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German Pages 268 [270] Year 2019
Aristoteles: Nikomachische Ethik
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Herausgegeben von Otfried Höffe
Band 2
Aristoteles: Nikomachische Ethik
4., neubearbeitete und ergänzte Auflage Herausgegeben von Otfried Höffe
ISBN 978-3-11-057874-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-057875-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-057913-0 ISSN 2192-4554 Library of Congress Control Number: 2019935658 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Sneska / E+ / getty images Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Vorwort Für ein Studium der Nikomachischen Ethik sprechen viele Gründe. Die wichtigsten und zugleich umfassendsten sind aber noch immer diese zwei: Ob es Philosophen oder Juristen, ob Moraltheologen, Sozialethiker oder Sozialwissenschaftler sind – wer auch immer sich für eine Theorie moralischer bzw. humaner Praxis interessiert, findet hier eines der wenigen bis heute einschlägigen Grundmodelle. Darüber hinaus handelt es sich um einen der Grundtexte des abendländischen Geistes überhaupt. In Aristoteles’ Ethik hat er eine seiner wichtigsten Gestalten gefunden, und an ihr – in der Lektüre des Textes, in seiner Kommentierung und natürlich auch Kritik – hat er sich teils stabilisiert, teils weiterentwickelt. Glauben könnte man zwar, nach einigen Jahrhunderten überragender Bedeutung habe der Text dieses Gewicht denn doch und inzwischen sogar endgültig verloren. Tatsächlich sieht es anders aus. In den Nachkriegsjahren setzt auf breiter Front eine Rehabilitierung der Ethik ein, verbunden mit einer Rehabilitierung der Handlungstheorie und der Theorie praktischer Rationalität sowie der politischen Philosophie. In diesem weiten Themenfeld, der sogenannten praktischen Philosophie, und zugleich in den verschiedenen Sprachräumen und Denktraditionen spielt Aristoteles seit Anbeginn eine ungewöhnlich große Rolle. Daß er dabei nicht selten der wichtigste Bezugsautor ist, dafür bürgen Namen wie Joachim Ritter und Helmut Kuhn, wie Erich Voegelin, Leo Strauss und Wilhelm Hennis, ferner John Ackrill, Elizabeth Anscombe, Philippa Foot und Anthony Kenny, schließlich, allerdings mit weniger systematischem Interesse, Pierre Aubenque und René-Antoine Gauthier. Erstaunlich an dieser Situation ist schon das Gewicht, das einem einzigen Denker eingeräumt wird; noch erstaunlicher ist, daß dieser Denker aus der Antike stammt, aus einer Epoche also, die man gern sowohl philosophisch als auch sozialgeschichtlich gesehen für überholt hält. Sollte diese Ansicht zutreffen, so brächte das Studium der Aristotelischen Ethik nur noch einen historischen Gewinn und hätte in systematischer Hinsicht allenfalls den instrumentalen Wert, daß der Vergleich mit Aristoteles der modernen Ethik zur größeren Klarheit verhelfe. Gegen den darin enthaltenen Fortschrittsglauben, gegen die Überzeugung, die Moderne sei der Antike sowohl moralisch als auch moraltheoretisch überlegen, tritt im bleibenden Interesse an Aristoteles eine deutliche Skepsis zutage. Selbst nachdem neuerdings andere Autoren, namentlich Kant, die Ethik-Debatte bestimmen, hat Aristoteles seine prägende Kraft nicht verloren. Außerdem gibt es bewußte Gegenbewegungen, Rearistotelisierungen in der Ethik. Nicht zuletzt warten noch manche Teile der Aristotelischen Ethik, etwa die Abhandlung über https://doi.org/10.1515/9783110578751-001
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Vorwort
die Willensschwäche (akrasia) und die über die Freundschaft (philia) oder die über den Text verstreuten Bausteine zum Thema „Ethik und Anthropologie“, auf Interpreten, die sie aufgreifen und für Probleme von heute fruchtbar machen. Aus diesen Beobachtungen darf man entnehmen, daß der Gehalt von Aristoteles’ Ethik bis heute nicht ausgeschöpft, ihre Aussagekraft bis heute nicht überholt ist. Der Text ist allerdings nicht immer leicht zu lesen. Dafür verantwortlich sind nicht etwa Aristotelische Voraussetzungen, die wir heute nicht mehr teilen, oder Vorkenntnisse, die man für die Lektüre mitbringen müßte. Im Gegenteil erlaubt gerade Aristoteles’ Ethik eine von Vorkenntnissen freie, eine sowohl unmittelbare als auch unbefangene Lektüre. Die Thesen und die sie stützenden Argumente werden jedoch in der Regel sehr dicht formuliert. Außerdem sind sie nicht immer so eindeutig und konsistent, wie die aristotelisierende Schulphilosophie glauben macht. So bietet der Text noch genügend Möglichkeiten zur selbständigen Lektüre und zu eigenen Gedanken. Auch dazu lädt dieser „kooperative Kommentar“ ein. – Für vielfältige Hilfe bei der Gestaltung des Bandes danke ich Dr. Christof Rapp. Tübingen im November 1994
Otfried Höffe
Vorwort zur Neuauflage Das Interesse an Aristotelesʼ Nikomachischer Ethik ist, berechtigterweise, ungebrochen. In dieser erneuten Auflage wurden die Texte durchgesehen, einige Fehler korrigiert und soweit es als sinnvoll erschien, um neue Literaturhinweise erweitert. Das gilt auch für die Auswahlbibliographie. Und für das Thema „Lebensklugheit“ konnte der griechische Kollege Pavlos Kontos gewonnen werden. Tübingen im Herbst 2018
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Inhalt Hinweise zur Benutzung/Zitierweise Otfried Höffe 1 Einführung
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Otfried Höffe 2 Ethik als praktische Philosophie – Methodische Überlegungen 9 (I 1, 1094a22 – 1095a13) John L. Ackrill 3 Aristotle on Eudaimonia (I 1 – 3 und 5 – 6) Hellmut Flashar 4 Die Platonkritik (I 4)
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Ursula Wolf 5 Über den Sinn der Aristotelischen Mesoteslehre (II)
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Christof Rapp 6 Freiwilligkeit, Entscheidung und Verantwortlichkeit (III 1 – 7) Günther Bien 7 Gerechtigkeit bei Aristoteles (V)
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Pavlos Kontos 8 Phronêsis und ihre Gegenstände (VI 1 – 5, 8 – 10, 12) Richard Robinson 9 Aristotle on Akrasia (VII 1 – 11)
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Friedo Ricken 10 Wert und Wesen der Lust (VII 12 – 15 und X 1 – 5) Anthony W. Price 11 Friendship (VIII und IX)
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165
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VIII
Inhalt
Wolfgang Kullmann 12 Theoretische und politische Lebensform bei Aristoteles (X 6 – 9) 201 Otfried Höffe 13 Ausblick: Aristoteles oder Kant – wider eine plane Alternative Auswahlbibliographie zur Nikomachischen Ethik Glossar
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Personenverzeichnis Sachverzeichnis
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Hinweise zu den Autoren
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Hinweise zur Benutzung/Zitierweise Die griechischen Termini sind in lateinischer Umschrift wiedergegeben; dabei bezeichnet ê den griechischen Buchstaben êta, ô den Buchstaben ômega. Ein Glossar am Ende des Bandes verzeichnet die Bedeutung der wichtigsten griechischen Ausdrücke. Das Sachregister schließt auch die englischen Texte mit ein, die entsprechenden Seitenangaben finden sich jedoch hinter dem deutschen Stichwort. Alle Stellenhinweise bei Aristoteles beziehen sich auf die Seiten- und Zeilenangaben der Bekker-Ausgabe. Soweit es sich nicht ohnehin aus dem Zusammenhang ergibt, werden der Bekker-Zahl eine römische und eine arabische Ziffer vorangestellt, die das jeweilige Buch und das Kapitel angeben. Die drei englischen Texte verwenden eine andere Kapiteleinteilung der Nikomachischen Ethik. Zur Orientierung ist die in der deutschsprachigen Literatur übliche Kapiteleinteilung in eckigen Klammern eingefügt. Hinweise auf sonstige Literatur erfolgen durch die Angabe von Autor, Erscheinungsjahr und Seitenzahl. Am Ende jedes Beitrages findet sich ein Verzeichnis der zitierten und der weiterführenden Literatur zum betreffenden Themenbereich. In diese Listen nicht aufgenommen wurden Textausgaben, Übersetzungen und Kommentare zur Nikomachischen Ethik sowie Standardeinführungen zu Aristoteles; sie sind in der Bibliographie am Ende des Bandes (dort in den Abschnitten A, B und C) verzeichnet.
Siglen Die Stellenangaben bedienen sich der üblichen Abkürzungen für Werke des Aristoteles:
An. An.post. Cat. EE EN Hist.an. Met. Mot.an. Phys. Poet. Pol. Rhet. Top.
Über die Seele (De anima) Zweite Analytiken (Analytica posteriora) Kategorienschrift (Categoriae) Eudemische Ethik Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) Tierkunde (Historia animalium) Metaphysik Über die Bewegung der Tiere (De motu animalium) Physik Poetik Politik Rhetorik Topik
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Otfried Höffe
1 Einführung 1 Vom Gegenstand der theoretischen Philosophie, dem Sein, der Natur und der Erkenntnis, denkt man, daß er sich über die verschiedenen Epochen hinweg gleichbleibt. Daß man darüber mit Aristoteles immer noch systematisch diskutieren kann, ist daher nicht so überraschend wie dieselbe Möglichkeit im Bereich der Ethik. Bei ihrem Gegenstand, den Vorstellungen vom guten und gerechten Leben, rechnen wir mit derart grundlegenden Veränderungen seit der Antike, daß wir bei Aristoteles eine uns fremde Welt erwarten. Um so bemerkenswerter ist, daß er sich in der Ethik als ein mindestens ebenso anregender Gesprächspartner wie in der theoretischen Philosophie erweist. Häufig verfährt man zwar anders. Man spricht vom Kosmosdenken und von einer mit Metaphysik befrachteten Ethik, also von Elementen, deretwegen diese Ethik als längst unzeitgemäß erscheint. Wer solche Gemeinplätze der AristotelesInterpretation beiseite schiebt und den Text unvorbelastet liest, wird überrascht sein, wie viele seiner Gedanken immer noch aktuell sind. Trotz des zeitlichen Abstandes laden sie zu einem philosophischen Diskurs unmittelbar ein. Daß man dieser Einladung besonders gern folgt und die Nikomachische Ethik zu den meistdiskutierten Schriften nicht nur des Aristoteles, sondern der Philosophiegeschichte insgesamt gehört, dieser Tatbestand wird nur aufgrund gewisser Voraussetzungen möglich: Um mit einem Philosophen über die Epochen hinweg diskutieren zu können, dürfen zumindest seine Fragen nicht epochengebunden sein. Ferner sollte wenigstens ein Teil der Begriffe und begrifflichen Unterscheidungen sowie der Argumente nicht so eng mit Besonderheiten der griechischen Polis, mit ihren Traditionen und Üblichkeiten, verquickt sein, daß sie sich einem systematischen Diskurs von heute, einer universalistisch orientierten Debatte, a priori versperren. Wer die Nikomachische Ethik studiert, findet diese Voraussetzungen erfüllt. Sowohl unter ihren Fragen als auch unter den Begriffen und Argumenten, mit denen sie beantwortet werden, gibt es erstaunlich viele, die bis heute eine Rolle spielen. Dazu gehören Grundbegriffe wie etwa die Unterscheidung von poiêsis und praxis, von Herstellen und Handeln. Außerdem entwickelt Aristoteles ein Modell menschlicher Handlung, das Strebensmodell, das erst durch eine Willensethik vom Typ Kants relativiert und selbst dann nicht einfach abgelöst wird. Ähnliches gilt von der Idee einer wahrhaft praktischen Philosophie, vom Gedanken eines Grundrißwissens und vor allem von den vielen Sacherörterungen. Von den Untersuchungen zur Freiwilligkeit und Entscheidung, zur Gerechtigkeit und zur Freundschaft, zur Willensschwäche (akrasia), der Lust (hêdonê) und der https://doi.org/10.1515/9783110578751-003
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Berufung des Menschen zu einem theoretischen und einem politischen Leben – von all diesen Überlegungen läßt sich bis heute lernen. Seit einiger Zeit macht die Forderung nach einer „Ethik ohne Metaphysik“ die Runde. Sofern man unter „Metaphysik“ die Theorie eines höchsten Seienden versteht, evtl. die einer jenseitigen Welt, wird das Programm einer „Ethik ohne Metaphysik“ schon von Aristoteles praktiziert, sogar in aller Selbstverständlichkeit und Nüchternheit. Zu den Themen der Aristotelischen Metaphysik gibt es zwar Querverweise, etwa durch die Kritik an Platons Lehre von einer Idee des Guten. Selbst hier ist zwar nicht das einzige, wohl aber das für die Ethik relevante Argument nicht metaphysischer, sondern genuin ethischer Natur. Ebensowenig argumentiert Aristoteles dort metaphysisch, wo er sich auf die für den Menschen charakteristische Leistung, auf ein ergon tou anthrôpou, beruft. Und das sogenannte Kosmosdenken spielt in den einzelnen Argumentationen so gut wie keine Rolle. Insofern gibt es einen weiteren Grund, Aristoteles zu studieren. Er entfaltet eine Ethik, die – je nach Interpretation – entweder ohne jede metaphysische Prämisse auskommt oder sich allenfalls mit einer minimalen Metaphysik zufriedengibt. Statt dessen trifft die umgekehrte Beziehung zu; nicht die Ethik bedarf der Metaphysik, wohl aber die Metaphysik der Ethik. Die Frage „Wozu Metaphysik?“ ist nämlich eine praktische, sogar existentielle Frage. Als philosophische Disziplinen sind Ethik und Metaphysik weitgehend unabhängig voneinander. Die Rechtfertigung eines der Metaphysik und allgemeiner: eines der reinen Theorie gewidmeten Lebens gehört dagegen in den Aufgabenbereich der Ethik. 2 Überliefert ist Aristoteles’ Ethik in drei Schriften. Seit dem Jahre 1817, seitdem Friedrich Schleiermacher der Berliner Akademie der Wissenschaften die Abhandlung Über die ethischen Werke des Aristoteles vorgelegt hat (Sämtliche philosophische Werke, 3. Abtlg., III 306 – 333), sucht die philologische Forschung diese Textlage, „welche einzig ist in der ganzen hellenischen Literatur“ (ebd.), wissenschaftlich zu erklären. Trotz einer Fülle akribisch zusammengetragener Beobachtungen ist das „Rätsel der drei Ethiken“ zwar noch nicht gelöst (einen Überblick über die Forschung bietet Dirlmeier 1962, 127– 143); es kann hier aber eingeklammert bleiben. Zur Einführung in die Nikomachische Ethik ist – abgesehen von interessanten Parallelen, Ergänzungen, auch Abweichungen – im wesentlichen nur ein Umstand zu erwähnen: Die drei Bücher V, VI und VII der Nikomachischen Ethik sind auch als Bücher IV, V und VI der Eudemischen Ethik überliefert, in ihren Handschriften aber nicht ausgeschrieben, sondern nur in Form eines Verweises auf den anderen Text gegenwärtig. Wohin diese sogenannten kontroversen Bücher ursprünglich gehörten, ist philologisch bis heute umstritten. Aus stilistischen Gründen plädiert Dirlmeier
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(a.a.O.) für die Nikomachische Ethik, Kenny (The Aristotelian Ethics) dagegen für die Eudemische Ethik. Im Verhältnis zur Eudemischen Ethik und vor allem zur sogenannten Großen Ethik, den Magna Moralia, sind die Erörterungen der Nikomachischen Ethik meist am ausführlichsten. Aus diesem Grund und weil in den eindrucksvollen Wirkungsgeschichten der Aristotelischen Ethik sie die weitaus größte Rolle spielt, bildet sie den Hauptbezugstext der meisten Studien zu Aristoteles’ Ethik – und auch den Gegenstand der folgenden „kooperativen Kommentierung“. Übrigens hat sich bis heute nicht klären lassen, warum dieser Text nach Nikomachos benannt ist. Gemeint ist entweder Aristoteles’ Vater, der Leibarzt am Hofe Philipps II. von Makedonien, oder Aristoteles’ Sohn oder sogar eine andere Person des Namens Nikomachos. 3 Das andere Titelwort êthikê (ethisch) übersetzt die lateinische Sprache mit „moralis“, die deutsche Sprache teils mit „sittlich“, teils bleibt sie beim Fremdwort „moralisch“. Weil der etymologische Zusammenhang klar ist, halten wir es für unverfänglich, bei Aristoteles von „Moral“, „moralisch“, auch von „Moralität“ und „moralischem Handeln“ zu sprechen. Was wir darunter verstehen, ist aber so stark von nacharistotelischen Gedanken durchsetzt, daß die Redeweise nicht unbedenklich ist. Andererseits vertritt Aristoteles nicht etwa eine moralfreie Moral. Unseren Begriff von Moral, eine bestimmte Form, menschliches Handeln zu bewerten, und die dieser Bewertung entsprechenden Verbindlichkeiten, kennt Aristoteles „natürlich“ auch; die Bewertung erfolgt aber in einer anderen Weise. Die Nikomachische Ethik beginnt mit der Beobachtung, daß die für den Menschen charakteristischen Tätigkeiten auf Ziele hin orientiert sind, die vom Handelnden als positiv bewertet und insofern als ein Gut angesprochen werden. Die Begriffe „Ziel“ und „Gut“ sind weitgehend äquivalent. Nun bilden die verschiedenen Ziele bzw. Güter eine Hierarchie, an deren Spitze ein höchstes, und zwar ein schlechthin oder unüberbietbar höchstes Gut steht, das summum bonum, wie es im Lateinischen heißen wird. Aristoteles setzt es mit dem Glück gleich, freilich nicht mit dem Glück, das einem zustößt, mit Fortuna, sondern mit einem Glück, für das der Mensch selber die Verantwortung trägt, mit dem Glück im Sinne eines gelungenen, geglückten Lebens (eu zên). Weil Aristoteles das Gute (agathon) in Begriffen von Zielen, griechisch: telê, denkt, heißt seine Ethik teleologisch: zielorientiert. Und sie heißt eudämonistisch, glücksorientiert, weil sie das höchste Gut als Glück, griechisch: eudaimonia, anspricht. Beide Begriffe – teleologisch und eudämonistisch – geben jedoch zu manchen Mißverständnissen Anlaß. Von ihnen seien in der Einführung nur zwei genannt. In der neueren Ethik-Debatte nennt man teleologisch jene utilitaristische Ethik, die alles Handeln auf das größte (maximale) Glück aller Betroffenen
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verpflichtet und die seit Jeremy Bentham und John Stuart Mill im englischen Sprachraum eine große Rolle spielt. Diese Ethik pflegt man mit der sogenannten deontologischen Ethik eines Immanuel Kant zu kontrastieren. Nun vertritt Aristoteles einen radikal anderen Glücksbegriff; weder ist das Glück maximierbar, noch soll es stets für alle Betroffenen gesucht werden. Folglich ist seine Ethik nicht im Sinne des Utilitarismus teleologisch. Und weil sie im Unterschied zu Kant das Glück nicht als „das ganze Wohlbefinden und Zufriedenheit mit seinem Zustande“ versteht (Grundlegung, 1. Abschnitt; Akad. Ausg. IV 393), ist sie auch nicht eudämonistisch in dem von Kant kritisierten Verständnis. Kant selber hat das auch nicht behauptet. An der entsprechenden Stelle, im Paragraphen 8 (Anm. II) der Kritik der praktischen Vernunft, dort, wo er ein System der „materiale(n) Bestimmungsgründe im Prinzip der Sittlichkeit“ verzeichnet, nennt er zwar Epikur und spricht erläuternd vom ‘epikureischen Prinzip der Glückseligkeitslehre’. Der Name Aristoteles taucht jedoch, vermutlich in absichtsvoller Vorsicht, nicht auf. (Zum Verhältnis von Aristoteles und Kant vgl. den abschließenden Beitrag, Nr. 13.) Weil sich Aristoteles am Glück orientiert, hat er eine nüchterne, eine zwar nicht vollständig, aber doch erheblich „entmoralisierte“ Ethik vorgelegt. Eine Ethik, der alle Anklänge an „Pflicht“ und „Verbindlichkeit“ fehlen, eine Ethik der Traditionen und Üblichkeiten, wie manche Neoaristoteliker glauben, vertritt er aber nicht. Denn einerseits ist häufig von to deon oder dei oder hôs dei, also von dem, was sich gehört, deshalb verpflichtend ist, die Rede, und darunter ist (z. B. 1094a24, 1107a4) mehr zu verstehen als das Geziemende in einem konventionellen Verständnis. Schon aus diesem Grund sprengt Aristoteles die genannte Alternative „teleologisch oder deontologisch“ und ist beiden Seiten zugleich zuzuordnen. Normative Elemente im strengen Sinn einer nichtrelativierbaren Verbindlichkeit sind außerdem im Begriff des Glücks enthalten, da Aristoteles keinen subjektiven, sondern einen objektiven Glücksbegriff entwickelt. Derartige Elemente gibt es ferner in der Kritik am kata pathos zên, am Leben gemäß den Leidenschaften, und in den Formeln kata logon zên (gemäß der Vernunft leben oder vernünftig leben) und orthos logos (richtige Vernunft). Nicht zuletzt birgt einen streng normativen Gehalt der Begriff der aretê, der Tugend. Aristoteles versteht darunter so etwas wie eine menschliche Bestform, eine humane Exzellenz. Im Fall der moralischen Tugend ist ein hervorragender Charakter – in etwa: sittliche Rechtschaffenheit – und im Fall der dianoetischen oder intellektuellen Tugend eine Höchstform menschlicher Intelligenz gemeint. Vergleicht man nun Aristoteles’ Ethik mit heutigen Ethiken, so fällt nicht nur die andere Form des Bewertens auf, sondern auch der Umstand, daß es nicht lediglich um ein Bewerten geht. Das Grundwort êthos bedeutet nämlich dreierlei: (1) den gewohnten Ort des Lebens, (2) die Gewohnheiten, die an diesem Ort gelebt werden, schließlich (3) die Denkweise und Sinnesart, den Charakter. Wegen der
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zweiten Bedeutung hat Aristoteles’ Ethik eine gewisse Ähnlichkeit mit der heutigen Ethologie, mit einer Lehre jenes ethos, das mit êthos etymologisch verwandt ist (vgl. auch II 1, 1103a17 f.). Seine Ethik ist durchaus eine Verhaltensforschung, allerdings auf den Menschen bezogen. Sie gehört zur Humanethologie bzw. Anthropologie oder, wie Aristoteles selber sagt, zur peri ta anthrôpeia philosophia, zur „Philosophie der menschlichen Angelegenheiten“ (X 10, 1181b15). Weil der Mensch nicht auf artspezifisch vorgegebenen Bahnen („Instinkten“) wandelt, sondern in eigener Verantwortung zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu wählen hat, unterscheidet sich seine Ethologie von der üblichen Verhaltensforschung grundlegend. Sie hat das Verhalten nicht bloß zu beschreiben, sondern auch zu bewerten. Und bei Aristoteles steht dieser zweite, normative Gesichtspunkt sogar im Vordergrund. Dabei geht es aber nicht bloß um jenes höchste Prinzip und Kriterium menschlichen Handelns, das man heute Moralprinzip nennt. Weit lebensnäher stellt Aristoteles zu den unterschiedlichen Aspekten eine Fülle von phänomenalen Betrachtungen und phänomenologischen Untersuchungen, von Methoden-, Begriffs- und Prinzipienanalysen an. 4 Sosehr sich die Philologen bei anderen Fragen noch unschlüssig sind, in einem Punkt können sie sich einigen: Die Nikomachische Ethik ist keine Jugendschrift des Aristoteles, sondern ein reifes Werk. Ihm liegt eine über weite Strecken wohlüberlegte Komposition zugrunde. Buch I steuert zunächst sehr rasch auf das Leitziel allen menschlichen Handelns, das Glück, zu und entfaltet sodann in mehreren Anläufen dessen Begriff: (a) Das Glück ist entlang von Lebensformen (bioi) zu diskutieren; (b) es ist keine Idee; (c) es ist formal gesehen ein schlechthin höchstes Ziel und (d) substantiell von der eigentümlichen Leistung des Menschen (ergon tou anthrôpou) her zu bestimmen. Aus dem substantiellen Begriff – der Tätigkeit der Seele nach der Vernunft oder doch nicht ohne sie folgt eine Zweiteilung, die von ethischer und von dianoetischer bzw. moralischer und von intellektueller Tugend, die die weitere Gliederung, von Buch II bis einschließlich Buch VI, vorgibt. In den Büchern VII–X 5 schließen sich „damit zusammenhängende Themen“ an: die Willensschwäche, die Lust und die Freundschaft. Den Höhepunkt und zugleich Schluß bildet eine Erörterung jener beiden Lebensformen, die dem Menschen eine gelungene, glückliche Existenz tatsächlich ermöglichen; es ist in erster Linie das theoretische, in zweiter Linie das (moralisch‐) politische Leben. Des näheren kann man den Text in sieben Teile aufgliedern: (1) Buch I handelt über die Methode der Ethik (bes. I 1: Otfried Höffe) und – in mehreren Anläufen – über deren Gegenstand, das Glück (eudaimonia: John Ackrill); außerdem enthält es eine Kritik an Platons Idee des Guten (I 4: Hellmut Flashar).
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(2) Von den zwei Arten der Tugend untersuchen die Bücher II-V die ethischen Tugenden (aretai êthikai: Ursula Wolf) und zugleich das Themenfeld Freiwilligkeit – Entscheidung – Verantwortlichkeit (III 1– 7: Christof Rapp). Im Rahmen der Tugendanalysen hat das der Gerechtigkeit gewidmete Buch V das Gewicht einer eigenen Abhandlung (Günther Bien). (3) Buch VI befaßt sich mit den „kognitiven Kompetenzen“ des Menschen, also mit der zweiten Art der Tugenden, mit den dianoetischen oder Verstandestugenden. Davon ist für eine Ethik im engeren Sinn vor allem die Klugheit (phronêsis) von Bedeutung (Pavlos Kontos). (4) Der erste Teil des Buch VII (1– 11) erörtert die Willensschwäche (akrasia: R. Robinson). (5) Im zweiten Teil (VII 12– 15) und ebenso zu Beginn von Buch X (1– 5) untersucht Aristoteles die Lust (hêdonê: Friedo Ricken). (6) Die Bücher VIII und IX behandeln die Freunschaft (philia: Anthony Price). (7) Schließlich geht es im zweiten Teil des letzten Buches (X 6 – 9) um die beiden Lebensformen, die die im ersten Buch genannten Kriterien für das Glück erfüllen; Aristoteles stellt das theoretische und das (sittlich‐)politische Leben vor (Wolfgang Kullmann). Die genannten sieben Teile greifen nun einerseits ineinander, andererseits haben sie den Wert von relativ selbständigen Abhandlungen. Sofern man in Teil 2 die Untersuchung zu Freiwilligkeit – Entscheidung – Verantwortlichkeit und die zur Gerechtigkeit als eigene Abhandlungen zählt, ferner die beiden Abhandlungen zur Lust getrennt aufführt, kann man sich die Nikomachische Ethik auch in zehn Teile einteilen: (1’) Buch I: über das Glück; (2’) Bücher II und III 8–IV: über die ethischen Tugenden; (3’) Buch III 1– 7: über Freiwilligkeit, Entscheidung und Verantwortlichkeit; (4’) Buch V: über die Gerechtigkeit; (5’) Buch VI: über die Verstandestugenden; (6’) Buch VII 1– 11: über die Willensschwäche; (7’) Buch VII 12– 15: die erste Abhandlung über die Lust; (8’) Bücher VIII–IX: über die Freundschaft; (9’) Buch X 1– 5: die zweite Abhandlung über die Lust; (10’) Buch X 6 – 9: über das theoretische und das politische Leben (das Schlußkapitel X 10 enthält einige Bemerkungen über die Erziehung zur Tugend und den Zusammenhang der Ethik mit der Politik). 5 Zu den Vorzügen der Aristotelischen Ethik gehört ihre Fähigkeit, zu einem sehr genauen und darüber hinaus erfahrungsreichen Denken anzuleiten, eigentlich
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sogar zu zwingen. Die einzelnen Überlegungen werden in der Regel sehr gedrängt vorgetragen und fallen trotzdem höchst differenziert aus; jedes Wort ist wohlabgewogen und verlangt nach einer ebenso genauen und differenzierten Interpretation. Aristoteles nimmt immer die entsprechenden Phänomene in den Blick; sie festzuhalten (tithenai ta phainomena: VII 1, 1145b3), ist ihm eine wichtige methodische Maxime. Außerdem praktiziert er die Grundforderung einer Wissenschaftsethik. Statt zu glauben, im Bereich der Ethik alles selber zu erfinden oder aber es auf eine radikal neue Grundlage zu stellen, nimmt er die Ansichten seiner Vorgänger zur Kenntnis, namentlich die von Sokrates und Platon, aber auch die von Eudoxos und Speusipp, ferner Gedanken von Homer, Aischylos, Euripides und Sophokles. Und soweit er sie nicht zustimmend zitiert, unterzieht er sie einer fairen Diskussion. 6 Es gibt Texte zur Ethik, deren hoher Sprache und mitreißendem Pathos man sich schwerlich entzieht. Nicht der geringste Preis derartiger Texte besteht darin, daß sie dem Leser die Alternative aufdrängen, zum Anhänger oder aber Gegner, hier also zum Aristoteliker oder aber Antiaristoteliker, zu werden. Aristoteles’ ebenso klarem wie nüchternem Geist ist beides fremd, sowohl das Pathos, das das Publikum mitreißen will, als auch das Bedürfnis, für eine bestimmte Position Anhänger zu gewinnen. Ohnehin will der Philosoph weder moralisieren, noch sucht er das prophetische Wort. Er will nicht mehr, aber auch nicht weniger als über das menschliche Handeln begrifflich-argumentativ, also philosophisch nachdenken. Im übrigen liegt hier kein literarischer Essay vor, sondern ein komprimiertes Vorlesungsmanuskript. Den schlichten Gegensatz, den von Aristotelikern und Antiaristotelikern, finden wir unter den Lesern der Nikomachischen Ethik zwar auch, zumal in der jüngereen Ethik-Debatte. Man gewinnt aber den Eindruck, daß dann theoriepolitische, gelegentlich sogar bloß politische Gesichtspunkte mitverantwortlich sind. Wer Aristoteles selber liest, entdeckt bei den entsprechenden Entgegensetzungen eher Einseitigkeiten und manches Mißverständnis (vgl. den Schlußbeitrag, Nr. 13). Und positiv wird er zu anderen Reaktionen motiviert, etwa zu einer Verbindung von phänomenalem mit analytischem Denken – und vielleicht auch zu praktischen Konsequenzen. 7 Gelesen, kommentiert und wiedergelesen wird Aristoteles’ Ethik seit der Spätantike über alle Epochen hinweg. Im Verlauf dieser fast einzigartigen Wirkungsgeschichte hat sich eine derartige Fülle von Sekundärliteratur angehäuft, daß selbst Spezialisten sie kaum noch übersehen. Wichtige Titel werden im Anhang aufgelistet, außerdem enthält jeder einzelne Beitrag Bezüge zur bisherigen Diskussion. Der Reichtum der Sekundärliteratur sollte aber niemanden abschrecken,
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die Schrift in aller Unbefangenheit zunächst einmal selber zu studieren. Einen so dichten Text wie die Nikomachische Ethik kann man zwar nicht einfach durchlesen. Man muß ihn – dazu will dieser „kooperative Kommentar“ anleiten – Kapitel für Kapitel, sogar Zeile für Zeile studieren; auch Stellenangaben müssen in dieser Genauigkeit erfolgen. Wer sich darauf einläßt, auf eine ebenso gründliche wie eigenständige Lektüre, dürfte aber bald sehen: Hier lassen sich noch eigene Entdeckungen machen.
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2 Ethik als praktische Philosophie – Methodische Überlegungen (I 1, 1094a22 – 1095a13) Die Nikomachische Ethik beginnt mit einer bemerkenswert gehaltreichen Einleitung. Ihr erstes Kapitel stellt den Gegenstand vor und ordnet ihn der Politik zu; es fragt nach der Genauigkeit, die man von der Ethik erwarten darf, und erklärt, zu welchem Zweck man philosophische Ethik betreibe. Untergliedern kann man das Kapitel in zwei Hauptteile. Der erste, kürzere Teil (1094a1– 22) führt den Gegenstand, das Gute (agathon), ein, verstanden als das Umwillen bzw. als Ziel typisch menschlicher Tätigkeiten. Zugleich werden diese Tätigkeiten ihrer Struktur nach als Bewegung auf ein Ziel hin, als ein Streben (ephiesthai bzw. orexis), bestimmt. Im Rahmen der verschiedenen, hierarchisch angeordneten Ziele geht es näherhin um einen Superlativ des Guten, um ein Ziel, das um seiner selbst willen verfolgt wird, um jenes Beste (to ariston), das im nächsten Kapitel als Glück identifiziert wird (I 2, 1095a18 f.). Die folgenden Erläuterungen befassen sich aber nicht damit, sondern mit dem umfangreicheren zweiten Hauptteil, der als Methodenexkurs bekannt ist (1094a22– 1095b13; für den Glücksbegriff siehe Beitrag Nr. 3, auch 13.5). Zu Beginn (a22– 26) nennt Aristoteles die drei Gesichtspunkte, die er dann in umgekehrter Reihenfolge abhandelt: a) Die Ethik dient dem Leben, hat also eine praktische, sogar existentielle Bedeutung (1094a22– 24 und 1094b27– 1095a13); b) der Wissensart nach liegt ein typô(i) – das heißt Grundriß–Wissen und ein hôs epi to poly –, ein Zumeist-Wissen vor (1094a24– 26 und 1094b11– 27); c) schließlich fragt Aristoteles nach der Wissenschaft (epistêmê) oder Fähigkeit (dynamis), zu der diese Überlegungen gehören (1094a25 f.), und antwortet: zur politischen (1094a26–b11).
2.1 Ethik und Politik Nach einer verbreiteten Ansicht ist das leitende Gute des Menschen, das Glück, etwas sehr Persönliches, vielleicht sogar Privates. Aristoteles entfaltet einen anderen Begriff und läßt die Andersartigkeit schon hier beginnen, wo er es einem Bereich zuordnet, den wir allenfalls für subsidiär zuständig halten, der Politik. Die damit angedeutete Differenz könnte man zu einem Gegensatz von „persönhttps://doi.org/10.1515/9783110578751-004
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lich/privat“ und „politisch“, außerdem zum Gegensatz von Antike und Moderne hochstilisieren wollen. Während in der Moderne ein persönlicher oder privater, manchmal sogar privatistischer Begriff vorherrsche – das Glück als ein Glücksgefühl oder als eine bestimmte Innerlichkeit –, sei nach der durch Aristoteles repräsentierten Antike das Glück nur innerhalb einer Polis bzw. des Staates zu verwirklichen. Damit verwandt ist die These, die auf den großen Aristoteliker der Neuzeit, Hegel, zurückgeht: Aristoteles sehe „die politische Philosophie als die allgemeine, ganze praktische Philosophie an“ (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, in Gesammelte Werke 19, 225). Nach Hegel sind Ethik und Politik untrennbar miteinander verknüpft; außerdem erscheint die Ethik als eine der Politik untergeordnete Disziplin. Gegen diese Deutungen, einerseits gegen einen Gegensatz von „persönlich/ privat“ und „politisch“, andererseits gegen eine Unterordnung der philosophischen Ethik unter die politische Philosophie, erheben sich vom Einleitungskapitel her Bedenken. Spätere Passagen verstärken sie. Zum Beispiel wird Aristoteles nach der für den Menschen charakteristischen Leistung fragen (ergon tou anthrôpou: I 6, 1097b24 ff.) und mit zwei zwar persönlichen, aber nicht privaten, sondern allgemeinen Elementen antworten, mit der „Tätigkeit der Seele“ (psychês energeia) und mit logos, Vernunft. Und zu ihrer Vollendung sieht er die charakteristische Leistung dort gelangen, wo man eine für sich genommen apolitische Existenz führt, in einer der bloßen Erkenntnis gewidmeten Lebensform, im bios theôrêtikos. Das politische Leben wird dagegen nur als zweitbeste Form (X 6 – 9) anerkannt. Dieser Umstand spricht auch gegen die Ansicht des Hegelianers J. Ritter (1969, 128), „der Mensch als Vernunftwesen“ sei „für Aristoteles […] konkret auf die Polis und ihre Institutionen verwiesen“. Wenn das Einleitungskapitel tatsächlich die Beziehung zweier philosophischer Disziplinen erörtern würde, müßte man das zu „politisch“ (1094a27) gehörende Substantiv, die epistêmê, im Sinne einer wissenschaftlichen Disziplin verstehen. Zufolge der Zeile vorher ist aber nicht bloß epistêmê, sondern auch dynamis (a26) zu ergänzen. Nach der üblichen Übersetzung – Wissenschaft oder Fähigkeit – gibt es daher zwei heterogene Möglichkeiten; die Ethik gehört entweder zur politischen Wissenschaft oder zur politischen Fähigkeit, mithin entweder zur politischen Theorie oder zur politischen Praxis. Da die nächste Zeile nur von epistêmai spricht und den Staaten (poleis) das Recht zuspricht, über sie zu bestimmen (a28 f.), ist der Ausdruck kaum in der engeren, terminologischen Bedeutung, als wissenschaftliche oder philosophische Disziplin, und schon gar nicht im Sinne einer Haltung des Beweisens (hexis apodeiktikê: VI 3, 1139b31 f.) gemeint. Wie häufiger bei Aristoteles hat epistêmê auch hier die Bedeutung von fachlichem Können, von Fachkompetenz oder Sachverstand. Aristoteles spricht nicht über die Ethik im Sinne einer wissenschaftlichen Disziplin, sondern über
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deren Gegenstand und ordnet ihn, das leitende Gute, dem politischen Sachverstand oder kürzer: der Politik zu. Die dabei behauptete Unterordnung gilt nicht der philosophischen Ethik unter die politische Philosophie, sondern dem Glück unter die Politik. Damit scheint er zwar der genannten Schlußthese, dem Vorrang der theoretischen vor der politischen Existenz, zu widersprechen; wir werden aber sehen, daß der Schein trügt. Zugunsten der Politik werden fünf Argumente angeführt; sie laufen nicht auf ein und dieselbe These, sondern auf zwei Thesen, T1 und T2, hinaus. Die Argumente 2– 4 begründen die These 1, das Argument 5 die These 2, während das Argument 1 als eine für T1 und T2 gemeinsame Oberthese oder auch als Kriterium für T1 und T2 zu lesen ist. Nach dem für T1 und T2 gemeinsamen Argument muß man von der Fachkompetenz dieselbe Eigenart wie vom Gegenstand erwarten, einen Superlativcharakter. In der Art des Superlativs – „im höchsten Maß herrschend“ (kyriôtatê, von kyrios: Herr) und „am meisten leitend bzw. architektonisch“ (malista architektonikê) – deutet sich schon das zweite Argument an. Es besteht in der Beobachtung einer direktiven Funktion: die Politik gebietet, welche Kompetenzen zu lernen sind und bis zu welchem Grad (1094a28–b2). Das dritte und das vierte Argument bekräftigen die direktive Funktion: Einerseits sind der Politik selbst die angesehensten Fähigkeiten noch untergeordnet (b2 f.), andererseits erläßt sie Gesetze über das, was zu tun und zu lassen ist (b4– 6; vgl. V 3, 1129b19 f.). Heute, im Zeitalter der Metaphysikskepsis, etablieren sich Ethiken, um wissenschaftlich ernstgenommen zu werden, mit Nachdruck als „Ethik ohne Metaphysik“. Obwohl man Aristoteles gern als Gegenbeispiel anführt, folgt schon sein Einleitungskapitel dem angeblich erst neuen Programm. Nicht nur ist von einer Zuordnung zur Politik statt zur Metaphysik die Rede. Im Rahmen einer Zwischenbilanz – das Ziel der Politik mitumfaßt die Ziele aller anderen Fähigkeiten (b6 f.) – bringt Aristoteles auch jene antimetaphysische Spitze unter, die er in der Kritik an Platons Idee des Guten ausarbeitet (I 4, besonders 1096b33 – 35). Im bewußten Widerspruch zum Prototyp einer metaphysischen Entität, der Idee des Guten, befaßt er sich mit dem „für den Menschen Guten“ (tanthrôpinon agathon: I 1, 1094b7). Im Fortgang seiner Überlegungen bleibt er dem Programm treu. Die entscheidenden Begriffe, so der einer für den Menschen charakteristischen Leistung (ergon tou anthrôpou: I 6, 1097b24 ff.), trauen sich zwar Wesensaussagen zu, beinhalten also einen (freilich vorsichtigen) Essentialismus. Sie kommen aber ohne Annahmen einer jenseitigen, metaphysischen Welt aus. Gegenwärtig ist die Metaphysik allenfalls in jenem gewiß unproblematischen Sinn, daß die Ethik wie jede andere Disziplin allgemeine, jede Einzeldisziplin übergreifende Grundbegriffe verwendet.
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Die beiden Superlative – „am meisten herrschend“ und „am meisten leitend“ – legen noch nicht das genaue Gewicht der Politik fest. Durch die Optionen, die als Alternativen in Erwägung gezogen werden, wird die Bedeutung der Politik relativiert. Nicht schlechthin, sondern nur im Verhältnis zu praktischen Kompetenzen von der Kriegs-, Wirtschafts- und Redekunst ist die Politik überlegen. Und genau deshalb, wegen einer nur relativen Überlegenheit, liegt kein Widerspruch vor, wenn Aristoteles in anderen Hinsichten einen Primat der Politik zurückweist: im sechsten Buch (7, 1141a20 – 22) vom Rang des Gegenstandes her – es ist „unsinnig, die politische Kompetenz […] für die vortrefflichste zu halten, weil der Mensch nicht das Beste im Kosmos ist“ – und im zehnten Buch von der größeren Glückstauglichkeit des theoretischen Lebens her. Die Alternativen besagen noch etwas anderes: Das Glück einerseits, die Politik anderseits treten nicht an die Stelle strategischer, ökonomischer und rhetorischer Kompetenz; sie relativieren nur deren Rang. Die Politik hat keinen exklusiven, die anderen Optionen ausschließenden, sondern einen inklusiven, das heißt sie mitumfassenden (periechei) und zugleich sie auf gesetzgebende Weise (nomothetousês) dirigierenden Charakter. Schließlich werden nur die genannten Kompetenzen („Künste“) relativiert, nicht die Ethik; sie wird nämlich als Alternative gar nicht genannt. Bis einschließlich Argument 4 kann von der üblichen Interpretation, einem Vorrang der politischen Philosophie vor der philosophischen Ethik, keine Rede sein. Erst im fünften und letzten Argument deutet sich ein derartiger, freilich nur geringer Vorrang an. These T2: Individuen und Staaten verfolgen zwar dasselbe Gute bzw. Ziel (vgl. Pol. VII, 1, 1323b40 ff. und VII 15, 1334a11); im Fall von Völkern und Staaten erfährt es aber eine Steigerung (EN I 1, 1094b7– 10; ähnlich Pol. IV 9, 1294b6 – 10). Der Komparativ besagt, daß schon beim einzelnen das gemeinte Gute, das Glück, über alle exzeptionellen Eigenschaften verfügt; es ist vollendet (teleion), wünschenswert (agapêton), schön (kalon) und göttlich (theion). Die These T2 verdient daher eine bescheidene, summative Interpretation: bei Gemeinschaften sind es nicht nur einzelne, sondern viele, die sich ihres Glücks erfreuen. Wenn es besser ist, daß Gemeinschaften des Glücks teilhaftig werden, so wäre es noch besser, wenn es auf die Gemeinschaft aller Gemeinschaften, die ganze Menschheit, zuträfe. Der große Aristoteliker des Mittelalters, Thomas von Aquin, zieht in seinem Kommentar zu Aristoteles’ Ethik genau diesen Schluß. Er setzt aber nicht hinzu, daß Aristoteles selber diese Extrapolation und Universalisierung gerade nicht vornimmt; weder hier noch an anderen Stellen der Ethik und der Politik zeigt sich Aristoteles als Kosmopolit. Auf dieses Defizit könnten sich die sogenannten Kommunitaristen, die gegen den Universalismus von Kant bis Rawls den Wert der wohlabgegrenzten „Kommunität“, der Gemeinschaft, verteidigen
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und Aristoteles für einen der ihren halten. Die von Thomas vorgenommene Extrapolation zeigt aber, mit welcher Selbstverständlichkeit der Aristotelische Ansatz zum Universalismus hindrängt. Und viele weitere Gründe sprechen dagegen, Aristoteles für die Ahnenreihe der Kommunitaristen zu vereinnahmen (vgl. den Beitrag Nr. 13). Gelegentlich wird Aristoteles ein organologisches Verständnis vom Staat zugesprochen. Danach wäre der einzelne nur wie das Glied eines Organismus und könnte für sich allein das Gute gar nicht erreichen. Der genannte Komparativ widerlegt dieses Verständnis; schon beim einzelnen ist das Glück vollendet, beim Staat findet lediglich eine Steigerung statt. Aristoteles behauptet nicht einmal einen normativen Vorrang des Staates vor dem Individuum; daß im Konfliktfall Individuen ihre Interessen gegenüber denen des Staates zurückstellen müßten, sagt er nicht. Auch die Platonkritik der Politik (II 1– 6) weist einen normativen Vorrang des Staates zurück. Selbst die vorsichtige Interpretation von W. Jaeger (1954/55), der Gedanke eines „politischen Humanismus“, nach dem der Mensch nur im Rahmen der Polis seine Möglichkeiten voll entfalte, trifft nur begrenzt zu. Denn der die Vernunft und mit ihr die Humanität steigernde bios theôrêtikos ist für sich allein gesehen apolitisch. Auch im Fortgang der Nikomachischen Ethik ist von keinem Vorrang des Staates die Rede. Wie also verhalten sich politische Philosophie und philosophische Ethik zueinander? Einerseits bestehen zwischen beiden Disziplinen vielfältige Verbindungen. So spielen die Grundbegriffe der Ethik – das Glück, die moralischen Tugenden (dabei namentlich die Gerechtigkeit) und die Freundschaft – allesamt auch in der Politik eine große Rolle. Umgekehrt haben die moralischen Tugenden – unbeschadet ihrer Verankerung im Charakter des einzelnen – als Sitz im Leben die Polis, und deren Gesetze sollen mit zum guten Leben anhalten (vgl. X 10). Außerdem kann man das Glück im bios politikos, dem (moralisch‐)politischen Leben, verwirklichen. Andererseits besteht zwischen beiden Disziplinen eine klare Arbeitsteilung; und mit ihr setzt sich Aristoteles gegen Platon ab, der in der Politeia die gesamte Ethik in die Politik integriert: Während die normativen Grundbegriffe in der Ethik entwickelt werden, ihr insofern ein Vorrang gebührt, befaßt sie sich ansonsten mit den persönlichen Bedingungen, die dem einzelnen zum Glück verhelfen, und überläßt der Politik die Untersuchung von Institutionen und Verfassungen, einschließlich der Bedingungen politischer Stabilität und politischen Zerfalls. Insofern keine Über-, sondern eine Nebenordnung besteht, ist Aristoteles’ anderer Titel sachgerechter, die nicht mehr hierarchisierende, sondern übergreifende Bezeichnung: hê peri ta anthrôpeia philosophia (X 10, 1181b15). Als „Philosophie der menschlichen Angelegenheiten“ bilden Ethik und Politik zusammen den Kern einer philosophischen Lehre vom Menschen, einer philosophischen
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Anthropologie, deren normative Grundbegriffe, Tugend und Schlechtigkeit, weder das Tier noch Gott kennen (VII 1, 1145a25 f.).
2.2 Grundriß-Wissen Methodenüberlegungen finden sich nicht bloß im Einleitungskapitel, sondern über den ganzen Text verstreut. Hier seien nur die wichtigsten angeführt: (1) I 1, 1094a22– 26: Vorgriff auf die beiden Thesen des ersten Methodenexkurses; (2) I 1, 1094b11– 1095a13: erster Methodenexkurs mit den Thesen: Grundriß(typô(i))-Wissen und praktische Philosophie; (3) I 2, 1095a30–b13: zweiter Methodenexkurs; die Unterscheidung zweier Arten von Prinzipienforschung (von den Prinzipien aus und zu ihnen hin) begründet die in der These der praktischen Philosophie enthaltene Teilthese, bei jungen Leuten habe die Ethik keinen Nutzen; (4) I 7, 1098a26–b8: der dritte Methodenexkurs bekräftigt den typô(i)-Charakter und ergänzt die Hinweise zur Prinzipienforschung; (5) I 8 – 9: Aristoteles führt als neuen methodischen Gesichtspunkt die legomena ein, also weit verbreitete Ansichten (1098b9 – 12); (6) II 2, 1103b26 – 1104a11: der vierte Methodenexkurs wiederholt die zwei Gesichtspunkte des ersten; (7) von den weiteren Hinweisen sei nur der aus der Abhandlung über die Unbeherrschtheit (akrasia) erwähnt; es handelt sich um eine methodische Schlüsselbemerkung, die nicht nur für die Ethik wichtig ist: Man muß (a) die Phänomene festhalten und (b) zuerst die Schwierigkeiten auseinanderlegen und (c) dann alle oder doch die meisten und wichtigsten anerkannten Ansichten beweisen (endoxa; entspricht den legomena von Punkt 5); wenn nämlich die Schwierigkeiten gelöst sind und die anerkannten Ansichten übrigbleiben, hat man die Sache hinreichend bewiesen (VII 1, 1145b2 – 7). Die folgenden Erläuterungen beziehen zwar die anderen methodischen Hinweise ein, stellen aber die Argumentation des Einleitungskapitels in den Mittelpunkt. Beide hier vertretenen Thesen – Grundriß-Wissen und praktische Philosophie – sind auf den ersten Blick überraschend, sogar provokativ, erweisen sich aber dank Aristoteles’ Argumenten als plausibel und darüber hinaus als bis heute aktuell. Aristoteles fragt zunächst nach der zu erwartenden Genauigkeit (akribes: b13 und 24) und antwortet mit drei Ausdrücken: pachylôs: im groben, typô(i): im Umriß oder Grundriß, und hôs epi to poly: meistens (1094b20 f.). Während die beiden anderen Ausdrücke recht häufig vorkommen, finden wir den ersten Ausdruck in Aristoteles’ Œuvre nur an dieser Stelle (Index Aristotelicus, hg.v. Bonitz,
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573). Er verstärkt die im zweiten Ausdruck enthaltene Aussage, so daß zwei relativ selbständige Ausdrücke übrigbleiben, und diese sind alles andere als äquivalent: Typos bezeichnet ursprünglich sowohl das Instrument als auch das Produkt eines Prägens und später zusätzlich jenen Umriß, der nur das Wesentliche seines Vorbildes wiedergibt, die Skizze.Wer „wie in einem Typos“ redet, gibt seine Sache nicht etwa falsch wieder, auch nicht ungenau in den verschiedenen Bedeutungen von a) unscharf, verschwommen, b) oberflächlich oder nicht streng genug, c) subjektiv unzuverlässig oder d) objektiv fehlerhaft. Die Aussage trifft vielmehr ohne Einschränkung zu; obwohl rundum wahr bzw. gültig, stellt sie jedoch ihre Sache nicht erschöpfend, sondern lediglich in den Grundzügen bzw. im Grundriß dar. Einer Grundriß-Aussage fehlt die Genauigkeit nicht etwa im Sinne von Strenge, wohl aber im Sinne von Ausführlichkeit. Anders verhält es sich mit einer hôs epi to poly-Aussage, zum Beispiel „Honigwasser ist für Fieberkranke heilsam“ (Met.VI 2, 1027a23 f.). Im Rahmen der drei Aussagearten – notwendig, zumeist und akzidentell wahr (An. post. I 30 und Met. VI 2) – trifft hier der ausgesagte Sachverhalt im Unterschied zu den notwendigen Aussagen (z. B. daß ein Mensch ein Lebewesen ist) nicht immer, im Unterschied zu den akzidentell wahren Aussagen (z. B. daß ein weißer Mensch musikalisch ist: Met. VI 2, 1027a11 f.) meistens aber doch zu. Das, was die beiden Ausdrücke – „im Grundriß“ und „zumeist“ – in der Ethik des näheren bedeuten, ergibt sich aus der vierteiligen Argumentation. Sie ist geradezu schulmäßig streng aufgebaut, zeigt also exemplarisch, daß Aristoteles’ Ethik nicht auf wissenschaftliche Strenge verzichtet: Aus (1) einem allgemeinen wissenschaftstheoretischen Grundsatz, dem der gegenstandsgerechten Genauigkeit (1094b11– 14), und (2) gewissen, für den ethischen Gegenstand charakteristischen Eigenarten und Schwierigkeiten (b14– 19) folgt (3) als Schluß: Charakteristisch für die Ethik ist sowohl ein Zumeist- als auch ein Grundriß-Wissen (b13 – 22; vgl. für das Grundriß-Wissen den dritten und vierten Methodenexkurs: I 7, 1098a22– 33 und II 2, 1103b34– 1104a11). (4) Erneut unter Berufung auf einen allgemeinen Grundsatz fordert Aristoteles vom Hörer, nur eine derartige Genauigkeit zu erwarten (1094b22– 27). (1) Das Prinzip der gegenstandsgerechten Genauigkeit. Die methodische Besonderheit der Ethik wird nicht bloß aus einer Schwierigkeit des Gegenstandes abgeleitet. Aristoteles beginnt mit einem allgemeinen wissenschaftstheoretischen Prinzip, das eine Rücksicht auf den Gegenstand nicht bloß erlaubt, sondern sogar verlangt. In der Neuzeit besteht die Neigung, die Wissenschaftlichkeit an einem einheitlichen Maß zu messen und den deduktiven Beweis (apodeixis; vgl. An. post., bes. I 1– 4) und mit ihm die Mathematik zum Vorbild zu nehmen. Wer dieser Neigung folgt, sucht entweder mit Spinoza eine Ethik „more geometrico“, oder er
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billigt der Ethik, da die Suche keinen Erfolg verspreche, nur eine geringe Wissenschaftlichkeit zu; vorausgesetzt, daß er die Ethik überhaupt noch als Wissenschaft anerkennt, stellt er für sie ein epistemisches Defizit fest. Selbst Spezialisten sind der Ansicht, in seiner Ethik suche Aristoteles nicht die für ihn sonst übliche Wissenschaftlichkeit: „Since Ethics is practical, issuing in particular action, it requires a dialectical rather than a scientifically demonstrative, approach.“ (A. Rorty, 1980, 2) Die Ansicht könnte sich auf Aristoteles’ vierten Argumentationsschritt berufen wollen. Daß es ein Zeichen mangelnder Bildung (paideia; vgl. De Partibus Animalium I 1, 639a1 ff.) sei, wenn man von einem Redner einen (zwingenden) Beweis, von einem Mathematiker aber eine nur glaubhafte Rede erwarte, könnte heißen, die Ethik müsse auf mathematische Strenge verzichten und sich wie ein Redner mit bloßer Plausibilität zufriedengeben. Der Zusammenhang legt eine andere Lesart nahe; durch einen Blick in die zuständigen Schriften, in die Zweiten Analytiken und in die Rhetorik, wird sie bestätigt. Danach soll der Redner nicht etwa überreden, sondern überzeugen und bedient sich dafür derselben zwei Elemente, die für die Mathematik und jede andere Wissenschaft erforderlich sind (vgl. An. post. I 1, 71a1– 11); er argumentiert in Form von Schluß (syllogismos) und Induktion (epagôgê). Für seinen anderen Zweck, die zwar wahre, aber nicht zwingende, vielmehr glaubhaft machende Rede (Rhet. I 1) modifiziert er beide Elemente. Ob Schluß oder Induktion – an die Stelle der zwar voll ausgeführten, aber auch umständlichen Form tritt jene abgekürzte Variante, die sich auf das Entscheidende konzentriert; dort ist es der abgekürzte Schluß, das sog. Enthymem, und hier die abgekürzte Induktion, das Beispiel (vgl. Rhet. II 20 – 26). Daß sich Mathematik und Rhetorik voneinander unterscheiden (vgl. auch Met. II 3,995a6 ff.), besagt nun zweierlei: nicht bloß daß selbst ein guter Redner keine zwingenden Beweise vorträgt, sondern auch daß ein Redner, der einen zwingenden Beweis, eine more geometrico-Argumentation, versucht, gegen die Qualitätskriterien für eine gute Rede verstößt. Wer sich nicht auf das Entscheidende zu konzentrieren versteht, langweilt sein Publikum. Umgekehrt verfehlt ein Mathematiker seine Aufgabe, der zwar einen zündenden Vortrag hält, sich dabei aber einem zwingenden Beweis entzieht. Im Gegensatz zur konträren Tendenz der Neuzeit vertritt Aristoteles ein Prinzip wissenschaftstheoretischer Flexibilität. Zwar gibt er das in den Zweiten Analytiken aufgestellte Ideal von Wissenschaftlichkeit, den zwingenden Beweis, nicht auf. Im Wissen, daß sich das Ideal nicht bei allen Klassen von Gegenständen realisieren läßt, setzt er sich aber generell für ein Prinzip gegenstandsgerechter Genauigkeit ein (vgl. Höffe ³2008, Teil II; zum Begriff der Genauigkeit vgl. auch Kurz 1970 und Anagnostopoulos 1994). Als Analogie zieht er die Handwerke heran; dabei tritt die Analogie in zwei Varianten auf: (1) Die These des ersten Methodenexkurses, daß man in den (sc. verschie-
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denen) Handwerken nicht dieselbe Genauigkeit verlangen kann (1094b12 – 14), besagt, daß beispielsweise einem Eisenschmied Toleranzen erlaubt sind, die sich einem Goldschmied verbieten.¹ (2) Der dritte Methodenexkurs (I 7, 1098a26 – 33) ergänzt diese Aussage, wenn er behauptet, ein Zimmermann und ein Geometer (im Sinn von Mathematiker) suchten den rechten Winkel auf verschiedene Weise. Die Erläuterung, jeder suche den rechten Winkel, soweit er für seine Arbeit nützlich sei, spielt zwar auf sachgemäße Toleranzen an; bei der mathematischen Frage nach dem Wesen des rechten Winkels (1098a31) fallen diese Grenzen aber nicht etwa enger aus, sondern kommen gar nicht in Betracht. (2) Die Schwierigkeit des ethischen Gegenstandes sieht Aristoteles in einer mangelnden Konstanz; diese tritt in zweierlei Weise zutage. Weil einerseits beim Schönen und Gerechten große Unterschiede und eine hohe Unbeständigkeit bestehen – dort könnte man an die unterschiedlichen Kontextualisierungen denken, hier an das Diktum „andere Länder oder Zeiten, andere Sitten“ –, erscheint der Gegenstand der Ethik als bloßes Menschenwerk, als Satzung (nomos), dem jedes natürliche Moment (physis), das heißt hier: jede überpositive Verbindlichkeit, fehlt (1094b14– 16). Andererseits halten Güter wie der Reichtum, selbst die Tapferkeit nicht immer, was sie versprechen. Weil sie bloß in der Regel zum Glück verhelfen und gelegentlich den Betreffenden zu Schaden kommen lassen – Reichtum kann Neid erzeugen oder Diebe und Erpresser anlocken, und die Tapferkeit kann das eigene Leben gefährden –, deshalb zeigen sie gegenüber ihrer Aufgabe, dem Dienst am leitenden Guten, eine gewisse Ambiguität. Die genannten Güter sind nicht uneingeschränkt, sondern nur bedingt glückstauglich. (3a) Ein Zumeist-Wissen. Ordnet man die beiden Schwierigkeiten je einer der dann folgenden Methodenaussagen zu, so gehört das Grundriß-Wissen zu den Unterschieden und der Unbeständigkeit, die Zumeist-Aussage dagegen zur Ambiguität. Um mit dem zweiten zu beginnen: Äußere Güter, die wie etwa der Reichtum dem Leitziel des Menschen, dem Glück, dienen, gibt es durchaus; auch moralische Grundhaltungen wie die Tapferkeit sind glückstauglich. Beide dienen sie ihrem Zweck, dem Glück, aber nicht immer, sondern bloß meistens. Kapitel III 5 bringt Dinge, die zumeist begegnen, mit der Überlegung (bouleusis bzw. bouleuesthai) in Zusammenhang. Wer sich auf eine Überlegung einläßt, verbindet das Wissen, hier selber zuständig zu sein („die Dinge sind in Eine Bemerkung Wittgensteins in den Philosophischen Untersuchungen – Teil I, § 88 – liest sich übrigens wie eine Paraphrase zu Aristoteles: „Ist es unexakt, wenn ich den Abstand der Sonne von uns nicht auf 1 m genau angebe; und dem Tischler die Breite des Tisches nicht auf 0,001 mm? Ein Ideal der Genauigkeit ist nicht vorgesehen.“
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meiner Gewalt und ausführbar“), mit einer Kritik an einer „mechanischen“ Anwendung rezepthaft vorgegebener Regeln. Überzeugt, daß es zum Zweck des Glücks keine sicheren Mittel und Wege, keine verläßlichen Rezepte, gibt, nimmt er die Mühen eines ebenso sensiblen wie kreativen Nachdenkens auf sich. Statt sich auf gewisse Regeln blind zu verlassen, sucht er realisierbare Handlungsmöglichkeiten und wägt sie gegeneinander ab. Von Zumeist-Aussagen ist auch im Buch V, der Abhandlung über die Gerechtigkeit, die Rede. Weil die Gerechtigkeit (dikaiosynê) auf allgemeine Regeln (Gesetze) verpflichtet ist, bedarf es, um dem Einzelfall „Gerechtigkeit“ widerfahren zu lassen, einer Korrektiv-Tugend. Es ist die Billigkeit (epieikeia), die es versteht, sehr spezielle Einzelfälle zu erkennen und dann von der Regel abzuweichen (V 14, bei 1137b13 ff.; vgl. Rhet. I 13 und schon Platon, Politikos 294a– 296a). Dort, wo Aristoteles nicht bloß für äußere Güter, sondern selbst für moralische Grundhaltungen eine nur eingeschränkte Glücksfähigkeit anerkennt, räumt er den Wagnischarakter der menschlichen Existenz ein. Die Tugend bleibt eine notwendige Bedingung für den Zweck menschlichen Lebens und vermag trotzdem diesen Zweck nicht zu garantieren. Einerseits kann sie glücksschädliche Konsequenzen nach sich ziehen; andererseits entzieht sie niemanden der Möglichkeit von Unglücksfällen. Die kleinen Unglücksfälle des Lebens versteht die Tugend zwar zu kompensieren, und bei großem Unglück sorgt sie auch dafür, daß man von ihm nicht erdrückt wird. Sie kann aber nicht verhindern, daß das Glück – Aristoteles nennt als Beispiel Priamos (I 10, 1100a5 – 9) – eingetrübt, ja vielleicht sogar zerrieben wird (I 11, 1100b22 ff). Die begrenzte Glückstauglichkeit sogar von Tugenden drängt eine Konsequenz auf, die Aristoteles selber nicht mehr zieht: Wenn er nirgendwo sagt, falls es das Glück nahelege, solle man auf die Tapferkeit verzichten, wenn er im Gegenteil den „im vornehmlichen Sinn (kyriôs) tapfer“ nennt, „der unerschrocken vor einem edlen Tod ist“ (III 9, 1115a32 f.), dann hält er die Forderung nach Tapferkeit für höherrangig selbst als das Lebensinteresse. Er sieht sie als Selbstzweck bzw. als ohne jede Einschränkung gültig an. Aus der uneingeschränkten Gültigkeit folgt nun die prinzipientheoretische Konsequenz, daß das Glück gar nicht das uneingeschränkte Leitziel menschlichen Handelns ist.Was man heute das Moralprinzip nennt, liegt also schon hier, in der Antike und in Aristoteles’ Ethik, bei den Tugenden bzw. beim Inbegriff oder aber Ursprung der Tugenden, bei der moralischen Rechtschaffenheit. Da Aristoteles diese Konsequenz nicht zieht, taucht eine Spannung, sogar ein Widerspruch auf: (1) Entweder ist das Glück dort, wo man aufgrund von Tapferkeit stirbt, beeinträchtigt; dann ist die Tapferkeit nicht uneingeschränkt, sondern nur zumeist gefordert, oder, Kantisch gesprochen, nur pragmatisch gültig, nämlich
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solange, wie sie dem Glück dient. (2) Oder die Tapferkeit ist uneingeschränkt bzw. kategorisch geboten; dann ist sie nicht zumeist, sondern stets gefordert, was hinsichtlich des Glücks zwei Optionen eröffnet: (2.1) Der Tod als eine Folge von Tapferkeit schränkt das Glück gar nicht ein. Bei dieser Option kann das Glück zwar das Leitprinzip bleiben; eine Glücksambiguität besteht aber nicht, und es gibt keine Zumeist-Aussagen. (2.2) Der entsprechende Tod schränkt das Glück ein. Dann gibt es zwar Zumeist-Aussagen; wegen der kategorischen Verbindlichkeit der Tapferkeit ist das Glück aber gar nicht das Leitprinzip; und relativ zum wirklichen Leitprinzip gibt es keine Zumeist-, sondern Immer-Aussagen. Kurz: wie auch immer man den Sachverhalt interpretiert, er weist auf eine Inkonsistenz in Aristoteles’ Position hin. (3b) Grundriß-Wissen. Aristoteles erkennt die erste Art von Nichtkonstanz, die Unterschiede in den Situationen und den gesellschaftlichen Konventionen bzw. Üblichkeiten, an, ohne deshalb den Gedanken nichtkonventioneller bzw. überpositiver Verbindlichkeiten aufzugeben. (Vgl. die Überlegungen zum natürlichen und gesetzlichen Recht: V 10, 1134b18 ff.) Auf die entsprechende Aufgabe der Ethik, unterschiedliche Anwendungsbedingungen mit sich gleichbleibenden Verbindlichkeiten zu vermitteln, antwortet der Gedanke eines typô(i)-, eines Grundriß-Wissens. Der Ausdruck typô(i) taucht sowohl in der Ethik als auch in anderen Schriften in zwei Bedeutungen auf. In der relativen Bedeutung meint er eine vorläufige Bestimmung, die später weiter ausgeführt wird (deutlich zu Beginn der Gerechtigkeitsabhandlung: V 1, 1129a6 – 31). Dasselbe gilt für hypotypôsai in I 7, 1098a20 – 22, da der hier eingeführte Begriff des „Guten für den Menschen“ im Verlauf der Schrift noch näher bestimmt wird (s. auch Top. I 1, 101a18 – 24; Met.VII 3, 1029a7 ff.; Pol. III 4, 1276b19). Im zweiten, absoluten Verständnis bedeutet er eine abschließende Auskunft, mit dem Unterton: mehr kann man von der Philosophie sinnvollerweise nicht erwarten. Unser Methodenexkurs verwendet die zweite Bedeutung, die der sachgerechten Ausführlichkeit. Danach kann eine Ethik selbst bei ausführlichen Untersuchungen ihren Gegenstand nicht vollständig, sondern nur im Grundriß erfassen. Einen derart absoluten Grundriß-Charakter haben: (1) die Erörterung des Einflusses der Nachkommen auf das Glück von Verstorbenen (I 11, 1101a24– 28), (2) die Untersuchung der Entscheidung (III 5, 1113a12 – 14), (3) die der Gattung der Tugenden (III 8, 1114b26 – 28) und (4) die der Tapferkeit (III 12, 1117b20 – 22). In all diesen Fällen geht es nicht etwa, wie manche Interpreten annehmen, um objektive oder subjektive Wahrscheinlichkeit.Weder gelten die Aussagen nur zumeist, noch hält sie Aristoteles für nur plausibel; wie die Aussagen der Mathematik treffen sie vielmehr das Wesen der jeweiligen Sache.
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Zu unterscheiden sind also praktische Aussagen, die zumeist gelten, von Aussagen der Ethik, die zwar immer zutreffen, das Zutreffende aber nicht vollständig, sondern lediglich im Grundriß vorstellen. Daß sich die Überlegung (III 5, 1112b8 f.) und in anderer Weise das Gesetz (V 14, 1137b15 f.) auf Zumeist–Sachverhalte richten, gilt nicht wiederum zumeist, sondern immer. Ebenso besteht die Tapferkeit immer in einer Mitte zwischen Feigheit und Tollkühnheit angesichts von Gefahren (III 9 – 12). Das aber, was die Mitte im einzelnen sagt, läßt die Ethik offen, und erst darin setzt sie sich gegen die Mathematik ab. Weil die Mathematik einen im wörtlichen Sinn abstrakten Gegenstand untersucht, einen Gegenstand, der von stofflichen (und natürlich auch situativen) Konkretionen (Met. II 3, 995a14– 17) absieht, kann sie ihn in aller Vollständigkeit abhandeln. Beim menschlichen Handeln kommt es dagegen auf die Konkretion an, und diese kann und will die Ethik nicht im einzelnen erörtern. Aus gutem Grund, um sich nämlich nicht in überflüssigen Einzelheiten zu verlieren (I 11, 1101a26) und dabei die Nebensachen die Hauptsachen überwuchern zu lassen (I 7, 1098a32 f.), sucht sie für das richtige Handeln keine vollständigen Beschreibungen, sondern nur eine Art von Strukturgitter. Dieses benennt erstens das sich gleichbleibende Wesen; es weiß zweitens, daß zum Wesen der Sache die konkrete Verwirklichung hinzugehört; es läßt trotzdem, drittens, das Hinzugehörende frei, da es von der je anderen Situation abhängt, ferner von den verschiedenen Fähigkeiten und Hilfsmitteln, auch von den unterschiedlichen Üblichkeiten einer Gesellschaft. Auf diese Weise bleibt dem Handelnden ein großer Spielraum offen, ohne daß die im Gedanken eines richtigen Handelns liegende Verbindlichkeit aufgegeben würde. Die Strukturgitter lassen die Offenheit nämlich nur dort zu, wo sie angemessen ist: nicht beim (normativen) Wesen der ethischen Gegenstände, beim Wesen der Entscheidung, der Tapferkeit usw., sondern allein dort, wo ohnehin nichtphilosophische Kompetenzen gefragt sind: bei der individuellen, gesellschafts- und situationsabhängigen Kontextualisierung. Weil die Ethik ein Moment, das zum Wesen ihres Gegenstandes gehört, das Individuelle, notgedrungen ausspart, kann es von ihr heißen, sie rede ouk akribôs, nicht genau (II 2, 1104a2). Anders sieht es dagegen in der Biologie aus, die nach Aristoteles auf das einzelne differenziert eingehen kann. Die dem Grundriß-Wissen der Ethik fehlende Genauigkeit betrifft aber weder die Richtigkeit einer Aussage noch die Strenge der Beweisführung, sondern lediglich die Ausführlichkeit. Und im Fall des nicht bloß relativen, sondern absoluten Grundriß-Wissens ist es eine Ausführlichkeit, die nicht von der Philosophie, sondern von der Praxis beigebracht wird. Eine solche Offenheit ist nicht an die Besonderheiten der Aristotelischen Ethik, etwa an ihren teleologischen oder ihren eudämonistischen Charakter, ge-
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bunden. Vorliegen dürfte im Gegenteil eine ethiktheoretische bzw. metaethische Einsicht, die generell gültig ist. In komplexen Entscheidungssituationen, auch in Zeiten von Orientierungskrisen erwartet man von der Ethik zwar konkrete Lösungsvorschläge, fertige Rezepte. Dafür braucht man aber empirische Kenntnisse, außerdem die Fähigkeit, sowohl die relevanten Faktoren wahrzunehmen als auch ihre normativen und empirischen Elemente aufeinander zu beziehen, also jene Urteilskraft, die Aristoteles als Klugheit (phronêsis) bezeichnet. Da die Philosophie zwar um beide Erfordernisse weiß, für sie aber nicht zuständig ist, sind die genannten Erwartungen nicht eigentlich nur überhöht, sondern sogar fehlgeleitet. Im übrigen erklärt, wer bei anderen Rezepte für sein eigenes Leben sucht, sich selber für unmündig; und dem sollte eine Philosophie verantwortlichen Handelns keinen Vorschub leisten. Die für den Methodenexkurs charakteristische Genauigkeitsdiskussion erhält ein schärferes Profil, wenn man sie mit einer Aussage aus dem Buch VI, der Abhandlung über die dianoetischen Tugenden, kontrastiert. Aristoteles erklärt dort die Weisheit (sophia) zur genauesten (akribestatê) unter (allen) „Wissenschaften“ (epistêmai, hier wieder im weiteren Verständnis von Sachverstand; VI 7 1141a16). Wie in der Metaphysik (I 1, 980a21– 982a3) so bedeutet auch in der Ethik (VI 7) die Weisheit keine ehrwürdige Lebenserfahrung. In einem weiteren Verständnis bezeichnet sie vielmehr jede zur Vollkommenheit entwickelte Fachkompetenz, und in einem engeren Verständnis meint sie jene Fähigkeit, die schlechthin ersten Prinzipien (archai) zu erkennen, die es für die Erste Philosophie bzw. Metaphysik braucht. Wenn nun die letztgenannte Fähigkeit die genaueste genannt wird, so in einer vom Methodenexkurs unterschiedenen Bedeutung; danach ist eine Wissenschaft um so genauer, mit je weniger Prämissen sie auskommt. In diesem Sinn ist beispielsweise die Arithmetik der Geometrie überlegen. Und am genauesten, weil an Prämissen ärmsten ist die Erste Philosophie bzw. die sophia, da sie die schlechthin ersten Prämissen, die Prinzipien, nicht voraussetzt, sondern thematisiert. (Eine Genauigkeitshierarchie findet sich auch in Met. XII 3, 1078a10 ff.) Wendet man diesen Gedanken auf die Ethik an, so müßte man die prämissenarme, rein formale Untersuchung des Glücks (Kap. I 5) für genauer halten als diejenige, die mit zusätzlichen Prämissen arbeitet. Nach der rein formalen Glücksdefinition heißt es aber nicht, sie sei die für das Glück genaueste Aussage, sondern im Gegenteil, man wolle die Sache noch enargesteron: anschaulicher, deutlicher, kennenlernen (I 6, 1197b23 f.). Nicht die prämissenärmere Aussage erhält hier den höheren Rang, sondern die „substantiellere“ und zu diesem Zweck prämissenreichere Aussage. Den Aussagen zur sophia kommt es auf theorieinterne Unterschiede, unserem Methodenexkurs dagegen auf eine Theorie-PraxisDifferenz an; dort geht es um Unterschiede innerhalb des Allgemeinen, hier um
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die Differenz vom Allgemeinen der Ethik zu dem für die ethische Praxis letztlich entscheidenden Individuellen.
2.3 Praktische Philosophie Den dritten Teil des Einleitungskapitels beherrscht der ebenso wirkungsmächtige wie vielfach mißverstandene Gedanke einer praktischen Philosophie (1094b27– 1095a11; die letzten Zeilen des Einleitungskapitels – a11– 13 – geben nur noch einen Rückblick). Daß die Ethik – und ebenso die politische Philosophie – die Praxis zum Gegenstand hat, versteht sich von selbst; nicht so selbstverständlich ist die dabei verfolgte Intention. Aristoteles sagt ebenso lapidar wie provokativ: Der Sinn oder Zweck (telos) liegt nicht im Wissen (gnôsis), sondern im Handeln (praxis; ähnlich II 2, 1103b26 ff. und X 10, 1179a35–b2). Mindestens ebenso provokativ ist die weitere These, nur bei dem, der sein Streben schon vernünftig (kata logon) eingerichtet habe, trete der praktische Nutzen ein. Insgesamt tritt also die Praxis in dreifacher Funktion auf: als Gegenstand, als Ziel und als Voraussetzung. In einem die englischsprachige Ethik prägenden Werk, in den Principia Ethica (1903, §14), vertritt G. E. Moore zu Aristoteles’ praktischer Intention die genaue Gegenthese: „Die direkte Aufgabe der Ethik“, sagt er, „ist das Wissen und nicht die Praxis.“ Aristoteles würde Moore aber nicht widersprechen, setzt er doch den bestimmten Artikel hinzu; „ein“ Ziel kann die Erkenntnis durchaus bilden, nur „das“ Ziel der Ethik, ihr letztes Umwillen, liegt nicht in der Erkenntnis. Aristoteles’ Ethik sucht ihren praktischen Zweck weder auf dem Weg moralischer Ermahnungen zu erreichen – die Predigt und der Ruf zur Umkehr sind ihr absolut fremd – noch durch politische Aktionen oder deren Anleitung, vielmehr ausschließlich modo theoretico. Die praktische Philosophie ist auch nicht etwa, wie im 19. Jahrhundert Teichmüller (1879) glaubt, eine Leistung der „praktischen Vernunft“, der phronêsis. (Zu den damaligen und einigen späteren Kontroversen vgl. Höffe ³2008, Kap. 2). Gegen diese Ansicht spricht der zweite Methodenexkurs, indem er in aller Selbstverständlichkeit den Anspruch auf Prinzipienforschung erhebt. Aristoteles hält es nur für nötig, eine Unterscheidung vorzunehmen und den absteigenden, „deduktiven“ Weg von den Prinzipien herab (apo tôn archôn) gegen den aufsteigenden, „induktiven“ Weg zu ihnen hin (epi tas archas: I 2, 1095a30 ff.) abzusetzen. (Zur Prinzipienforschung vgl. auch I 7, 1098a33–b8). Dieselbe Unterscheidung verwendet Aristoteles in den theoretischen Disziplinen (vgl. Physik I 1). Und beide, sowohl die praktische als auch die theoretische Philosophie, bedienen sich zunächst der aufsteigenden Prinzipienforschung, beginnen bei dem „für uns Bekannten“ und gelangen von dort zum „Bekannten an sich“, den Prinzipien. Nicht lediglich für die praktische, sondern gleichermaßen
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für die theoretische Philosophie gültig ist auch jener methodische Hinweis in der Abhandlung über die Unbeherrschtheit, den man als Erläuterung der aufsteigenden Prinzipienforschung lesen kann (vgl. Owen 1975): daß man die Phänomene sichern, Schwierigkeiten erörtern und anerkannte Ansichten berücksichtigen muß. Kurz: Die praktische Philosophie folgt im wesentlichen derselben Methode wie die theoretische Philosophie; nicht die unmittelbare Anleitung zum guten und gerechten Leben sucht sie, sondern dessen Analyse mittels Begriffen, Argumenten und einer diskursiven Kritik. Um den Gedanken einer praktischen Philosophie zu verstehen, muß man eine gestufte Zielperspektive ansetzen. Das direkte Ziel besteht nicht im Handeln, sondern in Erkenntnissen vom Handeln; insoweit gehört die Ethik nach heutigem Verständnis eindeutig zur Theorie. Im Gegensatz zu einem Wissen, das sich selber genug ist, im Unterschied zur „theoretischen Theorie“, haben aber im Fall einer „praktischen Theorie“ die Erkenntnisse keinen Selbstzweck. Sie bilden ein Zwischenziel, das nur dann als sinnvoll gilt, wenn es sich auf ein weiteres Ziel, eben die Praxis, verpflichtet. Um Aristoteles’ Bild aufzugreifen: Die Erkenntnis (gnôsis) soll den Menschen das Ziel ihres Lebens, das Glück, so klar vor Augen stellen, daß sie es wie ein Bogenschütze gut treffen (1094a22– 24). Bekanntlich vertritt eine praktische Intention schon Platon. Den deutlichsten Beleg bietet sein Philosophen-Königssatz (Politeia V 473), demzufolge das Unheil in den Staaten (poleis) erst dann ein Ende hat, wenn entweder die Philosophen Könige werden oder aber die jetzt so genannten Könige sich aufrichtig und gründlich mit Philosophie befassen. Demgegenüber nimmt Aristoteles eine Differenzierung vor. Er verpflichtet nicht die gesamte Philosophie auf einen praktischen Zweck, trennt vielmehr Disziplinen, die nichts anderes als Erkenntnis suchen, von solchen, deren Erkenntnis keinen Selbstzweck hat. Philosophiegeschichtlich gesehen ist daher der zur praktischen Philosophie komplementäre Gedanke, der einer rein theoretischen Philosophie, nicht minder wichtig. Der Gedanke einer praktischen Philosophie legt noch kein genaues Forschungsprogramm fest, nicht einmal eine gewisse Methode, sondern lediglich eine Forschungsintention. Diese bleibt auch dann sinnvoll, wenn man sich ansonsten von Aristoteles absetzt. Erneut handelt es sich um eine ethiktheoretische bzw. metaethische Einsicht, die, gegen Aristoteles’ normatives Programm weitgehend indifferent, auch von Philosophen praktiziert wird, die wir eher als Alternative zu Aristoteles verstehen: von Hobbes etwa oder von Kant oder von der philosophischen Moralkritik eines Nietzsche (vgl. Höffe 1988). Ob sie es wollen oder nicht – diese und andere Moralphilosophen sind in zweierlei Hinsicht Aristoteliker: Erstens sehen sie in ihrer Ethik keinen Selbstzweck, sondern verfolgen eine praktische Intention; zweitens praktizieren sie insofern ein Grundriß-Wissen,
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als ihr leitender Zweck, die Praxis, von der Erkenntnis zwar intendiert ist, von ihr selbst aber nicht erreicht wird. Nun mag es Moralphilosophen geben, die in beiden metaethischen Hinsichten keine Aristoteliker sind; sie müssen sich aber die Frage gefallen lassen, was sie mit ihrer Ethik denn erreichen wollen: Wollen sie tatsächlich bloß ein intellektuelles Glasperlenspiel betreiben? Wie kann die Philosophie ihre praktische Aufgabe erfüllen? Sie muß sich erstens auf Grundprobleme einlassen, die sich im tatsächlichen Leben stellen, und darf diese zweitens nicht nur formal und prinzipiell, sie muß sie auch substantiell und perspektivenreich untersuchen. Beide Bedingungen erfüllt Aristoteles’ Ethik in beispielgebender Weise. Ihr praktischer Charakter beginnt mit dem ungewöhnlichen Reichtum an lebensrelevanten Themen. Weiterhin kommen in den Einleitungskapiteln (I 1– 3) Orientierungs- und Legitimationsschwierigkeiten zur Sprache, die den Hintergrund der Aristotelischen Ethik bilden. Sie lassen sich drei Dimensionen zuordnen; von ihnen tauchen zwei in unserem Methodenexkurs auf, während eine dritte Dimension in Kapitel I 3 erscheint: Gemäß der dritten, in systematischer Hinsicht aber ersten, sittlich-praktischen Schwierigkeit stehen dem Menschen verschiedene, einander widerstreitende Lebensstrategien (bioi: I 3) offen. Wegen dieser Schwierigkeit weiß der Mensch nicht, wie er sein selbstverständliches Leitziel, das Glück, am besten erreicht. Nach einer zweiten, jetzt ethischen Schwierigkeit gibt es beim Guten und Gerechten eine derartige Unbeständigkeit und Unsicherheit (diaphora kai planê), daß alle Verbindlichkeit als bloßes Menschenwerk, als Satzung (nomos), erscheint, dem jede überpositive – Aristoteles sagt: „natürliche“ (physei) – Verbindlichkeit fehlt. Damit legen sich ein ethischer Positivismus und ein ethischer Skeptizismus nahe. Nach einer dritten, wissenschafts- oder ethiktheoretischen Schwierigkeit mangelt es dem Gegenstand an jener Konstanz, die eine genaue Erkenntnis ermöglicht. In dem Umstand, daß sich Aristoteles allen drei Schwierigkeiten stellt, setzt sich der praktische Charakter seiner Ethik fort. Um der ersten Schwierigkeit zu begegnen, klärt er im Buch I den Begriff des Glücks und zeigt am Ende der Schrift, welche Lebensstrategien diesem Begriff Genüge leisten (Buch X 6 – 9). Um die zweite Schwierigkeit zu überwinden, weist er – ohne die Antithese nomos-physis jeweils zu wiederholen – unveränderliche Momente im menschlichen Handeln nach, Momente, die nicht auf Konventionen und Situationsbedingungen reduzierbar, insofern also tatsächlich überpositiv sind: Das Glück bildet das Leitziel des Menschen; das theoretische und das (moralisch‐)politische Leben sind die glücksgerechten Lebensstrategien; und als Elemente namentlich des politischen Lebens werden das bewußte und freiwillige Handeln, die moralischen und die intellektuellen Tugenden, nicht zuletzt die Freundschaft genannt.
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Nüchtern, wie Aristoteles ist, überschätzt er die Kraft bloßer Worte nicht (vgl. X 10, 1179b4 ff.). Er glaubt nicht, die entsprechenden Einsichten seien allen Menschen von Nutzen; junge Menschen schließt er ausdrücklich aus. (Vgl. Shakespeare, Troilus and Cressida II, 166 f.: „young men, whom Aristotle thought/ Unfit to hear moral philosophy“.) Im Schlußkapitel differenziert er jedoch und meint, die Edelgearteten und Vornehmen unter ihnen ließen sich zur Tugend anspornen, die Vielen aber nicht (X 10, 1179b7 ff). Erneut beruft sich Aristoteles auf einen allgemeinen Grundsatz, und dieser schließt sich an den genannten Begriff von Bildung an. Nur bei dem, was man schon kenne, sei man ein guter Richter (1094b27 f.). Im Fall der Ethik ist nun die erforderliche Vorkenntnis nicht theoretischer, sondern praktischer Natur. Man muß einerseits über praktische Erfahrung verfügen (1095a27 f.) und die zu erörternden Gegenstände aus dem eigenen Leben kennen. Andererseits muß man sich aufgrund von Erziehung und Gewöhnung von einem durch die jeweiligen Leidenschaften geprägten Leben (kata pathos zên) entfernt und statt dessen in jener Lebensweise einen festen Stand gefunden haben, die sich kata logon (zên) nennt (vgl. I 2, 1095b4– 13; VI 9, 1142a11 ff.). Die Übersetzung von kata logon zên ist notorisch schwierig. Die üblichen Übersetzungen – „der Vernunft gemäß“ bzw. „vernunftgemäß“ und mit Ross „in accordance with a rational principle“ – verdecken, daß der Logos, wir es später heißt, von zweierlei Art ist. Folgen muß man sowohl den moralischen Tugenden (der Tapferkeit, Besonnenheit, Gerechtigkeit …) als auch der intellektuellen Tugend der Klugheit. Um den Gegensatz zu den Leidenschaften hervorzuheben, bietet sich an „ein überlegtes Leben führen“. Insofern wir unter „vernünftig“ nicht nur die große, sowohl theoretische als auch praktische Vernunft verstehen, kann man ebensogut „vernünftig leben“ sagen. Man kann die These, nur für den sei die Ethik von Nutzen, der im vernünftigen Leben schon zu Hause sei, aus einer generellen wissenschaftstheoretischen These heraus begründen. Nach den Zweiten Analytiken (I 3, 75a15 ff.) beginnt jede Wissenschaft mit zwei Arten von unbewiesenen Prinzipien, mit Definitionen der Grundbegriffe und mit den Annahmen, daß die den Definitionen entsprechenden Gegenstände tatsächlich existieren, mit Existenzannahmen. Nun gibt es für eine Existenzannahme, hypothesis genannt, drei Fälle: In der Mathematik (in der Geometrie beispielsweise, daß Punkte, Linien, Flächen existieren) sind sie so offensichtlich, daß sie keiner weiteren Diskussion bedürfen. In der Physik muß man auf entsprechende Erfahrungstatsachen verweisen. In der Ethik schließlich muß man – so Aristoteles –, um zur Anerkennung der hier relevanten Existenzannahmen bereit zu sein, eine bestimmte Art zu leben tatsächlich gelebt haben (vgl. I 7, 1098b3 f. und I 2, 1095b4.). Zumindest die negative These dürfte auch zutreffen; wer nur nach seinen Leidenschaften lebt, weiß nicht, daß es so etwas
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wie Tugenden gibt. Die positive These – fester Stand im vernünftigen bzw. tugendbestimmten Leben – könnte dagegen zu stark sein; denn wie es in der Abhandlung über die Willensschwäche (akrasia, vgl. Beitrag Nr. 9) heißen wird, gibt es Personen, die um die Tugend wissen und doch nicht danach handeln. Was leistet eine praktische Philosophie nun wirklich? Weil sie die praktische Erfahrung und – mit der genannten Einschränkung – ein vernünftiges Leben schon voraussetzt, kann sie die intendierte moralische Praxis selbst nicht hervorrufen. Angesichts der erwähnten Unsicherheiten und Zweifel kann sie jedoch die Praxis über sich aufklären und ihr durch Aufklärung jene Klarheit schaffen, die das Bild des Bogenschützen meint: Der klare Blick erleichtert das Treffen. Die moralische Verbesserung, die dabei stattfindet, ist kaum in dem anspruchsvollen Sinn zu verstehen „to make the best of the best“ (Broadie 1991, 23), wohl aber in dieser Weise: Wer über ein vorgängiges Gutsein verfügt und dann mittels philosophischer Analyse die Elemente und Prinzipien guten Handelns erkennt, der weiß zwar um die Bedeutung, die den sozialen und politischen Institutionen für das gute Handeln zukommt. Er weiß aber auch, daß nicht sie den letzten Grund abgeben, sondern jener Logos, der zum menschlichen Wesen gehört und der in zweierlei Gestalt, als moralische und als intellektuelle Tugend, gegenwärtig ist. Weil sich mit diesem Wissen der Mensch auf sich selbst stellt, findet mit seiner Hilfe etwas statt, das man durchaus als Emanzipation ansprechen darf (Höffe ³2008, 99 ff.): Der Mensch löst sich von äußeren Fesseln, sowohl von der Tradition als solcher als auch von der Vorstellung, es gebe fürs gute Handeln Rezepte. Auf diese Weise erkennt und anerkennt er sich selbst, näherhin den ihm eigenen Logos, als Grund der Moral. Trotzdem: Auch eine Ethik, die den stolzen Anspruch erhebt, praktische Philosophie zu sein, übt sich selbstkritisch in einer mehrfachen Bescheidenheit. Zwar verzichtet sie nicht auf theoretische Ansprüche: weder auf eine Prinzipienforschung noch auf die Strenge des Vorgehens oder auf den Objektivitätsanspruch für die Resultate; in dieser Hinsicht ist auch die praktische Philosophie ein theoretisches Unternehmen. Sie weiß jedoch erstens, daß sie nur dort ihr praktisches Ziel erreicht, wo man im guten Leben schon zu Hause ist. Weil die primäre Aufgabe vorab erfüllt sein muß – durch Vorbild und Nachahmung, durch Erziehung und durch Gesetze –, kann die Ethik nur von sekundärem und subsidiärem Nutzen sein. Selbst dann – darin liegt die zweite Bescheidenheit – beschränkt sie sich auf das, was Aristoteles vorher eingeführt hat: Weil man zwar wie jede Wissenschaft (vgl. X 10, 1180b15 f.) etwas Gemeinsames, Allgemeines erkennt, es im Fall der Praxis aber nicht auf das Allgemeine, sondern auf das davon umfaßte Einzelne ankommt, das wiederum nicht von der Philosophie erkannt wird, begnügt man sich mit (normativen) Strukturgittern. Hier greifen die praktische Intention und die vorangehende Methodenüberlegung ineinander. Weil die intendierte Praxis individuell, jede philosophische Aussage
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aber allgemein ist, hat im Fall der Ethik die Philosophie den Charakter eines Grundriß-Wissens. Dazu kommt eine dritte Bescheidenheit: „Praktisches Wissen“ klingt in heutigen Ohren nur positiv; die Philosophie, so denkt man, verliert endlich ihre Nutzlosigkeit und gewinnt einen praktischen Wert. Im vollen Sinne wertvoll ist nach Aristoteles aber nur, was allein um seiner selbst und nicht um eines anderen willen betrieben wird; in Aristotelischer Sicht erweist sich der utilitäre Gewinn als humaner Verlust. Nun ist der utilitäre Gewinn nicht allzu groß, und diesen Sachverhalt kann man – Aristoteles selbst sagt dies allerdings nicht – positiv sehen: Weil die praktische Philosophie nur von sekundärem und subsidiärem Nutzen ist, nähert sie sich der um ihrer selbst willen gesuchten Erkenntnis, der theoretischen Theorie, an. Sie bleibt freilich ein praktisches Wissen, wenn man sie nicht in der dritten Person, also als unbeteiligter Beobachter, sondern in der Einstellung der ersten Person liest.
Literatur Anagnostopoulos, G. 1994: Aristotle on the Goals and the Exactness of Ethics, Berkeley. Aubenque, P. 1980 : Politique et éthique chez Aristote, in: Ktema 5, 211 – 221. Barnes, J. 1981: Aristotle and the Methods of Ethics, in: Revue Internationale de Philosophie 34, 490 – 511. Bien, G. 1973: Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles, Frankfurt a. M. Broadie, S. 1991: Ethics with Aristotle, Oxford. Höffe, O. 1971: Praktische Philosophie – Das Modell des Aristoteles, Salzburg/München (Berlin 3 2008). Höffe, O. 1988: Artikel „Praktische Philosophie“, in: Staatslexikon, Bd. 4, hrsg. v. der Görres-Gesellschaft, Freiburg i. Br./Basel/Wien. Jaeger, W. 21954/55: Paideia II–III, Berlin. Kurz, D. 1970, Akribeia, Göppingen. Owen, G. E. L. 1975: „Tithenai ta Phainomena“, In. Barnes, J./Schofield, M./Sorabji, R., (Hgg.), Articles on Aristotle, Vol. 1: Science, London, 113 – 126. Reeve, C. D. C. 1992: Practices of Reason, Oxford. Ritter, J. 1969: „Politik“ und „Ethik“ in der politischen Philosophie des Aristoteles, in: ders., Metaphysik und Politik, Frankfurt a. M., 106 – 132. Rorty, A. O. (Hrsg.) 1980: Essays on Aristotle’s Ethics, Berkeley u. a. Ross, D. (Übers.) 1992, Aristotle, Nikomachean Ethics, Oxford. Sherman, N. 1989: The Fabric of Character. Aristotle’s Theory of Virtue, Oxford. Spiazzi, P. Fr. R. M. (Hrsg.) 1949: St. Thomae Aquinatis in decem libros Aristotelis ad Nicomachum expositio, Rom. Teichmüller, G. 1879: Die praktische Vernunft bei Aristoteles. Neue Studien zur Geschichte der Begriffe III, Gotha (Nachdruck Hildesheim 1965).
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3 Aristotle on Eudaimonia (I 1 – 3 und 5 – 6) I Like most great philosophical works Aristotle’s Nicomachean Ethics raises more questions than it answers. Two central issues as to which it is not even quite clear what Aristotle’s view really is are, first, what is the criterion of right action and of moral virtue? and, second, what is the best life for a man to lead? The first question is raised very explicitly by Aristotle himself at the beginning of Book 6, where he recalls that moral virtue (or excellence of character) was defined as a mean determined by the rule or standard that the wise man would employ, and now says that this statement though true was not clear: we need also to discover what is the right rule and what is the standard that fixes it. Unfortunately he does not subsequently take up this question in any direct way. The difficulty about the second question is not that he fails to discuss it – it is after all the center of his target – or that he fails to answer it, but that he seems to give two answers. Most of the Ethics implies that good action is – or is a major element in – man’s best life, but eventually in Book 10 purely contemplative activity is said to be perfect eudaimonia; and Aristotle does not tell us how to combine or relate these two ideas. One way of answering the two questions brings them into close connection. For if Aristotle really holds, in the end, that it is contemplation (theôria) that is eudaimonia, a possible or even inevitable answer to the first question is that right actions are right precisely in virtue of their making possible or in some way promoting theôria, and that the states of character commendable as virtues or excellences are so commendable because they are states that favor the one ultimately worthwhile state and activity, the state of theoretical wisdom (sophia) and the activity of theôria. Professors Gauthier and Jolif, in their admirable commentary (1958 – 59) take some such view; and since they recognize that Aristotle sometimes stresses the “immanent character” of moral action they find here a major incoherence in his thought. They themselves seek to explain why he falls into this incoherence (recognizing the moral value of virtuous actions and yet treating them as – “means to arrive at happiness”) by suggesting that in his account of action he brings into play ideas that properly apply not to ac-
Der Beitrag ist zuerst erschienen in: Proceedings of the British Academy 60 (1974). https://doi.org/10.1515/9783110578751-005
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tions but to productive activities – he fails to free himself from an inappropriate way of speaking and from the associated way of thinking. Professor Hintikka too has argued recently (1973) that Aristotle remained enslaved to a certain traditional Greek way of thought (“conceptual teleology”) and that this is why his analysis of human action uses the ends-and-means schema though this “does not sit very happily with some of the kinds of human action which he considered most important” (58). According to Hintikka, since Aristotle could not “accommodate within his conceptual system” (54) an activity that did not have an end (telos), he had to provide a telos even for activitites he wanted precisely to distinguish from productive activities, and so he fell into the absurdity of speaking of an activity of the former kind as its own end. Mr. Hardie (1965), also believing that Aristotle fails in Book 1 of the Nicomachean Ethics to think clearly about means and ends, claims that this fact helps to explain why he confuses the idea of an “inclusive” end and the idea of a “dominant” end. Hardie attributes to Aristotle as an “occasional insight” the thought that the best life will involve a variety of aims and interests, but finds that the other doctrine – that eudaimonia must be identified with one supremely desired activity – is Aristotle’s standard view, and not merely something to which he moves in Book 10. Dr. Kenny (1966) agrees in interpreting Book 1 as treating the pursuit of eudaimonia as the pursuit of a single dominant aim: “Aristotle considers happiness only in the dominant sense” (101).
II In this lecture I should like to question some of the views about the Nicomachean Ethics that I have been outlining. In particular I shall contend that in Book 1 (and generally until Book 10) Aristotle is expounding an “inclusive” doctrine of eudaimonia, and that there is no need to suppose that he was led into confusion on this matter by some inadequacy in his understanding of means and ends.
III It may be useful, before turning to the text, to make two preliminary points. First, the terms “inclusive” and “dominant,” which have been prominent in recent discussion, need to be used with some care. The term “inclusive” suggests the contrast between a single aim or “good” and a plurality, while the term “dominant” suggests the contrast between a group whose members are roughly equal and a group one of whose members is much superior to the rest. When used as a con-
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trasting pair of terms how are they to be understood? By “an inclusive end” might be meant any end combining or including two or more values or activities or goods; or there might be meant an end in which different components have roughly equal value (or at least are such that no one component is incommensurably more valuable than another). By “a dominant end” might be meant a monolithic end, an end consisting of just one valued activity or good, or there might be meant that element in an end combining two or more independently valued goods which has a dominant or preponderating or paramount importance. The former (strong) sense of “dominant end” is being used when Hardie claims that in Book 1 (apart from his occasional insight) Aristotle “makes the supreme end not inclusive but dominant, the object of one prime desire, philosophy” (277); the latter (weak) sense when he says that “some inclusive ends will include a dominant end” (277). It is clearly in the strong sense of “dominant” (and the contrasting weak sense of “inclusive”) that Hardie and Kenny claim that Book 1 expounds eudaimonia as a dominant and not an inclusive end. The second point concerns the nature of Aristotle’s inquiries about eudaimonia in Book 1. It is not always easy to decide what kind of question he is answering – for example, a linguistic, a conceptual, or an evaluative question. At one end of the scale there is the observation that all agree in using the word eudaimonia to stand for that which is “the highest of all practicable goods” (279), and that all take the expressions “living well” and “doing well” to be equivalent to it. At the other end there is the substantial question “what is eudaimonia?,” a question that invites alternative candidates and to which Aristotle offers, with his own arguments, his own answer (or two answers). In between there are remarks about eudaimonia, and about what we all think about it, which could be construed as helping to elucidate the very concept of eudaimonia or as moves towards answering the question “what is eudaimonia? what form of life satisfies the concept?” It will not be necessary to attempt exact demarcations. But it is important to bear in mind that two things might be meant by the assertion that Aristotle makes eudaimonia a dominant end: first, that, according to him, consideration of the logical force of the term eudaimonia, and of its place in a network of concepts (“good,” “end,” etc.), shows that eudaimonia is necessarily a dominant end; or (secondly) that, according to him, although it is not part of the very concept of eudaimonia that it should be a single activity, yet it is in fact so – the life that fills the bill proves on inquiry to be “monolithic” although this is not directly deducible from the terms of the bill itself. In claiming that Aristotle expounds in Book 1 an “inclusive” and not a monolithic doctrine of eudaimonia I was referring both to his account of the concept itself – or what one might call in a broad sense the meaning of the word – and to his view about the life that satisfies the concept and deserves the name.
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IV At the very start of the Nicomachean Ethics (1.1[I 1]) we find Aristotle expounding and using the notion of an end, and connecting it with terms like “good” and “for the sake of.” He distinguishes between activities that have ends apart from themselves (e. g., products like bridles or outcomes like victory), and others that are their own ends. After remarking that where an activity has a separate end that end is better than the activity, he says that one activity or skill, A, may be subordinate to another, B, and he gives some examples, cases in fact where what A produces is used or exploited by B. He then makes a statement that is often neglected and never (I think) given its full weight: “it makes no difference whether the activities themselves are the ends of the actions or something else apart from these, as in the case of the above-mentioned crafts” (1094a16 – 18). He is clearly saying here that his point about the subordination of one activity to another has application not only where (as in his examples) the subordinate activity produces a product or outcome which the superior activity uses, but also where the subordinate activity has no such end apart from itself but is its own end. Commentators have not been sufficiently puzzled as to what Aristotle has in mind. It is after all not obvious what is meant by saying that one action or activity is for the sake of another, in cases where the first does not terminate in a product or outcome which the second can then use or exploit. It is no doubt true, as Stewart (1892) remarks, that a builder may walk to his work. But it is not clear that walking to get to the building-site is properly to be regarded as an activity that is its own end. Walking to get somewhere is more like fighting for victory: its success or failure depends on the outcome, and that is its point. It would be natural to expect that corresponding to the initial distinction between activities there would be a fundamental distinction between the ways in which activities of the two different types could be subordinate to another activity. The idea of the use or exploitation of a product or outcome being inappropriate where the subordinate activity is not directed to a product or outcome, what immediately suggests itself instead is a relation like that of part to whole, the relation an activity or end may have to an activity or end that includes or embraces it. Many different types of case could be distinguished. But, to seek no more precision than immediate needs require, one may think of the relation of putting to playing golf or of playing golf to having a good holiday. One does not putt in order to play golf as one buys a club in order to play golf; and this distinction matches that between activities that do not and those that do produce a product. It will be “because” you wanted to play golf that you are putting, and “for the sake” of a good holiday that you are playing golf; but this is because putting
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and golfing are constituents of or ingredients in golfing and having a good holiday respectively, not because they are necessary preliminaries. Putting is playing golf (though not all that playing golf is), and golfing (in a somewhat different way) is having a good holiday (though not all that having a good holiday is). Now the idea that some things are done for their own sake and may yet be done for the sake of something else is precisely the idea Aristotle will need and use in talking of good actions and eudaimonia. For eudaimonia – what all men want – is not, he insists, the result or outcome of a lifetime’s effort; it is not something to look forward to (like a contented retirement), it is a life, enjoyable and worth while all through. Various bits of it must themselves be enjoyable and worth while, not just means for bringing about subsequent bits. That the primary ingredients of eudaimonia are for the sake of eudaimonia is not incompatible with their being ends in themselves; for eudaimonia is constituted by activities that are ends in themselves. More of this in a moment. The main point I want to make about Nicomachean Ethics 1.1 [I 1] is that it is unreasonable to suggest that Aristotle is slipping into an inherited usage when in fact he is very obviously introducing and expounding distinctions vital for what follows. Hintikka, in the paper from which I have quoted, seems to assume that the word telos (“end”) must mean an end produced by (instrumental) means, and that “for the sake of” necessarily brings in the idea of an end separate from the action. But the word telos is by no means so narrowly confined, and it is absurd to rely on the implications (or supposed implications) of a translation rather than on the substance of what the philosopher is evidently saying. Why should Hintikka, in any case, identify having a “welldefined end or aim” with doing something as a means to producing an outcome? If I play chess because I want to enjoy myself, is not that a well-defined aim? And can we ourselves not speak of “doing something for its own sake”? Of course an action cannot be “a means to performing itself” – but Aristotle’s words are not, like these, nonsensical; and his meaning seems clear enough. Unlike Hintikka, Gauthier and Jolif have no trouble over action being its own end. They recognize the importance of “l’affirmation par Aristote, dès les premières lignes de l’Ethique, du caractère immanent de l’action morale,” (5) though they add regretfully that its force is “limitée par les lignes 1094a16 – 18 [quoted above] et par la contradiction qu’elles incluent.” (5) In their note on this last sentence they say: “on ne voit pas … comment les actions morales, dont c’est la nature d’être à elles-mêmes leur propre fin, pourront ultérieurement être ordonnées à autre chose pour former une série hiérarchisée.” (6, 7) They call this one of Aristotle’s “incohérences foncières.” “Au lieu d’être sa fin à ellemême, l’action morale devient un moyen de faire autre chose qu’elle-même, le bonheur.” (7) I have tried to suggest that this offending sentence may in fact in-
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vite us to think of a kind of subordination which makes it perfectly possible to say that moral action is for the sake of eudaimonia without implying that it is a means to producing (“faire”) something other than itself.
V Aristotle’s thought on this matter is more fully developed in the first part of chapter 7 ([I 5,] 1097a15–b21), where he starts from points about “good” and “end” and “for the sake of” which come from chapter 1 and concludes with the statement that eudaimonia is something final and self-sufficient, and the end of action. In asking what we aim at in action, what its “good” is, Aristotle says that if there is just one end (telos) of all action, this will be its good; if more, they will be its good. Now, he goes on, there evidently are more ends than one, but some are chosen for something else, and so they are not all teleia (“final”). But the best, the highest good, will be something teleion. So if only one end is teleion, that will be what we are looking for; if more than one are teleia, it will be the one that is most teleion (teleiotaton). No reader or listener could be at all clear at this point as to what is meant by “most teleion.” The word teleion has been introduced to separate off ends desired in themselves from ends desired as means to other ends. What is meant by the suggestion that there may be degrees of finality among ends all of which are desired for themselves? Aristotle goes on at once to explain how, among ends all of which are final, one end can be more final than another: A is more final than B if, though B is sought for its own sake (and hence is indeed a final and not merely intermediate goal), it is also sought for the sake of A. And that end is more final than any other, final without qualification (teleion haplôs), which is always sought for its own sake and never for the sake of anything else. Such, he continues, is eudaimonia: there may be plenty of things (such as pleasure and virtue) that we value for themselves, yet we say too that we value them for the sake of eudaimonia, whereas nobody ever aims at eudaimonia for the sake of one of them (or, in general, for anything other than itself). Surely Aristotle is here making a clear conceptual point, not a rash and probably false empirical claim. To put it at its crudest: one can answer such a question as “Why do you seek pleasure?” by saying that you see it and seek it as an element in the most desirable sort of life; but one cannot answer or be expected to answer the question “Why do you seek the most desirable sort of life?” The answer to the question about pleasure does not imply that pleasure is not intrinsically worth while but only a means to an end. It implies rather that pleasure is intrinsically worth while, being an element in eudaimonia. Eudaimonia is
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the most desirable sort of life, the life that contains all intrinsically worthwhile activities. This idea, that takes up the thought suggested in the last sentence of chapter 1 [I 1,1094a16 – 18], is expressed again in the following lines, where the term “selfsufficient” is introduced. That is self-sufficient (autarkes) in the relevant sense which, taken alone (monoumenon), makes life desirable and lacking in nothing (mêdenos endea). Eudaimonia does just that. For, Aristotle says, we regard it as the most worth while of all things, not being counted as one good thing among others (pantôn hairetôtatên mê synarithmoumenên) – for then (if it were simply the most worth while of a number of candidates) the addition of any of the other things would make it better, more worth while – and it would not have been lacking in nothing. He is saying, then, that eudaimonia, being absolutely final and genuinely self-sufficient, is more desirable than anything else in that it includes everything desirable in itself. It is best, and better than everything else, not in the way that bacon is better than eggs and than tomatoes (and there fore the best of the three to choose), but in the way that bacon, eggs, and tomatoes is a better breakfast than either bacon or eggs or tomatoes – and is indeed the best breakfast without qualification. It is impossible to exaggerate the importance of this emphatic part of chapter 7 [I 5] in connection with Aristotle’s elucidation of the concept of eudaimonia. He is not here running over rival popular views about what is desirable, nor is he yet working out his own account of the best life. He is explaining the logical force of the word eudaimonia and its relation to terms like “end,” and “good.” This is all a matter of report and analysis, containing nothing capable of provoking moral or practical dispute. Aristotle’s two points are: (i) you cannot say of eudaimonia that you seek it for the sake of anything else, you can say of anything else that you seek it for the sake of eudaimonia; (ii) you cannot say you would prefer eudaimonia plus something extra to eudaimonia. These points are of course connected. For if you could say that you would prefer eudaimonia plus something extra to eudaimonia, you could say that you sought eudaimonia for the sake of something else, namely the greater end consisting of eudaimonia plus something extra. The first point is that eudaimonia is inclusive of all intrinsic goods; and if that is so by definition, it is unintelligible to suggest that eudaimonia might be improved by addition. This ends and clinches one part of Aristotle’s discussion, and he marks quite clearly the transition to the different and more contentious question to be dealt with in what follows: “eudaimonia, then, is something final and self-sufficient, and is the end of action. However, while the statement that eudaimonia is the chief good probably seems indisputable (homologoumenon ti), what is still wanted is a clearer account of what it is.”
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It is not necessary to claim that Aristotle has made quite clear how there may be “components” in the best life or how they may be interrelated. The very idea of constructing a compound end out of two or more independent ends may rouse suspicion. Is the compound to be thought of as a mere aggregate or as an organized system? If the former, the move to eudaimonia seems trivial – nor is it obvious that goods can be just added together. If the latter, if there is supposed to be a unifying plan, what is it? For present purposes it is enough to claim that Aristotle understands the concept of eudaimonia in such a way that the eudaimonia necessarily includes all activities that are valuable, that he applies the notion of A’s being for the sake of B to the relation between any such activity and eudaimonia, and that it is in this sense that he holds that good actions are for the sake of eudaimonia. Commentators have not, I think, given due weight to these interlocking passages about the finality and self-sufficiency of eudaimonia.Gauthier and Jolif follow Burnet in giving a correct account of the latter passage, and they say: “le bonheur ne saurait s’additioner à quoi que ce soit pour faire une somme qui vaudrait mieux que lui; il est en effet lui-même la somme qui inclut tous les biens.” (p. 53) Unfortunately they fail to connect this with the earlier passage in which Aristotle speaks of ends that are indeed final yet subordinate to one supreme end, eudaimonia. Nor do they refer to this text when considering (and rejecting) the suggestion that Aristotle’s general idea of eudaimonia is of a whole composed of parts. Mr. Hardie also recognizes that the self-sufficiency passage suggests an inclusive end; yet he offers the previous sections as part of the evidence that Aristotle’s main view is different. Aristotle’s explicit view, he says, “as opposed to his occasional insight, makes the supreme end not inclusive but dominant, the object of one prime desire, philosophy. This is so even when, as in EN I.7 [5, 6] he has in mind that, prima facie, there is not only one final end” (277); and Hardie then quotes: “if there are more than one, the most final of these will be what we are seeking” (279). I do not think that “prima facie” does justice to “if more than one, then the most final.” It seems to imply that Aristotle is saying that though there may seem at first sight to be several final ends there can really be only one final end, and the others must really be only means to it. But there is, of course, no “seems.” The hypothesis is that there are several final ends. When Aristotle says that if so we are seeking the most final he is surely not laying down that only one of them (theôria) is really a final end. What he has in mind with this use of “most final” must be discovered by considering the explanation he immediately gives (an explanation which Hardie, very remarkably, does not quote). For certainly the idea of degrees of finality calls for elucidation. The explanation he gives introduces the idea of an objective that is indeed a final end, sought for its
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own sake, but is nevertheless also sought for the sake of something else. So the most final end is that never sought for the sake of anything else because it includes all final ends. That there is such an end whenever there are several final ends is not then a piece of unargued dogma; it follows naturally from the very idea of an “inclusive” end. Such, Aristotle immediately continues, is eudaimonia (not, we note, theôria or nous) – and he then passes to the self-sufficiency point which, as Hardie himself recognizes, implies the inclusive approach. Dr. Kenny, on the other hand, in his paper “Happiness,” actually reverses the sense of the passage about self-sufficiency. He attributes to Aristotle the remark that “other goods added to happiness will add up to something more choiceworthy” (99), and he says that this “makes it clear that Aristotle did not consider happiness an inclusive state made up of independent goods.” This interpretation will not, I am convinced, survive a careful consideration of the immediate context (especially Aristotle’s description of the “self-sufficient” as “lacking nothing” and his statement that eudaimonia is best “not being counted as one good thing among others”). Nor are other passages in which the quite special character of the concept eudaimonia is dwelt upon compatible with this interpretation of eudaimonia as happiness. It is indeed only if one is willing, with Kenny, to treat “happiness” as a fair translation of the word eudaimonia that one can feel the slightest temptation to take the self-sufficiency passage as he does. This willingness is the fatal flaw in his paper considered as a contribution to the understanding of Aristotle. The point is important enough to deserve a brief digression. It may be true, as Kenny says, that happiness is not everything, that not everyone seeks it, and that it can be renounced in favor of other goals. What Aristotle says, however, is that eudaimonia is the one final good that all men seek; and he would not find intelligible the suggestion that a man might renounce it in favor of some other goal. Nor is Aristotle here expressing a personal view about what is worth while or about human nature. It is in elucidation of the very concept that he asserts and emphasizes the unique and supreme value of eudaimonia (especially in 1.4, 7, 12 [I 2, 5, 12]). The word eudaimonia has a force not at all like “happiness,” “comfort,” or “pleasure,” but more like “the best possible life” (where “best” has not a narrowly moral sense). This is why there can be plenty of disagreement as to what form of life is eudaimonia, but no disagreement that eudaimonia is what we all want. Kenny points out that someone might renounce happiness because the only possible way to achieve his own happiness would involve doing wrong. He writes: “In such a case, we might say, the agent must have the long-term goal of acting virtuously: but this would be a goal in a different way from happiness,
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a goal identified with a certain kind of action, and not a goal to be secured by action” (101). How would the situation envisaged be described by Aristotle? If I find it necessary to undergo privation or suffering in order to do my duty I shall have to recognize that my life will fall short of eudaimonia. But what I renounce is comfort in favor of right action, not eudaimonia in favor of right action. Nor could Aristotle possibly contrast eudaimonia with acting virtuously on the ground that eudaimonia is “a goal to be secured by action” while acting virtuously is “a goal identified with a certain kind of action.” Comfort and prosperity may be goals to be secured by action, but eudaimonia is precisely not such a goal. It is doing well (eupraxia), not the result of doing well; a life, not the reward of a life. Nearly everything Kenny says about happiness goes to show that the word “happiness” is not a proper translation of the word eudaimonia.
VI On what other grounds, then, may it be contended that Aristotle’s idea of eudaimonia in Book 1 is the idea of a “dominant” end, a “single object of desire”? Hardie takes the notorious first sentence of chapter 2 [I 1, 1094a18 ff.] as expressing this idea – not indeed as asserting it, but as introducing it hypothetically. The sentence and following section run as follows in Ross’s translation: If, then, there is some end of the things we do, which we desire for its own sake (everything else being desired for the sake of this), and if we do not choose everything for the sake of something else (for at that rate the process would go on to infinity, so that our desire would be empty and vain), clearly this must be the good and the chief good. Will not the knowledge of it, then, have a great influence on life? Shall we not, like archers who have a mark to aim at, be more likely to hit upon what is right?
It is commonly supposed that Aristotle is guilty of a fallacy in the first sentence, the fallacy of arguing that since every purposive activity aims at some end desired for itself there must be some end desired for itself at which every purposive activity aims. Hardie acquits Aristotle. He writes: Aristotle does not here prove, nor need we understand him as claiming to prove, that there is only one end which is desired for itself. He points out correctly that, if there are objects which are desired but not desired for themselves, there must be some object which is desired for itself. The passage further suggests that, if there were one such object and one only, this fact would be important and helpful for the conduct of life.
It is, however, not so easy to acquit Aristotle. For what would be the point of the second part of the protasis – the clause “if we do not choose everything for the
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sake of something else” together with the proof that we do not – unless it were intended to establish as true the first part of the protasis – “there is some end of the things we do, which we desire for its own sake (everything else being desired for the sake of this)”? If the second part were simply a correct remark – irrelevant to, or a mere consequence of, the first part – it would be absurdly placed and serve no purpose. The outline structure of the sentence is “if p and not q, then r.” Nobody will suggest that the not-q is here a condition additional to p. The one natural way to read the sentence as a coherent whole is to suppose that q is mentioned as the only alternative to p. In that case a proof of not-q would be a proof of p. So when Aristotle gives his admirable proof of not-q he is purporting to prove p; and the sentence as a whole therefore amounts to the assertion that r. This interpretation is confirmed by the fact that in what follows Aristotle does assume that r is true. Hardie attributes to him the suggestion that if there were only one object desired for itself, this fact would be important. But what Aristotle says is that knowledge of it “has (echei) a great influence”; and he says we must try “to determine what it is (ti pot’ esti), and of which of the sciences or capacities it is the object”; and he proceeds to try to do so. There is, then, a fallacious argument embedded in the first sentence of chapter 2 [I 1, 1094a18 ff.]. But further consideration of the context and Aristotle’s general approach may help to explain and excuse. What, after all, is the conclusion to which Aristotle’s argument is directed? That there is some end desired for itself, everything else being desired for it. This need not be taken to mean that there is a “single object of desire,” in the sense of a monolithic as opposed to “inclusive” end. Indeed the immediately following references to the political art as architectonic and as having an end that embraces the ends of other arts are themselves (as Hardie allows) indicative of an inclusive conception. If, however, the idea is admitted of an end that includes every independently desired end, the possibility presents itself of constructing one (inclusive) end from any plurality of separate ends and of speaking of the one compound or inclusive end as the highest good for the sake of which we seek each of the ingredient ends. Enough has been said about other passages to suggest that this notion is indeed central to Aristotle’s account of eudaimonia in Book 1. The sentence at the beginning of chapter 2 [I 1, 1094a18 ff.] precedes a passage that points to the inclusive conception. It immediately follows (and is connected by an inferential particle with) the remark I discussed earlier to the effect that activities that have no separate product can nevertheless be subordinate to and for the sake of higher activities – a remark which itself invites interpretation in terms of “inclusive” or “embracing” ends. This being the context and the drift of Aristotle’s
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thought it is perhaps not so surprising that he should commit the fallacy we have found it impossible to acquit him of. For the fallacy would disappear if an extra premise were introduced – namely, that where there are two or more separate ends each desired for itself we can say that there is just one (compound) end such that each of those separate ends is desired not only for itself but also for it.
VII Up to the middle of 1.7 [I 5, 1097b1], then, Aristotle has explained that the concept of eudaimonia is that of the complete and perfectly satisfying life. He has also mentioned various popular ideas as to what sort of life would fulfill that requirement, and he has accepted without discussion some fairly obvious views about certain goods that presumably deserve a place in the best life. Next, in the second part of chapter 7, he develops the ergon argument, thus beginning to work out his own account. Something must now be said about the way in which this argument terminates. Consideration of man’s ergon (specific function or characteristic work) leads Aristotle to the thesis that eudaimonia, man’s highest good, is an active life of “the element that has a rational principle.” This would of course cover practical as well as theoretical rational activity. However, Aristotle’s final conclusion adds what is usually taken to be a restriction to theoretical or contemplative thought, theôria, and to express therefore a narrow as opposed to an inclusive view of eudaimonia. For he says: “the good for man turns out to be the activity of soul in accordance with virtue, and if there are more than one virtue, in accordance with the best and most complete” (or “most final,” teleiotaton); and it is supposed that this last must refer to sophia, the virtue of theôria. However, there is absolutely nothing in what precedes that would justify any such restriction. Aristotle has clearly stated that the principle of the ergon argument is that one must ask what powers and activities are peculiar to and distinctive of man. He has answered by referring to man’s power of thought; and that this is what distinguishes man from lower animals is standard doctrine. But no argument has been adduced to suggest that one type of thought is any more distinctive of man than another. In fact practical reason, so far from being in any way less distinctive of man than theoretical, is really more so; for man shares with Aristotle’s god the activity of theôria. Aristotle does have his arguments, of course, for regarding theôria as a higher form of activity than practical thought and action guided by reason. He will even come to say that though it is not qua man (but qua possessing something divine) that a man can engage in theôria, yet a man (like any other system) is
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most properly to be identified with what is best and noblest in him. But it is clear that these arguments and ideas are not stated in the ergon argument and involve quite different considerations. The only proper conclusion of the ergon argument would be: “if there are more than one virtue, then in accordance with all of them.” This is precisely how the conclusion is drawn in the Eudemian Ethics (1219a35 – 39): “Since we saw that eudaimonia is something complete [teleion], and life is either complete or incomplete, and so also virtue – one being whole virtue, another a part – and the activity of what is incomplete is itself incomplete, eudaimonia must be the activity of a complete life in accordance with complete virtue (kat’ aretên teleian).” The reference to whole and part makes clear that by “complete virtue” here is meant all virtues. If, then, the Nicomachean Ethics addition – “if there are more than one virtue, in accordance with the best and most complete” – is a reference by Aristotle to a “monolithic” doctrine, the doctrine that eudaimonia is really to be found in just one activity, theôria, it is entirely unsupported by the previous argument, part of whose conclusion it purports to be. Moreover, it is not called for – and has not been prepared for – by the conceptual clarification of the notion of eudaimonia earlier in the book and chapter; for it has not there been said that the end for man must be “monolithic” (or even contain a dominant component). Thus such a restriction will be an ill-fitting and at first unintelligible intrusion of a view only to be explained and expounded much later. Now this is certainly a possibility, but not, in the circumstances, a very strong one. For we are not dealing with a work that in general shows obvious signs that marginal notes and later additions or revisions have got incorporated but not properly integrated into the text. Nor is the case like that of the De anima, in which there are several anticipatory references to “separable reason” before that difficult doctrine is explicitly stated. For there the remarks do not appear as part of conclusions of arguments; they are the lecturer’s reminders of a possibility later to be explored, they keep the door open for a new character’s later arrival. Here, however, in the Nicomachean Ethics, something is being affirmed categorically, and at a critical stage of the work, and as a crucial part of the conclusion of a carefully constructed argument. Is there not any alternative to construing “the best and most complete virtue” as an allusion to sophia? After all it must be allowed that the meaning of the expression “most complete virtue” or “most final virtue” (teleiotatê aretê) is not perfectly obvious. An alternative may suggest itself if we recall that earlier passage in the same chapter, concerning ends and final ends. For there too there was a sudden baffling use of the term “most final” – and there it was explained. “Most final” meant “final without qualification” and referred to the comprehensive end that includes all partial ends. One who has just been told how to under-
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stand “if there are more than one end, we seek the most final” will surely interpret in a similar or parallel way the words “if there are more than one virtue, then the best and most final.” So he will interpret it as referring to total virtue, the combination of all virtues. And he will find that this interpretation gives a sense to the conclusion of the ergon argument that is exactly what the argument itself requires. This suggestion is confirmed by two later passages in Book 1, where Aristotle uses the term teleia aretê and clearly is not referring to sophia (or any one particular virtue) but rather to comprehensive or complete virtue. The first of these passages (1.9.10 [I 10, 1100a4 f.]) is explicitly taking up the conclusion of the ergon argument – “there is required, as we said, both complete virtue (aretês teleias) and a complete life.” The second (1.13.1 [I 13, 1102a5 f.]) equally obviously relies upon it: “since eudaimonia is an activity of soul in accordance with complete virtue (aretên teleian), we must investigate virtue.” And the whole further development of the work, with its detailed discussion of moral virtues and its stress upon the intrinsic value of good action, follows naturally if (but only if) the conclusion of the ergon argument is understood to refer to complete and not to some one particular virtue.
VIII It is evidently not possible here to survey all the evidence and arguments for and against the thesis that Aristotle’s account of eudaimonia in Book 1 is decidedly “inclusive”; but one question should be touched on briefly. If such is indeed Aristotle’s account it may well be asked why he does not state it more plainly and unambiguously, using the terminology of parts and whole as in the Eudemian Ethics. One possibility worth considering is that he realizes in the Nicomachean Ethics that the notion of parts is really much too crude. To say that eudaimonia is a whole made up of parts does indeed make it quite clear that you are expounding an “inclusive” and not a “dominant” or “monolithic” end. But it leaves quite unclear what kind of partition can be meant and how such “parts” are put together. Plato already brings out in the Protagoras the difficulty of understanding the suggestion that there are different virtues which are “parts” of complete virtue. Aristotle is particularly conscious of the variety of ways in which different factors contribute to a good life, and also of the fact that the distinguishable is not necessarily separable. So it may be that the reason why he does not speak of parts of a whole in Nicomachean Ethics 1 is not that he now sees eudaimonia as other than inclusive, but that he now has a greater awareness of how difficult it is to say exactly how the notion of “inclusion” is to be understood. It
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may have seemed less misleading to speak (rather vaguely) of “contributing to a final end” than to use an expression like “parts of a whole” which sounds entirely straightforward but is not really so.
IX I have argued with respect to Nicomachean Ethics 1 that when Aristotle says that A is for the sake of B, he need not mean that A is a means to subsequent B but may mean that A contributes as a constituent to B; that this is what he does mean when he says that good actions are for the sake of eudaimonia; and that he does not argue or imply that eudaimonia consists in a single type of activity, theôria. This is a defense of Aristotle against the charge that in Book 1 a confusion about means and ends leads him to hold that action has value only as a means to theôria. But the original questions are now, of course, reopened: what, according to Aristotle, does make virtuous actions virtuous? and how are action and theôria related in his final account of the best life for man? I shall conclude with some exceedingly brief remarks on these questions. It might be suggested that Aristotle’s answer to the first question is that actions are virtuous insofar as they promote theôria, even if that answer is not argued for or implied in the first book. But although Book 10, using new arguments, certainly ranks theôria above the life of action as a higher eudaimonia it does not assert roundly – let alone seek to show in any detail – that what makes any good and admirable action good and admirable is its tendency to promote theôria. Nor can this thesis be properly read into Aristotle’s statement in Book 6 (1145a6 – 9) that practical wisdom does not use or issue orders to sophia but sees that it comes into being and issues orders for its sake. He is here concerned to deal with a problem someone might raise (1143b33 – 35): is it not paradoxical if practical wisdom, though inferior to sophia, “is to be put in authority over it, as seems to be implied by the fact that the art which produces anything rules and issues commands about that thing”? Aristotle’s reply does not amount to the unnecessarily strong claim that every decision of practical wisdom, every correct judgment what to do, is determined by the single objective of promoting theôria. It is sufficient, to meet the difficulty proposed, for him to insist that since theôria is an activity valuable in itself the man of practical wisdom will seek to promote it and its virtue sophia, and that that is the relation between practical wisdom and sophia. To say this, that practical wisdom does not control sophia but makes it possible, is not to say that making it possible is the only thing that practical wisdom has to do.
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It has sometimes been thought that the last chapter of the Eudemian Ethics offers an explicit answer to our question. Aristotle says here that whatever choice or acquisition of natural goods most produces “the contemplation of god” is best; and any that prevents “the service and contemplation of god” is bad. However, Aristotle is not addressing himself at this point to the question what makes good and virtuous actions good and virtuous. Such actions he has described earlier in the chapter as praiseworthy and as done for their own sake by truly good men. It is when he passes from good actions to things like money, honor, and friends – things which are indeed naturally good but which are nevertheless capable of being misused and harmful, and which are not objects of praise – that he raises the question of a criterion or test (horos). The test is only to determine when and within what limits natural goods should be chosen or acquired, and it is to provide this test that the promotion of contemplation is mentioned. So while here, as in Nicomachean Ethics 10, the value of contemplation is emphasized, it is clearly not put forward as the foundation of morality or as providing the ultimate criterion for the rightness of right actions. Aristotle does not then commit himself to the thesis that actions are valuable only insofar as they promote theôria. But no alternative answer to our first question seems to present itself. He holds no doubt that good actions spring from and appeal to good states of character, and that good states of character are good because they are the healthy and balanced condition of a man. But it will be obvious sooner or later that this is a circle or a blind alley. Again, it is no doubt true and important that the good man does what he does “because it is noble” (hoti kalon) and that the right thing to do is what the good man would do. But such remarks do not begin to reveal any principle or test whereby the man of practical wisdom can decide what is the noble or the right thing to do. Perhaps indeed he can “see”, without having to work out, what to do; and that will make him an admirable adviser if we want to know what to do. But if we are inquiring about the “why?” rather than the “what?” references to the good man’s settled character and reliable judgment are not helpful. The other question – what is the best life for a man to lead also remains without a satisfactory answer. A life of theôria would certainly be the best of all lives – and such indeed is the life Aristotle attributes to his god. But, as he himself allows, theôria by itself does not constitute a possible life for a man. A man is a sort of compound (syntheton), an animal who lives and moves in time but has the ability occasionally to engage in an activity that somehow escapes time and touches the eternal. So you do not give a man a complete rule or recipe for life by telling him to engage in theôria. Any human life must include action, and in the best life practical wisdom and moral virtue will therefore be displayed as well as sophia. But then the question is unavoidable: if theôria
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and virtuous action are both valuable forms of activity – independently though not equally valuable – how should they be combined in the best possible human life? What really is, in full, the recipe? Aristotle’s failure to tackle this question may be due in part to the fact that he often considers a philosopher’s life and a statesman’s life as alternatives, following here a traditional pattern of thought, the “comparison of lives.” They are indeed alternatives, if (as is presumably the case) concentration on theôria is incompatible with concentration on great public issues. But the philosopher’s life here in question as one alternative is not a life simply of theôria, any more than the statesman’s is a life of continuous public action. To contrast the philosopher with the statesman is to leave out of account the innumerable activities common to both. But it is precisely the relation, in the best life, between theôria and such activities – the ordinary actions of daily life – that requires elucidation. Insofar then as he is concerned to pick out the philosopher’s life and the statesman’s life as the two worthiest ideals and to rank the former higher than the latter, Aristotle is not obliged to ask how in the philosopher’s life the distinctive activity of theôria is to be combined with humbler practical activites – any more than to ask how in the statesman’s life domestic claims are to weigh against public ones. However, there must surely be some deeper explanation why Aristotle so signally fails to attempt an answer to the question how theôria and virtuous action would combine in the best human life. The question is theoretically crucial for his project in the Ethics, and must also have been of practical importance for him. The truth is, I suggest, that the question is incapable of even an outline answer that Aristotle could accept. For he does not wish to claim that actions have value only insofar as they (directly or indirectly) promote theôria; and it would have been desperately difficult for him to maintain such a claim while adhering reasonably closely to ordinary moral views. But if actions can be virtuous and valuable not only insofar as they are promoting theôria, the need for Aristotle to give a rule for combining theôria with virtuous action in the best life is matched by the impossibility of his doing so, given that theôria is the incommensurably more valuable activity. It may seem that one could say: maximize theôria, and for the rest act well; and Aristotle’s own famous injunction “to make ourselves immortal as far as we can” (eph’ hoson endechetai athanatizein) might be understood in this way. Such a rule, giving absolute priority to theôria, would certainly avoid conflicting claims: it will only be if and when theôria cannot be engaged in and nothing can be done to promote theôria in any way that the other value will enter into consideration. However, the consequences of such a rule would be no less paradoxical than the consequences of the outright denial of any independent value to action. For the implication of the denial is that one should do anything how-
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ever seemingly monstrous if doing it has the slightest tendency to promote theôria – and such an act would on this view actually be good and virtuous. The implication of the absolute priority rule is also that one should do anything however monstrous if doing it has the slightest tendency to promote theôria – though such an act would on this view actually still be monstrous. The only way to avoid such paradoxical and inhuman consequences would be to allow a certain amount of compromise and trading between theôria and virtuous action, treating the one as more important but not incomparably more important than the other. But how can there be a trading relation between the divine and the merely human? Aristotle’s theology and anthropology make it inevitable that his answer to the question about eudaimonia should be brokenbacked. Just as he cannot in the De Anima fit his account of separable reason which is not the form of a body – into his general theory that the soul is the form of the body, so he cannot make intelligible in the Ethics the nature of man as a compound of “something divine” and much that is not divine. How can there be a coalition between such parties? But if the nature of man is thus unintelligible the best life for man must remain incapable of clear specification even in principle. Nor can it now seem surprising that Aristotle fails also to answer the other question, the question about morality. For the kind of answer we should expect of him would be one based on a thesis about the nature of man, and no satisfactory account of that kind can be given while the nature of man remains obscure and mysterious. Aristotle is, of course, in good company – in the company of all philosophers who hold that one element in man is supremely valuable, but are unwilling to embrace the paradoxical and extremist conclusions about life that that view implies. And a parallel difficulty is felt in many religions by the enthusiastic. How can the true believer justify taking any thought for the future or devoting any attention to the problems and pleasures of this mortal life? Sub specie aeternitatis are not such daily concerns of infinitely little importance? In fact compromises are made, and theologians explain that nobody need feel guilty at making them. But the suspicion remains that a man who really believed in the supreme importance of some absolute could not continue to live in much the same way as others.
Literature Gauthier, R. A./Jolif, J. Y. 21970 : L’Ethique à Nicomaque 2 Bde., Louvain-Paris. Hardie, W. F. R. 1965: The Final Good in Aristotle’s Ethics, in: Philosophy 40 (1965), 277 – 295.
3 Aristotle on Eudaimonia
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Hardie, W. F. R. 1968: Aristotle’s Ethical Theory, Oxford. Hintikka, J. 1973: Remarks on Praxis, Poiesis, and Ergon in Plato and in Aristotle, in: Studia philosophica in honorem Sven Krohn, 53 – 62. Kenny, A. 1966: Happiness, in: Proceedings of the Aristotelian Society 66 (1965/66), 93 – 102. Stewart, J. A. 1892: Notes on the Nicomachean Ethics of Aristotle, Oxford.
Hellmut Flashar
4 Die Platonkritik (I 4) Aristoteles stellt seine Positionen in den verschiedenen Bereichen der Philosophie nicht unvermittelt dar, sondern orientiert sich zunächst an den vorphilosophischen, philosophischen und nichtphilosophischen Ansichten und Meinungen (doxai). Sein Bemühen ist es dabei, sich von diesen Meinungen nicht schroff abzusetzen, sondern an sie anzuknüpfen und in ihnen möglichst viel zu finden, womit er übereinstimmen kann. Jedenfalls ist die Denkform des Aristoteles nicht: „Die anderen – dagegen ich“; und es ist auch nicht seine Auffassung, daß man alle Meinungen erst einmal als Scheinwissen entlarven muß, um überhaupt philosophisch fragen zu können. Vielmehr sammelt er in großer Ausführlichkeit die Meinungen der anderen und gewinnt aus ihnen einen ersten Bestand an Fragestellungen und auch an sprachlichen Benennungen und Bezeichnungen. So geht Aristoteles auch in der Nikomachischen Ethik vor. Er notiert zu Beginn, daß in der Frage nach dem obersten Ziel aller menschlichen Güter jedenfalls in der Benennung eine allgemeine Übereinstimmung besteht: es ist das Glück (eudaimonia, I 2, 1095a18). Aber worin dieses inhaltlich besteht, darin konstatiert er einen Dissens. Dieser wird geordnet und gebündelt vorgeführt in Gestalt der „Lebensformen“ (bioi: I 3, 1095b14 ff.), die jeweils auf ein Ziel hin ausgerichtet sind, das Aufschluß über den Inhalt der Eudaimonie zu geben verspricht. Erst die verschiedenen Antworten (Lust, Ehre, Reichtum) sind Gegenstand der Kritik; in ihnen kann das oberste menschliche Gut nicht liegen, wobei allerdings die Alternative, die „theoretische Lebensform“, nach Inhalt und Ziel noch seltsam ausgeklammert bleibt (1096a4). Nachdem Aristoteles aus der Betrachtung der Lebensformen keinen brauchbaren Aufschluß über das höchste menschliche Gut, über den Inhalt der Eudaimonie gewonnen hat, wendet er sich immer noch nicht der Entfaltung des eigenen Ansatzes, sondern der Untersuchung des Guten als einem Allgemeinbegriff (to katholou: 1096a11) und damit der Auffassung Platons zu, die er kritisiert und ablehnt. Das ist im thematischen Aufriß der Nikomachischen Ethik der Ort der Platonkritik, der er das ganze Kapitel I 4 widmet. Aber auch diese Kritik ist bemüht, zunächst das Gemeinsame herauszustellen und sich nicht zu schroff zu geben. Wir wissen aus einer Reihe von Zeugnissen, daß Aristoteles die Platonische Ideenlehre von Anfang an abgelehnt hat. Hier, in
Überarbeitete Fassung von Hellmut Flashar, Die Kritik der Platonischen Ideenlehre in der Ethik des Aristoteles, zuerst erschienen in: Synusia, Festgabe für W. Schadewaldt, Pfullingen 1965. https://doi.org/10.1515/9783110578751-006
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Hellmut Flashar
der Nikomachischen Ethik, bedauert Aristoteles geradezu, daß Platon „die Ideen eingeführt“ hat (eisagagein ta eidê, 1096a13). So ist es ihm geradezu peinlich, eine derartige Untersuchung anstellen zu müssen, sind es doch „befreundete Männer“ (philous andras, 1096a13), gegen die er sich nun wenden muß. Man wird diese Äußerung nicht so zu verstehen haben, daß Aristoteles noch förmliches Mitglied der Platonischen Akademie gewesen sei, als er diese Zeilen schrieb. Aber sie sind Ausdruck einer inneren Nähe, die sich Aristoteles gegenüber Platon immer bewahrt hat. Dabei dürfen wir bei allem innerphilosophischen Disput auch nicht vergessen, daß die Platonische Akademie und die Schule des Aristoteles durch viele Gemeinsamkeiten verbunden sind, etwa durch die Abgrenzung gegen gleichzeitige Kräfte wie z. B. die Rhetorenschulen, die zum Teil, so bei Isokrates, ebenfalls Anspruch auf das Wort „Philosophie“ und damit auf die Erziehung des Menschen machten. Zudem hat Aristoteles seine so persönlich klingende Bemerkung über die „befreundeten Männer“ literarisch stilisiert. Er spielt sichtlich an auf eine berühmte Stelle im 10. Buch der Platonischen Politeia (595bc), mit der Platon seine vorzugsweise an Homer geführte Dichter-Kritik einleitet: „Eine gewisse Liebe (philia) und Ehrfurcht von Kindheit an“ habe Platon Homer gegenüber gehegt, der doch „der erste Lehrer und Wegbereiter“ gewesen sei. Homer der „Lehrer“ Platons und Platon der Lehrer des Aristoteles – das ist die Analogie. Auch die Fortsetzung ist ganz parallel. Bei Platon heißt es: „Man darf einen Mann nicht höher als die Wahrheit schätzen, vielmehr muß, was ich zu sagen habe, gesagt werden.“ Das greift Aristoteles in seiner Fortsetzung auf: „Es scheint aber vielleicht besser, ja sogar Pflicht zu sein, zur Rettung der Wahrheit auch das Eigene (die eigenen Empfindungen) hintanzustellen, zumal wir ja Philosophen sind. Denn da beide uns nahestehen, ist es doch heilige Pflicht, der Wahrheit den Vorzug zu geben“ (1096a14– 17). Diese berühmten Worte – aus ihnen hat sich das bekannte Dictum „amicus Plato, sed magis amica veritas“ entwickelt – zeugen von der vornehmen Gesinnung der Ehrfurcht Platon gegenüber gerade auch in der Kritik, die Aristoteles unter Verwendung von Gedanken Platons selbst geschickt einleitet.
4.1 Fünf Argumente gegen die Platonische Lehre Nach dieser Einleitung, in der Aristoteles Anlaß und Berechtigung seiner Kritik begründet, folgen fünf theoretisch formulierte Argumente gegen die Platonische Lehre: 1. Das Argument von der Reihung (1096a17– 23). Ganz im Geiste der Einleitung knüpft Aristoteles hier zunächst zustimmend an einen Punkt der im ganzen kritisierten Lehre an: Die Vertreter der Ideenlehre selbst haben überall da, wo sie von
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„Früher“ und „Später“ redeten, keine Ideen angenommen, daher haben sie auch für die Zahlen (in ihrer Gesamtheit) keine (umfassende) Idee angesetzt. Diese Position müßte eigentlich, so folgert Aristoteles, die Annahme einer gemeinsamen Idee der in den verschiedenen Kategorien ausgesagten Güter nach den Prinzipien Platons selbst verbieten, wird doch das Gute in einer solchen Reihe prädiziert, die im Verhältnis von „Früher“ und „Später“ steht, nämlich in der Kategorienreihe. Aristoteles kritisiert also, daß das Argument von der Reihung in bezug auf das Gute von Platon nicht beachtet wurde. Dabei meint Aristoteles, ohne es hier klar zu formulieren, Platons Idee des Guten, unter die letztlich die Mannigfaltigkeit alles Guten subsumiert ist. Das Begriffspaar „Früher“ (proteron) – „Später“ (hysteron) spielt in der Aristotelischen Philosophie eine bedeutende Rolle in ganz verschiedenen Nuancierungen. In welchem Sinne es hier zu verstehen ist, ergibt sich aus Metaphysik V 11, 1019a4 als das Verhältnis von Bedingendem und Bedingtem. Und durch den Zusatz „von welcher Einteilung Platon Gebrauch gemacht hat“ (hê(i) dihairesei echrêsato Platôn) ergibt sich die Verbindung zu Platon. Für Aristoteles ist die Unterscheidung ganz deutlich: Die erste Kategorie, die Sache selbst, ist die Bedingung dafür, daß die Kategorien der Qualität, Quantität usw. von dieser Sache ausgesagt werden können. Für Platon indessen ist das Begriffspaar in ganz anderem Kontext relevant, wie man übrigens nicht aus den Platonischen Dialogen, sondern aus den Berichten über die mündliche Lehre (vgl. elegon, 1096a18) entnehmen kann. So hat Platon neben den mathematischen Zahlen noch andere, nur bis zu 10 reichende „Ideen-Zahlen“ (eidêtikoi arithmoi) angesetzt, die im Verhältnis des „Früher“ und „Später“ stehen und „nicht operabel“ (asymblêtoi) sind (vgl. Gaiser 1963, 115 ff.). Ob Aristoteles hier wirklich an die „Ideen-Zahlen“ oder an die mathematischen Zahlen dachte, ist umstritten. Es kommt darauf auch nicht an, da mit dem Zahlenargument nur ein Beispiel gegeben ist für einen allgemeinen Sachverhalt, wonach es durchaus mehrere solcher Reihen geben kann, die im Verhältnis des „Früher“ und „Später“ stehen und demzufolge keiner gemeinsamen Idee subsumierbar sein dürfen. Der entscheidende Punkt ist der: Es gibt nicht „die Idee Zahl“ als Allgemeinbegriff aller Zahlen. Ob die Zahlen den Charakter von Ideen haben können, darüber äußert Aristoteles sich nicht. 2. Das Kategorienargument (1096a23 – 29). Was bereits über die kategoriale Vielfalt des Guten ausgeführt war, wird nun auf das Seiende im Ganzen ausgedehnt. Es gibt angesichts der kategorialen Differenziertheit des Seienden „kein Allgemeines, das gemeinsam und eines wäre“ (ouk an eiê koinon ti katholou kai hen). Aristoteles benutzt oft in unterschiedlichem Kontext das Kategorienargument (z. B. Met. V 7, 1017a24; VII 1, 1028a10; An. I 5, 410a13), und sichtlich steht dabei all das im Hintergrund, was er in der Schrift Kategorien entwickelt hatte. Streng genommen hätte es ausgereicht, wenn im Rahmen der Ethik die kategoriale
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Differenziertheit des Guten allein aufgezeigt worden wäre. Aber da für Platon die Idee des Guten zugleich oberstes Seinsprinzip ist, lag es für Aristoteles nahe, diesen Aspekt eigens zu betonen. Interessant sind die aufgeführten Beispiele: theos und nous für die erste Kategorie verweisen auf das höchste, in Metaphysik XII entwickelte Prinzip des Aristoteles; aretai, metrion, chrêsimon als Beispiele für Qualität, Quantität und Relation gehören in den Bereich der Ethik. 3. Das Wissenschaftsargument (1096a29 – 34). Das Gute tritt nicht nur in den verschiedenen Kategorien, sondern selbst innerhalb einer einzelnen Kategorie in mannigfaltigen Erscheinungsformen auf. Im Krieg ist die Strategenkunst ein Gut, bei der Krankheit die ärztliche Kunst usw. Dieser einfache, aus dem Kategorienargument entwickelte Gedanke wird nun aber mit der spezifisch Platonischen Voraussetzung hypothetisch eingeführt: Von den Dingen, die unter einer einzigen Idee begriffen werden, gibt es auch nur eine einzige Wissenschaft (epistêmê), so daß es von allem Guten auch nur eine einzige Wissenschaft gäbe, was aber faktisch nicht zutrifft. Wiederum fällt das Bestreben auf, in der Kritik von Gedanken und Voraussetzungen der kritisierten Platonischen Lehre selbst auszugehen. 4. Das Argument von der Hypostasierung (1096a34–b3). Die Hypostasierung einer Sache durch das Präfix „selbst“ (auto) ist sinnlos, und der Ausdruck „eine Sache selbst“ ist unverständlich. Der „Mensch selbst“ und der „Mensch“ unterliegen nämlich der gleichen Wesensbestimmung „Mensch“, ohne daß eine Differenzierung erkennbar wäre. Das gleiche gilt auch für das „Gute selbst“ und das „Gute“; Aristoteles wendet sich gegen die Abtrennung eines „Guten selbst“ bzw. eines „Guten an sich“ von den Einzelgütern. Dabei liegt seiner Kritik der Gedanke zugrunde, daß mit dem Präfix auto das gleiche ausgedrückt wird wie mit der Bezeichnung „Idee“. 5. Das Argument von der Ewigkeit (1096b3 – 5). Es ist nicht etwas dadurch, daß es ewig ist, in stärkerem Maße gut, denn auch die Intensität einer Farbe ist nicht an zeitliche Dauer gebunden. Was lange Zeit weiß ist, ist nicht weißer als das, was einen Tag weiß ist. In Verknüpfung mit dem vorangehenden Argument ergibt sich als Folgerung: Die Annahme einer „Sache selbst“ als ewiger, von den Einzeldingen abgelöster Idee intensiviert eine bestehende Idee nicht. Das gilt auch für das einzelne Gute im Verhältnis zu einem angenommenen „Guten selbst“ oder einer Idee des Guten. Diese fünf Argumente liegen alle auf der gleichen Ebene. Mit einfachen, schon aus der Kategorienlehre bereitliegenden Argumentationsmitteln wird die Platonische Annahme einer Idee des Guten widerlegt. Dabei bricht Aristoteles – wie er es auch sonst bei ähnlichen kritischen Darstellungen Platonischer Positionen tut – aus der Konzeption Platons einzelne Elemente und Begriffe heraus und stellt sie in seinen eigenen Kontext. So versteht er die Platonische Idee als gleichbedeutend mit einem bloßen Allgemeinbegriff (to de katholou, 1096a11),
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ohne den bei Platon entscheidenden Gedanken der formenden Kraft und ordnenden Funktion der Idee zu bedenken. Am Schluß dieser ganzen Argumentationsreihe steht die in ihrer Kürze nicht leicht verständliche Bemerkung (1096b5 – 8), die Auffassung der Pythagoreer „darüber“ (peri autôn) sei überzeugender, die die Eins (to hen) in der Tafel (der Gegensätze) auf die Seite der Güter stellen, denen sich offenbar Speusipp angeschlossen hat. Thematisch schließt diese Bemerkung nicht an den unmittelbar vorhergehenden Text, sondern an das vierte Argument von der Platonischen Unterordnung aller Güter unter einer einzigen Idee (des Guten) an. Demgegenüber wird jetzt eine Auffassung als „überzeugender“ erklärt, die die Eins lediglich in die Tafel der Gegensatzpaare auf die positive Seite der Güter stellt. Es handelt sich dabei um eine pythagoreische Zusammenstellung (systoichia) von zehn als Prinzipien verstandenen Gegensatzpaaren, die Aristoteles an anderer Stelle (Met. I 5, 986a22 – 27) in aller Ausführlichkeit dargelegt hat. Was es bedeutet, daß Speusipp, der Neffe Platons und dessen Nachfolger in der Leitung der Akademie, sich dieser pythagoreischen Lehre angeschlossen hat, können wir kaum noch feststellen. Ein Moment der Übereinstimmung ist jedenfalls, daß Speusipp in der Tat die Platonische Identifikation von Eins (hen) und Gut (agathon) aufgegeben hat. Mit der Erwähnung Speusipps kommt es Aristoteles darauf an, einen Akademiker selbst als Träger der Polemik gegen Platon zu benutzen, in Übereinstimmung mit dem für die Nikomachische Ethik im ganzen charakteristischen Verfahren, bei Inkonsequenzen und Widersprüchlichkeiten innerhalb der kritisierten Lehre selbst anzusetzen. Im übrigen teilt Aristoteles die Auffassung der Pythagoreer und Speusipps keineswegs (er kritisiert sie in Met. XII 7, 1072b30 – 34); er findet sie nur relativ „überzeugender“ bezogen auf die zuvor kritisierte Lehre. Mit der typisch Aristotelischen Abbruchsformel: „Dies soll der Gegenstand einer anderen Untersuchung sein“ wird der ganze erste Teil der Ideenkritik abgeschlossen.
4.2 Einwände gegen die vorgeführte Kritik Der zweite Teil (ab 1096b8) ist anders strukturiert. Er ist ganz offensichtlich das Echo einer Schuldiskussion, die zunächst eine Verteidigung der Platonischen Position gegen die Kritik durch Aristoteles und dann eine Widerlegung dieser Kritik enthält. Dabei scheint es sich nicht um von Aristoteles fingierte, sondern um reale Einwände zu handeln, wie sie im mündlichen Schuldialog vorkommen. Denn im Unterschied zu der häufigen Verwendung des Potentialis in diesem Kapitel wird der Einwand in der Form des Realis eingeführt: „Gegen das Gesagte (sc. gegen die Ideenkritik des Aristoteles) taucht (hypophainetai) ein Einwand
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auf“ (1096b8 f.). Auch die umständliche, noch zweimal zu einer Frage übergehende Redeweise spricht nicht für eine konstruierte, sondern für eine die Realität der Schuldiskussion widerspiegelnde Argumentation. Der Einwand gegen Aristoteles (1096b8 – 14) geht davon aus, daß die Ideenlehre sich nicht auf jedes Gut bezieht, sondern nur auf die um ihrer selbst willen erstrebten Güter, nicht aber auf die mittelbaren, zweckdienlichen Güter, die nur in abgeleitetem Sinne Güter heißen. Soll diese Auffassung einen Einwand gegen die Ideenkritik darstellen, so würde dieser auf den Vorwurf hinauslaufen, die kritisierte Behauptung, die einzelnen Güter lassen sich unter eine Idee des Guten nicht subsumieren, sei nicht stichhaltig, da die Ideenlehre es mit diesen einzelnen Gütern nicht zu tun habe. Aristoteles trägt diesem Einwand zunächst Rechnung und sagt etwas umständlich, er wolle von den zweckdienlichen Gütern die Güter an sich abtrennen und prüfen, ob diese sich einer Idee unterordnen lassen (1096b14– 16). Als Güter an sich werden aufgeführt: 1. Erkennen und Sehen (phronein kai horan). 2. Gewisse Formen der Lust (hêdonai tines). 3. Gewisse Formen der Ehre (timai tines). Der gerade gewonnene Unterschied in zwei Arten von Gütern, absoluten und relativen, wird dann aber wieder etwas verwischt durch die Bemerkung, diese absoluten Güter würden auch um eines anderen willen erstrebt (ei kai di’ allo ti diôkomen: b18), trotzdem könne man sie zu den absoluten Gütern rechnen. Dann aber wird die Einteilung der absoluten Güter in die genannten drei Gruppen fallengelassen und als absolutes Gut – im Sinne des Einwandes – nur die Idee (des Guten) angenommen. Damit führt Aristoteles den Einwand ad absurdum: Wenn die Idee des Guten sich nur auf die um ihrer selbst willen erstrebten Güter bezieht, das einzige um seiner selbst willen erstrebte Gut aber die Idee des Guten ist, so bezieht sich die Idee auf sich selber und ist eine Form ohne Inhalt. Darauf diskutiert Aristoteles die zunächst fallengelassene erste Möglichkeit, und es werden wieder die drei Werte timê, phronêsis und hêdonê als Güter an sich genannt; und es ist wohl kein Zufall, daß es sich um die Ziele der im vorhergehenden Kapitel behandelten drei Lebensformen handelt. Wenn aber auch diese Güter, so lautet die Folgerung, Güter an sich sind, so sind sie doch nicht unter eine Idee subsumierbar, da sie in verschiedenem Sinne gut sind. Wir wissen aus anderen Zusammenhängen, daß es sowohl in der Platonischen Akademie wie im Aristotelischen Peripatos die unterschiedlichsten Diskussionen über Einteilungen von Gütern, sog. Güterdihairesen, gegeben hat. Eine derartige Diskussion steht auch hier im Hintergrund. Dabei ist ein gewisses Schwanken in der mittleren Gruppe erkennbar. Klar ist, daß es Güter gibt, die um ihrer selbst willen erstrebt werden und andere Güter, die nur Mittel zum Zweck, also keine absoluten Güter sind. Schwanken kann man, ob Ziele wie „Erkennen, Sehen, gewisse Lüste und Ehren“ (1096b16 – 18) zu den absoluten oder zu den
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relativen Gütern gehören. Man hat den Eindruck, daß Aristoteles durch die Bemerkung: „Wenn wir diese auch um eines anderen (Ziels) willen erstreben, so kann man sie wohl doch zu den Gütern an sich zählen“ (1096b18 f.), eine vorliegende Dreiteilung in eine Zweiteilung verwandelt. Eine sehr ähnliche, in der Zuteilung der Güter aber leicht differierende Dreiteilung der Güter findet man bei Platon (Politeia II 357b-d) in folgender Gruppierung: 1. Die um ihrer selbst willen erstrebten Güter wie „Sich-Freuen und unschädliche Lüste“ (hoion to chairein kai hai hêdonai hosai ablabeis); 2. die sowohl um ihrer selbst willen als auch um ihrer nützlichen Folgen willen erstrebten Güter wie „Denken, Sehen und Gesundheit (hoion to phronein kai to horan kai to hygiainein); 3. Güter, die nur um anderer Güter willen erstrebt werden. Derartige oder ähnliche Güterdihairesen, die Aristoteles für seine Zwecke (Parallele mit den Zielen der drei Lebensformen) abgewandelt hat, stehen hinter dieser Diskussion. Ziel der Argumentation ist der Nachweis, daß in jedem Fall auch für die um ihrer selbst willen erstrebten Güter die Annahme einer Idee des Guten unsinnig ist. Denn selbst bei den um ihrer selbst willen erstrebten Gütern ist das, was dabei „gut“ heißt, jedesmal etwas ganz anderes. Die Folgerung kann also nur lauten: „Das Gute ist nichts Gemeinsames, unter eine einzige Idee Fallendes“ (1096b25). Nun taucht ein weiterer Einwand auf (1096b26 – 31). Wenn nach der Auffassung des Aristoteles das Gute in den verschiedenen Bereichen ganz verschieden ist, wie kommt es denn, daß man doch die gemeinsame Bezeichnung „gut“ verwendet? Das kann doch nicht auf einem bloßen Zufall beruhen. Wohl kennt und erörtert Aristoteles an anderer Stelle (Cat. I 1) den Tatbestand, daß es Wörter gibt, die die gleiche Bezeichnung (homonyma), in der Sache jedoch nichts miteinander zu tun haben. Aber mit der Bezeichnung „gut“ kann es doch nicht so sein. Die Antwort, die Aristoteles für diese Aporie bereithält, besteht in einer in Frageform eingekleideten bloßen Andeutung von drei Alternativen, zwischen denen Aristoteles sich nicht entscheidet. „Ist es (die Bezeichnung gut) deshalb so, weil alles (was gut genannt wird) von einem herkommt (aph’ henos) oder zu einem hinführt (pros hen) oder eher gemäß einer Analogie (kat’ analogian)?“ Das ist schwer verständlich, und man sieht vor allem nicht, warum die beiden ersten Alternativen nicht auch auf der Basis der Ideenlehre möglich sein sollen. Dabei haben alle drei Alternativen ihren festen Platz in der Aristotelischen Philosophie. Mit der ersten Möglichkeit („von etwas her“), die in der Forschung im Anschluß an die Kategorienschrift (I, 1a12) auch „Paronymie“ genannt wird (Patzig 1960/61, 185 – 205), geht von einem ersten Glied eine Reihe oder Gruppe aus, wobei dieses erste Glied Element der Reihe, zugleich aber deren Prinzip ist. Die anderen Glieder werden dann von diesem ersten her so benannt. Ein bei Aristoteles beliebtes Beispiel dafür ist die Gesundheit (z. B. Met. IV 2, 1003a35). Wir sprechen von gesundem Klima, von gesunder Nahrung, aber bezogen ist dies
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alles auf ein gesundes Lebewesen, das dann „in erster Linie und eigentlich“ (prôtos kai kyriôs) gesund genannt wird. Im Grunde ergibt sich dabei eine ähnliche Reihe wie in der Kategorienlehre mit der Substanz (ousia) als erstem Glied, auf das sich die Prädikationen der anderen Glieder beziehen. Die zweite Möglichkeit („zu etwas hin“) meint im Grunde den gleichen Sachverhalt, nur ist der Aspekt jetzt umgekehrt. Die Betrachtung geht von den nachgeordneten Gliedern zu einem Ersten hin. Man nennt dies die ‘pros-hen-Relation’ (Flashar 22004, 339 f.). Sie ist ein koordinierendes Gliederungsprinzip, das es erlaubt, Begriffe und Bezeichnungen, die weder synonym noch homonym sind, durch Bezug auf einen ersten, ausgezeichneten Fall zu einer Einheit zusammenzufassen. Die Methode des Aristoteles ist dabei offenbar die, eine an der Sprache abgelesene Struktur, in der es Vorgeordnetes und Nachgeordnetes gibt, auf eine Seinsstruktur zu übertragen, die zwar sprachlich beschrieben wird, sich aber nicht mehr in der Sprache zu spiegeln braucht (Happ 1971, 331– 337). Gleichwohl fällt immer wieder auf – gerade auch in der Ideenkritik der Nikomachischen Ethik -, wie stark Aristoteles auf die Sprache rekurriert, indem wiederholt gefragt wird: „Wie wird das Gute ausgesagt?“ (1096a12, 19, 24, 28; 1096b10, 13, 15 und 26). Während diese beiden ersten Möglichkeiten sichtlich Abwandlungen der strukturell ähnlichen Platonischen Position darstellen, insofern das erste Glied, von dem alles abgeleitet wird oder auf das alles bezogen wird, aus der Transzendenz herausgenommen und zu einem Element der Reihe selbst gemacht wird, ist die Bestimmung des Guten im Sinne einer Analogie schon vom Ansatz her von der Ideenlehre gelöst und ganz der eigene Entwurf des Aristoteles. Hier ist es die Proportionalitätsanalogie, deren Glieder Verhältnisse darstellen. Bei dieser Alternative verweilt Aristoteles etwas länger, indem er Beispiele nennt: Gut ist beim Körper das Sehen, bei der Seele die Vernunft usw. Aber auch hier beläßt er es bei einem kurzen Hinweis und bemerkt, daß eine genauere Darstellung einem anderen Zweig der Philosophie (als der Ethik) angemessen sei (1096b30 f.). Tatsächlich spielen die hier nur angedeuteten Verfahrensweisen in der Seinslehre (d. h. den Büchern IV, VI, VII, VIII und IX der Metaphysik) eine größere Rolle (Flashar 22004, 339 – 341). Indessen ist auch mit der anschließenden Bemerkung: „Ebenso ist es hier nicht der Ort, die Ideenlehre weiterzuverfolgen“ (homoiosde kai peri tês ideas, 1096b31) die Platonkritik noch nicht abgeschlossen. Zwar kritisiert Aristoteles im folgenden Abschnitt (1096b31– 1097a14) nicht mehr die Lehre als solche, sondern ihre praktische Anwendbarkeit. In einem für ihn charakteristischen Verfahren gesteht er zunächst hypothetisch die Existenz eines „allgemein ausgesagten oder abgetrennt für sich bestehenden Guten“ (to koinê(i) katêgoroumenon agathon ê chôriston auto ti kath’ auto: 1096b33) zu, bestreitet aber dessen Relevanz für den Bereich der Ethik, da der Mensch einen Allgemeinbegriff oder ein transzendentes
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Gut nicht durch Handeln verwirklichen oder in Besitz nehmen könne. Es scheint auch dieses Argument, das in ähnlicher Form in der Ethik mehrfach vorkommt (z. B. EN II 2, 1103b26), ein Reflex der Schuldiskussion zu sein, denn mit dem folgenden Satz trägt Aristoteles einem Einwand Rechnung: Mag die Idee des Guten selbst nicht erwerbbar oder dem Handeln zugänglich sein, so ist sie doch ein Muster (paradeigma), auf das man blicken kann und mit dessen Hilfe man auch das für uns Gute erkennen und dann erlangen kann. Diese Überlegung steht sichtlich auf dem Boden der Lehre Platons (nicht erst nachplatonischer Akademiker), wie der typisch Platonische Begriff paradeigma für die Idee und die Verbindung von Erkennen und Handeln zeigen. Übereinstimmend mit dem Tenor der Platonkritik in dem ganzen Kapitel gesteht Aristoteles diesem Einwand sogar „eine gewisse Überzeugungskraft“ zu (pithanotêta men oun tina echei ho logos: 1097a3 f.), widerlegt ihn dann aber doch unter Rückgriff auf die sichtbare Erfahrung. Denn, so lautet seine Kritik, das Argument scheint „mit den Wissenschaften nicht übereinzustimmen“ (1097a4). Mit den „Wissenschaften“ (epistêmai) sind die anwendungsbezogenen praktischen Wissenschaften und die handwerklichen Künste gemeint, wie die folgenden Beispiele (Weber, Zimmermann, Feldherr, Arzt) zeigen. Diese Wissenschaften und Fertigkeiten orientieren sich faktisch nicht an der Idee; es ist noch keiner ein besserer Arzt oder Feldherr geworden, „wenn er die Idee selbst geschaut hat“. Der Arzt hat nicht die Gesundheit als abstraktes Gebilde im Auge, sondern die des Menschen und konkret des einzelnen Menschen. Daß die ganze Argumentation mit dem Einwand und dessen Widerlegung der akademischen Schuldiskussion entstammt, läßt sich deutlich nachweisen. Denn offensichtlich handelt es sich hier um die Umkehr eines Platonischen Beweises für die Ideenlehre durch Aristoteles. Es ist der Beweis „aus den Wissenschaften“ (ek tôn epistêmôn), den Aristoteles in der (verlorenen) Schrift Über die Ideen (peri ideôn) behandelt hat (Frgm. 118,3 Gigon). In dieser Schrift (vgl. Flashar 22004, 267 f.) waren die Argumente für die Existenz der Ideen geradezu schulmäßig aufgereiht und nacheinander von Aristoteles widerlegt worden. Der Platonische (aber aus den Dialogen kaum belegbare) Beweis „aus den Wissenschaften“ besagt, daß jede Wissenschaft sich auf ein abgegrenztes Seiendes bezieht, das von den Einzeldingen verschieden sein muß, aber auch kein grenzenloses Allgemeines, wohl aber eine Idee ist. Platon hat dabei offenbar selber das Beispiel der Medizin gebraucht. Sie sei, so hat Platon nach Ausweis eines Fragments aus der Schrift Über die Ideen argumentiert, nicht Wissenschaft einer einzelnen Gesundheit (d. h. der Gesundheit eines einzelnen), sondern der Gesundheit schlechthin, und folglich müsse es so etwas wie die „Gesundheit selbst“ geben (eti ei hê iatrikê ouk estin epistêmê têsde tês hygieias all’ haplôs hygieias, estai tis autohygieia). Die wissenschaftliche Erkenntnis geht, so Platon, letztlich nicht auf den Einzelfall, sondern auf den von der empirischen Vielfalt abgetrennten all-
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gemeinen „Gegenstand“, eben die Idee, die als Muster (paradeigma) in der Anwendung auf den Einzelfall wirkt. Aristoteles denkt hingegen praktisch und trennt vor allem die theoretische von der praktischen Philosophie. Wo es um Fragen des menschlichen Handelns geht, kann eine Idee des Guten keine Orientierung geben, selbst wenn ihre Existenz theoretisch bewiesen worden wäre. Das Ergebnis der Einzelinterpretation soll durch einige Beobachtungen kurz zusammengefaßt werden: 1. Aristoteles fühlt sich den Vertretern der Ideenlehre persönlich verbunden. Die Kritik ist vorsichtig und von dem Bestreben geleitet, an die Voraussetzungen der kritisierten Lehre selbst anzuknüpfen. Sie ist nirgends von betonter Schärfe. 2. Norm und Ausmaß der Kritik ist durch den thematischen Rahmen der Ethik bestimmt. Die theoretischen Implikationen der Ideenlehre hat Aristoteles an anderen Stellen (in der Schrift Über die Ideen, in der Metaphysik vor allem in I 9 und XIV 4– 5) im Zusammenhang, an vielen Stellen aus konkretem Anlaß punktuell behandelt. 3. Hinter den Formulierungen dieses Kapitels ist ein lebendige Schuldiskussion über die Ideenlehre spürbar. Besonders im zweiten Teil (ab 1096b8) werden Einwände formuliert, Fragen gestellt und kritisch beantwortet. Dabei sind die Formulierungen nicht überall bis zu letzter Geschliffenheit gediehen. Manches wird erst voll verständlich, wenn man die Aussagen aus anderen Quellen ergänzt. Die gedrungene Kürze des Notizenstils hängt mit dem Charakter der sog. Lehrschriften zusammen. Einzelheiten werden im mündlichen Vortrag ergänzt worden sein. 4. Die Frage nach dem höchsten menschlichen Gut wird diskutiert im Horizont des Logos. Es wird nicht (nur) gefragt: „Was ist das höchste Gut?“, sondern: „Wie wird dieses Gute ausgesagt“ (legetai)? Es hängt dies mit der spezifisch Aristotelischen Kategorienlehre zusammen, in der der ontologische und der grammatisch-linguistische Aspekt ineinandergreifen. In der Anwendung der Kategorienlehre auf den Bereich des Seienden und damit zugleich auf das höchste Gute werden die Dinge analysiert, insofern sie sprachlich bezeichnet werden. Es ist dies ein Moment in dem Bestreben, an die vorliegenden ‘Meinungen’ (doxai) anzuknüpfen, hier an den Sprachgebrauch und an gängige Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks.
4.3 Gegenüberstellung verschiedener Fassungen Unter dem Namen des Aristoteles sind drei ethische Pragmatien überliefert: Die Nikomachische Ethik (EN), die Eudemische Ethik (EE) und die Magna Moralia (MM), deren jede einen gesamten Aufriß der ethischen Probleme darzustellen
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beansprucht. Die vergleichende Gegenüberstellung der verschiedenen Fassungen der Platonkritik ergibt für das Verständnis des hier behandelten Kapitels kaum zusätzliche Aufschlüsse. Daher folgen statt einer ausführlichen Analyse nur kurze Hinweise über den Charakter der Platonkritik in den beiden anderen Ethiken. Eudemische Ethik (I 8, 1217b1– 1218b24). Es finden sich weitgehend die gleichen Argumente wie in der Nikomachischen Ethik, wenn auch in anderer Reihenfolge. Der Stil und Tenor der Platonkritik ist aber ein völlig anderer. Sie ist von kühler Reserve und schneidender Schärfe getragen, keine Spur von innerer Nähe und persönlicher Empfindung, kein Versuch, an die kritisierte Lehre anzuknüpfen. Statt dessen teilt der Verfasser (ob es Aristoteles ist, bleibt nach wie vor ungewiß) gleich zu Beginn mit, es sei die Ideenlehre schon oft geprüft worden, sowohl in den nach außen gerichteten als auch in den streng philosophischen Schriften (epeskeptai de pollois peri autou tropois kai en tois exôterikois logois kai en tois kata philosophian: 1217b22 f.). Es fehlt auch der Bezug zur lebendigen Schuldiskussion mit der Formulierung von Fragen, Einwänden und deren Widerlegung.Vielmehr wird durchweg sehr nüchtern die Unsinnigkeit der Annahme einer Idee des Guten herausgestellt. Zwei der Argumente gegen die Annahme von Ideen kommen in der Nikomachischen Ethik nicht vor. Beide Argumente beziehen sich auf die Zahlenlehre, und zwar: a) Man leitet fälschlich allgemein anerkannte Güter – Gerechtigkeit, Gesundheit – aus Faktoren ab, die nicht als Güter anerkannt sind, nämlich aus Zahlen; tatsächlich müßte man es umgekehrt machen (1218a15 – 24); b) die Annahme, es gäbe ein „Streben“ der Zahlen zur „Eins“, die mit dem Guten selbst identisch sei, ist unsinnig (1218a24– 30). Beide Argumente treffen in dieser Form auf Platon gar nicht zu, wohl aber auf die Ausgestaltung und Abwandlung der Ideenlehre durch Xenokrates, der als Schulhaupt (Scholarch) der Akademie Aristoteles um knapp zehn Jahre überlebt hat. Da die beiden miteinander verkoppelten Argumente durch ein zweimaliges „Jetzt“ (nyn, 1218a16) eingeleitet werden („Jetzt führen sie den Beweis“ …), haben sie einen aktuellen Charakter und richten sich gegen die offizielle Lehre der Akademie unter Xenokrates als Scholarchen (339/8 – 314/13). Es ergibt sich also eine Datierung in diese Zeit (Aristoteles kehrte 335/4 nach Athen zurück und starb 322). Magna Moralia (I 1, 1182a23 – 1183b8). Stil und Argumentationsweise unterscheiden sich erheblich von den beiden anderen Texten. Die Platonkritik erfolgt gleich im ersten Kapitel; kein Anknüpfen an die allgemeinen ‘Meinungen’, sondern im Rahmen der Fragestellung – Welches ist das Gut, womit es die „Staatskunst“ (politikê) zu tun hat? – werden die Lehren von Pythagoras, Sokrates und Platon gemustert. Zunächst wird Platon der Vorwurf gemacht, er habe die Tugend (aretê) mit dem Sein vermischt; beides habe nichts miteinander zu tun. Sodann wird innerhalb der Platonkritik differenziert zwischen der Idee des Guten, die
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„abgetrennt ist“ (chôristê) und dem Allgemeinbegriff des Guten, der sich in allen Gütern befindet (en hapasin enhyparchon). Diese Differenzierung wird in der Nikomachischen Ethik überhaupt nicht und in der Eudemischen Ethik nur andeutungsweise gemacht, in den Magna Moralia aber geradezu pedantisch eingeschärft. Entsprechend erfolgt die Widerlegung der Platonischen Lehre nacheinander, zuerst für die Idee des Guten. Dabei werden einige der Argumente und Beispiele der beiden anderen Texte (Kategorienargument; Beispiele von Arzt und Baumeister) kurz gestreift. Der Stil ist von pedantischer Lehrhaftigkeit mit besonderer Betonung der logisch-begrifflichen Differenzierungen. Geradezu albern wirken die ständigen rhetorischen Fragen (Warum? … weil …“), in denen krampfhaft eine künstliche dialogische Bewegung in den ganz trockenen Text gebracht werden soll. Dazu kommen unaristotelische Ausdrücke, wie z. B. „das beste gestaltende Vermögen im Bereiche der Politik“ (hê politikê beltistê dynamis: 1218b1), aufdringliche Wiederholungen und manches andere, so daß ich in Magna Moralia nach wie vor nicht die Stimme des Aristoteles erkennen kann. Die meisten Aristotelesforscher des 19. Jahrhunderts hielten von den drei ethischen Pragmatien nur die Nikomachische Ethik für ein echtes Werk des Aristoteles, die Eudemische Ethik und Magna Moralia jedoch für nichtaristotelisch, wobei man als Verfasser (oder Redaktor) der Eudemischen Ethik den Aristotelesschüler Eudemos von Rhodos ansah. Merkwürdig schwankend bleibt die Beurteilung der Eudemischen Ethik. Insbesondere Werner Jaeger hat sie in seinem einflußreichen, heute aber weitgehend überholten Aristotelesbuch (1923) zur Urethik des frühen Aristoteles stilisiert und so die Reihenfolge: EE – EN – MM aufgestellt, die sich dann weitgehend durchgesetzt hat. Hinsichtlich der chronologischen und entwicklungsgeschichtlichen Fixierungen und Folgerungen hatte man sich jedoch nie an den verschiedenen Fassungen der Platonkritik orientiert, obwohl die Ideenkritik in der Metaphysik gerade für Jaeger der Angelpunkt für die Scheidung von frühen und späten Schichten gewesen war. Überraschend hat dann Franz Dirlmeier, der Übersetzer und Kommentierer der drei Ethiken im Rahmen der Deutschen Aristotelesausgabe (Akademie Verlag), entgegen eigenen früheren Ansätzen 1958 die Magna Moralia als die früheste Fassung, als eine erste Skizzierung des Gebietes der ethischen Tugenden angesehen, wodurch sich dann die Reihe MM – EE – EN ergab. Seltsamerweise hat er aber in seinen Erläuterungen zur Nikomachischen Ethik das Kapitel I 4 mit der Platonkritik völlig unkommentiert gelassen, also wiederum nicht aus den verschiedenen Fassungen der Platonkritik entwickelt. Hinsichtlich der Einordnung der Magna Moralia hatte Dirlmeier zwar in dem bedeutenden Aristotelesbuch von Ingemar Düring (1966), sonst aber nirgends Nachfolge gefunden. Schließlich waren für die Divergenzen zwischen den drei Ethiken eher Unterschiede von Anlaß, Ort und Publikum als chronologisch auswertbare Entwicklungsstufen verantwortlich gemacht worden
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(Flashar 22004,, 227). Bei erneutem Durchdenken des Fragenkomplexes erscheint mir die weitgehend angenommene, von mir 1965 noch vertretene Reihenfolge: EE – EN – MM unhaltbar. Dirlmeier hat an einer Fülle von Beobachtungen über das ganze Werk hin die Mittelstellung der Eudemischen Ethik überzeugend nachgewiesen, so daß nur die Reihenfolge MM – EE – EN oder EN – EE – MM in Frage kommt. Da aber die Bedenken gegen die Echtheit von Magna Moralia zu schwer wiegen, ergibt sich nur die Reihenfolge EN – EE – MM. Dann aber können – in der vorliegenden Form – weder Eudemische Ethik noch Magna Moralia aus der Feder des Aristoteles stammen. Es ist die Annahme kaum möglich, daß sich die warme, humane, von innerer Beteiligung getragene Auseinandersetzung mit Platon in der Nikomachischen Ethik zu der schroffen Abfertigung der Eudemischen Ethik entwickelt haben soll (umgekehrt schon gar nicht), zumal mit der aktuellen Bezugnahme auf Xenokrates in der Eudemischen Ethik ein zeitlicher Rahmen gewonnen ist, der über Aristoteles hinausgehen kann. Unabhängig davon wird man gewiß auch daran festhalten, daß die Eudemische Ethik eine schulinterne Abhandlung darstellt, die Nikomachische Ethik jedoch vor einem breiten Publikum möglicherweise außerhalb der Schule vorgetragen worden ist (Flashar 1965, 235). Aber alle diese Überlegungen können nur eine gewisse Probabilität für sich in Anspruch nehmen. Kritik an Platon und der Akademie findet sich verstreut teils explizit, teils implizit im ganzen Aristotelischen Werk. Aber eine durchgehende, zusammenhängende Kritik ist relativ selten. Neben den auf die Frage nach den Prinzipien orientierten Partien in der Metaphysik (I 9 und XIII 4– 5) ist die Darstellung in der Nikomachischen Ethik am wichtigsten.
4.4 Zur Einschätzung der Platonkritik Hat Aristoteles Platon mißverstanden? Hat er die kritischen Positionen ausreichend dargestellt? Ist er Platon gerecht geworden? Das sind Fragen, die so erst auf der Basis eines neuzeitlichen, historisch geprägten Bewußtseins gestellt werden können. Und doch ist Aristoteles der erste, der durch die systematische Darstellung und Kritik seiner Vorgänger der Geschichtlichkeit der Philosophie den Boden bereitet hat in einer Weise, wie sie zumindest bis zu Hegel, und zwar Hegel einschließlich, im Prinzip nicht weiterentwickelt worden ist, insofern auch bei Hegel alles Geschichtliche und damit jede frühere philosophische Position einem vorgegebenen teleologischen Aspekt entwicklungsgeschichtlich untergeordnet ist. Philosophie ist von Anfang an immer polemisch gegen andere gerichtet gewesen und hat sich selber aus der Auseinandersetzung heraus entwickelt. Die ersten Philosophen haben ihre Konzepte in der Auseinandersetzung mit der Dichtung, bald aber auch mit den unmittelbaren Vorgängern entwickelt, und zwar zunächst
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anonym. Xenophanes und Heraklit sind die Ersten, die die bekämpften Autoritäten (vor allem Dichter) mit Namen nennen. Platon hat dann umfassend die philosophische Tradition, die vorsokratische Philosophie, in sein Werk eingeschmolzen (Gadamer 1964), z.T. in namentlicher Auseinandersetzung mit Heraklit, Parmenides, Zenon, Anaxagoras u. a. Aber die Geschichtlichkeit der Philosophie kommt dabei nicht zum Bewußtsein; es ist ein großes Gespräch, das Platon mit den Früheren (auch der Dichtung) wie mit Anwesenden führt. Das liegt nicht nur daran, daß die Platonischen Dialoge ja ihrerseits derartige Gespräche sind, sondern an dem eigenen Charakter der Platonischen Philosophie, die in der „Gigantomachie über das Sein“ (Sophistes 246a) die ontologischen (Parmenides) und agathologischen (Sokrates) Komponenten zusammenschmilzt (Krämer 1959, bes. 487– 551) zu einem Ganzen, welches dann die Norm für die Kritik an allen vorliegenden Ansätzen und Ansprüchen (besonders deutlich in der Kritik an Anaxagoras: Phaidon 97c–99d) darstellt. Demgegenüber mutet die ganz andere Haltung des Aristoteles der philosophischen Tradition gegenüber geradezu modern an. Er hat in klarem Bewußtsein für die geschichtlich abgestuften Möglichkeiten und Grenzen früherer philosophischer Positionen erstmals diese selbst doxographisch kohärent dargestellt. Zugleich aber gehören diese früheren philosophischen Positionen zu dem Bestand an Aporien und Problemen, die Aristoteles für sein Thema jeweils zunächst untersucht, um in dem so eröffneten Denkhorizont weiterzufragen und zu eigenen Lösungen zu kommen. Dabei geht Aristoteles dann naturgemäß anders vor als der moderne Philosophiehistoriker. Für die Platonkritik bedeutet dies, daß er die Konzeption der Idee des Guten nicht im Kontext und unter den Voraussetzungen der Platonischen Philosophie untersucht, sondern nach Maßgabe der vorab festgelegten Trennung von theoretischer und praktischer Philosophie. Die Ablehnung einer Idee des Guten erfolgt also nicht in Auseinandersetzung mit den ontologischen Grundprinzipien Platons, sondern nach der Norm der Brauchbarkeit für das praktische Handeln, wobei die Frage nach der Existenz des Guten der Prädizierbarkeit untergeordnet wird. Wer in der Ethik nur die Platonkritik liest, dürfte kaum ermessen können, wie nah Aristoteles in der Denkstruktur und im Systementwurf Platon doch steht. Einerseits verwirft Aristoteles den Nutzen einer Idee des Guten als Paradigma für menschliches Handeln (1037a1– 4), andererseits gesteht er der Kenntnis des höchsten menschlichen Gutes ein großes Gewicht für das Leben zu, „damit wir dann wie Bogenschützen, die ihr Ziel haben, das Rechte besser treffen“ (I 1, 1094a23 f.). Einerseits trennt Aristoteles die Platonische Verbindung von Sein und Wert, andererseits ist der als unbewegter Beweger gedachte nous als transzendenter Gott die höchste Seinsstufe und repräsentiert zugleich das beste und lustvollste Leben (Met. XII 7, 1072b14– 18), weshalb in der sonst ganz auf das
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Handeln ausgerichteten Ethik das der Theorie gewidmete Leben den obersten Rang einnimmt (EN X 8, 1177a11– 1178b33). Zwar hat Aristoteles die Abhängigkeit der Praxis von der Theorie aufgehoben, aber in der Schichtung der Werte und Seinsstufen bleibt er in stärkerem Maße Platoniker, als seine Kritik erkennen läßt.
Literatur Dirlmeier, F. 51983: Magna Moralia. Übersetzung und Erläuterungen, in: Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 8, Berlin. Dirlmeier, F. 41985: Eudemische Ethik. Übersetzung und Erläuterungen, in: Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 7, Berlin. Flashar, H. 1965: Die Kritik der platonischen Ideenlehre in der Ethik des Aristoteles, in: Flashar, H. und Gaiser, K. (Hgg.), Synusia. Festgabe für Wolfgang Schadewaldt zum 15. 3. 1965, Pfullingen, 223 – 246. Auch in: Ch. Mueller-Goldingen 1988 und J. Barnes/M. Schofield/R. Sorabji 1977. Flashar, H. 22004: Aristoteles, in: ders., Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike 3, Basel, 167 – 492. Fortenbaugh, W. W. 1975: Aristotle on Emotion, New York. Gadamer, H. G. 1964: Platon und die Vorsokratiker, in: Epimeleia. Festschrift für H. Kuhn, München, 127 – 142. Gaiser, K. 1963: Platons Ungeschriebene Lehre, Stuttgart. Gigon, O.: Aristotelis opera volumen tertium. Librorum deperditorum fragmenta collegit et annotationibus instruxit, Berlin.– Nach dieser neuen Fragmentsammlung ist im vorstehenden Beitrag zitiert. Happ, H. 1971: Hyle, Berlin. Jaeger, W., 21955: Aristoteles. Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, Berlin. Engl. 1934, 21948., Ital. 1935. Span. 1947. Krämer, H. J. 1959: Arete bei Platon und Aristoteles, Heidelberg. Patzig, G. 1960/61: Theologie und Ontologie in der Metaphysik des Aristoteles, in: Kant-Studien 52, 185 – 205.
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5 Über den Sinn der Aristotelischen Mesoteslehre (II)
Die Aristotelische Lehre von der ethischen Tugend als einer mesotês, einer mittleren Verfassung, gilt allgemein als dunkel und zugleich als entweder leer oder nicht anwendbar oder nicht hilfreich (so z. B. W. F. R. Hardie 1968, 134; A. Mac Intyre 1976, 65 ff; B. Williams 1985, 36). Ich möchte zu zeigen versuchen, daß diese Lehre einen verständlichen und haltbaren Kern hat, der jedoch in seiner Reichweite begrenzt ist: Die Konzeption von der Tugend als einer mesotês ist m. E. sinnvoll im Kontext der Frage nach dem guten Leben und der Einheit der Person, während sie auf die moralischen Tugenden nicht paßt. In dieser Formulierung meiner These liegt, daß der Aristotelische Tugendbegriff mehrseitig ist. Auf diese Mehrseitigkeit wird man leichter aufmerksam, wenn man von vornherein vor Augen hat, welche Absicht Aristoteles in der Ethik verfolgt. Die Nikomachische Ethik beginnt mit der Frage nach dem letzten telos menschlichen Strebens, nach dem letztlich Gewollten, und in I 5 wird dann gesagt, daß dieses Gewollte die eudaimonia, das gute menschliche Leben ist. Hingegen würden wir die Frage der Moral als die Frage nach dem Gesollten fassen. Da Aristoteles die Frage nach der Moral nicht ausdrücklich von der nach dem guten Leben abhebt, gibt es die Auffassung, daß Aristoteles eine Moral des Gewollten vertritt und den Begriff des Gesollten, wie wir ihn haben, nicht kennt (so insbes. A. W. H. Adkins 1960). Das ist jedoch ein irreführendes Bild. Aristoteles verfolgt in seiner praktischen Philosophie zwei Absichten zugleich. Erstens stellt er in der Tat die umfassende Frage nach dem poôs bioôteon, nach dem guten Leben. Zweitens verfolgt er aber auch die Absicht einer Grundlegung der Moral, indem er zu zeigen versucht, daß das Leben der moralischen Tugenden, das sich im Tun des Gesollten manifestiert, genau das ist, was auch das wahrhaft glückselige Leben ausmacht. Aristoteles kennt durchaus den Begriff des Gesollten, hôs dei, kalon kai prepon, aber er versucht, ihn so in seine Konzeption des Gewollten, der eudaimonia, einzubauen, daß sich daraus eine prudentielle Begründung des moralischen Lebens ergibt.¹
Der Beitrag ist zuerst erschienen in: Phronesis 33 (1988); durchgesehene Fassung. So auch E. Tugendhat 1984, 44. Mein folgender Versuch einer Rettung der Mesoteslehre verdankt diesem Aufsatz wesentliche Anregungen. https://doi.org/10.1515/9783110578751-007
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Die Verbindung dieser beiden Absichten wird bereits in einer frühen Stelle in der EN in die Wege geleitet, in dem bekannten Text I 6, der das sog. ergon-Argument enthält. Dieses Argument ist zugleich der Punkt, von dem man ausgehen muß, um die Konzeption der mesotês einordnen zu können. Die Mesoteslehre selbst wird im 2. Buch ausgearbeitet, wobei eine wichtige Seite offenbleibt, die erst das 6. Buch nachliefert. Der haltbare Kern der Mesoteslehre scheint mir dann aber besonders deutlich in IX 4 greifbar zu sein, wo Aristoteles von der Freundschaft mit sich selbst handelt. Daher werde ich die Mesoteslehre so interpretieren, daß ich sie zwischen das ergon-Argument und die Darstellung der Freundschaft mit sich selbst stelle. Ich gehe zunächst zur Einordnung auf das ergon-Argument in I 6 und erforderliche Präzisierungen in I 13 ein. Danach werde ich erläutern, wie Aristoteles selbst die Mesoteslehre im 2. und 6. Buch erklärt. Im Anschluß daran möchte ich dann unter Zuhilfenahme von IX 4 einen Versuch machen, die berechtigte Seite dieser Konzeption herauszuarbeiten und von nicht haltbaren Komponenten zu trennen.
5.1 Das menschliche Ergon Nachdem Aristoteles zunächst die Frage nach dem telos, dem Guten, der eudaimonia gestellt hat, setzt er in I 6 unvermittelt neu ein mit dem Hinweis, man könne die Frage nach dem letzten menschlichen Ziel vielleicht am besten dadurch beantworten, daß man sich auf das ergon, also die Aufgabe oder Funktion des Menschen bezieht; das führt dann am Ende von I 6 zu einer wenn auch sehr allgemeinen Antwort. Das Argument hat mehrere Schritte und läßt sich an einer Reihe von Punkten problematisieren. Darauf kann ich mich hier nicht im Detail einlassen; ich begnüge mich mit einer Skizze. 1. Mit Berufen und allgemeinen Rollen ist ein ergon, eine spezifische Aufgabe verbunden, durch die sie gerade definiert sind; dasselbe gilt für Körperorgane. Der Schuster hat die Aufgabe, Schuhe zu machen, das Auge die Aufgabe zu sehen. 2. Mit diesem Begriff des ergon ist eine bestimmte Bedeutung des Wortes „gut“ verbunden, insofern man die betreffende Aufgabe jeweils entweder nur so oder auf vortreffliche Weise ausführen kann. Wenn der Schuster das erforderliche Können in der Weise der Vortrefflichkeit (aretê) besitzt, sagen wir, daß er ein guter Schuster ist. Wir nehmen also graduierende Bewertungen nach bestimmten Qualitätsstandards vor, und das griech. Wort aretê bezieht sich auf jede beliebige Art solcher Bestheit oder Vortrefflichkeit. Das Wort „gut“ hat jetzt eine ganz andere Verwendung als die, wo das Gute das Ziel oder Gewollte ist. 3. Wenn Menschen qua Inhaber einer Rolle und menschliche Organe eine Funktion haben, sollte dann der Mensch im ganzen, der Mensch als Mensch, kein ergon haben?
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Aristoteles meint diese Frage rhetorisch, und seine Antwort lautet daher, daß auch der Mensch ein ergon hat. Diese Annahme einer vorgegebenen Funktion oder Aufgabe des Menschen ist bereits ein problematischer Schritt. Manche Interpreten versuchen, dieses Problem dadurch zu entschärfen, daß sie die Aussage in dem schwächeren Sinn lesen, daß es Tätigkeiten gibt, welche für den Menschen spezifisch oder charakteristisch sind (so z. B. Hardie 1968, 362 f.; Kenny 1969, 46). Daß damit das Problem nicht wirklich beseitigt ist, wird deutlich im 4. Schritt, weil dieser nur folgt, wenn die Rede vom ergon ernstgemeint war. Aus dem ergon des Menschen soll sich nämlich das gute Leben jetzt so bestimmen lassen, daß es in der vortrefflichen Erfüllung der menschlichen Aufgabe besteht: Der Mensch nicht in dieser oder jener Rolle, sondern als Mensch hat sein ergon im Leben, oder genauer, da das auch für andere Lebewesen gilt, im Leben als Betätigung des vernünftigen Seelenteils. Die entsprechende aretê des Menschen als Menschen würde daher in einer Lebenstätigkeit liegen, die so weit wie möglich der Vernunft gemäß ist. Und in dieser Lebensweise soll nun gerade das gesuchte für den Menschen Gute oder letzte Wollensziel liegen. Würde man die Rede vom ergon schwach lesen, so daß sie nur besagt, daß es spezifisch menschliche Tätigkeiten gibt, wäre diese Ableitung hingegen nicht möglich.² Man könnte dann zwar graduelle Beurteilungen vornehmen und sagen, daß in diesen Tätigkeiten die einen besser und die anderen schlechter sind. Aber solange wir dem Menschen nicht die Ausführung einer dieser Tätigkeiten als seine Bestimmung vorgeben, ergibt sich hieraus keine Rede vom Gutsein als Mensch, und insbesondere ist nicht zu sehen, wie man ohne die Annahme einer Aufgabe des Menschen zu der Aussage kommt, daß das Individuum in der vortrefflichen Ausführung der für Menschen charakteristischen Tätigkeiten gerade die eudaimonia findet, wie man also vom Guten im Sinne der aretê zum Guten im Sinn des letztlich Gewollten, des telos bzw. der eudaimonia kommt. Der Übergang zwischen diesen beiden ganz verschiedenen Begriffen des Guten läßt sich m. E. nicht in der von Aristoteles behaupteten Weise eines analytischen Zusammenhangs retten. Trotzdem meine ich, daß eine berechtigte Seite dieses Zusammenhangs übrigbleibt, wenn wir die für uns problematische Annahme einer Bestimmung des Menschen streichen bzw. sie durch empirische Aussagen über allgemeine anthropologische Tatsachen ersetzen. Aristoteles selbst macht in I 13 folgende deskriptive Aussagen über die menschliche Kon Hardie 1968, 362, verkehrt geradezu die Problemlage, wenn er sagt, daß sich in der Argumentation zwei Teile, nämlich 1. das ergon-Argument und 2. die Bestimmung des Guten aus den spezifisch menschlichen Tätigkeiten trennen lassen und 2. nichts an Überzeugungskraft verliert, wenn wir 1. streichen. Denn von der Tatsachenaussage, daß für Menschen die und die Tätigkeiten spezifisch sind, führt kein Weg zu einer Bestimmung des Gutseins als Mensch.
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stitution. Was für Menschen spezifisch ist, sind zwei Seelenteile, die mit Vernunft zu tun haben. Erstens das reine Vernunft- oder Denkvermögen (dianoêtikon), zweitens das sog. Strebevermögen (orektikon), das Antriebe und Gefühle enthält; dieses Vermögen besitzen zwar auch Tiere, es hat aber beim Menschen die spezifische Form, daß es auf die Vernunft hören kann. Entsprechend gibt es nach Aristoteles zwei Formen der menschlichen Vortrefflichkeit bzw. des guten Lebens. Zum Vernunftvermögen gehören die dianoetischen Vortrefflichkeiten und die Lebensform der theôria, die allerdings für Menschen als empirische Wesen nicht dauerhaft möglich ist. Ich werde diese Möglichkeit daher ausklammern. Zum Strebevermögen gehört die aretê êthikê und die Lebensform des ethischen Lebens. Sehen wir einmal von der Rede von Teilen der Seele ab, so trifft die Aussage, daß der Mensch ein Wesen ist, das einerseits verschiedene Strebungen und Gefühle und zugleich Vernunft hat, sicher empirisch zu. Ausgehend von dieser empirischen Tatsache, läßt sich eine Frage des guten Lebens einführen, die eine Seite der ergon-Überlegung bewahrt, jedoch schwächer und dadurch zugleich weniger problematisch ist. Wir könnten nämlich jetzt sagen, daß sich für ein Wesen, das mannigfaltige Strebungen und einen bewußt-überlegten Bezug auf sein Leben im ganzen hat, zumindest die Frage stellt, wie es in seinen Strebungen verfaßt sein will, welches die gute oder eine gute Verfassung seines Seins in dieser Hinsicht ist. Unklar bleibt zunächst, was hier das Wort „gut“ besagt, wenn es nicht mehr den Sinn „vortrefflich in der Erfüllung der menschlichen Aufgabe“ haben soll. Ersetzen wir die Annahme eines ergon des Menschen durch die anthropologische Tatsache, daß alle Menschen die eudaimonia wollen, dann liegt folgende Alternative nahe: Die Frage nach der guten Verfassung des eigenen Seins fragt nach derjenigen Verfassung, die ein Mittel oder eine Voraussetzung des guten Lebens ist, unabhängig davon, worin jeweilige Personen das für sie gute Leben sehen. Überlegungen, die auf diese schwächere These hindeuten, lassen sich auch bei Aristoteles selbst finden. Wie er in I 8 – 11 sagt, gehören nach gewöhnlichem Verständnis zur eudaimonia im vollen Sinn neben der guten inneren Verfassung auch glückliche äußere Bedingungen, deren Vorhandensein nicht in unserer Macht steht. Insofern hat Aristoteles gute Gründe, die Frage nach dem guten Leben auf die Frage nach der guten Verfassung des eigenen Seins zu beschränken, weil das diejenige Bedingung der eudaimonia ist, zu deren Bestehen wir selbst beitragen können. Daß Aristoteles seine Antwort gleichwohl mit höheren Ansprüchen befrachtet, als sie tragen kann, liegt daran, daß er doch gerne sagen möchte, daß in der Lebensweise gemäß der guten inneren Verfassung das gute Leben selbst und nicht nur eine seiner Voraussetzungen liegt. Mein Ausgangspunkt für die Überprüfung der Mesoteslehre wird hingegen der schwächere sein, daß wir erstens durch die Vernunftfähigkeit gerade mit der Frage nach dem ins-
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gesamt guten Leben konfrontiert sind und daß zweitens der beantwortbare Teil dieser Frage die Frage nach derjenigen Verfassung des eigenen Seins im Hinblick auf die Affektivität ist, die eine Vorbedingung für jede Form des guten Lebens ist. Was ich mit der Interpretation der Mesoteslehre zeigen möchte, ist, daß die Konzeption der ethischen aretê als einer mesotês hierzu einen bedenkenswerten Vorschlag enthält. Damit komme ich zur Mesoteslehre selbst.
5.2 Die Bestimmung der ethischen Tugend Was die aretê ethikê ist, bestimmt Aristoteles im 2. Buch in zwei Schritten, indem er zunächst ihr Genus und dann ihre spezifische Differenz angibt. Das Genus ist das einer hexis, d. h. einer Haltung oder Einstellung. Um diesen Begriff der hexis zu erklären, muß man noch eine Stufe tiefergehen zu den natürlichen Gegebenheiten, auf denen die hexis aufbaut. Zu diesen gehört all das, was Aristoteles im Strebevermögen zusammenfaßt, sinnliche Begierden (wie Hunger), Wünsche (höherstufige Strebungen, die Zielvorstellungen enthalten) und Affekte (wie Furcht, Zorn). Aristoteles ist hier in seinen Einteilungen nicht ganz eindeutig, aber man könnte sagen, daß mit dem Strebevermögen der gesamte Bereich des Affektiv-Voluntativen gemeint ist. Sein gemeinsames Merkmal ist der Bezug auf Lust und Unlust (1104b4 f.), wobei Lust im eigentlichen Sinn für Aristoteles im ungehinderten Vollzug des eigenen Seins besteht. In der Lustbzw. Unlustbesetztheit liegt, daß wir in unseren jeweiligen Affekten und Gefühlen strebensmäßig oder motivational auf das eigene Sein bezogen sind und diesen Bezug zugleich erfahren (vgl. F. Ricken 1976, Kap. V). Um das am Beispiel des Affekts der Furcht zu erläutern: Die Furcht bezieht sich auf den Sachverhalt, daß mir ein Übel droht; dieses kann entweder eine Gefahr für das Überleben sein oder etwas, was dem gewollten Wie meines Lebensvollzugs abträglich ist. Daß wir hier nicht nur theoretisch einen Sachverhalt als für das Weiterleben oder gute Leben schädlich erkennen, sondern mit dem unlustbesetzten Affekt der Furcht reagieren, zeigt die Betroffenheit von Störungen des Seinsvollzugs an; insofern zeigen gerade auch solche negativen Affekte, daß es uns um das eigene Leben bzw. eine bestimmte Weise dieses Lebens geht. Die Sachverhalte, auf die sich die Affekte beziehen, sind solche, daß etwas für mich, d. h. für mein Leben oder gutes Leben gut oder schlecht ist. Insofern impliziert der Affekt ein Wollen, nämlich daß man leben und auf die und die Weise leben will. Das Strebevermögen, das wir von Natur aus besitzen, nimmt erst durch die Gewöhnung in der Erziehung bestimmte Inhalte und Ausrichtungen an, und es sind diese erworbenen Charakterdispositionen, die Aristoteles mit dem Begriff der
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hexis faßt (II 1). Die hexis ist das, gemäß dessen wir uns zu den Affekten gut oder schlecht verhalten (1105b25 f.). Die ethische aretê ist diejenige hexis, in der wir uns gut zu den Affekten verhalten. Aristoteles führt die Unterscheidung zwischen guter und schlechter hexis an zwei Beispielen ein (1104a18 ff.). Das erste Beispiel betrifft die Haltungen zu sinnlicher Lust und Unlust: Wer so lebt, daß er ständig Lust sucht und sich keiner Lust, die sich bietet, enthält, der wird zügellos. Wer andererseits jede Lust meidet, wird empfindungslos. Das sind die beiden hexeis, die die Extremformen der Schlechtigkeit (kakia) darstellen, die Zügellosigkeit in der Weise des Zuviel, die Empfindungslosigkeit in der Weise des Zuwenig. Zwischen diesem Übermaß und Mangel liegt die aretê für das Verhalten zu sinnlicher Lust, nämlich die Besonnenheit (sôphrosynê). Ähnlich für den Affekt der Furcht: Wer sich daran gewöhnt, überall Gefahren und Hindernisse zu sehen und vor allem wegzulaufen, der wird die hexis der Feigheit erwerben. Wer andererseits ohne Furcht ist und vor nichts zurückweicht, der hat die hexis der Tollkühnheit. Die aretê liegt wiederum in der Mitte zwischen diesen beiden extremen Charaktereigenschaften; sie ist die Tapferkeit. Die hexis bezieht sich dabei nach Aristoteles sowohl auf den Affekt wie auf die Handlung (1104b14, 1106b24 f.). Feigheit würde dann z. B. darin bestehen, daß jemand affektiv ein Übermaß an Furcht empfindet und daß er die Handlungsdisposition besitzt, der mit der Furcht verknüpften Strebung des Fliehens nachzugeben. Diese erste Beschreibung der aretê als mesotês, die Aristoteles gibt, könnte eine Interpretation nahelegen, wonach man von einem jeweiligen Affekt nicht zuviel und nicht zuwenig haben sollte.Was Aristoteles meint, ist jedoch nicht, daß man nur mittelstarke Affekte haben sollte. Er betont, daß Affekte als solche, und das gilt dann auch für starke Affekte, weder lobenswert noch tadelnswert sind (1105b33 f.). Die Frage ist vielmehr, wie wir uns zu den Affekten verhalten. Wir tadeln z. B. jemanden nicht, weil er zornig ist, sondern weil er es auf bestimmte Weise ist. Die mesotês meint nicht eine arithmetische Mitte zwischen Zuviel und Zuwenig oder zu großer und zu geringer Intensität, sondern sie meint das Mittlere im Sinn des Richtigen (1106b21 ff.). Die mittlere Haltung mit Bezug z. B. auf den Affekt der Furcht hat der, der Furcht empfindet, über was man soll und wann man soll und weswegen man soll und wie man soll, und der in Situationen, in denen Furcht auf diese Weise angemessen ist, im Handeln auf das Mittlere in der Weise des Richtigen zielt. Wenn das Mittlere aber nicht quantitativ, sondern im Sinn des Richtigen gemeint ist, dann liegt hier der gängige Einwand nahe, daß die Rede von einer Mitte zwischen einem Mangel und einem Übermaß im Grunde leerläuft. Außerdem fragt man sich jetzt, was mit diesem Wie-man-soll oder Richtigen gemeint ist. Diese Frage zeigt, daß die bisherige Bestimmung der aretê ethikê noch unvollständig ist. Sie charakterisiert die ethische aretê nur von unten, vom Strebe-
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vermögen her. Was dabei von Anfang an gesucht war, war aber diejenige Verfassung des Strebevermögens, die der Vernunft gemäß ist. Entsprechend ist das Mittlere oder Richtige da anzusetzen, wo der in praktischen Dingen Vernünftige, der phronimos, es bestimmen würde (1107a1). Die ethische aretê im vollen Sinn besitzt daher erst der, der auch über die phronêsis verfügt. Das allerdings hilft nicht weiter, solange wir nicht wissen, wie der phronimos das Richtige ermittelt. Aristoteles kündigt im 6. Buch an, diese Frage zu beantworten.Viel ist jedoch auch dort nicht zu erfahren. Immerhin soviel, daß der phronimos derjenige ist, der nicht nur in dieser oder jener Hinsicht, sondern mit Bezug auf das gute Leben im ganzen gut raten kann (1140a28). Welches die konkreten Kriterien eines solchen Rates sind, sagt Aristoteles nicht. Der phronimos hat so etwas wie eine ungefähre Konzeption des guten Lebens, einen skopos (Zielpunkt), auf den er hinblickt und so in Handlungsentscheidungen die richtige Mitte trifft (1138b22 f.). Andererseits ist aber Voraussetzung dafür, daß er überlegend das Mittlere trifft, daß er eine mittlere hexis mit Bezug auf die Affekte und Strebungen bereits hat, weil Affekte das Urteil darüber, was für mich gut ist, verdrehen können (1144a34 f.). Jetzt aber scheinen wir uns im Kreis zu drehen: Der Überlegende trifft das Mittlere in der Handlungsentscheidung nur, wenn er eine mittlere Haltung des Strebevermögens hat; diese aber war dadurch definiert, daß man in ihr so fühlt und handelt, wie der phronimos es tun würde. Man kann diesen Zirkel, denke ich, aufbrechen, wenn man hier eine Unterscheidung vornimmt, die bei Aristoteles keine Rolle spielt. Aristoteles redet mit Bezug auf das Strebevermögen und mit Bezug auf überlegte Handlungen gleichermaßen vom Mittleren. Daß jemand in Handlungsentscheidungen auf das Mittlere/Richtige hinzielt (VI 1), scheint mir aber etwas anderes zu sein, als daß er zu seinen Affekten eine mittlere Haltung hat bzw. sich zu seiner Affektivität richtig verhält. Ich meine nun, daß nur in dieser zweiten Verwendung die Rede von der Mitte etwas beiträgt, während sie in der ersten Verwendung in der Tat leerläuft.³ Das wird deutlicher, wenn man einen letzten Erklärungsschritt hinzufügt, der in meiner bisherigen Darstellung noch fehlt. Der eigentliche Punkt der Mesoteslehre wird m. E. erst sichtbar, wenn man sie in den Kontext des ergon-Arguments stellt, das Aristoteles selbst im Verlauf der Explikation der Lehre mehrfach erwähnt
Die These, daß der zentrale Sinn der Mesoteslehre sich auf die affektive Verfassung bezieht, während die Anwendung auf Handlungen sekundär ist, vertritt auch J. O. Urmson 1980, 161. Urmson scheint allerdings der Auffassung zu sein, daß Aristoteles selbst, wenn er vom Hinzielen auf die Mitte bei Handlungen redet, nur meint, daß die Handlung eine ist, die aus einer mittleren affektiven hexis hervorgeht. Wie sich gleich zeigen wird, ist bei Aristoteles jedoch mehr gemeint, und daher bleiben die Folgeprobleme, die sich aus der schwächeren Lesart ergeben, bei Urmson unberücksichtigt.
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(z. B.: 1106a22 f.). Dieser Zusammenhang von ergon und mesotês wiederum läßt sich nur verstehen, wenn man kurz an die Aristotelische Ontologie erinnert. Aristoteles verweist bei der Erklärung der mesotês manchmal auf die Rede von der Mitte bei der technischen Herstellung (1106b8 ff.), was von einigen Interpreten als Fehlgriff bezeichnet wird (Hardie 1968, 136). In Wirklichkeit ist das genau derjenige Kontext, aus dem schon bei Platon und auch bei Aristoteles die Vorstellung vom Mittleren ihren Sinn gewinnt (s. auch H. Schilling 1930, Einleitung; H. J. Krämer 1959). Zur Erläuterung kurz ein technisches Beispiel, wie sie Aristoteles in Metaphysik Z und H gibt. Angenommen, jemand will eine Säge herstellen. Säge-sein wäre also das eidos, das er realisieren will. Dazu muß er zunächst die Definition dieses eidos kennen. Ein solches Gebrauchsding ist definiert durch seine Funktion; das ergon der Säge ist, daß man mit ihr Holz zerschneiden kann. Um etwas zu machen, das sich so verwenden läßt, muß man jetzt geeignetes Material auf die geeignete Weise anordnen. Das Material ist zunächst als unstrukturiertes Kontinuum vorgegeben. Damit das Herzustellende die Funktion so gut wie möglich erfüllt, muß man von den Materialien nicht zuviel und nicht zuwenig nehmen, sondern genau die richtige Menge in der richtigen Anordnung. Was man treffen muß, ist die taxis, die richtige Ordnung, aus der heraus das Ding seine Funktion so gut wie möglich erfüllen kann. Da es sich bei den Materialien um kontinuierlich Teilbares handelt, ist es sinnvoll so zu reden, daß man davon zuviel oder zuwenig nehmen kann. Andererseits ist die Mitte nicht arithmetisch zu verstehen, sondern der Bezugspunkt für die richtige Mitte oder das Maß ist das eidos bzw. ergon, das Mittlere ist das, was durch die Aufgabe des materiellen Teils im Funktionsganzen vorgeschrieben ist. Dieses Modell ist es, das Aristoteles in seiner Lehre von der aretê ethikê als mesotês auf den Menschen anzuwenden versucht. In der Übertragung des Modells liegt, daß der Mensch als Wesen betrachtet wird, das sich soz. selbst herstellt, das in allen seinen Betätigungen sein eigenes eidos ausgestaltet.⁴ Analog zu dem technischen Beispiel müßte jetzt die erste Frage lauten, was das herzustellende eidos oder ergon ist. Die Antwort in I 6 war, daß dieses im vernunftgemäßen Tätigsein liegt. Diese Antwort ist nicht nur deswegen problematisch, weil sie die Vorgabe einer Bestimmung des Menschen enthält. Sie ist darüber hinaus zu unbestimmt, um konkrete Direktiven für die Selbstgestaltung an die Hand zu geben. Während wir bei der Säge in der Aussage, daß sie zum Zerschneiden von Holz verwendbar sein soll, eine Angabe konkreter Betätigungen haben, ist der Auskunft, daß das menschliche Leben wesentlich das vernunftgemäße Leben ist,
Dieser Gesichtspunkt der Selbstgestaltun wird auf überzeugende Weise herausgearbeitet in A. W. Müller 1982.
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nicht zu entnehmen, welches konkret die Tätigkeiten sind, in denen ein solches Leben sich aktualisiert. Was diese Konkretion angeht, die erforderlich ist, wenn die Analogie auf dieser ersten Ebene tragfähig sein soll, bleibt Aristoteles eine befriedigende Antwort schuldig. Sofern er eine Antwort gibt, besteht sie in der Empfehlung des Tuns des kalon kai prepon, dessen konkreter Inhalt im Katalog der einzelnen Tugenden auseinandergelegt wird. Hier jedoch gibt Aristoteles nur Wertvorstellungen seiner Zeit und Schicht wieder, die er weder aus dem ergon des Menschen direkt ableitet noch sonst eigenständig begründet. Daß es hier darum geht, im Handeln auf das Richtige im Sinn des Mittleren hinzuzielen, fällt daher aus der technischen Analogie heraus. Die Rede von der Mitte tritt in dem technischen Beispiel vielmehr erst im zweiten Schritt auf, bei der Frage, welche Materialien wie zu organisieren sind, damit ein bestimmtes Funktionsganzes herauskommt. Auf dieser zweiten Ebene kann die Analogie im Prinzip greifen. Denn man könnte sagen, daß unsere Affekte und Strebungen gewissermaßen das natürlich vorgegebene Material sind, das sich so oder so organisieren läßt. Sofern die vorgegebenen Strebungen etwas Materiales und daher Kontinuierlich-Teilbares sind, ist es sinnvoll zu sagen, daß man von ihnen bezogen auf die Herstellung einer bestimmten psychischen Struktur zuviel oder zuwenig oder genau das richtige Maß, d. h. das Mittlere, nehmen kann. Wenn der erste Teil der Analogie undurchführbar ist, ist jetzt aber offen, welches der Bezugspunkt der Mitte ist. Gemäß meiner Eingangsüberlegungen möchte ich hier die Annahme eines ergon des Menschen durch eine deskriptive Bestimmung des menschlichen eidos ersetzen. Die im Kontext der Frage nach der richtigen bzw. mittleren Anordnung des psychischen Materials relevante Tatsache wäre, daß wir Wesen sind, die einerseits mannigfaltige Strebungen und Affekte haben und andererseits durch die Vernunftfähigkeit auf ihr Leben im ganzen bezogen sind. Man könnte jetzt sagen, daß es für ein solches Wesen als Bedingung eines guten Lebens erforderlich ist, das Strebevermögen mit der Vernunft in Einklang zu bringen. Was das heißt und warum das so sein müßte, ist damit allerdings noch nicht klar. Es wird deutlicher, wenn wir beachten, daß wir uns nicht nur überlegend auf unser Leben im ganzen beziehen können (was die Frage offenläßt, warum es ratsam ist, das auch wirklich zu tun), sondern daß in unseren jeweiligen Strebungen und Affekten immer schon ein Bezug auf das eigene (gute) Leben liegt (siehe oben S. 88 f.). Um zu erläutern, inwiefern sich hieraus Bedingungen des guten Lebens entnehmen lassen, komme ich jetzt zu Aristoteles’ Auffassung von der Freundschaft des Menschen mit sich selbst.
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5.3 Mittlere Haltung und Freundschaft mit sich selbst Nach Aristoteles kann nur der spoudaios, der die Verfassung der ethischen aretê besitzt, mit sich selbst befreundet oder eins mit sich sein (1166a13). Er kann sein ganzes Leben als gut bejahen (a17 ff.), strebt mit seiner ganzen Seele nach demselben (a14) und hat gleichbleibende und einheitliche Vorlieben (a28). Er befindet sich daher in Übereinstimmung mit sich selbst sowohl in der gegenwärtigen Komplexität seines Lebens als auch über die Zeit hinweg (EE 1240b22 ff.). Er erleidet in der Gegenwart keine inneren Konflikte durch einen Widerstreit zwischen verschiedenen Wünschen, zwischen faktischen Antrieben und überlegtem Wollen; er braucht später nicht zu bereuen, was er früher getan hat; er hat angenehme Erinnerungen und Hoffnungen (1166a25 ff.). Was mit dieser Einheit mit sich selbst gemeint ist, wird deutlicher vielleicht noch aus dem Gegenbild des Schlechten. Dieser ist nicht einer, sondern viele (EE 1240b16), seine Seele ist gespalten und in Aufruhr (1166b19). Denn er ist sowohl in seinem gegenwärtigen Sein zwischen unmittelbaren Antrieben und überlegtem Wollen hin- und hergerissen (b21), und er kann sein Leben über die Zeit hinweg nicht bejahen, weil er später, wenn sich schädliche Folgen einstellen, sein Tun bereuen wird (b24 f.). Fragen wir genauer, warum der Schlechte auf diese Weise gespalten sein wird, so fällt auf, daß Aristoteles in der Freundschaftsabhandlung den kakos auf eine Weise charakterisiert, die seiner sonstigen Bestimmung der kakia und ihrer Abgrenzung gegen die akrasia (Unbeherrschtheit) widerspricht. Sowohl in der EN wie an der parallelen Stelle in der EE sagt Aristoteles, daß der kakos „ähnlich wie der akratês“ innerlich gespalten sein wird (1166b8, EE 1240b13). Nach seiner sonstigen Unterscheidung zwischen aretê und kakia auf der einen Seite und enkrateia und akrasia auf der anderen Seite sind nur der Beherrschte und der Unbeherrschte gespalten, weil beide die richtige Konzeption vom guten Leben haben, aber hiervon abweichende Affekte und Strebungen haben. Der kakos hingegen wird von Aristoteles gewöhnlich so verstanden, daß er die schlechte Lebensweise für gut hält und die dazu passenden Antriebe und Affekte hat. Der Zügellose z. B. hat sich das Lebensprinzip zum Vorsatz gemacht, man sollte immer die gegenwärtige Lust verfolgen (1146b22 f.). Ich sehe keine Möglichkeit, wie man diesen Widerspruch im Text auflösen könnte. Die Auffassung in IX 4 scheint mir jedoch die weitergehende und zugleich angemessenere zu sein. Beide Auffassungen haben einen ersten Schritt gemeinsam. Dieser erste Schritt besteht darin, daß Aristoteles aufweist, daß wir Wesen sind, die so etwas wie eine einheitliche Lebenskonzeption brauchen. Dafür finden sich zwei Argumente in der Eudemischen Ethik. Das eine lautet, daß es ein Zeichen
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von Unverstand ist, wenn ein Wesen, das sein Leben in der Form vorsätzlichen Handelns selbst zu führen hat, sich nicht eine bestimmte Konzeption des guten Lebens vor Augen stellt, an der es sein Handeln ausrichten kann (1214b7 ff.). Das zweite Argument versucht zu begründen, was das Fehlen einer einheitlichen Lebenskonzeption unbefriedigend macht. Ein Wesen, das Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit besitzt, will sich selbst wahrnehmen und erkennen können. Eine Erkenntnis seiner selbst aber kann man nur haben, wenn man seinem Leben eine bestimmte wahrnehmbare Gestalt gibt (1245a4 ff.), wenn man sich als ein so und so Beschaffener sehen kann. Diese eher metaphysische Überlegung scheint mir gleichwohl einen berechtigten psychologischen Kern zu haben. Ersetzen wir den theoretischen Erkenntnisbegriff, den Aristoteles an dieser Stelle verwendet, durch den praktischen Begriff eines Sich-Wissens oder Selbstgefühls, so ist es plausibel zu sagen, daß ein Wesen, das in seinen Affekten und seiner praktischen Überlegungsfähigkeit auf sein Leben im ganzen immer schon faktisch bezogen ist, ein Bedürfnis nach einem praktischen Wissen davon haben wird, wer es in seinem verschiedenen Wollen und Erleiden und durch die Zeit hindurch einheitlich ist und sein will. Ohne ein solches einheitliches Selbstverständnis wäre keine Selbstbejahung oder Zufriedenheit mit dem eigenen Sein möglich, weil sich dann der Gegenstand, auf den sich die Selbstbewertung bezieht, das eigene Leben im ganzen, gar nicht benennen ließe. Dieser erste Schritt läßt noch offen, von welcher Art die einheitliche Lebenskonzeption sein müßte. Der zweite Schritt ist der spezifische Beitrag der Freundschaftsabhandlung, wo Aristoteles zu zeigen versucht, daß so, wie das menschliche Leben und die Realität beschaffen sind, die Lebensweise der kakia keine einheitliche Lebensform abgeben kann. Die beiden Schlechtigkeiten, mit denen Aristoteles argumentiert, entsprechen denjenigen aretai, anhand derer er in II 2 den Begriff der mesotês eingeführt hat, nämlich Besonnenheit und Tapferkeit. Die Schlechten, so heißt es jetzt in IX 4, „wählen nämlich anstelle dessen, was ihnen gut scheint, das Angenehme, welches schädlich ist; die anderen wiederum unterlassen aus Feigheit und Trägheit, das zu tun, was ihnen das für sie Beste zu sein scheint“ (1166b8 ff.). Der erste Teil dieses Arguments zeigt, warum das Prinzip der Verfolgung der gegenwärtigen Lust angesichts der Existenzbedingungen des Menschen keine sinnvolle Lebenskonzeption ist. Die Folgen dieser Lebensweise können schädlich sein, und diese schädlichen Folgen werden entweder jetzt schon als unerwünscht antizipiert, so daß ein Konflikt zwischen gegenwärtiger Lust und antizipierter Unlust entsteht, oder sie bewirken zumindest später, wenn sie eintreten, negative Affekte, zugleich mit dem negativen Affekt der Reue und mit Selbstvorwürfen darüber, daß man früher nicht anders gehandelt hat. Man könnte dieses Argument auch allgemeiner fassen, indem man die kakia der Zügellosigkeit nicht nur auf die sinnliche Lust bezieht, wie Aristoteles es tut,
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sondern auf die aktive Seite der Existenz insgesamt, auf der wir Wesen sind, die die Befriedigung von sinnlichen Bedürfnissen, die Realisierung von Wünschen und Zielen, die Ausübung von Tätigkeiten wollen. Das Argument würde dann lauten, daß es für ein Wesen, das überlegt leben kann und in der Affektivität den Rückstoß seiner bisherigen Lebensweise erfährt, eine Bedingung der Selbstbejahung oder Zufriedenheit mit seinem Leben insgesamt ist, daß es sich von seinen verschiedenen faktischen Wollensinhalten nicht blind bestimmen läßt, sondern sich zu ihnen verhält oder zu einem reflektierten Umgang mit ihnen fähig ist, so daß sie sich in Überlegungen über das gute Leben im ganzen einpassen lassen. Der zweite Teil des Arguments läßt sich ebenso allgemein auf die passive Seite der Existenz beziehen. Aristoteles selbst verwendet hier die Begriffe der Feigheit (deilia) und Trägheit (argia) in einem Sinn, der viel umfassender ist als die Bestimmung der hexeis mit Bezug auf das Furchterregende, wie er sie in III 9 – 12 gegeben hat. Fassen wir den Begriff des Besten zunächst unabhängig von Aristoteles so, daß Menschen Wesen sind, die Ziel- und Wertsetzungen haben, deren Realisierung ihnen wichtig ist, so sind wir hier mit der Tatsache konfrontiert, daß die Realisierung solcher Ziele in der Wirklichkeit häufig auf Widerstände stößt, welche den aktiven Seinsvollzug hemmende negative Affekte hervorrufen. Da andererseits die Zielsetzungen solche sind, an denen uns affektiv liegt, wird derjenige, der sich bei negativen Erfahrungen in die Untätigkeit zurückzieht, wiederum an den Rückwirkungen dieser Lebensweise leiden; denn er wird mit sich selbst und seinem Leben unzufrieden sein, weil er nicht das getan hat, was ihm wichtig war. Auch auf der passiven Seite der Existenz, auf der wir mit Hindernissen oder Scheitern des eigenen Wollens konfrontiert sind, ergibt sich daher als Bedingung der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben, daß man sich den negativen Affekten wie Furcht und Mutlosigkeit nicht einfach überläßt, sondern mit ihnen auf eine Weise umgehen kann, die die aktive Verfolgung der eigenen Zielsetzungen nicht verunmöglicht. Man könnte die entsprechende aretê, da das Wort „Tapferkeit“ hier zu speziell erscheint, vielleicht als Standhaftigkeit bezeichnen. Die referierten Argumente können, so meine ich, zeigen, daß für ein Wesen, das so beschaffen ist, daß es in seinen mannigfaltigen Wünschen und affektiven Reaktionen auf äußere Situationen faktisch immer schon auf sein gutes Leben im ganzen bezogen ist und diesen Bezug zugleich in der Überlegung herstellen kann, in der Tat zwei aretai als Bedingungen jeder Weise eines guten Lebens erforderlich sind: mit Bezug auf das Wollen die Besonnenheit im Umgang mit den eigenen Wünschen, und mit Bezug auf das Erleiden die Standhaftigkeit in der Verfolgung der gewollten Lebensweise auch angesichts von Störungen und Hindernissen.⁵
Das entspricht ungefähr Ph. Foots Einteilung der Tugenden in solche, die Wünsche ein-
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Daß Aristoteles in IX 4 gerade mit diesen beiden Tugenden arbeitet und schon in II 2 gerade anhand von ihnen die Mesoteslehre einführt, scheint mir daher kein Zufall zu sein. Denn es sind genau diese beiden Tugenden, die sich aus unserer faktischen Verfassung, dem Bezug auf das gute Leben im ganzen sowohl im Strebevermögen wie in der Überlegungsfähigkeit, als notwendige Bedingung einer Übereinstimmung mit sich selbst ergeben; und es sind genau diese beiden Tugenden, bei denen die Lehre von der mesotês einen guten Sinn hat.⁶ Denn Strebungen und Affekte sind in der Tat die psychischen Vorgegebenheiten oder Materialien, mit denen wir ausgestattet sind. Und das Faktum unserer Ausrichtung auf das gute Leben im ganzen gibt einen klaren Bezugspunkt ab, auf den hin sich von Mangel, Übermaß und richtiger Mitte des psychischen Materials reden läßt. Die richtige Mitte müßte jetzt in derjenigen Verfassung des Strebevermögens liegen, die Bedingung eines guten Lebens ist, soweit dessen Erreichung bei uns selbst liegt. Die referierten Argumente in IX 4 legen nahe, daß diese mittlere Verfassung darin besteht, daß wir uns zu unserem Wollen und Erleiden einheitlich verhalten, indem wir es reflektiert in unser Streben nach einem im ganzen guten Leben integrieren. Die Tugenden der Besonnenheit und der Standhaftigkeit sind nur zwei Seiten dieser einheitlichen reflektierten Einstellung, insofern die Besonnenheit bedeutet, daß man sich nicht blind von seinen vorhandenen Strebungen bestimmen läßt, und die Standhaftigkeit, daß man sich ebensowenig einfach negativen Affekten überläßt.
5.4 Versuch einer Bewertung der Mesoteslehre Bei Aristoteles enthält diese Einheitlichkeit zusätzlich eine inhaltliche Bestimmung, die es ihm ermöglicht, sie als das gute Leben selbst auszugeben. Denn für ihn fällt diejenige Verfassung des Strebevermögens, die einer einheitlich-reflektierten Haltung zugrunde liegen müßte, inhaltlich mit dem Besitz der konkreten
schränken, auf der einen Seite, und solche, die Motivationsdefizite ausgleichen, auf der anderen Seite (in Foot 1978, 9). Allerdings bezieht Foot diese Unterscheidung undifferenziert auf alle Arten von Tugenden. Das gilt ähnlich für Geachs Konzeption (1977), die zwar die Tugenden als Voraussetzungen für ein gutes Leben ansieht, die jedoch auch auf die moralischen Tugenden angewendet wird, wo sie nicht paßt (siehe Geach 13, 16). Wenn man die Mesoteslehre auf diese Weise nicht einfach auf diesen oder jenen Affekt bezieht, sondern sie an unserer grundlegenden affektiv-volitiven Konstitution festmacht, läßt sie sich also gegen Angriffe verteidigen, wie sie etwa R. Hursthouse (1980/81, 57– 72) vorbringt, die meint, daß es bloßer Zufall ist und nichts zur Erklärung des Wesens der Tugenden beiträgt, daß sie die Mitte zwischen zwei Extremen darstellen.
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Tugenden zusammen, die das kalon kai prepon ausmachen. Wer sich mit dieser inhaltlichen Wertkonzeption identifiziert, kann daher sich selbst in dem stärkeren Sinn bejahen, daß er das richtige Leben lebt.Wenn wir diesen Punkt streichen und davon ausgehen, daß sich über den Inhalt eines guten Lebens nicht mit objektiven Gründen entscheiden läßt, dann stellen sich zwei Fragen. Erstens die Frage, ob die mittlere Verfassung, wenn sie nicht mehr inhaltlich das gute Leben ausmacht, sondern nur noch als Bedingung für jede Weise eines guten Lebens angesehen werden kann, überhaupt hinreicht, um ein Gefühl der Übereinstimmung mit sich selbst hervorzubringen. Zweitens fragt sich jetzt, ob die Rede von der Einheitlichkeit überhaupt noch etwas heißt, wenn wir das Vorhandensein einer einheitlichen inhaltlichen Lebenskonzeption ganz streichen, oder ob wir den Bezug auf eine solche inhaltliche Konzeption nicht beibehalten und neu bestimmen müssen. Was die erste Frage betrifft, so spricht m. E. einiges dafür, daß ein einheitlichreflektierter Umgang mit der eigenen Affektivität wenn nicht die einzige, so doch eine wichtige Quelle für die Zufriedenheit mit dem eigenen Sein darstellen kann. Um das zu zeigen, möchte ich zunächst das Spezifische der Aristotelischen Empfehlung noch schärfer zu fassen versuchen, indem ich sie gegen mögliche andere Konzeptionen abgrenze. Vorstellungen von der eudaimonia lassen sich in formaler Hinsicht zwischen zwei Polen ansiedeln.⁷ Der eine Pol sieht das gute Leben in der völligen Hingabe an Sachen oder Personen, der andere in der vollkommenen Autarkie, in der das Individuum sich selbst genug und so von allen Wechselfällen des Lebens unabhängig ist. Die erstere Auffassung hat Aristoteles in IX 4 widerlegt. Kurz gesagt läßt sich in dieser Lebensweise deswegen keine Übereinstimmung mit sich selbst finden, weil in der Hingabe zugleich die Selbstaufgabe liegt und beides sich unter realen Bedingungen nicht durchhalten läßt, weil negative Erfahrungen die Person auf sich selbst zurückwerfen und ihr dabei sichtbar machen, daß sie keine einheitliche Weise des Umgangs mit Erfahrungen und Situationen hat. Das andere Extrem bildet das Ideal der apatheia, der Affektlosigkeit, denn da in der Welt, wie sie ist, negative Erfahrungen unvermeidlich sind, ist völlige Unabhängigkeit von ihnen nur möglich, wenn man sich alles Wollen und Leiden abgewöhnt. Dieses Ideal der apatheia läßt sich nicht ohne weiteres widerlegen. Man kann nur sagen, was Aristoteles hier gewöhnlich sagt, daß Empfindungslosigkeit sehr weit von der vorgegebenen menschlichen Natur entfernt ist (z. B. 1119a6 f.), weshalb die meisten Menschen weder in der Lage sind noch es erstrebenswert finden, sich von der Affektivität voll und ganz zu befreien. In der Eudemischen Ethik zieht Aristoteles zwar selbst noch in Erwägung,
Diese Überlegung übernehme ich von E. Angehrn 1985, 43 f.
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die aretê ethikê als apatheia zu bestimmen (1222a4), und er schwankt, ob der Standhafte in echten Gefahrensituationen frei von Furcht ist oder zwar Furcht empfindet, aber standhält, weil er das für gut hält (1228b27 ff.). In der Nikomachischen Ethik jedoch rückt Aristoteles eindeutig vom Ideal der apatheia ab. Der Standhafte ist hier derjenige, der Furcht, wo sie angemessen ist, in der Tat empfindet, der aber motiviert dadurch, daß die Standhaftigkeit Bestandteil des kalon ist, sich tapfer verhält (1115b17 ff.). Die Mesoteslehre läßt sich daher als ein Versuch verstehen, eine befriedigende Lebensweise zu bestimmen, die zwischen den beiden extremen Konzeptionen der Selbstaufgabe auf der einen Seite und der apatheia auf der anderen Seite steht. Der Vorteil dieser mittleren Lebensweise liegt darin, daß sie der inneren Natur des Menschen und den äußeren Bedingungen seiner Existenz Rechnung trägt. In ihr behalten die Affekte ihr volles Recht. Das ist deswegen ratsam, weil nur derjenige, der überhaupt Strebungen und Affekte hat, sich involvieren und positive Erfahrungen machen kann, wo immer sich die Gelegenheit bietet. Wer diese Fähigkeit zu positiven Erfahrungen hat, hat dadurch aber eo ipso auch die Fähigkeit zu negativen Erfahrungen. Während diese negativen Erfahrungen unvermeidlich sind, leistet hier die Fähigkeit zum reflektierten Umgang mit der eigenen Affektivität doch soviel, daß man im Wechsel der positiven und negativen Seiten des Lebens ein inneres Gleichgewicht bewahrt. Obwohl die Auffassung verbreitet ist, daß die Tugenden der Besonnenheit und Standhaftigkeit eine Herrschaft oder Kontrolle über die Affektivität bedeuten (so z. B. Foot 1978, 9; G. H. v. Wright 1963, 149), wäre die Aristotelische Konzeption eher so zu charakterisieren, daß es nicht um eine Unterdrückung oder Einschränkung der Affektivität geht, sondern um ihre richtige Organisation oder Kanalisation, welche ihre Integration in ein reflektiertes Streben nach einem im ganzen guten Leben ermöglicht. Unter zeitgenössischen Tugendvorstellungen läßt sich die Aristotelische Konzeption daher am ehesten mit Fromms Ideal des produktiven Lebens vergleichen, das die bestmögliche Lebensweise an einer Charakterstruktur festmacht, die die Fähigkeit, sich in Dinge und Personen zu involvieren und so positive Erfahrungen zu machen, mit dem Bei-sich-Sein in der Weise der inneren Einheit und Stabilität verbindet.⁸ Die Frage, inwiefern das Wissen, daß man auf diese Weise verfaßt ist, bereits eine Quelle der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben abgeben kann, könnte man daher jetzt so beantworten, daß eine solche Person sich erstens sagen kann, daß sie für alle positiven Erfahrungen, die sich bieten, offen ist, und daß sie zweitens das Gefühl Siehe dazu E. Fromm 1949, insbesondere III.2.b.(3). Darauf, daß sich die Mesotesvorstellung unter modernen Tugendauffassungen am ehesten mit Fromms Konzeption des produktiven Lebens vergleichen und durch sie plausibel machen läßt, hat mich Ernst Tugendhat aufmerksam gemacht.
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haben wird, daß sie mit inneren und äußeren Situationen welcher Art auch immer umzugehen in der Lage ist und ihr Gleichgewicht bewahren wird. Dieses Wissen der Einheit mit sich könnte aber ebenso wie die Offenheit für positive Erfahrungen etwas sein, das in der Selbstwahrnehmung ein Gefühl der Freude an sich selbst verursachen kann. Ich komme zur zweiten der oben benannten Fragen, ob sich die bloß formal bestimmte Einheitlichkeit noch sinnvoll verstehen läßt, wenn wir nicht mehr wie Aristoteles eine inhaltliche Konzeption der eudaimonia unterstellen. Der Bezugspunkt des einheitlich-reflektierten Umgangs mit den Strebungen und Affekten war ja die faktische und potentiell überlegte Ausrichtung auf ein im ganzen gutes Leben. Wenn daher in der Moderne die Erfahrung auftritt, daß wir nicht nur nicht mehr über konsensfähige Kriterien der Bestimmung des guten Lebens verfügen, sondern auch das Individuum für sich nicht mehr in der Lage ist, die auseinanderfallenden Lebensbereiche in eine inhaltliche Lebenskonzeption zu formen, dann scheint die Empfehlung eines reflektierten Verhaltens zu den eigenen Affekten ihren motivationalen Angriffspunkt zu verlieren. Der Rat scheint dann nur noch zu lauten, daß es gut ist, so vernünftig wie möglich zu leben, und es bleibt unklar, was für diesen Rat spricht. Was ich im Zusammenhang der vorhergehenden Frage ausführte, enthält jedoch bereits einige Antworten auf dieses Problem. Selbst wenn wir den schwierigsten Fall betrachten, daß wir nicht nur keine gemeinsamen Lebenskonzeptionen mehr haben, sondern nicht mehr in der Lage sind, solche Konzeptionen überhaupt zu formulieren, bleibt das Faktum, daß wir Wünsche und Affekte verschiedener Art haben und mit ihnen so gut wie möglich leben wollen. Da Wünsche auf ein und derselben Ebene miteinander in Konflikt stehen können und da ebenso Konflikte zwischen den verschiedenen Ebenen der Strebungen auftreten können, ergibt sich einfach intern das Erfordernis, zwischen unvereinbaren Strebungen derselben Ebene zu entscheiden und wertende Rangordnungen zwischen den verschiedenen Ebenen so herzustellen, daß man überlegt, mit welcher inhaltlichen Ausrichtung man auf bestmögliche Weise leben kann. Das heißt aber, daß sich hier, wenn wir nicht mehr eine fertige Konzeption des guten Lebens als gegeben voraussetzen, die die inhaltliche Auswahl und Anordnung der Strebungen bestimmt, die Aufgabe stellt, zwar nicht eine vollständige subjektive Konzeption vom guten Leben zu formulieren, aber, ausgehend von den psychischen Gegebenheiten und äußeren Lebensbedingungen, nach und nach zu einer zunehmenden inhaltlichen Vereinheitlichung zu kommen. Daß sich dieses Hinarbeiten auf eine auch inhaltliche Ausgewogenheit als für jede Weise eines guten Lebens erforderlich ergibt, liegt im Grunde schon in dem Erfordernis der reflektierten Einstellung zu den eigenen Strebungen und Affekten, weil der Sinn dieser praktischen Reflektiertheit nur darin bestehen kann, daß man die Affekte und Strebungen in Überlegungen über die bestmög-
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liche Weise des Lebens integrieren kann. Das Erfordernis der inhaltlichen Einheitlichkeit bleibt daher in dem Sinn formal, daß es die Frage offenläßt, welche Inhalte für eine jeweilige Person die bestmögliche Lebensweise ausmachen würden. Gehen wir von der modernen Vorstellung aus, daß wir uns der Artikulation einer Konzeption des guten Lebens nur nach und nach von innen her annähern können, dann könnte das allerdings in einem Punkt zu schwächeren Ergebnissen führen. Dieser Punkt betrifft den Stellenwert der aretê der Standhaftigkeit. Standhaftigkeit in der Verfolgung der gewollten Lebensweise ist für Aristoteles deswegen eine für die Erreichung der eudaimonia notwendige Tugend, weil derjenige, der hinter der Realisierung des kalon, mit dem er sich wertend identifiziert, zurückbleibt, mit sich und seinem Leben unzufrieden sein wird. Wenn wir hingegen keine solche Wertkonzeption des Lebens haben, fragt man sich, warum das Zurückbleiben hinter der Lebensweise, für die man sich entschieden hat, zur Unzufriedenheit führen muß. Man kann darauf antworten, daß die meisten Menschen nach wie vor wenn auch keine Wertkonzeption für das Leben im ganzen, so doch diese und jene Wertüberzeugungen in einzelnen Bereichen haben und außerdem Unterschiede im Gewicht der Werte machen. Insofern bleibt das Phänomen, daß sie sich mit sich selbst affektiv uneins fühlen können, wenn sie nicht getan haben, was sie für wertvoll(er) halten. Es gibt aber ebenso die Möglichkeit, dieses Gefühl als Relikt zu interpretieren, das keine Basis und daher keine sinnvolle Funktion mehr hat, wenn wir unsere verschiedenen Wünsche und Affekte nur noch untereinander kohärent machen können, aber keine übergeordnete objektive Wertkonzeption für das Leben im ganzen mehr haben, die der Wahl und damit auch dem Durchhalten einer Lebensweise ihre Beliebigkeit nimmt. Ich lasse diese Frage offen. Meine Rekonstruktion des sinnvollen Kerns der Mesoteslehre hat sich ausschließlich an den beiden Tugenden der Besonnenheit und der Standhaftigkeit orientiert, weil ich der Meinung bin, daß nur hier diese Lehre tragfähig ist. Aristoteles selbst hingegen versucht sie auf alle Haltungen anzuwenden, die zu seinem Katalog der ethischen aretai gehören, worunter auch die moralischen Tugenden im engeren Sinn sind. Daß dieser Versuch in Schwierigkeiten führt, ist insbesondere mit Bezug auf die wichtigste moralische Tugend, die Gerechtigkeit, von vielen Interpreten beobachtet worden. Mit meinem Versuch der Erklärung der Mesoteslehre läßt sich leicht zeigen, warum diese Schwierigkeiten unvermeidlich sind; die moralischen Tugenden sind von einer Struktur, auf die der begriffliche Rahmen der Mesotesvorstellung nicht paßt. Wie ich oben schon sagte, dürfte es kaum ein Zufall sein, daß Aristoteles zur Erläuterung der Mesoteslehre gerade die beiden aretai der Besonnenheit und Standhaftigkeit heranzieht. Denn sie sind die zentralen und allgemeinsten Tugenden, die sich aus der existentiellen Verfassung
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des Individuums heraus als notwendige Bedingungen eines guten Lebens erweisen lassen. Diese Tugenden lassen sich allerdings noch in speziellere Tugenden auseinanderlegen, indem man eine Unterscheidung von Situationstypen vornimmt, in denen sie eine Rolle spielen können. Zum Beispiel wäre eine Unterart der Standhaftigkeit die Tapferkeit im engeren Sinn des richtigen Umgangs mit Gefahren; eine andere Unterart wäre etwa die Ausdauer bei der Verfolgung eines Ziels, dessen Erreichung Anstrengung kostet. Da diese spezielleren Tugenden einfach Unterformen der Besonnenheit und Standhaftigkeit sind, läßt sich auf sie die Mesoteslehre ebenfalls anwenden. Auch sie beziehen sich nur auf die Form oder Art und Weise des Verhaltens zu den eigenen Wünschen und Affekten; für die Zuschreibung z. B. der spezielleren Tugend der Ausdauer spielt es keine Rolle, welches der Inhalt des Ziels ist, das jemand trotz Mühen beharrlich verfolgt. Es scheint nun auf den ersten Blick naheliegend, daß man auf diesem Weg auch die moralischen Tugenden in die Mesoteskonzeption einbeziehen kann, da zu den Unterarten unserer Strebungen und Affekte auch solche gehören, in denen wir uns auf andere Menschen beziehen. In Wirklichkeit läßt sich zwar die Mesoteslehre ohne weiteres auch auf diese psychischen Gegebenheiten anwenden, weil sie die Einstellung zum Wollen und Erleiden ganz allgemein betrifft; die spezielleren Tugenden, zu denen man auf diese Weise kommt, sind jedoch nicht die moralischen Tugenden. Betrachten wir ein Beispiel einer auf andere Menschen bezogenen aretê, das Aristoteles selbst gibt, die Freundschaft. Diese bestimmt er im Kontext der Mesoteslehre als die richtige Mitte zwischen der Schmeichelei, in der man sich voll und ganz dem Wollen anderer anpaßt, und dem Menschenhaß, in dem einem andere völlig gleichgültig sind (1233b30). Diese Charakterisierung der philia entspricht genau der Mesoteslehre, wie ich sie oben erläutert habe: die philia ist dasjenige Verhalten zu den auf andere Menschen bezogenen Affekten, in dem man einerseits fähig ist, echte Beziehungen zu anderen zu haben, ohne dabei andererseits die eigene Selbständigkeit zu verlieren. Aristoteles verwendet jedoch den Begriff der Freundschaft auch in moralischen Zusammenhängen, wenn er z. B. sagt, daß Gerechtigkeit und Freundschaft sich auf denselben Gegenstandsbereich beziehen (1159b25 f.) und Gerechtigkeit ohne Freundschaft nicht möglich ist (1155a26 f.). Hier ist mit philia nicht einfach die Fähigkeit zu echten menschlichen Beziehungen gemeint, sondern eine moralische Einstellung der allgemeinen Menschenfreundlichkeit, aus der heraus man alle so sieht und behandelt, wie man persönliche Freunde sehen und behandeln würde. Daraus aber, daß jemand die philia im Sinne der mittleren Haltung zu altruistischen Affekten besitzt, folgt nicht automatisch, daß er auch die philia im Sinne der moralischen Einstellung besitzt. Letztere ist von strukturell anderer Art als die philia als mesotês. Die moralische aretê der philia besitzt derjenige, der diese bestimmte inhaltliche Konzeption einer allgemeinen Freundschaft tat-
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sächlich in der großen Mehrzahl der relevanten Situationen befolgt. Die Rede von der richtigen Mitte eines Affekts greift hier nicht, weil sich die Zuschreibung einer moralischen Tugend auf die möglichst durchgängige Befolgung einer inhaltlichen normativen Konzeption bezieht. Natürlich kann man auch für die moralischen Einstellungen sagen, daß es ratsam ist, sie ihrerseits in der mittleren Weise zu haben. Das heißt dann aber, daß man die eigenen moralischen Wertvorstellungen, welchen Inhalts auch immer, weder fanatisch verfolgen noch sich durch Hindernisse von ihrer Realisierung abhalten lassen sollte. Dieser Punkt jedoch betrifft alle Arten von Zielsetzungen und sagt daher nichts über die spezifische Struktur der moralischen Tugenden aus. Die Mesoteslehre läßt sich also nur auf die Tugenden des individuellen Lebens, auf Besonnenheit und Standhaftigkeit und ihre Unterformen anwenden. Diese Tugenden lassen sich unmittelbar aus der Struktur der individuellen Existenz als Vorbedingung für jede Weise eines guten Lebens, oder vielleicht auch stärker, als ein Grundbestandteil ansonsten verschiedener Weisen des guten Lebens erweisen. Die moralischen Tugenden hingegen ergeben sich nicht aus der allgemeinen Verfassung der individuellen Existenz, sondern sie werden relativ bestimmten Inhalten zugeschrieben. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß man die moralischen Tugenden mit anderen Gründen als ratsam für das individuelle Leben erweisen könnte. In der Tat müßte man das können, wenn moralisches Handeln aus einer inneren Motivation heraus möglich sein soll. Aber der primäre Gegenstand der Begründung ist hier die Wertvorstellung oder Norm, durch deren Befolgung die jeweilige moralische Tugend definiert ist. Thomas von Aquin hat diesen Unterschied zwischen den zwei Typen von Tugenden treffsicher formuliert: Nur Besonnenheit und Standhaftigkeit sind Tugenden des Strebevermögens, d. h., sie ergeben sich aus der bloßen Tatsache unseres Bezugs auf ein gutes Leben in der Affektivität und Überlegungsfähigkeit. Demgegenüber sind die moralischen Tugenden wie Gerechtigkeit oder Nächstenliebe Tugenden des Willens, wobei Thomas mit dem Willensbegriff die Fähigkeit zum Handeln nach überlegten oder begründeten Wertvorstellungen oder Zielsetzungen meint.⁹
Thomas v. Aquin, Summa Theologiae 1a2ae Q. 56 art. 6. In der modernen Literatur zum Tugendbegriff wird der Unterschied zwischen den zwei Typen von Tugenden, soweit ich sehe, nur bei v. Wright klar formuliert, der ihn so faßt, daß bei den moralischen Tugenden eine logische Lücke zwischen der praktischen Einsicht, die sich auf das eigene gute Leben bezieht, und einer Entscheidung für das Leben gemäß der moralischen Tugenden besteht (1963, 153). D. Carr unterscheidet zwischen Tugenden der Selbstkontrolle und Tugenden, die er virtues of attachment nennt (Carr 1985). Carr kommt zu dem merkwürdigen Ergebnis, daß die selbstbezogenen Tugenden eine Achtung für das jeweilige Prinzip voraussetzen, daß also z. B. der Tapfere aus Ach-
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tung für das Prinzip der Tapferkeit handelt, während sich die moralischen Tugenden eher aus unserer Natur ergeben, was mir die Sachlage auf den Kopf zu stellen scheint.
Christof Rapp
6 Freiwilligkeit, Entscheidung und Verantwortlichkeit (III 1 – 7)
In Buch III befaßt sich Aristoteles mit dem Freiwilligen (hekôn) und Unfreiwilligen (akôn) sowie mit der Entscheidung (prohairesis). Die Untersuchung dieser Grundbegriffe soll das Thema von Buch II, die allgemeine Erörterung der Tugend, fortsetzen und vervollständigen: „Weil Lob und Tadel dem Freiwilligen gelten, […] dürfte es für diejenigen, die die Tugend erforschen, erforderlich sein, das Freiwillige und das Unfreiwillige zu untersuchen.“ (III 1, 1109b31 ff.) Es ist nämlich bereits aus Buch II bekannt, daß wir wegen der Tugend bzw. Schlechtigkeit gelobt und getadelt werden (II 4, 1105b31 ff.); die Tugenden, heißt es dort, sind Entscheidungen oder kommen jedenfalls nicht ohne Entscheidung vor (1106a3 f.). Schon aufgrund dieses Zusammenhangs von Tugend und Freiwilligkeit ist es sicher falsch zu sagen, die Unterscheidung von „willkürlich“ und „unwillkürlich“ habe im Tugendverständis „der Alten“ keine Rolle gespielt (D. Hume) oder die Tugenden, wie sie Aristoteles anführt, seien alle angeboren (A. Schopenhauer).¹ Man kann Aristoteles’ Untersuchung der Freiwilligkeit als Grundlegung zu einer Lehre der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit lesen (vgl. Loening 1903). Die meisten Beispiele dieser Kapitel sind auch in der Tat dem Rechtswesen entnommen. Anders aber als Platon, der im Buch IX der Nomoi das Freiwillige und Unfreiwillige ausdrücklich als Teil einer Rechtstheorie einführt, geht es Aristoteles in erster Linie um die Zuschreibbarkeit von Handlungen im allgemeinen, um die Struktur der Entscheidung und um den Zusammenhang von Entscheidung und Tugend. Die Ausführungen zu diesem Thema zerfallen im wesentlichen in drei Abschnitte. 1. In Kap. III 1– 3 erörtert Aristoteles das Freiwillige und das Unfreiwillige. Dazu untersucht er, unter welchen Bedingungen wir jemanden für eine Handlung verantwortlich machen können bzw. welche Gründe wir als Entschuldigungen anerkennen (vgl. 6.1). 2. In Kap. III 4– 5 wird der Begriff der Entscheidung entwickelt. Die Entscheidung gehört zwar zum Freiwilligen, ist aber etwas Spezifischeres: Sie erfordert, daß man aufgrund einer Abwägung einer von mindestens zwei Handlungsoptionen den Vorzug einräumt. Auf diese Weise soll der Begriff der D. Hume: An Enquiry Concerning the Principles of Morals, Appendix IV; Schopenhauer: Die beiden Grundprobleme der Ethik, § 20. https://doi.org/10.1515/9783110578751-008
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Entscheidung darlegen, was es heißt, jemanden als Ursprung einer Handlung anzusehen (vgl. 6.2). Kap. III 7 wendet die Diskussion der Zuschreibbarkeit von Handlungen auf die Tugend an. Weil wir uns nach Aristoteles nur für die Mittel, nicht aber für die Ziele entscheiden, die Ziele aber gerade Sache der Tugenden sind (1144a7 f.), fragt sich, ob auch die Ziele und die Tugenden in unserer Macht stehen können oder ob es sich dabei um etwas handelt, was wir einfach als etwas in der Erziehung Vorgegebenes übernehmen (vgl. 6.3).
6.1 Das Freiwillige und das Unfreiwillige (III 1 – 3) Als Basis seiner Untersuchung der Zuschreibbarkeit dient Aristoteles die Beobachtung, unter welchen Umständen wir im allgemeinen davon absehen, jemanden für eine bestimmte Handlungsweise zu loben oder zu tadeln; er untersucht Gründe, die wir als Entschuldigung zu akzeptieren bereit sind. So entschuldigen wir eine Handlung, die unfreiwillig geschehen ist, und unfreiwillig scheint zu sein, was entweder durch Zwang (bia) oder Unwissenheit (agnoia) geschieht (1109b35 f.).
Erzwungene und „gemischte“ Handlungen Fälle von Unfreiwilligkeit sind klarerweise dann gegeben, wenn auf den Handelnden Zwang oder Gewalt ausgeübt wird, wenn nämlich „der Ursprung (archê) außerhalb ist, so daß der Handelnde bzw. Leidende nichts beiträgt, wie wenn der Wind einen irgendwohin bringt oder Herrschaft ausübende Menschen“ (1110a1– 4). Aristoteles erklärt hier Handlungen als eine Art von Bewegung und kann so als das unterscheidende Merkmal der erzwungenen Handlung anführen, daß die Bewegungsursache außerhalb der betroffenen Person gelegen ist. Solange man dieses Kriterium wörtlich nimmt, bleibt die Klasse der erzwungenen Handlungen sehr eng. Als Entschuldigung kann Zwang daher nur in so seltenen Situationen wie derjenigen dienen, daß jemand unsere Hand nimmt und damit einen anderen schlägt (V 10, 1135a27). Aristoteles hält sich mit diesen unstrittigen Beispielen auch nicht lange auf, sondern diskutiert eine Klasse komplizierterer Fälle: „Was aber aus Furcht vor größerem Übel getan wird oder wegen etwas Edlem, wie wenn ein Tyrann anordnet, etwas Schändliches zu tun und die Eltern und Kinder in seiner Gewalt hat, wobei sie, wenn man es tut, gerettet werden, jedoch sterben, wenn man es nicht tut, so könnte man Zweifel haben, ob es un-
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freiwillig oder freiwillig ist.“ (1110a4– 8) Ähnlich verhalte sich, wer im Sturm, um sich zu retten, Wertgegenstände von sich wirft (8 f.). Die Einordnung solcher Fälle wirft folgendes Problem auf: Einerseits wird man jemanden, der unter solchen Umständen eine schlechte Handlung begeht, nicht als einen schlechten Menschen bezeichnen. Andererseits ist es auch nicht so, daß sich das Verhalten eines Menschen in solchen Situationen jeder moralischen Beurteilung einfach entziehen würde. Wie sich der Betroffene verhält und wofür er sich entscheidet, kann sehr wohl Gegenstand von Lob oder Tadel sein (1110a19–b1), wohingegen es am Verhalten desjenigen, der vom Wind irgendwohin getrieben wird, nichts zu beurteilen gibt. Entsprechend kommt Aristoteles zu einem abwägenden Ergebnis: Solche Handlungen seien gemischt (1110a11), glichen aber eher den freiwilligen, denn an sich (kath’ hauto) würde zwar keiner so etwas wählen (etwa Wertgegenstände von sich zu werfen), aber man hat sich in dem Moment, als man es tat, dafür entschieden und handelte insofern freiwillig (12– 15 und 19). Es lag in diesem Moment am Handelnden selbst (ep’ autô(i)), [so] zu handeln oder nicht [so] zu handeln (17 f.). Gemischte Handlungen sind für Aristoteles daher im Prinzip freiwillig, wenn auch mit unfreiwilligem Anteil. Wie ist es zu verstehen, wenn Aristoteles diesen unfreiwilligen Anteil mehrfach so beschreibt, daß niemand eine solche Handlung schlechthin (haplôs) oder an sich wählen würde? Offenbar sieht Aristoteles den unfreiwilligen Aspekt gemischter Handlungen darin gegeben, daß es sich um Handlungsarten (wie z. B. Wertgegenstände wegwerfen, Ungerechtes tun usw.) handelt, die zwar kein tugendhafter Mensch als solche erstreben würde, die er aber unter konkreten Umständen einer anderen Option (etwa einem größeren Übel) vorzieht. Wir können deshalb dem „an sich“ mindestens folgende Aspekte abgewinnen: So wie Aristoteles von Gütern spricht, die um ihrer selbst willen (di’ auto) gewählt werden (z. B. I 5, 1097a30 ff.), geht es hier um Handlungsarten, die um ihrer selbst willen nur gemieden werden. Weiter wird eine bestimmte Handlungsart vom Tugendhaften gemieden, insofern sie an sich, d. h. unter Absehung der konkreten Umstände, unter denen sie jeweils auftritt, betrachtet wird. Und schließlich könnte gemeint sein, daß die Handlung als Handlung, d. h. hier: die Handlung in ihrem beobachtbaren Ergebnis ohne Berücksichtigung der zugrundeliegenden Entscheidung, als unfreiwillig anzusehen ist. Während nun die gemischte Handlung ihrer allgemeinen Art nach etwas ist, was kein Tugendhafter wählen würde, und insofern unfreiwillig ist, ist die konkrete Einzelhandlung dieser Art (wenn z. B. jemand während eines bestimmten Sturmes seine Wertsachen von sich wirft) freiwillig. Aristoteles begründet das auf zwei unterschiedliche Weisen. Erstens führt er aus (1110b3 f. und 5), daß das an sich Unfreiwillige freiwillig wird, indem man es unter bestimmten Umständen anstelle von einer anderen Möglichkeit wählt (anti tônde haireta). Etwas anstelle
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von etwas anderem zu wählen (anti-/prohairein), beschreibt nun gerade den Vorgang der prohairesis, was wir als „Entscheidung“, „Wahl“ o. ä. übersetzen. Das Argument für die Freiwilligkeit besteht also einfach darin, daß auch in einem solchen Fall eine Entscheidung tatsächlich stattgefunden hat. Die an sich zu meidende Handlungsweise wird so in einem konkreten Fall zu einer vorgezogenen Handlungsweise. Zweitens erklärt Aristoteles die Freiwilligkeit einer solchen konkreten Handlung damit, daß der Ursprung (archê) für die Bewegung der werkzeughaften Teile im Handelnden selbst (1110a15 ff.) sei und es deswegen an ihm liege, zu handeln oder nicht zu handeln. „Werkzeughafte Teile“ (organika merê) dürften die als Werkzeug gebrauchten Gliedmaßen sein. Anscheinend will Aristoteles mit dieser Formulierung andere Arten von Ursachen ausschließen. Später verwirft er etwa die Auffassung, das Edle und Angenehme, um dessentwillen wir etwas tun, mache unsere Handlung zu einer erzwungenen (1110b9 – 15); Ziele oder Zweckursachen, wie hier das Edle und Angenehme, können nämlich nie als Antwort auf die Frage angeführt werden, wer die Ursache einer Handlung sei (VI 2, 1139a32). Die Bewegungsursächlichkeit allein definiert jedoch nur ein schwaches Kriterium, das eigentlich vor allem das Stattfinden von Bewegung und die Abwesenheit von äußerem Zwang beinhaltet. In diesem Sinn sind wir auch die Ursache sogenannter unwillkürlicher Verhaltensweisen, wie wenn sich jemand ganz beiläufig durch den Bart streicht. Zur Ergänzung der bloßen Bewegungsursächlichkeit bieten sich zwei Erklärungen an: Zunächst bedeutet der Zusatz „als Werkzeuge gebrauchte Gliedmaßen“, daß die entsprechende Bewegung immer einem von der bloßen Bewegung verschiedenen Zweck dient; das Kriterium bliebe dann zwar die Bewegungsursache, aber nur insofern die verursachte Bewegung unter einem Zweck steht. Wahrscheinlich ist auch, daß die Formel „den Ursprung in sich selbst haben“ im Sinne einer erst später gebrauchten Formulierung zu verstehen ist: Wer eine Entscheidung getroffen hat, sagt Aristoteles dort (III 5, 1113a5 f.), führe den Ursprung der Handlung auf sich selbst und in sich selbst auf das Anleitende (hêgoumenon) zurück. Die Ursächlichkeit dieses anleitenden Seelenteils würde jedenfalls nicht ausschließlich der Bewegung und keinesfalls der zweckfreien Bewegung gelten. Die Untersuchung der gemischten Handlungen veranlaßte Aristoteles, seine Lehre der Handlungsverursachung, die negativ schon in der Definition des Zwangs gegeben war, auch als positives Kriterium zu formulieren. Auf die Beschreibung der gemischten Handlungen angewandt, ergibt sich aus der Vorstellung der Ursächlichkeit jedoch ein Problem: Wenn der Handelnde zugestandenermaßen Ursache der Handlung ist, wie ist dann der freiwillige Anteil der gemischten Handlungen überhaupt noch zu erklären? Eine Erklärung verspricht der Aristotelische Begriff der akzidentellen Verursachung (vgl. Sauvé Meyer 1993,
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93 – 121): Aristoteles sagt von dem Koch, der sich um die Zubereitung wohlschmeckender Speisen bemüht, er verursache zwar den Genuß schlechthin, die Gesundheit aber nur im akzidentellen Sinn (Met. VI 2, 1027a3 ff.). Was Aristoteles meint, ist also eine Art von Nebenwirkung. Diese Vorstellung erklärt auch die gemischten Handlungen: Wer z. B. etwas Verwerfliches tut, um die Angehörigen zu retten, der wählt nicht die verwerfliche Tat als solche, sondern die Rettung der Angehörigen. So ist er zwar Ursache der Handlung, die verwerfliche Handlung verursacht er aber nur im akzidentellen Sinn. So jemand handelt dann auch nur im akzidentellen Sinn verwerflich und kann dafür nicht selbst als ein schlechter Mensch angesehen werden (1135b2– 5).
Handeln aus Unwissenheit Unfreiwillig wird Aristoteles zufolge eine Handlung nicht nur durch Zwang (bia(i)), sondern auch durch Unwissenheit (di’ agnoian). In der Tat ist uns die Entschuldigung des Typs „Das habe ich nicht gewußt“ wohlvertraut: Der männliche Kirchgänger, der versäumt hat, seinen Hut abzunehmen, und dafür getadelt wird, kann sich damit entschuldigen, von der entsprechenden Vorschrift nichts gewußt zu haben. Bei Aristoteles bemerkenswert ist nun, daß er einerseits gerade derartige Fälle, bei denen wir das Merkmal der Unwissenheit eindeutig erfüllt sehen, ausschließen will, während er andererseits solche Fälle anführt, bei denen die Handlung nicht eigentlich durch ein Wissensdefizit geprägt ist. Betrachten wir zunächst die Beispiele, die Aristoteles selbst anführt! Wenn einer etwas erzählt, ohne zu wissen, daß es ein Geheimnis ist (1111a8 ff.), dann handelt er unfreiwillig, insofern er zwar etwas erzählen, aber kein Geheimnis verraten wollte. Ebenso bei den anderen Beispielen: wenn man jemanden schlägt und nicht weiß, daß es der Vater ist (1135a28 ff.), wenn man eine Wurfmaschine vorführen will, und sie geht los, wenn man zur Verteidigung schlägt und dabei tötet usw. (1111a10 ff.). In den ersten beiden Fällen liegt in der Tat ein kognitiver Mangel vor. Wenn man jemanden schlägt und nicht weiß, daß es der eigene Vater ist, dann wird man zu Recht sagen „Das habe ich nicht gewußt“; ebenso angemessen wäre es aber auch zu sagen „Das habe ich nicht gewollt“. In den anderen Fällen dagegen – etwa wenn man jemanden nur schlagen will, ihn aber tötet – kann man zwar vorbringen, die Tat nicht gewollt zu haben, mit einem Wissensdefizit hat das aber nichts zu tun. Beiden Falltypen ist gemeinsam, daß die Handlung in ihrem Resultat nicht dem entspricht, was der Handelnde beabsichtigt hatte. Der Unterschied besteht darin, daß man in der zweiten Art von Fällen eigentlich nicht von Unwissenheit oder von einem Wissensdefizit sprechen kann. Wie kommt dann Aristoteles überhaupt dazu, auf diese Fälle das Kriterium der Unwissenheit an-
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zuwenden? Unfreiwilligkeit, sagt Aristoteles, komme nur durch die Unkenntnis der einzelnen Faktoren zustande; dazu zählt, wer es ist und was es ist, inbezug worauf, worin, womit, wozu und wie man handelt (1111a2 ff.). Nimmt man nun etwa das Was einer Handlung, ihre Art, dann fällt auf, daß die Handlungsart zumeist vom Ergebnis der Handlung nicht zu trennen ist und daß eine Handlung mit einem anderen Ausgang eine andere Art von Handlung ist: Von einer Tötung kann man nur sprechen, wenn schon jemand tot ist, und wenn der Betreffende nur verletzt ist, dann ist es eine andere Art von Handlung, nämlich eine Verletzung. Wer nun, wenn er jemanden verletzen will, denselben tötet, der kennt, wie Aristoteles sagen würde, das Was dieser Handlung nicht und handelt in diesem Sinn aus Unwissenheit und mithin unfreiwillig. Diese Erklärung stellt den Zusammenhang zwischen den Fallbeispielen der zweiten und der ersten Gruppe her: Wer jemanden nur schlagen will, ihn aber tötet, ist ebenso in Unkenntnis über eines der Handlungsmerkmale wie derjenige, der ohne es zu wissen, den eigenen Vater schlägt. Dennoch gibt es gute Gründe, die gemeinsame Eigentümlichkeit dieser Fallbeispiele in etwas anderem als in einer Form von kognitivem Mangel zu sehen. Für die Beurteilung der handelnden Person ist ja in allen diesen Fällen die Diskrepanz zwischen der Absicht und dem Ergebnis einer Handlung entscheidend. Und nur in der ersten Gruppe von Fallbeispielen kommt hinzu, daß diese Diskrepanz durch eine Form von kognitivem Mangel verursacht ist. In der zweiten Gruppe von Fallbeispielen wird sich aber der Betroffene nicht damit entschuldigen, nicht gewußt zu haben, daß die Handlung, die er ausführt, eine Tötung ist, sondern damit, die Tötung nicht beabsichtigt zu haben. Somit umfaßt das Kriterium der Unwissenheit bei Aristoteles zugleich ein Kriterium der Absichtlichkeit: Unfreiwillig ist eine Handlung oder eines ihrer Merkmale, insofern nicht diese Art von Handlung oder nicht diese Merkmale intendiert wurden; wo eine Handlung in dieser Weise unfreiwillig ist, gibt es immer eine Handlung einer anderen Art, die freiwillig ist. Wenn einer z. B. etwas erzählt, ohne zu wissen, daß es ein Geheimnis ist, dann wollte er zwar kein Geheimnis verraten, aber er wollte etwas erzählen. In einer anderen Hinsicht ist das Kriterium der Unwissenheit bei Aristoteles enger gefaßt als unser Entschuldigungstyp „Das habe ich nicht gewußt“, nämlich wenn es um Unwissenheit in der Frage geht, was gut ist oder was man tun soll. Wichtig ist dabei zunächst folgende Unterscheidung: Wer etwa aus Trunkenheit oder Zorn so und so handelt, der handelt mitunter unwissend, aber nicht aus Unwissenheit (1110b24– 27). Entscheidend ist, wie es später heißt (III 7, 1113b32 f.), daß der Betreffende Herr darüber war, sich nicht zu betrinken, und an seiner Unwissenheit darum selbst Schuld hat. Unwissenheit kann also nur dann als Entschuldigung dienen, wenn sie selbst unverschuldet ist. Kern dieses Arguments scheint nun zu sein, daß dies nur auf deskripitive Sätze über einzelnes, nie aber
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auf allgemeine Werturteile, Vorschriften usw. zutreffen kann: „Jeder Schlechte also ist unwissend darüber, was er tun und was er lassen soll. Und aufgrund eines derartigen Fehlers tut man Unrecht und wird überhaupt schlecht. ‘Unfreiwillig’ aber soll nicht meinen, daß einer das Zuträgliche nicht kennt. Die Unwissenheit in der Entscheidung ist nämlich nicht Grund der Unfreiwilligkeit, sondern der Schlechtigkeit, und auch nicht die Unwissenheit des Allgemeinen …“ (28 – 32). Ausgeschlossen wird hier die Unkenntnis solcher Faktoren, die zu wissen für den Tugendhaften selbstverständlich ist und die jeder wissen könnte, wenn er nur tugendhaft wäre. Nicht zu wissen oder nicht gewußt zu haben, was man tun oder nicht tun soll, wäre also für Aristoteles überhaupt keine Entschuldigung. Indem er die Unkenntnis des Zuträglichen und des Allgemeinen sowie die Unkenntnis in der Entscheidung (also wohl das Ziel, das man mit der jeweiligen Entscheidung verfolgt) nennt, wird klar, daß es um allgemeine Feststellungen darüber geht, was gut und was schlecht für uns ist. Wie bei den zuerst angeführten Beispielen Trunkenheit und Zorn geht die Unwissenheit auf das schlechte Verhalten des einzelnen zurück. Wer unwissend, aber nicht aus Unwissenheit handelt, so scheint das implizite Argument, ist für diesen Zustand selbst verantwortlich und kann sich nicht mit seiner Unwissenheit entschuldigen. In Buch VII wird Aristoteles die Überlegung, aus der sich eine Handlung ergibt, in zwei Schritte untergliedern (1147a25 ff.). In diesem sogenannten „praktischen Syllogismus“ fungiert eine allgemeine normative Aussage als Obersatz (z. B.: Gesund zu leben ist gut/ist geboten), und eine singuläre Aussage, die einen vorliegenden Fall unter den Allgemeinbegriff des Obersatzes subsumiert (z. B.: Dies ist gesund), bildet den Untersatz. Wenn nun die Unkenntnis von allgemeinen und normativen Aussagen keine Unfreiwilligkeit erzeugt, dann scheint mit der Unkenntnis des Einzelnen, die die Unfreiwilligkeit hervorbringen kann, ein Irrtum hinsichtlich des Untersatzes im praktischen Syllogismus gemeint zu sein. Die Art von Unwissenheit, die eine Handlung unfreiwillig macht, ist demnach ein Irrtum bei der Identifizierung eines einzelnen Falles (etwa wenn sich diese bestimmte Verhaltensweise doch nicht als gesund erweist). Diese Beschreibung trifft auf die erste Gruppe Aristotelischer Fallbeispiele (versehentlich seinen Vater schlagen) zu, die zweite Gruppe (ohne Absicht töten) wird kaum als ein Irrtum hinsichtlich des Untersatzes zu interpretieren sein; jedoch wurde gezeigt, wie sich der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Fallbeispielen aus dem Begriff der Handlungsabsicht herstellen läßt.
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Einige Interpretationsprobleme Wir waren bisher davon ausgegangen, daß Aristoteles in den Kap. III 1– 3 notwendige Bedingungen aufstellt, unter denen wir jemandem Handlungen zuschreiben bzw. ihn für eine Handlung moralisch verantwortlich machen können. Der Text enthält jedoch eine Reihe von Auffälligkeiten, die verschiedene Interpreten zu der Auffassung veranlaßten, die Untersuchung handle überhaupt nicht von der moralischen Verantwortlichkeit (vgl. Sauvé Meyer 1993, 1– 3). Auf die wichtigsten Einwände wollen wir kurz eingehen. 1. Unfreiwilligkeit kann aus Unwissenheit hervorgehen, doch stellt die Unwissenheit allein noch kein hinreichendes Kriterium dar. Wer nämlich etwas aus Unwissenheit tue, darüber hinterher aber keinen Schmerz empfinde, sagt Aristoteles (1110b19 – 22), der handle zwar nicht freiwillig, dafür fehle ihm ja das nötige Wissen, aber auch nicht unfreiwillig, weil er keine Reue empfinde. Aristoteles faßt solche Handlungen, die zwar nicht freiwillig, aber auch nicht unfreiwillig erfolgen, als die eigenständige Klasse der nicht-freiwilligen (ouch hekôn) Handlungen zusammen. Daß Aristoteles im Zusammenhang mit der Freiwilligkeit die Frage ins Spiel bringt, welche Gefühle der Handelnde im nachhinein empfindet, gilt weithin als Mißgriff (vgl. Kenny 1979, 169). Für die Freiwilligkeit einer Handlung könnten allenfalls Gefühle eine Rolle spielen, die dieser Handlung vorausgegangen sind, etwa indem sie die freie und überlegte Entscheidung beeinträchtigten; wie aber sollten nachträgliche Gefühle von Belang sein? Oder verfehlt Aristoteles so gerade den Begriff der Freiwilligkeit? Dieser Punkt ist weit weniger irritierend, wenn man bedenkt, daß die Ausführungen zur Freiwilligkeit den allgemeinen Traktat über die Tugend vervollständigen. Aristoteles hebt auch an der Entscheidung hervor, daß sie der Tugend am eigentümlichsten sei und mehr noch als die Handlungen Aufschluß über die charakterliche Tugenden erlaube (III 4, 1111b5 f.). Für die Beurteilung der Tugend des Handelnden spielen aber die Gefühle, die eine Handlung begleiten, eine durchaus erhebliche Rolle (II 2, 1104b3 ff.): Nur wer sich etwa des Genusses mit Freude enthält, ist besonnen, wer dabei jedoch Schmerzen leidet, gilt in dieser Hinsicht nicht als tugendhaft. Daraus erhellt, welche Funktion die Unterscheidung zwischen nicht-freiwilligen und unfreiwilligen Handlungen erfüllt. Die im eigentlichen Sinn unfreiwillige Handlung läßt überhaupt keine Rückschlüsse über die charakterlichen Tugenden des Handelnden zu, anders dagegen die nur nicht-freiwillige Handlung: Die betreffende Handlung lief dem Charakter des Handelnden zumindest nicht zuwider oder fand sogar nachträglich seine Billigung. Ein Grund für die breite Ablehnung dieser Unterscheidung dürfte in der Vermutung liegen, Aristoteles schreibe dem unfreiwillig Handelnden mit dem
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Ansinnen einer schmerzlichen Empfindung immer noch eine Art von Verantwortung zu. Jedoch besteht kein Hinweis, daß er so etwas gemeint haben könnte – es sei denn, wir identifizieren jede Art von negativer Emotion, die auf eine Handlung folgt, mit dem Schuldgefühl. Ein solches könnten wir nur jemandem ansinnen, der für die betreffende Handlung verantwortlich ist. Indes scheint Aristoteles eine andere Art von Empfindung zu meinen: Das schmerzliche Gefühl ist die Reaktion darauf, daß der Betroffene die Handlung so, wie sie tatsächlich ausging, nicht gewollt hatte. Die ohne Absicht eingetretene Situation steht im Gegensatz zu dem, wozu der Betroffene disponiert ist oder was seinen Charakter ausmacht; dies wird man als schmerzlich empfinden, ohne dabei etwas dem Gefühl der Schuld Vergleichbares zu verspüren. 2. Aristoteles beruft sich im Gang der Untersuchung immer wieder darauf, ob eine Handlung Lob (epainos) oder Tadel (psogos) erfährt, ob sie entschuldigt wird oder sogar Mitleid erregt (1109b30 ff.). Das Kriterium, ob etwas unter bestimmten historischen und sozialen Bedingungen Lob oder Tadel auf sich zieht, so kann man einwenden, hat nichts mit der Frage der Verantwortlichkeit zu tun. Vielmehr zeige sich daran, daß Aristoteles das in einer Polis jeweils vorherrschende Ethos als Verhaltensmaßstab akzeptiert. Dieser Einwand wird entkräftet, wenn man beobachtet, welche Rolle die Berufung auf Lob und Tadel bei Aristoteles tatsächlich spielt: Aristoteles unterscheidet das Freiwillige und das Unfreiwillige, nicht weil das eine Lob oder Tadel findet und das andere nicht; vielmehr untersucht er, unter welchen Bedingungen wir bereit sind, Personen Verantwortung für ihre Handlungen zuzuschreiben. Man kann nun zeigen, daß Aristoteles bei der bloßen Erhebung dieser Bedingungen keineswegs haltmacht, sondern nach ihrem Grund fragt und sie in einen kohärenten Zusammenhang bringt. Die moralische Anerkennung oder Mißbilligung, die Personen oder ihre Handlungen tatsächlich finden, bilden somit nur den Leitfaden für die Frage, unter welchen Bedingungen es angemessen ist, Personen Verantwortung zuzuschreiben. So erbringt z. B. bei den sogannten „gemischten“ Handlungen die Beobachtung von Lob und Tadel keinen unmittelbaren Aufschluß über die Freiwilligkeit. Erst als er das Stattfinden einer Entscheidung als Voraussetzung dafür benennt, daß wir ein Verhalten – angemessenerweise – loben oder tadeln, kann er einschätzen, daß die gemischten Handlungen eher den freiwilligen gleichen. Insofern die Behandlung der gemischten Handlungen im Zusammenhang mit den erzwungenen Handlungen belegt, daß man gemischte Handlungen prima facie eher dem Unfreiwilligen zuzurechnen neigt, stellt dieses Ergebnis in gewisser Weise sogar die Korrektur eines verbreiteten Vorverständnisses dar. 3. Aristoteles bestimmt die Freiwilligkeit in III 1– 3 nur ex negativo – anhand von Fällen offenkundiger Unfreiwilligkeit. Deshalb wurde angenommen, daß Aristoteles eine positive Bestimmung von Freiwilligkeit und Verantwortlichkeit
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für nutzlos oder unmöglich hält; alles, was sich zu diesem Thema sagen läßt, liegt vielmehr in der Untersuchung möglicher Entschuldigungen (vgl. Austin 1961). Entgegen dieser Auffassung werden die Ausführungen zur Entscheidung (vgl. 6.2) zeigen, daß Aristoteles das Thema sehr wohl noch ein Stück weiterverfolgt, indem er nämlich zeigt, inwiefern wir „Ursprung“ unserer Handlungen sind. 4. Die rein negative Bestimmung der Freiwilligkeit durch die Abwesenheit von Zwang und Unwissenheit führt zu einem sehr weiten Begriff vom Freiwilligen. In diesem Sinn können wir auch bei Tieren und Kindern von freiwilligen Handlungen sprechen (1111b8 f.). Zu Recht wird eingewandt, daß man bei Kindern und Tieren nicht im eigentlichen Sinn von Verantwortlichkeit sprechen kann. Es müsse deshalb zu einem vollständigen Begriff der moralischen Verantwortlichkeit noch ein weiteres Moment hinzukommen, das ein voll verantwortliches Handeln vom Verhalten unmündiger Kinder oder Tiere unterscheidet. Die nun folgenden Ausführungen sollen zeigen, daß der Aristotelische Begriff der Entscheidung diese Lücke schließt.
6.2 Entscheidung (III 4 – 5) Wie wir bereits gesehen haben, hat die Entscheidung (prohairesis) die Struktur einer präferentiellen Wahl: man gibt einer Möglichkeit den Vorzug vor einer anderen Möglichkeit. Aristoteles grenzt die Entscheidung nach zwei Richtungen hin ab, gegen das Begehren (epithymia) und Wollen (boulêsis) einerseits (1111b10 ff.) und gegen das bloße Meinen (doxa) andererseits (30 ff.). Schon an diesem Vorgehen wird deutlich, daß Aristoteles der Entscheidung gewissermaßen eine Doppelnatur zuschreibt. Wie beim Begehren und Wollen versucht man durch die Entscheidung etwas zu erreichen, wie beim Meinen wird etwas als richtig beurteilt. Richtig kann nämlich auch eine Entscheidung sein, wenngleich es nur das Meinen mit „wahr“ und „falsch“ zu tun hat (vgl. 1111b33 f.). Anders aber als die Entscheidung läßt das Meinen die als richtig beurteilten Dinge, wie sie sind, denn es geht dem Meinen nicht darum, etwas zu ergreifen oder zu meiden (1112a5). Dem Meinen fehlt daher ein Moment des Begehrens oder Wollens, beim bloßen Begehren oder Wollen fehlt der Aspekt der Beurteilung. Aufgrund dieses letzteren Aspekts kommt das Begehren, das es auch bei Tieren gibt, nicht weiter in Betracht. Aber auch das Wollen verhält sich anders als die Entscheidung; denn wir wollen auch solche Dinge, für die man sich nicht entscheiden kann, weil sie unerreichbar sind oder weil es nicht an uns liegt, sie zu erreichen, wie die Unsterblichkeit oder den Sieg im Wettkampf (1111b22 ff.). Die Art von Überlegung, die diese Merkmale erfüllt, findet Aristoteles in der bouleusis oder der boulê, einer auf ein mögliches Handeln gerichteten Erwägung, Abwägung oder Planung.
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Der Begriff der Erwägung oder Planung ermöglicht es Aristoteles, genauer zu bestimmen, worauf sich die Entscheidung – im Unterschied zum Wollen – richtet: Gegenstand der Entscheidung ist genau das, worüber wir Erwägungen oder Beratschlagungen anstellen können, ob wir es tun sollen oder nicht. Daraus ergibt sich zunächst, worüber wir keine planenden Erwägungen anstellen; nämlich über das, was ewig ist oder sich mit naturgesetzlicher Notwendigkeit immer gleich verhält. Wir stellen auch keine Erwägungen über das an, was sich immer anders, wie das Wetter, oder nur zufällig, wie das Finden eines Schatzes, verhält (1112a21– 27). Wir erwägen auch nicht Vergangenes, etwa Troja zerstört zu haben (VI 2, 1139b6 f.), und auch vom Zukünftigen und Möglichen erwägen wir nicht alles: Kein Spartaner überlegt sich, wie die Skythen ihren Staat am besten einrichten sollen (1112a28 f.). Es bleibt, daß wir solche Dinge erwägen, die in unserer Macht stehen und die ausführbar sind (30 f.). Das hat für den Anwendungsbereich der Entscheidung eine wichtige Konsequenz: So wie wir die Gesundheit oder das Glück wollen, uns aber nicht für sie entscheiden können, so scheint sich allgemein das Wollen eher auf die Ziele, die Entscheidung eher auf den Weg zu diesen Zielen zu beziehen (1111b26 ff.). Die Ziele sind für uns allgemein nicht verfügbar, sondern das, was zu den Zielen führt. Zu einem gegebenen Ziel, überlegen wir, welches der geeignetste Weg dahin sei. Oder wir überlegen, wie der Weg zu einem Ziel erreicht wird, und wie dieser Weg wiederum erreicht wird, bis wir bei dem angelangt sind, was in unserer Macht steht (1112b15 – 20 und Met. VII 7, 1032b18 – 26). Damit sind alle Momente des Aristotelischen Begriffs der Entscheidung vollständig entwickelt. Die Entscheidung ist eine Überlegung, die zu einer Festlegung oder einem Urteil (krisis) führt (1113a4 und 12). Ausgewählt wird dabei diejenige Handlungsweise, „von der wir am sichersten wissen, daß sie gut ist“ (1112a7 f.); alternative Optionen werden dadurch verworfen. Erwogen wird nur, was man selbst vollbringen kann. Die Entscheidung stellt zugleich ein Streben (orexis) gemäß der vorausgegangenen Erwägung dar. Sie erfolgt um eines Zieles willen, hat aber selbst dasjenige zum Gegenstand, was zum Ziel führt (ta pros to telos). Aristoteles definiert die Entscheidung deswegen auch als das „mit Erwägung verbundene Streben nach dem, was in unserer Macht steht“ (10 f.). Inwiefern nun trägt der Begriff der Entscheidung etwas zu der Frage bei, was es heißt, jemandem eine Handlung zuzuschreiben? Was über die bloße Abwesenheit von Zwang und Unwissenheit hinaus erforderlich ist, um jemanden für eine Handlung verantwortlich zu machen, hat Aristoteles schon bei der Erörterung der Freiwilligkeit genannt: Der Betreffende müsse Ursprung (archê) einer Handlung sein. Diese Formulierung greift er wieder auf, nachdem er die einzelnen Merkmale der Entscheidung hergeleitet hat (1112b31 f.). Offenbar soll der Begriff der Entscheidung zeigen, inwiefern Personen Ursprung ihrer Handlungen sind.
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Dazu führt Aristoteles folgendes Argument vor: Wer immerzu Erwägungen anstellt, der müßte ins Unendliche fortschreiten. Was man erwägt und was man entscheidet, ist eigentlich dasselbe – nur daß das, wofür man sich entscheidet, schon bestimmt (aphôrismenon) ist. Im Unterschied nämlich zur Erwägung enthält die Entscheidung bereits eine Festlegung (1113a2 – 5). Er fährt fort: „Es hört nämlich jeder auf zu fragen, wie er handeln soll, wenn er den Ursprung auf sich selbst und in sich selbst auf das Anleitende zurückgeführt hat. Denn dies ist es, das die Entscheidungen trifft“ (5 – 7). Diese Ausführungen sind natürlich viel zu knapp, um den Zusammenhang von Entscheidung und Verantwortlichkeit erschöpfend zu erklären. Immerhin aber wird das Verständnis dadurch erleichtert, daß sich Aristoteles im Kern auf einen Argumentationstyp stützt, den er an vielen anderen Stellen ausführlicher vorführt, nämlich die Umgehung eines infiniten Regresses. Es ist hier nicht ganz klar, welche Form dieser Regreß hätte. Bezogen auf die Frage „Wie soll ich handeln?“ ist der Regreß „Wie soll ich A tun? Indem du B tust. Wie soll ich B tun? Indem du C tust, usw.“ denkbar. Mit Blick auf die Auflösung, der Handelnde selbst sei der Ursprung der Handlung, würde man aber eher einen Begründungsregreß der Form „Warum A? Weil B. Warum B? Weil C, usw.“ erwarten. Was aber hat ein solcher Begründungsregreß mit der praktischen Erwägung von Handlungsoptionen zu tun? Folgende Erklärung ist denkbar: A sei eine noch nicht realisierte Handlungsweise, die in unserer Macht steht. Wir könnten nun fragen „Was wäre denn ein Grund für A?“ im Sinne von „Was wäre denn ein zureichender Grund für die Realisierung von A?“. Auf diese Frage hin, so scheint Aristoteles sagen zu wollen, würde sich der Regreß „Was wäre der Grund für A? B. Was wäre der Grund für B? C, usw.“ ergeben, solange man nicht erkennt, daß nur die handelnde Person selbst, indem sie diese Handlungsweise einer anderen vorzieht, als Ursprung für die Realisierung von A in Frage kommt.Weil es sich nun bei A um eine zur Frage stehende Handlungsweise handelt, würde die Iteration der Frage nach einem Grund für diese Handlungsweise dazu führen, daß, solange kein zureichender Grund gefunden ist, die Weise, wie man denn nun tatsächlich handeln soll, unbestimmt bliebe; d. h. daß so auch keine Handlung zustande käme (für eine andere Deutung vgl. Dirlmeier, ad loc.). Ein infiniter Verursachungs- oder Begründungsregreß wird nur durch eine erste Ursache, die nicht selbst in derselben Weise verursacht ist, bzw. einen ersten Grund, der nicht selbst erst begründet werden muß, vermieden. Von dieser Argumentationsfigur macht Aristoteles immer wieder Gebrauch; bekannte Beispiele sind der Unbewegte Beweger und die unbegründbaren Prinzipien und Axiome. Analoges muß auch für die Verursachung der Handlung gelten, d. h. der Handelnde muß eine erste Ursache für die Handlung sein. Indem also jemand eine Handlung verursacht, ist er nicht selbst nur das Glied einer Verursachungskette, sondern steht am Anfang dieser Verursachung. Es liegt hier nämlich eine be-
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sondere Form der Verursachungsrelation vor, wie sie ausschließlich zwischen Menschen und ihren Handlungen bestehen kann (vgl. EE II 6, 1222b16 ff.). Wenn Aristoteles außerdem sagt, der Handelnde führe den Ursprung auf das anleitende Vermögen in sich selbst zurück, dann bedeutet die Erstursächlichkeit, daß die in diesem Vermögen getroffene Entscheidung nicht ihrerseits durch Impulse anderer Seelenvermögen verursacht sein kann. Wie aber genau kann der Handelnde zu einem solchen Handlungsursprung werden? Aristoteles’ Antwort darauf scheint allein in der Struktur der Entscheidung enthalten zu sein: Jemand verursacht eine Handlung, indem er diese Handlung einer anderen Handlungsweise vorzieht. Nun können wir mindestens vier Voraussetzungen aufstellen, die erfüllt sein müssen, damit die Präferenz für eine Handlungsoption auch wirklich zu der entsprechenden Handlung führt. Wie wir sehen werden, berücksichtigt Aristoteles tatsächlich alle dieser Voraussetzungen. 1. Eine Handlungsweise vorziehen, bedeutet bei Aristoteles, daß man im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel die Ausführung von Handlung A für besser hält als die Ausführung von Handlung B. Dieses Für-besser-halten wird aber nur eine entsprechende Handlung veranlassen, wenn es beinhaltet, daß man die Ausführung von A in höherem Maße will oder erstrebt als die Ausführung von B. Dieser Voraussetzung trägt Aristoteles Rechnung, indem er die Entscheidung als eine Art von praktischer Erwägung (bouleusis) bestimmte, die anders als das bloße Meinen immer darauf gerichtet ist, das Objekt ihrer Bewertung zu ergreifen oder zu meiden (III 4, 1112a5). Das Für-besser-halten, das aus der praktischen Erwägung hervorgeht, beinhaltet daher unmittelbar ein Erstreben. 2. Daß man die Ausführung von A in höherem Maße will oder erstrebt als die Ausführung von B, darf an keine weiteren Bedingungen geknüpft sein. Dies wäre etwa der Fall, wenn man A nur im allgemeinen lieber will als B, was nicht ausschließen würde, daß man unter bestimmten Bedingungen doch B den Vorzug geben sollte. Präferenzfestellungen der Form „A ist mir im allgemeinen lieber als B“ oder „A ist unter bestimmten Bedingungen besser als B“ haben daher keinen unmittelbar handlungsempfehlenden Charakter. Wer sich überlegt, wie er in einer bestimmten Situation handeln soll, der sucht nach einer Feststellung der Form „A ist besser als B – Punktum“. Aristoteles betont daher, daß mit der Entscheidung im Unterschied zur bloßen Erwägung schon etwas bestimmt ist (III 5, 1113a3 f.). Die Erwägungen finden damit ein definitives Ende, denn die betreffende Handlungsweise wird ausdrücklich „anstelle von anderem“ (anti tônde, 1110b4), also durch den Ausschluß anderer Optionen gewählt. 3. Mit A und B müssen Handlungsweisen gemeint sein, deren Ausführung in einer bestimmten Situation unmittelbar anstehen und die der Handelnde in dieser
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Situation auch ausführen kann. Wie wir gesehen haben, kommt Aristoteles dieser Voraussetzung durch seine Bestimmung der praktischen Erwägung nach. 4. Daß man die Ausführung von A in höherem Maße will oder erstrebt als die Ausführung von B, muß ohne weiteres die Ausführung von A implizieren, insofern kein Hindernis auftritt. Dieser Bedingung trägt Aristoteles durch seinen Begriff des Strebens (orexis) Rechnung: Wenn man das Denken oder das Vorstellungsvermögen auf das richtet, wonach man strebt, sagt Aristoteles (De motu animalium 701a29 f.), tut man es sogleich. Denken für sich dagegen bewegt nichts (VI 2, 1139a35). Somit kommt in der Entscheidung zu einem Ziel, das man für wünschenswert hält, eine Auffassung darüber, durch welche Handlung dieses Ziel zu erreichen ist, so daß das Streben nach dem Ziel die Handlung ohne weiteres in Gang bringt, sofern keine Hindernisse auftreten (vgl. VII 5, 1147a30 f.). Die Rolle des Strebens bleibt dabei streng begrenzt: Daß eine bestimmte Handlung realisiert wird, geht allein auf die Entscheidung und nicht auf das Streben zurück. Unter den genannten Voraussetzungen wird deutlich, inwiefern der Handelnde durch seine Entscheidung zum Ursprung einer Handlung wird. Weil sich der Handelnde durch die Entscheidung zur ersten Ursache der Handlung macht, wird außerdem deutlich, daß die Entscheidung für Aristoteles nicht ihrerseits ein Produkt aus Entscheidungsdeterminanten sein kann. Insofern sich jemand für eine bestimmte Handlung entscheidet, ist er für diese im vollen Sinn verantwortlich zu machen. Um deshalb den Charakter, die Einstellung und die Tugendhaftigkeit eines Handelnden beurteilen zu können, muß man auf die Entscheidung und nicht nur auf die äußere Handlung oder deren Resultat sehen (III 4, 1111b5 f., Rhet. I 13, 1374a11 f. und b14); d. h., man muß darauf sehen, ob überhaupt eine Entscheidung stattgefunden hat und welche Ziele damit verfolgt wurden. Manche Tätigkeiten des Menschen jedoch erfolgen spontan und ohne vorausgegangene Überlegung oder Entscheidung (III 4, 1111b8 f.,V 10, 1135b8 – 11). Wie wir gesehen haben, kann man auch für solche Tätigkeiten gelobt oder getadelt werden, vorausgesetzt, daß sie nicht unfreiwillig erfolgt sind.
6.3 Stehen Tugenden in unserer Macht? (III 6 – 7) An dieser Stelle läßt sich ein schwerwiegender Einwand formulieren: Man vergesse bei alledem, daß Aristoteles immer nur über die Wahl der Mittel, nie aber über die Ziele selbst spricht. Für Ziele, wie Gesundheit, Glück usw., entscheiden wir uns nicht. Folglich müßten die Ziele vorgegeben sein; genau das meine Aristoteles, wenn er davon spricht, daß die richtigen Ziele Sache der Tugend seien (z. B. VI 13, 1144a7 f.) und die Tugend aus einer langen Gewöhnung entstehe. Was wir als einen Beitrag zum Begriff der moralischen Verantwortlichkeit ansahen,
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würde so auf etwas sehr Unspektakuläres reduziert: die Verantwortlichkeit für die Wahl des Weges, auf dem wir vorgegebene Ziele erreichen. Das, worauf es für die moralische Praxis aber wirklich ankommt, die verfolgten Ziele und die entsprechenden Tugenden, bliebe dem Einfluß des Handelnden entzogen. Der folgende Abschnitt soll einige Aspekte zusammentragen, die zeigen, inwiefern dieser Einwand letztlich doch unangemessen bleibt. Tatsächlich spricht Aristoteles selten von einer Setzung von Zielen. Ziele sind Sache des Charakters und dafür, daß sie gut werden, sorgt die Tugend. Daraus zu schließen, daß wir für die Ziele, die wir verfolgen, nicht verantwortlich seien, beruht jedoch auf mehreren Mißverständnissen. Zunächst geht der Einwand davon aus, daß sich für Aristoteles die Welt in Ziele und Mittel unterteilen läßt, wobei die Klasse der Ziele der Verfügung durch den Handelnden entzogen ist. Auf eine solche starre Einteilung kommt es Aristoteles aber nicht an; die Unterscheidung von Mitteln und Zielen hat andere Gründe: Vor allem ist es die Struktur der Entscheidung, die erfordert, daß es etwas Verfügbares, die Mittel, gibt und etwas in der jeweiligen Entscheidung Unverfügbares, nämlich das Ziel, hinsichtlich dessen die verfügbaren Handlungsoptionen beurteilt werden. Denn nur mit Blick auf ein bestimmtes Ziel lassen sich Gründe für die Wahl einer bestimmten Handlungsoption finden. Wenn wir außerdem die Ziele in einer Entscheidung ebenso wie die Mittel mit Blick auf ein Ziel abwägen müßten, dann würde das zu einem Regreß führen, und wir wüßten nie, wie wir denn nun handeln sollen. Damit ist nicht ausgeschlossen, das Ziel der einen Entscheidung, in einer anderen Entscheidung als Mittel zu wählen, so wie wir im Prinzip jedes Handlungsziel auch als Weg zum gelungenen Leben betrachten können; Aristoteles spricht etwa auch von der Entscheidung für eine bestimmte Lebensform (I 3, 1095b20). Ein Ziel ist nicht prinzipiell unverfügbar, sondern ist das, was bei einer Entscheidung nicht zur Wahl steht. Ein bestimmtes Ziel ist unverfügbar, nur insofern es unseren längerfristigen Wünschen und Vorstellungen vom geglückten Leben Ausdruck verleiht und sich diese nicht beliebig ersetzen lassen (genau in dem Sinn sind Ziele auch Sache der Tugend). Solche Ziele können sich allmählich ändern oder in bestimmten Situationen außer Kraft gesetzt werden. Bei den gemischten Handlungen z. B. ergibt sich das Ziel aus dem Augenblick (1110a13 f.). Und auch im Fall der Willensschwäche (akrasia) werden im Grunde diese längerfristigen Handlungsziele zugunsten von plötzlich auftretenden Wünschen zurückgestellt. Der Grund, warum sich die Entscheidung auf die Mittel beziehen sollte, war, daß wir uns nur für solche Dinge entscheiden können, die in unserer Macht stehen. Das bedeutet aber noch keineswegs, daß uns die Ziele einfach vorgegeben wären. Das Argument stützt sich nämlich allein darauf, daß die Ziele, die wir
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erreichen wollen, mit einem Erfolgskriterium verknüpft sind, und daß es nicht an uns allein liegt, im Sinne der jeweiligen Handlung erfolgreich zu sein: Wir können uns zwar nicht dazu entscheiden, tatsächlich Fische zu fangen, aber wir entscheiden uns immerhin dazu, fischen zu gehen. Was hier das Ziel vom Weg unterscheidet, ist allein der Aspekt des Erfolges, und außer dem Erfolg steht alles an dieser Handlung in unserer Macht. Nur weil das Gelingen einer Handlung nicht allein von uns abhängt, wird die Verantwortlichkeit für eine Entscheidung nicht beeinträchtigt. Der Einwand, Aristoteles behandle die Ziele als etwas schlechthin Vorgegebenes, setzt die völlige Selbständigkeit der Ziele von dem in der Entscheidung Verfügbaren voraus. Das Beispiel des letzten Abschnitts zeigte jedoch, daß die Rede von Zielen bei Aristoteles nichts impliziert, was jenseits (para) der als Mittel bezeichneten Handlung liegen müßte. Handlungen erfolgen zwar um eines anderen (allo ti) willen (1112b33), aber keineswegs um beliebiger Ziele willen. Insofern also geht das Mißverständnis über die Rolle der Ziele auch auf eine Schwierigkeit der Handlungstheorie zurück: Wenn Handlungen um eines anderen willen erfolgen, wie kann dann Aristoteles behaupten, 1. daß es im Unterschied zur Herstellung bei der Handlung kein außerhalb ihrer selbst gelegenes Ziel gibt (I 1, 1094a4 f.) und 2. daß tugendhafte Handlungen um ihrer selbst willen geschehen (II 3, 1105a32 ff.)? Aristoteles müßte Ziele annehmen, die zwar etwas anderes (allo) als die Handlung sind, aber nicht jenseits oder neben ihr (para) liegen. Tatsächlich macht Aristoteles auf eine wichtige Zweideutigkeit aufmerksam (vgl. Charles 1986): „Tat“ (to prakton) meine sowohl das Ergebnis als auch das, was man dafür getan hat (EE I 7, 1217a35 ff.). Das Ergebnis ist also von der eigentlichen Handlung verschieden (allo), schon weil es – der ersten Bedeutung von „Tat“ entsprechend – eine Art von Zustand bezeichnet. Das Ergebnis kann nun ein immanenter Zustand (hexis enhyparchousa, X 4, 1174b31 ff.) sein, der die Handlung erst zu dem macht, was sie ist, so wie die Wahrnehmung ein notwendiger, immanenter Zustand des Wahrnehmens ist. In dieser Weise ist in jeder Handlung ein Ziel schon vorhanden (Met. IX 6, 1048b22 f.). Daher ist eine Handlung (praxis), obwohl sie um eines anderen willen geschieht, von der Herstellung (poiesis), deren Ziel jenseits der Tätigkeit liegt, zu unterscheiden. Eine tugendhafte Handlung geschieht um ihrer selbst willen, insofern sie um immanenter Ziele willen gewählt wird bzw. um solcher Ziele willen, die schon durch die Ausübung der Handlung selbst verwirklicht sind. Mit Blick auf solche immanenten Ziele wäre es nun offenbar abwegig, jemanden nur für die Handlung, nicht aber für das Ziel verantwortlich zu machen. Außerdem: Selbst wenn die Zahl der in Frage kommenden Ziele für den Tugendhaften innerhalb einer bestimmten Polis als sehr begrenzt angesehen wird, so stellt doch jede Entscheidung für eine bestimmte Handlungsweise zumindest
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eine Affirmation der Wünschenswürdigkeit ihrer immanenten Ziele dar. Somit beruht der Einwand, Aristoteles sehe die Ziele als gegeben an, auch auf einer unangemessenen Angleichung von Handlungszielen an die externen Resultate der herstellenden Tätigkeit. Wenn Aristoteles sagt, die tugendhafte Handlung werde um ihrer selbst willen gewählt, dann bedeutet das außerdem gerade den Ausschluß aller sachfremden Handlungsmotive. Wir haben gesehen, daß jemand, der eine tugendanaloge Handlung nur aus Furcht wählt, die tugendhafte Handlung nur akzidentell verursachen würde, so daß die Tat auch keinen Aufschluß über den Charakter des Handelnden geben könnte. Der Unterschied zwischen immanenten und einer Handlung nur akzidentellen Zielen spielt daher auch für die Beurteilung der Verantwortlichkeit eine Rolle. Nur wer eine Handlung um ihrer immanenten Ziele willen wählt, gibt ein Beispiel seiner tugendhaften oder schlechten Haltung. Nun ist die Wahlfreiheit hinsichtlich der Handlungsweise, ohne die es keine verantwortliche Handlung gibt, unverträglich mit der Vorgegebenheit immanenter Ziele, denn jede Handlungsweise hat andere immanente Ziele. Also muß – zumindest indirekt, durch die Wahl der Handlungsweise – auch eine Wahl zwischen immanenten Zielen möglich sein; dann aber sind wir für solche Ziele sowieso verantwortlich. Wenn wir außerdem Handlungen um ihrer selbst willen wählen, dann schließt das gerade aus, daß wir sie wählen, weil uns bestimmte Ziele vorgegeben sind. Dann nämlich würden wir sie nicht um ihrer selbst, sondern um der Vorgegebenheit der Ziele willen wählen. Eine Handlung um ihrer selbst willen wählen, heißt gerade, daß wir diese Handlung und ihre immanenten Ziele selbst für zustimmungswürdig halten.Weil wir diese Zustimmung auch nicht geben könnten (III 7, 1113b7 ff.), sind wir für Handlungen, die wir um ihrer selbst willen wählen, voll verantwortlich. Schließlich kommt hinzu, daß wir Aristoteles zufolge auch für die charakterliche Tugend, der wir die Ziele verdanken, verantwortlich sind und auf diese Weise mittelbar und langfristig auch auf die Ziele Einfluß nehmen, die uns in der einzelnen Entscheidung als unverfügbar entgegentreten. Die Tugend stehe ebenso wie die Schlechtigkeit in unserer Macht (III 7, 1113b6 f.). Man könnte in dieser Feststellung ein Entgegenkommen gegenüber dem Einwand sehen, jeder Begriff von moralischer Verantwortlichkeit setze die Möglichkeit einer freien Zielsetzung voraus, denn indem es an uns liegt, tugendhaft zu sein, werden auch die Ziele verfügbar. Tatsächlich führt Aristoteles aber nirgendwo die Verantwortlichkeit, die wir für unsere Tugend haben, als Voraussetzung für die Zuschreibbarkeit von Handlungen ein. Das Argument, auch die Tugend oder Schlechtigkeit liege an uns (eph’ hêmin), spielt eine weitaus bescheidenere Rolle: Wir können schlechte Handlungen nicht mit dem Verweis auf eine schlechte Haltung oder Eigenschaft (hexis) entschuldigen, denn erstens steht (bei einer schon gegebenen Eigenschaft)
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da, wo das Handeln in unserer Macht steht, auch das Nichthandeln in unserer Macht (1113a7 f.), und zweitens steht zumindest der Anfang einer Eigenschaft in unserer Macht (1114b32 f.). Die eingeschränkte Rolle des Argumentes zeigt sich daran, daß Aristoteles mehrfach betont, die Schlechtigkeit sei jedenfalls nicht weniger freiwillig als die Tugend (1114b12 f. und 19 f.). Insofern spielt die Freiwilligkeit der Tugend oder Schlechtigkeit dieselbe Rolle wie das Argument über die Trunkenheit. Wer aus Trunkenheit eine Handlung in Unkenntnis der relevanten Handlungsumstände begeht, kann sich hinterher nicht mit seiner Unkenntnis herausreden, weil er den Zustand, der die Unkenntnis herbeiführte, selbst verursacht hat (1113b30 ff.). Aus dieser eingeschränkten Rolle des Argumentes wird klar, warum es für Aristoteles genügt, eine Mitursächlichkeit (1114b22 f.) für die tugendhafte oder schlechte Eigenschaft zu begründen. Er sagt ausdrücklich, daß wir für die charakterlichen Eigenschaften irgendwie (1114b1), aber nicht in derselben Weise wie für Handlungen verantwortlich seien, weil wir bei Eigenschaften nur Herr über den Anfang, aber nicht auch über das Ziel sind (1114b30 ff.). Wie aber können wir auch nur den Anfang einer Eigenschaft beeinflussen, wenn diese doch durch lange Gewöhnung von frühester Jugend an entstehen? Wie sich ein jeder verhält, ein solcher wird er auch (1114a7). Tugendhaft wird deshalb derjenige, der tugendhafte Entscheidungen trifft. Ohne Entscheidungen aber gibt es keine Tugend (II 4, 1106a3 f.). Das Kind kann daher allenfalls an tugendanaloge Handlungen gewöhnt werden, die tugendhafte Eigenschaft entsteht erst durch verantwortlich getroffene Entscheidungen. Wenn Aristoteles sagt, wir seien Mitursache unserer Tugend oder Schlechtigkeit, dann meint das folglich, daß unsere Entscheidungen notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen (vgl. Met. V 5, 1015a20 ff.) für entsprechende Eigenschaften sind und daß wir bestimmte charakterliche Eigenschaften nicht wie Handlungsziele herbeiführen können. Wenn es daher die Tugenden oder Eigenschaften sind, die unsere Ziele bestimmen, dann heißt das nur, daß wir über die Grundrichtungen unseres Handelns nicht wie über alltägliche Belange intentione recta verfügen können; es bedeutet jedoch nicht, daß uns diese Ziele ohne eigenes Zutun vorgegeben sind. Fassen wir zusammen! In den Kapiteln III 1– 7 untersucht Aristoteles, unter welchen Voraussetzungen wir jemandem eine Handlung zuschreiben können und wann sich eine tadelnswerte Handlung mit einer tugendhaften Einstellung des Handelnden vereinbaren läßt. Notwendige Voraussetzung für die Zuschreibbarkeit einer Handlung ist, daß sie nicht unfreiwillig erfolgt. Die Abwesenheit von Zwang und Unwissenheit definiert einen weiten Begriff von Freiwilligkeit, weil nicht alles, was nicht unfreiwillig ist, auch auf einer Entscheidung beruht. Eine im engeren Sinn beabsichtigte Handlung geht dagegen auf eine Entscheidung zurück; durch sie wird der Handelnde zum Ursprung einer Handlung. Im Zwei-
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felsfall (etwa bei den „gemischten“ Handlungen) ist auch die Freiwilligkeit einer Handlung nur daran zu erkennen, daß sich der Handelnde zwischen zwei Optionen entscheiden konnte. Eine Handlung, die auf einer Entscheidung beruht, ist dem Handelnden vollständig zuzuschreiben (Tadelnswert ist aber auch, wenn jemand – wie der Unbeherrschte – keine überlegte Entscheidung trifft, wo er es könnte und sollte). Die einzelne Entscheidung richtet sich immer auf den Weg zu einem bestimmten Ziel. Das bedeutet aber nicht, daß die Ziele unserer Verantwortung entzogen wären, denn was das eine Mal als Ziel vorgegeben ist, das kann das andere Mal – als Weg zu einem höhergeordneten Ziel – Gegenstand unserer Entscheidung sein. Außerdem sind wir auch für die dauerhaften Einstellungen, aus denen die Ziele hervorgehen, mitverantwortlich.
Literatur Austin, J. L. 1961: A Plea for Excuses, in: ders., Philosophical Papers, Oxford 1961. Charles, D. 1986: Aristotle: Ontology and Moral Reasoning, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy 4, 119 – 144. Hursthouse, R. 1984: Acting and Feeling in Character: Nicomachean Ethics 3.i, in: Phronesis 29, 252 – 266. Irwin, T. 1975: Aristotle on Reason, Desire, and Virtue, in: Journal of Philosophy 72, 567 – 578. Irwin, T. 1980: Reason and Responsibility in Aristotle, in: Amélie Rorty (Hrsg.): Essays on Aristotle’s Ethics, Berkeley, 117 – 155. Kenny, A. 1979: Aristotle’s Theory of the Will, London. Kuhn, H. 1960: Der Begriff der Prohairesis in der Nikomachischen Ethik, in: Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken. Festschrift für H.G. Gadamer, Tübingen, 123 – 140. Loening, R. 1903: Die Zurechnungslehre des Aristoteles. Moline, J. N. 1989: Aristotle on Praise and Blame, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 71, 283 – 302. Sauvé Meyer, S. 1993: Aristotle on Moral Responsibility: Character and Cause, Oxford. Sorabji, R. 1980: Necessity, Cause and Blame, Ithaca.
Günther Bien
7 Gerechtigkeit bei Aristoteles (V) Das 5. Kapitel des V. Buches der Nikomachischen Ethik, das insgesamt dem Thema Gerechtigkeit gewidmet ist¹, stellt als Ergebnis der Überlegungen der vorangehenden vier Eingangskapitel fest: „Daß es also mehrere Gerechtigkeiten gibt und noch eine Gerechtigkeit neben der ganzen Tugend, ist hieraus klar“ (1130b6 ff.). Aristoteles fährt fort, und wir übernehmen diesen Programmsatz: „Bestimmen wir also, was und welcher Art sie ist“: die „Gerechtigkeit als ganze Tugend“ und die „Gerechtigkeit neben der ganzen Tugend“². Mehreren griechischen Philosophen und Staatsmännern wird die Äußerung zugeschrieben, daß jemanden zu einem guten Menschen zu machen darin bestehe, daß man ihn zum Bürger eines Staates mit guten Gesetzen mache. Die „Anonymität“ dieses Satzes zeigt, daß es sich um eine kulturelle Selbstverständlichkeit gehandelt haben muß. Seine anthropologisch-ethische Voraussetzung besteht in der Annahme, daß Menschsein und Bürgersein, rechtlich-politische Ordnung und sittliche Lebensweisung in einer guten Polis ineins zusammenfallen. Der Begriff „rechtliche Ordnung“ ist hierbei in einer sehr weiten Bedeutung zu verstehen; sie umfaßt sowohl das geschriebene und gesatzte Recht einer bestimmten Polis, also die positiven Gesetze, wie auch die ungeschriebenen, göttlichen und als „natürlich“ ausgezeichneten Gesetze, also die Gesetze, von denen Antigone in der Sophokleischen Tragödie (Antigone V. 454 f.) sagt, sie seien nicht erst von heute oder gestern, sondern bestünden immerdar, niemand wisse, woher sie kämen. Solche Gesetze oder Gebote waren etwa die Forderung, Tote zu bestatten – Antigone verteidigt sie mit den zitierten Worten gegen Kreon, als sie gegen dessen ausdrückliches Verbot ihren Bruder Polyneikes bestattet –, ferner das Gebot, die Götter zu ehren und die Eltern zu achten, einem Irrenden den Weg zu weisen, niemandem, der darum bittet, Feuer oder einen Trunk Wasser zu Die Nikomachische Ethik wird im folgenden zitiert nach der Übersetzung von Eugen Rolfes in: Aristoteles, Nikomachische Ethik. Auf der Grundlage der Übersetzung von Eugen Rolfes hrsg. von Günther Bien, Hamburg 4. Aufl. 1975. Aufbau von Buch V: 1. Themenstellung und methodische Vorbemerkungen (Kap. 1) 2. Unterscheidung von allgemeiner und partikularer Gerechtigkeit (Kap. 2) 3. Behandlung der allgemeinen (Kap. 3) und der beiden Formen von partikularer Gerechtigkeit (Kap. 4– 9) 4. Formen des Rechtes; Unrecht und ungerechte Tat (Kap. 10) 5. Besprechung von fünf Einzelproblemen (Kap. 11– 13, 15) und des Begriffes der Billigkeit (Kap. 14). https://doi.org/10.1515/9783110578751-009
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verweigern, die Verpflichtung, Wohltätern gegenüber sich dankbar zu erweisen usw. (Vgl. Hirzel 1900/1977). Zu den „Gesetzen“ in dem hier gemeinten umfassenden Sinne gehören auch die gesellschaftlichen Konventionen und Weisen des Sichbetragens, die „Sitten“ also und die Üblichkeiten der Conduite, ferner die jeweils geltenden rituellen Kultvorschriften und überhaupt die Verehrung der heimischen Götter. Faßt man den Regelungsbereich der Gesetze (nomoi) so weit, dann wird verständlich, daß als gerecht und damit überhaupt als gut und tugendhaft der Mensch gelten konnte, der sich an die Gesetze hält, und daß alles Gesetzliche als gerecht angesehen werden konnte. Aristoteles zitiert als Beleg für die Richtigkeit dieser ethischpolitischen Konzeption als ein verbreitetes Sprichwort den Satz, den wir auch in der Spruchsammlung des Theognis (V. 147) und an vielen anderen Stellen greifen können: „In der Gerechtigkeit ist alle Tugend enthalten“ (EN V 3, 1129b29 f.; Vgl. W. Jaeger 1954, 149). Er selbst identifiziert die so verstandene Gerechtigkeit denn auch mit der Tugend schlechthin: „Diese Gerechtigkeit ist die vollkommene Tugend […]; sie gilt für die vorzüglichste unter den Tugenden, für eine Tugend so wunderbar schön, daß nicht der Abend- und nicht der Morgenstern gleich ihr erglänzt“ (1129b25 – 31). Aristoteles resümiert seine auf diese Tugend, die gesetzliche Gerechtigkeit, bezogenen Überlegungen mit der Feststellung: „Die gesetzliche Gerechtigkeit ist kein bloßer Teil der Tugend, sondern die ganze Tugend, und die ihr entgegengesetzte Ungerechtigkeit kein Teil der Schlechtigkeit, sondern wiederum die ganze Schlechtigkeit“ (1130a8 – 10). Man kann sich die Bedeutung und Wichtigkeit, die dieser umfassenden Gerechtigkeit auch sonst in der alten Welt zuerkannt wurde, leicht durch einen Blick in eine Konkordanz zur hebräischen Bibel und zum Neuen Testament vor Augen führen: hier ist mehr als 800mal vom „Gerechten“ die Rede, und es soll damit der „Gute“ und der „Heilige“ schlechthin benannt werden (vgl. Pieper 1964, 97). Auch unsere Sprache hält noch die Erinnerung daran fest, wenn sie einen durch umfassende sittliche Qualitäten sich auszeichnenden Menschen schlicht einen „rechtlichen“ oder „rechtschaffenen Menschen“ nennt. – Hegel hat im § 150 seiner Rechtsphilosophie an die fortdauernde Aktualität dieser Konzeption (mit kritischem Blick auf den neuzeitlichen Standpunkt der Moralität, vgl. Bien 1984) erinnert und ihre Gültigkeit zu erweisen unternommen. (Es ist dies ein Abschnitt, der auch sonst mit expliziten und impliziten Hinweisen auf Aristoteles durchsetzt ist und der erkennbar auch auf den eingangs zitierten Rat griechischer Weiser über die richtige Erziehung anspielt³3) „Das Sittliche […] ist die Tugend, die, insofern sie Ausdrücklich wird dieser Satz als die Äußerung eines Pythagoreers (oder auch des Sokrates) dann im § 153 angeführt: „Auf die Frage eines Vaters nach der besten Weise, seinen Sohn sittlich zu erziehen, gab ein Pythagoreer (auch anderen wird sie in den Mund gelegt) die Antwort: wenn du ihn zum Bürger eines Staats von guten Gesetzen machst.“
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nichts zeigt als die einfache Angemessenheit des Individuums an die Pflichten der Verhältnisse, denen es angehört, Rechtschaffenheit ist. – Was der Mensch tun müsse, welches die Pflichten sind, die er zu erfüllen hat, um tugendhaft zu sein, ist in einem sittlichen Gemeinwesen leicht zu sagen – es ist nichts anderes von ihm zu tun, als was ihm in seinen Verhältnissen vorgezeichnet, ausgesprochen und bekannt ist. Die Rechtschaffenheit ist das Allgemeine, was an ihn teils rechtlich, teils sittlich gefordert werden kann.“ – Auch an das von Aristoteles berufene Sprichwort vom umfassenden Charakter der Gerechtigkeit erinnert Hegel: „Die verschiedenen Seiten der Rechtschaffenheit können ebensogut auch Tugenden genannt werden“. – Es fällt nun auf, daß Aristoteles, so hoch er auch die gesetzliche Gerechtigkeit stellt, sie dennoch recht bald verabschiedet (ohne sie im mindesten zu negieren oder ihren Anspruch herabzumindern⁴4), um zur Behandlung einer anderen Art von Gerechtigkeit überzugehen: „Wir fragen nach der Gerechtigkeit als Teil der Tugend; eine solche gibt es nämlich, behaupten wir“, beginnt das 4. Kapitel (1130 a14 f.). Der Eingangssatz des 5. Kapitels nimmt noch einmal auf: „Daß es neben der Gerechtigkeit als der ganzen Tugend noch eine andere Gerechtigkeit gibt, ist nunmehr klar“ (1130b6 f.). Der versichernde Charakter dieser Sätze und der auffallende, weil bei Aristoteles nicht häufige Hinweis darauf, daß es sich bei der Behauptung dieser besonderen Art von Gerechtigkeit um eine eigene Lehre handelt, läßt die Aristoteles sehr wohl bewußte und, wie wir sagen dürfen, zweifellos gegebene epochale Bedeutung dieses Lehrstücks erkennen. In der Tat: Aristoteles hat mit seinen Darlegungen über „die Gerechtigkeit als Teil der Tugend“ einen bestimmten materialen Bereich und formalen Aspekt der gesellschaftlich-ethisch-politischen Wirklichkeit entdeckt und zum ersten Mal
„Jene Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit also, die sich auf den ganzen Umfang der Tugend bezieht und die die Anwendung der ganzen Tugend, beziehungsweise des ganzen Lasters, auf unser Verhältnis zu anderen Menschen ist, möge als erledigt gelten,“ EN V 5, 1130b18 – 20. – Eine extreme Diskreditierung des Satzes, daß gerecht sein darin bestünde, den Gesetzen zu gehorchen, lesen wir bei dem athenischen Sophisten Antiphon: „Die Gerechtigkeit besteht darin, daß man Gesetz und Brauch in dem Staat, in man als Bürger lebt, nicht übertritt. Am vorteilhaftesten wird sich dabei der einzelne Mensch zur Gerechtigkeit stellen, wenn er in Anwesenheit von Zeugen Gesetz und Brauch hochhält, ohne solche dagegen die Gebote der Natur. Denn die Forderungen von Gesetz und Brauch sind willkürlich auferlegt, die Gebote der Natur dagegen beruhen auf Notwendigkeit. Denn die Forderungen von Gesetz und Brauch sind vereinbart, nicht natürlich geworden, die Gebote der Natur aber sind natürlich geworden, nicht vereinbart. Wenn man nun bei der Übertretung von Gesetz und Brauch von denen, welche die Vereinbarung getroffen haben, unbemerkt bleibt, ist man von Schande und Strafe frei, andernfalls nicht. Vergewaltigt man dagegen die mit der Natur verwachsenen Gesetze über das mögliche Maß hinaus, so ist das Unheil um nichts geringer, wenn es auch kein Mensch merkt, und um nichts größer, auch wenn es alle Welt sieht.“ (Vgl. W. Jaeger 1954, 149 Anm. 1.)
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thematisiert. – Um deutlich zu machen, worum es geht, sind zwei Dinge zu behandeln: es ist – erstens darzulegen, was es für die geschichtliche Position der praktischen Philosophie des Aristoteles bedeutet, daß er die gesetzliche Gerechtigkeit relativiert, und daß er als erster Philosoph mit theoretischen Gründen gewisse Zweifel an der Möglichkeit einer schlichten Identifizierung des Status eines guten Bürgers und eines guten Menschen äußert, und welche Folgen diese Einsicht für die praktische Philosophie insgesamt haben mußte; es ist sodann – zweitens – zu behandeln, welches der besondere Charakter der Seite der menschlichen Angelegenheiten ist, der sich dem spezifischen Blick des Aristoteles hier zum ersten Mal erschlossen hat. – Halten wir zunächst zum Zwecke einer leichteren und abkürzenden Verständigung die in der Tradition der Schulphilosophie erfolgten terminologischen Fixierungen der beiden Gerechtigkeitsarten fest: die gesetzliche Gerechtigkeit (A) sei als die universale Gerechtigkeit benannt (iustitia legalis sive universalis sive generalis), die andere Art (B), die als „Teil der ganzen Tugend“ von Aristoteles eingeführt wurde, heiße die Teilgerechtigkeit oder partikulare (bzw. partikuläre) Gerechtigkeit (iustitia particularis). Der Sinn und die geschichtliche Bedeutung dieser Begriffe ist zu erläutern, wobei gleich jetzt auf die leicht abkürzende Sprechweise in diesen Namen hingewiesen sei: In genauer, aber eben doch umständlicher Benennung müßte es heißen „die Gerechtigkeit als die ganze Tugend“ bzw. „sofern sie die ganze Tugend ist“ und „die Gerechtigkeit als Teil der Tugend“ bzw. „sofern sie ein Teil der Tugend ist“; der durch die quantifizierenden Adjektive universal und partikulär eigentlich zu kennzeichnende und zu differenzierende Begriff ist nicht die Gerechtigkeit, sondern die Tugend. Es ist allerdings eine gute aristotelische Regel, daß man sich bei der Benennung der Dinge an den allgemein eingeführten Sprachgebrauch halten solle (vgl. Topik II 2, 110a16 – 22). Es ist dies eine Regel, deren Befolgung auch in kritischen Fällen für den schadlos bleibt, der sich einmal den durch die Wörter angezielten Sachverhalt deutlich gemacht hat, und der daher die „richtigere“ Benennung kennt und diese wenigstens gelegentlich in Gedanken für sich substituiert.
7.1 Die universale oder gesetzliche Gerechtigkeit Aus den bisherigen Darlegungen mag deutlich geworden sein, welchen Sachverhalt Aristoteles mit dem Begriff einer universalen oder gesetzlichen Gerechtigkeit benennen und thematisieren will. Es geht nunmehr darum, die einschränkenden Gründe in den Blick zu nehmen, die Aristoteles veranlaßt haben, es nicht bei diesem Begriff zu belassen, ja das in diesem Begriff sich aussprechende ethische, politische, gesellschaftliche und anthropologische Konzept mit einem Fragezei-
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chen zu versehen. – Der erste Hinweis auf die leicht eingeschränkte Gültigkeit der gängigen Überzeugung, daß „ein Beobachter des Gesetzes sein“ und „gerecht sein“ schlechthin identische Sachverhalte bezeichnen, ist in der moderat modifizierenden Floskel „in einem bestimmten Sinne“ zu sehen, mit der die theoretische Grundlage dieser Gleichsetzung wiedergegeben wird: „Da uns (nach allgemein verbreiteten Vorstellungen und Wortverwendungen) der Gesetzesübertreter als ungerecht und der Beobachter des Gesetzes als gerecht galt, so ist offenbar alles Gesetzliche in einem bestimmten Sinne gerecht und Recht“ (V 3, 1129b11 ff.). Als Grund für die (freilich eingeschränkten) Identifizierungen wird angegeben: „Was von der gesetzgebenden Gewalt vorgeschrieben ist, ist gesetzlich, und jede gesetzliche Vorschrift bezeichnen wir als gerecht oder Recht.“ Die Gesetze beziehen sich nun auf alle Lebensbereiche: „Sie handeln von allem“, heißt es lapidar. Erläutert wird die Universalität dieser universalen, weil in diesem umfassenden Sinne legalen Gerechtigkeit mit mehreren Beispielen aus dem Wirkungskreis der (nach Abzug der Gerechtigkeit verbleibenden) beiden ethischen unter den vier Kardinaltugenden (Tapferkeit, Selbstbeherrschung) und aller anderen Tugenden. Das Gesetz normiere alles, hier gebietend und dort verbietend, und zwar tue es das in der rechten Weise, wenn es selbst gut gefaßt ist, dagegen in schlechter, wenn es nachlässig, wie aus dem Stegreif entworfen sei (1129b34). Dieser den Geltungsanspruch des Gesetzlichgerechten einschränkende Hinweis auf die möglicherweise fehlenden oder aber gegebenen technischen Qualitäten eines Gesetzes ist harmlos verglichen mit der Einsicht, die sich in der Fortsetzung des Satzes von der universalen Regelungsleistung des Gesetzes ausspricht: Es ist die Einsicht, daß das, was in den Staaten als gerecht gilt, davon abhängt, wer gerade die politische Macht und damit auch die juristische und ethische Definitionsmacht besitzt; die Gesetze regeln alle Lebensbereiche, wobei sie den Nutzen im Auge haben, und zwar „indem sie entweder den allen Bürgern gemeinsamen Nutzen verfolgen oder aber den Nutzen der Aristokraten oder den der jeweiligen Herrscher, mögen sie dies dank ihrer Tugend oder einer sonstigen sie auszeichnenden Eigenschaft sein“ (1129b15 ff.). Die Einsicht in die Pluralität der politischen Verfassungen und in die grundsätzliche Unterscheidungsmöglichkeit der Herrschaftsformen erstens danach, ob sie den Nutzen der Regierenden oder der Regierten oder – das wäre das aristotelische Ideal – den gemeinsamen Nutzen aller⁵ verfolgen, sowie zweitens danach, auf welcher Qualität und welchem Rechtsanspruch der jeweiligen Amtsinhaber die Herrschaft beruht (freie Geburt, Cf. Politik III 6, 1279a17 ff.: „So sieht man denn, daß alle diejenigen Verfassungen, die auf den gemeinsamen Nutzen abzielen, richtige sind nach dem Maßstabe des Rechtes schlechthin, und daß dagegen diejenigen, die nur auf den eigenen Vorteil der Regierenden abzielen, sämtlich fehlerhafte Verfassungen und Entartungen der richtigen sind.“
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überlegene Tugend, Reichtum, Adel, Bildung, Überlegenheit der Zahl nach) ist die entscheidende Erkenntnis, aufgrund derer die schlichte Gleichsetzung von „gesetzlich“ und „gerecht“ nicht mehr möglich ist. Wer einmal mit der Sophistik die Relativität und Pluralität der Verfassungen eingesehen hat, wird schnell gewahr, daß in Abhängigkeit davon die gleiche Relativität den in den Staaten geltenden Gesetzen und damit überhaupt den Gerechtigkeitsvorstellungen⁶, den Erziehungsformen und dem jeweiligen Bürgerstatus anhaften, ja daß sogar die Tugenden der Bürger in Abhängigkeit von der jeweiligen Verfassung und Staatsform je andere sind⁷. Die Einsicht, daß die Gesetze und das Gerechte von der interessegeleiteten Setzung durch die abhängen, welche die Macht in den Staaten haben, führt zu zwei weiteren Gedanken und Bedenklichkeiten. Der Sophist Thrasymachus hat in den Eingangserörterungen in Platons „Staat“ daraus die Konsequenz gezogen, daß das Gerechte – erstens – immer der Nutzen des Stärkeren ist, und daß es also – zweitens – überhaupt immer der Nutzen des anderen ist. „So weit bist du ab mit deinen Gedanken von der Gerechtigkeit und dem Gerechten“, wirft er Sokrates vor, „daß du noch nicht weißt, daß die Gerechtigkeit und das Gerechte eigentlich ein fremdes Gut ist, nämlich der Vorteil des Stärkeren und des Herrschenden, aber der ureigene Schaden des Gehorchenden und Dienenden […] Du mußt dir, o einfältigster Sokrates, die Sache daraufhin ansehen, daß der Gerechte in allen Fällen schlechter dasteht und wegkommt als der Ungerechte“ (Rep. I, 343c, zuvor schon 338c). Eine Folge ist, daß niemand freiwillig gerecht ist, sondern nur aus Schwäche und Not; „denn wo jeder nur glaubt, daß er werde unrecht tun können, da tut er es auch. Denn jedermann ist überzeugt, daß ihm persönlich die Ungerechtigkeit mehr nützt als die Gerechtigkeit“ (Rep. II 360c). – Aristoteles selbst hat dann aufgrund jener Einsicht seinerseits die anfangs zitierte pädagogische Maxime von der richtigen Erziehung in Frage gestellt; er hat erkannt, daß Menschsein und Bürgersein einerseits und die Normen der Erziehung zum Gemeinwesen und die der Einzelerziehung andererseits nicht mehr unbefragt identifiziert werden können: „Der größte Teil der Gesetzesvorschriften betrifft Handlungen der ganzen Tugend. Denn das Gesetz gebietet, im Leben jede Tugend zu üben, und verbietet, irgendwelchem Laster Raum zu geben. Das Mittel aber, diese ganze
Vgl. die Ausführungen des Thrasymachos bei Platon, Rep. I, 338e–339a: „Jegliche Regierung gibt die Gesetze nach dem, was ihr zuträglich ist, die Demokratie demokratische, die Tyrannis tyrannische und die anderen ebenso. Und indem sie sie so geben, zeigen sie also, daß dieses ihnen Nützliche das Gerechte ist für die Regierten. Und den diese Übertretenden strafen sie als gesetzwidrig und ungerecht handelnden. Dies nun, o Bester, ist das, wovon ich meine, daß es in allen Regierungen dasselbe Gerechte ist, das der bestehenden Regierung Zuträgliche.“ Vgl. die Belege in: G. Bien, Grundlegung 1985, Register S. 401 siehe Relativität der Verfassungen.
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Tugend zu verwirklichen, sind jene gesetzlichen Bestimmungen, die die Erziehung für das Gemeinwesen regeln. Was freilich die Einzelerziehung betrifft, die zum guten Manne schlechthin bildet, so ist die Frage, ob sie zur Staatslehre oder zu einer anderen Disziplin gehört, noch eigens zu behandeln. Denn vielleicht ist es nicht dasselbe, ein guter Mensch schlechthin und ein guter Bürger eines beliebigen Staates zu sein“ (1130b21– 29). In der Politik III 4, 1276b30 – 35 wird als Ergebnis längerer Überlegungen festgestellt: Es muß die Tugend des Bürgers zu der Form und Verfassung seines Staates im Verhältnis stehen. Gibt es mithin mehrere Arten der Verfassung, so kann offenbar die vollendete Tugend eines guten Bürgers nicht bloß eine sein, während man doch den guten Menschen nach der einen vollendeten Tugend so nennt. „Daß man demnach ein ‘guter Bürger’ sein und doch die Tugend, die den guten Menschen ausmacht, nicht besitzen kann, leuchtet ein“; am extremen Fall kann man es sich klarmachen: wer sich unter einem tyrannischen Regiment als „guter Bürger“ hervortut und auszeichnet, kann eben dadurch kein guter Mensch sein. Aber auch abgesehen von diesem äußersten Fall: Die Vielgestaltigkeit möglicher Polisordnungen und die eine ideale Vollendung des Menschen schließen ihre Identifizierbarkeit aus. Nur unter den Bedingungen einer idealen politischen Ordnung, im „besten Staate“ also, „sind die Tugend eines Mannes und eines Bürgers notwendig dieselben“ (Pol. III 18, 1288a39⁸). Die universale oder gesetzliche Gerechtigkeit ist die Tugend eines Weltzustandes, den man mit Hegel⁹ so charakterisieren kann, daß in ihm die besondere Individualität mit dem Substantiellen und Allgemeinen in der Form eines fraglos geltenden und öffentlich anerkannten „Gesetzes“ in trennungslosem Zusammenhange bleiben kann, weil die umgebende Welt der Zustände und Verhältnisse keine für sich und bereits unabhängig vom Subjektiven und Individuellen existierende wesentliche Objektivität gewonnen hat. Da diese Voraussetzungen für Aristoteles nicht mehr unbezweifelt gegeben sind, da also das Allgemeine und Durchgreifende des menschlichen Lebens, das eigentlich Sittliche, nicht mehr allein und nicht mehr primär in den gegebenen Gesetzen, im Ethos und Nomos bestand, mußte Aristoteles – in einer gewissen Antizipation späterer kantischer Einsichten – auf die Bedeutung der Subjektivität und der inneren moralischen Beschaffenheit des Handelnden aufmerksam werden. Aristoteles begründet ausdrücklich, warum der Standpunkt einer bloßen Legalität sein Recht verloren hat, warum es also nicht mehr genügt, einfach äußerlich das zu tun, was die
Vgl. auch Politik VII 14, 1333a11– 16, VIII 1, 1337a11– 32. Ausführliche Behandlung des Problems der Erziehung: EN X 10, 1179b20 – 1181b12. Ästhetik, hrsg. v. F. Bassenge, Berlin 1955, S.204 ff.
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Gesetze vorschreiben: Solches wäre recht und richtig nur im akzidentellen Sinne (Kap. 13, 1137a10 ff. Man mag hier sehen, wie unzutreffend eine zur Zeit verbreitete Auffassung ist, die die praktische Philosophie des Aristoteles nicht nur der Position einer sog. konventionellen Sittlichkeit zuordnet, sondern in ihr geradezu deren paradigmatische Gestalt sieht). Aristoteles diskutiert sodann des längeren den Unterschied zwischen objektivem Unrecht, ungerechter äußerer Handlung und Ungerechtigkeit als sittlichem Habitus des Subjektes sowie noch einmal die Bedeutung der subjektiven Momente von Vorsatz und Freiwilligkeit (Kap. 10). Die in der sprichwörtlichen Wendung von der Gerechtigkeit als der Zusammenfassung aller Tugenden enthaltene Wahrheit nimmt Aristoteles zustimmend auf und modifiziert sie doch: „Diese Gerechtigkeit ist die vollkommene Tugend, freilich nicht die vollkommene Tugend überhaupt, sondern soweit sie auf andere Bezug hat, weshalb sie denn auch oft für die vorzüglichste unter den Tugenden gilt […]. Sie gilt darum als die vollkommenste Tugend, weil sie die Anwendung der vollkommenen Tugend ist. Vollkommen ist sie aber, weil ihr Inhaber die Tugend auch gegen andere ausüben kann und nicht bloß für sich selbst. Denn viele können die Tugend in ihren eigenen Angelegenheiten ausüben, aber in dem, was auf andere Bezug hat, können sie es nicht […]. Ebendarum scheint auch die Gerechtigkeit allein unter den Tugenden ein fremdes Gut zu sein, weil sie sich auf andere bezieht. Denn sie tut, was anderen nützt, sei es dem Herrscher“ – das thrasymacheische Argument –, „sei es dem Partner (bei einem gemeinsamen Geschäft) […] Der Beste jedenfalls ist, wer seine Tugend nicht nur sich, sondern auch anderen zugute kommen läßt.“ (V 3, 1129b25 ff.). Aristoteles nimmt also mit erstaunlicher Unbefangenheit die sophistische, durchaus (auch) im zynischen Sinne zu verwendende Kennzeichnung der Gerechtigkeit als eines fremden Gutes auf, entschärft sie aber zugleich dadurch, daß er sie aus dem Diskussionszusammenhang „fremder Nutzen, aber eigener Schaden“ herausbringt und zu einem rein definitorischen Moment der Tugendbeschreibung macht¹⁰10. Wie er zugleich an dem alten Rang der alle sittlichen Qualitäten umfassenden Polistugend festhält und doch auch das sophistische Moment des Fremdbezuges anerkennt, zeigt seine abschließende Darlegung, die ihr Wesen, ein Vermittlungsversuch zu sein, deutlich zu erkennen gibt: „Die gesetzliche Gerechtigkeit ist kein bloßer Teil
Freilich kennt die Nikomachische Ethik durchaus auch das Problem der Nutzen-, Schaden- und Ausgleichskalkulation bei Handlungen der Gerechtigkeit im Dienste anderer. Der wahre Herrscher ist Wächter des Rechtes und mit dem Recht auch der Gleichheit. Und da er vor den anderen nichts voraus haben will, wenn er gerecht ist – denn er teilt sich selber kein Plus vom schlechthin Guten zu „und wirkt darum für einen anderen – daher der oben schon zitierte Ausspruch, die Gerechtigkeit sei ein fremdes Gut –, so muß ihm also ein gewisser Lohn zugestanden werden, und dies ist die Ehre und der Ruhm. Wem aber dieses nicht genügt, der wird ein Tyrann“ (Kap. 10, 1134b1 ff.).
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der Tugend, sondern die ganze Tugend […] Wie die Tugend und diese Gerechtigkeit sich trotzdem unterscheiden, erhellt aus dem Gesagten. Beide sind dasselbe, in ihrem Sein (d. h. in ihrer Realisierung) aber sind sie nicht dasselbe, sondern insofern sie auf den anderen bezogen ist, ist sie Gerechtigkeit, insofern sie jedoch die entsprechende Grundhaltung einfachhin (also ohne einen solchen definitorischen Zusatz, G. B.) ist, ist sie die Tugend“ (EN V 3, 1130a8 ff.).
7.2 Die Gerechtigkeit als Teiltugend Die relativ umständliche Weise, in der Aristoteles den Begriff der partikulären Gerechtigkeit nach umfänglichen methodischen Vorüberlegungen über die Klärung mehrdeutiger Wörter (etwa aufgrund der Mehrdeutigkeit ihres Gegenbegriffes, 1129a23) gewinnt und einführt, und die mehrmalige Versicherung, daß es eine solche Gerechtigkeit neben der universalen wirklich gebe, macht deutlich, daß es sich bei diesem Lehrstück um eine aristotelische „Entdeckung“ oder Neuerung handelt. (Fast möchte man meinen, daß der Autor sich gewissermaßen immer wieder selbst erst von der Richtigkeit seiner Einsicht habe überzeugen müssen.) Ein Indiz für die Mehrdeutigkeit des Wortes „Gerechtigkeit“ bzw. „Ungerechtigkeit“ liefert ihm der Sprachgebrauch. Für diesen ist ungerecht einmal der Mensch, der sich nicht an die Gesetze hält, sowie zweitens der pleonektês, also der, welcher – das ist die wörtliche Übertragung – mehr haben will, und der darum ein Freund der Ungleichheit ist¹¹. Um sich eine anschauungsgesättigte Vorstellung von der Bedeutung des Terminus pleonektês und des zugehörigen Substantivs pleonexia vor Augen zu führen, müßte man sich an dieser Stelle die politische Anthropologie des großen thukydideischen Geschichtswerkes vergegenwärtigen, in dem sämtliche politischen Unrechtshandlungen, Vertragsbrüche, Überfälle auf befreundete Staaten, Expansions- und Eroberungskriege usw. auf diese „Untugend“ als ein anthropologisches Grundkonstituens zurückgeführt werden. Hier bleibt uns nur, die lexikalischen Auskünfte zu vermerken. „Mehr haben wollen“ bedeutet demnach auch „einen größeren Anteil“ oder allgemein „einen Vorteil vor anderen haben wollen, im Vorteil sein wollen, den Partner übervorteilen, andere beeinträchtigen“, ja „andere betrügen“; das Substantiv pleonexia kann über die unter Umständen neutralen Komponenten „Mehr haben In einigen Handschriften steht vor „Freund der Ungleichheit“ noch einmal der Artikel; dadurch haben sich die älteren lateinischen Übersetzer (und in deren Nachfolge Eugen Rolfes) dazu bewegen lassen, hier fälschlicherweise drei Bedeutungen zu sehen („Videtur autem illegalis iniustus esse et avarus et inaequalis“, vgl. G. Bien, Erl. zu EN 1129a32, in: Aristoteles, Nikomachische Ethik 1985, S. 284 f.).
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wollen“¹² und „Gewinn“ hinaus auch die eindeutig wertenden Bedeutungen „Betrug, Eigennutz, Habsucht, Begehrlichkeit, Herrschsucht, Gewaltherrschaft, Unterdrückung anderer“ annehmen. Die Pleonexie – wir belassen es angesichts der zahlreichen Konnotationen dieses Begriffs praktischerweise bei dem griechischen Wort – hat es mit den Lebensgütern zu tun, freilich nicht mit allen, sondern mit denen, die äußeres Glück und Unglück bedingen, und die zwar schlechthin und an sich immer gut sind, aber nicht immer für den einzelnen. Konkret gedacht ist an materiellen Gewinn, aber auch an Ehre und Ansehen, an Posten und politische Ämter und an Macht, insgesamt also an solches, worin sich die Menschen miteinander in Vergleich zu setzen pflegen. Der Gebrauch solcher Güter und alle damit verbundenen Probleme sind spezifisch menschliche Gegebenheiten (vgl. Bien 1985, 69 ff.). Das sich auf diesen Bereich beziehende Recht hat seine Stelle unter Wesen, die an den Gütern schlechthin teilhaben und davon ein Zuviel und ein Zuwenig haben können. Es gibt Wesen, die kein Zuviel davon haben können, dies sind (nach Aristoteles) vielleicht die Götter, und wieder andere gibt es, unheilbar Schlechte, denen kein Teil davon nützt, sondern alles schadet, und endlich gibt es solche, denen sie innerhalb bestimmter Grenzen nützlich sind. Darum ist das Recht eine menschliche Angelegenheit (V 13, 1137a26 – 30). Eine Erläuterung des Gedankens, daß diese Güter sowohl nützen wie auch schaden können und daß das Besitzen allein noch keinen Gewinn bedeutet, bietet das Schlußkapitel der Eudemischen Ethik (VIII 3, 1248b 26 – 34; vgl. auch ebd. 1249a 10/11): Gut ist der – ein Angehöriger der dritten der eben unterschiedenen Gruppen –, dem die natürlichen Güter gut, d. h. nicht schädlich sind. Denn die stark umworbenen und in der Geltung am höchsten stehenden Güter – Ansehen, Reichtum, körperliche Vorzüge, Glück-Haben und Macht – das sind zwar natürliche Güter, aber sie haben die Eigentümlichkeit, für manche auch schädlich sein zu können, je nach deren seelischer Grundverfassung. Denn weder der Unverständige noch der Ungerechte oder der Zuchtlose kann vom Gebrauch dieser Güter einen Nutzen haben. Aristoteles erläutert das von ihm Gemeinte wie auch sonst oft am parallelen Beispiel der gesunden bzw. kranken Konstitution: Der Kranke kann aus der Nahrung des Gesunden, aus den für diesen förderlichen klimatischen Bedingungen usw. keinen Nutzen ziehen, ja sie nicht einmal ertragen. Analog zu dem Satz „Gut ist, für wen das Gute gut ist“ kann man sagen
„Mehr haben wollen“ kann einmal (1) meinen, mehr als man hat, sodann (2) mehr als andere sowie schließlich (3) mehr als einem zusteht haben wollen.
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„Gesund ist, für wen das Gesunde gesundheitsförderlich und überhaupt erträglich ist“.¹³ Es ist nun nicht so, daß der Ungerechte immer zuviel haben will, unter Umständen will er auch zuwenig oder doch weniger bekommen, nämlich von dem, was an sich ein Übel ist. Da aber das kleinere Übel gewissermaßen als ein Gut erscheint und das Mehr haben Wollen auf Güter gerichtet ist, so scheint auch ein solcher Mensch ein „mehr haben wollender“ zu sein; in Wirklichkeit aber ist er ein Freund der Ungleichheit. Das ist nämlich der weitere und allgemeinere, das Zuviel und das Zuwenig umfassende Begriff (EN V 2, 1129b6 – 11). Die in diesen Überlegungen verwendeten Kategorien mehr und weniger, zuviel und zuwenig sowie gleich und ungleich lassen gleich zu Beginn den ausgesprochen quantifizierenden Duktus der aristotelischen Ausführungen über die partikuläre Gerechtigkeit erkennen. Die gemeinsame Benennung „Gerechtigkeit“ kommt ihr darum zu, weil in ihrer Definition wie in der der ihr synonymen universalen und gesetzlichen Gerechtigkeit der Bezug auf andere enthalten ist (iustitia semper est ad alterum, wie die spätere Schulphilosophie diesen Tatbestand formuliert hat.) Das Verhältnis der beiden Arten von Gerechtigkeit ist so zu bestimmen. 1. Beide Gerechtigkeiten implizieren eine Relation auf andere hin, nur bezieht sich die eine auf Ehre oder Eigentum oder Gesundheit oder „in welchen Ausdruck wir das alles zusammenfassen mögen“, und entspringt aus der unordentlichen Freude am Gewinn, während sich die andere auf alles bezieht, womit der Tugendhafte es sonst zu tun hat (1130b1– 5). Mit einem drastischen Beispiel wird erläutert, daß, wenn der eine einem Gewinn zuliebe Ehebruch begeht und noch Geld dazu bekommt, der andere dieselbe Tat aus Triebhaftigkeit verübt, so daß er noch Geld dafür ausgibt und so eine finanzielle Einbuße¹⁴ erleidet, so scheint der letztere eher zuchtlos als mehr-haben-wollend und gewinnsüchtig zu sein, der erstere dagegen ungerecht, aber nicht eigentlich zuchtlos; was er tat, tat er offenbar eines materiellen Gewinnes wegen (V 4, 1130a24– 28). 2. Alle anderen Verstöße gegen die Gerechtigkeit lassen sich immer auf eine bestimmte Untugend Auf diese Überlegungen beruft sich Aristoteles in der Politik V 13, 1332a21– 25: „In der Ethik ist ausgeführt worden, daß der Gute und Tugendhaftige von der Art ist, daß wegen seiner Tugend das an sich und schlechthin Gute auch für ihn gut ist, und daraus folgt dann notwendig, daß auch die Art, wie er die Güter anwendet, im absoluten Sinne tugendhaft und schön ist.“ Die Übersetzung von Franz Dirlmeier ist an dieser Stelle zu korrigieren. Der Zusatz „und Strafe hinnimmt“ in dem Satze „Wenn jemand einen Ehebruch begeht aus Triebhaftigkeit, wobei er noch Geldverlust und Strafe hinnimmt“ (S. 98) ist zu streichen; statt dessen muß es heißen: „Wenn er noch zulegt und einen Geldverlust hinnimmt.“ Der Aspekt der Strafe durch ein öffentliches Gericht, ein Ehrengericht oder die öffentliche Meinung muß aus dem Spiel bleiben: das Begriffspaar kerdos kai zêmia, Gewinn und Verlust sind die festen quantifizierenden Termini zur Bezeichnung dessen, worauf sich das Mehr-haben-Wollen bezieht.
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zurückführen, z. B. der Ehebruch auf Zuchtlosigkeit, das Entweichen aus Reih und Glied in der Schlacht auf Feigheit, Mißhandlung anderer auf Wut und Zorn, unerlaubter Gewinn aber auf keine andere Untugend als auf Ungerechtigkeit (V 4, 1130a28 – 32). Daraus ergibt sich, noch einmal: Die universale Gerechtigkeit enthält als ihre Konkretisierung alle anderen Tugenden: die Tapferkeit, die Selbstbeherrschung, die Ehrlichkeit, die weiteren Teiltugenden A, B, C, D usw. Eine dieser partikulären oder Teiltugenden neben anderen Teiltugenden ist nun die Haltung, die auf ungeordneten Güterbesitz und Haben-Wollen aus ist, die iustitia particularis (quia ad iustitiam legalem sive universalem se habet ut pars ad totum, Thomas von Aquin). Da die ihr konträre Ungerechtigkeit auf ein Mehr, ein Zuviel und auf Ungleichheit aus ist, kann sie selbst auch „Gerechtigkeit der Gleichheit (bzw. des Ausgleichs)“ (iustitia aequalitatis) heißen. Die partikuläre Gerechtigkeit regelt ihrerseits wiederum zwei Bereiche: einmal (a) die Zuerteilung von Ehre oder Geld oder anderen Gütern, die unter die Staatsangehörigen zur Verteilung gelangen können – denn hier kann der eine ungleich viel und gleich viel erhalten wie der andere –; eine andere Funktion und Realisierung besteht (b) darin, den vertraglichen Verkehr der einzelnen untereinander zu regeln. Jene (I) heißt die austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva, dianemetische Gerechtigkeit), diese (II) wird als die ausgleichende, wiederherstellende, korrektive oder – mit der griechischen Bezeichnung – die diorthotische (oder epanorthotische ¹⁵) Gerechtigkeit (iustitia regulativa sive correctiva, in commutatibus directiva) benannt. Es ist nicht zu übersehen, daß die Einteilung der verschiedenen Begriffe und Formen der Gerechtigkeit und des Rechts bei Aristoteles sehr vielgestaltig und z.T. auch widersprüchlich ist, jedenfalls daß sie nicht ohne weiteres klar ist (vgl. Reiner 1964, 59 Anm. 17). Man wird dies mit der Tatsache erklären (und entschuldigen), daß Aristoteles hier zum ersten Mal den Versuch einer begrifflichen und intellektuellen Strukturierung eines gesellschaftlichen Gebietes unternimmt, das er zuerst zum Thema der Philosophie gemacht hat. Hinzu kommt, daß in der Tradition der Schulphilosophie gewisse terminologische Fixierungen vorgenommen worden sind, die ihrerseits die aristotelischen Gedanken nicht zutreffend wiedergegeben haben, die aber kraft ihrer hohen autoritativen Geltung für Jahrhunderte den Blick auf die Texte verstellt haben. Das größte Problem bietet die zweite Form der partikulären Gerechtigkeit, die den vertraglichen Verkehr der einzelnen untereinander regelnde. Seit Thomas von Aquin wurde diese Form als die Tausch- oder kommutative Gerechtigkeit (iustitia commutativa) bezeichnet und fixiert. Gemeint ist damit die Tugend, die dann
diorthotisch: 1131b25; epanorthotisch: 1132a18; vgl. Salomon, Der Begriff der G. bei Ar. 24 ff; Trude 1955, 89 ff.
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gegeben ist, wenn der freiwillige vertragliche und geschäftliche Verkehr von zwei Partnern richtig und nach Gebühr abläuft. Für diesen Fall spricht Aristoteles wohl von einem Recht der Wiedervergeltung nach Maßgabe der Proportionalität (1132b32), aber – genau besehen – führt er keinen hierfür eigens zuständigen sittlichen Habitus ein. Auch in der abschließenden, die Ergebnisse der gesamten Diskussion zusammenfassenden „Definition“ im 9. Kapitel (1134a1 ff.) wird dieser Typ nicht erwähnt. Was Aristoteles thematisiert, ist der durch einen Akt der Gerechtigkeit zu vollziehende Ausgleich von Gütern und Schädigungen in dem Falle, daß bei einer „Geschäftsverbindung“ einem der Partner unrecht geschehen ist. Dies ist dann die ausgleichende, wiederherstellende, korrektive oder regelnde Gerechtigkeit, die iustitia correctiva sive in commutatibus directiva. Hans Reiner (1964, 58 Anm. 15) hat plausibel machen können, wie es wohl bei Thomas zu dem Mißverständnis gekommen ist. Thomas scheint eine lateinische Übersetzung des Satzes 1130b30 ff. „Von der partikularen Gerechtigkeit ist eine Art die, die bei Zuerteilungen (en tois dianomais) von äußeren Gütern vorkommt, eine andere ist die bei Geschäftsvorgängen (en tois synallagmasi) regelnde“ vorgelegen zu haben, die – was nach den Sprachregeln durchaus möglich ist – das griechische Adjektiv „regelnde“ (diorthotikon) auf beide gesellschaftlichen Bereiche bezieht (wozu ja auch der sprachliche Parallelismus der Wendungen „bei Zuerteilungen“/„bei Geschäftsvorgängen“ geradezu verführt). In der Wiedergabe des Gedankens in der Summa theologiae II–II qaest. 61, art.3 ist der Vorgang zu erkennen: „Distributiva iustitia est directiva distributionis, commutativa vero iustitia est directiva commutationum“. Dadurch, daß das direktive Moment nun kein Spezifikum der zweiten Art mehr ist – wobei dieser Begriff ja dessen eigentliche definitorische Bedeutung ausgemacht hatte –, tritt an dessen Stelle in der Definition jetzt die Bereichsbezeichnung: Aus der „bei Austauschvorgängen regelnden Gerechtigkeit“ wird so die „Austauschgerechtigkeit“, die iustitia commutativa¹⁶. Die Einordnung und Benennung der zweiten Art der partikulären Gerechtigkeit, der Ausgleichsgerechtigkeit, als Austauschgerechtigkeit führt dazu, daß Thomas beispielsweise den Mord ausdrücklich als eine Verletzung der Tauschgerechtigkeit diskutiert¹⁷. Diese Subsumtion ist freilich – nach jener Titulierung dieser
Das im Text wiedergebene Zitat aus Thomas ist so der Diskussion bei H. Reiner (a.a.O. 58 Anm. 16) entnommen. Im Sed contra von quaest. 63 art. 3 wird der Vorgang der Verschiebung des definitorischen Momentes directiva von der zweiten auf die erste Art der Teilgerechtigkeit noch deutlicher, wenn es dort – als Aristoteleszitat (!) – heißt: „Una species iustitiae est directiva in distributionibus, et alia in commutationibus.“ Vgl. H. Reiner 1964, 62 Anm. 23. „Sowenig es für eine Wegnahme des Lebens einen nachträglichen Ausgleich durch Entschädigung des Getöteten überhaupt gibt, so wenig ist hierin eine
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Gerechtigkeitsart – konsequent. Das wird aus dem weiteren Gedankengang der Nikomachischen Ethik deutlich. Aus Anlaß der Einführung der zweiten Unterart der Teilgerechtigkeit skizziert Aristoteles eine Gesamtübersicht über die möglichen Verkehrs- und (oft doch recht ungleichen) Vertrags- und Tauschbeziehungen (synallagmata) innerhalb der Gesellschaft. Die „Austausch“- oder Vertragsbeziehungen sind demnach (1.) teils freiwillig, (2.) teils unfreiwillig. Zu den ersteren (1.) gehören Kauf und Verkauf, Zinsdarlehen und Bürgschaftserklärungen, Leihe, Hinterlegung und Mietkontrakte. Der Ursprung solcher wechselseitiger Beziehungen ist beiderseits eine freie Entscheidung. Die unfreiwilligen Beziehungen¹⁸ (2.) sind wiederum entweder (a) heimliche Handlungen (wie Diebstahl, Ehebruch, Giftmischerei, falsches Zeugnis) oder gewaltsame Aktionen (b) (wie Mißhandlung, Freiheitsberaubung, Totschlag, entehrende Beschimpfung¹⁹). Der Text fährt nun wörtlich fort: „Von der partikularen Gerechtigkeit […] ist die andere die den Tauschverkehr der einzelnen untereinander regelnde. Die letztere hat zwei Teile. Es gibt nämlich freiwillige und unfreiwillige Austauschbeziehungen, bei den letzteren wieder heimliche und gewaltsame“ (1131a1 ff.). Diese Einteilung, die als eine solche von Gerechtigkeitsbegriffen eingeführt wird, gliedert in Wirklichkeit jedoch gesellschaftliche Aktionen verschiedener Art; eine direkte Anwendung auf Gerechtigkeitsformen wird an keiner Stelle gegeben (etwa in dem Sinne, daß von einer gewaltsamen oder heimlichen Gerechtigkeit gesprochen würde²⁰).
Tauschvereinbarung oder ein wirklicher Austausch auch nur überhaupt möglich. Das Menschenleben ist kein Gegenstand, der gegen etwas anderes vertauscht werden kann.“ Ich wähle hier für synallagma, was sonst „Tausch“ oder „Verkehr“ bedeutet, das neutralere Wort „Beziehung“, da wir mit jenen Benennungen nur freiwillige Verhältnisse bezeichnen; vgl. Fechner 1855/1987, 32 f. Anm. 4 (Hinweis auf den Wortgebrauch im Römischen Recht malus contractus seu delictum). Vgl. das Schema bei Bien, Erl. zur EN 1130b30, 286. Bei B 1 b) bb könnte statt manifesta auch violenta stehen. – Zur Information über die einzelnen Rechtsgeschäfte bzw. Delikte sind die Literaturhinweise bei Dirlmeier, Anmerkungen zur EN S. 404 zu 100,3 hilfreich. Die Handbücher – nicht die großen Autoren selbst – haben dann freilich kurzerhand die entsprechenden Benennungen kreiert. Im „Index rerum et notabilium et nominum“ der Ausgabe des Kommentars des Thomas zur Nikomachischen Ethik von P. Fr. R. Spiazzi (1949, p. 583 sq.) werden bedenkenlos eine iustitia voluntaria et involuntaria, occulta et manifesta, eine freiwillige und unfreiwillige, eine heimliche und eine offen erkennbare Gerechtigkeit registriert; schlägt man die verzeichneten Stellen nach, so zeigt sich jedoch, daß Thomas selbst nicht so spricht; er gibt präzise wieder, daß es sich um eine Einteilung der Formen von Interaktionen handelt (etwa no. 930 zu Text no. 660 sq = Bekker 1131a3 ff.). Im übrigen ist Thomas auch insofern durchaus genau, wenn er im corpus articuli von S.th. II–II qaest. 61 art. 3 als Ergebnis resümiert: „Ideo omnes istae actiones ad unam speciem iustitiae pertinent, scilicet ad commutativam. – Folglich beziehen sich alle jene Handlungen (gemeint sind Kauf und Verkauf, Bürgschaft, Miete, Mord,
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Man wird die vermißte Einteilung vielleicht so ergänzen können. Diejenige Tugend, deren Aufgabe im Ausgleich zwischen den „Partnern“ nach Akten von „unfreiwilligen Geschäftsbeziehungen“ besteht, und zwar sowohl nach heimlichen wie nach gewaltsamen Aktionen, ist die wiederherstellende oder ausgleichende oder korrigierende Gerechtigkeit (das ius correctivum, die iustitia in commutatibus directiva). Für den Fall, daß der freiwillige vertragliche und geschäftliche Verkehr von zwei Partnern richtig und nach Gebühr abläuft, benennt die Nikomachische Ethik im Zusammenhang der Behandlung in Kap. 8 keine eigene Tugend, sie spricht wohl von einem Recht der Wiedervergeltung nach Maßgabe der Proportionalität (1132b32). Dieser Interpretation steht – freilich nur in gewissem Sinne, in gewissem Sinne aber doch – der die Behandlung dieser Gerechtigkeit (nach Erledigung der Austeilungsgerechtigkeit) einleitende Satz entgegen: „Der noch übrige Teil (der partikulären Gerechtigkeit) ist die ausgleichende (diorthotische), die ihre Anwendung bei den Tausch(oder Vertrags)beziehungen hat, und zwar sowohl bei den freiwilligen wie bei den unfreiwilligen“ (1131b25). Hieraus geht nicht hervor, ob man daraus zwei im strengen Sinne von einander zu trennende Tugendtypen ableiten kann oder nur zwei Varianten desselben. Den Oberbegriff gibt jedenfalls nicht die commutatio, der Güteraustausch ab, sondern der Ausgleich, die correctio. Die neutralste Kennzeichnung beider Formen wäre nach 1131b25 f. „epanorthotische Gerechtigkeit (bei freiwilligen Tauschbeziehungen)“ und „epanorthotische Gerechtigkeit (bei unfreiwilligen Tauschbeziehungen)“. Wir wählen als Oberbegriff den Titel „ausgleichende Gerechtigkeit“.
Die austeilende Gerechtigkeit Für die austeilende Gerechtigkeit nennt Aristoteles zwei Beispiele: eine Geldverteilung unter den Bürgern aus öffentlichen Mitteln (Kap. 7, 1131b29 ff.) sowie die Aufteilung von politischen Ämtern und Machtbefugnissen (Kap. 6, 1131a25 ff.). Immer geht es in solchen Fällen darum, daß Gleiche Gleiches und Ungleiche Ungleiches erhalten. – Die folgenden Elemente sind in einer solchen Situation notwendig als gegeben zu denken: 1. jemand, der austeilt,
Raub, Diebstahl, öffentliche Entehrung) auf eine einzige Form der Gerechtigkeit, nämlich die kommutative.“ Es wird nicht behauptet, daß sie sämtlich Akte oder gar Formen dieser Gerechtigkeit seien!
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eine gemeinsame materielle oder immaterielle „Gütermasse“, die zur Verteilung ansteht, mindestens zwei Personen, unter die verteilt werden soll, eine „Würdigkeit“ und ein Anspruchsgrund, an dem gemessen einem jeden ein bestimmtes Gütermaß zusteht, der bestimmte, der Würdigkeit entsprechend zuzuweisende Anteil jeder der beiden Personen am gemeinsamen Gut sowie nicht zu vergessen, da Gegenstand und Anlaß aller dieser Überlegungen, die Gerechtigkeit dessen, der die Zuteilung vornimmt.
Im Falle der politischen Rechte gibt es keine die Ämter, Machtbefugnisse, Entscheidungsgewalten und Ehren austeilende Figur, die vom Standpunkt einer neutralen „dritten Position“ aus hier „das Richtige und Gerechte“ entscheiden und durch Herrschaftszuweisung vollziehen könnte: Die Verteilung der politischen Macht ist der Gegenstand des politischen Streites. Es ist dies ein Streit, der auch mit Argumenten geführt wird. In diesem Streit berufen sich die Demokraten auf das Recht der freien Geburt, die Oligarchen auf den Besitz, andere sehen ihr Vorrecht in der vornehmen Abstammung, die Aristokraten – das Wort im eigentlichen Sinne von „Herrschaft der Besten und zum (allgemeinen) Besten“ genommen (vgl. Politik III 7, 1279a35) – in der Tugend. Die vernünftige Bestimmung der „Würdigkeit zur Herrschaft“ ist daher nach Aristoteles die Grundaporie des Politischen (Pol. III 12, 1282b20) und dementsprechend ein zentrales Thema seiner politischen Philosophie: „Es ist eine schwierige Frage, was das Herrschende im Staate sein soll. Entweder muß es die zahlenmäßig überlegene Menge (das heißt dann aber: die Armen) sein, oder die Reichen, oder die Tugendhaften, oder der Eine Beste von allen, oder ein Tyrann.“ Jede dieser Positionen kann gute Gründe für sich anführen, aber jede hat – isoliert genommen – ihre Schwierigkeiten und ihr Unrechtsmoment (Pol. III 10, 1281a11). Leichter ist die Aufteilung einer materiellen und eindeutig zu quantifizierenden Gütermasse unter die Bürger; sie hat nach dem Verhältnis der eingebrachten Leistungen zu geschehen. Grundsätzlich gilt hier (wie auch in allen anderen Verteilungssituationen) das Recht der Proportionalität. Der der Person A zugewiesene Anteil muß sich zu dem der Person B zugewiesenen Anteil proportional ebenso verhalten, wie sich der Anspruch und die „Würdigkeit“ der beiden Personen zu einander verhält: Person A : Person B = Anteil a : Anteil b. Eine solche Proportionalität nennt Aristoteles mit den Mathematikern seiner Zeit eine diskrete oder auch geometische Proportionalität. Diese letztere liegt dann
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vor, wenn sich jeweils die Summe der Person und ihres Anteils zueinander verhalten wie die Personen selbst: (Person A + Anteil a) : (Person B + Anteil b) = Person A : Person B Das Recht der austeilenden Gerechtigkeit ist also dieses Proportionale, das Unrecht aber ist, was wider die Proportionalität verstößt. Es kann teils ein Mehr, teils ein Weniger sein: Wer Unrecht tut, eignet sich vom Guten zuviel an, und wer Unrecht leidet, bekommt davon zuwenig. Beim Übel aber ist es umgekehrt. Denn das kleinere Übel kann im Vergleich zum größeren Übel als ein Gut gelten, da das kleinere Übel vor dem größeren den Vorzug hat, und da, was den Vorzug hat, ein Gut ist (V 7, 1131b17 ff.). Das Proportionale ist hier das Gerechte, nämlich die Mitte und das Mittlere zwischen dem, was der Proportionalität zuwiderläuft (1131b10).
Die Ausgleichsgerechtigkeit Typ 1: Der Ausgleich bei freiwilligen Geschäftsbeziehungen oder Die Tauschgerechtigkeit Kernstück der aristotelischen Theorie der ausgleichenden Gerechtigkeit ist die Untersuchung der Verhältnisse beim freiwilligen Tauschverkehr. Das 8. Kapitel, das die freiwilligen Verkehrsverhältnisse in einer Gesellschaft behandelt, ist das längste im ersten systematischen Teil des Gerechtigkeitsbuches, in welchem die Formen der Gerechtigkeit unterschieden und behandelt werden. In seltener Grundsätzlichkeit geht Aristoteles bis in geradezu mythische Tiefen zurück, wenn er das Recht des Totenrichters Rhadamanthys beruft und die Wiedervergeltungsphilosophie der Pythagoreer; hier lesen wir andererseits – in größter Verdichtung – grundsätzliche Aussagen über arbeitsteilige Gesellschaften, über das Bedürfnis als das Moment, das die Menschen zusammenhält, wir treffen auf die erste systematische Behandlung des Geldes in Europa sowie auf prinzipielle Reflexionen über die Notwendigkeit und die Grenzen der Quantifizierung von Lebensgütern. 1. Die Notwendigkeit einer Verschiedenheit von Leistungen und Bedürfnissen. Es wäre um die verschiedenen Tätigkeiten und „Künste“ in einer arbeitsteilig differenzierten Gesellschaft geschehen, wenn nicht jeder, der ein Produkt schafft, das sich quantitativ und qualitativ bewerten läßt, dafür im Gegenzug sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht entsprechend entlohnt würde. Denn aus zwei Ärzten wird keine Gesellschaft, sondern aus Arzt und Bauer und überhaupt aus verschiedenen und ungleichen Personen, zwischen denen aber eine Gleichheit hergestellt werden soll (1133a15 ff.).
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2. In Wahrheit ist es das Bedürfnis, das alles zusammenhält. Denn wenn die Menschen nichts bedürften oder nicht die gleichen oder doch vergleichbare Bedürfnisse hätten, so würde entweder kein Austausch stattfinden oder doch keine gegenseitigen Vereinbarungen (1133a26 ff.; vgl. 1133b6 – 10). 3. Nicht der Austausch als solcher hält die Gesellschaft zusammen, sondern die verhältnismäßige „Vergeltung“. Grundsätzlich gilt: Würde das Böse nicht vergolten, so hätte man den Zustand der Sklaverei; ohne Vergeltung des Guten gäbe es keine Gegenleistung, auf der doch die Gesellschaft und Gemeinschaft beruht. „Darum errichtet man auch das Heiligtum der Chariten auf öffentlichen Plätzen, damit man der Gegenleistung gedenke, die der Dankbarkeit eigen ist. Denn man muß dem, der uns gefällig gewesen ist, Gegendienste erweisen und auch selbst wieder zuerst ihm gefällig sein“ (1133a3 ff.). 4. Es muß nun alles, was untereinander ausgetauscht wird, in einem gewissen Sinne vergleichbar sein. Zu diesem Zwecke hat man das Geld erfunden, das sozusagen zu einer Mitte wird. Denn das Geld mißt alles und demnach auch den Überschuß und den Mangel; es dient also z. B. zur Berechnung, wieviel Schuhe einem Haus oder einem gewissen Maß von Lebensmitteln gleichkommen. Ohne solche Berechenbarkeit könnte kein Austausch und keine Gemeinschaft sein. Die Berechnung ließe sich aber nicht anwenden, wenn nicht die fraglichen Werte in gewissem Sinne gleich wären (1133a18 ff.). 5. So muß denn für alles eine Einheit als Maß bestehen. Dieses Eine ist in Wahrheit das Bedürfnis, das alles zusammenhält (1133a26) – es ist der Grund für das Zusammenbleiben der Menschen wie auch das Maß ihrer gegenseitigen „Vergeltung“. 6. Nun ist aufgrund menschlicher Übereinkunft das Geld gleichsam Stellvertreter des Bedürfnisses geworden, und darum trägt es den Namen Nomisma (Geld), weil es seinen Wert nicht von Natur hat, sondern durch den Nomos, das Gesetz, und weil es bei uns steht, es zu verändern und außer Umlauf zu setzen (1133a29 ff.). In Fällen, wo wir ein Gut anbieten können, selbst aber gerade kein Bedürfnis haben, ist das Geld darüber hinaus ein Garant und Bürge künftiger Bedürfnisbefriedigung; wer mit Geld kommt, erhält nach Bedarf. Die Stabilität des Geldwertes ist zwar keine absolute, aber doch zuverlässiger als die von Gebrauchsgütern und Lebensmitteln (1133b11 ff.). 7. Daher muß alles seinen Preis haben; denn so wird immer Austausch und somit Verkehrsgemeinschaft möglich sein können. Das Geld macht also wie ein Maß alle Dinge kommensurabel und stellt dadurch eine Gleichheit unter ihnen her. Denn ohne Austausch wäre keine Gemeinschaft und ohne Gleichheit kein Austausch und ohne Kommensurabilität keine Gleichheit (1133b14 ff.). Freilich ist sich Aristoteles der mit diesen Bestimmungen verbundenen Problematik bewußt: In Wahrheit können freilich Dinge, die sehr voneinander verschieden sind, nicht
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kommensurabel sein, das Geld bietet nur eine fiktionale Aushilfe: „Denn alles wird nach ihm gemessen“ (1133b22). Das Geld ist allerdings selbst nicht der letzte Maßstab: es ist nur Stellvertreter des Bedürfnisses kraft Übereinkunft, und es ist Garant künftiger Bedürfnisbefriedigung – das letzte „Eine, das in Wahrheit alles zusammenhält, ist das Bedürfnis“ (1133a24²¹).
Die Ausgleichsgerechtigkeit Typ 2: Der Ausgleich bei „unfreiwilligen Geschäftsbeziehungen“ oder: Die korrigierende richterliche Gerechtigkeit Die anthropologische Funktion der partikulären Gerechtigkeit, von der die jetzt behandelte Form eine Unterart darstellt, besteht darin, die Probleme zu bewältigen, die mit dem menschlichen Grundtrieb der Pleonexie, dem Mehr-habenWollen, gegeben sind. Die Teilgerechtigkeit stellt in ihren verschiedenen Formen jeweils auf ihre Weise das Recht als eine Mitte zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig her. Dabei ist der Vorteil und Gewinn ein Zuviel des Guten und ein Zuwenig des Übels, der Nachteil und Schaden aber das Umgekehrte. Es ist insbesondere das Geschäft des Richters, in Fällen ungleicher, weil ungerechter Verteilung von Gewinn und Schaden für einen Ausgleich zu sorgen, d. h. die Mitte wiederherzustellen. Der Richter ist der Mann der Mitte, der dadurch, daß er die Mitte trifft, das Rechte trifft. Zum Richter gehen bedeute daher soviel wie zur Gerechtigkeit gehen, weil er wie die lebendige Gerechtigkeit sein soll. In relativ komplizierten (hier nicht wiederzugebenden²²) „Berechnungen“ stellt Aristoteles dar, wie ein solcher Ausgleich vorzunehmen ist. Der Richter stellt die Gleichheit her und macht es so, wie wenn er eine in ungleiche Teile geteilte Linie vor sich hätte, von deren größerem Teil er das Stück, um welches derselbe größer ist als die Hälfte, wegnähme und zu dem kleineren Teil hinzutäte. Wenn aber das Ganze in zwei Teile geteilt ist, sagt man: „Jeder hat seinen Teil.“ Daher versucht der Richter das Unrecht, welches in der Ungleichheit besteht, auszugleichen. Denn wenn der eine geschlagen worden ist, der andere geschlagen hat, oder auch der eine getötet
Vgl. zur Diskussion der gesellschaftsphilosophischen Implikationen dieser Theorie G. Bien, Erl. zu EN 1133b18, in: Aristoteles, Nikom. Ethik S. 288 (Gegenüberstellung zu Platon und zu Karl Marx; Erklärung der aristotelischen Lösung durch seine Orientierung an der Lebensdienlichkeit als dem letzten Wertmaßstab der Güter); vgl. auch G. Bien, Die aristotelische Ökonomik (1989), und: Die aktuelle Bedeutung d. ökonom. Theorie (1990). Es sei auf die einschlägigen Kommentare z. St. verwiesen, etwa auf das Linienschema bei Bien, EN S. 287 zu 1132a29 und b6.
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hat, der andere getötet worden ist, so ist die durch dieses „Leiden“ und jenes „Tun“ bewirkte, auf einer Linie vorzustellende „Gütermenge“ in ungleiche Teile geteilt; der Richter sucht nun durch die Strafe einen Ausgleich herbeizuführen, indem er dem Täter seinen Vorteil entzieht. Er muß den Ausgleich in der Weise vornehmen, daß er dem einen das gibt, was er dem anderen nimmt, d. h., er muß den „Gewinn“ des einen zum Ausgleich des „Verlustes“ des anderen gewissermaßen verschieben. „Gewinnen“ bedeutet mehr erhalten, als man vorher hatte, „verlieren“ bedeutet, weniger erhalten, als man vorher besaß. Er muß dem Schläger den „Vorteil“ und „Gewinn“ nehmen und dem Geschlagenen zum Ausgleich seines Nachteils und „Schadens“ auf die quantitativ proportionale, aber natürlich qualitativ angemessene Weise geben²³. Aristoteles weiß sehr wohl, daß hier in metaphorischer Weise gesprochen wird, und daß der metaphernspendende und normativ primäre Bereich die auf Freiwilligkeit beruhenden Geschäftsbeziehungen der Einzelnen sind. In diesen Dingen rede man nämlich ganz allgemein von „Vorteil“ und „Gewinn“, wenn auch der Ausdruck für einzelne Verhältnisse nicht eigentlich passe, wie wenn z. B. der Schläger Vorteil und der Geschlagene Nachteil haben soll; aber bei Abmessung erlittenen Unrechtes sei es nun einmal so, daß man dasselbe „Nachteil“ für den Geschädigten, das zugefügte Unrecht aber zugleich „Vorteil“ (auf seiten des Täters) nenne (1132a11 ff. Solche, übliche Sprachgebräuche konstatierende Argumentationen stellen einen für sokratisch-platonische Seelen frappanten – und oft auch ärgerlichen – Umgang mit dem Grundproblem von Unrechttun und Unrechtleiden – man denke an Platons „Gorgias“ – dar). „So ist denn dieses Recht eine Mitte zwischen einem nicht auf freiem Willen beruhenden Gewinn und Verlust, also dies, daß man nach wie vor das Gleiche hat“ (1132b18 – 22). Mitte, Gewinn,Verlust, Gleiches und Gleichheit, Mehr-haben-Wollen: das also sind noch einmal die tragenden Kategorien der aristotelischen Diskussion der Gerechtigkeit, die als Teil der ganzen Tugend (iustitia particularis) die Gerechtigkeit der Gleichheit und des Ausgleichs (iustitia aequalitatis) ist.
7.3 Die Billigkeit Die Erkenntnis der Tatsache, daß das Recht nicht mehr einfachhin mit dem Gerechten gleichgesetzt werden kann, sowie die Feststellung, daß ein geschriebenes Den Extremfall, daß der eine der „Partner“ – nach einem Akt der „unfreiwilligen Geschäftsbeziehung“ Mord keine Ausgleichszahlungen mehr in Empfang nehmen kann, hat Aristoteles nicht eigens diskutiert; hier sind wohl die Familie oder Sippe als „Empfänger“ zu substituieren.
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Gesetz zwar für die Mehrzahl der unter es subsumierten Fälle zutreffen mag, aber eben doch nicht für ausnahmslos alle, und daß es Dinge gibt, die überhaupt nicht gesetzlich zu erfassen, sondern nur durch Einzelentscheidungen zu regeln sind, zwingt zu genaueren Reflexionen über den Umgang mit dem geschriebenen Recht. Die „Tugend“ und Fähigkeit, in solchen Fällen eines Versagens des geschriebenen Gesetzes richtig zu entscheiden und zu handeln, hat Aristoteles als das Recht und die Tugend der Billigkeit (epieikeia, lat. aequitas) im 14. Kapitel (1137a31 ff.) des Gerechtigkeitsbuches behandelt. Die grundsätzliche Problematik des Billigen und der Billigkeit zeigt sich bei dem Versuch, deren Verhältnis zum Recht und zur Gerechtigkeit zu bestimmen. Einerseits lobt man das Billige und den billigen Mann in der Art, daß man diese Prädikate mit dem Gutsein überhaupt gleichsetzt²⁴ und verallgemeinernd auch auf anderes überträgt, wodurch man zu verstehen gibt, daß das Billigere das Bessere sei; anderseits muß es als ungereimt erscheinen, daß das Billige Lob verdienen und doch vom Recht verschieden sein soll. Denn entweder ist das Recht nicht gut oder das Billige, wenn vom Recht verschieden, nicht gerecht, oder wenn beide richtig und gut sind, sind sie einerlei. Die von Aristoteles vorgetragene Lösung dieser trilemmatischen Paradoxie ist in ihrer Schlichtheit genial. Einerseits ist das Billige, mit einem gewissen Recht verglichen, ein besseres Recht, anderseits ist es nicht in dem Sinne besser als das Recht, als wäre es eine andere Gattung. Recht und Billigkeit sind also einerlei, und obschon beide richtig und gut sind, so ist doch die Billigkeit das Bessere. Oder: Das Billige ist selbst ein Recht, aber besser als ein gewisses Recht, nicht aber als das Recht schlechthin (1137b8 ff., 24 f., 33 f.). Als Definition des Billigen ergibt sich: Es ist eine Korrektur des Gesetzes, wo dieses wegen seiner allgemeinen Fassung mangelhaft bleibt (b 26); der Billige ist von der Art, daß er solches Recht will und verwirklicht, und daß er nicht in kleinlicher Genauigkeit sein Recht solange verfolgt, bis es zu Unrecht wird, sondern, obwohl das Gesetz auf seiner Seite stünde, geneigt ist, mit einem bescheideneren Teil zufrieden zu sein. Eine solche sittliche Haltung, die Billigkeit, ist selbst eine Art von Gerechtigkeit und keine davon verschiedene Grundhaltung (b 34 ff.). – Die Rhetorik geht bei der Behandlung der Billigkeit (I 13, 1374a27 ff.) ebenfalls von der strukturellen Schwäche des geschriebenen Rechtes aus. Sie zählt darüber hinaus eine größere Vielfalt von menschlichen Verhaltensweisen als zur Billigkeit gehörig auf (1374b1 ff.): Nachsicht üben; zwischen menschlicher Schwäche (nicht unerwartetes, aber ohne Böswilligkeit geschehenes Fehlverhalten), Rechtswidrigkeiten (nicht unerwartet, aber mit Böswilligkeit) und Unglücksfällen (unerwartet und ohne böse Absicht)
Vgl. die zahlreichen im Bonitzschen Index 217b36 ff. notierten Stellen, an denen der Billige mit dem Guten identifiziert und dem Schlechten gegenübergestellt wird.
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unterscheiden; nicht auf das Gesetz, sondern den Gesetzgeber, nicht auf den Wortlaut, sondern den Sinn, nicht auf die Tat, sondern auf den Vorsatz achten; lieber durch Wort als durch Tat eine Entscheidung herbeiführen lassen; lieber zum Schiedsrichter als zum Gericht gehen. In der Nikomachischen Ethik werden solche Verhaltensweisen den dianoetischen Tugenden zugeordnet, näherhin der Klugheit (phronêsis) als eine ihrer Spezialformen; die Billigkeit ist demnach (beinahe) gleichbedeutend mit der Klugheit, einem verständnisvollen Wesen und der Verständigkeit; diese Haltungen haben es alle mit Entscheidungen bezüglich des Praktischen, Einzelnen und Letzten zu tun, die Billigkeit speziell „mit allem Guten, sofern es ein fremdes Interesse berührt“ (VI 12, 1143a27 ff.). Hier kommt dann wieder der mit der Gerechtigkeit gemeinsame Richtungssinn zur Sprache: Iustitia est ad alterum. Zum Schluß seien noch einmal die in der EN behandelten Gerechtigkeitsbegriffe zusammengestellt. A. Allgemeine oder gesetzliche Gerechtigkeit (iustitia universalis sive legalis): Sie ist die ganze und vollkommene Tugend, umfaßt alle Einzeltugenden, besteht in der Befolgung der Gesetze; sie realisiert und bewahrt in der staatlichen Gemeinschaft die Glückseligkeit und ihre Bestandteile (1129b17). 1. Sie ist Gerechtigkeit, insofern sie auf einen anderen bezogen ist („iustitia semper est ad alterum“). 2. Sie ist die Tugend schlechthin, sofern ohne diesen Zusatz. B. Teilgerechtigkeit (iustitia particularis): Einzeltugend neben den anderen (ethischen) Tugenden: Gegenstandsbereich: die Güter, von denen das äußere Glück und Unglück abhängen und in bezug auf die es ein Mehr-haben-Wollen (Pleonexie) gibt; Maßstab: Proportionalität (je verschiedene Verhältnismäßigkeit). 1. Austeilende Gerechtigkeit (dianemetische Gerechtigkeit, iustitia distributiva), Maßstab: diskrete oder geometrische Proportionalität, Verteilung nach Anspruch, Würde und Berechtigung. 2. Ausgleichende Gerechtigkeit, Maßstab: arithmetische Proportionalität. a. Austauschende Gerechtigkeit in freiwilligen Vertrags- und Geschäftsbeziehungen (iustitia commutativa), gleicht die unterschiedlichen Bedürfnisse aus. b. Wiederherstellende oder korrektive Gerechtigkeit (diorthotische oder epanorthotische G., iustitia regulativa sive correctiva), gleicht Ungerechtigkeiten in heimlichen oder gewaltsamen, d. h. „unfreiwilligen Verkehrsbeziehungen“ aus; sie ist das Amt des Richters als des „Mannes der Mitte“, denn er erstellt ausgleichend die Mitte zwischen
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einem nicht auf beiderseitigem freiem Willen beruhenden Gewinn und Verlust. C. Sonderbegriffe 1. Das Recht der Wiedervergeltung nicht nach dem Maßstab der Proportionalität, sondern der einfachen Gleichheit („Gleiches für Gleiches“); von Aristoteles als Rechtsform entschieden abgelehnt. 2. Die Billigkeit (epieikeia, epikie, aequitas): als Korrektur des geschriebenen Rechtes ist sie besser als dieses; sie ist eine besondere, ja die höchste Form der Gerechtigkeit.
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Pavlos Kontos
8 Phronêsis und ihre Gegenstände (VI 1 – 5, 8 – 10, 12)
Die phronêsis (Lebensklugheit) stellt das große Rätsel der Nikomachischen Ethik dar. Sie ist aber gewiss auch jenes Element der Aristotelischen Ethik, das enorme Anziehungskraft auf fast alle zeitgenössischen Versuche ausübt, eine ethische oder metaethische Theorie zu formulieren.¹ Sie steht im Mittelpunkt der Aristotelischen Analysen in Buch VI, und das obwohl der Leser der Nikomachischen Ethik ihre entscheidende Bedeutung aus den vorangehenden Büchern kaum erahnen konnte und in den folgenden wieder fast vergessen wird. In den ersten fünf Büchern finden wir zwar Hinweise auf den phronimos (I 5 1095b28, ΙΙ 6 1107a1)², manchmal auch auf die phronêsis selbst vor (Ι 6 1096b24, Ι 8 1098b24, Ι 13 1103a6), diese Hinweise sind aber unklar, wenn nicht gar irreführend; denn die einschlägigen Stellen scheinen die Unterscheidungen, die später in Buch VI eingeführt werden, nicht ganz zu berücksichtigen: die Unterscheidung zwischen den ethischen und den dianoetischen Dispositionen (êthikai, dianoêtikai hexeis), sowie diejenige zwischen den verschiedenen Arten der dianoetischen Dispositionen selbst. Gehen wir auf andere Werke des Aristoteles zurück, etwa auf die Eudemische Ethik (EE) oder die Politik (Pol.), so wird sich unser Erstaunen nur noch verstärken, da wir den Begriff der phronêsis dort nicht genau so vorfinden, wie er in der Nikomachischen Ethik analysiert wird. So wird z. B. die phronêsis häufig als eine ethische Tugend (EE II 3 1221a12, Pol. VII 1 1323b33 – 35) oder als eine spezifische Tugend des guten Herrschers (Pol. III 4 1277b25 – 26) behandelt. Auch der Rückgang auf die platonische Tradition trägt nichts zur Aufklärung des Rätsels bei, da die Begriffe phronêsis, technê, epistêmê, nous, und sophia dort als gleichbedeutende aufgefasst werden (siehe z. B. Euthydemos). Aristoteles verfolgt mit seinem Versuch in Buch VI gerade das Ziel, eine begriffliche Unterscheidung der oben genannten Tugenden vorzuschlagen. Gleichzeitig soll die Analyse der phronêsis in diesem Buch die offenen Fragen bezüglich der ethischen Tugend
Die unmittelbare Wirkung der Aristotelischen phronêsis auf die zeitgenössische Philosophie, und zwar nicht allein auf die Ethik, ist in ihrem Umfang unübersehbar. Als Beispiele seien hier angeführt: die philosophische Hermeneutik und die Phänomenologie, die Tugendethik und der ethische Realismus. Wenn keine andere Angabe gemacht wird, stammen alle angeführten Passus aus der Nikomachischen Ethik. Ich verwende hierbei die Übersetzung von Wolf (Hamburg, 2006), die ich jedoch an manchen Stellen etwas modifiziere. https://doi.org/10.1515/9783110578751-010
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endgültig beantworten (VI 1) und der Auflösung des Problems der eudaimonia den Weg bereiten (VI 13). Aufgrund genau der Vielschichtigkeit des Aristotelischen Projektes, lässt sich die phronêsis nicht dadurch vorstellen, dass man Aristoteles wegen angeblicher Widersprüche tadelt oder für eine der vielen Deutungen der phronêsis eintritt oder auf etwas fokussiert, was vermeintlich unzweideutig ist; man kann sie am besten dann verstehen, wenn die von der Aristotelischen Analyse aufgeworfenen Aporien ausdrücklich gemacht werden.
8.1 Orthos Logos (VI 1 1138b18 – 34) Das Einzige in den ersten Büchern der Nikomachischen Ethik, was die zentrale Rolle, welche die phronêsis übernehmen soll, vorwegnimmt und anzeigt, ist die berühmte Definition der ethischen Tugend in Buch II 6, insofern als sie einen entscheidenden Hinweis auf den logos und den phronimos enthält (ΙΙ 6 1106b36 – 1107a1). Und es ist in der Tat das, was Aristoteles zum Leitfaden nimmt, wenn er das Buch VI eröffnet: Bei allen Dispositionen […] gibt es einen Zielpunkt (skopos), mit Blick auf den derjenige, der den logos besitzt, die Sehne seines Bogens anspannt und lockert, und es gibt eine Art von Kriterium zur Bestimmung (horos) der mittleren Dispositionen [….]. Daher muss auch hier […] bestimmt werden, was ho orthos logos ist und was die Kriterien sind (VI 1 1138b21– 34).
Was bedeutet denn hier orthos logos? Es hat den Anschein, als sei er mit der phronêsis selbst identisch: „orthos logos über solche Dinge aber ist die phronêsis“ (VI 13 1144b27– 28). Ist es aber gerechtfertigt, die phronêsis als orthos logos, als richtige (praktische) Vernunft, zu verstehen? Ja und nein (vgl. Frede 2008). Einerseits ja, weil die phronêsis in der Tat die einzige dianoetische Tugend ist, durch die wir die „praktische Wahrheit“ (VI 2 1139a26 – 27) erfassen; ohne sie wären sowohl das gute Handeln als auch die ethische Tugend (in ihrer vollen Bedeutung) unmöglich. Andererseits nein, weil die phronêsis kein logos im eigentlichen Sinn – wie dieser Begriff hier von Aristoteles gebraucht wird – ist, sondern eine Tugend der Tätigkeit desjenigen Seelenteils ausmacht, der den logos besitzt. Der logos ist hier etwas, was sich als wahr oder falsch erweisen kann (VI 2 1139b12– 13) und wozu die Seele Zugang hat. Daher sollten wir den logos entweder als Grund (d. h. als das, was die phronêsis als Wahrheitskriterium erfasst) oder als den Vorgang der Überlegung (bouleusis) selbst deuten. Wenn Aristoteles den logos gleichsam personifiziert und ihn „vorschreiben“ (ΙΙΙ 5 1114b29 – 30) oder „befehlen“ lässt (EE II 3 1220b28; III 1 1229a2, a7, a8), so sollen wir hier den Bezug auf
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Gründe/Argumente erkennen, die bindend sind wie die Anordnungen der Medizin (VI 1 1138b31). Die Frage wird am Ende sein, ob die phronêsis imstande ist, das Kriterium für die Richtigkeit zu bestimmen, d. h. zu zeigen, worauf wir zielen sollen, um die Mitte (mesotês), das Gute und das Glück, zu treffen. Diese Frage lässt verschiedene Antworten zu: dass die phronêsis in der Tat dieses Ziel auf eine Weise erreicht, die für den Bereich der Praxis angemessen ist, d. h. im Umriss (siehe Höffe 2008: 101– 180), oder dass das Ziel nirgends in Buch VI erreicht wird oder auch dass es zwar erreicht wird, jedoch nicht durch die phronêsis selbst, sondern durch die Weisheit (sophia). Somit beginnt das Buch VI mit einer Aporie.
8.2 Logistikon – bouleutikon – doxastikon (VI 1) In Übereinstimmung mit den bereits in I 13 getroffenen Unterscheidungen teilt Aristoteles im ersten Kapitel von Buch VI den vernünftigen Seelenteil in zwei weitere Teile ein, den wissenschaftlichen (epistêmonikon) und den rational-kalkulatorischen (logistikon). Beide verschaffen uns Erkenntnis, und zwar der erste die Erkenntnis desjenigen Seienden, dessen Ursprünge nicht anders sein können, und der zweite die Erkenntnis dessen, was anders sein kann (VI 1 1139a5 – 8). Der überlegende Teil wird seinerseits weiter unterteilt in Herstellungswissen (technê) und phronêsis. Das Herstellungswissen ist die poietische Disposition oder Fähigkeit, durch die wir zur Ursache für die Entstehung von Herstellungsprodukten werden, während die phronêsis die praktische Tugend darstellt, durch die wir zur Ursache für die Entstehung von praxeis (moralisch relevanten Handlungen) werden. Allerdings bedürfen die Begriffe ‘wissenschaftlich’ (epistêmonikon) und ‘rational-kalkulatorisch’ (logistikon) einer näheren Erläuterung. Das epistêmonikon hat hier eine weite Bedeutung, denn es umfasst nicht nur die epistêmê als „Disposition, die sich im Beweisen betätigt“ (VI 2 1139b18 – 36), sondern auch den nous (intuitives Denken) und die sophia (Weisheit), welche die Ursprünge des Seienden erkennen. Zugleich wird hier der Terminus epistêmê (wissenschaftliche Erkenntnis) in einem sehr engen Sinn verwendet; er wird nämlich so gefasst, dass er lediglich ewig Seiendes betrifft und z. B. die Naturwissenschaften ausschließt. Aber auch der Begriff des ‘logistikon’ ist mehrdeutig. Dieses verweist zunächst auf die Messung und Berechnung, die für das Herausfinden der Mittel zur Anfertigung des Produktes des Herstellungswissens erforderlich ist. Es betrifft überhaupt die Überlegung (bouleusis) (VI 2 1139a12– 13), die immer erforderlich ist, wenn wir bestimmen wollen, wie wir im Bereich der Dinge zu handeln haben, die auch anders sein können (III 3 1112a34–b9).
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Dieses erste Verständnis des Begriffes engt jedoch denselben noch zu sehr ein. Überdies bleibt noch unklar, weshalb gerade die phronêsis und nicht eher das Herstellungswissen die Tugend des überlegenden Seelenteils darstellen soll; denn das Herstellungswissen zeichnet sich ebenfalls durch die Möglichkeit erfolgreicher Überlegung aus, insofern als diese angesichts der Schwierigkeit des zu vollbringenden Werkes erforderlich ist (ΙΙΙ 3 1112b2 – 8). Letztlich könnte die Tugend, die der einfachen Fähigkeit zur Überlegung entspricht, sogar die Geschicklichkeit (deinotês) sein (VI 12 1144a24– 26). Im Falle der Geschicklichkeit ist in der Tat das Einzige, worauf es ankommt, die rechte Wahl der passenden Mittel zur Erreichung eines beliebigen Ziels, d. h. ein wertneutrales geschicktes Erraten (eustoxia). Allerdings setzt die Verwendung des Begriffes ‘logistikon’ in VI 1 voraus, dass der überlegende Seelenteil nicht einfach ein beliebiges Einzelwerk zum Gegenstand hat, sondern überdies und vornehmlich „auf das für den Menschen beste der durch Handeln erreichbaren Güter abzielt“ (VI 7 1141b12– 14). Mit anderen Worten: Obwohl die Überlegung keine Art Erkenntnis bezüglich der Ziele selbst ist, setzt ihre Richtigkeit nichtsdestoweniger die Richtigkeit der verfolgten Ziele voraus (VI 9 1142b20 – 21). Nur dank dieser Konkretisierung der Überlegung vermögen wir einzusehen, weshalb gerade die phronêsis und nicht das Herstellungswissen oder die Geschicklichkeit die Tugend des überlegenden Seelenteils ausmacht. Gleichwohl ist auch diese Klärung für sich nicht hinreichend. Vielmehr sind zwei weitere Prämissen hinzuzufügen: Zum einen die Prämisse, dass alle unsere technischen Einzeltätigkeiten und deren Werke dem höheren Werk wertmäßig untergeordnet sind, das mit demjenigen zu tun hat, „was dem guten Leben im ganzen (eu zên holôs) zuträglich ist“ (VI 5 1140a27– 28; VI 2 1139b1– 3), d. h. sie verhalten sich zu diesem wie die Zwischenziele zum architektonischen Ziel. Zum anderen die Prämisse, dass wir uns in Sache Moralität nicht wie Freiwillige verhalten, sondern zwangsläufig in den Bereich der ethischen Handlungen verwickelt sind, und zwar deshalb, weil erstens unsere Güte hinsichtlich unseres ethischen Verhaltens nicht ein Einzelwerk, sondern „die Funktion des Menschen“ (Ι 7, 1097b24– 25) betrifft, weil zweitens die Handlungen die sie hervorbringen keine gelegentlichen sind, sondern solche, die wir stets ausüben (Ι 10, 1110b12– 17) und weil drittens über diese Güte selbst allein aufgrund unseres Lebens im Ganzen, „aus den Taten und dem Leben“ (Χ 8 1179a18 – 19), entschieden wird. Aristoteles fügt noch die weitere Erläuterung hinzu, dass das logistikon auch als der meinende Teil (doxastikon) verstanden werden soll. Die Einführung der Meinung (doxa) in diesen Zusammenhang kann gewisse Missverständnisse hervorrufen (vgl. T. Ebert 2006). Zwar stellt die Meinung eine Art Behauptung (phasis) dar (VI 9 1142b13 – 14), und ohnehin wird das Ganze des vernünftigen Seelenteils
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mit Bezug auf Bejahen (kata-phasis) und Verneinen (apo-phasis) definiert (VI 3 1139b15); diese Verallgemeinerung stellt aber die Gleichsetzung der phronêsis mit der Tugend des meinenden Teils doch eher in Frage, anstatt sie zu unterstützen. Eine ähnliche Unklarheit ergibt sich aus der Tatsache, dass die Meinung nicht nur die Gegenstände des Herstellungswissens (poiêta) und diejenigen des Handelns (prakta), sondern auch das ewig Seiende betrifft (ΙΙΙ 2 1111b31– 33). Daher müssen wir wohl voraussetzen, dass der meinende Teil Behauptungen einer besonderen Art betrifft, nämlich solche, die sich unmittelbar auf das Aufsuchen und Meiden (diôxis und phygê) beziehen – Behauptungen also des praktischen und nicht des betrachtenden Denkens (VI 2 1139a24– 27).
8.3 Phronêsis: Die Tugend des Vorsatzes (prohairesis) (VI 2) Trotz der oben schon gegebenen Erläuterungen zu den Begriffen logistikon, bouleutikon und doxastikon, die als ergänzende Beschreibungen desjenigen Seelenteils zu verstehen sind, dessen Tugend die phronêsis ist, nichts scheint das Verhältnis der phronêsis zum Guten als Gegenstand des Strebens (orexis) schon zu erklären. Im Gegenteil: Aufgrund der Tatsache, dass die Überlegung sich auf die Mittel und nicht auf die Ziele bezieht, wird diese unerledigte Frage noch drängender. Diese große Lücke soll nun der folgende Abschnitt (VI 2) füllen: Also muss, da die ethische Tugend eine sich in Vorsätzen äußernde Disposition und der Vorsatz ein überlegtes Streben (orexis bouleutikê) ist, eben deshalb der logos wahr und das Streben richtig sein, wenn der Vorsatz gut sein soll, und was der logos bejaht und der strebende Teil verfolgt dasselbe sein. Dieses Denken (dianoia) und diese Wahrheit sind praktisch. […] Ursprung (archê) der Handlung – im Sinn des Ursprungs der Bewegung, nicht im Sinn des Zweckes (hou heneka) – ist der Vorsatz. […] Daher ist der Vorsatz entweder strebendes Denken (orektikos nous) oder denkendes Streben (orexis dianoêtikê), und der so geartete Ursprung ist der Mensch (VI 2 1139a22–b5).
Hier wird der Vorsatz in seinem engeren Sinn verstanden, nämlich als das, wozu weder die Tiere noch die Kinder fähig sind (I 9 1099b32– 1100a5). Und nur in dessen Innerem kann offenbar werden, was praktische Wahrheit bedeutet; denn im Gegensatz zum Bereich der einfachen Betrachtung dürfte hier die Wahrheit im engen Verhältnis zum Streben stehen. Mit anderen Worten: Die praktische Wahrheit ist nicht bloß die richtige Behauptung darüber, was den Dingen tatsächlich entspreche, sondern verbindet das Wissen, das Streben und die Handlung. Das entscheidende Moment ist, dass Denken und Streben innerhalb des Vorsatzes nicht als zwei verschiedene Fähigkeiten erscheinen, die bloß im
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Nachhinein miteinander übereinstimmen müssen; vielmehr ist hier das Streben nur dann richtig, wenn auch der logos richtig ist, und umgekehrt ebenso (siehe auch Charles 2015 und Reeve 2013: 123 – 136). Der Grund für das erste ist, dass das Streben richtig ist, wenn es der richtigen Überlegung gehorcht (I 13 1102b14– 1103a3). Das Streben stellt also nicht das Richtigkeitskriterium für die Überlegung dar. Seine eigene Richtigkeit drückt sich in den ethischen (nicht in den dianoetischen) Tugenden aus und setzt zumindest dies voraus, dass unser Erzieher phronimos ist, d. h. dass er imstande ist, über das zu verfügen, was Aristoteles „die ethische Tugend im eigentlichen Sinn (kyriôs)“ (VI 13) nennt. Daraus wird ersichtlich, dass die phronêsis nicht bloß die dianoetische Tugend ist, die das gute Handeln auf der Ebene des Individuums sichert, sondern auch diejenige, die auf der Ebene der Polis als Garant für die rechte Verfassung und die rechte Erziehung fungiert. Bei aller Mehrdeutigkeit in entscheidenden Fragen scheint dies die Lehre zu sein, die Aristoteles in X 9 vorträgt, wenn er vom Gesetzgeber spricht, und die er ebenfalls in VI 8 unterstreicht: „Von der mit dem Staat befassten phronêsis ist die leitende (architektonikê) Form das Gesetzgebungswissen (nomothetikê) (VI 8 1141b24– 25)“. Es mag zwar sein, dass auf individueller Ebene die ethischen Tugenden früher erworben werden als die phronêsis; gleichwohl ist es die dianoetische Tugend des Gesetzgebers diejenige, welche die Hauptrolle spielt (die Gründe dafür werden in Metaphysik Θ 8 im Einzelnen erklärt). Der Grund für das zweite ist, dass die Wahrheit des Denkens (dianoia) nicht praktisch, d. h. nicht dazu fähig wäre, uns zur entsprechenden Handlung zu bewegen, wenn das Streben nicht ‘richtig’ wäre. Das Denken (dianoia) wäre nicht imstande, die Wahrheit zu sehen, wenn es nicht auf dem Boden der ethischen Tugenden ausgebildet worden wäre (insbesondere dessen, was Aristoteles „die durch Gewöhnung entstandene Tugend“ (VII 9 1151a19) nennt). Denn diese allein bieten die Gewähr, dass wir die richtige Erfahrung von den Dilemmata, die sich im Bereich des menschlichen Handelns stellen, und von der Art und Weise, auf die wir mit den Lüsten umzugehen haben (VI 12 1144a29 – 31), erlangen werden. Daraus ergibt sich also folgendes komplexes Bild (vgl. Müller 2006: 92– 106): „Aus dem Gesagten ist also klar, dass man weder im eigentlichen Sinn gut sein kann ohne die phronêsis noch phronimos ohne die ethische Tugend“ (VI 13 1144 b30 – 32). In jedem Fall ist es wichtig, zu unterstreichen, dass der intellektuelle Aspekt der prohairesis zwei Momente umfasst: erstens die Überlegung, die praktische Syllogismen über „das, was zu den Zielen führt“ (ta pros to telos) (III 4 1112b12) zu vollziehen vermag, und zweitens den praktischen nous, der die praktischen Ziele, die man verfolgt, „bejaht“ (phanai), d. h. bewertet und bewilligt. Die phronêsis ist daher nicht nur die Tugend der Überlegung, sondern auch diejenige, die imstande ist, die Ziele der Handlung zu sehen und zu bewerten.
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Dieses Bild verlangt die Preisgabe einer dualistischen Humeschen Konzeption vom menschlichen Handeln, der gemäß schlechte Handlungen das Resultat eines äußeren Zwanges oder einer Macht seien, die ein minderwertiger Charakter auf sonst gut funktionierende praktische dianoetische Dispositionen ausübe. Die Verfechter einer solchen dualistischen Konzeption neigen zur Auffassung, dass die praktischen dianoetischen Dispositionen der Überlegung unabhängig davon, was unsere Strebungen (orexeis) sind, richtig funktionieren könnten, während die Strebungen von sich aus bestimmen würden, was wir für gut halten. Als Verfechter der Position, dass die ethischen Tugenden selbst den Inhalt des Guten bestimmen (vgl. Moss 2012), scheinen sie die Tatsache zu verkennen, dass ohne die Vermittlung der praktischen dianoetischen Dispositionen die Ziele den Status von Zielen noch nicht vollständig erlangt haben (in der Kantischen Philosophie wird das entsprechende Problem mit dem als ‘incorporation thesis’ bekannten Argument gelöst). Sie betrachten es als selbstverständlich, dass verschiedene Arten von Strebungen mit ein und derselben Art von dianoetischen Dispositionen kompatibel sein können. Dieses Bild entspricht aber nicht der kritischen Vorsatzanalyse des Aristoteles selbst, deren entscheidende Grundlage in der Annahme liegt, dass die dianoetischen und die ethischen Tugenden immer als in Übereinstimmung (homologia) miteinander stehend zu denken sind: Οrthos logos ohne rechtes Streben ist chimärisch und umgekehrt ebenso. Das ist der Grund, weshalb man sich an die Aristotelische Darlegung des Vorsatzes halten und sie dabei auf zwei verschiedene, einander ergänzende Weisen auffassen sollte: einerseits nämlich als eine deskriptive Analyse, welche die Tatsache anschaulich darstellt, dass Streben und Überlegung voneinander abhängig und daher miteinander kongruent sind, und andererseits als eine normative Analyse vom guten Vorsatz und dessen Bedingtheit durch den orthos logos und das rechte Streben, d. h. durch deren „vollständige Übereinstimmung“ (Pol., VII 15 1334b10). Die Übereinstimmung zwischen Streben und Überlegung wird also nicht zu einem normativen Kriterium erklärt; Kohärenz ist nicht gleich Richtigkeit. Wie aber Aristoteles selbst hervorhebt, darf der Vorsatz nicht als das Ziel unseres ethischen Handelns gedacht werden, denn „Ursprung der Handlung – im Sinn des Ursprungs der Bewegung, nicht im Sinn des Zweckes – ist der Vorsatz“. Ziel ist vielmehr die Handlung selbst, der Vollzug des Guten und die Erlangung des Glücks. Unterschätzt man diese Klarstellung, so vermag man die Sichtbarkeit des Guten nicht richtig einzuschätzen: Das Gute im eigentlichen Sinn des Wortes ist nämlich nichts, was im Inneren des Handelnden stattfindet, auch wenn die Möglichkeitsbedingungen für die Vollbringung guter Handlungen, d. h. die ethischen und die dianoetischen Tugenden, sich eben dort bilden und betätigen. Mit anderen Worten: Die Güte des Vorsatzes verflüchtigt sich, wenn dieser von den
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Handlungen selbst getrennt wird. Zwar ist es wahr, dass Aristoteles selbst bisweilen den Vorsatz von der Handlung entkoppelt und dabei behauptet, dass ersterer eher als letztere das echte Kriterium darstelle, welches das Vorhandensein der ethischen Tugenden bestätige (ΙΙΙ 2 1111b5 – 6,VIII 13 1163a22– 23); er fügt aber in Übereinstimmung mit dem Passus aus VI 2, den wir hier erörtern, eine entscheidende Erläuterung hinzu: „Allerdings ist strittig, ob für die Tugend der Vorsatz oder die Handlungen mächtiger (kyriôteron) ist, da die Tugend [nach allgemeiner Auffassung] in beidem liegt. Wohl, im vollkommenen Fall wird sie offensichtlich aus beidem bestehen“ (Χ 8 1178a34–b1). Der Vorsatz ist folglich nur dann relevant, wenn er in Handlungen verkörpert ist, denn die Güte stellt kein Prädikat dar, das dem Vorsatz unabhängig von der vollzogenen Handlung zuzuschreiben wäre. Aristoteles zieht nun folgenden Schluss: „und der so geartete Ursprung ist der Mensch“. Dies hat zur Folge, dass das moralisch Gute als das Produkt des Vorsatzes hinsichtlich dessen, was anders sein kann, lediglich durch den menschlichen Vorsatz in die Welt eintritt (VI 2 1139 b4– 5); denn bei den Tieren, wie wir gesehen haben, liegt kein Vorsatz im strengen Sinn des Wortes vor, und die Werke Gottes betreffen nicht den Bereich dessen, was nicht ewig ist, also nicht den Bereich des Vorsatzes (III 3 1112a21– 26). Einzig und allein die Handlungen selbst, zu denen dieser Vorsatz führt, machen folglich den ursprünglichen Topos des Guten aus.
8.4 Weitere Erläuterungen (VI 3 – 4) Nehmen wir an, dass wir hiermit bereits einen ersten Entwurf vom Verhältnis der phronêsis zum Vorsatz entwickelt haben. Eine solche Beschreibung ist indessen alles andere als ausreichend, um die phronêsis als dianoetische Tugend zu begreifen. Im Gegenteil: Eine ganze Reihe unbeantworteter Fragen ruft endlose Kontroversen zwischen den Interpreten der Nikomachischen Ethik hervor. Eine davon, vielleicht die entscheidendste, wenn es darum geht, ein Gesamtbild von Buch VI festzuhalten, ist die Frage, ob zwischen den dianoetischen Tugenden tatsächlich eine klare Unterscheidung bestehe, wie Aristoteles zu behaupten scheint (VI 3 1139b15 – 17). Diese Frage betrifft alle dianoetischen Dispositionen, die Aristoteles unterscheidet. Das Verhältnis z. B. zwischen der Wissenschaft (epistêmê) und der phronêsis ist überhaupt nicht klar, wenn wir nicht die sehr enge Wissenschaftsauffassung übernehmen, die Aristoteles hier vorschlägt, indem er die Wissenschaft auf denjenigen Erkenntnisbereich beschränkt, der das ewig Seiende betrifft. Aber auch das Verhältnis zwischen phronêsis und intuitiver Vernunft (nous) ist nicht so einfach, wie es zunächst erscheinen mag; denn die phronêsis enthält
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selbst eine Art ‘intuitive Vernunft’ in sich, da sie die Ursprünge (archai) der Handlung begreift. Das genannte Verhältnis wird umso komplexer, als Aristoteles in einer der schwierigsten Stellen der ganzen Nikomachischen Ethik ausdrücklich anerkennt, dass die intuitive Vernunft auch im Inneren der phronêsis tätig ist (VI 11 1143a32–b5). Noch komplexer ist aber das Verhältnis zwischen der phronêsis und der Weisheit (sophia). Der Leser muss hier versuchen zu verstehen, ob phronêsis und Weisheit zwei voneinander unabhängige Tugenden sind oder ob die phronêsis der Weisheit zu dienen hat (VI 13 1145a6 – 11) oder auch ob die Weisheit als die Tugend des theoretischen Lebens das Glück schließlich nur insofern zu sichern vermag, als sie die phronêsis enthält. Sind der phronimos und der Weise zwangsläufig ein und dieselbe Person oder wenigstens dieselbe Person in verschiedenen Momenten ihres Lebens oder handelt es sich eher um zwei verschiedene Personen (vgl. Gauthier & Jolif 1970 II.2: 849 – 866 und Lear 2000: 175 – 208)? Stellt vielleicht nur der Weise ein Ideal dar (Χ 7 1177b28 – 34)? Oder stellt doch vielmehr auch der phronimos – als gleichsam unfehlbarer Richter der menschlichen Handlungen und unfehlbarer Handelnder – einen idealen Typus dar? Diese und noch weitere Aporien lassen den Leser glauben, dass das Ziel des Aristoteles nicht ist, die phronêsis als ganz verschieden von den übrigen vernünftigen Dispositionen zu beschreiben, sondern eher zu zeigen, in welchem Sinn und auf welche konkrete Weise eine jede von ihnen in der phronêsis selbst enthalten ist: Die phronêsis ist „eine andere Art des Erkennens (gnôseôs)“ (EE VIII 1, 1246b36), eine Art „aisthêsis“ (VI 8 1142a27– 30), eine Art „theôria“ (VI 1 1139a6 – 8, VI 5 1140b7– 10), eine Art „Anfertigung“ (kataskeuê) (Pol., VII 13 1332a18). Wenn alle angeführten Unterscheidungen sich als undeutlich erweisen, dann kann man sich schon vorstellen, wie schwer die Unterscheidung zwischen dem Herstellungswissen (technê) und der phronêsis sein wird; denn diese dianoetischen Dispositionen gehören beide zum überlegenden Seelenteil. Auch ihre Gegenstände haben denselben ontologischen Status, da sie zu dem Seienden gerechnet werden, das auch anders sein kann. Überdies haben beide mit der genesis zu tun, da sie etwas hervorbringen, was seine Bewegungsursache in der menschlichen Initiative hat. Es ließe sich sogar sagen, dass die phronêsis – einer Formulierung aus der Politik gemäß – die Handlungen leitet und dass diese „Güter anfertigen und hervorbringen“ (Pol., VII 13 1332a18). Darüber hinaus enthalten beide die Geschicklichkeit als eine wertneutrale Möglichkeit in sich, ihr jeweiliges Ziel zu erreichen (VI 12 1144a28 – 29). Wie soll es also dann möglich sein, sie überhaupt voneinander zu unterscheiden? Bei der ersten Lektüre des Textes neigt man dennoch dazu, sie für völlig verschieden zu halten, wie Aristoteles selbst gleich fünfmal in wenigen Zeilen unterstreicht:
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Herstellen (poiêsis) und Handeln (praxis) sind zweierlei. Sie schließen sich […] auch nicht wechselseitig ein (VI 4 1140a2– 5) (siehe auch: ebd. a6, a16, b3 – 4).
Dieser erste Eindruck lässt indessen bald nach. Zum einen gebraucht Aristoteles selbst die Begriffe poiêsis und praxis nicht allzu streng: Sie fungieren manchmal zugleich als Gattungsbegriff (dem sowohl das Herstellen als auch das Handeln unterstehen) und als Artbegriffe. Zum anderen verwendet er immer wieder Beispiele aus dem Bereich des Herstellungswissens, um zu erläutern, was sich im Bereich der phronêsis abspielt; auf jenen Bereich wird deshalb zurückgegriffen, weil er unmittelbarer und verständlicher ist als dieser. Oft lassen aber solche Beispiele die Differenzierung zwischen beiden Bereichen verschwimmen. Es wäre an dieser Stelle wohl nützlich, ein schlichtes, bei Aristoteles selbst beliebtes Beispiel anzuführen. Der Soldat, der an der Schlacht mit dem Ziel teilnimmt, den bestmöglichen Ausgang herbeizuführen, verfügt über ein Herstellungswissen: Er kennt auf welche Weise er zu kämpfen hat, schätzt die besonderen Umstände der Situation ein, betätigt seine einschlägigen Dispositionen, überlegt und handelt entsprechend. Als ‘Hersteller’ hat er allerdings nicht zu entscheiden, inwiefern die Schlacht gerecht ist oder nicht und ob die Rolle des Soldaten lustbringend und mit seinem persönlichen Glück kompatibel ist. Die Entscheidung über sein technisches Wissen wird allein anhand des Ausgangs der Schlacht gefällt. Derselbe Soldat aber nimmt am selben Geschehen auch als moralisch Handelnder teil: Hier ist sein Urteil über das Gerechte wesentlich, so dass auch die Betätigung der ethischen Tugend der Tapferkeit als Bezwingung der Furcht um eines ‘werthaften’ (kalon) Ziels willen sowie das Verhältnis zwischen seinem Handeln und seinem Glück wesentlich sind. Das Kriterium hier ist nicht der Sieg in der Schlacht, sondern die richtige Bewertung der Situation im Hinblick auf ein Ziel, das dem menschlichen Glück Inhalt zu verschaffen vermag. Und diese richtige Bewertung spiegelt sich natürlich in der Handlung selbst wieder. Die nämliche Handlung lässt sich somit auf zwei verschiedene Weisen verstehen, von denen die eine Sache des Herstellungswissens, die andere aber Sache der phronêsis ist. Die Differenzierung dieser beiden Weisen des Verstehens entspricht jedoch keineswegs einer Unterscheidung zwischen einem Offenkundigen und einem Verborgenen: So wie die Tapferkeit des Soldaten, obwohl sie wirklich ist, im Falle einer Niederlage vielleicht nicht zutage tritt, so kann unter Umständen auch die Niederlage ihren Grund nicht in einem Mangel an Herstellungswissen des Soldaten, sondern z. B. an falschen Befehlen seitens des Feldherrn haben. In gleicher Weise lässt sich die Differenzierung zwischen Herstellung und Handlung nicht auf die Unterscheidung zwischen einem Äußeren und einem Inneren zurückführen. Ein solches Missverständnis wird zugegebenermaßen bisweilen vom Aristoteli-
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schen Text selbst gefördert; denn er lässt oft den Eindruck aufkommen, dass es bei der Herstellung allein auf das Endprodukt ankommt, wohingegen das Ziel der Handlung in dieser selbst liegt, da es das Gute (eu) derselben ausmacht, nämlich das gute Handeln (eupraxia). Diese Entgegensetzung ist aber irreführend, denn erstens hat auch das Endprodukt der Herstellung als solches nur insofern einen Wert, als es durch die dianoetische Disposition im Herstellenden selbst und nicht durch Zufall hervorgebracht wird (ΙΙ 4 1105a22– 26); und zweitens findet die moralisch relevante Handlung selbst außerhalb des Handelnden statt, sie ist nicht etwas, was sich in seinem Inneren abspielt, und fällt nicht, wie wir gesehen haben, mit dem Vorsatz zusammen. Aber auch wenn wir annehmen, dass die oben genannte flexible Lösung hinreichend ist und dass diejenigen, die Aristoteles vorwerfen, seine Unterscheidung zwischen Herstellung und Handlung sei falsch und widersprüchlich, im Unrecht sind, ist die Aporie noch nicht beseitigt. Und der Grund liegt darin, dass mindestens zwei Momente der Handlung, wie sie von der phronêsis geleitet wird, sie in eine Art Herstellung umzuwandeln scheinen. Das erste Moment lässt sich dort feststellen, wo Aristoteles das Verhältnis zwischen phronêsis und Weisheit hinsichtlich des Glücks thematisiert (VI 13): Das theoretische Leben ist unter anderem aus zwei Gründen die höhere Lebensform, zum einen weil es der Muße (scholê) entspricht und zum anderen weil der Vollzug der Theoria „nach keinem weiteren Ziel außer ihr selbst strebt“. Im Gegensatz dazu ist das von der phronêsis geleitete Leben, auch das Leben des aktiven Staatsmanns, „ohne Muße“ (ascholos); und, was noch wichtiger ist: „aus den Tätigkeiten des Handelns haben wir, außer der Handlung (para tên praxin), mehr oder weniger Gewinn“ (X 7 1177b1– 24). Doch gerade das Moment „para tên praxin“ (b3 – 4) stellte das Spezifische der Herstellung im Unterschied zur ethischen Handlung dar! Wohl gibt es Möglichkeiten, diese Schwierigkeiten zu beheben. Es lässt sich z. B. sagen, dass die hier aufgestellte Behauptung, das politische Leben sei „ohne Muße“, übertrieben ist, und in der Politik werden tatsächlich mehrere Seiten dem Nachweis gewidmet, dass das politische Leben über seine eigene Muße verfügt, unter anderem in der Musik (Pol., VIII 3 – 7). Ebenso kann man behaupten, dass moralisch relevante Handlungen nicht auf bloße Produkte reduziert werden, denn sie sind sowohl ein Ziel in sich selbst als auch ein Mittel zu etwas ihnen Externem, d h. zum Vollzug der Weisheit; oder auch, dass es bei ihnen kein produktartiges externes Output gibt, denn sowohl ihr eigenes Ziel (die Verwirklichung guter Handlungen) als auch das Ziel, den Vollzug der sophia zu unterstützen, sind beide derselben Art, da beide Formen der eudaimonia darstellen. Das zweite wesentliche Moment, das dazu tendiert, die phronêsis in Herstellungswissen umzuwandeln, tritt zum Vorschein, wenn Aristoteles die politische phronêsis thematisiert; denn die höchste, die leitende (architektonikê) Form
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der politischen phronêsis ist – wie wir bereits gesehen haben – das Gesetzgebungswissen (nomothetikê). Aber der Gesetzgeber ist doch in gewissem Sinn ein Hersteller: Er hat vor sich ein Material, das er auf angemessene Weise zu gestalten versucht, um so gut wie möglich das Ziel zu erreichen, eine vollkommene Polis zu schaffen (vgl. die in Pol. VII angeführten Anweisungen, wie die für den Staat erforderliche materielle Grundlage, z. B. die angemessene Bodenqualität oder der Zugang zur Meer, demselben verschafft werden kann). Der Gesetzgeber ist mithin ein „Handwerker“ (dêmiourgos) (Pol., II 12 1273b32– 34, 1274b18, VII 4 1325b41– 1326a5; vgl. Schütrumpf I: 84– 85, III: 215 – 216). Man darf aber wieder nicht voreilig darauf schließen, dass Aristoteles hier das politische Handeln mit der Herstellung oder die politische phronêsis mit dem politischen Herstellungswissen verwechselt; denn auch hier lässt sich z. B. zeigen, dass dennoch der Gesetzgeber politische Handlungen (im strengen Sinne des Wortes) ausübt (vgl. I 13 1102a8 – 10; Pol. IV 1 1288b27). Wichtig ist jedenfalls, dass der Leser die Unterscheidung zwischen phronêsis und Herstellungswissen nicht für offenkundig oder definitiv hält, sondern zu verstehen sucht, auf welche Weise die phronêsis ihre Eigenheit unbeschadet ihrer auf Anfertigung verweisenden Momente beibehält (vgl. Aubenque 1963: 41– 63 und Gadamer 1986: 317– 329).
8.5 Der Gegenstand der phronêsis: prakton (VI 5, 8) Indessen sind wir noch weit davon entfernt, die phronêsis als dianoetische Tugend zu verstehen, da eine dianoetische Tugend im Zusammenhang der Aristotelischen Ausführungen grundsätzlich von ihrer Funktion (ergon) (VI 1 1139a16 – 17) und somit vom Gegenstand her definiert wird, auf den sie sich bezieht. Wir haben bereits gesehen, dass die phronêsis in dem Sinn praktisch ist, dass sie zu Handlungen führt, wissen aber noch nicht genau, was Inhalt und Bedeutung dieser Handlungen sind. Die Definition der phronêsis sagt uns nun Folgendes: Es bleibt also, dass sie eine meta logou wahre Disposition des Handelns ist, die sich auf das bezieht, was für den Menschen gut oder schlecht ist (VI 6 1140b4– 6, 1140b20 – 21).³
Der Passus ist nicht eindeutig, zumal er in zwei verschiedenen Varianten überliefert ist: „hexin meta logou alêthê“ und „hexin meta logou alêthous“, von welchen gewöhnlich die zweite bevorzugt wird. Es ist hier nicht der Ort, die Bedeutung und die Konsequenzen der ersten Variante zu erörtern.
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Der Bezug auf das Gute für den Menschen (anthrôpinon agathon) ist außerordentlich unscharf. Wir wollen annehmen, dass dieses Gute für den Menschen mit der Verwirklichung des menschlichen Glücks im Zusammenhang steht. Aber auch so betrifft die Unschärfe sowohl die Bestimmung „für den Menschen“ als auch den Terminus „das Gute“. Beschränken wir uns hier der Kürze halber auf das erste. Zunächst soll klar gestellt werden, dass auch die Bestimmung „für den Menschen“ vom Bezug auf das Glück her zu verstehen ist: „Es gilt als Kennzeichen eines phronimos, dass er gut zu überlegen vermag über das für ihn Gute und Zuträgliche, und zwar […] darüber, was dem guten Leben im ganzen (eu zên holôs) zuträglich ist“ (VI 5 1140a25 – 28). Der Bezug auf das ‘Ganze des Lebens’ erinnert in der Tat an die Definition des Glücks in Buch I (I 7 1098a18).Während aber dieser Passus eine solche Klarstellung liefert, setzt er zugleich eine erhebliche Beschränkung: „das für ihn Gute und Zuträgliche“. Weshalb? Weil, wenn die phronêsis im Zusammenhang mit dem Vorsatz steht und dieser mit dem, wessen Ausführung uns überlassen bleibt, dann kann die phronêsis nicht Dinge betreffen, „die zu tun ihm [dem jeweiligen Menschen] nicht möglich ist“ (VI 6 1140a31– 33). Dieselbe Komplikation tritt auch auf der Ebene der politischen phronêsis zutage: [Perikles und Menschen seiner Art, die phronimoi sind,] können betrachten (theôrein), was für sie selbst und die Menschen gut ist (VI 6 1140b9 – 10).
Der Begriff „Mensch“ bedeutet offensichtlich eher den Bürger einer bestimmten Polis als die Spezies „Mensch“ überhaupt. Die Vorstellung ist, dass die phronêsis von Natur aus zu Handlungen führt, dass sie also „befehlend“ (epitaktikê) ist (VI 11 1143a8). Wenn es sich nicht darum handelt, ob ich eine konkrete Handlung vollziehen soll oder nicht, scheint die phronêsis irrelevant zu sein. Außerdem wird „kein Spartaner […] überlegen, was die beste Staatsverfassung für die Skythen ist“ (ΙΙΙ 3 1112a28 – 29). Damit die phronêsis aber imstande ist, zu erkennen, wie ich unter konkreten Umständen handeln soll, um das Glück zu erlangen, muss sie wissen, was das „wahre Gut“ überhaupt für die Menschen ist (VI 13 1143b21– 23). Mithin wird wohl die phronêsis über die Ursprünge (archai), auf die der Vorsatz sich gründen wird, oder sonst über allgemeine Wahrheiten einer gewissen Art verfügen müssen, oder sie wird z. B. auch „über die Seele Bescheid wissen“ (Ι 13 1102a18 – 19). Beim Übergang vom Individuum zur Polis und von der Polis zum Menschen überhaupt scheint es nicht mehr klar zu sein, was die phronêsis eigentlich ist; sie fängt an, sich eher als eine Art wissenschaftliche Erkenntnis auszunehmen denn als die Sorge um das Erreichen meines eigenen Glücks. Die Sache wird aber noch schwieriger, wenn wir berücksichtigen, dass als Gegenstand der phronêsis das prakton bestimmt ist. Obschon der Terminus „prakton“ allgegenwärtig in der Nikomachischen Ethik ist, hat er bislang nicht die
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Aufmerksamkeit auf sich gezogen, die er eigentlich verdient (siehe Kontos 2011: 9 – 31). Im Gegenteil: Aktuelle Übersetzungen und Interpretationen der Aristotelischen Ethik nehmen sich die Freiheit, ihn auf divergierende Weisen wiederzugeben, und zwar je nach dem, was sie jeweils als seine ad hoc Bedeutung annehmen. Prakton hat aber in Wirklichkeit eine zweifache Bedeutung: Es bezeichnet entweder das, ‘was innerhalb der Handlung und durch dieselbe realisierbar ist’, oder das, ‘was durch die Handlung bereits realisiert ist’. Es impliziert in der Tat einerseits Potentialität, d. h. in der Zukunft zu verwirklichende Möglichkeiten, so dass es sich mit ‘erreichbar’ oder ‘realisierbar’ angemessen übersetzen ließe. Das ist die Bedeutung, in der Aristoteles das Wort jedes Mal verwendet, wenn sich das prakton auf den Gegenstand der Überlegung oder des Vorsatzes bezieht (VI 2 1139b5 – 8). Diese ist allerdings nicht die einzige, nicht einmal die primäre Bedeutung der Verbaladjektive mit der Endung ‐tos. Solche Adjektive bezeichnen in ihrer gewöhnlichen und hauptsächlichen Bedeutung das bereits Vollzogene. Und das ist tatsächlich die Bedeutung des Terminus ‘prakton’ in mindestens drei Fällen (siehe z. B. Metaph., K 7 1064a14– 15): (1) Wenn das prakton das Ergebnis der Handlung angibt, wie im Fall des Staatsbeschlusses (psêphisma), der von der Volksversammlung gefasst wird: „Ein Staatsbeschluss ist, als das letzte (eschaton), prakton“ (VI 8 1141b27– 28). Staatsbeschlüsse sind deshalb ein Letztes, weil es sonst nichts gibt, womit sich der Staatsmann befassen soll, und auch keine weitere politische Handlung, die von der Volksversammlung unternommen werden soll. Sie sind ein jeweils Besonderes, weil politische Entscheidungen eher einzelne Staatsbeschlüsse hervorrufen, als dass sie eine Vielheit von Optionen bieten würden, die das Gesetz zulassen mag. In gewissem Sinn stellt mithin der politische Akt des Fassens eines Staatsbeschlusses durch Abstimmung die Verkörperung oder Kristallisation der politischen Überlegung selbst dar. Das prakton ist also ein terminus ad quem, da es das Endresultat der politischen Handlung ist (gegen Cooper 1975: 36). Staatsbeschlüsse werden somit als prakta definiert, nicht weil sie durch eine etwaige Beziehung zu einem künftigen Handeln etwas darstellen, in Bezug worauf weiter gehandelt werden soll, sondern insofern als sie dem Endresultat entsprechen, das die (politische) Handlung hervorgebracht hat. (2) Wenn das prakton den Gegenstand der Verständigkeit (synesis) angibt (VI 11 1143a32– 35), da diese nicht ‘befehlend’ ist, d. h. nicht etwas betrifft, was ich in Zukunft tun werde. Die Verständigkeit ist nur ‘urteilend’ (kritikê) und bezieht sich entweder auf die Handlungen anderer oder auf das, was ich selbst
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bereits getan habe;⁴ in jedem Fall ist sie nicht auf das „Zukünftige und Mögliche“ gerichtet (VI 2 1139b8). (3) Wenn der Gegenstand der phronêsis mit dem Gegenstand einer eigenartigen Wahrnehmung (aisthêsis) zusammenfällt (VI 8 1142a23 – 30); denn das Wahrgenommene ist per definitionem etwas Gegenwärtiges – d. h. es ist zugleich mit der Wahrnehmung, die es thematisiert – und nicht Künftiges wie der Gegenstand des Vorsatzes (VI 3 1139b21– 22). Weshalb ist denn diese zweite Bedeutungsdimension des prakton als des Ergebnisses der bereits vollzogenen Handlung so wichtig? Weil sie nachweist, dass die Tendenz verkehrt ist, die phronêsis ausschließlich als die Tugend des Vorsatzes zu verstehen, als ob sie allein das Treffen der richtigen Entscheidung hinsichtlich meiner künftigen Handlungen beträfe. Weit gefehlt: Die Tatsache, dass die prakta ebenso die vergangenen Handlungen meiner selbst und die Handlungen anderer Menschen, mithin auch solche, an denen meine Beteiligung oder Mittäterschaft unmöglich ist, umfassen, zeigt überaus deutlich, dass die phronêsis auch einen ‘wissenschaftlichen’ Aspekt hat, der oft unterschätzt wird. Es ist eben dieser Aspekt, der sich hinter den Hinweisen des Aristoteles verbirgt, dass die phronêsis die Ursprünge der Handlung erfasst (VI 5 1140b16 – 17), dass sie überdies, wie wir bereits gesehen haben, das Gesetzgebungswissen (VI 8 1141b25) umfasst und dass sie schließlich eine Art der Betrachtung (theôria) vollzieht (I 13 1102a23 – 23, VI 2 1139a7, VI 5 1140b9 – 10, VI 7 1141a25 – 26, VII 11 1152b1, X 9 1181b8). Angesichts dieses Tatbestandes ist es besonders wichtig zu klären, wie und ob überhaupt Aristoteles die phronêsis von der „politischen Wissenschaft (politikê)“ (VII 11 1152b1– 3), der „politischen Philosophie (philosophia politikê)“ (Pol., III 12 1282b23) oder der „philosophischen Untersuchung über die menschlichen Dinge (peri ta anthrôpeia philosophia)“ (X 9 1181b15) abgrenzt. In diesen Kontext ist auch die in der Eudemischen Ethik aufgeworfene Frage hineinzustellen, ob denn die phronêsis eine Wissenschaft darstelle. Und die Antwort darauf ist, dass sie „eine andere Art des Erkennens“ (EE, VIII 1 1246b35 – 36) sei, einfach weil sie nicht getrennt von den ethischen Tugenden gedacht werden könne, d. h. weil sie keine moralisch schlechte Verwendung des Wissens zulasse (EE, VIII 1 1246b4, b8 – 10, b32– 36). Dieselbe Frage wird auch in der Topik gestellt: „Manche halten die phronêsis für eine Tugend und eine Wissenschaft (epistêmê) zugleich“ (Top., IV 2 121 b31– 32). Zu diesen Leuten müssen wir wohl auch Aristoteles selbst rechnen,
Eine eingehendere Analyse der Verständigkeit würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen. Im Ganzen folge ich hier der Analyse des Eustratius, 368 – 370 Heylbut.
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wenn wir allein die Erläuterungen berücksichtigen, die er zum notwendigen Verhältnis des praktischen Wissens zur ethischen Tugend gibt.
8.6 Die phronêsis und die anderen dianoetischen praktischen Dispositionen (VI 5, 8). Nehmen wir nun an, wir hätten uns bereits eine erste Vorstellung von der phronêsis und deren Verhältnis zu den übrigen dianoetischen Tugenden gemacht. Nichtsdestominder verhindert eine weitere grundsätzliche Schwierigkeit das Verständnis der phronêsis; denn bisher haben wir die phronêsis als praktische dianoetische Disposition bloß von den übrigen Dispositionen des überlegenden und des wissenschaftlichen Seelenteils unterschieden. Die Frage, die sich jetzt stellt, ist die: Wenn die phronêsis die praktische dianoetische Tugend, d. h. die rechte praktische dianoetische Disposition ist und wenn die Tugenden überhaupt in ihrem Gegensatz zu den Schlechtigkeiten (kakiai), d. h. zu den schlechten Dispositionen, definiert werden, welche sind dann diese schlechten praktischen dianoetischen Dispositionen? Wo werden sie von Aristoteles angeführt und wie werden sie von ihm gegen die phronêsis abgegrenzt? Das dornige philosophische Problem, das hier aufkommt, lässt sich folgendermaßen formulieren: Aristoteles ist aus einem sehr schwerwiegenden Grund dazu gezwungen, sich mit der Annahme von nichttugendhaften praktischen dianoetischen Dispositionen abzufinden (siehe Kontos 2014). Hätte er sich nicht damit abgefunden, so müsste er einräumen, dass die einzige Art praktischer Ursprünge, die den moralisch Handelnden zugänglich sind, die richtigen oder wahren Ursprünge sind, zu denen die phronêsis ausschließlichen Zugang hat. Kein phronimos zu sein, käme dann dem gleich, allen Zugangs überhaupt zu praktischen Ursprüngen gänzlich beraubt zu sein. Das stände allerdings im Widerspruch zur kritischen These des Aristoteles, dass schlechte Menschen (phauloi) unwahre oder bloß scheinbar gute Ursprünge (phainomenon agathon) erfassen. Jedes Mal also, wenn Aristoteles sagt, schlechte Menschen würden durch das Verfolgen der Lust oder das Vermeiden der Unlust irregeführt (X 9 1179 b25 – 28), will er nicht behaupten, dass ihre Handlungen die Folge bloßen Strebens wären. Er lässt lediglich die einschlägigen dianoetischen Dispositionen vorläufig außer Betracht. Und die Frage ist also folgende: Welche sind diese nichttugendhaften praktischen dianoetischen Dispositionen? Aus Platzmangel gehe ich hier nur auf zwei solche ein, wobei auch die dianoetischen Dispositionen des akratês und des enkratês auf dieselbe Weise zu behandeln wären.
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Im Falle der ethischen Schlechtigkeit (kakia) stellt sich der Sachverhalt recht klar dar. Hier besteht die Unrichtigkeit im Missverstehen des wirklichen Inhalts des Guten. Schlecht (phauloi) sind diejenigen, die, obschon sie sehr wohl imstande sind, eine Art des praktischen Guten zu erfassen, es dennoch nicht schaffen, das wahre Gute herauszusehen: Für den hochwertigen Menschen (spoudaios) wäre [der Gegenstand des Wünschens] dann das, was in Wahrheit Gegenstand des Wünschens ist, für den Schlechten etwas beliebiges (to tychon) […]. Bei den Leuten aus der Menge (polloi) scheint die Täuschung durch die Lust zustande zu kommen. Denn sie erscheint auch in dem Fall als ein Gut, in dem sie es gar nicht ist (ΙΙΙ 4 1113a25–b1).
Die Unterscheidungen des Aristoteles setzen hier voraus, dass wir uns innerhalb des Bereiches befinden, in dem sich das Gute manifestiert, wobei die einzige weitere Herausforderung, der wir zu begegnen haben, darin besteht, das wahre Gute vom bloß scheinbaren Guten zu entkoppeln. Sowohl der Tugendhafte als auch der Niederträchtige stellen sich das Gute vor und wünschen es; aber die Lust (bzw. die Vermeidung der Unlust) verfälscht den Inhalt des Guten, denn das Unvermögen, das wahre Gute herauszusehen, bedeutet nicht, dass man für praktische Ursprünge überhaupt blind ist, sondern nur, dass man das scheinbare Gute für das wahre nimmt. Der zögerlich formulierte Vorschlag des Aristoteles ist, diese Disposition als eine Art von „Unwissenheit“ (agnoia) zu denken, die das Gegenteil der phronêsis darstellt (EE,VIII 1 1246b29). An anderer Stelle nennt er sie jedoch einfach aphrosynê (Mangel an phronêsis). Diesen Terminus verwendet er im ganzen Korpus seiner Schriften, um die dianoetische Disposition desjenigen zu bezeichnen, der irrt, indem er das Gute mit dem Schlechten verwechselt: VII 2 1146a27– 31; Rhet., Ι 11 1371a13, ΙΙ 1 1378a10, ΙΙ 4 1382a11; Pol., ΙΙΙ 11 1281b27; EE,VIII 1 1246b4– 7. Eben derselbe Terminus wird jedoch auch zur Bezeichnung des praktischen dianoetischen Zustands verwendet, der einer Art von akolasia eigentümlich ist. Zugegebenermaßen, indem er den Sachzusammenhang von Mäßigkeit (sôphrosynê) und Unmäßigkeit (akolasia) (III 9 – 10) zwischen diejenigen der Tapferkeit (andreia) (II 6 – 8) und Freigebigkeit (eleutheriotêta)) (IV 1) stellt, erweckt Aristoteles den Eindruck, dass weder der Schlechtigkeit der Unmäßigkeit noch der Tugend der Mäßigkeit ein besonderer Status zuzuschreiben ist. Buch VI 5 hingegen scheint ein ergänzendes Bild sowohl der Mäßigkeit als auch der Unmäßigkeit zu zeichnen, indem es ersterer eine wichtige Funktion, und zwar eine besondere Verbindung zur phronêsis zuweist:
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Daher geben wir auch der sôphrosynê (Mäßigkeit) diesen Namen, um auszudrücken, dass sie die phronêsis bewahrt (VI 5 1140 b11– 12).
Wenn die Mäßigkeit die phronêsis auf eine besondere Weise bewahrt, kann man sich nun fragen, ob auch die Unmäßigkeit eine ähnliche Besonderheit aufweist, indem sie die dianoetische Disposition der phronêsis gänzlich vernichtet. Nimmt man an, dass der unmäßige Mensch schlicht und einfach keinen Zugang zum wahren Guten hat, so sieht man sich unausweichlich gezwungen, die Unmäßigkeit mit einer schlichten Art von ethischer Schlechtigkeit zu identifizieren. Stattdessen verdankt sich die Besonderheit einer bestimmten extremen Unmäßigkeit einer Verwirrung nicht hinsichtlich dessen, was das wahre Gut impliziert, sondern hinsichtlich der Tatsache, dass bestimmte handelnde Personen keinen Zugang zu praktischen Prinzipien haben: Demjenigen aber, der durch Lust oder Unlust verdorben ist (diephtharmenos), zeigt sich sofort kein Ursprung (euthys ou phainetai archê), dass er zu diesem Zweck oder aus diesem Grund alles wählen und tun soll. Denn die Schlechtigkeit verdirbt (phthartikê) den Ursprung (VI 5 1140b17– 20).
Wenn Aristoteles die Unmäßigkeit in ihrem ausdrücklichen Kontrast zur Mäßigkeit einführt, geht es ihm darum, sie auf eine besondere Art von Lust einzuschränken, indem er die unkörperlichen sowie diejenigen Lustempfindungen, die mit unseren höheren Wahrnehmungssinnen verbunden sind, auslässt: Mäßigkeit und Unmäßigkeit beziehen sich auf diejenigen Lustempfindungen, an denen auch die anderen Tiere teilhaben, weshalb diese Empfindungen sklavisch und animalisch (thêriôdeis) erscheinen. Es handelt sich dabei um Tasten und Schmecken (III 10 1118a 23 – 26).
Mithin behandelt Aristoteles die Unmäßigkeit von vornherein mit Bezug auf die Tierheit. Diesem Ansatz begegnen wir bereits in Buch I, wo er erklärt, das dem Genuss gewidmete Leben sei gänzlich tierartig (Ι 4 1095b19 – 20). Noch mehr: Die Tierheit umfasst nicht bloß, was wir mit den niedrigeren Organismen gemeinsam haben, sondern weist überdies einen Bezug auf die Dispositionen auf, die uns (normalerweise) praktische Ursprünge erkennen lassen sollten. Das ist der Grund, weshalb Aristoteles nicht davor zurückschreckt, einzuräumen, dass die Unmäßigkeit „uns nicht als Menschen zukommt, sondern insofern wir Tiere sind“ (ΙΙΙ 10 1118b2– 3), und dabei gleichwohl unterstreicht, dass Tiere nicht als unmäßig anzusehen sind, da ihnen von Natur aus das praktische Denken fehlt. Die Erklärung für diese Verschiebung beruht auf dem Begriff der sterêsis (Privation): Die Unmäßigkeit ist deshalb tadelnswert, weil sie den Zustand des Menschen dar-
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stellt, der dessen beraubt ist, was unsere vernünftige menschliche Natur ausmacht. In demselben Sinn erklärt Buch III, dass der Zustand des Unmäßigen als vergleichbar mit demjenigen anzusehen ist, der Kindern zugeschrieben wird: Den Ausdruck ‘Unmäßigkeit’ wenden wir auch auf Fehler im Verhalten von Kindern an; denn diese Fehler haben eine gewisse Ähnlichkeit [mit den bisher beschriebenen]. [… ] Auch die Kinder leben ja nach der Begierde (epithymia) […]; wenn die Begierden groß und heftig sind, dann vertreiben sie auch die Überlegung (kai ton logismon ekkrouousin) (ΙΙΙ 12 1119a33–b10).
Mit anderen Worten: Die Fehler, die Kinder begehen, erscheinen insofern wie eine Widerspiegelung der Unmäßigkeit, als sie die Folge aus der Abwesenheit von Vernunft in ihrem Leben sind. Kinder unterliegen den Begierden, weil ihre Vernunft noch unterentwickelt ist, wohingegen unmäßige Menschen dasselbe erleiden, weil ihre alles zersetzenden Begierden über ihre Vernunft herrschen und sie vernichten. Offensichtlich ist diese kindische Einstellung – so fügt Aristoteles hinzu – keine Frage des Alters (Ι 3 1095a6 – 8); und die Unmäßigkeit soll das kindische Benehmen des erwachsenen Menschen charakterisieren. Im Gegensatz aber zu den Kindern verdient der Unmäßige Tadel für seine aktualen Dispositionen, denn er ist für die fortschreitende Entwicklung und Fixierung seiner unheilbaren Dispositionen für verantwortlich zu halten (ΙΙΙ 5 1114a19 – 20, ΙΙΙ 12 1119a21– 33). Das ist auch der Grund dafür, dass unmäßige Menschen für das politische Leben ungeeignet sind, so dass es gerechtfertigt ist, „die Unheilbaren schließlich ganz aus dem Staat zu verbannen“ (X 9 1180a9 – 10). Eine solche unheilbare ethische Disposition siedelt jedoch die Unmäßigkeit – gleich der tierischen Rohheit (thêriotes)⁵ – außerhalb der Grenzen der Schlechtigkeit, da es unserer menschlichen, d. h. vernünftigen, Natur widerspricht, unheilbar schlecht zu sein (V 9 1137a27– 30). Was ich hier hervorheben möchte, ist dies, dass die der Unmäßigkeit eigene aphrosynê nicht die Erfassung falscher praktischer Ursprünge, sondern eher einen gänzlichen Mangel an Zugang zu praktischen Prinzipien überhaupt mit sich bringt. Das bedeutet aber, dass unsere praktische dianoetische Disposition auf zwei verschiedene Weisen Schaden erleiden kann. Die eine ist die des phaulos, der zwar nicht die wahren praktischen Ursprünge zu erkennen vermag, aber dennoch fähig bleibt, gewisse praktische Ursprünge zu erfassen; die zweite hingegen ist die des akolastos, der überhaupt keine praktischen Ursprünge zu erkennen vermag und dessen praktische dianoetische Disposition gänzlich zerstört ist.
Es kann hier aus Platzgründen nicht gezeigt werden, dass dasselbe auch im Fall der tierischen Rohheit gilt, wie in VII 6 1149b34– 1150a8 dargelegt wird.
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Die Einsicht darein, dass diese beiden Formen von aphrosynê (wie auch die dianoetischen Dispositionen des akratês und des enkratês) von der phronêsis verschieden sind, wird einen erheblichen Einfluss auch auf die Art und Weise haben, wie wir die Aristotelische phronêsis überhaupt auffassen, da aus ihr eben klar wird, weshalb es verkehrt ist, sie mit der praktischen Vernunft zu identifizieren. Aus dem Englischen übersetzt von Dimitrios Yfantis
Literatur Aubenque, P. 1963. La prudence chez Aristote. Paris. Charles, D. 2015. „Aristotle on Practical and Theoretical Knowledge“, in: D. Henry and K. M. Nielsen (eds.), Bridging the Gap Between Aristotle’s Science and Ethics, 71 – 93. Cambridge. Cooper, J. 1975. Reason and Human Good in Aristotle. Cambridge Mass. Dirlmeyer, F. 1969. Aristoteles. Nikomachische Ethik. Darmstadt. Ebert T. 2006. „Phronêsis. Anmerkungen zu einem Begriff der Aristotelischen Ethik (VI 5, 8 – 13)“, in: O. Höffe (Hrsg.), Aristoteles: Nikomachische Ethik, 165 – 185. Berlin. Frede, D. 2008. „Auf Taubenfüßen: Über Natur und Ursprung des ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ in der Aristotelischen Ethik“, in K. Corcilius und Ch. Rapp (Hrsg.), Beiträge zur aristotelischen Handlungstheorie, 105 – 122. Stuttgart. Gadamer H.G. 1986. Wahrheit und Methode. Gesammelte Werke 1. Tübingen. Gauthier, A. R. and Jolif, J. Y. 1970. L’ Ethique à Nicomaque. Louvain-la-Neuve. Höffe, O. 20083. Praktische Philosophie – Das Modell des Aristoteles. Berlin. Kontos, P. 20132. Aristotle’s Moral Realism Reconsidered. New York. Kontos, P. 2014. „Non-virtuous intellectual states in Aristotle’s Ethics“, Oxford Studies in Ancient Philosophy XLVII/2, 205 – 243. Lear, G. R. 2000. Happy Lives and the Highest Good: An Essay on Aristotle’s Nicomachean Ethics. Princeton. Moss, J. 2012. Aristotle on the Apparent Good. Oxford. Müller, J. 2006. Physis und Ethos: Der Naturbegriff bei Aristoteles und seine Relevanz für die Ethik. Würzburg. Reeve, C. D. C. 2013. Aristotle on Practical Wisdom. Nicomachean Ethics VI. Cambridge: Mass. Schütrumpf, E. 1991 – 1996, Aristoteles. Politik. Berlin.
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9 Aristotle on Akrasia (VII 1 – 11) Aristotle asks himself in Book VII of his Nicomachean Ethics how a man can do what he knows to be wrong. Doing what one knows to be wrong is what he calls akrasia. On the one hand, it seems evident that akrasia occurs from time to time. On the other hand, Socrates declared that knowledge ought to rule in the soul and not be dragged about like a slave. He concluded from this authority of knowledge that in reality akrasia never occurs. Whenever we seem to see a man doing what he knows to be wrong, the truth is that the man does not know that his act is wrong; he is in error about the right and the wrong. This constitutes a difficulty or aporia. The common sense view that we sometimes do what we know to be wrong appears to contradict the Socratic view, itself also very convincing, that knowledge is commanding. How does Aristotle resolve this problem? Evidently he did not write nearly a whole book on akrasia in order to deny that it ever occurs. On the contrary, he always retained the common view that we sometimes do what we know to be wrong. This is probably what he is saying, though not without a certain ambiguity, in the passage where he first introduces the Socratic thesis, when he writes (1145b28) that this doctrine obviously goes against appearances and that the acratic clearly does not think so until he is in the passion – meaning, I suppose, that the acratic does not think that his act is permissible until he is in the passion. But what is the meaning of the mysterious words that come between the two phrases which I have just translated: “it being necessary to ask about the passion, if it comes about from ignorance, what sort of ignorance is involved”? Are they to be interpreted by reference to the Socratic thesis or by reference to the explanation of akrasia which Aristotle is going to develop in what follows? If we refer them to the Socratic thesis, we suppose that Aristotle is meaning to say to Socrates: “Since you hold that what we call akrasia is really ignorance, you ought to have told us what kind of ignorance we have here.” If we refer them to the view which Aristotle is about to set out we suppose that Aristotle is here saying, though so succinctly as to be almost incomprehensible, that he is going to satisfy Socrates by saying that there is a certain ignorance in akrasia,
Der Beitrag ist zuerst erschienen in dem Band von Richard Robinson, Essays in Greek Philosophy, London 1969; eine frühere, französische Fassung wurde 1954 als Vorlesung an der Sorbonne in Paris gehalten und erschien in Revue Philosophique. https://doi.org/10.1515/9783110578751-011
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but at the same time he is going to distinguish the nature of this ignorance so as to preserve the doctrine that the acratic knows that his act is wrong. Aristotle rejects as unacceptable that solution of the difficulty which consists in saying that the acratic does not know that his act is wrong but only believes that it is (1145b31 ff.). Aristotle takes this to mean that belief involves a less strong and sure conviction than does knowledge and that it is the weakness of the acratic’s conviction which makes it possible for him to disobey it. Aristotle rejects this solution on the ground that the man whose conviction is weak is pardoned, whereas the acratic is blameworthy. He seems to think that this solution amounts to another way of denying that akrasia in the proper sense can occur. In Chapter 3 [VII 5], Aristotle returns to this supposed solution and rejects it again, but now for a different reason. He now declares (1146b24 ff.) that the distinction between knowledge and belief does not necessarily involve any difference of certainty or conviction. Some who only believe are as certain as some others who know. With the humour that occasionally lightens the sombre theme of this book, Aristotle instances Heraclitus as a man who was perfectly certain although he did not know. These two ways of rejecting the solution are consistent with each other. One of them attacks the premiss. The other attacks the inference, implying that it is an ignoratio elenchi. Finally Aristotle gives us the four solutions which he considers correct. The first depends on distinguishing the time when we possess a certain piece of knowledge but are not using it from the time when we both possess and are using it. The latter is also called theôrounta, contemplating. Aristotle gives no example of what he has in mind; but no doubt he would have accepted the following. As I begin this sentence, you possess but are not using the knowledge that Greece is an arid land; as I end it, you are using it as well as possessing it, because I have recalled it to your minds. This is part of his great doctrine of potentiality and act, although he uses the word energei only twice in this chapter. To say that a man knows something is not to say that he is always thinking of it, nor that he is thinking of it now. Aristotle appears to mean that the acratic knows that his act is wrong in that he possesses this knowledge, but he can do the act because he is not at the time using this knowledge, not contemplating it. I hold that Aristotle accepts this solution and believes it to contain virtually everything necessary for the explanation of akrasia, since it shows how the acratic both knows and does not know that his act is wrong. He knows it, in that it is part of his permanent and general intellectual equipment. He does not know it, in that he does not use or contemplate it at the moment when he needs to do so, the moment of his acratic act. However, Aristotle adds three more solutions.
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The second of these four solutions consists in introducing his doctrine of the practical syllogism. According to Aristotle the motion of the human animal is sometimes governed by a syllogism. When such a motion constitutes a praxis, that is an action in the proper sense, it is perhaps always governed by a syllogism. Aristotle is never very precise in explaining this syllogism. For example, its conclusion sometimes seems to be an action, but at other times a statement. It is certain enough, however, that the premiss has two parts, one of which is katholou or universal and the other kath’ hekaston or particular. The universal premiss gives us a practical principle, such as “Every sweet thing should be tasted”. It is expressed sometimes by means of the verb dei or the verbal adjective in -teon, but sometimes also by a simple descriptive phrase such as “Dry things are good for every man”, or even “Everything sweet is pleasant”. Aristotle’s second solution consists in pointing out that it is possible for an agent, while possessing both premisses, to use only the universal premiss. Such an agent may do an act forbidden by the syllogism. Yet he possesses the forbidding principle, and therefore it is correct to say that he knows that the act is wrong. Aristotle adds that one can distinguish even more finely. Since the universal premiss will often contain two terms, such as, for example, “man” and “dry” in the premiss that “Dry things are good for every man”, it will need as it were two particular premisses to particularise each of these universal terms. Hence it can happen that an agent particularises one of these terms but not the other. This agent will use both the universal premiss and a part of the particular premiss, and still not do the act which the syllogism prescribes. We see that the second solution as well as the first consists in showing that the acratic both knows and does not know that his act is wrong. He knows it in that he possesses the principle in virtue of which his act is wrong. He does not know it in that he does not use this principle, or he does use it but he does not use the particular premiss that would put the principle into action, or he even uses part of the particular premiss but not the whole of it. Let us pass to the third solution. It is again a distinction, a subdivision. Aristotle now subdivides his “possessing but not using”. A sleeping man and a waking man may both possess the practical principle. But, says Aristotle, the sleeping man possesses it “in a manner other than those just mentioned” (1147a10); he “both possesses and does not possess it in a way”. Aristotle adds that such is the condition not merely of the sleeping but also of the mad and the drunk and the acratic. He assimilates akrasia to medical cases. (His ethics has a tendency to turn into medicine.) The acratic can even utter the words which express the knowledge and yet not be using it. For a moment Aristotle almost seems to want to say that during his act the acratic simply does not know;
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for he uses the expression isasi d’ oupô (“they do not yet know”). At any rate, this third solution amounts to saying that during his act the acratic possesses the knowledge that it is wrong only in a most attenuated way. Thus we find Aristotle tending for the third time to deny that the acratic fully knows the nature of his act while he is committing it. He seems to tend to believe with Socrates that knowledge cannot be outraged, and that it can be disobeyed only when it is not fully present. If we think, as some interpreters do, that in the end Aristotle is going to present akrasia as involving throughout perfect knowledge that the act is wrong, then this third solution at any rate is absolutely absurd and irrelevant. There remains, however, the following substantial difference between Socrates and Aristotle, that Socrates, as far as we know, never entertained the idea that the acratic’s state of knowledge might change importantly during the course of the transaction, in that he knew the nature of his act perfectly both before and after but not during the commission of it. Let us turn to the fourth and last solution. Here is no further distinction of senses of the word “know”. Aristotle begins by expanding somewhat the nature of the practical syllogism. He brings out now the aspect of necessity in this syllogism. Once the premisses have become one, he says, it is necessary, anankê, to act, to realise the conclusion at once. What a paradoxical thesis! And what a very Socratic thesis! I think it the most Socratic sentence in this fundamentally Socratic chapter. Even if we add, as Aristotle does not, that the agent knows the two premisses and is thoroughly convinced of them, the sentence remains extraordinary. In proceeding to illustrate it he greatly weakens it, for he says now that the act is necessary “if one has the ability and is not prevented” (1147a30); but it remains pretty Socratic and pretty extreme. What was his purpose in introducing it? Surely not in order to go on to say that one can do an act while possessing and fully using a syllogism that forbids that act. It is now very improbable that the fourth solution is finally going to reject the Socratic doctrine. I believe on the contrary that he introduces this practical necessity in order to prove that the acratic must do the wrong act because of a syllogism which imposes this wrong act upon him. For he speaks now of the complicated case where four things are present at once in the soul. (1) First, there is in the soul a universal premiss which forbids the man to “taste”, where to “taste” is probably to commit the acratic act, while the phrase, “there is in the soul”, enê(i) (1147a32), probably means that he possesses this premiss but is not using it. (2) Second, there is also in the soul another universal premiss to the effect that everything sweet is pleasant; and this premiss is actual, energei. (3) Third, there is also the particular premiss that this thing is sweet, a premiss which can set the second universal premiss into action. (4) Fourth, there happens to be a desire, epithymia, in the soul.
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What according to Aristotle is the result of this combination of four things in the soul? He seems to indicate three consequences. First, the first universal premiss orders the man to shun this thing; second, desire carries him away; and, third, it thus results that the acratic act accords in a way with a logos and an opinion being opposed to the correct logos only accidentally, and not in itself. This short and vague account makes us ask the following questions. What exactly does the first universal premiss say (for Aristotle does not tell us)? What is the particular premiss belonging to this first universal premiss (for he does not say that either)? And is the first and right syllogism completely actual in the soul of the acratic at the time of his act, or is it not? I answer as follows. In the other three solutions, and also in the early sentences of this fourth solution, it seemed clear enough that Aristotle was thinking that at the time of his act the acratic is not using in complete actuality every part of the right syllogism. I will suppose, therefore, that here too he thinks that the acratic is not using every part of the right syllogism, provided that the text allows me to do so. Does the text allow me? I see only one phrase that has any appearance of forbidding it, namely the phrase hê men oun legei pheugein touto, “the [first universal premiss] tells [him] to shun this” (1147a34). But it is not necessary to hold that by these words Aristotle intends to tell us that he is now supposing the right syllogism to be completely actual. The word legei is vague enough to mean no more than that the right universal premiss tends to forbid the act, and would forbid it if joined to its own particular premiss in actuality. It follows from this interpretation that the particular premiss belonging to the right universal premiss is not the same as the one belonging to the wrong universal premiss. For the latter particular premiss is actual in the acratic’s soul. Hence, if the two particular premisses were the same, the right syllogism would be actual in his soul, which on this interpretation it is not. The particular premiss of the right syllogism is not the same as the particular premiss of the wrong syllogism. What then, is the particular premiss of the right syllogism? We cannot tell. We can only conjecture. Similarly, therefore, we can only conjecture what is the universal premiss of the right syllogism, which also Aristotle does not tell us. The fourth solution continues with a remark about animals, and why they cannot be acratic (1147b4). I confess that I do not see the relevance of this. Possibly there is something hidden in this sentence which would disprove my interpretation if it were revealed. However that may be, my interpretation is strongly supported by the next phrase, “how the ignorance is dissipated and the acratic resumes his knowledge” (1147b6). For this phrase undoubtedly implies that some kind of ignorance
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exists during the acratic act; and one can hardly suppose that it refers merely to the first three solutions. It must imply that this ignorance also occurs in the circumstances supposed in the solution which stands nearest to it in the text, and that is the fourth solution. The next sentence begins with the words “Since the last premiss” (1147b9). It seems a little odd to talk of a last premiss when there are only two. Perhaps Aristotle is thinking of a sorites or chain of syllogisms, such as could easily be constructed out of examples which he gave earlier (1147a6 – 7). In such a chain there would be more than two premisses altogether. In any case this “last” premiss would be a particular premiss; and Aristotle now tells us that the acratic while “in the passion” either does not have this premiss or has it only as the drunk has the verses of Empedocles. This is another affirmation of the Socratic thesis that some kind of ignorance occurs during the acratic act; but it is not a strong piece of evidence for the interpretation of the fourth solution, because now, by mentioning the drunken man reciting Empedocles, Aristotle refers us back to the third solution; and he could have forgotten by now the intervening fourth solution. Aristotle does not say explicitly what the man will do if he has both syllogisms completely actual in his mind, nor whether such a state of mind is possible. Before beginning his discussion of akrasia, Aristotle had made some remarks on the character that the discussion ought to have (1145b2 – 7). These five lines are neither the only nor the longest passage in the Nicomachean Ethics where Aristotle teaches us what sorts of study ethics and politics are or ought to be. But they illuminate best the method that he tried to follow and the result that he wished to attain. He wishes to establish, if possible, all received opinions, endoxa. If that is not possible, he wishes to establish as many as he can of the more important received opinions. He limits himself to the removal of difficulties, and leaves standing every opinion that he is not compelled to reject. He will accomplish this design in three stages. First, he will list the opinions. That is to “posit the appearances” (1145b3); and he performs it in the last part of the first chapter of Book VII [VII 2]. Secondly he will raise the difficulties, tas aporias. He does that in the second chapter [VII 3]. Finally, he will resolve these difficulties, if possible without rejecting any received opinion; in any case he will reject as few of these opinions as he can. He does this in Chapters 3 to 10 [VII 4– 11; 1146b5 – 1152a5], which constitute the whole of the rest of his discussion of akrasia, and by far the largest part of it. It is a very modest programme. No grandiose construction. No metaphysic of morals. Aristotle does not look down on common sense. On the contrary, he subjects himself to common sense almost entirely. He thinks of his work as justifying
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rather than as superseding common sense. He ventures only to raise certain “unpleasantnesses”, dyscherê, and to make a few alterations in order to remove them. He carries out this programme in regard to akrasia. He notes and accepts the common opinion that akrasia occurs from time to time. That is to say, from time to time men do acts which they know to be wrong, owing to some passion. Then they are “ecstatic of reason”, as he puts it once; and this is a blameworthy state. But he notes also the opinion, maintained in the most striking way by Socrates, that the knowledge a man possesses cannot be overcome, or dragged about like a slave, by anything else in his soul. The words in which he here reports Socrates (1145b24) remind us strongly of the thesis that epistêmê (knowledge) is something that leads (hêgemonikon) and rules (archikon), which Plato had made his “Socrates” maintain in his Protagoras, 352 B. Aristotle accepts this opinion too. What he does not accept is the view that the Socratic thesis is inconsistent with the ordinary opinion that akrasia occurs from time to time. He confines himself to showing, by means of his doctrines of potentiality and of the syllogism, that the two propositions are consistent, so that we are not obliged to reject either of them. He removes the difficulty and leaves the received opinions standing. That is in his view a sufficient demonstration (1145b7). For the solution of the difficulty is a discovery (1146b7). No more extraordinary discovery is to be looked for in this matter.
Objections to this interpretation Several objections have been made against this interpretation. In the first place, it is objected that, if Aristotle had explained akrasia as I have said he did, he would have left unexplained the most essential and most paradoxical kind of akrasia. For pure essential akrasia occurs, it is said, when a man does wrong although he understands perfectly and completely, at the very moment of doing the act, that it is wrong. That, precisely, is the essence of akrasia, and also the only kind of akrasia that needs explaining. But on my interpretation it appears that the only kind of akrasia that needs explaining is precisely the only kind that Aristotle does not explain. For on my view every one of the four solutions amounts to saying that the acratic, at the time of his act, does not have fully in mind all the parts of the practical syllogism that ought to govern it. And, it is said, one cannot believe that Aristotle was so stupid. My answer consists of two remarks. I remark first that everyone agrees that the first three solutions consist in saying that, in one way or another, the acratic does not keep all the parts of the syllogism active in his mind throughout. If then
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it is true, as the objection declares, that this sort of akrasia does not need to be explained, Aristotle has been in any case pretty stupid in introducing these three solutions. In fact, these interpreters are embarrassed by these solutions, because in their opinion they do not bear on the real question. They are obliged to use the word “dialectically”, and to declare that Aristotle is here speaking dialectically and when he speaks dialectically he is not serious. But what good reason could Aristotle have had to introduce into his discussion a page that was not serious? I think we do better to suppose that Aristotle is serious in his first three solutions as well as in his last. And from this supposition it follows that Aristotle himself did not consider it superfluous to explain the case in which the practical syllogism is wholly present in the mind of the man who does a wrong act. I believe on the contrary that he would rather have been stupid if he had tried to do that, because this case does not occur. It is a wholly imaginary case, whereas Aristotle wished to explain realities. It does not happen that a man sets himself to consider, in its totality and all its parts, an argument forbidding him to do a certain act, while at the same time he yields to a strong desire and does as the desire wishes. The human mind is not adapted to do two things at the same time while giving full attention to each. During the crisis of his passion the acratic can hardly even remember the words that would express the argument. If by exception he does still remember the words, he does so only like a drunken man reciting verses by Empedocles without understanding them, as Aristotle remarks. I turn to the second objection to my interpretation. It is in a way an attempt to revive part of the first objection, by saying that, however absurd it may seem to us to set out three solutions that are not serious, Aristotle himself tells us that he has done this, when he introduces his fourth solution with the word physikôs. The fourth solution is indeed described as physikôs. We are told that this implies that the first three failed to reach the nature or physis of the thing. And this in turn implies that we must not interpret the fourth solution as introducing once more the feeble idea that the acratic does not have the syllogism wholly present in his mind. I reply as follows. When we read in the works of Aristotle the eleven cases of physikôs theôrein etc. listed by Bonitz (1870), we find that a paragraph or a thought is sometimes called physikôs by Aristotle in order to mark some very general difference between this thought and the preceding ones, although it concerns the same topic. The preceding thoughts are sometimes contrasted as logikôs or katholou, though not in our chapter. We find also, I admit, that Aristotle sometimes seems to be suggesting that the physikôs thought is a better thought and provides a point of view from which the topic appears more distinctly. But I do not find that physikôs thought is always better than logikôs thought according to Aristotle. I find rather that he meant that physikôs thought is better when one
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is dealing with physics, and that he sometimes wished to reproach certain philosophers for having treated physics rather as philosophers than as physicists, a criticism which his own eminence as a physicist gave him the right to make. I do not find him thinking that physikôs thought is also the best in inquiries other than physical. It seems probable to me that Aristotle would have held that, just as it can be dangerous to trust to logikôs thinking in physics, so it can be dangerous to trust to physikôs thinking in logic. In our chapter the first three solutions are logikôs, though Aristotle does not say so. They give us no information about nature (though the third has much appearance of doing so). Instead of this, they offer us logical distinctions, between having and using, between the two premisses, and finally between two levels of having. And that is what counts in this matter. To explain how a man can do what he knows to be wrong, although knowledge is powerful or even omnipotent, we need, not facts about human nature, but a logical division of the sense of the word “know”. Aristotle adds a physikôs explanation, not in order to get down at last to the question, but rather to satisfy those unfortunate persons who cannot distinguish philosophy from psychology. If you ask me, he says in effect, for information about the acratic’s state of mind, I will give you some: the acratic often has in mind a kind of logos, a syllogism of sorts, not indeed the one he ought to have, but another one, favourable to his act. Though Aristotle does not say so, I think I hear him adding under his breath: “But this pretty psychological story has nothing to do with our question, the answer to which still resides in the logical distinctions I have drawn between the different kinds of knowing.” We note that a little later he refers us to “the physiologers”, if we wish to know “how the ignorance is dissipated and the acratic resumes his knowledge” (1147b6 – 9). That is physics, not ethics. I pass to the third objection. We have been told in Book III, chapter 1, that an act is involuntary, akôn, if the agent does not know all the particulars of his act. Let us take the case of Oedipus. Aristotle seems to be telling us here that Oedipus killed his father akôn, in that he did not know that the man he killed was his father. The objector infers from this that on my interpretation the acratic act is involuntary, because the absence of the minor premiss is the absence of the knowledge of a necessary particular. But an involuntary act is innocent, whereas the acratic act is blameworthy. A contradiction! The objector proposes to remove the contradiction by denying my view that Aristotle maintains throughout that in akrasia the important syllogism is not fully present. I reply as follows. Oedipus’ ignorance about the man he killed was not the ignorance of a moment or merely of the last degree. Oedipus did not, as soon as the man was dead, come to his senses and exclaim: “I have killed my father”. It
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was not until many years afterwards that he learned for the first time that the man was his father. Thus his parricide was genuinely involuntary. He had never known the important fact. The acratic, on the contrary, knows the important fact perfectly well before he commits his act, and he will know it again as soon as the act is done and the desire assuaged. He has this essential knowledge, in the technical sense that Aristotle gives to echein, throughout the duration of his act, and before it, and after it. He also uses it, chrêtai, before and after his act. During his act he does not use it. He is blameworthy nevertheless, because he has the knowledge all the time. I pass to the fourth objection, the last objection against my view that I shall mention. This is drawn from the words which Bywater gives us as follows: ou gar tês kyriôs epistêmês einai dokousês parousês ginetai to pathos, oud’ hautê perielketai dia to pathos, alla tês aisthêtikês (1147b15 – 17). Bywater mentions no other importantly different reading. Tês aisthêtikês what? Tês aisthêtikês [epistêmês], undoubtedly, although this phrase never occurs and virtually contradicts Aristotle’s epistemology. Also without doubt, this “aesthetic” or perceptual knowledge is what the minor premiss gives us. The sentence opposes this perceptual knowledge to some other knowledge which is kyriôs. Apparently we must conclude that kyriôs knowledge is what is given in the major premiss, that is to say, the moral principle which the acratic disobeys. It follows that the first part of the sentence tells us that “the passion”, that is the acratic act, does not occur in the presence of the major premiss. Hence it occurs only when the major is absent. Hence it is the absence of the major premiss which explains akrasia and makes it possible, not the absence of the minor as my interpretation maintains. I reply that the reasoning is correct; but I conclude, not that on account of this one strange sentence we should abandon the view we have collected in reading the whole of the rest of the chapter, but that the text of these strange lines is corrupt and requires emendation. There are two further reasons for thinking that this text is corrupt. (1) The words dokousês parousês have a suspicious sound. (2) The sentence as it stands contradicts itself. We have seen that its first part means that akrasia is caused by the absence of the major premiss. But its second part denies this: oud’ hautê perielketai dia to pathos. That is, akrasia does not cause absence of the major premiss. It cannot achive that. It can only render the minor premiss inactive. The major, which is the real knowledge, remains unmoved during the acratic act. How are we to emend? I know nothing better than Stewart’s (1892) periginetai: ou gar tês kyriôs epistêmês einai dokousês periginetai to pathos. “The passion does not overcome what seems to be the real knowledge; it is not this which is dragged about by the passion but the perceptual knowledge.” With this emendation the sentence no longer conflicts with my interpretation but confirms it.
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Criticism of Aristotle on akrasia It has been objected to Aristotle that his account of akrasia tells us nothing about the moral struggle, the struggle that a man wages sometimes against a desire and for a moral principle. This is true. But it was not the intention of Aristotle to do so. What he wished to do here was to analyse how one can act contrary to one’s principles, whether this act occurs after a struggle or not. He notices elsewhere that such a struggle is possible (1102b17). A second objection is that this account explains only one of the two forms of akrasia. Aristotle says later (1150b19 ff.) that there are two sorts of acratic men, the impetuous, who are carried away by the passion because they have not deliberated, and the weak, who deliberate but, owing to the passion, do not abide by the result of their deliberation. My teacher, Sir David Ross, has written that Aristotle’s account of akrasia explains at best only the akrasia of impetuous men, not also that of weak men. I take him to imply that, whereas according to Aristotle one commits an acratic act only when some part of the relevant practical syllogism is not completely actual in the mind, in weak akrasia everything is perfectly actual because the man has deliberated. I think that this objection fails. The weak acratic has indeed deliberated about everything; but it does not follow that the passion cannot still drive out of his mind the premiss which was in it for a time. Aristotle’s view is, I think, as follows. The weak acratic deliberates and actualises the whole of the practical syllogism. But his passion, when it becomes strong, drives some part of the syllogism out of his mind for a moment; and during that moment the acratic commits his act. As to the impetuous acratic, since he never has deliberated, the question how he can do an act that he knows to be wrong does not arise in his case. He has never known that the act is wrong, because he has never realised the minor premiss, because he has not reflected. He is acratic nevertheless, provided that he knows the major premiss, the moral principle, that ought to have operated here. A third objection, also to be found in Sir David Ross’ book (1949, 224), is that the cause of akrasia lies not in lack of knowledge but in weakness of will. It is held sometimes that the Greeks could not explain akrasia because they lacked the concept of the will. In rejecting this objection, I make use of an idea drawn from Gilbert Ryle’s The Concept of Mind (1949), namely that weakness of will is not the cause but the form of akrasia. Akrasia is not the effect of weakness of will; it is one of the kinds of weakness of will. To say that akrasia is a weakness of will is to explain it neither more nor less than one explains a crow by saying that it is a bird. Such an explanation is certainly worth giving;
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but this does not entail that the sort of explanation given by Aristotle is either false or superfluous or even inferior. The same thing admits of several kinds of explanation. A fourth objection seems better founded. It is necessary to criticise questions beginning with the word “How?” or “Pôs”; “How does a man with the right view act acratically?” (1145b21). The question “How?” is perfectly proper in practice. “How can I get to Lyons? – By taking a train or a plane, sir.” “How do you do that conjuring trick, sir? – Excuse me, madam; it is a secret.” These “Hows?” are perfectly correct. They are requests to be told the means which someone uses to achieve a certain end. But in intellectual enquiries, for example when one asks how a man can act contrary to the right, it is a different matter. Here we are not supposing that the acratic possesses some wonderful secret which we want to extract from him. We are not supposing that the acratic has at his disposal some superior means of doing wrong. We are simply supposing that the acratic cannot do wrong. “How can he?” is a way of saying “He cannot”. I suggest that this expression is ill conceived, and that it is a somewhat insincere way of maintaining that akrasia cannot occur. If someone asks you how a man can do what he knows to be wrong, I suggest that you had better reply as follows: “Experience shows clearly that it is possible to do what one knows to be wrong; so why do you suppose that it is impossible?” By this manoeuvre you will make it clear that it is not you but he who ought to give an explanation. For it is he and not you who has asserted a thesis that contradicts experience. Therefore it is he who ought to justify himself. He ought to give you some reason to believe his paradox. If he does not, there is no reason in the world why you should accept it. But he does not. On the contrary, by disguising his thesis as a question beginning with “How can?”, he succeeds in making you think that it is you who are the debtor and the unreasonable man. Had Aristotle any reason to believe the paradox that a man cannot do what he knows to be wrong? Yes: he believed, like Socrates, that knowledge is stronger than anything else in the mind of a man. “When knowledge is present, thought Socrates, it is an awful thing that anything else should master it and drag it about like a slave” (1145b23). Like Socrates, Aristotle believed that knowledge is always commanding. Socrates concluded that akrasia does not occur. Aristotle tries to show that akrasia can nevertheless occur, not without raising certain suspicions. But this is too troublesome a way of attaining the end. The simple and good way is to deny the thesis that knowledge is always commanding. It is evident in our experience that it is not always so. If we do this, we no longer need any question beginning with “How can?” We need this kind of question only when we deny some fact of experience.
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Perhaps you will agree with what I have just said and still demand some explanation of akrasia. For perhaps you will say that it is not enough to submit to experience and recognise the fact of akrasia; we must also understand this strange and repellent fact; we must see something of its place in the totality of human nature. You are right. We must do so; and it will probably be an endless task. For the present, however, I offer you only one thought, a thought which, if true, must help us a little to understand akrasia. It is the thought that moral principles are not discoveries but resolutions. When we adopt a moral principle, we are not deciding how the world is made, but how we are going to act. The principle that one ought not to kill, for example, does not reveal the composition of the world, nor the orders of a god. It takes a stand with regard to the world. The adoption of it constitutes a sort of generalised choice. If this is so, it follows that when a man acts acratically he acts not contrary to a known fact, so to speak, but contrary to a decision he has taken. Akrasia is not like going through a wall by means of a door which one knows does not exist. It is more like visiting Cologne after having decided not to visit Germany. These considerations make akrasia more intelligible by putting it into that huge class of contradictions, hesitations, vacillations, incoherences, and absurdities of every kind, which composes a large part of our practical life. Akrasia seemed more mysterious than it is to Aristotle because he assimilated morality to science, in that he regarded the principles of morality as statements of fact, which it would be as impossible to disregard as to disregard a wall that barred our path.
Criticism of Aristotle on akolasia Who is this acolastic man of whom Aristotle speaks in Book VII? I doubt whether such a person exists. He is not the acolastic of whom Aristotle spoke in Books II and III. In those books akolasia was not contrasted with akrasia, for Aristotle did not mention akrasia; it was opposed to temperance, and consisted in pursuing a certain kind of pleasure excessively because one was led on by desire. The acolastic had no principle or logos; he was simply led on by desire. And Aristotle did not say whether he afterwards regretted his actions. In Book VII, on the contrary, the acolastic is contrasted with the acratic rather than with the temperate man; and he appears as a man of principle. He possesses a logos; he obeys his logos; and he does not regret having obeyed his logos. What is the logos of the acolastic? It can hardly be the logos that “I ought to pursue excessive pleasures”. For if he used the word “excessive” he would be
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condemning himself; and I think Aristotle would have recognised this. But if he condemned himself he would be acratic and not acolastic. It is the acratic who condemns himself. The acolastic has a clear conscience about himself. We find in the text the principle that “everything sweet should be tasted” (1147a29). Is this one of the acolastic’s principles? If it were the acolastic would certainly be a mythical person; for there has never been anybody who adopted the principle that everything sweet should be tasted. But I think that Aristotle is not here intending to tell us one of the acolastic’s principles. I think rather that he is giving us one of those inappropriate and even absurd examples which unfortunately are not rare in his work. We read also that the acratic is not persuaded “that he ought to pursue such pleasures unrestrainedly” (1151a23). Are we to understand that the acolastic, on the contrary, adopts precisely the principle “that he ought to pursue such pleasures unrestrainedly”? The answer, I believe, is more or less yes. But to answer the question what principle Aristotle attributes to his acolastic the safest passage is 1146b22, where he expressly says that the acolastic “is led on intentionally, holding that one ought always to pursue the present pleasure”. This principle is a bad one according to Aristotle. For the badness of the acolastic consists in his principle’s being bad. It does not consist in his disobeying his principle; for on the contrary he obeys it. Does Aristotle think that the acolastic himself considers his principle bad? He does not explicitly answer this question. But I think he would answer no. For it seems that, if the acolastic himself considered his principle bad, he would thereby too much resemble the acratic, though in a strange and obscure way. So it is only Aristotle who considers the principle bad. The acolastic considers it good. And which of them is right, the acolastic or Aristotle? If we insist on the “always”, it is evidently Aristotle who is right. There is, unfortunately, no practical principle that one can always follow without ever being in the wrong. But, just because this is too obvious, we ought to doubt whether an acolastic of this sort ever occurs. If, on the contrary, in order to avoid making the acolastic into a man of straw, we do not emphasise the “always”, it becomes much less certain that it is Aristotle who is right. It seems to me that there are fewer men who on principle seek the present pleasure too much than there are men who on principle seek the present pleasure too little. Against puritanism we need to insist that “we ought to pursue the present pleasure”. This is a duty deriving necessarily from our great duty to alleviate human misery. The duty to restrain our appetite, which of course is often incumbent on us too, also derives from some moral rule justified by the same end, that is, the diminution of human misery.
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Aristotle does not discuss the principle with the acolastic. He does not discuss practical principles at all. He hardly even expresses them. I venture to say that this is the greatest defect in his ethics, which nevertheless are magnificent. He did not grasp the fact of moral relativity, the fact, I mean, that sometimes two men, though equally serious and conscientious and obedient to their consciences, nevertheless find their consciences uttering opposed principles. Owing to this fact, we ought to debate moral principles, to discuss them, to defend them, and not to reject other people’s principles as evidently false because they do not harmonise with ours. Once we have realised that, among the men who act in ways we disapprove, there are some who do so not because they have no conscience, nor because they flout their own conscience, but because they obey their own conscience and their conscience tells them to act so – once we have realised that, what are we to do? We must not use disapproving words like “acolastic”. Nor must we use the medical metaphor, as Aristotle too often does, and regard these men as patients to be cured, and even to be cured against their will. The man whose moral principles conflict with mine is to be neither cured nor insulted, but persuaded. I must reason with him and try to convince him; and I must always admit the possibility that in the end it will be I, and not he, who ought to change. But Aristotle denies the possibility of a rational discussion of the principles of morality. He declares that there is no logos to teach the principles: “neither there nor here can the logos teach the principles”, where “here” refers to practice (1151a18). He recognises only nature and habituation as teachers of morality. That seems to me a great despair. If one day Aristotle happened to think that perhaps he himself had been ill endowed by nature, or ill trained by his teachers, what would he do to reassure himself, either by confirming his principles or by exchanging them for better ones? According to his own theory he could do nothing at all. He says that the bad man does not know he is bad (1150b36); what if one day he overheard this “bad” man saying to a friend: “Aristotle does not know that he is bad”? I believe that we ought to confess our moral principles, and try to make them probable (not to prove them; one cannot prove practical principles), and seek also the reasons against them, and listen to and weigh the principles and reasons of others. By this method we may hope to be always purifying our principles and making them more serviceable for their end, which is the diminution of human misery. It is more or less the same method of approximation as we also follow in the pursuit of the truth about nature. If we adopt this method we continually progress a little towards the end. If we adopt the method of Aristotle we never progress at all, so that, unless we have had the extraordinary
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luck to be established right on the end by our teachers, we shall never get any nearer to it.
Literature Davidson, D. 1985: Wie ist Willensschwäche möglich? in: ders., Handlung und Ereignis, Frankfurt/M., 43 – 72. Hardie, W. F. R. 1971: Aristotle on Moral Weakness, in: G. Mortimore (Hrsg.), Weakness of Will, London. Kenny, A. J. P. 1966: The Practical Syllogism and Incontinence, in: Phronesis 11 (1966), 163 – 184. Rorty, A. O. 1980: Akrasia and Pleasure: Nicomachean Ethics Book 7, in: dies. (Hrsg.) 1980, 267 – 284. Ross, D. 51949: Aristotle, London. Santas, G. 1969: Aristotle on Practical Inference, the Explanation of Action, and Akrasia, in: Phronesis 14 (1969), 162 – 189. Wiggins, D. 1980: Weakness of Will, Commensurability, and the Objects of Deliberation and Desire, in: A. O. Rorty (Hrsg.) 1980, 241 – 265.
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10 Wert und Wesen der Lust (VII 12 – 15 und X 1 – 5) In der Nikomachischen Ethik finden sich zwei Abhandlungen über die Lust. Der erste folgt auf die Ausführungen über die Willensschwäche in Buch VII (VII 12– 15; im folgenden: A); die zweite steht vor den Kapiteln über das Glück in Buch X (X 1– 5; im folgenden: B). Der unterschiedliche Zusammenhang kann die Tatsache, daß sich innerhalb des einen Werkes zwei Abhandlungen über dasselbe Thema finden, nicht erklären, denn sowohl A als auch B verweisen in ihrer Einleitung auf die zentrale Bedeutung, die das Thema für die gesamte Ethik hat, und erheben so den Anspruch, es ohne Einschränkungen zu diskutieren. Was vor allem ins Auge fällt, ist, daß A und B die Lust verschieden definieren. A setzt sie mit der unbehinderten Tätigkeit gleich (1153a14 f.), während sie nach B eine zur vollkommenen Tätigkeit hinzukommende Vollendung ist (1174b33). Der Streit der Interpreten geht um die relative Datierung und die sachliche Überlegenheit. Buch VII zählt zu den sogenannten kontroversen Büchern (V, VI, VII), d. h. den Büchern, welche die handschriftliche Überlieferung sowohl der Nikomachischen Ethik als auch der Eudemischen Ethik zuweist. Die relative Datierung und Bewertung von A können daher nicht getrennt werden von der Frage, ob Buch VII ursprünglich zur Nikomachischen oder Eudemischen Ethik gehörte.¹
10.1 Fragestellung Im folgenden wird eine Sachinterpretation versucht, die A und B anhand von Kriterien wie Kohärenz, Einfachheit und Vollständigkeit bewertet. Dabei geht es nicht nur um Probleme, die innerhalb der beiden Abhandlungen formuliert werden; die Einleitungen rechtfertigen vielmehr die Erwartung, daß A und B auch Antworten geben auf Fragen zu Lust und Unlust, die sich aus anderen Stellen ergeben. Eine entwicklungsgeschichtliche Hypothese ist ebensowenig beabsichtigt wie eine philosophiehistorische Identifizierung der Positionen, mit denen
Nach Festugière (1936) ist B die spätere und sachlich reifere Darstellung. Die beiden Definitionen seien nicht unvereinbar, aber die von B stelle gegenüber der von A eine Präzisierung dar. Festugières Ansicht hat breite Zustimmung gefunden; so sind ihm u. a. Lieberg (1958 [1953]), Dirlmeier (91991) und Gauthier-Jolif (21970) gefolgt. Sie wird von Webb (1977), Kenny (1978) und Gosling-Taylor (1982) mit jeweils verschiedenen Argumenten angegriffen. https://doi.org/10.1515/9783110578751-012
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Aristoteles sich auseinandersetzt; bei ihnen geht es ausschließlich darum, die Argumente zu verstehen. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Zwischen A und B bestehen sachliche Unterschiede; ein Zweifel an der Überlegenheit von B gegenüber A und an den vielfachen Beziehungen zwischen B und EN I–IV und damit an seiner ursprünglichen Zugehörigkeit zur EN, die Webb bestreitet, ist meiner Ansicht nach nicht möglich. A und B handeln nicht über die Philosophie des Geistes, sondern über Moralphilosophie. Die Interpretation darf sich daher nicht, wie es oft geschieht, einseitig auf die Lustdefinitionen konzentrieren. Die Frage nach dem Wesen der Lust ist vielmehr der nach ihrem Wert untergeordnet. Auch für sie gilt, was Aristoleles in seiner moralpsychologischen Skizze in EN I 13 schreibt: Wer praktische Philosophie betreibe, müsse sich mit der Seele beschäftigen, aber unter dem Gesichtspunkt seiner Disziplin und nur soweit, als es für deren Aufgabe erforderlich sei (1102a23 – 26). Wir müssen deshalb damit rechnen, daß in den Lustabhandlungen ontologische und psychologische Fragen nur in dem Ausmaß geklärt werden, wie es für die Bewertung der Lust erforderlich ist. Ich sammle zunächst Texte über die Lust, die sich (in der Nikomachischen und Eudemischen Ethik) außerhalb von A und B finden. In einer ersten Gruppe geht es um das Verhältnis der Lust zum Guten; die verschiedenen Aussagen scheinen auf den ersten Blick nicht konsistent zu sein. Die zweite Gruppe soll auf den Zusammenhang von Lust und Proeinstellungen (Erstreben, Lieben, Wählen u. ä.) hinweisen. Die beiden Gruppen stellen Fragen, auf die der Leser und die Leserin von A und B Aufschluß erwarten: Wie ist das Verhältnis der Begriffe „Lust“ und „Gut“ und wie ist der Zusammenhang von Lust und Proeinstellung genauer zu bestimmen? Nach EN I 5 zählt Lust zu den Gütern, die um ihrer selbst willen gewählt werden (1097b2 f.). EN I 4 schränkt diese Aussage ein: Nur bestimmte Lustformen sind um ihrer selbst willen wählenswert (1096b18). Nach einer verbreiteten Meinung ist das Glück nicht ohne Lust (EN I 9, 1098b25; EE I 5, 1216a35 f.). Aristoteles schließt sich ihr an: Lust ist integrierender Bestandteil des Glücks (EN I 5, 1097b4 f.), ohne jedoch mit dem Glück, d. h. der Tätigkeit entsprechend der Areté (EN I 6, 1098a16 – 18), gleichgesetzt zu werden; das Leben und Handeln entsprechend der Areté ist nicht Lust, sondern „an sich lustvoll“ (EN I 9, 1099a7, 14 f.). Diesen positiven stehen negative Wertungen gegenüber: Lust und Unlust sind Ursache der sittlich schlechten Handlungen und Haltungen (EN II 2, 1104b9 – 11.21; EE II 4, 1222a1 f.); sie verderben die sittlichen Prinzipien (EE VI 5, 1140b17 f.). Die Lust täuscht; sie erscheint als ein Gut, ohne es zu sein (EN III 6, 1113a34 f.; vgl. EE VII 2, 1235b18 – 29). Die EN unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen dem „einfachhin“ (haplôs), d. h. dem „an sich“ (kath’ hauto: EN VII 10, 1151b2 f.) Lustvollen, das sie mit dem einfachhin Guten, und dem „für
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jemand“ (tini) Lustvollen, das sie mit dem „anscheinenden Guten“ (phainemenon agathon) gleichsetzt (EE VII 2, 1235b30 – 32; 1236a7– 10). Woran jemand Freude hat, hängt davon ab, was er liebt. Wer Pferde liebt, hat Freude an Pferden; wer Gerechtigkeit und Tugend liebt, hat Freude an den entsprechenden Handlungen (EN I 9, 1099a8 – 11). Zusammen mit dem Guten zählt die Lust zu dem um seiner selbst willen Liebenswerten (philêton) (EN VIII 2, 1155b21 f.). Lust und Unlust bestimmen in hohem Maße unsere Entscheidungen; sie sind der Maßstab, den wir spontan an unsere Handlungsalternativen anlegen (EN II 2, 1105a3 – 5). Was immer wir wählen, auch das Nützliche und das sittliche Gute, ist lustvoll (EN II 2, 1104b35). Dieser Zusammenhang von Lust und Proeinstellung ist von besonderer Bedeutung, wo es um die ethische Areté geht, die eine Verfassung des strebenden Seelenvermögens ist. Sie hat Lust und Unlust zu ihrem Bereich, d. h., sie bewirkt, daß wir in der richtigen, vernunftgemäßen Weise Lust und Unlust empfinden (EN II 2, 1104b8 f.,15 f.; EN II 4, 1221b38 f.). Die Lust an den sittlich guten Handlungen ist Anzeichen der ethischen Areté (EN II 2, 1104b3 – 8). Was für den einzelnen lustvoll ist, hängt von seiner ethischen Verfassung ab (EN III 6, 1113a31).
10.2 Kritik des Antihedonismus (EN VII 12 – 15) Wenden wir uns mit den beiden Fragen zunächst an A. Die antihedonistischen Auffassungen, mit denen Aristoteles sich auseinandersetzt (1152b8 – 12), decken, wie die Quantoren zeigen, sämtliche in Frage kommenden Möglichkeiten ab: (a) Keine Lust ist ein Gut, und zwar weder an sich (kath’ hauto) noch akzidentell (kata symbebêkes). Diese Unterscheidung ist in NE I 4 erläutert: Ein Gut an sich ist, was um seiner selbst willen geliebt wird; ein Gut „wegen dieser [Güter an sich]“ (dia tauta) ist, was ein Gut an sich hervorbringt oder bewahrt (1096b10 – 14). (b) Einige Lustformen sind ein Gut, die meisten dagegen schlecht. (c) Alle Lustformen sind ein Gut, aber dennoch ist keine von ihnen das höchste Gut. – Von den Argumenten für die gegnerischen Thesen seien hier nur folgende genannt: (a) und (c) werden damit begründet, daß die Lust ein Werden (genesis) ist (1152b12– 15, 22 f.). Für (a) wird außerdem angeführt, „das Gute und Lust seien nicht dasselbe“ (1152b9 f.). Ein einleuchtendes Argument für (b) ist, daß es sowohl sittlich schlechte als auch schädliche Lustformen gibt (1152b20 – 22). Aus diesen Ansichten ergeben sich zwei Fragen, die an die Argumentation des Aristoteles zu stellen sind: (a) läßt nach dem Verhältnis der Begriffe Gut und Lust fragen, (b) nach einem Unterscheidungskriterium zwischen sittlich guten und sittlich schlechten Lustformen.
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Das Argument aus dem Werden findet sich bei Platon, Philebos 53c4– 54d7 und lautet: Das Werden ist um des Seins und nicht das Sein um des Werdens willen; so ist z. B. der Schiffsbau um der Schiffe willen und nicht umgekehrt; wenn die Lust ein Werden ist, ist sie also notwendig um eines Seins willen; folglich kann sie kein Gut sein. Daß die Lust ein Werden ist, zeigt Platon jedoch nur für die körperliche Lust (Philebos 31b2– 32b8). Dagegen handelt es sich in (a) und (c) um Gegner, die mit dem Argument aus dem Werden den Wert jeder Lust bestreiten wollen². Aristoteles ist mit (c) der Auffassung, daß alle Lustformen ein Gut sind; gegen (c) zeigt er, daß eine Lustform das höchste Gut ist. Wir können vier Argumente unterscheiden; drei richten sich gegen das Argument aus dem Werden; ein viertes zeigt, daß eine Lustform das höchste Gut ist. Argument 1 (1152b26 – 33): Ein Prozeß (kinêsis) und ein Werden sind zwar kein Gut einfachhin, aber sie sind ein Gut für jemand bzw. für jemand in einer bestimmten Situation; z. B. ist der Heilungsprozeß ein Gut für den Kranken. Folglich schließt das Argument aus dem Werden nicht aus, daß die Lust ein Gut in diesem Sinn ist. Argument 2 (1152b33 – 1153a7): Nicht der Wiederherstellungsprozeß als solcher ist lustvoll; der Prozeß ist vielmehr lustvoll aufgrund der Ursache, die ihn bewirkt. Sie selbst ist kein Prozeß, sondern eine Tätigkeit (energeia), und zwar die Tätigkeit des Teils der Natur, der noch gesund ist. Argument 3 (1153a7– 15): Dem Argument aus dem Werden ist zuzugeben, daß das Ziel eines Werdens besser ist als der Vorgang des Werdens selbst. Mit dieser Überlegung könnte man den Wert der Tätigkeiten bestreiten, die entsprechend Argument 2 ein Werden bewirken. Man könnte sagen, der wiederherzustellende naturgemäße Zustand sei besser als die Tätigkeit, die ihn herbeiführe. Dieser Einwand übersieht jedoch, daß nicht alle Lustformen Tätigkeiten sind, die den naturgemäßen Zustand des Organismus herbeiführen. Es gibt auch Lustformen, die in der Betätigung dieser guten Verfassung bestehen und folglich ein Sein sind und als solches kein von ihnen verschiedenes Ziel haben. So kommt Aristoteles zu der Definition der Lust als unbehinderter Tätigkeit der naturgemäßen Verfassung. Argument 4 (1153b9 – 25): Wenn es unbehinderte Tätigkeiten einer jeden Verfassung gibt, dann sind entweder sie alle oder es ist eine von ihnen das Glück; eine solche Tätigkeit aber ist Lust. Auch wenn man annimmt, daß die meisten Lustformen in sich nicht wählenswert sind, weil sie mit Wiederherstellungsprozessen verbunden sind, so schließt das doch nicht aus, daß eine Form der Lust das
Zur philosophiehistorischen Diskussion vgl. Gauthier–Jolif 21970, 787 f.; Gosling–Taylor 1982, 225 – 240; 285 – 300.
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höchste Gut ist. Als Folgerung ergibt sich für Aristoteles, daß zum Glück die Güter des Leibes, die äußeren Güter und die günstige Fügung des Schicksals (tychê) erforderlich sind, weil nur so die Tätigkeit unbehindert sein kann. Was ergibt sich aus diesen Argumenten für die beiden oben gestellten Fragen nach dem Verhältnis der Begriffe Gut und Lust und nach einem Unterscheidungskriterium zwischen sittlich guten und sittlich schlechten Lustformen? Jede Lust ist nach A ein Gut, wenn auch in einem unterschiedlichen Sinn. Weil die Lust eine Form der Tätigkeit ist, entspricht ihr Wert dem Wert der Tätigkeit. Dieser ist wiederum bedingt durch die Stellung des Wesens in der scala naturae (vgl. EN I 6, 1097b33 – 1098a4); Lust, die auch ein Tier empfinden kann, hat einen geringeren Wert als die Lustformen, zu denen nur der Mensch fähig ist (1154a32 f.). Innerhalb derselben Gattung hängt der Wert der Tätigkeit und damit der Lust ab von der Verfassung des Vermögens, das die Tätigkeit ausübt. Aristoteles unterscheidet zwischen der Verfassung, die eine Vollendung der Natur darstellt und deren Tätigkeit ausschließlich um ihrer selbst willen erstrebt wird, und sozusagen einem Rest dieser naturgemäßen Verfassung, dessen Tätigkeit einen Wiederherstellungsprozeß bewirkt, der als solcher nicht Selbstzweck ist. Lust ist abhängig von einer Verfassung, aber diese Verfassung ist nicht die ethische Verfassung des Strebevermögens, sie ist vielmehr die Verfassung eines physiologischen Vermögens. Wie aber ist dann eine moralische Bewertung der Lust möglich? Fragen wir zunächst, was Aristoteles auf den antihedonistischen Einwand antwortet, Lust könne schädlich sein (1152b21 f.).Wie bei jedem anderen Gut, so ist auch bei der Lust ein Konflikt mit anderen Gütern möglich. Wissenschaftliche Arbeit kann der Gesundheit schaden; Gesundheit kann Geld kosten; ebenso kann Lust zu Lasten der Gesundheit gehen (1153a17– 20). Wenn die Güter der anderen Menschen miteinbezogen werden, dann ist der mögliche Güterkonflikt auch ein moralischer Maßstab (vgl. EN III 14, 1119a16 – 20). Aristoteles führt in A zwar nicht genau diese, aber eine ähnliche Überlegung durch: Wie jedes andere Gut, so lasse auch die Lust ein Zuviel zu. Sittlich schlecht sei, wer sich nicht mit der notwendigen Lust begnüge, sondern ein Übermaß verfolge (1154a13 – 18). Der Zusammenhang beider Überlegungen besteht darin, daß das richtige Maß der Lust sich an deren Verhältnis zu anderen Gütern bemißt. Dieser Bewertungsmaßstab kann jedoch nur angewendet werden auf Lustformen, die ein Mehr oder Weniger zulassen, d. h., die mit einem Prozeß verbunden sind, und Aristoteles hat dabei offensichtlich nur die körperliche Lust im Blick. Die Lustformen, die sich nicht in dieser Weise messen lassen, sind dadurch als solche gut (1154a13 – 15). Welche Fragen bleiben in A offen? Der Einwand, „das Gute und Lust seien nicht dasselbe“ (1152b9 f.), wird nur insofern geklärt, als Aristoteles zeigt, daß jede Lust ein Gut ist. Dagegen erfahren wir nichts über den Unterschied der Intension beider Begriffe. Worin besteht der begriffliche Unterschied, wenn wir eine unbe-
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hinderte Tätigkeit einmal als (das höchste) Gut, ein andermal als Lust charakterisieren? Das für die Ethik wichtige Verhältnis von Lust und Proeinstellungen, vor allem das von Lust und ethischer Verfassung, wird nicht thematisiert.Wir erfahren etwas über die Lust, die Bereich der ethischen Areté ist, aber auch hier beschränkt A sich auf die körperliche Lust; die mit den Affekten verbundene Lust³ kommt nicht zur Sprache. Dagegen geht A auf die Lust, die Anzeichen der ethischen Areté ist, nicht ein; es wird nicht geklärt, weshalb es von der ethischen Verfassung abhängt, woran wir Lust haben. Wo in A vom Verhältnis von Lust und Verfassung ausdrücklich die Rede ist, meint Aristoteles eine physiologische und nicht eine ethische Verfassung.
10.3 Zwei Tätigkeitsbegriffe Nicht zuletzt im Hinblick auf die Interpretation von B sei versucht, den Begriff der Tätigkeit (energeia) in A zu klären. Der Begriff, von dem er unterschieden wird, ist der des Werdens (genesis) oder der weitere Begriff des Prozesses (kinêsis: 1152b28). Met. IX 6, 1048b18 – 36 faßt Prozeß und Tätigkeit unter den Begriff der Handlung (praxis) zusammen und nennt folgendes Unterscheidungskriterium: Ein Prozeß und in dem Sinn unvollendet, daß das Erreichen seines Ziels (telos) mit seinem zeitlichen Abschluß (peras) zusammenfällt. Solange der Prozeß andauert, ist sein Ziel noch nicht erreicht. Solange gebaut wird, ist das Haus noch nicht fertig; wenn das Haus fertig ist, hat der Prozeß des Bauens sein zeitliches Ende gefunden. Dagegen ist in Tätigkeiten, z. B. Sehen und Denken, das Ziel in jedem Augenblick des Vollzugs verwirklicht. Nach diesem Kriterium besteht kein Unterschied zwischen einer sittlichen Handlung (einer Handlung entsprechend den ethischen Tugenden) und einem Herstellen, z. B. zwischen dem Schlichten eines Streits und dem Bauen eines Hauses. Auch die sittliche Handlung ist solange unvollendet, als sie ihr Ziel nicht erreicht hat. Der Unterschied liegt darin, daß das Ziel oder Produkt des Herstellungsprozesses wiederum Mittel zu einem weiteren Zweck ist, während das Ziel der sittlichen Handlung um seiner selbst willen erstrebt wird. Der Begriff der Tätigkeit von Met. IX 6 sei als enger Begriff bezeichnet. Der Begriff des Prozesses in Met. IX 6 übersieht eine für A wichtige Unterscheidung. Aristoteles bringt folgende Beispiele: Abmagern, Lernen, Gesundwerden, Gehen, Bauen. Wenn wir einmal das weniger klare Beispiel des Abmagerns außer acht lassen, so zeigt sich folgender Unterschied: Lernen und Gesundwerden sind der Erwerb einer Verfassung (hexis), wogegen Gehen und
Zur körperlichen Lust und zur Affektenlust vgl. Ricken 1976, 35 – 80.
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Bauen das Ausüben einer Verfassung sind. Es sei deshalb zwischen einem weiten und einem engen Begriff des Prozesses unterschieden. Der weite Begriff ist der von Met. IX 6, der enge umfaßt lediglich die Prozesse, die Erwerb einer Verfassung sind. Wir können jetzt dem engen Begriff der Tätigkeit einen weiten gegenüberstellen: Nach ihm ist jeder Gebrauch (chrêsthai: 1153a11; vgl. Met. IX 8, 1050a24) einer Verfassung eine Tätigkeit, unabhängig davon, ob diese Tätigkeit im Sinn von Met. IX 6 vollendet oder unvollendet ist; danach wäre also z. B. auch das Bauen eines Hauses eine Tätigkeit. Dieser weite Begriff der Tätigkeit ist zu unterscheiden vom Begriff der Handlung in Met. IX 6: Die Prozesse, die zu einer Verfassung führen, sind Handlungen, aber keine Tätigkeiten im weiten Sinn. A verwendet den engen Begriff des Prozesses und den weiten Begriff der Tätigkeit. Der enge Begriff des Prozesses ist Aristoteles von den Gegnern vorgegeben: Sie bestreiten der Lust den Anspruch, ein Gut zu sein, weil sie das Werden eines Zustands ist (1152b13). Aristoteles teilt mit ihnen die Voraussetzung, daß der Besitz der Gesundheit besser ist als der Prozeß der Genesung (1154a34 f.). Die Verfassung und ihre Betätigung (energeia) sind ein Gut (1152b33); es ist zu unterscheiden zwischen dem Entstehen (ginesthai) einer Verfassung und deren Gebrauch (chrêsthai) (1153a11). Wenn die Lust ein Gut sein soll, kann sie deshalb nicht mit Prozessen im engen Sinn gleichgesetzt werden. Dagegen steht einer Gleichsetzung mit Tätigkeiten im weiten Sinn nichts im Wege, denn als Gebrauch einer Verfassung sind sie ein Gut. Wenn Aristoteles betont, nicht alle Lustformen hätten ein von ihnen verschiedenes Ziel, so darf das deshalb nicht im Sinn des engen Begriffs der Tätigkeit verstanden werden, weil genau bestimmt wird, was unter dem verschiedenen Ziel zu verstehen ist: Es handelt sich um eine Vollendung der Natur, also um das Entstehen einer Verfassung (1153a11 f.). Wenn Aristoteles annimmt, daß es im Bereich einer jeden Verfassung unbehinderte Tätigkeiten gibt (1153a9 f.), dann muß es auch eine Lust am Herstellen geben, denn auch die Kunst (technê) ist eine der Verfassungen (EN VI 3,1139b16), welche die natürlichen Anlagen des Menschen vollenden. Eine Bestätigung dafür, daß A den weiten Begriff der Tätigkeit verwendet, ist die Betonung der Notwendigkeit der äußeren Güter für das Glück (1153b17– 25). Sie zeigt, daß Aristoteles bei der Form der Lust, die das höchste Gut ist, vor allem das praktische Leben im Blick hat, das ja in höherem Ausmaß als das theoretische auf die äußeren Güter angewiesen ist (EN X 8, 1178a25–b7); die praktischen Handlungen können aber nur im Sinne des weiten Begriffs eine Tätigkeit sein. Als Hinweis auf diesen weiten Begriff darf auf die Unterscheidung zwischen einer Tätigkeit der Bewegung (kinêsis) und der Unbewegtheit (akinêsia) (1154b27) verstanden werden. Der Zusammenhang unterscheidet die Lust des Menschen von der einzigen, einfachen Lust des Gottes. Wir werden also auf die sich aus der zusammengesetzten Natur des Menschen ergebenden beiden Formen des Glücks
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hingewiesen (EN X 8, 1178a19 – 23), so daß unter der Tätigkeit der Bewegung das praktische Handeln zu verstehen ist.
10.4 Das Problem der schlechten Lust (EN X 1 – 5) B ist nach der Einleitung in zwei Teile gegliedert: der erste (1172a27– 1174a12) diskutiert zwei Auffassungen zur Frage, wie die Lust zu bewerten sei; der zweite (1174a13 – 1176a29) handelt über ihr Wesen. Aristoteles’ eigene Auffassung über den Wert der Lust steht bereits am Ende des ersten Teils fest. Die Interpretation hat zu klären, wie Aristoteles zu dieser Bewertung kommt und welche Aufgabe der zweite Teil hat, wenn die für die Ethik entscheidende Frage schon vorher beantwortet ist. Die Bewertung der Lust in B unterscheidet sich deutlich von der in A. Aristoteles vertritt (1174a8 – 11) drei Thesen: (a) Die Lust ist nicht das höchste Gut. Dem steht die These von A entgegen, daß eine Form der Lust das höchste Gut ist. (b) Nicht jede Lust ist wählenswert. Dagegen hatte A behauptet, jede Lust sei (wenn auch in unterschiedlichem Sinn) ein Gut. (c) Einige Lustformen sind an sich wählenswert; der Wertunterschied beruht auf dem Unterschied der Form (eidos). Hier gibt Aristoteles uns ein einfaches Bewertungskriterium an die Hand; wir brauchen nicht mehr wie in A auf die Unterscheidung „einfachhin“ und „akzidentell“ und auf die Quantität der Lust zurückzugreifen. Nach diesem Kriterium kann es Lustformen geben, die unabhängig von der Quantität in sich schlecht sind und unter keinen Umständen akzidentell gut sein können. Das Schema der gegnerischen Auffassungen in B ist im Vergleich zu dem in A wenig differenziert. Nach der von Aristoteles dem Eudoxos zugeschriebenen Ansicht ist die Lust das höchste Gut; ihr steht die anonyme Meinung entgegen, die Lust sein durch und durch schlecht (1172a27 f.). In der Auseinandersetzung mit Eudoxos bestreitet Aristoteles, daß die Lust das höchste Gut ist; er verteidigt aber gegen Eudoxos’ Gegner die schwächere These, daß sie ein Gut ist. Den Antihedonisten ist zuzugeben, daß es Lustformen gibt, die sittlich schlecht sind. Das führt zur Einschränkung der schwächeren These und zur Unterscheidung der Lustformen. Die phänomenale Grundlage der Diskussion ist die Beobachtung des Eudoxos, daß sämtliche Lebewesen, die vernünftigen ebenso wie die nichtvernünftigen, nach Lust verlangen (1172b9 – 15). Sie ist für Eudoxos Anzeichen (1172b12) dafür, daß die Lust das höchste Gut ist. Das Streben ist Erkennungszeichen (ratio cognoscendi) für das Gutsein. Man könnte Eudoxos einen naturalistischen Fehlschuß vorwerfen und behaupten, er übersehe den Unterschied zwischen dem Erstrebten und dem Erstrebenswerten. Gegen diesen Einwand sichert Eudoxos
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sich durch eine teleologische Voraussetzung hinsichtlich der Natur des Strebens ab: Wie jedes Lebewesen seine Nahrung finde, so finde es auch sonst das für sich Gute. Das Streben ist also für Eudoxos ein unfehlbares Anzeichen des Guten, wobei der Vergleich mit der Nahrung in die Richtung weist, unter dem Guten das dem Sein eines Lebewesens Zuträgliche zu verstehen. Aristoteles stimmt dieser Überlegung grundsätzlich zu (1172b35 – 1173a5). Er verteidigt sie gegen den Einwand, das Streben sei kein Anzeichen des Guten. Damit werde dem Begriff des Guten jede phänomenale Grundlage entzogen, denn hinter diesen Aufweis des Eudoxos könne man nicht zurückgehen. Aristoteles hebt in seiner Entgegnung das vernünftige Streben hervor. Selbst wenn man darüber streiten könnte, ob die nichtvernünftigen Lebewesen tatsächlich nach dem Guten streben, so sei es doch sinnlos zu behaupten, das, wonach ein vernünftiges Wesen strebe, sei nicht gut. Damit ist das Phänomen gesichert und ein Maßstab gesetzt, dem die ontologische Beschreibung entsprechen muß. Eudoxos argumentiert, was für alle Wesen ein Gut sei, das sei das höchste Gut (1172b14 f.). Diesen weiteren Schritt lehnt Aristoteles ab (1172b36). Mit demselben Ziel kritisiert er zwei andere Argumente. (1.) Eudoxos’ Argument „aus dem Gegenteil“ (1172b18 – 23) lautet: (1) Der Schmerz ist als solcher zu meiden; sein Gegenteil, die Lust, ist als solche zu wählen. (2) In höchstem Maß wählenswert (das höchste Gut) ist das, was wir nicht aufgrund eines anderen oder um eines anderen willen wählen. (3) Das trifft aber zugegebenermaßen auf die Lust zu, denn die Frage, zu welchem Zweck man sich freut, ist sinnlos, so daß die Lust um ihrer selbst willen wählenswert ist. – Aristoteles verteidigt (1) und (3) (1173a5 – 13). Dagegen übersieht (2), wie aus EN I 5, 1097b1– 6 deutlich wird, eine wichtige Unterscheidung. Daß die Lust um ihrer selbst willen wählenswert ist, besagt nicht, daß sie das höchste Gut ist. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie das einzige um seiner selbst willen wählenswerte Gut wäre. Das ist jedoch nicht der Fall; andere Güter dieser Art sind z. B. Ansehen, Vernunft und Tugend. (2.) Wenn wir einem beliebigen Gut die Lust hinzufügen, so wird dieses Gut dadurch in höherem Grad wählenswert (1173b23 – 32). Eine sittlich gute Handlung, die gern getan wird, verdient den Vorzug vor derselben Handlung, die ungern getan wird. Auch dieses Argument zeigt, daß die Lust ein Gut ist, nicht aber, daß sie das höchste Gut ist. Es läßt sich im Gegenteil für den Nachweis verwenden, daß die Lust gerade nicht das höchste Gut ist. Dafür beruft Aristoteles sich auf einen Gedankengang in Platons Philebos (20d1– 22a6): Aus dem Begriff des höchsten Gutes folgt, daß es „vollkommen“ und „hinreichend“ ist, d. h. alle Strebensziele erfüllt. Das trifft für die Lust jedoch nicht zu; ein Leben, das Lust und Einsicht miteinander verbindet, verdient den Vorzug vor einem Leben, das nur die Lust und nicht die Einsicht hat.
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Die Lust, das hat die bisherige Auseinandersetzung mit Eudoxos gezeigt, ist nicht das höchste und folglich auch nicht das einzige Gut; Aristoteles verweist darauf, daß es Güter gibt, die um ihrer selbst willen wählenswert sind, und zwar unabhängig davon, ob sie lustvoll sind oder nicht (1174a4– 6). Wesentlicher ist eine weitere Einschränkung: Vor allem die sittlich schlechten Lustformen zeigen, daß nicht jede Lust ein Gut ist (1173b21; 1174a3). Wie aber ist das möglich, wenn alle Wesen nach Lust streben und das ein Anzeichen dafür ist, daß die Lust ein Gut ist? Wie ist das vereinbar mit der im Argument aus dem Gegenteil formulierten unbestreitbaren Einsicht, daß der Schmerz als solcher zu meiden und die Lust als solche zu wählen ist? Eine Lösung kann nur darin liegen, daß der Strebensbegriff des Eudoxos erweitert und die Allgemeingültigkeit von dessen teleologischer Prämisse in Frage gestellt wird. Nicht jedes Streben geht auf das Erstrebenswerte; die natürliche Teleologie des Strebens kann verdorben werden (1176a21, 24). Lassen die Ausführungen über die schlechte Lust in B sich in dieser Richtung interpretieren? Aristoteles erwägt zwei Lösungsmöglichkeiten (1173b20 – 31): Nach der ersten ist die schlechte Lust keine wahre, sondern nur eine scheinbare Lust; sie ist Lust nur für Menschen in einer schlechten Verfassung; die zweite unterscheidet Formen der Lust, die unterschiedlich zu bewerten sind. Es hat den Anschein, daß B sich für keine dieser Möglichkeiten endgültig entscheidet; gegen Ende der Abhandlung (1176a19 – 24) wird die erste nochmals genannt. Wenn man jedoch bedenkt, daß die schlechte Lust ebenso zum Handeln motiviert wie die gute, dann erscheint es als eine rein verbale Lösung, ihr den Charakter der Lust absprechen zu wollen; daß sie schlecht ist, ist kein Grund, ihre Realität, die sich im Leben zeigt, zu bestreiten. Zu diesem sachlichen kommt ein gewichtiger textimmanenter Grund hinzu: Die These von den verschiedenen Formen der Lust ist die Klammer, die den Teil über den Wert und den über das Wesen der Lust miteinander verbindet; die Ausführungen über das Verhältnis von Lust und Tätigkeit haben die Aufgabe, die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Lustformen ontologisch und psychologisch zu fundieren (1173b28, 34; 1174a10; 1175a21– 28, b1, 24– 28; 1176a8 f.). Die zweite Lösung besticht durch ihre Einfachheit: Wie Handlungen und sittliche Haltungen zu bewerten sind, ist im Verlauf der Ethik ausführlich dargestellt worden; wenn wir die Lust an Handlungen und Haltungen binden, dann ist damit auch die Frage nach ihrer Bewertung beantwortet. Sie führt jedoch in folgende Schwierigkeit: Nach ihr ist schlechte Lust Lust an der schlechten Tätigkeit, die ihrerseits deswegen schlecht ist, weil das Vermögen, das sie ausübt, in schlechter Verfassung ist. Nach B ist jedoch die gute Verfassung des Vermögens eine der notwendigen Bedingungen der Lust (1174b18 f., 32). Also ist der Begriff der schlechten Lust in sich widersprüchlich; Lust kann aufgrund ihrer Definition nur
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gut sein. Dieser Widerspruch ließe sich durch die Annahme vermeiden, B arbeite mit zwei verschiedenen Lustbegriffen: nach dem einen, der schlechte Lust ausschließt, ist Lust an die Tätigkeit entsprechend der besten Verfassung gebunden; nach dem anderen, der eine schlechte Lust zuläßt, ist sie mit der Betätigung einer jeden Verfassung gegeben. Gibt es eine Möglichkeit, diesem Dilemma zu entkommen? Schauen wir uns zunächst an, mit Hilfe welcher Kriterien Aristoteles den Wertunterschied der Lustformen bestimmt. Jede Art der Lebewesen hat entsprechend dem ihr eigenen Lebensvollzug eine ihr eigene Form der Lust (1176a3 – 8); der Wert der Lust entspricht der Ranghöhe der jeweiligen Lebenstätigkeit (vgl. EN I 6, 1097b33 – 1098a4). Innerhalb einer Art können wir den mit dem Alter gegebenen Grad der Entwicklung unterscheiden; so hat ein Kind an anderem Freude als ein Erwachsener (1174a1– 3). Die Lust an den verschiedenen Sinneswahrnehmungen läßt sich anhand des Kriteriums der Reinheit bewerten (1175b36 – 1176a2). Diese Beispiele sind mit dem Lustbegriff von B vereinbar; in jedem dieser Fälle kann die Lust auf der besten Verfassung des jeweiligen Vermögens beruhen; der Unterschied der Lustformen ergibt sich aus dem Unterschied der Vermögen. Ein Problem ergibt sich, wenn wir, wie das beim Menschen der Fall ist, innerhalb derselben Art und im Bereich desselben Vermögens unterschiedliche Lustformen haben. „Denn dasselbe erfreut die einen und betrübt die anderen und ist den einen unangenehm und verhaßt, den anderen dagegen angenehm und lieb“ (1176a10 – 12). Ein und dieselbe Handlungsweise kann dem einen lieb, dem anderen dagegen verhaßt sein; der eine wird an sittlich guten, der andere dagegen an sittlich schlechten Handlungsweisen⁴ Freude haben (1173b29). Wenn wir „dasselbe“ (1175a10 f.) strikt interpretieren, so können dieselben Fähigkeiten des Handelnden, dieselben günstigen äußeren Umstände und dieselben guten Folgen gegeben sein, und dennoch kann die in dieser Weise spezifisch identische Handlungsweise dem einen Freude bereiten, einem anderen dagegen nicht. Das moralpsychologische Phänomen, das Aristoteles hier beschreibt, verbietet eine Gleichsetzung von Lust und Tätigkeit, wie A sie vertritt. Wenn eine Tätigkeit trotz derselben Charakterisierung für den einen lustvoll, für einen anderen dagegen unangenehm ist, so kann dieser Unterschied nicht durch diese so charakterisierte Tätigkeit als solche bedingt sein. Aristoteles erklärt ihn durch die unterschiedli-
Zum Begriff der Handlungsweise vgl. EN II 3, 1105b5 – 9. Aristoteles unterscheidet dort zwischen dem, was jemand tut (pragma), und dem, wie er es tut. Eine Handlungsweise kann gerecht sein, ohne daß der Handelnde gerecht ist. Das ist er erst dann, wenn er die betreffende Handlungsweise in der richtigen Haltung vollzieht. Worauf es mir im vorliegenden Zusammenhang ankommt, ist, daß man von dieser Haltung abstrahieren und die Handlungsweise dennoch mit moralischen Prädikaten charakterisieren kann.
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che Verfassung⁵. Wie aber sind die unterschiedliche Verfassung der Handelnden und der identische Charakter ihrer Handlungsweise bzw. Tätigkeit miteinander vereinbar? Lust ist nach B in zwei Weisen durch eine Verfassung bedingt, die von Aristoteles nicht klar unterschieden werden. Zum einen ist die bestmögliche Verfassung des Vermögens, das die Tätigkeit ausübt, notwendige Bedingung für die Vollkommenheit der Tätigkeit und damit für die mit der Tätigkeit verbundene Lust. Diese Beziehung zwischen Verfassung und Lust findet sich an den Stellen, die über die Lust an der Wahrnehmung (1174b15, 19, 25, 29 f., 34) oder am Denken (1174b 22, 34 f.) handeln. Zum anderen ist die Qualität eines Eindrucks durch eine Verfassung bedingt. Beispiele sind Gesundheit und Krankheit, die zu unterschiedlichen Sinnesempfindungen führen (1173b24 f.; 1176a12– 15), und die ethische Verfassung (d. h. die Verfassung des Strebevermögens), die dieselbe Handlungsweise als angenehm oder unangenehm erleben läßt (1173b22, 30; 1173b32– 1174a1; 1176a16, 22; EN III 6, 1113a31). Der Unterschied wird bereits daran deutlich, daß bei der ersten Beziehung die Lust nur durch eine gute Verfassung bedingt sein kann, während es sich bei der zweiten um eine gute oder eine schlechte Verfassung handeln kann. Bei den sittlichen Handlungen ergeben sich folgende Möglichkeiten: (a) Die Handlungsweise ist gut, d. h., sie entspricht der Vernunft, und die ethische Verfassung ist gut; dann ist die Handlung (in Wahrheit) lustvoll. (b) Die Handlungsweise ist gut, nicht dagegen die ethische Verfassung; dann ist die Handlung mit Unlust besetzt (EN II 2, 1104b3 – 7). (c) Die Handlungsweise ist schlecht und die ethische Verfassung ist gut; dann ist die Handlung mit Unlust besetzt (1176a20). (d) Die Handlungsweise ist schlecht und die ethische Verfassung ist schlecht; dann ist die Handlung (scheinbar) lustvoll (1175b24– 27; 1176a22). Es zeigt sich, daß die Vollkommenheit der Tätigkeit weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung der Lust ist; Lust und Unlust sind vielmehr immer auch bedingt durch die Verfassung des Strebevermögens. Die vollkommene Tätigkeit ist nur unter der Voraussetzung lustvoll, daß das Strebevermögen in der richtigen Verfassung ist. Das gilt auch für die Lust an der Theorie (vgl. EE VIII 3, 1249a21–b23; EN VI 13, 1145a6 – 11). Den Ethiker brauchen die dargestellten Unterscheidungen nicht zu beunruhigen. Für ihn genügt die Antwort, die Lust sei so zu bewerten wie die Tätigkeiten und Verfassungen, an die sie gebunden ist. Was aber folgt aus der zweifachen Beziehung zwischen Verfassung und Lust für den Begriff der Lust?
diakeisthai: 1173b22; 1176b22; hexis: EN III 6, 1113a31; zum Zusammenhang dieser beiden Termini siehe Met. V 20, 1022b10 f.
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10.5 Der begriffliche Unterschied zwischen Tätigkeit, Gut und Lust Die These, für die ich im folgenden argumentiere, lautet: Zwischen Lust und Tätigkeit besteht ein Unterschied „dem Begriff“ (tô[i] logô[i]) oder, was dasselbe bedeutet, „dem Sein“ (tô[i] einai) nach. Dieser Unterschied findet sich z. B. zwischen ethischer Areté und allgemeiner Gerechtigkeit. Sie sind „dasselbe, aber das Sein ist nicht dasselbe: was, insofern es sich auf den anderen bezieht, Gerechtigkeit ist, das ist, insofern es einfachhin diese bestimmte Verfassung ist, Aretê“ (EN V 3, 1130a12 f.). Die beiden Begriffe haben also dieselbe Extension, aber eine verschiedene Intension, die sich daraus ergibt, daß wir einmal die Beziehung zum anderen Menschen in der Charakterisierung berücksichtigen, während wir im anderen Fall von ihr abstrahieren. Entsprechendes gilt für Lust und vollkommene Tätigkeit. Sie sind dasselbe, aber ihr Sein ist nicht dasselbe. Was, insofern wir es auf eine Proeinstellung beziehen, Lust ist, das ist, insofern wir es lediglich ontologisch charakterisieren und von dieser Beziehung absehen, vollkommene Tätigkeit. Worin besteht aber dann der Unterschied zwischen dem Begriff der Lust und dem Begriff des Gutes? Denn auch das Gut (des Menschen) ist nichts anderes als die vollkommenste Tätigkeit, insofern sie in ihrer Beziehung auf das Streben des Menschen gesehen wird. Die Antwort liegt in der Formulierung, die Lust (das Lustvolle) sei ein „anscheinendes Gut“ (phainomenon agathon: Mot. an. 6, 700b29; EN III 6; EN VII 2, 1235b26). Ein anscheinendes Gut kann ein wirkliches Gut oder ein bloßes Scheingut sein. Der Unterschied zwischen den Begriffen der Lust und des Gutes beruht also auf der Art der Proeinstellung. Der Begriff des Gutes drückt die Beziehung auf eine Proeinstellung aus, die das Erstrebte als erstrebenswert erfaßt, der Begriff der Lust die Beziehung auf eine Proeinstellung, bei der von dieser kognitiven Leistung abstrahiert wird. Aristoteles behauptet, dasselbe sei „einfachhin (haplôs) gut und einfachhin lustvoll“ (EE VII 2, 1235b32; vgl. ebd. 1236a9; 1237a26 f.). Das ist als materiale Identitätsaussage zu verstehen, die den begrifflichen Unterschied nicht aufhebt. Diese materiale Identität beruht auf der guten, naturgemäßen Verfassung. Die EE unterscheidet vom einfachhin Lustvollen das für jemand Lustvolle (EE VII 2, 1236a9 f.)⁶; in anderer Formulierung findet diese Unterscheidung sich auch in B Das für jemand Lustvolle wird in 1236a10 als phainomenon agathon bezeichnet, was hier nur als „scheinbares Gut“ verstanden werden kann. Aristoteles hat also offensichtlich einen weiteren (anscheinendes Gut) und einen engeren (scheinbares Gut) Begriff des phainomenon agathon. In EN III 6 finden sich beide Begriffe: vgl. 1113a29 – 33 mit 1113a34–b1.
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(1176a21 f.). Das nur für jemand Lustvolle ist nicht wirklich lustvoll, ebenso wie das nur für den Kranken Süße oder Warme nicht wirklich süß oder warm ist (1176a12 – 15). Der Vergleich ist erhellend. Ebenso wie bei den genannten Wahrnehmungsprädikaten können wir bei „Lust“ oder „lustvoll“ einen einstelligen und einen zweistelligen Gebrauch unterscheiden. Auch der einstellige Gebrauch ist versteckt zweistellig, weil er eine naturgemäße Verfassung des empfindenden Vermögens voraussetzt. Die Realität der Empfindung läßt sich auch beim zweistelligen Gebrauch nicht bestreiten. Davon ist aber die Frage zu unterscheiden, ob die empfundene Qualität dem Gegenstand tatsächlich zukommt, d. h., ob die Speise tatsächlich süß bzw. die Tätigkeit tatsächlich lustvoll ist. Wenn sie einem Strebevermögen, das in der guten, naturgemäßen Verfassung ist, so erscheint, dann ist sie lustvoll, und so erscheinen kann nur eine Tätigkeit, die wählenswert, d. h., die in einem ontologischen Sinn vollkommen ist. Nach An. III 2, 425b12– 25 haben die Wahrnehmungstätigkeiten ein Selbstverhältnis⁷: Wenn wir sehen oder hören, dann nehmen wir jeweils mit demselben Vermögen wahr, daß wir sehen oder hören. In EN IX 9 hebt Aristoteles hervor, daß dieses Selbstverhältnis sich nicht auf die Tatsache beschränkt, daß wir tätig sind. Die Wahrnehmung hat vielmehr auch ein ausschließlich sinnlich vermitteltes Verhältnis zu sich selbst als einem Gut. Entsprechendes gilt für das Denken (noein): Es erfährt sich selbst in einer selbstbezogenen, aber nicht begrifflich reflektierten Tätigkeit, die Aristoteles „mitwahrnehmen“ (synaisthanesthai) nennt, als wählenswert. EN IX 9 erklärt dadurch die Lust: „wahrzunehmen, daß ein Gut in einem selbst anwesend ist, ist lustvoll“ (1170b2 f.); „denn indem sie das an sich Gute mitwahrnehmen, freuen sie sich“ (1170b4 f.). Für die Sinneswahrnehmung ist dieser Zusammenhang differenzierter dargelegt in An. III 7, 431a8 – 14: Lust (hêdesthai) und Schmerz (lypeisthai) seien „das Tätigsein (energein) mit der wahrnehmenden Mitte in Beziehung auf Gut und Übel als solche“. Aristoteles identifiziert an dieser Stelle das Wahrnehmungsmit dem Strebevermögen; zwischen beiden bestehe lediglich ein begrifflicher (431a16: to einai allo) Unterschied. Wenn wir diese Aussage zur Interpretation von EN IX 9 heranziehen, so ergibt sich, daß jede vollkommene bewußte Tätigkeit notwendig ein Moment der Selbstbejahung in sich schließt; weil Wahrnehmungs- und Strebevermögen nur dem Begriff nach unterschieden sind, kann es keine Wahrnehmungstätigkeit geben, die sich nicht selbst bejaht. Lust ist nichts anderes als die vollkommene Tätigkeit, insofern sie in einer selbstbezogenen, aber nicht begrifflich reflektierten Mitwahrnehmung Gegenstand ihrer Selbstbejahung ist. Für das menschliche Handeln ist die in An. III 7 beschriebene natürliche Einheit jedoch nicht gegeben,
Zu diesem Terminus vgl. Höffe 1979, 296 f.
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weil das nichtvernünftige Seelenvermögen seine Verfassung erst durch Gewöhnung erhält und deshalb auch eine nicht naturgemäße und nicht vollkommene Tätigkeit bejahen kann (EN I 13; II 1). Der hier entwickelte Lustbegriff bewährt sich an der in ihrer Interpretation umstrittenen Aussage von B, die Lust „vollende“ die Tätigkeit (1174b23) als „ein hinzukommendes Ziel“ (1174b33). Aristoteles betont, daß Lust und vollkommene Tätigkeit untrennbar sind; wir können sie allenfalls durch eine gedankliche Abstraktion trennen (1174a4– 8. 1175a19 – 21). „Hinzukommen“ darf also nicht im Sinne einer realen Verschiedenheit verstanden werden; es kann sich nur um verschiedene Aspekte derselben Sache handeln. Der Begriff des hinzukommenden Ziels macht den Zusammenhang von Lust und Proeinstellung deutlich: Eine mit Lust verbundene Tätigkeit verdient ceteris paribus den Vorzug vor der bloßen Tätigkeit. Die Lust vollendet die Tätigkeit in der Weise, daß sie zu einer vollkommeneren Tätigkeit motiviert; sie steigert deren Qualität, Intensität und Dauer (1175a30 – 36, b14 f.). Daß die Lust die Tätigkeit in diesem Sinn vollkommener macht, widerspricht deshalb nicht der Aussage, daß nur eine vollkommene Tätigkeit lustvoll sein kann, weil die Vollkommenheit einer Tätigkeit Grade zuläßt (vgl. 1173a15 – 28). Wie A, so wendet auch B sich gegen die Auffassung, die Lust sei Prozeß, weil sie unvereinbar ist mit der These, daß die Lust ein Gut ist (1173a29 – 31). Die Lust ist also offensichtlich eine Tätigkeit, und wir stehen vor der Frage, ob es sich um eine Tätigkeit im engen oder im weiten Sinn handelt. B läßt keinen Zweifel daran, daß der enge Begriff gemeint ist (1173a32–b4; 1174a13–b14). Wenn wir davon ausgehen, daß zwischen Lust und Tätigkeit nur ein begrifflicher Unterschied besteht, dann scheint sich zu ergeben, daß wir nur an Tätigkeiten im engen Sinn Lust haben können. Für diese Interpretation spricht, daß die bevorzugten Beispiele von B Tätigkeiten des Wahrnehmens und Denkens (1174b20 f.; 1175a7, 27; 1176a1– 3), also Tätigkeiten im engen Sinn sind. Gegen sie spricht erstens, daß sich unter den Beispielen von B auch Prozesse finden; am eindeutigsten ist das Bauen (1175a34). Schwerwiegender ist ein zweiter Grund: Es geht B, wie vor allem aus der Einleitung (1172a22) und dem Schluß (1176a16) deutlich wird, um den Zusammenhang von Lust und ethischer Tugend, und von daher wäre es schwer verständlich, daß sittliche Handlungen, die keine Tätigkeiten im engen Sinne sind, aus der Betrachtung ausgeschlossen sein sollten. Drittens ist auf einen verbreiteten Gebrauch der Wörter Tätigkeit und Tätigsein in der EN zu verweisen: Sie bezeichnen den Gegenbegriff zu „Verfassung“ (hexis), d. h. den weiten Begriff der Tätigkeit⁸.
Siehe vor allem EN II 1; hier findet sich das Bauen als Beispiel für eine Tätigkeit (1103a33); EN I 8, 1098b33; II 2, 1104a29; IV 4, 1122b1.
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Die Lösung kann nur darin bestehen, daß wir unterscheiden zwischen der ontologischen Charakterisierung der Lust und der ontologischen Charakterisierung der Tätigkeiten, an denen wir Lust haben (vgl. Owen 1971/72, 151). Die Lust, daran läßt B keinen Zweifel, fällt unter den engen Begriff der Tätigkeit; zu den Tätigkeiten, an denen wir Lust haben, müssen dagegen auch solche im weiten Sinn gerechnet werden. Der Text steht dieser Unterscheidung deshalb nicht im Weg, weil Aristoteles zwar gegen die Auffassung argumentiert, die Lust sei ein Prozeß, aber niemals positiv behauptet, sie sei eine Tätigkeit (energeia)⁹; diesen Terminus gebraucht er nur für die Tätigkeiten, an denen wir Lust haben. Es erhebt sich aber ein sachlicher Einwand: Wenn zwischen der Tätigkeit, an der wir Lust haben, und der Lust nur ein begrifflicher Unterschied besteht, dann können sie, so scheint es, in ihrem ontologischen Charakter sich nicht unterscheiden. Gehen wir, um diesen Einwand zu lösen, von der Lust als Mitwahrnehmung aus. Nach An. III 2, 425b12 hat Mitwahrnehmung die Struktur „Ich nehme war, daß […,]“ d. h., sie ist eine propositionale Einstellung. Dabei kann der Akt der Einstellung sich ontologisch von dem im Daß-Satz dargestellten Gegenstand der Einstellung unterscheiden. Ich kann z. B. wahrnehmen, daß ich baue, wobei die Tätigkeit der Wahrnehmung anders zu charakterisieren ist als die des Bauens. Die Tätigkeit des Bewußtseins und ihr Inhalt können sich also in ihrer ontologischen Struktur unterscheiden. Das ist jedoch insofern keine Antwort auf den Einwand, als es sich nach Aristoteles nicht um zwei verschiedene Tätigkeiten, sondern lediglich um zwei verschiedene Beschreibungen ein und derselben Tätigkeit handelt. Die Lösung liegt darin, daß diese verschiedenen Beschreibungen dieselbe Tätigkeit ontologisch unterschiedlich charakterisieren können. Nehmen wir als Beispiel nochmals die Unterscheidung zwischen ethischer Areté und allgemeiner Gerechtigkeit. Wenn wir ethischer Areté sprechen, machen wir über die Person eine Aussage in der Kategorie der Qualität; dagegen machen wir mit dem Prädikat „ist gerecht“ eine Aussage über ihr Verhalten oder ihre Beziehung zu anderen (pros heteron: 1130a13), d. h. in der Kategorie der Relation. Oder greifen wir ein Beispiel aus B heraus: Ist das Hören einer Flötensonate (vgl. 1175a13, 34, b3) eine Tätigkeit im engen Sinn oder ein Prozeß? Wir können fragen, welchen Satz und welchen Takt er oder sie gerade hört. Damit unterscheiden wir aber Phasen. Das Hören der Sonate ist erst dann vollendet, wenn sie die ganze Sonate gehört hat. Nach den Aristotelischen Kriterien handelt es sich also um einen Prozeß (vgl. 1174a13–b14; Met. VIII 6, 1048b18 – 36). Wir erhalten aber eine andere onto-
Energein in 1173b3 ist Gegenbegriff zu metaballein (b2). Es wird nicht behauptet, daß die Lust Tätigkeit (im engen Sinn) ist; vielmehr wird unterschieden zwischen dem In-Lust-Geraten und dem In-Lust-Sein (Ross: to „become pleased“ und to „be pleased“). Vgl. An. II 4, 416b2.
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logische Struktur, wenn wir vom Objekt absehen und lediglich vom Hören sprechen. Das Hören als Tätigkeit des Vermögens ist in jedem Augenblick vollendet; die Tätigkeit als solche verändert sich nicht; hier können wir keine Phasen unterscheiden; die einzige Veränderung, die sich hier vollzieht, ist der Übergang von Hörenkönnen zum wirklichen Hören (vgl. An. II 5, 417b2– 9). Schließlich sei noch das Bauen genannt (vgl. 1174a13–b14 mit 1175a34). Hier ist zu unterscheiden zwischen der Tätigkeit des Bauenden und dem Prozeß, der sich am Baumaterial vollzieht. Sie sind nur dem Begriff nach verschieden (Phys. III 3, 202a18 – 21). Der Bauende erleidet keinen Prozeß (An. II 4, 416b2 f.; II 5, 417b9); dieser vollzieht sich ausschließlich am Material (Met.VIII 8, 1050a33 f.). An der Tätigkeit des Bauenden als solcher lassen sich keine Phasen unterscheiden; das ist nur möglich, wenn wir diese Tätigkeit beschreiben mit Hilfe des Prozesses, der sich am Material vollzieht.
Literatur Bostock, D. 1988: Pleasure and Activity in Aristotele’s Ethics, in: Phronesis 33 (1988), 251 – 272. Dirlmeier, F. 91991: Nikomachische Ethik, Berlin. Festugière, A. J. 1936 : Aristote, Le plaisir (Eth. Nic. VII 11 – 14, X 1 – 5). Introduction, traduction et notes, Paris. Gauthier, R. A./Jolif, J. Y. 21970: L’Ethique à Nicomaque, 2 Bde., Louvain–Paris. Gosling, J. C. B. 1974: More Aristotelian Pleasures, in: Proceedings of the Aristotelian Society 74 (1973/74), 15 – 34. Gosling, J. C. B. und Taylor, C. C. W. 1982: The Greeks on Pleasure, Oxford. Höffe, O. 1979: (Rez. zu Ricken 1976), in: Philosophische Rundschau 26 (1979), 293 – 298. Kenny, A. 1978: The Aristotelian Ethics, Oxford. Lieberg, G. 1958: Die Lehre von der Lust in den Ethiken des Aristoteles, München. Owen, G. E. L. 1972: Aristotelian Pleasures, in: Proceedings of the Aristotelian Society 72 (1971/72), 135 – 152. Ricken, F. 1976: Der Lustbegriff in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles, Göttingen. Webb, Ph. 1977: The Relative Dating of the Accounts of Pleasure in Aristotle’s Ethics, in: Phronesis 22 (1977), 235 – 262.
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11 Friendship (VIII und IX) I A little philosophy is a dangerous thing, and Greek moralists had to pass beyond it in order to accommodate the actual within the possible. If, as they tended to hold, each man pursues nothing that does not contribute to his own happiness or eudaimonia, how is possible to be an altruist, that is, to care for others for their own sake? It is already explicit in the Platonic Socrates that the final end of anyone’s desire is his own eudaimonia (Symposium 202c6 – 11, 204e1– 7). Earlier and more purely Socratic dialogues confirm that one’s own happiness is the target of all one’s desire: the Meno argues for the conclusion that nobody desires what is bad, and everyone wishes for good things, from the premiss that nobody wants to be unhappy (77b6 – 78b2); the Euthydemus takes it as obvious that we all wish to fare well (278e3 – 279a2), that is, to be happy (282a2) –and it may be implicit that this is all that we want; it is most likely happiness that is the good which is the first object of love and the final end of all desire in the Lysis (219c5– d2, 220b6 – 7). Some have found second thoughts in the mature Republic, as when Socrates remarks that philosopher-kings practise ruling “not as something fine but as something necessary” (VII, 540b3 – 5). Yet this cannot mean that they are sacrificing their own happiness in so doing without frustrating the general purpose of the investigation, which is to refute the assertion (assumed to lead to immoralism and not to moral heroism) that justice is another’s gain and one’s own loss. Aristotle inherits the same problematic. Recent debate about whether he indeed takes every deliberate action to be aimed at the agent’s eudaimonia arises precisely, in my opinion, because this is for him a presumption and not a contention. If he was really discarding this axiom of Socratic-Platonic ethics, we could expect more than uncertain implications awaiting detection by the acutest of later interpreters.¹ For my present purposes, this understanding of Ar-
Thus it is in part my very admiration of the abilities of Stephen Clark, Robert Heinaman, and Anthony Kenny that leads me to place more credence in the more traditional readings of John Ackrill and myself (cf. the references in Kenny 1992, 6 – 7n7). The focus of their debate is whether eudaimonia encompasses all other goals. Richard Kraut (1989b, ch. 2) refreshingly focuses his doubts on the egoism. He is right that EN 1 never says explicitly that one’s own happiness is the ultimate end of one’s actions; however, I believe this to be implicit in the phrase “in a complete life” (I 7 [6], 1098a18) – whose? It must limit the possibilities (of which 1097b8 – 11 anticihttps://doi.org/10.1515/9783110578751-013
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istotle must itself be taken as background until I come to certain passages of incidental confirmation; nor can I discuss the profounder question whether the presumption belongs within logic or psychology. Immediately, I shall only pose one preliminary question: why else should he feel driven, in EN IX 8, to subsume heroic self-sacrifice within a higher self-interest? Yet how can a man not be selfish to the extent that his goal is his own happiness? The Platonic Socrates already provides a skeletal answer: to wish to act well is to have reason to act virtuously, for good action is virtuous action; and among the virtues are such qualities as piety and justice that involve respect for the rights of others. However, until the skeleton be fleshed out, perhaps in ways that transcend the Socratic, this risks placing weight on an equivocation, easy within the ambiguity of the Greek term aretê between neutral “excellence” and loaded “virtue”, between the morally commendable and the personally recommendable. (And we shall see at the end that Socrates gets into deep trouble.) It is perhaps the most important aspect of Plato’s erotic dialogues that they provide a less question-begging rationale: it is a feature of the eloquent love of the Symposium (206b1– 212a7), and the personal rhetoric of the Phaedrus (276e4– 277a4), that they extend a notional egoism to encompass a substantial altruism. Educating another, the lover and/or orator passes on his mental life to another mind, so that his concern for his own life becomes a concern not only for himself but for another person. What is true here of personal commitment becomes in the Republic a model of civic solidarity: “In this city more than any other, when any individual fares well or badly, they would all speak in unison the word we mentioned just now, namely that mine is doing well, or that mine is faring badly” (V, 463e3 – 5). Selfishness is thereby shown to be the product of a myopic egoism: a wiser egoism, which does justice to psychological connections that cross individual boundaries, turns out to accommodate the practicalities of altruism (cf. Price 1989, chs 2, 3, 7 §1). In this area as in many, Aristotle’s ethics is rather an elaboration than a correction of Platonism. In his treatments of friendship, in Books VIII and IX of the EN, as within Book VII of the Eudemian Ethics (EE), we find him justifying and explaining the possibilities of a generous eudaimonism within the framework of his own post-Platonic moral psychology. As he himself encapsules his conception, in a paradox that we have to make intelligible, a friend is “another self” (allos or heteros autos, EN IX 4, 1166a32; IX 9, 1170b6; EE VII 12, 1245a30). This invites many questions. How can one person’s eudaimonia extend over others?
pate a generous view) of extending my eudaimonia into the lives of others that it must still fall, somehow, within the pattern of my own life.
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Over whom can it extend? Why is the extension desirable for the agent? And what are the limits of the resultant altruism?
II How can one realize one’s own good in anything but oneself? Aristotle finds a limited but lucid model in the relation of craftsman to artefact: Existence is to all men a thing to be chosen and loved, and we exist by virtue of activity (i. e. by living and acting), and the handiwork is, in a sense, the producer in activity; he loves his handiwork, therefore, because he loves existence. And this is rooted in the nature of things; for what he is in potentiality, his handiwork manifests in activity (EN IX 7, 1168a5 – 9).² Qua potter, for example, a potter exists in his pottery. Moreover, since his functioning is a process whose end is resultant (kinêsis), terminating the process, and not an activity whose end is immanent (energeia in its stricter sense), informing the activity (cf. Metaphysics IX 6), he exists in his pottery in the sense not of pot-making, but of pots made. We observe his quality as a potter by looking not at him, nor precisely at him in action, but at the pots that he makes. Since these are his end, he must love them for their own sake to the degree that being a potter is a thing that he wants to be (and not, say, simply a way he accepts of making a living). Qua potter, he realizes himself in his pots; in loving them, he loves his existence as a potter. Another paradigm is provided by parents and children. Indeed, Aristotle assimilates the two models: parents love their children as poets love their poems (IV 1 [2], 1120b13 f.; IX 7, 1168a1– 3). A capacity for parenthood is part of human nature. Fully to love being human is to love being (or to wish to be) a parent, which is realized in one’s children; so loving one’s children is part of loving oneself, and one’s existence, as a human being. Initially, until it reaches a certain age and becomes detached, a child is “part of oneself” (V 6 [10], 1134b10 f.), rather like one’s teeth or hair (VIII 12 [14], 1161b22 f.). We might compare it to a poem while it exists in the mind of the poet, and does not yet enjoy separate existence through publication. It is through maturing that the child grows into “another self”: “Parents love their children as themselves (for their issue are by virtue of their separate existence a sort of other selves)” (b27– 9). Only when the child has achieved independence from its parents does it become
Here and below I translate from or after W. Ross 1925, sometimes with the benefit of T. Irwin 1985.
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a replica of them, in whom they may consider themselves to be alive. Children owe their parents gratitude for existence, which is the greatest of gifts (VIII 11 [13], 1161a16 f.); and yet it confirms the underlying egoism that parents love their children more than they are loved by them. This rests in part on certain contingencies: children know their parents less than their parents know that they are theirs (VIII 12 [14], 1161b20 f.); parents love their children from birth, while children learn to love only later (b24– 6). But the fundamental fact is that it is that which generates that appropriates (makes its own, oikeios) that which is generated, and not, or not equally, vice versa (b21– 24). Counterfactually, “every man loves his own handiwork better than he would be loved by it if it came alive” (IX 7, 1167b34 f). Grateful children love their parents in consequence of loving their own existence; parents love their children in loving their own existence. How do the paradigms of producer and parent apply to the relations of friends? It is a condition of friendship (philia) in the full sense that friends wish one another well for their own sake (VIII 2, 1155b31). This is possible to the extent that each friend views the other’s acts as belonging to himself (oikeios, IX 9, 1170a3), somewhat – though less passively – as product belongs to producer (VIII 12 [14], 1161b22 f.). This is achieved through “living together” (syzên), in the sense of sharing not a roof, but a life.³ Taken abstractly, this comes to “the sharing of words and thought” (IX 9, 1170b11 f.), or, if that sounds ineffectual, “the sharing of words and deeds” (IV 6 [12], 1126b11 f.). What it comes to concretely depends upon their projects: “Whatever existence means for each class of men, whatever it is for the sake of which they value life, in that they wish to occupy themselves with their friends” (IX 12, 1172a1– 3). Like the productivity of producers and the fertility of parents, the co-operation of agents breaks down barriers. When I am acting in concert with another, the acts that constitute myself in action include not only my own movements, but the movements of my friend that I join in planning, intending, monitoring, furthering: “Things brought about through our friends are in a way brought about through us; for the starting-point is in us” (III 3 [5], 1112b27 f.). Aristotle’s ideal is mutual and reciprocal: each owes his actions to the other. Effectiveness may come just of joint action: two shoulders may move a wheel too heavy for one. Here their contributions may be identical, though both are necessary. Success may also come of the variations in ingenuity or experience that differentiate even the closest and most equal of friends: good men “are thought to become better too by their activities and by improving each other; for from each other they take the stamp of the
Cf. the variant synhêmereuein, “spend the day” (IX 9, 1169b21).
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characteristics that please them – whence the saying ‘Fine deeds from fine men’” (IX 12, 1172a10 – 14; cf. X 9 [10] 1180a31 f.). Rather as children combine the physical features of their parents, so acts actualise a marriage of mentalities that rather complement than mirror each other. And here not only does cause produce effect, but effect modifies cause: fine men also come of fine deeds as cooperation becomes education, so that each partly owes to the other not only his actions but his qualities. This intermingling of lives and minds is accentuated by Aristotle’s own conceptual framework. An initial gloss upon eudaimonia is “living well and doing well” (I 4 [2], 1095a19 f.); “happiness” is the traditional translation, but is misleading to the extent that it places the emphasis upon subjective state rather than objective achievement. Pleasure is private, even when it supervenes (cf. X 4, 1174b31– 3) upon joint activity; but co-operation has the effect of producing an overlap between the eudaimonia of different agents. Loving my own existence, and preferring actuality to potentiality, I will love my own agency even when it takes secondary effect within the actions of others. And there is a further twist to tighten the interconnection. Within complete or perfect friendship (teleia philia), Aristotle finds a close relation between character and essence: Complete friendship is the friendship of men who are good, and alike in virtue; for these wish well alike to each other qua good, and they are good in themselves. Now those who wish well to their friends for their sake are most truly friends; for they are so disposed by reason of the friends themselves, and not incidentally (VIII 3 [4], 1156b7– 11). This should puzzle us, for several reasons. One is that men may improve or deteriorate (cf. IX 3) without losing their identity: it cannot be strictly true that moral or intellectual character is part of human essence. What we can concede is that a man is an entity in search of a character. Personal qualities indeed characterize us (in a way in which a shape of nose, for example, may be individual but is never characteristic) in that they are the form that education and habituation impress upon capacities to reason and act that indeed define what it is essentially to be human: this is to be potentially good or bad in ways to be mapped by a taxonomy of moral and intellectual virtues and vices. Now I have quoted Aristotle’s remark that friends “take from each other the stamp of the characteristics that please them” (IX 12, 1172a12 f.). In loving my friend for his own sake, I love him for a character that he partly owes to me. In Aristotelian jargon, his innate capacities are his first potentiality, his developed qualities his first actuality (or second potentiality), and his activities his second actuality. It turns out that both my friend’s first and his second actualities are in part of my making; thus it is doubly true that loving him is a mode of loving myself.
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The relation of friendship to self-love is the explicit theme of EN IX 4. Aristotle begins, “The features of friendship towards one’s neighbours, and those by which friendships are defined, seem to derive from features of friendship towards oneself “ (1166a1 f.). It is ambiguous whether this asserts a definitional or a causal dependency: is the thought that features of external relations count as features of friendship because they resemble features of internal relations, or that external friendly relations come into existence as a consequence of internal friendly relations? IX 4 is most easily taken to be advancing the logical thesis; but the causal thesis is asserted in a later reference back (to where else?), “As we have said, it is from this relation [of a person to himself] that all the features of friendship also extend towards others” (IX 8, 1168b5 f.). Among these features that are both familiar features of friendship, and preeminently to be found in the relations of a good man to himself, is that of wishing someone well for his own sake (IX 4, 1166a2 – 4, a14– 17). We saw above how Aristotle welcomes the commonplace but interprets it idiosyncratically: he relates loving my friend for his own sake to loving him for how he is, viz. for his character (VIII 3 [4], 1156b7– 11). Applying it internally, he surprises us again: the good man benefits himself “for his own sake – for he does it for the sake of his thinking part, which is thought to be the person himself” (in a special sense of hekastos, literally “each one”, IX 4, 1166a16 f.). This internal relation counts as a “friendship” to the extent that he is “two or more” (a 34 f.). As Michael Pakuluk observes,⁴ Aristotle finds in self-love a paradox similar to that of self-movement, and offers a similar solution: in self-movement, one part directly moves another part, and thus indirectly the whole (Physics VIII 5); so, in self-love, one part, and indirectly the whole, acts for the benefit of a part. When he writes “two or more” he is giving vague expression to a precise thought: though he has theoretical doubts about any partition of the soul (De Anima III 9), he often follows Plato’s division of desires and beliefs between reason, anger, and appetite (cf. Price 1994, ch. 3). He counts appetite as acting “for the sake of” reason when it obeys it (cf. EN I 13, 1102b25 – 1103a3) – a subterfuge that evades the fact that appetite is no altruist.⁵ Less artificially, but losing the distinction between one part that acts and another that benefits, he may count a good man as acting rationally for the sake of his reason in two ways: this person’s policy is to realize a consistent conception of eudaimonia, and not to grat I am learning much from Pakaluk’s forthcoming commentary on EN VIII and IX within the Clarendon Aristotle Series. It promises to raise our understanding of these books, and indeed of the EN in general, to a new level of indefatigability and precision. Plato was not much less evasive when he counted a temperate appetite as “sharing the opinion” that reason “ought” to rule (Republic IV, 442c10–d1).
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ify at any time whatever desire happens then to be salient (a policy of intemperance that would lead to regret, cf. IX 4, 1166a23 f.); and his prime value is not the pleasant but the fine (to kalon), which is an object of evaluative judgement and rational desire. There may also be a preecho of a narrower notion of reason: it will be of intellect or nous that Aristotle will write later, “It would seem to be the person himself, since it is his authoritative and better part” (X 7, 1178a2 f.). How are we to suppose that self-love is transferred to others? There are multiple answers to match its multiplicity. Most simply, one person’s appetite may obey another’s reason (cf. I 13 [13], 1103a3). More significantly, as we have already explored, one agent, co-operating with another, may make their eudaimonia a joint goal. Most highmindedly, a man who puts his nous first is preferring the least individual part of himself, and so will feel at one with intellectual life everywhere (cf. Kahn, 1981). In such ways a wise egoism takes in a degree of altruism: as a rational agent, I forward my own eudaimonia even while, as a friend, I am serving another. The remedy for a little philosophy, suggesting selfishness, is more philosophy, extending the self.
III In extending the self, one takes on a care for certain others, but not an indiscriminate love of one’s neighbour. (However, one extends the self in and not before benefiting others; EN IX 7 could explain the Good Samaritan.) Moreover, friendship is a special relation, requiring time and familiarity (VIII 3, 1156b25 f.). Complete friendship is still rarer: “[It] is the friendship of men who are good and alike in virtue; for these wish well alike to each other qua good […] It is natural that such friendships should be infrequent; for such men are rare” (b7– 9, 24 f.). Besides friendship in virtue, there are the lesser friendships in pleasure or utility, which do not involve goodwill, that is, wishing another well for his sake. We would hardly apply our term “friendship” to these – and even Aristotle is equivocal about whether they merit his term philia (cf. Price 1989, 160 f.). It would be an unwelcome implication that most of us are capable only of them: “Clearly enough, there are few or no paragons of virtue in the world, and if only such paragons can have friendships of the basic kind, then most people […] will be declared incapable of anything but thoroughly self-centered associations. This would be a depressing result” (Cooper 1980, 305). Why does Aristotle focus upon goodness as a precondition, and does this focus really exclude so many? To the first question I can only sketch an answer here (cf. Price 1989, ch. 4). Aristotle does not mean that friendship should be moralizing in our sense (a
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sense that he arguably lacks). Rather, he intends friendship to be a fully human relation between agents displaying distinctively human capacities in choice and action. Concern for my friend’s character is an interest in what choices and actions are characteristic of him; an interest in his charm or utility is not only more selfcentered, but more restricted and superficial. Why is it important that he be good? As we read in IX 4, it is of a good man’s love of himself that friendship can be seen as an extension. Bad men, by contrast, are self-conflicted and not friends of themselves (1166b5 – 25: cf. IX 9. 1170a22– 5). The acratic are in two minds even as they act; others regret what they have done. That “all men have something of the good” (EE VII 3, 1238b13 f.) is a privilege for those who act well, but a burden to those who act wrongly: “The base are laden with regret” (EN IX 4, 1166b24 f.). To co-operate with them is to take sides in an internal feud, and so to become at once friend and enemy. It does not follow that most of us can only be treated exploitatively. If all men are partly good, the bad must be conflicted, but they may still enjoy fragments of friendship. This holds of their relations to themselves: “The attributes described [e. g., self-directed goodwill] seem to belong even to the many, base though they be” (b2– 3). About their relations to each other the EE is explicit: “A good man may be a friend to a bad, the bad being of use to the good in relation to the good man’s existing choice, the good to the acratic in relation to his existing choice, and to the bad in relation to his natural choice” (EE VII 3, 1238b1– 5). So Aristotle supposes that all men are good enough to have some choices in common that admit co-operation. Complete friendship can be realized partially and imperfectly without declining into a different kind of friendship. Only moral paragons may be paradigms of friendship, but this is not to say that only they can be friends. We have to understand that Aristotle is often describing an ideal or an abstraction. He describes friendships of pleasure and utility as if they were exhausted by selfish motivations; and yet, if it is indeed true that “we may see even in our travels how near (oikeios) and dear (philos) every man is to every other” (EN VIII 1, 1155a21), any actual example will be complicated by the humanity of the participants. Goodwill is absent from the definition of these lesser friendships, but not from the reality.⁶ Aristotle also admits many friendships of inequality in which at least one party is far from human perfection. Notoriously, these include for him most marriages. If the woman wears the trousers, the cause may be a dowry but not desert
Thus the disagreement about whether goodwill enters into the definition of every friendship between John Cooper, who asserts it (1980, 301– 17), and myself, who denies it (1989, 148 – 61), is notional and not substantial.
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(VIII 10 [12], 1161a1– 3). However, if the spouses are good of their kind, their relations fall within the friendship of virtue: each will delight in the qualities appropriate to the other (VIII 12 [14], 1162a25 – 7). Man and wife can serve each other by contributing their different talents to a common good (VIII 12 [14], 1162a22– 4). Within the household, they form a single unit, complementing each other. For all their proper subordination, women too make choices (Poetics 13, 1454a19 – 22), and so can be parties to that overlap of eudaimonia which constitutes the essence of friendship. The same seems to hold of the inequalities between parents and children. Whether because Aristotle is thinking of young children, or because he greatly values experience, he calls the friendship of children to parents, like that of men to gods, a relation “as to something good and superior” (EN VIII 12 [14], 1162a5). A father promotes the virtue of his children (X 9 [10], 1180a31 f.); and their obedience, though natural (b6 – 7), must be encouraged by the example of a submissive mother. In Greek culture, this educative role was often played not by the father but by an older lover. Aristotle lacks Plato’s enthusiasm for the higher pederasty. Education is not his ideal of a relationship: “If one learns, he is not as he should be, and if he teaches, his friend is not; and likeness is friendship” (EE VII 12, 1245a17 f.). And he typically treats pederasty as a mixed friendship of pleasure for the man and utility for the boy (e. g., EN IX 1, 1164a2– 13). However, he nowhere excludes that the choices that unite them, and contribute to a shared eudaimonia, may optionally be sexual (cf. Prior Analytics II 22, 68a39–b6), though he is concerned that a boy’s sexual development may be distorted by passive experience that comes too early or is too habitual (EN VII 5 [6], 1148b29 – 31). While expecting such relationships often to be transient, he concedes that they may create a lasting friendship in a manner that shares the structure of his ideal: “Many on the other hand are constant, if familiarity has led them to love each other’s characters, these being alike” (VIII 4 [5], 1157a10 – 12). Similarity in character is likely here to be a product of the relationship: when this is so, pederasty too may realize the proverb “Fine deeds from fine men” (IX 12, 1172a13 f.). The same structure carries over even to relations with Aristotle’s humblest human character, the natural slave. For all his inequality, greater than that of a woman and more permanent than that of a boy, he is capable of making choices (Poetics 13, 1454a19 – 22), and of comprehending laws and contracts; hence he can be party to friendship qua man, though not qua slave (EN VIII 11 [13], 1161b5 – 8). Qua slave, he is his master’s living tool (b 4), relating to him like tool to craftsman or body to soul (a 34– 5). Qua man, he relates to him rather like desire to reason, being able to obey reasoning though not to reason for himself (cf. I 13, 1102b29 – 31; Politics I 5, 1254b22 f.). He would be at home within the proletariat of Plato’s utopia, who are “friends” to the rulers who sup-
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ply an intelligence that they can appreciate but not emulate (Republic IX, 590c8– d6). Qua slave he exists as a means, but qua man he is an end in himself: he is capable of deriving virtue of character from his master (Politics I 13, 1260a32 f., b3 f.), and hence of being a good man of a kind. In directing him aright, his master extends his human eudaimonia, though at a lower level of human functioning. Except for utility, the master does not need a slave, while the slave altogether needs a master (cf. I 4, 1254a11– 13); but what relates them as men is an unequal friendship in virtue. It is within this that a slave realizes his humanity. Thus it appears that, in Aristotle’s view, every human being is capable of entering into some form, however imperfect, of the best kind of friendship. In its ideal form, this may be rare; yet it serves to grade a wide reality. Although he is no egalitarian, he accepts that all men are fellow men, and potential friends.⁷
IV Why is extending one’s own eudaimonia into the lives of others desirable for oneself? Plato answers by looking outwards: taking on a new existence in another is a mortal ersatz for immortality (Symposium 207a6 – 209e4). Aristotle rather looks back inwards when he asks, in EN IX 9, whether the happy man needs friends: what do friends contribute to his own activities and experiences? Any need for friends in utility or pleasure is dismissed briskly. The happy man will have no need of useful friends, for “he has the things that are good” (1169b24 f.). This appears to equivocate on “need” and “be in need of”: some of the things he has he needs (they are necessary to his eudaimonia), though he indeed cannot be in need of them (which would entail that he lacks them). An earlier passage was more careful: “A man is not a king who is not self-sufficient and excelling in all good things; and such a man needs nothing in addition” (VIII 10 [12], 1160b3 – 5). The man who has everything needs nothing more, but he does not need nothing. Pakaluk offers Aristotle a better argument by making a typically Aristotelian distinction: “A happy person needs useful friends to help provide the necessary conditions of a happy life, but because these conditions are not part of happiness, he does not need useful friends qua being a happy person.” Possibly that is what Aristotle intends. He continues: “Nor will he need friends in pleasure, or only to a small extent (for his life, being pleasant, has no need of adventitious pleasure)” (IX 9, 1169b25 – 7). As he will
Perhaps I should add a caveat: what I have written here is exposition, and not justification; theory can often sugar oppression with sweetness.
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soon reiterate, friends in virtue are pleasant also (1169b35 – 1170a1; cf. VIII 3 [2], 1156b21– 3), but in a manner that supervenes upon their goodness of character – as all pleasure supervenes upon goodness of a corresponding kind (X 4, 1174b14– 1175a3). While eudaimonia includes (though it does not require) goods of every kind (cf. I 7 [5], 1097b16 – 20), the pleasures not supervenient upon ethically or intellectually good activity are superfluous (or even distracting, cf. X 4, 1175b1– 24). A need for friends in virtue is argued more copiously, first in three concise arguments (IX 9, 1169b28 – 1170a13), and then in an extended chain of reasoning (a13–b19) that may or may not be adding much. Two of the initial arguments rest straightforwardly on two advantages that co-operation enjoys over solitary action: it makes for continuity of activity (IX 9, 1170a4– 11), and it offers a training in virtue (a11– 13). The first argument of all (1169b28 – 1170a4) has attracted more attention. It takes as a premise that there are two features that make activity pleasant to observe: its being good, and its being one’s own (oikeios). Now the actions that our virtuous friends owe to our co-operation have both features; moreover, “We can contemplate our neighbours better than ourselves and their actions better than our own” (suddenly, by a slightly awkward transition, in a narrower sense of oikeios, 1169b33 – 5). It is tempting to read into this an interesting and un-Cartesian claim that we have to observe others in order to understand outselves, so that friendship is needed for selfknowledge (Price 1989, 122– 4). It would then anticipate a passage in the pseudo-Aristotelian Magna Moralia (II 16, 1213a16 – 24).⁸ This starts inaptly (indeed ineptly), but ends with less typical felicity: “As when we wish to see our own face, we do so by looking into the mirror, in the same way when we wish to know ourselves we can obtain that knowledge by looking at our friend; for the friend is, we assert, a second self.” However, the context here in EN IX 9, which is set by the words “But this is perhaps not true” (1169b28), viz. that we do not need pleasant friends, focuses Aristotle’s mind, accidentally perhaps, upon a less striking thought: we take a special pleasure in contemplating the actions of our friends (cf. Kraut 1989b, 142– 4; Kenny 1992, 46 f.). As Pakaluk proposes, he probably has in mind that their doings are more visible to us than our own: hence they better provide reflection with the mental images that he holds to be the necessary tools of thought (De Anima III 9, 423a7– 9). That we come to know our friends more easily than ourselves is an interesting corollary; but the point that he makes is merely that thinking of them is particularly enjoyable.
Cooper places great emphasis on this passage (1980, § 6). However, I take his ascription of the Magna Moralia to Aristotle himself (1973) to be successfully countered in C. Rowe, 1975.
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The long argument that follows (EN IX 9 [8], 1169a13–b19) is in essence a baroque elaboration of a similar, or simpler, thought.⁹ In what way does it capture more of human nature (physikôteros, a13)? We may compare the “natural” treatment of acrasia in VII 3: it supplements a description of the effects of anger and appetite upon the agent’s bodily state and cognitive grasp (1147a 10 – 24), which already contains the heart of the matter, by the details of how practical syllogisms can operate or be sabotaged (a24–b17). Liability to acrasia is a human privilege denied to beasts who lack universal principles to act against; theory needs to attend to the propositional causation of our actions if it is to place acrasia within its human context. What is added here in IX 9 is the observation that human life consists essentially of self-conscious thought and perception: human living is thinking and perceiving of which we are conscious as they occur. Now all living is good (unless it is spoiled by wickedness). Hence living is choiceworthy to the subject in that it involves a pleasant consciousness of enjoying a good. Since the good man’s life is especially good, consciousness of it is especially pleasant to him; so he finds it especially choiceworthy. All this provides a background to fill out an argument about friends. To co-operate with a friend is to share speech and thought with him; as he is another self, to be aware of his speech and thought is to be conscious of enjoying a good that is also one’s own; hence the life that he shares with one is choiceworthy to one in the same manner as one’s own life. It is this comparative claim that is new. Adding, as within the earlier argument, that one can be better conscious of a friend than of oneself would complicate the comparison. Why then does one need friends? Apparently simply because the happy man must enjoy everything that is choiceworthy to him; otherwise he will be in a state of lack in that respect, and, to that extent, unhappy (1170b17 f.). But this is problematic. What was stated in the discussion of self-sufficiency in I 7 was that the happiness of a life includes all the goods that the life contains (1097b16 – 20); that left open how many goods a life must contain to count as happy. (Quite few, maybe.) Now it seems to be demanded, very differently, that a happy life contains all goods, or at any rate all the goods that are choiceworthy to its subject; but, even if these are compossible, that would be practically impossible. If we reduce the demand to one that it contain sufficient specimens of goods of all the kinds that matter, then it needs to be shown that consciousness of one’s own life is insufficient. The present claim that one’s friend’s life is choiceworthy to one in the same manner as one’s own is striking, but actually
It is presented minutely as a sequence of syllogisms in W. Ross 1925, ad loc., and perspicuously in five stages in A. Kenny 1992, 45 – 6.
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unhelpful: it reduces it to a second specimen of a kind of good that one enjoys already. Here the earlier argument was stronger: if it is easier to observe a friend, then having a friend is a different kind (or at least a different degree) of good from having oneself. Like many commentators, one has to be disappointed: the long argument may delve deeper into human nature, but what it extracts achieves less.
V Talk of an extended self, or of an overlap of eudaimonia, may be suggestive, but must not be pressed into a suggestio falsi. Agents remain distinct, even if the patterns of beneficence and cooperation extend the range of what can count as their success. My friend’s acts may occur through me (EN III 3 [5], 1112b27), or belong to me (IX 9, 1169b33 – 1170a1), and so contribute also to my eudaimonia; and yet they relate to me less intimately and immediately than the acts that are most strictly my own (cf. 1169b33 – 5). One could say that they stand to those rather like a colony to its mother-city. Aristotle is no phantasist, and does not envisage any merging of identities. In his critique of Plato’s utopia in the Politics, he rejects what he takes to be its conception of civic unity: he says that the civic unity that Socrates commends would be like of Aristophanes’ lovers in the Symposium, who “in the excess of their affection desire to grow together, and from being two to become one, in which case one or both must perish” (II 4, 1262b12– 14). Against this, Aristotle holds that, like justice (EN V 6 [9], 1134b9 – 11; V 11 [15], 1138b5 – 13), friendship can only hold between entities that are distinct (cf. IX 4, 1166a33 – 5). That benefiting another differs from benefiting oneself is revealed by the fact that the former is the more commendable.¹⁰ Beneficence earns a reward for the agent that cannot be transferred: this is fineness or nobility (to kalon). It is good to be benefited, but better to benefit, for fineness is the greatest of practical goods. It must limit the possibilities of beneficence that each agent must primarily help himself. Here the NE uncertainly ach-
We might distinguish primary (proprietary) from secondary (vicarious) eudaimonia. It is commendable of one friend to help another, thereby putting acts constitutive of his primary eudaimonia at the service of acts constitutive of his secondary eudaimonia. One may compare the generosity of transferring funds from a private to a common account, to both of which one has access, but unequally. Kraut (1989b, 148 – 53) rejects the notion of extended eudaimonia because he disregards this distinction. He concedes that Aristotle is an egoist to the extent that he supposes that those whom I benefit for their own sake must have some special connection to me (134– 9); so the difference between us may really be verbal.
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ieves either insight or incoherence; to the critical reader, it offers no nicer matter for thought. One application is this. That benefactors love beneficiaries more than they are loved by them seems at once a truism and a paradox (IX 7, 1167b17– 19), but Aristotle has an explanation: “To the benefactor that is fine which depends on his action, […] whereas to the patient there is nothing fine in the agent, but at most something advantageous, and this is less pleasant and lovable” (1168a10 – 12). As in physical change (cf. Physics III 3), the beneficent action is present in the patient, but actualises the capacities at once of patient and of agent. Evaluatively, it shows up differently within their different perspectives: the performance of the act is fine of the agent, and only useful to the patient. The patient sees in the agent a disposition that causes him a benefit, but the agent sees in the patient an effect that constitutes for him a greater gain. If we love the container of a good contained, the patient will love the agent, but less than the agent will love the patient. Another application attempts to accommodate selfsacrifice. EN IX 8 distinguishes different modes of being a “lover of self” (philautos), corresponding to different parts of the soul. Those who “gratify their appetites, and their affections and the irrational part of the soul generally” (1168b19 – 21) assign to themselves the greater share of wealth, honour, and physical pleasure, and so give self-love a bad name. But true self-love is directed at one’s true self, that is, the most authoritative aspect of oneself, which is one’s reason (b28 – 35; cf. IX 4, 1166a16 f.). Its goal is not the advantageous but the fine (1169a5 f.). Reason, we may feel, redeems egoism by priggery: it is choosing what is best for itself (a17) as the agent attempts to acquire the fine for himself (1168b27). The man who sacrifices his life for his friends and country incurs a crude loss that is outweighed by a sophisticated gain: “He would prefer a short period of intense pleasure to a long one of mild enjoyment, a year of living finely to many years of humdrum existence, and one great and fine action to many trivial ones” (1169a22– 5). Aristotle is no doubt thinking of the choice of lives made by that heroic egotist Achilles, but his appeal to intensity of experience anticipates a later sensibility: “To burn always with this hard, gemlike flame, to maintain this ecstasy, is success in life” (Walter Pater, Studies in the History of the Renaissance, conclusion). With an unexpected decadence, death in battle becomes not a fatality but a refined taste. In correction of Scripture, greater self-love hath no man than this, that a man lay down his life for his friends. One need not be a philistine to feel that something has gone wrong, or needs careful treatment. Modern interpreters sanitize. Julia Annas makes a distinction: “Self-love of the right kind explains and justifies what the agent does, but it is not what motivates him” (1989, 12). Here “explains” seems happier than “justi-
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fies”: that justification must be egoistic is, if anything, a stranger claim than that motivation must be. Even so, this divorce between underlying explanation and conscious motivation would indicate a failure to realize the Delphic maxim “Know thyself”. In any case, without supporting evidence, here or elsewhere in the corpus, there is nothing that Annas is interpreting. A more serious attempt to reconcile Aristotle with common sense is made by Richard Kraut (1989a; 1989b, ch. 2). He supposes that Aristotle is offering both egoistic and altruistic rationales, with no attempt to reduce either to the other. (It is then less easy to understand why Aristotle should feel driven to such a bizarre development of egoism.) In particular, he focuses upon an intriguing notion that he terms “moral competition”. Aristotle’s approved agents seem driven by a higher oneupmanship. They take the fine as a field of competition as they strive to do the finest things (1169a8 f.), and appreciate that vulgar loss may be noble gain: “They will throw away wealth too on condition that their friends will gain more; for while a man’s friend gains wealth he himself achieves the fine; he is therefore assigning the greater good to himself” (a26 – 9). A further refinement follows: “He may even give up actions to his friend; it may be finer to become the cause of his friend’s acting than to act himself” (a32– 4). Kraut denies any real conflict of interests, nicely distinguishing “the good that comes of competition” from “the specific goal of the game being played” (1989a, 20). He gives a sporting analogy: “Of course, it is impossible for each to surpass all others, and in this sense one person’s victory is everyone else’s loss. But even if the specific goal of the competition cannot be achieved by all, it is nonetheless possible, as in tennis, for each to be better off than he would have been had he not competed” (ibid.). He has a text to cite: “If all were to strive towards the fine and strain every nerve to do the finest deeds, everything would be as it should be for the community” (1169a8 – 10). He takes this not to be a happy accident, but an extra motivation: we compete partly in order to further the common good. This is why, even with moral competition, friendship in virtue does not involve the quarrels and complaints that mar friendship in utility (VIII 13 [15], 1162b5 f., 16 – 21). He further supposes that, out of regard for one another, we conduct the competition with restraint: we do not try to hog the opportunities for excelling, but instead, for example, rotate political offices (Politics VII 14, 1332b25 – 9). An idiosyncratic self-concern is disciplined by a common-sensical concern for others. This is a credible reading if it is already established that Aristotle is no egoist, but there is no need to believe it. Unfair competition is already excluded by the sphere of the competition, which is just action: monopolizing a political office may still be fun, but it is not fine, if it is beyond one’s deserts. Even when one has the right to push oneself forward, it may be finer to take a back seat
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(cf. EN IX 8, 1169a32– 4, already quoted). And one needs to note precisely why Aristotle expects moral competition to remain friendly: “No one is offended by a man who loves him and does well by him – if he is a person of nice feeling he retaliates by doing well by the other” (VIII 13 [15], 1162b9 – 11). There is a sting in the term “retaliates” that the context does not wholly disarm. Aristotle takes the bare fact that the friends are rivalling one another in beneficence to keep them at peace, without feeling the need to add anything about an irreducibly altruistic motivation, or an anti-egoistic moderation in acquiring opportunities. So we lack evidence for supposing that he intended us to supplement what he actually says along Kraut’s lines. While Kraut has tried to make out that Aristotle’s conception of moral competition is not unattractive, I have argued, after Anselm Müller (1977, 128 f.), that it is actually incoherent (1989, 112 f.). Readers have naturally been reluctant to agree, and the issue needs to be thrashed out. The problem arises precisely with the refinement: “He may even give up actions to his friend; it may be finer to become the cause of his friend’s acting than to act himself” (IX 8, 1169a 32– 4). Suppose that A is wondering whether to perform some good deed x. The claim that it may be finer of him to leave x to B is problematic in two ways: B may replicate A’s reasoning, and prefer that A do x (so that A and B will be at odds); and A may then reflect that it might be yet finer of A if he lets B let A do x (so that A will be at a loss what to do). So each agent faces an unending sequence of thoughts and second thoughts: do x, don’t do x, do x, don’t do x. Thus the refinement (which has pretheoretical plausibility) seems incompatible with the conception of moral gain; and then it is surely the second that should be discarded. But Aristotle’s acceptance of moral gain is well-evidenced: the good man strives to get possession of the fine (1168b27, 1169a20 – 2). And it is crucial to his reconciliation in IX 8 of egoism and morality. It is true that it is not the bare conception of moral gain that is doing the damage: what is fatal is if the agent is either competitive, or maximizing, in respect of moral gains. If A is keen to act finely, but does not insist upon achieving either the greater share or the last degree of fineness, he may stop his reflections at any point by acting or letting B act. Is Aristotle a maximizer in respect of moral gains? Some of the evidence is indecisive: I can assign to myself “the things that are finest and best” (1168b29 – 30) without maximizing, so long as that means things of the finest and best kinds; and I can be keen to act virtuously most of all things (1168b25 – 7) without trying to act as virtuously as possible. But there is clear evidence of moral competition: 1169a8 f. welcome the possibility that everyone should “compete towards the fine”; a34–b1 have the good man “in all praiseworthy things assigning to himself a greater share of the fine”. It appears that the noble agent, like every agent, “wishes good things especially
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for himself” (VIII 7 [9], 1159a12). And this is both enough to produce the problem, and indicative of maximizing: except where one knows that the competition is weak, one competes by doing one’s best. (It is no accident that athletes aim both to win medals and to break records.) It seems that Aristotle has failed to think things through. So rethinking is needed. Perhaps he could retain the conception of moral gain while discarding those of moral competition and maximization. It is these that are responsible for the particular problem: this would arise, even without (a) the conception of moral gain, from either (b) the competitive rule “Always be finest”, or (c) the maximizing rule “Always take the finest option.” It is true that (a) connects with (b) and (c) in that gains are among the things that most plausibly lend themselves to competition and maximization; but there is no entailment. However, a general problem remains about combining the notions of moral gain and moral generosity. Suppose that A stops thinking where Aristotle does, and is content to let B do x: how can this count as generous if he consciously gains more thereby than by doing x himself? Even the material generosity of IX 7 becomes difficult: how can it count as generous of A to spend money on B if he consciously gains more thereby than by spending the money on himself? Aristotle wishes to claim that the benefactor makes the greater gain (and perhaps a gain greater than he could have made in any other way), while admitting that it is the beneficiary who owes the gratitude; but how can both be true? The upshot is indeed incoherence. The trouble goes back to Socrates. The maxim “It is worse to do than to suffer wrong” (Gorgias 473a5) should have been justified on grounds of generosity, and not of eudaimonism. Combining the two produces the same conundrum: if A can only stop B from wronging him by wronging B first, is it generous, or acquisitive, of him to take the wrongness upon himself? Plato and Aristotle are inheriting a mistake. And yet all is not lost: the concept of moral advantage indeed fails to provide a eudaimonistic justification of generosity, but that does not touch the accommodation of effective altruism within an extended egoism which I explored earlier. It is our task, so far as we can, to keep the errors and the insights apart.
Literature Annas, J. 1989: Self-Love in Aristotle, in: Southern Journal of Philosophy 27, Supplement, 1 – 18. Cooper, J. 1973: The Magna Moralia and Aristotle’s Moral Philosophy, in: American Journal of Philology 94, 327 – 349; auch in Mueller-Goldingen (Hrsg.) 1988.
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12 Theoretische und politische Lebensform bei Aristoteles (X 6 – 9) 12.1 Die theoretische Lebensform: EN X 6 – 7, EE VIII 2, De partibus animalium I 5 Die Darlegung des Aristoteles in der Nikomachischen Ethik, daß das Ziel des menschlichen Lebens das Glück sei und der Mensch das höchste Glück in der betrachtenden [theoretischen] Lebensform finden könne (EN I 3 und 6, X 6 – 9), hat in Antike und Neuzeit immer wieder fasziniert und den Beifall vieler Gebildeten erhalten, die sich in diesem Gedanken wiederfanden, ist andererseits aber auch immer wieder Gegenstand der Kritik von Leuten gewesen, die das eigentliche Wesen des Menschen in dessen sozialer Komponente sahen und in erster Linie die politische Lebensform favorisierten, der Aristoteles nur den zweiten Rang zuzuerkennen schien, oder die dessen Ansatz überhaupt für verfehlt hielten. Um zu verstehen, was Aristoteles eigentlich meint, ist eine sorgfältige Berücksichtigung des philosophischen Rahmens nötig, innerhalb dessen er seine Gedanken entwickelt. Nachdem Aristoteles in I 5 herausgearbeitet hat, daß nur ein um seiner selbst willen erstrebtes Gut ein vollkommenes Ziel sein kann und daß darauf am ehesten das Glück (eudaimonia) Anspruch erheben kann, definiert er in I 6 das Glück als psychische Aktivität, die in einer Lebensführung im Sinne der eingeübten und erlernten menschlichen Tugenden besteht. Diese Tugenden werden ein wenig später in geistige (dianoetische) und ethische gegliedert (I 13, 1103a3 ff.). Wenn man vor diesem Hintergrund X 6 – 9 liest, wo der Primat der theoretischen Lebensform begründet wird, die in der Aktivität im Sinne der geistigen Tugend besteht, ist man leicht geneigt, den Ansatz des Aristoteles für unpolitisch und individualistisch zu halten und dementsprechend je nach eigener Einstellung positiv oder negativ zu bewerten. Aristoteles sagt jedoch in I 1, 1094b11, daß seine Untersuchung eine Art politische Untersuchung sei. Das Ziel, also das Glück, für einen ganzen Staat zu erreichen, sei größer und vollkommener, man müsse sich aber auch damit zufrieden geben, es für einen einzelnen allein zu erreichen. Daß diese Einschränkung nur notgedrungen erfolgt, wird aus dem Schluß der Nikomachischen Ethik deutlich (X 10). Danach sei es eigentlich Aufgabe des Staates, sich um die Erziehung zur Tugend zu kümmern. Aber mit Ausnahme Spartas (wo wiederum die Erziehungsziele nicht gebilligt werden) werde überall diese Aufhttps://doi.org/10.1515/9783110578751-014
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gabe verfehlt, so daß nur die private Bildung übrig bleibe (vgl. Schütrumpf 1991, I 80 ff.). Die Aussonderung der Individualethik aus dem Bereich der Politik ergibt sich also nur aus einer im Vergleich zu Platons Staatsmodell realistischeren Einschätzung der Möglichkeiten des Gesetzgebers und Staatsmanns auf dem Gebiete der Erziehung. Um so dringlicher stellt sich die Frage, welche Vorstellung Aristoteles vom Verhältnis der beiden Lebensformen, der theoretischen und der politischen, zueinander hatte. Die Bestimmung des Inhalts der theoretischen Lebensform bereitet dabei die größten Schwierigkeiten. Eine erste Annäherung an die Frage kann davon ausgehen, daß das Thema unterschiedlicher Lebenseinstellungen schon vor Aristoteles eine Rolle spielte. In EN I 3 handelt Aristoteles von den darüber bestehenden Meinungen, spart aber die theoretische Lebensform aus. Doch zeichnet bereits Platon in Theätet 173cff. das Bild des weltfremden Philosophen, der alles unter und auf der Erde und am Himmel erforscht, aber von dem, was in seiner Nähe vorgeht, nicht tangiert wird, und erzählt dazu die Anekdote von Thales, der mit dem Blick nach oben, also zum Himmel, in einen Brunnen fiel und deshalb von einer thrakischen Magd verspottet wurde. Dieser Thales verkörpert doch wohl den der Schau (theôria) zugewandten Philosophen, jedenfalls so, wie er sich in volkstümlicher Sicht darstellt. Auch Aristoteles kommt in EN VI 7, 1141b3 f. auf Thales zu sprechen. Es geht ihm um die begriffliche Abgrenzung der ‘praktischen Einsicht’ (phronêsis) von der ‘philosophischen Weisheit’ (sophia). Männern wie Anaxagoras und Thales sprächen die Leute die praktische Vernunft ab, wenn sie sähen, daß diese nicht wissen, was ihnen selbst nützt, wohl aber würden sie ihnen ein Wissen um Dinge zuerkennen, die „bedeutend, staunenswert, schwer verständlich und rätselhaft, wenn auch unnütz sind, weil sie nicht nach dem suchen, was für die Menschen gut ist“ (EN VI 7, 1141b6 ff.). Dazu gehört im Kontext (VI 7, 1141a33 ff.) das Wissen um die Himmelsobjekte, die als von Natur aus göttlicher als der Mensch bezeichnet werden. Es erschöpft sich aber offensichtlich nicht darin. Die Gestirne sind nur das „offenkundigste“ Beispiel (1141b1) für Dinge, die göttlicher als der Mensch sind, so daß die Wissenschaft, die das Gute für den Menschen sucht, die Politik, mit der Weisheit der Philosophen nicht identisch sein kann. Im X. Buch der Nikomachischen Ethik, wo die theoretische Lebensform ausführlicher behandelt wird, wird zu der Frage, auf welche Gegenstände sich die ‘Theorie’ richtet, nicht sehr konkret Stellung genommen. In X 6 wird zunächst erörtert, wieweit das Spiel als Kandidat für das höchste Glück in Frage kommt. Auch dies werde um seiner selbst willen gewählt. Aber es habe mit der Erholung Ähnlichkeit, die im Dienste der Aktivität stehe; außerdem mache es der Bezug des Glücks zur Tugend erforderlich, daß das Glück mit Ernst verbunden sei. In X 7, 1177a12 ff. bestimmt Aristoteles das Glück dann in Wiederaufnahme der Gedanken
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des ersten Buchs wie folgt: „Wenn das Glück Aktivität im Sinn der Tugend ist, ist sie es mit gutem Grunde im Sinne der höchsten Tugend, und diese muß die des besten Seelenteils sein. Sei es nun, daß dies der Geist (nous) ist, sei es, daß er etwas anderes ist, von dem gilt, daß es der Natur entsprechend herrscht und führt und eine Vorstellung vom sittlich Guten und Göttlichen besitzt, sei es, daß er auch selbst etwas Göttliches ist, sei es, daß er das Göttlichste in uns ist, die Aktivität dieses Seelenteils im Sinne der ihm eigentümlichen Tugend muß das vollkommene Glück sein. Und daß es theoretisch ist, ist schon gesagt worden.“ Nur scheinbar werden hier verschiedene Alternativen zur Disposition gestellt. In Wirklichkeit geht es nur um Aspekte desselben Sachverhalts. Die Aktivität des Geistes (also jedenfalls dessen, was das Göttlichste in uns ist) bedeutet Glück, und dieses Glück besteht in der Betrachtung. Da ein Objekt nicht genannt wird, besteht kein Anlaß, im Hinblick auf EN VI 6 und 7 mit W. F. R. Hardie (1980, 337 f.) zu glauben, daß hier nur an das Studium theologischer und astronomischer Sätze und Beweise gedacht sei. Auch in Buch VI war das Forschungsinteresse von Leuten wie Anaximander und Thales nicht genau bestimmt, und überdies spiegeln die dortigen Ausführungen, die nur der Begriffsklärung dienen, die einseitige Perspektive der Menge wider. Wir sind also frei, alle drei theoretischen Wissenschaften, die in Met. VI 1 genannt werden, Erste Philosophie bzw. Theologik, Naturwissenschaft (zu der nach aristotelischem Verständnis auch die Astrophysik zählt) und die mathematischen Disziplinen unter die Gegenstände der Glück bringenden Aktivität unserer Psyche zu rechnen. In der der Nikomachischen Ethik vorausgehenden Eudemischen Ethik (VIII 2, 1249b20 f.) wird in bezug auf die beste Lebensform allerdings davon gesprochen, daß diese darin bestehe, „Gott zu verehren und (über ihn?) Betrachtungen anzustellen“ (ton theon therapeuein kai theôrein). Dies klingt etwas dezidierter. Man streitet sich darüber, ob Gott in diesem Satz außer Objekt der Verehrung auch Objekt der Betrachtung sei (so Hardie 1980, 341, anders Dirlmeier 1962, 105). In der neusten Ausgabe von Walzer-Mingay (1991) wird der Text (nach dem Vorschlag von D.B. Robinson) anders gelesen: „Das Göttliche in uns zu verehren und Betrachtungen anzustellen“ (to en hêmin theion therapeuein kai theôrein) wäre danach Ausdruck dieser Lebensform. Ebenso geht der Streit darum, ob im selben Zusammenhang die „Schau Gottes“ (bzw. „des Göttlichen“, so Walzer-Mingay im Gefolge von Robinson) oder „das betrachtende Verhalten Gottes (nämlich des Gottes in uns, d. h. das betrachtende Verhalten unseres Geistes)“ empfohlen wird (so Dirlmeier 1962, 105, 500, dagegen z. B. Cooper 1975, 142 Anm. 56). Aber wie immer man sich entscheidet, es sollte klar sein, daß hier nicht religiöse Meditation als höchste Lebensform gepriesen sein kann, was mentalitätsgeschichtlich zur Zeit des Aristoteles eine Unmöglichkeit ist. Auch wenn die Verehrung Gottes oder die Schau Gottes gemeint sein sollte, kann dies nur auf das Studium des
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Göttlichen in der Welt zielen. Die religiöse Färbung, die die Stelle zweifellos besitzt, kann nur die Funktion haben, deutlich zu machen, daß die theoretische Lebensform es ermöglicht, die Welt gewissermaßen aus göttlicher Perspektive, von außen, zu betrachten. Zwar richtet sich Gottes Aktivität nach der pointierten Formulierung in Met. XII 9 auf sich selbst, aber sogar dabei ist noch offen, worauf sie sich richtet, wenn sie sich auf Gott selbst richtet. In De partibus animalium I 5, d. h., in dem Einleitungsbuch zu seinen biologischen Schriften, die einen Hauptteil seiner theoretischen Naturwissenschaft (physikê) bilden, nimmt Aristoteles zu den Objekten seiner Wissenschaft ausführlich Stellung und rechtfertigt das Studium der höheren und vor allem der niederen Tiere unter Vergleich mit den Gegenständen der Astrophysik damit, daß auch in diesen Objekten etwas Wunderbares enthalten sei. Der dazu zitierte Satz des Heraklit, der, als er von Gästen beim Baden überrascht wurde, gesagt haben soll: „auch hier sind Götter“ (645a21), soll offensichtlich mit dem Hinweis auf die Götter dazu dienen, die Biologie als Teil der Naturwissenschaft auf volkstümliche Weise aufzuwerten. Aristoteles mußte erst Aufklärungsarbeit leisten, damit das Sezieren von niederen Tieren als eine Tätigkeit gewürdigt werden konnte, die dem Nachdenken über den Kosmos ebenbürtig ist. Die Welt ist nach der Lehre des Aristoteles nicht von Gott geschaffen, und zwar weder der obere Kosmos der Gestirne noch die irdische Welt, – die Welt ist seiner Meinung nach überhaupt nicht entstanden – , dennoch ist es statthaft, auch in bezug auf die Naturordnung die Prädikate ‘wunderbar’ und ‘göttlich’ zu benutzen. In bezug auf den Inhalt der Theorie gibt es also im Werk des Aristoteles keinen erkennbaren Unterschied. Wahrscheinlich ist außer den theoretischen Wissenschaften, die in Met. VI 1 genannt werden, in der Nikomachischen Ethik auch die ‘Theorie’ mitgemeint, die – in untergeordneter Funktion – in der praktischen Philosophie, d. h. den Ethiken und der Politik, vorliegt. Denn Aristoteles betont gelegentlich, daß es dort nicht nur um das menschliche Handeln, sondern auch um die ‘Theorie’ geht (Pol. I 11, 1258b11; III 8, 1279b12 ff. [vgl. Kullmann 1980, 438]; VII 2, 1324a19 f.; EE I 6, 1216b35 ff.). Die Beschäftigung mit all diesen Bereichen erfolgt nicht um eines Nutzens willen, sondern im höchsten Maße um ihrer selbst willen und führt zum höchsten, mit Lust verbundenen Glück des Menschen. Auf die Frage, wie diese Überzeugung des Aristoteles zu bewerten ist, komme ich gleich zu sprechen.
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12.2 Das Verhältnis der politischen zur theoretischen Lebensform: EN X 7 – 8 Die politische Lebensform hat nach EN I 3 demgegenüber den Erwerb von Ehre oder die Betätigung ethischer Tugenden zum Inhalt. Die letzteren stehen auch in EN X 8 und in Pol. VII 3 bei der Bestimmung der politischen Lebensform im Vordergrund. In EN X 8, 1178a9 ff. heißt es z. B.: „Die Aktivitäten im Sinne dieser [scil. der ethischen Tugend] sind nur auf Menschen bezogen. Wir vollbringen gerechte, tapfere und sonstige ethische Handlungen untereinander, indem wir in geschäftlichen Dingen, in Notlagen und mannigfachen Handlungen und Stimmungen auf das achten, was für jeden gehörig ist.“ Wie schon anfangs angedeutet, wird von Aristoteles die Beförderung der ethischen Tugenden nicht so sehr als ein privates Ziel angesehen als vielmehr als ein soziales, auf die Polis bezogenes, also auf eine Institution, die auf den gemeinsamen Nutzen hin ausgerichtet sein soll (Pol. III 7). Die ethischen Tugenden sind dabei als von der praktischen Einsicht (phronêsis) gelenkt aufgefaßt. Tugendhaftes Handeln kommt durch Gewöhnung und Erziehung zustande und bedarf dieser Einsicht. Ich wende mich nun der Frage des Verhältnisses dieser beiden Lebensformen, der politischen und der kontemplativen, theoretischen, zueinander zu. Schließen sie sich gegenseitig aus oder nicht? In diesem Zusammenhang müssen die Ausführungen am Ende von EN X 7 gesehen werden. Aristoteles stellt fest, daß für den Menschen das Leben im Sinne des Geistes (kata ton noun) das beste und lustvollste sei, wenn denn den Menschen das ausmache, was ihm von Natur eigentümlich ist (1178a6 f.). Diese Lebensform sei mithin die glücklichste. Ein Problem stellt sich bei dem anschließenden Satz: „in zweiter Linie (ist das Leben) im Sinne der sonstigen Tugend (glücklich)“ (1178a9). Dieses Leben ist also ein Zweit-Bestes (Gadamer 1991, 227). Wie ist dies zu verstehen? Zwei Möglichkeiten bieten sich an: 1) Wer die theoretische Lebensform nicht erreicht, für den ist die Lebensform, die auf die Ausübung von Tugenden wie Gerechtigkeit und Tapferkeit ausgerichtet ist, mithin die politische Lebensform, die am meisten glückversprechende. 2) Auch der Theoretiker muß als Mensch, insofern man von dem ‘Göttlichen in ihm’ absieht, weil er mit vielen zusammenlebt und von Natur aus ein ‘politisches Lebewesen’ ist, Aktivität im Sinne der ethischen Tugenden entfalten. Meiner Auffassung nach denkt Aristoteles an beides. Die politische Lebensform ist gegenüber der theoretischen Lebensform eine eigenständige Lebensform (vgl. EN I 3), zugleich aber auch die supplementäre Lebensform dessen, der die theoretische Lebensform zum Hauptinhalt seiner menschlichen Aktivität gemacht hat. Es heißt in EN X 8, 1178b5 ff.: „Sofern er aber ein Mensch ist und mit mehreren
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zusammenlebt, entscheidet er sich dafür, die Aktivitäten im Sinne der ethischen Tugend zu entfalten.“ Die von mir dargelegte Interpretation ist jedoch umstritten. Man hat z. B. die Auffassung vertreten, daß zwar die Eudemische Ethik einen solchen Standpunkt entwickle und davon ausgehe, daß die theoretische Lebensform immer der Ergänzung durch die politische bedarf (vgl. EE II 4, 1221b28 ff.; VIII 3, 1249b16 ff.), nicht aber die Nikomachische Ethik (Cooper 1975, 164 f.). In der Eudemischen Ethik werde die Überlegenheit der intellektuellen Güter unter der Voraussetzung anerkannt, daß die moralischen Erfordernisse erfüllt werden, was bei der theoretischen Lebensform der Nikomachischen Ethik nicht der Fall sei. Dieses Argument erscheint mir jedoch nicht zwingend. Aristoteles’ Ausführungen über das theoretische Leben werden gegeben, indem im Menschen das isoliert wird, was in ihm das Beste ist. Aristoteles sagt ausdrücklich, der Mensch könne diese Lebensform nicht leben, sofern er Mensch sei, sondern sofern etwas Göttliches in ihm vorliege (EN X 7, 1177b26 ff.). Dies kann er, wie mehrfach betont wird, nur für kurze Zeitspannen. In anderen Zeiten ist er nicht mehr göttlich, sondern ganz Mensch. Nur in Augenblicken oder kurzen Zeitabschnitten verliert der Mensch sein Menschsein und wird sozusagen unsterblich, eigentlich ‘todlos’ (1177 b 31 ff.); selbst dann mag der ihn beherrschende geistige Seelenteil (nous) eine Vorstellung vom Sittlichguten neben der vom Göttlichen besitzen (1177a15); auf jeden Fall führt er nur dann das betrachtende Leben.¹ Sonst kann er nur das Glück der politischen Lebensform genießen. Es bleibt also dabei, daß der Vertreter der theoretischen Lebensform immer auch der praktisch-politischen Lebensform bedarf, da er ja ein aus Körper und Seele zusammengesetztes Lebewesen ist (syntheton, 1177b28 f.). Insofern stimmt EN X 6 – 8 auch bestens mit dem Rest der Nikomachischen Ethik, in dem die moralischen Tugenden ausführlich erörtert werden, überein, was gelegentlich bestritten wurde (Nussbaum 1986, 375 ff.). An Aristoteles’ Konzeption, daß der Mensch, um das höchste Glück zu erlangen, die theoretische Lebensform wählen solle, hat man in moderner Zeit häufiger moralisch Anstoß genommen. Besonders pointiert hat Ackrill seine Kritik formuliert (1985, 206 ff.). Kann Aristoteles gemeint haben, daß wir Freunde, Familie und Gemeinschaft vernachlässigen sollen, um uns auf unser Geistesleben zu konzentrieren? Sind andererseits die Forderungen der Moral so begrenzt, daß man sie erfüllen und noch Zeit übrig haben könnte? Wenn aber tatsächlich die theôria die höchste Tätigkeit ist, warum soll man sich dann noch um andere Menschen kümmern oder sich gar für seine Stadt aufopfern? Etwas gönnerhaft
Solange er sich dem theoretischen Leben hingibt, hat er gar keine Möglichkeit, im Sinne der ethischen Tugenden aktiv zu sein.
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klingt Ackrills zur Ehrenrettung des Aristoteles gemachter Vorschlag, Aristoteles’ Auffassung mit dem Gedanken zu Hilfe zu kommen, daß moralisches Wirken in der Gemeinschaft auf die Dauer die Möglichkeiten zur theôria maximieren könne. Leider hat der Gedanke keinen Anhaltspunkt im Text.
12.3 Die beiden Lebensformen im anthropologischen und politischen Kontext: EN X 9, Met. I 1, Pol. VII 2 – 3 Wie stellt sich Aristoteles nun das Leben eines solchen Vertreters der theoretischen Lebensform im Rahmen der Polis vor? Hierbei ist zu berücksichtigen, daß im 4. Jahrhundert das Leben eines Philosophen, der sich einer solchen Lebensform verschrieben hatte, eher noch anstößiger war als Aristoteles’ Konzeption bei heutigen Philosophen. So verwendet Platon z. B. in der Politeia viel Mühe und Ernst darauf, sich gegen die ‘Verleumdung der Philosophie’ (vgl. Rep. VI, 489d1) zur Wehr zu setzen. In Rep. 487cd bringt Adeimantos als advocatus diaboli die Argumente gegen diejenigen zur Sprache, die sich über ihre Jugendzeit hinaus mit der Philosophie beschäftigten und dadurch verdorben würden, was dann von Sokrates kritisch aufgegriffen wird. Platon nimmt damit die Kritik an einem Argument wieder auf, das er im Gorgias 484cff. dem Kallikles in den Mund gelegt hatte: Philosophie sei eine hübsche Sache für junge Leute, wenn sie sich damit nicht zu lange beschäftigten. Werde ein solches Studium zu sehr ausgedehnt, fehlten nachher Gesetzeskenntnisse und Erfahrung im Umgang mit Menschen, und die Betreffenden wirkten kindisch und machten sich lächerlich. Die Anstößigkeit rührt bei Platon nicht daher, daß man dem Philosophen seine gute soziale Lage neidete, die es ihm ermöglichte, sich ohne Arbeit einem geistigen Müßiggang zu verschreiben. Niemand fand etwas dabei, wenn jemand sein Vermögen einsetzte, um zeit seines Lebens politisch tätig zu sein. Gerade die finanziell unabhängigen, meist reichen Politiker, wie sie in Platons Gorgias durch die Gestalt des Kallikles repräsentiert sind, fanden philosophische Existenzen anstößig, weil sie kindisch und nicht lebenstüchtig erschienen. Auch persönliche Angriffe hat es gegeben. Isokrates denkt anscheinend an bestimmte Sokratiker, wenn er in seiner Rede Gegen die Sophisten (or. 13, 3) schreibt: „Diese Lehrer sind in ihrer Skrupellosigkeit so weit gegangen, daß sie die jungen Leute zu überreden suchen, daß sie, wenn sie sich ihnen anschließen, wissen werden, was sie tun müssen, und daß sie aufgrund dieses Wissens glücklich würden (eudaimones). Nachdem sie sich jedoch als Lehrer und Meister
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so großer Güter hingestellt haben, schämen sie sich nicht, einen kümmerlichen Lohn von drei oder vier Minen dafür einzufordern …“ Das Mißverhältnis zwischen großen Versprechungen und der Abhängigkeit von einem geringen Lohn (vgl. Reich 1972, XIVff.) wird hier ironisch kritisiert. Man sieht, daß die politische Atmosphäre, in der die Philosophen im 4. Jh. v.Chr. die theoretische Lebensform für sich reklamierten, nicht besonders aufgeschlossen und liberal war. Bereits Platon selbst sieht in der Politeia im Philosophen jemanden, der jedes Wissen kosten möchte (475c6 ff.) und dessen Denken auf das „Göttliche und Geordnete“ gerichtet ist (500bc). Freilich muß der für die Philosophie Begabte zunächst zur Philosophie gezwungen werden (515c–e), bis er seines Glückes inne wird und ewig darin verharren möchte (516c). Aber Platon verpflichtet ihn, gegen seinen Willen wieder in die Niederungen unserer Welt, d. h. metaphorisch gesprochen, in die ‘Höhle’ hinabzusteigen und sich als philosophischer Staatsmann zu betätigen. Er soll nicht nur „sich selbst bilden“ (500d) und muß daher zu dem Abstieg gezwungen werden (520aff.; vgl. Bien 1969, 272 f.). Hier ist zu fragen, warum Platon den Philosophen das höchste Glück der Schau des Überirdischen auf die Dauer nicht gönnt. Die Frage wird von Sokrates dahingehend beantwortet, daß es nicht um das Glück von nur einem Stand im Staat gehe, sondern um das des ganzen Staates (519e). Nur die gegenwärtigen Philosophen, die aus eigenem Antrieb und ohne staatliche Fürsorge Philosophen wurden, könnten nicht zum politischen Wirken verpflichtet werden (520ab). Aber Platon hat ja immer wieder die Realisierung der Philosophenherrschaft im Auge (499cd), und diese ist ihm jedenfalls wichtiger als das Verharren in der reinen Betrachtung um ihrer selbst willen, einer Lebensform, die er gleichwohl in Rep. 581de sehr farbig als positiv charakterisiert. Auch Aristoteles ist es um die Rechtfertigung des theoretischen, philosophischen Lebens im Staate zu tun. Wie wichtig ihm dies ist, erkennt man daran, daß er sich nicht allein in der Schrift Politik darum bemüht, sondern auch der Darlegung des zentralen Gegenstandes der ‘Theorie’, der ‘Weisheit’ (sophia) oder ‘Ersten Philosophie’ (prôtê philosophia), in der Metaphysik eine entsprechende Einleitung vorausschickt. Aristoteles hätte die Grundfragen der Ersten Philosophie auch behandeln können, ohne das erste Kapitel, ja ohne das ganze erste Buch der Metaphysik zu schreiben. Die Frage des Seienden, insofern es seiend ist, der Satz des Widerspruchs, die Lehre vom Unbewegten Beweger ließen sich auch ohne diese Ausführungen sachlich und zureichend erörtern. Es kam aber Aristoteles offenbar darauf an, herauszustellen, daß die generelle Akzeptanz der Definition der ‘Weisheit’ als ‘Wissenschaft von den Prinzipien und Ursachen’ (Met. I 1, 981b28 f.) auf dem den Menschen angeborenen Wissensstreben, also auf anthropologischen Grundlagen beruht. Fragen nach dem Nutzen dieser Disziplin,
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modern gesprochen, nach ihrer „gesellschaftlichen Relevanz“, ist damit von Anfang an begegnet. Aristoteles beginnt (980a1): „Alle Menchen streben von Natur aus nach Wissen.“ Wenn man dieser Auffassung zustimmt, kann man nicht mehr sinnvoll die Frage stellen, ob man nach Wissen streben dürfe oder sich lieber um die Politik kümmern solle. Man kann einem Menschen nicht austreiben, was ihm angeboren ist. Man braucht nach Aristoteles also keine besondere Entschuldigung, wenn man die theoretische Lebensform wählt. Wie begründet nun Aristoteles seine Auffassung im einzelnen? Er zieht dafür zunächst biologische Faktoren heran. Er verweist auf die scala naturae, d. h. den unterschiedlichen Rang in bezug auf die Intelligenz unter den Lebewesen, wobei der Mensch die Spitzenstellung einnimmt. Wahrnehmung besitzen alle Tiere, Erinnerung nur einige; Lernfähigkeit unter diesen solche, die zu der Erinnerung auch noch das Gehör besitzen. Die meisten von ihnen leben mit Vorstellungen und Gedächtnis, haben aber nur wenig Erfahrung, das Menschengeschlecht lebt mit handwerklichem Können (technê) und Überlegungen (980b27 f.). Erst bei den Menschen entwickelt sich voll die Erfahrung, aus der wiederum Wissenschaft und handwerkliches Können erwachsen. Die letztgenannten Fähigkeiten stehen höher, weil die „Erfahrenen“ nur die Fakten wissen, die Handwerker und Wissenschaftler aber auch das „warum“. D. h. also, das Streben nach Erkenntnis hängt mit der natürlichen Ausstattung des Menschen und der kulturellen Entwicklung dieser Ausstattung zusammen. Die scala naturae läßt sich zu einer scala sapientiae verlängern, wenn man die kulturelle Entwicklung in ihrer zeitlichen Erstreckung mitberücksichtigt. Aristoteles betont, daß die ersten Erfinder der Künste nicht so sehr wegen des Nutzens ihrer Erfindungen bewundert worden seien als wegen ihrer Klugheit (Met. I 1, 981b13 ff.). Es ist also nicht der Nutzen, der nach Aristoteles die kulturelle Entwicklung vorantreibt, sondern ein angeborener kreativer Drang nach größerer Einsicht. Erst als die Menschen im Laufe der weiteren kulturellen Entwicklung die lebensnotwendigen und die dem Vergnügen dienenden Künste schon erfunden hatten und man Muße besaß, seien die erten mathematischen Disziplinen von der Priesterkaste in Ägypten entwickelt worden, weil man dieser dazu die Muße ließ (981b20 ff.). Als Triebfeder der Entwicklung weist Aristoteles auf die menschliche Neugier hin, das Sich-Wundern und InFrage-Stellen, das sich auf immer grundsätzlichere Dinge richtete (so explizit in I 2, 982b12 ff., 983a12 ff.). Im zweiten Kapitel folgen des weiteren dialektische Argumente, die aus der allgemeinen Auffassung vom Weisen das Wesen der Weisheit (sophia) zu erschließen suchen. Dabei stellt sich heraus, daß diese Weisheit allein um ihrer selbst willen gesucht werde und nicht um eines Nutzens willen, weshalb auch sie allein frei sei. Meines Erachtens verdienen diese Argumente eine ernsthafte Prüfung. Man hat in der Moderne bestritten, daß der Mensch die ‘Theorie’, das Betrachten der
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Welt von außen, um seiner selbst willen anstrebe. Der Soziologe Jürgen Habermas hat – dem Marxismus verpflichtet – die Auffassung vertreten, daß jedes Streben nach Erkenntnis immer von einem die Erkenntnis leitenden Interesse bestimmt sei; beispielsweise seien in den empirischen Wissenschaften bestimmte technische Interessen wirksam usw. Dies ist in einer kleinen Abhandlung aus dem Jahr 1965 mit dem Titel ‘Erkenntnis und Interesse’ (1971, 146 ff.) dargelegt, die dem historisch ausgerichteten großen Werk mit gleichem Titel vorausgeht (1973). Dahinter steht offensichtlich das wohlbekannte marxistische Dogma, daß der Mensch von der Ökonomie bestimmt sei und daß jeder ideologische ‘Überbau’ auf die materiellen Interessen zurückgeführt werden müsse (vgl. Habermas 1971, 160). Der Gedanke steht zu dem biologischen Argument des Aristoteles in starkem Gegensatz, für den, wie gesagt, das „Sich-Wundern“ (thaumazein), die interessefreie Neugier, dem Menschen angeboren ist. Nur dieser aristotelische Ansatz entspricht den Erkenntnissen der modernen Anthropologie und Ethologie, nach denen beim Menschen aus genetischen Gründen die jugendliche Neugierphase bzw. die Lernphase das ganze Leben anhält, während sie bei den meisten Säugetieren bald vorübergeht (vgl. Bolk 1926, 11 [„Retardationsprinzip der Menschwerdung“]; Schindewolf 1972, 275 f.; Gould 1977, 349 ff.; Kullmann 1983, 462 f.; 1992, 46). Auch beim Menschen ist sie nach Aristoteles nicht immer gleich intensiv. Er sagt in der Poet. 4, 1448b13 ff.: „Das Lernen (bzw. auch das ‘etwas bemerken’) ist nicht nur den Philosophen das Lustvollste, sondern in gleicher Weise auch den übrigen Menschen, doch nehmen sie nur kurze Zeit daran teil.“ Es geht Aristoteles an allen diesen Stellen um die anthropologischen Grundlagen des menschlichen Strebens nach Wissen, und damit nach handwerklich-technischem Können (technê) und nach Philosophie und Wissenschaft. Das Verhältnis zwischen Natur und menschlichem Bemühen ist an der bekannten Stelle in Phys. II 8, 199a15 ff. in die Formel gekleidet: „Die ‘Technik’ bringt im allgemeinen das zur Vollendung, was die Natur nicht imstande ist, zu Ende zu führen, im übrigen ahmt sie die Natur nach.“ Es geht an dieser Stelle zwar mehr um die Produkte von Natur und technê, aber Entsprechendes gilt auch für den Techniten und Philosophen. Er ist der verlängerte Arm der Physis. Auch wenn man vom heutigen naturwissenschaftlichen Standpunkt aus sich etwas differenzierter ausdrücken würde, wird man anerkennen müssen, daß Aristoteles mit seiner Anthropologie etwas fundamental Richtiges aufgedeckt hat. Die geistige Betätigung wird von ihm zu Recht nicht ausschließlich unter moralischen Gesichtspunkten betrachtet, wie es manche Interpreten gern gesehen hätten. Die Neugier und Entdeckungsfreude ist dem Menschen angeboren. Vom aristotelischen Standpunkt aus ist es absurd, dem Menschen dieses natürliche Streben und dessen kulturelle Weiterentwicklung verbieten zu wollen.
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Nun zur politischen Lebensform. Der Mensch ist nach Aristoteles von Natur aus auch ein „politisches Lebewesen“, besser gesagt, ein soziales Lebewesen, wie Thomas von Aquin richtig übersetzt. Auch dies ist, wie schon die Begriffe „von Natur aus“ und „Lebewesen“ zeigen, eine biologische Aussage; allerdings teilt der Mensch diese Eigenschaft des Politischen nach dem doppelten Zeugnis der Politik und der Historia animalium mit anderen Tierarten (Kullmann 1980, 420 ff., 431 ff.; 1992, 40). In Pol. I 2,1253 a 7 ff. sagt Aristoteles, daß der Mensch in höherem Maße als jede Biene und jedes Herdentier politisch sei, und denkt dabei an das Herdentierhafte, das sich in dem naturgegebenen menschlichen Sozialtrieb ausdrückt, von dem er in I 2, 1253a29 f. und III 6, 1278b21 spricht. Aus Hist.an. I 1, 487b33 ff. geht hervor, daß die politischen Lebewesen eine Untergruppe der Herdentiere sind und daß zu ihnen Mensch, Biene, Wespe, Ameise und Kranich gehören. Den höheren Grad an Politizität im Verhältnis zu den Tieren erreicht der Mensch durch das angeborene Kommunikationsmittel der Sprache, des Logos, der es ihm gestattet, sich auch bewußt, also über den Sozialtrieb hinaus, im gemeinsamen Interesse zusammenzuschließen und eine Rechtsordnung zu entwickeln. Ansatzweise ist der Mensch schon von Natur aus durch seinen Sozialtrieb auf eine soziale Ordnung hin angelegt, so daß es für Aristoteles einer Vertragstheorie nicht bedarf, um das Entstehen sozialer Ordnung zu erklären (vgl. Kullmann 1992, 102 ff. in Auseinandersetzung mit Rawls 1972, 11 ff.). Wenn man nun das Urteil des Aristoteles über das Wissensstreben des Menschen und über seinen politischen Charakter miteinander vergleicht, so beruht beides auf biologischen Voraussetzungen, doch wird das Wissenstreben sehr viel höher eingeschätzt, weil es dem Menschen allein eigentümlich ist. Der Mensch wird von ihm nicht als politisches Lebewesen definiert (Kullmann 1992, 48; anders Bien 1985, 72). „Politisches Lebewesen“ ist nicht die spezifische Differenz des Menschen (durch die sich der Mensch von den übrigen Lebewesen unterscheidet), wohl aber der Besitz des Geistes (nous) und des Logos. Letzterer macht den Menschen frei, nach dem vollkommenen Glück zu streben, dessen die Tiere nicht teilhaftig sind. Gegen die Ansicht von Aristoteles, daß die natürliche Besonderheit des Menschen etwas über dessen höchstes Ziel aussage, hat sich Günther Patzig gewandt (1983, 40 f.). Er sagt: „Jedes Wesen hat [scil. nach Aristoteles] die Aufgabe, seine unterscheidende Eigenart möglichst rein auszuprägen. Dem Menschen allein ist Vernunft gegeben, also liegt seine Pflicht darin, in seinem Denken und Handeln den Vernunfteinsichten nach Kräften zu entprechen. Dies ‘also’ jedoch läßt sich nicht ohne weiteres verteidigen. Man dürfte nicht ohne die Voraussetzung eines Schöpfers auskommen, der keine Eigenschaften und Fähigkeiten verleiht, von deren Ausbildung und Anwendung er sich nicht etwas verspräche.“
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Dieses Argument ist gewichtig, berücksichtigt aber nicht den empirisch-biologischen Ansatz des Aristoteles. Dieser geht davon aus, daß „die Natur nichts umsonst macht“, wie er sagt, und daß sie „ein guter Ökonom“ sei. Der Naturbegriff ist hier natürlich metaphorisch gebraucht, da die Unerschaffenheit der Welt und die Konstanz der Arten eine philosophisch-wissenschaftliche Grundüberzeugung des Aristoteles ist. Auch die heutige Biologie rechnet wie Aristoteles mit einer Zweckmäßigkeit im biologischen Geschehen, ohne dabei eine Hypothese über die Entstehung dieser Zweckmäßigkeit aufzustellen; diese Zweckmäßigkeit wird von ihr ‘Teleonomie’ genannt (Pittendrigh 1958, 394; Mayr 1974, 91 ff.; Hassenstein 1981, 60; Kullmann 1982, 32 f.). Es ist auch für den modernen biologischen Betrachter naheliegend, daß eine so ausgeprägte Eigenschaft wie die menschliche Vernunft innerhalb des menschlichen Bauplans nicht funktionslos ist, sondern bestimmten Leistungen der Spezies dient. Patzig führt in seiner Kritik an Aristoteles weiter aus, daß aus Einsichten über die Natur des Menschen und aus Einsichten in die Natur der Welt nicht erkannt werden könne, was sein soll. Es sei ein logischer Fehler, aus Sätzen, die nur sagen, was ist, ableiten zu wollen, was sein soll (1983, 42). Wenn man dabei den modernen Naturbegriff zugrundelegt, wird man dem zustimmen. Man denkt dabei an die verhängnisvollen Gefahren biologistischer Theorien, wie sie sich letzlich aus dem naturwissenschaftlichen Paradigmenwechsel im Gefolge des Darwinismus ergeben haben. Aber Aristoteles hat einen anderen Naturbegriff. Er benennt den Zustand dessen, der seine höchste Vollkommenheit, sein Glück, erreicht, mit demselben Begriff, mit dem er den Anfangszustand bezeichnet, nämlich ebenfalls ‘Natur’ (physis, vgl. z. B. Pol. I 2, 1252b32 f.). Darin liegt keine Unklarheit. Aristoteles möchte zum Ausdruck bringen, daß das Telos (die Vollendung, sein Ziel) tendenziell im Menschen schon angelegt ist, daß aber der kulturelle Weg des Menschen vom Ausgangszustand zum Ziel frei und eigenverantwortlich zurückgelegt werden muß. Auch in EN X 7, 1177a13 ff. wird vom geistigen Seelenteil gesagt, daß seine Aktivität höchste Tugend sei und er nach allgemeiner Meinung „von Natur aus“ herrscht und führt. Die seelische und moralische Aktivität des Menschen entwickelt sich jedoch im Detail nicht zwangsläufig aus seiner biologischen Veranlagung (vgl. Salkever 1990, 73). Dies zeigt sich natürlich besonders deutlich im ethischen Bereich. In Pol. I 2, 1253a31 ff. führt Aristoteles aus, daß der Mensch in seiner vollkommenen Form das hervorragendste Lebewesen sei, aber getrennt von Gesetz und Recht das gemeinste. Am schlimmsten sei nämlich Unrecht in Waffen. Der Mensch sei mit Vernunft und Tüchtigkeit bewaffnet, die er jedoch auch zum Gegenteil hin gebrauchen könne. Ohne Tugend sei er am ruchlosesten und wildesten. Durch seine Vernunft wird also der Mensch von gerichteten Trieben, wie sie das Verhalten der Tiere regeln, frei; er kann über sein Handeln selbst bestimmen und seine natürlichen Anlagen weiterentwickeln oder
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ihnen zuwiderhandeln (vgl. auch EN VI 7, 1114b16 ff.). Es handelt sich hierbei um eine wichtige anthropologische Einsicht, die noch bei Augustinus wirksam ist, wenn er in Contra Faustum ausführt, daß die Tiere im Unterschied zum Menschen nicht sündigen können (CSEL 25, lib. 22,28 p. 623,6 f.). Aus moderner Zeit sei etwa an die Gedanken von Arnold Gehlen zum Menschen als Mängelwesen erinnert (Gehlen 1978, 102 ff.). Beide Arten menschlicher Aktivität, die theoretische und die politische, sind wie gesagt nicht komplementär. Die politische Lebensform bleibt deutlich abgewertet. Dies drückt sich insbesondere darin aus, daß nach der Nikomachischen Ethik allein der Vertreter der theoretischen Lebensform über Muße (scholê) verfügt. Damit ist nicht gemeint, daß er allein sozial in der Lage ist, sich der Theorie zu widmen, sondern es ist an eine selbst gewählte Muße gedacht. Aristoteles sagt ausdrücklich in X 7, 1177b12 ff: „Auch das Handeln des Politikers ist ohne Muße und sucht neben der politischen Tätigkeit selbst noch Macht und Ansehen zu gewinnen, oder doch das Glück für sich und für die Bürger, also etwas, das zur politischen Tätigkeit noch hinzukommt und das man offensichtlich sucht, weil es noch hinzukommt.“ Auch im aristotelischen Rahmen ist es ein sehr hochgegriffener Begriff von Muße, der dem Vertreter der theoretischen Lebensform zugeschrieben wird, und er setzt ein hohes kulturelles Niveau voraus (vgl. Höffe 1987, 287; Kullmann 1995). In der Politik, die vermutlich früher als die Nikomachische Ethik verfaßt wurde, finden wir ihn in dieser Form nicht. Dort wird mehrfach betont, daß gerade für politische Tätigkeit die Muße Voraussetzung sei, d. h. die Freiheit von Arbeit für den Lebensunterhalt (vgl. Pol. II 11, 1273a24 f.; VII 9, 1329a1 f.). Die besondere Raffinesse des aristotelischen Gedankens der theoretischen Lebensform liegt in der damit verbundenen „Minimalmetaphysik“ (Ausdruck von Patzig 1983, 40), die wir als seine Überzeugung zu respektieren haben: Solange er theoretisiert, erhebt sich der Mensch über das bloß Menschliche und nähert sich dem Göttlichen, wie auch in der Politik betont wird. Er kann als ‘besonders gottgeliebt’ gelten (EN X 9, 1179a30). Ein solcher Mensch ist, auch abgesehen von dem Argument der Naturgemäßheit, für die Absonderung von den übrigen Menschen zusätzlich entschuldigt, wenn er sich dem Geistigen zuwendet, und es wird gewissermaßen seine kulturelle Leistung herausgestellt. Es bleibt aber zu klären, wie Aristoteles unbeschadet der genannten Rechtfertigungen den praktischen Wert der theoretischen Lebensform im politischen Rahmen beurteilt. Da bei der Behandlung der wenig idealen Oligarchien und Demokratien seiner Zeit für das Problem der theoretischen Lebensform wenig Raum bleibt, geht er nur bei dem Entwurf des „Wunschstaates der Elite“, also in der Utopie von Pol. VII und VIII, für die von ihm eine Realisierung nicht ins Auge gefaßt ist, auf das Verhältnis zwischen theoretischer und praktischer, d. h. poli-
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tischer Lebensform ein. Dort stellt er allerdings in Pol. VII 2 die Frage nach dem Verhältnis der beiden Lebensformen im politischen Raum der Polis. Nachdem er zunächst an Beispielen belegt hat, daß die Glücksformen des einzelnen und die der Polis die gleichen sind, heißt es in 1324a13 ff.: „Es gibt noch zwei Punkte, die der Prüfung bedürfen, erstens, welche Lebensform die erstrebenswertere ist, die der Beteiligung an der politischen Verwaltung und der Teilnahme am Staat oder eher die als Außenstehender und aus der politischen Tätigkeit Herausgelöster, ferner die Frage, welche Verfassungsform und welcher Zustand des Staates am besten sei …“ In 1324a25 ff. folgt zur ersten Frage: „Unter denen, die darin übereinstimmen, daß das mit der Tugend verbundene Leben das erstrebenswerteste ist, besteht ein Streit darüber, ob die politische und praktische Lebensform erstrebenswerter ist oder eher die, die von allem Äußeren abgelöst ist, das heißt, eine betrachtende [theoretische] Lebensform, die allein, wie man sagt, zum Philosophen paßt. Genau diese beiden Lebensformen werden offensichtlich von den Menschen gewählt, die in bezug auf die Tugend am ehrgeizigsten sind, sowohl von den Früheren als auch von den Jetzigen. Ich meine die politische und die philosophische Lebensform.“ Zunächst ist es bemerkenswert, daß hier sogar im Rahmen des ‘besten Staates’ die Möglichkeit, sich vom politischen Leben zurückzuziehen und sozusagen ‘unpolitisch’ zu leben, als gegeben hingenommen wird. Von einer Verpflichtung zur Beteiligung an der Politik wegen der genossenen Erziehung wie bei Platon ist auch nicht andeutungsweise die Rede. Weder soll der Begabte zur Betrachtung des Höchsten gezwungen werden, noch soll der in der Schau verharrende Philosoph gewaltsam veranlaßt werden, auf seine Schau zugunsten der Polis zu verzichten. Innerhalb der elitären Bürgerschaft des utopischen ‘Wunschstaates’ geht es sehr liberal zu. Aristoteles begnügt sich damit, die persönlichen Argumente für die eine oder andere Lebensform miteinander zu vergleichen (1324a35 ff.). Die Theoretiker sind gegen das Herrschen, und zwar halten sie despotisches Herrschen für größtes Unrecht, demokratisches Herrschen aber zumindest für eine Beeinträchtigung ihres Wohlergehens; die anderen meinen, für einen Mann könne nur das praktische und politische Leben in Frage kommen; für jede Tugend gebe es im politischen Bereich mehr Betätigungsmöglichkeiten als im privaten (1324a39 ff.). Die zuletzt genannte Bemerkung ist zum Verständnis des Disputs sehr wichtig. Auch dem Privatmann, dem Theoretiker, wird zugestanden, daß er bis zu einem gewissen Grade in bezug auf alle Tugenden moralisch handeln kann; es wird nur bestritten, daß er sich in demselben Ausmaß moralisch bewähren kann wie jemand, der aktiv am politischen Leben teilnimmt. In der Sprache der Nikomachischen Ethik gesprochen, handelt es sich also um einen Theoretiker, der an der politischen Lebensform supplementär teilnimmt, weil er nicht wie ein Gott in ständiger geistiger Schau verharren kann.
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Die zentrale Stelle, an der auf diesen Disput eine Anwort gegeben wird, ist Pol. VII 3. Das Kapitel beginnt (1325a16 ff.): „Jetzt müssen wir auf die beiden Gruppen eingehen, die darin übereinstimmen, daß das mit Tugend verbundene Leben das wählenswerteste ist, die aber hinsichtlich seiner Gestaltung eine unterschiedliche Meinung haben. Die einen nämlich verwerfen die politischen Ämter, weil sie der Ansicht sind, daß das Leben eines Freien von dem Leben des Politikers verschieden sei und das wählenswerteste von allen sei, die anderen halten das Leben des Politikers für das beste. Es sei nämlich unmöglich, daß der, der nichts tut, gut handelt, Guthandeln und Glück seien jedoch dasselbe.“ Das liberale Nebeneinander von politischer und theoretischer Lebensform wird hier von Aristoteles stillschweigend akzeptiert. In seiner Stellungnahme zu dem Agon gibt er keiner Gruppe völlig recht. Die erstgenannten, also die Individualisten, hätten darin recht, daß das Leben eines Freien besser sei als das Leben eines Sklavenherrn, also eines ‘Despoten’, der die Beherrschten wie Sklaven regiert. In dem Einsatz von Sklaven liege nichts Erhebendes. (Nebenbei ist dies eine bemerkenswerte Distanzierung von der bestehenden Sklaverei, die nicht mit der anthropologischen Frage vermengt werden darf, ob es einen Sklaven von Natur aus gebe oder nicht). Doch sei es falsch anzunehmen, daß jede Herrschaft (eigentlich ‘Überordnung’, archê) eine Sklavenherrschaft (Despotie) sei. Herrschaft sei „schön“, das heißt: sittlich gut, wenn sie nicht despotisch, sondern gegenüber Gleichen und abwechselnd ausgeübt werde (1325b7 f.). Falsch sei es andererseits auch, wenn man Untätigkeit höher schätze als Tätigkeit. Wenn Glück Wohlbefinden und zugleich gutes Handeln (beides ist in dem griechischen Begriff der Eupragie [eupragia] zusammengefaßt) sei (1325b14 ff.), dann sei die praktische Lebensform die beste. Jedoch brauche der Handelnde dabei nicht in Beziehung zu anderen zu stehen, und nicht nur solche Gedanken seien auf ein Handeln gerichtet („praktisch“), die um der Ergebnisse des Handelns willen geschehen, sondern viel mehr diejenigen, die Selbstzweck seien (autoteleis), und die Kontemplationen (theôriai) und Überlegungen, die um ihrer selbst willen erfolgten. Auch bei den äußeren Tätigkeiten würde man die Vordenker vorzugsweise Handelnde nennen (tous tais dianoiais architektonas). Ebenso seien ja auch auf sich selbst gegründete Staaten handelnd. Aristoteles denkt also nicht daran, daß die „theoretischen Philosophen“ auch politische Philosophen sein müssen, die darauf hinzuwirken haben, daß die Polis zu guter Ordnung gelangt, wie man gelegentlich behauptet hat (Kamp 1985, 321). Sondern er führt viele Gründe dafür an, die Theoretiker als die besten Praktiker hinzustellen (vgl. Gadamer 1991, 226). Der Mensch ist nach Aristoteles’ Politik zwar „von Natur aus ein politisches Lebewesen“. Sein Glück hängt aber nicht davon ab, daß er sich politisch besonders exponiert. Schließlich wird auf die
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Gottheit und den ganzen Kosmos hingewiesen, die keine äußeren Tätigkeiten außer den ihnen eigentümlichen haben. Da der Mensch von Natur aus sowohl auf die politische wie auch auf die theoretische Lebensform hin angelegt ist, sieht sich Aristoteles nicht gezwungen, ihn wie Platon zum Herrschen zu verpflichten, auch nicht zum demokratischen Herrschen. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß er als Privatmann sich nicht auch ethischen Maßstäben unterwirft, was ja selbst von seinen Gegnern angenommen wird. Nur kann er sich in diesem Falle mit seinen ethischen Tugenden im öffentlichen Bereich nicht besonders hervortun. Man muß hier berücksichtigen, daß bei der ganzen aristotelischen Tugendlehre stärker an den öffentlichen Bereich gedacht ist als in modernen Moraltheorien. So wird man formulieren können, daß der Theoretiker jedenfalls nicht die Ehre (timê) aufgrund eines besonderen moralischen Engagements im politischen Leben erstreben kann. Es mag auf den ersten Blick überraschen, daß hier sowohl das Ziel der Polis wie das höchste Ziel des Einzelnen als Ziel der praktischen Lebensform bezeichnet wird. Trotzdem wird der Bereich des Politischen genauso wie in der Nikomachischen Ethik verlassen (vgl. Höffe 1987, 283 ff., bes. 287), wenn man an den unmittelbaren Vollzug der ‘Theorie’ denkt. Der Bezug zu anderen Menschen ist auch bei der hier gemeinten höchsten Stufe der praktischen Lebensform nicht mehr gegeben. Die Theorie, die Selbstzweck ist, hebt den Menschen hier genauso aus dem Bereich des Politischen heraus wie in der Nikomachischen Ethik. Es liegt nur ein Unterschied in der Ausdrucksweise vor, der sich vermutlich aus der unterschiedlichen Abfassungszeit beider Werke ergibt. Die EN ist mit Sicherheit viel später verfaßt als die Politik. ² Die Politik differenziert noch nicht wie die EN zwischen einer Aktivität der Seele (psychês energeia), die auf – ethisch-politisches – Handeln (praxis) gerichtet ist, und einer Aktivität der Seele, die auf Erkenntnis (theôria) gerichtet ist. Sie verwendet „Handeln“ (praxis) als Überbegriff für ethisch-politisches Handeln und theoretische Aktivität. Wie wenig sich für Aristoteles das Problem der Verantwortung des Theoretikers gegenüber der Praxis stellt, zeigt sich auch, wenn man die unterschiedlichen Anekdoten vergleicht, die Platon und Aristoteles von dem Prototyp des theoretischen Philosophen, von Thales, erzählen. Sie entsprechen ganz den unterschiedlichen Einstellungen beider zur theoretischen Lebensform (Bien 1969, 272 f.). Nach Platon, Theätet 174aff. verkörpert Thales, wie oben ausgeführt, den der Schau des Seienden zugewandten weltfremden Philosophen, der sich in unserer phänomenalen Welt nicht zurechtfindet. Nach Aristoteles, Pol. I 11, 1259a6 ff. gelang Thales der Nachweis, daß sich auch der Philosoph in unserer Welt ar-
Verweise der Politik auf die „Ethik“ beziehen sich auf die EE.
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rangieren kann, wenn er nur will. Als Probe aufs Exempel pachtete Thales vor einer zu erwartenden reichen Olivenernte alle Ölpressen in Milet und Chios und konnte dann durch deren Verleihung Reichtum ansammeln. Die aristotelische Anekdote zeigt ein entspannteres Verhältnis zwischen dem Theoretiker und seiner Umwelt. Die unterschiedlichen Lebensformen sind nicht schicksalhaft festgelegt, sie unterliegen keinem totalitären Zwang wie in Platons Staatsmodell, sondern sind frei wählbar. Menschen, für die das Geldverdienen nicht der höchste Lebenszweck ist, sind deswegen nicht dümmer als andere. Vom modernen Standpunkt aus fragt man sich vielleicht, wie Aristoteles die Existenz des Theoretikers aus ökonomischer Sicht beurteilt. Lebt er nicht als Aristokrat auf Kosten der Allgemeinheit und ist nicht sein Streben nach dem mit Lust verbundenen Glück der geistigen Tätigkeit als egoistisch anzusehen (so etwa Natali 1991, 70 ff.)? Wenngleich diese Art der Betrachtungsweise der Antike nicht besonders geläufig ist, hat Aristoteles auch diese Frage nicht ganz außer acht gelassen. In EN X 9 führt er aus, daß der Theoretiker zwar nicht autark ist, sondern wie jeder Mensch erträglicher äußerer Lebensumstände bedarf, daß es aber nach Meinung kompetenter Leute nur mäßiger äußerer Mittel zum tugendhaften Handeln bedarf (1179a9 ff.). Im übrigen ist es so, daß für Aristoteles das Leben eines der Theorie ergebenen Menschen, sosehr dieser seine Tätigkeit um ihrer selbst willen ergreift, auch positive soziale Folgen haben kann. In Pol. VII 15, 1334a23 wird gesagt, daß die Philosophie für die Muße in der Polis, d. h. hier: für die ‘Freizeit’, erforderlich sei, und in 1334a26 ff. heißt es, daß Müßiggang im Frieden leicht übermütig mache und daß die Menschen, je mehr sie im Überfluß äußerer Güter leben, desto mehr Philosophie, Besonnenheit und Gerechtigkeit bräuchten. Man sieht, daß Philosophie schlechthin nicht nur nützlich ist, um eventuell vorhandene Freizeit adäquat auszufüllen (auch das sagt Aristoteles), sondern auch vor Amoralität bewahrt. Von den Vertretern der Philosophie ist zwar nicht die Rede, aber man wird nicht fehl gehen, an Männer zu denken, die in Unabhängigkeit und Freiheit ethische und politische Theorie lehren, ohne selbst politisch Handelnde zu sein. Zur Zeit des Aristoteles gab es bereits verschiedene Philosophenschulen. So bekommt dem Staat die Philosophie auch dann gut, wenn man die Philosophen ihrer geistigen, theoretischen Tätigkeit überläßt. Die Gefahr, daß es zu wenig Politiker geben könnte, sah Aristoteles nicht, und sie ist wohl auch zu allen Zeiten unrealistisch gewesen. Ausschalten kann man nach Aristoteles die Tätigkeit der Philosophen nicht, weil sie dem Menschen in einzigartiger Weise gemäß ist.
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13 Ausblick: Aristoteles oder Kant – wider eine plane Alternative Nach ihrem normativen Leitbegriff eudaimonia, Glück, nennt man Aristoteles’ Ethik eudämonistisch. Seit Kants entsprechenden Einwänden, insbesondere seit der „Analytik“ der Kritik der praktischen Vernunft, gilt eine derartige Ethik als diskreditiert. Sie stelle, so lautet die verbreitete Überzeugung, die via antiqua der Ethik dar, die durch die via moderna, durch Kants Theorie der Autonomie oder Selbstgesetzgebung des Willens, schlicht überholt sei. Wer auf die heutigen Debatten blickt, sieht aber, wie im „Vorwort“ erwähnt, eine breite Zuwendung zu Aristoteles, die oft schon auf eine Rearistotelisierung der Ethik hinausläuft. Die Versuche einer Rearistotelisierung verfolgen durchaus unterschiedliche Absichten. Zum Beispiel geht es um die Kritik am Projekt der Moderne. Getragen von einer Skepsis gegen Aufklärung und Liberalismus, bezweifeln A. MacIntyre (1981, auch 1988) und andere der sog. Kommunitaristen (z. B. Ch. Taylor 1989 und M. Walzer 1983) die Möglichkeit einer geschichts- und kulturunabhängigen Moralbegründung; selbst für die Gerechtigkeit gebe es keine universalen Prinzipien. Gegen eine universalistische Moral verteidigen sie die gewachsenen Lebensformen einer Gemeinschaft („community“, daher der Name „Kommunitaristen“). Auf Aristoteles berufen sie sich, weil er Wert auf die Erziehung lege, außerdem vom gemeinsamen Guten der Polis spreche, ferner von der Freundschaft unter ihren Bürgern und von den Tugenden als Ausdruck des in der Tradition Vorgefundenen. Im Ergebnis damit verwandt, aber unabhängig von den Kommunitaristen entwickelt, mit Hegels Gedanken der substantiellen Sittlichkeit im Hintergrund und zugleich als Kritik der Traditionsvergessenheit in der Frankfurter Schule, trägt O. Marquard (1986, 122 ff.) eine Apologie bewährter Traditionen, der Üblichkeiten, vor. (Vgl. auch W. Kluxens 1974 Plädoyer für eine Ethos-Ethik.) Eine dritte Form der Rearistotelisierung, die sog. virtue ethics, betont das Gewicht eines gefestigten Charakters, der Tugend (dazu Chapman/ Galston 1992, Höffe/Rapp 1996). Und H. Lübbe 1987 beklagt, freilich ohne sich auf Aristoteles zu berufen, den von Kant beeinflußten Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft. Nicht zuletzt rehabilitiert man, jetzt wieder im Namen des Aristoteles, Theorien des guten Lebens oder der Lebenskunst und setzt sie gegen jene deontischen Moraltheorien scharf ab, die in der Nachfolge Kants dem Sollen bzw. der Pflicht den entscheidenden Wert beimessen. Wie nicht anders zu erwarten, bleibt die Rearistotelisierung nicht unwidersprochen. Gegen das Lob einer Moral, die an den Grenzen einer Gemeinschaft https://doi.org/10.1515/9783110578751-015
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haltmache, gegen den moralischen Partikularismus, verteidigt man den Universalismus Kants. Ohnehin könne man moralische oder moraltheoretische Ratschläge nicht von einer Theorie erwarten, die noch aus der alteuropäischen Welt stamme. Wer Aristoteles’ Ethik selber liest, tut sich mit vielen Motiven der heutigen Rearistotelisierung schwer. Aristoteles war weder ein Ethos-Ethiker noch ein Kommunitarist noch ein Anti-Kantianer avant la lettre. Traditionen, die nicht vorab an allgemeinen Verbindlichkeiten gemessen sind, partikulare Üblichkeiten, verteidigt er nicht. Ohnehin erkennt er wichtige Merkmale der Aufklärung, so etwa den Verzicht auf eine theologische Moralbegründung, in aller Selbstverständlichkeit an. Außerdem findet man auch bei ihm Elemente des Sollens, die Tugend der Gerechtigkeit ohnehin, überdies nimmt diese im Rahmen der Tugenden eine Sonderstellung ein, die einem Kantischen Theorem, dem Vorrang der Rechtsethik vor der Tugendethik, verwandt ist. Auch weiß Aristoteles, daß die eigentliche Freundschaft viel zu selten ist, als daß man darauf die soziale Ordnung aufbauen könnte. Noch in anderen Hinsichten stehen sich Aristoteles und Kant näher, als es die heute üblichen Typologisierungen wahrhaben wollen. Zum Beispiel spielt nicht nur bei Aristoteles die Urteilskraft eine wichtige Rolle, sondern auch bei Kant, und dies nicht nur in der entsprechenden Kritik der Urteilskraft (vgl. Höffe (Hrsg.), ²2018), sondern ebenso in der Ethik (zum Gewicht der Urteilskraft in der Tugendlehre s. Höffe, (Hrsg.), Kants Tugendlehre, im Erscheinen). Weiterhin kann man bei Kant vom guten Leben sprechen; und einem gefestigten Charakter, der Tugend, mißt auch er ein großes Gewicht zu. Da schon ein erster Blick auf die Texte Zweifel an den heute beliebten Antithesen weckt, ist es an der Zeit, sie zu verabschieden. Die Verkürzungen, die man teils mit Aristoteles, teils mit Kant und oft genug sogar mit beiden Denkern vornimmt, erlauben zwar eine rhetorisch brillante Polemik, außerdem einen prophetischen Gestus, der zur moralischen und moralphilosophischen Metanoia aufruft. Den tatsächlich vertretenen Positionen: ihrem gedanklichen Reichtum, ihrer ebenso begrifflichen wie argumentativen Schärfe und ihrer Rückbindung an die moralische Erfahrung, werden sie aber nicht gerecht. Um das Verhältnis von Aristotelischer und Kantischer Ethik neu zu bestimmen, muß man zunächst einmal auf jene Parteilichkeit verzichten, die sich a priori lediglich einen der beiden Denker zum Vorbild nimmt und für den anderen nur einen oberflächlichen, zudem mißtrauischen Blick reserviert. Und gegen die Tendenz, selbst das eigene Vorbild unzureichend, gewissermaßen nur halbiert wahrzunehmen, muß er hinter die Aristotelismen zu Aristoteles und hinter die Kantianismen zu Kant zurückkehren. Die folgenden Überlegungen (vgl. Höffe 1990 und 1990a) setzen sich freilich ein bescheideneres Ziel. Zum Abschluß einer
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kooperativen Kommentierung sollen wirkungsmächtige Gemeinplätze kritisiert und soll Aristoteles’ Verhältnis zu Kant weniger einseitig skizziert werden.
13.1 Kant als Aristoteliker Wer sich von der unterschiedlichen Sprache nicht beirren läßt, entdeckt zunächst eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Durch sie erweist sich Kant, auch ohne Aristoteles zu nennen, als ein Aristoteliker durch die Tat. Beispielsweise erkennt er den Aristotelischen Gedanken einer praktischen Philosophie an. Nirgendwo, weder in seinen beiden Vorbereitungsschriften zu einer systematischen Ethik, in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und der Kritik der praktischen Vernunft, noch in der systematischen Ethik selbst, der Metaphysik der Sitten, und noch weniger in Abhandlungen wie etwa Über den Gemeinspruch, Zum ewigen Frieden und Der Streit der Fakultäten, hält er die Theorie der Moral, einschließlich der Theorie der Rechts- und Staatsmoral, für einen Selbstzweck. Im Gegenteil verfolgt er zwar nicht ausschließlich, aber doch wesentlich ein praktisches, näherhin moralisch-praktisches Ziel. Deutlich genug erklärt er in seinem Programm, in der „Vorrede“ der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, daß er auch deshalb „eine reine Moralphilosophie“ suche, „die von allem, was nur empirisch sein mag […] völlig gesäubert“ sei, weil „die Sitten selber“ „allerlei Verderbnis unterworfen“ seien. Und zu den Gründen dieser Verderbnis rechnet er eine unklare, sogar falsche Moraltheorie, jene nämlich, die genuin moralische Prinzipien mit empirischen Elementen vermischt. Weil also die Vermischung „der Reinigkeit der Sitten selbst Abbruch“ tue (ebd.), sieht sich Kant gezwungen, das Moralische in seiner Reinheit darzulegen, eben „eine reine Moralphilosophie“ auszuarbeiten. Weiterhin handelt Kant genauso wie Aristoteles die praktische Philosophie in zwei Disziplinen ab, die zwar wegen gemeinsamer Grundbegriffe in engem Zusammenhang stehen, aber trotzdem relativ unabhängig voneinander bleiben. Bei Aristoteles sind es die Ethik und die politische Philosophie, bei Kant die beiden Teile der Metaphysik der Sitten, die „Tugendlehre“ und die „Rechtslehre“. Für die Ausarbeitung beider Teile übernimmt Kant Aristoteles’ Gedanken des typô(i), des Grundriß-Wissens (vgl. Beitrag Nr. 2.2). Er stellt nämlich nur die normativen Grundelemente vor und überläßt die konkrete Ausfüllung den Handelnden, dort, in der Tugendlehre, den einzelnen Personen, hier, in der Rechtslehre, dem Gesetzgeber und vor allem dem Verfassungsgeber (aus diesem Grund nennt er die beiden Teile nicht „Metaphysik“ der Recht- bzw. Tugendlehre, sondern nur „Metaphysische Anfangsgründe …“). Selbst dort, wo Kant sich eine zu Aristoteles’ Tugend-Erörterungen analoge Aufgabe stellt und einzelne moralische Pflichten behandelt, untersucht er zwar den moralischen Kern der jeweiligen
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Pflicht, aber nicht mehr. Sogar dort, wo er in der „Tugendlehre“ der Metaphysik der Sitten unter dem Titel „Kasuistische Fragen“ einige sehr spezielle Anwendungsfragen erörtert, überläßt er die situationsgerechte Anwendung dem jeweils Handelnden. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Aristoteles und Kant: Beide verzichten auf jede theologische Begründung der Moral. Die von manchen Theologen geforderte theo-nome, h. von Gott gesetzte Moral wird nicht erst von Kant, sondern schon von Aristoteles in aller Selbstverständlichkeit verworfen. Außerdem nimmt bei beiden die Vernunft (Aristoteles: logos) eine zentrale Rolle ein, und beide wenden sich gegen vor- und außervernünftige Faktoren, gegen Affekt und Leidenschaft (Aristoteles: pathos) als letzte Antriebskräfte. Selbst mit diesen Elementen sind die Gemeinsamkeiten noch nicht erschöpft. Für den Begriff der Tugend lehnt Kant zwar die Mesotes-Lehre ab. Er dürfte hier aber einem Mißverständnis erliegen, da er glaubt, Aristoteles meine eine „Mittelstraße“, also eine Art von Kompromiß „zwischen zwei Lastern“, während in Wahrheit Tugend und Laster sich nicht bloß gradmäßig voneinander unterschieden, sondern in ihrer Qualität (Metaphysik der Sitten, II. Tugendlehre: VI 404, vgl. 433). Nun hat für Aristoteles (wie für die Antike überhaupt) die Mitte nicht bloß die mathematische Bedeutung im Sinn eines Punktes, der von zwei gegebenen Punkten oder aber von gewissen Linien gleich weit entfernt ist. Ebenfalls gemeint ist etwas Vollkommenes, und genau in diesem Sinn bestimmt Aristoteles die Tugend als ein Bestes (II 3, 1104b28) und als ein Höchstes (II 6, 1107a7 f.). Diese Superlative zeigen deutlich genug, daß es nicht auf einen gradmäßigen, sondern auf einen qualitativen Unterschied ankommt; gemeint ist das Mittlere im Sinne einer Höchstform menschlicher Existenz. Auch das andere Element des Tugendbegriffs, jenes Element, auf das die Vertreter einer virtue ethics, einer Tugendethik, so großen Wert legen, die Bedeutung einer verläßlichen Einstellung, erkennt Kant problemlos an. Er definiert die Tugend als ‘eine überlegte und feste Entschließung’ (VI 409). Zwar bringt er einen kleinen Vorbehalt an und erklärt, wegen der mit Neigungen affizierten Natur des Menschen könne die Tugend niemals „sich in Ruhe und Stillstand setzen“ (VI 409). Dieser Vorbehalt betrifft aber nicht den Wert der Einstellung, sondern lediglich ihre volle Realisierbarkeit. Umgekehrt weiß nicht nur Kant den Wert einer moralischen Gesinnung zu schätzen. Daß die (moralische) Tugend nur um ihrer selbst willen anzustreben sei und nicht etwa nur als Mittel zu einem außermoralischen Zweck, daß sie also, wie Kant fordert, in ihrer Reinigkeit und Strenge anzuerkennen sei, verlangt auch Aristoteles. Angedeutet ist es schon in den genannten Superlativen; und ausdrücklich wird es zu Beginn der Abhandlung über die Gerechtigkeit gesagt, dort, wo Aristoteles der Gerechtigkeit drei Funktionen zuspricht. In einer schönen Steigerung erklärt er, daß man (a) durch
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sie zum Gerechten fähig sei, (b) gerecht handle und (c) es überdies wolle (V 1, 1129a8 f.; vgl.V 10 – 13). Danach gehört auch bei Aristoteles zur Gerechtigkeit mehr als bloß jene Übereinstimmung mit dem Gerechten, die Kant als „juridisch“ und als bloße „Legalität“ bezeichnet. Es bedarf zusätzlich jener freien Zustimmung, durch die das Rechthandeln zur Rechtsgesinnung wird und bei der Kant von „ethisch“ oder „Moralität“ spricht (Rechtslehre: VI 214). Analog heißt es bei der Ungerechtigkeit, daß man dort in einem mehr als zufälligen Sinn ungerecht handle, wo es aus der entsprechenden Haltung heraus erfolge (V 13, 1137a22 f.). Auch für Aristoteles reicht es nicht aus, mit einer gewissen Regelmäßigkeit richtig zu handeln; man muß sich auch daran freuen, das Richtige zu tun (II 2, 1104b3 ff.; vgl. III 12, 1117a17). Eine Steigerung von Legalität zur Moralität sehe ich auch im Schlußkapitel, demzufolge bei den meisten eine Erziehung zur Tugend nur durch entsprechende Gesetze möglich sei (X 10, 1179b4 ff.); denn eine „Tugend durch Gesetze“ entspricht einerseits der Legalität und gilt andererseits als nur zweitbeste Beziehung zur Tugend. Noch in einer weiteren Hinsicht deutet sich eine Gemeinsamkeit an. Kant unterscheidet Pflichten, deren Anerkennung die Menschen einander schulden, die Rechtspflichten, von den „nur“ verdienstlichen Tugendpflichten und gibt den ersteren, den geschuldeten Pflichten, den Vorrang vor den verdienstlichen Pflichten. Nun spricht Aristoteles im Rahmen der Gerechtigkeit vom allotrion agathon (V 3, 1130a3; vgl. V 10, 1134b5), vom „fremden Gut“, was ich als ein Gut verstehe, das dem anderen gehört und auf das er folglich einen Anspruch hat. Damit erscheint das, was die Gerechtigkeit verlangt, als geschuldet und hat eo ipso Vorrang vor den anderen, nichtgeschuldeten Tugenden.
13.2 Aristoteles’ Ethik ist universalistisch In einem Punkt stimmen die kommunitaristischen Aristoteliker und ihre kantischen Kritiker überein. Nach ihrer Ansicht fehlt Aristoteles ein Universalismus, wobei die Kommunitaristen darin einen Vorzug, ihre Kritiker dagegen einen Nachteil sehen. Wie wäre es aber, wenn das Defizit gar nicht zuträfe? Bevor wir die Frage beantworten, müssen wir den ethischen Begriff des Universalismus klären. Selbst in der maßgeblichen, Kantischen Form sind nämlich zwei Stufen, ein moraltheoretischer und ein moralischer Universalismus, zu unterscheiden. Wer die Moral in ihrer Reinheit begreift, muß sie nach Kant von allem, was zur Anthropologie gehört, völlig säubern („Vorrede“ der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten). Kants Begriff der Moral ist daher nicht bloß für alle Menschen gültig; er reicht über die Grenzen unserer Gattung hinaus und betrifft jederart Vernunft-
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wesen. Aus moraltheoretischen Gründen vertritt Kant einen „transhumanen Universalismus“. So wie es in der heutigen Ontologie von einigen Grundaussagen heißt, sie seien „in allen möglichen Welten wahr“, so beansprucht Kant für die Moral, genauer: so beansprucht gemäß Kant die Moral selber, für alle Vernunftwesen und in allen Vernunftwelten gültig zu sein. Zugunsten eines transhumanen Universalismus sprechen durchaus beachtliche Argumente. Auch Aristoteles beansprucht zumindest für einen Teil der Ethik eine transhumane Gültigkeit, für den bios theôrêtikos nämlich, der immerhin die höchste Form eines dem Glück verpflichteten Lebens bedeutet. Da die wenigsten Menschen mit reinen Geistern („Engeln“) verkehren, zieht die heutige Ethik als „Wesen, das Vernunft und Willen hat“ (Grundlegung: IV 395), nur noch den Menschen in Erwägung. Sie befaßt sich allein mit der Frage, ob der Begriff und die Prinzipien der Moral für die gesamte Gattung „Mensch“ gültig sind oder lediglich für gewisse Gruppen, Gesellschaften oder Epochen. Insofern bescheidet sie sich mit einem „gattungsspezifischen Universalismus“. Ihm zufolge ist die Gültigkeit der Moral zwar auf unsere Gattung eingeschränkt; statt kultur-, traditions- oder gemeinschaftsgebunden zu sein, macht die Moral aber vor keinerlei Grenzen politischer, religiöser oder sprachlicher Gemeinschaften halt. (Daß unter den uns bekannten Wesen nur der Mensch vernunftfähig und daher auch er allein moralfähig ist, schließt moralische Verpflichtungen gegen subhumane Wesen jedoch nicht aus; vgl. Höffe 42000, Kap. 12– 13.) Nach einem hartnäckigen Vorurteil läßt sich dieser Universalismus weder mit der klaren Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rechts- und Staatsgemeinschaft noch mit kulturspezifischen Elementen einer Moral vereinbaren. Zum ersten: Das Vorbild für ethischen Universalismus, Kant, setzt sich zwar für eine internationale Rechtsgemeinschaft ein, diese löst die Einzelstaaten aber nicht auf, sondern regelt deren Koexistenz rechtsförmig. Und die zweite Nichtvereinbarkeit trifft nur unter der Voraussetzung zu, daß sich der Universalismus auch auf die relativ konkreten Regeln erstreckt. Zumindest Kant lehnt einen derartigen, extremen Universalismus ab und vertritt nur die bescheidenere Form eines Prinzipienuniversalismus. Die im kategorischen Imperativ enthaltene Universalisierbarkeit richtet sich im Fall der personalen Ethik nicht auf irgendwelche Regeln, sondern lediglich auf die letzten selbstgesetzten Grundsätze eines Handelnden, auf seine Maximen. Auch Kants Rechtsethik enthält nur Aussagen einer hohen Allgemeinheitsstufe, nur Grundsätze. Der heute in der Ethik maßgebliche Universalismus ist ein gattungsspezifischer Prinzipienuniversalismus. Weil dieser für unterschiedliche Anwendungen offenbleibt, läßt er sowohl auf der personalen als auch der sozialen Ebene Eigenarten zu; mehr noch: er erlaubt sogar extreme Eigenarten, er ist für Exzentrizitäten offen. Keineswegs lehnt er Traditionen oder Üblichkeiten ab; er tritt
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nicht etwa an deren Stelle, wird ihnen aber vorgeordnet. Die Traditionsvergessenheit, die angeblich die moralische Krise der Gegenwart mitverursacht, kann zwar einem extremen Universalismus angelastet werden, aber weder dem Universalismus als solchem noch seiner maßgeblichen Form; Kants Prinzipienuniversalismus ist sowohl traditions- als auch kontextoffen. Die Offenheit hat freilich eine Grenze. Weil er den Üblichkeiten ein Kriterium vorordnet, birgt der Universalismus ein kritisches Potential. Im wörtlichen Sinn von „Kritik“, hilft er sowohl bei Personen als auch bei Institutionen, insbesondere bei Rechts- und Staatsverhältnissen, „legitime“ von „illegitimen“ Üblichkeiten zu unterscheiden. Die Einstellung der Ehrlichkeit beispielsweise ist nach Kant legitim, die der Unehrlichkeit aber auch dann illegitim, wenn sie sich soweit durchsetzen würde, daß man von einer Üblichkeit sprechen müßte. Als Staatsform hält Kant die Despotie und als zwischenstaatliche Praxis den Krieg für verwerflich, während er sich positiv für die Republik einsetzt, die in etwa einem demokratischen Rechts- und Verfassungsstaat entspricht; schließlich verlangt er für die Koexistenz der Staaten untereinander einen Friedensbund. Bei Aristoteles entdecken wir beides: eine dem Prinzipienuniversalismus analoge Ethik und das dazugehörige kritische Potential. Beides ist sogar derart klar gegeben, daß man an der Gründlichkeit der kommunitaristischen AristotelesLektüre zweifeln muß. Sowohl mit der Ethik als auch mit der Politik, im übrigen auch mit der Rhetorik, also mit der gesamten praktischen Philosophie erhebt Aristoteles Geltungsansprüche für jede Polis. Daß zur Moral, der personalen und der politischen Moral, ein Anspruch auf übersubjektive und übertraditionelle Gültigkeit gehört und daß man mit Hilfe dieser Gültigkeit sowohl personale als auch soziale und politische Üblichkeiten zu kritisieren vermag, versteht sich für Aristoteles von selbst: Universalistisch gültig ist zunächst das Leitprinzip, die Eudämonie, samt ihrer formalen Bestimmungen als vollkommenes und autarkes Ziel. Nach Aristoteles trifft auf jeden Menschen jedweder Kultur und Epoche zu, daß das typisch menschliche Handeln eine zielgerichtete Bewegung ist, die nur dann als nicht „leer und sinnlos“ erscheint, wenn es ein Ziel gibt, „das wir um seiner selbst willen und das andere um seinetwillen wollen“ (I 1, 1094a18 f.), eben das Glück. Universalistisch ist auch die materiale Bestimmung. Aristoteles sucht die für den Menschen charakteristische Leistung (ergon tou anthrôpou) und identifiziert sie als eine Tätigkeit der Seele gemäß der Vernunft (katalogon) oder doch nicht ohne sie (I 6). Gegen die universalistische Lesart spricht zwar der Umstand, daß Aristoteles nicht alle Menschen für gleichberechtigt hält: nicht die Frauen, nicht die Sklaven, nicht die Barbaren. Der Umstand betrifft aber nicht die Grundelemente der Aristotelischen Ethik, sondern nur deren Anwendung, genauer: deren Anwendung unter Voraussetzung gewisser empirischer Annahmen. Wenn die
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Voraussetzung zutrifft und etwa die Sklaven, wie Aristoteles behauptet, grundlegende Vernunftdefizite aufweisen, dann ist die in der Politik (Buch I) vertretene ökonomische Unterordnung nicht grundfalsch. Einzuwenden bleibt jedoch, daß die Defizite weder so oft noch so grundlegend gegeben sind. Außerdem muß eine ökonomische Unterordnung nicht eine rechtliche nach sich ziehen. In der anti-universalistischen Ethik des Kommunitarismus spielt eine besondere Rolle der Begriff der Lebensform: als Leben in einer „spezifischen gesellschaftlichen Ordnung“ (MacIntyre 1993, 91), in Form von „particular identifications“ (Taylor 1989, 29) oder als „Mitgliedschaft in einer menschlichen Gemeinschaft“ (Walzer 1992, 65). Für den Kommunitarismus ist die Lebensform kulturspezifisch und gemeinschaftsgebunden; es gibt etwa eine antike und eine moderne Lebensweise und innerhalb der modernen Lebensweise zum Beispiel eine nordamerikanische Form. Der entsprechende Begriff des Aristoteles, bios, folgt dagegen aus Grundgegebenheiten des Menschseins überhaupt. Folgerichtig findet man die vier Lebensformen oder Existenzweisen, die Kapitel I 3 erörtert, nicht nur im antiken Athen, sondern in den verschiedenen Gesellschaften und den unterschiedlichen Epochen. Gegenüber den vier Lebensformen entfaltet nun das Prinzip Glück sein kritisches Potential in zwei Schritten. Zu Beginn, im Kapitel I 3, zeigt Aristoteles von zwei Lebensformen, dem Genußleben (bios apolaustikos) und dem auf Reichtum ausgerichteten Leben (bios chrêmatistês), daß sie das universale Leitziel des Menschen, das Glück, strukturbedingt, mithin traditions- und gemeinschaftsunabhängig, verfehlen. Gemeinschaftsunabhängig ist auch die Kritik am politischen Leben, solange man es lediglich von der Ehre (timê) und nicht von der Tugend (aretê) her definiere. Von den beiden einzigen Lebensformen, die dann noch als glückstauglich übrigbleiben, vom politischen Leben, sofern es ihm nicht auf die Ehre, sondern auf die Tugend ankommt, vom moralisch-politischen Leben einerseits und vom theoretischen Leben andererseits, zeigt Aristoteles in den Kapiteln X 6 – 9 – und er zeigt es erneut mit nichtpartikularistischen Argumenten –, daß das theoretische Leben in einem höheren Sinn glückstauglich ist als das politische Leben. Kurz: Aristoteles wägt die verschiedenen Lebensoptionen gegeneinander ab, weist die bei vielen vorherrschenden Lebensziele – Lust, Reichtum, Ehre – zurück und macht für die beiden verbleibenden Lebensziele – Tugend und Erkenntnis – eine Prioritätsaussage, die das „gemeinschaftliche Leben“, den bios politikos, auf den zweiten Rang verweist und jenen bios theôrêtikos vorzieht, der rein als solcher der Gemeinschaftlichkeit entwachsen ist. Nicht anders sieht es bei den Tugenden aus. Die Frage, ob Aristoteles sie universalistisch oder aber partikularistisch definiert, entscheidet sich an drei Teilfragen:
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(1) Zunächst einmal hängt der Situationstyp, der für jede Tugend eine charakteristische Aufgabe definiert, nicht von spezifisch griechischen, sondern von allgemeinmenschlichen Bedingungen ab. Die Tapferkeit braucht es deshalb allerorten, weil in jeder Kultur Gefahren (gegen Leib und Leben …) auftreten; die Freigebigkeit, weil es so gut wie überall Tauschmittel und Vermögen gibt und zugleich die Gefahr, mit ihnen verschwenderisch oder aber geizig umzugehen. (2) Die genauere Gestalt der Tapferkeit, der Freigebigkeit und anderer Tugenden mag von der jeweiligen Gemeinschaft und ihren Üblichkeiten mitbestimmt sein. Davon unabhängig ist aber die Grundgestalt: daß man die naturwüchsige Reaktion – der eine neigt zur Feigheit, der andere zur Tollkühnheit, der eine zur Verschwendung, der andere zum Geiz – überwindet, stattdessen überlegt handelt und an die Stelle des kata pathos zên das kata logon zên setzt. (3) Die nichtuniversalistische Aristoteles-Deutung könnte sich auf den Umstand berufen, daß man nach Aristoteles besonnen nur durch besonnenes, gerecht nur durch gerechtes Handeln und allgemein tugendhaft nur durch tugendhaftes Handeln werde (II 3, 1105b10 – 12 u. ö.; allgemein III 7, 1114a7– 10). Danach ist aber nicht die Moral selber (ihre Grundsätze bzw. Tugenden) partikular, sondern nur ihre Aneignung. Die Kommunitaristen verwechseln den (durchaus partikularen) Erwerb der Moral mit ihrem (universalen) Begriff und ihrer (ebenso universalen) Rechtfertigung. Eigentlich ist es trivial und von keiner wichtigeren universalistischen Ethik in Zweifel gezogen worden, daß die Aneignung, durch Vorbild und Nachahmung, Lob und Tadel gefördert, in einer bestimmten Gruppe stattfindet. Aus dem Umstand, daß man Tugenden nicht in einer abstrakten Weltgesellschaft, sondern innerhalb der eigenen Gemeinschaft lernt, folgt aber nicht, daß man sich lediglich in deren Üblichkeiten einlebt. Außerdem richtet sich Aristoteles’ These gegen etwas anderes, gegen die Ansicht nämlich, der Mensch handle moralisch von Geburt an, und sagt dagegen: man kann und muß moralisches Handeln lernen. Gegen die Ansicht, der entsprechende Lernprozeß sei theoretischer Natur, behauptet Aristoteles, tugendhaft werde man nicht durch Philosophieren (z. B. II 3, 1105b12 ff.), sondern durch Einüben. Tugenden lernt man so, wie man Klavierspielen, und nicht wie man Musikgeschichte lernt; gefragt ist kein akademisches Studium der Moral, sondern die wiederholte moralische Praxis. Alle drei Elemente der Aristotelischen Tugendlehre beruhen also auf traditionsunabhängigen Argumenten. Zugleich ist pars pro toto gezeigt, daß auch das für die Polis gemeinsame Gute, zumindest ihr Kern, nicht an die Partikularitäten einer Polis gebunden ist. Entgegenhalten könnte man zwar Aristoteles’ These, kein Spartaner überlege sich, wie etwa die Skythen ihren Staat am besten einrichteten (III 5, 1112a28 f.). Zugunsten der Kommunitaristen spräche die These aber nur dann, wenn sie besagte, daß die Spartaner und die Skythen über die gute
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Staatsverfassung unterschiedliche Ansichten hätten. In Wahrheit führt Aristoteles einen anderen Grund an; die skythische Staatsverfassung, sagt er, fällt nicht in die Zuständigkeit der Spartaner. Nicht die Staatsideale unterscheiden sich, sondern die Zuständigkeiten. Zurück zur Tugendlehre: Zwar konnte Aristoteles auf gewisse Tugendkataloge, also eine Tradition, zurückgreifen. Aber es handelt sich hier erstens nicht um eine moralische, sondern um eine moraltheoretische Tradition, die zweitens die Folge der Verbindlichkeit und nicht ihren Grund benennt. Nicht in der Üblichkeit liegt der Geltungsgrund der Tugenden, sondern in ihrer Tauglichkeit für das Glück bzw. in ihrer Übereinstimmung mit der Vernunft: (1) Die jeweilige Herausforderung (der Umgang mit Gefahren, mit Geld …) ergibt sich aus allgemeinmenschlichen Affekt- und Lebensbereichen; (2) die Antwort auf die Herausforderung folgt aus dem Leitziel jedes Menschen, dem Glück, und der Eigentümlichkeit des Menschen, der Vernunft; und (3) die Zusatzaufgabe, die Stabilisierung und Internalisierung der Antwort, ergibt sich aus weiteren allgemeinmenschlichen Elementen: man muß die praktische Vernunft lernen und gegen die Bedrohung durch Leidenschaften stabilisieren. (Zum nichtrelativen Charakter von Tugenden vgl. auch Nussbaum 1993.) Ein letztes Argument gegen die relativistische Aristoteles-Lektüre der Kommunitaristen: Nach MacIntyre (1988) gibt es – wie er schon im Titel sagt: Whose justice? Wessen Gerechtigkeit? – keine universal gültigen Gerechtigkeitsgrundsätze. Dem widerspricht Aristoteles durch die Tat. In der Nikomachischen Ethik definiert er die Gerechtigkeit quasi-mathematisch als „Mitte der Sache nach“ (meson pragmatos); ferner unterscheidet er innerhalb des Rechtes einer Polis (to politikon dikaion) einen überpositiven, „natürlichen“ Anteil (physikon) von einem positiven (nomikon) und betont, daß der natürliche Anteil „überall dieselbe Autorität hat und nicht von der Meinung der Menschen abhängt“ (V 10, 1134b18 ff.). Außerdem stellt er zwar keinen Katalog von Grund- oder Menschenrechten auf. Mit dem Verbot von Diebstahl und Raub, von Meuchelmord und Totschlag, von Mißhandlung, Freiheitsberaubung und Beleidigung (V 5, 1131a6 – 9) tritt er aber indirekt für die entsprechenden Grundrechte ein: für das Eigentum, den Schutz von Leib und Leben und das Recht auf einen guten Namen. Ohnehin sind ihm politische Mitwirkungsrechte selbstverständlich. Weiterhin beruft er sich zu Beginn der Politik (I 2, 1252a26 ff.), dort, wo er die Sozialbeziehungen Mann–Frau und Herr–Knecht legitimiert, auf ein elementares Gerechtigkeitsprinzip, auf den wechselseitigen Vorteil (vgl. Höffe 1987, Kap. 7). Schließlich hat auch das „Gute einer Gemeinschaft“ keinen antiuniversalistischen Einschlag. Aristoteles geht es um das Gemeinwohl, also ein zwar vages, aber universalistisches Kriterium. Es spricht gegen die Tyrannis und für jene politeia, die in etwa einem demokratischen Rechtsstaat mit Gewaltenteilung entspricht.
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13.3 Zum Beispiel Urteilskraft Während man bei Aristoteles den Universalismus vermißt, vermißt man bei Kant jene erfahrungsgeschärfte Urteilskraft, die Aristoteles unter dem Stichwort phronêsis, Klugheit, erörtert. Unter den Kernbegriffen der Kantischen Ethik, selbst unter ihren wichtigeren Nebenbegriffen, finden wir diese praktische Urteilskraft in der Tat nicht. Die deshalb beliebten Vorwürfe – Mißachtung der Erfahrung, Hypertrophie des Sollens, Abschotten gegen die realen Handlungsprobleme … – kommen trotzdem übereilt. In der „Vorrede“ der Grundlegung, also schon im Programm seiner Ethik, fordert Kant als Ergänzung der moralischen Gesetze eine „noch durch Erfahrung geschärfte Urteilskraft“ ein (IV 389). Daß es zusätzlich zu den moralischen Gesetzen eine Fähigkeit der Anwendung, eben die praktische Urteilskraft, braucht, versteht sich für Kant von selbst. Zu erfüllen hat sie zwei Aufgaben, die beide von Aristoteles’ phronêsis-Lehre bekannt sind, so daß auch in dieser Hinsicht die beliebte Alternative „Aristoteles oder Kant“ zu verabschieden ist: Der phronêsis bzw. bouleusis vergleichbar, vermittelt die Urteilskraft ein Allgemeines mit dem Einzelfall. Außerdem leistet sie, was bei Aristoteles freilich nicht mehr die Urteilsfähigkeit, sondern die ihr vorgeordnete aretê êthikê übernimmt: sie verhilft den moralischen Gesetzen zur wirklichen Anerkennung. Weil Kant im Programm seiner Ethik, in der genannten „Vorrede“, von der erfahrungsgeschärften Urteilskraft nur in einem Nebensatz spricht und weil außerdem in der Durchführung des Programms, in der Grundlegung selbst, ferner in der Kritik der praktischen Vernunft und in der Metaphysik der Sitten die erfahrungsgeschärfte Urteilskraft keine wesentliche Rolle mehr spielt, drängt sich zumindest jene abgeschwächte Kritik auf, die da sagt, Kant habe die Tragweite der Urteilskraft unterschätzt. Eine derartige Kritik übersieht aber den Grund für eine durchaus richtige Beobachtung: Sowohl aus moraltheoretischen als auch moralisch-praktischen Gründen verlangt Kant eine thematische Spezialisierung und fordert, die Moral zunächst einmal unabhängig von allen empirischen Elementen zu entwickeln. Wer nun in einer ausdrücklich reinen Moralphilosophie die erfahrungsgesättigte Urteilskraft vermißt, der erliegt einem zur Kategorien-Verwechslung („category mistake“) analogen Fehler. In Verkennung der (moral‐) philosophischen Aufgabe sucht er in der ausdrücklich erfahrungsfreien Ethik eine erfahrungsbezogene Fähigkeit. Die thematische Spezialisierung bereitet das entscheidende Argument nur vor. Die konkrete moralische Handlung, das weiß Kant durchaus, entsteht aus dem Zusammenwirken von nicht-empirischen mit empirischen Momenten. Weil das eigentlich Moralische aber nicht im Zusammenwirken liegt, vielmehr eindeutig und ausschließlich bei dem einen Moment, dem erfahrungsunabhängigen
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Willen, sieht sich Kant zu einer Depotenzierung des anderen Momentes gezwungen, zu einer Entmachtung der Erfahrung. Von ihr wird die Urteilskraft, weil „erfahrungsgeschärft“, selbstverständlich mitgetroffen. Sie ist aber nicht der primäre Gegner der Kantischen Kritik. Nicht gegen die Erfahrung, die einen Einzelfall mit der Regel vermittelt, richtet sich Kant, sondern gegen diejenige Erfahrung, die die Regel, genauer: die den subjektiven Handlungsgrund, die Maxime, definieren will. Eine derartige Erfahrung entspricht der Neigung und steht damit in radikalem Widerspruch zum Kantischen Moralbegriff, der Pflicht bzw. dem moralischen Willen. Selbst im Fall des moralischen Willens wird die Urteilskraft nicht schlechthin überwunden; zur Seite geschoben wird lediglich ihre erfahrungsgeschärfte Form. Noch nicht in der Grundlegung, wohl aber in der zweiten Kritik (V 67 ff.) sieht Kant in seinem Moralkriterium, dem Experiment der Verallgemeinerung, die Urteilskraft am Werk. Vorliegt freilich eine erfahrungsunabhängige Form, die „Urteilskraft der reinen praktischen Vernunft“, die kürzer die ‘reine praktische Urteilskraft’ heißt (KpV: V 67 f.). Weil über das genuin moralische Moment nur sie entscheidet, kann auch allein sie als ‘moralische Urteilskraft’ gelten. Kant führt diesen Ausdruck – moralische Urteilskraft – auch ein, allerdings erst relativ spät und auch dann nur beiläufig. Die Klarheit über das Gewicht der Urteilskraft hat Kant, so scheint es, erst nach und nach gewonnen: Über die wesentliche Einsicht, daß die Entscheidung für das genuin Moralische eine nicht-empirische Leistung ist, verfügt er seit der Grundlegung. Daß auch für diese Leistung eine Urteilskraft zuständig ist, spricht er deutlich erst in der zweiten Kritik, im Abschnitt von der „Typik der reinen praktischen Urteilskraft“ aus; einen Hinweis freilich enthält auch die Grundlegung (IV 403 f.: Richtmaß ihrer Beurteilung; praktisches Beurteilungsvermögen usw.). Und die Konsequenz, daß nur die nichtempirische Urteilskraft einen genuin moralischen Charakter hat, zieht Kant erst, nachdem inzwischen die Kritik der Urteilskraft erschienen ist: in der Religionsschrift (Rel., 4. St., § 4: VI 186). Die neue, genuin moralische Urteilskraft ist im Gedankenexperiment der Verallgemeinerung am Werk. Sie ist für die Frage zuständig, welcher der möglichen Maximen der Rang des Moralischen gebührt: der Gleichgültigkeit gegen fremde Not oder aber der Hilfsbereitschaft, der Unehrlichkeit oder aber der Ehrlichkeit. Die bei Aristoteles analoge Frage lautet zum Beispiel: Wie soll man sich angesichts von Gefahren verhalten – feige, tollkühn oder aber tapfer? Die Antwort, die Aristoteles gibt, ist von der erfahrungsgeschärften Urteilskraft (hier: phronêsis) ebenso unabhängig wie die Kantische Antwort. Beide Denker kennen also eine moralische Vorgabe, über die die praktische Urteilskraft gerade nicht entscheidet. Und beide wissen, daß diese Vorgabe auch fehlen und die Urteilskraft sich an
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moralisch schlechten Zielen orientieren kann. Aristoteles spricht dann von panourgia, von einer Gerissenheit oder Verschlagenheit, (VI 13, 1144a26 ff.), Kant in dem dafür lesenswerten „Anhang“ der Abhandlung Zum ewigen Frieden von „Sophisterei“ (VIII 37b) und den „Schlangenwendungen einer unmoralischen Klugheitslehre“ (VIII 375). In beiden Fällen ist jene amoralische Urteilskraft gemeint, die man, zumal im Politischen als Machiavellismus bezeichnet. Außerdem wissen beide gleichermaßen, daß die moralische Vorgabe nicht ausreicht und einer Ergänzung bedarf. Ob Hilfsbereitschaft oder Tapferkeit – wer über derartige Grundhaltungen verfügt, muß sich immer noch überlegen, wie er in concreto handeln soll. Dazu braucht es praktische Erfahrung und, je nach Notlage bzw. Gefahrensituation, ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz. Die entsprechende Fähigkeit sieht Aristoteles im phronimos verkörpert, im klugen Menschen, für den übrigens ein Politiker, Perikles, als Vorbild gilt (VI 5, 1140b8). Eine ähnliche Verkörperung, ebenso auf die Politik bezogen, kennt Kant; im genannten „Anhang“ der Abhandlung Zum ewigen Frieden spricht er vom moralischen Politiker und hält ihn dem Machiavellisten, hier „politischer Moralist“ genannt, entgegen (VIII 372). Die Leistung von Moralprinzipien kann man mit den grammatischen und semantischen Regeln einer Sprache vergleichen. Wer die Grammatik und Semantik mißachtet, spricht inkorrekt, wer sie beachtet, aber nicht mehr kann, als sie mechanisch anzuwenden, ist ein Pedant, der sein eigenes Leben im trockenen Packpapierstil schreibt. Über eine – jetzt: praktische – Urteilskraft verfügt nur, wer – wiederum im tatsächlichen Leben – die Sprache moralischer Prinzipien sensibel, kreativ und flexibel, kurz: intelligent zu sprechen versteht. Das verlangt nicht nur mehr als eine bloße Subsumption, sondern auch mehr als lediglich eine Kontextualisierung. Universalistische Prinzipien sind nicht wie ein fertiges Drehbuch; sie bedeuten erst eine Grundidee, nach der man noch während der Dreharbeiten – und das heißt: ein Leben lang – das Drehbuch schreibt. Ein letztes ist im Themenbereich der Urteilskraft gemeinsam, jetzt ein Defizit: Bei den strukturell schwierigen Moralproblemen von heute stellt sich eine Aufgabe, das Abwägen unterschiedlicher moralischer Verbindlichkeiten, die weder in Aristoteles’ noch Kants Ethik vorgesehen ist. Aristoteles erörtert nicht die Situation, daß Tugenden in ihren Forderungen miteinander kollidieren. Ebensowenig sieht Kant Kollisionen von Pflichten vor. Bei ihm findet man allerdings für eine Güterabwägung gewisse Instrumente, etwa den Vorrang geschuldeter vor verdienstlichen Pflichten oder den Gedanken, daß etwas „an sich zwar Unerlaubtes, doch zur Verhütung einer noch größeren Übertretung (gleichsam nachsichtlich) erlaubt sei“ (Metaphysik der Sitten: VI 426). Weiterhin spricht er von einem „Notrecht“, nach dem gewisse Handlungen, die die Rechte anderer verletzen, nicht unsträflich, aber unstrafbar sind (235 f.). Nicht zuletzt räumt er im Kon-
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fliktfall dem stärkeren Verbindlichkeitsgrund den Vorrang vor der stärkeren Verbindlichkeit ein (224). Weil derartige Instrumente noch der Weiterentwicklung harren, weil sie aber ansatzweise nur bei Kant, nicht auch bei Aristoteles zu finden sind, ist in diesem Bereich, der Theorie einer höherstufigen Urteilskraft, durch einen Rückgriff auf Aristoteles, durch eine „Rearistotelisierung der Ethik“, nichts zu gewinnen.
13.4 Strebens- oder Willensethik In Ethics and the Limits of Philosophy entwickelt Bernard Williams (1985) eine antifundamentalistische und antireduktionistische Ethik. Danach soll es weder eine Menge moralischer Kategorien geben, die für die gesamte Praxis grundlegend sei, noch ein Verfahren, um alles moralische Denken auf eine derartige Kategorienmenge zurückzuführen. Sucht man für die kritisierten Positionen ein klassisches Vorbild, so kommen weder Kant noch Aristoteles in Frage. Stattdessen entdecken wir erneut Gemeinsamkeiten. Nicht nur kennen beide einen für alle moralische Praxis grundlegenden Begriff, sie sind also in Williams’ Sinn moraltheoretische Reduktionisten und Fundamentalisten; es ist sogar bei beiden derselbe Begriff. Allerdings fällt er weit formaler aus, als man gewöhnlich erwartet. Und da er in dieser Formalität noch gar nicht untersucht worden ist, könnte man mit dem Pathos Martin Heideggers sagen: Wir denken den Ursprung der Moral noch nicht gründlich genug. Die Quelle der Moral besteht bei Kant nicht in der Autonomie oder dem guten Willen und bei Aristoteles nicht in der Eudämonie, dem Glück, und schon gar nicht in dieser oder jener Tugend, sondern in einem für beide gemeinsamen Superlativ, in der via eminentiae gebildeten Idee des schlechthin Guten. Im berühmten Einleitungssatz der Grundlegung – „ohne Einschränkung gut ist allein ein guter Wille“ – gibt Kant der Ethik ein semantisches Kriterium vor: „moralisch gut“ bedeutet „uneingeschränkt“ bzw. „unbedingt gut“. Zusätzlich erhebt er einen Exklusivitätsanspruch: allein der gute Wille erfüllt das Kriterium „ohne Einschränkung gut“. Ähnliches behauptet Aristoteles vom Glück. Als das Ziel, das wir um seiner selbst willen wollen und das andere um seinetwillen (I 1,1094a18 f.); als das oberste aller praktischen und praktikablen Güter (I 2, 1095a16 f.); als etwas, das autark ist und für sich allein wünschenswert, ohne daß etwas anderes hinzuaddiert werden könnte (I 4, 1097b14 ff.); und vor allem als das Ziel, das am meisten Zielcharakter hat, als das schlechthin vollkommene Ziel (telos teleiotaton: I 5, 1097a30) mit allen diesen Elementen zeichnet sich das Glück durch einen mit dem guten Willen vergleichbaren Superlativcharakter aus. Einerseits ist es die Bedin-
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gung dafür, daß alles vermeintlich Gute tatsächlich gut ist; andererseits ist es selber in keiner Weise nur bedingt gut (vgl. I 5, 1097a34 ff.). Insoweit ist es ein Superlativ im ersten Sinne, dem des Unbedingten; außerdem hat diese Eigenschaft lediglich das Glück, so daß es auch die Exklusivität für sich beanspruchen kann. Mit der genuin normativen Seite, der Idee des schlechthin Guten, tritt nicht nur bei Aristoteles, sondern überraschenderweise auch bei Kant ein teleologisches Moment in die Ethik ein. Daß derjenige, der Praxis bewertet, eine Frage aufwirft, die sich erst in der Idee des schlechthin oder unüberbietbar Guten vollendet, zeigt Aristoteles in der Steigerung von (a) (irgendeinem) Ziel (telos), (b) bloßem Ziel (monon teleion) und (c) vollkommenem Ziel (teleiotaton: I 5, 1097a25 ff.). Und bei Kant ist es im Nachweis enthalten, daß es über die beiden hypothetischen Bewertungsstufen, die technische und die pragmatische Rationalität, hinaus noch jene dritte Rationalitäts- oder Bewertungsstufe gibt, die sich ihrerseits nicht mehr überbieten läßt: die kategorische Rationalität. Mit dem teleologischen Moment tritt übrigens in beide Ethiken auch ein metaphysisches Moment ein, metaphysisch allerdings in einem praktischen und zugleich sehr bescheidenen Sinn. Sowohl dort, wo man das vollkommene Ziel anstrebt, als auch dort, wo man gemäß kategorischer Rationalität handelt, also in beiden Gestalten einer dritten Bewertungsstufe, folgt man nicht empirischen Bestimmungsgründen wie etwa Trieben, Bedürfnissen oder Leidenschaften. Vielmehr transzendiert man derartige natürliche („physische“) Antriebskräfte und hat insoweit einen meta-physischen Bestimmungsgrund. Erst vor dem Hintergrund dieser Gemeinsamkeit tritt die Differenz zutage, die in der Ethik zwischen der Antike, repräsentiert durch Aristoteles, und der Neuzeit, repräsentiert durch Kant, tatsächlich besteht. Nicht in der Idee des schlechthin oder unüberbietbar Guten unterscheiden sich Aristoteles und Kant, wohl aber im Begriff des Handelns, mit dem sie diese Idee verbinden. Die entsprechende Weichenstellung erfolgt also nicht von der genuin normativen Seite, sondern von der Handlungstheorie her. Aristoteles versteht das Handeln – übrigens nicht nur von Menschen, sondern auch von Tieren: De motu animalium 6 – 7 – als Auslangen nach einem Ziel, als Streben (ephiesthai bzw. orexis). Folgerichtig sieht er den Superlativ bei einem Ziel, über das hinaus kein anderes Ziel gedacht werden kann, beim entsprechend definierten Glück. Kant verändert den handlungstheoretischen Blick, und er verändert ihn radikal. Nicht länger achtet er auf das Ziel des Handelns, ihm kommt es auf seinen Anfang an. Für Kant erfolgt das typisch menschliche Handeln nach der Vorstellung von Gesetzen; es wird zu einem Handeln nach Prinzipien, dessen Grundlage und Anfang der Wille ist. Der dazugehörige Superlativ liegt in Gesetzen bzw. Prinzipien, deren Anfang nicht außerhalb des Willens liegt,
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sondern in diesem selbst. Auch hier ist die Auskunft konsequent: Der Wille gibt sich die Gesetze selber; das Prinzip heißt Autonomie. Da das normative Moment, der Superlativ, gemeinsam, der Handlungsbegriff aber verschieden ist, sind Rückfragen an die beiden Autoren beim Handlungsbegriff anzusetzen. Eine erste Frage lautet: Welche Vorentscheidungen, welche Weichenstellungen sind mit dem jeweiligen Begriff getroffen? Die wichtigste Antwort: Der Handlungsbegriff enthält eine Vorentscheidung über die Moral und ihr Prinzip. Im Strebensmodell ist das Gute eine Zielvorgabe und gehört als solche nicht zu den Gegenständen menschlicher Entscheidung und Verantwortung. Nun verstehen wir unter der Moral etwas, das in unserer Verantwortung liegt, so daß das Strebensmodell einen eingeschränkten Moralbegriff zur Folge hat. Die Einschränkung wird jedoch dadurch minimalisiert, daß die Vorgabe sehr hoch und zugleich sehr formal angesetzt wird. Weder konkrete Güter sind vorgegeben noch deren Leitbegriffe wie etwa Lust, Reichtum oder Ansehen, sondern lediglich jene Bedingung, das Glück, unter der sich alle gewöhnlichen Güter als tatsächlich oder aber nur scheinbar gut erweisen. Weil nur das Leitziel Glück vorgegeben ist, erweist sich der Bereich menschlicher Verantwortung als sehr weit; da eine Vorgabe bleibt, erreicht er aber nicht das dem Menschen mögliche Maß. Das Strebensmodell führt jedenfalls zur Eudämonie, das Willensmodell zur Autonomie als Moralprinzip. Einer am Strebensglück orientierten Ethik geht es um Entfaltung objektiv-humaner Möglichkeiten; eine willensorientierte oder autonome Ethik fragt dagegen nach dem allerersten Anfang und verstärkt dabei den Wollenscharakter, der allerdings der Strebensethik nicht fremd ist. An die Frage nach den moraltheoretischen Vorentscheidungen schließt sich die zweite Frage, die nach den charakteristischen Leistungen und den charakteristischen Lasten an, die sich mit dem einen oder anderen Ethiktyp verbinden. Derartigen Fragen nachzugehen, geht aber über eine Kommentierung der Aristotelischen Ethik hinaus. Anders sieht es mit einem Einwand aus, der sich gegen eine schroffe Gegenüberstellung von Strebens- und Willensethik erhebt: Das Phänomen des Willens sei Aristoteles doch nicht fremd; selbst Hegel habe keinerlei Bedenken, Aristoteles den Begriff des Willens zuzubilligen (Vorlesungen über Geschichte der Philosophie, in: Werke 19, 221). Allenfalls fehle für die verschiedenen Formen, in denen es gegenwärtig ist, ein zusammenfassender Begriff. Die Frage, ob dieser Einwand berechtigt ist, hängt vom Begriff des Willens ab. Nach Dihle (1985) kennt Aristoteles den Willen ebensowenig wie die anderen Vertreter der klassischen Philosophie der Antike; erst bei Augustinus tauche der Begriff auf. Anders Kenny (1979), der glaubt, den Begriff problemlos bei Aristoteles identifizieren zu können. Auch bei der damit angedeuteten Kontroverse hängt die Entscheidung vom Willensbegriff ab.
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Gelegentlich verstehen wir den Ausdruck in einem weiten Sinn und meinen jeden von innen kommenden Drang im Unterschied zu einem Zwang von außen; mit Willen handelt, wer etwas aus freiem Antrieb, wer es freiwillig tut. Für Kants engeren und zugleich anspruchsvolleren Begriff – wir konzentrieren uns auf die Grundlegung – sind mindestens zwei Momente charakteristisch. Nennen wir sie das voluntative und das rationale Moment. Einerseits zeigt sich der Wille nicht in „einem bloßen Wunsch, sondern in der Aufbietung aller Mittel, soweit sie in unserer Gewalt sind“ (IV 394); zum Willen gehört es, mit einem Wunsch ernst zu machen und ihn mit aller Kraft zu verfolgen. Andererseits hat einen Willen, wer über das Vermögen verfügt, „nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Prinzipien zu handeln“ (IV 412). Zu diesem zweiten Moment gehört der Zusatz: „Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft erfordert wird, so ist der Wille nichts anderes als praktische Vernunft […] Der Wille ist ein Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft unabhängig von der Neigung als praktisch notwendig, d. i. als gut, erkennt“ (ebd.). Mit einer bis heute vorbildlichen Akribie untersucht Aristoteles die verschiedenen Optionen, die sich im Bereich von Freiwilligkeit und Entscheidung auftun (III 1– 7; vgl. Beitrag Nr. 6). Außer den beiden „konventionellen“ Modalitäten – willentlich (hekôn) bzw. freiwillig (hekousion) und unfreiwillig (akousion) – kennt er als Drittes jenes nichtfreiwillige Handeln (ouch hekôn), das aus Unwissenheit erfolgt, aber nachträglich Zustimmung findet. Ferner sieht Aristoteles Mischformen von Freiwilligkeit und Gewalt; beispielsweise wirft ein Kapitän, um sein Schiff in einem Unwetter zu retten, einen Teil der Ladung weg. Vom Handeln in Trunkenheit oder im Zorn sagt er, es erfolge nicht aus, aber in Unwissenheit; und die Frage, ob man sich mit der Verlockung durch die Lust entschuldigen könne, beantwortet er mit Nein, da man es in der Hand habe, der Lust nicht nachzugeben. Mit dem Moment des Freiwilligen bzw. Willentlichen ist das voluntative Moment durchaus gegenwärtig. Wie sieht es aber mit dem zweiten, rationalen Moment aus? Was Kant die „Vorstellung der Gesetze“ nennt, findet sich bei Aristoteles in einigen Formen des sog. praktischen Syllogismus wieder. Im Schluß: „Wenn (1) Rauchen gesundheitsschädlich ist und (2) dieses ein Rauchzeug ist, dann (3) ist dieses gesundheitsschädlich“ benennt der Obersatz (1) ein praktisches Gesetz. Schmilzt also, da auch Kants zweites Definitionsmoment gegenwärtig ist, die Differenz von Strebens- und Willensmodell dahin? Eine positive Antwort müßte auf das Moralprinzip durchschlagen und auch die Differenz der Prinzipien Glück und Willensfreiheit dahinschmelzen lassen. Mindestens zwei Unterschiede bleiben aber bestehen. Einerseits ist für die richtigen Prinzipien nach Kant der Wille zuständig, nach Aristoteles dagegen die aretê êthikê. Außerdem kann nach Kant die Moral in bestimmten Situationen verlangen, dem natürlichen Leitziel des
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Menschen, dem Glück, zuwiderzuhandeln, was bei Aristoteles, so scheint es, nicht einmal denkbar ist; denn der Grund aller Verbindlichkeit liegt ja im Glück. Diese Antwort ist aber nur „im Prinzip“ richtig. Denn das Glück verlangt beispielsweise in Gefahren eine Reaktionsweise, die Tapferkeit, an der man zugrunde gehen kann (I 1, 1094b17– 19). Daß jemand den Tod auf sich nimmt, ehrt ihn zwar, steht aber nicht im Einklang mit dem Prinzip Glück. Die Möglichkeit eines Widerspruchs zwischen den Tugenden und ihrem Leitprinzip, dem Glück, sieht Aristoteles also durchaus. Er zieht daraus aber nur eine wissenschaftstheoretische (Zumeist-Aussagen) und nicht auch die prinzipien- oder ethiktheoretische Konsequenz, daß das Glück gar nicht das schlechthin höchste und umfassende Prinzip menschlichen Handelns sei (vgl. Beitrag Nr. 2.2). Nicht die eudämonistische Vollendung des Lebens liegt in der Hand des Menschen – sie bleibt ein Geschenk des Schicksals bzw. der Götter –, wohl aber der autonome Anfang alles Handelns, die sittliche Einstellung, die moralische Tugend als Selbstzweck.Wer diese moraltheoretische Konsequenz zieht, müßte allerdings die handlungstheoretische Folge anerkennen, daß das Streben nicht das Grundmodell, zumindest nicht das Exklusivmodell menschlichen Handelns abgeben kann. Daß Aristoteles die entsprechenden Phänomene nicht aus Gründen eines „Systems“ unterschlägt, zeichnet ihn als undogmatischen, erfahrungsoffenen Denker aus. Daß er die sachlichen Konsequenzen nicht voll übersieht, zeigt freilich eine Grenze an. Aristoteles relativiert zwar das Prinzip Glück, läßt aber nicht seine Verabschiedung, gewissermaßen den Kollaps der eudämonistischen Ethik, zu. Für den Grund kann ich hier nur eine Vermutung äußern: Um die eudämonistische Ethik aufzugeben, braucht es mehr als den gelegentlichen Widerspruch, der zwischen der Tugend und dem Glück besteht, und die Abhängigkeit des Glücks von äußeren Glücks- und Unglücksfällen. Es bedarf wohl zweierlei. Einerseits ist jene Erfahrung des moralisch Bösen vonnöten, die man etwa, so Kant, in den ‘Auftritten von ungereizter Grausamkeit in den Mordszenen’ gewisser Völker machen kann (Religionsschrift: VI 33). Andererseits braucht es eine im Vergleich zu Priamos noch gesteigerte Unglückserfahrung, jene, die das Buch Hiob thematisiert und die in anderer Weise Europa beim Erdbeben von Lissabon (1755) erlebt. Um gegen das Prinzip Glück so skeptisch zu werden, daß man an seine Stelle ein anderes Prinzip setzt, mußte man die Erfahrung machen, daß auch der rundum Rechtschaffene (Hiob) bzw. daß Zehntausende von Unschuldigen (Lissabon) vom Unglück heimgesucht werden. (Zum Versuch eine autonome Moral mit einer an Eudaimonie orientierten Lebenskunst zu vermitteln, vgl. Höffe ²2009, bes. Kap. 24 und 25.)
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13.5 Trifft Kants wissenschaftstheoretische Kritik Aristoteles’ Lehre vom Glück? Von den verschiedenen Einwänden, die Kant gegen das Prinzip Glück erhebt, sei hier nur der wissenschaftstheoretische Einwand erörtert. Daß sich der Begriff des Glücks durch ein ungewöhnlich hohes Maß an Unbestimmtheit auszeichne (Grundlegung: IV 418), dieser Einwand läßt sich nämlich für Aristoteles weitgehend entkräften, bildet der Philosoph doch einen wohlbestimmten und darüber hinaus einen objektiven Begriff. (Zu Aristoteles’ Glücksbegriff vgl. Annas 1993.) Zunächst wehrt Aristoteles sowohl das zu kleine und „billige Glück“ ab, das Glück im Sinne von „Glück haben“ (vgl. I 10, 1099b20 f.; Pol. VII 1, 1323b26 f.), als auch das zu große Glück, jene Glückseligkeit, die den Göttern reserviert ist. Für das Glück, das man sich nicht bloß passiv ersehnt, sondern nach dem man aktiv strebt, für das Strebensglück im Unterschied zum Sehnsuchtsglück, ist der Mensch selbst zuständig; er kann es auch im jetzigen Leben tatsächlich erreichen. Dieser Begriff entspricht nicht Kants Begriff einer „Zufriedenheit mit dem ganzen Dasein“, er bedeutet vielmehr ein Glück im Sinne von „glücklich-gelungen leben“ (eu zên) und „glücklich-gelungen handeln“ (eu prattein). (Zwar gibt es noch eine Steigerung, vom Glücklichen, eudaimôn, zum Glückseligen, makarion; sie liegt aber nicht mehr in des Menschen Hand: I 11 u. a.) Die bis heute umstrittene Frage, worin das Strebensglück denn bestehe, erörtert Aristoteles entlang von bioi. Damit sind Lebensformen oder Lebensstrategien gemeint, man kann auch sagen: Lebensentwürfe oder Sinnhorizonte, jedenfalls Grundmuster, nach denen man sein Leben als ganzes führt und unter denen, da es sich um Alternativen handelt, eine Wahl zu treffen ist (bion prohairoumenoi: I 3, 1095b20). Schon diese Art, das Glück zu diskutieren, enthält wichtige Aussagen. Erstens deutet sie eine Schwierigkeit an, die jede Lebenserfahrung bestätigt: Man strebt nach Glück und kann trotzdem nicht unmittelbar darauf hinarbeiten; das Glück selber ist kein Gegenstand einer Wahl oder Entscheidung; man kann sich nicht entschließen, glücklich zu werden. Entschließen kann man sich aber zu einer Lebensform, die das Glück mit gutem Grund erwarten läßt. Der Versuch von Utilitaristen wie Bentham, das Glück zu berechnen und zu diesem Zweck einen „hedonistischen Kalkül“ zu entwerfen, erscheint im Vergleich zu Aristoteles als naiv. Auf die Frage nach dem Glück bedarf es zunächst einer zweistufigen, am Ende sogar dreistufigen Antwort; und diese geht über die Verbesserung des Utilitarismus zum sog. Regelutilitarismus hinaus: (1) Man suche eine glückstaugliche Lebensstrategie; (2) in ihrem Rahmen entwickle man Grundhaltungen („Tugenden“); (3) erst von ihnen aus läßt sich das konkrete Handeln bestimmen.
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Ein Zweites: Insofern die Lebensstrategie, wie Aristoteles zumindest andeutet, gewählt wird (z. B. I 3, 1095b20), gilt das Glück nicht als ein Geschick, das man dem Zufall oder äußeren Mächten verdankt, vielmehr ist der Mensch selber dafür verantwortlich. In der Politik (VII 13, 1332a25 – 27) bringt Aristoteles einen schönen Vergleich: Wer die äußeren Güter für die Ursache des Glücks halte, sei wie jemand, der ein schönes Musizieren mehr aufs Instrument als auf die Spielkunst zurückführe. Als Kriterium für eine Lebensstrategie verstanden, darf man drittens das Glück weder mit einem vorübergehenden Zustand höchsten Wohlbefindens gleichsetzen noch mit einer überragenden Einzelleistung, mit jener heroischen Großtat eines Achilleus oder einer Antigone, die im archaischen Griechentum so viel zählt. Das Glück, das man mit Verläßlichkeit erreichen kann und das auch vielen offensteht (I 10, 1099b18 – 20; hier zeigt sich eine gewisse Demokratisierung des Glücks), besteht in mehr als einer privaten Innerlichkeit; es bedeutet eine Qualität, die man seiner Biographie als ganzer verleiht. Dem Glück geht es um ein Leben, das rundum gelingt und dessen Gelingen von Dauer ist. Der nächste Schritt zu einem wohlbestimmten Glücksbegriff führt über den Gedanken einer für den Menschen charakteristischen Leistung. Dieser Gedanke erlaubt einen objektiven Glücksbegriff, der wiederum das entscheidende Gegenargument gegen Kants These der Unbestimmtheit des Glücks enthält. Außerdem gewinnt Aristoteles mittels der charakteristischen Leistung, der Vernunft, die beiden Klassen von Tugenden; auch in dieser Hinsicht trifft die Unbestimmtheit nicht zu. Es bleibt nur ein Rest von Unbestimmtheit, da die Tugenden, wie gesagt, das Glück nicht garantieren. Aristoteles’ Fähigkeit zu einem wohlbestimmten Glücksbegriff hängt übrigens mit den anderen Elementen zusammen. Der Begriff ist wohlbestimmt, weil Aristoteles einen objektiven Begriff sucht, der wiederum zu seiner selbstverständlichen Suche nach einer universalistischen Ethik gehört. Auch ein wohlbestimmter Glücksbegriff kann aber den Menschen nicht von den Unsicherheiten und Risiken befreien, die die konkrete Suche nach einem glücklichgelungenen Leben begleiten. Deshalb ist der Glücksbegriff, obwohl wohlbestimmt, nur ein Grundrißbzw. typô(i)-Begriff. Ziehen wir zur Frage „Aristoteles oder Kant?“ eine vorläufige Bilanz in fünf Sätzen: (1) Nach der Intention der Ethik als einer praktischen Philosophie ist Kant ein Aristoteliker. (2) In den Grundelementen seiner Ethik ist Aristoteles Universalist. (3) Dort, wo Aristoteles angeblich über Kant hinausreicht, bei der Urteilskraft, gibt er eine Analyse vor, die Kant in der Sache sowohl anerkennt als auch moralphilosophisch weiterführt. (4) Hinsichtlich der Handlungstheorie weisen einige der Aristotelischen Analysen über den eigenen, nur strebenstheoretischen Ansatz hinaus. Und (5) in der Lehre vom Glück gelingt ihm, wogegen Kants These der
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begrifflichen Unbestimmtheit eine grundsätzliche Skepsis äußert: er entwickelt einen objektiven und erstaunlich weit wohlbestimmten Begriff.
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Glossar agathon agnoia aisthêsis akrasia akribeia andreia apodeixis aporia archê aretê aretê dianoêtikê aretê êthikê athanasia autarkeia
gut, das Gute agathon anthrôpinon menschliches Gut Unkenntnis, Unwissenheit, Irrtum Wahrnehmung Willensschwäche, Unbeherrschtheit Genauigkeit Tapferkeit Beweis Aporie, Schwierigkeit Prinzip, Anfang, Ursprung, Ursache Tugend (Tüchtigkeit, Bestform, optimaler Zustand) dianoetische Tugend, Verstandestugend moralische Tugend, Charaktertugend Unsterblichkeit Autarkie, Selbstgenügsamkeit
bios bios apolaustikos bios chrêmatistês bios politikos bios theôrêtikos bouleusis boulêsis
Lebensform die genußsüchtige Lebensform die geldmäßige Lebensform die politische Lebensform die theoretische Lebensform Beratschlagung, Überlegung das Wollen
chrêsimos
nützlich (Nutzen, Interesse)
deinotês dikaiosynê doxa
Gewandtheit, Geschick Gerechtigkeit Meinung, Vorstellung
eidos empeiria energeia epagôgê epieikeia epistêmê ergon ethos êthos eudaimonia eupraxia
Form, Art Erfahrung Tätigkeit, Verwirklichung (Wirklichkeit) Induktion, Heranführung Billigkeit Wissen, Wissenschaft Werk, Leistung Gewohnheit, Sitte Gewohnheit, Sitte, Charakter, Sinnesart Glück Wohlergehen, gute Handlungsweise
hedonê hekôn hexis
Lust (Freude, Vergnügen) freiwillig Haltung (Verfassung, Einstellung, Zustand, Habitus)
https://doi.org/10.1515/9783110578751-017
250
Glossar
kakia krisis
Schlechtigkeit Urteil
logos
Vernunft (Wort, Rede, Grund, Berechnung)
mesotês methodos
Mitte Lehre, Methode
nomos nomisma nous
Gesetz, Brauch, Sitte Geld Geist, Vernunft
orexis ousia
Streben Substanz
paideia pathos philia phronêsis phronimos pleonexia poiêsis polis politeia prohairesis psychê
Erziehung Leidenschaft, Affekt Freundschaft Klugheit der Kluge Mehr-Haben-Wollen Herstellung Stadt, Staat Verfassung Entscheidung Seele
sophia sôphrosynê syllogismos
Weisheit Besonnenheit Syllogismus, logischer Schluß
technê telos theôria theos typô(i)
Kunst; skill Ziel, Zweck, Ende Theorie Gott im Umriß
Personenverzeichnis Ackrill, J. 5, 29, 183, 206 f. Adkins, A. D. H. 65 Aischylos 7 Anagnostopoulos, G. 16 Anaxagoras 62, 202 Angehrn, E. 78 Annas, J. 196 f., 239 Aubenque, P. 140 Augustinus 213, 236 Austin, J. L. 94 Bentham, J. 4, 239 Bien, G. 6, 105 f., 110, 113 f., 118, 123, 208, 211, 216 Bolk, L. 210 Bonitz, H. 14, 156 Broadie, S. 26 Burnet, J. 36 Bywater, I. 158 Carr, D. 83 Chapman, J. W. 221 Charles, D. 100, 134 Clark, S. 183 Cooper, J. 142, 189 f., 193, 203, 206 Dihle, A. 236 Dirlmeier, F. 2, 60 f., 96, 115, 118, 165, 203 Düring, I. 60 Ebert, Th. 132 Eudemos von Rhodos 60 Eudoxos 7, 172 – 174 Euripides 7 Eustratius 143 Fechner, H. A. 118 Festugière, A. J. 165 Flashar, H. 5, 49, 56 f., 61 Foot, Ph. 76 f., 79 Frede, D. 130 Fromm, E. 79
https://doi.org/10.1515/9783110578751-018
Gadamer, H. G. 62, 140, 205, 215 Gaiser, K. 51 Galston, W. A. 221 Gauthier, R. A. 29, 33, 36, 137, 165, 168 Geach, P. 77 Gehlen, A. 213 Gigon, O. 57 Gosling, J. C. B. 165, 168 Gould, S. J. 210 Habermas, J. 210 Happ, H. 56 Hardie, W. F. R. 30 f., 36 – 39, 65, 67, 72, 203 Hassenstein, E. 212 Hegel, G. W. F. 10, 61, 106 f., 111, 221, 236 Heidegger, M. 234 Heinaman, R. 183 Heraklit 62, 204 Hintikka, J. 30, 33 Hiob 238 Hirzel, R. 106 Hobbes, Th. 23 Höffe, O. 1, 5, 9, 16, 22 f., 26, 131, 178, 213, 216, 221 f., 226, 230, 238 Homer 7, 50 Hume, D. 85 Hursthouse, R. 77 Irwin, T. 185 Isokrates 50, 207 Jaeger, W. 13, 60, 106 f. Jolif, J. Y. 29, 33, 36, 137, 165, 168 Kahn, C. 189 Kamp, A. 215 Kant, I. 1, 4, 12, 23, 221 – 227, 231 – 235, 237 – 240 Kenny, A. 3, 30 f., 37 f., 67, 92, 165, 183, 193 f., 236 Kluxen, W. 221 Kontos, P. 142, 144
252
Personenverzeichnis
Krämer, H. J. 62, 72 Kraut, R. 183, 193, 195, 197 f. Kullmann, W. 6, 201, 204, 210 – 213 Kurz, D. 16, 19, 23, 78, 228 Lear, G. R. 137 Lieberg, G. 165 Loening, R. 85 Lübbe, H. 221 MacIntyre, A. 221, 228, 230 Marquard, O. 221 Marx, K. 123 Mayr, T. 212 Mill, J. S. 4 Mingay, M. 203 Moore, G. E. 22 Moss, J. 135 Müller, A. W. 72, 134, 198 Natali, C. 217 Nietzsche, F. 23 Nussbaum, M. 206, 230 Owen, G. E. L.
23, 180
Pakaluk, M. 188, 192 f. Parmenides 62 Pater, W. 196 Patzig, G. 55, 211 – 213 Perikles 141, 233 Pieper, J. 106 Pittendrigh, C. S. 212 Platon 2, 5, 7, 11, 13, 18, 23, 49 – 53, 55, 57, 59, 61 f., 72, 85, 110, 123 f., 168, 173, 202, 207 f., 214, 216 f. Priamos 18, 238 Price, A. W. 6, 183 f., 188 f., 193 Pythagoras 59 Rapp, Chr. 6, 85, 221 Rawls, J. 12, 211 Reeve, C. D. C. 134 Reich, K. 120, 208 Reiner, H. 116 f.
Ricken, F. 6, 69, 165, 170 Ritter, J. 10 Robinson, D. B. 6, 149, 203 Rorty, A. O. 16 Ross, D. 25, 38, 159, 180, 185, 194 Rowe, C. 193 Ryle, G. 159 Salkever, S. G. 212 Salomon, M. 116 Sauvé Meyer, S. 88, 92 Schilling, H. 72 Schindewolf, D. H. 210 Schleiermacher, F. D. E. 2 Schopenhauer, A. 85 Schütrumpf, E. 140, 202 Shakespeare, W. 25 Sokrates 7, 59, 62, 106, 110, 207 f. Sophokles 7 Speusipp 7, 53 Spinoza, B. 15 Stewart, S. 32, 158 Taylor, Ch. 165, 168, 221, 228 Teichmüller, G. 22 Thales 202 f., 216 f. Theognis 106 Thomas von Aquin 12, 83, 116, 211 Trude, P. 116 Tugendhat, E. 65, 79 Urmson, J. O. v. Wright, G. H.
71 79, 83
Walzer, M. 203, 221, 228 Walzer, R. R. 203, 228 Webb, Ph. 165 f. Williams, B. 65, 234 Wittgenstein, L. 17 Xenokrates 59, 61 Xenophanes 62 Zenon
62
Sachverzeichnis Absicht 65 f., 90 f., 93, 125 Affekt s. Leidenschaft Altruismus Aporie (aporia) 62, 130 f., 137, 139, 249 Aristokraten 109, 120 ausgleichende Gerechtigkeit s. iustitia commutativa Autarkie s. Selbstgenügsamkeit Autonomie 221, 234, 236 Bedürfnis 7, 75 f., 121 – 123, 126, 235 Beherrschtheit s. Willensschwäche Beratschlagung (bouleusis) 95, 249 Besonnenheit (sôphrosynê) 25, 70, 75 – 77, 79, 81 – 83, 217, 250 Beweis (apodeixis) 15 f., 57, 59, 131, 203, 249 Billigkeit (epieikeia) 18, 105, 124 – 127, 249 Demokratie, Demokraten 110, 213 Despotie s. Tyrannei Dianoetische Tugenden 4 – 6, 21, 126, 130, 134 – 136, 140, 144, 201 Disposition (hexis) 69 f., 129 – 131, 133, 135 – 140, 144 – 148, 196, 203 Einsicht s. Erkenntnis Empirie s. Erfahrung Energeia s. Wirklichkeit Entscheidung (prohairesis) 1, 6, 19 f., 71, 83, 85 – 88, 91 – 103, 118, 126, 138, 142 f., 167, 232, 236 f., 239, 250 Erfahrung (empeiria) 25 f., 57, 76, 78 – 80, 134, 207, 209, 222, 231 – 233, 238, 249 Ergon des Menschen (ergon tou anthrôpou) s. auch Leistung des Menschen 40, 67 f., 73 Erkenntnis 1, 10, 22 – 24, 27, 57, 75, 110, 124, 131 f., 141, 209 f., 216, 228 Erste Philosophie s. Theoretische Philosophie Erziehung (paideia) 6, 25 f., 50, 69, 86, 106, 110 f., 134, 201 f., 205, 214, 221, 225, 250 Ethik s. Praktische Philosophie https://doi.org/10.1515/9783110578751-019
Form (eidos) 46, 75, 105, 111, 116, 118 f., 121, 123, 127, 134, 139 f., 148, 159, 168 – 172, 174 f., 187, 192., 212 f., 226, 249 freiwillig (hekôn) 24, 85 – 88, 90, 92 – 94, 102, 110, 117 – 119, 121, 126, 132, 237, 249 Freundschaft (philia) VI, 1, 5 f., 13, 24, 66, 73 f., 82, 221 f., 250 – mit sich selbst 66, 73 f. Geist (nous) 203, 205, 211, 250 Geld (nomisma) 115 f., 121 – 123, 169, 230, 250 Genauigkeit (akribeia) 9, 14 – 17, 20, 125, 249 Gerechtigkeit, allgemeine (dikaiosynê) s. iustitia universalis 1, 6, 13, 18, 25, 59, 81 – 83, 105 – 113, 115 – 121, 123 – 127, 167, 177, 180, 205, 217, 221 f., 224 f., 230, 249 Geschicklichkeit (deinotês) 132, 137 Gesetz (nomos) 11, 13, 18, 20, 26, 105 – 107, 109 – 113, 122, 125 f., 142, 212, 225, 231, 235 – 237, 250 Gewalt s. Zwang Gewohnheit (ethos) 4, 249 Gleichheit 112, 116, 121 – 124, 127 Glück (eudaimonia) 3 – 6, 9 – 13, 17 – 19, 21, 23 f., 49, 95, 98, 114, 126, 131, 135, 137 – 139, 141, 165 f., 168 f., 171, 201 – 204, 206, 208, 211 – 213, 215, 217, 221, 226 – 228, 230, 234 – 240, 249 Gut, das (schlechthin) Gute (agathon) 1 – 3, 5, 9, 11 – 13, 16 f., 19 f., 23 – 26, 49, 51 – 60, 62, 66 – 83, 90 f., 95, 99, 105 f., 108 – 112, 114 f., 120 – 123, 125 f., 129 – 136, 139 – 141, 144 – 146, 166 – 179, 201 – 203, 207, 212, 215, 217, 221 f., 225, 229 f., 234 – 237, 239, 249 gutes Handeln (eupraxia) 130, 139, 215 gutes Leben, glücklich-gelungenes Leben (eu zên) 3, 13, 23, 26, 65, 67 – 69, 71 – 83, 132, 141, 221 f., 239 f.
254
Sachverzeichnis
Haltung (hexis) s. auch Disposition 10, 69 – 71, 74, 77, 81 f., 101, 116, 125 f., 166, 174 f., 225, 249 Handlung (praxis) 1, 70 f., 85 – 103, 110, 112, 116, 118, 131 – 144, 166 f., 170 f., 173 f., 176, 179, 205, 230 f., 233, 237 Herstellung (poiêsis) 72 f., 100, 138 – 140, 250 Ideen, Ideenlehre, Idee des Guten 49 – 51, 54, 57 – 60 Induktion (epagôgê) 16, 249 Interesse s. Nutzen Irrtum (agnoia), s. auch Wissen 91, 249 iustitia aequalitatis 116, 124 iustitia commutativa 116 – 118., 126 iustitia distributiva 116 f., 126 iustitia particularis 108, 116, 124, 126 iustitia universalis 108, 126 Kategorien 51 f., 115, 124, 231, 234 Kenntnis s. Wissen Klugheit (phronêsis), s. auch Lebensklugheit und Urteilskraft 6, 21, 25, 126, 209, 231, 250 Kommunitarismus, Kommunitaristen 228 Kunst (technê) 52, 121, 171, 209, 250 Lebensform (bios) 5 f., 10, 49, 54 f., 68, 75, 99, 139, 201 – 209, 211, 213 – 217, 221, 228, 239, 249 – der Politik 6, 9 – 13, 60, 111, 115, 137, 139, 202, 204, 211, 213 f., 216, 227 f., 230, 240 – der Theorie 63, 176, 204, 213, 217, 223, 234 – des Genusses 92 Lebensklugheit (phronêsis) 129 – 148 Legalität 111, 225 Leidenschaft (pathos) 4, 25, 224, 230, 235, 250 Leistung des Menschen (ergon tou anthrôpou) 2, 5, 10 f., 227 Lust (hedonê) 1, 5 f., 49, 54 f., 69 f., 74 f., 144 – 146, 165 – 180, 204, 217, 228, 236 f., 249
Mathematik 15 – 17, 19 f., 25 Maxime s. Gesetz Medizin Meinung (doxa) 49, 58 f., 81, 115, 132 f., 166, 172, 202, 204, 212, 215, 217, 230, 249 Menschliches Gut (to anthrôpinon agathon) 249 Methode 5, 23, 56, 250 Mitte (mesotês) 20, 70 – 73, 77, 82 f., 121 – 124, 126, 131, 178, 224, 230, 250 Nutzen (chrêsimon) 14, 22, 25 – 27, 62, 109 f., 112, 114, 204 f., 208 f., 249 Oligarchen
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Person, Einheit der, s. auch Glück 3, 26 f., 65, 68, 78 f., 81, 86, 90, 93, 95 f., 120 f., 137, 146, 157, 161 f., 180, 184, 188 f., 192, 197 f., 223, 227 Pflicht 4, 50, 107, 211, 221, 223 – 225, 232 f. Pleonexie (pleonexia) 114, 123, 126 Politik s. Praktische Philosophie Polis 1,10, 13, 93, 100, 106, 111 , 134, 140 f, 205, 207, 214 – 217, 221, 227, 229 f Praktische Philosophie V, 1, 9 f., 14, 22 f., 26 f., 58, 62, 65, 108, 112, 166, 204, 223, 227, 240 Prinzip (archê) s. auch Ursprung 4 f., 15 f., 52, 55, 61, 73, 75, 83 f., 87, 99, 228, 236, 238 f., 249 Recht 10, 19, 79, 105, 109, 111 f., 114, 116 – 121, 123 – 125, 127, 210, 212, 223, 230, 233 Schlechtigkeit (kakia) 14, 70, 75, 85, 91, 101 f., 106, 144 – 147, 250 Seele (psychê) 5, 10, 56, 68, 74, 124, 130, 141, 166, 206, 216, 227, 250 Selbstgenügsamkeit (autarkeia) 249 Sitte s. Gewohnheit Staat s. Polis Streben (orexis) 9, 22, 59, 65, 77, 79, 95, 98, 133 – 135, 144, 172 – 174, 177, 209 f., 217, 235 – 238, 250 Substanz (ousia) 56, 250
Sachverzeichnis
Tapferkeit (andreia) 17 – 20, 25, 70, 75 f., 82, 84, 109, 116, 138, 145, 205, 229, 233, 238, 249 Tauschgerechtigkeit s. iustitia commutativa Theoretische Philosophie 1, 22 f. Theorie V, 2, 10, 21, 23, 27, 63, 121, 123, 129, 176, 202, 204, 208 f., 212 f.,, 216 f., 221 – 223, 234, 250 Tugend (aretê) 4 – 6, 13 f., 18 f., 21, 24 – 26, 59 f., 65, 69, 73, 76 – 79, 81 – 86, 92, 98 f., 101 f., 105 – 113, 115 f., 119 f., 124 – 126, 129 – 138, 140, 143 – 145, 167, 170, 173, 179, 201 – 203, 205 f., 212, 214 – 216, 221 – 225, 228 – 230, 233 f., 238 – 240, 249 Tyrann, Tyrannei 86, 112, 120 Unbeherrschtheit s. Willensschwäche Unfreiwillig s. freiwillig Universalismus, universalistisch 2, 12 f., 221 f., 225 – 229, 231, 233, 240 Unsterblichkeit, unsterblich (athanasia) 94, 206, 249 Unwissenheit (agnoia) s. Wissen 86, 89 – 92, 94 f., 102, 145, 237, 249 Ursache s. Prinzip Ursprung (archê) 131, 133, 135 – 137, 141, 143 – 147 Urteil (krisis) 71, 95, 138, 211, 250 Urteilskraft 21, 221 f., 231 – 234, 240 Utilitarismus, utilitaristisch 3 f., 239
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Verfassung, Verfassungsarten (politeia) 13, 65, 68 f., 71, 74, 77 f., 81, 83, 109 – 111, 134, 167 – 171, 174 – 179, 249 f. Vernunft (logos) 4 f., 10, 13, 22, 25, 56, 67 f., 71, 73, 130, 147 f., 173, 176, 202, 211 f., 221, 223 f., 226 f., 230 – 232, 237, 240, 250 Vorsatz s. Absicht Wahrnehmung (aisthêsis) 100, 143, 176, 178, 180, 209, 249 Weisheit (sophia) 21, 131, 137, 208, 250 Wille (boulêsis) 124, 127, 166 – 170, 173 f., 201 f., 204, 208 – 210, 215, 217, 224, 226 f., 232, 234 – 237 Willensschwäche (akrasia) VI, 1, 5 f., 26, 99, 165, 249 Wirklichkeit (energeia) 249 Wissen 9, 14 – 17, 19 f., 22 f., 26 f., 75, 79 f., 92, 133, 138, 143 f., 202, 207 – 210, 223, 232 f., 249 Wissenschaft (epistêmê) 9 f., 16, 21, 25 f., 52, 57, 136, 143, 202, 207 – 210, 249 Ziel (telos) 3, 5, 9, 11 f., 22 f., 26, 49, 54 f., 62, 66, 76, 82, 86, 88, 91, 95, 97 – 103, 129, 131 – 135, 137 – 140, 168, 170 f., 173, 179, 201, 205., 211 f., 216, 223, 227, 233 – 235, 250 Zwang (bia) 86, 88 f., 94 f., 102, 135, 217, 237
Hinweise zu den Autoren John L. Ackrill, born 1921. Scholar of St. John’s College, Oxford; Professor of the History of Philosophy, University of Oxford (1966 – 1989). Publications: Aristotle’s Categories and De Interpretatione (1963), Aristotle’s Ethics (1973), Aristotle the Philosopher (1981), New Aristotle Reader (1987), Essays on Plato and Aristotle (1997); articles on Plato and Aristotle in philosophical and scholarly journals. General Editor of the Clarendon Aristotle series. Günther Bien, geb. 1936, studierte Philosophie, Klassische Philologie, Soziologie und Mathematische Logik an den Universitäten Münster und Würzburg, ist em. Professor für Philosophie an der Universität Stuttgart und Honorarprofessor an der Universität Ulm. Buchveröffentlichungen: Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles (1973, 31985, ital.); Die Frage nach dem Glück (Hrsg. und Mitverf., 1978); Aristoteles, Nikomachische Ethik (Hrsg., 1972, 4 1985); Die politische Philosophie des Aristoteles (1981); Aristoteles, Politik (Hrsg., 1981); „Natur“ im Umbruch (Mithrsg. und Mitverf., 1994); Mithrsg. des Histor. Wörterbuchs der Philosophie; Hrsg. (zus. mit K. H. Nusser und A. Pieper) der Reihe Praktische Philosophie. – Aufsätze zur Theorie des Verhältnisses von Theorie und Praxis, Geschichte der Universität, Staatszwecklehre, Typologie des menschlichen Naturverhältnisses, Begriff der Weisheit, zu Begriff und Theorie des Glücks, zum Verhältnis von Philosophie und Ökologie, zur Wirtschaftsethik. Hellmut Flashar, geb. 1929, studierte Klassische Philosophie und Philosophie in Berlin und Tübingen; dort 1954 Promotion und 1961 Habilitation. Von 1964 – 1982 o. Prof. an der Ruhr-Universität Bochum, von1982 bis 1997 an der Universität München. Zahlreiche Veröffentlichungen zu allen Bereichen der griechischen Literatur. Die kleineren Artikel zusammengefaßt in: Eidola (1989) und Spectra (2004). Letzte Monographie: Inszenierung der Antike (1991). Herausgeber der deutschen Aristotelesausgabe im Akademie-Verlag, Berlin; darin Vf. der Bände 18 II (Mirabilia) und 19 (Problemata Physika); außerdem Herausgeber der Bände über die Philosophie der Antike im Grundriß der Geschichte der Philosophie; darin Vf. in Band 2/1 (Die Sophistik, zus. mit G. B. Kerferd) und in Band 3 (Aristoteles). Otfried Höffe, geb. 1943, ist Professor (em.) und Leiter der Forschungsstelle Politische Philosophie an der Universität Tübingen. Buchveröffentlichungen (Auswahl): Praktische Philosophie. Das Modell des Aristoteles (1971, 32008); Strategien der Humanität. Zur Ethik öffentlicher Entscheidungsprozesse (1975, 21985); Ethik und Politik. Grundmodelle und –probleme der praktischen Philosophie (1979, 72012), Immanuel Kant (1983, 82014); Politische Gerechtigkeit. Grundlegung einer kritischen Philosophie von Recht und Staat (1987, 42003); Kategorische Rechtsprinzipien. Ein Kontrapunkt der Moderne (1990, 31995); Aristoteles (1996, 42014); Demokratie im Zeitalter der Globalisierung (1999, 22002); Staatsbürger – Wirtschaftsbürger – Weltbürger (2004); Ist die Demokratie zukunftsfähig? (2009, Thomas Hobbes (2010); Kants Kritik der praktischen Vernunft. Eine Philosophie der Freiheit (2012); Die Macht der Moral im 21. Jahrhundert (2014); Kritik der Freiheit. Das Grundproblem der Moderne (2015); Geschichte des politischen Denkens (2016); Die hohe Kunst des Alterns. Kleine Philosophie des guten Lebens (2018). Herausgeber u. a. der Reihe „Denker“ und „Klassiker Auslegen“.
https://doi.org/10.1515/9783110578751-020
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Hinweise zu den Autoren
Pavlos Kontos is Professor of Philosophy at the University of Patras, Greece. Publications: Aristotle’s Moral Realism Reconsidered (New York: 2013), L’action morale chez Aristote (Paris: 2002), D’une phénoménologie de la perception chez Heidegger (Dordrecht/London: 1996). Editor: Evil in Aristotle (Cambridge: 2018), Phenomenology and the Primacy of the Political. Essays in Honor of Jacques Taminiaux (Berlin: 2017), Gadamer et les Grecs (Paris: 2005). Wolfgang Kullmann, geb. 1927, Studium der Klassischen Philologie und Philosophie in Berlin, em. Prof. für Klassische Philologie in Freiburg i. Br. Bücher über Aristoteles: Wissenschaft und Methode. Interpretationen zur Aristotelischen Theorie der Naturwissenschaft (1974), Die Teleologie der Aristotelischen Biologie (1979), Il Pensiero Politico di Aristotele (1992), Aristoteles und die moderne Wissenschaft (1998); Bücher über Homer: Das Wirken der Götter in der Ilias (1956), Die Quellen der Ilias (1960), Homerische Motive (1992). Zahlreiche Aufsätze zur antiken Philosophie und klassischen Philologie; Mitherausgeber: Hermes-Einzelschriften, Studien zur antiken Philosophie, Philosophie der Antike (Veröffentlichungen der Karl und Gertrud-AbelStiftung), Peripatoi. Philologisch-historische Studien zum Aristotelismus. Anthony W. Price, born 1947, studied classics and philosophy at the University of Oxford. He currently teaches Greek philosophy at the University of York. Publications: Love and Friendship in Plato and Aristotle (1989), Mental Conflict (1994), papers on moral and Greek philosophy. Christof Rapp, geb. 1964, studierte Philosophie, Griechisch, Logik und Wissenschaftstheorie in Tübingen und München, promovierte 1993 in München, habilitierte sich 2000 in Tübingen. Von 2001 bis 2009 war er Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin, seit 2009 ist er Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Veröffentlichungen u. a.: Aristoteles zur Einführung, 5. Auflage: 2016; Aristoteles, Rhetorik 2002; Vorsokratiker, 2. Auflage: 2007; Epikur, Ausgewählte Schriften 2010;Metaphysik 2016. Friedo Ricken, geb. 1934, ist em. Professor für Geschichte der Philosophie und Ethik an der Hochschule für Philosophie München. Studium der Klassischen Philologie, Philosophie und Katholischen Theologie in Frankfurt a.M., Tübingen, Pullach bei München und Heidelberg. Lehrtätigkeit an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen Frankfurt a.M., der Universität Innsbruck, der St. Louis University St. Louis MO, der Georgetown University Washington D.C., der Abtei Dormitio Jerusalem (Theologisches Studienjahr), der Universität Salzburg. Veröffentlichungen u. a.: Der Lustbegriff in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles (1976), Allgemeine Ethik (1983/52013); Philosophie der Antike (1988/42007); Antike Skeptiker (1994); Religionsphilosophie (2003); Platon, Politikos. Übersetzung und Kommentar (2008); Warum moralisch sein? (2010); Ethik des Glaubens (2013); Sozialethik (2014); Kontexte der Vernunft (2015). Richard Robinson, born 1902, studied and taught philosophy at Cornell University and at Oxford University. Published: Werner Jaeger, Aristotle, translated Oxford 1934; Plato’s Earlier Dialectic, Oxford 1953; Definitions, Oxford 1954; Aristotle’s Politics Books iii and iv translated with Comments, Oxford 1962; An Atheist’s Values, Oxford 1964; Essays in Greek Philosophy, Oxford 1969, Articles: Ought and Ought not, in: Philosophy 1991; Plato’s Separation of Reason and Desire, in: Phronesis 1971; Arguing from Ignorance, Philosophical Quarterly 1971.
Hinweise zu den Autoren
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Ursula Wolf, geb. 1951, studierte Philosophie in Heidelberg, Oxford und Konstanz und lehrt Philosophie an der Universität Mannheim. Veröffentlichungen: Möglichkeit und Notwendigkeit bei Aristoteles und heute (1979); Das Problem des moralischen Sollens (1984); Das Tier in der Moral (1990); Die Suche nach dem guten Leben. Platons Frühdialoge (1996); Die Philosophie und die Frage nach dem guten Leben (1999), Aristoteles’ Nikomachische Ethik (2002); Aristoteles. Nikomachische Ethik (Übersetzung) 2006. Artikel zur Ethik und zur antiken Philosophie.