, vgl. dazu Quine. Vgl. auch die ausgedehnte Diskussion über die Möglichkeit sog. „transzendentaler Argumente"; einer der Einwände dagegen ist der Hinweis darauf, daß transzendentale Argumente immer auch von sehr allgemeinen empirischen Annahmen abhängig sind, vgl. dazu auch Wilkerson 208—13.

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Einheit der Apperzeption zusammengehörten. Nach Kant gäbe es dann nur ein „Gewühle von Erscheinungen" 26 , und gerade diese Konzeption führt schon bei Kant selbst zur Frage nach Zuständen, in denen ganz ähnlich wie in Gedankenexperimenten das Erkennen entscheidend verändert ist, so daß seine wesentlichen Strukturmerkmale sich dann gerade im Kontrast zu der Abweichung unmittelbar von selbst ergeben. Das ist z . B . der Fall, wenn man das kognitive Verhalten von Realitätsgestörten oder auch das der Tiere näher betrachtet, vor allem aber, wenn man genetisch die Ausbildung und Entfaltung der Gegenstandserkenntnis beim heranwachsenden Menschen selber verfolgt. Auf die beiden ersten Fälle hat zur Verdeutlichung der wichtigen Rolle, die der ursprünglichen Einheit der Apperzeption im Rahmen gelingender Gegenstandserfahrung zukommt, auch bereits Kant hingewiesen 27 , sein Hauptbeispiel ist allerdings etwas anderes, nämlich die bloße „Assoziation" von Vorstellungen. Ausschließlich diese Assoziation von Vorstellungen ist von Locke und Hume als Erkenntnisprinzip in Anspruch genommen worden, aber in Wirklichkeit ist sie, wie Kant immer wieder betont, für sich allein geradezu ein Paradebeispiel für eine solche Verbindung, der die synthetische Einheit gerade fehlt, die für die Gegenstandserkenntnis konstitutiv ist. Folgt man solchen Hinweisen, so muß man dabei allerdings zugleich auch über Kant hinausgehen, denn nicht nur in der analytischen Philosophie, sondern gerade auch bei Kant selber gilt alles Psychologische im Zusammenhang transzendentaler Fragestellungen als der Sündenfall schlechthin. Allerdings sind die Gründe dafür bei Kant und bei den Analytikern verschieden. Kant hat einen Begriff von empirischer Psychologie, nach dem ihr Gegenstand auf dem Weg über den inneren Sinn bestimmt ist, so daß dann zur empirischen Psychologie gerade nicht das formale Selbstbewußtsein und auch nicht das Denken mit seinen synthetischen Leistungen gehört. 28 Im Gegensatz zur transzendentalen, nichtempirischen Erkenntnistheorie, in der die höheren, auf Spontaneität beruhenden Funktionen unseres Denkens zur Sprache kommen, kann daher für Kant Gegenstand der Psychologie nur dasjenige sein, was im psychischen Leben den Charakter der Passivität hat und was nur deshalb ganz angemessen mit empirischen Methoden erforscht werden könne 29 , was aber gerade deshalb auch aus26 21

28

KRV A 111. Vgl. seine Bemerkungen zur „Unsinnigkeit (amentia)", Anthropologie A 145 und über Vorstellungsverbindungen bei Tieren („wenn ich mich in Gedanken zum Tier mache") im Brief an Marcus Herz vom 26. 5. 1789, AA X I 52. 2 9 Ebd. 163. Satura 27 ü.

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Einleitung

drücklich aus der Erkenntniskritik ausgeschlossen ist. 30 Dagegen ist in der analytischen Kant-Auslegung unter Psychologie immer eine Theorie von unbeobachtbaren, nur der Introspektion zugänglichen innerseelischen Vorgängen, Handlungen und Vermögen verstanden, gegen die von Wittgenstein und Ryle an die analytische Philosophie insgesamt sich immer wieder mit großem Nachdruck und auch mit großen Recht gewendet hat. 31 Aber in Wirklichkeit ist beides gar nicht die ganze Psychologie, und Einwände wie die genannten treffen deshalb auch gar nicht schlechthin die empirische Psychologie. Im Rahmen dessen, was z.B. seit Brentano und Husserl als Phänomenologie32, als deskriptive Psychologie33, als phänomenologische Psychologie34 oder auch als philosophische Anthropologie35 vertreten worden ist, hat man sich vielmehr darum bemüht, das Bewußtsein, und zwar gerade auch das Denken, in seinen ^¿««-Strukturen zu verstehen und zu beschreiben, und ebenfalls sind hier auch Anstrengungen gemacht worden, vom Begriff des Bewußtseins als rein innerseelischem Geschehen wegzukommen hin zu einer Auffassung, wonach das Bewußtsein leibliches Geschehen ist und auf möglichen Sinn hin orientiertes Handeln und Verhalten. Als solches Verhalten hat natürlich auch das Bewußtsein seine eigenen wesentlich formalen Sinn-Strukturen. Es ist charakterisiert durch mehr oder weniger stabile Verhaltens-Schemata, die einerseits konstitutiv sein können für die Welt- und Wirklichkeitsfassung36, die also auch die Sinnstrukturen objektiver Gebilde wie der Sprache und wissenschaftlicher Theorien tragen können, die aber andererseits im Hinblick auf ihre strukturellen Zusammenhänge und hierarchischen Gliederungen auch Gegenstand der Sinn-Analyse des erkennenden Bewußtseins sein können — und auch sein müssen. Die Analyse von solchen Bewußtseinsstrukturen hat deshalb weiterhin „logisch" in dem Sinne zu sein, daß sie immer auch auf die unerläßliche Klärung und Herausarbeitung von Sinn-Strukturen abzielt; in dieser Hinsicht muß man also nicht automatisch hinter den methodologischen 30 31 32 33 34

35 36

Ebd. 162. Vgl. dazu z. B. Giegel 6 2 f f . Vgl. dazu Spiegelberg. Vgl. dazu Dilthey. Vgl. dazu Linschoten; Straus; Graumann, Phänomenologie und deskriptive Psychologie des Denkens. Vgl. dazu Landmann; Ciaessens. Vgl. dazu etwa die genetischen Untersuchungen Piagets in Das Erwachen der Intelligenz beim Kinde, in La construction du réel chez l'enfant und in Nachahmung, Spiel und Traum.

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Kants transzendentale Psychologie

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Anspruch der analytischen Philosophie auf logische Klärung von formalen Strukturen des Erkennens zurückfallen, wenn man auch die Wirklichkeit des Erkennens berücksichtigt. Da diese Strukturen in empirisch zugänglichen Handlungszusammenhängen und Handlungsschemata realisiert sind, ist man hier aber dafür in der glücklichen Lage, Kriterien nicht nur für die Uberprüfung der Analyse unter dem Gesichtspunkt ihrer logischen Konsistenz, sondern gerade auch ihrer inhaltlichen Angemessenheit zu haben. Überlegungen wie die vorstehenden zielen ab auf die Rehabilitierung einer methodisch nicht verkürzten „Erfahrung" im Rahmen der philosophischen Erkenntnistheorie. Für die Kant-Auslegung bedeuten sie zweierlei. Zunächst — wie gesagt — den Versuch, ein interpretierendes Vorgehen zu rechtfertigen, für das die „Kritik der reinen Vernunft" — und zwar vor allem insofern, als sie eine Theorie des Habens überhaupt von Welt und von Gegenständen in ihr ist — sich letztlich nur im Ausgang von der Klärung und Begründung der in ihr enthaltenen „psychologischen" Ansätze wirklich angemessen verstehen läßt. Insofern wenden wir uns im Folgenden gegen einen ausschließlich an der Frage nach der Geltung der Erkenntnis orientierten Ansatz in der Kant-Interpretation. Zugleich liegt darin aber auch eine Wendung gegen Kant selber, und zwar insofern, als Kant alles Empirische aus seiner transzendentalen Psychologie ausgeschlossen haben will. Kant handelt zwar ausführlich von subjektiven Erkenntnisvermögen und subjektiven Bewußtseinsstrukturen, aber wegen der transzendentalen Wendung seiner Fragestellung scheint sich die Kantische Theorie prinzipiell jeder Annäherung an eine ErkenntnisPhänomenologie und damit auch jeder Kritik, die auf die tatsächlich bestehenden Verhältnisse hinweist, zu entziehen; Kant will nicht von empirisch beobachtbaren psychologischen Vorkommnissen und Vermögen reden, sondern — mit freilich psychologischen Ausdrücken — zielt er ab auf etwas grundsätzlich Uber-Empirisches und Uber-Psychologisches. Die Frage ist aber, ob das gelungen ist, und weiter, ob das überhaupt gelingen kann oder ob nicht auch in dem transzendentalen Bereich, den Kant mit der Frage nach den Bedingungen aller Erfahrung im Sinne des Habens überhaupt von Welt eröffnet, letztlich — wenn auch unter anderem Namen — doch wiederum dieselben strukturellen Bestimmungen begegnen, die wir aus der empirischen Wirklichkeit kennen. In der Tat ist letzteres der Fall. 3 7 Deutlich setzt Kant im Hinblick auf die Eigentümlichkeiten 37

Man könnte versucht sein, gegen diese Auffassung einzuwenden, daß Kant doch gerade nach den Voraussetzungen aller empirischen Erkenntnis fragt und daß deshalb sowohl die-

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Einleitung

unseres Erkennens eine empirische Erkenntnispsychologie voraus, und er geht dabei von Annahmen aus, die sich nur empirisch belegen lassen und von denen wir auch nur aus Erfahrung wissen können, ob sie für die Beschreibung der Erkenntnis-Strukturen überhaupt die wesentlichen und richtigen Gesichtspunkte bezeichnen. Deshalb lassen sich viele wichtige Züge der Kantischen Transzendentalphilosophie weder in ihrem Sinne noch in ihren Motiven wirklich verstehen, wenn man nicht annimmt, daß die wirklichen Verhältnisse, wie Kant sie empirisch kennt oder zu kennen glaubt, hier als unentbehrliche Orientierungshilfe gedient haben. Faktisch richtet Kant sich also auch dort nach der empirisch erforschbaren Wirklichkeit unseres Erkennens, wo er gerade nach den nicht-empirischen Voraussetzungen alles Erkennens fragt. Seine transzendentale Psychologie entzieht sich deshalb grundsätzlich nicht der empirisch-analytischen Beurteilung; vielmehr ist es umgekehrt — wie wir zu zeigen hoffen — allein die Berücksichtigung bestimmter empirischer Befunde, die uns allererst instand setzt, die weiterweisenden Motive in Kants transzendentalen Überlegungen in ihrer Bedeutung wirklich zu verstehen und kritisch zu würdigen.

3. Inhalt und Gang der

Untersuchung

Mit der Aufnahme von wichtigen Motiven der Kantischen „psychologischen" Synthesis-Lehre und der Wendung einerseits gegen Kants Apriorismus, andererseits gegen die bloß logische Orientierung der analytischen Kant-Auslegung ist das Programm der folgenden Untersuchung von Kants Synthesis-Lehre in methodologischer und inhaltlicher Hinsicht angegeben: es soll Hinweisen Kants auf Vorformen und Abarten der uns vertrauten ses Fragen selber als auch die Voraussetzungen nicht-empirisch sein müßten. Das ist z. B. die Meinung von Prauss, Kant und das Problem der Dinge an sich, der Kants Untersuchungen als „nichtempirisch-transzendentale Reflexion auf das Empirische" auffaßt (S. 11, vgl. 72, 82). E r faßt dabei das „Empirische" aber so eng, daß für ihn „aus prinzipiellen Gründen . . . so etwas wie ein Subjekt, und sei es auch nur ein empirisches", völlig außerhalb der Erkenntnismöglichkeiten der empirischen Psychologie liegt. Für Prauss führt schon die Frage nach den Gründen dafür, daß empirische Urteile wahr oder falsch sein können, aus der Empirie hinaus, und zwar deshalb, weil man dazu etwas, was in der Realität der Empirie immer auf verschiedene Fälle von Erfahrung verteilt ist, in bezug auf denselben Fall denken muß, womit man „zu einer gänzlich nichtempirisch-irrealen Möglichkeit" übergehe (vgl. S. 71). Prauss' Auffassung ist ein besonders markantes Beispiel dafür, wie in der Auseinandersetzung über Transzendentalphilosphie und Erfahrung der Begriff der Empirie und des Empirischen künstlich verengt wird; ohne diese Verengung könnte man das Vorkommen nichtempirischer Erkenntnisse nicht mehr gut plausibel machen.

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Inhalt und Gang der Untersuchung

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Gegenstandserkenntnis nachgegangen werden, an denen die Leistung und Funktion der synthetischen Einheit von Vorstellungen für das Haben von Welt und von Gegenständen in ihr unmittelbar sichtbar werden kann. Dabei kommt es vor allem darauf an, das Erkenntnisproblem, wie es sich Kant als die Frage nach der Möglichkeit der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen stellt, als Synthesis-Problem verständlich zu machen, und das läuft seinerseits darauf hinaus, die ursprüngliche und objektive Einheit der Apperzeption, in der nach Kant alle unsere Vorstellungen zusammenstehen, wirklich als hinreichende Bedingung für die Gegenstandsbeziehung zu erweisen. Dieser Nachweis wird im Folgenden dadurch erbracht, daß wir die ursprüngliche Einheit der Apperzeption als vorgängigen, kategorial entfalteten, einheitlichen Sinnzusammenhang von Vorstellungen interpretieren, wie er z . B . auf frühen Stufen der kindlichen Intelligenzentwicklung noch nicht geleistet ist, wie er aber umgekehrt bei bestimmten pathologischen Verläufen und Zuständen auch wieder verloren gegangen sein kann. 1 Behauptet ist damit nicht, daß auch Kant selber die Einheit der Apperzeption einfach als solchen kategorialen Sinnzusammenhang aufgefaßt hat. Das ist gewiß nicht der Fall, schon deshalb nicht, weil für Kant entgegen dem, was sich aus systematischen Gründen einsichtig machen läßt, die Einheit der Apperzeption immer auch Einheit des Selbstbewußtseins ist. Vielmehr ist dieser Sinnzusammenhang nur als Interpretationsmodell für die ursprüngliche Einheit der Apperzeption in Anspruch genommen, allerdings als ein Modell, das in Kants eigenen Bestimmungen objektiv impliziert ist und das sich z. B. von daher entwickeln läßt, daß Kant die ursprüngliche objektive Einheit der Apperzeption und die zu ihr führenden Synthesen von der bloßen „Assoziation" von Vorstellungen unterscheidet. Gerade in dieser Gegenüberstellung kommt zum Ausdruck, daß Gegenstands- und Sachverhaltsbestimmungen durch miteinander verbundene oder aneinander „asso-

1

Hiergegen könnte man einwenden: „Was a priori ist, kann nicht a posteriori erkannt werden", also das, was K u n o Fischer der Fries'schen Schule vorgeworfen hat (vgl. Nelson, Über die Unhaltbarkeit des wissenschaftlichen Positivismus, W e r k e 1 2 0 9 ) . Indessen hat der Rückgang auf die tatsächlichen Gegebenheiten des Erkennens, auch auf seine pathologischen Abwandlungen und genetischen Vorformen, nichts mit dem .Psychologismus' von Fries und Nelson zu tun, für den die „Deduktion" von Erkenntnissen der reinen Vernunft in dem „psychologischen" Nachweis besteht, daß bestimmte metaphysische Sätze Erkenntnisse der reinen Vernunft sind (vgl. Nelson, Die kritische Methode und das Verhältnis der Psychologie zur Philosophie, Werke I 2 7 f f . ) . Übrigens hat sich Fries gegen die Möglichkeit ausgesprochen, daß das Entstehen der für die Erkenntnis relevanten Bewußtseinsstrukturen wissenschaftlich überhaupt erforschbar sei (Nelson W e r k e I 89).

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Einleitung

ziierte" Vorstellungen in ihrem Anspruch, Erkenntnisse zu sein, stets einen vorgängigen und ursprünglichen Sinnhorizont voraussetzen. Ohne einen solchen Sinnhorizont könnte auch die allerengste und sogar faktisch richtige Verbindung von Vorstellungen nicht für die Erkenntnis von etwas relevant sein, ja ohne ihn könnten wir mit unseren einzelnen und „einfachen" Vorstellungen irgend etwas Gegenständliches noch nicht einmal meinen. Kants Widerlegung von Humes „Skeptizismus im Hinblick auf die Sinne" besteht deshalb auch nicht nur im Hinweis auf die notwendige Vorausgesetztheit von äußeren Objekten für alles Selbstbewußtsein 2 ; sie besteht vor allem im Hinweis auf die Inkonsequenz, die darin besteht, daß die Empiristen zwar die Objektivität von VorstellungsVerbindungen für unmöglich halten, daß sie dabei aber stillschweigend davon ausgehen, daß wir uns jedenfalls in unseren einfachen und einzelnen Vorstellungen intentional auf Gegenstände beziehen. Demgegenüber zeigt Kant, daß in Wirklichkeit die Gegenstandsbeziehung auch von einzelnen Vorstellungen nur durch ihre ursprüngliche Verbundenheit möglich ist. 3 Für die Durchführung dieser Interpretation von Kants Theorie der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen ist nun allerdings von entscheidender Bedeutung, daß bei Kant dieser ganze Problemkomplex in den größeren Zusammenhang der Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori eingebettet ist. Das hat zur Folge, daß das Apperzeptionsproblem immer überlagert ist durch letztlich wissenschaftstheoretische Rücksichten, von denen Kant sich nicht wirklich frei machen kann, wie sich ebenfalls an der Gegenüberstellung von Assoziation und transzendentaler Synthesis verdeutlichen läßt. Auf widersprüchliche Weise sind nämlich hier sowohl die Assoziation von Vorstellungen als auch die transzendentale Synthesis (und ihre Einheit) außer durch kategoriale immer auch durch faktische Bestimmungen gekennzeichnet, und das läuft darauf hinaus, daß die ursprüngliche Einheit der Apperzeption von Kant einerseits zwar als der für alle Gegenstandsbeziehung erforderliche bloß formale kategoriale Sinnzusammenhang von Vorstellungen bestimmt ist, daß sie aber zugleich auch als objektive Affinität des Vorgestellten selber aufgefaßt ist, d. h. als der objektive Grund für die faktisch notwendige Regelmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Wirklichkeit. 4

2 3 4

Darin sieht Wilkerson den Sinn der Kantischen Kategoriendeduktion (vgl. S. 48 und öfter). Vgl. dazu vom Verfasser, Goodmans Schein-Rätsel 337. Vgl. dazu vom Verfasser, Ist alle Verbindung eine Verstandeshandlung?

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Inhalt und Gang der Untersuchung

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An sich müßte diese Mehrdeutigkeit eine fortlaufende Textinterpretation, die ausschließlich auf die Herausarbeitung von Kants Theorie der intentionalen Gegenstandsbeziehung abzielt, natürlich nicht unmöglich machen. Aber tatsächlich ist das faktische Neben- und Ineinander von zwei heterogenen Fragestellungen, das sich in dieser Mehrdeutigkeit bekundet, in der „Kritik der reinen Vernunft" so eng, daß jede wirklich am Text bleibende Darstellung des Problems der Gegenstandsbeziehung, die nicht auch Kants wissenschaftstheoretische Intentionen berücksichtigen würde, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist 5 . Aber nicht weniger gilt das auch dann, wenn sie sich auf die wissenschaftstheoretische Problematik einläßt; auch dann gerät sie in Gefahr, ihren Gegenstand zu verfehlen oder unter dem Druck von wissenschaftstheoretischen Rücksichten ihn doch wenigstens entscheidend umzudeuten, und zwar wiederum deshalb, weil bei Kant wissenschaftstheoretische und kategoriale Gesichtspunkte immer zugleich vorkommen. Um so dringlicher ist deshalb die Sonderung und die genaue begriffliche und systematische Unterscheidung der beiden Ansätze, die Kant selber terminologisch nie wirklich voneinander abgehoben hat. Diese Sonderung erfolgt im ersten Kapitel anhand einer Analyse von Kants Unterscheidung von Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen in den „Prolegomena", und obwohl gerade das sicher eines der dunkelsten Lehrstücke der Kantischen Transzendentalphilosophie überhaupt ist, ist es gerade deshalb doch besonders gut geeignet, um als Beleg für die These einer Mehrheit von Ansätzen bei Kant zu dienen. Viele der Unklarheiten in der Lehre von den Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen lassen sich jedenfalls verständlich machen, wenn man davon ausgeht, daß statt mit nur einer einzigen Unterscheidung wir es hier in Wirklichkeit mit zwei Unterscheidungen zu tun haben; sie reflektieren die beiden unterschiedlichen Erfahrungs- und Gegenstandsbegriffe, von denen Kant in seinen transzendentalphilosophischen Untersuchungen ausgeht. Die Gründe, die zu dieser Verdoppelung führen, liegen — wie bereits angedeutet — letztlich in Kants Einsicht, daß sein AusgangsProblem, nämlich die Sicherung der objektiven Realität und objektiven Gültigkeit der Kategorien, d.h. ihrer Wahrheit unmittelbar auf das Problem der objektiven Realität und objektiven Gültigkeit unserer Vorstellungen als ihrer intentionalen Gegenstandsbeziehung führt. Kant bleibt jedoch

5

Darin sehe ich auch den Grund dafür, daß Heidegger seine frühe Kant-Interpretation (Kant und das Problem der Metaphysik) in „ D i e Frage nach dem D i n g " wieder zurückgenommen hat; vgl. dazu vom Verf., Wandlungen in der Kant-Auffassung Heideggers.

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Einleitung

mit dieser Einsicht auf halben Weg stehen, so daß er, wir wir im Abschnitt 5 zeigen, subjektiv immer der Meinung sein kann, in Wirklichkeit arbeite er an der Lösung nur eines einzigen und einheitlichen Gesamtproblems. Es zeigt sich hier, daß Kant in seiner Fragestellung einerseits zwar über seine Zeit hinausweist, daß er ihr in anderer Hinsicht aber auch entscheidend verhaftet bleibt. Das läßt sich nun auch historisch einsichtig machen, nämlich durch die Angabe des geschichtlichen Problemhorizonts, innerhalb dessen sich für Kant seine Fragestellung ergibt. Dieser Umstand scheint uns außerordentlich wichtig zu sein, und wir gehen deshalb im zweiten Kapitel zunächst einmal auf den größeren Zusammenhang ein, innerhalb dessen sowohl das Problem der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori als auch das Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen bei Kant auf die skeptizistische Lösung des Problems der Verbindung („Assoziation") von Vorstellungen bei den englischen Empiristen zurückverweist. Dazu werden unter systematischen Gesichtspunkten die besonderen Schwierigkeiten der Verbindungstheorien von Locke und Hume erst einmal unabhängig von Kant erörtert (Abschn. 7—9), mit dem Ziel, den Punkt anzugeben, an dem Kant in beiden Problembereichen zu seiner eigenen Fragestellung gerade auf dem Weg der Auseinandersetzung mit Locke und Hume gelangt ist. Sowohl systematisch als auch historisch ergibt sich so, daß insbesondere auch Kants Theorie der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen eine Antwort auf Hume ist. Im dritten Kapitel folgt dann die von historischen Rücksichten freie thematische Darstellung von Kants Theorie der intentionalen Gegenstandsbeziehung. Dabei kommt es vor allem darauf an, Kants Schlüsselbegriff der ursprünglichen und objektiven Einheit der Apperzeption — unter Hinweis vor allem auch auf empirische Befunde (Abschn. 14, 16) — als vorgängigen, kategorial entfalteten einheitlichen Sinnzusammenhang aller unserer gegenstandsbezogenen Vorstellungen zu interpretieren (Abschn. 16—17). In diesem Kapitel bemühen wir uns insbesondere auch um den Nachweis, daß die ursprüngliche Einheit der Apperzeption entgegen B 129 f. keineswegs als Grund für faktische Sach- und Vorstellungszusammenhänge gelten kann (Abschn. 12) und daß sie entgegen Kant auch nicht als Einheit gerade des Se/feibewußtseins aufgefaßt werden kann (Abschn. 13). Daran schließt sich die Darstellung der Kantischen Synthesis-Lehre in den beiden Fassungen der sogenannten Kategorien-Deduktion an (Abschn. 18—20). Auf die Probleme, die die Kantische Identifizierung von Einheit der Apperzeption und Einheit des Selbstbewußtseins aufwirft, gehen wir gesondert im vierten Kapitel ein; wir zeigen, daß u. a. auch in dieser Identifi-

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Inhalt und Gang der Untersuchung

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zierung ein Motiv für Kants Nichtunterscheidung seiner beiden Hauptprobleme liegt. Schließlich wird im fünften Kapitel noch einmal zusammenfassend das faktische Zusammenwirken der beiden unterschiedlichen Kantischen Ansätze behandelt, wie es im Kapitel über die „Grundsätze des reinen Verstandes" zu konstatieren ist, an einer Stelle also, an der man eigentlich nur die explizite Behandlung des Problems der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori erwarten würde. Im wesentlichen hat die vorliegende Arbeit also zwei Ziele. Im Zusammenhang der Darstellung und Interpretation des Synthesis-Problems bei Kant geht es ihr zunächst einmal um die Sonderung der beiden bei Kant oft bis zu völligen Verschmelzung miteinander verbundenen Hauptmotive, des wissenschaftstheoretischen einerseits und des Problems der intentionalen Gegenstandsbeziehung, das sich im Zusammenhang der Frage nach dem Haben überhaupt von Welt stellt, andererseits. Es soll hier der Nachweis erbracht werden, daß wir es in der „Kritik" tatsächlich mit zwei Themen und mit zwei Thesen zu tun haben, die aber systematisch in durchaus verschiedenen Problemhorizonten stehen und sachlich voneinander unabhängig sind. Zweitens sucht aber die Arbeit über die bloße Interpretation hinaus auch sachlich begründet zu Kants Thesen Stellung zu nehmen, insbesondere zu seiner Synthesis-Theorie, mit dem Ziel, sie als wichtigen und richtigen Beitrag zur Lösung der Frage nach der Möglichkeit und Struktur unseres intentionalen Weltbezugs zu würdigen. 6 Zum Erreichen beider Ziele ist ein Interpretationsmodell unentbehrlich, das sich auch sachlich rechtfertigen läßt. Wie bereits angedeutet, fungiert hier als ein solches Modell — als Explikation des Begriffs der ursprünglichen Einheit der Apperzeption — der Begriff eines vorgängigen, kategorial entfalteten einheitlichen Sinnzusammenhangs von Vorstellungen. In ihm ist jener Zusammenhang von Vorstellungen gedacht, durch den zuallererst, durch die Ablösung der Gegenstände vom eigenen Tun, die intentionale Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen möglich wird, und zwar dadurch, daß allererst in einem solchen ursprünglichen Zusammenhang die verschiedenen „Wege", d.h. mannigfaltigen Vorstellungen, auf und in de-

6

Dabei gehen wir ausschließlich auf Probleme der „Transzendentalen Logik", aber nicht auf solche der „Ästhetik" ein; der Grund dafür liegt darin, daß die Frage, ob Raum und Zeit subjektive Anschauungsformen sind oder nicht, f ü r das Problem der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen irrelevant ist; vgl. dazu auch Kant selber A 253/B 309. Nach A 722/B 750 müßte es synthetische Urteile a priori auch dann geben können, wenn Raum und Zeit Eigenschaften der Dinge wären.

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Einleitung

nen uns Gegenstände und Sachverhalte gegeben sind, miteinander identifiziert werden können. In den damit angedeuteten Implikationen liegt zunächst die uns vor allem interessierende systematische und sachliche Erschließungsfunktion des Modells. Zugleich ist damit aber auch eine Position bezeichnet, von der aus eine kritische, sachlich orientierte Auseinandersetzung möglich wird, d . h . eine solche, in der nicht bloß von außen fremde Forderungen an Kant herangetragen werden, sondern die ihm in seine eigenen Fragestellungen hinein folgt. Darauf hat aber gerade die Kantische Transzendentalphilosophie Anspruch. Sie fordert ein kritisches Mit- und Nachvollziehen ihrer Argumente, und deshalb kann die Textauslegung der „Kritik der reinen Vernunft" niemals bloße Textexplikation sein. Sie muß vielmehr vor allem auch darauf abzielen, wichtige Ansätze und Thesen, die im Text vertreten werden, als sachlich überprüfbare zu rekonstruieren. Möglich ist das aber nur, wenn auch die für das jeweils behandelte Thema relevanten, im Text selber nicht ausgesprochenen, aber dennoch in ihm implizierten Folgerungen entfaltet werden können. Für Kants Synthesis-Lehre oder für seine Lehre von der Einheit des Selbstbewußtseins als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung bildet die Voraussetzung für diese kritische mitdenkende Behandlung des Kantischen Textes, die Ungesagtes, aber Gemeintes expliziert, der Begriff des kategorial entfalteten, einheitlichen Sinnzusammenhangs unserer Vorstellungen. Mit seiner Hilfe läßt sich zeigen' daß sich für Kant zum erstenmal ein Problem stellt — das von ihm auch gelöst wird —, in dem der falsche Ansatz bei isolierten und einzelnen, aber dennoch weit- und gegenstandsbezogenen Vorstellungen, Zeichen 7 oder Sätzen ein für alle Mal grundsätzlich überwunden ist.

7

Als P r o b l e m einer transzendentalen S e m a n t i k und Zeichentheorie ist das K a n t i s c h e P r o blem der intentionalen G e g e n s t a n d s b e z i e h u n g unserer V o r s t e l l u n g e n bei H o g r e b e d a r g e stellt, allerdings geht H o g r e b e dabei nicht a u s d r ü c k l i c h auf das S y n t h e s i s - P r o b l e m ein.

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I. Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems 4. Wahrnehmungs-

und

Erfahrungsurteile

Wenn wir im folgenden darstellen wollen, was nach Kant die Erfahrung ist und wie sie nach seiner Meinung zustandekommt, so läßt sich das im groben Umriß zunächst scheinbar einfach sagen. Erfahrung ist die empirische Erkenntnis von Gegenständen, und sie wird als solche dadurch möglich, daß unsere Vorstellungen auf bestimmte Weise synthetisch miteinander verbunden werden. Wenn unsere Vorstellungen Gegenstandsbeziehung haben, d . h . nicht bloß „innere Bestimmungen unseres Gemüts" (A 197/ B 242) sein sollen, dann müssen sie zur ursprünglichen Einheit der Apperzeption gebracht sein und in dieser ursprünglichen Einheit aufeinander bezogen sein. Ohne das würden sie unsere Seele nur mit einem ,,Gewühle von Erscheinungen" anfüllen (A 111), sie würden aber, wie Kant sagt, ,,zu keiner Erfahrung gehören, folglich ohne Objekt, und nichts als ein blindes Spiel der Vorstellungen, d.i. weniger als ein Traum sein" (A 112). Natürlich vermag nicht jeder beliebige Zusammenhang den Vorstellungen die „Beziehung auf einen Gegenstand, d.i. objektive Realität" zu verschaffen (A 109). So haben z.B. bloß nach Assoziationsprinzipien miteinander verbundene Vorstellungen nur „subjektive Gültigkeit", d. h. sie können in ihrem assoziativen Zusammenhang nicht als Ausdruck von objektiven Sachverhalten gelten. Solche assoziativen Vorstellungszusammenhänge wären vielmehr in erster Linie Ausdruck von Zuständen, die nur das Subjekt kennzeichnen, und wenn man es ganz streng nähme, dann könnte hier noch nicht einmal der Anspruch erhoben werden, daß mit ihnen irgendetwas über die Dinge und die für sich bestehenden Sachverhalte ausgesagt ist. Wenn alle Verbindung von Vorstellungen nur nach Assoziationsgesetzen erfolgte, könnte es deshalb, wie Kant sagt, nur „Wahrnehmungsurteile" geben, d. h. Aussagen letztlich nur über uns und unsere subjektiven Zustände, nicht jedoch Erfahrung und „Erfahrungsurteile" als Aussagen über die Gegenstände und die an ihnen anzutreffenden objektiven Verhältnisse. Die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zielt also auf eine Kennzeichnung von bestimmten „objektiven" Vorstellungsverbindun-

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

gen ab, mit deren Hilfe allein „Erfahrungsurteile", als Sätze über Gegenstände, möglich werden. Den für die objektive Erkenntnis erforderlichen Zusammenhang unserer Vorstellungen nennt Kant die „ursprüngliche Einheit der Apperzeption", auch die „objektive Einheit der Apperzeption", und er versteht darunter offenbar eine Einheit, die unseren Vorstellungen durch die Einheit des Selbstbewußtseins aufgeprägt ist, obwohl sie deshalb nicht ohne weiteres mit der Einheit des Selbstbewußtseins identisch ist. Vielmehr soll es sich um einen davon noch unterschiedenen Zusammenhang auf der Ebene der Vorstellungen selber handeln, um einen Zusammenhang der Vorstellungen nach Gesetzen (A 108), von dem man aber gerade im Hinblick auf die Einheit des Selbstbewußtseins soll zeigen können, daß er mit Notwendigkeit und stets realisiert ist. Sonst können nämlich nicht alle meine Vorstellungen von der Vorstellung „Ich denke" begleitet sein, und sie würden dann nicht in der Einheit eines einzigen Selbstbewußtseins zusammengehören können. Die Frage ist also: Wie ist diese objektive Einheit der Vorstellungen in ihren wesentlichen Grundzügen näher zu bestimmen? Dies ist das eigentlich zentrale Problem der gesamten Kantischen Erkenntnistheorie, aber gerade deshalb ist es auch besonders schwierig, hier zu einer wirklich befriedigenden Auffassung zu gelangen. Zunächst einmal steht eigentlich nur fest, daß die objektive Einheit der Vorstellungen nach den Kategorien entfaltet ist, aber was das bedeutet, ist nicht weniger undeutlich als die objektive Einheit der Vorstellungen selber, die dadurch erläutert werden soll. In dieser Situation scheint es das Beste zu sein, zunächst einmal zu fragen, was die objektive Einheit der Vorstellungen nicht ist, und in der Tat hat auch Kant selber alle positiven Bestimmungen der objektiven Einheit immer auf dem Weg negativer Abgrenzungen angegeben, z.B. durch ihre Unterscheidung von bloßen Assoziationsverbindungen. 1 Diese Unterscheidung ergibt, daß dem objektiven Vorstellungszusammenhang im Gegensatz zu bloß zufälligen und subjektiven Assoziationsverbindungen Notwendigkeit zukommt, und weiter, daß im Unterschied zu der bloß empirischen, reproduktiven Einheit, die in Assoziationsverbindungen erreichbar ist 2 , objektive Vorstellungsverbindungen „rein", produktiv und apriorisch sind. Diese Merkmale sind nun allerdings in der „Kritik" von Kant im allgemeinen nicht ausführlich und systematisch diskutiert worden, und sie las1 2

Vgl. A 1 2 1 - 2 9 ; B 1 3 9 - 4 0 , 142, 152; A 766/B 794. Letzteres ist nach Kant übrigens auch der Grund, weshalb im Gegensatz zu Assoziationsverbindungen, deren Erforschung in die Psychologie fällt, die Behandlung der objektiven Vorstellungsverbindung in die Transzendentalphilosophie gehören soll; vgl. B 152.

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Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile

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sen sich deshalb auch nicht ohne weiteres zur positiven Kennzeichnung der objektiven Einheit von Vorstellungen verwenden. Es gibt aber eine relative kurze Stelle in den „Prolegomena", an der Kant im Zusammenhang mit der bereits kurz skizzierten Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen auf die Objektivität und Subjektivität ebenso wie auch auf die Notwendigkeit und Zufälligkeit von Vorstellungsverbindungen thematisch eingeht. Da dieser gut überschaubare Abschnitt zugleich auch am deutlichsten die Unstimmigkeiten und Mehrdeutigkeiten des Kantischen Erfahrungsbegriffs erkennen läßt, wollen wir bei der Darstellung von Kants Konzeption der Erfahrung von dieser Stelle ausgehen und mit der Darstellung und kritischen Erörterung von Kants Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Erfahrung beginnen. Kant leitet die Diskussion dieser Unterscheidung im § 18 mit der lapidaren Feststellung ein, „ d a ß , o b g l e i c h alle E r f a h r u n g s u r t e i l e e m p i r i s c h sind, d . i. ihren G r u n d in der u n m i t t e l b a r e n W a h r n e h m u n g d e r Sinne h a b e n , d e n n o c h nicht u m g e k e h r t alle empirischen Urteile d a r u m Erfahrungsurteile s i n d " (A 78),3

und er sucht Erfahrungsurteile im Gegensatz zu den Wahrnehmungsurteilen dann genauer durch den Hinweis auf die unterschiedliche Gültigkeit von Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen zu bestimmen: „ E m p i r i s c h e U r t e i l e , s o f e r n sie o b j e k t i v e G ü l t i g k e i t h a b e n , s i n d E r f a h r u n g s u r teile, die a b e r , s o n u r s u b j e k t i v gültig sind, n e n n e ich b l o ß e W a h r n e h m u n g s u r teile" (ebd.).

Vorausgesetzt ist dabei, daß alle unsere Urteile zuerst immer bloße Wahrnehmungsurteile sind (A 78, vgl. A 83) und daß sie erst „hinten nach" in bestimmten Fällen auch noch eine „neue Beziehung, nämlich auf ein Objekt" erhalten können (ebd.). Worin besteht aber nun z . B . die bloß subjektive Gültigkeit von Wahrnehmungsurteilen? Darin, sagt Kant, daß in Wahrnehmungsurteilen zwei oder mehr Empfindungen „nur in meinem diesmaligen Zustand der Wahrnehmung" miteinander verbunden sind (A 80), daß sie aber nicht als in der Sache, im Objekt zusammengehörig aufgefaßt sind. Deshalb gelten Wahrnehmungsurteile auch immer „bloß für uns, d. i. für unser Subjekt" (A 78), aber für uns nicht einmal „jederzeit" (A 78, 80, 81), denn aufgrund der in Wahrnehmungsurteilen gedachten bloß subjektiv gültigen Vorstellungsverbindung ist in ihnen gar nicht der Anspruch erhoben, daß sie für uns „je3

In diesem Abschnitt beziehen sich die Hinweise A 78 bis A 91 auf die Prolegomena.

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

derzeit" gelten. Wenn ich ein Wahmehmungsurteil ausspreche, sagt Kant, „verlange ich gar nicht, daß ich es jederzeit oder andere es ebenso wie ich finden soll" (A 80). Im Gegensatz dazu sollen Erfahrungsurteile als objektiv gültige Urteile „nicht bloß eine Beziehung der Wahrnehmung auf ein Subjekt, sondern eine Beschaffenheit des Gegenstandes" ausdrücken (A 79). Sie sind also Urteile, die „vor uns jederzeit und ebenso vor jedermann gültig sein" sollen (A 78), und sie weisen deshalb auch e i n e „ n o t w e n d i g e A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t " (A 78) auf, nämlich in dem Sinne, daß die Erfahrungsurteile anderer über einen Gegenstand mit meinem Erfahrungsurteil über denselben Gegenstand übereinstimmen m ü s s e n " (A 78, 79). Das läuft darauf hinaus, daß anders als in Wahrnehmungsurteilen ich selbst „jederzeit und jedermann" mit mir die in Erfahrungsurteilen gedachte Verbindung von Wahrnehmungen „unter denselben Umständen notwendig" auf die gleiche Weise vornehmen m u ß (A 81). Denn, sagt Kant, was im Gegensatz zur bloßen Wahrnehmung „die Erfahrung unter gewissen Umständen mich lehrt, muß sie mich jederzeit und auch jedermann lehren, und die Gültigkeit derselben schränkt sich nicht auf das Subjekt oder seinen damaligen Zustand ein"

(A 81). Danach scheint es nicht weiter schwierig zu sein, die wesentlichen Merkmale von objektiven Vorstellungsverbindungen anzugeben. Ihre N o t w e n d i g k e i t bedeutet, daß in ihnen bestimmte Vorstellungen allgemeingültig miteinander verknüpft sind, nämlich so, daß in ihnen weitgehend Ubereinstimmung und Wahrheit im Hinblick auf die richtige Wiedergabe von bestehenden Sachverhalten 4 erreicht ist. Zugleich heißt das auch, daß die betreffenden Vorstellungen o b j e k t i v , d . h . im Gegenstand selber, zusammengehören; der in einem Erfahrungsurteil ausgesagte Zusammenhang von Vorstellungen hängt nicht von ihrem jeweiligen faktischen Zusammenvorkommen oder Nichtzusammenvorkommen in bestimmten Zuständen des Subjekts ab. Demgegenüber bedeutet die Z u f ä l l i g k e i t von Vorstellungsverbindungen, wie sie in Wahrnehmungsurteilen ausgesagt sind, daß die Vorstellungen hier nicht in einem von der Wirklichkeit geforderten Zusammenhang stehen, daß sie vielmehr nur so miteinander verbunden sind, wie es sich in Abhängigkeit von Konstitution und Lage eines Sub-

4

Das ist insofern mißverständlich ausgedrückt, als es nach Kant für sich bestehende Sachverhalte gar nicht gibt, die in unserer Erkenntnis „abgebildet" würden. Gemeint ist etwas, das gegenüber dem Unterschied zwischen dieser realistischen und der Kantischen „konstitutiven" Sprechweise invariant ist, nämlich die faktische Wahrheit von Erkenntnissen.

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Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile

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jekts jeweils gerade trifft. Die Zufälligkeit einer Vorstellungsverbindung wäre danach gleichbedeutend mit ihrer wesentlichen Abhängigkeit von den verschiedenen Zuständen des Subjektes, und genau in dieser Abhängigkeit vom Subjekt würde dann auch die bloß subjektive Gültigkeit solcher Verbindungen bestehen. 5 Bei dieser Gegenüberstellung kann man sich natürlich auf den Fall von Wahrnehmungsurteilen beschränken, die nur „zunächst" (A 81) oder „zuerst" (A 78) Wahrnehmungsurteile sind und „hinten nach" (A 78) in Erfahrungsurteile umgewandelt werden. Tatsächlich unterscheidet Kant nämlich zwei Arten von Wahrnehmungsurteilen, denn auch solche Sätze sollen Wahrnehmungsurteile sein, die sich bloß auf das Gefühl beziehen und die schon deshalb grundsätzlich niemals Erfahrungsurteile werden können (A 80 und Anm.). In ihnen sind bestimmte Vorstellungen nicht nur faktisch bloß zufällig und subjektiv gültig miteinander verbunden, d.h. so, daß sie unter anderen Umständen vielleicht notwendig und objektiv zusammenhängen könnten, sondern nach dem Sinn der hier vorkommenden Prädikate ist ihre Verbindung mit Notwendigkeit immer zufällig und bloß subjektiv gültig. Es ist aber klar, daß diese „ewigen" Wahrnehmungsurteile für unser Problem, die Charakterisierung von VorstellungsVerbindungen durch ihre Notwendigkeit etc. irrelevant sind, denn ihre bloß subjektive Gültigkeit hängt vollständig von den Besonderheiten der verbundenen Vorstellungen ab. Wahrnehmungsurteile sind deshalb im Folgenden stets Urteile, die in Erfahrungsurteile umgewandelt werden können. Für solche Wahrnehmungsurteile würde also gelten, daß sie sich gerade aufgrund der Besonderheit der Verbindung der in ihnen vorkommenden Vorstellungen von Erfahrungsurteilen durch ihre Vorläufigkeit unterscheiden. Sie sind zwar ebenso wie die sich aus ihnen ergebenden Erfahrungsurteile in gegenständlichem Sinn gemeint, aber im Gegensatz zu den Erfahrungsurteilen findet in ihnen gleichwohl nur ein subjektives Fürwahrhalten Ausdruck. In ihnen können Sachzusammenhänge ausgedrückt sein, wie sie sich zu bestimmten Zeitpunkten in einer bestimmten Perspektive darstellen, die so aber in Wirklichkeit gar nicht bestehen müssen. Wahrnehmungsurteile stehen damit im Gegensatz zu Erkenntnissen, die nicht nur beanspruchen, objektiv zu sein, sondern die es tatsächlich auch sind und deren wesentliches Merkmal ihre Allgemeingültigkeit ist, d.h. die Tatsache, daß in ihnen, wie Kant sagt, jedermann mit mir notwendig übereinstimmen 5

Eben deshalb gelten Wahrnehmungsurteile nicht vom Objekt (A 80), was Kant auch so ausdrückt, daß er sagt, sie hätten gar keine Beziehung auf ein Objekt (A 78).

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

muß (A 78—9). Dagegen wären Wahrnehmungsurteile Sätze, die nur ungefähr auf die Wirklichkeit zutreffen, höchstens im alltäglichen Leben von einiger Brauchbarkeit sind, im Gegensatz zu Erfahrungsurteilen, die letztlich Tatsachen der wissenschaftlichen Erkenntnis ausdrücken. 6 Dazu würde es auch passen, daß nach Kants Ausführungen A 91 in Wahrnehmungsurteilen die Wahrnehmungen bloß als solche miteinander „verglichen" und nur ,,in einem Bewußtsein meines Zustandes" verbunden werden, daß sie dagegen in Erfahrungsurteilen „in einem Bewußtsein überhaupt" verknüpft sein sollen. Dieses „Bewußtsein überhaupt" hätte als wissenschaftliches Bewußtsein zu gelten, gleichsam als die Intersubjektivität der wissenschaftlich Forschenden, in der die eine und gemeinsame Wirklichkeit unabhängig von ihren unterschiedlichen, perspektivenabhängigen Gegebenheitsweisen in ihren wahren gesetzmäßigen Bestimmungen erarbeitet wird. Tatsächlich ist Kants Lehre von den Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen in den „Prolegomena" häufig in diesem Sinne verstanden worden 7 , aber natürlich ist diese Auffassung in der Reichweite ihrer Implikationen nicht auf die „Prolegomena" beschränkt. Wenn man davon ausgeht, daß in den „Prolegomena" Kant nur eine nach „analytischer Methode" angelegte Einführung in die „nach synthetischer Lehrart" abgefaßte „Kritik der reinen Vernunft" geben wollte (Prol. A 2 0 - 2 1 ) , d.h. daß er es in den „Prolegomena" mit denselben Problemen zu tun hat wie in der „Kritik", so würde diese Auffassung nämlich darauf hinauslaufen, daß überhaupt das transzendentale Erkenntnisproblem für Kant in der Frage besteht, wie auf der Grundlage eines anfänglich mehr oder weniger bloß ungefähren, vorläufigen subjektiven Alltagswissens wir auf dem Weg einer Objektivitätssteigerung schließlich zu streng intersubjektiv-gültigen und objektiven Erkenntnissen gelangen. 8 Erfahrung wäre für Kant damit von Anfang an die zutref6 7

8

Lauener 113. Nämlich dort, wo in der wissenschaftstheoretischen Kant-Auffassung der Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen überhaupt als irgendwie sinnvoll und nachvollziehbar akzeptiert worden ist. Das ist z. B. bei Bröcker der Fall, der sich in seiner Darstellung der Kategoriendeduktion ganz an die §§ 18 ff. der Prolegomena hält und die in Erfahrungsurteilen erreichte Objektivität als die der Physik auffaßt (vgl. S. 49ff.); vgl. auch Körner 37. Vgl. oben S. 1 Anm. 2. — Zu nennen wäre hier auch Natorp, der unter Hinweis auf Kant (S. 68, vgl. 130, 167, 206) die Begriffe des Subjektiven und Objektiven als relativ bezeichnet und als Objektives immer nur die (im Verhältnis zu einem gegebenen relativ Subjektiven) „allemal erst zu erreichende höhere Stufe" auffaßt (S. 67). „Objektivierung" bedeutet deshalb für Natorp „Objektivitätssteigerung", die als Korrektur subjektiver Wahrnehmungen in der Wissenschaft vollzogen wird (S. 100—1, vgl. 196). Dementsprechend ist eigentlicher Gegenstand der Erkenntnis „erst die durch die ganze ungeheure Arbeitsleistung der Wis-

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Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile

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fende und faktisch wahre Erkenntnis von „objektiven Sachverhalten", und die Gegenstandsbeziehung von Vorstellungen, d. h. ihre objektive Realität oder objektive Gültigkeit, die sie im Gegensatz zu dem „Gewühle der E r scheinungen", d . h . der Wahrnehmungen aufweisen, bestände eben gerade in der richtigen und zutreffenden Darstellungsbeziehung, in der sie zu solchen objektiven Sachverhalten stehen. Nicht nur in den „Prolegomena", wo ausdrücklich nach der Möglichkeit einer reinen Naturwissenschaft gefragt wird 9 , sondern auch in der „ K r i t i k " würde Kants Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung also schließlich vor allem der Möglichkeit einer objektiven, d. h. letztlich wissenschaftlichen Erfahrungserkenntnis gelten. Nun ist es allerdings nicht sehr wahrscheinlich, daß es sich so verhält, und gegen diese Auffassung dürfte zunächst einmal schon die Tatsache sprechen, daß dann die Kantische Transzendentalphilosophie, und insbesondere die Lehre von den Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen, im Grunde nur auf eine Wiederholung bestimmter Problemstellungen und auch Problem/öswwge« hinauslaufen würde, wie sie sich bereits vor Kant finden. Das ist — um ein sehr instruktives Beispiel zu nehmen — etwas bei T e tens der Fall. In seinen „Philosophischen Versuchen" (1777), die Kant gelesen hat 1 0 , findet sich die Unterscheidung zwischen sinnlicher und vernünftiger Erkenntnis (Tetens 416), an die Kants Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen unmittelbar erinnert, zumal da hier auch in der Terminologie große Ähnlichkeit besteht: Urteile, in denen sinnliche Erkenntnisse — im Gegensatz zu „Erfahrungen" als vernünftiger Erkenntnis — formuliert sind (Tetens 418), nennt Tetens ,,Empfindungsursenschaft herzustellende Gesetzesordnung des Geschehens" (S. 115), denn allein „im G e setz gründet sich der Gegenstand" (S. 72) und seine Einheit (S. 130, vgl. 1 4 5 , 2 0 4 , 2 0 5 , 2 0 6 ) . In gleichem Sinne spricht auch Philonenko davon, daß nach Kant erst aufgrund wissenschaftlicher Gesetzeserkenntnisse die Erscheinungen in Objekte verwandelt würden, „c'est-à-dire en connaissance" (S. 108, vgl. 110, 167); in der Erfahrung würden einfache Erscheinungen „au rang d'une loi" erhoben, „ce qui leur confère l'authentique réalité objective" (S. 134). 9

10

Vgl. Prolegomena A 71: „ D e r transzendentalen Hauptfrage zweiter Teil: Wie ist reine N a turwissenschaft möglich?" Zum Verhältnis von Kant und Tetens vgl. vor allem de Vleeschauwer I 299 ff. - Kant, mit seinem sehr ausgeprägten Gefühl für das Neuartige seiner Transzendentalphilosophie, hat sich von Tetens übrigens sehr deutlich abgesetzt, obwohl man annehmen darf, daß Tetens nicht ohne Einfluß auf ihn gewesen ist. R 4 9 0 0 heißt es: „Ich beschäftige mich nicht mit der Evolution der Begriffe wie Tetens (alle Handlungen, dadurch Begriffe erzeugt werden), nicht mit der Analysis wie Lambert, sondern bloß mit der objektiven Gültigkeit derselben. Ich stehe in keiner Mitbewerbung mit diesen Männern" ( A A X V I I I 23; vgl. R 4 9 0 1 ) .

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

teile".11 Solche Empfindungsurteile (z.B. der Satz: „Der Mond ist so groß als die Sonne"), die sich auf äußere Gegenstände beziehen, gehen nach Tetens bloß auf die Erscheinung der Dinge, und eben deshalb läßt er sie auch nicht als Erfahrungserkenntnisse gelten. Denn, sagt Tetens, man gebraucht „das Wort,Erfahrung', wie es gemeiniglich geschieht, nur für die Erkenntnis der Sachen . . ., die aus der Vergleichung der Beobachtungen mit dem Verstand gezogen wird, und die uns die Sachen so vorhält, wie sie sind, nicht wie sie in e i n z e l n e n Beobachtungen zu sein scheinen" (Tetens 418). In Empfindungsurteilen sind aber immer nur einzelne Beobachtungen ausgesprochen, und zwar vor ihrer systematisch-wissenschaftlichen Verarbeitung und Vereinheitlichung. Insofern sind Empfindungsurteile für das Zustandekommen der Erfahrung zwar unentbehrlich; man muß zuerst einmal diese reinen Empfindungsurteile kennen, ehe man sie in Erfahrung umändern kann (Tetens 419), aber sie selbst sind dennoch nicht Erfahrungen. Eigentlich vernünftige Erkenntnisse, die Erfahrung heißen könnten, gibt es nur im Rahmen wissenschaftlicher Theorien, und diese bezeugen ihre Überlegenheit über alle einzelnen Beobachtungen, mögen sie auch noch so oft angestellt und wiederholt sein, darin, daß allein sie den „Anspruch der Vernunft" rechtfertigen können: „Die Sonne ist dennoch viele millionenmal größer als der Mond" (Tetens 439). Die Ähnlichkeit dieser Konzeption mit der Kantischen ist sehr frappierend. Es kommt aber noch hinzu, daß außer der Beschreibung auch die dazu gehörige erklärende Theorie, wie sie Tetens liefert, fast Kantisch anmutet. Für Tetens ist nämlich, ebenso wie für Kant, eine jede Erkenntnis ein Werk der „Denkkraft", und wenn nach Tetens der Unterschied zwischen sinnlicher und vernünftiger Erkenntnis nun allein im verschiedenen Grad der Mitwirkung des Denkens liegt (Tetens 416), so hätten wir im wesentlichen bereits bei Tetens das Kantische Resultat, in jedem Falle aber das Kantische Problem — immer vorausgesetzt, daß Kant es wirklich ausschließlich mit dem Problem der Objektivitätssteigerung unserer Erkenntnisse zu tun hätte. 12 11

12

In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß Prauss (Erscheinung bei Kant) aus Kants Verwendung des Ausdrucks .Wahrnehmung' folgert, daß Wahrnehmungsurteile Wahrnehmungen, Erscheinungen oder Empfindungen als solche beurteilen sollen und „daher ebenso gut Erscheinungs- oder Empfindungsurteile heißen" könnten (S. 152). Auf eine andere Parallele, nämlich mit Meier, hat vor kurzem Karen Gloy hingewiesen (S. 52 ff.). Danach würde Kants Lehre von den Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen auf Meiers Unterscheidung zwischen „anschauenden" Urteilen und „Nachurteilen" zurückgehen, was Karen Gloy mit dem Hinweis auf die von Meier übernommenen Kantischen Beispiele für Wahrnehmungsurteile plausibel zu machen sucht. Die anschauenden Urteile, die

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Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile

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Natürlich läßt sich nicht bestreiten, daß Kant damit sicher auch zu tun hatte. Dafür sprechen die oben angeführten Formulierungen, mit denen Kant den Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen zu verdeutlichen sucht. Daß es Kant aber gewiß nicht ausschließlich um den Unterschied zwischen sinnlicher und Verstandeserkenntnis und um die Möglichkeit geht, von jener zu dieser zu gelangen, ergibt sich schon daraus, daß dieser Unterschied von ihm ausdrücklich nie zur Kennzeichnung des Unterschiedes von Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen herangezogen worden ist. Dabei wäre in den „Prolegomena" — wo A 66 von dem damit identischen Unterschied zwischen Dingen, wie sie erscheinen, und Dingen, wie sie sind, doch immerhin die Rede ist — beste Gelegenheit gewesen, in den §§18 ff. bei der Einführung des Unterschiedes zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen darauf zurückzuverweisen. 13 Offenbar ist hier also noch mehr im Spiel als nur der Unterschied zwischen in verschiedenem Maße objektivierten Erkenntnissen, und das läßt sich am leichtesten verdeutlichen, wenn man auf die fühlbaren Schwierigkeiten und Inkonsequenzen, vielleicht sogar Widersprüche eingeht, die für Kants Theorie von den Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen charakteristisch sind. Für unseren Zusammenhang lassen sich diese Schwierigkeiten am einfachsten bezeichnen, wenn man davon ausgeht, daß Kant die Erfahrungsurteile im Gegensatz zu den Wahrnehmungsurteilen durch die Notwendigkeit der in ihnen ausgesprochenen Vorstellungsverbindungen charakterisiert, also dadurch, daß sie „notwendig allgemeingültig" sein sollen. Diese Bestimmung hatten wir auch bisher schon bei der Erörterung des Unterschiedes von Wahrnehmungen und Erfahrungen in den Vordergrund gerückt. Wichtig ist nun aber, daß Kant umgekehrt die Wahrnehmungsurteile dadurch näher bestimmt, daß in ihnen noch nicht einmal der Anspruch erhoben sei, daß in ihnen etwas Objektives Ausdruck findet.

13

intentional auf Gegenstände bezogen sind, sind (ebenso wie Tetens' Empfindungsurteile) wesentlich durch eine Subjektabhängigkeit und Subjektrelativität gekennzeichnet, die in Nachurteilen (durch deren „begriffliche" Fassung) aufgehoben wird. Tatsächlich ist der Unterschied zwischen Dingen, wie sie erscheinen, und Dingen, wie sie sind, oder zwischen sinnlicher und Verstandeserkenntnis, wovon Kant in der Dissertation von 1770 (De mundi sens. §§ 4 und 8) ausgeht, in kritischer Zeit (vgl. A 257/B 312 ff.) ausdrücklich als empirischer, nicht „transzendentaler" Unterschied aufgefaßt. Er hat deshalb mit dem transzendentalen Problem der Erfahrungsermöglichung nichts zu tun (vgl. A 2 5 8 / B 312 f.). Deshalb ist es auch nicht richtig, wenn in der wissenschaftstheoretischen KantAuslegung das Ding an sich als der vollständig erkannte physikalische Gegenstand aufgefaßt wird, wie z . B . bei Philonenko 128, 135; vgl. Cohen 660: „ D a s Ding an sich ist somit der Inbegriff der wissenschaftlichen Erkenntnisse."

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

Auf den ersten Blick sieht es nun so aus, als handele es sich dabei um eine mit der ersten gleichwertige Bestimmung, und sicher ist Kant auch der Meinung, daß es sich so verhält. Die Frage ist aber, ob beide Bestimmungen tatsächlich zusammenpassen. Wenn das der Fall wäre, so müßte das Fehlen der Notwendigkeit einer Vorstellungsverbindung auch das Fehlen jedes objektiven Behauptungsanspruches nach sich ziehen, und umgekehrt (aber äquivalent mit dem ersten) müßte das Bestehen eines objektiven Behauptungsanspruchs stets auch die Notwendigkeit einer Vorstellungsverbindung implizieren. Das ist nun aber offenbar falsch, jedenfalls dann, wenn man wie Kant die Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit eines Urteils dadurch bestimmt, daß man sagt, mit einem solchen Urteil müssen alle Urteile anderer Menschen ebenso wie meine eigenen Urteile über denselben Gegenstand übereinstimmen (A 79). In diesem Falle würden als Erfahrungsurteile nämlich offenbar nur wahre Urteile in Frage kommen, 14 denn man könnte zwar sagen, daß anders als mit einem sinnlosen Satz auch mit einem falschen Urteil über einen Gegenstand die wahren Urteile über denselben Gegenstand schließlich irgendwie übereinstimmen, aber man kann nicht gut sagen, daß mit einem falschen Satz alle anderen Urteile über denselben Gegenstand notwendig zusammenstimmen müssen, d. h. daß ein falscher Satz in irgendeinem vernünftigen Sinne „notwendig allgemeingültig" wäre. Aber offenbar werden Behauptungsansprüche keineswegs nur in wahren Urteilen erhoben, sondern ebenso in falschen Sätzen, und dieses beides, das Vorliegen eines objektiven Behauptungsanspruchs und zugleich das Fehlen der Notwendigkeit im Fall von falschen Sätzen, widerlegt die Voraussetzung, auf der die von Kant angegebene Unterscheidung von Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen beruht. Man kann sich dieses Ergebnis vielleicht am besten veranschaulichen, wenn man fragt, wie im Rahmen der Alternative von Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen nach den von Kant angegebenen Kriterien denn nun falsche Sätze über Gegenstände zu kennzeichnen wären. Zu fragen ist dann also zuerst: Wenn falsche Urteile über Gegenstände ersichtlich nicht notwendig gültig sind, können sie dann Wahmehmungsurteile sein? Man könnte sagen: ja. Da die in ihnen gedachte Vorstellungsverbindung offenbar von den jeweiligen Zuständen eines Subjekts abhängt, nämlich

14

In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß Kant — darauf weist Patzig hin (S. 22) — manchmal so verstanden werden kann, als habe er auch den Unterschied zwischen synthetischen und analytischen Urteilen nur für wahre Urteile definieren wollen.

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Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile

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z. B. von einem momentanen Fürwahrhalten, das bei genauerem Hinsehen der Einsicht in die Falschheit des betreffenden Satzes weichen kann, treffen auf die falschen Urteile über Gegenstände in der Tat die Kennzeichen von Wahrnehmungsurteilen zu; sie „gelten bloß für uns, d. i. für unser Subjekt" (A 78), aber für uns nicht jederzeit, denn weil sie bloß eine Beziehung der Wahrnehmung auf das Subjekt ausdrücken, nicht aber eine Beschaffenheit des Gegenstandes, sind sie in ihrer Gültigkeit eben auf das Subjekt und auf seinen „damaligen" Zustand eingeschränkt. Nun läßt sich allerdings die Zugehörigkeit der falschen Sätze über Gegenstände zu den Wahrnehmungsurteilen offenbar nur solange behaupten, als man unabhängig von den Satz-Intentionen nur darauf abstellt, ob in Urteilen Züge der objektiven Welt faktisch zutreffend Ausdruck finden oder nicht, also darauf, ob Sätze in ihrer Geltung und Wahrheit f a k t i s c h unabhängig von bestimmten Zuständen eines Subjekts sind oder ob das f a k t i s c h nicht der Fall ist. Nur in dieser Auffassung kann das entscheidende Kennzeichen der notwendigen allgemeingültigen Erfahrungsurteile ihre Wahrheit sein, so daß dann im Unterschied zu ihnen falsche Sätze über Gegenstände in der Tat Wahrnehmungsurteile wären. Freilich wären dann nicht nur falsche Sätze über Gegenstände Wahrnehmungsurteile, sondern zu den Wahrnehmungsurteilen gehörten außerdem auch noch solche Urteile, die überhaupt nichts über Gegenstände aussagen s o l l e n , sowie Urteile, die n o c h nichts über Gegenstände sagen. Wie man sieht, ist die Klasse der Wahrnehmungsurteile in dieser Auffassung sehr uneinheitlich; gemeinsames Kennzeichen aller Wahrnehmungsurteile wäre allein die Tatsache, daß sie bestehende Sachverhalte f a k t i s c h nicht zum Ausdruck bringen. Aber nun hat Kant Wahrnehmungsurteile eben nicht nur durch das faktische Verfehlen der Wirklichkeit definiert. Zwar folgt aus Kants Bestimmungen, daß Wahrnehmungsurteile bestehende Sachverhalte faktisch nicht zum Ausdruck bringen, aber anders als z. B. falsche Sätze über Gegenstände, für die das auch zutrifft, s o l l e n Wahrnehmungsurteile nach Kant auch gar nichts Gegenständliches ausdrücken: „ I c h verlange g a r nicht, d a ß ich es jederzeit o d e r j e d e r a n d e r e es eben s o , w i e ich, f i n d e n soll, sie (sc. die e n t s p r e c h e n d e n U r t e i l e ) d r ü c k e n nur eine B e z i e h u n g z w e e n e r E m p f i n d u n g e n auf d a s s e l b e S u b j e k t , n ä m l i c h m i c h selbst, u n d auch n u r in m e i n e m d i e s m a l i g e n Z u s t a n d e der W a h r n e h m u n g a u s , u n d s o l l e n d a h e r auch nicht v o m O b j e k t g e l t e n ; dergleichen n e n n e ich W a h r n e h m u n g s u r t e i l e " (A 80, m e i n e S p e r r u n g ) .

Bei der Bestimmung des Unterschiedes zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen kommt es Kant entscheidend also auch auf die Intention

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

eines Satzes oder Urteils an, nicht nur auf seine faktische Wahrheit oder Falschheit, und ebenso kommt es ihm auch nicht nur auf seine faktische Notwendigkeit oder Zufälligkeit an. Außer diesen Bestimmungen, zu denen auch die faktisch objektive oder faktisch subjektive Gültigkeit von Sätzen gehört, ist für Kant wichtig vielmehr gerade auch die Aussage-Abs i c h t . W i l l ich etwas nur in Beziehung auf mich und auch nur in meinem jetzigen Wahrnehmungszustand sagen, so äußere ich in dieser Auffassung ein Wahrnehmungsurteil; ist es aber, wie Kant selber betont, mein W i l l e , „daß ich jederzeit, und auch jedermann dieselbe Wahrnehmung unter denselben Umständen notwendig verbinden müsse", so handelt es sich um ein Erfahrungsurteil, und es ist klar, daß dann falsche Sätze über Gegenstände nicht länger Wahrnehmungsurteile sind; sie müssen vielmehr Erfahrungsurteile sein. Aufgrund der von Kant angegebenen Kriterien ergibt sich also die Zugehörigkeit der falschen Sätze über Gegenstände zugleich zu den Wahrnehmungsurteilen und zu den Erfahrungsurteilen, d. h. zu zwei Satzklassen, die einander sicher ausschließen sollen. 15 Die Frage ist: Woran liegt das? Offenbar daran, daß wir es hier gar nicht mit nur einem einzigen Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen zu tun haben, sondern daß hier in Wirklichkeit zwei Unterscheidungen vorliegen, die unter wesentlich verschiedenen und voneinander unabhängigen Gesichtspunkten erfolgen, die aber dennoch von Kant, indem er von dem Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen schlechthin spricht, als nur eine einzige Unterscheidung angesehen werden. Auf diese Weise sind in der Theorie der Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile — aber diese ist, wie wir sehen werden, in dieser Hinsicht repräsentativ für Kants Transzendentalphilosophie insgesamt — wichtige wesentlich verschiedene Kantische Begriffe unter gleichem Namen einfach miteinander identifiziert worden, und das hat zur Folge, daß je nach dem Gesichtspunkt, von dem aus man Kants Transzendentalphilosophie interpretiert, derselbe Text so diametral entgegengesetzte Auffassung stützen kann wie die einseitige wissenschaftstheoretische Auffassung des Neukantianismus und die nicht weniger einseitige Ansicht Heideggers, wonach die „Kritik"

15

Danach wäre die Kantische Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen nicht konsistent, wobei allerdings die Vollständigkeit der Einteilung vorausgesetzt ist. Wenn man diese Voraussetzung nicht macht, würden falsche Sätze über Gegenstände weder Erfahrungs- noch Wahrnehmungsurteile sein. Aber dann wäre die ganze Unterscheidung nicht mehr brauchbar, sie muß wenigstens für Sätze über Gegenstände gültig sein.

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Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile

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es überhaupt nicht mit wissenschaftstheoretischen Fragen zu tun hat, sondern im wesentlichen eine Untersuchung der inneren Möglichkeiten der Transzendenz des menschlichen Subjekts ist. Im ersten Fall, d. h. in der wissenschaftstheoretischen Interpretation, ist offenbar ausschließlich Kants Gesichtspunkt der faktischen Richtigkeit von Erkenntnissen leitend, wonach Erfahrungsurteile wahre, für uns und jedermann gültige Sätze sind, die allein deshalb auch objektive Gültigkeit haben. Die Erfahrungsurteile sind dann notwendig allgemeingültig (A 78—9), denn für Kant sind „objektive .Gültigkeit und notwendige Allgemeingültigkeit (vor jedermann) Wechselbegriffe" (A 79), und es sind ja gerade diese Bestimmungen, die für die in Erfahrungsurteilen vorliegende „allgemeingültige und notwendige Verknüpfung der gegebenen Wahrnehmungen" kennzeichnend sind (A 79). Offenbar ist die hier gemeinte Notwendigkeit eine faktische Bestimmung; sie bedeutet, daß bestimmte Erscheinungen, z. B . Sonnenschein und Steinerwärmung in dem Erfahrungsurteile „ D i e Sonne erwärmt den Stein" nicht nur als oft zusammen vorkommend, sondern als faktisch, hier empirisch n o t w e n d i g zusammengehörend richtig ausgesagt sind. Entsprechend bedeutet Erfahrung die zutreffende Erkenntnis von faktisch notwendigen, gesetzesartigen Zusammenhängen; Erfahrung ist in letzter Konsequenz wissenschaftliche Erfahrung. 1 6 In dieser Auffassung bestehen im Gegensatz zur Erfahrung W a h r n e h m u n g e n dann bloß im Konstatieren von „gewöhnlich so verbundenen" Erscheinungen (A 83 Anm.), und dementsprechend enthalten Wahrnehmungsurteile auch niemals Notwendigkeit, mag man auch, wie Kant sagt, einen Zusammenhang „noch so oft und andere auch noch so oft wahrgenommen haben" (ebd.). Deshalb fehlt den Wahrnehmungen und den Wahrnehmungsurteilen auch alle „Objektivität", d. h. sie drücken anders als Erfahrungsurteile streng genommen keine Beschaffenheit eines Gegenstandes aus (A 79). Aber Wahrnehmungsurteile lassen sich in bestimmten Fällen in Erfahrungsurteile umwandeln, und es ist gerade die Leistung der reinen Verstandesbegriffe, den Ubergang von faktisch zufälligen und faktisch subjektiven Wahrnehmungsurteilen zu faktisch notwendigen und fak-

16

Genau diese Auffassung findet sich z . B . bei Vaihinger (Kommentar I 187—8); danach gehört es zum Kantischen Erfahrungsbegriff, daß die Erfahrung durch die reinen apriorischen Begriffe „an der Allgemeinheit und Nothwendigkeit Theil habe, selbst allgemein und notwendig sei, daß sie ohne jene Elemente ein Chaos zufälliger Empfindungen bleibe" (187). — Vgl. Anm. 8.

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

tisch objektiven Erfahrungsurteilen zu ermöglichen, nämlich dadurch, daß „durch den Verstandesbegriff die Verknüpfung der Vorstellungen, die unserer Sinnlichkeit von ihm (sc. dem Objekt) gegeben sind, als allgemeingültig bestimmt wird" (A 80). In dieser wissenschaftsorientierten Auffassung besteht das transzendentalphilosophische Problem insgesamt in der Frage, wie wir im Ausgang von einem ungefähren faktisch subjektiven Alltagswissen, wie es sich in Wahrnehmungsurteilen artikuliert, zu wissenschaftlich haltbaren, intersubjektiv gültigen Erkenntnissen von „objektiven" Sachverhalten und Gegenständen gelangen, und darin liegt dann als weitere transzendentalphilosophische Aufgabe beschlossen, die Voraussetzungen und Grundsätze a priori der Erfahrung als allgemeine Gesetze der Natur zu bestimmen, „welche a priori erkannt werden können" (A 90). Als wichtigstes Ziel der „Kritik" ergibt sich damit die Aufstellung und Begründung des Systems jener allgemeinen apriorischen Naturgesetze, die der empirischen Naturerkenntnis vorausgehen und ihr zugrundeliegen, nämlich insofern, als sie sie ja allererst ermöglichen. — Das ist die eine Seite. Aber daneben gibt es, wie die Diskussion des Unterschiedes zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen gezeigt hat, bei Kant eben auch noch ganz andere Motive, die von diesem wissenschaftstheoretischen Ansatz wegführen. Sie haben unmittelbar nichts mit dem Problem der faktischen Wahrheit unserer Erkenntnisse und auch nichts mit der Frage nach deren apriorischen Bedingungen zu tun, sondern stehen statt dessen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Problem der Möglichkeit bloß des Vermeinens von etwas Gegenständlichem. Unter diesem Gesichtspunkt, d. h. dem einer gegebenenfalls bloß intendierten, nicht notwendig auch gelingen müssenden Gegenstandserkenntnis, lassen sich Erfahrungsurteile nun anders als in der wissenschaftstheoretischen Auffassung offenbar gerade nicht mehr durch die faktische Notwendigkeit und durch die faktische Allgemeingültigkeit in der Verbindung der in ihnen gegebenen Vorstellungen kennzeichnen. In ihnen muß im Gegensatz zu Wahrnehmungsurteilen nur überhaupt etwas Gegenständliches gemeint sein. Das heißt, auch kontingente Sachverhalte, deren einzelne Momente bloß zufällig miteinander zusammenhängen, ebenso wie Sachverhalte, die zwar faktisch von bestimmten Wahrnehmungszuständen eines Subjekts abhängen, die aber dennoch gegenständlich gemeint sind, können in Erfahrungsurteilen ausgesagt sein, und deshalb sind falsche, aber gegenständlich gemeinte Sätze in dieser Auffassung jetzt selbstverständlich Erfahrungsurteile. Auch in ihnen sind Vorstellungen „notwendig" miteinander verbunden, aber eben nicht fak-

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Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile

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tisch notwendig, sondern „kategorial" notwendig und „kategorial" objektiv. 1 7 Worauf es hier ankommt, ist allein die Absicht des Sprechers, etwas über Gegenstände und objektive Sachverhalte auszusagen. Diese Gegenstände muß ich als Sprecher natürlich als von meinen eigenen subjektiven Zuständen unabhängig bestehend auffassen, aber wenn ich das tue, dann gilt eben, daß ich im Aussprechen von intentional auf Gegenstände bezogene Erfahrungsurteile jedenfalls „will", „daß ich es jederzeit oder jeder andere es eben so, wie ich, finden soll" (A80). Damit unterstelle ich mich Sachforderungen, und auch wenn das Ziel einer richtigen Gegenstandserkenntnis im Einzelfall nicht erreicht werden sollte, so bleibt davon doch der Anspruch unberührt, daß in Erfahrungsurteilen „ich jederzeit, und auch jedermann dieselben Wahrnehmungen unter denselben Umständen notwendig verbinden müsse" (A81). Die Notwendigkeit und Objektivität von Vorstellungsverbindungen sind demnach hier zunächst immer bloß gemeinte, intendierte Bestimmungen, womit es dann auch vereinbar ist — was aber beim wissenschaftstheoretischen Ansatz nicht nachvollziehbar ist —, daß die Erfahrung, wie Kant es vielfältig „einschärft", als Erkenntnis a posteriori immer bloß zufällige Urteile liefert (A 89 Anm.). Daraus ergibt sich für die Bestimmung der Wahrnehmungsurteile, daß ebenso wie bei Erfahrungsurteilen auch bei ihnen es nicht auf die f a k t i s c h vorliegenden Verhältnisse ankommt. In Wahrnehmungsurteilen sind nicht bloß faktisch bestehende zufällige Vorstellungsverbindungen ausgesagt, vielmehr ist auch bei ihnen jetzt entscheidend die Aussage-Absicht. Wahrnehmungsurteile äußere ich, wenn ich in auch nicht impliziter gegenstandsbestimmter Absicht — unter Abbiendung und Einklammerung von allen gegenstandsbezogenen Mitmeinungen — nur über meine Wahrnehmungen spreche, 18 diesen nur in ihrer Beziehung aufeinander Ausdruck verleihe 17

18

Die kategoriale Objektivität oder Subjektivität (ebenso wie Notwendigkeit oder Zufälligkeit) von Vorstellungsverbindungen betrifft den Umstand, ob solche Verbindungen überhaupt in dem (nach den Kategorien gegliederten) Horizont möglicher Bezugnahme auf Gegenstände und Sachverhalte erfolgen oder ob das nicht der Fall ist. Wir zeigen im Folgenden (Abschn. 14, 16), daß genau dieser Horizont, d. h. ein ursprünglicher, kategorial entfalteter Sinnzusammenhang aller unserer (intentional) auf Gegenstände bezogenen Vorstellungen gemeint ist, wenn Kant von der ursprünglichen objektiven Einheit der Apperzeption spricht. In diesem Sinne interpretiert Prauss, Erscheinung bei Kant Wahrnehmungsurteile als Urteile über innerliche subjektiv-private Erscheinungen, nämlich als Sätze, die aus objektiven Behauptungen (Erfahrungsurteilen) durch sog. „Verscheinung" hervorgehen (S. 221, 223) und deshalb keine objektiven Behauptungsansprüche im Hinblick auf die äußere Welt aufstellen (vgl. S. 212).

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

(vgl. A 80), sie dabei, wie Kant sagt, nur in einem „Bewußtsein meines Zustandes" (nicht in einem „Bewußtsein überhaupt") verbinde (A 81) und mir klar darüber bin: Alle diese Bestimmungen „ s o l l e n . . . auch nicht vom Objekt gelten" (A 80, meine Sperrung). Zusammen mit dem von dem vorigen deutlich unterschiedenen Erfahrungsbegriff ergibt sich damit nun auch für die „Kritik" insgesamt eine ganz andere transzendentalphilosophische Zielsetzung. Es geht Kant jetzt um die Bedingungen der Möglichkeit des vermeinenden Habens überhaupt von Gegenständen,19 die als von subjektiven Wahrnehmungszuständen unabhängig und losgelöst gedacht sind. Dabei ist die Erfahrung nicht mehr nur die wahre und streng intersubjektiv gültige Erkenntnis von letztlich nur wissenschaftlich zu erarbeitenden „objektiven Sachverhalten", sondern als Erfahrung muß auch ein alltägliches kognitives Umgehen mit den Dingen und Sachverhalten, wie sie uns anschaulich gegeben sind, gelten. Kennzeichnend für die Erfahrung in diesem Sinne ist nicht, daß die in ihr gegebenen Sachverhalte eine faktische Notwendigkeit aufweisen, die als streng gesetzesartiger Zusammenhang von Erscheinungen im Gegensatz zu kontingenten Verhältnissen zu charakterisieren wäre, sondern kennzeichnend ist, daß in ihr unsere Vorstellungen in dem Sinne notwendig miteinander verbunden sind und aufeinander verweisen, daß dadurch überhaupt erst die Erkenntnis von sei es kontingenten oder notwendigen Sachverhalten zustande kommt. Diese Notwendigkeit, die eine „kategoriale" Bestimmung ist, bedeutet nur überhaupt die Regelunterworfenheit von Vorstellungen, und zwar im Hinblick auf eine durch sie auch in ihrem Zusammenhang allererst mögliche Gegenstandserkenntnis. Tatsächlich kann, wie Kant an anderer Stelle ausführt (KRV A 197/B 242) und wie es im Folgenden auch aus systematischen Gründen einsichtig gemacht werden soll, allein diese kategoriale Regelunterworfenheit unseren Vorstellungen „Beziehung auf einen Gegenstand", d. h. „objektive Realität" im Sinne der intentionalen Gegenstandsbeziehung verschaffen. Wichtig ist dabei aber, daß die Gegenstandsbeziehung oder die objektive Realität von Vorstellungen, von deren Möglichkeit hier die Rede ist, stets nur ihr (unter Umständen auch faktisch falsches oder irrtümliches) intentionales Bezogensein auf Gegenständliches überhaupt bedeutet — im Unterschied 19

Prauss, Erscheinung bei Kant, spricht in diesem Zusammenhang vom „Erdeuten" von Gegentänden aus subjektiven Erscheinungen (vgl. S. 48ff. und öfter). — Mit dem „vermeinenden Haben überhaupt von Gegenständen" ist übrigens dasselbe gemeint, was Tugendhat „Bezugnahme auf Gegenstände" nennt; Tugendhat ist allerdings der Meinung, daß „trotz gewissen Ansätzen" Kant dieses Problem nicht behandelt (S. 359—60).

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Das Verhältnis von kategorialen und faktischen Bestimmungen

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und Gegensatz zu Zuständen, in denen etwas von unseren Wahrnehmungen verschiedenes Gegenständliches noch nicht einmal vermeinbar wäre, geschweige denn erkannt werden könnte. Daß tatsächlich das transzendentale Erfahrungsproblem auch diesen, von dem wissenschaftstheoretischen ganz verschiedenen Sinn hat, wird bei Kant vielleicht am deutlichsten, wenn er sagt (KRV A 197/B 242): „ W i r haben Vorstellungen in uns, deren wir uns auch bewußt werden können. Dieses Bewußtsein aber mag so weit erstreckt und so genau und pünktlich sein, als man wolle, so bleiben es doch nur immer Vorstellungen, d . i . innere Bestimmungen unseres Gemüts in diesem oder jenem Zeitverhältnisse. Wie kommen wir nun dazu, daß wir diesen Vorstellungen ein Objekt setzen, oder über ihre subjektive Realität, als Modifikationen, ihnen noch, ich weiß nicht, was für eine, objektive beilegen? Objektive Bedeutung kann nicht in der Beziehung auf eine andere Vorstellung (von dem, was man v o m Gegenstand nennen wollte) bestehen, denn sonst erneuert sich die Frage: wie geht diese Vorstellung wiederum aus sich selbst heraus, und bekommt objektive Bedeutung noch über die subjektive, welche ihr als Bestimmung des Gemütszustandes eigen ist?"

Hier geht es ersichtlich nicht um die faktische Wahrheit oder um die faktisch notwendige Allgemeingültigkeit von Erkenntnissen, sondern allein um die Frage, wie wir überhaupt Erkenntnisse von Gegenständen haben können und nicht statt dessen bloß innere Bewußtseinsvorkommnisse in einem blinden Spiel von Erscheinungen. Ausdrücklich fragt Kant danach, wie wir unseren Vorstellungen überhaupt ein Objekt setzen können, damit die Vorstellungen nicht bloß subjektive Modifikationen oder innere Gemütsbestimmungen bleiben, und die „objektive" Realität oder „objektive" Bedeutung von Vorstellungen, von der dabei die Rede ist, ist gewiß nicht nur als faktische Wahrheit aufzufassen. Sie ist in erster Linie vielmehr als intentionale Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen zu denken, ohne deren Voraussetzung von der Wahrheit oder Falschheit von Vorstellungen sinnvoll gar nicht die Rede sein könnte.

5. Das Verhältnis von kategorialen

und faktischen

Bestimmungen

Wir wollen zum besseren Verständnis des Folgenden das bisher erreichte Ergebnis noch einmal kurz zusammenfassen. Ausgegangen sind wir von der Frage, was die Erfahrung ist und wie sie nach Kant zustandekommt, und wir haben dabei festgestellt, daß diese Frage sich für Kant übersetzt in die nach bestimmten Arten von Vorstellungsverbindungen, die durch Notwendigkeit und Objektivität gekennzeichnet sind. Wie die Untersuchung

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

der „Prolegomena" zeigt, sind diese Bestimmungen jedoch nicht eindeutig; wenn Kant von notwendigen und objektiven oder von zufälligen und subjektiven Zusammenhängen spricht, so können darunter sowohl kategoriale als auch faktische Bestimmungen verstanden sein. Dementsprechend haben wir es bei Kant statt mit nur einem Erfahrungsbegriff in Wirklichkeit mit zwei Erfahrungsbegriffen zu tun, folglich auch mit zwei verschiedenen Konzeptionen der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen und deshalb auch mit zwei verschiedenen Erfahrungsproblemen selber. Im einen Fall ist Erfahrung die objektive, allgemeingültige und wahre Erkenntnis von intersubjektiv zugänglichen Gegenständen und Sachverhalten, im anderen ist Erfahrung nur überhaupt das Haben von Welt und von etwas gegenständlich Vermeinbaren in ihr. Das Verhältnis der beiden Erfahrungsbegriffe zueinander läßt sich mithilfe einer Analogie so darstellen: Zustände, in denen es nicht einmal das Vermeinen von etwas Gegenständlichem gibt (bloße „Wahrnehmung"), verhalten sich zur Erfahrung im weiteren Sinne (bei der es zunächst auf Unterschiede der Wahrheit und Falschheit, der faktisch bloß subjektiven oder faktisch objektiven Gültigkeit von Erkenntnissen noch gar nicht ankommt), wie sich innerhalb dieser Erfahrung (im weiteren Sinne) faktisch bloß subjektive und faktisch zufällige Wahrnehmungen zu faktisch objektiven und faktisch notwendigen Erkenntnissen, der Erfahrung im engeren Sinne, verhalten. 1 1

Nach den verschiedenen Ausprägungsmöglichkeiten eines gegenständlich orientierten kognitiven Weltverhaltens sind also drei Bereiche zu unterscheiden. Unter dem Gesichtspunkt der Frage, ob Gegenstände als solche, losgelöst vom eigenen Tun, überhaupt vermeinbar sind oder nicht, erhalten wir zunächst die Einteilung in (1) kategorial subjektive Wahrnehmung und (2) kategorial objektive Erfahrung im weiteren Sinne; innerhalb der Erfahrung (2) kann weiter dann unterschieden werden zwischen (a) faktisch nur subjektiv gültigen Wahrnehmungen, in denen Gegenständliches jedenfalls vermeinbar ist, wenigstens aber die Bezugnahme auf Gegenstände vorausgesetzt ist, und (b) faktisch objektiver Erfahrung, d. h. der Erfahrung im engeren, wissenschaftstheoretischen Sinne. Das ergibt folgendes Schema: (1) kategorial subjektive Wahrnehmung

(2) kategorial objektive Erfahrung

(a) faktisch subjektive Wahrnehmung

(b) faktisch objektive Erfahrung

(1) ist für Kant (jedenfalls, was das menschliche Weltverhalten angeht) bloße Denkmöglichkeit, ist aber nach Kants Meinung bei Tieren realisiert (s. unten S. 109f.). (b) läßt sich am ehesten durch die exakte Wissenschaft veranschaulichen, zu (a) gehört dann die ganze ,Lebenswelt' im Husserlschen Sinne, dazu ,Wissenschaften' wie Chemie und Psychologie, in denen sich Mathematik nicht anwenden läßt und die deshalb „von dem Range einer eigentlich so zu nennenden Naturwissenschaft entfernt bleiben" (MAGdN A X), und wohl auch

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Das Verhältnis von kategorialen und faktischen Bestimmungen

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W i r finden bei K a n t also einen w e i t e r e n u n d einen engeren E r f a h r u n g s begriff u n d d e m e n t s p r e c h e n d auch z w e i v e r s c h i e d e n e W a h r n e h m u n g s b e griffe in eigentümlicher I n e i n a n d e r s c h a c h t e l u n g : 2 n a c h d e m einen k ö n n e n a u c h W a h r n e h m u n g e n E r k e n n t n i s a n s p r ü c h e enthalten, die aber nicht v o l l ständig einlösbar sind, da die W a h r n e h m u n g in diesem Sinne letztlich i m m e r b l o ß ein vorläufiges, m e t h o d i s c h nicht k o n t r o l l i e r t e s u n d deshalb vielfach irriges u n d falsches b l o ß subjektives F ü r w a h r h a l t e n ist. N a c h d e m a n deren W a h r n e h m u n g s b e g r i f f

implizieren W a h r n e h m u n g e n

schon

ihrem

Sinn n a c h keine E r k e n n t n i s a n s p r ü c h e , da auf ihrer Stufe G e g e n s t ä n d e u n d Sachverhalte,

die als v o m E r k e n n e n d e n U n a b h ä n g i g e s

erkannt

werden

k ö n n t e n , außerhalb des H o r i z o n t s eines m ö g l i c h e n M e i n e n s liegen. U r t e i l e , in denen s o l c h e W a h r n e h m u n g e n A u s d r u c k finden, lassen sich natürlich n u r v o n e i n e m S t a n d p u n k t außerhalb s o l c h e r W a h r n e h m u n g e n

ausspre-

c h e n , denn i m U r t e i l e n ist das H a b e n v o n W e l t bereits i m p l i z i e r t ; j e d o c h läßt sich d u r c h wirklich v o r k o m m e n d e U r t e i l e bei passender E i n s t e l l u n g s ä n d e r u n g auf die kategorial subjektiven W a h r n e h m u n g e n d o c h wenigstens vorläufig hinweisen, e t w a so w i e es im H i n b l i c k auf K a n t P r a u s s m i t seinem Begriff der , , V e r s c h e i n u n g " v e r s u c h t h a t . 3 alle inzwischen überholte Wissenschaft, womöglich sogar aktuelle Hypothesen und wissenschaftliche Forschungsprogramme vor ihrer Akzeptierung. — In der wissenschaftstheoretischen Auffassung besteht Kants Problem in der Frage, wie auf der Basis von (a) zu (b) übergegangen werden kann (Objektivitätssteigerung), in der „kategorialen" Auffassung würde es ausschließlich um die Möglichkeit von (2) insgesamt gehen. Im allgemeinen findet man in der gegenwärtigen Kant-Literatur häufig eine Verbindung beider Gesichtspunkte, sie sind aber nicht thematisch unterschieden, obwohl natürlich die Akzentuierung von Fall zu Fall wechseln kann. Größere Aufmerksamkeit hat der Doppelsinn wichtiger Kantischer Begriffe eigentlich nur bei Buchdahl (vgl. unten Anm. 8) sowie bei Bird gefunden. Bird erklärt eine gewisse Undeutlichkeit des Kantischen „transzendentalen" Ansatzes damit, daß Kant transzendental gemeinte Unterscheidungen (z.B. zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen, zwischen objektiven Urteilen und subjektiven Assoziationen) mit empirischen Beispielen verdeutliche (vgl. S. 140—2). 2

Im Sinne des Schemas von Anm. 1 läßt sich diese Ineinanderschachtelung in einem „transzendentalen" Liniengleichnis verdeutlichen. Daß die in diesem Gleichnis behauptete Analogie tatsächlich besteht, aber eben nur als Analogie, hängt mit den Besonderheiten des Ubergangs von der unmittelbaren, noch nicht durchgängig kritischen Erfahrung zur wissenschaftlichen Erfahrung zusammen. Dabei finden ebenso wie bei der ersten Erarbeitung von Gegenstandskategorien auf frühen Stufen der kindlichen Intelligenzentwicklung Prozesse einer Ablösung der Gegenstände vom eigenen Tun statt (vgl. Piaget, Construction 307ff.), die zwar jeweils zu neuen Intelligenzstrukturen führen, selber jedoch sich auf grundsätzlich gleiche Weise als Akkomodationen an die Wirklichkeit und Assimilationen der Wirklichkeit an das eigene Tun beschreiben lassen (Piaget, Erwachen 15ff.); vgl. unten Abschn. 16.

3

Vgl. oben Abschn. 4 Anm. 18. Nach Prauss lassen sich Wahrnehmungsurteile nur unter Verwendung objektiver Bestimmungen beschreiben (S. 196), und zwar deshalb, weil man

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

Daß mit diesen Unterscheidungen etwas wirklich Vorkommenden getroffen ist und daß wir es hier nicht bloß mit ausgedachten Konstruktionen zu tun haben, werden wir im Folgenden im einzelnen noch belegen (Abschn. 14—16). Zuvor aber noch die Frage, weshalb Kant nicht gesehen hat, daß in seinem Begriff der Erfahrung zwei Auffassungen miteinander verbunden sind, die im Grunde gar nicht zueinander passen: Auch Kant, und ihm zuerst, hätte es doch auffallen müssen, daß ein einheitliches transzendentales Programm, jedenfalls so, wie es unter dem Titel des Unterschiedes zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen in den „Prolegomena" entfaltet ist, nicht widerspruchslos durchgeführt werden kann. Denn es ist ja Kant selber, der durch die Nichtunterscheidung von faktischer Notwendigkeit (im Gegensatz zur Kontingenz etwa empirischer Verhältnisse) einerseits und kategorialer Regelunterworfenheit (im Gegensatz zu dem nicht unter Wahrheitskriterien stehenden bloß zufälligen und willkürlichen Wahrnehmungsablauf) andererseits fühlbar in die allergrößten Schwierigkeiten gerät. Bezeichnenderweise ist das gerade dort der Fall, wo sich in den „Prolegomena" immerhin der Ansatz zu einer solchen Unterscheidung findet, nämlich in der Anmerkung A 89 mit ihrer in der Tat sehr „berechtigten" Frage: „ W i e s t i m m t a b e r d i e s e r S a t z : d a ß E r f a h r u n g s u r t e i l e N o t w e n d i g k e i t in d e r S y n thesis d e r W a h r n e h m u n g e n e n t h a l t e n s o l l e n , m i t m e i n e m o b e n vielfältig e i n g e s c h ä r f t e n S a t z e : d a ß E r f a h r u n g , als E r k e n n t n i s a p o s t e r i o r i , b l o ß zufällige U r t e i le g e b e n

könne?"

Wie lautet Kants Antwort auf diese Frage? Statt zu sagen, daß es zwei Arten von Notwendigkeit (und Zufälligkeit) gibt, nämlich eine faktische Notwendigkeit einerseits und eine kategoriale Notwendigkeit andererseits, spricht Kant hier ebenso wie in der Anmerkung A 83 nur von Notwendigauch subjektiv-private Erscheinungen letztlich nur mithilfe sachhaltiger Ausdrücke von objektiven Gegenständen kennzeichnen könne. Das gilt allerdings nur für faktisch Subjektives. Wenn Prauss sagt, das Subjektive ließe sich nur korrelativ zum Objektiven bestimmen (vgl. S. 291—2, 292 Anm. 43 und 44), so spricht er also nicht von einem kategorial Subjektiven, um das es sich in dem hier intendierten Sinn von Wahrnehmungsurteil eigentlich handelt. Das kategorial Subjektive liegt völlig außerhalb des Bereichs möglicher Gegenstandsorientierung und läßt sich gerade nicht aus dem Gegensatz zu einem Objektiven verstehen, da es der gegenseitigen Ablösung von faktisch Subjektivem und faktisch Objektivem vorausliegt; vgl. dazu auch Kap. IV. — Von anderer Seite haben auf das, was hier als kategorial subjektive Wahrnehmung bezeichnet wird, Strawson (mit seinem Begriff des ,feature-placing-sentence', Individuais 2 1 4 f f . ) und im Anschluß daran Tugendhat (mit seinem Begriff des ,Quasi-Prädikats', S. 2 0 8 f f . ) hingewiesen.

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keit schlechthin, und er gelangt so zu der schwer begreiflichen und dunklen Behauptung, daß die Verbindung von Vorstellungen in Erfahrungsurteilen, insofern sie auf Wahrnehmung zurückgeht, zwar „allemal zufällig sei", daß sie zugleich aber auch notwendig sei — nämlich durch den „Zusatz des Verstandesbegriffes (der Ursache) zur Wahrnehmung", wodurch die Erfahrung als solche erst erzeugt werde. Im Wortlaut heißt es bei Kant: „Wenn ich sage, Erfahrung lehrt mir etwas, so meine ich jederzeit nur die Wahrnehmung, die in ihr liegt, z. B. daß auf die Beleuchtung des Steins durch die Sonne jederzeit Wärme folge, und also ist der Erfahrungssatz so fern allemal zufällig. Daß diese Erwärmung notwendig aus der Beleuchtung durch die Sonne erfolge, ist zwar in dem Erfahrungsurteile (vermöge des Begriffs der Ursache) enthalten, aber das lerne ich nicht durch Erfahrung, sondern umgekehrt, Erfahrung wird allererst, durch diesen Zusatz des Verstandesbegriffes (der Ursache) zur Wahrnehmung, erzeugt" (A 89 Anm.).

Wie dunkel und rätselhaft dieses Textstück ist, wagt man sich guten Gewissens eigentlich erst einzugestehen, wenn man damit die Erläuterung zur Urteilsbestimmung von B 140ff. in der „Kritik" vergleicht. Kant charakterisiert hier Urteile dadurch, daß er sagt, in ihnen würden Vorstellungen zur objektiven Einheit der Apperzeption gebracht, was er folgendermaßen begründet: „Darauf zielt das Verhältniswörtchen ist in denselben, um die objektive Einheit gegebener Vorstellungen von der subjektiven zu unterscheiden. Denn diese bezeichnet die Beziehung derselben auf die ursprüngliche Apperzeption und die notwendige Einheit derselben, wenngleich das Urteil selbst empirisch, mithin zufällig ist, z. B. die Körper sind schwer. Damit ich zwar nicht sagen will, diese Vorstellungen gehören in der empirischen Anschauung notwendig zueinander, sondern sie gehören vermöge der notwendigen Einheit der Apperzeption in der Synthesis der Anschauungen zueinander, d. i. nach Prinzipien der objektiven Bestimmung aller Vorstellungen, sofern daraus Erkenntnis werden kann" (B 141-2).

Ersichtlich geht Kant hier von dem weiteren Begriff der Erfahrung aus, wonach diese das vermeinende Haben überhaupt von Gegenständen ist; deshalb fällt es ihm hier auch leicht, zwischen faktischer Notwendigkeit oder Zufälligkeit einerseits und den entsprechenden kategorialen Bestimmungen andererseits zu unterscheiden und auf einsichtige Weise ihr Verhältnis zueinander zu verdeutlichen. Die Regelunterworfenheit von Vorstellungen als ihr kategorial notwendiges Zusammengehören in der ursprünglichen Einheit der Apperzeption ist dasjenige, was allein Erfahrung

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

möglich macht. Aber diese kategoriale Notwendigkeit wird hier eben gerade nicht auch als faktische Notwendigkeit in der Verbindung der Vorstellungen aufgefaßt. Sie wird von dieser faktischen Notwendigkeit vielmehr eigens unterschieden, und im vorliegenden Fall ist sie ja gerade auch die Bedingung dafür, daß statt eines faktisch notwendigen Zusammenhangs von Erscheinungen das Vorliegen eines faktisch zufälligen Zusammenhangs in der Wirklichkeit erfahren werden kann. Wir gehen auf die Einzelheiten später noch ausführlich ein; hier ist nur für die „Prolegomena" festzuhalten, wie außerordentlich schwerfällig, um nicht zu sagen verworren, deren Theorie der Erfahrung und der zu ihr gehörigen Notwendigkeit ist, wenn man sie mit den entsprechenden Äußerungen der „Kritik der reinen Vernunft" vergleicht. In den „Prolegomena" sind wichtige Begriffsunterschiede nicht herausgearbeitet, geschweige denn festgehalten, die für die Nachvollziehbarkeit von Kants Argumentation wesentlich sind. Vielmehr ist mit denselben Ausdrücken sehr Verschiedenes zugleich bezeichnet, und nur deshalb kann, wie es in der zitierten „Prolegomena"-Stelle geschieht, von Kant der Erfahrung zugleich der Charakter des Zufälligen und Notwendigen zugesprochen werden. Obwohl das ganz offensichtlich auch für Kant selber unbequem ist, hat Kant, wie gesagt, weder hier noch in der 2. Auflage der „Kritik" die erforderlichen Klärungen vorgenommen, also vor allem nicht terminologische Unterscheidungen eingeführt, die solche Unklarheiten und Undeutlichkeiten ein für allemal ausgeschlossen hätten. Obwohl er es in Wirklichkeit mit zwei Problemen zu tun hat, behandelt Kant nach außen hin und offiziell immer nur ein einziges Problem; aber gerade deshalb wird dieses Problem in seinem Sinn dann auch vieldeutig und unscharf und setzt sich so im Hinblick auf seine möglichen Lösungen dem Vorwurf weitgehender Unverständlichkeit aus. Bei der Antwort auf die Frage, weshalb Kant alles das in Kauf nimmt, muß man davon ausgehen, daß für Kant am Anfang das Problem steht, wie sich bestimmte sehr allgemeine Prinzipien der Naturwissenschaft philosophisch begründen lassen. Es geht ihm also z. B. — und hier ist die Herausforderung durch Hume wirksam — um eine philosophische Begründung der objektiven Realität der Kausalität. Ganz ohne Zweifel will Kant den Nachweis führen, daß der Begriff der Kausalität, der wegen seiner Apodiktizität für ihn nicht aus der Erfahrung stammen kann, dennoch etwas Wirkliches beschreibt, und das läuft darauf hinaus, daß Kant bestimmte apriorische Sätze über das Vorliegen von sehr allgemeinen, aber dennoch faktisch notwendigen Zusammenhängen der Wirklichkeit herzuleiten sucht.

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Sehr anschaulich hat Kant dieses Ausgangs-Problem im Brief an Marcus Herz vom 21. Februar 1772 dargestellt (AA X 129ff.). Es bildet dort einen Spezialfall der allgemeinen Frage: „ A u f welchem Grunde beruhet die Beziehung desjenigen, was man in uns V o r stellung nennt, auf den Gegenstand?" (130),

und lautet im Hinblick auf Verstandesbegriffe: „ W o h e r k o m m t die Ubereinstimmung, die sie mit Gegenständen haben sollen, die doch dadurch nicht etwa hervorgebracht werden, und die Axiomata der reinen Vernunft über diese Gegenstände, woher stimmen sie mit diesen überein, ohne daß diese Ubereinstimmung von der Erfahrung hat dürfen Hilfe entlehn e n ? " (131)

Bei dieser Frage geht Kant von der Voraussetzung aus, daß sinnliche Vorstellungen, d. h. solche, die vom Gegenstand durch eine Affektion in uns hervorgerufen werden, diesem Gegenstand „als eine Wirkung seiner Ursache gemäß" seien und daß deshalb im Unterschied zu den Verstandesbegriffen hier gar nicht das Problem entsteht, „wie diese Bestimmung unseres Gemüts etwas vorstellen, d. i. einen Gegenstand haben können" (130). 4 Sowohl hier als auch in der „Kritik" ist problematisch deshalb zunächst immer nur, wie sich die „zum reinen Gebrauch a priori (völlig unabhängig von aller Erfahrung) bestimmten" reinen Verstandesbegriffe auf Objekte beziehen können, und nur sie, nicht aber auch empirische Begriffe, deren objektive Realität durch die Erfahrung garantiert ist (A 84/B 116—7), bedürfen deshalb für Kant einer „Deduktion", d. h. des Nachweises, daß sie tatsächlich objektive Realität haben (A 85/B 117). Entscheidend ist nun aber, daß Kant diese Deduktion durch den Nachweis führt, daß die Kategorien die Erfahrung als die Erkenntnis von Gegenständen und Objekten allererst möglich machen (vgl. A 92/B 125—6), und das heißt, daß ohne Kategorien auch und gerade unsere empirischen Vorstellungen keine objektive Realität haben könnten. Der Beweis der objektiven Realität der Kategorien ist also entgegen dem ursprünglichen Ansatz zugleich auch ein Beweis der objektiven Realität unserer empirischen Vorstellungen, darin eingeschlossen die empirischen Begriffe, für die es anfänglich in dieser Hinsicht irgendwelche Probleme doch gerade nicht geben sollte. Das ist ein höchst verblüffendes Resultat, und dennoch gibt es dafür eine ganz einfache Erklärung. Sie besteht darin, daß Kant den Begriff der 4

„Die passiven oder sinnlichen Vorstellungen haben also eine begreifliche Beziehung auf Gegenstände" (ebd. S. 130).

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„objektiven Realität" von Vorstellungen mehrdeutig verwendet. Wenn es im Brief an Herz heißt, daß empirische Begriffe im Hinblick auf ihre objektive Realität anders als die Kategorien keiner Deduktion bedürfen, ist — ebenso wie auch bei den Kategorien selber — von ihrer Wahrheit die Rede, also davon, daß in ihnen etwas Wirkliches angemessenen Ausdruck findet. Dagegen bedeutet im Zusammenhang des Problems der Möglichkeit der Erfahrung die „objektive Realität" von empirischen Begriffen offenbar etwas ganz anderes, nämlich die Eigenschaft, daß sie im intentionalen Sinne „überhaupt Beziehung auf einen Gegenstand" haben (vgl. A 109). Denn nur das, nicht aber die Wahrheit von empirischen Vorstellungen wird in der Kategoriendeduktion von Kant darauf zurückgeführt, daß sie durch die Kategorien zur Einheit der Apperzeption gebracht sind. Kant selber macht das sehr deutlich, wenn er sagt, daß nur vermittels der Kategorien Gegenstände der Erfahrung gedacht werden können (B 128); vor allem deutlich wird dieser Gedanke aber, wenn es heißt: „ W e n n ich alles Denken (durch Kategorien) aus einer empirischen Erkenntnis wegnehme, so bleibt gar keine Erkenntnis irgendeines Gegenstandes übrig; denn durch bloße Anschauung wird gar nichts gedacht, und daß diese Affektion der Sinnlichkeit in mir ist, macht gar keine Beziehung von dergleichen Vorstellungen auf irgend ein Objekt aus" ( A 2 5 3 / B 3 0 9 ) . 5

Vor allem diese Äußerung ist für unseren Zusammenhang von Wichtigkeit. Zunächst macht sie noch einmal deutlich, (1) daß außer mit dem Problem der objektiven Realität oder der objektiven Gültigkeit der Kategorien wir es bei Kant auch mit dem Problem der objektiven Realität oder der Gegenstandsbeziehung von empirischen Vorstellungen zu tun haben, und (2), daß die Gegenstandsbeziehung von empirischen Vorstellungen anders als die der Kategorien nicht nur die faktische Richtigkeit in der Wiedergabe bestimmter objektiver Züge der Wirklichkeit bedeuten kann. Unter der „objektiven Realität" von Vorstellungen, von Begriffen usw. hat man bei Kant also durchaus Verschiedenes zu verstehen, je nachdem, ob von den

5

Gegen Maimons Auffassung, daß „das Denken nur eine Art sei, das Mannigfaltige der Anschauung (welches unserer Schranken wegen nur dunkel ist) in ein klares Bewußtsein zu bringen", sagt Kant im selben Sinne: „Dagegen ich den Begriff von einem Objekte überhaupt (der im klarsten Bewußtsein unserer Anschauung gar nicht angetroffen wird), dem Verstände, als einem besonderen Vermögen zuschreibe, nämlich die synthetische Einheit der Apperzeption, durch welche allein das Mannigfaltige der Anschauung (deren jedes ich mir besonders immerbin bewußt sein mag) in ein vereinigtes Bewußtsein, zur Vorstellung eines Objekts überhaupt, (dessen Begriff durch jenes Mannigfaltige nun bestimmt wird) zu bringen" (Brief an M. Herz vom 26. 5. 1789, AA XI 50).

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Kategorien oder von empirischen Vorstellungen die Rede ist. Bei den ersteren handelt es sich in Ubereinstimmung mit dem Beweisprogramm, das Kant von Anfang an verfolgt und an dem er trotz aller Schwierigkeiten auch festhält, ausschließlich um ihre faktische Wahrheit, bei den zweiten jedoch auch um ihr vermeinendes Bezogensein auf Objektives überhaupt. Denn selbst wenn die „Affektion der Sinnlichkeit" das faktisch richtige Bezogensein von Anschauungen oder Vorstellungen auf Gegenstände garantieren könnte, d. h. wenn die objektive Realität im Sinne der faktischen Wahrheit, wie es im Brief an Herz vorausgesetzt ist, auf eine solche Affektion zurückginge, so läßt sich, wie Kant jetzt ausdrücklich betont, gerade die Gegenstandsbeziehung im intentionalen Sinne so nicht erklären. Ganz im Gegensatz zu seinen ursprünglichen Annahmen über die leichte Begreiflichkeit der Beziehung, die die empirischen Vorstellungen auf Gegenstände haben, ist für Kant inzwischen also gerade die Gegenstandsbeziehung der empirischen Vorstellungen problematisch geworden. Aber man muß sich klar machen, daß dabei sich zugleich auch die Bedeutung des Problems der Gegenstandsbeziehung von empirischen Vorstellungen entscheidend gewandelt hat. Es handelt sich nicht mehr wie noch am Anfang ausschließlich um die Gegenstandsbeziehung im Sinne der faktischen Wahrheit, vielmehr geht es jetzt auch um die intentionale Gegenstandsbeziehung der empirischen Vorstellungen, die sie nach Kants Urteil ohne die Kategorien nicht haben könnten. Obwohl Kant im Grunde sachlich also sehr wohl zwischen beiden Bedeutungen von „objektiver Realität" und „Gegenstandsbeziehung" unterscheidet oder, besser gesagt, obwohl Kant häufig mit zwei unterschiedlichen Bedeutungen der fraglichen Ausdrücke arbeitet, ist es allerdings auch hier wieder auffällig, daß er dennoch nicht die entsprechenden terminologischen Unterscheidungen trifft. Das dürfte damit zusammenhängen, daß das ursprüngliche wissenschaftstheoretische Programm — der Beweis der Gültigkeit bestimmter synthetischer Urteile a priori als der Bedingungen und Voraussetzungen einer wahren und objektiven gültigen Erfahrung — Kant zwar zu neuen Fragen geführt hat, die eigentlich eine Revision seiner Terminologie und auch seines Programms erforderlich machen würden, daß er aber an diesem Programm, seiner Lieblingsidee sozusagen, gleichwohl festhält. Deshalb ist er gerade im Interesse des Beweises, daß bestimmte synthetische Urteile a priori gültig sind, geneigt, die neuen Problemstellungen den alten möglichst anzunähern, sie gerade nicht in ihrer Eigenständigkeit zu verfolgen und dementsprechend die Unterschiede zwischen alter und neuer Fragestellung auch nicht terminologisch zu akzentuieren.

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

In der Tat dürfte mit der deutlichen terminologischen Unterscheidung zwischen den beiden Bedeutungen von Gegenstandsbeziehung und objektiver Realität (und parallel dazu dann auch von Notwendigkeit, Zufälligkeit usw.) das wissenschaftstheoretische Programm auf dem von Kant eingeschlagenen Weg auch kaum zu realisieren sein. Die Gründe dafür sind die folgenden: Kant sucht die objektive Realität unserer empirischen Vorstellungen, d. h. ihr intentionales Bezogensein auf Gegenstände, von daher verständlich zu machen, daß die Vorstellungen im Sinne einer kategorialen Regelunterworfenheit notwendig miteinander verbunden sind, d. h. gemäß den Kategorien zur ursprünglichen Einheit der Apperzeption gebracht sind. Zweifellos lassen sich auf diesem Weg die Kategorien als notwendige Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung erweisen, aber das bedeutet natürlich nicht, daß die in ihnen gedachten Vorstellungsverbindungen faktisch notwendig sind oder daß sich die erst durch die Kategorien mögliche objektive Realität von empirischen Vorstellungen ohne weiteres auch als objektive Realität für die Kategorien selber in Anspruch nehmen läßt. Das wäre nur dann möglich, wenn man die hier vorliegenden Bedeutungsverschiedenheiten außer Acht ließe, d. h. wenn man den Ausdruck „objektive Realität" äquivok gebrauchte. Gerade das aber tut Kant, wenn er z. B . an der Stelle A 93/B 126 sagt, daß „Begriffe, die den objektiven Grund der Möglichkeit der Erfahrung abgeben, eben darum notwendig" sind, oder wenn er wenig vorher in Überlegungen, die den möglichen Strategien eines Beweises der objektiven Gültigkeit der Kategorien gelten, ausführt (ebd.): „Folglich wird die objektive Gültigkeit der Kategorien, als Begriffen a priori, darauf beruhen, daß durch sie allein Erfahrung . . . möglich sei. Denn alsdann beziehen sie sich notwendigerweise und a priori auf Gegenstände der Erfahrung, weil nur vermittelst ihrer überhaupt irgendein Gegenstand der Erfahrung gedacht werden k a n n " .

Man ersieht daraus, wie außerordentlich stark das wissenschaftstheoretische Interesse bei Kant ist; gegenüber konkurrierenden Motiven dominiert es durchaus, und unter seinem Einfluß sind die kategorialen Bestimmungen beständig in Gefahr, in faktische umgedeutet zu werden. Deshalb wirkt trotz aller zweifellos auch spürbaren Orientierung an der Frage nach der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellung die „ K r i t i k " auf den ersten Blick im wissenschaftstheoretischen Sinne stets vor allem als Theorie der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori oder als Versuch, apriorische Gesetzmäßigkeitsaussagen zu begründen.

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Für die Interpretation der „Kritik" muß das, wie wir in der Einleitung bereits angedeutet haben, 6 natürlich weitreichende Folgen haben. Einerseits hat die ganz fraglose äußere Dominanz der wissenschaftstheoretischen Motive natürlich die lange Zeit vorherrschende wissenschaftsorientierte Auffassung unmittelbar begünstigt, aber gerade sie liefert auch eine Rechtfertigung dafür, daß wegen der sachlichen Unabhängigkeit der wissenschaftstheoretischen Ergebnisse von den kategorialen in der wissenschaftstheoretischen Auffassung von allen Fragen, die mit der intentionalen (auch faktisch fälschlichen) Gegenstandsbeziehung von empirischen Vorstellungen zu tun haben, weithin einfach abgesehen worden ist. So wichtige Probleme wie das der Synthesis von Vorstellungen oder der Einheit der Apperzeption und des Selbstbewußtseins können als „psychologische" hier vollkommen in den Hintergrund gedrängt werden, ohne daß das für die wissenschaftstheoretische Auffassung zu sonderlichen Interpretationsschwierigkeiten führen müßte. Das ist nun umgekehrt bei der Interpretation der „Kritik", in der anders als in der wissenschaftstheoretischen Auffassung das Problem des Habens von Welt im Vordergrund des Interesses steht, gerade nicht möglich. Zwar wäre man wegen der logischen und systematischen Unabhängigkeit beider Ansätze voneinander ebenso wie zu einer rein wissenschaftstheoretischen Interpretation auch zu einer rein „kategorialen" Interpretation berechtigt, aber man würde dabei nicht berücksichtigen, daß Kants Theorie der Erfahrung im Sinne des Habens überhaupt von Welt, wie wir gesehen haben, faktisch ganz außerordentlich eng mit seiner Wissenschaftstheorie zusammenhängt. Tatsächlich kann man die Theorie des Habens von Welt, wie sie in der „Kritik der reinen Vernsunft" entfaltet ist, für sich nicht gut verstehen, wenn man nicht sieht, daß diese Theorie sich zwar gerade gegen die wissenschaftstheoretischen Motive durchzusetzen sucht, daß das bei Kant weithin aber gerade noch im Horizont und Medium eines wissenschaftstheoretischen Fragens und Sprechens geschieht. Das bringt es mit sich, daß in einer Interpretation, die wie die vorliegende vor allem am kategorialen Ansatz Kants orientiert ist, die kategorialen Motive stets unter Berücksichtigung des wissenschaftstheoretischen Kontextes betrachtet werden müssen, innerhalb dessen sie sich artikulieren, daß sie zugleich aber auch aus diesem Kontext, in dem sie wissenschaftstheoretisch überformt sind, herauspräpariert werden müssen. Sicher geht das gelegentlich nicht ohne eine gewisse Gewaltsamkeit ab, was aber dennoch nicht 6

Vgl. oben S. 25.

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

i n h a l t l i c h e W i l l k ü r b e d e u t e n m u ß . D e n n m a g es i m E i n z e l f a l l a u c h z w e i f e l h a f t s e i n , o b ein G e d a n k e in den U m k r e i s d e s k a t e g o r i a l e n P r o b l e m s g e h ö r t o d e r w i s s e n s c h a f t s t h e o r e t i s c h g e m e i n t ist, j e d e n f a l l s ist k l a r , d a ß w i r es bei K a n t tatsächlich mit zwei verschiedenen Ansätzen z u tun haben. Diese häng e n f a k t i s c h e n g m i t e i n a n d e r z u s a m m e n u n d sind a u f s c h w e r l ö s b a r e W e i s e i n - u n d m i t e i n a n d e r v e r f l o c h t e n , sie m ü s s e n a b e r d e n n o c h s a c h l i c h v o n e i n a n d e r u n t e r s c h i e d e n w e r d e n , w i e sie ja a u c h — t r o t z aller U n k l a r h e i t e n in m a n c h e n E i n z e l f ä l l e n u n d t r o t z d e s I n t e r e s s e s K a n t s an i h r e r N i c h t u n t e r s c h e i d u n g — v o n K a n t selbst jedenfalls i m P r i n z i p u n t e r s c h i e d e n sind. D e r k a t e g o r i a l e A n s a t z der „ K r i t i k " ist, w o r a u f w i r in d e r E i n l e i t u n g b e r e i t s h i n g e w i e s e n h a b e n , in l e t z t e r Z e i t a u c h s o n s t g e s e h e n w o r d e n , er ist jedoch im allgemeinen gerade ohne Rücksicht auf den wissenschaftstheoret i s c h e n K o n t e x t , in d e m e r sich f i n d e t , v e r f o l g t w o r d e n , 7 s o d a ß h i e r eine abgewogene

Würdigung

der

„Kritik"

in

ihrer

Vielschichtigkeit

nicht

d u r c h g ä n g i g e r r e i c h t w o r d e n i s t . 8 D e m g e g e n ü b e r s u c h t die v o r l i e g e n d e A r -

7

In der analytischen Auffassung, etwa bei Wilkerson, wird dabei der wissenschaftstheoretische Ansatz Kants, also die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori, sogar direkt in die Frage nach den Bedingungen der Erfahrung umgedeutet: „I am going to suppose that instead of asking, How are synthetic a priori propositions possible?, Kant is really asking, What are the necessary conditions of a possible experience?" (S. 13). Bei Henrich, Identität und Objektivität, der deutlich durch die analytische Interpretation Strawsons beeinflußt ist, kommen wissenschaftstheoretische Fragen gleichfalls nicht zur Sprache, im Mittelpunkt seiner Darstellung steht das Problem der Beziehung von Empfindungen überhaupt auf Objekte (vgl. S. 1 7 - 9 ) : „Eine der bedeutendsten Leistungen Kants ist es, zum ersten Male einige der wichtigsten Aspekte der Problematik erfaßt zu haben, die mit dem Objektbegriff gestellt ist" (S. 17). Allein dieses Problem ist auch bei Prauss, Erscheinungen bei Kant, als die zentrale Frage Kants herausgestellt; Prauss hat (vgl. oben S. 44 Anm. 19) im Rahmen seiner Untersuchung des Erscheinungsbegriffs bei Kant zu zeigen gesucht, daß Erfahrung für Kant ausschließlich das Erdeuten von Gegenständen aus subjektiven Erscheinungen sei (vgl. S. 11), wobei Prauss das Wahr- oder Falschseinkönnen als wesentliches Merkmal der Erfahrung auffaßt (vgl. S. 83ff.). Auch ihm geht es also, auch wenn er den Ausdruck nicht gebraucht, ausschließlich um die hier sog. intentionale Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen.

8

Darum hat sich in letzter Zeit, soweit ich sehe, nur Buchdahl, Metaphysics and the Pilosophy of Science, bemüht, der im einzelnen nachweist, daß und welche naturwissenschaftlichen und naturmetaphysischen Fragestellungen Kants kategorialem Ansatz, den er .transzendental' nennt, zugrunde liegen (S. 484—532). Buchdahl geht aus von einem Nebeneinander eines eher wissenschaftstheoretischen und eines eigentlich transzendentalen Ansatzes, zwischen denen ,looseness of fit' besteht (vgl. S. 651). Allerdings verfolgt Buchdahl den transzendentalen' Ansatz für sich nicht systematisch; aber im Hinblick auf Kants Behandlung der Notwendigkeit' an der Stelle B 142 unterscheidet er richtig zwischen empirischer und .transzendentaler' Notwendigkeit: „Evidently, therefore, transcendental necessity does not touch the question of any putative necessary connections that may hold between members of the empirical manifold as such at the level of .intuition' in those cases where we

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Das Verhältnis von kategorialen und faktischen Bestimmungen

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beit gerade auch den faktischen Zusammenhang beider Ansätze herauszustellen, ohne den eine kritische Beurteilung von Kants Theorie der Möglichkeit der Erfahrung insgesamt kaum möglich sein dürfte. Daß die enge Verflechtung von wissenschaftstheoretischen und kategorialen Motiven bei der Interpretation der „Kritik" sonst im allgemeinen nicht ausreichend berücksichtigt ist, hat seinen Grund übrigens auch darin, daß in der Kant-Literatur ebenfalls nicht genügend beachtet ist, daß das Problem der objektiven Realität unserer empirischen Vorstellungen für Kant gerade ein Synthesis-Problem ist. 9 Denn tatsächlich bringt es erst die Synthesis-Problematik mit sich, daß sich ein Zusammenhang von sonst heterogenen Problemen für Kant überhaupt ergeben kann: Erst aufgrund der Auffassung der Kategorien als Formen einer Verbindung von (empirischen) Vorstellungen kann man die Idee haben, daß die Deduktion der reinen Verstandesbegriffe auf dem Weg über die Untersuchung der objektiven Realität qua intentionaler Gegenstandsbeziehung unserer empirischen Vorstellungen möglich ist. Im folgenden stellen wir deshalb in Ubereinstimmung mit Kants Intentionen das Problem der Synthesis und der Verbindung unserer Vorstellungen als den wesentlichen und zentralen Aspekt des Erfahrungsproblems heraus, und wir werden Kants Theorie der Erfahrungsermöglichung in dieser Hinsicht, wie gesagt, auch sachlich-systematisch zu bestätigen suchen. Daß das Erfahrungsproblem als Synthesis-Problem zu formulieren ist, ergibt sich für Kant ursprünglich allerdings nicht primär aufgrund von sachlich-systematischen Erwägungen. Vielmehr steht Kant hier in einer philosophischen Tradition, durch die ihm bestimmte Fragestellungen nahe-

9

are dealing with empirical laws which Kant regards . . . as having a necessitarian logic. Any empirical necessity will have to be made good seperately" (S. 637). So ist z. B. Prauss in seiner richtigen Konzeption des Erdeutens von Gegenständen aus subjektiven Erscheinungen zwar vor allem auch an Kants Lese-Modell A 314/B 370— 1 orientiert, wonach die Erkenntnis darin besteht, „Erscheinungen nach synthetischer Einheit zu buchstabieren, um sie als Erfahrung lesen zu können" (Erscheinung bei Kant 97, 49ff.); Prauss fragt aber eigentlich nie nach der „synthetischen Einheit", die dieses Lesen erst ermöglicht. — Größere Aufmerksamkeit hat das Synthesis-Problem dagegen bei Wolff, Kant's Theory of Mental Activity, gefunden, für den ,Synthesis' den „central concept of the entire Critical Philosophy" darstellt (S. 67). Wolff kommt am Schluß seines Buches, nachdem er das Auf-Begriffe-bringen der Synthesis als ihr Bewußtmachen interpretiert hat (S. 75—6, 129), allerdings zu keinem rechten Ergebnis, vgl. S. 275 zu B 234: „The relationship between imagination and understanding is the same here as in the Deduction — imagination synthesizes the manifold, and understanding imposes a necessary unity on the synthesis"; in der dazugehörigen Fußnote heißt es lapidar: „Just what that means, I confess I do not know. See the discussion of the Metaphysical Deduction above".

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Die Mehrdeutigkeit des Kantischen Erfahrungsproblems

gelegt sind und von der her sich deshalb auch historisch zeigen läßt, wie sich ausgerechnet auf dem Boden einer eher wissenschaftstheoretischen Problemstellung die Frage nach der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer empirischen Vorstellungen überhaupt ergeben kann. Mit seinem Begriff der Synthesis und Einheit von Vorstellungen — im Gegensatz zu einer bloßen Assoziation von Vorstellungen — bezieht Kant sich nämlich implizit und explizit immer auch auf die Diskussion der englischen Empiristen u m die objektive Realität von Vorstellungsverbindungen, und tatsächlich lassen sich die Besonderheiten von Kants Synthesis-Begriff, wie sie sich im Zusammenhang der herausgearbeiteten prinzipiellen Mehrdeutigkeit von Kants kritischem Erfahrungsbegriff ergeben, letztlich auch nur aus diesem historischen Zusammenhang heraus wirklich verständlich machen. Deshalb wenden wir uns im folgenden zunächst einmal den Verbindungstheorien des englischen Empirismus zu und wollen sie auf ihre eigentümlichen Schwierigkeiten hin untersuchen; wir schaffen uns damit die Voraussetzung, um Kants Theorie gerade auch in ihrem doppelten Ansatz als eine Antwort auf die Position Humes und überhaupt des englischen empirischen Idealismus einsichtig machen zu können. Dabei wird sich ergeben, daß Kants Theorie der Möglichkeit der Erfahrung zwar ihrer Intention nach eine Antwort auf eine Frage Humes ist, daß sie in Wirklichkeit aber zugleich auch die Antwort auf eine Frage ist, die Hume und der englische Idealismus niemals gestellt haben. Die entscheidende Frage, die in Kants Theorie der Erfahrung tatsächlich beantwortet wird, stellt vielmehr erst Kant selber, auch wenn sie sich ihm allererst aufgrund der Auseinandersetzung mit dem englischen Empirismus und dessen inneren Widersprüchen ergibt. N u r dieser historische Umstand erklärt schließlich auch, weshalb das Erfahrungsproblem bei Kant mehrdeutig ist: Die Mehrdeutigkeit ist Ausdruck der Tatsache, daß die Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung durch die synthetische Vereinigung von Vorstellungen sich in ihrem Sinn bei Kant zwar von ihrem historischen Herleitungszusammenhang zu lösen beginnt, aber zugleich diesem Herleitungszusammenhang noch entscheidend verhaftet bleibt.

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II. Transzendentale Synthesis und Assoziation 6. Kants Stellung zum englischen

Empirismus

Wenn wir im folgenden zeigen, daß die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung als des Habens überhaupt von Welt und von Gegenständen in ihr sich für Kant gerade in der Auseinandersetzung mit den empiristischen Theorien von Hume und Locke ergibt, so ist das, wie gesagt, vor allem dadurch motiviert, daß wir so auch historisch verständlich machen können, (1) daß Kants zweites Erfahrungsproblem tatsächlich auf dem Boden von anfänglich rein wissenschaftstheoretischen Fragestellungen erwächst, und (2), daß dieses Erfahrungsproblem sich im wissenschaftstheoretischen Kontext deshalb ergeben kann, weil beide Problemkomplexe über den Begriff der Verbindung von Vorstellungen miteinander zusammenhängen. Sowohl das wissenschaftstheoretische Problem der Möglichkeit einer zuverlässigen, objektiv gültigen Erfahrungserkenntnis als auch das der Möglichkeit des Habens überhaupt von Gegenständen, die von ihrem Wahrgenommenwerden unterschieden sind, sind Synthesis-Probleme. In ihnen ist gefragt einerseits, wie neben unseren einfachen und einzelnen Vorstellungen auch synthetisch zusammengesetzte Vorstellungen objektiv gültig, d. h. wahr sein können, und andererseits, ob außerhalb ihres synthetischen Zusammenhangs in Vorstellungen überhaupt irgendetwas Gegenständliches auch nur gemeint werden kann. Daß bei der Untersuchung beider Fragen für Kant das wissenschaftstheoretische Problem immer Priorität hat, ist nun auch in der Auseinandersetzung mit Hume ganz deutlich. Kant hebt zwar immer wieder die große Bedeutung hervor, die Hume für die Entwicklung und Ausbildung seiner transzendentalen Erfahrungstheorie insgesamt gehabt hat, aber wenn man nicht genauer hinsieht, so scheint es, als wenn es letztlich doch nur ein eng begrenztes wissenschaftstheoretisches Problem und seine empiristische Lösung gewesen wären, wodurch Kant entscheidend angeregt worden ist: Denn sowohl in den „Prolegomena" als auch in der „Kritik" betont Kant immer wieder, daß für ihn Humes Problem ausschließlich das der Erkennbarkeit von faktisch notwendigen Verbindungen zwischen Erscheinungen ist, die im Verhältnis von Ursache und Wirkung zueinander stehen.

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

Von hier aus ist natürlich leicht einsichtig zu machen, wie Kant zu seiner Problemformel „Möglichkeit synthetischer Urteile a priori" im Hinblick auf die Erkenntnis von faktisch notwendigen Sachverhaltszusammenhängen gelangt. Notwendige Verbindungen, und zumal Kausalverbindungen, lassen sich offenbar nicht in der Erfahrung geben; was von der Erfahrung entlehnt ist, sagt Kant, kann immer „nur komparative Allgemeinheit (haben), nämlich durch Induktion" (Prol. A 24). Aber ihrem Sinn und Anspruch nach ist die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Verknüpfung von Ursache und Wirkung für Kant gerade nicht eine Eigenschaft von bloß induktiv gefundenen und deshalb nur wahrscheinliche Geltung besitzenden empirischen Regeln, sie ist vielmehr als „strenge Allgemeinheit" gemeint. Schon daraus ergibt sich, daß, wenn hier überhaupt objektive Gültigkeit im Sinne möglicher Wahrheit vorliegt, die Notwendigkeit der Kausalverbindung einen erfahrungsunabhängigen Ursprung a priori haben müßte (B 127), d. h. sie müßte der Vernunft entspringen. Nun hat aber Hume bewiesen, und zwar, wie Kant betont, „unwidersprechlich", „ d a ß es der Vernunft gänzlich unmöglich sei, a priori, und aus Begriffen eine solche Verbindung zu denken, denn diese enthält Notwendigkeit; es ist aber gar nicht abzusehen, wie darum, weil etwas ist, etwas anderes notwendiger Weise auch sein müsse, und wie sich also der Begriff von einer solchen Verknüpfung a priori einführen lasse" (Prol. A 8).

Denn nach Hume „hat die Vernunft . . . gar kein Vermögen, solche Verknüpfungen auch selbst nur im allgemeinen zu denken, weil ihre Begriffe alsdenn bloße Erdichtungen sein würden", und deshalb gilt nach Hume, daß „alle ihre vorgeblichen a priori bestehenden Erkenntnisse . . . nichts als falsch gestempelte gemeine Erfahrungen" sind (Prol. A 9). Humes eigene Kausalitätstheorie läuft in Ubereinstimmung damit darauf hinaus, daß statt der im Begriff der Verbindung von Ursache und Wirkung gedachten objektiven Notwendigkeit, die wir meinen, wenn wir von der Verursachung eines Ereignisses durch ein anderes sprechen, in Wirklichkeit immer bloß eine „subjektive Notwendigkeit" vorliegt. Wenn wir beim Eintreten eines Ursache-Ereignisses auch das Eintreten des dazugehörigen Wirkungs-Ereignisses erwarten (vgl. Prol. A 9), so handelt es sich hier nur um eine aufgrund von Erfahrungen ausgebildete subjektive Gewohnheit, die sich in bestimmten subjektiven Vorstellungs-Assoziationen ausspricht, die aber nichts über die objektiven Verhältnisse aussagt. Von einer notwendigen Verbindung, die in den Dingen selbst läge und die in unserer Kausalerkenntnis dann gleichsam nur abgebildet würde, kann schlechter-

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Kants Stellung zum englischen Empirismus

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dings nicht die Rede sein. Statt eines Prinzips, das „notwendige Verknüpfung aussagt", haben wir bei Hume, wie Kant sagt, bloß „eine Regel der Assoziation, die . . . nur zufällige, gar nicht objektive Verbindungen darstellen kann" (A 766/B 794). Für Kant ergibt sich daraus unmittelbar das Ziel, entgegen Hume die objektive und notwendige Gültigkeit der Kausalität zu beweisen, was nach allem äquivalent ist mit der Aufstellung und Herleitung von wirklichkeitsbezogenen und dennoch apriorischen Sätzen (synthetischen Urteilen a priori). Die Frage ist dann aber, wie Kant von hier aus auch zu seiner kategorialen Synthesis-Lehre kommen kann. Dazu muß man sich klarmachen, daß Kants Hauptziel offenbar nicht einfach nur durch den Rückgriff auf reine Vernunft- oder Verstandesbegriffe zu erreichen ist, d. h. also auf bestimmte Vorstellungen, die wir in uns finden, denn zunächst ist gar nicht „abzusehen", weshalb solche Verstandesbegriffe „wahr" sein sollten. Wir haben alle möglichen Vorstellungen von der Wirklichkeit, darunter auch reine Begriffe, ohne daß diese objektiv gültig sein müßten. Im Gegenteil müssen wir immer mit der Möglichkeit rechnen — was Hume als den tatsächlich vorliegenden Fall annimmt —, daß alle wichtigen Kategorien der Wirklichkeit (wie die der Kausalität) nur Teile eines subjektiv gültigen Instrumentariums für den praktisch erfolgreichen Umgang mit der Wirklichkeit sind, d. h. daß sie uns letztlich nur für die Herstellung von subjektiven Bildern der u. U. ganz andersartigen objektiven Wirklichkeit dienlich sind. Kant glaubt nun aber, einen Weg zu sehen, die objektive Gültigkeit solcher reinen Verstandesbegriffe zusammen mit der in ihnen gedachten (faktischen) Notwendigkeit einsichtig machen, d. h. sie „deduzieren" zu können, nämlich so, daß er bestimmte reine Verstandesbegriffe als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zu erweisen sucht. Gegen den von Hume vertretenen empiristischen Ansatz, wonach es zwar objektive Einzelerkenntnisse gibt, aber nicht auch die objektive Erfahrung von Sachzusammenhängen, macht Kant dabei geltend, daß auch die Wahrnehmung oder Erfahrung von Einzelnem stets schon eine ursprüngliche und notwendige Verbindung des uns gegebenen Mannigfaltigen gemäß den reinen Verstandesbegriffen voraussetzt. Diese sind also entgegen Hume objektiv gültig, und zwar deshalb, weil ohne sie alle Erfahrung unmöglich wäre. Kennzeichnend für die Form, die diese Lösung bei Kant findet, ist allerdings, daß in ihr der Objektivismus der Humeschen Ausgangsfrage noch insofern erhalten bleibt, als Kant die objektive Gültigkeit der Kategorien, die nach seinem ganzen Argumentationsgang eine kategoriale Bestimmung ist, als

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

faktische Bestimmung auffaßt. Gegen Hume betont Kant deshalb vor allem, daß wir in der Erfahrung faktisch notwendige Zusammenhänge erkennen können. Das führt dazu, daß — wie wir es auch sonst schon beobachtet haben — auch in Kants Äußerungen über sein Verhältnis zu Hume und zu den englischen Empiristen der kategoriale Kontext gegenüber dem wissenschaftstheoretischen fast vollständig in den Hintergrund tritt. Deshalb ist es nicht ohne weiteres möglich, unmittelbar auch aus dem Kantischen Text nachzuweisen, daß für Kant die kategoriale Fragestellung tatsächlich auf dem Boden des empirischen Problems der wahren und zutreffenden Erkenntnis von notwendigen Sachzusammenhängen erwachsen ist. Wir werden diesen Nachweis später dennoch führen, nämlich in den Abschnitten über das Verhältnis von Synthesis und Assoziation. 1 Damit aber diese späteren Überlegungen einsichtig werden, ist es erforderlich, zunächst einmal unabhängig von Kants eigener Darstellung seines Verhältnisses zu den englischen Empiristen nach dem größeren Zusammenhang zu fragen, innerhalb dessen das Kausalproblem bei Hume und darüber hinaus überhaupt im englischen Empirismus und Sensualismus denn eigentlich seinen Platz hat. Es läßt sich dann relativ einfach zeigen, daß das Kausalproblem, allgemeiner das Problem der Erkennbarkeit von Sachzusammenhängen, in seinen im Empirismus nicht thematisierten Voraussetzungen auf das Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung von Vorstellungen hinführt. Tatsächlich läßt sich so nicht nur im Hinblick auf die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteil a priori und der Erkennbarkeit faktisch notwendiger Zusammenhänge, sondern vor allem auch im Hinblick auf die Frage nach der intentionalen Gegenstandsbeziehung von empirischen Vorstellungen gerade die empiristische Kausaltheorie als Ausgangspunkt für die Kantische transzendentale Grundposition erweisen. Es ergibt sich — und das läßt sich dann auch an der Gegenüberstellung von transzendentaler Synthesis und Assoziation aus Kants eigener Darstellung belegen —, daß die Widerlegung Humes nicht nur auf die Begründung bloß der faktischen Notwendigkeit bestimmter Sachverknüpfungen abzielt. Zugleich geht es Kant vielmehr immer auch um das Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer empirischen Vorstellungen, und tatsächlich dürfte viel mehr als im Kontext wissenschaftstheoretischer Problemstellungen Hume schließlich gerade unter dem Gesichtspunkt der Frage nach der intentionalen Gegenstandsbezie-

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Abschn. 10, 11.

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Kants Stellung zum englischen Empirismus

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hung unserer empirischen Vorstellungen für Kant die entscheidenden Anregungen gegeben haben. Bevor wir auf diese empiristische Theorie für sich näher eingehen, um sie in ihren Hauptzügen kritisch darzustellen, sind allerdings noch zwei Vorbemerkungen zu machen, die das Grundsätzliche des Verhältnisses von Kants transzendentaler Theorie zu der des englischen Empirismus betreffen. Es scheint nämlich, daß bestimmte Einwände, die gegen den Empirismus vorgebracht worden sind und die ihn zweifellos auch widerlegen, ebenfalls auf Kants Theorie zutreffen, und zwar deshalb, weil trotz aller seiner Bemühungen, seine Position von der des Empirismus abzuheben, Kant in zwei wichtigen kritischen Punkten mit dem Empirismus gerade übereinstimmt. Beim einen dieser Punkte handelt es sich um den atomistischen Ansatz sowohl des Empirismus als auch Kants, wonach uns ursprünglich immer nur getrennte und zerstreute Vorstellungen gegeben sind, die erst durch das Subjekt verbunden werden und die erst in dieser ihrer durch das Subjekt geleisteten Verbundenheit uns eine zusammenhängende Welt von beharrenden Gegenständen und gesetzmäßig geordneten Ereignissen zu erkennen geben. Dieser Atomismus ist schon empirisch nicht haltbar, und auch sonst ist er durchschlagend kritisiert worden. Wir werden aber zeigen, daß er von Kant entgegen dem Anschein auch gar nicht vertreten wird, oder genauer, daß Kant von diesem Atomismus jedenfalls in seiner kategorialen Synthesis-Theorie der intentionalen Gegenstandsbeziehung unabhängig ist. 2 Die andere Schwierigkeit ist die, daß Kant zusammen mit dem Empirismus offenbar auf einem Immanenzstandpunkt steht, kraft dessen wir in beiden Fällen von „idealistischen" Positionen sprechen. Kennzeichnend für Kant wie für den Empirismus ist nämlich die Auffassung, daß unser kognitiver Zugang zur Welt stets durch Wahrnehmungen oder durch Sinnesdaten als innere Bewußtseinsvorkommnisse vermittelt ist, in denen sich die äußeren Gegenstände der Welt wie in Bildern gleichsam nur abspiegeln oder in denen sie sich als Gegenstände allererst konstituieren. Wie es zu dieser Auffassung kommen kann, braucht uns hier nicht zu interessieren; sicher ist jedenfalls, daß solche bloß inneren Vorstellungen und Bilder der Wirklichkeit tatsächlich gar nicht vorkommen, jedenfalls nicht als primäre Gegebenheiten, von denen das Welterkennen seinen Aus-

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Abschn. 8, 9.

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

gang nehmen müßte. 3 Deshalb sind die Einwände, die gegen das Immanenz-Denken und gegen den damit verknüpften Psychologismus und Solipsismus von der Seite der analytischen Philosophie4, aber auch der Phänomenologie und phänomenologischen Psychologie5 her vorgebracht worden sind, auch Kant gegenüber durchaus im Recht. Aber dennoch läßt sich auch daraus kaum ein durchschlagender Einwand gegen den transzendentalphilosophischen Ansatz der „Kritik" insgesamt gewinnen. Man kann nämlich bei Kant die Rede von inneren Bewußtseinsvorkommnissen, jedenfalls in bestimmten Grenzen, übersetzen in eine Terminologie, in der innerseelische Erlebnisse nicht mehr vorkommen, sondern statt ihrer nur noch ein nach innen oder außen indifferentes erkennendes „Handeln". Das hängt damit zusammen, daß jedenfalls im Rahmen des kategorialen Problems der Möglichkeit der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen bei Kant grundsätzlich von einer ganz anderen Innerlichkeit die Rede ist, als von jener, von der Locke und Hume ausgehen. Bei den Empiristen sind Vorstellungen als innerlich gerade durch den Gegensatz bestimmt, in dem sie — auch ihrem eigenen intentionalen Sinne nach — zu der Äußerlichkeit der in ihnen gemeinten Gegenstände stehen; innere Vorstellungen und das äußere Vorgestellte verhalten sich wie faktisch Subjektives und faktisch Objektives zueinander.6 3

Ein Inneres als unterschieden vom Äußeren gibt es nur in dem Maße, wie sich Ich und Welt erst aufgrund einer sich ausbildenden objektiven Erkenntnis voneinander ablösen, vgl. dazu etwa Plessner 293 ff. Das schließt keineswegs aus, daß es innere Vorstellungen, Bilder, Begriffe etc. der Wirklichkeit sekundär sehr wohl gibt. Unser menschliches kognitives Weltverhalten ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß es über „innere" Modelle, die wir uns von der Wirklichkeit machen, vermittelt ist. Zur Struktur (und Entstehung) des begrifflichen und vorstellungsabhängigen Erkennens vgl. vor allem Piaget, Nachahmung, Spiel und Traum.

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Vgl. vor allem Ryle sowie Giegels Darstellung der Positionen von Wittgenstein und Seilars. Deren Einwände richten sich gegen den erkenntnistheoretischen Ansatz bei einem nicht weiter befragten Subjekt-Objekt-Gegensatz (vgl. Heidegger, Sein und Zeit 62) als Ausdruck eines anthropologischen Dualismus, wonach das Subjekt als rein geistiges, von leiblichen Affekten unberührtes Haben seiner Selbst sich allem äußeren Geschehen in unausgedehnter Einheit gegenüber findet. Dagegen ist darauf hingewiesen worden, daß das menschliche Dasein als verstehend gestimmtes In-der-Welt-sein durch eine ihm eigentümliche „existenziale Räumlichkeit" gekennzeichnet ist (Heidegger, Sein und Zeit 56 und §§ 23—4, 70), daß die Subjektivität ihrem Wesen nach leibliches Engagement in der Welt ist (Merleau-Ponty 161) und daß das Bewußtsein selber auch leiblich ist (Linschoten 229). Für die Gegenstandserkenntnis und Wahrnehmung folgt daraus, daß wir es primär nicht mit inneren Vorstellungen als Bildern der äußeren Gegenstände zu tun haben, sondern vielmehr unmittelbar mit den Dingen selbst (vgl. z.B. Merleau-Ponty 464, Linschoten 239). Zum methodischen Solipsismus des immanentistischen Ansatzes vgl. auch Apel I 24f., 59ff.

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Das ist auch bei Hume der Fall, auch wenn er Wahrnehmungen und Wahrgenommenes miteinander identifiziert und die Existenz einer für sich bestehenden Außenwelt gerade

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Kants Stellung zum englischen Empirismus

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Bei Kant jedoch handelt es sich um eine solche „Innerlichkeit", die der gegenseitigen Ablösung von faktisch Innerem und faktisch Äußerem und allem Vermeinen eines Äußeren oder Inneren, d. h. eines faktisch Objektiven oder faktisch Subjektiven, noch vorausliegt. 7 Natürlich ist es nun nicht so, daß bei Kant jene faktisch subjektive Innerlichkeit überhaupt nicht vorkäme. Mit der Zweideutigkeit des transzendentalphilosophischen Ansatzes und dem Vorherrschen wissenschaftstheoretischer Fragestellungen gegenüber den kategorialen hängt es zusammen, daß Kant das Innere, von dem er spricht, nicht nur durch kategoriale, sondern immer wieder auch durch faktische Bestimmungen kennzeichnet. Deshalb gibt es bei Kant auch einen schlechten Psychologismus, in dem die erfahrungskonstitutive Subjektivität als faktische Subjektivität begegnet und in dem dementsprechend auch unsere innerlichen Vorstellungen ganz so behandelt werden, wie das bei Locke und Hume der Fall ist. Aber dennoch bleibt bestehen, daß Kant im kategorialen Kontext seiner Untersuchungen eine Innerlichkeit meint, die ihrem Anspruch nach gerade nicht auf ein faktisch Äußeres bezogen ist, und zwar deshalb nicht, weil aus ihrer Definition die Bezugnahme auf den Unterschied zwischen Innen und Außen anders als bei Locke und Hume ausdrücklich gerade ausgeschlossen ist. Das Problem der Innerlichkeit unserer Vorstellungen bei Kant hängt eng mit den zentralen Problemen des Unterschiedes zwischen faktischer und kategorialer Subjektivität und zwischen kategorial und faktisch notwendigen oder zufälligen Vorstellungsverbindungen zusammen; und zwar so, daß deshalb Kants Auseinandersetzung mit dem Empirismus unter dem Gesichtspunkt dieser Fragestellungen immer auch eine implizite Kritik des empiristischen Immanenzstandpunkts ist. Bei der Darstellung der Hauptposition des englischen Empirismus und der Auseinandersetzung, die Kant mit ihm führt, werden wir daher auf die mit der Immanenz verknüpften Fragen thematisch nicht eigens eingehen. Wir stellen in den Mittelpunkt der Darstellung vielmehr das Problem, wie ursprünglich zerstreute und vonein-

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leugnet. Es ist mehr als nur eine bequeme Sprechweise, wenn H u m e die Wahrnehmungen „in der Seele" lokalisiert (Tr. 2 A n m . ) oder wenn er von ihrem Vorkommen im „ m i n d " spricht; die zu erkennenden Gegenstände werden bei H u m e eben zu inneren Wahrnehmungen, die uns statt der eigentlich in ihnen gemeinten beharrenden und unabhängigen Gegenstände als einzig Wirkliches gegeben sind. Daß Kant eine solche Innerlichkeit in den Blick bekommt, soll nicht bedeuten, daß ihm z . B . so etwas wie das Heideggersche In-der-Welt-sein vorschwebte. Es bedeutet nur, daß sich dem Kantischen Begriff der „kategorialen" Subjektivität - im Unterschied zum „ m i n d " der Empiristen — mithilfe z . B . eines solchen Modells ein vernünftiger Sinn abgewinnen läßt, jedenfalls dort, wo es um das Problem der Möglichkeit der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen geht.

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

ander getrennte Vorstellungen, die erst durch das Subjekt zusammengefaßt werden, in ihren subjektiven Zusammenhängen dennoch objektive Realität haben können, und wollen zeigen, wie im Rahmen dieser Problemstellung Kant — zugleich mit der Uberwindung des falschen Immanenz-Standpunktes 8 — auch zu seiner kategorialen Theorie der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen durch ihr Zusammenstehen in der ursprünglichen Einheit der Apperzeption gelangt.

7. Die Erkennbarkeit

von Sachzusammenhängen

bei Locke und Hume

Obwohl historisch der englische Empirismus auf Kant vor allem durch Humes skeptizistische Induktions- und Kausalitätstheorie gewirkt hat, wollen wir bei der Darstellung der empiristischen Position und ihrer Schwierigkeiten dennoch nicht von Hume, sondern von Locke ausgehen. Bei Locke ist das Hauptproblem, nämlich die Frage, wie Sachzusammenhänge objektiv erkannt werden können, einerseits allgemeiner, andererseits aber vielleicht auch durchsichtiger als bei Hume behandelt, und das hängt damit zusammen, daß Locke anders als Hume auf naive und im Grunde widersprüchliche Weise annimmt, daß es eine für sich bestehende Wirklichkeit gibt, die in unseren Vorstellungen abgebildet wird. Dadurch entfallen bei Locke zunächst einmal alle jene besonderen Komplikationen, die sich bei Hume aus der Identifizierung von Wahrnehmungen und Wahrgenommenem ergeben und die insbesondere dazu führen, daß bei Hume Probleme, die eigentlich solche des Zusammenhangs unserer Vorstellungen sind, nicht immer unmittelbar auch als solche Zusammenhangsprobleme erkennbar sind. Das ist z. B. bei Humes wichtiger Untersuchung über die Gründe unseres Glaubens an beharrende Gegenstände in der Außenwelt der Fall. Zwar dürfte gerade die Identifizierung von Wahrnehmungen und Wahrgenommenem das Problem der Verbindung und des Zusammenhangs unserer Vorstellungen in einen Kontext rücken, in dem es sich erkenntnistheoretisch tiefer und fruchtbarer als bei Locke stellt, aber daß es sich bei Hume immer noch um Zusammenhangs- und Synthesis-Probleme handelt, läßt sich eigentlich erst vor dem Hintergrund der sehr viel einfacheren Theorie Lockes einsichtig machen.

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Wobei er freilich im Rahmen eines solipsistischen Ansatzes bleibt, d. h. die gesellschaftsbezogenen Sinnimplikationen des gegenständlich orientierten erkennenden Weltverhaltens nicht sieht; vgl. A n m . 5 am Schluß.

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Die Erkennbarkeit von Sachzusammenhängen bei Locke und Hume

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Locke geht davon aus, daß allein die Wahrnehmung unserer eigenen inneren Vorstellungen uns Sicherheit in der Erkenntnis gewähren kann. 1 Bei der Dingwahrnehmung müßten wir dagegen stets damit rechnen, daß die Gegenstände, die wir wahrzunehmen glauben, gar nicht gegenwärtig sind, denn es ist immer möglich, daß, wie Locke sagt, die Dinge unsere Sinne nicht affizieren, obwohl wir dennoch Vorstellungen von ihnen haben. 2 Unsere Vorstellungen — z. B. Erinnerungen oder Phantasie-Vorstellungen — können falsch sein und uns eine Welt und Gegenstände in ihr vorspiegeln, wo in Wirklichkeit gar keine sind. Daraus ergibt sich als eigentlich wichtiges erkenntnistheoretisches Problem die Frage, welche Vorstellungen denn nun die Wirklichkeit treffen und sie richtig abbilden und welche Gründe und Kriterien wir haben, um im Einzelfall entscheiden zu können, ob eine solche wahre Abbildung vorliegt oder nicht. Hier sind nun nach Locke zwei Fälle zu unterscheiden, je nachdem ob es sich um einfache oder komplexe Vorstellungen handelt. 3 Für die einfa-

1

2

3

Vgl. II 185: „There can be nothing more certain than that the idea we receive from an external object is in our minds". Vgl. II 186: „But whether there be anything more than barely that idea in our minds; whether we can thence certainly infer the existence of anything without us, which corresponds to that idea, is that whereof some men think there may be a question made; because men may have such ideas in their minds, when no such thing exists, no such object affects their senses". Vgl. Book 2 ch. 2. — Bei der Darstellung Lockes orientiere ich mich im folgenden ausschließlich an der Frage, inwieweit Ideen einzeln und in ihrem Zusammenhang zu objektiven, d. h. wahren Erkenntnissen führen. Dabei gehe ich davon aus, daß Locke ausdrücklich immer wieder nur für die einfachen Ideen ihr passives Gegebensein, für komplexe Ideen dagegen ihr subjektives Gemachtsein behauptet. Daß es Locke faktisch nicht gelingt, diese These und auch die in ihr implizierte Unterscheidung zwischen einfachen und komplexen Ideen widerspruchslos zu entfalten, ist häufig bemerkt worden; ausführlich diskutiert sind die sich aus Lockes Ansatz ergebenden Schwierigkeiten und Inkonsistenzen bei Krüger. Krüger geht aus vom Begriff eines „optimalen Empirismus" (S. 13), in dem die (Kantische und Strawsonsche) Einsicht von der prädikativen Bestimmbarkeit aller einzelnen Dinge und Sachverhalte bereits berücksichtigt ist (vgl. 255—60), und sucht zu zeigen, daß die Schwierigkeiten, die bei Locke im Zusammenhang mit der Abgrenzung von einfachen und komplexen Ideen entstehen, als Indizien dafür interpretiert werden können, daß eine verglichen mit Hume fruchtbarere, weil die von uns im folgenden herausgestellten einfachen Alternativen vermeidende Konzeption von Empirismus von Locke wenigstens intendiert ist. Ich halte es für durchaus legitim, daß man auf diese, von Krüger selbst als einseitig bezeichnete Weise Locke sieht, wenn man nämlich wie Krüger an der Frage interessiert ist, wie sich eine vernünftige empiristische Position von Locke her aufbauen läßt. Uns geht es dagegen um die Rekonstruktion jener empiristischen Position, gegen die (zu Recht oder zu Unrecht) Kant sich wendet, weil wir von daher Kants Synthesis-Lehre verständlich zu machen suchen. Deshalb nehmen wir Locke beim Wort und interpretieren seine (ebenso wie Humes) Schwierigkeiten als Hinweise darauf, daß (wie zuerst Kant gesehen hat) der klassische empi-

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

chen Vorstellungen, d. h. genauer für einfache Wahrnehmungen, die nach Locke durch eine kausale Einwirkung der äußeren Wirklichkeit auf unsere Sinnlichkeit hervorgerufen werden, 4 läßt sich die Frage nach ihrer objektiven Realität relativ einfach beantworten: Letztlich ist es gerade die kausale Entstehung, die im allgemeinen auch die Richtigkeit solcher Vorstellungen verbürgt. 5 Dabei glaubt Locke die kausale Entstehung mit dem Hinweis darauf beweisen zu können, daß Wahrnehmungen beim Fehlen von Sinnesorganen ausfallen 6 und daß der Wahrnehmungsablauf im Gegensatz zur weithin willkürlichen Hervorbringung von Erinnerungen und PhantasieBildern zwangsläufig ist, 7 d. h. daß allein Wahrnehmungen in bestimmten, von der wahrgenommenen Welt abhängigen Verbindungen miteinander stehen, so daß unter bestimmten Umständen auch Voraussagen über zukünftige Wahrnehmungen möglich sind. 8 Durch Überlegungen wie diese kann nun allerdings nur die objektive Realität der einfachen Vorstellungen sichergestellt werden, denn nur einfache Vorstellungen werden nach Locke kausal durch die äußere Wirklichkeit in uns hervorgebracht. Aber immerhin gilt diese Begründung dann auch für die objektive Realität der sekundären Qualitäten 9 , d. h. für die uns gegebenen Färb-, Schall- und Geruchsqualitäten. Deren Charakter mag zwar durch die Art unserer sinnlichen Organisation entscheidend mitbedingt sein, sie können aber dennoch als Ausdruck von realen Vorkommnissen auf der Seite der Gegenstände gelten, 10 weil auch sie eben durch die Gegenstände, freilich im Zusammenwirken mit unserer Sinnlichkeit, hervorgerufen sind. Grundlegend anders verhält es sich dagegen mit sogenannten komplexen Vorstellungen (complex ideas) 11 . D a komplexe Vorstellungen im Gegensatz zu den einfachen Vorstellungen nicht als das Ergebnis einer äußeren Einwirkung auf unsere Sinnlichkeit angesehen werden können, können hier jene Überlegungen, die für die objektive Realität der einfachen Vorstellungen gelten, keine Anwendung finden. Komplexe Vorstellungen sind nach

4 5 6 I 8 9 10 II

ristische Ansatz von Locke (und Hume) am Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen scheitert. I 213 zusammen mit I 123. I 498, II 229. — Das ist übrigens ursprünglich genau auch Kants Meinung, vgl. oben S. 51. II 328. II 3 2 8 - 9 . II 331. Vgl. I 169-70. II 172. I 213ff. Vgl. Krüger 104ff.

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Die Erkennbarkeit von Sachzusammenhängen bei Locke und Hume

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Locke das Produkt unserer eigenen subjektiven verbindenden Tätigkeit, sie ergeben sich aufgrund von Verbindungshandlungen unseres Bewußtseins, durch die aus den einfachen Vorstellungen — als ihrem Material — die komplexen Vorstellungen erst nachträglich gebildet werden müssen.12 Deshalb können die komplexen Vorstellungen auch nicht ohne weiteres als verläßlicher Ausdruck von in Wirklichkeit bestehenden komplexen Sachverhalten gelten; die in ihnen subjektiv verbundenen einfachen Vorstellungen kommen objektiv nur getrennt voneinander vor und enthalten keine Anhaltspunkte für eine bestimmte subjektive Zusammenfügung. Trotz ihres faktischen, je nach den Umständen allerdings wechselnden Zusammenvorkommens, und obwohl in ihnen komplexe Sachverhalte jedenfalls gemeint sind, gehören einfache Vorstellungen in komplexen Vorstellungen also nicht automatisch auch objektiv zusammen. Dies führt Locke nun zu der Frage, ob nicht dennoch — ebenso wie die einfachen Vorstellungen — auch die durch uns erst zusammengefügten komplexen Vorstellungen wenigstens in bestimmten Fällen objektive Gültigkeit haben können, d. h. ob nicht wenigstens in einigen von ihnen objektive Sachverhalte richtig und zutreffend wiedergegeben sein können.13 Die Frage, die dann überhaupt charakteristisch ist für die Problemlage des englischen Empirismus und seines idealistischen Ansatzes, lautet also: mit welchem Grad von Sicherheit kann das Vorliegen von objektiven und notwendigen Sachverhalts-Verbindungen, die in unseren komplexen Vorstellungen jedenfalls gemeint sind, erkannt werden? Kann es hier überhaupt eine Erkenntnis geben? Lockes Antwort auf diese Frage fällt nun wie die Humes durch und durch skeptizistisch aus. Locke geht davon aus, daß wir die an-sich-seiende Wirklichkeit und die in ihr vorkommenden objektiven Verbindungen nicht unmittelbar, sozusagen unter Umgehung unserer Vorstellungen, in Augenschein nehmen können; deshalb können wir nicht wissen, ob bestimmte einfache Vorstellungen, wie sie z. B. im Begriff oder in der komplexen Vorstellung einer Substanz zusammengefaßt sind, auch in Wirklichkeit, d. h. objektiv und notwendig zusammengehören. Dazu müßten die einfachen Vorstellungen für sich, d.h. auf der Ebene der Vorstellungen selber, zwischen ihnen bestehende notwendige Verbindungen oder Unverträglichkeiten erkennen lassen, was aber gerade nicht der Fall ist. 14 Deshalb folgt, daß Ebd. Locke hält sich nicht immer an diese Bestimmungen; vgl. Krüger 21—2. " II 230 ff. 1 4 I 22, 255. 12

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

notwendige Verbindungen, wie sie zwischen den Dingen selbst und ihren Eigenschaften bestehen, für uns schlechterdings nicht erkennbar sind. 15 Dabei verwendet Locke allerdings einen Begriff von Erkenntnis, der insofern am Muster logischen und mathematischen Erkennens orientiert ist, als aus ihm die für alle Erfahrung charakteristische und grundsätzlich nicht aufhebbare Unsicherheit im Hinblick auf das Vorliegen komplexer Sachzusammenhänge zugunsten der Forderung nach absoluter Gewißheit prinzipiell ausgeschlossen ist. 16 Daneben gibt es bei Locke aber auch noch eine andere Art der Erkenntnis, nämlich die für praktische Belange ausreichende Erfahrungserkenntnis (experimental knowledge), 17 und in ihrem Rahmen läßt sich für die Zusammenfassung einfacher Vorstellungen zur Vorstellung von Substanzen, 18 dann immerhin eine objektive Realität, wenn auch minderen Ranges, behaupten. Freilich können dann z.B. Substanzen nicht mehr als notwendig mit einfachen Sachverhaltseigenschaften verbunden angesehen werden. Unsere Erkenntnisansprüche müssen vielmehr darauf eingeschränkt werden, daß in Substanzvorstellungen jeweils bloß ein (in der Vergangenheit) beobachtetes faktisches Zusammenvorkommen von einfachen Sachverhaltseigenschaften Ausdruck findet. 19 Die Rede von Substanzen bedeutet also in dieser Auffassung nur noch das Zusammenvorgekommensein von einfachen Sacheigenschaften, das Schlüsse auf zukünftige Sachverhalte gerade nicht mehr zuläßt. Dennoch ist in gewisser Weise bei dieser Auffassung die objektive Realität der einfachen Vorstellungen, d. h. die Tatsache, daß sie mit den Dingen übereinstimmen, auch auf ihre Verbindung übertragbar. Denn wenn man Substanzvorstellungen in dem von Locke vorgeschlagenen schwachen Sinn auffaßt, so sind sie mit genau demselben Grad von Sicherheit wie die einfachen Vorstellungen Ausdruck von „Sachverhalten". 20 Aber es ist klar, daß dadurch die in Substanzvorstellungen normalerweise gemeinte Zusammen15 16

17 18

19 20

II 220 ff. Er hängt also dem von Craig (S. 24 A n m . 2 1 ) so genannten „Einsichtsideal" an, das nach Craig zuerst von Hume in Frage gestellt worden wäre (S. 24). Letzteres ist wohl kaum der Fall; Krüger z . B . weist überzeugend nach, daß Humes skeptische Behandlung des Induktionsproblems dieses Einsichtsideal wesentlich voraussetzt (238, 267—8, vgl. unten S. 76). Nach Krüger (259) gehen die zentralen Schwierigkeiten des empiristischen Ansatzes auch bei Locke auf diese Orientierung am Ideal einer apodiktisch gewissen Sicherheit zurück, wie sie allenfalls für Ideen-Relationen zu erreichen ist. II 222, 256. Vgl. I 390—1. Substanzen werden nach Locke üblicherweise als Substrat oder Träger von Sacheigenschaften aufgefaßt, die sich in unseren einfachen Vorstellungen darstellen. I 395, 393. II 237, vgl. 230.

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Die Erkennbarkeit von Sachzusammenhängen bei Lqcke und Hume

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fassung von einfachen Sacheigenschaften in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit völlig ihren charakteristischen Sinn verliert. Von der Wirklichkeit bleibt uns in dieser Auffassung nur ein mosaikartiges und punktuelles, stets wechselndes oder wechseln könnendes Zusammenvorkommen von einzelnen Sacheigenschaften übrig, wobei man im übrigen bezweifeln muß, ob hier überhaupt noch von Sacheigenschaften die Rede sein kann. Jedenfalls wird die sich durchhaltende, festgefügte und gerade in ihren objektiven Zusammenhängen verläßliche Realität, die als solche für uns den fraglos gegebenen Boden alles Handelns in der Welt bildet, im strengen und grundsätzlichen Sinne bei Locke gerade unerkennbar. Dennoch scheint die Zusammenfassung von einfachen Vorstellungen zu Substanzvorstellungen trotz aller Vorbehalte auch für Locke immer noch größere Realität zu haben als irgendwelche beliebigen subjektiven Zusammenfassungen, in denen ebenfalls ein wirkliches, allerdings bloß zufälliges Zusammenvorkommen von einfachen Sachverhaltseigenschaften Ausdruck finden könnte, z . B . die nach dem Fahrplan erfolgende Zugabfahrt und der tägliche Pfeifton der Fabriksirene zur selben Zeit. Locke glaubt jedenfalls, daß er hier einen Unterschied machen könne, und er versucht, das plausibel zu machen durch den Hinweis darauf, daß richtig gebildete Substanzvorstellungen ein „Vorbild" in der Wirklichkeit hätten. 21 Aber diese Rede von einem Vorbild oder Muster (pattern) darf man konsequenterweise natürlich nicht so verstehen, als wenn wir es nach Locke hier schließlich doch noch mit einem Stück erkannter komplexer Wirklichkeit selber zu tun haben könnten und daß wir dementsprechend hier verläßliche Erkenntnisse mit Voraussage-Wert auch für zukünftige Erfahrungen haben könnten. Das würde dem ganzen Ansatz der Lockeschen Theorie widersprechen, denn danach können uns Verbindungen objektiv niemals gegeben sein. 22 . Die Annahme einer für sich bestehenden äußeren Wirklichkeit zusammen mit der Meinung, daß objektiv gültig immer nur einzelne einfache Vorstellungen sind, nicht aber auch ihre Verbindungen, führt Locke so zu dem Resultat, daß in der Naturerkenntnis, die es mit dem Auffinden von sich durchhaltenden Sachverhalten und nicht bloß mit dem Konstatieren des je singulären Vorliegens einzelner Sachverhaltseigenschaften zu tun hat, 21 22

II 236. Insofern kann es für Locke im Grunde solche patterns nicht geben. Daß er von ihnen redet, soll plausibel machen, daß man einen Unterschied machen könne zwischen Ideenzusammenfügungen „at the pleasure of our thoughts" (II 236) einerseits und solchen Zusammenfügungen, die etwas über die Wirklichkeit aussagen, und sei es auch nur in additiver Zusammenfassung; aber gerade das ist nach den Lockeschen Prämissen eigentlich ausgeschlossen.

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

ein wirkliches Wissen nicht zu erreichen ist. Hier gibt es, wie gesagt, nach Locke vielmehr immer nur Erfahrungserkenntnisse im Sinne der Feststellung, daß zu bestimmten Zeitpunkten einzelne Sachverhaltseigenschaften zusammen vorgelegen haben, und außerdem bloß das subjektive Vertrauen darauf, aber nicht die objektive Gewißheit, daß ein in der Vergangenheit festgestellter Zusammenhang solcher Eigenschaften in vergleichbaren Situationen wohl auch in Zukunft vorliegen dürfte. 23 Der daraus resultierende Skeptizismus läßt sich an Lockes Behandlung der Frage, ob neben den besonderen zusammengesetzten Vorstellungen von Substanzen auch allgemeine Vorstellungen von Substanzen („Gold überhaupt") objektive Realität haben können, noch weiter verdeutlichen. Im Rahmen der Untersuchung der Wahrheit von allgemeinen Sätzen 24 geht es Locke hier um das Problem, wie weit sich der Anwendungsbereich von allgemeinen Wörtern von Substanzen erstreckt; dabei setzt Locke voraus, daß Elemente von Klassen (species) von Natur aus dieselbe „reale Konstitution" oder dieselbe „reale Essenz" haben. 25 Aber offenbar können wir diese realen Essenzen ebensowenig wie die notwendige Verbindung von einfachen Sachverhaltseigenschaften in Substanzen wahrnehmen, und daraus ergibt sich auch hier wiederum, daß die Wahrheit von Sätzen über die realen Essenzen nicht entscheidbar ist, und zwar deshalb nicht, weil allein auf der Grundlage unserer Vorstellungen wir nicht wissen können, wie groß der Umfang der durch eine solche reale Essenz angegebenen Klasse ist. 26 Nun behauptet Locke zwar, daß es gerade die Annahme von realen Essenzen ist, die Unsicherheit in alle allgemeinen Sätze über Substanzen bringe, und er leitet daraus die Forderung ab, daß man, um zu einem sicheren Sprachgebrauch zu gelangen, unter der Spezies der Dinge nur ihre nominale Essenz verstehen dürfe. 27 Jedoch ist klar, daß dann entweder alle generellen

23

24 25

26

27

II 2 3 7 „Whatever simple ideas have been found to co-exist in any substance, those we may with confidence join together again." B o o k 4 ch. 6. II 2 3 5 . Genauer müßte es heißen, daß Locke in Hinblick auf die Annahme von realen E s senzen schwankt; vgl. unten Anm. 2 7 . II 235 heißt es in diesem Sinne: „Der Umfang dieser Klassen . . . ist so unbekannt, daß es ( z . B . ) unmöglich ist, mit Sicherheit zu behaupten, daß alle Menschen vernünftig sind oder daß alles Gold gelb ist". Mit dem Ausdruck „nominale Essenzen" will Locke darauf hinweisen, daß Klassen im Grunde erst von uns — mithilfe unserer subjektiven Allgemein-Vorstellungen und diesen entsprechenden „ N a m e n " — gebildet werden (II 86) und daß wir es in unserer Erkenntnis in jedem Falle immer nur mit solchen „nominalen" Klassen zu tun haben. Deshalb ist es nach L o c k e auch sinnlos, nach dem absoluten Wesen von etwas zu fragen, denn dieses ab-

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Die Erkennbarkeit von Sachzusammenhängen bei Locke und Hume

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Aussagen über Klassen wahr wären, aber auch trivial, nämlich aus Definitionen folgende analytische Sätze, oder aber, daß dieselbe Schwierigkeit wiederkehrt, die durch die Zulassung von lediglich nominalen Essenzen hatte ausgeräumt werden sollen. Denn die in nominalen Essenzen zusammengefaßten einfachen Vorstellungen stehen als unsere Vorstellungen nicht auch an sich in objektiven Verbindungen, wodurch allein eine Erkenntnis im strengen Sinne möglich wäre. Das weiß aber natürlich auch Locke, wenn er II 299 „ O f trifling propositions" sagt, daß alle generellen Sätze über Substanzen, soweit sie sicher sind, auch trivial sind, und daß ihnen umgekehrt, soweit sie nicht trivial sind, auch alle Sicherheit fehlt. 2 8 Das bedeutet also abermals, daß wir notwendige Verbindungen, von denen Locke annimmt, daß es sie in den Dingen als Eigenschaften ihrer realen Konstitution gibt 2 9 , nicht erkennen können. 3 0 Auf dem Gebiet der Naturerkenntnis gibt es deshalb nach Locke insgesamt nur ein bloßes Meinen, 3 1 denn, sagt Locke, „all general knowledge lies only in our own thoughts, and consists barely in the contemplation of our own abstract ideas". Was dagegen die Erkenntnis von allgemeinen Zusammenhängen der Wirklichkeit angeht, so muß man sich mit bloßer Wahrscheinlichkeit zufrieden geben, kann aber nicht Sicherheit erreichen. „Whence we may notice", heißt es bei Locke, „that general certainty is never to be found but in our ideas (nämlich in der Mathematik und Logik). Whenever we go to seek

28

29 30

31

solute Wesen müßte als unabhängig von unseren nominalen Klassifikationen bestehend gedacht werden, könnte als solches aber niemals erkannt werden. Vgl. in diesem Zusammenhang Kripkes Frage nach der Bedeutung von Ausdrücken für Arten, ,natural kinds', wie „Gold". Das Eigentümliche solcher Ausdrücke besteht darin, daß sie den Weitergang der Erfahrung nicht ausschließen, sondern im Gegenteil dafür gerade offen sind. Aber das setzt voraus, daß die realen Wesen, auf die wir uns mithilfe solcher Ausdrücke beziehen, zwar durch bestimmte (in unseren Begriffen enthaltene) Merkmale identifiziert werden können, daß sie aber in diesen Merkmalen prinzipiell nicht aufgehen. Deshalb liegt nichts Widersinniges in der Annahme, die Erfahrung könnte uns zeigen, daß Gold nicht gelb ist (Kripke 315 ff.). Nach Lockes (empiristischer) Auffassung von allgemeinen Wörtern für Klassen könnte es ironischerweise solche Erfahrungen gar nicht geben. Allerdings glaubt Krüger, bestimmte Äußerungen Lockes gerade als Aufforderung interpretieren zu können, eine neue und empiristische Theorie der Universalien zu entwerfen, in der „das Allgemeine an die Vorläufigkeit und Begrenztheit der Wahrnehmung gebunden bleibt" (Krüger 260). Vgl. II 260. Z.B. gilt: „Niemand, denke ich, kann aufgrund der Farbe eines Körpers mit Sicherheit wissen, welchen Geruch, Geschmack, Ton oder taktile Eigenschaften er hat, und auch nicht, welche Veränderungen er im Verhältnis zu anderen Körpern hervorrufen oder empfangen kann", II 259. II 263.

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

it elsewhere, in experiment or observations without us, our knowledge goes not beyond particulars. It is the contemplation of our own abstract ideas that alone is able to afford us general knowledge". 32 Daß damit noch nicht einmal von einer Gegenstandserkenntnis in dem Sinne die Rede sein kann, daß wir in unseren, sei es auch einzelnen und einfachen Vorstellungen, wie Locke sagt, eben Eigenschaften an Dingen oder an objektiven Sachverhalten erkennen, ist klar. 33 Von der an sich festgefügten und zusammenhängenden Wirklichkeit bleiben, wenn man Locke ernst nimmt, bloß einzelne verschwebende Eindrücke übrig, die freilich geregelt aufeinander folgen können und die auch in gegenseitige Verbindungen eintreten können, denen aber jeder Charakter des Festen und Wirklichen fehlt. Das natürliche und blinde Vertrauen in die Realität einer uns umgebenden, verläßlichen Wirklichkeit, in der wir uns handelnd orientieren können, kommt so bei Locke zwar noch als die Voraussetzung seiner erkenntnistheoretischen Untersuchungen zu ihrem Recht, nämlich als die Annahme einer für sich bestehenden Außenwelt, nach deren zutreffender Erkenntnis Locke fragt, aber zugleich wird dieses natürliche Vertrauen bei Locke bei der Beantwortung der Frage nach der Realität und Wahrheit von Vorstellungsverbindungen skeptizistisch als vollkommen irrational erwiesen. Damit ist bereits bei Locke das Hauptproblem des englischen Empirismus vollständig entfaltet, und deshalb kann man es auch nur als Zufall ansehen, daß im Hinblick auf die Möglichkeit der Erkennbarkeit von faktisch notwendigen Zusammenhängen für Kant gerade Hume und nicht Locke zum wegweisenden Vertreter des englischen Empirismus und Skeptizismus geworden ist. Daß für Kant Hume die entscheidende Rolle spielt, würde nach dem Bisherigen nur daran liegen, daß bei Hume das Problem der Erkennbarkeit von notwendigen Verbindungen in Gestalt des Kausalpro-

32 33

II 266. Es widerspricht jedem vernünftigen Begriff von Erfahrung, daß wir in ihr primär und ausschließlich nur einzelne Gegenstands- und Sacheigenschaften erkennen könnten. Entweder handelt es sich um eine „Erfahrung", in der unsere Vorstellungen gar nicht auf Gegenständliches bezogen sind, oder aber wir erkennen Objektives, dann aber stets auch Sachverhalte, also objektive Sacheigenschaften in objektiven Zusammenhängen. Genau das ist dann auch Kants Lösung: ohne den ursprünglichen synthetischen Zusammenhang der Vorstellungen nach dem Schema der Kategorien kann es für uns überhaupt keine Gegenstandserkenntnis geben, auch nicht von einzelnen Sacheigenschaften; wenn aber unsere Vorstellungen synthetisch zusammenstehen und wir Gegenständliches erkennen, dann immer auch Gegenstandszusammenhänge. Daß, wie Krüger nachzuweisen sucht, allererste Ansätze zu dieser Auffassung sich bereits bei Locke selber finden (208), erscheint mir sehr zweifelhaft.

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Die Erkennbarkeit von Sachzusammenhängen bei Locke und Hume

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blems thematisch in den Mittelpunkt der Erörterung gerückt ist. Aber in Wirklichkeit liegt gar nichts daran, daß es gerade das Induktionsproblem ist, anhand dessen Hume seinen Skeptizismus entwickelt. Denn schon in Lockes Behandlung des Substanzproblems ist sowohl die Struktur als auch die Strategie der Humeschen Kausalitätsargumentation vollständig expliziert; und darüber hinaus hat die Darstellung bei Locke den Vorzug, die besonderen phänomenalistischen Schwierigkeiten zu vermeiden, die sich bei Hume im Zusammenhang damit ergeben, daß er im Gegensatz zu Locke die Existenz von Gegenständen unabhängig von unseren Wahrnehmungen gerade leugnet. Andererseits läßt sich nun aber auch einsichtig machen, daß gerade in Gestalt der Leugnung der Unabhängigkeit des Wahrgenommenen von den Wahrnehmungen, wie sie sich bei Hume findet, eine Fassung des empiristischen Verbindungsproblems vorliegt, die die inneren Widersprüche und Inkonsequenzen des gesamten empiristischen Ansatzes besonders deutlich hervortreten läßt und die stärker noch als die Lockesche Version nach ihrer transzendentalphilosophischen Vertiefung verlangt. Denn zwar ist zunächst die Identifizierung von Wahrnehmungen und Wahrgenommenen bei Hume nichts anderes als nur eine ganz besonders krasse Form der Lockeschen These, daß uns stets nur einfache Vorstellungen gegeben sind, und insofern scheint es bei Hume ebenfalls allein um das Problem der faktischen Objektivität von VorstellungsVerbindungen zu gehen. Jedoch führt in der Konsequenz, mit der bei Hume der Atomismus zu Ende gedacht ist, der empiristische Ansatz gleichsam von selbst zum Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen, und vor allem darin dürfte dann über den wissenschaftstheoretischen Anstoß hinaus die besondere Bedeutung liegen, die gerade Hume für Kant hat. Wir gehen darauf ausführlich in Abschnitt 9 ein, wollen hier aber noch zeigen, wie im skeptizistischen Resultat hinsichtlich der Erkennbarkeit von notwendigen Zusammenhängen Hume mit Locke völlig übereinstimmt. Wie Locke geht auch Hume davon aus, daß in den Impressionen, in denen uns Gegenstände in der Wahrnehmung begegnen, uns vor allem in zeitlicher Hinsicht jeweils nur Einzelnes gegeben ist. Deshalb gehen wir mit der Behauptung des Vorliegens von zeitlichen Sachverhalten oder zeitlichen Zusammenhängen, die ja selber nicht an einzelnen Zeitpunkten lokalisierbar sind, immer schon über die Impressionen hinaus,34 aber das müssen wir

34

Vgl. Enqu. 26; vgl. dazu auch Bennett,

Locke, Berkeley, Hume 246.

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

auch, weil wir sonst überhaupt nicht in einer Welt von Gegenständen und objektiven Ereignissen leben würden, vielmehr auf immer in unseren je einzelnen Wahrnehmungen eingeschlossen wären. Ohne das Hinausgehen über das Zeugnis der Sinne und der Erinnerung könnte es für uns bestenfalls nur je punktuelle „Welten" und punktuelle Gegenstände geben, 35 aber dann könnten wir nichts von Gegenständen und Vorgängen wissen, die wir augenblicklich gerade nicht wahrnehmen,36 und wir könnten dann natürlich aus unseren Erfahrungen auch nicht lernen für ein andermal. Die Frage ist deshalb auch bei Hume, mit welchem Recht wir in unserer Erkenntnis dazu kommen, etwas Wirkliches anzunehmen, das als solches in unseren Impressionen nie vollständig präsent ist. In diesem Zusammenhang spielt eine ganz besonders wichtige Rolle die Ursache-Wirkungs-Verbindung. Auf sie gründet sich nach Hume alle Erkenntnis von etwas Faktischem, denn nur durch sie können wir schließlich über die Wahrnehmungen und über die Erinnerung hinausgelangen.37 Vor allem der Möglichkeit dieser Ursache-Wirkungs-Beziehung sind deshalb Humes erkenntnistheoretische Untersuchungen gewidmet.38 Dabei ist Hume nun zunächst am Problem interessiert, wie wir besondere Ursache-Wirkungs-Verhältnisse erkennen können, und insbesondere interessiert ihn die Frage, ob und wie wir uns des in allen solchen besonderen Verhältnissen gedachten notwendigen Zusammenhangs von Ursache und Wirkung versichern können. 39 Seine Antwort, die für Kant den eigentlichen Stein des Anstoßes bildet, lautet bekanntlich: durch Gewohnheit 40 . Wir bilden aufgrund des häufig beobachteten Zusammenvorkommens von Ursache und Wirkung die jederzeit enttäuschbare Erwartung aus, daß beim neuerlichen Eintreten der Ursache auch jetzt und in Zukunft die Wirkung folgen werde. Aber diese Erwartung sagt nicht über die Wirklichkeit selber aus, sie ist nach Hume auch nicht durch notwendige Zusammenhänge auf der Seite der wirklichen Dinge motiviert oder uns nahegelegt. Vielmehr legen umgekehrt wir die Kausalverknüpfung als notwendigen Sachzusammenhang in die Dinge hinein, 41 und deshalb hat die Idee einer notwendigen

35

Enqu. 42.

38

Vgl. Enqu. 2 6 : „ W h a t is the nature o f that evidence which assures us of any real existence and matter of fact, beyond the present testimony of our senses, or the records of our memory?"

39

Enqu. 2 7 f f . ; Tr. 7 7 f f „ 15 ff. Enqu. 43; T r . 97. Vgl. T r . 165: „ U p o n the whole, necessity is something, that exists in the mind, not in objects; n o r is it possible for us ever to form the most distant idea of it, considered as a

40 41

36

Tr. 74.

37

Enqu. 2 6 .

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Atomismus und Gestalttheorie

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Verknüpfung von Ereignissen auch keine objektive, sondern nur subjektive Realität. Damit haben wir auch hier wiederum einen vollständigen Skeptizismus hinsichtlich der Erkennbarkeit von Sachzusammenhängen. Auch Hume behauptet wie Locke die ausschließlich bloß subjektive Gültigkeit prätendierter objektiver Zusammenhangserkenntnisse, aber — und das ist besonders wichtig — es handelt sich hier gerade nicht um eine subjektive Gültigkeit, die bei genauerem Forschen und Hinsehen eliminierbar wäre, sondern um eine solche, die prinzipiell nicht aufhebbar ist. Damit stellt sich nun aber die Frage: Wie kommt es eigentlich zu diesem Ergebnis und welches sind die Gründe dafür, daß es immer wieder gleichsam mit Notwendigkeit erreicht wird? Denn so unbestreitbar richtig das skeptizistische Resultat im Hinblick auf die unaufhebbare Vorläufigkeit und prinzipielle Enttäuschbarkeit aller unserer empirischen Erkenntnis auch ist — daß wir nur Einzelnes, dagegen Sachzusammenhänge überhaupt nicht objektiv sollen erkennen können, will uns als völlig abwegig erscheinen. Wir müssen also fragen, ob Lockes und Humes skeptizistische Argumente wirklich schlüssig sind oder ob sie nicht an entscheidender Stelle von Annahmen abhängig sind, in denen sich das erkenntnistheoretische Verbindungsproblem zwar verdichtet, dabei aber seine Uberschaubarkeit und Durchsichtigkeit gerade auch verliert und deshalb irgendwie entgleist. Wir wollen im folgenden zeigen, daß es sich tatsächlich so verhält: bereits in den Frageansatz gehen bei Locke und Hume falsche Voraussetzungen ein, in denen das skeptizistische Resultat vorprogrammiert ist, ohne daß den fertigen Theorien noch unmittelbar anzusehen wäre, wo eigentlich ihr schwacher Punkt liegt.

8. Atomismus

und

Gestalttheorie

Wenn wir nach den Gründen für Lockes und Humes Skeptizismus fragen, so ist zunächst einmal klar, daß er unmittelbar daher rührt, daß sowohl Locke als auch Hume der Uberzeugung sind, als sichere Basis für die Orientierung in der Welt stünden uns ausschließlich einzelne und einfache quality in bodies", v o r allem Tr. 88: „Perhaps it will appear in the end, that the necessary connexion depends on the inference, instead of the inference's depending on the necessary connexion".

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

Vorstellungen zur Verfügung: da uns VorsteWxmgsv er bindun gen nicht gegeben sind, sondern letztlich nur eine subjektive Zutat darstellen, können Verbindungen in der Tat keine reale Objektivität haben. 1 Sie müssen als Ausdruck von in ihnen intendierten Sachverhaltszusammenhängen grundsätzlich unsicher bleiben, denn es gibt keine objektiven Kriterien, mit deren Hilfe wir zwischen der bloß subjektiven und der objektiven Realität von Vorstellungen entscheiden könnten. Unter der Voraussetzung, daß uns stets nur Einzelnes gegeben ist, daß aber Zusammenhänge prinzipiell nicht gegeben sein können, ist das skeptizistische Resultat unausweichlich, und die Frage ist daher, ob diese Voraussetzung zutrifft. Zunächst einmal könnte man nun die Meinung vertreten, daß das schon deshalb nicht der Fall ist, weil Locke und Hume im Widerspruch zu den Tatsachen stehen, nämlich zu jenen empirischen Befunden, auf die — gerade gegen den atomistischen Ansatz der Empiristen — immer wieder in der Gestalttheorie2 hingewiesen worden ist. Danach ist uns Einzelnes immer nur in Zusammenhängen gegeben, als Thema in einem Feld, als Figur auf einem Grund, oder wie immer man den Sachverhalt ausdrücken will, daß wir bereits am Anfang aller Wahrnehmung es stets mit gegliederten Ganzheiten zu tun haben und nicht, wie Locke und Hume annehmen, mit unstrukturierten und ungegliederten Mannigfaltigkeiten von Einzelelementen, die erst nachträglich zusammengefaßt werden müßten. Lockes und Humes Ansatz bei einfachen Vorstellungen wäre also schon empirisch falsch: ein Ganzes oder der Zusammenhang von Einzelnem ergibt sich nicht erst durch besondere Zusammenfassungsleistungen des Subjekts, Zusammenhänge sind uns vielmehr immer schon zusammen mit dem Einzelnen gegeben. Nur diese Tatsache macht ja z.B. die bekannten geometrisch-optischen Täuschungen verständlich, in denen die gleiche Reizkonstellation je nach dem Kontext ganz verschieden aufgefaßt werden kann, wie etwa die in der Lipp'schen Täuschung verwendeten objektiv-parallelen Geraden, die in einer geeigneten ganzheitlichen Linienkonstellation dennoch schief zueinander liegen.3 In der von Locke und Hume vertretenen atomistischen Auffassung, nach der aller Zusammenhang des Einzelnen erst durch die verbindende Tätigkeit des Subjekts

1

2 3

Abgesehen natürlich von jenen, die ein in der Vergangenheit beobachtetes faktisches Zusammenvorgekommensein einfacher Vorstellungen ausdrücken; aber gerade sie stellen darin ja auch keine Erkenntnisansprüche. Zur Gestalttheorie insgesamt vgl. die umfassende Darstellung Metzgers. Vgl. etwa Rausch 806.

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Atomismus und Gestalttheorie

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hervorgebracht wird, gibt es für solche Täuschungsphänomene keine vernünftige Erklärung, die ohne weit hergeholte Zusatzhypothesen auskommen könnte. Schon das bloße Figurensehen muß hier unverständlich bleiben, denn nach Voraussetzung darf die verbindende Tätigkeit des Subjekts an dem Einzelnen ja nicht einmal einen Anhalt dafür finden, es so und nicht vielmehr anders zu verbinden. 4 Das ist zunächst einmal ein grundsätzlicher Einwand gegen den Atomismus insgesamt. Es läßt sich aber auch im besonderen z. B. gegen Humes Behandlung der Kausalität einwenden, daß schon im schlichten Wahrnehmen von etwas, insofern darin eine Beziehung auf Nichtwahrgenommenes liegt, immer auch relativ unbestimmte, aber auf nähere Bestimmung durch weitere Wahrnehmungen angelegte kausale Zusammenhänge antizipiert sind. Deshalb gehört, wie Husserl gezeigt hat, zu jeder Wahrnehmung, und zwar auch zu der Wahrnehmung von einzelnen Dingen, eine von ihr unabtrennbare „Induktion", 5 und diese Induktivität schon des schlichten alltäglichen Wahrnehmens läßt sich anders, als H u m e es will, gerade nicht als das Resultat einer subjektiven Leistung begreifen. Sie baut nicht auf der Wahrnehmung des isolierten Einzelnen auf, sondern liegt, als in der Passivität der Gegenstandshinnahme gegeben, allen höherstufigen aktiven Kausalsynthesen, wie sie z. B. in den Wissenschaften geleistet werden, zugrunde. 6 Ohne sie könnte ein Einzelnes für sich, dessen Beziehung zu anderen Einzelnen erforscht werden soll, überhaupt nicht begegnen. Darüber hinaus zeigen die Untersuchungen von Michotte, daß es entgegen Hume, der sich vergeblich um das Auffinden von Kausalwahrnehmungen bemüht hat, 7 tatsächlich sogar so etwas wie eine „impression causale" gibt. Das bedeutet, daß Kausalzusammenhänge unmittelbar anschaulich gegeben sein können und daß sie nicht in jedem Falle auf eine nachfolgende Interpretation zurückgehen. Aus Stoßexperimenten, die Michotte vorgenommen hat, ergibt sich jedenfalls, daß das Fortgestoßenwerden eines Ge-

4

5 6

7

Wenn dennoch Locke davon spricht, daß „einige unserer Vorstellungen eine natürliche Ubereinstimmung und Verbindung miteinander h a b e n " (I 529), so läßt sich daran gut ablesen, daß auch für Lockes eigenes Empfinden sein ursprünglicher Ansatz sich nicht gut durchführen läßt. Husserl, Erf. und Urteil 28. Mit Husserl kann man deshalb sagen, daß „ d i e Induktion im gewöhnlichen Sinne einer Schlußweise . . . bei ihrer wirklich verstehenden Aufklärung zurückgeführt auf die originale und ursprüngliche Antizipation. Von dieser aus muß also eine wirkliche .Theorie der Induktion' (um die man sich viel und so vergeblich bemüht hat) aufgebaut werden", ebd. Enqu. sect. 7.

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

genstandes bei der Annäherung eines anderen (sog. Lancement-Effekt) unmittelbar als ganzheitliche und anschauliche „Gestalt" erfahren wird, 8 und das bedeutet, daß der hier vorkommende Kausalzusammenhang gerade nicht zu den einzelnen Wahrnehmungen von Annäherung und Fortbewegung als deren „Bedeutung" erst nachträglich hinzugedacht wird. 9 Freilich ist Hume insofern Recht zu geben, als gewiß nicht alle bestimmten Kausalzusammenhänge, und auch nicht der Lancement-Effekt, völlig unabhängig von aller vorausgegangenen Erfahrung unmittelbar wahrnehmbar sind. Es ist keineswegs so, daß alle bestimmten Kausalzusammenhänge einfach passiv gegeben sein könnten. Auch die von Michotte angeführten negativen und paradoxen Fälle von Kausalitätswahrnehmung, d. h. das Ausbleiben von Kausalitätswahrnehmungen im Fall des den Versuchspersonen bekannten Bestehens von Kausalzusammenhängen, sowie das Vorkommen von Kausalitätswahrnehmungen, die im Widerspruch zur täglichen Erfahrung stehen 10 , schließen nicht aus, daß die Kausalitätswahrnehmungen nicht auftreten würden, wenn die Versuchspersonen nicht über ein bestimmtes Erfahrungswissen verfügten. Tatsächlich sind ja auch, jedenfalls bei den von Michotte unternommenen Versuchen, von Kindern unter vier Jahren überhaupt keine positiven Kausalantworten mehr zu erhalten. 11 Das hängt sicher auch damit zusammen, daß die bei solchen Versuchen stets schon vorausgesetzten Realkategorien (beharrender Gegenstand, objektive Zeit, objektiver Raum, Kausalität) erst im Verlaufe der kindlichen Intelligenzentwicklung „erarbeitet" werden, und zwar gerade nicht unabhängig von der Wahrnehmung bestimmter Objekt- und Kausalverhältnisse. Da also die Kausalkategorie nicht unabhängig von allem Erkenntniserwerb an einem bestimmten Punkt der kindlichen Intelligenzentwicklung einfach fertig ausgebildet zur Verfügung steht, sind Kausalitätswahrnehmungen nicht unabhängig von allen vorausgehenden Erfahrungen, die wir mit und an der Welt machen. Insofern weist Hume ganz zu Recht auf die wichtige Rolle hin, die die Erfahrung für das Zustandekommen der Wahrnehmung von bestimmten Kausalzusammenhängen spielt, und es ist auch zutreffend, wenn er dabei die besondere Bedeutung vor allem auch der Gewohnheit hervorhebt, kraft derer — und zwar aufgrund von Erfahrungen — wir allein ja wohl bestimmten Zusammenhängen ihren Kausalcharakter unmittelbar „ansehen" dürften. 8 9 10 11

Michotte, Perception 83. Ebd. Michotte, Kausalitätswahrn. 964. Michotte, ebd. 963.

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Atomismus und Gestalttheorie

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Aber dennoch bleibt bestehen, daß uns die Wahrnehmung von Zusammenhängen und von Ganzheiten bestimmt nicht möglich wäre, wenn nicht alle Wahrnehmungen von Anfang an durch elementare Antizipationen von noch nicht Gegebenem geführt würden, d. h. wenn nicht doch Zusammenhänge von Anfang an, so wie es die Gestalttheorie behauptet, zum ursprünglich Gegebenen selber mitdazugehörten. Solche Zusammenhänge sind anfänglich zwar höchst global und unbestimmt, und sie müssen deshalb durch die Erfahrung differenziert und korrigiert werden. Aber sie müssen dennoch zunächst einmal überhaupt da sein, damit etwas Wirkliches in seinen Zusammenhängen jemals entdeckt werden kann. Gehörte alles Einzelne in der Wahrnehmung nicht ursprünglich stets schon zusammen, so ließe es sich bloß aufgrund von Gewohnheitsbildungen nicht nachträglich in beständigen Gestalten organisieren. Entgegen dem Atomismus der Skeptizisten ist uns also keineswegs nur Einzelnes gegeben. Alles Einzelne begegnet uns vielmehr immer schon in Zusammenhängen, und das bedeutet, daß wir auch die Welt insgesamt immer schon als gegliederte und in Zusammenhängen gegebene haben, d. h. als Korrelat von ausgebildeten und eingefahrenen Verstehensschemata. Solche Verstehensschemata haben in der fraglosen Selbstverständlichkeit, mit der wir sie anwenden, oder besser noch: mit der sie sich selbst anwenden, den Charakter gleichsam angeborener Richtigkeit, unabhängig von allen vorausgegangenen Erfahrungen. Aber natürlich kann man und muß man gegenüber dieser eher statischen Betrachtung der uns jeweils zur Verfügung stehenden Mittel und Schemata einer gelingenden Welterkenntnis auch den eher „dynamischen" Gesichtspunkt der Akkomodation unserer Erkenntnis an die Wirklichkeit berücksichtigen, und gerade das tut der Empirismus. In ihm kommt zur Sprache, daß wir aus Erfahrungen auch lernen können, und zwar auch im Hinblick auf die erforderlichen Veränderungen unserer Verstehens-Schemata selber, die in der ausgebildeten Form, in der sie dem Erwachsenen zur Verfügung stehen, ja nicht von Anfang an bestehen. Sie bilden sich durch Differenzierung vielmehr auch um, und sie bilden sich auch neu heraus — und zwar geschieht das, wie es der Empirismus will — gerade unter dem Einfluß der Erfahrung, in der sich insofern gegen alle vertrauten und eingefahrenen Zusammenhänge immer auch ein ganz Neues, noch nicht in unsere Verstehens-Schemata Inkorporiertes durchsetzen kann. Dennoch ist aber festzuhalten, daß darin keine Rechtfertigung des Empirismus in der Form des von Locke und Hume vertretenen Atomismus liegen kann. Dieser Atomismus ist empirisch falsch, weil Zusammenhänge uns grundsätzlich gegeben sind

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

und nicht erst durch uns einem an sich ungeordneten und chaotischen Mannigfaltigen von Einzelnem aufgeprägt und aufgezwungen werden müssen. Aufgrund dieser Überlegungen kann man sagen, daß der Skeptizismus im Hinblick auf die objektive Realität von Vorstellungsverbindungen daraus entsteht, daß der an sich berechtigte Ansatz beim Lernen aus der Erfahrung einseitig verabsolutiert ist. Der Gesichtspunkt der kritischen Umgestaltung gegebener Zusammenhänge — das Motiv aller wissenschaftlichen Differenzierung und Sonderung des Zufälligen vom Wesentlichen an den Naturerscheinungen — ist hier so dominierend, daß er zur Leugnung des Gegebenseins von objektiv gültigen Zusammenhängen überhaupt führt. Dennoch ist für Kant der Atomismus nicht aus diesem Grunde widerlegt, und das hängt damit zusammen, daß der Atomismus in der Humeschen und Lockeschen Gestalt nicht nur eine empirische Theorie des Gegebenseins ausschließlich des Einzelnen ist. Wichtig ist vielmehr, daß mit dieser These zugleich Ansprüche verknüpft sind im Hinblick auf die Lösung von erkenntnistheoretischen Problemen. Dementsprechend ist für Kant der Atomismus auch nur als eine solche falsche erkenntnistheoretische Position hinfällig. Daß der Atomismus gerade als erkenntnistheoretische Position nicht zu halten ist, ergibt sich — wie wir im folgenden zeigen wollen — aber nicht daraus, daß er im Widerspruch steht zu bestimmten empirischen Befunden, sondern zu bestimmten erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, die in ihn eingehen, nämlich der Annahme, daß jedenfalls unsere einfachen und vereinzelten Vorstellungen objektive Gültigkeit — und deshalb erst recht auch intentionale Gegenstandsbeziehung haben. Es ist dieser Widerspruch, auf den Kant in der Auseinandersetzung mit der Assoziationstheorie von Locke und Hume aufmerksam wird, und unabhängig von den empirischen Gründen, die sich von der Gestalttheorie her ergeben, dürfte schließlich auch allein in der Entdeckung dieses Widerspruchs und des darin liegenden Hinweises auf die kategorialen Voraussetzungen der Erfahrung die besondere Bedeutung liegen, die die Lockesche und Humesche Assoziationstheorie für die Erarbeitung und Ausbildung einer transzendentalen Synthesis-Theorie bei Kant hat.

9. Die intentionale

Gegenstandsbeziehung

einfacher

Vorstellungen

Das Ergebnis des vorigen Abschnitts — empirische Falschheit des Atomismus, zugleich aber auch Einseitigkeit der gegenteiligen These der Gestalttheorie — ist für unseren Zusammenhang deshalb wichtig, weil es zeigt,

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Die intentionale Gegenstandsbeziehung einfacher Vorstellungen

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daß man bei der Beurteilung des Atomismus als einer erkenntnistheoretischen Position grundsätzlich hinter die Problematik, die durch die Kontroverse von Atomismus und Gestalttheorie bezeichnet ist, zurückfragen muß. Worauf es ankommt, ist vielmehr, die gemeinsame erkenntnistheoretische Grundvoraussetzung sowohl des Atomismus als auch der Gestalttheorie herauszustellen und zu fragen, ob diese Voraussetzung zutreffend ist. Es handelt sich dabei — wie bereits erwähnt — um die Annahme, daß wir es — unabhängig vom Ausgang der Auseinandersetzung um das Gegebensein des Einzelnen — bei dem Einzelnen jedenfalls immer mit Gegenständen oder mit Eigenschaften an Gegenständen und objektiven Sachverhalten zu tun haben; oder anders ausgedrückt: daß wir mit einzelnen isolierten Vorstellungen — noch vor und außerhalb ihrer Verbindung zu komplexen Vorstellungen — etwas Gegenständliches überhaupt meinen können. — Indem man fragt, ob das tatsächlich der Fall ist, wird die zunächst selber noch empirische Auseinandersetzung über das Gegebensein von Sachzusammenhängen allererst zu einer erkenntnistheoretischen Untersuchung der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, und zwar der Erfahrung im Sinne des Habens überhaupt von Welt. Erst im Zusammenhang der Frage nach der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen ergibt die Alternative von ursprünglicher Zerstreutheit oder ursprünglicher Verbundenheit unserer Vorstellungen den Gesichtspunkt, unter dem sich die Frage stellt, ob es — entgegen dem Atomismus — nicht immer schon einer ursprünglichen Zusammengehörigkeit unserer Vorstellungen bedarf, damit sie sowohl in ihrem Zusammenhang als auch einzeln überhaupt irgendetwas bedeuten können. Tatsächlich ist letzteres der Fall, und es ist sehr aufschlußreich, daß sich das gerade am empiristischen Programm von Locke und Hume gut zeigen läßt, nämlich durch den Nachweis, daß dieses Programm auf einem grundlegenden Widerspruch beruht: die beiden Voraussetzungen, die für Lockes und Humes Ansatz kennzeichnend sind, die Behauptung der Getrenntheit von einzelnen Vorstellungen einerseits und die Behauptung der (intentionalen) Gegenstandsbeziehung solcher getrennten Vorstellungen andererseits sind nicht miteinander verträglich. Es ist nämlich so, daß unsere Vorstellungen auch als einzelne dann, wenn sie etwas Gegenständliches bedeuten sollen, im Sinne einer möglichen gemeinsamen Bestimmung von Sachverhalten kategorial aufeinander verweisen müssen und daß deshalb umgekehrt das Fehlen der Gegenstandsbeziehung gerade darauf hinausläuft, daß sie nicht in kategorialen Verweisungszusammenhängen stehen. So ist z. B. in der äußeren Wahrnehmung

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eines Gegenstandes oder eines objektiven Zuges der Wirklichkeit dieser nicht gegeben und gemeint bloß insofern (und soweit), als er anschaulich erfüllt präsent ist, oder, um mit Husserl zu sprechen, nur im „Wie seines Gegebenseins". In den Wahrnehmungssinn eines Gegenständlichen und Wirklichen ist vielmehr die Tatsache, daß es durch gegenständlich und kausal mit ihm verbundene Umstände näher-, aber auch andersbestimmt werden kann, stets schon eingegangen, und deshalb begegnet uns niemals etwas Gegenständliches als etwas im strengen Sinne nur Einzelnes. Das Wahrnehmen ist anders, als Hume es will, wenn er Wahrnehmung und Wahrgenommenes miteinander identifiziert, nicht bloß die wirkliche Darstellung des je gerade jetzt Gegebenen, sondern in eins damit auch ein leeres Indizieren, ein Verweisen, das selber nicht anschaulich erfüllt ist, auf mögliche andere Wahrnehmungen desselben Gegenstandes, und entsprechend ist das jeweils Wahrgenommene selber stets auch als ein System von Verweisungen gegeben. Es enthält als gegenständlich Wahrgenommenes Hinweise auf seine mögliche Näherbestimmung durch gegenständlich mit ihm Zusammenhängendes, auch Hinweise auf andere zu ihm gehörige Aspekte, es ist umgeben von einem gegenständlichen Horizont bestimmbarer Unbestimmtheit, von auszufüllender Leere. 1 Dabei hat der „Bewußtseinshof", innerhalb dessen alle einzelnen Wahrnehmungen vorkommen, in seiner anschaulichen Leere die Funktion, auf kategorial bestimmte Weise Regeln für den Ubergang zu möglichen weiteren Wahrnehmungen desselben Gegenstandes vorzuschreiben. Der Anblick der Vorderseite z. B. eines Tisches verweist in sich, als relatives Leerbewußtsein, auch auf unsichtige Seiten des Tisches. Mögen diese Verweisungen auch mehr oder weniger unbestimmt sein, so ist damit, wie Husserl sagt, in „vorgreifender Intention" 2 doch jedenfalls antizipiert, daß die Rückseite objektiv irgendwie gefärbt und irgendwie körperlich gestaltet ist. In jeder, auch der vereinzelten, Wahrnehmung eines Gegenstandes liegt so der Hinweis auf andere Wahrnehmungen, z. B. desselben Gegenstandes, die die erste näher bestimmen können, sie allerdings auch als Trugwahrnehmung oder bloße Einbildung erweisen können. 3

1 2 3

Husserl, Pass. Synth. 3—6. Ebd. 7. Diese „Horizontstruktur" unseres Bewußtseins und insbesondere unseres gegenständlichen Bewußtseins hat immer wieder Husserl herausgestellt, vgl. außer Pass. Synth, etwa Cartes. Med. 81 ff., 9 6 f . ; Ideen II 33ff.; Erf. und Urteil 26ff. Darauf ist auch sonst in der phänomenologischen Philosophie — und zwar gerade gegen den Atomismus — häufig hingewiesen worden, vgl. etwa Heidegger, Sein und Zeit § 18 über Bewandtniszusammenhänge, in denen (als letztlich universalpragmatischem Sinnkontext) uns alles einzelne begegnet.

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Daraus erklärt sich, weshalb in einer atomistischen Theorie, die von der ursprünglichen Zerstreutheit und Getrenntheit von einzelnen Vorstellungen einerseits und zugleich von ihrer intentionalen Gegenstandsbeziehung andererseits ausgeht, der intentionale Bezug der Vorstellungen auf ein in ihnen gemeintes wirkliches Gegenständliches letztlich zweifelhaft werden muß. Indem die atomistische Theorie von der fraglosen Gegebenheit einer in sich zusammenhängenden und sich mehr oder weniger unverändert durchhaltenden Wirklichkeit ausgeht, dabei aber nach dem Vorgehen der erklärenden Naturwissenschaften zu einzelnen und vor allem auch nicht mehr kategorial verbundenen Wahrnehmungen als den Elementen unseres gegenständlichen Bewußtseins gelangt, ist in ihr einerseits zwar auch für die einzelnen Vorstellungen noch deren Gegenstandsbeziehung ausdrücklich mitgedacht. Andererseits ist die Einzelnheit der Vorstellungen in ihr jedoch in so weitgehendem Maße und so konsequent behauptet, daß die Gegenstandsbeziehung der einzelnen unverbundenen Vorstellungen eigentlich immer in Gefahr ist, gänzlich verloren zu gehen. Die Inkonsequenzen und Undeutlichkeiten, die sich daraus zwangsläufig ergeben müssen, lassen sich sehr schön an Humes Behandlung der Frage darstellen, mit welchem Recht wir eigentlich an beharrende und von unseren Wahrnehmungen unterschiedene Gegenstände glauben. 4 Hume geht davon aus, daß ein solcher Glaube jedenfalls nicht durch die Sinne in uns gewirkt sein könne, denn damit die Sinne uns die Gegenstände als beharrende zeigen könnten, müßten wir die Gegenstände auch dann wahrnehmen können, wenn wir sie nicht wahrnehmen, und das wäre in der Tat, wie Hume sagt, eine „contradiction in terms". 5 Diese Überlegung, die voraussetzt, daß man unter Wahrnehmungen nur das je anschaulich erfüllte H a ben eines Gegebenen versteht, liefert also zunächst das Ergebnis, daß die

4

5

— In der analytischen Kant-Auslegung kommt der hier gemeinte Sachverhalt in der an Kants Objekt-Definition B 137 (vgl. A 106) orientierten Bestimmung des Begriffs vom Gegenstand als Regel für mögliche weitere Anschauungen zum Ausdruck (vgl. Bennett, Kant's Analytic 126—7; Strawson, Bounds of Sense 145; sowie Henrich, Identität und Objektivität 17 ff.). Strawson hat aber auch unabhängig von diesem Kontext die vorgängige Einheit des kategorialen framework unserer Erfahrung als notwendige Bedingung für alle Bezugnahme auf Gegenstände und Sachverhalte sehr anschaulich herausgearbeitet, vgl. Individuais. Vgl. auch Krüger 2 5 7 - 6 0 . Vgl. Treatise I 4, 2. Zu diesem Abschnitt sagt Bennett (Locke, Berkeley, Hume) treffend: „ H u m e ' s section entitled ,Of Scepticism with regard to the Senses' is his principal discussion of objectivity-concepts. It is extremly difficult, full of mistakes, and — taken as a whole — a total failure; yet its depth and scope and disciplined complexity make it one of the most instructive arguments in modern philosophy" (S. 313). Tr. 183.

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Eindrücke der Sinne nicht Bilder von etwas „Abgetrenntem", „Unabhängigem" oder Äußerem sind, denn nach Hume können die Sinne immer nur einzelne Perzeptionen liefern, und sie geben uns nicht den geringsten Hinweis auf etwas Darüberhinausgehendes.6 Für Hume folgt daraus weiter, daß Wahrnehmungen und Wahrgenommenes identisch sind, und deshalb setzt nach Hume der Glaube an die Existenz von beharrenden Gegenständen, die von unseren Wahrnehmungen unabhängig sind, geradezu den Widerspruch voraus, nicht daß bloß das Wahrgenommene, sondern daß die Wahrnehmungen eine vom Wahrnehmen unabhängige und verschiedene Existenz haben. 7 Der Humesche „Beweis" für die Identität von Wahrnehmungen und Wahrgenommenem ist allerdings seltsam genug, und befremdlich daran ist vor allem, daß Hume diese Identität mit Hinweisen zu begründen sucht, die für das normale Verständnis sämtlich gerade die Mc&ridentität von Wahrnehmungen und Wahrgenommenem belegen würden. Denn alles, was Hume zur Stützung seiner Position anführt, z. B. Veränderungen der Wahrnehmungen beim Druck auf ein Auge, Größenveränderungen in Abhängigkeit von Änderungen der Betrachtungsentfernung und schließlich Wahrnehmungsveränderungen bei bestimmten Krankheiten, 8 wird man üblicherweise gerade als Beweise dafür ansehen, daß Wahrnehmungen und Wahrgenommenes eben nicht identisch sind. Was sich bei Hume als die Behauptung der Identität von Wahrnehmungen und Wahrgenommenem darstellt, beruht denn in Wahrheit auch gar nicht auf einem Beweis, sondern ist im Grunde nur die Entfaltung der erkenntnistheoretisch wichtigen Implikation der Lockeschen These, daß ursprünglich uns stets nur einfache Vorstellungen gegeben sind. Diese These bedeutet, wenn man sie mit Hume konsequent zuende denkt, tatsächlich, daß uns eigentlich nur die jeweils anschaulich erfüllten Anblicke von etwas gegeben sind und daß allein diese Anblicke auch dasjenige sind, was jeweils in unseren Wahrnehmungen ausschließlich gemeint ist. 9 Denn nur für sol-

6 7 8 9

Tr. 189. Tr. 2 1 0 - 1 . Tr. 2 1 0 - 1 . Wir hätten es hier also mit sog. „Qualia" zu tun, für die es jeweils nur eine richtige „Prädizierung" gäbe (vgl. Henrich, Identität und Objektivität 32ff., bes. 36f.), nämlich die ganz horizontlose, nicht auf mögliche weitere und andere Gegebenheitsweisen verweisende Konstatierung ihres Vorliegens hic et nunc. Wir werden unten (Abschn. 14) eine ganze Reihe von wirklich vorkommenden Phänomenen und Zuständen anführen, die sich durch eine solche in ihnen realisierte Identität von „esse" und „percipi" kennzeichnen lassen.

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che Wahrnehmungen, die ihrem Sinne nach nicht mehr enthalten, als was jeweils gerade in ihnen gegeben ist, in denen also niemals z. B. zeitliche Zusammenhänge wie das Dauern von etwas über den Wahrnehmungsaugenblick hinaus gegeben sind, kann man behaupten, daß sie stets als einzelne gegeben sind. Dagegen ist es nicht nachvollziehbar, daß mit Veränderungen der Wahrnehmung, wie sie H u m e anführt, jeweils auch das Wahrgenommene geändert wird, wenn wir darunter etwas Gegenständliches verstehen. Ganz im Gegenteil gehört es zum Sinn eines gegenständlich gemeinten Wahrgenommenen, also zum wahrgenommenen Ding oder zum wahrgenommenen objektiven Sachverhalt, daß er konstituiert ist als etwas, das von den zufälligen subjektiven Wahrnehmungsänderungen (Perspektivenwechsel, Wahrnehmungsunterbrechungen etc.), d. h. allgemein von Änderungen seiner Gegebenheitsweise, gerade unabhängig ist. Gerade das findet, wie bereits erwähnt, ja auch ganz richtig seinen angemessenen (allerdings mit den sonstigen Prämissen nicht zu vereinbarenden) Ausdruck in Lockes Voraussetzung einer an sich bestehenden Wirklichkeit, die in unseren Vorstellungen abgebildet wird. Dagegen macht H u m e prinzipiell ernst mit der These, daß unsere Wahrnehmungen einzeln sind und daß Zusammenhänge uns nicht gegeben sind, und gerade deshalb ist im Hinblick auf die Beurteilung des empirischen Atomismus und seiner inneren Widersprüche Humes Position auch um so vieles lehrreicher als die Lockes. D a s läßt sich gut vor allem anhand der Frage verdeutlichen, ob und wie es H u m e gelingt, die Identifizierung von Wahrnehmungen und Wahrgenommenem wirklich konsequent durchzuhalten. Tatsächlich nämlich gelingt ihm dies keineswegs, schon das Vorkommen von „objektiven" Impressionen, 10 denen allein wir im Gegensatz zu subjektiven Gefühlen eine „distinct and continued existence" zusprechen, zwingt ihn zu dem Eingeständnis, daß entgegen der Behauptung, daß alle Impressionen innere und vergehende Existenzen sind und auch so erscheinen, 1 1 sie nicht sämtlich in ihrem Dasein von der Wahrnehmung abhängen. Das heißt, daß nicht alle Impressionen darin aufgehen, je gegenwärtig im Bewußtsein aufzutreten und wieder zu verschwinden. Vielmehr verweisen sie aufeinander, und wenn H u m e sagt: „ N a c h kurzer Untersuchung werden wir finden, daß alle jene Objekte, denen wir eine fortgesetzte Existenz zuschreiben, eine eigentümliche Beharrlichkeit aufweisen, die sie von jenen Impressionen unter10 11

Tr. 194. Ebd.

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scheidet, deren Existenz von unseren Wahrnehmungen abhängt", 1 2 so ist also auch er der Meinung, daß die objektiven Impressionen (oder die mit ihnen identischen Gegenstände) jedenfalls anders von der Wahrnehmung abhängen als die bloß „subjektiven" affektiven Bewußtseinsvorkommnisse oder die je gegenwärtig anschaulich erfüllten „Anblicke" von etwas. Aufschlußreich sind die Gründe, aus denen nach Hume dieser Unterschied zu machen ist. Er soll sich nämlich außer aus der eben erwähnten Beharrlichkeit (constancy) solcher Impressionen vor allem aus dem geregelten Zusammenhang 13 von Impressionen ergeben, den Hume als Ursache für unseren Glauben an die Existenz der Außenwelt anführt. Hume denkt hier an Veränderungen der Wirklichkeit, die nach bestimmten Regeln erfolgen, also z. B. daran, daß nach längerer Abwesenheit man ein anfänglich hell loderndes Kaminfeuer heruntergebrannt wiederfindet. 1 4 In der Tat ist der geregelte Zusammenhang von Vorstellungen Indiz für ihre Objektivität, aber daß man eine nach Regeln erfolgende Veränderung überhaupt konstatieren kann, setzt ja doch voraus, daß man die Vorstellung von dem anfangs hell brennenden und von dem hernach heruntergebrannten Feuer irgendwie miteinander identifiziert, nämlich sie als im selben Gegenstand zusammengehörig auffaßt. Gerade dadurch dementiert man aber ihre horizontlose und kategoriale Vereinzeltheit und Zerstreutheit, und darin ist impliziert, daß in den Wahrnehmungen mehr gemeint ist, als nur das, was jeweils gerade in ihnen anschaulich erfüllt gegeben ist. Die Rede von der Erhaltung von Erscheinungen trotz der Veränderung der Vorstellungen setzt also voraus, daß die Wahrnehmungen einen Gegentand meinen, der von seiner jeweiligen Gegebenheitsweise unterschieden ist, d. h. der sich in den einzelnen wahrgenommenen Aspekten zwar darstellt, der sich darin aber gerade nicht erschöpft. Würde man dieses Bezogensein der Wahrnehmungen auf streng genommen Nicht-Gegebenes, bloß Gemeintes nicht voraussetzen, so könnte von der Konstanz und geregelten Veränderung von Gegenständen (oder Wahrnehmungen, wie Hume es will) schlechterdings nicht die Rede sein. Man hätte es dann nur noch mit (jeweils ganz neuen und anderen) bloßen Wahrnehmungen zu tun, und auch alle zwischen ihnen bestehende Ähnlichkeit würde es nicht erlauben, in ihrer Abfolge mehr zu sehen als bloß ein von dem Wahrnehmen nicht unterscheidbares Schauspiel, das letztlich für uns nichts bedeuten würde.

12 13

14

Ebd. Vgl. Treatise 195: „coherence" und „regular dependence on each other".

Tr. 197.

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Die Rede von einer an wirklichen Beharrungs- und Veränderungsphänomenen verdeutlichten Konstanz und Kohärenz der Wahrnehmungen setzt also voraus, daß die Wahrnehmungen eine Beziehung auf Gegenstände aufweisen, und zwar auf Gegenstände, die gerade nicht mit den jeweils gehabten anschaulich erfüllten Wahrnehmungen zusammenfallen. Rein für sich, in ihrer Bedeutung beschränkt auf das, was anschaulich erfüllt in ihnen gegeben ist, würden die Wahrnehmungen fremd nebeneinander stehen, und sie hätten in gegenständlicher Hinsicht nichts miteinander zu tun — wie es z. B. tatsächlich der Fall ist in bestimmten pathologischen Zuständen und Verläufen, aber auch beim Einschlafen. 15 Allenfalls in solchen und ähnlichen Fällen ließe sich davon sprechen, daß das Wahrgenommene mit den Wahrnehmungen identisch ist. Aber es ist wichtig festzuhalten, daß gerade dann wegen des in gegenständlicher Hinsicht nur noch getrennten Vorkommens von einzelnen Wahrnehmungen wir es eigentlich auch nicht mehr mit Gegenständen und Sachverhalten zu tun hätten, nämlich in dem Sinne, daß diese zu einer für sich bestehenden, von ihrem Wahrgenommenwerden unabhängigen Wirklichkeit gehören. Indem Hume, um die Vorstellung einer an sich seienden, dauernden und unabhängigen Außenwelt abzuwehren, Wahrnehmungen und Wahrgenommenes einfach identifiziert und indem er dabei unter Wahrnehmungen nur je vereinzelte Bewußtseinsvorkommnisse versteht, die nicht auf dem Umweg über in ihnen gemeinte, aber von ihnen unterschiedene Gegenstände auch aufeinander verweisen, dürfte er also eigentlich von einem geregelten Zusammenhang einzelner dieser Vorstellungen gar nicht reden, und zwar auch dann nicht, wenn er gerade damit eine seines Erachtens falsche Meinung erklären will. Denn dieser Zusammenhang der Vorstellungen ist äquivalent mit ihrem Bezogensein auf beharrende Gegenstände und auf eine für sich bestehende Wirklichkeit als unterschieden von unserem subjektiven Tun. Der Zusammenhang der Vorstellungen ist nicht etwas, das im Hinblick auf die Existenz oder Nicht-Existenz von Gegenständen neutral wäre und das man, wie Hume es tut, u. a. auch zur Erklärung des nach seiner Meinung falschen Glaubens an die Existenz von Gegenständen heranziehen könnte. Vielmehr gehören Vorstellungszusammenhang und Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen wesentlich zusammen, so daß auch umgekehrt gilt, daß Vorstellungen, die „einfach" sind, die also getrennt und isoliert vorkommen und die nach Voraussetzung auch nicht geregelt miteinander zusammenhängen, keine Gegenstandsbeziehung aufweisen. Allein diese 15

Vgl. unten A b s c h n . 14.

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Gegenstandsbeziehung gestattet es, von der „Konstanz" und dem geregelten Zusammenhang von Vorstellungen zu sprechen. 1 6 Der Grundwiderspruch des Lockeschen und Humeschen Empirismus in der Erkenntnistheorie ergibt sich also daraus, daß beide davon ausgehen, daß einzelne, einfache Vorstellungen auch als isolierte und voneinander getrennte Bewußtseinsvorkommnisse intentionale Gegenstandsbeziehung haben; 1 7 sonst könnten die Vorstellungen erst recht nicht Wahrheit beanspruchen in der Abbildung der als an sich seiend vorausgesetzten Wirklichkeit oder, da Hume eine für sich bestehende Wirklichkeit leugnet, in der Darstellung des in ihnen Gemeinten. Die Frage, die sich dem Empirismus stellt, ist dann, ob auch die in zusammengesetzten Vorstellungen intendierten Sachverhalte, also beharrende Gegenstände, Substanzen als Träger von Eigenschaften, Relationen zwischen einzelnen Gegenständen oder Kausalzusammenhänge, objektiv richtig erkannt werden können. Aber diese Frage läßt sich auf einem sehr elementaren Niveau, so wie es hier geschieht, gar nicht vernünftig stellen, weil nämlich das Haben eines Gegenständlichen immer bedeutet, daß es in kategorialen Zusammenhängen begegnet, und weil umgekehrt die radikale Aufhebung solcher Zusammenhänge gerade auf die Aufhebung der gegenständlichen Bedeutung der Vorstellungen hinausläuft. Die Problemstellung des Empirismus widerspricht in ihrer Präsupposition, daß isolierte und getrennte Vorstellungen intentionale Gegenstandsbeziehung haben (und daß nur die objektive Realität von zusammengesetzten Vorstellungen im Sinne ihrer Wahrheit zweifelhaft ist), also sich selbst. Das bedeutet natürlich nicht, daß man nicht ohne Widerspruch nach der Wahrheit von komplexen Sätzen fragen könnte. Natürlich kann man das, aber eben nicht unter der Voraussetzung, daß über die Wahrheit und die intentionale Gegenstandsbeziehung von vereinzelten und einfachen Vor16

Nur unter der Voraussetzung der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen kann auch von den .Widersprüchen' die Rede sein, von denen Hume Tr. 196 spricht. Vgl. Bennett (Locke, Berkeley, Hume): „The notion of,contradiction' has no place here unless I already accept a large body of theory: the proposition that I inhabit a world of objects, many hypotheses about their general behaviour, and some hypotheses of the form 'I have perceptions of kind K only when in the presence of objects of kind K + . ' Given all this, and some particular perception, I may have to postulate the existence of an unperceived o b j e c t . . . on pain of contradiction. But Hume's examples are supposed to illustrate the kind of thinking which underlies The Belief as a whole, and down to that level a ,perception' cannot threaten to contradict anything" (S. 324).

17

Um mit Strawson zu sprechen: in der Voraussetzung der Gegenstandsbeziehung einzelner Vorstellungen liegt die Annahme eines conceptual scheme, das zugleich (durch die generelle Leugnung der Objektivität von Vorstellungsverbindungen) abgelehnt wird; vgl. Individuais 35.

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Stellungen schon unabhängig davon entschieden sei. Umgekehrt bedeutet die Tatsache, daß uns Einzelnes stets in Zusammenhängen begegnet, auch nicht, daß wir deshalb stets die ganze Wirklichkeit, d. h. sie in allen ihren Zusammenhängen kennen müßten. D e r Zusammenhang, in dem uns das Wirkliche begegnet, ist kein aktualer Zusammenhang, vielmehr ein Horizont „bestimmbarer Unbestimmtheit", 1 8 in dem allerdings gewisse Wege möglicher Bestimmung vorgezeichnet sind, so daß nicht alles möglich ist. Gerade wegen dieses Charakters der Unbestimmtheit, in der uns das meiste in der Wirklichkeit gegeben ist, sind uns die Zusammenhänge — und überhaupt alles, was sich nicht im Augenblick anschaulich erfüllt darbietet — aber auch nur auf stets enttäuschbare Weise gegeben. Insofern ist das skeptizistische Resultat, zu dem Locke und Hume gelangen (wenn auch nicht seine Herleitung), im wesentlichen auch ganz richtig. In der Tat können wir nie sicher sein, daß wir z. B. substantielle Zusammenhänge wirklich erkannt haben, d. h. daß unsere Erkenntnis sich auch in Zukunft bewährt, und ebensowenig können wir sicher sein, daß wir Kausalzusammenhänge richtig erkannt haben, mag sich unser Glaube daran auch bisher noch so sehr bewährt haben und allen wissenschaftlichen Widerlegungsversuchen standgehalten haben. Aber dennoch läßt sich einsichtig machen, daß ohne jenes meinende, kategorial strukturierte Hinausgehen über das je aktual Gegebene ein G e genständliches, als unterschieden von unserem jeweiligen Tun und als eigenständiges Moment der von unserem Verhalten unterschiedenen Situation, überhaupt nicht vermeinbar wäre und sich als solches von unserem Tun Unterschiedenes auch nicht thematisieren ließe. Genau dies ist nun der Punkt, den Kant in seiner Auseinandersetzung mit dem Empirismus zu klären vermag und von dem aus er dann auch seine eigene transzendentale Position in der Erkenntnistheorie entwickelt. 1 9 Zwar ist Kant ohne Zweifel auch an einer Widerlegung der skeptizistischen wissenschaftstheoretischen Implikationen des englischen Empirismus interessiert, d. h. an der positiven Lösung des Problems der Möglichkeit einer

18 19

Husserl, Pass. Synth. 6. Das läßt sich sagen, obwohl — wie Wolff, Kant's Debt to Hume, gezeigt hat (S. 123) — Kant wahrscheinlich mit dem wichtigen Abschnitt des Treatise „ O f scepticism with regard to the senses" gar nicht bekannt war. Die Tatsache, daß Kant das Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen mit großer Deutlichkeit gerade auch im Rahmen seiner Erörterung der 2. Analogie aufgreift (vgl. oben S. 49), zeigt, daß auch für Kant die Leugnung des Kausalzusammenhangs der Erscheinungen zu ihrer Entwirklichung führen würde.

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

objektiven Erkenntnis von faktisch notwendigen Zusammenhängen, die als solche in der Erfahrung nicht gegeben werden können. Aber der eigentlich wichtige Punkt ist dennoch nicht dieser, sondern der hier herausgearbeitete Widerspruch in den Voraussetzungen des Empirismus, durch den Kant zuerst auf das wichtige Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer empirischen Vorstellungen hingewiesen worden ist. Kants Transzendentalphilosophie, die u. a. im Nachweis besteht, daß die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen ihr Zusammenstehen in einem vorgängigen und ursprünglichen kategorialen Zusammenhang voraussetzt, nämlich in der „ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption", erweist sich so im Hinblick auf das Problem der Möglichkeit des Habens von Welt unmittelbar als das Resultat der Auseinandersetzung mit dem englischen Empirismus. Das wollen wir im folgenden nun im einzelnen nachweisen, und zwar wie es erforderlich ist, jetzt im Ausgang von Kants Kennzeichnung des ursprünglichen Zusammenhangs der einzelnen Vorstellungen und ihrer Synthesis gerade durch den Gegensatz zu einer bloßen Assoziation von Vorstellungen, als welche Hume und Locke die Verbindung von Vorstellungen aufgefaßt haben. 20

10. Assoziation

und Synthesis als faktische

Verbindungen

Bevor wir im folgenden zeigen, wie Kant sich mit dem empiristischen Ansatz auseinandersetzt, um Klarheit über seine eigene Position gerade in dieser kritischen Auseinandersetzung zu gewinnen, ist zunächst noch einmal daran zu erinnern, daß Kant zum kategorialen Problem der Möglichkeit der Erfahrung, als des vermeinenden Habens überhaupt von Welt, auf dem Weg über die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori gelangt. Indem Kants leitende Frage immer die nach der Gegenstandsbeziehung qua Wahrheit bestimmter reiner Verstandesbegriffe bleibt, entscheidet deshalb von vornherein das Problem der faktischen Objektivität unserer Erkenntnis immer mit darüber, in welchem Maß von Eigenständigkeit andere Probleme, die erst aus Anlaß dieses Problems auftreten, sich unbehindert entfalten können. 1

20 1

Vgl. Hume, Enqu. sect. 3 Uberschrift. Vgl. oben Abschn. 5.

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Assoziation und Synthesis als faktische Verbindungen

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Im Hinblick auf Kants Auseinandersetzung mit der empiristischen Assoziationstheorie muß das zur Folge haben, daß in ihr auch die Assoziation von Vorstellungen funktional durchaus zweideutig bestimmt ist. Nach dem Ergebnis der Untersuchungen Lockes und Humes ist die Assoziation — in Kantischer Auffassung — nämlich zunächst einmal eine faktisch zufällige und faktisch subjektive Vorstellungsverbindung, d. h. sie führt zu „ E r kenntnissen", die nicht faktisch objektiv und nicht faktisch allgemeingültig sein können. Vorausgesetzt ist dabei allerdings, daß die Vorstellungen als einzelne und auch in ihrem Zusammenhang intentionale Gegenstandsbeziehung haben, d. h. daß wir in ihnen meinend auf die Wirklichkeit bezogen sind. Wenn man diese Voraussetzung nicht macht, sondern wie Kant nach der Möglichkeit der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen fragt, ergibt sich aber ein ganz anderes Bild: die bloße Assoziation von Vorstellungen, die, wie Kant sich zu zeigen bemüht, für sich selbst die intentionale Gegenstandsbeziehung nicht zu leisten vermag, kann danach gerade nicht faktisch subjektiv und faktisch zufällig sein, sondern sie ist kategorial subjektiv. Wir dürfen deshalb von vornherein erwarten, daß je nach der vorherrschenden Fragerichtung Kant die „Assoziation" der Empiristen auf nicht eindeutige Weise unterschiedlich charakterisiert und daß dabei wegen des Fehlens terminologischer Unterscheidungen die faktischen Bestimmungen sich gegenüber den kategorialen Bestimmungen immer wieder in den Vordergrund schieben werden. 2 N u n ist es sehr aufschlußreich — und das stützt die These, daß Kant seine transzendentale Theorie gerade auch in der Zweideutigkeit ihres An2

Tatsächlich werden im allgemeinen in der Kant-Literatur die Subjektivität und Zufälligkeit von Assoziationsverbindungen im Gegensatz zur Objektivität und Notwendigkeit der transzendentalen Synthesis und deren Einheit im Sinne faktischer Bestimmungen aufgefaßt; so bei Jansohn, für den „das .Gesetz' der Assoziation gerade das Gesetz des Zufalles, aus objektivem Blickwinkel also gar kein Gesetz ist" (S. 228). Ebenso faßt Walsh Assoziationsgesetze im Gegensatz zu allgemeingültigen Naturgesetzen als solche auf, die nur für „particular individuals" gelten (S. 90, vgl. 139). Bei Patzig ist die Assoziation eine Verbindung mehrerer Vorstellungen in eine „subjektive Einheit", die zur Konstitution der einen und konsequent vereinheitlichten Erfahrungswelt nicht ausreicht (S. 63). Nach Wolff, Kant's Theory of Mental Activity, käme es für Kant darauf an, gegen Hume den Unterschied zwischen unbegründeten (bloßen) Assoziationen und solchen Assoziationen anzugeben which „are backed up by, or .grounded in', objective connections" (S. 163—4). Dagegen kommt bei Vleeschauwer neben der vorherrschenden faktischen Auffassung (vgl. II 310) auch noch eine andere, vielleicht kategoriale Auffassung vor (III 145—6), ohne daß Vleeschauwer auf diesen Unterschied weiter einginge. — Wohl als eine in unserem Sinne kategorial zufällige und subjektive Einheit ist dagegen die Assoziationseinheit bei Henrich, Identität und Objektivität 25 gefaßt.

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

satzes in der Auseinandersetzung mit der Assoziations-Theorie Lockes und Humes erarbeitet hat —, daß diese Zweideutigkeit bei deutlichem Ubergewicht der faktischen über die kategorialen Bestimmungen sich auch in Kants Bestimmung des Wesens der transzendentalen Synthesis wiederfindet, und zwar gerade dort, wo Kant diese Synthesis der bloßen Assoziation von Vorstellungen gegenüberstellt. Die Besonderheit des Kantischen Ansatzes führt also dazu, daß nicht nur die Assoziation von Vorstellungen, sondern zusammen mit der Assoziation auch die transzendentale Synthesis zugleich in zwei sich gegenseitig eigentlich ausschließenden Rollen begegnet. Beide, sowohl Assoziation als auch transzendentale Synthesis, sind einerseits als faktische und andererseits als kategoriale Verbindungen gefaßt, und nirgends deutlicher als gerade hierin erweist sich deshalb, wie außerordentlich groß die Bedeutung ist, die gerade Hume und dem englischen Skeptizismus für die Ausbildung von Kants Transzendentalphilosophie zukommt. Es ist klar, daß der Gesichtspunkt einer faktischen Notwendigkeit, die die Erfahrung und alle Empirie für sich nicht liefern können, naturgemäß dort besonders im Vordergrund steht, wo Kant sich ausdrücklich mit H u mes Theorie der Kausalität auseinandersetzt, nämlich an der Stelle A 764/ B 792 ff. Kant referiert hier knapp den Humeschen Standpunkt, wonach synthetische und zugleich apriorische Erkenntnisse nicht möglich sind; nach Hume handelt es sich überall dort, wo angeblich apriorische Erkenntnisse und apriorische Vernunftprinzipien vorliegen, in Wirklichkeit nur um auf die Erfahrung zurückgehende Gewohnheitsbildungen, also um „bloß empirische, d. i. an sich zufällige Regeln" (A 765/B 793). Das Problem, wie man mit einem Begriff einer Sache etwas verbinden könne, was nicht im Begriff enthalten ist, und wie man dementsprechend in einem gültigen Urteil einen Zusammenhang zwischen einer Sache und bestimmten nicht analytisch zu ihr gehörigen Bestimmungen aussagen kann, ist deshalb für Hume auch immer nur auf dem Wege über die Erfahrung lösbar, was aber bedeutet, daß Zusammenhänge nie notwendige sein können. Genau dagegen wendet sich nun Kant. Für ihn gibt es neben dem erfahrungsgeleiteten und erfahrungsabhängigen „Herausgehen" aus dem Begriff einer Sache zu einem anderen, mit ihm verbundenen Begriff — und dies ist ein Herausgehen, das auch für Kant an dieser Stelle nur „zufällige, gar nicht objektive Verbindungen geben kann" (A 767/B 795) — noch ein apriorisches „Herausgehen". Allerdings ist dieses apriorische Herausgehen nicht unmittelbar möglich, sondern nur auf dem Umweg über ein Drittes, nämlich „mögliche Erfahrung", aber gerade deshalb läßt sich hier dann auch das

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Assoziation und Synthesis als faktische Verbindungen

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Vorliegen einer notwendigen Verbindung oder Verknüpfung zweier Begriffe, z. B. der Begriffe der Ursache und Wirkung, behaupten. Solche Verbindungen sind notwendig, weil sie erfahrungsunabhängig sind, denn sie machen nach Kant ihrerseits die Erfahrung erst möglich. Ein solches Herausgehen gestattet also, mit einer durch bloße Erfahrung nicht zu rechtfertigenden Sicherheit und Gewißheit einen streng gesetzmäßigen Zusammenhang der Erscheinungen zu behaupten, z. B. daß bestimmten Ereignissen (etwa dem Schmelzen des Wachses) „etwas vorausgegangen sein müsse (z. B. Sonnenwärme), worauf dieses nach einem beständigen Gesetz gefolgt ist, ob ich zwar", sagt Kant, „ohne Erfahrung, aus der Wirkung weder die Ursache noch aus der Ursache die Wirkung a priori und ohne Belehrung der Erfahrung bestimmt erkennen könnte" (A 766/B 794). Auch nach Kants Meinung ist es also zufällig, daß Wachs bei Sonneneinstrahlung schmilzt und Ton gehärtet wird, und ganz gewiß sieht Kant es nicht als die Leistung des Subjekts und einer dem Subjekt zu verdankenden Verbindungshandlung an, daß solche zufälligen Zusammenhänge bestehen oder nicht. 3 Aber deshalb darf man im Sinne Kants dennoch nicht, wie Hume es tut, davon ausgehen, daß solche zufälligen, weil empirischen Verbindungen alles wären, was sich von der in der Kausalitätsverbindung gedachten notwendigen Verknüpfung mehrerer Ereignisse allein retten läßt. Die durch das Herausgehen aus dem Begriff eines Dinges „auf mögliche Erfahrung" als gültig zu erweisende, streng notwendig geregelte „Affinität" der Erscheinungen ist keineswegs nur eine „Regel der Assoziation", „die bloß in der nachbildenden Einbildungskraft angetroffen wird, und nur zufällige, gar nicht objektive Verbindungen darstellen kann" (A 766—7/B 794—5). In dieser Auffassung wäre verkannt, daß die transzendentale Synthesis notwendig dafür ist, daß wir in der Erfahrung überhaupt etwas Gegenständliches erkennen können, und daß sie deshalb eben keine „Synthesis der Gegenstände wirklicher Erfahrung" ist. Als eine solche könnte sie freilich nur empirisch sein, die transzendentale Synthesis ist aber eine „notwendige", d. h. nicht-empirische Verknüpfung, und zwar deshalb, weil sie als Prinzip der Affinität ihren Sitz im Verstände hat (ebd.). Es ist an dieser Auseinandersetzung mit Hume gut ablesbar, wie im Ausgang vom Problem der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori der Begriff der Notwendigkeit einer Vorstellungsverbindung, die auf einer transzendentalen Synthesis beruht, zunächst ganz nach dem Muster von Assoziationsverbindungen aufgefaßt ist. Wenn wir durch die Assoziation 3

Vgl. zur Frage des Gegebenseins oder Gemachtseins von Verbindungen unten Abschn. 12.

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

von Vorstellungen bloß empirische Zusammenhänge „nachbilden" oder „reproduzieren" — also in einer Assoziationsregel z. B. den Umstand festhalten, daß zufällig Wachs schmilzt und Ton gehärtet wird, wenn man sie starker Sonneneinstrahlung aussetzt —, so wird dagegen der von Kant herausgestellte „notwendige" Charakter einer transzendentalen Synthesis, die dem reinen Verstand angehört, eben bloß als der, weil nichtempirische, auch nicht-zufällige, vielmehr faktisch notwendige Zusammenhang von Vorstellungen aufgefaßt. An die Stelle einer faktisch zufälligen Regel tritt so ein faktisch notwendiges Gesetz, auch wenn im Einzelfall nicht entschieden werden kann, wie dieses Gesetz näher aussieht, da man über die bloß formale Bestimmung hinaus, daß hier überhaupt ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen den Erscheinungen besteht, ja nicht sagen kann, was das Gesetz eigentlich vorschreibt. Aber dennoch ist es auch klar, daß wir es bei Kant und Hume schließlich mit sehr verschiedenen Ebenen der Untersuchungen zu tun haben. Seinen deutlichen Ausdruck findet das darin, daß nach Kants Meinung Hume Untersuchungen bloß in der „wirklichen" Erfahrung anstellt, wogegen Kant selbst, wie er betont, sich mit den Problemen „möglicher" Erfahrung, d. h. mit solchen der Möglichkeit der Erfahrung, befaßt. In der „wirklichen" Erfahrung haben wir es immer schon mit Gegenständen oder gegenständlichen Ereignissen und Sachverhalten zu tun, nach deren Zusammenhängen wie bei Hume in empirischen Untersuchungen gefragt wird. Dagegen ist die transzendentale Untersuchung, die Kant anstellt, in dem Sinne nicht empirisch, als sie auf die Voraussetzungen abzielt, die erfüllt sein müssen, damit man überhaupt empirische Fragen stellen kann. Hierin kommt zum Ausdruck, daß Kants transzendentale Wendung tatsächlich dadurch zustandekommt, daß er nach den Voraussetzungen des empiristischen Problems der Verbindung von einzelnen Vorstellungen fragt; daran ändert sich auch nichts dadurch, daß diese transzendentale Wendung — als der Versuch einer direkten Widerlegung des Skeptizismus — immer auch auf die Gewinnung von inhaltlichen, und zwar gerade apriorischen Einsichten über die Natur abzielt. Indem allerdings beides stets zugleich gemeint ist, liegt hier jener Doppelsinn vor, wie wir ihn als kennzeichnend für Kants Auffassung des Erfahrungsproblems insgesamt herausgestellt haben. Durchaus geprägt durch diesen Doppelsinn sind nun auch Kants Bemühungen in der 1. Auflage der „Kritik", die Synthesis von Vorstellungen und ihre Einheit allgemein durch ihren Gegensatz zu einer bloßen Assoziation von einzelnen Vorstellungen zu kennzeichnen, und charakteristisch sind hier vor allem Kants Ausführungen über die „Synthesis der Reproduktion

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der Einbildung" an der Stelle A 100f. Kant führt hier die „notwendige synthetische Einheit" der Vorstellungen, insofern sie auf einer reinen und transzendentalen Synthesis im Gegensatz zur Assoziation beruht, geradezu als dasjenige ein, was die „empirische Synthesis der Reproduktion", also die Assoziation von Vorstellungen, allererst möglich macht. Leitend ist dabei die Überlegung, daß die Reproduktion ein empirisches Gesetz voraussetzt, „nach welchem Vorstellungen, die sich oft gefolgt oder begleitet haben, miteinander endlich vergesellschaften, und dadurch in eine Verknüpfung setzen, nach welcher, auch ohne die Gegenwart des Gegenstandes, eine dieser Vorstellungen einen Ubergang des Gemüts zu der anderen, nach einer beständigen Regel, hervorbringt" (A 100).

Die Gültigkeit dieses Gesetzes seinerseits hat aber zur Voraussetzung, daß die Dinge, von denen hier die Rede ist, tatsächlich nach Regeln zusammenhängen und daß nicht statt dessen völlige Willkür in der Abfolge und im Zusammenhang der Erscheinungen herrscht, und genau dies soll nun nach Kant dadurch garantiert sein, daß die Vorstellungen, die wir haben, synthetisch, und zwar notwendig miteinander verbunden werden. Allein dadurch würden jene Regellosigkeit und jenes Chaos ausgeschlossen, die ihrerseits alle assoziative Reproduktion unmöglich machen würden. Es ist ganz auffällig, wie Kant hier die transzendentale Synthesis zunächst stets auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Leistungen im Hinblick auf die faktische Regelmäßigkeit und Gesetzlichkeit der Erscheinungen würdigt. Das gilt aber nicht weniger auch für jene Stellen, an denen Kant das synthetische Verbundensein der Vorstellungen — als die Voraussetzung dafür, daß es überhaupt so etwas wie die „empirische Regel der Assoziation" geben kann — als die „Affinität" der Erscheinungen begreift. Kant versteht darunter die Eigenschaft der Erscheinungen, „unter beständigen Gesetzen (zu) stehen, und darunter auch gehören (zu) müssen" (A113), und ausdrücklich behauptet Kant auch von dieser Affinität, daß sie das Resultat einer transzendentalen Synthesis und Verbindung ist, die für alle Erkenntnis von Gegenständen erforderlich und notwendig ist. Als Identität des Selbstbewußtseins müsse sie, wie Kant sagt, „notwendig in die Synthesis alles Mannigfaltigen der Erscheinungen, sofern sie empirische Erkenntnis werden sollen, hineinkommen" (A 113), denn ohne sie würde ein völliges Durcheinander der Erscheinungen herrschen müssen. Für Kant ist es natürlich wichtig, daß diese Affinität — als die Voraussetzung der empirischen Assoziation — selber gerade nicht ein Zusammenhang der Erscheinungen nach empirischen Gesetzen sein kann, der faktisch

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auch ganz aijders aussehen könnte. Vielmehr handelt es sich hier um einen bloß formalen Zusammenhang der Erscheinungen, d. h. um ihre sog. „transzendentale Affinität", von der die „empirische Affinität" die bloße Folge ist, wie Kant sagt (A 114). Aber dennoch trägt diese transzendentale Affinität ebenso wie das Kausalitätsprinzip unverkennbar noch faktisch notwendige und faktisch objektive Züge, und zwar deshalb, weil sie der bloßen Assoziation der Vorstellungen von Kant eben vor allem gerade unter dem Gesichtspunkt von deren faktischen Bestimmungen entgegengesetzt wird. Diese Unentschiedenheit und Mehrdeutigkeit ist übrigens der Grund dafür, daß hier ebenfalls nicht deutlich werden kann, in welchem Verhältnis zueinander die bestimmten empirischen Gesetze oder die empirische Affinität der Erscheinungen einerseits und die bloß formale Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen, ihre transzendentale Affinität, andererseits denn nun eigentlich stehen, d. h. wie die „Folge"-Beziehung genauer aussieht, die nach Kant zwischen beiden bestehen soll. Zunächst einmal würde die Tatsache, daß die transzendentale Affinität nur Ausdruck der „formalen" Einheit des Selbstbewußtseins ist (vgl. A 105), die Auffassung nahelegen, daß wir es hier überhaupt nicht mit einem faktisch-notwendigen Zusammenhang der Erscheinungen zu tun haben. Dann wäre durch die Einheit des Selbstbewußtseins also nur ein quasigesetzmäßiger Zusammenhang von der Art produziert, von dessen Vorliegen man vielleicht auch dann sprechen könnte, wenn zwischen den mannigfaltigen Vorstellungen faktisch notwendige Zusammenhänge gar nicht bestehen. Dafür spricht, daß Kant A 111 einen Zusammenhang von Vorstellungen nach empirischen Begriffen, der doch für sich durchaus gesetzmäßig wäre, als bloß ein „Gewühle von Erscheinungen" bezeichnen kann, das immer dann gegeben wäre, wenn dieser Zusammenhang sich nicht zugleich auf einen „transzendentalen Grund der Einheit" gründen würde. Hier ist vorausgesetzt, daß durch die transzendentale Vereinigung von Vorstellungen der nach empirischen Begriffen artikulierte Zusammenhang der Erscheinungen in sachlicher Hinsicht jedenfalls nicht geändert würde. Was die transzendentale Einheit der Erscheinungen, ihre transzendentale Affinität, allein bewirkt oder wofür sie verantwortlich ist, wäre vielmehr ausschließlich die Tatsache, daß die Vorstellungen Beziehung auf Gegenstände haben (vgl. A 111), denn gerade dadurch würden aus den bloß „gedankenlosen" Anschauungen „Erkenntnisse" werden. Dieser besondere Zusammenhang zwischen transzendentaler und empirischer Affinität der Erscheinungen, der also gerade nicht die faktische Ge-

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regeltheit und Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen betrifft, scheint auch A 111 herausgestellt zu sein, wenn Kant die Kategorien — als Hinsichten oder allgemeiner als Funktionen, denen gemäß die Apperzeption in der Synthesis der Erscheinungen „allein ihre durchgängige und notwendige Identität a priori beweisen kann" (A 112) — als die „Bedingungen des Denkens in einer möglichen Erfahrung" (A 111) einführt. Das bedeutet, daß es nicht erst durch die Kategorien oder durch die transzendentale Affinität der Erscheinungen möglich würde, Begriffe zu bilden — etwa deswegen, weil erst durch die transzendentale Affinität eine inhaltliche Gleichförmigkeit und Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen als Voraussetzung aller Begriffsbildung zustande käme. Die transzendentale Affinität würde es vielmehr nur ermöglichen, faktische Gleichförmigkeiten, d. h. die empirische Affinität der Erscheinungen und die ihr entsprechenden Begriffe in der Erfahrung zur Erkenntnis von Gegenständen und Sachverhalten zu verwenden, weil erst durch die Kategorie es möglich ist, „Objekte überhaupt zu den Erscheinungen zu denken" (A 111). Als ein bloß formaler Zusammenhang wäre sie also keineswegs ein zwar sehr allgemeines, aber letztlich doch inhaltlich zu verstehendes faktisch-gesetzmäßiges Verknüpftsein von Vorstellungen. Vielmehr müßte die Apperzeptionseinheit aufgrund ihres bloß formalen Charakters als bloß eine Art kategorialer „Sinnzusammenhang" von Vorstellungen aufgefaßt werden, d. h. als Grundlage eines solchen Aufeinanderverwiesenseins der Vorstellungen, das sogar mit faktischen Brüchen und Diskontinuitäten auf der Seite der Dinge verträglich wäre und das deshalb in jedem Falle auf einer ganz anderen Ebene liegt als bestimmte faktische Zusammenhänge der Erscheinungen, seien diese auch noch so allgemein und deshalb „formal". Gegenüber solchen faktischen Zusammenhängen wäre die Formalität der transzendentalen Affinität der Erscheinungen angemessen allein zu kennzeichnen unter dem Gesichtspunkt der möglichen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen, wobei freilich als Gegenstandsbeziehung nur die intentionale in Frage käme. Tatsächlich jedoch gestattet es der Kantische Text nicht, daß man die transzendentale Affinität im Gegensatz zur empirischen Affinität, die ihrerseits ganz gewiß nur den empirisch erforschbaren faktisch gesetzmäßigen Zusammenhang der Erscheinungen bedeutet, ausschließlich kategorial kennzeichnen kann. Zwar ist nicht zu bezweifeln, daß die eben genannten Züge zur Kennzeichnung der transzendentalen Affinität mit hinzugehören, es ist aber auch unverkennbar, daß sie für sich zur vollständigen Kennzeichnung nicht hinreichen. Auch an den genannten Stellen schlägt das Problem der Möglichkeit nicht nur der Erfahrung überhaupt, sondern gerade der ge-

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setzmäßigen Erfahrung, die uns faktisch notwendige Zusammenhänge zu erkennen geben könnte, stets so durch, daß die transzendentale Affinität von Kant immer auch als Garant und als Voraussetzung für den faktisch geregelten Zusammenhang der Erscheinungen in Anspruch genommen wird und daß sie selber deshalb teilweise immer auch einen solchen faktisch notwendigen Zusammenhang der Erscheinungen repräsentiert. Nur so läßt sich ja überhaupt die Disposition des Abschnitts „2. Von der Synthesis der Reproduktion in der Einbildung" (A 100) mit der Frage nach dem Grund für jene faktische Regelmäßigkeit der Erscheinungen verstehen, die unmittelbar auf das Problem einer faktischen „notwendigen synthetischen Einheit" der Erscheinungen verweist (A 101). Diese implizite Orientierung an faktisch notwendigen Zusammenhängen zeigt vor allem auch die Auseinandersetzung mit den Assoziationisten, die Kant an den Stellen A 112-3 und A 120 ff. führt. So ist A 112-3 ausdrücklich gefragt, wie die Assoziation als „empirische" Regel, d. h. als bloß komparativ allgemeingültige, möglich ist, oder anders ausgedrückt, wie es als ein „Gesetz der Natur" bewiesen werden könne, daß die Erscheinungen hinsichtlich ihrer Reihenfolge „dermaßen unter Regeln (stehen), daß niemals etwas geschieht, vor welchem nicht etwas vorhergehe, worauf es jederzeit folge" (A 113). Bereits die Fragestellung setzt voraus, daß die transzendentale Affinität der Erscheinungen, die Kant als den Grund für die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen einführt, selbst ein irgendwie inhaltlicher, wenn auch sehr allgemeiner faktisch gesetzlicher Zusammenhang sein muß. Am besten läßt sich dieser Sachverhalt aber an der zusammenhängenden Behandlung A 120 ff. verdeutlichen, der Kategoriendeduktion „von unten auf". Kant geht hier davon aus, daß uns zunächst immer nur ein Mannigfaltiges von Wahrnehmungen gegeben ist, d. h. daß die Wahrnehmungen zunächst „im Gemüte an sich zerstreut" sind und „einzeln angetroffen" werden; sie müssen deshalb, wenn durch sie eine Erkenntnis möglich sein soll, miteinander verbunden werden, nämlich zu „Bildern". Diese Verbindung soll durch die reproduktive Einbildungskraft erfolgen, d. h. durch ein Vermögen, „eine Wahrnehmung, von welcher das Gemüt zu einer anderen übergegangen ist, zu den nachfolgenden hinüberzurufen, und so ganze Reihen derselben darzustellen" (A 121). Offenbar kann das nur gelingen, wenn es dafür bestimmte Regeln gibt, denn sonst könnten die Vorstellungen einander auch „ohne Unterschied" reproduzieren oder „ s o wie sie zusammengeraten", d. h. sie würden mit allen anderen Vorstellungen, statt stets nur mit bestimmten anderen, verknüpft werden können. Es muß also für die Reproduktion durch die Einbildungskraft einen „subjektiven und empiri-

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sehen Grund" geben, eben, wie Kant sagt, bestimmte Assoziationsprinzipien, die es bewirken, daß wir es tatsächlich mit Bildern, als auf bestimmte Weise zusammengefaßten Wahrnehmungen, und nicht statt dessen mit „bloß regellosen Haufen derselben" zu tun haben (A 121). Inwiefern die Assoziation von Vorstellungen, wie es hier ausdrücklich gesagt ist, als empirisch gelten kann, ist leicht einzusehen. Es hängt eben von empirischen Umständen ab, davon, daß die Welt faktisch so und nicht anders eingerichtet ist, daß bestimmte Vorstellungen mit bestimmten anderen verbunden sind; wenn der Schnee schwarz statt weiß wäre, würden in der Tat andere assoziative Verhältnisse bestehen als in der uns vertrauten Welt, in der der Schnee weiß ist. Schwieriger ist es jedoch, den Sinn anzugeben, in dem Kant von dem bloß subjektiven Charakter dieser Assoziation spricht, die für sich, d. h. ohne einen noch hinzukommenden objektiven Grund, für das Zustandekommen der Erkenntnis nicht ausreichend sein soll (A 121). Denn man sollte ja doch meinen, daß sich in der Abhängigkeit der Assoziation von empirischen Umständen gerade ihr objektiver Charakter ausspricht, jedenfalls dann, wenn man einmal von freien Assoziationen absieht, die aber auch von Locke und Hume nie gemeint sind, wenn bei ihnen von der Verbindung der Vorstellungen und der dadurch möglichen Erkenntnis von komplexen Sachverhalten die Rede ist. Offenbar übernimmt Kant hier, indem er sich dazu auf den Standpunkt Lockes stellt, dessen Argumentation hinsichtlich des bloß subjektiven Erkenntnischarakters von Vorstellungsverbindungen. Zwar mag es — so läuft Kants Gedankengang — empirische Gründe auf der Seite des Subjekts dafür geben, daß wir Vorstellungen auf bestimmte Weise miteinander verbinden; da aber solche Verbindungen selber nicht empirisch gegeben sein können, können wir nie sicher sein, daß die subjektiven Verbindungen, selbst wenn sie von allen Menschen auf gleiche Weise vollzogen würden, nicht an der Wirklichkeit vollständig vorbeigehen. Wir wären zwar in der Lage, die Wirklichkeit nach den Erfordernissen unserer Erkenntnisse zu gliedern und zu strukturieren, aber es wäre doch ganz unentscheidbar, ob sie auch an sich so gegliedert ist, ja, ob sie überhaupt auf irgendeine Weise gegliedert ist. Obwohl wir, wie Kant sagt, „das Vermögen hätten, Wahrnehmungen zu assoziieren, so bliebe es doch an sich ganz unbestimmt und zufällig, ob sie auch assoziabel wären" (A 121—2).4 4

Die Pointe dieser Überlegung ergibt sich, wenn man damit die moderne pragmatisch-modellistische Konzeption der Erkenntnis etwa bei Stachowiak vergleicht; im Zusammenhang

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Soll die Assoziation von Vorstellungen also objektive Gültigkeit haben, so muß dafür gesorgt sein, daß die Wahrnehmungen an sich „assoziabel" sind — wenigstens in einem sehr formalen Sinne, d. h. sie müssen für sich „allgemeinen Regeln einer durchgängigen Verknüpfung" unterworfen sein und aufgrund dessen in einer objektiven Affinität zueinander stehen. Die transzendentale Affinität — als „objektiver Grund aller Assoziation der Erscheinungen" — ist also tatsächlich im Gegensatz zu der für sich bloß faktisch subjektiven und faktisch zufälligen Assoziation ein faktisch objektiver und faktisch gesetzmäßiger Zusammenhang der Erscheinungen 5 , und daß sie das sein kann, glaubt Kant mit dem Hinweis darauf beweisen zu können, daß die Objekte, die wir durch verknüpfte Vorstellungen erkennen, eben nicht wie bei Locke Dinge an sich sind, sondern aus unseren Vorstellungen durch transzendentale Leistungen des Subjekts erst hervorgebrachte Erscheinungen oder „Gegenstände" (vgl. A 114, A 128—9). Nur für solche Gegenstände kann ja auch Kants Diktum gelten, daß die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung sind (A 158/B 197). Ob mit Recht oder Unrecht, worüber später noch gesondert zu handeln ist, überall wird hier von Kant die Synthesis von Vorstellungen und die synthetische Einheit so aufgefaßt, daß man darunter nicht gut etwas anderes als einen faktisch gesetzmäßigen Zusammenhang der Erscheinungen verstehen kann. Das ergibt sich übrigens ja auch schon daraus, daß der Grund für die Uniformität der Natur — dafür also, daß faktisch nicht solche Sprünge auftreten, die die Assoziation von Erscheinungen durch die reproduktive Einbildungskraft unmöglich machen würden (vgl. A 101) — tatsächlich nur eine faktisch notwendige Einheit der Erscheinungen sein könnte; wenn Kant also die durch die ursprüngliche Synthesis hervorgebrachte transzendentale Einheit unserer Vorstellungen von der Assoziations-Problematik her zu begreifen sucht, so muß diese Einheit ebenso wie die der Assoziation eine faktisch notwendige und faktisch objektive Einheit sein. Dabei muß allerdings stillschweigend vorausgesetzt sein, daß die Vorstellungen, auch wenn sie nicht in der transzendentalen und objektiven

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mit seiner „Parametrisierung des unitären klassisch-absolutistischen Erkenntnisbegriffs" (S. 55) wendet er sich schon dagegen, daß man auch nur einen Anspruch auf Realgeltung der Erkenntnis erheben könnte (S. 49), so wie es Kant hier tut. Deshalb hat Paton ganz recht, wenn er die Einheit der Apperzeption hier als objektive Affinität auffaßt, die eine „necessary regularity and coherence manifested in repeated causal successions and in the relative constancy of objects" impliziert (1482).

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Affinität zusammenstehen, intentionale Gegenstandsbeziehung aufweisen, genau so, wie das auch für die Untersuchungen von Locke und Hume zutrifft. Das bedeutet aber: wenn in diesem Zusammenhang nach der objektiven Gültigkeit oder objektiven Realität einer Vorstellungsverbindung gefragt ist, die der bloßen Assoziationsverbindung von Vorstellungen für sich nicht zukommt, so liegt hier ein Begriff von Objektivität zugrunde, dessen wesentliches Merkmal die durchgängige und bruchlos mögliche, faktisch gesetzmäßige Bestimmtheit der Erscheinungen ist. Deshalb bezeichnen die Wesenszüge der Notwendigkeit und Objektivität dort, wo Kant die Synthesis durch den Gegensatz zu einer faktisch assoziativen Verbindung von einzelnen Vorstellungen nach empirischen Regeln bestimmt, ebenfalls faktisch notwendige, streng allgemeingültige und faktisch gesetzmäßige Zusammenhänge, in deren Erkenntnis allein ein Kriterium dafür liegen soll, daß wir es mit der Wirklichkeit und nicht bloß mit einem durch unser Erkennen hervorgerufenen und deshalb immer nur (faktisch) subjektiven „Schein" der Wirklichkeit zu tun halben. Die transzendentale Synthesis führt dort, wo sie in der ersten Auflage der „ K r i t i k " von der Assoziation von Vorstellungen her bestimmt wird, also immer auch zu einer, wenn auch sehr allgemeinen, so doch letztlich inhaltlich bestimmten Einheit von Vorstellungen. Wie wir gesehen haben, ist die transzendentale Synthesis und ihr Resultat, der Zusammenhang der Vorstellungen, von Kant in der 1. Auflage der „ K r i t i k " allerdings nicht nur in diesem Sinne konzipiert. Vor allem auch die ersten drei Nummern der Vorbereitung der eigentlichen Deduktion der Kategorien (A 98ff.), nämlich Kants Lehre von den drei Synthesen der Apprehension, Reproduktion und Rekognition, machen deutlich, daß unter dem Titel der ursprünglichen Verbindung (Synthesis) und Einheit von Vorstellungen daneben auch noch etwas ganz anderes, nämlich das Problem der Möglichkeit bloß der intentionalen Gegenstandsbeziehung von empirischen Vorstellungen thematisiert ist. Dies ist um so bemerkenswerter, als es sich hier um eine ganz enge Parallele zu den Erörterungen von A 121 ff. handelt, die für sich ein ganz anderes Resultat liefern, und wenn das Thema von A 121 hier in so sehr abweichendem Sinne behandelt ist, so haben wir gerade darin einen weiteren Hinweis auf die grundsätzliche Mehrdeutigkeit des Kantischen transzendentalphilosphischen Programms zu sehen. Wir wollen auf Kants Lehre von den drei Synthesen allerdings erst im Abschnitt 18 eingehen, also nach der sachlich-systematischen Erörterung des für Kant so überaus wichtigen Begriffs der ursprünglichen Einheit der Apperzeption und der Funktion, die dieser Einheit im Hinblick auf die

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

Möglichkeit der intentionalen Gegenstandsbeziehung zukommt. Hier sollte zunächst einmal gezeigt werden, wie eng in Kants Auffassung Assoziation und Synthesis miteinander zusammenhängen, und insbesondere, wie einer eher an faktischen Bestimmungen orientierten Auffassung von der Assoziation ein Begriff von Synthesis und ihrer Einheit entspricht, der ebenfalls primär an faktischen Bestimmungen orientiert ist. Im Folgenden wollen wir zeigen, daß dieser Zusammenhang in der 2. Auflage ebenfalls besteht, allerdings mit dem wichtigen Unterschied, daß hier ungleich stärker als in der 1. Auflage neben der faktischen auch die kategorialen Bestimmungen herausgestellt sind.

11. Die kategoriale

Kennzeichnung

von Assoziation und Synthesis

Ist in der 1. Auflage der „Kritik" die Synthesis von Vorstellungen und die ursprüngliche synthetische Einheit bei deutlichem Hervortreten der faktischen Bestimmungen doppelt bestimmt, so ist, wie im ersten Kapitel gezeigt worden ist, genau diese Doppelbedeutung kennzeichnend auch für die Auffassung der „Prolegomena". Allerdings handelt es sich dort nicht um das Problem einer Synthesis von Vorstellungen, das thematisch im Vordergrund steht. Statt mit dem Synthesis-Problem haben wir es in den „Prolegomena" mit dem Problem des Unterschiedes von Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen zu tun, aber dieses weist natürlich strukturell die gleichen Züge auf wie die Synthesis-Behandlung in der ersten Auflage der „Kritik". Man könnte sogar mit einem gewissen Recht sagen, daß in den „Prolegomena" die Unvereinbarkeit der Ansätze, des kategorialen und des wissenschaftstheoretischen, vielleicht besser nachweisbar ist als in der Kategorien-Deduktion der ersten Auflage, wenn auch sachlich die Unterschiede nicht gravierend sind. Die Charakterisierung der Erfahrungsurteile durch ihre Notwendigkeit entspricht jedenfalls deutlich der faktisch gesetzgebenden Funktion der reinen Synthesis und der faktisch notwendigen Einheit der Erscheinungen, zu der sie führt; hier stehen Wahrnehmungsurteile, gekennzeichnet durch Zufälligkeit und Subjektivität der in ihnen Ausdruck findenden Vorstellungsverbindung, und Assoziation an genau denselben Argumentationsstellen. Und umgekehrt entspricht der Synthesis oder ihrer ursprünglichen Einheit, sofern durch sie die Vorstellungen allererst intentionale Gegenstandsbeziehung erhalten, jene Auffassung von Erfahrungsurteilen, wonach diese nur überhaupt einen Erkenntnisanspruch ausdrükken, mag dieser auch nicht einlösbar sein, im Gegensatz zu Wahrneh-

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Die kategoriale Kennzeichnung von Assoziation und Synthesis

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mungsurteilen, in denen Vorstellungen so miteinander verbunden sind, daß sie in ihrem Zusammenhang überhaupt nicht (intentional) auf Gegenstände bezogen sind. Es ist nun kennzeichnend für die Entwicklung von Kants Transzendentalphilosophie, daß in der Kategorien-Deduktion der zweiten Auflage das Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung von Vorstellungen gegenüber dem der faktischen Wahrheit, Richtigkeit (Objektivität) und faktischen Notwendigkeit von Vorstellungsverbindungen deutlicher in den Vordergrund rückt. Es verdrängt natürlich nicht das Problem der Möglichkeit von faktisch notwendigen Zusammenhängen und der darin beschlossenen Möglichkeit von synthetischen Urteilen a priori, in denen ja gerade solche faktisch notwendigen Zusammenhänge Ausdruck finden würden. Denn, wie schon öfter betont, entwickelt Kant seine Theorie der intentionalen Gegenstandsbeziehung von Vorstellungen ja gerade mit dem Ziel, mit ihrer Hilfe den Beweis für die Möglichkeit von bestimmten synthetischen Urteilen a priori zu erbringen. Aber immerhin gibt es eine ganze Reihe von Anzeichen, daß hier eine tiefgreifende Umorientierung in Gang kommt, und das auffälligste Zeichen dafür ist vielleicht, daß anders als in den „Prolegomena" es jetzt nur noch eine Art von Urteilen gibt, die ganz ohne Zweifel Erfahrungsurteile im Sinne von intentional auf Gegenstände und Sachverhalte bezogenen Sätzen sind (vgl. B 141 ff.). Dem entspricht es nun, daß zugleich mit dieser Akzentverschiebung sich auch eine ganz andere Auffassung vom Wesen der Assoziation durchsetzt. Geht es Kant ig der 1. Auflage um die Erklärung der Möglichkeit einer objektiv gültigen Assoziation bzw. um den Nachweis, daß entgegen Locke und Hume es faktisch notwendige Vorstellungsverbindungen gibt, so kann davon in der Neubearbeitung der 2. Auflage eigentlich nicht länger die Rede sein, und zwar in Ubereinstimmung damit, daß hier auch die Assoziation von Vorstellungen nicht länger unter dem Gesichtspunkt der möglichen Erkennbarkeit von notwendigen Sachzusammenhängen behandelt wird. Unter dem Titel „Assoziation" ist jetzt vielmehr das kategorial zufällige Zusammengeraten von Vorstellungen verstanden, das für sich, d. h. solange es nicht im Lichte der ursprünglichen Einheit der Apperzeption geschieht, noch nicht einmal im intentionalen Sinne gegenständliche Bedeutung beanspruchen kann. Besonders deutlich läßt das der § 19 erkennen mit seiner Bestimmung des Urteils als der „Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen" (B 141). Danach wird im Urteil ausgesagt, daß empirische Anschauungen „vermöge der notwendigen Einheit der Apper-

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zeption" zusammengehören, und zwar notwendig zusammengehören auch dann, wenn sie wie in Kants Beispiel („Die Körper sind schwer") bloß faktisch zufällig miteinander zusammenhängen. Denn die objektive Gültigkeit als ein notwendiges Zusammengehören von Vorstellungen in der ursprünglichen Einheit der Apperzeption ist hier ausdrücklich von einem notwendigen Zusammengehören von Vorstellungen „in der empirischen Anschauung" unterschieden und abgehoben. Die kategoriale Einheit ist also gar nicht ein, wenn auch sehr allgemeiner, so doch inhaltlich und sachlich zu verstehender Zusammenhang von Vorstellungen, sondern ein solcher Zusammenhang, ohne den weder empirisch zufällige noch empirisch notwendige Zusammenhänge, d. h. überhaupt keine für sich bestehenden gegenständlichen Sachverhalte erkannt werden können. Das hat zur Folge, daß hier auch die Assoziation anders als in der 1. Auflage aufgefaßt ist. Dort bedeutete die bloß subjektive Gültigkeit einer Assoziationsverbindung, daß trotz intentionaler Gegenstandsrichtung die assoziative Verbindung der Vorstellungen dennoch faktisch nichts über die tatsächlich bestehenden objektiven Zusammenhänge aussagt, und zwar deshalb nicht, weil womöglich die faktisch assoziierten Vorstellungen für sich gar nicht „assoziabel" sind. Diese faktisch subjektive Gültigkeit verlangte deshalb nach einem faktisch objektiven Grund der Assoziation und damit nach faktisch notwendigen Zusammenhängen der Erscheinungen. Hingegen bedeutet die subjektive Gültigkeit einer Assoziationsverbindung hier nun gerade nicht das bloß faktische Mißlingen in der Darstellung eines vermeinten und angezielten objektiven Sachzusammenhangs, sondern das gänzliche Fehlen solcher Ansprüche auf Gegenstandserkenntnis. Denn, sagt Kant jetzt, wenn Vorstellungen nur nach Gesetzen der Assoziation verbunden wären, so „würde ich nur sagen können: Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich den Druck der Schwere; aber nicht: er, der Körper, ist schwer; welches soviel sagen will, als diese beiden Vorstellungen sind im Objekt, d. i. ohne Unterschied des Zustandes des Subjekts, verbunden, und nicht bloß in der Wahrnehmung (so oft sie auch wiederholt sein mag) beisammen" (B 142). Die Tatsache, daß an der Stelle B 142 dieselben Vorstellungen einmal als bloß assoziativ und einmal als in der transzendenten Einheit der Apperzeption vereinigt betrachtet werden, erschwert freilich die Einsicht in den Unterschied zwischen beiden Arten der Verbindung. Denn gerade in der immer wiederholten Wahrnehmung der Verbindung von Körper und Schwere würde man normalerweise ja wohl am ehesten das Zeichen dafür erblicken wollen, daß wir es hier nicht bloß mit subjektiv-gültigen, sondern mit ob-

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Die kategoriale Kennzeichnung von Assoziation und Synthesis

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jektiv-gültigen Verbindungen zu tun haben. 1 Andererseits ist es aber gerade die inhaltliche Ubereinstimmung von assoziativer und apperzeptiver Vereinigung, die am deutlichsten das hervortreten läßt, worauf es Kant bei der Gegenüberstellung von Assoziation und Vereinigung in der ursprünglichen Einheit der Apperzeption eigentlich und vor allem ankommt. Es geht um die Herausstellung eines kategorialen Zusammenhangs, der sogar durch ein faktisch richtiges Zusammengeraten von Vorstellungen, wie es im Fall immer wiederholter Wahrnehmung der Schwere verbunden mit Körpern vorliegt, nicht geleistet ist, der vielmehr von grundsätzlich anderer Art ist als alle bloß faktischen Zusammenhänge. Das verkennt man leicht, wenn man sich bei der Beurteilung der transzendentalen Synthesis und der durch sie erreichten transzendentalen Einheit der Apperzeption etwa allein auf den § 18 der Deduktion stützen würde. Dort wird die „objektive", „allgemeingeltende" und „notwendige" Einheit des Bewußtseins ebenfalls von der allein durch Assoziation von Vorstellungen zu erreichenden bloß „empirischen", „ganz zufälligen" und „subjektiven" Einheit des Bewußtseins unterschieden, aber es findet sich dort auch die Bemerkung, daß das Fehlen von Notwendigkeit und allgemeiner Gültigkeit darauf zurückgeht, daß die bloß assoziative Verbindung von Vorstellungen auf subjektiv willkürlicher Freiheit beruhe. „Einer verbindet", sagt Kant hier, „die Vorstellung eines gewissen Wortes mit einer Sache, der andere mit einer anderen Sache; und die Einheit des Bewußtseins in dem, was empirisch ist, ist in Ansehung dessen, was gegeben ist, nicht notwendig und allgemein geltend" (B 140). Natürlich ist es auffällig, daß hier ein ganz anderer Typ von Assoziation vorliegt als in B 142, nämlich eine Art freier Assoziation, die nur faktisch subjektive Gültigkeit aufweist und die man leicht für den Prototyp dessen nehmen kann, was Kant auch sonst in der 2. Auflage der „Kritik" unter

1

Es ist dies genau dieselbe Schwierigkeit wie Prol. A 83 Anm., wo Kant als leicht einzusehendes Beispiel für ein Wahrnehmungsurteil den Satz: „Wenn die Sonne den Stein bescheint, so wird er warm" anführt und sagt: „Dieses Urteil ist ein bloßes Wahrnehmungsurteil, und enthält keine Notwendigkeit, ich mag dieses noch so oft und andere auch noch so oft wahrgenommen haben; die Wahrnehmungen finden sich nur gewöhnlich so verbunden". Erst im zugehörigen Erfahrungsurteil („Die Sonne erwärmt den Stein") seien der Begriff des Sonnenscheins und der der Wärme „notwendig" miteinander verbunden. Mit der Unterscheidung zwischen faktischen und kategorialen Bestimmungen ist klar, was Kant sagen will, daß nämlich die Erkenntnis von (objektiven) Sachverhalten nur aufgrund von kategorial objektiven und notwendigen Verbindungen möglich ist. Das ist in den „Prolegomena" aber so undeutlich ausgedrückt, daß die Anm. A 83 für sich ganz unverständlich ist; vgl. auch oben S. 48 f.

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

Assoziation versteht. 2 Aber tatsächlich kommt es, wenn Kant die transzendentale Einheit des Bewußtseins von der assoziativen, bloß empirischen Einheit des Bewußtseins unterscheiden will, auf die Beliebigkeit und faktisch subjektive Willkür, die sich in solchen freien Assoziationen ausspricht, auch hier nicht ausschließlich an. Auch im § 18 nämlich — und zwar trotz der Tatsache, daß hier zweifellos auch der Gesichtspunkt der faktischen Subjektivität wieder zum Zuge kommt — wird die transzendentale Einheit des Bewußtseins als objektiv gültig ja auch durch den Hinweis darauf charakterisiert, daß durch sie die Vorstellungen und „alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einem Begriff vom Objekt vereinigt wird" (B 139); dagegen soll eine Verbindung im empirischen Bewußtsein, die darin besteht, daß bestimmte Einzelheiten eines Mannigfaltigen z . B . in ihrem Nacheinander gegeben sind oder anders durch Assoziation faktisch miteinander verbunden sind, für sich in gegenständlicher Hinsicht irrelevant sein. In solchen Äußerungen klingen sicher Bedeutungen mit, die mit den faktischen Bestimmungen von Objektivität und Subjektivität zu tun haben, aber zugleich geht es doch auch und vor allem um die kategorialen Bestimmungen. Das Mannigfaltige der Anschauungen muß mir zwar im empirischen Bewußtsein und in seiner bloß subjektiven Einheit gegeben sein, und dies kann tatsächlich nur so der Fall sein, daß dieses Mannigfaltige bereits im empirischen Bewußtsein irgendwie verknüpft auftritt. Aber solche Verknüpfungen im empirischen Bewußtsein sind nicht nur als faktisch subjektive, sondern auch als kategorial subjektive aufzufassen. Sie sind nämlich, wie Kant sagt, „ganz zufällig", nämlich im Hinblick auf mögliche Gegenstands- und Sachverhaltsbestimmungen. Jedenfalls machen objektiv bestehende Sachverhalte, die durch ein im inneren Sinn gegebenes Mannigfaltiges erkannt werden könnten, grundsätzlich auch noch eine andere Art von Verbindung erforderlich, als sie bloß durch ein faktisches Zusammengeraten von Vorstellungen im empirischen Bewußtsein erreicht werden könnte, wobei es ganz unerheblich ist, ob solche faktischen Zusammenhänge faktisch richtig sind oder nicht. Danach ist es klar, daß die Notwendigkeit einer transzendentalen Verbindung von Vorstellungen und ihre Objektivität, wie sie Kant in der Neufassung der Kategorien-Deduktion in der Auseinandersetzung mit einer rein assoziationistischen Theorie gewinnt, anders als in der ersten Auflage nicht einfach nur eine faktische Notwendigkeit und Objektivität im Sinne

2

Das ist z . B . bei Patzig (S. 63) der Fall; vgl. auch Abschn. 10 A n m . 2.

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Die kategoriale Kennzeichnung von Assoziation und Synthesis

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einer richtigen Erkenntnis von für sich bestehenden objektiven Sachverhalten ist. Wenn in der zweiten Auflage, zumal B 142, die transzendentale Synthesis und die durch sie erreichte Einheit als objektiv und notwendig bezeichnet wird, so sind hier in einem nicht gerade üblichen Sinne vor allem die kategorialen Bestimmungen gemeint. Im Gegensatz zur bloß faktisch zufälligen und faktisch subjektiven Verbindung von Vorstellungen durch die Assoziation in der wirklichen Erfahrung bedeutet die Notwendigkeit eines Zusammenhangs von Vorstellungen hier nur die Tatsache, daß die Vorstellungen im Sinne einer durch sie möglichen Gegenstands- und Sachverhaltsbestimmung als miteinander zu tun habend aufgefaßt sind. Erst durch und aufgrund einer solchen kategorialen Synthesis können die Vorstellungen auch als „ i m Objekt, d. i. ohne Unterschied des Zustandes des Subjekts" (B 142) miteinander verbunden aufgefaßt werden. Dieses Zusammengehören ist kein faktisch notwendiger Zusammenhang, und genau dies schärft Kant B 142 ausdrücklich ein, wenn er sagt, daß die Vorstellungen des Körpers und der Schwere nicht in der empirischen Anschauung notwendig zusammengehören müssen. Unser „Gedanke von der Beziehung aller Erkenntnis auf ihren Gegenstand" drückt eine andere, „transzendental e " Notwendigkeit aus, da nämlich der Gegenstand, wie Kant in der 1. Auflage sagt, „als dasjenige angesehen wird, was dawider ist, daß unsere Erkenntnisse aufs Geratewohl oder beliebig, sondern a priori auf gewisse Weise bestimmt seien" (A 104). Wo dagegen Vorstellungen ohne Beziehung auf einen Gegenstand bloß faktisch miteinander zusammenhängen und bloß faktisch miteinander verbunden sind, wo also dieses „ D a w i d e r " fehlt, da ist eine Verbindung kategorial bloß zufällig und kategorial subjektiv gültig, auch wenn es natürlich von „Umständen und empirischen Bedingungen" abhängt (vgl. B 139), daß sie faktisch gerade so und nicht anders zusammenhängen. Auf den entscheidenden Punkt hat Kant mit aller wünschenswerten Deutlichkeit in einem Brief hingewiesen, in dem es heißt, daß — auch nach Assoziationsprinzipien miteinander verbunden — alle Data der Sinne zu einer möglichen Erkenntnis dennoch „niemals Objekte vorstellen" könnten, solange sie nicht kategorial notwendig miteinander verbunden sind. Kant fährt fort: „Ich würde gar nicht einmal wissen können, daß ich sie (sc. diese Daten) habe, folglich würden sie für mich, als erkennendes Wesen, schlechterdings nichts sein, wobei sie (wenn ich mich in Gedanken zum Tier mache) als Vorstellungen, die nach einem empirischen Gesetz der Assoziation verbunden wären und so auch auf Gefühl und Begehrungsvermögen Einfluß haben würden, in mir, mei-

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Transzendentale Synthesis und Assoziation nes Daseins unbewußt (gesetzt, daß ich auch jeder einzelnen Vorstellungen bew u ß t wäre, aber nicht der Beziehung derselben auf die Einheit der Vorstellung ihres Objekts vermittels der synthetischen Einheit ihrer Apperzeption) immer ihr Spiel regelmäßig treiben können, ohne daß ich dadurch im mindesten etwas, auch nicht einmal diesen meinen Zustand, erkennete" (Brief an M . H e r z v o m 26. 5. 1789, A A X I 52, meine Hervorhebung).

Hier ist es ganz klar gesagt, daß für die Kennzeichnung der Assoziation es auf faktische Bestimmungen nicht ankommt. Selbst wenn unserer Vorstellungen in der Assoziation faktisch regelmäßig, d.h. faktisch objektiv richtig miteinander verbunden sind, so hätten sie allein dadurch dennoch keine Gegenstandsbeziehung. Dazu ist vielmehr eine transzendentale Synthesis erforderlich, die jetzt gerade in ihrem Gegensatz zur Assoziation als kategorial objektive gedacht ist. Nicht also — wie noch in der Gegenüberstellung von Synthesis und Assoziation an den oben angeführten Stellen der ersten Auflage der Kategorien-Deduktion — der faktische Zusammenhang der Vorstellungen nach Regeln und auch nicht eine faktische Notwendigkeit im Zusammenhang der Vorstellungen, sondern die „synthetische Einheit ihrer Apperzeption" mit der ihr eigenen Art von (kategorialer) Notwendigkeit ist es, die die Beziehung von Vorstellungen auf Objekte ermöglicht und die allein auch dazu führt, daß die Data der Sinne „Objekte vorstellen" können. Ohne diese transzendentale „synthetische Einheit ihrer Apperzeption" wären Vorstellungen, auch wenn sie faktisch nach Assoziationsgesetzen miteinander geregelt zusammenhängen, noch immer „getrennt"; nur eine transzendentale Synthesis kann ihnen einzeln und in ihrem Zusammenhang Gegenstandsbeziehung verleihen. Wenn die Vorstellungen zwar faktisch richtig zusammenhängen, aber die transzendentale Synthesis nicht geleistet ist, dann gilt immer noch das, was Kant R 5923 sagt: „ A l l e i n das Bewußtsein der Wahrnehmungen bezieht alle Vorstellungen nur auf uns selbst als Modifikationen unseres Zustandes; sie sind alsdann unter sich getrennt, und vornehmlich sind sie nicht Erkenntnisse v o n irgend einem Dinge und beziehen sich auf kein Objekt" ( A A X V I I I 386).

Danach können wir also jetzt den Unterschied, wie er zwischen der ersten und zweiten Auflage der „Kritik" im Hinblick auf die Behandlung und Charakterisierung von Assoziation und transzendentaler Synthesis besteht, im wesentlichen folgendermaßen kennzeichnen: In der 1. Auflage werden assoziative Verbindungen als faktische betrachtet, nämlich als faktisch zufällige Verbindungen, was zur Folge hat oder Ausdruck der Tatsache ist,

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Die kategoriale Kennzeichnung von Assoziation und Synthesis

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daß die der Assoziation gegenübergestellte transzendentale Synthesis und ihre ursprüngliche Einheit ebenfalls als faktische konzipiert sind oder doch wenigstens insofern durch faktische Bestimmungen gekennzeichnet sind, als und insoweit sie im Gegensatz zu assoziativen Verhältnissen konzipiert sind. Außerhalb der Gegenüberstellung mit der Assoziation ist die transzendentale Synthesis (und ihre Einheit) allerdings auch bereits in der 1. Auflage außerdem durch kategoriale Bestimmungen gekennzeichnet. Demgegenüber ist es für die 2. Auflage charakteristisch, daß Kant hier vor allem die kategorialen Bestimmungen der Synthesis und ihrer ursprünglichen Einheit herausarbeitet, und zwar auch diesmal gerade in der Gegenüberstellung mit der Assoziation von Vorstellungen. Das hat zur Folge, daß der Assoziationszusammenhang von Vorstellungen jetzt nicht länger allein durch faktische Subjektivität und faktische Zufälligkeit, sondern außerdem durch kategoriale Subjektivität und kategoriale Zufälligkeit gekennzeichnet ist. Kant behandelt die Assoziation jetzt also auch unter dem Gesichtspunkt der Frage nach der intentionalen Gegenstandsbeziehung von Vorstellungen, und er kommt zum Resultat, daß man bei der Lösung der Aufgabe, die Gegenstandsbeziehung von einzelnen empirischen Vorstellungen verständlich zu machen, jedenfalls nicht auf Assoziationsverbindungen rekurrieren kann. Vor allem darin kommt zum Ausdruck die Tatsache, daß in der 2. Auflage das Problem der Beziehung von empirischen Vorstellungen auf Gegenstände mehr in den Vordergrund rückt und sich thematisch von der umgreifenden Problematik der synthetischen Urteile a priori wenigstens abzuheben beginnt. Das bedeutet nicht, daß die Frage nach der Möglichkeit und Begründung von synthetischen Urteilen a priori nicht weiterhin in der gesamten Disposition des argumentativen Gesamtzusammenhangs der „Kritik" bestimmend bliebe, und in der Tat betreffen die Änderungen der 2. Auflage ja auch nur einzelne Abschnitte des Gesamttextes. Es zeigt sich aber, daß gegenüber der 1. Auflage die 2. Auflage das Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung von empirischen Vorstellungen wenigstens deutlicher herausstellt. Das besondere Gewicht, das in der 2. Auflage das Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung von Vorstellungen erhält, ist, wie gesagt, am deutlichsten in der veränderten Einschätzung und in der veränderten Charakterisierung der bloßen Assoziation von Vorstellungen greifbar, und dies wiederum ist ein Hinweis darauf, daß sich für Kant das Problem der Möglichkeit der intentionalen Gegenstandsbeziehung von empirischen Vorstellungen gerade auch in der Auseinandersetzung mit Hume und dem englischen Empirismus entfaltet.

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Transzendentale Synthesis und Assoziation

An der grundsätzlichen Eingebundenheit dieser gesamten Problematik in das Problem der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori ändert alles dieses freilich nichts. Es ändert sich auch nichts daran, daß wegen dieser grundsätzlichen Eingebundenheit in einen im Grunde fremden Problemzusammenhang die Theorie der intentionalen Gegenstandsbeziehung von empirischen Vorstellungen, die Kant im Sinn hat, vielfältige Deformationen erleidet. Die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori, die die Auffassung der synthetischen Einheit als faktisch notwendigen Zusammenhang fordert, ermöglicht also zwar die Entfaltung der Frage nach der Möglichkeit der Gegenstandsbeziehung von empirischen Vorstellungen, aber zugleich verhindert sie auch, daß Kant dieser Frage um ihrer selbst willen wirklich nachgehen kann; im Grunde finden sich dazu überall nur Ansätze. Diesen Ansätzen wollen wir im folgenden nachgehen und dabei auch versuchen, sie im Hinblick auf die hier tatsächlich vorliegenden Verhältnisse systematisch verständlich zu machen. Die Aufgabe der folgenden Erörterungen ist deshalb eine Untersuchung darüber, wie der Zusammenhang zwischen der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen und ihrem kategorial notwendigen Zusammengehören bei Kant näher bestimmt ist und ob er so, wie er von Kant behauptet wird, tatsächlich besteht. Dazu gehen wir zunächst auf Kants Theorie der transzendentalen Synthesis am Beginn der Kategoriededuktion der 2. Auflage der „ K r i t i k " ein und wollen von daher dann zu einer umfassenden Klärung und kritischen Würdigung des Kantischen Begriffs der „objektiven Einheit der Apperzeption" gelangen.

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III. Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung 12. Verbindung

als

Verstandeshandlung

Im vorangehenden haben wir zu zeigen gesucht, daß Kant sowohl in seinen wissenschaftstheoretischen Intentionen als auch in der kategorialen Problematik an Fragestellungen anknüpft, die sich im Rahmen der assoziationistischen Verbindungstheorien von Locke und Hume ergeben. Letztlich dadurch erklärt es sich, daß bei Kant beide Ansätze faktisch so außerordentlich eng zusammengehören. Dieser enge Zusammenhang ist auch im folgenden, wenn wir den kategorialen Ansatz für sich näher verfolgen, stets im Auge zu behalten. Er ist Ausdruck der Tatsache, daß das neue kategoriale Synthesis-Problem bei Kant in einem historischen Kontext steht, der seine sachliche Entfaltung notwendigerweise behindern muß. Zu solchen Behinderungen gehört, wie wir gesehen haben, daß ganz allgemein die kategorialen Bestimmungen, die für Kants Synthesis-Theorie von Bedeutung sind, nicht immer deutlich von den faktischen unterschieden sind. Wir wollen uns in diesem Abschnitt nun noch mit einem speziellen Fall dieser Nichtunterscheidung beschäftigen, der sich aus dem Umstand ergibt, daß Kant (ebenso wie Locke und Hume) der Uberzeugung ist, daß streng genommen uns auch faktische Verbindungen nie gegeben sein können, sondern irgendwie von uns „gemacht" würden. Dies gestattet es Kant — im Hinblick auf das Gegebensein oder Nichtgegebensein von Zusammenhängen — häufig von Verbindungen tout court auch dort zu sprechen, wo sehr unterschiedliche Verbindungen gemeint sind, und ist ein weiterer Grund dafür, daß bei Kant die transzendentale Synthesis von faktischen Sachverhaltszusammenhängen nicht so abgehoben ist, wie es erforderlich wäre. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang — gleich am Anfang der Neufassung der Kategorien-Deduktion — Kants programmatische Äußerungen darüber, daß alle Verbindung eine Verstandeshandlung sei. Es heißt hier:

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

„ . . . die Verbindung (conjunctio) eines Mannigfaltigen überhaupt, kann niemals durch Sinne in uns kommen, und kann also auch nicht in der reinen F o r m der sinnlichen Anschauung zugleich mit enthalten sein; denn sie ist ein Aktus der Spontaneität der Vorstellungskraft, und, da man diese, zum Unterschiede von der Sinnlichkeit, Verstand nennen muß, so ist alle Verbindung, wir mögen uns ihrer bewußt werden oder nicht, es m a g eine Verbindung des Mannigfaltigen der Anschauung, oder mancherlei Begriffe, und an der ersteren der sinnlichen, oder nicht sinnlichen Anschauung sein, eine Verstandeshaltung, die wir mit der allgemeinen Benennung Synthesis belegen würden, u m dadurch zugleich bemerklich zu machen, daß wir uns nichts, als im O b j e k t verbunden, vorstellen können, ohne es vorher selbst verbunden zu h a b e n " (B 129f.).

Äußerungen gleichen Inhalts finden sich auch sonst, 1 und es kann keinen Zweifel geben, daß B 129f. tatsächlich alle Verbindungen gemeint sind, Sachverhaltszusammenhänge ebenso wie die transzendentale Synthesis von Vorstellungen: sie alle müssen nach Kant als das Ergebnis subjektiver Zusammenfassungs- und Zusammensetzungsleistungen angesehen werden. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, wenn viele Interpreten B 129 f. so auffassen, als wenn hier überhaupt nur von einem einzigen Verbindungsproblem die Rede ist, nämlich von dem Gegebensein oder Nichtgegebensein von Verbindungen schlechthin. So hat Kant nach Kaulbach an der Stelle B 129 f. nur betonen wollen, daß „eine etwa schon gegebene Verbindung eines Mannigfaltigen überhaupt durch die Sinne nicht aufgenommen werden könne", d.h. daß alle Einigung bzw. Einheit der Spontaneität des Verstandes angehöre. 2 Offenbar ist auch Kemp Smith dieser Meinung, wenn er in seinem kurzen Referat von B 129 f. Kant vorwirft, er habe für seine Behauptung, daß Verbindungen nicht durch die Sinne gegeben seien, keinen Beweis angetreten,3 und das gilt auch für Wolff, der gegen Kemp Smith sagt, den fehlenden Beweis habe Kant von Hume übernommen. 4 1

Und zwar zu allen Zeiten; vgl. etwa D e mundi sens. § 4: „ N a m per formam seu speciem obiecta sensus nun feriunt; ideoque, ut varia obiecti sensum afficientia in totum aliquod repraesentationis coalescant, opus est interno mentis principio, per quod varia illa secundum stabiles et innatas leges s p e c i e m quandam induant", oder die vielen hierhergehörigen Äußerungen im Opus postumum, daß wir „das Zusammengesetzte, gleich als etwas, das gegeben werden kann (dabile), nicht anschauen (können), sondern uns nur der Zusammensetzung (compositio) bewußt werden (ut apprehensibile); also geht die compositio vor dem Begriff des compositi vorher, und danach muß sich der Begriff des compositi richten in allem durch Erfahrung Erkennbaren" (AA X X I 274). Vgl. zum Folgenden vom Verf., Ist alle Verbindung eine Verstandeshandlung?

2

Kaulbach 140. Kemp Smith 284. Wolff 185.

3 4

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Verbindung als Verstandeshandlung

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Interessant ist daran, daß hier überall implizit von Sachverhaltszusammenhängen die Rede ist und daß dennoch unterstellt ist, daß Kant mit der Behauptung des Nichtgegebenseins solcher Zusammenhänge auch den entscheidenden Gesichtspunkt für die Beurteilung seiner transzendentalen Synthesis-Lehre angebe. Es ist ganz klar, daß damit in der Kant-Interpretation genau jene Annäherung der transzendentalen Synthesis an faktische Sachverhaltszusammenhänge einfach nachvollzogen wird, die wir als charakteristisch für Kant herausgearbeitet haben. Wichtig wäre aber gerade der Hinweis darauf, daß wir es hier in Wirklichkeit mit völlig verschiedenen Problemen zu tun haben, deren Nichtunterscheidung Kants transzendentale Synthesis-Theorie in außerordentliche Schwierigkeiten bringen würde. Wenn alle Verbindung des Mannigfaltigen — und insbesondere Sachverhaltszusammenhänge — stets das Resultat von subjektiven Synthesen wären, so müßte man im Hinblick auf eine Erkenntnistheorie, in der solche Synthesen sogar als transzendentale Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung in Anspruch genommen sind, mehr als skeptisch sein. Denn alle die Einwände, die man seit jeher gegen atomistische Wahrnehmungstheorien vorgebracht hat, würden dann auch auf Kants transzendentale Synthesis-Theorie zutreffen. Außerdem wären die Fragen, die sich angesichts von Kants ersten Raumargument ergeben, 5 erneut auch hier zu stellen, und sogar die Argumente, die Kant selber in der Auseinandersetzung mit Locke und Hume gegen die objektive Gültigkeit und Notwendigkeit einer bloßen Assoziationsverbindung vorgebracht hat, würden ohne Änderung auf Kants Begriff der Synthesis als einer Verstandeshandlung zutreffen. Und dennoch läßt sich nicht aus der Welt schaffen, daß genau diese These von der Verbindung als einem Aktus der Spontaneität des Verstandes nicht nur hier, sondern auch sonst von Kant ausdrücklich vertreten wird. So unterscheidet Kant z. B. die Assoziation von Vorstellungen von der Verbindung durch den Verstand gerade dadurch, daß die erstere der bloß reproduktiven, die Verstandesverbindung aber der produktiven Einbildungskraft angehört, und das kann man sicher nicht anders auffassen als so, daß in einer Verstandesverbindung eben neue Zusammenhänge allererst geschaffen werden und daß sie jedenfalls nicht als vorgefundene im Denken bloß abgebildet oder reproduziert werden (vgl. B 152). 6 Hierher gehört 5 6

Nämlich woher die bestimmten Gestalten der Dinge stammen; vgl. Vaihinger II 180. Vgl. auch B 155 darüber, daß der Verstand Verbindungen des Mannigfaltigen ( z . B . eine Linie, einen Zirkel) nicht etwa im inneren Sinn „findet", sondern sie „hervorbringt", indem er den inneren Sinn affiziert.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

auch, daß Kant aufgrund seiner Lehre vom Ding an sich und vom Erscheinungscharakter der uns gegebenen Gegenstände häufig die Gegenstände unserer Erkenntnis mit den Vorstellungen, die wir von ihnen haben, einfach identifiziert, 7 so daß dann auch schon aus diesem Grund für ihre Verknüpfung gar kein anderes Gesetz in Frage kommt, als dasjenige, „welches das verknüpfende Vermögen vorschreibt" (B 164). Kant meint solche Äußerungen zweifellos ernst, und in der Konsequenz seines eher wissenschaftstheoretischen Ansatzes muß er sie auch ernst meinen, wenn er entgegen der faktischen Subjektivität und Zufälligkeit der Assoziationsverbindung die faktische Notwendigkeit der Gesetze des reinen Verstandes beweisen will. Gerade an diesem Punkt zeigen sich aber auch die besonderen Schwierigkeiten, in die Kant mit seiner wissenschaftstheoretischen Konzeption gerät. Einerseits muß er entgegen Locke und Hume auf der faktischen Notwendigkeit der allgemeinen Gesetze bestehen, die der Verstand der Natur vorschreibt, andererseits aber müssen diese allgemeinen Gesetze sich auch unterscheiden von einfachen empirischen Gesetzen, die ebenfalls faktisch gelten und die genauso wie die allgemeinen Naturgesetze auf Verstandeshandlungen zurückgehen müßten. Obwohl Kant in bestimmten Kontexten unterschiedslos auf dem Nichtgegebensein aller Verbindungen beharrt, muß er deshalb überall dort, wo es ihm um die Klärung des Verhältnisses von empirischer und transzendentaler Affinität oder von empirischen und transzendentalen Gesetzen geht, auch die Auffassung vertreten, daß keineswegs alle Regularitäten und alle Gesetzmäßigkeiten das Resultat von Verstandeshandlungen sein können. Vielmehr ist häufig auch Kant der Meinung, daß Sachverhaltszusammenhänge und überhaupt bestimmte faktische Zusammenhänge (und die entsprechenden Verbindungen) uns gegeben werden. Das zeigen z . B . Kants wiederholte Hinweise auf das Problem der besonderen empirischen Gesetze, in denen sich ja bestimmte faktische Zusammenhänge aussprechen und die dennoch auch nach Kants Meinung nicht von den allgemeinen formalen Naturgesetzen des reinen Verstandes abgeleitet werden können. 8 Uberall setzt hier Kant voraus, daß empirische und überhaupt bestimmte sachliche Zusammenhänge (und Verbindungen) nicht als das Resultat eines Aktus des Verstandes anzusehen sind, und zwar aus7 6

Vgl. A 3 0 / B 4 5 , A 370, A 3 7 1 - 2 , A 3 7 2 , A 3 7 8 . Vgl. B 165, A 127; K U Einl. Abschn. V und K R V A 642/B 670ff. „ V o m regulativen Gebrauch der Ideen der Vernunft".

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Verbindung als Verstandeshandlung

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drücklich auch dann nicht, wenn die Gegenstände bloß unsere Vorstellungen sind: Letzteres macht sehr deutlich eine Bemerkung Kants an der Stelle A 537/B 565, an der explizit davon ausgegangen wird, daß entgegen B 164 die uns gegebenen Gegenstände natürlich auch als bloße Vorstellungen nach empirischen Gesetzen zusammenhängen. 9 Auch Kants Rede von einer von der Erfahrung „erborgten" Synthesis, als welche er empirische Begriffe auffaßt (A 220/B 267), schließt aus, daß tatsächlich generell, wie es B 129f. behauptet ist, „alle" Verbindungen das Resultat einer Verstandeshandlung sein können. 1 0 Dies macht es nun schwierig, die Tragweite der Äußerung B 129 f. über das Nichtgegebensein von Verbindungen richtig abzuschätzen. Jedenfalls ist deutlich, wie durch die Nichtunterscheidung zwischen kategorialen und faktischen Verbindungen Kant seine transzendentale Synthesistheorie mit Schwierigkeiten belastet, die im Grunde vermeidbar sind. Aber tatsächlich brauchen wir uns um diese Schwierigkeiten hier nicht weiter zu kümmern, denn bei näherem Zusehen zeigt sich, daß Kant an der Stelle B 129 f. zwar von allen Verbindungen spricht (und auch alle Verbindungen meint), daß es ihm im Rahmen seines eigentlich transzendentalen Ansatzes hier aber gar nicht auf alle Verbindungen ankommt, sondern nur auf jene kategorialen Verbindungen, denen eine besondere Funktion im Hinblick auf die Möglichkeit der (intentionalen) Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen zukommt. Das läßt sich durch eine ganze Reihe von Beobachtungen stützen, vor allem durch den Hinweis darauf, daß unter der hier behandelten „Synthesis" (B 130) nach Kants Meinung jedenfalls nicht solche Zusammenhänge

9

10

Vgl. A 537/B 565: „Wenn dagegen Erscheinungen für nichts mehr gelten, als sie in der Tat sind, nämlich nicht für Dinge an sich, sondern bloße Vorstellungen, die nach empirischen Gesetzen zusammenhängen . . . " Die Schwierigkeiten, die hier bestehen, sind im Grund überhaupt kennzeichnend für Kants (in seine Wissenschaftstheorie gehörige) Lehre vom Erscheinungscharakter der Erfahrungsgegenstände: einerseits können empirische Zusammenhänge nicht auf die Dinge an sich zurückgeführt werden, andererseits sollen sie aber auch nicht subjektiv-willkürlich sein. Als Ausweg aus diesem Dilemma ist Adickes' Theorie der „doppelten Affektion" gedacht, wonach zunächst ein durch die Dinge an sich hervorgerufenes Mannigfaltiges durch das transzendentale Ich zu empirischen Gegenständen vereinigt wird, zu denen auch das empirische Ich gehört; diese empirischen Gegenstände rufen in dem empirischen Ich Wahrnehmungen hervor, die vom empirischen Ich in empirischen Synthesen als Vorstellungen von Gegenständen interpretiert werden (vgl. Wolff 170). Das empirische Bewußtsein in der wirklichen Erfahrung ist von der transzendentalen Einheit der Apperzeption dann in dem Sinne abgeleitet, daß im empirischen Bewußtsein nur reproduziert würde, „what we have already produced by a transcendental synthesis" (Wolff 171).

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

zu verstehen sind, wie sie etwa zwischen „identischen" Vorstellungen bestehen. Das sind solche, die, wie Kant sagt, „eine durch die andere analytisch könne gedacht werden" (B 131 Anm.). Wenn Kant B 129f. von Verbindungen und Synthesen spricht, geht es ihm also gar nicht darum, daß z . B . der bestimmte Sachzusammenhang einer logischen Äquivalenz oder logischen Implikation zwischen bestimmten Vorstellungen auf einem Aktus der Spontaneität des Verstandes beruht — was ja vielleicht tatsächlich der Fall sein mag —, vielmehr kommt es Kant auf solche Verbindungen an, in denen das „Bewußtsein" verschiedener Vorstellungen gerade unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen von solchen sachlichen, hier logischen, Zusammenhängen, die zwischen ihnen bestehen, vereinigt wird. Auffällig ist hier auch, daß Kant eigens die Möglichkeit abwehrt, die von ihm gemeinte Verbindung könne „in der reinen Form der sinnlichen Anschauung zugleich mit enthalten sein" (B 129—30). Für welche Verbindungen kann man denn annehmen, sie könnten in der reinen Form der Ansschauung mit enthalten sein? Es ist nach dem gesamten Ansatz der Kantischen Ästhetik klar, daß das gewiß nicht faktische empirische Zusammenhänge sein können, und auch daraus würde folgen, daß es Kant hier nicht um die Erklärung von sachlichen Zusammenhängen und erst recht nicht um die von empirisch-sachlichen Zusammenhängen geht. Tatsächlich ist die Verbindung oder conjunctio eines Mannigfaltigen überhaupt, von der hier die Rede ist und die Kant „mit der allgemeinen Benennung Synthesis" belegt (B 130), denn auch eine Verbindung, von der es heißt, daß sie „für alle Verbindung gleichgeltend sein müsse". Sie ist also ausdrücklich im Kantischen Text selber von anderen ihr nachgeordneten Verbindungen unterschieden, und ihre immer gleichgeltende Funktion besteht, wie Kant B 130 sagt, darin, nur überhaupt Vorstellungen zu vereinigen, aber nicht irgendwie, sondern — und das ist hier das eigentlich Wichtige — „im Objekt". Tatsächlich und entgegen dem Wortlaut geht es Kant an der Stelle B 129 f. also gar nicht um alle Verbindungen, und deshalb braucht die Behauptung, daß Verbindungen Verstandeshandlungen sind, auch nicht im Hinblick auf alle Verbindungen, sondern nur im Hinblick auf die transzendentale „ursprünglich einige, und für alle Verbindung gleichgeltende" Synthesis verteidigt zu werden. Allein auf diese transzendentale Synthesis stellt Kant im Rahmen seines kategorialen Ansatzes ab, und nur von ihr sucht er zu zeigen, daß sie die Voraussetzung und Bedingung des Zusammenstehens von Vorstellungen in der objektiven Einheit der Apperzeption ist und daß sie deshalb „nicht durch Objekte gegeben" ist (B 130).

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Die objektive Einheit des Selbstbewußtseins

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Nach allem ist also klar, daß wir, wenn wir die Kantische SynthesisLehre in der Kategorien-Deduktion der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft" darzustellen suchen, es gerade nicht mit Problemen der Möglichkeit und der Gegebenheitsweise von faktischen Sachverbindungen zu tun haben, obwohl Kants Exposition dieses Problems die gegenteilige Meinung nahelegt. Zwar kommt gerade darin zum Ausdruck, daß bei Kant kategoriale und faktische Bestimmungen nicht deutlich voneinander unterschieden sind, aber aus den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten wird auch deutlich, daß das Problem der Möglichkeit der Erfahrung als des H a bens überhaupt von Welt sich gegenüber dem wissenschaftstheoretischen Ansatz auch in seinem Eigengewicht zur Geltung bringt. Die Neufassung der Kategorien-Deduktion zeigt so bereits im Ansatz — und zwar in Ubereinstimmung mit dem, was auch die Untersuchung des Verhältnisses von Assoziation und Synthesis ergeben hatte —, daß es Kant hier mehr als in der 1. Auflage um das Problem der Möglichkeit der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer empirischen Vorstellungen geht und daß nach seiner Meinung diese Gegenstandsbeziehung allein durch kategoriale, keineswegs durch bloß faktische Verbindungen, seien diese nun gegeben oder durch unser Denken hervorgebracht, zustandekommt. Wie die kategoriale Verbindung positiv aussieht, haben wir bisher allerdings erst flüchtig gestreift, wir müssen deshalb im Anschluß an Kant nun dazu übergehen, seine Synthesis-Theorie ausführlich auch in ihren affirmativen Zügen darzustellen.

13. Die objektive

Einheit des

Selbstbewußtseins

Für die systematische Darstellung der Struktur und des Sinns der „ o b jektiven" Synthesis, durch die unsere Vorstellungen allererst „im O b j e k t " vereinigt werden und deshalb intentionale Gegenstandsbeziehung erhalten, wäre es vielleicht am bequemsten, wenn man unmittelbar an Kants Überlegungen im § 17 über den „Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperzeption als das oberste Prinzip alles Verstandesgebrauches" (§17 Überschrift) anknüpfen könnte. Man brauchte sich dann nicht auf Kants schwierige und im Kern nicht haltbare Theorie der Einheit des Selbstbewußtseins einzulassen, sondern könnte sich einfach an Kants Definition des Objekts halten. Im § 17 bestimmt Kant — ebenso wie A 105 und A 106 — das O b jekt jedenfalls als das, „in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist" (B 137), und von daher läßt sich auch leicht einsichtig machen, daß die Verbindung „ i m O b j e k t " nichts anderes ist als ein

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

Zusammenfügen verschiedener Vorstellungen, die zunächst für sich nicht Gegenstandsbeziehung haben, im Hinblick auf durch diese Zusammenfügung erst mögliche Sachverhalts- und Gegenstandsbestimmungen. Allerdings ist diese Herleitung nicht unproblematisch. Wegen des faktisch-kategorialen Doppelsinns, in dem Kant von der „Vereinigung von Vorstellungen im Objekt" spricht, ist nämlich nicht auszuschließen, daß hier vielleicht wiederum gemeint ist, daß Vorstellungen faktisch richtig, d.h. in Ubereinstimmung mit der objektiven Wirklichkeit zusammengefaßt sein müssen, damit sie objektive Realität und Gegenstandsbeziehung haben. Statt mit der ursprünglichen Einheit der Apperzeption hätten wir es dort, wo Kant vom Begriff des Gegenstandes handelt, also immer auch mit bestimmten Einheiten zu tun, wie sie z. B. im Begriff eines Dreiecks im Unterschied zu dem eines Körpers Ausdruck finden und wie sie dann jeweils hic et nunc in der (wahren) Erkenntnis eines Dreiecks im Unterschied zu der z.B. eines Körpers verwirklicht sind. Kants Exposition des Problems der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen ist eben, wie wir uns klargemacht haben, an der Frage der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori orientiert, und das bedeutet, daß sie stets auch unter dem Gesichtspunkt der Frage nach der Möglichkeit einer wahren und zutreffenden objektiven Erkenntnis erfolgt. Das hat zur Folge, daß die ursprüngliche Einheit der Apperzeption, die für sich bloß formal ist und allen bestimmten begrifflichen Synthesen stets auf dieselbe Art als ein sie insgesamt ermöglichender Sinnhorizont zugrundeliegt, häufig bloß als ein bestimmter faktischer Zusammenhang von s o l c h e n Vorstellungen erscheint, wie sie in wahren und richtigen Erkenntnissen zusammengehören. Statt von der transzendental-kategorialen Einheit unserer Vorstellungen, die auch in falschen Sätzen und bloß prätendierten Erkenntnissen vorausgesetzt ist, wäre hier in einer sehr charakteristischen Verkürzung also immer auch von faktischen Zusammenhängen die Rede. Als Erkenntniszusammenhänge verweisen solche faktischen Zusammenhänge zwar an sich auf die vorgängige transzendentale Einheit der Apperzeption, aber daß es im Horizont der Frage nach der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen eigentlich allein und ausschließlich auf diesen formalen Apperzeptionszusammenhang ankommt, ließe sich wegen der oft geradezu irreführenden Ausdrucksweise Kants dann häufig gar nicht mehr erkennen.1 Will man also Kants Konzeption einer objektiven Synthesis und der dadurch erst möglichen intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstel1

Vgl. die ausführliche Diskussion dieses Punktes unten Abschn. 18, S. 189f.

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Die objektive Einheit des Selbstbewußtseins

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lungen in ihren Intentionen wirklich in den Griff bekommen, so kommt man nicht darum herum, sich auf Kants Synthesis-Lehre auch in ihren „psychologischen" Aspekten einzulassen, zumal diese von Kants Begriff der ursprünglichen Einheit der Apperzeption nicht zu trennen sind. Wir werden also zunächst Kants Darlegungen (im § 15) über die „Einheit" der von ihm untersuchten Synthesis folgen, die im § 16 — noch vor der Darstellung der „Objektivität" der ursprünglichen Einheit der Apperzeption — sich für Kant als die ursprüngliche Einheit des Se/^sibewußtseins ergibt. Damit stehen wir dann mitten in allen Schwierigkeiten von Kants transzendentaler Egologie, also nicht nur seiner transzendentalen Psychologie im allgemeinen. Aber das läßt sich nicht gut vermeiden, da für Kant die Identifizierung von „objektiver" Einheit der Apperzeption und ursprünglicher Einheit des Se/fefbewußtseins ganz besonders wichtig ist. Man kann zwar, wie wir es im folgenden tun werden, die Theorie der objektiven Einheit der Apperzeption unter Vernachlässigung der mit ihr verbundenen egologischen Aspekte herausarbeiten, jedoch sind es Gründe der sachlichen Beurteilung und der sachlichen Auseinandersetzung mit Kants Objektivitätstheorie, die es umgekehrt auch erforderlich machen, auf den Zusammenhang von Kants Objektivitätslehre mit seiner Lehre von der ursprünglichen Einheit des Selbstbewußtseins einzugehen. — Im § 15 trifft Kant die wichtige Feststellung, daß „der Begriff der Verbindung außer dem Begriffe des Mannigfaltigen, und der Synthesis desselben, noch den der Einheit desselben bei sich" führt, denn, sagt Kant, „Verbindung ist Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen" (B 130—1). Das bedeutet, daß wir es bei Kants Erörterung dessen, was er Verbindung oder Synthesis nennt, entgegen der üblichen Meinung nicht in erster Linie mit dem Vorgang oder mit dem Geschehen eines Verbindens zu tun haben, 2 sondern daß es hier um das Problem einer Einheit geht, zu der die Vorstellungen bereits gebracht sind oder in der sie, neutral ausgedrückt, immer schon stehen, wenn sie Gegenstandsbeziehung haben. Kant weist ausdrücklich darauf hin, daß diese Einheit, und nicht die Vereinigung als Handlung, das Primäre und eigentlich Entscheidende bei der Betrachtung der Synthesis von Vorstellungen ist, denn, heißt es bei ihm, „die Vorstellung dieser Einheit kann . . . nicht aus der Verbindung entstehen, sie macht vielmehr dadurch, daß sie zur Vorstellung des Mannigfaltigen hinzu2

D a s heißt nicht, daß Kant nicht häufig genug auch von solchen Verbindungshandlungen hic et nunc spricht, zumal in den eher wissenschaftstheoretisch orientierten Teilen seiner Synthesis-Theorie; vgl. unten S. 154ff.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

k o m m t , den Begriff der Verbindung allererst m ö g l i c h " (B 131). U n d keineswegs ist hier nach bestimmten Einheiten von Vorstellungen gefragt, vielmehr geht es Kant um eine solche ursprüngliche Einheit, die nicht nur vor allen sachlichen, sondern sogar auch noch vor allen kategorialen Differenzierungen liegt. Sie ist nach Kants Äußerungen im Kategoriengebrauch bereits vorausgesetzt, und Kant sucht sie deshalb als „qualitative" Einheit „ i n demjenigen, was selbst den Grund verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin die Möglichkeit des Verstandes sogar in seinem logischen Gebrauch enthält" (B 131). Diese ursprüngliche Einheit, die die Gegenstandsbeziehung von V o r stellungen ermöglichen soll, nennt Kant die „ursprünglich-synthetische Einheit der A p p e r z e p t i o n " , 3 und er kennzeichnet sie ausdrücklich als die Einheit des Selbstbewußtseins.

D i e ursprüngliche Einheit der Vorstellun-

gen, die allein ihnen Gegenstandsbeziehung verleihen kann und die als E i n heit der Apperzeption „ d e r höchste Punkt (ist), an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften m u ß " (B 134 A n m . ) , soll danach also gar nichts anders sein als die „ E i n h e i t des Selbstbewußtseins", d. h. eine Einheit, in der alle meine Vorstellungen stehen, insofern ich sie habe, und in der sie auch mit N o t wendigkeit zusammenstehen müssen, weil sie sonst mir gar nicht gehören würden. Genau das ist der Sinn des berühmten Satzes, mit dem Kant den § 1 6 beginnt: „Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein" (B 131—2). Das bedeutet zunächst nicht mehr, als daß alle meine Vorstellungen schließlich meine Vorstellungen sind, was umgekehrt nicht der Fall sein könnte, „ w e n n sie nicht insgesamt zu einem Selbstbewußtsein gehörten". D e n n , wie Kant sagt, müssen „meine Vorstellungen . . . der Bedingung notwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können,

weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören

w ü r d e n " (B 1 3 2 - 3 ) . D e r Sachverhalt, auf den Kant hier so nachdrücklich hinweist, scheint dennoch zunächst recht trivial zu sein, und man fragt sich, wie sich daraus, daß meine Vorstellungen mir gehören müssen, eigentlich „vieles folgern" lassen sollte, das für Kants Zwecke von Bedeutung sein könnte (B 133). In 3

§ 16 Überschrift.

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D i e objektive Einheit des Selbstbewußtseins

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der Tat gilt, daß meine Vorstellungen, aber nicht nur diese, sondern eben alle meine Erlebnisse, mir als meine müssen bewußt werden können, damit sie für mich etwas sind und mich überhaupt etwas angehen können. Mag mir im Einzelfall die Mir-Zugehörigkeit meiner Vorstellungen auch nicht deutlich sein, so sind meine Vorstellungen an sich dennoch meine Vorstellungen; jedenfalls in der Reflexion müssen sie sich als „meine" Vorstellungen erweisen lassen, wenn sie Vorstellungen sein sollen, die ich habe und nicht jemand sonst oder überhaupt niemand. Der „Grundsatz der notwendigen Einheit der Apperzeption" (B 135), den Kant als analytischen Satz hinstellt, erscheint deshalb zunächst tatsächlich einfach als tautologisch 4 in dem Sinne, daß er nur eben die Zusammengehörigkeit aller meiner Erlebnisse in der Einheit eines Bewußtseins ausdrückt, als unterschieden von Vorstellungen, die zu den verschiedenen „Bewußtseinen" mehrer Menschen gehören. Zu dieser Auffassung scheint zu passen, daß Kant das Zusammenstehen meiner Vorstellungen „in einem allgemeinen Selbstbewußtsein" (B 132) negativ durch den Hinweis darauf näher bestimmt, daß die Aufhebung des hier gemeinten Zusammenhangs zugleich auch die „Identität des Subjekts" aufheben würde (B 133). In der Tat müßte die Aufhebung der Einheit der Apperzeption eines gegebenen Mannigfaltigen von Vorstellungen dazu führen, „daß ich ein so vielfärbiges Selbst" hätte, „als ich Vorstellungen habe, deren ich mir bewußt bin" (B 134). Statt des einen Ich gäbe es dann sozusagen immer eine Mehrheit von „Selbsten", deren Vorstellungen jeweils innerhalb eines „Selbst", aber nicht im Verhältnis der verschiedenen „Selbste" zueinander in der Einheit eines Bewußtseins zusammengehörten. Da-

4

E s ist erstaunlich, wie rasch sich manchmal die Ausleger damit zufrieden geben, daß der G r u n d s a t z der A p p e r z e p t i o n im angegebenen Sinne eine T a u t o l o g i e darstellt. Wolff fragt z w a r : „ H o w can a tautology serve as the highest principle of transcendental p h i l o s o p h y ? " , aber seine A n t w o r t : „ T h e principle is a tautology because it defines the nature of an understanding w h o s e fundamental act is the synthesis of a given manifold. T h e synthetic p r o p o s i tion which is added t o this in order to yield a genuine advance in knowledge is simply the assertion that h u m a n understanding is such an u n d e r s t a n d i n g " (186—7), ist doch ganz unbefriedigend. N a c h Bennett will K a n t mit seinem analytischen G r u n d s a t z nur sagen, „ t h a t every representation m u s t occur . . . in the mind of a self-conscious or self-aware b e i n g " ( K a n t ' s Analytic 104); man sieht jedoch nicht, was sich daraus Wichtiges gerade f ü r die Gegenstandserkenntnis im G e g e n s a t z zu einem ungegenständlichen Bewußtsein ergeben könnte. O h n e Beweis sagt Buchdahl, daß v e r m ö g e des ,Ich denke' „all the different individual parts of consciousness are parts of one a n d the same consciousness, the unity (of) which in fact constitutes consciousness of an o b j e c t " (Buchdahl, M e t a p h . 626); ebenso Paton: „ T h e only reason w h y m y ideas m u s t b e m y ideas . . . is that, unless they were, they could n o t p o s s e s s unity and s o be ideas of objects in one objective w o r l d . " (I 511).

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

mit wäre der Zusammenhang meiner Vorstellungen in dem Sinne aufgehoben, daß dann bestimmte Partien meines Bewußtseins von anderen faktisch abgeschnitten wären, 5 weil sie gleichsam zu verschiedenen Individuen gehören würden. Danach hätten wir es in Kants Synthesis-Uberlegungen mit einem Begriff der „Einheit des Bewußtseins" zu tun, wie er z.B. bei Brentano entwickelt ist. Seine positive Bestimmung erhält dieser Begriff der Einheit des Bewußtseins von daher, daß die Erlebnisse verschiedener Menschen gerade nicht in der Einheit eines Bewußtseins zusammengehören. So zeigt Brentano am Beispiel des gleichzeitigen Hörens und Sehens, daß die Vergleichung des Gesehenen und Gehörten und die Feststellung ihrer Verschiedenheit die Zugehörigkeit der Vorstellungen von Farbe und Ton zum selben Subjekt voraussetzen. Dagegen erscheint es uns als absurd, daß ein Blinder, der hören kann, und ein Tauber, der sehen kann, zusammen dieses Verhältnis von Farben und Tönen zueinander erkennen könnten, denn, wie Brentano sagt, ist „die vergleichende Erkenntnis eine wirkliche sachliche Einheit", die bei der Zusammenfassung der Tätigkeiten des Blinden und des Tauben gerade nicht erreicht wird. 6 Wie die Erkenntnis der Verschiedenheit von Farbe und Ton das gemeinsame Vorkommen der Färb- und Tonvorstellungen in einem einzigen Bewußtsein zur Voraussetzung hat, so gilt umgekehrt, daß der Zusammenhang unseres Bewußtseinslebens aufgehoben würde, wenn die einzelnen Glieder unserer Gedanken auf eine Vielheit von Subjekten verteilt würden. 7 Im Sinne dieses sehr allgemeinen Begriffs von Einheit des Bewußtseins würde die Einheit der Apperzeption als Einheit des Selbstbewußtseins auch bei Kant zunächst also nur die durchgängige Zugehörigkeit aller meiner Vorstellungen zu einem einzigen Subjekt bedeuten, und sie wäre so allerdings gewiß eine notwendige Voraussetzung des Erkennens. Wenn diese Einheit des Bewußtseins und damit vielleicht das Bewußtsein selber aufgehoben wäre, so entfiele alle Möglichkeit, die verschiedenen Teile meines Ich und seine Vorstellungen ursprünglich so zusammenzubringen, daß z . B . auch nur die logische Identität zweier Vorstellungen nachvollzogen und erkannt werden könnte. Genau das ist Kants Meinung, wenn er sagt, daß „die Einheit des Bewußtseins, die in jedem Erkenntnis notwendig angetroffen werden muß, es unmöglich (macht), daß Vorstellungen, unter viele 5 6 7

Was bei Gehirn-Bisektionen tatsächlich vorkommt; vgl. Nagel. Brentano I 2 2 6 - 7 . Ebd. 227.

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Die objektive Einheit des Selbstbewußtseins

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Subjekte verteilt, Einheit des Gedankens ausmachen sollten". Und ganz ähnlich äußert er sich auch im Paralogismus-Kapitel der 1. Auflage der „Kritik": für Kant ist der als „unmittelbarer Ausdruck der Apperzeption" anzusehende (A354—5) nervus probandi des 2. Paralogismus der Satz, „daß viele Vorstellungen in der absoluten Einheit des denkenden Subjekts enthalten sein müssen, um einen Gedanken auszumachen" (A 352), weil umgekehrt „Vorstellungen, die unter verschiedene Wesen verteilt sind (z.B. die einzelnen Wörter eines Verses) niemals einen ganzen Gedanken (einen Vers) ausmachen" können (A 352). 8 Nun ist allerdings die Frage, ob in solchen Bestimmungen der Sinn dessen, was Kant unter der ursprünglichen Einheit des Bewußtseins oder der transzendentalen Einheit der Apperzeption versteht, tatsächlich erschöpft ist. Dagegen spricht mehreres, vor allem die Tatsache, daß aus der so bestimmten Einheit des Bewußtseins als des ungeteilten Mir-Gehörens aller meiner Vorstellungen für sich allein offenbar gar nichts darüber folgt, ob meine Vorstellungen Gegenstandsbeziehung haben oder nicht. Denn in der Einheit eines ungeteilten Mir-Gehörens stehen auch alle jene seelischen Vorkommnisse und Erlebnisse, die niemals objektive Bedeutung erhalten können. Andererseits ist die ursprüngliche Einheit des Selbstbewußtseins von Kant aber ausdrücklich gerade im Hinblick auf die Möglichkeit der Gegenstandsbeziehung von Vorstellungen eingeführt, so noch im § 15, wo die Verbindung von Vorstellungen „im Objekt" direktes Thema der Untersuchung ist. Die Einheit des Selbstbewußtseins ist von Kant stets als dasjenige aufgefaßt, was „die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objektive Gültigkeit, folglich, daß sie Erkenntnisse werden, ausmacht" (B 137), und auch sonst geht es Kant in seinen Synthesis-Uberlegungen immer um die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen. D . h . er will die Bedingungen dafür angeben, daß wir „irgend etwas . . . erkennen" können, z . B . eine Linie (B 137), oder daß in unseren Vorstellungen „allererst ein Objekt erkannt w i r d " (B 138). Den engen Zusammenhang, der zwischen der Einheit der Apperzeption und der Gegenstandsbeziehung von Vorstellungen besteht, zeigt ebenfalls der § 19, wo Kant die Objektivation von Vorstellungen darauf zurückführt, daß sie „vermöge der notwendigen Einheit der Apperzeption in der Synthesis der Anschauungen zuein8

Vgl. dazu - worauf Kemp Smith (459 A n m . ) und ihm folgend W o l f f (106) hinweisen auch James' Beispiel: „Take a sentence of a dozen words, and take twelve men and tell to each one word. Then stand the men in a r o w or jam them in a bunch, and let each think of his w o r d as intently as he will; nowhere will there be a consciousness of the whole sentence".

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

ander (gehören), d.i. nach Prinzipien der objektiven Bestimmung aller Vorstellungen, sofern daraus Erkenntnis werden kann, welche Prinzipien alle aus dem Grundsatz der transzendentalen Einheit der Apperzeption abgeleitet sind" (B 142). Schließlich kann auch nur wegen ihrer Leistungen im Hinblick auf die Beziehung unserer Vorstellungen auf Gegenstände die ursprüngliche Einheit des Bewußtseins, durch die „alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einem Begriff vom Objekt vereinigt wird" (B 139, vgl. B 137), auch „objektive" Einheit des Selbstbewußtseins heißen (B 139, Überschrift § 18). Die Einheit des Selbstbewußtseins ist also als objektive Einheit intendiert, auch wenn sie als bloßes Mir-Gehören aller meiner Vorstellungen die Objektivität unserer Vorstellungen gar nicht leistet. Damit ergibt sich aber das Problem, als was die ursprüngliche Einheit der Apperzeption bei Kant weiterhin bestimmt sein muß, damit sie in dem von Kant intendierten Sinne überhaupt „objektive" Einheit des Selbstbewußtseins oder „objektive" Einheit der Apperzeption sein kann. Daß die Einheit des Selbstbewußtseins notwendige Bedingung für die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen ist, ist klar; für Kants Problem der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung kommt es aber darauf an, jene Züge anzugeben, aufgrund deren die ursprüngliche Einheit des Selbstbewußtseins auch eine hinreichende Bedingung ist, so daß man sagen kann, daß durch sie die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen allererst hervorgebracht wird. Die Frage ist also, als welche Art von Zusammenhang Kant die Einheit des Selbstbewußtseins tatsächlich in Anspruch nimmt, so daß sie auch hinreichende Bedingung für die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen sein kann. Zur Beantwortung dieser Frage geht man am besten von Kants Urteilsdefinition im § 19 aus. Kant bestimmt hier die objektive Einheit des Selbstbewußtseins als eine solche Einheit, die in objektiven Urteilen realisiert ist, die aber z. B. dann nicht vorliegen soll, wenn Vorstellungen bloß nach Assoziationsgesetzen in der Wahrnehmung miteinander verbunden sind (vgl. B 142). 9 Damit stellt sich unmittelbar das Problem, weshalb Vorstellungen,

9

Wir sind auf diese Stelle bereits früher eingegangen — im Zusammenhang der Frage nach dem Verhältnis von Synthesis und Assoziation, vgl. oben S. 106. — Wie bei den Wahrnehmungsurteilen stellt sich übrigens hier die Frage, ob es solche bloß subjektiven Vorstellungsverbindungen nach Kant eigentlich geben dürfte (vgl. unten S. 132 ff.). Im Hinblick auf faktisch subjektive Verbindungen ist die Frage z.B. von Lewis verneint worden, und zwar mit dem Hinweis, daß hier die Kategorien nicht Anwendung fänden (vgl. Beck, Träume 26); im selben Sinne äußert sich Kemp Smith (S. 222) und auch Hossenfelder (S. 137), der darauf verweist, daß das Vorkommen einer bloß subjektiven Einheit aus Gründen der

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die häufig, aber bloß in der Wahrnehmung miteiander verbunden sind, nicht vom „Ich denke" begleitet sein sollen, und die Frage ist, weshalb die Einheit des Selbstbewußtseins nicht geleistet ist, wenn ich nur sagen kann: „Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere", wohl aber, wenn ich sage: „Er, der Körper, ist schwer". Denn zunächst einmal kommen doch, so könnte man sagen, in beiden Fällen dieselben Vorstellungen vor, und sie scheinen auch auf die gleiche Weise in einem einzigen Bewußtsein miteinander verbunden zu sein, so daß alle Bestimmungen und Kennzeichnungen, die Kant im Hinblick auf die ursprüngliche Einheit der Apperzeption qua Selbstbewußtsein gegeben hat, offenbar unterschiedslos in beiden Fällen zutreffen. Denn auch wenn ich nur den fraglichen „Wahrnehmungssatz" über das Verhältnis von Körper und Schwere äußere, müssen die Vorstellungen des Körpers und der Schwere wenigstens in der Einheit eines einzigen Selbstbewußtseins zusammenstehen, sonst könnten sie, wie Kant B 132 sagt, in ihrem Zusammenhang ja in der Tat „für mich nichts sein". Da nach Kants Darlegungen die Vorstellungen von Körper und Schwere aber dennoch nicht in der Einheit des Selbstbewußtseins zusammengehören sollen, so ist die Schlußfolgerung unausweichlich, daß Kant unter der Einheit des Selbstbewußtseins und der ursprünglichen Einheit des Selbstbewußtseins noch mehr und etwas anderes verstehen muß als nur die ungeteilte Mir-Gehörigkeit aller meiner Vorstellungen, und es ist auch klar, auf was er abzielt: Da die Einheit des Selbstbewußtseins zwar in kategorial objektiven Urteilen, aber nicht bloß subjektiven Assoziationsverbindungen von Vorstellungen realisiert ist, ist die ursprüngliche Einheit des Selbstbewußtseins die Einheit eines Ich, das seine vielerlei und mannigfaltigen Vorstellungen im Hinblick auf durch sie mögliche Gegenstands- und Sachverhaltsbestimmungen ursprünglich stets schon zusammengefaßt hat, so daß es sich selbst in ihnen allen und in jeder einzelnen als auf dieselbe Wirklichkeit bezogen wiederfinden kann. N u n muß man allerdings zugeben, daß diese Bestimmung der ursprünglichen Einheit des Selbstbewußtseins nicht diejenige ist, die Kant selber gibt, und wahrscheinlich würde Kant sich gegen diese Auffassung zur Wehr setzen. Aber dennoch ist, wie wir im vierten Kapitel ausführlich zeigen

Möglichkeit des Selbstbewußtseins ausgeschlossen sein müßte. Beck zeigt übrigens, daß sich im Rahmen des Kantischen Ansatzes Träume und die Gegenstände von Wahrnehmungsurteilen als Zustände unseres empirischen Selbst auffassen lassen; auch hier würde schließlich also ein kategorial vermittelter Bezug auf Gegenstände vorliegen (vgl. S. 37).

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

werden, genau dies die stillschweigende Voraussetzung aller Äußerungen Kants über die Objektivität der Einheit des Selbstbewußtseins. Im jetzigen Zusammenhang mag zum Beleg dafür der Hinweis auf die Stelle A 108 genügen, aus der unmittelbar hervorgeht, daß Kant die ursprüngliche Einheit des Selbstbewußtseins immer schon als die Einheit eines gegenständlich orientierten Bewußtseins denkt. Bei Kant heißt es: „Also ist das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen, d. i. nach Regeln, die sie nicht allein notwendig reproduzibel machen, sondern dadurch auch ihrer Anschauung einen Gegenstand bestimmen, d. i. den Begriff von etwas, darin sie notwendig zusammenhängen; denn das Gemüt konnte sich unmöglich die Identität seiner selbst in der Mannigfaltigkeit seiner Vorstellungen, und zwar a priori denken, wenn es nicht die Identität seiner Handlung vor Augen hätte, welche alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) einer transzendentalen Einheit unterwirft, und ihren Zusammenhang nach Regeln a priori zuerst möglich m a c h t . "

Das bedeutet, daß nicht nur, wie es auf der Linie von Kants Argumentation liegt, die transzendentale Einheit der Apperzeption „vor aller Erfahrung vorhergeht und diese selbst möglich macht" (A 107) oder daß „die Einheit des Bewußtseins dasjenige ist, was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objektive Gültigkeit, folglich, daß sie Erkenntnisse werden, ausmacht" (B 137). 10 Es bedeutet vielmehr auch umgekehrt, daß die ursprüngliche Einheit des Selbstbewußtseins ihrerseits ohne die synthetische Vereinigung von Vorstellungen, wodurch diese allererst Gegenstandsbeziehung erhalten, nicht möglich ist. Kants wiederholte Hinweise darauf, daß die „durchgängige Identität der Apperzeption eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen . . . eine Synthesis der Vorstellungen (enthält) und . . . nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis möglich" ist (B 133), daß die „synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, als a priori gegeben, . . . der Grund der Identität der Apperzeption selbst" ist (B 134), daß der an sich analytische Grundsatz der notwendigen Einheit der Apperzeption „eine Synthesis des in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen als notwendig (erklärt), ohne welche jene durchgängige Identität des Selbstbewußtseins nicht gedacht werden kann" (B 135), bedeuten aber so, daß im Grunde die ursprüngliche Einheit des Selbstbewußtseins falsch benannt ist. Denn in Wirklichkeit ist sie nichts an10

Vgl. auch B 139: „ D i e transzendentale Einheit der Apperzeption ist diejenige, durch welche alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Objekt vereinigt wird."

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Das „Gewühle der Erscheinungen"

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deres als jene objektive Einheit, in der Vorstellungen stehen müssen, wenn sie Gegenstandsbeziehung haben. Wenn man nur sagt, daß die objektive Einheit der Vorstellungen eben die andere Seite der ursprünglichen Einheit des Selbstbewußtseins sei, kommt diese Identität ganz richtig zum Ausdruck, allerdings ist dabei nicht berücksichtigt, daß im Grunde die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen gerade nicht der Einheit des Selbstbewußtseins zu verdanken ist. 11 Zugrunde liegt vielmehr ein ganz andere Einheit, und die ist ihrerseits Bedingung der Möglichkeit dafür, daß in gegenständlicher Hinsicht überhaupt der Unterschied zwischen den Dingen der Welt und einem sich von ihnen unterscheidenden Selbst erfahrbar wird. Im Folgenden wollen wir uns deshalb zunächst einmal allein mit dieser objektiven Einheit unserer Vorstellungen, d.h. mit der „ursprünglichen Einheit der Apperzeption" ohne alle Konnotationen eines bei Kant im Grunde immer gegenständlich gemeinten Selbstbewußtseins beschäftigen. Wir stellen die ausführliche Behandlung des Problems des Selbstbewußtseins und seiner Einheit also noch zurück und wenden uns jetzt wiederum unmittelbar dem Problem der Bedingungen der Gegenstandsbeziehung und Objektivität unserer (empirischen) Vorstellungen zu. Die Frage ist also, wie die „ o b j e k t i v e " Verbindung und ihre Einheit aussieht, in der Vorstellungen stehen müssen, wenn sie Gegenstandsbeziehung haben sollen.

14. Das „Gewüble

der

Erscheinungen"

Um ein richtiges Verständnis der objektiven Einheit der Apperzeption zu gewinnen und um dabei zugleich solche Bestimmungen ausschließen zu können, die nicht wesentlich zu den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung gehören, ist es unbedingt erforderlich, auch danach zu fragen, was es bedeuten würde, wenn die Einheit der Apperzeption nicht geleistet wäre. Da sie nach ihrem Begriff die notwendige und hinreichende Bedingung für die intentionale Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen ist, müßte ihre Aufhebung darauf hinauslaufen, daß damit auch die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen aufgehoben würde. Statt mit der Welt und den Gegenständen und Sachverhalten in ihr dürften wir es dann nur noch mit subjektiven Zuständen zu tun haben, in denen wir etwas Gegenständliches noch nicht einmal vermeinen könnten, und das müßte gerade deshalb der Fall sein, weil unsere Vorstellungen dann nicht mehr in solchen syntheti11

Vgl. unten Kap. IV.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

sehen Zusammenhängen ständen, wie sie nach Kant für die Gegenstandsbeziehung notwendig sind. Umgekehrt müßte sich auch so noch einmal ergeben, daß die Einheit des Selbstbewußtseins als bloß durchgängige Mir-Gehörigkeit aller meiner Erlebnisse eine viel zu schwache Bedingung der Gegenstandsbeziehung ist. Denn bei ihrer Aufhebung wäre nicht nur alles gegenständliche Bewußtsein, sondern überhaupt alles Bewußtsein aufgehoben. Könnte man zeigen, daß die Aufhebung bestimmter Zusammenhänge unserer Vorstellungen zum Verlust der Gegenstandsbeziehung führt, ohne daß dabei zugleich auch die Einheit des Selbstbewußtseins aufgehoben wäre, so läge darin also eine wichtige negative Abgrenzung dessen, was die objektive Einheit der Apperzeption positiv ausmacht. 1 Deshalb ist es von ganz außerordentlich großer Bedeutung — und wir wollen darauf ausführlich eingehen —, daß Kant sich verschiedentlich bemüht hat, das, was er positiv zur Bestimmung der ursprünglichen Einheit der Apperzeption ausführt, zu ergänzen und zurechtzurücken durch die Abgrenzung von Zuständen, in denen die Gegenstandsbeziehung von Vorstellungen nicht besteht. In der 2. Auflage der „Kritik" kommen solche Überlegungen allerdings nur am Rande vor, und zwar in erster Linie nur im Zusammenhang der Erörterung der Einheit des Selbstbewußtseins als der durchgängigen Mir-Gehörigkeit aller meiner Erlebnisse; hier sagt Kant, daß die Aufhebung der Einheit des Selbstbewußtseins dazu führen müßte, daß „ich ein so vielfärbiges Selbst haben (würde), als ich Vorstellungen habe, deren ich mir bewußt bin" (B 134). Dafür gibt es aber in der 1. Auflage eine Reihe von Äußerungen, die für uns wichtig sind, da in ihnen Kant auf die Folgen der Aufhebung oder des Fehlens der ursprünglichen Einheit aller Apperzeption gerade für unser erkennendes Weltverhalten eingeht. So weist Kant darauf hin, daß Wahrnehmungen, die nicht in der ursprünglichen und objektiven Einheit der Apperzeption zusammenstehen, „alsdann auch zu keiner Erfahrung gehören, folglich ohne Objekt, und nichts als ein blindes Spiel der Vorstellungen, d. i. weniger als ein Traum sein" würden (A 112). Das soll ganz unabhängig davon gelten, ob die Vorstellungen oder Wahrnehmungen dabei nach bestimmten Regeln („empirischen Begriffen") faktisch geordnet miteinander zusammenhängen oder nicht. Ohne die ursprüngliche Einheit der Apperzeption wäre es nach Kant auch in diesem Falle immer möglich, daß dann nur „ein Gewühle von Erscheinungen unse1

Es geht hier also darum, im Sinne des „Liniengleichnisses" von Abschnitt 5 Anm. 1 den Bereich (2) zunächst durch den Gegensatz zu Modellen von (1) zu charakterisieren. Die positive Kennzeichnung von (2) erfolgt unten Abschn. 16.

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Das „Gewühle der Erscheinungen"

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re Seele anfüllte, ohne daß doch daraus jemals Erfahrung werden könnte". Wie Kant anfügt, fiele alsdann „aber auch alle Beziehung der Erkenntnis auf Gegenstände weg, . . ., mithin würde sie zwar gedankenlose Anschauung, aber niemals Erkenntnis, also für uns soviel als gar nichts sein" (A 111). Hierher gehört auch Kants bereits zitierte Äußerung im Brief an Herz vom 26. 5. 1789, wonach Tiere nicht in der Lage sind, etwas zu erkennen, und zwar auch dann nicht, wenn die Vorstellungen bei ihnen „nach einem empirischen Gesetz der Assoziation verbunden" wären und sie „ihr Spiel regelmäßig" treiben würden, weil Tiere sich nämlich nicht der Beziehung ihrer Vorstellungen „auf die Einheit der Vorstellung ihres Objekts vermittels der synthetischen Einheit ihrer Apperzeption" bewußt sein könnten. 2 Wie gesagt würde die nähere Charakterisierung der „Vielfärbigkeit" des Selbst, des „blinden Spiels der Vorstellungen" oder des „Gewühles der Erscheinungen" als der Negativfolie der objektiven Einheit von Vorstellungen, die Kant unter dem Titel der ursprünglichen Einheit der Apperzeption thematisiert, einen bequemen Zugang auch zu einer positiven Kennzeichnung dieser transzendentalen Einheit eröffnen. Offenbar hat man nämlich in Gestalt des „Gewühles der Erscheinungen" jenes Material und jenen Stoff vor sich, auf den nach Kant die synthetischen subjektiven Formen A n wendung finden, und von diesem Material her müßte sich deshalb die ursprüngliche objektive Synthesis, durch die aus diesem Material zuallerst eine Erfahrung werden soll, besonders leicht bestimmen lassen. 3

2 3

Vgl. oben S. 109f. Wegen dieses Zusammenhangs hat man übrigens ein ganz gutes Kriterium für die Beurteilung der sachlich-systematischen Tragweite von Kant-Auslegungen auch in der Frage, wie in ihnen von dem „Material" gesprochen wird, das nach Kant durch die Formen des reinen Verstandes synthetisch zusammengefaßt und geordnet wird. Wenn wie bei Jansohn Empfindungen ausdrücklich bloß „relational" von ihrer Funktion „für" die Möglichkeit der Erfahrung her bestimmt werden (S. 195, vgl. 15Iff.), so besteht die Gefahr, daß sowohl die Empfindungen als auch ihr Zusammenhang oder ihre Verbindungen bloße Gedankendinge bleiben. Im Prinzip nicht viel anders liegen die Dinge bei Buchdahl, Transc. Reduction, dessen strukturell Amorphes, in das wir nach Kant die Form des Objekts „hineinlegen", nur relativ auf ein transzendentales „Einklammern" der Objektivität bestimmt ist und unabhängig von diesem Weg gar nicht erreichbar ist. In Metaph. and the Philos. of Science hatte im Hinblick auf Kants Versuche, von der bloß subjektiven Gültigkeit bestimmter Sätze (unserer transzendentalen Subjektivität) zu sprechen, Buchdahl noch gesagt, Kant wünsche „to describe analogically something which — given the basic features of his transcendental argument — is as such ,unspeakable'" (S. 636). Darin liegt wenigstens der Versuch einer unabhängigen Kennzeichnung; vgl. in diesem Zusammenhang auch Bird-. „The idea of what is transcendentally subjective would be that of an experience without any reference to the ways in which it might be conceived or described. . . . For we could not understand

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

Die Frage, die auch systematisch von Wichtigkeit ist, ist deshalb: Was versteht Kant unter der Vielfärbigkeit des Selbst und unter einem Gewühle von Erscheinungen? Verständlicherweise herrscht in der wissenschaftstheoretischen Kantauffassung die Neigung vor, dieses Gewühle von den Inkonsequenzen und der Inkonsistenz eines sich in der Vielfalt der Erscheinungen verlierenden bloß alltäglichen Umgangs mit den Dingen (faktische Subjektivität) her zu verstehen, so daß dann umgekehrt die objektive Einheit der Apperzeption, als Einheit eines „Bewußtseins überhaupt", nichts anderes wäre als der Inbegriff eines wissenschaftlichen und methodisch abgesicherten Erkenntnisverfahrens. Freilich ist das „ O h n g e f ä h r " des alltäglichen Wissens weit davon entfernt, als ein Gewühle von Erscheinungen gelten zu können. Aber wie wir eingangs ausgeführt haben, besteht bei Kant zweifellos die Neigung, wirkliche Einstimmigkeit und Konsequenz nur der wissenschaftlichen Erfahrung zuzusprechen, und das hat zur Folge, daß bei Kant das alltägliche Wissen leicht Züge eines Gewühles von Erscheinungen annehmen kann. Jedoch gehört diese Auffassung nur in den Kontext von Kants wissenschaftstheoretischem Ansatz, nicht auch in den der Frage nach der Beziehung der Vorstellungen auf Gegenstände überhaupt; das „ G e wühle der Erscheinungen" soll ja gerade auch dann bestehen können, wenn die Erscheinungen nach empirischen Begriffen, d.h. geregelt miteinander zusammenhängen. Es kommt also darauf an, das Gewühle der Erscheinungen gerade auch im Kontext von Kants Frage nach der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer (empirischen) Vorstellungen näher zu bestimmen. Jedoch ergeben sich hier ziemliche Schwierigkeiten dadurch, daß Kant zwar einerseits explizit unterscheidet zwischen der synthetischen Einheit von Vorstellungen, die in Gegenstandsbeziehung stehen, und der Aufhebung dieser Einheit, die dann ein Gewühle der Erscheinungen zur Folge haben müßte, daß er andererseits aber das reale Vorkommen eines in gegenständlicher Hinsicht zerstreuten Bewußtseins im allgemeinen für unmöglich hält. Zwar spricht Kant in der schon öfter herangezogenen Briefstelle von einem zerstreuten tierischen Bewußtsein, aber zugleich stellt Kant hier einen dem tierischen vergleichbaren Zustand beim Menschen ausdrücklich nur als eine Denkwhat such an experience would be like without appealing to the concepts, through which we ordinarily describe our experience" (S. 1 4 5 - 6 ) . Wie wir im Folgenden zeigen, läßt sich das „transzendental Subjektive" sehr wohl angemessen in unserer gegenständlichen Sprache beschreiben, und zwar auch entgegen Bennett, Kant's Analytic 1 0 5 - 6 und Strawson, Bounds of Sense 273: Tiere sind in der Tat normalerweise nicht verwirrt; worauf es aber ankommt, ist, daß sie nicht Gegenstände sich gegenüber haben.

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Das „Gewühle der Erscheinungen"

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möglichkeit hin, und in der „Kritik" wird das reale Vorkommen eines nicht synthetisch vereinigten Bewußtseins von Kant sogar ausdrücklich verneint. Nach A 122 wäre eine Assoziation von Vorstellungen, die keinen „objektiven G r u n d " hätte, damit vereinbar, daß „eine Menge Wahrnehmungen und auch wohl eine ganze Sinnlichkeit möglich" wären, „in welcher viel empirisches Bewußtsein in meinem Gemüt anzutreffen wäre". Dieses empirische Bewußtsein, sagt Kant, wäre aber „getrennt" und würde nicht zu einem Bewußtsein meiner selbst gehören, „welches aber unmöglich ist". Hier wirkt sich entscheidend aus, daß Kant die objektive Einheit der Apperzeption als Einheit des Selbstbewußtseins auffaßt. Wenn tatsächlich, wie Kant annimmt, die Einheit des Selbstbewußtseins hinreichende Bedingung für die intentionale Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen ist, dann muß die Aufhebung der Gegenstandsbeziehung auch zur Aufhebung der Einheit des Selbstbewußtseins führen, und damit wäre dann auch das Vorkommen eines „empirischen", in gegenständlicher Hinsicht „getrennten" und zerstreuten Bewußtseins notwendig ausgeschlossen. Das ist auch überall sonst der Fall, wo Kant von einem „zerstreuten" empirischen Bewußtsein spricht, etwa B 133; Kant bestimmt dieses empirische Bewußtsein als ein Bewußtsein, das „an sich zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts" ist. Damit ist sein wirkliches Vorkommen ausgeschlossen, denn nach Kants Uberzeugung sind vom „Ich denke" nicht begleitete Vorstellungen „entweder unmöglich oder wenigstens für mich nichts" (B 131—2). Genau dies ist A 117 Anm. gemeint, wenn es heißt, daß „alles empirische Bewußtsein . . . eine notwendige Beziehung auf ein transzendentales . . . Bewußtsein (hat), nämlich das Bewußtsein meiner selbst, als die ursprüngliche Apperzeption". 4 N u n ist es in der Tat richtig, daß ein nicht zum Bewußtsein meiner selbst gehöriges Bewußtsein unmöglich ist, aber dennoch ist es nicht zutreffend, daß alles Bewußtsein in der objektiven Einheit der Apperzeption zusammenstehen muß, d . h . gegenständliche Bedeutung hat. Paton hat ganz Recht, wenn er sagt, daß sich aus apriorischen Gründen nicht ausschließen lasse, daß es auch nicht auf Gegenstände bezogene Vorstellungen gibt und daß sie im Halbschatten des Bewußtseins, beim Einschlafen und Aufwachen oder auch im frühesten Bewußtsein von Kindern durchaus vorkommen mögen. 5 Aber das ist selbstverständlich nicht nur eine Denkmöglichkeit, sondern ein solches nicht gegenstandsbezogenes Bewußtsein kommt 4 5

Vgl. dazu unten Absch. 22. Paton I 331.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

in der Wirklichkeit sogar häufig vor, und zwar außer in den von Paton angegebenen Fällen z . B . auch in pathologischen Fällen von Wirklichkeitsverlust. Dabei ist es hoch interessant, daß Kant in seiner Anthropologie gerade einen solchen Fall unter dem Gesichtspunkt der Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung und eines für sie erforderlichen Zusammenhangs unserer Vorstellungen beurteilt hat. Es handelt sich um die von Kant als „tumultuarische Verrückung" bezeichnete „Unsinnigkeit (amentia)" (Anthrop. A 144), die dadurch gekennzeichnet sei, daß in ihr die Kranken unvermögend sind, ihre „Vorstellungen auch nur in den zur Möglichkeit der Erfahrung nötigen Zusammenhang zu bringen" (ebd.). Offenbar ist es hier Kants Meinung, daß das für solche Erkrankungen kennzeichnende Abreißen des Kontaktes mit der Wirklichkeit nur auf die Aufhebung der objektiven Einheit der Apperzeption zurückgeht, nicht jedoch darauf, daß die Kranken einen so weitgehenden Verlust der Einheit des Bewußtseins erlitten, daß nicht einmal mehr ihre eigenen Erlebnisse ihnen durchgängig angehörten und daß also zusammen mit der objektiven Einheit der Apperzeption zugleich auch die Einheit ihres Selbstbewußtseins aufgehoben wäre. Die Tatsache, daß Kant selber außer auf das tierische Wahrnehmen auch auf bestimmte pathologische Zustände als Beispiele für das real vorkommende Fehlen der objektiven Einheit der Apperzeption hinweist, legt es nun nahe, überhaupt die für die positive Kennzeichnung der Einheit der Apperzeption so wichtige Zerstreutheit und Vielfärbigkeit eines bloß empirischen Bewußtseins und das darin liegende „Gewühle der Erscheinungen" von solchen abnormen Zuständen her verständlich zu machen. Man kann insofern durchaus anderer Meinung sein als Paton, der zwar, wie erwähnt, das faktische Vorkommen von nicht auf Gegenstände bezogenen Vorstellungen nicht von vornherein ausschließen will, der aber doch hinzufügt, er wüßte nicht, was Kants Meinung zu diesem Thema war, und er sähe auch nicht, von welchem Wert das für die Interpretation der kritischen Philosophie insgesamt überhaupt sein könnte. 6 Dagegen sind wir der Uberzeugung, daß es sogar ganz außerordentlich wichtig ist, die negative Seite dessen, was Kant unter der objektiven Einheit der Apperzeption versteht, herauszustellen, und das um so mehr, als Kant selber an ihrer Explikation offenbar nur durch die von ihm angenommene Nichtwirklichkeit und Irrealität solcher Zustände gehindert ist. Wofür sich bei Kant bloß Andeutungen finden, wollen wir deshalb durch das Eingehen auf Zustände verdeutlichen, in denen bei erhaltener 6

Ebd.

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Das „Gewühle der Erscheinungen"

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Einheit des Selbstbewußtseins im Sinne der bloßen Mir-Gehörigkeit aller meiner Vorstellungen dennoch der Kontakt zur Wirklichkeit und vor allem zu einer gegenständlich gewußten Wirklichkeit ganz oder doch wenigstens weitgehend abgerissen ist. Charakteristisch für diesen Wirklichkeitsverlust ist, daß er die Folge einer Aufhebung des Zusammenhangs der Vorstellungen ist; wir gehen also auf Fälle ein, in denen Vorstellungszusammenhang und Gegenstandsbeziehung sich tatsächlich als nur zwei Seiten derselben Sache erweisen — genau so wie es Kant behauptet, wenn er die Einheit der Apperzeption als die entscheidende Bedingung dafür auffaßt, daß Erfahrung von Gegenständen möglich ist oder daß unsere Vorstellungen überhaupt Gegenstandsbeziehung haben. Hier sind es nun vor allem pathologische Fälle von Wirklichkeits- und Ichverlust (Derealisationen und Depersonalisationen), die auf sehr anschauliche Weise verständlich machen, was Kant unter der Aufhebung der objektiven Einheit des Bewußtseins versteht. Jedoch läßt sich das Gemeinte auch schon an dem jedermann vertrauten Einschlaferleben darstellen, das bei C. Schneider, dessen Darstellung 7 wir zunächst folgen wollen, auch geradezu als Modell für das dem Gesunden sonst nur sehr schwer zugängliche Erleben etwa der Schizophrenen dient. 8 Das Einschlaferleben ist gekennzeichnet durch Veränderungen in Richtung auf Flüchtigkeit, Uneindringlichkeit und Gliederungsverlust des Erlebens. Das heißt, statt mit der im Wachzustand zu beobachtenden „ K o n stanz" des Erlebens und seiner Festigkeit, die sich bei allem Wechsel der Erlebnisse von Augenblick zu Augenblick jeweils neu herstellt, haben wir es hier mit einem auf charakteristische Weise „flüchtigen" Bewußtsein zu tun: in jedem Augenblick wandelt sich das Bewußtsein — mit der Folge, daß eine vom Wachzustand her gesehen ganz enorme Fülle und Vielfalt, ein ungleich größerer Reichtum von Inhalten gegeben ist. Nicht, daß tatsächlich die im Wachen mehr oder weniger deutlich gegeneinander abgesetzten Inhalte sich vervielfachten, vielmehr entziehen sie sich nur dem absetzenden, gliedernden Zugriff einer sie normalerweise bei allem Wechsel festhaltenden Intention. Dadurch tritt eine auffällige Unentschiedenheit und Vagheit auf, was Zusammengehören, Abgesetztheit und Unterschied der einzelnen Vorstellungen angeht. Der sonst als Nebengedanke von den Hauptgedanken unterschiedene Hintergrund verschwimmt mit dem sich sonst von ihm abhebenden Vordergrund, und dadurch ergibt sich der Eindruck 7 8

Schneider 1 0 - 2 4 . Ebd. 10; vgl. Oswald 112ff.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

einer ganz außerordentlich großen Vielfalt von Beziehungen. Zusammen mit dem Nachlassen der gliedernden Aktivität, die im wachen Zustand Thema und Feld, Haupt- und Nebengedanken in ihrer unterschiedlichen Valenz und Wertigkeit im Griff behält, tritt so der Eindruck der Fülle des nun gleichwertig sich Darbietenden auf. Dieser Gliederungsverlust hängt mit der Uneindringlichkeit des Erlebens zusammen, die allen Inhalten und Beziehungen eine eigentümliche „Unscharfe" verleiht und die überhaupt Hand in Hand geht mit einem Matterwerden der Gemütsbewegungen. Diese „gehen nicht mehr tief", vielmehr breitet sich eine weitgehende Kraftlosigkeit aus, und auch Zukunft und Vergangenheit verlieren ihre Bedeutung, die sie im Wachen als das Erhoffte, Befürchtete oder Erledigte haben. Die mangelnde Gliederung des Erlebens führt dazu, daß z. B. statt eines Standpunktwechsels oder statt der Aspektivierung eines vorher festgehaltenen Invarianten jetzt ein bloßes Nebeneinander von Gedanken auftritt, und gerade das führt dann zum Eindruck einer ungewöhnlichen Einsichtsfülle und Tiefe des Erlebens. Die von Schneider angegebenen „Formmerkmale" dieses Erlebens sind Entgleitungen, Entgleisungen, Verschmelzungen und das, was Schneider Faseln nennt. Entgleitungen liegen vor, wenn mit dem Nachlassen gliedernder und vorgreifender Intentionen, die im wachen Zustand alles Erlebte in einen Horizont des von ihm Abgehobenen, aber zugleich ihm auch Zugehörigen stellen, ein Abreißen der Gedanken und Vorstellungen eintritt. Die Vorstellungen haben dann häufig auch die Tendenz zu „entgleisen", nämlich so, daß an ihre Stelle, und zwar nicht mehr im Sinne ihrer Andersbestimmung, ganz andere und neue Vorstellungen treten, die mit ihnen zwar noch in vielen assoziativen Verbindungen, aber nicht notwendigerweise auch in gegenständlichen Sinnbeziehungen stehen. Dabei kommen dann auch Verschmelzungen vor, nämlich wenn Nebengedanken, die mit dem Hauptgedanken normalerweise nichts zu tun haben, sich mit ihm verbinden oder wenn anschauliche und unanschauliche Bestandteile des Erlebens ineinander „übergehen". Im Denken können dann die allerheterogensten Dinge „faselig" durcheinandergeworfen werden, wodurch sich neue Sinnund Beziehungssetzungen ergeben, die für den Wachen oft überhaupt nicht mehr nachvollziehbar sind. Die für unseren Zusammenhang wichtigen unter diesen Erscheinungen sind Entgleitungen und Entgleisungen, weil hier anders als bei Verschmelzungen und beim Faseln ein objektiver Sinnzusammenhang, und mag er auch noch so sehr vom Gewöhnlichen abweichen, gar nicht mehr zustandekommt. Schneider bestimmt das Entgleiten als „unsinniges, ohne vorgrei-

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Das „ G e w ü h l e der Erscheinungen"

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fende Intention eintretendes Abreißen der Gedankenkette"; und das Entgleisen als „unsinniges, ohne übergreifende Intention erfolgendes Einschieben von Gedankeninhalten in und an Stelle eines Sachverhaltszusammenhangs". 9 Damit läßt sich verständlich machen, wie sich beim Einschlafen das Bewußtsein im bloß passiven Hinnehmen von sich aufdrängenden Erlebnissen streckenweise gleichsam punktualisiert, d.h. im Hinblick auf mögliche Sachverhaltsbestimmungen auseinanderfällt und die möglichen Beziehungen zwischen freilich immer noch gemeinten Sachverhalten und Gegenständlichkeiten aus dem Blick verliert. Die auf diese Weise vereinzelten Sachverhalte stehen unverbunden bloß noch nebeneinander. Die zusammen mit der Verkürzung der „Spannweite des intentionalen B o g e n s " 1 0 im Erleben auftretenden Brüche sind zugleich Brüche in der gegenständlichen Beziehungssetzung, und jedenfalls streckenweise werden dadurch Beziehungssetzungen überhaupt unmöglich. Anders als etwa als beim „Verlieren des Fadens", bei dem das Bewußtsein des Bedeutungsabstandes zwischen dem „ F a d e n " und den ihn verdrängenden Vorstellungen erhalten ist, 1 1 sind solche Entgleisungen also dadurch charakterisiert, daß hier mehrere Vorstellungsreihen bloß noch nebeneinander stehen und nicht mehr im Blick auf eine durch sie mögliche einheitliche Sachverhaltssetzung zusammengehören. Hier sind also ein Faden, den man verlieren oder wiederfinden könnte, und ein möglicher Sinnzusammenhang nicht mehr vorhanden, so daß hier sinnvollerweise nicht einmal mehr die Frage nach dem sachlichen Zusammenhang oder NichtZusammenhang des vereinzelt für sich Gemeinten aufgeworfen werden kann. In Entgleitungen und Entgleisungen haben wir nun offenbar jenen Sachverhalt vor uns, auf den Kant hinzuweisen sucht, wenn er davon spricht, daß ohne Einheit der Apperzeption eine Verbindung der Erscheinungen, die sogar aufgrund von empirischen Begriffen erfolgen kann, doch nicht zu mehr führen würde, als daß bestenfalls ein „Gewühle von Erscheinungen" unsere Seele anfüllte, woraus aber dennoch niemals so etwas wie Erfahrung werden könnte (A 111). Kant sagt von diesem Gewühle, daß in ihm „alle Beziehung der Erkenntnis auf Gegenstände weg(fiele)", so daß es also „ z w a r gedankenlose Anschauung, aber niemals Erkenntnis, also für uns soviel als gar nichts sein" könnte (A 111). Genau dies ist auch tatsächlich der Fall; im Entgleiten und Entgleisen, wie es kennzeichnend für das 9 10 11

Schneider 24. Beringer. Honigs wald 62.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

Einschlaferleben und dessen Realitäts- und Gegenstandsverlust ist, haben wir Verhältnisse vor uns, die sich ohne weiteres so beschreiben lassen, wie Kant es tut, wenn er von einem bloß zerstreuten empirischen Bewußtsein sagt, daß es keine Beziehung auf die Einheit der Apperzeption aufweist. Zwar können in ihm Vorstellungen durchaus faktisch richtig miteinander zusammenhängen, aber dennoch reicht dieser faktische Zusammenhang, wie er aufgrund von empirischen Assoziationsprinzipien bestehen mag, nicht aus, damit die Vorstellungen auch in diesen Zusammenhängen Gegenstandsbeziehung haben. Da solche faktischen Zusammenhänge nicht getragen sind von einer Sinneinheit, die sie im Hinblick auf das mögliche Erkennen von Sachverhalten zusammenhält, können die in ihnen bloß „zusammengeratenen" Vorstellungen in ihrem Zusammenhang nichts Gegenständliches meinen oder bedeuten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang — und damit zeigt sich auch von hier aus die Relevanz der Assoziationsdiskussion für das Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen —, daß es nicht um das faktische Abreißen von Vorstellungen geht. Im Entgleiten wird nicht mit Notwendigkeit ein faktischer Vorstellungszusammenhang aufgehoben, vielmehr erfolgt hier der Verlust eines gegenständlichen Sinn-Zusammenhangs, in dem beim erkennenden Menschen im Wachzustand die Vorstellungen aufeinander verweisen. Die Zerstreutheit eines synthetisch nicht vereinigten bloß erripirischen Bewußtseins besteht deshalb vor allem darin, daß hier der Vorstellungszusammenhang auf bloß faktische Zusammenhänge reduziert ist. Daß damit ein Verlust der Gegenständlichkeit einhergeht, erklärt sich daraus, daß nur innerhalb eines je durchzuhaltenden Horizonts möglicher sachlicher Beziehbarkeiten und eines möglichen gegenständlich vermittelten Sinnzusammenhangs unsere Vorstellungen Erkenntnisse von etwas Gegenständlichem sein können, und das gilt ganz unabhängig davon, ob es sich dabei um die äußere Erfahrung oder, wie es das Einschlaferleben zeigt, um die „denkende" und in der Einbildung erfolgende Bestimmung von vorgestellten Sachverhalten handelt. Der Verlust der gegenständlichen Bedeutung durch die Aufhebung von Sinnzusammenhängen, d. h. durch eine kategoriale Vereinzelung von Vorstellungen 12 , läßt sich auch in pathologischen Zuständen beobachten, etwa in der von Conrad so genannten apokalyptischen Phase schizophrener Ver12

Ein Fall kategorialer Vereinzelung liegt übrigens auch dann vor, wenn man ein einzelnes Wort gleichsam bis zur Besinnungslosigkeit wiederholt; vgl. dazu Rausch, Eigenschaftsproblem 939 Anm. 52, Linschoten 142.

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Das „Gewühle der Erscheinungen"

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laufe oder bei Depersonalisationen und Derealisationen, worauf wir hier aber nicht näher eingehen wollen; wir wollen das Material am Ende dieses Abschnitts in einem Exkurs nur knapp zusammenstellen. Für uns wichtig ist nur die Feststellung, daß ebenso wie beim Einschlafen auch etwa in der katatonen Phase der Schizophrenie, an die Kant wahrscheinlich denkt, wenn er auf die tumultuarische Verrückung hinweist, oder beim Realitätsverlust bei Depersonalisierungen das Erleben genau jene Züge aufweist, auf die Kant hindeutet, wenn er von der Aufhebung der objektiven Einheit der Apperzeption spricht. In der Tat findet hier — bei erhaltener Einheit des Selbstbewußtseins als der durchgängigen Mir-Gehörigkeit meiner Erlebnisse — eine solche Zerstückung und Aufhebung der Einheit des gegenständlichen Bewußtseins statt, daß aufgrund von Entgleitungen und Entgleisungen einheitliche Gegenstands- und Sachverhaltssetzungen weithin gar nicht mehr Zustandekommen oder jedenfalls nicht mehr im Hinblick auf alle Züge von Sachverhalten möglich sind. Deshalb haben wir es hier überall nur noch mit Bruchstücken und Trümmern der Wirklichkeit zu tun, aber selbst diese Trümmer erscheinen ihrerseits fern und unwirklich, weil ihre natürlichen, gegenständlich gemeinten Zusammenhänge vielfältig aufgehoben sind. Die Zerstörung und Aufhebung des gegenständlichen Sinn- und Horizontzusammenhangs, in dem uns die Wirklichkeit normalerweise begegnet, führt so zur Zerstörung und Aufhebung der Wirklichkeit selber, und keineswegs — auch das zeigen die pathologischen Befunde — reicht bei der Aufhebung der objektiven Einheit der Apperzeption das faktische, nach Assoziationsgesetzen erfolgende oder sich nach dem Wahrnehmungsablauf richtende faktische Zusammenvorkommen von Vorstellungen und Erlebnissen aus, damit diese in ihrem Zusammenhang gegenständliche Bedeutung haben. Insofern hat Kant ganz recht, wenn er sagt, daß nur die synthetische Vereinigung von Vorstellungen unter der objektiven Einheit der Apperzeption ihnen „objektive Realität", d . h . überhaupt Beziehung auf beharrende, vom jedesmaligen Wahrgenommen- oder Vermeintwerden unabhängige Sachverhalte und Gegenständlichkeiten verleihen kann und daß umgekehrt zerstreute und voneinander isolierte Vorstellungen trotz alles faktischen Zusammengehörens nichts Gegenständliches bedeuten. Die Erscheinungen, die vor oder außerhalb ihrer synthetischen Vereinigung nur ein Gewühle bilden, sind also bloß innere Erlebnisse, nicht auf Gegenstände und Sachverhalte bezogen, d. h. sie sind bloß subjektive Bewußtseinsmodifikationen. Sie mögen zwar faktisch richtig miteinander zusammenhängen, sie sind dann aber dennoch nur kategorial subjektiv und kategorial zufällig miteinander verbunden. Da sie nicht, wie es B 142 heißt, „vermöge

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

der notwendigen Einheit der Apperzeption" zusammengehören, stehen sie auch nicht unter dem Anspruch der Wahrheit von möglichen Gegenstandsund Sachverhaltsbestimmungen.

14a. Exkurs: Entgleitungen und Entgleisungen in Zuständen und Verläufen

pathologischen

Im Anschluß an den Versuch, Kants Gedanken von der Aufhebung der objektiven Einheit der Apperzeption — und das bleibt bei Kant im Grunde immer eine bloße Denkmöglichkeit — durch den Hinweis vor allem auf Entgleitungen und Entgleisungen beim Einschlafen zu veranschaulichen und so für Kants Konzeption eines zerstreuten empirischen Bewußtseins ein empirisch explizierbares Modell anzugeben, wollen wir, wie oben Seite 139 angekündigt, kurz noch auf Fälle von Wirklichkeitsverlust bei Schizophrenen und Derealisierten eingehen und zu zeigen suchen, daß wahrscheinlich auch hier Entgleitungen und Entgleisungen für den Verlust der Gegenstandsbeziehung verantwortlich sind. Dabei ist nicht verkannt, daß wir es hier nur ganz am Rande mit kognitiven Phänomenen zu tun haben und daß wir deshalb in unserem Zusammenhang an den wirklich entscheidenden und tiefgreifenden Störungen, die in diesen Fällen im leiblichen, affektiven und sozialen Bereich liegen, wohl auch vorbeigehen. Dennoch gehört aber der Wirklichkeitsverlust in der apokalyptischen Phase der Schizophrenie sicher auch zu unserem Thema, und auch nur unter diesem Gesichtspunkt wollen wir uns hier mit den pathologischen Erscheinungen beschäftigen. Was schizophrene Erkrankungen angeht, so kann zunächst einmal sicher nicht die Rede davon sein, daß hier etwa generell, also auch im Wahn, unsinnige Zusammenfügungen in dem Sinne vorlägen, daß solche Bildungen jeder denkbaren Gegenstandsnorm widersprechen und daß allein aufgrund dessen nun ein Gegenstands- und Realitätsverlust eintreten würde, denn den Kranken mögen selbst solche Zusammenfügungen noch als sinnvoll erscheinen, die für den Gesunden den Eindruck des schlechthin Unsinnigen und Nichtnachvollziehbaren bieten. Vielmehr zeigt ja gerade das in der (von Conrad als „Apophänie" bezeichneten) Wahnphase auftretende abnorme Bedeutungsbewußtsein, in dem den Kranken die unscheinbarsten und belanglosesten Vorgänge als unheimlich, als auf für sie nicht durchschaubare Weise eigens für sie „gemacht" und auf sie bezogen erscheinen, daß hier die Sinnkontinuität durchaus erhalten ist, und zwar in so weitge-

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Exkurs: Entgleitungen in pathologischen Zuständen und Verläufen

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hendem und gesteigertem Maße, daß aufgrund des Hervortretens von normalerweise unterdrückten „Wesenseigenschaften" und bei Lockerung des Wahrnehmungszusammenhangs schlechthin alles bedeutungs- und beziehungsvoll werden kann. Der Eindruck des Unheimlichen, Bedrohlichen, auf rätselhafte und nicht durchschaubare Weise „ G e m a c h t e n " breitet sich dann nicht nur auf äußere Vorgänge aus, sondern sogar auf die eigenen Gedanken; diese können einesteils als fremde „Stimmen" begegnen, sie können zugleich aber auch von anderen mit- und abgehört werden. Freilich sind die Kranken in dieser apophänen Phase nicht mehr in der Lage, ihre abnormen Wahrnehmungen und Erlebnisse in dem Sinne kritisch zu überprüfen, daß sie wie der Gesunde in vergleichbaren Situationen eines unbestimmten Mißtrauens und einer weitgehenden Verunsicherung sich selbst gleichsam von außen zu sehen vermögen. Sie können nicht mehr im „ U b e r stieg" zur gemeinsamen Welt 1 einen Standpunktwechsel vornehmen und so das Haltlose und Unberechtigte ihrer Befürchtungen einsehen; aber gerade dieses Gebanntsein in eine einzige ichbezogene Perspektive führt aufgrund der gesteigerten Bedeutungswahrnehmung zu der so auffälligen „Letztheit" des Gewußten 2 und zu der ganz abnormen Sicherheit, mit der die Kranken von der „Wirklichkeit" des ihnen Begegnenden überzeugt sind. 3 Diese U n korrigierbarkeit von Wahnvorstellungen, an denen die Kranken auch gegen alle Erfahrung und gegen alle normalerweise als Gegengründe angesehenen Instanzen festhalten, 4 erklärt sich daraus, daß die Kranken, weit entfernt davon, generell die Funktion der Gegenständlichkeit zu verlieren, 5 diese vielmehr nur in Richtung auf die Ausbildung von Wahnsystemen verändern, 6 in denen immer noch, wenn auch in einem hochgradig defizienten Modus von Transzendenz, „ W e l t " entworfen ist 7 . Insofern ist die Weltsicht der Schizophrenen als das Resultat eines Umstrukturierungsprozesses anzusehen, der darauf abzielt, dem Kranken für die Deutung seiner anfänglich ganz fremden und rätselhaften Erfahrungen neue Interpretationsschemata zu liefern. 8 Diese können dann in einzelnen Fällen die normalerweise verwendeten Auffassungsweisen in so weitgehendem Maße unwirksam ma-

1 2 3 4 5 6 7 8

Conrad 49. Schneider 140. Draguns 2. Vgl. Jaspers 87, Kloos 24. Schneider 245. Vgl. Jaspers 89, Kant Anthr. A 147. Binswanger 20. Vgl. Draguns 2.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

chen, daß durch Halluzinationen sogar Wahrnehmungen „berichtigt" werden können. 9 Darin spricht sich ein für alles Bewußtseinsleben charakteristischer Drang nach Ganzheit und Zusammenhang des in ihm Erlebten aus, der also durchaus kennzeichnend ist auch für bestimmte Phasen schizophrener Verläufe. Andererseits, und das ist vor allem im gegenwärtigen Zusammenhang wichtig, können solche Assimilationstendenzen in der katatonen Phase der Krankheit aber so gestört sein, daß sie — auch nicht mehr auf für den Kranken sinnvolle Weise — streckenweise überhaupt nicht mehr zum Ziele führen. Da in der katatonen Phase die Kranken sich nicht mehr zusammenhängend und verständlich äußern und auf Fragen nicht sinnentsprechend antworten, 1 0 ist man freilich bei der Beschreibung dieses Zustandes weitgehend auf Vermutungen angewiesen, die ihre Stütze nur in dem äußerlich beobachtbaren Verhalten der Kranken finden 11 . Jedoch darf man wohl davon ausgehen, daß das für den Gesunden so rätselhafte und unverständlich-verwirrte sprachliche Gebaren der Kranken Ausdruck eines auch beim Einschlafen zu beobachtenden Entgleitens und Entgleisens von Vorstellungen ist. Danach wäre in diesem Zustand die Freisetzung von Wesenseigenschaften, die nach Conrad die abnorm auf den Kranken bezogene und ins Bedrohliche und Unheimliche gesteigerte Bedeutungshaftigkeit der äußeren und inneren Welt in der apophänen (paranoiden) Phase erklärt, so weit fortgeschritten, daß die Welt sich wie im Traum in eine diskontinuierliche Folge von einzelnen Bildern auflöst. Diese Bilder sind zwar aus der Wirklichkeit bezogen, sie haben aber nicht mehr in d e n D i n g e n ihren Halt und Zusammenhang, und der Kranke scheint ihnen in völliger Passivität gleichsam vollständig preisgegeben zu sein. 12 Der Zerfall der Kontinuität des Erlebens, der ebenso wie die Wahrnehmung der äußeren Welt auch die eigene Leiblichkeit des Kranken ergreift und hier zum Erlebnis des In-Teile-Zerrissenseins oder der Gespaltenheit des eigenen Ich führen kann, 1 3 kann dabei so weitgehend sein, daß sich nach der Wiederherstellung der Sinnkontinuität die Kranken, soweit überhaupt, nur an Bruchstücke und vereinzelte Bilder ihres Erlebens erinnern können. 14 » Kloos 62. „So daß man nicht einmal weiß, ob die Äußerung als A n t w o r t auf die Frage zu verstehen ist oder nicht vielleicht mit ihr nur zufällig koinzidiert", Conrad 105. 1 1 Conrad 105. 1 2 Ebd. 1 1 1 . w Ebd. 1 4 Ebd. 1 1 1 - 2 . 10

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Exkurs: Entgleitungen in pathologischen Zuständen und Verläufen

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Diese (in katatonen Zuständen sich erhaltenden) Züge der apokalyptischen Phase schizophrener Erkrankungen, die durch den fast völligen Verlust gegenständlicher Bedeutungen gekennzeichnet ist, hat offenbar Kant im Blick, wenn er die tumultuarische Verrückung durch das Unvermögen der Kranken erklärt, ihre „Vorstellungen auch nur in den zur Möglichkeit der Erfahrung nötigen Zusammenhang zu bringen", und wenn er dies daran abliest, daß die Kranken „unter das, was sie erzählen, so viel Einschiebsel ihrer lebhaften Einbildungskraft. . . machen, daß niemand begreift, was sie eigentlich sagen wollen". 1 5 Mit der in der katatonen Phase auftretenden fast völligen Aufhebung aller Sinnzusammenhänge, bei der im Hinblick auf mögliche Gegenstandsund Sachverhaltssetzungen nur noch Fetzen und Bruchstücke der Wirklichkeit zurückbleiben, ist neben dem in der apophänen Phase der Schizophrenie häufig beschriebenen besonderen Reichtum und der Bedeutungstiefe des Erlebens freilich ein Extremfall bezeichnet. In anderen pathologischen Verläufen drückt sich ein weniger ausgeprägter Wirklichkeitsverlust auch schon darin aus, daß bei im wesentlichen erhaltener Orientierung die Dinge nur als voneinander isoliert erfahren werden, wobei ihre Bedeutung matt wird und geistig wegrückt 16 , wie etwa im Fall von M. Sechehayes schwer neurotischer und hysterischer 17 Patientin Renée, die z.B. die Teile eines Gesichts getrennt und unabhängig voneinander erblickt. 18 Ihr erscheinen die Dinge „wie mit dem Messer ausgeschnitten", aus der Leere und Grenzenlosigkeit der Umgebung „herausgelöst, von anderen Gegenständen getrennt." 1 9 Dabei ist es kennzeichnend für diese Art von Realitätsverlust, daß sich hier die Gegenstände zwar deutlich abheben, daß sie aber gerade dadurch auch ihren vollen Wirklichkeitscharakter verlieren. Sie erscheinen kulissenartig und wie Theaterrequisiten 20 und können dann in so weitgehendem Maße vereinzelt sein, daß etwa Stühle und Gefäße nicht mehr als verwendbare Gebrauchsgegenstände begegnen, sondern zu bloß noch „existierenden" 21 Dingen werden, die gerade dadurch aber ein unverständliches und fremdes Eigendasein annehmen, so daß auf sie nicht einmal mehr ihre Namen passen wollen. 22 15 16 17 18 19 21 22

Anthr. A 144. Kloos 3 2 - 1 . Zu der von M. Sechehaye gestellten Diagnose Schizophrenie vgl. Conrad 148 ff. Sechehaye 37. 2 0 Ebd. 25. Ebd. 64, vgl. 41. Zu dieser literarischen Reminiszenz an Sartres Roman „La nausee" vgl. Conrad 153. Sechehaye 4 1 - 2 .

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

Die Entfremdung und Entwirklichung beruht in Fällen wie diesem darauf, daß einzelne Dinge aus ihren vertrauten Bedeutungszusammenhängen herausfallen. Sie begegnen dabei aber nicht wie in der apophänen Phase der Schizophrenie in neuen, beängstigend rätselhaften Sinnzusammenhängen, sondern in ihrer Isolierung weisen sie weithin überhaupt keinen anschaulichen Sinn mehr auf und bieten gerade deshalb für den selber auch vereinsamten und isolierten Kranken den Eindruck des bloß noch Bildhaften und Unwirklichen. Das läßt sich vor allem auch in Fällen von Depersonalisation und Derealisation beobachten. Für die Depersonalisation, die bei sehr verschiedenen Krankheitsbildern vorkommt (3Ol), 2 3 aber auch in gesunden Zuständen als flüchtige Episode etwa bei Langeweile (VII) und Reizarmut ( X ) begegnet und die übrigens auch in mystischen Erfahrungen Ausdruck findet (VII), sind kennzeichnend Klagen über den Mangel oder die Abschwächung von Gefühlen und Gemütsbewegungen (60, 193), über die Fremdartigkeit und Unwirklichkeit des Wahrgenommenen (74, 198) sowie über die Blässe und Verschwommenheit von Vorstellungsbildern (84). Weiter gehören zur D e realisation Unfähigkeit zur Konzentration, Automatismus des Denkens (97, 195) und des Handelns (99), Veränderungen des Selbstbewußtseins in dem Sinne, daß Teile des eigenen Körpers als fremd und nicht dem Subjekt gehörig erfahren werden (109, 202) oder daß sogar das Ich selbst sich als „leer, tot, nicht d a " findet (239). Im Hinblick auf die wahrgenommene äußere Wirklichkeit ist trotz des Fehlens von Störungen der Sinnesfunktionen (62, 198) hier der Eindruck häufig der, daß die Dinge wie hinter einem Schleier oder im Nebel gesehen würden (62, 192, 198, 224), leer (192) und in die Ferne gerückt sind (64, 331) und irgendwie komisch (337), künstlich, wie gemalt, phantomhaft oder traumartig aussehen (198, 224, 303, 337, 342). Solche Entfremdungen ließen sich daraus erklären, daß der Betroffene sich nicht mehr richtig in die Gegenstände versenken kann, daß diese ständig dem geistigen Griff entgleiten (67) oder daß überhaupt das aller Erkenntnis vorausliegende, seinen Boden bildende „sympathetische Grund-

23

Diese hier und im folgenden in Klammern gegebenen Hinweise beziehen sich auf verschiedene Arbeiten, die bei Meyer (Hrsg.) zusammen mit einer Einführung von Meyer (S. VII—XIV) wiederabgedruckt sind. Für die Zuweisung zu den einzelnen Autoren gebe ich für die einzelnen Arbeiten hier im voraus die Seitenzahlen an: Schilder 4 6 - 1 4 1 ; Mayer-Gross 1 8 7 - 2 1 4 ; v. Gebsattel 2 1 5 - 2 5 4 ; Petrilowitsch 262 - 2 7 7 ; Meyer, Depers. und Zwang 3 0 0 - 3 1 9 ; Meyer, Reifungskrisen 3 2 0 - 3 5 2 ; Bin Kimura 3 8 2 - 4 0 1 .

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Exkurs: Entgleitungen in pathologischen Zuständen und Verläufen

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Verhältnis von Mensch und Welt" in dem Sinne gestört ist, daß anders als z.B. bei Gedankenverlorenheit eine gelebte Verbundenheit mit dem Ganzen der Welt auch nicht mehr inaktual vorhanden ist (231—2). Dennoch ist es charakteristisch, daß die Kranken sich immer noch im klaren darüber sind, daß die fremdartigen Dinge eigentlich doch wirklich sind (326), und obwohl es den Kranken nicht möglich ist, außer einem je unverbundenen Einzelnen auch das Ganze zu sehen, so ist dieses doch immer noch irgendwie als „gewußtes" da (231). Wenn aber dennoch die Unwirklichkeit, die Ferne, Leere und Traumhaftigkeit der Welt häufig gerade als Beziehungslosigkeit des Kranken zu wahrgenommenen Ereignissen einerseits (223—4) und als Fehlen aller Beziehungen zwischen den einzelnen Gegenständen selber andererseits erfahren wird, wenn sie als Aufhebung der Folgerichtigkeit oder des Sinnzusammenhangs einzelner Szenen z. B. eines Films (384), als bloß konglomerathafte Anhäufung von Einzelnem (384) begegnet, so läßt sich daran gut ablesen, wie gerade das bloße „Wissen" von Zusammenhängen, die als solche aber nicht mehr durchgängig erlebt sind, zur Entwirklichung der Welt führt. Auch in solchen Depersonalisierungsfällen ist also die Abschwächung des gelebten Weltzusammenhangs, d. h. des normalerweise unmittelbar gegebenen reichen Aufeinanderverwiesenseins alles Einzelnen, dafür verantwortlich, daß zugleich mit einem Sinn- und Bedeutungsverlust des Wahrgenommenen (268, 384) sich der Wirklichkeitscharakter des Wahrgenommenen in Richtung auf Uneindringlichkeit und Ferne verändert. Indem die Dinge in der Depersonalisation ihre vertrauten Bewandtnisse verlieren, bleibt den Kranken von der vollständigen Wirklichkeit gleichsam nur noch ein völlig belangloses „Vorhandenes" 2 4 übrig. Auch hier haben wir es also mit einem jedenfalls ansatzweisen Abbau von Sinnzusammenhängen zu tun, in denen alles gegebene Einzelne stehen muß, um überhaupt als Gegenständliches begegnen zu können. Freilich kann nicht die Rede davon sein, daß hier aufgrund von Entgleitungen und Entgleisungen Sachverhalte und Gegenstände nun überhaupt nicht mehr einheitlich gesetzt werden können. Die Kranken „wissen" ja noch von der Wirklichkeit, und sie können das ihnen fremdartig Erscheinende im allgemeinen auch identifizieren (XIII, 78 — 9). Aber das Vermögen, die noch immer gegenwärtigen Wirklichkeitskerne so zu erleben, wie sie in allen ihren normalerweise gegebenen Bestimmungen ein sinnvolles Ganzes bilden, ist

24

Im Sinne Heideggers das, mit dem es keine Bewandtnisse mehr hat, vgl. Sein und Zeit § 18.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

bei ihnen entscheidend gestört, und darin zeigt sich denn auch zumindest der Beginn einer Auflösung oder Reduzierung des Gegenständlichen selber, nicht nur des Wirklichen. Das ergibt sich schon daraus, daß die Depersonalisations- und Derealisationserscheinungen eben nicht nur die Wirklichkeit des Wahrgenommenen, sondern auch die des bloß Vorgestellten und bloß Gedachten betreffen. Auch hier läßt sich nämlich ein Bedeutungsverlust in dem Sinne konstatieren, daß die Vorstellungen verschwommen und blaß werden (270, 84), daß sie nicht in der für den Gesunden kennzeichnenden sinnlichen Lebhaftigkeit vollzogen werden können (267) und daß das Vorgestellte den Eindruck, „weit weg zu sein" (197), bietet. Sogar Träume können von der Derealisation betroffen sein (197), und es finden sich auch Klagen darüber, daß selbst die Gedanken wie oberflächlich sind, nicht die richtige Farbe haben (86), daß alles verwischt ist (86-7). Wenn aber dennoch etwa im Hinblick auf das Denken objektive Störungen und Leistungsminderungen oft gar nicht feststellbar sind (85—6, 90 — 1, 97), wenn die Kranken von der Wirklichkeit des Wahrgenommenen immerhin ein, wenn auch nicht gelebtes „Wissen" haben, so zeigt sich daran einerseits, daß ein Bedeutungsgefüge, in das alles Wahrgenommene und Gedachte eingebettet ist, zwar noch erhalten ist. Aber dieses ist andererseits so sehr verarmt, daß viele Züge des Wahrgenommenen oder Gedachten gar nicht mehr in gegenständlichen Verweisungszusammenhängen stehen oder daß zumindest solche Verweisungszusammenhänge doch nicht ohne Anstrengung wieder lebendig gemacht werden können. Der in der Depersonalisation erfahrene Wirklichkeitsverlust wäre danach also als partielle Aufhebung von Sinnzusammenhängen anzusehen. Es ist also auch hier die Aufhebung von Bedeutungs- und Sinnzusammenhängen, durch die zugleich die Gegenständlichkeit des Wahrgenommenen wie auch die des bloß Vorgestellten aufgehoben wird, und zwar gerade in dem Maße, wie die Gegenstände unmittelbar nicht mehr in der normalerweise gegebenen Fülle ihrer Bestimmungen begegnen, sondern auf einen verarmten Gegenstandskern reduziert sind. Deshalb können bestimmte Ereignisse freilich noch wahrgenommen werden, aber die Kranken sind gelegentlich außerstande, sich deren „Sinn" zu vergegenwärtigen (198—9, 268). So erscheinen z.B. Musikstücke ohne Inhalt und ohne Bedeutung (384), man kann nichts Richtiges damit anfangen (66). Statt eines Ganzen begegnen nur Einzelheiten; der Kranke „weiß" um dieses Ganze, „aber es zeigt sich nicht" (231), und wegen des anschaulichen Verschwindens von vertrauten Bewandtnissen, die als solche aber gerade vermißt werden, ergibt sich dann

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Denken und Gegenstandsbeziehung

147

die charakteristische Verschwommenheit, Blässe und Ferne des Wahrgenommenen.

15. Denken

und

Gegenstandsbeziehung

Wir haben die objektive Einheit der Apperzeption, die nach Kant allein unseren Vorstellungen Gegenstandsbeziehung verleihen kann, im letzten Abschnitt zunächst von der negativen Seite her zu charakterisieren gesucht. Sie ist ein solcher gegenständlich vermittelter kategorialer Sinn-Zusammenhang der Vorstellungen, der Entgleisungen und Entgleitungen ausschließt oder der dort, wo solche Entgleitungen und Entgleisungen im normalen gegenstandsorientierten Verhalten vorkommen, diese dennoch als Anomalien aufzufassen gestattet, nämlich als Abweichungen von der Norm der durchgängigen Bestimmbarkeit alles Gegenständlichen. Deshalb kann die ursprüngliche Einheit der Apperzeption nicht als ein faktischer Zusammenhang unserer Vorstellungen angesehen werden, der im Unterschied zu faktisch-zufälligen Assoziationsverbindungen immer richtig und zutreffend wäre. Er stellt vielmehr unsere Vorstellungen nur unter die Forderung der Wahrheit des gegenständlichen Erkennens, und allein darin liegt die intentionale Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen. Im folgenden ist nun positiv anzugeben, wie der kategoriale Sinnzusammenhang, den die objektive Einheit der Apperzeption darstellt, näher aussieht, und d.h. es ist auch zu zeigen, wie dieser Sinnzusammenhang die Vorstellungen unter die Forderungen einer gegenständlichen Erkenntnis stellt. Bisher wissen wir nur, daß die Aufhebung der objektiven Einheit der Apperzeption zur Aufhebung der objektiven Realität unserer Vorstellungen führt, wir wissen damit aber, wie gesagt, nur negativ, welchen Bedingungen ein Vorstellungszusammenhang genügen muß, wenn er intentionaler Ausdruck bestimmter objektiver Verhältniss soll sein können. Kants Behauptung ist es nun, daß diese Bedingungen positiv als Denkformen, als Begriffe, zu bestimmen sind — nämlich als Kategorien. Die objektive Einheit der Apperzeption, in der Vorstellungen zusammenstehen müssen, wenn sie einzeln und im Zusammenhang eine Erkenntnis von Gegenständen ermöglichen sollen, soll sich also in und nach den Kategorien artikulieren, und umgekehrt soll es auch allein durch die Kategorien möglich sein, daß ein gegebenes Mannigfaltiges von Anschauungen zur objektiven Einheit der Apperzeption gebracht wird. Aufgabe und Absicht der transzendentalen Kategoriendeduktion ist es deshalb zu zeigen, daß und

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

wie allein vermittels der Kategorien wir etwas Gegenständliches auch nur vermeinen können. Nun stimmen damit allerdings die ersten Problemformeln für die Kategorien-Deduktion überhaupt nicht überein. Kant will in der Deduktion zunächst ausdrücklich nur den Nachweis führen, daß die Kategorien — als „Begriffe von Gegenständen überhaupt" — aller Erfahrungserkenntnis insofern zum Grunde liegen, als „nur vermittels ihrer überhaupt irgendein Gegenstand der Erfahrung gedacht werden kann" (A 93/B 126, meine Hervorhebung), und übereinstimmend damit heißt es selbst inmitten einer ausführlichen Darlegung darüber, daß allein eine transzendentale Synthesis unseren Vorstellungen mögliche (intentionale) Gegenstandsbeziehung geben könne: „Nun behaupte ich: die eben angeführten Kategorien sind nichts anderes als die Bedingungen des Denkens in einer möglichen Erfahrung" (A 111, meine Hervorhebung).1 Das alles sieht so aus, als bestehe die Aufgabe des Denkens und zumal seiner Grundbegriffe keineswegs darin, überhaupt erst die Vorstellung eines Gegenstandes möglich zu machen (vgl. A 199/B 244); vielmehr scheint Kant hier das Bestehen der Gegenstandsbeziehung einfach vorauszusetzen, so als sehe er als die eigentümliche Leistung des Denkens nur die begriffliche Klärung von etwas an, das als Gegenständliches bereits in der Anschauung gegeben wäre. Die Funktion der Kategorien im Hinblick auf die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen würde dann darin bestehen, daß allein durch sie als grundlegende Bedingungen solcher begrifflichen Klärungen faktisch-objektive Erkenntnisse erreicht werden könnten, und das würde bedeuten, daß gerade dort, wo durch den Hinweis auf bestimmte elementare Denkformen die Lösung des Problems der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen angedeutet schien, wir es wiederum doch nur mit wissenschaftstheoretischen Fragen zu tun hätten. Dieser Sachverhalt macht es offenbar erforderlich, daß man zunächst einmal nach dem Zusammenhang fragt, der nach Kant überhaupt zwischen dem Denken und dem Problem der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen besteht. Wir müssen also untersuchen, was Kant unter einer „transzendentalen Logik" versteht, in der dieser Zusammenhang abgehandelt wird, und dazu wollen wir uns zuerst mit der Frage beschäftigen, was Kant überhaupt unter „Denken" versteht. 1

Das ist in wörtlicher Übereinstimmung noch einmal an der Stelle A96—7 gesagt, wo es heißt, daß als Beweis der objektiven Gültigkeit der Kategorien schon der Nachweis genügen würde, „daß vermittels ihrer allein ein Gegenstand gedacht werden kann" (meine Hervorhebung).

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Denken und Gegenstandsbeziehung

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Kants Begriff des Denkens scheint sich zunächst unmittelbar aus einer Reflexion auf die wirkliche Erfahrung und hier insbesondere von daher zu ergeben, daß trotz des Gegensatzes, in dem das Denken zur Anschauung steht, bei uns Menschen Anschauung und Denken dennoch zusammenwirken müssen, wenn es für uns Erkenntnisse geben soll. Nach Kants berühmten Diktum A 5 1 / B 75 über Begriffe und Anschauungen haben Gedanken für sich keinen anschaulichen Inhalt, d. h. sie sind für sich leer — im Gegensatz zu Anschauungen, die dafür trotz des anschaulichen Inhalts, den sie aufweisen, „blind" sind (A 51/B 75). Eine wirkliche Erkenntnis kann es für uns also nur dort und nur in dem Maße geben, wie sich Sinnlichkeit und Verstand vereinigen (ebd., vgl. A 2 5 8 / B 314). Nach Kant sind uns in der Anschauung zwar die Gegenstände schon gegeben — und gerade dadurch kann man die Anschauung auch definieren2 —, aber allein aufgrund der Anschauung könnte es für uns dennoch keine „Erkenntnis" und „Erfahrung" von diesen Gegenständen geben, weil ohne das Denken und seine Begriffe unsere Anschauungen uns letztlich immer unverständlich bleiben müßten. Wie kommt nun aber ein solches Verstehen gerade durch Begriffe zustande? Nach Kant dadurch, daß die Anschauungen, die sich auf die Rezeptivität der Eindrücke gründen (A 68/B 93) und die deshalb nur ein passiv gegebenes Material liefern, durch Begriffe, die als Einheitsfunktionen auf die Spontaneität des Subjekts zurückgehen (ebd.), geordnet, neu zusammengefaßt und dazu natürlich auch voneinander getrennt werden (vgl. B 419). Durch die Begriffe, die als „Funktionen der Einheit" von Vorstellungen Allgemeinbegriffe3 sind, kann man sich nämlich zugleich und uno actu auf ein Mannigfaltiges von Anschauungen beziehen, das in der Hinsicht des jeweils verwendeten Begriffs als zusammengehörig aufgefaßt und so in Klassen zusammengefaßt wird. Mithilfe von Begriffen gelingt im Urteil also die Zusammenfassung verschiedener Anschauungen zur Einheit einer Erkenntnis, und dabei werden durch die Begriffe Zusammenhänge hergestellt, 4 vermöge deren das in einzelnen Anschauungen Gegebene als etwas bestimmt wird, als was auch ein anderes einzelnes, in anderen Anschauungen Gegebenes bestimmt sein könnte.

2

3 4

Vgl. A 19/B 33; A 50/B 74; A 719/B 747: „Alle unsere Erkenntnis bezieht sich doch zuletzt auf mögliche Anschauungen: denn durch diese allein wird ein Gegenstand gegeben." Im Gegensatz zu den „einzelnen" Anschauungen; vgl. A 320/B 377. Vgl. A 69/B 94: „Alle Urteile sind demnach Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen, da nämlich statt einer unmittelbaren Vorstellung eine h ö h e r e , die diese und mehrere unter sich begreift, zur Erkenntnis des Gegenstandes gebraucht, und viel mögliche Erkenntnisse dadurch in einer zusammengezogen werden."

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

O b diese Beschreibung des analytisch-klärenden Charakters des Denkens und seiner Funktion, das Gegebene durch Explikation von sachlichen Zusammenhängen verständlich zu machen, wirklich zutreffend ist, ist vielleicht in unserem Zusammenhang nicht sehr wichtig. Immerhin wäre darauf hinzuweisen, daß Anschauungen anders, als Kant es annimmt, gewiß nicht in dem Sinne für sich „blind" sind, daß sie überhaupt keine Hinweise auf andere Vorstellungen enthalten. Im Gegenteil sind sie auch stets schon auf der Ebene der Anschauungen selber „verstanden". Umgekehrt enthalten auch Begriffe in sich Verweisungen auf ihre mögliche anschauliche Erfüllung, d. h. sie sind nicht nur rein signitiv, sondern haben immer auch einen intuitiven Inhalt. 5 Insofern sollte statt einfach von Anschauungen und Begriffen besser immer nur von mehr oder weniger anschaulich erfüllten Vorstellungen gesprochen werden. Erkenntniserwerb und Erkenntniserweiterung bestehen entgegen Kant deshalb auch nicht in erster Linie darin, daß vereinzelte und blinde Anschauungen erst im Denken durch Begriffe miteinander verknüpft und unter höheren Gesichtspunkten vergleichend zusammengestellt würden. Unsere Erkenntnisse erweitern sich eher so, daß die in allen Vorstellungen, auch in den Anschauungen enthaltenen Leerintentionen erfüllt (auch näher- und andersbestimmt) werden durch andere Vorstellungen mit gegebenenfalls neuen und weiterweisenden Signifikationen, die dann wiederum nach anschaulicher Erfüllung verlangen. Verglichen damit ist Kants Beschreibung A 6 8 / B 92 ff., nach der ein für alle Mal zwischen Anschauungen auf der einen Seite und mehr oder weniger allgemeinen Begriffen auf der anderen Seite zu unterscheiden wäre, also sicher viel zu summarisch. 6 Sie bringt aber gut zum Ausdruck, daß eben immer

5

Zum signitiven und intuitiven Gehalt von Vorstellungen („objektivierenden A k t e n " ) vgl. Husserl, L o g . Unters. I I / 2 , 80f.

6

Viel phänomengerechter als die starre Unterscheidung zwischen Begriff und Anschauung ist jedenfalls im Ansatz Kants Lehre v o m Schematismus der reinen Verstandesbegriffe, wonach zu allen Begriffen ein „Schema" gehört als ein „allgemeines Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen" ( A 1 4 0 / B 179f.). Das bedeutet, daß alle Begriffe schon von sich aus auf sie erfüllende Anschauungen verweisen und also auch intuitiven Gehalt haben oder daß wenigstens für sie vorgezeichnet ist, welcher intuitive Gehalt zu ihnen als mögliche Veranschaulichung gehört. Freilich ist es sehr kennzeichnend für Kant, daß er von dieser Konzeption eigentlich nie wirklich Gebrauch macht, wenn es ihm um die Klärung des Verhältnisses von Anschauungen und Begriffen zu tun ist. Kant ist vielmehr immer geneigt, gerade auf dem Gegensatz zu beharren, der zwischen Denken und Anschauung besteht, und nur deshalb kann er ja auch behaupten, daß mathematische Sätze synthetisch seien: zu ihrem Beweis müsse man über die in ihnen enthaltenen Begriffe hinausgehen und die Anschauung zuhilfe nehmen (B 15; B 73). Das ist sicher richtig, allerdings ist dabei übersehen, daß die Anschauungen eben nicht nachträglich ins Spiel kommen, son-

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Denken und Gegenstandsbeziehung

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wieder jener T y p von Erkenntniserwerb und Erkenntniserweiterung Kants Denken bestimmt, der charakteristisch ist für das wissenschaftliche Vorgehen. Hier besteht ja tatsächlich — etwa bei der Hypothesenbildung und auch bei der analytischen Klärung von zunächst nicht sehr deutlich unterscheidbaren Erscheinungen — der Erkenntnisfortschritt häufig nur in einer begrifflichen Hierarchiesierung (Uber- und Unterordnung) von zunächst nicht systematisch miteinander zusammenhängenden Einzelerkenntnissen. Mag es sich damit im einzelnen verhalten, wie es will. Die Hauptfrage ist, wie man von der Kennzeichnung des Denkens als Instrumentarium begrifflicher Klärung eines in der Anschauung nur mehr oder minder unverstanden Gegebenen nun zur Bestimmung der Kategorien als Bedingungen auch der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen gelangt. Bisher jedenfalls ist in der Kantischen Beschreibung des Denkens und seiner Begriffe einfach nur vorausgesetzt, daß unsere Anschauungen intentionale Gegenstandsbeziehung haben, und insoweit könnte man durchaus die Meinung vertreten, daß die Gegenstandsbeziehung, mögen sich auch gegenständliche Sachverhalte nur mithilfe des Denkens klären lassen, vom Denken und ebenso auch das Denken von der Gegenstandsbeziehung unabhängig ist. Wenn die Kategorien nur jene Grund-Begriffe sind, vermittels derer Gegenstände in der Erfahrung „gedacht" werden können, d. h. wenn sie nur die Bedingungen des explizierenden Denkens in einer möglichen Erfahrung sind, so ist gar nicht einzusehen, wie allererst durch sie auch die (intentionale) Beziehung unserer Vorstellungen auf Gegenstände Zustandekommen sollte. Wir wären dann im Grunde immer schon im Bereich der „wirklichen" Erfahrung, in der es für uns Gegenständliches, wenn auch unverstanden, schon gibt, aber gerade deshalb wäre von hier aus das eigentlich kategoriale Programm Kants und der Sinn der Kategoriendeduktion auch nicht mehr einsichtig zu machen. U m so wichtiger ist es deshalb, daß im Rahmen seiner „transzendentalen" Logik Kant die Kategorien immer wieder gerade von ihrer gegenstandskonstitutiven Funktion her zu begreifen sucht und daß sich dementsprechend neben der Charakterisierung des Denkens durch seine explikativen und analytischen Leistungen bei Kant auch eine Auffassung findet, wonach in der Verwendung von Begriffen die Gegenstandsbeziehung unserer Anschauungen (und überhaupt unserer Vorstellungen) notwendig impliziert ist, nämlich so, daß sinnvoll vom Denken und von Begriffsverwendern daß auf sie — in wenn auch unbestimmter Weise — die fraglichen Begriffe je schon von sich aus „schematisch" verwiesen sind.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

dung nur dort die Rede sein kann, wo diese Gegenstandsbeziehung vorliegt. So macht Kant eigens auf den Unterschied aufmerksam, der zwischen der bloßen Verdeutlichung von Vorstellungen durch das Denken einerseits und der ebenfalls durch das Denken erfolgenden Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand andererseits besteht. Dies entspricht der Unterscheidung, die Kant in der „Dissertation" zwischen dem „logischen" und dem „realen" Verstandesgebrauch macht (§§ 5—6) und auf die auch in den „Prolegomena" hingewiesen ist, wenn Kant die Erfahrung und Erfahrungsurteile von Wahrnehmungsurteilen, die keine Gegenstandsbeziehung aufweisen sollen, gerade dadurch abhebt, daß in ihnen über die logische Verknüpfung und die bloße Vergleichung von Anschauungen hinaus diese durch bestimmte Begriffe synthetisch vereinigt sind. Daß es auf mehr ankommt als bloß auf eine vergleichende Verknüpfung von Vorstellungen, liegt auch Kants Konzeption der „Synthesis der Rekognition im Begriff" (A 103 ff.) ebenso wie der neuen Urteilsdefinition von B 142 zugrunde, wonach Vorstellungen im Urteil zur objektiven Einheit der Apperzeption gebracht und erst dadurch in Erkenntnisse von Gegenständen umgewandelt werden. 7 Schließlich gehört hierher auch die sog. „metaphysische" Kategoriendeduktion (A 76/B 102ff.); sie zielt unmittelbar auf die Sicherung gerade der transzendentalen gegenstandskonstitutiven Leistung des Denkens ab. In ihr wird neben der analytischen Funktion des Denkens, nämlich verschiedene Vorstellungen unter einen Begriff zu bringen (A 78/B 104), herausgestellt, daß im Denken die „Synthesis" mehrere Vorstellungen auch «»/Begriffe gebracht werden muß (ebd.), damit in unsere Vorstellungen ein „transzendentaler Inhalt" kommen kann (A 79/B 105). In diesem Sinne heißt es bei Kant: „ D a s D e n k e n ist die Handlung, gegebene Anschauungen auf einen Gegenstand zu beziehen" (A 2 4 7 / B 304),

und „ Z u aller Erfahrung und deren Möglichkeit gehört Verstand, und das erste, was er dazu tut, ist nicht: daß er die Vorstellung der Gegenstände deutlich macht,

7

Diese verglichen mit A 69/B 94 (s. Anm. 4) „neue" Urteilsdefinition, die sich in ähnlicher Formulierung auch M A G d N A XIX findet (ein Urteil ist die „Handlung, durch die gegebene Vorstellungen zuerst Erkenntnisse eines Objekts werden"), ist tatsächlich nur eine Präzisierung des Gedankens der Synthesis der Rekognition im Begriff; vgl. unten Abschn. 18.

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Denken und Gegenstandsbeziehung

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sondern daß er die Vorstellung eines Gegenstandes überhaupt möglich macht" (A 199/B 2 4 4 ) . 8

Damit ist natürlich unsere Ausgangsfrage, wie gerade im Denken die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen zustandekommt, nicht beantwortet — die Beantwortung erfordert ein näheres Eingehen auf den Begriff des „Gegenstandes" unserer Erkenntnis —, aber es ist bei dieser Konzeption des Denkens jedenfalls nachvollziehbar, daß die Kategoriendeduktion überhaupt die Aufgaben haben kann zu zeigen, wie nur vermittels bestimmter Denkformen, nämlich der Kategorien, und des in ihnen gedachten Zusammenhangs unsere Vorstellungen intentionale Gegenstandsbeziehung haben können. Es ist auch klar, wie Kant sich einen solchen Nachweis vorstellt: zu zeigen wäre, daß in aller Begriffsverwendung das Bezogensein unserer Vorstellungen auf Gegenstände wesentlich und notwendig vorausgesetzt ist. Wenn das gelänge, dann wäre es auch vernünftig anzunehmen, daß die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen mit jenen Bedingungen zusammenhängt, denen auch alles Denken in der wirklichen Erfahrung genügen muß. Zweifellos sind es diese Überlegungen, die Kants metaphysischer Kategoriendeduktion zugrundeliegen. Wenn das Denken immer schon die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen impliziert und wenn es seine eigentümlichen Aufgaben nur im Rahmen und im Horizont dieser Gegenstandsbeziehung haben kann, dann ist es naheliegend, die Grundformen, die die Gegenstandsbeziehung ermöglichen, von den Grundformen des Denkens her zu bestimmen. Trotz aller Hinweise auf die Besonderheiten des transzendentalen Denkens rückt deshalb Kant dieses schließlich auch wieder ganz eng an das analytische und explizierende Denken heran, und die Grundfunktion des analytischen und transzendental-synthetischen Denkens faßt er dabei sogar als identische auf. Kant sagt: „Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt. Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen, vermittels der analytischen Einheit, die logi-

8

Vgl. auch, worauf wir oben S. 52 bereits hingewiesen haben, A 2 5 3 / B 3 0 9 ; das wissenschaftstheoretische Pendant dazu ist A 1 2 6 - 7 : „ E s ist also der Verstand nicht bloß ein Vermögen, durch Vergleichung der Erscheinungen sich Regeln zu machen: er ist selbst die Gesetzgebung für die N a t u r , d. i. ohne Verstand würde es überall nicht Natur, d. i. synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Erscheinungen nach Regeln geben".

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung sehe F o r m eines Urteils zustande brachte, bringt auch, vermittels der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine V o r stellungen einen transzendentalen Inhalt" ( A 7 9 / B 105).

Für die Herleitung aller Kategorien in ihrem systematischen Zusammenhang geht Kant deshalb von der systematischen Zusammenstellung der „logischen Funktionen des Verstandes in Urteilen" (A 70/B 95) in der sog. Urteilstafel aus, aus der sich unmittelbar auch eine vollständige Kategorientafel herleiten lassen soll. Dieses Verfahren ist jedoch höchst problematisch — einmal ganz abgesehen von der völlig unzureichenden Begründung, die Kant dafür mit dem Hinweis auf bestimmte Synthesis-Leistungen des reinen Denkens gibt, was an dieser frühen Stelle für sich schlechterdings unverständlich sein muß. 9 Der Haupteinwand ist aber, daß vor dem Nachweis, weshalb im Denken die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen impliziert ist, und vor der Untersuchung darüber, worauf letztlich die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen beruht, man gar nicht sagen kann, ob alle oder einige oder ob überhaupt irgendwelche Denkformen die Gegenstandsbeziehung hervorbringen. 10 Geht man dennoch, wie Kant es tut, von der Urteilstafel aus, um von ihr her zur Kategorientafel zu gelangen, so muß die gesamte Untersuchung der Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen von vornherein unter einem Vorgriff stehen, der von der Sache her nicht ausgewiesen ist, der aber dennoch die Ergebnisse präjudizieren kann und sie tatsächlich auch präjudiziert, und zwar gerade im Sinn von Kants wissenschaftstheoretischen Intentionen. Der Grund dafür liegt einmal darin, daß durch das Ausgehen von bestimmten Grundbegriffen des Denkens eine Auffassung der Kategorien nahegelegt ist, wonach diese ebenfalls bestimmte, wenn auch sehr allgemeine Grundbegriffe sind, aber nicht, wie es eigentlich sein müßte, Alternativen von solchen Begriffen. 11 Das ist die Voraussetzung dafür, daß Kant die Deduktion der Kategorien überhaupt im Sinne seiner These von der Naturgesetzgebung durch den Verstand glaubt fruchtbar machen zu können. Hinzu kommt, daß durch das Ausgehen von Denkbegriffen Kants Konzeption der 9 10

11

Das ist auch die Meinung von Walsb 40, vgl. 61—4. Für Strawson z. B. gilt, daß von der ganzen formalen Logik für die Herleitung der Kategorien nichts zu erwarten ist; fundamental sei etwas anderes, nämlich die Prädikation (Bounds of Sense 81—2, vgl. 31). Dagegen betont Hossenfelder - allerdings im Hinblick auf einen Vollständigkeitsbeweis für die Kantischen Kategorien —, daß auf die metaphysische Deduktion nicht verzichtet werden könne (S. 144, 148). Vgl. unten Abschn. 17.

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Denken und Gegenstandsbeziehung

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ursprünglichen Einheit der Apperzeption und der Synthesis, die zu ihr führt, in sehr starkem Maße durch den Gesichtspunkt einer Spontaneität und Produktivität hic et nunc geprägt ist, nämlich deshalb, weil für Kant das Denken im Gegensatz zur Anschauung insgesamt wesentlich durch Spontaneität gekennzeichnet ist. Diese Spontaneität und Produktivität paßt natürlich gut zur These von der Naturgesetzgebung des reinen Verstandes durch die Kategorien, sie ist durch diese These vielleicht sogar gefordert. Sie stimmt aber weder zum Sinn des Problems der intentionalen Gegenstandsbeziehung von empirischen Vorstellungen, noch ist sie ohne weiteres mit der Art von Spontaneität zu vereinbaren, die dem Denken tatsächlich zukommt. Jedenfalls bedarf die Behauptung der Spontaneität des Denkens sehr weitgehender Einschränkungen und Modifikationen, in deren Folge von einer Gesetzgebung durch den Verstand wohl kaum noch ernsthaft die Rede sein könnte. Natürlich gibt es, wie Kant es für das Denken schlechthin behauptet, auch ein ausgesprochen produktives Denken, nämlich problemlösendes Denken, mit dessen Hilfe anders als beim bloß explizierenden Denken und anders auch als bei einem reproduktiven Denken wir wirklich etwas Neues hervorbringen. Es geht hier um Lösungen, die im allgemeinen in der Uberwindung von Fixierungen bestehen, wobei bestimmte Einbettungen, in denen uns normalerweise etwas gegeben ist, rückgängig gemacht, 12 die funktionale Bindung von Eigenschaften aufgelöst 13 oder Betontheitsreliefs verändert werden müssen. 14 Die Lösung besteht darin, daß das Gegebene unter der Problemforderung z. B. als Aspekt einer übergeordneten, selbst aber zunächst nicht gegebenen Struktur angesehen wird. 1 5 Dazu muß das Gegebene figural oder funktional „umzentriert" werden, 16 weil oft erst aufgrund von Umzentrierungen die für die zu lösende Aufgabe relevanten Aspekte im Gegebenen überhaupt hervortreten können. Dieses Neuansehen des Gegebenen 17 gelingt im allgemeinen nicht ohne angestrengte Problemlösungsarbeit, und insofern ist problemlösendes Denken abhängig von

12 13 14 15 16 17

Wertheimer 130. Duncker 102, 120. Ebd. 35. Graumann, Phän. u. deskript. Psych, d. Denkens 502. Vgl. Duncker 35, 52; Wertheimer 4 7 - 8 , 2 1 9 f f . Das Neuansehen besteht in der Auffassung des Gegebenen im Lichte der durch das Problem gestellten strukturellen Forderungen (Wertheimer 70), wobei dann häufig auch eine Loslösung von seiner funktionalen, d. h. auf vorherigen Erfahrungen beruhenden Gebundenheit erforderlich ist (Bergius 536).

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

einer Wachheit und Zielgerichtetheit des Handelns, die ohne ausgeprägte Spontaneität gar nicht denkbar ist. 18 Nun ist es aber auffällig, daß Kant dieses spontane und produktive Denken gar nicht im Blick hat, wenn er die Klärung und Lösung des Kategorienproblems gerade im Ausgang von Denk- und Urteilsformen sucht. Vielmehr steht für ihn ein bloß explizierendes Denken modellhaft für alles Denken, obwohl das explizierende Denken im Unterschied zum produktiven problemlösenden Denken gerade nicht spontan ist — und schon gar nicht in dem Sinne, daß durch es neue Sachverhalte etwa auch inhaltlich hervorgebracht würden. Aber gerade das scheint Kant anzunehmen, wenn er sagt, daß alle Verbindung eine Verstandeshandlung ist (B 129f.), 19 oder wenn er im Hinblick auf das Verhältnis von innerem Sinn und Verstand bei der Wahrnehmung oder Vorstellung einer Linie davon spricht, daß der Verstand im inneren Sinn die Verbindung eines sukzessiven Mannigfaltigen nicht „findet", sondern sie „hervorbringen" muß (B 155). In Wirklichkeit jedoch artikuliert das Denken in diesen Fällen nur etwas, das nach seinen inhaltlichen Bestimmungen bereits in der schlichten Wahrnehmung selber gegeben ist. Abgesehen von einem aktiven und bewußten, aber immer gleichen bloß formalen „Feststellen" des Vorliegens von Sachverhalten, ist das Denken und Urteilen inhaltlich nämlich gerade nicht spontan und aktivisch; im Explizieren des Gegebenen ist es vielmehr durchaus an das Gegebene gebunden. Auch Begriffe, die dabei Verwendung finden, entstehen inhaltlich nicht neu, sondern sie sind schon in der schlichten Erfassung des Einzelnen mitgegeben, insofern nämlich, als das Gegebene auch vorprädikativ stets schon in Horizonten einer relativen Vertrautheit und Bekanntheit begegnet. 20 Für die Auffassung der Kategorien als „reiner Begriffe", die der Natur das Gesetz vorschreiben, muß dies zur Folge haben, daß solche Gesetze entgegen Kant nicht inhaltlich bestimmt sein können; oder vorsichtiger gesagt: da Begriffe sich nicht inhaltlich durch ihre Spontaneität kennzeichnen lassen, kann der Beweis der objektiven Gültigkeit qua Wahrheit der Kategorien jedenfalls nicht mit Gründen geführt werden, die sich unmittelbar 18

19 20

U m so seltsamer ist es, daß die Problemlösung selber oft gar nicht als eigene Leistung, als das erstrebte und schließlich erreichte Resultat eigener Anstrengung erfahren wird, wie es doch in der Regel bei der durchaus „unproduktiven" Lösung einer Rechenaufgabe der Fall ist. Die Problemlösung begegnet vielmehr häufig als plötzlicher Einfall, als Eingebung und damit oft als impersonal und als passivisch (Graumann, Phän. u. deskript. Psych, d. Denkens 5 0 7 - 1 0 ) . Vgl. oben Abschn. 12. Vgl. Husserl, Erf. und Urteil 382.

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Der Gegenstand der Erkenntnis

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aus der Behauptung einer inhaltlichen Spontaneität des Denkens ergeben. Daß das bei Kant in bestimmten Grenzen dennoch der Fall ist, hängt damit zusammen, daß er vor der Untersuchung der Möglichkeit der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen, aber in Übereinstimmung mit seinem wissenschaftstheoretischen Programm, die Kategorien aus der Urteilstafel herleitet. Gerade dadurch wird der Bereich möglicher Lösungen des Problems der Gegenstandsbeziehung entscheidend eingeengt — mit der Folge, daß Kant seine an sich richtige Einsicht, daß die intentionale Bezugnahme auf Gegenstände wesentlich durch eine „kategoriale" Spontaneität geprägt ist, immer wieder auch als Beleg für seine These glaubt in Anspruch nehmen zu können, daß wir der Natur durch bestimmte, inhaltlich festgelegte Begriffe faktisch das Gesetz vorschreiben. Wir werden darauf später noch eingehen, zunächst jedoch müssen wir uns nun endlich der Frage zuwenden, worauf die intentionale Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen beruht, und das heißt, als was die Gegenstände bestimmt sind, auf die sich unsere Vorstellungen beziehen. W i r werden sehen, daß auch hier Fragen der Spontaneität und Produktivität eine Rolle spielen und daß ohne sie die intentionale Gegenstandsbeziehung weder möglich noch überhaupt zu verstehen wäre. Diese Spontaneität, die sich tatsächlich vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, im Denken ausspricht, ist aber gewiß nicht eine inhaltliche, sondern eine bloß formale. Durch sie werden inhaltlich nicht neue Sachverhalte, und wäre es auch nur eine sehr allgemeine „Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen überhaupt", hervorgebracht. „Produziert" wird hier etwas ganz anderes, aber sehr viel Wichtigeres, ohne welches es inhaltlich bestimmte Gegenstände und gesetzmäßig oder zufällig miteinander zusammenhängende Erscheinungen für uns gar nicht geben könnte, nämlich der Rahmen und Horizont, innerhalb dessen Sachverhalte und Gegenstände uns allererst begegnen können und für uns überhaupt vermeinbar sind.

16. Der Gegenstand

der Erkenntnis

Wenn nach Kant die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen erst durch das Denken ermöglicht ist oder wenn die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen in aller Begriffsverwendung doch wenigstens impliziert ist, so ist, wie wir gesehen haben, Kant nicht der Meinung, daß das nur insofern der Fall ist, als im Denken Vorstellungen vergleichend miteinander verknüpft werden und sich dabei begriffliche Über- und Unterordnungs-

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

Verhältnisse ergeben. Das Denken, das in seinen Grundbegriffen die ursprüngliche Einheit der Apperzeption artikuliert, ist von Kant vielmehr als spezifisch gegenstandskonstitutive Leistung in Anspruch genommen, durch die unsere Vorstellungen vor allem auch im Hinblick auf die dadurch erst möglich werdende denkende Bestimmung von Gegenständen und objektiven Sachverhalten miteinander verbunden werden. Erst im Denken und vermöge seiner Begriffe können uns einzelne Vorstellungen und Vorstellungszusammenhänge als Ausdruck von objektiven Sachverhalten und nicht nur als innere Bewußtseinsvorkommnisse erscheinen. "Was ist nun von dieser These zu halten? Zunächst einmal könnte es scheinen, als ob viel weniger speziell unser Denken als vielmehr die ganz eigentümliche Spontaneität des menschlichen kognitiven Weltverhaltens insgesamt es ist, durch die die Ablösung der Gegenstände von unseren subjektiven Zuständen gelingt. Aber tatsächlich ist umgekehrt gewiß auch nichts so unmittelbar Ausdruck gerade dieser Spontaneität und Aktivität wie unser Denken. Nicht nur dort, wo im eigentlich produktiven Denken Fixierungen, vorgegebene Einstellungen oder funktionale Gebundenheiten überwunden werden, sondern in allem Denken liegt nämlich eine Emanzipation vom Hier und Jetzt vor, und das Denken ist ein Uberschreiten des Gegebenen selbst dort, wo wir ein Gegebenes im reproduktiven Denken bloß näherbestimmen und wo wir nur etwas explizieren, was seinerseits gegeben ist. Stets wird dabei auch Nichtgegebenes antizipiert, Vergangenes vergegenwärtigt, oder es werden Schlüsse aus dem Gegebenen gezogen, indem wir es unter dem Gesichtspunkt der in ihm gegebenen Möglichkeiten betrachten. Gerade im Denken können wir uns von konkreten Situationen und ihren unmittelbaren Ansprüchen lösen und uns auf dem Umweg über bloß Gedachtes, Mögliches und deshalb notwendigerweise unanschaulich Bleibendes zur Wirklichkeit verhalten. Die Überlegenheit und Andersartigkeit des Menschen dem Tier gegenüber, d. h. seine weitgehende Freiheit von aller Situationsgebundenheit und seine Spontaneität treten zwar in seinem gesamten theoretischen und praktischen Verhalten zutage, aber vielleicht nirgends deutlicher als gerade in seiner Fähigkeit, denkend mit neuen Problemen fertigzuwerden, darin Fixierungen zu überwinden und so in Distanz der Welt gegenübertreten, d. h. fragen zu können, weshalb die Dinge so sind, wie sie sind, und nicht anders. Insofern scheint tatsächlich vor allem das Denken für die Besonderheit des menschlichen Erkennens verantwortlich zu sein. Aber um diese Leistung in ihrer Tragweite richtig abschätzen zu können, muß man sich vor Augen halten, daß die Spontaneität des menschli-

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Der Gegenstand der Erkenntnis

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chen Weltverhaltens nur die andere Seite dessen ist, daß wir uns in der Welt und zur Welt eben gegenständlich orientiert verhalten können. Zwar können sich alle Lebewesen auf das, was kommen kann, richtig einstellen, und sie rechnen in ihrem Verhalten insofern stets auch mit einem Nichtgegebenen, bloß Möglichen. Aber kennzeichnend für den Menschen ist es, daß die Bezugnahme auf die Wirklichkeit bei ihm mit einem solchen Grad von U m wegigkeit und Indirektheit erfolgt, wie es Tieren prinzipiell versagt ist, und zwar deshalb, weil wir uns im Erkennen nicht bloß faktisch richtig auf die Wirklichkeit und ihre Möglichkeiten einstellen, sondern weil wir es dabei eben mit Gegenständen und objektiven Sachverhalten zu tun haben, die wir als von unserem eigenen Tun abgelöst und deshalb prinzipiell als niemals vollständig in der Anschauung gegeben ansehen. Gegenstände sind etwas, was wir zur Wirklichkeit unserer Anschauungen hinzudenken müssen und was wir deshalb auch nur unter Aufwendung von Energie von unserem Tun unterschieden halten können. Indem wir Gegenstände und objektive Sachverhalte „erkennen", beziehen wir uns auf die Wirklichkeit also grundsätzlich auf dem Weg über etwas Unwirkliches, bloß Gedachtes und von uns „Produziertes", und ohne dieses könnte die Wirklichkeit im ganzen Reichtum ihrer Bestimmungen uns jedenfalls gar nicht begegnen. Was es heißt, in diesem Sinne auf Gegenstände bezogen zu sein, läßt sich in seiner vollen Bedeutung wohl nur von einem nicht gegenständlich orientierten Weltverhalten her verständlich machen, wie es etwa bei Tieren 1 oder bei Kindern vorliegt. Statt mit Gegenständen, die sich für uns durch ihre Eigenschaften und Gegebenheitsweisen charakterisieren lassen, d. h. die Eigenschaften haben, sie aber nicht sind, haben es z. B. Schimpansen bereits nach sehr kurzer Aufschubzeit nur noch mit den Eigenschaften selber zu tun, also z. B. nur mit den räumlichen Merkmalen einer Sache. 2 Ebenso zeigen Versuche von Bower, daß Kinder im Alter von weniger als 16 Wochen Gegenstände nicht an ihren Eigenschaften erkennen, sondern bewegte Gegenstände einfach mit ihren Eigenschaften identifizieren, z. B. mit ihren Bewegungen, ebenso wie sie ruhende Gegenstände mit ihrem Ort identifizieren und auch nicht in der Lage sind, denselben Gegenstand, der zunächst ruhte, auch als den inzwischen bewegten wiederzuerkennen. 3

1

2 3

Zu Versuchen der (philosophischen) Anthropologie, das eigentümlich Menschliche durch den Tiervergleich in den Blick zu bekommen, vgl. Landmann 122ff.; vor allem aber Plessner 261 ff. und Lorenz 148ff. Buytendijk 166—7. Bower 37.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

Was hier fehlt und was sich bei Kindern erst allmählich entwickelt, ist der Begriff des Gegenstandes („object concept"), durch den die vielen (an sich und für uns Erwachsene miteinander identischen) „Gegenstände", nämlich die verschiedenen Erscheinungen eines Gegenstandes, allererst zum Ausdruck des einen und beharrenden Gegenstandes werden können, an dem z. B. verschiedene örter und Bewegungszustände nur wechselnde Eigenschaften sind. 4 Tiere und Kinder reagieren und handeln zwar ganz richtig in der für sie spezifischen Umwelt, sie haben auch ohne „Objekt-Begriff" durchaus richtige „Erkenntnisse" von dem, was sie angeht und worauf sie sich einstellen müssen; auch Kinder und Tiere rechnen offenbar mit einem Nichtgegebenen. Was ihnen jedoch fehlt, ist die Fähigkeit, aus dem funktionierenden Handlungs- und Aktionskreis, in dem sie leben oder der sie sind, herauszutreten5 und sich einem relativ dauernden und vom jeweiligen Handeln und Wahrnehmen unabhängigen, unanschaulichen Gegenständlichen gegenüber zu „stellen", 6 das seinerseits dasselbe bleibt, obwohl es sich in immer neuen Erscheinungen und in immer neuen Situationen präsentiert. Gerade dies jedoch können wir Erwachsene, und die Frage ist, wie das für uns so typische „begriffliche" Verhalten („conceptual behavior"), 7 das sich an situationsunabhängigen Gegenständen und Sachverhalten orientiert, und damit auch die Gegenstände selber denn eigentlich näher aussehen und welche Rolle in diesem Zusammenhang gerade unser Denken spielt. Ausführlich beschrieben hat das Piaget, und zwar in seiner genetischen Untersuchung des Erwerbs des Begriffs vom Gegenstand, wobei er die Entwicklung des gegenständlichen Verhaltens geradezu als eine schrittweise geschehene „Konstruktion" des Realen bestimmt, die auf dem Weg über die Koordination („ Synthesis") von an sich anfänglich getrennten Handlungsschemata erfolgt. Diese Theorie einer Gegenstandskonstitution durch Synthesen, die ihrerseits Kategorien hervorbringen oder von Kategorien geleitet sind, ist sowohl für die sachliche Beurteilung der Kantischen Theorie der 4 5 6

7

Ebd. 3 7 - 8 . Vgl. Plessner 228 ff. Das ist durchaus in aktivischem Sinn zu verstehen, wie sich an pathologischen Fällen von Derealisation zeigen läßt. Der Verlust der Gegenständlichkeit in solchen Zuständen ist, wie bereits oben S. 140 erwähnt, nämlich gewiß nicht ein rein kognitives Phänomen; er hängt zusammen mit einem energetischen Potentialverlust (Conrad 143) und mit einem allgemeinen Nachlassen der affektiven Spannkraft (Kloos 63). Gerade daraus erklärt sich auch die bei vielen Kranken so auffällige Gleichgültigkeit im Hinblick auf die Frage, ob etwas wirklich ist oder bloß eingebildet; sie wollen oft die Ungewißheit im Hinblick auf Wirklichkeit oder Einbildung gar nicht überwinden (Kloos 63). Bower 38.

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Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen als auch für ihre Interpretation von außerordentlicher Wichtigkeit, und wir wollen sie hier deshalb wenigstens in ihren Grundzügen referieren. 8 Nach Piaget beginnt die Entwicklung der Intelligenz beim neugeborenen Kinde mit der Auslösung und Ausbildung von angeborenen Reflexen, also durch systematische Übung, und zwar in einem Zusammenspiel von Akkomodationen des eigenen Verhaltens an die Wirklichkeit und zugleich von Assimilationen der Wirklichkeit an das eigene Verhalten. Die Übung der Reflexe führt schon bald zu einer Generalisierung in dem Sinne, daß sehr unterschiedliche Gegenstände in die Reflextätigkeit aufgenommen, 9 sie aber dennoch auch voneinander unterschieden werden können. So kann man in gewisser Weise bereits auf dieser Stufe von einer „wiedererkennend e n " Assimilation in dem Sinne sprechen, daß das Kind, wenn es Hunger hat, sehr wohl die Brustwarze von anderen Dingen, an denen es zu saugen und zu lutschen gelernt hat (z. B . dem Daumen), zu unterscheiden vermag; 1 0 gleichwohl kann hier natürlich nicht von der Erkenntnis von Gegenständen die Rede sein, 1 1 denn auf dieser Stufe ist die äußere Welt für das Kind vom eigenen Tun in keiner Weise unterschieden. Wir haben es hier deshalb zunächst auch überhaupt nicht mit „Erkenntnis"-Leistungen zu tun, wenn darunter die Bezugnahme auf unabhängige Gegenstände verstanden wird. Aber dennoch sind es gerade solche geübten und generalisierten Reflexe, auf denen die komplexeren Verhaltensweisen aufbauen, die in ihrem Zusammenspiel dann schließlich für das gegenständlich orientierte Erkennen charakteristisch sind. Dieser Aufbau von kognitiven Leistungen durch und auf einem anfänglich ganz blinden reflexartigen Verhalten scheint zunächst allen unseren Vorstellungen vom Wesen des Erkennens als eines geistigen Prozesses zu widersprechen, ist aber deshalb möglich, weil bereits bei der Übung des Reflexverhaltens zuerst jenes Zusammenspiel von Akkomodation und Assimilation auftritt, das für die geistige Entwicklung insgesamt und für alle geistigen Niveaus im einzelnen kennzeichnend ist. Es besteht darin, daß die Anpassung (Akkomodation) eines Verhaltens, und zwar auch eines reflexartigen Verhaltens, an die Wirklichkeit zugleich immer auch die Assimilation der Wirklichkeit an die8

9 10 11

Wir folgen der Darstellung in Erwachen der Intelligenz; vgl. auch die in vielem ähnlichen Überlegungen Gehlens (S. 131 ff.) über die Erarbeitung der Wirklichkeit in einem mit den Dingen „kommunizierenden" Handeln. Erwachen 44. Ebd. 46. Ebd. 45.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

ses Verhalten ist. Die Akkomodation an die Wirklichkeit, wie sie für das erkennende Verhalten und seine Vorformen kennzeichnend ist, ist nämlich stets schon gelenkt und geleitet von einem Bedürfnis, eine momentan unvollendete Ganzheit 12 durch die Assimilation der Wirklichkeit an bestehende Verhaltensschemata, d. h. durch ihre Eingliederung und Aufnahme in die entsprechende Tätigkeit des Subjekts, 13 zu ergänzen, und das bedeutet, daß die Akkomodation an die Wirklichkeit auf keiner Stufe möglich ist ohne „Zuwendung" 14 und daß sie in keinem Falle bloß assoziativ in reiner Passivität erfolgen kann. Die Akkomodation an die Wirklichkeit ist also bereits auf den vortheoretischen Stufen des Weltverhaltens stets assimilativ, d. h. „sehend", und wenn im Verlauf der geistigen Entwicklung aufgrund der sehr komplizierten Koordination von Verhaltensschemata dann auch immer komplexere Gegenständlichkeiten zugänglich und erkennbar werden, so gründet die Möglichkeit dafür dennoch in jener ursprünglichen und stets unvollendeten Ganzheit, ohne die nicht einmal die assimilative Akkomodation des eigenen reflexartigen Tuns an die Wirklichkeit stattfinden könnte. Im einzelnen führt die kognitive Entwicklung auf den von Piaget unterschiedenen Stufen, deren Abfolge wir hier nur in ihren allergröbsten Umrissen skizzieren können, zunächst zu Wiederholungen von sich ausbildenden gewohnheitsartigen Verhaltenszyklen (z. B. Saugen am Daumen), vor allem aber zur Koordination einzelner Handlungsschemata (wie Saugen und Sehen, Sehen und Hören) aneinander. Solche Koordinationen sind deshalb wichtig, weil nur durch sie die Gegenstände, die den einzelnen Handlungsschemata bereits vor der Koordination assimiliert und einverleibt waren, für das Kind auch eine von den Handlungsschemata unabhängige Bedeutung annehmen können. Indem z . B . das Greifding auch Seh- und Hörding wird, d. h. indem es aufgrund seiner Zugehörigkeit zu verschiedenen Handlungsschemata auf verschiedenen Wegen dennoch als dasselbe zugänglich wird, beginnt es sich von den einzelnen Handlungsschemata abzulösen und dadurch zu etwas „Objektivem" zu werden, das sich in seinen Erscheinungen dennoch als dasselbe darstellen kann. Das bedeutet nicht, daß es in diesem Stadium bereits Dinge mit dem Charakter substantieller 12 13 14

Ebd. 55. Ebd. 53. Das hat übrigens gerade auch in seiner Kant-Interpretation immer wieder Heidegger herausgestellt; vgl. Kant und das Probl. d. Metaph. 70: damit einem endlichen Wesen Seiendes begegnen könne, bedürfe es des „Grundvermögens einer entgegenstehenlassenden Zuwendung zu . . . " ; vgl. auch Grote 97ff.

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und räumlicher Permanenz gäbe, 1 5 aber immerhin lassen nach der Koordination verschiedener Handlungsschemata aneinander sich doch Ansätze einer Entwicklung feststellen, in der die Dinge einen allerersten „Außenweltcharakter" anzunehmen beginnen. 1 6 Diese Tendenz setzt sich in den folgenden Stadien zunehmend und rasch durch. Im dritten Stadium, in dem es zu einer ersten Unterscheidung von Zwecken und Mitteln kommt und in dem deshalb auch die ersten Anfänge zielgerichteten Handelns auftreten, führt die „Erarbeitung" der Realkategorien immerhin bereits dazu, daß das Kind beim Einwirken auf die Gegenstände diese als permanent und widerständig erfährt. Die Tatsache, daß es nach Gegenständen, die aus dem Wahrnehmungsfeld verschwunden sind, gar nicht sucht, zeigt allerdings, daß diese Permanenz nur für den jeweiligen Handlungsvollzug gilt und sich noch nicht von der einzelnen Handlung wirklich losgelöst hat. 1 7 Auch bezüglich des Sachzusammenhangs der Gegenstände selber kommt das Kind auf dieser Stufe über Anfänge nicht hinaus. Zwar werden durch die Assimilation von Handlungsschemata aneinander bereits Sach-Relationen zugänglich, 1 8 kennzeichnend ist aber, daß sie an einzelne sog. sekundäre Zirkulärreaktionen gebunden bleiben und infolgedessen nur im Innern von diesen bestehen. 1 9 Sie lösen sich von den Zirkulärreaktionen nicht ab, und deshalb fehlt insgesamt den hier erreichbaren substantiellen, räumlichen oder kausalen Strukturen der Charakter eigentlicher „Objektivität". Dazu kommt es erst im vierten Stadium durch die Koordination mehrerer sekundärer Zirkulärreaktionen, 2 0 wodurch das Kind in die Lage versetzt wird, Ziele zu erreichen, die nicht mehr direkt zugänglich sind, etwa weil sie zu weit entfernt sind oder weil Hindernisse im Weg sind. U m zum Ziel zu gelangen, muß das Kind auf Verhaltensschemata zurückgreifen, die sich bisher auf ganz andere Situationen bezogen hatten, d. h. es müssen mehr oder weniger lange Reihen von Ubergangs- und Mittelschemata einem Haupt- oder Zweckschema untergeordnet werden. 2 1 Dadurch lernt das Kind aber, die Dinge selbst miteinander in Beziehung zu setzen. So ergeben sich Fortschritte im Gegenstandsbewußtsein, die sich gut daran ablesen las15 16 17 18 19 20 21

Piaget, Erwachen 70, vgl. 95—6. Ebd. 70, vgl. 84. Ebd. 1 6 1 - 2 . Ebd. 1 7 9 - 8 0 . Ebd. 189. Ebd. 2 1 6 . Ebd. 2 1 6 - 7 .

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sen, daß jetzt auch nach verschwundenen Gegenständen gesucht wird. Gegenstände, die durch Hindernisse verdeckt sind, beginnen sich jetzt also so darzubieten, als ob sie hinter dem Hindernis beharrten. Existenz haben sie damit nicht mehr bloß in Beziehung zum eigenen Handeln des Kindes und zu seinem Eigenerleben, sondern sie können jetzt auch in Beziehungen zu anderen Dingen stehen, auch wenn auf dieser Stufe solche anderen Dinge in der Wahrnehmung gegeben sein müssen. 2 2 Hand in Hand mit der zunehmenden Koordination von bisher isolierten Handlungsschemata lösen sich so die Dinge von den eigenen Bewegungen des Kindes ab; sie treten in räumliche, zeitliche und kausale Beziehungen zueinander. Im fünften Stadium der sensomotorischen Intelligenz, das nach Piaget durch die Suche nach dem Neuartigen als solchem gekennzeichnet ist, 2 3 gibt es dann schließlich eine Akkomodation an die Wirklichkeit um ihrer selbst willen. Der Versuch, neue Gegenstände den schon ausgebildeten Handlungsschemata einzuordnen, läßt dem Kind spürbar werden, daß gewisse Gegenstände ihrer Assimilation Widerstand entgegensetzen, und das verstärkt umgekehrt das Bemühen des Kindes, dann seinerseits sich solchen Gegenständen zu akkomodieren, also neue Verhaltensschemata auszubilden, an die sie assimiliert werden können. Das bedeutet aber, daß die Gegenstände zunehmend als eigenständige Kräftezentren aufgefaßt werden. Schon vor dem Erreichen des sechsten Stadiums, in dem sich die systematische Intelligenz ausbildet, die zu neuen Mitteln durch ein sich auf Vorstellungen stützendes 2 4 geistiges Kombinieren gelangt, gibt es also objektive Gegenstände und objektive Sachbezüge zwischen den Gegenständen selber. Dieser aus Akkomodationen und Assimilationen bestehende Entwicklungsprozeß, den wir, wie gesagt, nur im Rahmen der Ausbildung der sensomotorischen Intelligenz betrachtet haben, 2 5 bringt die objektive Gegenständlichkeit und die volle Erkenntnis von Gegenständen nicht an einer bestimmten Stelle mit einem Schlage hervor, so daß wir es vorher nur mit subjektiven Bewußtseinsvorkommnissen (Handlungen) und danach dann mit vollständig erarbeiteten, vom Ich und von seinem Erleben losgelösten Gegenständen zu tun hätten. Es gibt vielmehr frühe und weit zurückreichende 22 23 24 25

Ebd. 217. Ebd. 268, 278. Ebd. 217. Für die Ausbildung der vollen Struktur der Wirklichkeit spielen natürlich eine besonders wichtige Rolle vor allem symbolische Funktionen wie die Sprache, Nachahmung und innere Vorstellungen (vgl. Piaget, Einführung 55; Nachahmung 275 ff.), worauf wir hier nicht eingehen, da alle wesentlichen Strukturen des Gegenständlichen sich bereits am Ende der sensomotorischen Stufe finden (vgl. Construction 307 ff.).

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Anfänge des „objektiven" Erkennens, das zunächst seine Gegenstände nur relativ zu einzelnen Reaktionen und Verhaltensweisen hat, die zudem auch nur wenige Handlungsschemata in sich vereinigen und deren Gegenstände sich vom konkreten Handeln gerade erst abzulösen beginnen. Aus solchen rudimentären Formen entwickelt sich unser waches theoretisches Weltverhalten, in dem wir die Gegenstände in ihren Sachzusammenhängen uns gegenüber haben, durch eine große Zahl von vermittelnden Schritten erst allmählich, 26 und zwar genau in dem Maße, wie die Gegenstände in einer fortschreitenden Differenzierung, Weiterbildung und Koordination von Verhaltens- und Handlungsschemata als zu mehreren Handlungen gehörig und dadurch als von der einzelnen Handlung unabhängig und losgelöst aufgefaßt werden. 27 Kennzeichnend für das menschliche Erkennen ist demnach eine „zeitüberbrückende Gegenwart", 28 die sich darin ausdrückt, daß auf der Stufe der gegenständlichen Erkenntnis alles gegenwärtig Gegebene im allgemeinen bezogen ist auf etwas, das selber als Ganzes nicht präsent ist und das im Falle des Gegenstands als Ganzes auch niemals präsent werden kann. Es gehört gerade zum Sinn des Gegenstands der Erkenntnis, daß er zwar erreichbar ist immer nur auf dem Weg über je präsent Gegebenes (seine Erscheinungen), daß er sich aber in seinen zugangsinvarianten Sachzusammenhängen der Reduktion auf je bloß Präsentes prinzipiell widersetzt. Die jeweils gegenwärtig gegebenen objektiven Eigenschaften gelten uns als Eigenschaften eines anderen, das im Gegensatz zu seinen Erscheinungen selber nicht gegeben ist, das also zur gegenwärtigen Situation immer nur „hinzugedacht" ist, als dasjenige, in dessen Begriff eine Mannigfaltigkeit von sonst unverbundenen und zerstreuten, nebeneinander stehenden Erscheinungen miteinander verbunden ist. Wie die Untersuchungen Piagets zeigen, ist die Objekterkenntnis und zugleich auch die intentionale Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellun26

27

28

Dabei werden im allgemeinen die früheren Formen gar nicht ersetzt, sondern nur überbaut, so daß sie sich neben den höheren Formen auch im Leben der Erwachsenen noch erhalten, vgl. Piaget, Construction 307ff. Für Gegenstände und objektive Sachverhalte ist also eine „wegunabhängige" Zugänglichkeit konstitutiv, was bedeutet, daß es Objektives für uns vielleicht nur dort geben kann, wo es sich uns auf mindestens zwei Wegen zeigen kann (vgl. auch Gehlen 166f.). — Bei Strawson findet dieses übrigens seinen Ausdruck darin, daß die Erfahrung von Objekten im gewichtigen Sinn für ihn aus der „necessary self-reflexiveness of a possible experience" folgt, nämlich aus der Unterscheidung zwischen der Welt der Dinge einerseits und meiner „experiential route through such a world" andererseits (Bounds of Sense 109, vgl. 106). Buytendijk 118, 50.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

gen also tatsächlich nur aufgrund synthetischer Leistungen möglich, durch die, wie Kant sich ausdrückt, anfänglich zerstreute Vorstellungen zur objektiven Einheit der Apperzeption gebracht werden, d. h. durch die sie unter dem Gesichtspunkt der Kategorien im Hinblick auf eine dadurch mögliche Gegenstandserkenntnis miteinander identifiziert werden. In der Tat erhalten sie erst dadurch auch die Eigenschaft, überhaupt auf etwas von ihnen unterschiedenes Gegenständliches hinzuweisen. Vorher und außerhalb des kategorial vermittelten Zusammenhangs mögen sie zwar faktisch richtig zusammenhängen — und das tun sie auch, wie sich am realitätsorientierten Verhalten z. B. der Tiere ablesen läßt — aber dennoch sind sie dann kategorial zerstreut und voneinander isoliert insofern, als ihnen jener innere synthetische Verweisungszusammenhang fehlt, der mit ihrer intentionalen Gegenstandsbeziehung äquivalent ist. 2 9 Für unsere Frage nach der Struktur und den Bedingungen der objektiven Einheit der Apperzeption ergibt sich daraus die Feststellung, zu der uns sowohl die Untersuchungen Bowers als auch vor allem die von Piaget berechtigten, daß sich der Sinnzusammenhang von gegenstandsbezogenen Vorstellungen nicht beliebig, sondern nach bestimmten Grundschemata organisiert. Die objektive Einheit der Apperzeption ist also nicht bloß die Einheit des Selbstbewußtseins, durch die unsere Vorstellungen in der Einheit eines einzigen Bewußtseins zusammengehören, vielmehr ist sie ein solcher Zusammenhang unserer Vorstellungen, der Entgleitungen und Entgleisungen ausschließt, und zwar Entgleitungen und Entgleisungen, von denen wir jetzt sagen können, daß sie auf die Aufhebung des nach den Kategorien gegliederten Rahmens hinauslaufen, innerhalb dessen Vorstellungsverbindungen objektive Realität haben. Piaget hat im einzelnen verfolgt, 3 0 wie solche kategorialen Zusammenhänge, die im Grunde nichts anderes sind als Aspekte und Momente des im Objektbegriff gedachten Zusammenhangs überhaupt unserer Vorstellungen, sich allmählich herausbilden: entscheidend ist hier immer wieder, daß das Bezugnehmenkönnen auf objektive Verhältnisse unter dem Gesichtspunkt der Gegenständlichkeit des Dings (Substanz) und seiner Sachzusammenhänge (nach den Kategorien der objektiven Zeit, des objektiven Raums und der Kausalität) nur durch die Koordination und Zusammenfassung von Vorstellungen oder allgemeiner von Handlungsschemata möglich ist. Dabei 29

30

Eigentlich kann dann natürlich nicht von Vorstellungen die Rede sein; es handelt sich um Abschnitte und Teile eines einzigen das Subjekt und die Welt umfassenden Handlungskreises. Z. B . in L a construction du réel.

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Der Gegenstand der Erkenntnis

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können die Kategorien aus folgendem Grund als Aspekte des im Begriff des Gegenstandes gedachten Zusammenhangs von Vorstellungen gelten. Einmal sind sie die Hinsichten, in denen etwas Gegenständliches sich zuallererst von seiner Gegebenheitsweise loslösen kann, und zwar dadurch, daß die Gegebenheitsweisen auf dem Umweg über den Begriff des in ihnen gegebenen einen Gegenstands oder Sachverhalts miteinander verbunden, d. h. identifiziert werden. Die Kategorien sind also hinreichende Bedingungen für die Objektkonstitution. Sie sind aber auch notwendige Bedingungen, denn umgekehrt können allein solche Identifizierungen oder besser: kann allein die Möglichkeit zu solchen Identifizierungen die Möglichkeit eröffnen, ein in verschiedenen Gegebenheitsweisen oder Handlungen gegebenes Gegenständliches von diesen Gegebenheitsweisen abzulösen und es als Objektives sich gegenüber zu haben. Dabei ist in dem Schema der Verbindung einer Mehrheit von Vorstellungen oder von Handlungen, in denen etwas Gegenständliches jeweils anders, mindestens zeitlich unterschiedlich „gegeben" ist, auch das Schema der Bestimmung von „etwas als etwas" ein für alle Mal präjudiziell: Ein Etwas, das einerseits durch seine Erscheinungen oder seine Gegebenheitsweisen als etwas bestimmt ist, kann außerdem auch noch anders bestimmt sein, da es nämlich auch anders erscheinen kann oder anders gegeben sein kann. 31 Deshalb kann man — im Sinne der Kantischen Urteilsdefinition von A 69/B 94 — tatsächlich auch nur dort denken und Begriffe verwenden, wo prinzipiell Gegenstände gemeint und erkannt werden können. Im Denken — und damit kommen wir auf die Ausgangsfrage dieses Abschnitts zurück — ist also die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen tatsächlich impliziert, und man kann sagen, daß das Denken gar keine andere Funktion hat, als mit seinen relativ unanschaulichen Begriffen das anschaulich Gegebene zur Erkenntnis von Gegenständen zu vereinigen, die selber sich uns niemals vollständig zeigen können. Diesem Denken in der 31

Dieses Schema als elementare Urteilsstruktur läßt sich also unmittelbar aus dem Begriff des „Gegenstandes der Erkenntnis" herleiten und ist auch z. B. bei Tugendhat so hergeleitet; wenn Gegenstand nur das sein kann, was sich auf mindestens zwei Weisen geben läßt — nur so kann er als etwas „Wegunabhängiges" überhaupt vermeinbar sein (vgl. Anm. 27) —, gehört es zu seinem Sinn, außer durch seine gegenwärtige Gegebenheitsweise (Erscheinung) auch als anders gebbar bestimmt zu sein. Bei Henrich (Identität und Objektivität 33—43) ist diese Weiterbestimmbarkeit von Objekten, ihre Komplexität, wie er sagt, gerade umgekehrt aus der Urteilsstruktur hergeleitet: „Die Erkenntnis, welche .Erfahrung' heißt, ist schon allein deshalb, weil sie sich der kategorischen Urteilsform bedient, notwendig auf eine Auffassung der Phänomene hin orientiert, in der viele Eigenschaften einem einzelnen Gegenstand zugesprochen werden" (42).

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

Erfahrung liegt aber logisch die Ablösung von Gegenständen von ihren Gegebenheitsweisen voraus; die Ablösung erfolgt nämlich in einem ursprünglicheren, kategorialen „ D e n k e n " , d. h. in der ursprünglichen synthetischen Vereinigung (Koordination) von Vorstellungen (Handlungsschemata), deren Einheit allein als jener „höchste Punkt (gelten kann), an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik . . . heften m u ß " (B 134 Anm.).32 Wie die Untersuchungen Piagets zeigen, ist die synthetische Einheit der Apperzeption etwas, was in Relation zu den verschiedenen Graden der O b jektivität unserer Vorstellungen erst allmählich jene Form annimmt, die zu der ausgebildeten Kategorialstruktur des theoretischen Weltverhaltens der Erwachsenen gehört. Insofern ergibt sich hier ein differenzierteres Resultat als bei Kant, für den es nur die Alternative von Einheit der Apperzeption in ihrer voll ausgebildeten kategorialen Struktur oder ihr gänzliches Fehlen gibt. Aber dennoch zeigen Piagets Untersuchungen doch — nach der negativen Kennzeichnung von Abschn. 14 diesmal von der positiven Seite —, daß Kant die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen zu Recht auf ihr Zusammenstehen in der ursprünglichen Einheit der Apperzeption als einem umfassenden kategorial entfalteten Sinnzusammenhang zurückführt. Das, und auch die Auffassung des Objekts als des prinzipiell unanschaulich bleibenden, da von seinem Gegebensein unterschiedenen Gegenstandes, kommt, wie wir in den folgenden Abschnitten in der Textauslegung noch im einzelnen zeigen wollen, insgesamt in Kants Synthesis-Lehre sehr überzeugend zum Ausdruck, es läßt sich jedoch besonders gut an Kants Bestimmung des Objekts unserer Erkenntnis verdeutlichen. Wenn Kant A 106 sagt, daß der Gegenstand „nichts mehr als das etwas (ist), davon der Begriff eine . . . Notwendigkeit der Synthesis ausdrückt", oder wenn er B 137 definiert: „ O b j e k t a b e r ist d a s , in dessen B e g r i f f d a s M a n n i g f a l t i g e einer g e g e b e n e n A n s c h a u u n g vereinigt i s t " ,

so sehen wir hier einerseits, daß Kant im Rahmen seiner Lehre von der Unerkennbarkeit der Dinge an sich das Objekt zwar nur als Korrelat einer Synthesis von Vorstellungen begreift. Andererseits ist damit mit großem Nachdruck aber auch gesagt, daß es ohne die Synthesis von Vorstellungen 32

Gerade dieses, daß in aller Begriffsverwendung und in allen Urteilen die Beziehung auf Gegenstände logisch bereits impliziert ist, kommt nicht richtig heraus, wenn man wie Henrich vom Urteil ausgeht und nicht umgekehrt von einem gegenständlich orientierten Verhalten, in dessen Dienst alles Urteilen geschieht (vgl. Anm. 31).

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Die Kategorien als Alternativen von Begriffen

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für uns Objekte überhaupt nicht geben könnte: Nur dort — das ist Kants ganz richtige Einsicht —, wo unsere Vorstellungen zur objektiven Einheit der Apperzeption gebracht sind, können sie Gegenstandsbeziehung haben, und umgekehrt gilt auch, daß überall dort, wo sie in der objektiven Einheit der Apperzeption zusammenstehen, sie die Gegenstandsbeziehung auch tatsächlich haben.

17. Die Kategorien

als Alternativen

von

Begriffen

Die ursprüngliche Einheit der Apperzeption, systematisch interpretiert als Sinnzusammenhang, der die intentionale Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen ermöglicht und Entgleitungen und Entgleisungen verhindert, beruht, wie wir gesehen haben, auf der Spontaneität des spezifisch menschlichen Weltverhaltens. Sie ist nach den Kategorien gegliedert, so daß sich umgekehrt die kategoriale Zerstreutheit und Unverbundenheit von Vorstellungen als ihre gegenständliche Unbestimmtheit kennzeichnen läßt. Wie gesagt liegt diese ursprüngliche Einheit im Gegensatz zur Auffassung von Kant nicht von Anfang an und ein für alle Mal nur in der Form vor, in der sie charakteristisch ist für die Gegenstandserkenntnis des erwachsenen Menschen. Sie wird vielmehr auf dem Weg über Zwischenstufen im Laufe der Zeit synthetisch allmählich erst „erarbeitet". Vor allem diese Tatsache würde es nun nahelegen, von der ,,synthetischen" Einheit der Apperzeption zu sprechen, und gerade darauf legt Kant, vornehmlich in der 2. Auflage der „Kritik", auch besonderen Nachdruck. Wiederholt weist er darauf hin, daß der Grundsatz der notwendigen Einheit der Apperzeption zwar ein analytischer Satz sei, daß er „aber doch eine Synthesis des in einer Anschauung gegebenen Mannigfaltigen als notwendig erklärt" (B 135) und daß die analytische Einheit der Apperzeption „nur unter der Voraussetzung irgendeiner synthetischen möglich sei" (B 133); im gleichen Sinn heißt es auch B 133, daß die durchgängige Identität der Apperzeption eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen eine Synthesis dieser Vorstellungen „enthält" und nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis möglich sei. Die Charakterisierung der Einheit der Apperzeption als synthetisch ist bei Kant nun allerdings nicht unproblematisch. Die objektive Einheit der Apperzeption ist an sich das Resultat von Synthesen und Koordinationen von Handlungschemata („Vorstellungen"), sie bildet sich als schließlich habitualisiertes Gerüst und Schema von Koordinationen allmählich heraus, ist

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

dann aber auch relativ stabil und besteht unabhängig von aktuellen Synthesen, die jetzt ja vielmehr ihr gemäß und nur innerhalb des durch sie gegebenen kategorialen Rahmens erfolgen können. In Ubereinstimmung damit könnte man annehmen, daß die Einheit der Apperzeption auch bei Kant als „ursprünglich synthetisch" in dem Sinne aufgefaßt sei, daß sie eben immer schon das Ergebnis von zugrundeliegenden transzendentalen synthetischen Leistungen ist. Um so überraschender ist es deshalb, daß Kant häufig so spricht, als solle die ursprüngliche Einheit der Apperzeption jeweils erst durch Synthesen hic et nunc hervorgebracht werden. So erläutert Kant das, was unter dem Ausdruck „synthetisch" in der Wendung „ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption" zu verstehen sei, am Beispiel des Ziehens einer Linie dadurch, daß er sagt, hier sei eine bestimmte Verbindung des gegebenen Mannigfaltigen synthetisch so zustandezubringen, „daß die Einheit dieser Handlung zugleich die Einheit des Bewußtseins (im Begriff einer Linie) ist, und dadurch allererst ein Objekt (ein bestimmter Raum) erkannt wird". Kant fügt hinzu, daß insofern die synthetische Einheit des Bewußtseins also die objektive Bedingung der Erkenntnis sei (B 138), und das kann nur bedeuten, daß in diesem Falle erst durch das Ziehen der Linie die ursprüngliche Einheit als objektive Bedingung der Erkenntnis zustandekomme. Auch die neue Urteilsdefinition von B 142 enthält deutlich einen solchen aktual-aktivischen Aspekt; hier sagt Kant vom Urteil, es sei die Art, „gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen". Darin schwingt zumindest mit, daß womöglich erst im Akt des Urteilens und erst vermöge des Urteilens Vorstellungen, die bisher allenfalls in faktischen Verbindungen zusammenstanden und insofern kategorial zerstreut und isoliert vorkamen, in kategorial gegliederte Sinnzusammenhänge eingefügt werden. Vor allem hier macht sich bemerkbar, daß Kant alle Verbindung als Verstandeshandlung auffaßt. In Ubereinstimmung mit dieser Grund-Uberzeugung besteht bei Kant die Neigung, bei der Behandlung der „synthetischen" Einheit der Apperzeption unter dem Titel „Synthesis" und „synthetisch" immer auch aktuelle Verbindungen zu verstehen, in denen jeweils hic et nunc etwas erkannt wird, z. B. daß ein Körper schwer ist oder daß irgendwo eine Linie gezogen ist. Dennoch wird man Kant aber kaum die Meinung zuschreiben dürfen, daß grundsätzlich erst jeweils im aktuellen Erkennen die ursprüngliche Einheit der Apperzeption hervorgebracht wird. Zwar ist es als Möglichkeit nicht auszuschließen, daß unsere Vorstellungen bis zum Augenblick der Erkenntnis gleichsam blind sind, d. h. daß sie bis dahin bloß innere Be-

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wußtseinsvorkommnisse darstellen und erst im Augenblick der Erkenntnis in die Helle eines gegenstandsmeinenden Wissens treten. Aber wenn das wirklich der Fall wäre, so müßte auch die intentionale Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen sich im Akt des Erkennens jeweils neu herstellen; nur wäre unter dieser Voraussetzung wohl kaum mehr verständlich zu machen, daß wir in einer einzigen zusammenhängenden Welt leben, in der wir uns auf Gegenständliches doch gerade in seiner Unabhängigkeit vom jedesmaligen Vermeint- und Vorgestelltwerden beziehen. Deshalb ist auch Kant trotz des gelegentlich in andere Richtungen weisenden Sprachgebrauchs ernsthaft nicht der Ansicht, daß die ursprüngliche Einheit der Apperzeption erst jeweils im aktuellen Erkennen konstituiert wird, 1 sie ist für Kant in erster Linie vielmehr jene durchgängige und ursprüngliche Einheit, der einheitliche Rahmen, der alle Einzelsynthesen im voraus umfaßt und möglich macht. Im aktuellen Urteil wird nicht jeweils erneut diese ursprüngliche Einheit wieder hervorgebracht, sondern im Urteil ist die ursprüngliche Einheit der Vorstellungen stets schon vorausgesetzt, weil ohne sie die im Urteil ausgesprochenen besonderen Erscheinungszusammenhänge gar nicht gegenständlich aufgefaßt werden könnten. Auch hier gilt, was Kant an anderer Stelle sagt, daß nämlich die Vorstellung der Einheit nicht nachträglich aus der Verbindung entstehen kann, sondern daß umgekehrt die Einheit, indem sie zur Vorstellung des Mannigfaltigen in einem Urteil hinzukommt, allererst gegenstandsorientierte Synthesen möglich macht (vgl. B 131). 2 In sachlicher Hinsicht ergibt sich für die ursprüngliche Einheit der Apperzeption aus alledem auch, daß sie nicht in dem Sinne nach den Kategorien gegliedert ist, daß nun für alle oder auch nur für einzelne Vorstellungen a priori vorgeschrieben wäre, wie ihr kategorialer Zusammenhang aussieht. Dadurch, daß zwei Vorstellungen in der Einheit der Apperzeption zusam-

1

Daß Kant in dieser Hinsicht mißverständlich redet, läßt sich nicht leugnen; jedoch trifft es einfach nicht zu, daß Kant, wie es ihm Topitsch vorwirft (S. 79— 80), erst jeweils in bestimmten Synthesen als aktuellen Zusammenfassungshandlungen die apriorische Vereinheitlichung des uns gegebenen Mannigfaltigen erreicht glaubt. — Allerdings findet sich diese ad-hoc-Auffassung sogar bei Prauss, der häufig so spricht, als würde der Bereich des O b jektiven bei der Deutung von subjektiven Erscheinungen zu Objekten „jeweils" ursprünglich eröffnet (Ersch. bei Kant 84); nach Prauss werden sogar die Kategorien erst „anläßlich gegebener Erscheinungen spontan erzeugt" (ebd. 97).

2

Das heißt natürlich nicht, daß auch die im Urteil ausgesprochene besondere Einheit verschiedener Vorstellungen etwa inhaltlich von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption abhängt; diese ermöglicht es nur, und zwar im voraus, daß der im Urteil ausgesprochene faktische Zusammenhang überhaupt gegenständlich aufgefaßt werden kann.

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mengehören, ist nicht festgelegt, daß sie oder das, was in ihnen gegeben ist, etwa faktisch kausal miteinander verknüpft ist. Vielmehr hat man sich diese Einheit so vorzustellen, daß in ihr für die Vorstellungen nur ein für alle Mal die Möglichkeit geschaffen ist, daß sie zu anderen Vorstellungen in kategorial strukturierten faktischen Verhältnissen und Zusammenhängen stehen, wobei es aber letztlich allein von den Umständen abhängt, welcher bestimmte Zusammenhang vorliegt. Nachdem einmal nach ihrer „Erarbeitung" die „Realkategorien" zur Verfügung stehen — und für Kant, der solche genetischen Fragen nicht stellt, würde das heißen: immer —, besteht die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen allein darin, daß sie im Sinne von dadurch möglichen Gegenstands- und Sachverhaltsbestimmungen in einem bloß formalen Zusammenhang miteinander stehen, der für dieselben Vorstellungen je nach den Umständen inhaltlich ganz verschieden realisiert sein kann und der sogar darin bestehen kann, daß bestimmte Vorstellungen sachlich überhaupt nicht miteinander zusammenhängen. Das trifft z. B. für alle Gefühle zu, wenn wir sie überhaupt als „Vorstellungen" gelten lassen wollen, und zwar im Verhältnis sowohl zueinander als auch zu einzelnen „objektiven" Vorstellungen. Denn in der ursprünglichen Einheit der Apperzeption gehören nach der Erarbeitung der Realkategorien auch die Gefühle zusammen; erst in dieser Einheit können sie als bloß faktisch subjektive Gegebenheiten, unterschieden von faktisch objektiven Sachverhalten, aufgefaßt werden. Vorher und außerhalb dieser ursprünglichen Einheit haben sie zwar ebenfalls keine Gegenstandsbeziehung, aber das Fehlen der kategorialen Gegenstandsbeziehung ist dennoch etwas ganz anderes, als daß bestimmte Vorstellungen bloß faktisch subjektiv sind. Das Konstatieren von solchen faktischen Bestimmungen wäre gar nicht möglich, wenn die Vorstellungen nicht kategorial objektiv miteinander verbunden sind. Für die Kategorien als Artikulationsformen der ursprünglichen Einheit der Apperzeption folgt daraus, daß sie im Grunde nicht bestimmte „Begriffe" sein können. Vielmehr kann es sich bei ihnen nur um Hinsichten und Gesichtspunkte handeln, unter denen unsere Vorstellungen zusammengehören, und zwar so, daß Vorstellungen in derselben Hinsicht („Kategorie") miteinander verbunden sind, wenn die in ihnen gemeinten verschiedenen gegenständlichen Sachverhalte z. B. kausal miteinander zusammenhängen oder kausal unverbunden nur nebeneinander stehen, ebenso wie Vorstellungen in derselben Hinsicht („Kategorie") zusammengehören, wenn die in ihnen gemeinten gegenständlichen Eigenschaften z. B. wie Akzidenzien in einer Substanz zusammengehören oder wenn es sich nur um ein faktisch unverbundenes und zufälliges Zusammenvorkommen solcher Eigenschaf-

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ten handelt. Ob das eine oder das andere der Fall ist, ist eine Frage der besonderen Umstände und läßt sich nicht mit transzendentalen Gründen entscheiden. Aus Gründen, die mit der Möglichkeit der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen zu tun haben, läßt sich für zwei Ereignisse immer nur sagen, daß stets die Alternative z. B. zwischen dem Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen ihnen oder dem Fehlen eines solchen Zusammenhangs vorliegt. Schon dann, wenn eine solche Alternative besteht, haben wir es jedenfalls mit einem von unserem Tun losgelösten Wirklichen zu tun. In diesem Wirklichen bekundet sich ein unserer subjektiven Willkür entgegengesetztes Widerständiges, und allein dieses kann darüber entscheiden, was im Sinne der durch die Kategorien eröffneten Alternative tatsächlich der Fall ist. Wenn auf diese Weise der kategorial objektive Zusammenhang unserer Vorstellungen nicht durch bestimmte einzelne Begriffe, sondern durch Alternativen von Begriffen oder durch Dimensionen möglicher begrifflicher Zusammenhänge von Vorstellungen gegliedert ist, so zeigt sich auch darin, daß der Zusammenhang, der unseren Vorstellungen Gegenstandsbeziehung verschafft, nicht jeweils erst ad hoc beim Erkennen hervorgebracht wird. Die Neigung Kants, für den Nachweis der objektiven Gültigkeit der Kategorien seine Synthesis-Lehre so zu fassen, daß in ihr auch dieser ad-hocCharakter von kategorial geführten Verbindungen Berücksichtigung findet, ist zwar nicht wegzuinterpretieren; aber dennoch kann es, wie gesagt, keinen Zweifel darüber geben, daß auch Kant die objektive Einheit der Apperzeption als ursprünglich und immer schon geleistet auffaßt. Von hier aus müßte sich auch für Kant eine Auffassung von den Kategorien ergeben, wonach diese Alternativen von Begriffen sind. Aber tatsächlich ist das nicht der Fall, und zwar deshalb nicht, weil es Kant immer auch um die Lösung des wissenschaftstheoretischen Problems der objektiven Gültigkeit qua Wahrheit bestimmter Verstandesbegriffe geht. Die besonderen wissenschaftstheoretischen Rücksichten, die Kant bei der Entfaltung und Ausarbeitung des kategorialen, gegenstandskonstitutiven Ansatzes deshalb stets zu nehmen hat, zwingen ihn deshalb geradezu zur Auffassung, daß die Kategorien bestimmte Begriffe sind. Wir haben oben S. 157 darauf hingewiesen, daß an diesem Punkt die Möglichkeit zu einer sachgerechten Auffassung von vornherein auch durch Kants Bemühen um die Aufstellung einer apriorischen, d. h. der Untersuchung der Gegenstandsbeziehung vorangehenden Systematik in der metaphysischen Kategoriendeduktion ausgeschlossen ist. In der metaphysischen Kategoriendeduktion kommt zwar richtig zum Ausdruck, daß das Denken die Gegenstandsbe-

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ziehung unserer Vorstellungen impliziert, aber das bedeutet eben nicht, daß es gerade bestimmte Denkformen sind, die diese Gegenstandsbeziehung hervorbringen. Vielmehr ist umgekehrt alles Denken, als stets wenigstens implizit gegenständlich orientiertes, nur dort möglich, wo zuerst jener alternative Zusammenhang von Vorstellungen geleistet ist, der ihre Gegenstandsbeziehung ermöglicht. Die Distanzierung vom situativ Gegebenen, die in der Erarbeitung und Erhaltung des alternativen Zusammenhangs von Vorstellungen und in der Beziehung von Vorstellungen auf von ihnen unterschiedene Gegenstände besteht, drückt sich zwar auch im Denken aus und wäre ohne das Denken nicht aufrechtzuerhalten. Jedoch erfolgt diese Distanzierung selber eben gar nicht primär in bestimmten Begriffen, und die Gliederungsweisen der ursprünglich distanzierenden Einheit aller unserer Vorstellungen lassen sich deshalb auch nicht direkt aus einer Urteilstafel herleiten. Daß Kant die Kategorien als bestimmte Begriffe auffaßt, liegt natürlich letztlich an den wissenschaftstheoretischen Motiven, die bei ihm auf die Gewinnung sehr starker synthetischer Sätze a priori abzielen. Zu solchen synthetischen Sätze a priori könnte man auf dem Weg über die Untersuchung des synthetischen Zusammenhangs unserer Vorstellungen allerdings kaum gelangen, wenn man statt von bestimmten Begriffen nur von Alternativen solcher Begriffe ausginge. Wenn man als Kategorie z. B. statt des Kausalzusammenhangs zweier Ereignisse nur die Alternative von kausalem Zusammenhang oder ihrem kausal unverbundenen Zusammenvorkommen hat, so läßt sich nur noch vergleichsweise wenig a priori über den zeitlichen Zusammenhang von Ereignissen in der Erfahrung behaupten, auch wenn dieses wenige sicher nicht trivial ist. Obwohl Kant in der „Kritik der reinen Vernunft" also im Grunde über die Enge einer bloß wissenschaftstheoretischen Frage gewiß hinausgelangt ist, so zeigt gerade auch seine Auffassung vom Wesen der Kategorien, daß das wissenschaftstheoretische Interesse an der Gewinnung von starken apriorischen Erkenntnissen über faktische Verhältnisse der Wirklichkeit bei Kant dominierend bleibt. Es führt dazu, daß Kants wissenschaftstheoretischer Ansatz, der mit dem Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer empirischen Vorstellungen gar nichts zu tun hat, faktisch dennoch auch bei der Kennzeichnung der ursprünglichen Einheit der Apperzeption als des Grundes der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen wirksam ist. Gerade das führt dann aber in der Bestimmung der ursprünglichen Einheit der Apperzeption als gegliedert durch bestimmte einzelne Begriffe auch zu Schwierigkeiten, auf die zu Recht Schopenhauer hingewiesen hat, z. B. daß nach dem

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Kantischen Beweis der objektiven Gültigkeit der Kausalität wir eigentlich immer nur Kausalzusammenhänge wahrnehmen könnten. 3 Tatsächlich ist — ebenso wie schon bei der Bestimmung des Sinnes des Erfahrungsproblems oder wie bei der Frage nach der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen — auch hier wiederum die Alternative von zwei Möglichkeiten auf eine dieser Möglichkeiten reduziert, und zwar deshalb, weil die zweifellos intendierte kategoriale Verallgemeinerung des wissenschaftstheoretischen Problems sich bei Kant nicht wirklich von der engeren, wissenschaftstheoretischen Ausgangsposition zu befreien vermag. Wie der Begriff der intentionalen Gegenstandsbeziehung von Vorstellungen immer auch unter Forderungen steht, die eigentlich nur im Hinblick auf die zutreffende Gegenstandsbeziehung qua faktische Wahrheit von Vorstellungen zu stellen sind, so hat deshalb auch der Begriff der kategorialen objektiven Gültigkeit einer Vorstellungsverbindung Konnotationen einer faktischen Objektivität im Gegensatz zur faktischen Subjektivität von Erkenntnissen. Genau dieses ist denn auch der Fall bei Kants Beschreibung der transzendentalen Einheit der Apperzeption als geliedert nicht nach kategorialen Alternativen, sondern nach bestimmten, inhaltlich festgelegten, „rein e n " Verstandesbegriffen. 4 Für Kants Synthesis-Theorie als Entfaltung der synthetischen Strukturen der ursprünglichen Einheit der Apperzeption bedeutet dies, daß in ihr insgesamt die beiden Gesichtspunkte, unter denen bei Kant kategoriale und faktische Bestimmungen ins Spiel kommen, nicht wirklich zum Ausgleich gelangt sind. U m so wichtiger war es deshalb, vor der Darstellung der Kantischen Synthesis-Lehre in der 1. und 2. Fassung der Kategorien-Deduktion, auf die wir in den nächsten Abschnitten eingehen wollen, zunächst einmal in einer systematischen Untersuchung die Motive auseinanderzufalten, die sich bei Kant zwar voneinander zu trennen beginnen, die sich hier aber dennoch nicht wirklich getrennt haben. Die von der Sache her geforderten Klärungen haben wir im vorangehenden in der Untersuchung des Zusammenhangs von Gegenstandsbeziehung und Synthesis von Vorstellungen (Handlungsschemata) vorzunnehmen gesucht. Wir wollen jetzt zeigen, daß Kants Synthesis-Lehre, so wie sie im Text der „ K r i t i k " Ausdruck gefunden hat, sich tatsächlich verständlich und einsichtig machen läßt, 3

4

Schopenhauer 87—8; derselbe Einwand findet sich auch bei Hossenfelder: nach Kants Prämissen und Thesen dürfte es Vorstellungen, die keine Gesetzmäßigkeit aufweisen, für uns gar nicht geben (S. 136, 140). Die dann sogar darüber entscheiden sollen, daß z. B. im Verhältnis von Körper und Teilbarkeit der Körper stets Subjekt, aber nie Prädikat ist, vgl. B 128—9.

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wenn man sie einerseits unter dem Gesichtspunkt betrachtet, daß wir es bei Kant statt mit einem vielmehr mit zwei nicht zueinander gehörigen Ansätzen zu tun haben, und wenn man andererseits bei der Rekonstruktion der Kantischen Auffassung von einem Modell der tatsächlich bestehenden Verhältnisse ausgeht, an dem man den objektiven Sinn der Kantischen Synthesis-Untersuchungen im einzelnen prüfen und auch verifizieren kann. Wir wollen dabei beginnen mit einer Darstellung der vielgescholtenen und häufig mißverstandenen Synthesis-Lehre, wie sie Kant im Rahmen der von ihm so genannten „subjektiven" Kategoriendeduktion in der ersten Auflage der „Kritik" A 96ff. entwickelt. Zwar soll es sich dabei nach Kants Worten eher nur um eine Vorbereitung der eigentlichen Kategoriendeduktion handeln (A 98), jedoch ist die Kategoriendeduktion selber gar nicht verständlich — und schon gar nicht in der Fassung von A92—3 —, wenn man dabei Kants Bemühungen um die Theorie dieser drei Synthesen einfach übergehen würde. 18. Die drei Synthesen Wir haben oben ausführlich dargelegt, 1 daß Kants Auffassung vom Wesen der Synthesis und der objektiven Einheit, auf der die Synthesis beruht, in starkem Maße auch durch seine Auffassung von der ganz andersartigen Leistung der bloßen Assoziation von Vorstellungen geprägt ist. Das hat zur Folge, daß dort, wo transzendentale Synthesis und Assoziation einander gegenübergestellt sind, sowohl die Synthesis als auch die Assoziation in gleichem Sinne entweder unter dem Gesichtspunkt kategorialer oder unter dem faktischer Bestimmungen gesehen sind. So behandelt Kant in der 2. Auflage sowohl die transzendentale Synthesis als auch die Assoziation deutlich vor allem unter dem Gesichtspunkt der Möglichkeit der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen, dagegen tritt diese Orientierung in der 1. Auflage an der Stelle A 120ff. gegenüber Kants Interesse am Problem einer faktischen Notwendigkeit oder faktischen Zufälligkeit unserer Erkenntnisse entschieden in den Hintergrund. Dennoch ist natürlich auch in der 1. Auflage das kategoriale Motiv gegenwärtig. Wohl am deutlichsten greifbar präsentiert es sich in Kants Lehre von der Erkenntnis als einer „Synthesis der Rekognition im Begriff" gleich am Anfang der eigentlichen Kategoriendeduktion, und zwar bemerkenswerterweise in ei-

1

Abschn. 10, 11.

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ner Textpartie, die zunächst gar nichts anderes zu sein scheint, als bloß eine ausführlichere Darstellung des Gedankens von A 120 ff. mit seiner starken wissenschaftstheoretischen Orientierung. 2 Gerade wegen dieser Ubereinstimmung ist es nun allerdings auch nicht ganz leicht auszumachen, worauf Kants Untersuchung der drei Synthesen eigentlich abzielt. Man könnte zunächst annehmen, daß es auch hier wiederum nur um die Möglichkeit der faktischen Regelmäßigkeit der Erscheinungen geht, von der alle Gegenstandserkenntnis in ihrer Möglichkeit abhinge. Kant würde danach vor allem solche Regelmäßigkeiten der Erscheinungen zu begründen suchen, die, obwohl dem Subjekt zu verdanken, es dennoch verhindern, daß z . B . „ d e r Zinnober bald rot, bald schwarz, bald leicht, bald schwer sein, ein Mensch bald in diese, bald in jene tierische Gestalt verändert werden, am längsten Tage bald das Land mit Früchten, bald mit Eis und Schnee bedeckt sein" könnte

(A 100-2),

wodurch in der Tat jede Erkenntnis unmöglich gemacht wäre. Jedenfalls verspricht Kant hier, ebenso wie A 120, er werde jenen „ G r u n d a priori einer notwendigen synthetischen Einheit" der Erscheinungen angeben, der gerade ihre faktische Regelmäßigkeit garantiert, und er fügt hinzu, daß man hierauf „bald" kommen könne, „wenn man sich besinnt, daß Erscheinungen nicht Dinge an sich selbst, sondern das bloße Spiel unserer Vorstellungen sind, die am Ende auf Bestimmungen des inneren Sinnes auslaufen" (A 101). Ganz im Sinne seiner wissenschaftstheoretischen Intentionen versucht Kant also, die Synthesis-Lehre für den Nachweis der Gültigkeit synthetischer Urteile a priori fruchtbar zu machen, d. h. solcher Urteile, in denen faktische Gesetzmäßigkeiten mit dennoch apriorischer Sicherheit ausgesagt sind. U m so bemerkenswerter ist es deshalb, daß dennoch gerade in dieser Synthesis-Lehre sich nun auch das kategoriale Erkenntnisproblem in seinem Eigengewicht durchsetzt und damit Motive wirksam werden, die über die wissenschaftstheoretischen hinausweisen. Worum handelt es sich nun bei der Synthesis-Lehre von A 98 ff. ? Nach der Einleitung zur Kategoriendeduktion (A 84ff.) ist klar, daß Kant, um die objektive Gültigkeit qua Wahrheit der Kategorien zu zeigen, den Nachweis führen muß, daß allein durch die Kategorien unsere Vorstellungen intentionale Gegenstandsbeziehung erhalten, und dazu muß offenbar weiter gezeigt werden, erstens daß alle Erkenntnis auf Synthesen von einzelnen Vorstel-

2

Vgl. oben S. 103.

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lungen beruht, und zweitens, daß solche Synthesen ihrerseits eine vorgängige Einheit der Vorstellungen voraussetzen, die sich gerade in den Kategorien artikuliert. Im Mittelpunkt der Kategoriendeduktion muß also die Analyse dieser ursprünglichen kategorialen Einheit stehen, und genau diese Analyse findet sich nun im Abschnitt A 98ff.: Kant weist im Hinblick auf bestimmte (wahre) Gegenstandserkenntnisse nach, erstens, daß sie stets auf Synthesen beruhen, die ihrerseits drei voneinander abhebbare strukturelle Momente enthalten, und zweitens, daß solche Synthesen auf eine ursprüngliche vorgängige Einheit zurückverweisen, ohne welche der in bestimmten, auch wahren Erkenntnissen immer vorausgesetzte intentionale Bezug auf Gegenstände und objektive Sachverhalten gar nicht möglich wäre. Den Ausgangspunkt für die Untersuchung bildet die Feststellung, daß faktisch bei aller Gegenstandserkenntnis stets mehrere Erscheinungen oder mehrere Vorstellungen aufeinander bezogen sind, denn, sagt Kant, „wenn eine jede einzelne Vorstellung der anderen ganz fremd, gleichsam isoliert, und von dieser getrennt wäre, so würde niemals so etwas, als Erkenntnis ist, entspringen, welche ein Ganzes verglichener und verknüpfter Vorstellungen ist" (A 97).

Darin ist impliziert, daß die Gegenstandserkenntnis (im allgemeinen) nicht auf den Augenblick beschränkt, d. h. nicht instantan ist; Gegenständliches in der Fülle seiner Bestimmungen läßt sich nicht mit einem einzigen Blick überschauen, vielmehr steht alles uns Gegebene stets schon in Horizonten möglicher weiterer Bestimmbarkeit, hängt auf vielfältige Weise mit anderem Gebbaren zusammen und ist auf anderes verwiesen, 3 so daß unsere Gegenstandserkenntnis prinzipiell diskursiv ist. Das ist auch der Sinn vonKants Äußerung A 9 9 : „Jede Anschauung enthält ein Mannigfaltiges in sich, welches doch nicht als ein solches vorgestellt werden würde, wenn das Gemüt nicht die Zeit in der Folge der Eindrücke unterschiede: denn als in einem Augenblick enthalten, kann jede Vorstellung niemals etwas anderes, als absolute Einheit sein".

Damit ist das Problem der Möglichkeit der Erkenntnis auf plausible Weise als Synthesis-Problem formuliert, und die Frage ist, als welche Art von Einheit die Horizontstruktur alles Bewußtseins nun insbesondere bei der Gegenstandserkenntnis zu bestimmen ist. Das ist der Punkt, an dem Kant mit seiner Lehre von den drei Synthesen (der Apprehension, der Reproduktion und der Rekognition) einsetzt. 3

Vgl. obenS. 83f., 90ff.

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a) Synthesis der Apprehension in der Anschauung Zunächst ist hier einfach zu konstatieren, daß bei aller Gegenstandserkenntnis das Mannigfaltige mehrerer Vorstellungen (d. h. mehrere Einzelvorstellungen) überhaupt einheitlich zusammengefaßt sein muß, und dazu ist offenbar ein „Durchlaufen der Mannigfaltigkeit" und sodann die „ Z u sammennehmung desselben" erforderlich, wodurch allein ja ein Mannigfaltiges in seiner Verschiedenheit und zugleich dennoch als einheitlich Zusammengehöriges präsent sein kann. Die „ H a n d l u n g " , die dies leistet und in deren Resultat im Grunde gar nicht mehr als das Zusammengehören mehrerer Vorstellungen bei der Erkenntnis von etwas gedacht ist, nennt Kant „Synthesis der Apprehension". In der Literatur wird die Synthesis der Apprehension im allgemeinen als ein Zusammenfassen von jeweils momentan gegebenen einzelnen sinnlichen Eindrücken zu Wahrnehmungen aufgefaßt, d . h . als ein Zusammensetzen der Teile eines gegenwärtigen ganzheitlichen Anblicks einer Sache zu eben diesem Anblick. 4 Wie die Axiome der Anschauung (A 162/B 202 ff.), aber auch eine Stelle wie B 160, zeigen, ist das von Kant zweifellos auch mitgemeint, aber dennoch dürfte man den vollen Sinn der Synthesis der Apprehension wohl verfehlen, wenn man sie nur oder nur in erster Linie als ein solches Zusammensetzen von einzelnen Empfindungen zu ganzheitlichen Wahrnehmungen auffassen wollte. Vielmehr ist die Synthesis der Apprehension vor allem ein Zusammenfassen oder Zusammenhalten von ganzheitlichen Anblicken oder Wahrnehmungen eines Gegenstandes, wodurch dann allererst, wie Kant sich ausdrückt, eine ,,Anschauung" des Gegenstandes möglich wird. Daß jedenfalls die zunächst naheliegende Auffassung, wonach allein die anschaulich erfüllten Anblicke von etwas aus ihren Elementen oder Teilen synthetisch zusammengesetzt werden müßten, nicht richtig sein kann, ergibt sich aus dem gesamten Argumentationskontext: es geht ja um die Zusammenstellung von Vorstellungen zur Erkenntnis von Gegenständen, und das bedeutet, wie es dann unmittelbar die Synthesis der Rekognition im Begriff zeigen wird, daß z . B . solche „Vorstellungen" wie die der Ausdehnung, der Undurchdringlichkeit und der Gestalt eines Körpers synthetisch miteinander zu vereinigen sind, nicht jedoch einzelne Empfindungen zu Vorstellungen etwa nur der Undurchdringlichkeit selber.

4

Z. B. bei Paton I 359; Wolff (S. 153) führt als Beispiele für solche zu einem gegenwärtigen „visual field" zu vereinigenden Teile an: „a green patch, a red circle, a blue patch and a black dot".

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Da, wie Kant sagt, jede Anschauung ein Mannigfaltiges enthält, „welches doch nicht als ein solches vorgestellt würde, wenn das Gemüt nicht die Zeit in der Folge der Eindrücke aufeinander unterschiede" (A 99), ergibt sich daraus, daß Anschauungen, also das, was die Synthesis der Apprehension hervorbringt, offenbar auch zumindest auf Vergangenes gerichtete Leerintentionen enthalten müssen, und insofern liegt in ihnen die Einheit eines Gegenwärtigen, das anschaulich erfüllt gegeben ist, mit einem bloß Gemeinten, Erinnerten beschlossen. Anschauungen sind im Gegensatz zum jeweils gegenwärtigen Anblick einer Sache also eine Art Kenntnis, die in verschiedener Hinsicht gegliedert ist und jedenfalls über augenblicklich gegebene Eindrücke hinausweist, eine Kenntnis also, die man von einer Sache gerade auch insofern hat, als sie gegenwärtig vollständig gar nicht gegeben ist. Es handelt sich um eine Kenntnis etwa in dem Sinne, wie man davon spricht, daß man sich von komplizierten Sachverhalten, die sich nicht auf einmal überschauen lassen, dennoch ein „Bild" machen könne. Bemerkenswerterweise ist nun in genau diesem Sinne in der von Pölitz herausgegebenen Metaphysikvorlesung von dem „bildenden Vermögen der Anschauung" die Rede. 5 Nach Kant besteht es darin, daß man sich von Gegenständen, die von jeder Seite anders aussehen oder die wegen der Vielfalt von Einzelheiten nicht eine Orientierung auf einen Blick erlauben, dennoch ein „Bild" machen kann. Um sich zu orientieren, ist es erforderlich, daß man das Mannigfaltige z . B . eines mit Gemälden und Auszierungen überhäuften Zimmers „durchläuft" und zusammenfaßt, um dieses sich „abzubilden". Von den Beispielen, die Kant in diesem Zusammenhang anführt, ist für unseren Zusammenhang das instruktivste das einer Stadt, die „von der Morgenseite anders aus(sieht) als von der Abendseite", die also „viele Erscheinungen . . . nach den verschiedenen Seiten und Gesichtspunkten" darbietet. Wenn hier davon die Rede ist, daß man sich von dieser Stadt ein „Bild" verschafft oder sich von ihr eine ,,Abbildung" macht, indem man ihre verschiedenen Seiten „alle zusammen nimmt", 6 so ist dieses Bild oder diese Anschauung ersichtlich nicht einfach nur einer der anschaulich erfüllten Anblicke der Stadt selbst, wie er sich z. B. von Osten darbietet, sondern ein relativ unanschauliches Wissen, das sich erst aus allen solchen Anblikken zusammen ergibt, und zwar so, daß diese als in einem einzigen Gegenstand (der Stadt) zusammengehörend aufgefaßt werden.

5 6

A A XXVIII/l, 235. Ebd. 236. Das Beispiel der Stadt dürfte wohl aus Leibniz' Monadologie (§ 57) stammen.

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So ungenau im einzelnen die von Pölitz herausgegebene Nachschrift der Kantischen Metaphysikvorlesung auch sein mag, so zeigt doch die zu unserem Textabschnitt parallele Stelle A 120, an der Kant die Einbildungskraft als Vermögen bezeichnet, das Mannigfaltige der Anschauung in ein „Bild" zu bringen, und wo er ihre „unmittelbar an den Wahrnehmungen ausgeübte Handlung" als Apprehension bestimmt, daß hier ein für die richtige Auffassung der Kantischen Verwendung des Terminus „Anschauung" entscheidend wichtiger, bisher offenbar weithin übersehener Punkt getroffen ist. 7 Anschauungen sind also dadurch bestimmt, daß in ihnen mehrere Wahrnehmungen oder Vorstellungen zusammengefaßt sind, und das bedeutet weiter, daß das für die Gegenstandserkenntnis synthetisch zu vereinigende Mannigfaltige der Anschauung nichts anderes ist als eine Mehrheit von einzelnen Wahrnehmungen, Vorstellungen oder Aspekten einer Sache; keineswegs jedoch ist es in erster Linie — und schon gar nicht ausschließlich — eine Vielheit von Elementen oder Teilen, aus denen solche je gegenwärtigen Anblicke selber zusammengesetzt wären.

b) Synthesis der Reproduktion in der Einbildung Damit erhellt nun auch, inwiefern nach Kant Anschauungen weiter auch bestimmte reproduktive Leistungen implizieren. Damit ein Mannigfaltiges von Vorstellungen in der Einheit einer Anschauung zusammengehören kann, ist es offenbar erforderlich, daß bestimmte vergangene Wahrnehmungen irgendwie noch präsent sind. Das heißt nicht, daß sie dazu vollständig anschaulich vergegenwärtigt sein müßten, denn dann würden durch sie die gegenwärtigen Wahrnehmungen ganz an den Rand des Bewußtseinsfeldes gedrängt werden. Es muß vielmehr nur dafür gesorgt sein, daß die gegenwärtigen Wahrnehmungen auf vergangene Wahrnehmungen verweisen, auch wenn bei Kant selber es so aussieht, als würden vergangene Wahrnehmungen, damit man sie nicht „aus den Gedanken" verliert (A 102), immer in der Fülle ihrer Bestimmungen „reproduziert" und vergegenwärtigt 7

Eher im Vorbeigehen weist Paton (1270) darauf hin, daß die Wahrnehmung eines Hauses „may depend upon previous intuitions of this house or of other houses; it may depend on our walking round or through the house and observing its different parts". Jedoch sollen nach Paton die dabei investierten imaginativen Prozesse auch dann wirksam sein, „if w e merely combined our successive intuitions into one complex intuition of this house" (I 270—1 Anm. 4), wobei unter „intuition" offensichtlich ein gegenwärtiger, anschaulich erfüllter „Anblick" des Hauses verstanden ist.

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werden müssen. Die dazu erforderliche „Synthesis der Reproduktion in der Einbildungskraft", die, wie es in der parallelen späteren Stelle A 121 heißt, ein „Herüberrufen" einer Wahrnehmung, „von welcher das Gemüt zu einer anderen übergegangen ist", zu den nachfolgenden bedeutet, erklärt also die Tatsache, daß die in einer Anschauung vereinigten Vorstellungen tatsächlich miteinander zusammenhängen und aufeinander verweisen, weil sie sonst gar kein Ganzes bilden würden. Dabei ist vorausgesetzt, daß sie in ihren faktischen Zusammenhängen bestimmten Regeln (Assoziationsgesetzen) unterliegen; wenn sie, wie Kant sagt, „so wie sie zusammengeraten, einander ohne Unterschied reproduzierten", d.h. wenn die Vorstellungen aufeinander ohne Unterschied und Struktur verwiesen wären, würden sich bloß regellose Haufen von Vorstellungen ergeben, nicht aber ein „bestimmter Zusammenhang derselben", und das heißt: auch keine anschauliche Erkenntnis von etwas (A 121). An unserer Stelle (A lOOff.) ist dieser Sachverhalt so ausgedrückt, daß Kant sagt, die Erscheinungen, die miteinander verbunden sind und entsprechend dieser Verbindung einander „reproduzieren", müßten nach beständigen Regeln zusammenhängen, nämlich nach solchen, nach denen auch die erkannten Gegenstände selber miteinander verknüpft sind. Das „empirische Gesetz" der Assoziation, das die Reproduktion leitet, setzt demnach also voraus, daß auch „die Erscheinungen selbst" bestimmten Regeln unterworfen sind (A 100), d.h. daß z . B . der Zinnober immer rot ist. Sonst würde, wie Kant sagt, meine „Einbildungskraft nicht einmal Gelegenheit bekommen, bei der Vorstellung der roten Farbe den schweren Zinnober in die Gedanken zu bekommen, (und es) könnte keine empirische Synthesis der Reproduktion stattfinden" (A 100-1).

Es ist nun genau an dieser Stelle, daß bei der Behandlung der drei Synthesen auch Kants wissenschaftstheoretische Interessen ins Spiel kommen, und zwar insofern, als Kant, ebenso wie an der Stelle A 121 —2, den objektiven Grund für die faktische Regelmäßigkeit und Einheit der Erscheinungen, die ihre „Reproduzibilität" ermöglichen (vgl. A 101—2), auch hier wiederum mit der ursprünglichen Einheit der Apperzeption identifiziert.8 Er unterscheidet nämlich von den bisher betrachteten empirischen Synthesen auch noch „reine" Synthesen der Apprehension und der Reproduktion, und er weist gerade den „reinen" Synthesen, die die Gesetzmäßigkeit der Naturerscheinungen garantieren sollen, eine entscheidend wichtige Rolle auch für die Ermöglichung der Gegenstandsbeziehung unserer Vor8

Vgl. oben S. 99ff.

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Stellungen zu. In der Tat kann man zeigen, daß bestimmte reine Synthesen im Zusammenwirken mit einer „reinen" Synthesis der Rekognition die intentionale Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen ermöglichen — ohne daß sie deshalb der Natur das Gesetz vorschreiben müßten. Aber für Kant ist es charakteristisch, daß er auch solche reinen Synthesen, die eigentlich nur kategorial zu bestimmen wären, wiederum auch als faktische Verbindungen auffaßt und daß er auch auf diesem Wege das Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung in Zusammenhang mit der Frage einer Naturgesetzgebung durch den Verstand zu bringen sucht. Wie unglücklich diese Konzeption ist, läßt sich in unserem Zusammenhang vor allem daran ablesen, daß Kant, wenn er von „reinen" Synthesen spricht, offenbar gar nicht im Besitz eines eindeutigen Begriffs von „Reinheit" ist. So soll nach Kant der empirischen Synthesis der Apprehension eine „reine" Synthesis zugrundeliegen, die dadurch bestimmt ist, daß sie ,,a priori, d. i. in Ansehung der Vorstellungen, die nicht empirisch sind, ausgeübt" wird (A99, vgl. A 77/B 103). Beispiele für solche reinen Synthesen sind das Ziehen einer Linie, das Denken der Zeit von einem Mittag zum anderen und auch das Vorstellen einer Zahl (A 102), also Vereinigungen, die es mit einem im Sinne der Kantischen Ästhetik „reinen" Mannigfaltigen zu tun haben. Deshalb sollen solche Vereinigungen, wie es A78/B104 heißt, auch reine Verstandesbegriffe „geben" können, und sie werden von Kant sogar als „transzendentale" Synthesen bezeichnet (A101, A 102). Ganz deutlich zielt diese Kennzeichnung auf die kategoriale Rolle ab, die bestimmte Synthesen bei der Erkenntnisermöglichung spielen, zugleich ist aber auch deutlich, daß die von Kant angegebenen Beispiele dazu überhaupt nicht passen. So wie die reinen Synthesen A 101 und A 102 bestimmt sind, sind sie nämlich von beliebigen empirischen Synthesen allein durch die Art des zu verbindenden Mannigfaltigen unterschieden, aber gerade nicht dadurch, daß sie im Gegensatz zu den empirischen Verbindungen auch als kategoriale bestimmt wären. Tatsächlich sind sie wie die empirischen Verbindungen ausschließlich faktische Verbindungen, die grundsätzlich keine Kategorie „geben" können. Jedenfalls würde eine „reine" Synthesis, die zur Erkenntnis eines Dreiecks führt (vgl. A 150), nicht auch eine Kategorie „Dreieck" geben, und umgekehrt ist es nach Kant gerade eine in der Terminologie von A 101, A77 „empirische" Synthesis, die zur Kategorie der Kausalität führt. 9 9

Vgl. A 722/B 750 Anm., wo Kant den Begriff der Ursache als „Regel der Synthesis von Wahrnehmungen" bestimmt, „die keine reinen Anschauungen sind und sich also a priori nicht geben lassen".

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

Daß Kant dennoch die „reinen" Synthesen von A 101 und A 102 als kategoriale auffassen kann, liegt offenbar daran, daß ebenso wie bei den anderen wichtigen Bestimmungen der Kantischen Erfahrungstheorie auch hier wiederum die für Kant insgesamt kennzeichnende Doppeldeutigkeit im Hinblick auf kategoriale und faktische Bestimmungen vorliegt. Statt mit nur einem einzigen Typ von Reinheit von Synthesen haben wir es in Wirklichkeit mit zweien zu tun, wir müßten also zwischen kategorial reinen Synthesen und faktisch reinen Synthesen unterscheiden. Als kategorial reine Synthesen würde man solche auffassen, die ein Mannigfaltiges von sei es nicht-empirischen („faktisch reinen"), sei es empirischen Vorstellungen nur überhaupt zur ursprünglichen Einheit der Apperzeption bringen. Im Gegensatz dazu führen faktisch reine Synthesen dann zur Erkenntnis von reinen Raum- und Zeitfiguren, aber das geht prinzipiell nicht auf andere Weise vor sich, als wie auch in empirischen Synthesen bestimmte Erkenntnisse erreicht werden. In beiden Fällen finden inhaltlich näher bestimmte Begriffe Verwendung (Dreieck, Körper), unter denen etwas Gegenständliches in inhaltlicher Hinsicht näher bestimmt wird. 1 0 Von faktisch reinen Synthesen und ihren Leistungen läßt sich natürlich nicht mehr zu jener Regelmäßigkeit der Erscheinungen gelangen, die Kant als Voraussetzung der Assoziation braucht. Aber das läßt sich erst recht auch nicht aufgrund von kategorial reinen Synthesen erreichen. Diese sind nämlich nur die Bedingung dafür, daß mithilfe von faktisch reinen oder empirischen Synthesen überhaupt etwas Gegenständliches erkannt werden kann. Nur wenn man in wissenschaftstheoretischer Orientierung mit Kant die kategorialen Synthesen bzw. ihre Einheiten zugleich auch als faktische auffaßt, könnte man die kategorial reine Synthesis und die Kategorien auch als Grund einer sehr allgemeinen Natur-Gesetzgebung in Anspruch nehmen, es treten dann aber alle jene Schwierigkeiten auf, die gerade für die 1. Fassung der Kategoriendeduktion kennzeichnend sind und die ja schließlich auch Kant selber zu ihrer Revision veranlaßt haben, freilich ohne daß er dabei auf die wissenschaftstheoretischen Ansprüche wirklich Verzicht geleistet hätte.

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Insofern hat Paton ganz recht, wenn er zur „ r e i n e n " Synthesis der Reproduktion sagt: „ T h e reproduction, however, does not depend upon the fact, that the manifold of time is pure; it depends, like any other reproduction, upon the fact, that we tend to reproduce in imagination what has recently been before our minds in a particular context", und wenn er in der dazugehörigen Fußnote bemerkt: „ F o r this reason it might even be regarded as (so far) empirical" (I 365).

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Trotz dieser Schwierigkeiten läßt sich Kants Synthesis-Theorie aber dennoch — und zwar auch in der Form, in der sie in der 1. Auflage der „ K r i t i k " Ausdruck gefunden hat — für sich, d . h . unabhängig von ihrem wissenschaftstheoretischen Kontext herausarbeiten, und zwar gerade anhand der besonderen Funktionen und Leistungen der

c) Synthesis der Rekognition im Begriff, in der nach Kants Darlegungen die beiden anderen Synthesen zusammengefaßt sind und auch zusammengefaßt sein müssen, damit die Synthesis der Apprehension zusammen mit der Synthesis der Reproduktion ins Ziel kommen kann, nämlich die Gegenstandserkenntnis zu ermöglichen. Dafür daß die Synthesis der Reproduktion, die für sich zu einem faktisch zusammenhängenden Ganzen von Vorstellungen führt, im Rahmen der Synthesis der Apprehension auch eine Sachverhalts- und Gegenstandserkenntnis liefert, ist es nämlich erforderlich, daß sie immer schon geleitet und geführt ist von einer Art begrifflicher Einheit, durch die garantiert ist, daß die verschiedenen Vorstellungen, die nach und nach durchlaufen und dann auch reproduziert worden sind, als in einem Gegenstand zusammengehörig aufgefaßt werden können. Das versteht sich in der Tat nicht von selbst, denn wie Kant unter dem Titel der „Synthesis der Rekognition" sagt, würde „ o h n e Bewußtsein, daß das, was wir denken, eben dasselbe sei, was wir einen Augenblick zuvor dachten, . . . alle Reproduktion in der Reihe der Vorstellungen vergeblich sein. Denn es wäre eine neue Vorstellung im jetzigen Zustande, die zu dem Aktus, wodurch sie nach und nach hat erzeugt werden sollen, gar nicht gehörte, und das Mannigfaltige derselben würde immer kein Ganzes ausmachen, weil es der Einheit ermangelte, die ihm nur das Bewußtsein verschaffen k a n n " ( A 103).

Das ist ein Hinweis darauf, daß trotz aller Reproduktion — und sogar trotz aller faktisch richtigen Reproduktion — dennoch Entgleitungen und Entgleisungen vorkommen können. Für die Bestimmung des Wesens der Synthesis der Rekognition ergibt sich daraus, daß sie die Aufgabe hat, gerade solche Entgleitungen und Entgleisungen, die mit faktischen Zusammenhängen sehr wohl vereinbar sind, zu verhindern und auszuschließen. 1 1

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A 124 heißt es in genau diesem Sinne von der aller Rekognition zugrundeliegenden (vgl. A 124—5) Apperzeption: „Diese Apperzeption ist es nun, welche zu der reinen Einbildungskraft hinzukommen muß, um ihre Funktion intellektuell zu machen. Denn an sich

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

Schon daraus folgt, daß man das, was Kant unter der Synthesis der Rekognition versteht, sicher verkennen würden, wenn man die Rekognition so auffaßte, daß sie uns, wie es ihr Name nahelegt, jeweils nur im nachhinein festzustellen gestattet, daß wir es immer noch mit demselben zu tun haben. 1 2 Das ist zwar u.a. gerade das Resultat der Rekognition, jedoch kann dieses Resultat offenbar nur so erreicht werden, daß die Rekognition immer schon im vorhinein wirksam ist, indem sie als sich durchhaltendes Programm fungiert, Sachverhalte zu bestimmen. Denn tatsächlich können faktische Vorstellungszusammenhänge, die durch „Reproduktionen" Zustandekommen, nur unter der Forderung solcher Programme als auch in Gegenständen und objektiven Sachverhalten zusammengehörig und zusammenhängend aufgefaßt werden. 1 3 Daß Kant die Synthesis der Rekognition in diesem „prognostischen" Sinne verstanden wissen will, werden wir im Folgenden aus der Systematik des Kantischen Arguments noch ausführlich darlegen; für den Augenblick mag der Hinweis darauf genügen, daß nach Kant die Synthesis der Rekognition zu einer begrifflichen Gegenstandserkenntnis führt (A 103—4), und das kann man sich nicht so vorstellen, daß jeweils erst nachträglich und dann bloß zufällig passend zur Synthesis der Reproduktion sich auch ein Begriff findet. 1 4 Erforderlich ist vielmehr, daß immer schon im voraus Wege und Möglichkeiten eröffnet sein müssen, damit sich überhaupt bestimmte Begriffe finden lassen, und das bedeutet, daß die Reproduktion von

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selbst ist die Synthesis der Einbildungskraft . . . dennoch jederzeit sinnlich, weil sie das Mannigfaltige nur so verbindet, wie es in der Anschauung erscheint, z. B. die Gestalt eines Triangels". An der durch die Punkte gekennzeichneten Stelle ist „obgleich a priori ausgeübt" ausgelassen; diese Bemerkung hat nur Sinn im Rahmen von Kants problematischer Theorie „reiner" Synthesen; vgl. oben S. 182ff. Das ist die Auffassung von Henrich (Identität und Objektivität 75), für den die Rekognition nur ein begriffliches Zusammenfassen vergangener Vorstellungen ist und der dann natürlich konsequentermaßen die Lehre von der Rekognition als nicht geeigneten Weg zur Begründung der Notwendigkeit der Kategorien ansieht. Auf die Wichtigkeit, die nach Kant bestimmten Programmen für die Vereinigung von sonst nicht miteinander verbundenen Vorstellungen oder allgemeiner Handlungen zukommt, hat übrigens ausführlich zuerst Wolff in seiner Untersuchung von „rule-directed activities" hingewiesen (S. 121 ff.), er versteht allerdings unter Regeln bestimmte Begriff (S. 130), also gerade nicht relativ elastische, für Neues offene Programme. Vgl. auch Paton I 272, der ebenfalls von „Plänen" spricht, aber wie Wolff darunter nur bestimmte Begriffe versteht. Das wird allerdings dadurch nahegelegt, daß Kant in seiner Erörterung der Synthesis der Rekognition von sozusagen fertigen, wahren Erkenntnissen ausgeht; vgl. unten S. 187f. Dann läge u. a. der bei Piaton (Menon 80 D) diskutierte Fall vor, daß man prinzipiell nicht wissen könnte, ob die Antwort, die man auf eine Frage gefunden hat, überhaupt zur Frage gehört. Das wäre ein klassischer Fall von Entgleitung und Entgleisung, also gerade das, dessen Nichteintreten Kant mit seiner Lehre von der Rekognition erklären will.

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vornherein immer im Hinblick auf eine mögliche, begrifflich faßbare Gegenstandsbestimmung erfolgt. Es kann nur die Einheit eines solchen vorgängigen, zukunftsgerichteten Planes sein, welche alles Mannigfaltige „bestimmt" und es im voraus auf Bedingungen „einschränkt", die die Einheit der Apperzeption und damit auch bestimmte Begriffe möglich machen. Rekognitions-Programme sind also Ausdruck der ursprünglichen objektiven Einheit der Apperzeption, in der alle meine Vorstellungen als in einem umgreifenden kategorial entfalteten Sinnzusammenhang zusammenstehen müssen, wenn sie Gegenstandsbeziehung haben sollen, und allein solche Programme ermöglichen es dann auch, daß einheitliche „Themen", von denen B 114 die Rede ist, im Erkenntnisgange erarbeitet werden können. Solange die Synthesis der Reproduktion nicht im Sinne einer einheitlichen thematischen Vorhabe, sondern sozusagen aufs Geratewohl erfolgt, müßte immer wieder jede Vorstellung im jetzigen Zustande eine „neue" sein, d. h. sie könnte gar nicht zu dem Aktus gehören, „wodurch sie nach und nach hat erzeugt werden sollen" (A 103), 15 und niemals würden die Vorstellungen ein „Ganzes ausmachen" können. Kants Beispiel dafür, das Abzählen einer vorgegebenen Menge, macht deutlich, daß man diese Einheit in der Tat nur als die eines Projektes oder eines durchzuhaltenden Themas auffassen kann, dessen Fehlen umgekehrt alle Abzählversuche „vergeblich" machen müßte (A 103). 16 Andererseits darf man aber auch nicht übersehen, daß Kant selber nicht von Projekten, Programmen oder Themen spricht, sondern einzelne, inhaltlich näher bestimmte Begriffe in den Vordergrund rückt, die die für die Gegenstandserkenntnis notwendige transzendentale Einheit eines Mannigfaltigen von Vorstellungen ermöglichen sollen. Das hängt offensichtlich damit zusammen, daß Kant bei der Darstellung der drei Synthesen stets von gelungenen und erfolgreichen, d.h. wahren Gegenstandserkenntnissen ausgeht, was natürlich seinen Grund darin hat, daß überhaupt Kants Fragen, wie wir gesehen haben, immer auch am Problem der Wahrheit unserer Erkenntnisse orientiert sind. In sehr charakteristischer Verkürzung kennzeichnet Kant deshalb bestimmte vorliegende wahre Erkenntnisse nachträglich statt durch die begriffliche Erfüllung von relativ unbestimmten Erkenntnisprogrammen unmittelbar durch jene Begriffe selber, die im Er-

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Sogar von diesem Aktus selber ließe sich dann nicht mehr sinnvoll sprechen. Dieses Beispiel zeigt übrigens besonders gut, daß diese Einheit nicht durch bestimmte Begriffe (also eine bestimmte Zahl, etwa „35") garantiert ist, sondern allein durch das elastische Abzählprogramm.

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kenntnisprozeß erst als dessen Resultat erreicht werden, also z . B . durch den Begriff der (bestimmten) Anzahl der abzuzählenden Menge (A 103), durch den Begriff eines Dreiecks (A 105) oder auch durch den Begriff des Körpers, zu dem Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Gestalt usw. gehören (A 106). Darin liegt letztlich auch der Grund dafür, daß bei Kant häufig einzelnen, inhaltlich näher bestimmten Begriffen die Funktion zugesprochen wird, die Synthesis der Apprehension zu leiten und unseren Vorstellungen so jene transzendentale Einheit zu verleihen, die sie aufgrund bloß faktischer Zusammenhänge niemals haben könnten. Die Folge der Ersetzung von Projekten oder Erkenntnisprogrammen durch bestimmte Begriffe ist allerdings, daß Kant die faktische Notwendigkeit einer Vorstellungs- oder Eigenschaftsverbindung, wie sie in bestimmten Begriffen gedacht ist, unausdrücklich immer auch als das Resultat und sogar als den Ausdruck jener kategorialen Notwendigkeit von Vorstellungsverbindungen auffassen kann, die die Gegenstandsbeziehung möglich macht. Besonders deutlich ist das in Überlegungen von A 106, die überhaupt die Unentbehrlichkeit von Begriffen für die Gegenstandserkenntnis dartun sollen. Kant faßt hier bestimmte Begriffe ausdrücklich als jene Regel auf, die die Reproduktion eines Mannigfaltigen von Vorstellungen leiten, und den in solchen Begriffen gedachten Zusammenhang von Erscheinungen nimmt er hier als Grund dafür in Anspruch, daß der aufgrund der Reproduktion immer bloß zufällige Zusammenhang ein notwendiger wird. Es heißt bei Kant: „ S o dient der Begriff vom Körper nach der Einheit des Mannigfaltigen, welches durch ihn gedacht wird, unserer Erkenntnis äußerer Erscheinungen zur Regel. Eine Regel der Anschauungen kann er aber nur dadurch sein: daß er bei gegebenen Erscheinungen die notwendige Reproduktion des Mannigfaltigen derselben, mithin die synthetische Einheit in ihrem Bewußtsein, vorstellt. So macht der Begriff des Körpers, bei der Wahrnehmung von etwas außer uns, die V o r stellung der Ausdehnung, und mit ihr der Undurchdringlichkeit, der Gestalt usw. notwendig" ( A 106).

Dabei ist Gebrauch gemacht von der Gegenstandsdefinition A 104—5, wonach „der Gedanke von der Beziehung aller Erkenntnis auf ihren Gegenstand etwas von Notwendigkeit bei sich führe, da nämlich dieser als dasjenige angesehen wird, was dawider ist, daß unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl, sondern a priori auf gewisse Weise bestimmt seien, weil, indem sie sich auf einen Gegenstand beziehen sollen, sie auch notwendigerweise in Beziehung auf diesen untereinander übereinstimmen, d. i. diejenige Einheit haben müssen, welche den B e griff von einem Gegenstande ausmacht".

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Uberall hier ist bezeichnenderweise nicht deutlich gemacht, ob es sich um kategoriale oder faktische Bestimmungen handelt; oder genauer müßte man sagen, daß im Grund immer beides zugleich gemeint ist, was aber voraussetzt, daß die intentionale Gegenstandsbeziehung, die nur „Wahrheitsdifferenz" verlangt, faktisch ausschließlich im Hinblick auf wahre Erkenntnisse gedacht ist. So erklärt es sich, daß die faktische Notwendigkeit des Zusammengehörens mehrerer Erscheinungen, die in wahren Erkenntnissen unter dem Gesichtspunkt von inhaltlich bestimmten Begriffen gedacht ist, gelegentlich unmittelbar als Ausdruck der transzendentalen Einheit der Apperzeption aller meiner Vorstellungen erscheinen kann, obwohl das in "Wirklichkeit keineswegs der Fall ist. Denn tatsächlich wird in Begriffen zwar ein faktisch notwendiger Zusammenhang von Erscheinungen gedacht, aber die intentionale Beziehung unserer Vorstellungen auf einen Gegenstand wird nicht erst durch bestimmte Begriffe und ihre faktisch Notwendigkeit hervorgebracht. 17 Sie hängt vielmehr von dem bloß formalen, kategorial notwendigen Zusammenhang aller unserer Vorstellungen ab, der nach den Kategorien als Alternativen von Grundbegriffen strukturiert ist und der bei der Erkenntnis z.B. von Körpern nicht etwa den Zusammenhang von Ausdehnung, Undurchdringlichkeit und Gestalt notwendig macht, sondern nur die Möglichkeit eröffnet (oder als ursprüngliche Einheit je schon eröffnet hat), daß innerhalb eines Horizonts gegenständlich orientierter Sachverhaltsbestimmungen festgestellt werden kann, ob etwas ein Körper ist und welche objektiven Eigenschaften ihm faktisch zukommen. Das kann man sich an den anderen von Kant angegebenen Beispielen leicht klarmachen: ob vier oder fünf Personen im Raum sind (vgl. das Zahlenbeispiel A 103) oder ob ein Dreieck oder ein Kreis an die Tafel gezeichnet ist (vgl. das Beispiel vom Triangel A 105), hängt nicht von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption ab, die nur überhaupt die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen garantiert. Als ursprüngliche Einheit artikuliert sie sich in Erkenntnisprogrammen, also eher als in bestimmten Begriffen in allgemeinen Begriffs-Alternativen, vermöge derer aller gefundene oder in der Einbildungskraft hergestellte faktische Zusammenhang als gegenständlich relevant aufgefaßt werden kann. Aber was im einzelnen der Fall ist und in welche bestimmten Begriffe sich das Gegebene schickt, ist ganz unabhängig von der ursprünglichen Einheit, die als die Einheit des Begriffs vom „transzendentalen Gegen-

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Sonst wäre insbesondere niemals etwas Neues erkennbar.

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stand" in der Tat überall wirklich einerlei = X ist" (A 109)18 und gar nichts beiträgt zu den Besonderheiten bestimmter Erkenntnisse. Insofern sind Kants Beispiele, in denen er von wahren Erkenntnissen statt von Erkenntnisvorhaben ausgeht, sehr mißverständlich. Sie suggerieren eine Auffassung vom Zustandekommen der Erkenntnis, wonach diese, überspitzt formuliert, einem bereits bekannten Ergebnis eigentlich nur nachfolgt. Daß unser Erkennen aber nicht der Nachvollzug von schon fertig vorliegenden Erkenntnissen ist, sondern ein Näher- und Neubestimmen eines zunächst relativ unbestimmt Gegebenen, kann dabei leicht ganz in den Hintergrund treten. Das erklärt es übrigens, daß man — wie Prauss es tut — Kant hat vorwerfen können, durch seine Beispiele habe er den Begriff der Rekognition als der Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis einer solchen Mehrdeutigkeit aussetzt, daß er damit überhaupt „seine Identität und damit auch seine Brauchbarkeit zu verlieren droht." 1 9 Kant hätte demnach nicht nur die transzendentale Notwendigkeit der ursprünglichen Einheit der Apperzeption als Grund für die faktische Notwendigkeit bestimmter Erkenntnisse in Anspruch genommen, sondern er hätte darüber hinaus die Rekognition, die Prauss als die Vorbedingung jeglichen Gegenstandsbewußtseins mit der Einheit der Apperzeption gleichsetzt, mit der Erfahrung einfach zusammenfallen lassen. 20 Es mag sein, daß die wissenschaftstheoretische Tendenz bei Kant gelegentlich zu Formulierungen führt, die man im Prauss'schen Sinne als Identifizierung von Rekognition und Erfahrung verstehen kann, aber es kann, glaube ich, keinen Zweifel geben, daß Kant prinzipiell sehr wohl und stets zwischen den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und bestimmten Erfahrungen selber unterscheidet. Selbst wenn Kant, wie wir gesehen haben, die Kategorien, die als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung konzipiert sind, zugleich als wahre „Erkenntnisse" in Anspruch nimmt, so identifiziert er doch niemals transzendentale Leistungen mit empirischen Erkenntnissen, und nirgends gibt es im Kantischen Text, auch nicht in der 1. Auflage der „Kritik", Hinweise darauf, daß grundsätzlich inhaltlich bestimmte Zusammenhänge, wie sie sich in bestimmten Begriffen aussprechen, der ursprünglichen Einheit der Apperzeption zu verdanken sind. Die Nichtunterscheidung von kategorialer und faktischer Notwendigkeit einer Verbindung, die dazu führt, daß Kant als Grund für das faktisch notwendi18 19

Vgl. dazu unten Abschn. 19. Prauss, Ersch. bei Kant 132.

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Ebd. 133.

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ge Zusammengehören verschiedener Bestimmungen im Begriff des Körpers die transzendentale Notwendigkeit der ursprünglichen Einheit der Apperzeption angibt, hindert ihn schließlich nicht, zwischen den Bedingungen der gegenständlichen „Deutbarkeit" von Erscheinungen und bestimmten gegenständlichen „Deutungen" im konkreten Fall doch immer zu unterscheiden, 2 1 deutlich etwa A 111, wo auf den Unterschied zwischen der faktischen Einheit von Vorstellungen nach empirischen Begriffen und der transzendentalen Einheit, die allein das sonst noch mögliche „Gewühle von Erscheinungen" ausschließt, ja eigens hingewiesen ist. Daß trotz allen Interesses, das er an der Aufstellung synthetischer U r teile a priori und — mit dem Blick auf Hume — auch an der Sicherung des faktisch notwendigen Charakters von empirischen Erkenntnissen hat, Kant dennoch das Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung unabhängig von bestimmten Erfahrungserkenntnissen sehr wohl für sich thematisiert, zeigt entgegen Prauss 22 letztlich nichts anderes so deutlich wie gerade Kants Behandlung der Rekognition. Nach A 124—5 hat die empirische Rekognition bei der Erarbeitung von Erkenntnisthemen oder bei der Verwirklichung von Erkenntnisprogrammen das Mannigfaltige der Erscheinungen im voraus je schon geeinigt vor sich, 2 3 und sie kann ja auch nur deshalb zu gegenstandsrelevanten Feststellungen, d.h. zu bestimmten Erkenntnissen führen. Aber gerade darin ist sie nach Kant nun auch abhängig von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption. Für sich allein wäre die (empirische) Rekognition im Begriff nicht in der Lage, zu Gegenstandserkenntnissen zu führen. Was ihr für sich fehlt, ist, wie es A 105 heißt, eine „Funktion der Synthesis nach einer Regel", welche ihrerseits irgendwelche Begriffe oder Begriffsalternativen allererst dadurch möglich macht, daß sie die Reproduktion von Erscheinungen als die Rekognition von Gegenständen oder Sachverhalten aufzufassen gestattet. Das heißt nicht, daß erst aufgrund transzendentaler Leistungen Begriffe in inhaltlicher Hinsicht möglich sind, sondern nur, daß allein auf der Grundlage einer ursprünglichen syntheti21 23

2 2 Ebd. Das bezweifelt Prauss 133 . „Die wirkliche Erfahrung, welche aus der Apprehension, der Assoziation (der Reproduktion), endlich der Rekognition der Erscheinungen besteht, enthält in der letzteren und höchsten (der bloß empirischen Elemente der Erfahrung) Begriffe, welche die formale Einheit der Erfahrung, und mit ihr alle objektive Gültigkeit (Wahrheit) der empirischen Erkenntnis möglich machen. Die Gründe der Rekognition . . . sind nun jene Kategorien. Auf ihnen gründet sich also alle formale Einheit in der Synthesis der Einbildungskraft, und vermittels dieser auch alles empirischen Gebrauchs derselben (in der Rekognition, Reproduktion, Assoziation, Apprehension) bis herunter zu den Erscheinungen, weil diese nur vermittels jener Elemente der Erkenntnis . . . angehören können" (A 124—5).

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sehen Einheit der Vorstellungen, die sich in Kategorien artikuliert, bestimmte Begriffe in empirischen Rekognitions-Synthesen zu Gegenstandsund Sachverhaltsbestimmungen führen können. Ohne diese ursprüngliche Einheit, deren Gliederungshinsichten (Kategorien) Kant „Gründe der Rekognition" nennt (A 125), würden alle inhaltlich bestimmten Begriffe, aber auch alle Begriffsalternativen zu nicht mehr als nur zu einem in gegenständlicher Hinsicht unbestimmten und prinzipiell nicht bestimmbaren „Gewühle von Erscheinungen" führen (A 111), d.h. es gäbe dann streng genommen gar keine Begriffe. Daß Vorstellungen Gegenstandsbeziehung im Sinne faktischer Wahrheit haben können und daß wir in bestimmten empirischen Rekognitionen zu begrifflich fixierbaren Erkenntnissen gelangen können, hat also nach Kants ausdrücklicher Lehre seinen Grund allein in einer allen bestimmten Rekognitionen — als dem empirischen Bewußtsein einer in bestimmten Begriffen Ausdruck findenden faktischen Zusammengehörigkeit von Erscheinungen (A 115) — zugrunde liegenden „reinen Apperzeption" (A 116), die eine bloß formale Einheit ist. In ihr stehen von vornherein alle Erscheinungen so zusammen, daß unabhängig von allen bestimmten empirischen oder logisch-analytischen Verhältnissen und unabhängig von aller in bestimmten Begriffen sich aussprechenden wahren Gegenstandsbeziehung sie immer schon in Horizonten möglicher Gegenstandsbestimmungen stehen, so daß zusammen mit den faktisch wahren auch faktisch falsche Gegenstandsbeziehungen, ausgesprochen in falschen Sätzen, möglich werden. Was durch die Vereinigung unter dem „reinen Begriff" vom transzendentalen Gegenstand, der im Gegensatz zu bestimmten empirischen Begriffen „immer einerlei" ist, unsere empirischen Vorstellungen erhalten, ist nur „überhaupt Beziehung auf einen Gegenstand, d.i. objektive Realität" (A 109). 2 4 Obwohl Kant also von wahren Erkenntnissen und von inhaltlich bestimmten Begriffen ausgeht, ist sein Hauptproblem hier dennoch allein die intentionale Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen, und nur sie ist auch im „reinen Begriff des transzendentalen Gegenstandes" gedacht, dessen Einheit nichts anderes als die „notwendige Einheit des Bewußtseins" und der Apperzeption ist (A 109, A 110). Nur um die intentionale Gegen24

Genau darin liegt die erfahrungskonstitutive Funktion der Einheit der Apperzeption: sie ist der Rahmen und Horizont, innerhalb dessen faktische Vorstellungsverhältnisse im Hinblick auf die Bestimmung von Sachverhalten allein erkenntnisrelevant sein können. Die Erfahrung bestimmt nicht etwa diesen Gesamtrahmen näher, sie spezifiziert nicht das conceptual frame-work der Bezugnahme auf Einzeldinge (im Sinne Strawsons), sondern ist als kognitive Bestimmung von empirischen Gegenständen und Sachverhalten nur innerhalb dieses kategorialen Rahmens möglich.

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standsbeziehung geht es auch überall dort, wo Kant auf den bloß formalen Charakter der ursprünglichen Einheit der Apperzeption hinweist und w o er, wie an der Stelle A 105, die „formale Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen" ausdrücklich als die Einheit bezeichnet, „welche der Gegenstand notwendig macht". Das Vorliegen dieser Einheit soll ja nichts anderes als die äquivalente Umformung des „Gedankens von der Beziehung aller Erkenntnis auf ihren Gegenstand" sein (A 104). Selbst dort, wo Kant aus wissenschaftstheoretischen Gründen die „objektive Gültigkeit" der empirischen Erkenntnis als ihre " W a h r h e i t " bezeichnet (A 125), ist fraglich, ob er nicht dennoch zunächst einmal die bloß intentionale Gegenstandsbeziehung meint. Jedenfalls sollen die Kategorien, denen die „formale Einheit der Erfahrung" zu verdanken ist und die die „Gründe der Rekognition des Mannigfaltigen (sind), sofern sie bloß die Form einer Erfahrung überhaupt angehen" (A 125), die "Wahrheit der empirischen Erkenntnis nicht hervorbringen; sie „ermöglichen" sie nur. Aber das geschieht eben auf dieselbe Weise, wie die Kategorien damit zugleich auch die Falschheit unserer Erkenntnisse ermöglichen, denn ohne intentionale Gegenstandsbeziehung kann es weder Falschheit noch Wahrheit geben. Damit dürfte klar sein, daß Kant es in der Lehre von den drei Synthesen wirklich mit dem Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung zu tun hat. Aber trotz der vielen Hinweise, die sich darauf in den von uns herangezogenen Äußerungen Kants finden, ist auch unverkennbar, daß daneben das Interesse an der Sicherung der objektiven Gültigkeit qua Wahrheit der Kategorien und im Zusammenhang damit auch das Interesse an der faktischen Objektivität unserer Erfahrungserkenntnisse bei Kant oft so sehr dominiert, daß deshalb der kategoriale Sinn der Kantischen Synthesis-Untersuchungen und deren Argumentationsschritte im einzelnen sich gelegentlich nur schwer erkennen lassen. U m so wichtiger und dringender ist es deshalb, zwischen den kategorialen und faktischen Bestimmungen zu unterscheiden. Wenn man ohne diese Unterscheidung als Kants Ziel umstandslos die Begründung der „Objektivität" unserer Erfahrung und der „objektiven Gültigkeit" und „objektiven Realität" unserer Vorstellungen ansieht, ist der Eindruck einer unheilbaren Uneinheitlichkeit und Widersprüchlichkeit der Kantischen Synthesis-Lehre ganz unvermeidlich. 2 5 25

Wie bei Hossenfelder, der diese Widersprüchlichkeit u. a. auf Zweideutigkeiten in der Kantischen Begriffsbildung zurückführt, ohne zu bemerken, daß die Zweideutigkeiten systematisch mit der Zweiheit des Kantischen Ansatzes zusammenhängen; vgl. S. 130 Hosenfelders Bemerkungen zum Begriff der Objektivität, S. 133 zu dem der Notwendigkeit.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

Besonders gut läßt sich das an der üblichen Behandlung von Kants Äußerungen über die Beziehung unserer Vorstellungen auf den Gegenstand (A 104 — 110) klar machen, und hier insbesondere an der Rolle, die dabei der Begriff des „transzendentalen Gegenstandes" spielt. Wegen der von Kant immer wieder herausgestellten, in bestimmten Begriffen gedachten faktisch notwendigen Züge kann nämlich dieser „transzendentale Gegenstand", wenn man nicht aufpaßt, leicht als Ding an sich aufgefaßt werden — mit der Folge, daß dann die ursprüngliche Einheit der Apperzeption vom Ding an sich abhängen würde. Eine solche Auffassung zwingt dann nachgerade zu einer „patch-work-Theorie", aber diese wird gewiß nicht richtiger dadurch, daß sie durch Kants Undeutlichkeiten nahegelegt ist. U m die hier vorgetragene Synthesis-Interpretation abzusichern, wollen wir deshalb auf diesen Punkt noch etwas genauer eingehen, nicht zuletzt auch deshalb, weil gerade von den absurden Folgen der Nichtunterscheidung der beiden Kantischen Ansätze her man am ehesten zeigen kann, daß das eigentlich tragende Argument der Kantischen Erfahrungstheorie die Lehre von der bloß formalen, kategorial entfalteten Einheit der Apperzeption ist, aber dieser gerade nur insofern, als sie der Grund der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen, nicht auch wahrer synthetischer Urteile a priori ist.

19. Kants Lehre vom transzendentalen

Gegenstand

Fassen wir zusammen. "Wir haben Kants Lehre von den drei Synthesen als den Versuch einer Beschreibung der wirklichen Erfahrung von Gegenständen und Sachverhalten unter dem Gesichtspunkt von in die Erfahrung investierten synthetischen Leistungen zu interpretieren gesucht. Danach ist in aller Erfahrung die ursprüngliche Einheit der Apperzeption als die Bedingung der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen vorausgesetzt. Die Erkenntnis von Gegenständen könnte auch dann, wenn ihr empirische Begriffe oder faktische Zusammenhänge vermöge der Reproduktion und Assoziation in der Einbildungskraft zur Verfügung ständen, solange nicht zum Ziel gelangen, als sie nicht in einem kategorial entfalteten, formalen Horizont möglicher gegenständlicher Beziehbarkeiten erfolgte. Wenn eine Erkenntnis möglich sein soll, dann müssen alle faktischen Zusammenfügungen stets schon im voraus unter der Sinnpräsumtion ihrer möglichen gegenstands- und sachverhaltsbestimmenden Relevanz stehen. W o das nicht der Fall ist, liegt wie im Fall von Entgleitungen und Entgleisungen ein Verlust der Gegenstandsbeziehung vor, der aber dennoch nicht

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Kants Lehre vom transzendentalen Gegenstand

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mit Notwendigkeit ein orientiertes und realitätsangepaßtes Verhalten ausschließen müßte. Vielmehr wäre hier nur die Distanz zur Welt wieder verloren gegangen (oder noch nicht erreicht) und die Ablösung der Gegenstände vom eigenen Tun rückgängig gemacht (oder noch nicht erfolgt), die für das Weltverhalten des Menschen nach der „Erarbeitung" der Realkategorien charakteristisch ist. Für diese Beschreibung der Erfahrung ist vor allem der Nachweis entscheidend, daß der ursprüngliche synthetische Zusammenhang unserer Vorstellungen tatsächlich für die Erfahrungskenntnis wesentlich ist, d . h . daß vor allem ihm die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen zu verdanken ist. Dies scheint sich nun aber für Kant nicht nur aus sachlich-systematischen Gründen zu ergeben, sondern ist in gewisser Weise auch schon durch den gesamten Ansatz von Kants transzendentalem Idealismus erzwungen. Weil Kant von der Unerkennbarkeit der Dinge an sich ausgeht, steht er vor dem Problem, die Rede von der Beziehung unserer Vorstellungen auf Gegenstände überhaupt erst einmal als sinnvoll zu erweisen, und schon aus diesem Grunde scheint er sich dann gerade auf eine SynthesisTheorie der Gegenstandsbeziehung festlegen zu müssen. Deshalb könnte man die Ansicht vertreten, daß Kants Synthesis-Lehre nur unter der Voraussetzung der Richtigkeit seines transzendentalen Idealismus sinnvoll ist, und das würde zur Folge haben, daß, wenn man diesen transzendentalen Idealismus aus bestimmten anderen Gründen verwerfen sollte, damit zugleich auch die Synthesis-Lehre hinfällig werden müßte. Tatsächlich ist das jedoch nicht der Fall, denn wie wir bereits im Abschnitt 16 nachgewiesen haben, läßt sich Kants Synthesis-Lehre unabhängig von seiner transzendental-idealistischen Grundposition rechtfertigen. N u r im Rahmen von synthetischen Sinn-Zusammenhängen können Gegenstände sich von unserem Tun ablösen, und allein aufgrund von synthetischen Sinn-Zusammenhängen können sie als Gegenstände auch nur gemeint werden. Insoweit spielt bei der Gegenstandserkenntnis zunächst das Problem, ob wir in den Gegenständen die Dinge an sich oder bloße Erscheinungen erkennen, gar keine Rolle. Worauf es ankommt, ist allein die Frage, wie wir die von uns gemeinten Gegenstände als von uns unterschiedene uns gegenüber haben können. Kants Antwort auf diese Frage liegt, wie wir im vorigen mehrfach betont haben, im Hinweis darauf, daß dazu unsere Vorstellungen zur ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption gebracht sein müssen. Für Kant ist demnach bei allem konkreten Erkennen die (intentionale) Beziehung überhaupt auf Gegenstände immer schon geleistet, sie muß in

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der konkreten Erkenntnissituation dann gleichsam nur noch spezifiziert werden zur Beziehung auf bestimmte Gegenstände, die als solche richtig, aber auch falsch erkannt werden können. 1 Die Beziehung auf bestimmte Gegenstände, z . B . auf ein Dreieck, besteht darin, daß ein gegebenes Mannigfaltiges von Vorstellungen als in der Weise zusammenhängend aufgefaßt wird, wie es im Begriff eines Dreiecks gedacht ist. Tatsächlich gilt, wie Kant es formuliert, daß wir „alsdann sagen . . .: wir erkennen den Gegenstand, wenn wir in dem Mannigfaltigen der Anschauung synthetische Einheit bewirkt haben" (A 105, vgl. A. 108), und daß heißt, wenn wir das Mannigfaltige unter dem Gesichtspunkt bestimmter Begriffe als faktisch notwendig zusammengehörig aufgefaßt haben. Wo uns das nicht gelingt, kommt es umgekehrt auch nicht zu einer befriedigenden Erkenntnis von Gegenständen. Insofern ist Kants Bestimmung des Gegenstandes als jenes „Etwas, davon der Begriff eine . . . Notwendigkeit der Synthesis ausdrückt" (A 106), tatsächlich ganz unabhängig davon, ob man die Erkennbarkeit von Dingen an sich oder nur die von Erscheinungen annimmt. In jedem Fall hat aufgrund von ursprünglichen synthetischen Leistungen zunächst einmal überhaupt der (intentionale) Bezug auf Gegentände vorzuliegen, damit dann Gegenstandserkenntnisse möglich sind. Diese Unabhängigkeit der Kantischen Synthesis-Lehre vom transzendentalen Idealismus kann nun aber nur solange behauptet werden, als die im Begriff des Gegenstandes gedachte kategoriale Notwendigkeit nicht nur nicht als faktische Notwendigkeit, sondern vor allem auch nicht etwa als eine durch die Dinge an sich gegebene, an ihnen ablesbare Notwendigkeit aufgefaßt wird. Denn dann verlöre die kritische Synthesis-Lehre jeden nachvollziehbaren Sinn; wir hätten es mit einer Position zu tun, nach der uns die Erkenntnis auch und gerade in ihrer intentionalen Struktur empirisch einfach zustoßen würde, was darauf hinausläuft, daß die Beziehung

1

Vgl. dazu B 279: „ O b diese oder jene vermeinte Erfahrung nicht bloße Einbildung sei, muß nach den besonderen Bestimmungen derselben und durch Zusammenhaltung mit den Kriterien aller wirklichen Erfahrung ausgemittelt werden", sowie A 376: „ A u s Wahrnehmungen kann nun, entweder durch ein bloßes Spiel der Einbildung, oder auch vermittels der Erfahrung, Erkenntnis der Gegenstände erzeugt werden. Und da können allerdings trügliche Vorstellungen entspringen, denen die Gegenstände nicht entsprechen und wobei die Täuschung bald einem Blendwerk der Einbildung (im Traume), bald einem Fehltritte der Urteilskraft (beim sogenannten Betrüge der Sinne) beizumessen ist. U m nun hierin dem falschen Scheine zu entgehen, verfährt man nach der Regel: Was mit einer Wahrnehmung nach empirischen Gesetzen zusammenhängt, ist wirklich". Hier ist natürlich vorausgesetzt, daß auch in Blendwerken der Einbildung unsere Vorstellungen zur Einheit der Apperzeption gebracht sind.

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Kants Lehre vom transzendentalen Gegenstand

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auf den Gegenstand nichts anderes als nur die richtige, von außen gegebene Abbildung einer für sich bestehenden Realität sein könnte. Nun scheint aber gerade dies gelegentlich Kants Meinung zu sein, jedenfalls dort, wo Kant den Begriff der notwendigen Einheit der Apperzeption, die „allen unseren empirischen Begriffen überhaupt Beziehung auf einen Gegenstand, d.i. objektive Realität verschaffen kann" (A 108), als den Begriff des „transzendentalen Gegenstandes" bezeichnet und wo er zugleich diesen transzendentalen Gegenstand offenbar als Ding an sich auffaßt. Das würde zur Folge haben, das letztlich das Ding an sich auch den Grund für den synthetischen Zusammenhang und die Regelmäßigkeit der Erscheinungen bilden würde, und tatsächlich ist z. B . Kemp Smith der Meinung, daß genau dies Kants Uberzeugung sei. 2 Für Kemp Smith liegt darin einer der hauptsächlichsten Gründe dafür, den gesamten Abschnitt A 104—10, in dem Kant sich über den transzendentalen Gegenstand äußert, für eine Art „precritical or semi-critical survival" zu halten, der im Sinne der „patch-work-theory", die Kemp Smith im Anschluß an Adickes und Vaihinger vertritt, nur eine erste, später überwundene Stufe der Kategoriendeduktion darstellen würde. Worum geht es dabei? Nach der patch-work-Theorie soll die Kategoriendeduktion der 1. Auflage mehr oder weniger äußerlich aus Manuskripten und Papieren zusammengestoppelt sein, die aus verschiedenen Zeiten stammen und die insgesamt, wie Kemp Smith sagt, „nicht weniger als vier verschiedene Stufen in der langsamen und allmählichen Entwicklung von Kants Ansichten repräsentieren". 3 Diese Auffassung wird heute im allgemeinen nicht mehr vertreten, und schon Paton hat gegen sie den einzig richtigen Einwand vorgebracht, der darin besteht, daß man von der Deduktion eine solche Darstellung gibt, die die Vernünftigkeit und Konsistenz der Kantischen Überlegungen aufzeigt. 4 Es mag zweifelhaft sein, ob Paton dies wirklich gelungen ist, aber dennoch dürfte er ganz recht haben, wenn er sich dagegen wendet, daß man mit Vaihinger und Kemp Smith den gesamten Abschnitt A 104—10 als „irrelevant to a deduction of the categories and inconsistent with the belief that there are categories" ansieht 5 und daß man ihn deshalb systematisch und auch genetisch vor Kants Lehre von der dreifachen Synthesis ( A 9 8 f f . ) stellt.

2 3 4 5

Kemp Smith 204 ff. Ebd. 202. Paton I 329, vgl. auch 3 8 - 4 0 . Ebd. 421.

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Jedenfalls kann sich diese Auffassung, wie das speziell bei Kemp Smith der Fall ist, nicht darauf stützen, daß Kant hier eine vorkritische Identifizierung von transzendentalem Objekt und Ding an sich vornimmt, und schon gar nicht kann sie sich darauf stützen, daß Kant hier etwa das Ding an sich als die Quelle der ursprünglichen und transzendental notwendigen Einheit aller unserer Vorstellungen bezeichnet. Vielmehr stellt Kant gerade auch A 106 heraus, daß allein unser Bewußtsein den Vorstellungen die für die Gegenstandserkenntnis erforderliche Einheit verschaffen könne, und ein Mißverständnis hätte hier auch gar nicht aufkommen können, wenn in der Kant-Auslegung vor allem der formale und bloß kategoriale Charakter des vorgängigen Sinnzusammenhangs gesehen worden wäre, den die objektive Einheit der Apperzeption darstellt. Darauf, daß die Nichtunterscheidung zwischen faktischen und kategorialen Bestimmungen auch sonst Schwierigkeiten schafft, haben wir zur Genüge hingewiesen; ganz besonders gut läßt sich das aber gerade auch im Hinblick auf bestimmte Positionen der patch-work-Theorie und die ihr zugrundeliegende Auffassung vom Wesen der notwendigen Einheit der Apperzeption zeigen. Um das deutlich zu machen, möchte ich kurz auf die geringfügig modifizierte Form der patch-work-Theorie eingehen, in der sie zuletzt von Wolff vertreten worden ist. Wolff führt als einen der Gründe dafür, daß im Abschnitt A 104—10 „the first and crudest form of the deduction" vorliegt, 6 an, daß Kant hier noch nicht — wie auf späteren Stufen der Deduktion — erklären könne, wie der reine Begriff des transzendentalen Gegenstandes empirischen Begriffen Beziehung auf einen Gegenstand verschaffe und wie überhaupt ein apriorischer, aber leerer Begriff auf sachhaltige empirische Begriffe Notwendigkeit übertragen könne. Nichts zeigt so deutlich wie diese Äußerung, daß Wolff nicht zwischen kategorialen und faktischen Bestimmungen unterscheidet, aber gerade diese Unterscheidung macht es ihrerseits verständlich, weshalb dieser Einwand im Grunde an Kant völlig vorbeigeht. Denn Kant zeigt auch an keiner anderen Stelle das von Wolff Verlangte; ganz im Gegenteil: an den Stellen, die wirklich später sind als alle von Wolff unterschiedenen Stufen der Deduktion der 1. Auflage, nämlich z. B. B 142, verneint er ausdrücklich, daß die Notwendigkeit der Kategorien sich auf empirische Begriffe übertragen läßt. Daß in der patch-work-Theorie tatsächlich Zusammengehöriges einfach auseinandergerissen wird, kann man sich leicht einsichtig machen, wenn 6

Wolff 111.

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man mit der Unterscheidung zwischen kategorialen und faktischen Bestimmungen sich Klarheit über den Stellenwert des Abschnitts A 104—110 innerhalb des Gesamtzusammenhangs der Deduktion von A verschafft. Nach Wolff soll dieser Abschnitt, in dem Kant sich deutlich auf seine SynthesisUntersuchung von A 97—104 bezieht, als Vorstufe dieses Abschnitts gelten, und zwar auch deshalb, weil der Begriff des transzendentalen Objekts in seiner Funktion, unseren empirischen Begriffen objektive Gültigkeit zu verleihen, „später", d . h . auch in A 97—104, nicht mehr erwähnt werde. 7 Aber tatsächlich ist der Abschnitt A 104—10 über den „Gegenstand überhaupt", auf den unsere Vorstellungen bezogen sind, gar nichts anderes als eine Erläuterung und Explikation des Begriffs der Synthesis der Rekognition und ihrer wesentlichen Rolle für das Zustandekommen der Gegenstandserkenntnis; er muß also der Lehre von der dreifachen Synthesis folgen. Entgegen der Meinung von Wolff nimmt Kant in der in ihm enthaltenen Analyse des Gegenstandsbegriffs und der Beziehung von Vorstellungen auf Gegenstände auch beständig Bezug auf seine Synthesis-Uberlegungen, und er muß ja auch darauf Bezug nehmen, weil er als entscheidenden Zug der Beziehung von Vorstellungen auf einen Gegenstand den notwendigen, sich jeweils in bestimmten faktischen Begriffen artikulierenden, aber davon verschiedenen kategorialen Zusammenhang der Vorstellungen herauszustellen sucht, der seinerseits unmittelbar von der ursprünglichen objektiven Einheit der Apperzeption abhängt. Wir finden, sagt Kant, „daß unser Gedanke von der Beziehung aller Erkenntnis auf ihren Gegenstand etwas von Notwendigkeit bei sich führe, da nämlich dieser als dasjenige angesehen wird, was dawider ist, daß unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl oder beliebig, sondern a priori auf gewisse Weise bestimmt seien, . . . d. h. diejenige Einheit haben müssen, welche den Begriff von einem Gegenstand ausmacht" (A 104—5). Von dieser notwendigen Einheit sagt Kant immer wieder, daß sie unseren Vorstellungen nicht etwa durch den Gegenstand selber zukommt, vielmehr wird sie ihnen allein durch die „formale Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen" aufgeprägt (A 105). Der Gegenstand als jenes „Etwas, davon der Begriff eine solche Notwendigkeit der Synthesis ausdrückt" (A 106, vgl. B 137), erfordert zu seiner Erkenntnis eine solche „Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen aller unserer Anschauungen" (A 106), wodurch „alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) einer transzendentalen Einheit" unterworfen und „ihr 7

Ebd. 1 1 8 - 9 .

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Zusammenhang nach Regeln a priori zuerst möglich" gemacht wird (A 108). Es ist diese ursprüngliche Einheit des Bewußtseins, die dazu führt, daß wir zu unseren Anschauungen überhaupt Gegenstände denken können (A 106); sie ist stets auf gleiche Weise die für alle Gegenstandsbeziehung erforderliche notwendige Einheit überhaupt von Vorstellungen und läßt sich deshalb auch als die Einheit des „reinen Begriffs" von einem Gegenstande überhaupt kennzeichnen. Uberall ist hier von Gegenständen unserer Erkenntnis, keineswegs jedoch von Gegenständen schlechthin oder von ontologischen Bestimmungen die Rede, die ihnen auch unabhängig von der Erkenntnis zukämen. Dementsprechend bedeutet auch die Einheit des „reinen Begriffs" von einem „Gegenstande überhaupt" dasjenige, was irgendwelche vorkommenden, wie auch immer näher bestimmten faktischen Erscheinungszusammenhänge allererst als gegenständliche Zusammenhänge aufzufassen gestattet. Insofern kann dieser reine Begriff tatsächlich, wie Kant sagt, „keine bestimmte Anschauung enthalten" (A 109), und sein Gegenstand — wenn man hier unter dem Zwang der Sprache überhaupt noch von einem Gegenstand sprechen will und nicht vielmehr bloß von einem X, das „ f ü r uns nichts ist" (A 105) —, muß deshalb ein „nichtempirischer, d. i. transzendentaler Gegenstand" sein (A 109), der sich nur noch durch die Einheit seines Begriffs, d. h. durch die ursprüngliche und formale Einheit der Apperzeption selber charakterisieren läßt. Wichtig ist also, daß an dem transzendentalen Gegenstand selber gar nichts liegt; es kommt allein auf seinen „Begriff" und dessen Einheit an, die nach Kant nichts anderes ist als diejenige Einheit, „die in einem Mannigfaltigen der Erkenntnis angetroffen werden muß, sofern es in Beziehung auf einen Gegenstand steht" (A 109). Aus diesem Grunde geht es auch nicht an, wenn Wolff 8 die Theorie des transzendentalen Objekts auch deshalb als bloß vorläufig ansieht, weil der reine Begriff eines Gegenstandes überhaupt (der keine bestimmte Anschauung enthält) dem Verdikt von A 95 unterliege: danach wäre nämlich ein Begriff a priori, der sich nicht auf die Erfahrung bezieht, „nur die logische Form zu einem Begriff, aber nicht der Begriff selbst, wodurch etwas gedacht würde". Im Gegenteil ist der reine Begriff des transzendentalen Objekts ausdrücklich auf Anschauungen und auf deren synthetische Einheit bezogen, durch die allein sie Erfahrung von etwas sein können.

8

Ebd. 117.

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Sehr deutlich macht Kant das an der Stelle A 250, wenn er sagt: „Dieses transzendentale Objekt läßt sich gar nicht von den sinnlichen Datis absondern, weil alsdann nichts übrig bleibt, wodurch es gedacht würde". Diese Stelle aus dem Abschnitt über Phänomena und Noumena 9 ist auch deshalb für unseren Zusammenhang wichtig, weil an ihr Kant ausdrücklich zwischen transzendentalem Objekt und Ding an sich unterscheidet. 1 0 Kant nennt auch hier jenes Etwas ( = X ) , worauf der Verstand unsere Vorstellungen als auf einen Gegenstand der sinnlichen Anschauung bezieht, das „transzendentale O b j e k t " (A250), d. h. „den gänzlich unbestimmten Gedanken von etwas überhaupt" (A 253), und ausdrücklich heißt es hier, daß dieser transzendentale Gegenstand nicht ein Noumenon ist, d. h. der Gegenstand einer nicht-sinnlichen Verstandeserkenntnis ( A 2 5 3 und A 2 4 9 ) . Deshalb könne er auch nicht bloß durch Kategorien „gedacht", d. h. „erkannt" werden (A253), nämlich in dem Sinne, daß wir damit in unserer Erkenntnis etwa über den Bereich der Erfahrung hinausgelangen und uns einen Zugang zu „einem ganz anderen Felde . . ., gleichsam einer Welt im Geiste gedacht" (A250), verschaffen können. Kants Begründung dafür, daß das transzendentale Objekt wegen seiner Unerkennbarkeit nicht das Noumenon sei, mutet auf den ersten Blick freilich seltsam an, denn sonst ist umgekehrt gerade das Noumenon durch seine Unerkennbarkeit bestimmt. Aber bei genauerem Zusehen zeigt sich, daß Kants Argumentation auch gar nicht so verläuft, wie es nach der eben angeführten Stelle A 253 auf den ersten Blick aussieht. Kant geht davon aus, daß man das transzendentale Objekt, auf das im Sinne der transzendentalen Kategoriendeduktion alle unsere Vorstellungen bezogen sind und das deshalb nur „als ein Correlatum der Einheit der Apperzeption zur Einheit des Mannigfaltigen in der sinnlichen Anschauung" dient (A 250), fälschlich für ein Ding an sich halten könnte. Die Theorie des transzendentalen Objekts würde dann geradezu als Beleg für die von Kant für unmöglich gehaltene Erkenntnis von Dingen-an-sich angesehen werden können. Dagegen wendet Kant zweierlei ein: zuerst, daß das transzendentale Objekt sich nicht von sinnlichen Datis absondern läßt und daß es deshalb auch nicht „Gegenstand der Erkenntnis an sich selbst" ( A 2 5 1 ) sein kann. Das transzendentale O b jekt ist, wie Kant sagt, vielmehr „nur die Vorstellung der Erscheinungen, unter dem Begriff eines Gegenstandes überhaupt, der durch das Mannigfal» A 235/B 294 ff. Und zwar entgegen Wolffs Meinung, wonach „here, too, the meaning is always thing-in-itself, or independent reality" (Wolff 136).

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tige desselben bestimmbar ist" (A 251). Das heißt, der Begriff des transzendentalen Objekts dient nur der Möglichkeit der Bezugnahme auf empirische Gegenstände in der Erfahrung, und zwar so, daß dabei das transzendentale Objekt selbst mithilfe der Kategorien „bestimmt" wird, eben zu dem Zwecke, wie Kant sagt, „um dadurch Erscheinungen unter Begriffen von Gegenständen empirisch zu erkennen" ( A 2 5 1 ) . Zweitens wendet Kant gegen die Annahme, daß das transzendentale O b j e k t ein Noumenon sei, ein, daß der Begriff des transzendentalen O b jekts für sich ganz leer ist, d. h. nichts bedeutet und keinen angebbaren Inhalt aufweist, wie das sonst bei Noumena der Fall ist, die, wenn auch nicht erkannt, so doch wenigstens inhaltlich bestimmt gedacht werden können. Aber, sagt Kant, von dem transzendentalen Gegenstand wissen wir nicht, „was er an sich selbst sei" (A 253), d. h. wir denken ihn gar nicht als einen inhaltlich näher bestimmten Gegenstand, was doch der Fall sein müßte, wenn wir ihn durch Kategorien denken, d. h. den Kategorien gemäß bestimmen sollen. Indem der Gedanke von einem transzendentalen Objekt ganz darin aufgeht, „bloß (der) von dem Gegenstand einer sinnlichen Anschauung überhaupt" und insofern in aller Erscheinung einerlei zu sein (A 253), meine ich in ihm vernünftigerweise gar nicht ein Ding an sich, und genau deshalb kann der transzendentale Gegenstand nicht das Noumenon heißen (A 2 5 3 ) . 1 1 Entgegen der Meinung Wolfis ist der transzendentale Gegenstand also nicht das Ding an sich, und damit entfällt auch der Hauptgrund, den Abschnitt A 104—10 als eine frühe Form der subjektiven Kategoriendeduktion vor den Abschnitt A 97—104 zu stellen; Kants beständige Verweise, auch an der Stelle A 2 5 0 f f . , auf die synthetische Einheit der Vorstellungen, die im Begriff des transzendentalen Objekts gedacht ist, schließen das auch aus systematischen Gründen aus. Die Analyse der Kantischen Lehre von der dreifachen Synthesis führt also gerade auch anhand des Begriffs vom transzendentalen Objekt noch einmal zum Ergebnis, daß alle Erkenntnis von Gegenständen und objektiven Sachverhalten die Vereinigung der Vorstellungen in der ursprünglichen,

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Im Ausgang von der intentionalen Gegenstandsbeziehung (referential relation) von Vorstellungen im Unterschied zu ihrer Verursachung durch Dinge an sich zeigt auch George, daß die Ausdrücke „transzendentales Objekt" und „Ding an sich" verschiedenes bedeuten, nämlich das gemeinte Objekt einerseits und die Ursache einer Vorstellung andererseits. Das schließe nicht aus, daß beides faktisch dasselbe sei, so wie man zu Recht das Haus auf der anderen Straßenseite zugleich als Ursache und als Objekt seiner Wahrnehmungen ansehen könne (George 192ff.).

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kategorial notwendigen und bloß formalen Einheit der Apperzeption voraussetzt; den Vorstellungen würde sonst, selbst wenn sie faktisch notwendig unter dem Gesichtspunkt bestimmter Begriffe vereinigt wären, dennoch jene kategoriale Einheit fehlen, ohne die es Gegenstandserkenntnisse für uns nicht geben kann. Diese kategoriale Einheit spricht sich am deutlichsten im „reinen Begriff" des transzendentalen Gegenstandes aus, der unabhängig von aller in empirischen Begriffen gedachten besonderen Einheit von Vorstellungen tatsächlich, wie es A 250 heißt, „nur als ein Correlatum der Einheit der Apperzeption zur Einheit des Mannigfaltigen in der sinnlichen Anschauung" dient. Das transzendentale Objekt ist nicht ein irgendwie näher bestimmtes einzelnes Objekt der Erkenntnis, sein Begriff ist nur der synthetische Begriff a priori des Dinges überhaupt und seiner kategorialen Struktur. Seine apriorische Erkenntnis liefert deshalb, wie es A 720/B 748 heißt, „nichts weiter, als die bloße Regel der Synthesis desjenigen, was die Wahrnehmung a posteriori geben mag", sie kann aber niemals zu einem bestimmten vorweisbaren Gegenstand nach der Art der empirischen oder auch mathematischen Gegenstände führen. Insofern sind die Befürchtungen, von denen wir ausgegangen waren, also gegenstandslos, und auch die Stelle A 106 spricht nicht gegen unsere Auffassung vom bloß kategorialen Charakter der ursprünglichen Einheit der Apperzeption. Allerdings muß man sich gerade beim Eingehen auf Kants Theorie des transzendentalen Objekts immer wieder vor Augen halten, daß der Gesamtkontext, innerhalb dessen Kant diese Theorie entwikkelt, eben außer durch den Gesichtspunkt der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen und deren kategoriale Voraussetzungen auch durch das Interesse an der Sicherung der faktischen Objektivität unserer Erfahrungserkenntnisse geprägt ist. Zwar scheint, wie die nähere Untersuchung ergibt, der Gesichtspunkt der intentionalen Gegenstandsbeziehung in der Konzeption des transzendentalen Gegenstandes leitend gewesen zu sein, aber solange man in der Kant-Interpretation zwischen kategorialen und faktischen Bestimmungen nicht deutlich unterscheidet, fallen die faktischen Bestimmungen im allgemeinen so stark ins Gewicht, daß darüber der kategoriale Ansatz Kants wie im Fall der patch-work-theory gerade in sein Gegenteil verkehrt werden kann. Was hier mit der deutlichen Unterscheidung zwischen kategorialen und wissenschaftstheoretischem Ansatz vertreten wird, könnte man vielleicht auch eine patch-work-theory nennen, sie unterscheidet sich von der klassischen aber dadurch, daß sie nicht ganze Textstücke als vor- oder unkritisch aus der „Kritik der reinen Vernunft" ausscheidet. Vielmehr geht sie dem —

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nur begrifflich auflösbaren — Zusammenspiel und Zusammenwirken mehrerer gleichzeitiger Ansätze in Kants Transzendentalphilosophie nach, die zwar in wechselnder Akzentuierung, aber nie wirklich getrennt voneinander auftreten. Im Folgenden wollen wir das auch noch an Kants Behandlung der Synthesis-Problematik in der 2. Auflage der „Kritik der reinen Vernunft" verfolgen. In ihr tritt der kategoriale Ansatz deutlicher als in der 1. Auflage hervor. Er bleibt aber auch hier mit dem älteren stets verbunden. 20. Die synthetische Einheit von Vorstellungen in der 2. Auflage der „Kritik" Kant hat in der 1. Auflage der „Kritik" unter dem Gesichtspunkt der drei Synthesen eine Analyse der „wirklichen" Erfahrung vorgenommen, die unmittelbar auf die ursprüngliche Einheit der Apperzeption als die notwendig vorausgesetzte Einheitsbedingung für das Zustandekommen der Erfahrung führt. 1 Wenn empirische Einheitsbildungen („empirische Begriffe") nicht auf dem Boden der ursprünglichen Einheit der Apperzeption erfolgen würden, so würden sie niemals zu mehr führen können als nur zu einem Gewühle von Erscheinungen, das wir durch den Hinweis auf Entgleitungen und Entgleisungen beim Einschlafen und durch den Hinweis auf frühe Stufen der kindlichen Intelligenzentwicklung zu veranschaulichen gesucht haben. Trotz einer sehr weitgehenden Straffung und, wenn man so will, auch „Logifizierung" des Arguments2 finden sich die meisten Einzelheiten dieser Synthesis-Lehre nun auch in der 2. Auflage der „Kritik", und das betrifft vor allem gerade die Auffassung, daß die für die Möglichkeit der Er1

2

Bei der Analyse der Erfahrung hätte Kant nach Hossenfelder allerdings den Fehler begangen, das Erkennen durch die Bestimmung, daß in ihm so etwas wie die synthetische Einheit von Vorstellungen erzeugt wird, gerade zu mißdeuten (Hossenfelder 114—5). Nach Hossenfelder haben Allgemeinbegriffe, auf die sich die Erfahrung stützt, nämlich die Aufgabe, ein Mannigfaltiges auf verschiedene Gegenstände zu beziehen, und gerade nicht auf denselben Gegenstand. Deshalb sei die Erfahrung in Wirklichkeit eine „sukzessiv verifizierende Analyse", nicht die „Erzeugung der synthetischen Einheit der Vorstellungen" (S. 115). — In Wahrheit ist die Erfahrung natürlich beides. Worauf es Kant ankommt, ist aber etwas ganz anderes, nämlich die Tatsache, daß begriffliche (seien es „analytische" oder „synthetische") Sachverhalts- und Gegenstandsbestimmungen ohne das urprüngliche Zusammengehören aller meiner Vorstellungen (auch der von mir erst analytisch-abstraktiv „erarbeiteten") in der Einheit der Apperzeption nicht möglich wären. Die Logifizierung besteht, wie wir im folgenden zeigen, im wesentlichen nur darin, daß bestimmte Einheitsbedingungen, die nach der 1. Auflage außerhalb des Denkens liegen, im Sinne der neuen Urteilsdefinition von B 141 jetzt in den Begriff des Denkens aufgenommen sind.

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Die synthetische Einheit in der 2. Auflage der „Kritik"

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fahrung erforderlichen faktischen Einheitsbildungen und Zusammenfassungen als Erkenntnisse von Gegenständen nur insoweit gelten können, als sie im Lichte und im Hinblick auf eine vorgängige und ursprüngliche Einheit erfolgen, die allein ihnen objektive Realität verschaffen kann. Am besten greifbar ist das in Kants Auffassung — die sich auch in der 2. Auflage findet —, daß die Erfahrung eine „Synthesis der Rekognition im Begriff" ist (vgl. B 137—8). 3 Es heißt hier, daß die Erkenntnis von etwas, z. B. die Erkenntnis einer Linie im Raum, es erforderlich macht, daß man sie „zieht", d. h. daß man eine bestimmte Verbindung eines gegebenen Mannigfaltigen so zustandebringt, „ d a ß die Einheit dieser H a n d l u n g zugleich die Einheit des Bewußtseins (im B e griff einer Linie) ist, und dadurch allererst ein O b j e k t (ein bestimmter R a u m ) erkannt w i r d " (B 138).

Eine bestimmte Objekterkenntnis und damit bestimmte Erfahrungen gibt es danach also nur dort, wo begriffliche Vorstellungsverbindungen vorliegen, d. h. wo über das bloß faktische Zusammenkommen und Zusammengeraten von Vorteilungen hinaus ihr Zusammenhang auch in bestimmten Begriffen Ausdruck findet. Wenn es nicht möglich wäre, eine Linie so zu „ziehen", daß das zu ihr gehörige Mannigfaltige sich synthetisch im „ B e griff" einer Linie vereinigen ließe, könnte es eine Linien-Erkenntnis nicht geben, und ebenso gilt, daß eine gegenständliche Erkenntnis im Hinblick auf die Prädikate „ K ö r p e r " und „ s c h w e r " solange nicht zustande kommen kann, als diese Bestimmungen nur faktisch, „ z . B. nach Gesetzen der Assoziation", miteinander zusammenhängen, aber nicht auch begrifflich, nämlich in einem Urteil, vereinigt sind (vgl. B 142). Insoweit entspricht Kants Lehre vom Zustandekommen der Erfahrung also genau dem Ergebnis seiner Untersuchung der dreifachen Synthesis der 1. Auflage. In beiden Fällen ist ein begriffliches Zusammenfassen für die Möglichkeit einer Gegenstandserkenntnis erforderlich, und d. h. eben, daß jede gelungene Gegenstandserkenntnis stets eine „Rekognition im Begriff" ist. Aber in beiden Fällen ist nach Kants Meinung — und das ist der entscheidende Punkt — diese Analyse für sich in keiner Weise ausreichend. In der 1. Auflage weist Kant ausdrücklich darauf hin, daß eine begriffliche Einheit für sich immer noch nicht ausschließt, daß bloß ein Gewühle von Erscheinungen unsere Seele anfüllte, und das wäre immer dann der Fall, wenn die „Einheit der Synthesis nach empirischen Begriffen . . . sich 3

Allerdings verwendet Kant den Ausdruck „Rekognition" in diesem Zusammenhang in der 2. Auflage nicht mehr.

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

nicht auf einen transzendentalen Grund der Einheit" gründen würde (A 111). Die Frage, die sich hier stellt und mit der wir uns bereits früher beschäftigt haben, ist, ob Kant das reale Vorkommen solcher Zustände für möglich hält. 4 An der Stelle A 122 ist diese Möglichkeit ausdrücklich verneint, dagegen wären — unabhängig davon, ob man sie als kategorial oder faktisch bestimmt ansieht — die Wahrnehmungsurteile 4er „Prolegomena" Beispiele für ein solches in der Wirklichkeit vorkommendes Gewühle der Erscheinungen, das auch dann immer noch möglich ist, wenn Zusammenfassungen, die im Sinne von A 111 begrifflich sind, dennoch nicht auf dem Boden der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption erfolgen. Inhaltlich ändert sich daran auch in der 2. Auflage nichts, außer insofern, als Kant hier das Denken anders faßt als in der 1. Auflage. Nach Kants neuer Auffassung ist in aller Begriffs Verwendung stets schon die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen impliziert, und das hat zur Folge, daß begriffliche Zusammenfassungen im Rahmen der neuen Urteilstheorie von vornherein nur und ausschließlich im Horizont der objektiven Einheit der Apperzeption vorkommen können. 5 Die anderen Verbindungen, von denen B 141 die Rede ist und die bloß „nach Gesetzen der reproduktiven Einbildungskraft" erfolgen, sind zwar der Sache nach nichts anderes als die Wahrnehmungsurteile der „Prolegomena", und sie mögen deshalb ebenso wie jene tatsächlich in der Wirklichkeit vorkommen, aber in der Konsequenz der terminologischen Festlegung, die in Kants neuer Urteilsdefinition erfolgt, heißen sie jetzt eben gar nicht mehr „Urteile". In der 2. Auflage gibt es aufgrund einer vertieften Anschauung vom Denken und seiner Funktion grundsätzlich keine „begrifflichen" Zusammenfassungen mehr, die sich nicht auf einen transzendentalen Grund der Einheit gründeten. Gerade dadurch scheint die kategorial bestimmte ursprüngliche Einheit der Apperzeption als Voraussetzung für alle Gegenstandserkenntnis und erst recht für alle intentionale Gegenstandsbeziehung nun auf den ersten Blick entschieden deutlicher und nachdrücklicher als in der 1. Auflage zur Geltung gebracht zu sein, nicht zuletzt auch deshalb, weil mit der neuen Urteils-Theorie von B 141, wonach „ein Urteil nichts anderes sei, als die A r t , gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheiten der Apperzeption zu bringen",

darüberhinaus auch die in den „Prolegomena" zugrundeliegende Auffassung des Denkens revidiert ist, nach der es auch vor und außerhalb aller 4

5

Dies Problem wird ausführlich noch im Zusammenhang mit Kants Auffassung der Einheit der Apperzeption als Einheit gerade des Selbstbewußtseins behandelt; vgl. Kapitel IV. Vgl. oben S. 152ff., 158ff., 167f.

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Die synthetische Einheit in der 2. Auflage der „ K r i t i k "

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Gegenstandsbeziehung eine „logische Verknüpfung" von Vorstellungen geben könnte. Nach B 141 ist das nicht mehr möglich. Denken und die logisch-begrifflichen Verbindungen von Vorstellungen und Erkenntnissen kann es nur noch dort geben, wo die ursprüngliche und objektive Einheit der Apperzeption geleistet ist, denn genau diese Beziehung auf die ursprüngliche Einheit der Apperzeption ist nach der neuen Urteilstheorie in allem Denken impliziert, und zwar im Unterschied zu bloß assoziierten, d. h. kategorial subjektiven Vorstellungsverbindungen, die grundsätzlich außerhalb der ursprünglichen Einheit der Apperzeption stehen müßten. In dieser Auffassung ist allerdings vorausgesetzt, daß die Gegenstandsbeziehung von Kant als intentionale verstanden ist. Das ist jedoch, wie wir wissen, nicht durchgängig der Fall. Außer ihrer kategorialen haben wichtige Bestimmungen immer auch eine faktische Bedeutung, und das verhindert es, daß man die bloß „subjektive Gültigkeit" der Assoziationsverbindungen von Vorstellungen (B 142) ausschließlich als kategoriale Bestimmung auffassen kann. Vielmehr ist sie nach Kant außerdem immer auch eine faktische Bestimmung, und deshalb ist es nicht schlechterdings ausgeschlossen, daß bloß assoziierte Vorstellungen dennoch in der ursprünglichen Einheit der Apperzeption zusammenstehen. Würde die ursprüngliche Einheit der Apperzeption ausschließlich — und dann auch ausdrücklich terminologisch so gefaßt — der kategorial entfaltete Sinnzusammenhang unserer Vorstellungen sein, dessen Vorliegen zuallererst die Unterscheidung zwischen der faktischen Subjektivität oder Objektivität von Erkenntnissen gestattet, so müßten in dem kategorial subjektiv gemeinten Satz: „Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere" (B 142) anders als im Urteil „Er, der Körper ist schwer" mehrere Vorstellungen überhaupt nicht zur kategorial objektiven Einheit der Apperzeption gebracht sein. Wir hätten es hier dann nur mit dem Ausdruck eines „Gewühles von Erscheinungen", für die die Forderung von Gegenstands- und Sachverhaltsbestimmungen überhaupt noch nicht existierten, zu tun. Das ist dort, wo Kant von der bloß subjektiven Gültigkeit einer Vorstellungsverbindung spricht, zwar immer auch gemeint, aber zugleich führt das Interesse an der Sicherung der faktischen Objektivität von Erkenntnissen Kant immer wieder dazu, im Ausgang von dieser faktischen Objektivität die bloß subjektive Gültigkeit von Assoziationsverbindungen ebenfalls durch faktische Züge zu kennzeichnen. Das hat zur Folge, daß dann ebenso wie in dem Satz: „Er, der Körper ist schwer" auch im bloß subjektiv gültigen Satz mehrere Vorstellungen zur notwendigen Einheit der Apperzeption gebracht sind; denn auch faktisch subjektive Sachverhalte, die in ihrer Geltung zunächst einge-

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Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung

schränkt wären auf die faktisch subjektiven Erfahrungen, die z. B. ich mache, implizieren diese transzendentale Einheit. Zugleich droht gerade dadurch aber auch die ursprüngliche Einheit der Apperzeption Züge einer faktischen Notwendigkeit anzunehmen, und zwar trotz Kants nachdrücklichem Hinweis darauf, daß er das Zusammengehören von Vorstellungen „vermöge der notwendigen Einheit der Apperzeption" gerade nicht als faktisch notwendigen Zusammenhang verstanden wissen will. Das sind Schwierigkeiten von Kants Synthesis-Lehre auch in der 2. Auflage der „Kritik", die letztlich immer wieder auf dieselbe Weise darauf zurückgehen, daß Kant zwischen kategorialen und faktischen Bestimmungen nicht terminologisch unterscheidet. Aber dennoch läßt sich zeigen, daß schließlich nirgends so deutlich wie gerade in der Kategorien-Deduktion der 2. Auflage der letztlich bloß formale und kategoriale Charakter der ursprünglichen Einheit der Apperzeption zum Ausdruck kommt und damit sich eine Auffassung von der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen durchsetzt, nach der diese gerade nicht in ihrem richtigen Bezogensein auf wirkliche Gegenstände besteht. Nirgends so deutlich wie hier, wo Kant sagt, daß durch das Urteil Vorstellungen zur notwendigen Einheit der Apperzeption gebracht werden, wird nämlich schließlich auch der Unterschied zwischen faktischen und kategorialen Bestimmungen ausgesprochen. Das Zusammengehören der Vorstellungen in der notwendigen Einheit der Apperzeption, sagt Kant, bedeutet nämlich nicht, daß die Vorstellungen auch in der empirischen Anschauung notwendig zusammengehören müßten. Es bedeutet vielmehr nur, daß sie „ v e r m ö g e d e r n o t w e n d i g e n Einheit der A p p e r z e p t i o n in d e r S y n t h e s i s der A n s c h a u u n g e n z u e i n a n d e r (gehören), d . i. nach P r i n z i p i e n d e r o b j e k t i v e n B e s t i m m u n g aller V o r s t e l l u n g e n , sofern d a r a u s E r k e n n t n i s w e r d e n k a n n , w e l c h e P r i n zipien alle aus d e m G r u n d s a t z der t r a n s z e n d e n t a l e n E i n h e i t d e r A p p e r z e p t i o n abgeleitet s i n d " ( B 142).

Für die Kategorien folgt daraus, daß tatsächlich die Erfahrungserkenntnis nach jenen Hinsichten und Gesichtspunkten strukturiert ist, nach denen auch die ursprüngliche Einheit der Apperzeption gegliedert ist. 6 Wir haben im Abschnitt 17 zu zeigen versucht, wie solche Hinsichten näher aussehen; sie sind Alternativen von Grundbegriffen, die ganz im Sinne des Kantischen 6

Vgl. B 143: „ § 20. Alle sinnlichen Anschauungen stehen unter den Kategorien, unter denen allein das Mannigfaltige derselben in ein Bewußtsein zusammenkommen kann"; B 144: „Ein Mannigfaltiges, das in einer Anschauung, die ich die meinige nenne, enthalten ist, wird durch die Synthesis des Verstandes als zur notwendigen Einheit des Selbstbewußtseins gehörig vorgestellt, und dieses geschieht durch die Kategorie".

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Die synthetische Einheit in der 2. Auflage der „Kritik"

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Satzes von A 158/B 197 als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung qua intentionaler Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung sind. Die Gegenstände der Erfahrung müssen sich diesen Bedingungen fügen, weil sie sonst für uns nicht Gegenstände sein könnten, und insofern lassen sich tatsächlich apriorische Grundsätze der Erfahrung aufstellen, die, wenn man sich so ausdrücken will, der Natur das Gesetz vorschreiben, die aber wegen der hier vorgeschlagenen weiteren Fassung des Kategorienkonzepts natürlich bei weitem nicht so stark sein können wie die von Kant angegebenen Grundsätze des reinen Verstandes. Wir wollen auf die Einzelheiten der Kantischen Kategoriendeduktion, insofern sie gerade in der Aufstellung der Grundsätze des reinen Verstandes besteht, erst im letzten Kapitel eingehen und dann auch abschließend zu beurteilen versuchen, inwieweit Kant sein ursprüngliches Programm nun eigentlich hat durchführen können. Hier ist es zunächst einmal nur auf die Herausarbeitung jener Ansätze der Kantischen Transzendentalphilosophie angekommen, die mit dem Problem der intentionalen Gegenstandsbestimmung unserer Vorstellungen zu tun haben und deren Ausarbeitung zu dem auch unabhängig von Kant zu bestätigenden Zusammenhang von Gegenstandsbeziehung und ursprünglicher objektiver Einheit unserer Vorstellungen geführt hat. Bei Kant selber verläuft diese Herleitung allerdings anders als hier, und zwar deshalb, weil Kant die ursprüngliche objektive Einheit der Apperzeption immer auch als Einheit des Selbstbewußtseins auffaßt. Das hat überhaupt weitreichende Konsequenzen für die Argumentationsstruktur der Kantischen Kategoriendeduktion und führt zu einer „Notwendigkeit" der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen, die schon im Begriff der Einheit des Selbstbewußtseins impliziert sein soll. Wir haben bereits oben S. 125. Bedenken gegen die Schlüssigkeit dieses Vorgehens vorgebracht; wir wollen diesen ganzen Komplex aber hier doch noch einmal im Zusammenhang behandeln, und zwar noch vor der eigentlichen Kategoriendeduktion, 7 weil gerade vom Problem der Einheit des Selbstbewußtseins her die Tragweite und auch die stillschweigenden Voraussetzungen der Kantischen Lehre von den Grundsätzen des reinen Verstandes sich am deutlichsten herausarbeiten lassen. 7

Als eigentliche Kategorien-Deduktion fasse ich in Ubereinstimmung mit Walsh (S. 39) und Bird (S. 113, 114) den Beweis der Grundsätze (d. h. der objektiven Realität der Kategorien im einzelnen) auf; in der „sogenannten" Deduktion der „Analytik der Begriffe" werden dagegen alle Kategorien zusammen behandelt.

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IV. Apperzeption und Selbstbewußtsein 21. Empirisches und reines Ich Wir hatten oben 1 die Frage, in welchem Sinne die objektive Einheit der Apperzeption sich zugleich als ein Aspekt der ursprünglichen Einheit gerade des Selbstbewußtseins charakterisieren lasse oder besser: ob und weshalb die transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins, wie Kant behauptet, die objektive Einheit der Apperzeption impliziert, zunächst zurückgestellt. Die Gründe dafür liegen darin, daß zunächst gar nicht zu sehen ist, wie die Einheit des Selbstbewußtseins im Sinne einer durchgängigen Mir-Gehörigkeit aller meiner Erlebnisse auch hinreichend für die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen sein kann, vor allem aber auch darin, daß zunächst nicht klar war, wie der objektive und gegenstandskonstitutive Vorstellungszusammenhang eigentlich aussieht, von dem Kant behauptet, er sei in der Einheit des Selbstbewußseins mit enthalten. Jedenfalls war es nötig, die objektive und ursprüngliche Einheit der Apperzeption, die als kategorial entfalteter, Entgleisungen und Entgleitungen ausschließender Sinnzusammenhang unserer Vorstellungen interpretiert worden ist, zunächst einmal für sich herauszuarbeiten, also unabhängig von allen jenen Komplikationen, die die Berücksichtigung egologischer Momente und Probleme mit sich bringt. Die Frage, die sich jetzt stellt, lautet deshalb: Läßt sich die objektive Einheit der Apperzeption tatsächlich aus der notwendigen Einheit des Selbstbewußtseins herleiten, und wie muß dazu die Einheit des Selbstbewußtseins konzipiert sein? Oder anders ausgedrückt: Ist deshalb, weil unsere Vorstellungen mit Notwendigkeit in der Einheit des Selbstbewußtseins zusammengehören, unser kognitives Weltverhalten notwendigerweise immer auch als die Erkenntnis von Gegenständen charakterisierbar? Wir werden darzulegen versuchen, weshalb das nicht der Fall ist. Denn daß es sich nicht so verhält, ist leicht zu zeigen. Es ist zwar ein Faktum, daß wir Menschen uns erkennend auf Gegenstände beziehen, die von unserem Tun los1

Abschn. 13.

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Empirisches und reines Ich

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gelöst sind, die also im Sinne Strawsons Gegenstände im gewichtigen Sinne sind, aber man wird nicht sagen können, daß diese Beziehung auf Gegenstände notwendig ist. 2 Die sehr scharfsinnigen systematischen Bemühungen vor allem von der Seite der analytischen Kant-Auslegung 3 , die mit Kant gerade auf die Notwendigkeit der Beziehung unserer Vorstellungen auf Gegenstände abzielen, dürften deshalb als gescheitert anzusehen sein. Dennoch ist es aber natürlich wichtig, auch nach den Gründen zu fragen, auf die dieses Scheitern, zumal bei Kant, zurückzuführen ist, weil nur so die sehr komplizierte Struktur der Kategoriendeduktion sich endgültig klären läßt. Dazu müssen wir Kants Konzeption des Selbstbewußtseins und seiner transzendentalen Einheit, zumal im Unterschied zu einem bloß zerstreuten empirischen Selbstbewußtsein, zunächst einmal für sich darstellen; im nächsten Abschnitt wollen wir uns dann kritisch mit ihr auseinandersetzen. Kant kennzeichnet die ursprüngliche Apperzeption und ihre Einheit als die Einheit des „reinen" Selbstbewußtseins (vgl. B 132), und er will sie damit insbesondere von einem bloß empirischen Selbstbewußtsein unterscheiden, also von der sog. „empirischen Apperzeption" (B 132, A 107, vgl. B 140), die ihrerseits, was ihre Einheit angeht, von der transzendentalen Einheit des Selbstbewußtseins unter bestimmten Umständen in concreto immer nur „abgeleitet" sein soll (B 140). Das empirische Selbstbewußtsein, das wie alles Selbstbewußtsein nach Kant „eine notwendige Beziehung auf ein transzendentales (vor aller besonderen Erfahrung vorhergehendes) Bewußtsein (hat), nämlich das Bewußtsein meiner selbst, als die ursprüngliche Apperzeption" (A 117 Anm.), ist für Kant deshalb von vornherein immer ein gegenständliches Haben unserer Selbst, d. h. eine letztlich psychologische Erkenntnis der inneren Zustände und Befindlichkeiten unseres empirischen Ich, wie es weiter etwa auch durch seine Vorstellungen und Erlebnisse in ihren faktisch subjektiven und faktisch zufälligen Zusammenhängen gekennzeichnet ist. Unser empirisches Selbst, das „denkende I c h " (A 379), ist für Kant dementsprechend genau so wie die dem äußeren Sinn gegebene Materie eine „Substanz in der Erscheinung" (ebd.), zu deren im inneren Sinn gegebenen Bestimmungen z. B . auch Lust und Unlust als besondere „ O b j e k t e " innerer Wahrnehmung gehören ( A 3 4 3 / B 401). Als Erkenntnis des Ich in seinen wechselnden oder dauernden inneren Zuständen beruht 2 3

Anders ausgedrückt: Die Evolution mußte nicht bis zum Menschen kommen. Nämlich bei Strawson (vgl. oben S. 13 ff.) sowie in den von Strawson beeinflußten Untersuchungen Henrichs, der in „Identität und Objektivität" vor allem nachzuweisen sucht, daß die durch die Kategorien vermittelte Beziehung auf Gegenstände notwendig bereits in der Identität des Selbstbewußtseins vorausgesetzt ist.

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Apperzeption und Selbstbewußtsein

das empirische Selbstbewußtsein wie alle Gegenstandserkenntnis deshalb darauf, daß ein in der (inneren) Wahrnehmung gegebenes Mannigfaltiges „der allgemeinen Bedingung der Einheit der Apperzeption im Denken gemäß" verbunden ist (B 407); hinsichtlich des in ihm als zum eigenen Selbst gehörig Erkannten steht es also immer schon unter Bedingungen der objektiven Einheit der Apperzeption (vgl. B 154). Insofern ist das empirische Selbst im wesentlichen genau so zu charakterisieren wie äußere Gegenstände,4 allerdings sind im Unterschied zu äußeren Gegenständen das im empirischen Selbstbewußtsein erkannte Ich und seine Zustände durch weitgehende Unstabilität gekennzeichnet. Kant weist immer wieder darauf hin, daß „ d a s B e w u ß t s e i n seiner selbst, nach d e n B e s t i m m u n g e n unseres Z u s t a n d e s , bei der inneren W a h r n e h m u n g , . . . jederzeit w a n d e l b a r "

ist und daß es deshalb „kein stehendes oder bleibendes Selbst in diesem Flusse innerer Erscheinungen" geben könne (A 107). In den Zusätzen der 2. Auflage der „Kritik" ist dieser Gedanke noch deutlicher akzentuiert: die „Widerlegung des Idealismus" läuft auf gar nichts anderes hinaus, als daß wegen des Fehlens eines Beharrlichen in uns selbst wir bei der inneren Erfahrung immer von der Erfahrung von beharrenden äußeren Gegenständen abhängig sind. 5 Im selben Sinne weist Kant auch in der „Allgemeinen Anmerkung zum System der Grundsätze" darauf hin, daß wir für die Sicherung der objektiven Realität der Substanzkategorie äußere Anschauungen brauchen; denn nur in der äußeren Anschauung lasse sich etwas „Beharrliches" antreffen, dagegen gelte, daß „die Zeit. . ., mithin alles, was im inneren Sinn ist, beständig fließt" (B 291). Zusammen mit der Unmöglichkeit, die seelischen Erscheinungen durch die Beobachtung nicht zu „alterieren" und zu „verstellen", hat dieser Sachverhalt dann ja auch zu dem negativen Urteil Kants über die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Psychologie überhaupt geführt, nämlich in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft" (MAGdN Vorrede A Xf.). Im Unterschied zu diesem flüchtigen, dafür aber inhaltlich reichen empirischen Selbstbewußtsein ist nun das reine Selbstbewußtsein bei Kant ein4

5

Zum Problem der „ungegenständlichen Fassung empirischer Subjektivität" (Jansohn) vgl. unten Abschn. 22. Nach Wilkerson ist die ganze transzendentale Deduktion im wesentlichen eine Widerlegung des Idealismus (Wilkerson 82); diese Auffassung ist sehr bezeichnend dafür, wie in der analytischen Kant-Auffassung (allerdings nicht bei Strawson) schließlich das transzendentale Ich schlicht als empirisches aufgefaßt werden kann.

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Empirisches und reines Ich

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fach als die „an Inhalt gänzlich leere Vorstellung Ich" bestimmt (A 345—6/ B 404). Diese Vorstellung „ I c h " soll das „Vehikel" aller meiner Vorstellungen und aller meiner Begriffe in dem Sinne sein, daß es meine Vorstellungen nur als das Bewußtsein, daß sie die meinen sind und von mir vollzogen werden, begleitet (A 346/B 404; vgl. B 131 f.). Im Gegensatz zum empirischen Selbstbewußtsein als dem Fundament der „empirischen Seelenlehre" enthält das reine Selbstbewußtsein deshalb keine „besonderen Wahrnehmungen meines inneren Zustandes" (A342/B 400); das reine Selbstbewußtsein soll, wie Kant sich ausdrückt, vielmehr die „bloße Form des Bewußtseins" sein (A382). Von dem im reinen Selbstbewußtsein gegebenen Ich läßt sich deshalb auch nur sagen, daß es das „beständige logische Subjekt" aller Vorstellungen ist (A 350/B 407), zugleich absolute und einfache Einheit (A352f./B 407—8) und daß es überall und stets identisch dasselbe ist (A362f./B 408). Allerdings darf man diese Bestimmungen nicht im Sinne einer, wie Kant sich ausdrückt, „Subreption des hypostasierten Bewußtseins (apperceptionis substantiatae)" (A 402) mißverstehen, d.h. man darf sie nicht im Sinne der Substanzialität, Simplizität und Personalität eines etwa im reinen Selbstbewußtsein zu erkennenden Gegenstandes „Ich" auffassen. Denn im reinen Selbstbewußtsein ist mir überhaupt kein Gegenstand oder ein gegenständliches Etwas gegeben, dem irgendwelche Eigenschaften zukämen. In der Vorstellung „ich bin, die das Bewußtsein ausdrückt, welches alles Denken begleiten kann", liegt nämlich nicht etwa eine gegenständliche Erkenntnis des Ich vor (B 277, vgl. B 409); von unserem reinen Ich können wir uns niemals den mindesten Begriff machen, sagt Kant, denn um irgendetwas von ihm zu urteilen, müßten wir uns seiner Vorstellung jederzeit schon bedienen, und so drehen wir uns beim Versuch, es zu erkennen, in einem beständigen Zirkel herum (A 346/B 404). Diese Auffassung erinnert in ihren Hauptzügen unmittelbar an Husserls Lehre vom „reinen Ich" in den „Ideen". 6 Nach Husserl soll ein reines Ich auch nach der Ausschaltung der Welt und der ihr zugehörigen empirischen Subjektivität 7 immer noch zu allen meinen Erlebnissen gehören, nämlich insofern, als dann noch immer durch jedes aktuelle cogito der „Blick" eines reinen Ich auf das in ihm gemeinte Gegenständliche gehen soll, 8 und auch insofern, als dann auch alle meine Hintergrundserlebnisse immer einem reinen Ich gehören sollen. Nach Husserl läßt sich bei einer adäquaten Be6 7 8

Ideen I §§ 57 und 80. Ebd. 138. Ebd. 137.

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Apperzeption und Selbstbewußtsein

Schreibung des transzendental gereinigten Bewußtseins nicht davon absehen, daß dieses meines ist, meinem reinen Ich angehört, denn, sagt Husserl, „das ,Gerichtetsein auf', ,Beschäftigtsein mit', ,Stellungnehmen zu', ,Erfahren, Leiden v o n ' birgt notwendig in seinem Wesen dies, daß es eben ein ,von dem Ich dahin' oder im umgekehrten Richtungsstrahl , z u m Ich hin' ist — und dieses Ich ist das reine, ihm kann keine Reduktion etwas a n h a b e n " . 9

Wie Kant bestimmt auch Husserl das reine Ich deshalb als „völlig leer an Wesenskomponenten", es soll „gar keinen explikablen Inhalt" haben, es ist vielmehr „an und für sich unbeschreiblich, reines Ich und nichts weiter", 10 als solches aber ein Identisches, das bei allem wirklichen und möglichen Wechsel der Erlebnisse absolut dasselbe bleibt. 11 Wie bei Kant ist also auch bei Husserl im Begriff des reinen Ich nur die formale Ichbezogenheit all meiner Erlebnisse gedacht, d. h. die Tatsache, daß im Wahrnehmen oder Phantasieren eben ich auf das Wahrgenommene oder Phantasierte gerichtet bin, 12 daß ich es bin, der im Begehren sich von dem begehrten Objekt angezogen findet oder der in der starren, regungslosen Trauer in reine Passivität versunken ist. 13 So soll sich nach Husserl in jedem „Aktgebiet" ein eigentümlicher Modus der für alles Erleben kennzeichnenden „Subjektbeteiligung" feststellen lassen, 14 und sogar dann, wenn Erlebnisse in Inaktualität versinken, also von dem „aktiven zufassenden, denkenden, wachleidenden usw. Ich" verlassen sind, 15 sollen sie diese „Ichstruktur" aufweisen.16 Mag es auch zweifelhaft sein, ob es dann anstelle des „aktuell vollziehenden ein dumpfes Ich als einen anderen Ichmodus" gibt, 17 jedenfalls gehört für Husserl auch zu unserem dumpfen Bewußtsein „die unbedingte Wesensmöglichkeit, daß es zum wachen werden kann, daß ein aktueller Ichblick sich an einer beliebigen Stelle desselben etabliere in Form eines diesem Bewußtseins sich einfügenden oder vielmehr aus diesem hervorquellenden cogito", 1 8 wobei das darin aktuell werdende Ich gerade nicht ein „von außen Hingesetzes oder Hinzugesetztes" ist, also „nichts,

9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

Ebd. 195. Ebd. Ebd. 1 3 7 - 8 . Ideen II 97. Ebd. 98. Ebd. 99. Ebd. 107. Ebd. 100. Ebd. 107. Ebd. 108.

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Empirisches und reines Ich

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was im Moment des aktuellen Auftretens allererst wird, um dann wieder in Nichts zu verschwinden." 19 Alles das hat seine genaue Entsprechung bei Kant, und insbesondere hat Kant auch den Gedanken, daß das reine und wache Ich in alles seinen Blick jedenfalls hineinsenden kann, „was den Strahl der Ich-Funktion eben aufnehmen kann", 2 0 immer wieder herausgestellt; so wenn er sagt, daß das „Ich denke" alle meine Vorstellungen wenigstens müsse begleiten können (B 131), oder wenn es bei ihm heißt: „ D e r Gedanke: diese in der Anschauung gegebenen Vorstellungen gehören mir insgesamt zu, heißt demnach so viel, als ich vereinige sie in einem Selbstbewußtsein, oder kann sie wenigstens darin vereinigen" (B 134).

Darin liegt, daß das reine Selbstbewußtsein, sofern es mit der Apperzeption gleichgesetzt ist, auch bei Kant durchaus nicht als aktualer Vollzug der MirGehörigkeit aller meiner Erlebnisse zu verstehen ist. Vielmehr soll es auf die Klarheit oder Dunkelheit der Vorstellung Ich, die alle meine Vorstellungen begleitet, d. h. also auf die thematische Abgehobenheit oder Unabgehobenheit des Ichbewußtseins (vgl. B 145 Anm.) gar nicht ankommen, „ja nicht einmal an der Wirklichkeit desselben" soll nach Kant irgendetwas liegen (A 117 Anm.). Ebenso wie bei Husserl bedeutet auch bei Kant die Tatsache, daß alles empirische Bewußtsein „eine notwendige Beziehung . . . auf das Bewußtsein meiner selbst, als die ursprüngliche Apperzeption" hat (A 117 Anm.), also nur die Möglichkeit, daß ich alles Bewußtsein in der Reflexion als mir gehörig und als von mir vollzogen muß erfahren können, d. h. daß alles Bewußtsein notwendig im „Verhältnis zu dieser Apperzeption als einem Vermögen" steht (ebd.). Das bedeutet aber nicht, daß im Einzelfall dieses Verhältnis auch aktual vollzogen sein müßte. Für Kant spricht wahrscheinlich vor allem diese immer bestehende Möglichkeit der Herstellung einer aktuellen Einheit aller meiner Vorstellungen dafür, daß es ein reines Selbstbewußtsein ist, das die Einheit des MirGehörens aller meiner Erlebnisse garantiert. Das reine Ich, dessen Identität das Zusammengehören aller meiner Vorstellungen in einem einzigen und einigen Bewußtsein ermöglichen kann, muß jedenfalls als dasselbe z. B. den Schlaf überdauern können; ich muß mich nach dem Aufwachen als denselben wiederfinden können, und gerade darin, daß ich mich so wiederfinde, liegt ja wohl auch einer der Hauptgründe dafür, die Identität als bloße Möglichkeit zu denken. Daß sich die Identität meines Ich in wachen Handlunw 20

Ebd. Ebd.

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Apperzeption und Selbstbewußtsein

gen fortsetzt, mag, verglichen damit, unproblematisch erscheinen, aber jedenfalls ist es klar, daß die Einheit des Selbstbewußtseins gerade auch über Intervalle der Unbewußtheit hinweg bestehen muß. Wenn das nicht der Fall wäre, würde mein Ich tatsächlich in nicht mehr aufeinander beziehbare Episoden auseinanderfallen, und von einer einheitlichen Erfahrung könnte dann natürlich erst recht nicht mehr die Rede sein. Was insoweit in Kants (und auch Husserls) Lehre von der transzendentalen Einheit des Selbstbewußtseins immer wieder und zu Recht in den Vordergrund gerückt wird, ist also die ganz unbezweifelbare und für alles Bewußtsein, auch für alles Gegenstandsbewußtsein, sicher konstitutive Tatsache der unwandelbaren Identität meines Bewußtseins, ohne die es für uns wahrscheinlichh überhaupt kein Bewußtsein geben kann. Die Frage ist aber, ob tatsächlich allein und gerade das insoweit charakterisierte „reine" Selbstbewußtsein diese Einheit des Bewußtseins garantiert oder ob man nicht statt auf ein reines vielmehr gerade auf ein „empirisches" Bewußtsein rekurrieren muß, wenn man etwas Genaueres über die Einheit des Bewußtseins sagen will. Natürlich müßte dieses empirische Bewußtsein anders als Kants stets schon gegenständlich verstandenes empirisches Selbstbewußtsein selber ein vorgegenständliches Bewußtsein sein, aber zugleich müßte es sich dennoch als einheitliches charakterisieren lassen. Wenn, wie wir im nächsten Abschnitt zeigen wollen, die Dinge tatsächlich so liegen, so würde auch daraus noch einmal folgen, daß die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen nicht ohne weiteres, d. h. nicht ohne Zusatzannahmen aus der Einheit des Bewußtseins als bloß der durchgängigen Mir-Gehörigkeit aller meiner Vorstellungen folgt. Dann aber wäre die weitere Frage, als was — unabhängig und abweichend von den obigen expliziten Bestimmungen — Kant denn nun tatsächlich die transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins bestimmt hat, so daß für ihn der Schluß von dessen Einheit auf den kategorial strukturierten Zusammenhang aller unserer Vorstellungen so starke Uberzeugungskraft haben konnte. Denn weder allein von der numerischen Einheit noch allein von der in der Zeit sich durchhaltenden Identität des reinen Selbstbewußtseins her läßt sich, wie wir gesehen haben, die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen verständlich machen, 2 1 und auch, wenn man wie Henrich auf sehr scharfsinnige Weise die 21

Es ist in der Tat, wie Rademacher (S. 48) sagt, „nicht einzusehen, warum die Vereinigung der Vorstellungen in einem Selbstbewußtsein, dadurch sie nach Kant erst meine sind, nun das Bewußtsein von der synthetischen Einheit, d. i. das Gegenstandsbewußtsein leistet". Daß sich aber damit die tranzendentale Deduktion überhaupt erübrigt (ebd.), und zwar, weil das „Ich denke" nur bedeutet: „Ich denke bereits geleistete Gegenständlichkeit"

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Die Einheit des Selbstbewußtseins

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Kategorien als Bedingungen der Möglichkeit gerade der Aufrechterhaltung der durchgängigen Identität des Selbstbewußtseins herzuleiten sucht, so ist doch festzuhalten, daß auch dann das Kantische Dilemma bestehen bleibt: Entweder ist das reine Ich und das dazugehörige reine Selbstbewußtsein tatsächlich so bestimmt, wie es bei Kant in seinen expliziten Darlegungen der Fall ist, dann folgt aus seiner Einheit und Identität nichts im Hinblick auf die Möglichkeit oder gar Notwendigkeit der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen; oder es gibt einen solchen notwendigen Zusammenhang zwischen der Einheit des Selbstbewußtseins und der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen, aber dann handelt es sich nicht mehr um ein im Kantischen Sinne „reines" Selbstbewußtsein und dessen Einheit, sondern eigentlich um das Selbstbewußtsein eines sich je schon aus gegenständlichen Bezügen zur Welt verstehenden Ich, zu dessen Bestimmungen dann freilich das Haben von Welt mit Notwendigkeit gehört. Daß tatsächlich nur diese Alternative besteht, wollen wir im folgenden Abschnitt zeigen.

22. Die Einheit des

Selbstbewußtseins

Daß im Gegensatz zu dem für das empirische Selbstbewußtsein charakteristischen Fluß und Wechsel der Erscheinungen allein im reinen Selbstbewußtsein ein „unwandelbares" Bewußtsein vorliegt (A 107) und daß allein in der reinen Apperzeption es ein „stehendes und bleibendes Ich" geben kann (A 123), ist so eng mit Kants rationalistischen Grundüberzeugungen verknüpft, daß es sicher ganz aussichtslos gewesen wäre, mit Kant darüber zu streiten, ob es nicht neben dem einheitlichen reinen Selbstbewußtsein auch ein präreflexives empirisches und dennoch einheitliches Selbstbewußtsein geben könnte. Für Kant ist alles Empirische „an sich zerstreut" (vgl. B 133), ohne Einheit und Form, ein bloß Mannigfaltiges, das für sich allein auf immer in passivem Neben- und Außereinander verharren müßte, so daß die Vorstellung eines einheitlichen und identischen empirischen

(S. 49), folgt nur, wenn man mit Kant die Einheit des Selbstbewußtseins und die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption als miteinander identisch auffaßt. — Schon gar nicht läßt sich übrigens von der Einheit des Selbstbewußtseins her die Beziehung auf objektive Gegenständlichkeiten im wissenschaftstheoretischen Sinn verständlich machen; das zeigt sehr anschaulich Hossenfelder mit dem Hinweis darauf, daß wir aufgrund der Einheit des Selbstbewußtseins nicht nur notwendige und für jedermann gültige Urteile fällen, sondern z. B. auch Fragen stellen können, Befehle erteilen usw. (Hossenfelder 123ff., besonders 126-8).

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Apperzeption und Selbstbewußtsein

Selbstbewußtseins für Kant im Grunde gar nicht nachvollziehbar ist. Selbst der § 15 der 2. Auflage der „Kritik" („Von der Möglichkeit einer Verbindung überhaupt"), der unter dem Titel „Verbindung" doch eigentlich nur die Verbindung von Vorstellungen „im Objekt" thematisiert, 1 ist so sehr von dieser rationalistischen Grundüberzeugung getragen, daß man Mühe hat, sein eigentliches Thema unabhängig von der globalen Behauptung, daß alle Verbindung eine Verstandeshandlung sei, überhaupt rein für sich herauszuarbeiten. Wenn die Vorstellung ,Ich denke' „in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist" (B 132) und wenn sie sich in allem Wechsel der Erscheinungen und bei aller Mannigfaltigkeit unserer Vorstellungen dennoch in durchgehender Identität erhält, so kann diese Einheit — wie auch sonst alle Einheit — für Kant nur eine Verstandesleistung sein. Ohne die Spontaneität des Denkens und seine Grundbegriffe müßte die Einheit des Ich zugunsten der Vielfärbigkeit und Verschiedenheit eines dann bloß noch empirischen Ich stets wieder verlorengehen. Nur so versteht es sich, wenn Kant im Hinblick auf das reine Selbstbewußtsein sagt, daß das, „was notwendig als numerisch identisch vorgestellt werden soll", als solches nicht durch empirische Daten gedacht werden könne (A 107) oder daß die Identität des Selbstbewußtseins von bestimmten Handlungen abhängt, in denen das uns Gegebene in einen kategorialen Zusammenhang gebracht wird (A 108). So wenig ist für Kant die Einheit des reinen Selbstbewußtseins „gegeben", daß er immer wieder — aber im Grunde ohne Beweis — versichern kann, daß die Einheit des Selbstbewußtseins ein „Aktus der Spontaneität" sei und keinesfalls „als zur Sinnlichkeit gehörig angesehen werden kann" (B 132), daß sie also eine Synthesis von Vorstellungen enthalte oder doch deren Möglichkeit voraussetze (B 134) und daß sie selber nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis möglich sei (B 133). Schon rein terminologisch findet diese sehr charakteristische Position ihren Ausdruck darin, daß das reine Selbstbewußtsein von Kant eben immer wieder auch als die Vorstellung „Ich denke" bezeichnet werden kann (B 131—2). Aber dennoch trifft es in Wirklichkeit nicht zu, daß, wie Kant annimmt, die Einheit des Selbstbewußtseins nicht empirisch gegeben sein könne oder daß sie nicht zur Sinnlichkeit gehören könne. Eine ganz unbezweifelbare Einheit und Identität unseres Bewußtseins bekundet sich — und zwar vorbegrifflich und präreflexiv — schon darin, daß z.B. in meiner Angst ganz unvertretbar ich selbst in Anspruch genommen bin, daß ich, wie Heidegger sagt, gerade auch in der Befindlichkeit und Gestimmtheit 1

Vgl. oben S. 117ff.

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Die Einheit des Selbstbewußtseins

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unverwechselbar vor mich selbst gebracht bin. 2 Es gibt ein „empirisches", leibliches Bewußtsein, das vor der gegenseitigen Ablösung von Ich und Welt, von subjektivem Tun und in ihm gegebenen Gegenständen dennoch als einheitliches, identisches bestimmt ist und das seinerseits Grundlage aller erst aufgrund der Trennung möglichen Reflexion und thematischen IchZuwendung ist — und auch bleibt. 3 Bereits in diesem leiblichen, vorgegenständlichen Bewußtsein gehören alle meine Erlebnisse zusammen, bereits hier bilden sie eine Einheit, die aufgehoben würde, wenn man sich die Erlebnisse auf verschiedene Individuen verteilt vorstellen würde, und keineswegs sind in ihm die verschiedenen „Vorstellungen" zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts, wie Kant sagt. Natürlich ist es Tieren, kleinen Kindern und auch Kranken, soweit sich ihr Bewußtsein als solches vorgegenständliches empirisches Selbstbewußtsein kennzeichnen läßt, nicht möglich, diese Subjektbeziehung zu thematisieren, sie in der Reflexion eigens herauszustellen — so wie Kant diese Möglichkeit als notwendige Bedingung alles Selbstbewußtseins ansieht —, aber das spricht nicht dagegen, daß dieses dumpfe und präreflexive „Innesein", das, wie Rothacker sagt, eine „ichlose Vorform" des wachen und hellen Selbst- und Ichbewußtseins ist 4 und sich am besten als „Selbstgefühl" 5 bezeichnen läßt, dennoch ein einheitliches und identisches Bewußtsein ist. Es ist vielmehr wahrscheinlich, daß die Einheit eines gegenständlich orientierten, sich der Welt gegenüber wissenden Selbstbewußtseins ohne diese ganz ursprünglich-leibliche Identität für sich gar nicht möglich wäre, weil nämlich auch das reinste in der Reflexion gegebene Selbstbewußtsein nur ein Zu-sichselbst- kommen dieses ursprünglichen Inneseins des Bewußtseins in seiner Leiblichkeit ist. 6 Allein aus dieser Leiblichkeit leben auch wir erwachsenen Menschen zum allergrößten Teil in unserem alltäglichen Dasein. 7

2 3

4 5 6 7

Sein und Zeit 135. Auf solche tiefliegenden Schichten, die alles bewußte und gegenständlich orientierte Verhalten zur Welt tragen, weist Merleau-Ponty mit seinem Begriff der „Anonymität" des leiblichen Weltverhaltens hin; vgl. z. B. S. 2 9 3 - 4 , 406, 408. Vgl. auch Linschoten 224ff., bes. 235-40. Rothacker 79. Ebd. 80. Linschoten 237. Dieses empirische Selbstbewußtsein erscheint bei Jansohn in der Konsequenz der Kantischen Auffassung als „ungegenständliche Fassung empirischer Subjektivität" (S. 191), zu der Jansohn zu Recht das „Gewühle der Erscheinungen" zählt (S. 190); diese Subjektivität soll aber nicht real vorkommen, sondern sich nur in Relationalität zu den auf sie angewendeten Formen des reinen Verstandes als ein „bloßes Material" bestimmen lassen (S. 195).

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Apperzeption und Selbstbewußtsein

Es ist klar, daß verglichen mit diesem vorgegenständlichen und vorbegrifflichen empirischen Selbstbewußtsein, dessen Einheit die objektive Einheit der Apperzeption nicht impliziert und nicht implizieren kann, das empirische Selbstbewußtsein bei Kant gegenständliches Bewußtsein ist. Es ist aber wichtig, sich klarzumachen, daß im Grunde auch Kants reines Selbstbewußtsein, dessen transzendentale Einheit die Bedingung der Möglichkeit aller gegenständlichen Erfahrung sein soll und das deshalb bei Kant auch den objektiven, kategorial entfalteten Sinnzusammenhang aller unserer Vorstellungen impliziert, bereits gegenständliches Bewußtsein ist. Denn ganz unverkennbar zeigen gerade in ihrer erfahrungsermöglichenden Funktion und in ihrer synthetischen Einheit sowohl das reine Selbstbewußtsein als auch das reine Ich ihre Herkunft aus der ausschließlichen Orientierung der Kantischen Fragestellung an einem bereits gegenständlich orientierten Weltverhalten, in dem wir uns thematisch der Welt gegenüber finden und in dem wir diese objektivierend als „Gegenstand" unserem faktischen Ich gegenüber in Distanz halten können. 8 Das reine Ich ist insofern das Resultat einer Abstraktion, in der von allen Besonderheiten des empirischen, sich der Welt gegenüber wissenden Ich abgesehen ist, es ist als der nicht weiter bestimmbare bloße Ich-Pol, auf den alle meine nach außen und innen gewendeten Erlebnisse zugleich immer auch bezogen sein sollen, gekennzeichnet. Aber dennoch bleibt gerade im Begriff dieser Identität und Einheit, die ja mehr sein soll als bloß die des vorgegenständlichen Bewußtseins, erhalten, daß es sich hier um das Selbstbewußtsein eines sich der Welt gegenüber findenden, sich und die Welt immer schon gegenständlich verstehenden Subjekts handelt, und das auch nur als gegenständliches Subjekt eine solche Einheit des Selbstbewußtseins aufweisen kann, wie sie unmittelbar der Einheit der Welt entspricht. Es ist deshalb ganz richtig, wenn Kant sagt, daß wir uns der Einheit des reinen Selbstbewußtseins nur auf dem Wege über die synthetische Zusammenfassung des uns gegebenen Mannigfaltigen versichern können. In der Tat gilt, daß die Einheit des reinen Selbstbewußtseins unmöglich wäre, „ w e n n nicht d a s G e m ü t in der E r k e n n t n i s d e s M a n n i g f a l t i g e n sich d e r Identität der F u n k t i o n b e w u ß t w e r d e n k ö n n t e , w o d u r c h sie d a s s e l b e s y n t h e t i s c h in einer E r k e n n t n i s v e r b i n d e t " ( A 108),

denn, sagt Kant, „ d a s G e m ü t k o n n t e sich u n m ö g l i c h die Identität seiner s e l b s t in der M a n n i g f a l tigkeit seiner V o r s t e l l u n g e n und z w a r a priori d e n k e n , w e n n es nicht die Identi8

Vgl. oben Abschn. 16.

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Die Einheit des Selbstbewußtseins

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tat seiner H a n d l u n g vor Augen hätte, welche alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) einer transzendentalen Einheit unterwirft, und ihren Zusammenhang nach Regeln a priori zuerst möglich m a c h t " (A 108).

Ebenso heißt es in der 2. Auflage: „ D i e s e r Grundsatz, der notwendigen Einheit der Apperzeption, ist nun zwar selbst identisch, mithin ein analytischer Satz, erklärt aber doch eine Synthesis des in einer Anschauung gegebenen Mannigfaltigen als notwendig, ohne welche jene durchgängige Identität des Selbstbewußtseins nicht gedacht werden k a n n " (B 135).

Das ist, wie gesagt, im Hinblick auf den Begriff vom Selbstbewußtsein, von dem Kant ausgeht, deshalb ganz richtig, weil im Grunde damit nur expliziert wird, daß wir es mit der Einheit des Selbstbewußtseins eines sich der Welt immer schon gegenüber findenden und sich gegenständlich orientiert verhaltenden Subjekts zu tun haben. 9 Aber gerade deshalb ist damit auch nicht die „Notwendigkeit" der Beziehung aller unserer Vorstellungen auf Gegenstände, die sich aus der Notwendigkeit des Zusammengehörens aller unserer Vorstellungen in der Einheit und Identität eines einzigen Bewußtseins soll herleiten lassen, aufgewiesen worden. Kant ist hier über das „ganz Zufällige", daß es Erfahrung von Gegenständen gibt (vgl. A 737/ B 765) und daß dazu eine bestimmte Struktur des Selbstbewußtseins gehört, gar nicht hinausgekommen. Für die Auffassung des empirischen Bewußtseins, in dem uns nach Kant das Mannigfaltige der Erscheinungen gegeben ist (A117 Anm.) und das auch dann vorliegt, wenn ein gegenstandsorientiertes Verhalten wegen des Fehlens von Kategorien und der objektiven Einheit der Apperzeption gar nicht möglich ist, hat diese Konzeption des reinen Selbstbewußtseins weitreichende Folgen, die sich schließlich auch auf den Kantischen transzendentalphilosophischen Ansatz insgesamt auswirken müssen. Für Kant kann es nämlich ein solches nur in gegenständlicher Hinsicht, aber nicht vorgegenständlich zerstreutes empirischen Bewußtsein in der Wirklichkeit nicht geben. 1 0 Kant schließt sein reales Vorkommen ausdrücklich aus, nämlich des9

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In diesem (Kantischen) Sinne geht Wolff dann so weit zu behaupten, daß der Besitz von empirischen objektiven Erkenntnissen nicht nur aus dem Se/tobewußtsein folge, vielmehr habe die Deduktion bewiesen, „that the possession of empirical knowledge is a logical consequence of the mere fact of consciousness in general" (S. 277). Nur im Sinne dieser falschen Kantischen Auffassung kann man mit Jansohn sagen, daß ohne ein reines Selbstbewußtsein es nur ein zerstreutes Bewußtsein gäbe, „das nicht bewußt und folglich überhaupt nicht wäre . . . Sofern überhaupt etwas sein soll, ist reines begleitendes Selbstbewußtsein dazu conditio sine qua non" (S. 111—2). Vgl. auch oben S. 133 f.

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Apperzeption und Selbstbewußtsein

halb, weil eine solche kategoriale Zerstreutheit, das Nichtzusammenstehen von Vorstellungen in der objektiven Einheit des Bewußtseins für Kant auch immer das Nichtzusammengehören in der Einheit des Selbstbewußtseins bedeuten muß und damit dann überhaupt das Nichtvorkommen in einem Bewußtsein, denn Kant sieht natürlich ganz richtig, daß es ein überhaupt nicht von Selbstbewußtsein begleitetes, also ein unpersönliches und niemandem gehöriges Bewußtsein nicht geben kann. 11 Das aber heißt: für Kant gibt es nur ein faktisch empirisches Bewußtsein, nämlich ein solches, das immer schon unter Bedingungen der objektiven Einheit der Apperzeption steht (vgl. A 117 Anm.) und das deshalb dann auch als empirisches Selbstbewußtsein nur faktisch subjektive und faktisch zufällige Züge haben kann. So aber kann dann die Gegenüberstellung von empirischer und transzendentaler Einheit des Selbstbewußtseins immer auch als Gegenüberstellung in der Dimension faktischer Bestimmungen verstanden werden, und das überträgt sich aufgrund des notwendigen Zusammenhangs, der nach Kant zwischen der transzendentalen Einheit des Selbstbewußtseins und der objektiven Einheit der Apperzeption besteht, auch auf die Einheit der Apperzeption selber: auch die transzendentale Einheit der Apperzeption weist Züge faktischer Bestimmungen auf. Neben den wissenschaftstheoretischen Interessen Kants haben wir hier also ein weiteres Motiv dafür, daß die notwendige und objektive Einheit der Apperzeption von Kant zugleich immer auch in einem faktischen Sinne verstanden werden kann, so daß dagegen die kategorialen Bestimmungen nicht immer deutlich sich durchzusetzen vermögen. Wie sehr die faktischen Bestimmungen im Resultat der „Kritik", nämlich in der Formulierung und im Sinn der Grundsätze des reinen Verstandes, schließlich sogar dominieren können, wollen wir uns zum Schluß vor Augen führen, wenn wir uns im letzten Kapitel noch einmal der eigentli-

11

Zu den gerade durch diese Auffassung hervorgerufenen Unsicherheiten und Unbestimmtheiten im Kant-Verständnis gehört es, daß z. B. Paton (I 519) einerseits ganz richtig sieht, daß in der Einheit der Apperzeption auch solche Vorstellungen zusammenstehen, die nicht faktisch in einem Gegenstand zusammengehören (z. B. „when we suffer from toothache while listening to an orchestra"), daß aber andererseits dennoch das „Ich denke" eine objektive Verbindung implizieren soll, „which does not depend on my subjective states" (I 520). Vgl. auch Jansohn (S. 138) zum Unterschied zwischen Erfahrungs- und Wahrnehmungsurteilen: „ D a s reine Selbstbewußtsein ist bloß leere logische Funktion des Verbindens, bestimmte logische Funktionen sind aber nicht selbstbewußt", oder Wolff (S. 179) zum Problem von subjektiver Assoziation und objektiver Affinität: „Perceptions might enter into consciousness, yet lack all connection with one another or (nach der zugehörigen Fußnote: and hence) to my self-consciousness".

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Die Einheit des Selbstbewußtseins

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chen Kategoriendeduktion zuwenden, eben der Sicherung der objektiven Gültigkeit der Kategorien qua Wahrheit der Kategorien, was im Hinblick auf die Natur auf eine Gesetzgebung durch den reinen Verstand hinausläuft. Für uns wichtig war hier aber zunächst die Feststellung, daß in Kants transzendentaler Konzeption offenbar eine ganze Reihe von Motiven in einer Art System-Zwang zusammenwirken, gegen den das wirklich Gegebene und Aufweisbare oft gar keine Chance mehr hat, sich Gehör zu verschaffen. Am deutlichsten wird das im Fall des empirischen Bewußtseins, in dem uns ursprünglich alles Mannigfaltige unserer Vorstellungen und Erlebnisse gegeben sein muß, damit es uns überhaupt angehen und betreffen kann. Dieses empirische Bewußtsein für sich ist zweifellos, wie Kant es behauptet, zerstreut und getrennt, aber eben nur im kategorialen Sinne; das im empirischen Bewußtsein gegebene Mannigfaltige hängt nicht auf dem Weg über in ihm gemeinte Gegenstände und Sachverhalte miteinander zusammen. Indem Kant aber behauptet, daß ein solches empirisches Bewußtsein für sich gar nicht vorkommt, daß es vielmehr stets schon eine „notwendige Beziehung" auf das transzendentale Selbstbewußtsein habe, weil es sonst nicht zu einem Bewußtsein meiner selbst gehören würde (A 122), werden die kategorialen Bestimmungen notwendig in faktische umgedeutet. Insbesondere von dem reichen Phänomen des Sichfindes im empirischen Selbstbewußtsein, vom Ich-Bewußtsein selber, kann so aber nur ein sehr abstraktes und schemenhaftes Bild übrigbleiben, in dem alles das, was uns wirklich bewegt, worin wir leben, auch und vor allem in unseren gestörten oder funktionierenden Beziehungen zu den Anderen, im Grunde gar nicht mehr vorkommt, da es mit einer gegenständlichen und thematischen Selbsterfahrung nur ganz am Rande zu tun hat. 1 2

12

Kennzeichnend dafür ist Kants Charakterisierung des Ichs des reinen Selbstbewußtseins als „Ich, oder Er, oder Es (das Ding), welches denkt" (A 346/B 404), wodurch die im Begriff des Selbstbewußtseins gedachte /cAbezogenheit aller meiner Erlebnisse völlig verloren geht. U m so seltsamer ist es, daß Jansohn Schopenhauers Einwand, „daß unter der Voraussetzung des notwendigen Begleitetseins aller Vorstellungen durch das Ich denke auch die Tiere entweder denken müßten oder nicht einmal vorstellten", mit dem Hinweis gerade auf die „Ichlichkeit" des reinen Selbstbewußtseins glaubt abwehren zu können (Jansohn 112 Anm. 278).

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V. Synthesis und Naturgesetzgebung 23. Die Objektivität

der

Kategorien

Die Untersuchung der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrungs als des (intentionalen) Habens überhaupt von Welt und von Gegenständen in ihr ergibt sich für Kant im Ausgang von wissenschaftstheoretischen Fragestellungen, und wir haben immer wieder beobachten können, wie der dabei von Kant festgehaltene wissenschaftstheoretische Rahmen faktisch die Randbedingungen vorgibt, denen jede mögliche Lösung des Problems der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen genügen muß. Deshalb die Äquivokationen in Kants Terminologie und deshalb auch Kants Neigung, das Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung nur dort zu freier Entfaltung gelangen zu lassen, wo sich nicht Kollisionen mit den wissenschaftstheoretischen Forderungen und dem wissenschaftstheoretischen Interesse an der Gewinnung von wahren, faktisch objektiven Erkenntnissen ergeben. Wir sind bisher dennoch vor allem nur den kategorialen Ansätzen der Kantischen Gesamtkonzeption nachgegangen und haben in erster Linie aufzuzeigen gesucht, wie sich die Frage nach der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen im Rahmen von Kants kategorialer Synthesis-Lehre artikuliert. Zum Schluß wollen wir uns jetzt aber noch einmal mit der Frage beschäftigen, wie die beiden Ansätze sich in ihren Resultaten zueinander verhalten, und hier insbesondere auf das Problem eingehen, ob die SynthesisTheorie tatsächlich gewisse wissenschaftstheoretische Resultate, zu denen Kant gelangt, stützt oder nicht und welche Umdeutungen der kategorialen Ergebnisse erforderlich sind, damit wenigstens der Anschein des Zusammengehörens beider Ansätze zustandekommt. Indem wir zeigen, daß Kant mit seinen wissenschaftstheoretischen Sätzen in Widerstreit gerät mit den Ergebnissen der kategorialen Synthesis-Untersuchung, wollen wir also auch direkt aus der „Kritik der reinen Vernunft" selber Kriterien für die objektive Beurteilung der hier insgesamt vorgeschlagenen Interpretation von Kants Synthesis-Theorie zu gewinnen suchen.

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Die Objektivität der Kategorien

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Wie sich gezeigt hat, beruht der Gegensatz der beiden Ansätze der „Kritik der reinen Vernunft" darauf, daß die ursprünglich ausschließlich als faktische Bestimmung aufgefaßte Notwendigkeit und Objektivität von Vorstellungen und Erkenntnissen von Kant auch als kategoriale Bestimmung aufgefaßt wird, wobei freilich die faktischen Bedeutungen erhalten bleiben und je nach Bedarf wieder aktualisiert werden können. Im großen und ganzen werden dabei die faktischen Bestimmungen in der 2. Auflage vielleicht etwas weniger betont als in der 1. Auflage, aber sie bleiben auch hier deutlich greifbar, und zwar selbst dort, w o nach dem gesamten Ansatz bei der Frage nach der Möglichkeit der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen man sie eigentlich gerade nicht erwarten würde. Das ist der Fall bei der „Erklärung" der Kategorien B 128, wonach sie „Begriffe von einem Gegenstand überhaupt (sind), dadurch dessen A n schauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu Urteilen als bestimmt angesehen wird." Das ließe sich in Ubereinstimmung mit der tatsächlichen Leistung der Kategorien so verstehen, daß die Kategorien jene Hinsichten sind, unter denen Anschauungen zuallererst als auch in gegenständlicher Hinsicht miteinander zusammenhängend aufgefaßt werden können. Durch die Kategorien würden sie also nur überhaupt auf Gegenstände bezogen sein, so daß dann aufgrund der dadurch möglichen Erfahrungserkenntnis entschieden werden kann, welcher bestimmte gegenständliche Zusammenhang in concreto vorliegt, z . B . das Verhältnis von Substanz und Akzidenz. Bei Kant jedoch, der die Kategorien in der metaphysischen Deduktion aus der Urteilstafel herleitet und der sie eben aus diesem Grunde nicht leicht als Alternativen von Grundbegriffen auffassen kann, sieht es so aus, als wenn bereits die Kategorien selber vorschreiben, welche faktischen Verhältnisse vorliegen. So soll es, wie gesagt, beim bloß „logischen Gebrauch" des Verstandes uns freistehen, entweder Körper oder Teilbarkeit als Subjekt eines kategorischen Urteils, das diese beiden Prädikate miteinander verbindet, aufzufassen. Dagegen würde dann durch die Kategorie der Substanz „bestimmt" oder festgelegt, daß die empirische Anschauung eines Körpers „immer nur als Subjekt, niemals als bloßes Prädikat betrachtet werden müsse" (B 129). Kant fügt hier zwar hinzu, dies gelte nur unter der Bedingung, daß man den Begriff des Körpers unter die Substanzkategorie „bringe", aber er kann nicht gut meinen, daß das seinerseits nach Belieben geschehen kann, weil dann der Unterschied zum „logischen" Verstandesgebrauch ja wieder verloren gehen würde. Als Resultat bleibt dann aber ste-

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Synthesis und Naturgesetzgebung

hen, daß die Kategorien über das Vorliegen von faktischen Zusammenhängen entscheiden würden, im Widerspruch zu allen jenen Erkenntnissen, die sich ebenfalls bei Kant finden, wonach das Zusammenstehen unserer Vorstellungen in der objektiven Einheit der Apperzeption es bloß gestattet, anderweitig gegebene (oder auch vom Subjekt hergestellte) 1 faktische Zusammenhänge nur überhaupt als Ausdruck und als Bestimmungen von Sachverhalten anzusehen. Danach würde die Substanzkategorie keineswegs darüber „bestimmen" können, was als Subjekt und was als Prädikat eines Satzes zu betrachten sei, ja sie würde noch nicht einmal „bestimmen" können, daß hier überhaupt gerade ein Subjekt-Prädikat-Verhältnis vorliegt. Vielmehr würde durch sie nur die Möglichkeit eröffnet, je nach den Umständen ein substanzielles oder kausales Verhältnis oder bloß ein Nebeneinander von Sachverhalten oder Sachverhaltseigenschaften zu konstatieren, wodurch zuallererst ja überhaupt eine Gegenstands- und Sachverhaltsbestimmung möglich wäre — im Gegensatz zu einem Konstatieren bloß faktischer Zusammenhangsverhältnisse auf der Ebene der Vorstellungen selber. Zweifellos ist dies auch der Sinn von Kants Synthesis-Untersuchungen, aber es ist eben nicht der einzige, und deshalb gibt es immer wieder jene Dunkelheiten, die für die Kategorien-Deduktion insgesamt bezeichnend sind. Dabei treten in der 2. Auflage, wie gesagt, die faktischen Bestimmungen sogar noch relativ zurück, denn gerade hier kommt Kant der expliziten Unterscheidung zwischen faktischer und kategorialer Notwendigkeit besonders nahe, 2 so daß man u. U . erwarten könnte, daß dr hier überhaupt auf die Behauptung der faktischen Notwendigkeit der Kategorien verzichten würde. Wie sich aber gerade an den von Kant gegebenen Beispielen zeigen läßt, tut er dies keineswegs. So soll die Wahrnehmung des Gefrierens von Wasser (B 162—3), d . h . die Apprehension der aufeinander folgenden Zustände der Flüssigkeit und Festigkeit von Wasser und ihre Zusammenfassung in einer Anschauung, deshalb unter dem Begriffe des Verhältnisses der Wirkung und Ursache stehen, weil ohne das „jene Relation nicht in einer Anschauung bestimmt (in Ansehung der Zeitfolge) gegeben werden könnte" (B 163). Vom Resultat her, nämlich der Annahme, daß hier die wahre und zutreffende Erkenntnis des Gefrierens von Wasser vorliegt, ist diese Argumentation sicher zutref-

1

2

Vgl. oben S. 118. Kants Synthesis-Theorie ist, wie bereits mehrfach erwähnt, unabhängig von seiner These, daß auch faktische Zusammenhänge von uns gemacht sind. Vgl. oben Abschn. 11.

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Die Objektivität der Kategorien

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fend, 3 aber man muß dabei festhalten, daß die Wahrnehmung des Gefrierens von Wasser nicht anders unter der Kategorie der Kausalität steht als etwa die Wahrnehmung, daß auf das Ins-Schloß-Fallen der Tür zufällig das Licht ausgeht. Im Hinblick bloß auf die objektive Einheit der Apperzeption und die Kategorien kann es zwischen beiden Fällen keinen Unterschied geben, denn die kategoriale Notwendigkeit des Zusammengehörens von Vorstellungen hat mit der faktischen Zufälligkeit und faktischen Notwendigkeit des Zusammengehörens von objektiven Ereignissen und Zuständen gar nichts zu tun; sie ermöglicht vielmehr eine gegenständliche Erkenntnis in beiden Fällen auf durchaus gleiche Weise. Dennoch aber kann man Kant hier nicht gut anders verstehen als so, daß er wenigstens auch sagen wollte, daß das Nacheinander von Zuständen stets unter der Kategorie der Kausalität steht. In der 2. Auflage ist genau dies als Grundsatz des reinen Verstandes ja auch ausdrücklich so ausgesprochen. Ob es auch hier an der Stelle B 162—3 umstandslos im gleichen Sinne gemeint ist, ist vielleicht nicht mit Sicherheit zu entscheiden, jedoch geht die Tendenz zweifellos in die angedeutete Richtung. Jedenfalls bestimmt Kant auch in der Neufassung der Kategoriendeduktion die Kategorien als Begriffe, die der Natur Gesetze a priori vorschreiben (B 163), und er faßt die in ihnen allen und speziell die in der Kausalitätskategorie gedachte Notwendigkeit durchaus auch als faktische Notwendigkeit auf (vgl. B 168). Dennoch ist es auffällig, wie diese faktischen Implikationen — verglichen mit der 1. Auflage — hier eher nur angedeutet sind, denn in der 1. Auflage steht die faktische Naturgesetzgebung nun wirklich ganz massiv im Vordergrund der Kategoriendeduktion, und immer wieder wird es hier geradezu als das eigentliche Ziel der Deduktion bezeichnet, den Nachweis dieser Naturgesetzgebung des reinen Verstandes zu erbringen. Wir haben oben S. 102 bereits darauf hingewiesen, daß Kant hier bei aller Formalität die objektive Einheit der Apperzeption doch auch als faktisch notwendigen Zusammenhang der Erscheinungen auffaßt, als objektive Affinität, die die Regelmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen garantiert und die insofern auch objektiver Grund aller faktisch funktionierenden Assoziationen ist. Das ist in der Deduktion der 1. Auflage streckenweise geradezu thematisch, so A 100ff., wo neben dem intentionalen Gegenstandsbegriff

3

Es liegen hier wieder dieselben Verhältnisse vor wie bei Kants Charakterisierung der Synthesis der Rekognition durch bestimmte Begriffe, nämlich solche, die sich beim Ausgehen vom Resultat wahrer Erkenntnisse ergeben. Gerade darin liegt die Gefahr, transzendentale Bestimmungen in faktische umzudeuten, vgl. oben S. 187ff.

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Synthesis und Naturgesetzgebung

auch eine Auffassung vom Gegenstand eine entscheidende Rolle spielt, wonach dieser das (vor allem auch in Hinblick auf seine gesetzmäßigen Zusammenhänge mit anderen Gegenständen) vollständig erkannte Objekt ist. Hier ist der Gegenstand tatsächlich auch immer dasjenige, dessen Begriff einen bestimmten Zusammenhang von Erscheinungen faktisch notwendig „ m a c h t " , so daß aufgrund dessen auch die Kategorien Ausdruck von faktisch notwendigen Zusammenhängen sind, die ihrerseits die Voraussetzung dafür bilden, daß unsere Wahrnehmungen im durchgängigen und gesetzmäßigen Zusammenhang einer einzigen allumfassenden Erfahrung stehen (vgl. A 1 1 0 , A 1 1 2 , A 127). Ohne dergleichen Einheit, sagt Kant, „ w ü r d e durchgängige und allgemeine, mithin notwendige Einheit des Bewußtseins, in dem Mannigfaltigen der Wahrnehmungen, nicht angetroffen werden. Diese würden aber alsdann auch zu keiner Erfahrung gehören, folglich ohne Objekt, und nichts als ein blindes Spiel der Vorstellungen, d. i. weniger, als ein Traum sein" (A 112).

D a die Gegenstandsbeziehung hier voraussetzt, daß objektive Gegenstände nur dasjenige sind, was in gesetzmäßigen Zusammenhängen steht, faßt Kant die objektive Einheit der Apperzeption als den Grund dafür auf, daß alle Erscheinungen „in einer durchgängigen Verknüpfung nach notwendigen Gesetzen" stehen (A 113—4). Deshalb hat die Synthesis-Lehre dann auch zum Resultat, „daß die Natur sich nach unserem subjektiven Grunde der Apperzeption (richtet), ja gar davon in Ansehung ihrer Gesetzmäßigkeit (abhängt)" (A 114), und daß die Natur gerade, was ihren faktisch notwendigen Zusammenhang angeht, der Gesetzgebung des Verstandes unterliegt (A114). Kant sagt: „ D i e Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch darin nicht finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hineingelegt" (A 125).

Danach wäre also tatsächlich der Verstand der „ Q u e l l der Gesetze der N a t u r " (A 127). Zwar betont Kant wiederholt, daß der Verstand durch seine Gesetze die Natur und die Erfahrung nur ihrer Form nach möglich macht (A 128) und daß er der Natur keineswegs empirische Gesetze vorschreibe (A 127, vgl. B 165), aber dennoch ist die „ F o r m " , von der Kant hier spricht, doch so wenig bloß formal, daß durch die Einheit der Apperzeption als objektiven Grund der Assoziation sogar Irregularitäten von der A 100—1 beschriebenen Art ausgeschlossen sein sollen. Es ist auffällig, wie sehr alle diese Ergebnisse jenen wissenschaftstheoretischen Forderungen entsprechen, unter denen Kant die Untersuchung der

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Das Problem der Gegenstandsbeziehung in den Grundsätzen

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Kategorien als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung ja allererst in Angriff genommen hatte. Allerdings ist auch klar, daß diese Ergebnisse durch Kants Überlegungen zur ursprünglichen objektiven Einheit der Apperzeption als Bedingung der Möglichkeit nur der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen nicht mehr gedeckt sind. Ermöglicht werden sie eigentlich nur dadurch, daß hier überall die für Kants Synthesis-Untersuchungen wichtigen kategorialen Bestimmungen der N o t wendigkeit und Objektivität von Vorstellungsverbindungen in faktische umgedeutet werden, denn nur so läßt sich Kants transzendentale SynthesisTheorie überhaupt für die Sicherung der wissenschaftstheoretischen Ziele fruchtbar machen. 4 Das gilt natürlich vor allem auch für die Grundsätze des reinen Verstandes, zugleich erklärt es aber auch, weshalb sich gerade im Kapitel über die Grundsätze, wo der Gesichtspunkt der bloß intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer empirischen Vorstellungen gegenüber dem Problem der Gültigkeit und Wahrheit von reinen Verstandesbegriffen und der „Naturgesetzgebung" des reinen Verstandes doch völlig zurückgedrängt sein sollte, dennoch immer wieder deutliche Spuren von Kants Synthesis-Theorie finden. Diesen Spuren wollen wir jetzt zum Schluß noch nachgehen und dabei auch zu einer kritischen abschließenden Beurteilung von Kants Lehre von den „Grundsätzen des reinen Verstandes" und des ihr zugrundeliegenden transzendental-idealistischen Ansatzes zu gelangen suchen.

24. Das Problem der Gegenstandsbeziehung in den Grundsätzen des reinen Verstandes Daß Kant die Naturgesetzgebung durch den Verstand für mehr hält als bloß die Bereitstellung eines formalen Rahmens, innerhalb dessen allererst gefragt und dann in empirischen Erfahrungskenntnissen u . U . auch festgestellt werden kann, ob irgendwo gesetzmäßige oder bloß zufällige objektive Verhältnisse vorliegen, ergibt sich unmittelbar schon daraus, daß Kant die Möglichkeit einer solchen Naturgesetzgebung immer wieder mit dem Hinweis auf den bloßen Vorstellungscharakter der Gegenstände glaubt erklären 4

Daß Kants wissenschaftstheoretisches Programm für sich nicht durchführbar ist, hat zuletzt Hossenfelder gezeigt. Indirekt stützt seine Arbeit unser Ergebnis (daß nämlich nur der eigentlich kategoriale Ansatz bei der Frage der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen sich fruchtbar entfalten läßt) dadurch, daß sie bei der Widerlegung Kants auf diesen kategorialen Ansatz überhaupt nicht eingeht.

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Synthesis und Naturgesetzgebung

z u k ö n n e n . 1 S o heißt es A 127 z u r B e g r ü n d u n g d a f ü r , d a ß d i e r e i n e n G e s e t z e „ d e n E r s c h e i n u n g e n ihre G e s e t z m ä ß i g k e i t v e r s c h a f f e n " ( A 126): „ D e n n Erscheinungen können, als solche, nicht außer uns stattfinden, sondern existieren nur in unserer Sinnlichkeit", u n d i m s e l b e n S i n n e d r ü c k t s i c h K a n t a u c h a n d e r Stelle A 1 1 4 a u s : „ D a ß die N a t u r sich nach unserem subjektiven G r u n d e der Apperzeption richten, ja gar davon in Ansehung ihrer Gesetzmäßigkeit abhängen solle, lautet wohl sehr widersinnig und befremdlich. Bedenkt man aber, daß diese N a t u r an sich nichts als ein Inbegriff von Erscheinungen, mithin kein Ding an sich, sondern bloß eine Menge von Vorstellungen des Gemüts sei, so wird man sich nicht wundern, sie bloß in dem Radikalvermögen aller unserer Erkenntnisse, nämlich der transzendentalen Apperzeption, in derjenigen Einheit z u sehen, um derentwillen allein sie O b j e k t aller möglichen Erfahrung, d. i. N a t u r heißen kann; und daß wir auch eben darum diese Einheit a priori, mithin auch als notwendig erkennen können, welches wir wohl müßten unterwegs lassen, wäre sie unabhängig von den ersten Q u e l l e n unseres Denkens an sich g e g e b e n . " 2 S c h l i e ß l i c h heißt es a u c h B 164: „ D e n n Gesetze existieren ebensowenig in den Erscheinungen, sondern nur relativ auf das Subjekt, dem die Erscheinungen inhärieren, sofern es Verstand hat, als Erscheinungen nicht an sich existieren, sondern nur relativ auf dasselbe Wesen, sofern es Sinne hat. Dingen an sich selbst würde ihre Gesetzmäßigkeit notwendig, auch außer einem Verstände, der sie erkennt, z u k o m m e n . Allein E r scheinungen sind nur Vorstellungen von Dingen, die, nach dem, was sie an sich sein mögen, unerkannt'da sind. Als bloße Vorstellungen aber stehen sie unter gar keinem Gesetze der Verknüpfung, als demjenigen, welches das verknüpfende Vermögen vorschreibt". D i e F o l g e d i e s e r A u f f a s s u n g ist es z . B . , d a ß t r o t z aller H i n w e i s e K a n t s d a r a u f , d a ß d i e b e s o n d e r e n empirischen

G e s e t z e nicht v o n der ursprüngli-

chen Einheit der A p p e r z e p t i o n abgeleitet werden k ö n n e n , innerhalb des Kantischen Systems das Verhältnis der empirischen G e s e t z e zur Einheit der A p p e r z e p t i o n d e n n o c h u n k l a r b l e i b e n m u ß . E i n e r s e i t s ist K a n t d e r M e i n u n g , d a ß alle V e r b i n d u n g , wie s i e z . B . a u c h in e m p i r i s c h e n G e s e t z e n v o r liegt, eine V e r s t a n d e s h a n d l u n g ist, letztlich also auf b e s t i m m t e transzend e n t a l e L e i s t u n g e n z u r ü c k g e h t . 3 A b e r z u g l e i c h k a n n es n a t ü r l i c h e r n s t h a f t u n d d u r c h g ä n g i g K a n t s Ü b e r z e u g u n g s e i n , d a ß alle

1 2

3

nicht

Besonderhei-

Vgl. oben S. 102, 115f. Vgl. auch Kants „Summarische Vorstellung der Richtigkeit und einzigen Möglichkeit dieser Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" A 128—30. Vgl. oben S. 116f.

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Das Problem der Gegenstandsbeziehung in den Grundsätzen

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ten und Eigentümlichkeiten unserer Welt das Resultat von bestimmten subjektiven u n d zudem transzendentalen Verbindungshandlungen seien. U m beides wenigstens streckenweise zum Ausgleich zu bringen, wäre es erforderlich, daß zumindest einige, wenn auch sehr allgemeine faktische Bestimmungen der Wirklichkeit sich als kategoriale auffassen ließen. Das ist nun in der Tat genau Kants Meinung. Kant begreift bestimmte kategoriale Bestimmungen zugleich als faktische, und nur so kann er zum System der Grundsätze gelangen, in denen sich die Naturgesetzgebung des reinen Verstandes ausspricht; freilich bleibt so das Problem der besonderen empirischen Gesetze weiter ungelöst. Im Hinblick auf die Grundsätze w i r d Kants Lösung nun ganz offensichtlich erleichtert durch seinen transzendentalen Idealismus, also die A u f fassung, daß w i r es in der Erkenntnis statt mit der Wirklichkeit, w i e sie an sich ist, letztlich immer nur mit unseren Vorstellungen zu tun haben, die als solche, w a s ihre Verbindung angeht, nur jenen Gesetzen unterworfen seien, die ihnen der Verstand als verknüpfendes Vermögen vorschreibt. Diese Konzeption m u ß Kant schon im Hinblick auf die Objektivität der Erkenntnis in Schwierigkeiten bringen; eine Hauptschwierigkeit besteht aber auch darin, daß w i e so oft bei Kant auch hier wieder faktische und kategoriale Bestimmungen nicht genügend deutlich voneinander unterschieden sind. Der R e k u r s auf den Erscheinungscharakter der uns gegebenen Wirklichkeit macht nämlich den Unterschied zwischen faktischen und kategorialen Bestimmungen nicht hinfällig. Auch im Hinblick auf Erscheinungen können faktische Verbindungen gegeben (oder auch „gemacht") sein, ohne daß schon allein deshalb die Erscheinungen als Vorstellungen auch auf Gegenstände bezogen sein müßten. Die Gegenstandsbeziehung erhalten sie vielmehr erst dadurch, daß sie kategorial miteinander verbunden sind. Aber für Kant ist es wichtig, dieses beides als im wesentlichen Identisches aufzufassen, nur so kann er überhaupt den Anspruch aufrechterhalten, entgegen H u m e die Gültigkeit von inhaltlich näher bestimmten synthetischen Grundsätzen des reinen Verstandes gezeigt zu haben, in denen faktisch notwendige Verhältnisse, w i e sie in der Wirklichkeit bestehen, zum A u s d r u c k kommen. So hängt die faktische Form, in der Kants Transzendentalphilosophie in der „Kritik der reinen V e r n u n f t " realisiert ist, entscheidend auch von Kants transzendentalem Idealismus ab. W i r haben aber bereits oben gezeigt — und werden darauf noch einmal zurückkommen —, daß das für die kategoriale Synthesis-Lehre gerade nicht gilt. Geht man nun im einzelnen auf die Grundsätze des reinen Verstandes näher ein, so ist zunächst auffällig, w i e unterschiedlich Kant bei ihrem Be-

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weis auf die Ergebnisse der Synthesis-Lehre der Kategorien-Deduktion Bezug nimmt. Das geht so weit, daß in einem Fall, nämlich bei den „Antizipationen der Wahrnehmung", ein Zusammenhang mit der kategorialen Synthesis-Problematik offenbar überhaupt nicht mehr vorliegt. Kant will hier zeigen, daß das Reale in der Empfindung stets einen von Null verschiedenen intensiven Grad hat (A 172/B 214) und daß man deshalb entgegen dem Atomismus die verschiedene Quantität der Materie bei gleichem extensivem Volumen auch anders als nur durch die Annahme eines leeren Raumes erklären könne (A 174/B 215 —6). 4 I m Beweis dafür geht Kant zwar von einer „Synthesis" aus, nämlich von der Größenerzeugung einer Empfindung (B 208), aber das hat gar nichts mit der in der Kategoriendeduktion herausgearbeiteten ursprünglichen objektiven Einheit der Apperzeption zu tun; der Beweis beruht vielmehr allein darauf, daß jede Empfindung ihrem Realen nach einen von Null verschiedenen Grad haben soll (B 208). Kants Interesse an der Gewinnung von sachhaltigen apriorischen Einsichten führt hier zu einem Sprechen von Synthesis, das sich gar nicht mehr von seinen kategorialen Untersuchungen her verständlich machen läßt. Das ist — wenn auch nicht so augenfällig sichtbar — auch bei den „Axiomen der Anschauung" der Fall. Auch hier geht Kant davon aus, daß die Wahrnehmungen — und zwar jetzt ihrer zeitlichen Extension nach — zusammengesetzt sind. Gezeigt werden soll damit erstens, daß in der empirischen Anschauung alle Erscheinungen als „Aggregate (Mengen vorher gegebener Teile)" gegeben seien und daß sie deshalb als extensive Größen „nur durch die sukzessive Synthesis (von Teil zu Teil) in der Apprehension erkannt werden" könnten (A 163/B 204), und zweitens, daß genau deshalb auf sie die reine Mathematik „in ihrer ganzen Präzision" anwendbar sei (A 165/B 206). Die in Beziehung auf die reine Anschauung des Raumes gewonnenen Einsichten sollen „ohne Widerrede" also unmittelbar auch für die Gegenstände der empirischen Anschauung gelten, z . B . daß diese „den Regeln der Konstruktion im Raum ( z . B . der unendlichen Teilbarkeit der Linien oder Winkel) gemäß sein" müssen (ebd.). Der Beweis für diesen sehr weitgehenden Satz stützt sich auf die These, daß die Erscheinungen in der Anschauung das Resultat von Synthesen seien, durch die das gegebene Mannigfaltige von Einzelempfindungen allererst zu einer einzigen, anschaulich erfüllten Gesamtanschauung zusammengesetzt würde. O b das der Fall ist, ist letztlich aber wohl eine empirische Frage, und wenn hier immerhin von einer Synthesis von Vorstellungen die Rede ist, so ist doch 4

Vgl. MAGdN A 101 ff.

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auch klar, daß es hier nicht um die kategoriale Zusammenfügung von Wahrnehmungen oder Vorstellungen geht, die als solche in gegenständlicher Hinsicht bloß zerstreut und isoliert voneinander wären, wenn sie nicht durch eine ursprüngliche Synthesis zur durchgängigen Einheit der Apperzeption gebracht wären. Eigentlich kategoriale Motive sucht man hier vergeblich. Sie finden sich dafür aber in den „Analogien der Erfahrung", in denen ausdrücklich die ursprüngliche Einheit der Apperzeption als Beweisprinzip für bestimmte Grundsätze des reinen Verstandes in Anspruch genommen ist — übrigens für sehr unterschiedliche und heterogene Aussagen. So formuliert Kant in der 1. Analogie z. B. einen Erhaltungssatz für die „Substanz in der Erscheinung" (B 224, 225), und er will damit zugleich auch gezeigt haben, daß überhaupt in allen Erscheinungen etwas Beharrliches sei, „an welchem das Wandelbare nichts als Bestimmung seines Daseins ist" (A 184/B 227). Weiter soll hier bewiesen sein, daß neue Dinge der Substanz nach nicht entstehen können (A 186/B 229) oder daß eine leere Zeit nicht wahrgenommen werden könne (A 188/B231, A 192/B237). In der 2. Analogie will Kant zeigen, daß die Gegenstände in ihrer Folge faktisch-notwendigen Regeln unterliegen (A201/B246), was aus Gründen der Einheit der Erfahrung dann auch die Möglichkeit einer Schöpfung ausschließen soll (A206/ B251); in der 3. Analogie schließlich ist behauptet, daß alles Zugleichsein der Gegenstände ein wechselseitiges, faktisch notwendiges Zusammenhängen nach dem Kausalgesetz voraussetze (B256, A213/B260). Das sind hinsichtlich ihrer Wahrheit in der Mehrzahl sehr zweifelhafte Behauptungen. Daß die leere Zeit oder der leere Raum (A 214/B 261) nicht wahrnehmbar seien, ist zumindest problematisch; sowohl die Stille als leere Zeit als auch räumliche Leere können als höchst aufdringlich wahrgenommen werden, s und weshalb es aus Gründen der Einheit der Apperzeption nicht Schöpfungen geben soll, durch die lokal oder global die Welt unstetig ihre vertraute Physiognomie verändern würde, ist nur schwer einzusehen. Derjenige, der eine solche Schöpfung erlebte, müßte darüber nicht notwendig sprachlos werden, so daß er von einem solchen außerordentlichen Ereignis dann nicht einmal mehr Kunde geben könnte. 6 Natürlich treffen die 5 6

Vgl. Straus 112; Metzger 24, 151. Vgl. auch Strawson, Bounds of Sense 130, der im Hinblick auf das von Kant für unmöglich erklärte Vergehen und Entstehen von Substanzen treffend sagt: „But whatever we understand by .substances', it seems obvious that Our conceptual scheme (or myths) could allow for the endings and beginnings of existence of particular items of any class, however conceived, without destroying our grasp of the continuing unity and identity of the spatio-temporal frame-work of the world to which those items belong."

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sich gegen solche sachhaltigen Äußerungen Kants richtenden Einwände nicht den kategorialen Kern der Kantischen Analogien, aber es ist doch symptomatisch, daß man zum Zweck der Widerlegung von bestimmten synthetischen Urteilen a priori hier überhaupt auf empirische Verhältnisse, die damit nicht in Ubereinstimmung sind, hinweisen kann. Zweifellos ist hier von Kant viel mehr behauptet, als sich allein aus kategorial-transzendentalen Gründen einsichtig machen läßt, und das liegt schließlich wiederum vor allem daran, daß Kant die kategorialen Bestimmungen der ursprünglichen Einheit der Apperzeption immer auch als faktische auffaßt. Dabei ist es auch hier wiederum kennzeichnend für den Standpunkt der 2. Auflage, daß deren Zusätze im Grunde sehr viel näher bei der kategorialen Auffassung bleiben als der ursprüngliche Text. So geht der allen drei Analogien vorausgeschickte allgemeine Beweis der 2. Auflage (B 218—9) in Ubereinstimmung mit Kants kategorialen Untersuchungen davon aus, daß Erfahrung die empirische Erkenntnis von Objekten ist, d.h. daß sie auf einer „notwendigen" Synthesis beruht, die in den Sinnen selbst nicht enthalten sei, da, wie Kant sagt, „ i n der Erfahrung die Wahrnehmungen nur zufälligerweise zueinander (kommen), so daß keine Notwendigkeit ihrer Verknüpfung aus den Wahrnehmungen selbst erhellt, noch erhellen kann, weil Apprehension nur eine Zusammenstellung des Mannigfaltigen der empirischen Anschauung (ist), aber keine Vorstellung von der N o t w e n d i g k e i t der verbundenen Existenz der Erscheinungen, die sie zusammenstellt, im R a u m und Zeit in derselben angetroffen w i r d " (B 219).

Für die Erkenntnis der objektiven, für die Gegenstände selber gültigen Verhältnisse ist also — da nach Kant die (objektive) Zeit selbst nicht wahrgenommen werden kann — eine Verbindung durch ,,a priori verknüpfende Begriffe" erforderlich. Diese sind es nun, die dabei ihre „Notwendigkeit" auf die Wahrnehmungen und ihren Zusammenhang übertragen, und damit ergibt sich als Prinzip der Analogien: „ E r f a h r u n g ist nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen m ö g l i c h " ( B 2 1 8 ) .

Wenn man unter Notwendigkeit hier die entsprechende kategoriale Bestimmung verstehen dürfte, so würde das genau mit Kants Lehre übereinstimmen, daß unsere Vorstellungen (intentionale) Gegenstandsbeziehung allein durch ihr Zusammenstehen in der ursprünglichen und objektiven Einheit der Apperzeption haben können, und in der Tat ist es auch ganz richtig, daß objektive Zeitverhältnisse, ja überhaupt objektive Sachverhältnisse zusammen mit Gegenständen, zwischen denen solche Verhältnisse be-

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stehen, ohne das kategorial notwendige Zusammengehören unserer Vorstellungen für uns nicht einmal vermeinbar wären. Jedoch kommt man mit dem Versuch, im Prinzip der Analogien die „Notwendigkeit" der Verknüpfung von Wahrnehmungen konsequent und ausschließlich als kategoriale Bestimmung festzuhalten, nicht durch den Text. Der Gesamtzusammenhang zwingt vielmehr zu der Auffassung, daß schon in B216 gar nicht ein kategoriales Prinzip genannt ist, sondern ein ganz anderes, nämlich das, das sich aus der Umdeutung eines kategorialen Satzes in eine Faktisches betreffende Aussage ergibt. Im Hinblick auf die erste Analogie führt das dazu, daß hier das für das Problem der Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen Allerwichtigste, nämlich die Möglichkeit der Unterscheidung überhaupt zwischen etwas Beharrendem und seinen wechselnden Eigenschaften, von Kant wie etwas ganz Selbstverständliches einfach vorausgesetzt ist. Auf dem Boden dieser Voraussetzung wird nur noch das Problem untersucht, in welchem Sinne die Bestimmung von objektiven Zeitverhältnissen als Bezugspunkt ein Bleibendes und Beharrendes erforderlich macht, an dem das Dasein in der sukzessiven Folge seines Anhebens und Verschwindens sich überhaupt zu so etwas wie Dauer aufsummieren kann (vgl. A 183/B 226). Statt sich mit der Frage zu beschäftigen, welches die Bedingungen dafür sind, daß wir hinsichtlich der Zeit überhaupt von objektiven, d. h. die Gegenstände betreffenden Verhältnissen des Zugleich und Nacheinander sprechen können, geht es Kant hier sogleich um die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit wir zwischen objektiver Gleichzeitigkeit und objektivem Nacheinander unterscheiden können (vgl. A182/B225). Darin ist als Sinnvoraussetzung zwar impliziert, daß objektive Zeitverhältnisse uns zugänglich sind, aber dennoch werden dadurch die Akzente insgesamt so verschoben, daß das kategoriale Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen darüber ziemlich unkenntlich wird. Das läßt sich besonders gut an Kants Rede von einer Mehrheit von Zeiten verdeutlichen, die allein durch die Existenz einer beharrenden Substanz ausgeschlossen sein soll. In der Tat kann man im Rahmen der Frage nach der möglichen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen z.B. darauf hinweisen, daß gerade die Erarbeitung einer einzigen und singulären Zeit das Kennzeichen dafür ist, daß wir überhaupt von objektiven Zeitverhältnissen sprechen können; dagegen ist für die subjektive Zeit charakteristisch, daß sie sich gleichsam als eine Vielzahl von „Zeiten" präsentiert, nämlich deshalb, weil hier die eine, von unserem eigenen Tun losgelöste objektive Welt als das Substrat aller objektiven Zeitbestimmungen noch nicht ver-

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meinbar ist. 7 Diese Gegenüberstellung von singulärer objektiver Zeit und mehreren subjektiven Zeiten kann man nun aber nicht, wie Kant es tut, dazu verwenden, um die Unmöglichkeit des Vergehens oder Entstehens von Substanzen zu zeigen (vgl. A 188 ff./B 231f.), denn nur die eine, gemeinsame objektive Zeit macht ja überhaupt erst ein sinnvolles Sprechen von einem Vergehen oder Entstehen von Substanzen möglich. Ohne die objektive Zeit wäre ein Gegenständliches, das vergehen oder entstehen könnte, nicht vermeinbar; aber wenn man eine objektive Zeit hat, ist andererseits nicht einzusehen, weshalb das Vergehen einer Substanz nicht in ihr datierbar sein sollte. Wenn es in der Tat — worauf Kant mit Recht besteht — darauf ankommt, daß man für objektive Zeitmessungen eine sich erhaltende, beharrende „ U h r " hat, so hindert nichts, beim Verlust einer Uhr eine andere, neue zu nehmen, die mit der ersten synchronisiert werden kann. An Punkten wie diesem wird sehr deutlich, wie auch in den Analogien wiederum die beiden Gesichtspunkte zugleich zum Zuge kommen, von denen bisher die Rede war, und zwar auch hier so, daß die wirklich interessanten erkenntnistheoretischen Probleme im Grunde allein durch die Frage nach der möglichen intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen aufgeworfen werden; der Versuch, die so gewonnenen Ergebnisse auch für die Herleitung von inhaltlich näher bestimmten Sätzen nutzbar zu machen, würde ohne den kategorialen Ansatz vollkommen in der Luft hängen. In der Tat steht das Problem einer Mehrheit von Zeiten in allerengstem Zusammenhang mit den kategorialen Problemen der Erfahrungsermöglichung; aber Kants wissenschaftstheoretisches Interesse an der Gewinnung von möglichst starken apriorischen Aussagen über die Wirklichkeit führt solche Probleme auch immer wieder aus ihrem eigentlichen Kontext heraus und setzt ihre wissenschaftstheoretisch gemeinte Lösung deshalb überall empirischen Einwänden und Fragen aus. Kennzeichnend für dieses Zusammenwirken von faktischen und kategorialen Bestimmungen ist vor allem auch Kants Behandlung der dritten Analogie, des „Grundsatzes des Zugleichseins, nach dem Gesetze der Wechselwirkung oder Gemeinschaft" (B256ff.). Es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Kant hier die formale Einheit der Apperzeption, in der, wie er sagt, „alle Erscheinungen, als in einer möglichen Erfahrung enthalten, in Gemeinschaft (communio) stehen müssen" ( A 2 1 4 / B 262), in eine ausschließlich materiale Voraussetzung aller Erkenntnis des Zugleichseins von Gegenständen im Raum umdeutet. Statt des im Begriffe 7

Zum Zeitproblem vgl. Bieri und Piaget, Bildung des Zeitbegriffs.

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der objektiven Einheit der Apperzeption sonst doch wenigstens immer mitgemeinten kategorial entfalteten Sinnzusammenhangs unserer Vorstellungen ist jetzt von einer „realen Gemeinschaft (commercium) der Substanzen" die Rede, ohne welche das empirische Verhältnis des Zugleichseins nicht in der Erfahrung stattfinden könnte (A 214—5/B 261) und die dann auch allein „eigentlich der Grund der Möglichkeit einer empirischen Erkenntnis der Koexistenz sei" (A218/B265 Anm.). Angesichts der Erörterungen über den bloß formalen Charakter der Einheit der Apperzeption, in der nach A 105 allein jene Einheit zu suchen ist, „welche der Gegenstand notwendig macht", oder die nach A 109 als notwendige Einheit des Bewußtseins geradezu die Beziehung unserer Vorstellungen auf den Gegenstand ist und ohne welche unsere Erkenntnis schlechterdings keinen Gegenstand haben könnte, scheint hier nachgerade ein anderer Kant zu sprechen. Der synthetische Zusammenhang unserer Vorstellungen, speziell der Wahrnehmungen, ist jetzt nicht länger nur dem „Bewußtsein" zu verdanken; er soll vielmehr vor allem auch davon abhängen, daß die Substanzen in der Erscheinung notwendig in durchgängiger dynamischer Gemeinschaft stehen (A 313/B 260) und daß es zwischen ihnen nicht etwa einen diese dynamische Gemeinschaft verhindernden leeren Raum gibt (A214/B261); denn, sagt Kant, „ o h n e Gemeinschaft ist jede Wahrnehmung (der Erscheinung im Raum) von der anderen abgebrochen, und die Kette empirischer Vorstellungen, d. i. Erfahrung, würde bei einem neuen Objekt ganz vorne anfangen, ohne daß die vorige damit im geringsten zusammenhänge, oder im Zeitverhältnisse stehen k ö n n t e " (A213-4/B 260-1).

Besonders deutlich läßt sich an solchen Äußerungen erkennen, daß Kant bereits in seiner Behandlung der Grundsätze des reinen Verstandes, obwohl diese nach Ausweis der Deduktion der Kategorien doch nur die formalen Bedingungen für eine Natur überhaupt darstellen sollen, im Begriffe ist, auch sachhaltige Aussagen der Naturmetaphysik aus transzendentalen Gründen zu rechtfertigen. Schon die Grundsätze selber sind ihrer Intention nach Sätze der Naturmetaphysik. Als synthetische Urteile a priori ließen sie sich, wenn überhaupt, wohl allein aus der Einsicht in die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung begründen, es ist aber auch klar, daß sie in der „Kritik der reinen Vernunft" nicht begründet sind, da Kant unter der Hand die kategoriale Notwendigkeit des Zusammengehörens von Vorstellungen auch als faktisch notwendiges Zusammengehören der von diesen Vorstellungen bezeichneten Gegenstände und Zustände auffaßt.

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O b w o h l Kants Behandlung der Analogien in so deutlich wissenschaftstheoretischer Orientierung erfolgt, fehlt aber dennoch der eigentlich kategoriale Ansatz mit der Frage nach der Möglichkeit der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen auch hier nicht, er findet in den Analogien in einer überaus wichtigen Textpassage vielleicht sogar seinen bei Kant überhaupt prägnantesten Ausdruck, nämlich in der 2. Analogie A 189/B 234 ff. Tatsächlich stellt sich in der 2. Analogie für Kant das Kausalproblem von Anfang an ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen; es heißt hier gleich zu Beginn: „ N u n kann man zwar alles, und sogar jede Vorstellung, sofern man sich ihrer bewußt ist, Objekt nennen; allein, was dieses W o r t bei Erscheinungen zu bedeuten habe, nicht, insofern sie (als Vorstellungen) Objekte sind, sondern nur ein Objekt bezeichnen, ist von tieferer U n t e r s u c h u n g " ( A 1 8 9 / B 2 3 4 — 5 ) .

Die Frage, die sich Kant in diesem Zusammenhang stellt, ist, wie wir etwas Gegenständliches in seinen objektiven Verhältnissen, hier in seinen Zeitverhältnissen, erreichen können, obwohl uns doch nur unsere subjektiven Vorstellungen in ihrer subjektiven Abfolge gegeben sind. Zwar haben wir es nach Kant wegen der Unerkennbarkeit der Dinge an sich bei der Erkenntnis sowieso immer nur mit unseren Vorstellungen zu tun, und die von uns intendierten Gegenstände sind deshalb „nichts weiter als ein Inbegriff dieser Vorstellungen", aber die Gegenstände sind von den Vorstellungen doch auch wiederum unterschieden, und das Problem, das hier tatsächlich als das der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen erscheint, ist deshalb, wie überhaupt „Erscheinung, im Gegensatz der Apprehension, . . . als das davon unterschiedene Objekt derselben könne vorgestellt werden" ( A 1 9 1 / B 2 3 6 ) . Kants Antwort, die, wie gesagt, wohl eine der klarsten Expositionen des Verhältnisses von Gegenstand und seinen Gegebenheitsweisen ist, die sich überhaupt in der „ K r i t i k " finden, besteht im Hinweis darauf, daß dazu unsere Vorstellungen unter Regeln stehen müssen, welche bestimmte Arten von Sukzessions-Apprehensionen im Gegensatz zu anderen möglichen Apprehensionen „notwendig" machen (ebd.). Dabei bestimmt Kant in völliger Ubereinstimmung mit A 106 als Objekt dasjenige, „was die Bedingung dieser notwendigen Regel der Apprehension enthält" (ebd.), und er macht geltend, daß, solange es solche Regeln nicht gibt, d. h. solange unsere Vorstellungen nicht in der objektiven Einheit der Apperzeption zusammenstehen, es für uns nur das „Spiel der Vorstellungen" geben könne, das für sich

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keine objektive Bedeutung hat (A 194/B 239). Was speziell die objektive Zeitfolge angeht, so könnte man dann, wie Kant sich ausdrückt, nicht sagen, „daß in der Erscheinung zwei Zustände aufeinander folgen; sondern nur: daß eine Apprehension auf die andere folgt, welches bloß etwas Subjektives ist, und kein Objekt bestimmt, mithin gar nicht vor Erkenntnis irgendeines Gegenstandes (selbst nicht in der Erscheinung) gelten kann" (A 195/B 240).

Dieser Gedanke, daß die Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen und folglich die Ablösung der Gegenstände von ihren Gegebenheitsweisen allein durch das notwendige und unter Regeln stehende Zusammengehören unserer Vorstellungen möglich ist, beherrscht so sehr Kants Diskussion der 2. Analogie, daß darüber die faktischen und wissenschaftstheoretischen Implikationen hier sogar relativ zurücktreten. 8 Jedenfalls macht Kant es unmißverständlich klar, daß nach seiner Meinung der eigentliche Beweisgrund der Deduktion der Kausalkategorie ausschließlich und unmittelbar mit dem Problem der Möglichkeit des Habens überhaupt von Gegenständen zusammenhängt. Dieses Problem besteht in der Frage, wie wir überhaupt Gegenstände als etwas Objektives haben können, das sich in seinem Gegebensein nicht erschöpft, sondern das als dasselbe meinbar und erkennbar ist, auch wenn seine Erscheinungen oder Vorstellungen wechseln. Kants Frage ist deshalb: „ W i e kommen wir nun dazu, daß wir diesen Vorstellungen ein Objekt setzen, oder über ihre subjektive Realität, als Modifikationen, ihnen noch, ich weiß nicht, was für eine, objektive beilegen? Objektive Bedeutung kann nicht in der Beziehung auf eine andere Vorstellung (von dem, was man vom Gegenstande nennen wollte) bestehen, denn sonst erneuert sich die Frage: wie geht diese Vorstellung wiederum aus sich selbst heraus, und bekommt objektive Bedeutung noch über die subjektive, welche ihr als Bestimmung des Gemütszustandes, eigen ist?" (A 109/B 242). 9

Die Antwort lautet: auf Gegenstände, als unterschieden von unseren Vorstellungen, können wir allein deshalb Bezug nehmen, weil unsere Vor8

Sie kommen freilich auch hier vor: vgl. den Grundsatz selber als die Behauptung, daß alle Veränderung nach dem Gesetz der Verknüpfung von Ursache und Wirkung geschieht (B 232), oder das Gesetz der Kontinuität aller Veränderung (A 208/B 254). Vgl. außerdem Kants Äußerungen, daß erst durch die notwendige Verbindung unserer Vorstellungen zwischen faktisch subjektiv gültigen und faktisch objektiv gültigen Vorstellungen, d. h. zwischen Illusion und Wahrheit, unterschieden werden könne ( A 2 1 0 f . / B 247).

9

Diesen Abschnitt haben wir ausführlich bereits am Anfang zitiert, nämlich oben S. 4 5 f . Er ist gerade an seiner Stelle inmitten der 2. Analogie einer der Hauptbelege der gesamten „ K r i t i k " dafür, daß es Kant tatsächlich um das Problem der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen geht.

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Stellungen in kategorial notwendigen Zusammenhängen stehen, z. B. — was die Bestimmung von objektiven Zeitverhältnissen angeht — in solchen, die die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen der Abfolge der Wahrnehmungen selber und den Zeitverhältnissen des Wahrgenommenen ermöglichen: Unseren Vorstellungen kann, wie Kant in diesem Zusammenhang sagt, „objektive Bedeutung" nur dadurch erteilt werden, „daß eine gewisse Ordnung in dem Zeitverhältnisse unserer Vorstellungen notwendig ist" (A 197/B 243); in genau diesem Sinn heißt es auch A 198/B 243: „ I n der Synthesis der Erscheinungen folgt das Mannigfaltige der Vorstellungen jederzeit nacheinander. Hierdurch wird nun gar kein Objekt vorgestellt; weil durch diese Folge, die allen Apprehensionen gemein ist, nichts v o m anderen unterschieden wird. Sobald ich aber wahrnehme, oder voraus annehme, daß in dieser Folge eine Beziehung auf den vorhergehenden Zustand sei, aus welchem die Vorstellung nach einer Regel folgt, so stellt sich etwas vor als Begebenheit, oder was da geschieht, d. i. ich erkenne einen Gegenstand".

Die Regel, deren Bestehen die objektive Bedeutung der Vorstellungen garantiert, wird hier von Kant nicht genauer angegeben, eigentlich wird sie nur als die „Voraus-Annahme" charakterisiert, daß das Wahrgenommene selber, d. h. losgelöst und unabhängig von unserem Tun und Handeln, in seinen eigenen zeitlichen Verhältnissen steht, und insofern ist Kants Theorie der Ablösung der Gegenstände von unserem Tun aufgrund kausaler Zeitregeln letztlich nicht mehr als nur eine sehr grobe Lösungsskizze. Es kommt aber darauf im Grunde wenig an. Wichtiger ist es, daß bei Kant — und wie wir gesehen haben, zuletzt sogar noch einmal sehr ausführlich im Rahmen des Zeitproblems — überhaupt das Problem der „objektiven Bedeutung" und der intentionalen Gegenstandsbeziehung unserer Vorstellungen in den Mittelpunkt einer großangelegten und systematischen Untersuchung des menschlichen Erkennens rückt. Das Neue der Kantischen Transzendentalphilosophie besteht darin, daß in ihr unter dem Gesichtspunkt einer ursprünglichen Zusammengehörigkeit aller unserer Vorstellungen in der objektiven, kategorial entfalteten Einheit der Apperzeption zum ersten Mal auf jene Bedingungen unseres Erkennens hingewiesen ist, die tatsächlich unser menschliches gegenständlich orientiertes Weltverhalten mit seinen Möglichkeiten der Distanzierung von der inneren und äußeren Situation in seinem Wesen kennzeichnen. Kants Einsicht in den Zusammenhang, wie er zwischen der Gegenstandsbeziehung und der synthetischen Einheit unserer Vorstellungen besteht, mag durch die Unterscheidung von Dingen an sich und Erscheinungen und durch seine These von der Unerkennbarkeit der Dinge an sich ent-

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scheidend motiviert oder erleichtert worden sein; wir haben mehrfach darauf hingewiesen, daß nach Kants Uberzeugung seine Überlegungen für die Erkenntnis von Dingen an sich keine Gültigkeit haben würden; noch A 190/B 235 heißt es: „ W ä r e n Erscheinungen Dinge an sich selbst, so würde kein Mensch aus der Sukzession der Vorstellungen von ihrem Mannigfaltigen ermessen können, wie dieses in dem O b j e k t verbunden sei. Denn wir haben es doch nur mit unseren Vorstellungen zu t u n " .

Aber tatsächlich hängt Kants Synthesis-Lehre in ihrer Relevanz und Wahrheit gar nicht von solchen „idealistischen" Voraussetzungen ab, und gerade darin liegt auch ihre philosophische Bedeutung. Auch die Erkenntnis der Dinge an sich, wenn es eine solche Erkenntnis gibt, d. h. die Erkenntnis der gemeinsamen, objektiven Wirklichkeit, die besteht und bestanden hat, auch als es noch keine menschlichen Subjekte gab, die sich zu ihr erkennend verhalten konnten, würde uns nicht von selbst zustoßen können. So wie Kant es mit dem Blick auf die Erkenntnis von Erscheinungen immer wieder betont hat, muß nämlich auch die Erfahrung von der an sich seienden Wirklichkeit von uns „gemacht" werden, auch sie muß „erarbeitet" werden, und zwar genau so, wie Kant es bechrieben hat, durch ein „Uns-Zusammennehmen", d. h. durch eine ursprüngliche Synthesis von Vorstellungen. O b die dann erkennbar gewordene Welt, in der wir leben, von der wir uns auch distanzieren können, um so erst uns selbst zu finden, und die tatsächlich die einzige Wirklichkeit ist, die uns angeht und die uns betrifft, ob diese Welt nur Erscheinung ist oder ob sie die Wirklichkeit ist, wie sie an sich besteht, ist deshalb für das Problem der Möglichkeit der Gegenstandserkenntnis gar nicht wichtig. Aber tatsächlich ist es ganz unwahrscheinlich, daß wir es nur mit Erscheinungen zu tun haben sollen. Wahrscheinlich ist es vielmehr, daß das, was wir erkennen, zu der an sich bestehenden Wirklichkeit gehört und selber auch wirklich ist, daß wir also entgegen Kant die Wirklichkeit in ihrem An-sich erkennen. Die Frage bleibt aber dann immer noch, ob wir Menschen mit den uns zur Verfügung stehenden Kategorien die ganze Wirklichkeit erkennen.

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Literaturverzeichnis Im Text sind briefliche Äußerungen Kants und Reflexionen nach der Akademie-Ausgabe (AA): Kants gesammelte Schriften, Bde. I—XXII hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1910ff.; Bd. X X I I I hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1956; ab Bd. X X I V hrsg. von der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Berlin 1966ff. mit Angabe von deren Band- und Seitenzahlen zitiert, alle übrigen Äußerungen Kants durch Angabe des jeweiligen Schriftentitels und der bei Weischedel: Immanuel Kant. Werke in sechs Bänden, hrsg. von W. Weischedel, Darmstadt 1963—64 angegebenen Seitenzahl der 1. Originalauflagen (A); wir übernehmen also die für die K R V übliche Zitierweise auch bei den anderen Schriften Kants. Dabei werden folgende Abkürzungen verwendet: KRV KU MAGdN

Kritik der reinen Vernunft (A = l . A u f l . , B = 2. Aufl.) Kritik der Urteilskraft Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft

Literatur: Die Literatur zum Exkurs steht zusammen am Ende.

1. Sammelwerke: Akten des 4. Internationalen Kant-Kongresses Mainz 6. —10. April 1974, hrsg. von G . Funke und J . Kopper, 3 Teile, Berlin und New York 1974 (Akten) Handbuch der Psychologie, 1. Band, 1. Halbband: Wahrnehmung und Bewußtsein, hrsg. von W . Metzger bzw. 2. Halbband: Lernen und Denken, hrsg. von R . Bergius, 2. Auflage, Göttingen 1966 bzw. 1964 (Handbuch)

2. Monographien und Aufsätze: Apel, Karl-Otto: Transformation der Philosophie, 2 Bde., Frankfurt/M. 1973. Beck, Lewis White: Hatte denn der Philosoph von Königsberg keine Träume?, in: Akten III, S. 2 6 - 4 3 . Bennett, Jonathan: Kant's Analytic, Cambridge 1966. ders.: Locke, Berkeley, Hume. Central Themes, Oxford 1971.

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Personenregister Adickes 117, 197 Apel 64 Beck 126f. Bennett 12, 75, 85, 90, 123, 132 Bergius 155 Beringer 137 Bieri 236 Bin Kimura 144 Binswanger 141 Bird 3, 11, 47, 131, 209 Bower 159f., 166 Brentano 20, 124 Brocker 2, 34 Buchdahl 3, 47, 56, 123, 131 Buytendijk 159, 165 Claessens 20 Cohen 1, 3, 10, 37 Conrad 138, 141 ff., 160 Craig 70 Delekat 2 Dilthey 20 Draguns 141 Duncker 155 Ewing 2 Fischer 23 Fries 23 v. Gebsattel 144 Gehlen 161, 165 George 202 Giegel 20, 64 Gloy 2, 36 Graumann 20, 155ff. Grote 162 Heidegger 3, 25, 64f„ 84, 145, 162, 218 Henrich 3, 56, 85f„ 93, 167f„ 186, 211

Herz 19, 51 ff., 110, 131 Hogrebe 28 Honigs waid 137 Hossenfelder 2, 10, 126, 154, 175, 193, 204, 217, 229 Hume 5, 8, 24, 26, 50, 58ff., 64ff., 69, 74ff., 83, 85ff„ 93ff., 103,105, 111, 113ff„ 231 Husserl 20, 79, 84, 91, 150, 156, 213ff. James 141 Jansohn 3, 93, 131, 212, 219, 221 ff. Jaspers 141 Kambartel 2 Kaminski 14 Kaulbach 114 Kemp Smith 114, 125f., 197f. Kloos 141 ff., 160 Körner 2, 34 Kripke 73 Krüger 67ff., 73f., 85 v. Kutschera 1 Lambert 35 Landmann 20, 159 Lauener 2, 34 Levy 3 Lewis 126 Linschoten 20, 64, 138, 219 Locke 26, 59, 64ff., 771., 83, 86f„ 94, 101 ff., 105, 113, 115 f. Lorenz 159 Maimon 52 Martin 2 Mayer-Gross 144 Meier 36 Merleau-Ponty 64, 219 Metzger 78, 233 Meyer 144 Michotte 79 f.

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Personenregister

Nagel 124 Natorp 1, 34 Nelson 23 Oswald 135 Paton 102, 123, 133f., 179, 181, 184, 186, 197, 222 Patzig 38, 93, 108 Petrilowitsch 144 Philonenko 1 f., 35, 37 Piaget 20, 47, 64, 160ff„ 166, 168, 236 Piaton 186 Plessner 64, 159 f. Pölitz 180 f. Popper 2 Prauss 3, 22, 36, 43f., 47f., 56f., 171, 190f. Quine 18 Rademacher 216 Rausch 78, 138 Rosenstock 5 Rothacker 219 Ryle 20, 64 Sartre 143 Satura 19 f.

Schilder 144 Schneider 135ff., 141 Schopenhauer 174f., 223 Sechehaye 143 Sellars 64 Spiegelberg 20 Stachowiak 101 Straus 20, 233 Strawson 3f., 11 ff., 17f„ 48, 56, 67, 85, 90, 132, 154, 165, 211, 233 Tetens 35 f. Topitsch 171 Tugendhat 2, 44, 48, 167 Vaihinger 41, 115, 197 de Vleeschauwer 35, 93 Walsh 4, 12, 93, 154, 209 Wertheimer 155 Wilkerson 12, 18, 24, 56, 212 Wittgenstein 20, 64 Wolff 1, 57, 91, 93, 114, 117, 123, 125, 179, 186, 198ff., 221 f. Zocher 1 f.

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Sachregister Affinität 95, 9 7 f f . ; empirische 9 8 f f . ; objektive 24, 102; transzendentale 98 ff. Akkomodation 41, 161 ff. Analogien der Erfahrung 232 ff. Anblick: anschaulich erfüllter 84, 86, 88 Anschauung 149, 180f. Apophänie 140 Apperzeption23f., 26, 43; empirische211 ff.; reine 217; Einheit 52, 55, 92, 103, 1 2 3 f „ 137, 236; notwendige Einheit 105, 123; objektive Einheit 30, 43, 49, 112ff., 121, 126, 133f., 139, 147, 166, 198, 234, 238, 240; synthetische Einheit 169 f.; ursprüngliche Einheit 15, 17, 2 3 f „ 147, 155, 168, 189; ursprünglich-synthetische Einheit 122, 195, 199; siehe Einheit, Selbstbewußtsein Assimilation 41, 161 ff. Assoziation 19, 23, 26, 2 9 f . , 92ff., 98, 100, 107, 115, 126f., 138; freie 107; und transzendentale Synthesis 24, 58ff., 95; A. und Synthesis als faktische Verbindungen 24, 92ff., als kategoriale Verbindungen 24, 93, 104ff.; Subjektivität 101 Ästhetik 27, 118, 183 Atomismus 63, 75, 77ff., 84 Aussageabsicht 39 ff. Äußeres: faktisches 65 Begriffe: empirische 9 8 f . ; siehe Denken Begriffliche Struktur 4; begriffliche Analyse 11, 13 Bewußtsein 10; überhaupt 34, 44; meines Zustandes 44; als leibliches Geschehen 20; gegenständliches 139; Horizontstruktur 84 Bewußtseinsstruktur 20 Bild 180 f. Deduktion 51, 57; transzendentale 2; der Kategorien 4, 1 2 , 1 5 , 2 4 , 2 6 , 119, 147f., 151, 177f., 184, 197, 209, 225ff.; metaphysische 152ff., 173f., 225; von unten 100

Denken 148ff.; explizierendes 149ff., 156; gegenstandskonstitutives 152; produktives 155 f.; transzendental-synthetisches 153; und Anschauung 149; und Einheit 218; und Gegenstandsablösung 158f., 174; und Gegenstandsbeziehung 147ff.; Spontaneität 155 Depersonalisation 139, 144 ff. Derealisation 139, 144 ff. Ding an sich 168, 195, 197ff.; und Erscheinung 11, 195ff., 2 4 0 f . ; und transzendentales Objekt 201; als erkannter Gegenstand 37 Dinge, wie sie sind, wie sie erscheinen 37 Doppelte Affektion 117 Einbildung 84 Einbildungskraft 100 Einheit: der Apperzeption 15, 17, 19, 23, 26, 30, 125; des Bewußtseins 108, 124f.; des Selbstbewußtseins 9, 23, 119ff., 127, 2 1 7 f f . ; formale und faktische 9 8 f . ; objektive der Vorstellungen 129; objektive des Selbstbewußtseins 126; synthetische des Mannigfaltigen 121; synthetische von Vorstellungen 23, 204 ff. Einschlaferleben 135 ff. Einsichtsideal 70 Einzelnes und Allgemeines 12, 14, 18 Empirismus 62ff.; innere Widersprüchlichkeit 83, 90 Entgleisungen und Entgleitungen 136f., 139ff., 142, 145, 147, 204, 210 Erfahrung 1 f., 4 f . , 29, 44; engerer und weiterer Begriff 4 f . , 7f., 12, 25, 4 6 f . , 59; gesetzmäßige 2, 99ff.; mathematisch-naturwissenschaftliche 3; mögliche und wirkliche 96; objektive 4; objektlose 15 f.; vorwissenschaftliche 2; wirkliche 6; wissenschaftliche 2 f . , 4, 3 4 f . , 41, 59; und Gegenstandsbeziehung 14; negative Kennzeichnung 14f.; bei Kindern und Tieren 14; Rolle in der Erkenntnistheorie 21 f.

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Sachregister

Erfahrungsurteile: siehe Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile Erkenntnis: objektive 1 , 8 ; sinnliche und vernünftige 35; wissenschaftliche 1, 4, 34 Erkenntnisprogramme 186 f., 189 Erscheinungen 230, 238; und Dinge an sich 102; siehe Ding an sich Erscheinungscharakter 117 Erste und zweite Auflage der K R V 10,109 ff., 175, 204 f. Esse = percipi 86 Essenz: reale und nominale 72f. Faktische und kategoriale Bestimmungen 6, 24, 41 ff., 4 9 f . , 54, 65, 9 3 f . , 97, 9 9 , 1 0 3 f . , 106, 108 ff., 117, 119 f., 166, 170, 172, 176f., 183f., 189, 193, 198f., 203, 207f., 222, 225ff., 231, 234 Gegenstand 6, 157ff.; bei Hume 85f.; und Gegebenheitsweise 87ff.; transzendentaler 192, 194ff.; gleich Vorstellung 116f.; siehe Objekt Gegenstandsbeziehung: intentionale 5f., 8 f . , 2 3 f . , 2 6 f . , 43ff., 51 f., 58, 62 , 64, 82ff., 103, 105, 113 ff., 132, 147, 151, 165, 172, 194, 196, 207, 2 3 8 f . ; als Wahrheit 8, 25, 92, 192f.; zwei Arten 9, 5 3 f . ; und kategorialer Zusammenhang der Vorstellungen 83f., 89f., 135ff.; und Synthesis 166ff.; und Kategorien 167; und Einheit des Selbstbewußtseins 126 Gehalt: intuitiver und signitiver 150 Geltung 21 Gesetze: empirische 98, 230; empirische und transzendentale 116 Gesetzgebung durch den Verstand 183f., 223ff., 229ff. Gesetzmäßigkeit 24, 99 Gesetzesaussagen 2 Gestalttheorie 77ff. Gewohnheit 76, 80 Gewühle der Erscheinungen 19, 29, 35, 98, 129ff., 192, 204, 206f., 219 Grundsätze 229ff. Haben: von Welt 5, 9, 21, 23, 27, 4 6 f „ 55, 59, 83, 92, 119, 224; von Gegenständen 5, 21 f., 49, 239 Handlungsschemata 21, 162ff.; Koordination 162 f., 166

Ich: empirisches und reines 210ff. Idealismus: transzendentaler 11, 195, 231 Idealistisch 63 Immanenzstandpunkt 63 ff. Induktion 79 Innerlichkeit 65 Kategorial: siehe Faktische und kategoriale Bestimmungen Kategorien 54, 147, 151; als Alternativen von Begriffen 154, 169ff.; objektive Realität 5 2 f . ; Objektivität 224ff.; siehe Deduktion Kausalität 2, 50, 5 9 f . , 238ff.; bei Hume 60ff., 74, 79ff., 9 4 f . Kinder 14f., 80, 133, 159f., 219 Logifizierung 204 Logische Analyse 9 ff. Mehrdeutigkeit des Kantischen Ansatzes 5, 8, 2 4 f . , 29ff., 46, 50, 54, 56, 58, 96, 98, 103 Mir-Gehören 123, 125, 130, 135, 139, 216 Natur: Newtonsche 2 Naturwissenschaft 2 Naturmetaphysik 237 Notwendigkeit 6, 32, 3 7 f . , 45, 49, 60, 95, 103, 108; faktische 45, 61, 94; kategoriale 43; faktische und kategoriale 43; objektive 6 0 f . ; transzendentale 109 Objekt 119, 168f.; Begriff 52, 56, 85, 159ff.; im gewichtigen Sinne 12, 14ff.; siehe G e genstand Objektiv 7, 3 0 f f . ; faktisch Objektives 65; objektive Behauptungsansprüche 38; objektive Einheit 30; objektive Erkenntnis 1 , 8 ; objektive Gültigkeit, objektive Realität 35, 50ff., 61 f., 82, 103, 139; objektive und subjektive Gültigkeit 31, 193; objektive Vorstellungsverbindungen 6, 29 f. Objektivität 6, 15, 45, 58, 103, 108; faktische und kategoriale 43; als intentionale G e genstandsbeziehung 8; als Wahrheit 25 Objektivitätssteigerung 34, 36, 47 Pathologische Zustände 23, 134ff., 138ff. Patch-work-Theorie 197ff.

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Sachregister Physik: Newtonsche l f . ; mathematische 10 Psychologie: transzendentale 9ff., 16f., 21 f.; empirische 19 f. Psychologisch 9ff., 15f., 19f., 55; psychologische und logische Analyse 9 ff.; psychologisch-genetische Fragestellung 13 Qualia 86 Qualitäten: sekundäre 68 Raum: leerer 233; siehe Ästhetik Realkategorien 15f., 80 Realitätsgestörte 19 Regelmäßigkeit: faktische 24, 177 Regelunterworfenheit: kategoriale 44, 48f., 54 Reproduktion 100 Sacheigenschaften 71 f.; und Sachverhalte 71, 74 Sachverhaltszusammenhänge 113, 115 Sachzusammenhang: notwendiger 5; Erkennbarkeit 66 ff. Schema 150 Schöpfung 233 Selbst: vielfarbiges 123; empirisches 211 f., 219f. Selbstbewußtsein 11, 26, 133, 210ff.; reines 212ff., 220; objektive Einheit 119ff.; siehe Einheit, Apperzeption Selbstzuschreibung von Erfahrungen 15 Sinnhorizont 24 Sinnstruktur 20 Sinnzusammenhang 23, 26, 137ff., 146, 237; kategorialer 23f., 99; als Interpretationsmodell 23, 27ff. Skeptizismus 72 Solipsistischer Ansatz 66 Subjektiv 2, 5ff., 33, 106; kategorial subjektiv 139; faktisch Subjektives 65; subjektive Assoziationsverbindungen 6; subjektive Gültigkeit 29, 77, 106; subjektive Einbildung 1; subjektive Verbindungen 30; subjektive Wahrnehmung 5 Subjektivität 6; faktische 65, 132; kategoriale und faktische 43 Substanz: und Akzidenz bei Locke 70ff.; siehe Analogien der Erfahrung Synthesis 9, 15f., 55, 103ff., 168, 232, 241; objektive 120f.; reine 182ff., 186; transzendentale 24, 95, 97, 115; der Appre-

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hension 179ff.;derRekognition 152, 176, 185ff., 199, 205, 227; der Reproduktion 96f., 181 ff.; ad hoc 170ff.; drei Synthesen 103, 176ff.; und Naturgesetzgebung 224 ff.; siehe Assoziation Synthesis-Lehre 11 f., 17f., 61, 63 Synthesis-Theorie 27; transzendentale 82 Tiere 14f„ 19, 46, 109, 131, 159f„ 166, 219, 223 Transzendental 96 Transzendentalphilosophie l f . , 8, 11, 22, 28, 105; und Erfahrung 22 Trugwahrnehmung 84 Tumultuarische Verrückung 134, 143 Überstieg 141 Urteil 105; Definition 152; neue Theorie 206f.; synthetische a priori 5, 8, 24, 26, 53, 61, 105, 111 f.; anschauende 36; Empfindungsurteil 35 f.; Erscheinungsurteil 36; Nachurteil 36f.; siehe Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile Verbindung 9, 17, 19, 26, 57, 121; als Verstandeshandlung 113 ff.; notwendige 70, 72 f. Vereinzeltheit: kategoriale 88 f. Vereinzelung: kategoriale 138 Verlieren des Fadens 137 Verscheinung 43, 47 Vielfärbigkeit des Selbst 131 ff. Verstandesgebrauch: logischer und realer 152 Vorstellungen: komplexe 68; einfache 67f., 82ff.; einzelne 24 Vorstellungsverbindungen 45, 59, 66 ff. Wahrheit: faktische 45 Wahrnehmung 5; Doppelsinn 46f.; gleich Wahrgenommenes bei Hume 84, 86 ff. Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile 2, 7, 25, 29ff., 152; ewige Wahrnehmungsurteile 33 Wissenschaft 10 Wissenschaftstheoretisch 1, 3ff., 9ff., 24f., 34, 41, 47, 54ff., 58, 132, 148, 173ff„ 177, 182, 190, 228f., 238 Zeit: objektive 235f., 239; leere 233; siehe Ästhetik

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Sachregister

Zerstreutheit, kategoriale 88, 166; wirkliches Vorkommen 132 ff. Zufällig 5f., 30f.; kategorial zufällig 139 Zufälligkeit 6, 32; faktische und kategoriale 43; und Notwendigkeit 116 Zusammenhang: von Vorstellungen 15f., 66ff., 135ff.; objektiver und subjektiver

bei Locke 69; faktischer 138; geregelter 88; gesetzmäßiger 99, 102; kategorialer 107; notwendiger bei Hume 75f.; faktisch notwendiger 92, 96, 105 Zuwendung 162 Zweideutigkeit 94 Zweiheit des Ansatzes 193

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