374 44 16MB
German Pages X, 313 [322] Year 2020
Peter Kurzweil
Angewandte Elektrochemie Grundlagen, Messtechnik, Elektroanalytik, Energiewandlung, technische Verfahren
Angewandte Elektrochemie
Peter Kurzweil
Angewandte Elektrochemie Grundlagen, Messtechnik, Elektroanalytik, Energiewandlung, technische Verfahren
Peter Kurzweil Labor für Elektrochemie Technische Hochschule Amberg-Weiden (OTH) Amberg, Deutschland
ISBN 978-3-658-32420-9 ISBN 978-3-658-32421-6 https://doi.org/10.1007/978-3-658-32421-6
(eBook)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung der Verlage. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Lektorat: Thomas Zipsner Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort
E lektrochemie — die in der Euphorie der Laser- und Informationstechnik der 1980er Jahre als altbacken gescholtene Wissenschaft — erlebt seit den 1990er Jahren eine unerwartete Renaissance. Die Energiewende fordert zeitgemäße Konzepte für neue Anwendungen von der Elektrotraktion bis zur Wasserstofftechnik. Elektrochemie ist eine Querschnittsdisziplin geworden, die Naturwissenschaftler und Ingenieure zu interdisziplinären Teams zusammenschweißt. Mögen die Blickwinkel des Maschinenbaus, der Fahrzeug-, Elektro-, Medizin- und Chemietechnik, der Energiewirtschaft und der Kaufleute auf unterschiedliche Erfolgskriterien zielen, in der Synthese aller Kenntnisse liegt das Potential für neue Produkte und die Zukunft unseres auf Export in alle Welt getrimmten Wirtschaftsstandorts. Ohne Chemie geht nichts. Immer noch wächst das Wissen über Batterien, Elektrolyse, Energiewandler, Solarzellen, Biosensoren, Katalyse, Halbleiter und neue Materialien durch überraschende Neuerungen aus der Grundlagenforschung und Fortschritte in der industriellen Entwicklung. Dieses Buch will praktische Fragen beantworten: Wie misst man ein Elektrodenpotential? Was passiert bei der Korrosion? Was sagt ein Cyclovoltagramm aus? Wie baut man elektrochemische Zellen und Sensoren? Wie funktioniert eine Batterie? Welche Vor- und Nachteile hat eine Brennstoffzelle? Welche Elektrolyseverfahren sind Stand der Technik? Welche Zukunftsvisionen eröffnet die Fotokatalyse? Und vieles mehr. Die Silbe „Angewandt“ im Titel soll nicht bedeuten, dass die Praxis wichtiger oder gar der Theorie überlegen sei. Nein, praktische Kenntnis fußt immer auf sorgfältig erarbeiteten Grundlagen. Das Patentrecht kennt dafür den Begriff der Erfindungshöhe. Erfolgreiche Innovationen entstehen durch die Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren – und wichtig: jede Fachrichtung besticht durch ihre eigene Sicht der Dinge. Nicht zuletzt die Hochschulausbildung steckt vielerorts in antiquierten Monokulturen fest. Dieses Buch will daher eine fachlich breite Diskussionsgrundlage bieten. Natürlich kann ein auf das Wesentliche konstruiertes Einführungswerk nicht alle technischen Fragen unserer Zeit erschöpfend ausführen. Zwangsläufig fallen in einem Studienheft und Kurzlehrgang manche Themen lexikalisch knapp aus oder bleiben unerwähnt. Dieses Buch ist aus einführenden Vorlesungen und Praktikumsanleitungen für Studierende entstanden. Als übersichtlich gestaltetes Lehr- und Nachschlagewerk will es Studierenden der Naturwissenschaften und Ingenieurdisziplinen eine Einstiegs- und Praxishilfe in die Welt der angewandten Elektrochemie bieten. Praktiker im Beruf mögen den Abriss der elektrochemischen Grundlagen schätzen. An der Theorie geschulte Prüflinge werden die Ausblicke in die technischen Anwendungen genießen. Die Fachkunde über Labormethoden und elektrochemische Messverfahren soll die Forschungsarbeit begleiten. Meinem langjährigen Lektor, Herrn Thomas Zipsner, danke ich für die jahrzehntelange vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Verlag Springer Vieweg. Amberg, im Oktober 2020
Prof. Dr. rer. nat. Peter Kurzweil [email protected]
2
7
6
5
4
3
[Rn]
[Xe]
[Kr]
[Ar]
[Ne]
6s2
+2 ■ (226,0)
+1 ■ (233,0)
14
f …f
1
Actinoide
f …f
14
Lanthanoide
1
IV b 47,87
III b 44,96
57 La
89
Ac*
+3 ■ 227,0
5d16s2
Vb 50,94
5 VII b 54,94
7
5
d
6
55,85
8
d VIII 58,93
9
7
d
Hf
73 Ta
Ib 63,55
11
9
d II b 65,38
12
10
d
74 W
140,9
144,2
106 Sg*
+5 ○ 2,3,4,5,6 ○ (262) (266) 105 Db*
4
p
14,01
Va
16,00
VI a
5
p
19,00
[He] =
VII a
17
90 Th*
4
■
2
75 Re
76 Os
77 Ir
(146,9)
107 Bh*
150,4
108 Hs*
152,0
109 Mt*
2, 4, 7 ○ 2,3,4,6,8 ○ 1,2,3,4,6 ■ (264) (277) (268)
2
92 3
1
U* 2
4
93 1
Np* 2
5f67s2
94 Pu*
Am* 5f77s2
95
4, 5 ■ 3, 4, 5, 6 □ 3, 4, 5, 6 □ 3, 4, 5, 6 □ 3, 4, 5, 6
1
91 Pa*
6
p
2 He 2 1s 0 20,18
4,003
0
18
26,98
28,09
30,97
32,06
35,45
39,95
13 Al 14 Si 15 P 16 S 17 Cl 18 Ar 3s23p1 3s23p2 3s23p3 3s23p4 3s23p5 3s23p6 4 ● -3, 3, 5 ● -2, 2, 4, 6 ● -1,1,3,5,7● +3 □ 0 69,72 72,63 74,92 78,96 79,90 83,80
78 Pt
80 Hg
157,3
110 Ds*
2, 4 ■ (281)
158,9
111 Rg*
162,5
112 Cn*
164,9
113 Nh*
167,3
114 Fl*
168,9
115 Mc*
173,1
116 Lv*
175,0
117 Ts*
7
3, 4
1
96 Cm* 5f 6d 7s
2
3, 4
5f97s2
97 Bk*
98 Cf* 3
5f107s2
99 Es* 3
5f117s2
3
5f127s2
2, 3
5f137s2
2, 3
5f147s2
100 Fm* 101 Md* 102 No*
103 Lr* 3
5f146d17s2
118 Og*
81 Tl 82 Pb 83 Bi 84 Po* 85 At* 86 Rn* 4f145d10 4f145d10 4f145d10 4f14 5d10 4f14 5d10 4f14 5d10 6s26p1 6s26p2 6s26p3 6s2 6p4 6s2 6p5 6s26p6 1, 3 ■ 1, 2 M ■ 1, 3 M □ 2, 4 M □ 3, 5 M ■ 2, 4 ○ -1,1,3,5,7● 0, (2) (272) (285) (284) (289) (288) (293) (294) (294)
79 Au
58 Ce 59 Pr 60 Nd 61 Pm* 62 Sm 63 Eu 64 Gd 65 Tb 66 Dy 67 Ho 68 Er 69 Tm 70 Yb 71 Lu 7 1 2 4f26s2 4f36s2 4f46s2 4f56s2 4f66s2 4f76s2 4f 5d 6s 4f96s2 4f106s2 4f116s2 4f126s2 4f136s2 4f146s2 4f145d16s2 3, 4 ■ 3, 4 ■ 3 ■ 3 ■ 2, 3 ■ 2, 3 ■ 3 ■ 3, 4 ■ 3 ■ 3 ■ 3 ■ 3 ■ 2, 3 ■ 3 ■ 232,0 231,0 238,0 (237,0) (244,1) (243,1) (247,1) (247,1) (251,1) (252,1) (257,2) (258,1) (259,1) (262,1)
140,1
104 Rf*
+4 □ (261)
12,01
IV a
3
p
15 16 Hauptgruppen
5B 6C 7N 8O 9F 10 Ne 2 1 2 2 2 3 2 4 2 5 2 6 2s 2p 2s 2p 2s 2p 2s 2p 2s 2p 2s 2p +3 ● -4, 2, 4 ● 2,+3,4,5 ● -2 (-1) ● -1 ● 0
10,82
III a
2
p
14
46 Pd 47 Ag 48 Cd 49 In 50 Sn 51 Sb 52 Te 53 I 54 Xe 4d10 4d105s1 4d105s2 4d105s25p1 4d105s25p2 4d105s25p3 4d105s25p4 4d105s25p5 4d105s25p6 2, 4 ■ 1 ■ 2 M ■ 3 M □ 2, 4 M □ -3, 3, 5 ○ -2, 4, 6 ○ -1,1,3,5,7● 0,(2, 4, 6) 195,1 197,0 200,6 204,4 207,2 209,0 (210,0) (210,0) (222,0)
4f145d26s2 4f145d36s2 4f145d46s2 4f145d56s2 4f145d66s2 4f145d76s2 4f145d96s1 4f145d106s1 4f145d106s2
72
58,69
10
8
d
1
p
13
24 Cr 25 Mn 26 Fe 27 Co 28 Ni 29 Cu 30 Zn 31 Ga 32 Ge 33 As 34 Se 35 Br 36 Kr 5 2 6 2 7 2 8 2 10 2 3d 4s 3d 4s 3d 4s 3d 4s 3d54s1 3d104s1 3d 4s 3d104s24p1 3d104s24p2 3d104s24p3 3d104s24p4 3d104s24p5 3d104s24p6 2, 3 ■ 1, 2 ■ 2 M □ +3 M □ 2, 3, 6 ○ 2,3,4,6,7○ 2, 3, 6 □ 2, 3 □ 4 □ -3, 3, 5 ○ -2, 4, 6 ● -1,1,3,5,7● 0, (2, 4) 95,96 (98,91) 101,1 102,9 106,4 107,9 112,4 114,8 118,7 121,8 127,6 126,9 131,3
VI b 52,00
6
4
d
[Rn] 6d27s2 5f 6d 7s 5f 6d 7s 5f 6d 7s
7
[Xe]
6
7s2 6d17s2 +2 ■ +3 ■
88 Ra*
56 Ba
7s1 +1 ■
4
3
3
d
■ Basenbildner
Übergangsmetalle
Metalle M Metametall
~
□ amphoter
● Säurebildner
Halbmetalle
Edelgase
Nichtmetalle
38 Sr 39 Y 40 Zr 41 Nb 42 Mo 43 Tc* 44 Ru 45 Rh 5s2 4d15s2 4d25s2 4d45s1 4d55s1 4d65s1 4d75s1 4d85s1 +2 ■ +3 ■ +4 □ 3, 5 ○ 2,3,4,5,6 ○ 7 ○ 3, 4, 8 ○ 1, 2, 3, 4 ■ 137,3 138,9 178,5 180,9 183,8 186,2 190,2 192,2
6s1
87 Fr*
2
d
1
d
Übergangsmetalle (Nebengruppen)
(stabilstes Isotop)
* radioaktives Element
Ordnungszahl Elementsymbol Elektronenkonfiguration Oxidationsstufen
Relative Atommasse
Periodensystem der Elemente
20 Ca 21 Sc 22 Ti 23 V 2 1 2 2 2 3 2 4s 3d 4s 3d 4s 3d 4s +2 ■ +3 ■ +3, +4 □ 2, 3, 4, 5 ○ 87,62 88,91 91,22 92,91
55 Cs
37 Rb 5s1 +1 ■ 132,9
19 K 1 4s +1 ■ 85,47
11 Na 12 Mg 3s1 3s2 +1 ■ +2 ■ 39,10 40,08
24,31
22,99
9,012
4 Be 2 2s +2 □
3 Li 1 2s +1 ■
1,008
Hauptgruppen Ia II a
2
s
2
[He]
1
1
1H 1 1s -1, +1 6,94
Elektronenkonfiguration
1
Periode
s Schale Q
P
Q
P
O
N
M
L
K
VI Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I Grundlagen 1 Was ist Elektrochemie? . . . . . . . . . . . . . . 3 2 Elektrochemische Zellen und Elektrodenvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.1 Ohne Ladungsträger kein Strom . . . . . 5 2.2 Ohne Grenzflächen keine Elektrochemie . . . . . . . . . . . . . . . 6
5.3 Amperometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 5.4 Transientenmethoden . . . . . . . . . . . . . 83 5.5 Voltammetrie und Polarografie . . . . . 87 5.6 Coulometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5.7 Konduktometrie und Impedanzspektroskopie . . . . . . . . . . 100 5.8 Quarzmikrowaage . . . . . . . . . . . . . . . 113
2.3 Redoxreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
6 Korrosion und Korrosionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
2.4 Thermodynamik des Elektrodenpotentials . . . . . . . . . . . . . . 15
6.1 Chemische Korrosion und Lokalelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
2.5 Spannungsreihe und Normalpotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
6.2 Korrosionsprüfung . . . . . . . . . . . . . . 117 6.3 Korrosionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 121 6.4 Technische Korrosionsfälle . . . . . . . 123
3 Elektrolyt und Doppelschicht . . . . . . . 32
6.5 Korrosionsbeständige Werkstoffe . 127
3.1 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Salzschmelzen . . . . . . . . . . . . . . . 32 3.2 Reale Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.3 Transportphänomene an Flüssigphasengrenzen . . . . . . . . . . . . . 44 3.4 Elektrochemische Doppelschicht . . . 47 4 Elektrodenkinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4.1 Stofftransportlimitierte Elektrodenreaktionen . . . . . . . . . . . . . 52 4.2 Durchtrittsbestimmte Elektrodenreaktion . . . . . . . . . . . . . . . 55 4.3 Überspannung und Innenwiderstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
III Elektrochemische Energiewandler 7 Batterien und Akkumulatoren . . . . . 132 7.1 Leistungsdaten galvanischer Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 7.2 Alkalische Systeme . . . . . . . . . . . . . . 138 7.3 Lithiumbatterien und Akkumulatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 7.4 Bleiakkumulator . . . . . . . . . . . . . . . . 147 7.5 Metall-Luft-Elemente . . . . . . . . . . . . 149 7.6 Metall-Wasserstoff-Batterien . . . . . 151
II Messmethoden und Elektroanalytik
7.7 Reservesysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 7.8 Hochtemperaturbatterien . . . . . . . . . 153 8 Brennstoffzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 8.1 Wasserstoff-Sauerstoff-Elemente . . 155
5 Elektroanalytik und Sensorik . . . . . . . 62 5.1 Sensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 5.2 Potentiometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
8.2 Polymerelektrolyt-Brennstoffzelle (PEFC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 8.3 Alkalische Brennstoffzelle (AFC) . 173
VIII
Inhaltsverzeichnis
8.4 Direktbrennstoffzellen . . . . . . . . . . . 176
13.2 Biologische Brennstoffzellen . . . . . 234
8.5 Hochtemperaturbrennstoffzellen . . 180
13.3 Ionengleichgewichte und Signalerregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
8.6 Wasserstofferzeugung und Brenngasaufbereitung . . . . . . . . . . . .189
13.4 Biosensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
8.7 Brennstoffzellen in Chemieprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . 193 9 Flussbatterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 9.1 Redoxspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
VI Elektrochemie der Elemente und Moleküle
9.2 Indirekte Brennstoffzellen . . . . . . . . 195 14 Elektrochemie der Elemente . . . . . . . 242 14.1 Hauptgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
IV Elektrolytische Stoffumwandlung 10 Elektrolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 10.1 Elektrodenvorgänge und Faraday’sche Gesetze . . . . . . . . . . . . 198 10.2 Technische Elektrolyse von Wasser 203 10.3 Elektrolytische Stoffgewinnung . . . 208
Wasserstoff, Alkalimetalle, Erdalkalimetalle, Bor und Erdmetalle, Kohlenstoffgruppe, Stickstoffgruppe, Sauerstoffgruppe, Halogene, Edelgase
14.2 Übergangsmetalle . . . . . . . . . . . . . . . 258 Kupfergruppe, Zinkgruppe, Scandiumgruppe, Seltenerdmetalle, Actinoide, Titangruppe, Vanadiumgruppe, Chromgruppe, Mangangruppe, Eisenmetalle, Platinmetalle
10.4 Energieeffizienz mit Verzehrelektroden . . . . . . . . . . . . . . . 210 15 Organische Elektrochemie . . . . . . . . . 273 15.1 Organische Elektrosynthese . . . . . . 273 11 Galvanotechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 15.2 Elektrochemische Wasserreinigung 279 11.1 Galvanische Oberflächenbehandlung . . . . . . . . . . 212 11.2 Elektrolytische Materialbearbeitung 214
V Foto- und Bioelektrochemie
VII Technische Elektrochemie 16 Elektrochemische Technik . . . . . . . . . 282 16.1 Elektrochemische Reaktoren . . . . . 282
12 Halbleiter und Fotoelektrochemie . . 216
16.2 Technische Elektrokatalyse . . . . . . . 284
12.1 Ladungstransport im Vakuum . . . . . 216 17 Elektrochemische Trennverfahren . . 291 12.2 Ladungstransport im Festkörper . . .217 17.1 Membranverfahren . . . . . . . . . . . . . . 291 12.3 Fotovoltaik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
17.2 Elektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
12.4 Elektrochemische Solarzelle . . . . . . 225
17.3 Elektroflotation . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
12.5 Fotokatalytische Wasserspaltung . . 228 12.6 Fotoelektrokatalyse . . . . . . . . . . . . . . 229 12.7 Leitfähige Polymere . . . . . . . . . . . . . 230
Quellenangaben und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
13 Bioelektrochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
13.1 Biologische Redoxsysteme . . . . . . . 232
Formelzeichen und Einheiten Größe, englische Bezeichnung
Symbol SI-Einheit Basiseinheiten m2
Querschnittsfläche, cross-sectional area Aktivität, activity magnetische Flussdichte, magnetic flux density Molalität, molality elektrische Kapazität, capacitance spezif. Wärmekapazität, specific heat capacity Konzentration, molar concentration elektr. Flussdichte, electric flux density Diffusionskoeffizient, diffusion coefficient Abstand, Dicke, distance,thickness Energie, energy
A a B b C cp c D D d E
elektrische Feldstärke, electric field strength Elektrodenpotential, electrode potential Kraft, force Frequenz, frequency elektrischer Leitwert, conductance Gibbs’sche Freie Enthalpie, Gibbs energy Enthalpie, enthalpy elektrische Stromstärke, electric current Stromdichte, current density Gleichgewichtskonstante, equilibrium constant Geschwindigkeitskonstante, rate constant El.chem. Äquivalent, electrochemical equivalent Induktivität, inductance Länge, length molare Masse, molar mass Masse, mass Massenstrom, mass flow rate Teilchenzahl,number of particles Stoffmenge, amount of substanc Leistung, power Druck, pressure Partialdruck, partial pressure
E E F f G G H I j K k k L l M m m ˙ N n P p
— =1 T = Vs m−2 = kg s−2 A−1 mol kg−1 = kg−1 mol F = C/V = m−2 kg−1 s4 A2 J kg−1 K−1 = m2 kg s−2 K−1 mol dm−3 = m−3 kmol C m−2 = m−2 s A m2 /s = m2 s−1 m J = Nm = m2 kg s−2 W s = Pa m3 V m−1 = m kg s−3 A−1 V = m2 kg s−3 A−1 N = m kg s−2 Hz = s−1 S = Ω−1 = m−2 kg−1 s3 A2 J = m2 kg s−2 J = m2 kg s−2 A Basiseinheit A m−2 = m−2 A (mol m−3 )Δn (mol m−3 )n−1 kg C−1 = kg A−1 s−1 H = Ωs = m2 kg s−2 A−2 m Basiseinheit kg/mol = kg mol−1 kg kg/s = kg s−1 – =1 mol Basiseinheit W = J/s = m2 kg s−3 Pa = N m−2 = m−1 kg s−2
elektrische Ladung, electric charge Wärmestrom, heat flow elektrischer Widerstand, electrical resistance Ortsvektor, position vector Reaktionsgeschwindigkeit, rate of reaction Oberfläche,surface area Entropie, entropy Periodendauer, period (of vibration) Temperatur, thermodynamic temperature Zeit, time Überführungszahl, transference number elektrische Spannung, electric voltage Ionenbeweglichkeit, electric mobility Volumen, volume Volumenstrom, volume flow (rate) Geschwindigkeit(svektor), velocity, speed Arbeit, work; Energie, energy Energiedichte, energy density spezifische Energie, specific energy
Q ˙ Q R r r S S T T t t U u V V˙ v W Wv Wm
C = As W = m2 kg s−3 Ω = V/A = m2 kg s−3 A−2 m mol m−3 s−1 m2 J/K = m2 kg s−2 K−1 s−1 K Basiseinheit s Basiseinheit – =1 V = J/C = m2 kg s−3 A−1 m2 V−1 s−1 = kg−1 s2 A m3 = m3 s−1 m3 /s m/s = m s−1 J = m2 kg s−2 J m−3 = m−1 kg s−2 J/kg = m2 s−2
Umrechnung: veraltet, zulässig cm2 = 10−4 m2 a = γ c/(mol L−1 ) T = Wb m−2 mol/kg = mmol/g = μmol/μg μF/cm2 = 0,01 F/m2 cal = 4,1868 J mol/L = mmol/cm3 = 0,1 mol/dL μC/cm2 = 0,01 C m−2 cm2 /s = 10−4 m2 s−1 = 0,36 m2 h−1 in = 2,54 cm kWh = 3,6 MJ =3,6·106 J eV = {e} J = {F} J mol−1 kV/cm = 105 V/m E NHE = E(vs. Ref) + Eref kN/mm2 = 109 N/m2 MHz = 106 s−1 μΩ−1 = 106 S kJ/mol = 0,01036 eV/Teilchen mA/cm2 = 10 A/m2 mmol L−1 h−1 = 3600−1 mol m−3 s−1 g/C = 3,6 kg/Ah H = Wb/A cm = 0,01 m = 10 mm = 104 μm Da = g/mol = kg/kmol = mg/mmol lb = 0,453 592 36 kg L h−1 cm−2 = 0,00277 m/s 109 ≈ 1,66 fmol n = m/M = N/NA = V/Vm PS = 735,49875 W bar = 0,1 MPa = 0,1 N/mm2 ≈ kg/cm2 mmHg = 1,3322 mbar = Torr psi = 68,9474 mbar Ah = 3600 As Ω cm2 = 0,1 mΩ m2 r = (x,y,z), r = |r| = x2 + y2 + z2 mol L−1 h−1 = 0,2777 mol m−3 s−1
T/K = ϑ/◦ C + 273,15 h = 60 min = 3600 s cm2 V−1 h−1 = 2,777 m2 V−1 s−1 L = 1000 mL = 1000 cm3 = 1 dm3 L/min = 0,06 m3 h−1 m/s = 3,6 km/h Wh = 3600 J, kWh = 1000 Wh Wh/L = kWh m−3 = 3,6 J cm−3 Wh/kg = 3,6 kJ kg−1
X
Formelzeichen und Einheiten
Massenanteil, mass fraction Stoffmengenanteil, mole fraction komplexer Widerstand, Impedanz, impedance Ionenladung, charge number of an ion
w x Z z
kg/kg mol/mol Ω –
= 1 = 100 % =1 = m2 kg s−3 A−2 =1
Dissoziationsgrad, degree of dissociation Massenkonzentration, mass concentration Permittivität, permittivity dynamische Viskosität, dynamic viscosity Überspannung, overpotential Aktivitätskoeffizient, activity coefficient elektrische Leitfähigkeit, conductivity molare Leitfähigkeit, molar conductivity Wellenlänge, wavelength Wärmeleitfähigkeit, thermal conductivity Permeabilität, permeability chemisches Potential, chemical potential kinematische Viskosität, kinematic viscosity Kreisfrequenz, circular frequency Volumenanteil, volume fraction elektrisches Potential, electric potential Phasenverschiebung(swinkel), phase angle Dichte, mass density spezifischer Widerstand, resistivity Raumladungsdichte, space charge density Flächenladungsdichte, surface charge density
α β ε η η γ κ Λm λ λ μ μ(α) i ν ω ϕ ϕ ϕ (r) σ
– kg/m3 F/m Pa s V – S m−1 S m2 mol−1 m W K−1 m−1 H m−1 J mol−1 m2 /s rad/s m3 /m3 V rad kg/m3 Ωm Cm−3 C m−2
=1 = kg m−3 = m−3 kg−1 s4 A2 = m−1 kg s−1 = m2 kg s−3 A−1 =1 = m−3 kg−1 s3 A2 = kg−1 s3 A2 mol−1 = m kg s−3 K−1 = m kg s−2 A−2 = m2 kg s−2 mol−1 = m2 s−1 = s−1 =1 = m2 kg s−3 A−1 =1 = m−3 kg = m3 kg s−3 A−2 = m−3 s A = A s m−2
ppm = 10−6 = 10−4 % = mg/kg = μg/g mol% = 0,01 mol/mol Z = R+jX n = z mol g/L = mg cm−3 ≈ 0,1 % ε = ε0 εr cP = mPa s η = E(I) − E0 mS/cm = 100 S m−1 = 100 Ω−1 m−1 μS cm2 mol−1 = 10−10 S m2 mol−1 Å = 10−10 m = 100 pm = 0,1 nm H/m = N/A2 = V s A−1 m−1 Phase α cm2 /s = 10−4 m2 /s ω = 2π f vol% = 100 mL/L = 104 cm3 m−3 ϕ = ϕU − ϕi g/cm3 = kg L−1 = 1000 kg m−3 μC/cm2 = 0,01 C/m2
Konstanten Vakuumlichtgeschwindigkeit, speed of light in vacuum Elementarladung, elementary charge Faraday-Konstante, Faraday constant Plancksches Wirkungsquantum, Planck constant Boltzmann-Konstante (E = kT ), Boltzmann constant Avogadro-Konstante, Avogadro constant molare Gaskonstante, molar gas constant Atomare Masseneinheit, atomic mass unit Masse-Energie-Äquivalent Normdruck, standard atmosphere Normtemperatur, standard temperature Molares Normvolumen, molar standard volume – 273,15 K, 101 325 Pa, ideales Gas – 273,15 K, 100 kPa – 298,15 K, 101 325 Pa Elektrische Feldkonstante, electric constant Vakuumpermeabilität, magnetic constant
c0 e F = NA e h = 2π k = R/NA NA p0 Vm R = = keF T0 1 12 u = 12 m( C) u c2 p0 T0 T -0
≡ 299 792 458 ≡ 1,602 176 634·10−19 ≈ 96 485,33 ≡ 6,626 070 15·10−34 ≡ 1,380 649·10−23 ≡ 6,022 140 76·1023
m/s C C/mol Js J/K mol−1
≈ 8,314 463
J mol−1 K−1
≈ ≈ 931,494 ≡ 101 325 ≡ 273,15 K = 0 ◦ C ≡ 298,15 K = 25 ◦ C
kg MeV Pa (ideales Gas) (Chemie)
Vm = RT/p0
≈ 22,413 97·10−3 ≈ 22,710 95·10−3 ≈ 24,465 ≡ 8,854 187 817...·10−12 ≡ 12,566 370 614. . . ·10−7
m3 /mol m3 /mol /mol F/m NA−2
ε0 = 1/(μ0 c2 ) μ0 = 4π·10−7
1,660 539·10−27
Umrechnungsfaktoren Potential x V vs. Ag|AgCl|KCl ges. = (x + 0,197) V NHE = (x − 0,045) V SCE
Teilchen → Stoffmenge k = R e F kT = 0,02569 eV RT = 2,479 kJ/mol
spezifische Ladung F 96485 As 26801 Ah M = M g = M kg (für M in g/mol) 1 C g−1 = 1 As g−1 = 1 Ah kg−1 3,6
I. Grundlagen
© P. Kurzweil, Angewandte Elektrochemie, Springer Vieweg 2021.
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I.Guundlagen
1.1 Meilensteine der Elektrochemie
W. Gilbert prägt den Begriff „Elektrizität“. O. v. Guericke erfindet die Reibungselektrisiermaschine. L. Galvani (1737–1798): Ein am Kupferhaken aufgehängter Froschschenkel zuckt, wenn er ein Eisengeländer berührt. 1798 J. W. Ritter (1776–1810): Unedle Metalle fällen edle Metalle aus ihren Salzlösungen gemäß der Spannungsreihe. 1799 A. Volta: erste Batterie aus mit Salzwasser getränkter Pappe zwischen Zink- und Silberscheiben. Ritter, W. Nicholson, A. Carlisle zerlegen Wasser (1800), W. Cruikshank löst Metalle auf und bemerkt später die pH-Änderung an den Elektroden. J. J. Berzelius und W. Hisinger elektrolysieren Salzlösungen mit der Volta-Säule (1803). 1805 Th. Grotthuss: Theorie der Stromleitung durch rasche Zersetzung und Wiedervereinigung der Wassermoleküle. Heute: 2 H2 O H3 O+ + OH− . 1813 J. J. Berzelius: Theorie der elektrischen Polarität der Atome; erste Atomgewichtstafel (1814). 1806/7 H. Davy (1778-1829) entdeckt Kalium und Natrium bei der Elektrolyse von Alkalischmelzen. 1808 Erdalkalimetalle an Amalgamelektroden. 1833/4 M. Faraday (1791–1867): Gesetze für die Gleichstromelektrolyse. Definiert: Elektrolyt, Elektrode, Anode, Kathode, Ion, Anion, Kation. 1836 J. F. Daniell (1790–1845): Batterie aus Kupfer und Zinkblech in ihren Sulfatlösungen. 1836 G. R. Elkington (1801-1865): Galvanotechnik. 1840 J. W. Grove: Brennstoffzelle. J. Liebig: Oxidation ist Entzug von Wasserstoff. 1841 J. C. Poggendorff (1796–1877): Stromlose Messung elektromotorischer Kräfte. J. P. Joule: elektrisches Wärmeäquivalent. 1843 Ch. Wheatstone (1802–1875): Widerstandsmessung mit der Brückenschaltung. Berzelius unterscheidet elektropositiv und elektronegativ. 1853 J. W. Hittorf (1824–1914): Geschwindigkeit der Ionenwanderung. 1860 Oxidation ist Erhöhung der Wertigkeit. 1866 G. Leclanch´e: Zink-Braunstein-Batterie. 1874/81 G. J. Stoney (1826–1911): Das Elektron als kleinste Elektrizitätsmenge. 1882 H. v. Helmholtz (1821–1894): Thermodynamische Theorie der galvanischen Ketten. 1875/6 F. Kohlrausch (1840–1910): Gesetz der unabhängigen Ionenwanderung. 1884/7 S. Arrhenius (1859–1927): elektrolytische Dissoziation. Ionentheorie der Elektrolyse (1890). 1887 W. Ostwald (1853–1932): Erster Lehrstuhl für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Leipzig. Verdünnungsgesetz für schwache Elektrolyte (1889) 1886 H. Moissan: Fluor durch Elektrolyse von HF. 1888/9 W. Nernst (1864-1941): Spannungsreihe, elektromotorische Kraft (EMK) 1889 Schmelzflusselektrolyse von Aluminium 1892 H. Castner: Natriumchlorid-Elektrolyse 1909 S. P. L. S¨orensen definiert den pH-Begriff. 1923 P. Debye, W. H¨uckel: starke-Elektrolyt-Theorie 1925 J. Heyrovsk´y: Polarografie 1937 A. Tiselius: Elektrophorese 1981 G. Binnig, H. Rohrer (IBM, CH-Rüschlikon): Rastertunnelmikroskop 1600 1650 1780
Alessandro Volta
Michael Faraday
Hermann von Helmholtz
Walther Nernst
Peter Debye
1 Was ist Elektrochemie?
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Chemie ist die Lehre von den Stoffen und Stoffumwandlungen. Physik erforscht Zustandsänderungen. Die Elektrochemie – als Teilgebiet der Physikalischen Chemie – verbindet die Elektrizitätslehre mit den chemischen Phänomenen an der Kontaktfläche zwischen Elektronenleiter (Elektrode) und ionischem Medium (Elektrolyt). Elektrochemie erforscht die Gesetzmäßigkeiten zwischen chemischer und elektrischer Energie. Die Grenzen zur Festkörperphysik, Elektronik und Werkstofftechnik sind fließend. Praktische Anwendungen erschließen Energiespeicher und Wandler, Solarzellen, Chemosensoren, Medizin- und Analysegeräte, Detektoren und Reproduktionstechnik. Die industrielle Elektrochemie betreibt Galvanotechnik, Korrosionsschutz, technische Synthese anorganischer und organischer Stoffe, Produktionsüberwachung und Qualitätskontrolle. Elektrochemie gibt es im Milchwerk bis zur Ölpipeline.
Von der Scheidekunst zur Wissenschaft Die Alchemie des Altertums und praktische Erfindungen der Neuzeit führten zur Elektrochemie. Zögerlich setzten sich die Atomlehre und die chemischen Thermodynamik durch. Tab. 1.1 Mit der Volta-Säule, dem Vorläufer der modernen Batterie, zerlegten William Nicholson und Anthony Carlisle (London 1900) erstmals Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff. Schon damals ein Wissenschaftskrimi: Ihre Publikation erschien zwei Monate vor Voltas Mitteilung. Sir Joseph Banks, Präsident der Royal Society of London, hatte Voltas Manuskript vom März 1800 an seine Landsleute gegeben. H. Haldane betrieb die Volta-Säule im Vakuum, worauf der Strom zusammenbrach: Ohne Elektrolyt geht es nicht! J. W. Ritter (Jena um 1800) erkannte nach Studien über den Galvanismus, dass Spannungsreihe und chemische Reaktivität der Metalle verwandt sind. Mit Kupfer- und Silbersalzlösungen entdeckt er die kathodische Metallabscheidung und anodische Metallauflösung, steigert Elektrolyseausbeuten durch enge Elektrodenabstände und erwägt nicht-wässrige Lösungen. Aus thermoelektrischen Strömen (1801/2) folgerte er fälschlich, dass Feuchtigkeit eine trockene Säule zur Batterie macht. An stromerzeugende Reaktionen an der Grenzfläche zwischen Metall und Elektrolyt denkt er nicht.
setzt.“ Davy unterschied nicht Spannung und Strom, sondern sprach von „power of action“ aus einer Leidener Flasche (früher Kondensator) und von „permanent action“ aus einer Volta-Säule. Er isolierte Natrium, Kalium, Calcium, Strontium und Magnesium durch Elektrolyse aus ihren Salzen. Berzelius und Pontin gaben durch die elektrolytische Amalgambildung (1808) den entscheidenden Hinweis an Davy, die Erdalkalimetalle an einer Quecksilberelektrode abzuscheiden. Aluminium erzeugte Ørsted 1825 technisch.
Elektrodynamik gegen Elektrochemie. Um 1820 entdeckt Hans Christian Ørsted das Magnetfeld um elektrische Leiter, Fran¸cois Arago die Magnetisierung von Eisen; Biot und Savart formulieren ihr Gesetz für das elektrische Feld im stromdurchflossenen Leiter. Johann Salomon Schweigger und Johann Christian Poggendorff erfinden das Spiegelgalvanometer. Andr´e-Marie Amp`ere fundiert die Elektrodynamik, Thomas Johann Seebeck (1821) erkennt den thermoelektrischen Effekt an Metallkontakten. Georg Simon Ohm formuliert das „ohmsche Gesetz“ (1827) und findet: Die Spannungsabfälle der J¨ons Jakob Berzelius und Wilhelm Hisinger (Uppsa- einzelnen Zellen summieren sich zur Spannung der la 1803) fällt die Ionenwanderung bei der Elektrolyse Batterie. alkalischer Salzlösungen auf: „Der negative Pol zieht Das deterministische Naturbild des 19. Jahrhunalle nicht brennbaren Körper, Alkalien und Erden derts baute auf die Mechanik von Newton, Lagrange an. Sauerstoff, Säuren und oxidierte Körper wandern und Laplace. Alle Vorgänge, selbst das Leben, galzum positiven Pol.“ ten als vorherbestimmt und berechenbar, würde man Diese Arbeit beflügelte Sir Humphry Davy (London nur die Anfangsbedingungen des Systems exakt ken1806–08): „Chemisch reines Wasser wird durch Elek- nen. Um 1820 fehlte die Vorstellung von Atomen, trizität allein in Sauerstoff- und Wasserstoffgas zer- Elektronen und elektrischer Energie. J. J. Berzelius © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Kurzweil, Angewandte Elektrochemie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32421-6_1
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hing der Kontakttheorie nach, seine Vorstellung der chemischen Affinität widersprach der organischen Chemie. Michael Faraday, Assistent von Davy in London 1832, fand keinen Unterschied zwischen der Elektrizität aus Batterien und Induktionsmaschinen. Bei der Metallabscheidung durch Gleichstromelektrolyse misst er an jeder Elektrode eine Stoffmenge n, die der durch die Zelle geflossenen elektrischen Ladung Q direkt proportional ist. Die chemischen Elemente werden im Verhältnis ihrer Äquivalentmassen abgeschieden. Als Vertreter der Elektrodynamik lehnt Faraday die Atomtheorie ab, hat keine richtige Vorstellung von Ionen und schreibt daher nicht die heutige Gleichung: Q = z F n = k m. Für Zinn und Blei liefern seine Experimente gute Äquivalentmassen. Faraday sagt „Intensität“ für Strom und „Menge“ für Ladung. Er prägte die Bezeichnungen: Elektrode, Anode und Kathode, Anion und Kation. Daniell führte 1839 Faradays Arbeit fort und fordert die Existenz von Metall- und Säureionen. Johann Wilhelm Hittorf (Münster 1853) wundert sich, dass bestimmte Ionensorten bei der elektrolytischen Metallabscheidung im elektrischen Feld schneller als andere aus der Lösung an die Elektrodenoberfläche wandern und mehr Ladung transportieren. Sein Konzept der Überführungszahl beruht auf den messbaren Konzentrationsänderungen im Elektrolyten, ti = Qi /Q. Seine Migration von Ionen (1869) attackierten G. Wiedemann und G. Magnus, bis Ostwald in den 1890er Jahren zustimmte, als sich Ideen über Ionen und Dissoziation durchsetzten. An elektrolytische Dissoziation vor S. Arrhenius (1884) dachte Alexander Williamson (1850). Rudolf Clausius (Zürich 1857) mutmaßte mit der kinetischen Gastheorie, dass die Elektrizitätsleitung in Elektrolyten mit der Zersetzung der Lösung in Ionen durch die thermische Bewegung einherginge.
1 Was ist Elektrochemie?
rät) von C. S. M. Pouillet und die Brückenschaltung von Charles Wheatstone 1844. Die Leitfähigkeitsmessungen an Metallen von G. Wiedemann und W. Weber warfen die Frage auf, ob das Ohm’sche Gesetz in Elektrolytlösungen gilt, weil Polarisationseffekte an den Elektroden stören. Friedrich Kohlrausch löste das Problem durch seine Wechselstrommethode und einen variablen Widerstand in einer Brückenschaltung (Kohlrausch-Walze). F. Kohlrausch und August Nippoldt (1885) fanden das Ohm’sche Gesetz durch den Widerstand von Schwefelsäure erfüllt. Das Konzept der molaren Leitfähigkeit und Überführungszahl führten zu Kohlrauschs Gesetz der unabhängigen Ionenwanderung (1879) und zum Quadratwurzelgesetz (1900) für verdünnte Lösungen.
Geburt der chemischen Thermodynamik und Kinetik James Prescott Joule studierte 1841 die Beziehung von Wärmemenge und elektrischem Strom in metallischen Leitern und Elektrolytlösungen (heute: P = UI = I 2 R). Später wurde klar, dass mechanische und elektrische Energie in Wärme umgewandelt werden können.
H. v. Helmholtz sah 1847 elektromotorische Kraft und Reaktionswärme als äquivalent an, in heutiger Schreibweise ungenau: E = −zF ΔH. Auch William Thomson (Lord Kelvin, Glasgow 1851) begriff EMK und das „mechanische Äquivalent der chemischen Wirkung“ als gleichartig. Kalorimetrie von P. A. Favre (Marseille) und Untersuchungen von F. Braun (Strasbourg) an der Daniell’schen KupferZink-Batterie widersprachen jedoch dem ThomsonBerthelot-Prinzip, wonach die elektrochemische Reaktion allein durch die Reaktionswärme getrieben wird. Josiah Willard Gibbs (Yale 1874/78) verknüpfte Zellspannung und Änderung der Freien ReaktiHermann von Helmholtz identifizierte 1881/82 das onsenthalpie: E = −zF ΔG (für konstanten Druck). Elementarquantum der elektrischen Ladung. G. J. Unabhängig definierte Helmholtz 1882 die Freie EntStoney nannte es 1891 Elektron. Faradays Zerset- halpie F = U − T S mit der inneren Energie U und zungsapparat mit eingeschweißten Platinelektroden der von Clausius eingeführten Entropie S für konin Glasröhren und Schwefelsäure erfasste die „Volta- stantes Volumen. Elektrizität“. Den Begriff Coulometer führten TheoDie elektrochemische Thermodynamik (Nernst dore W. Richards (Harvard, 1902) und Fritz F¨ors1891) erklärte bis in die 1950er Jahre Elektrodenreakter (Dresden) ein. Johann Christian Poggendorff tionen mit „Überspannung“ und „Polarisation“. Auf (Berlin 1837) entwickelte das Silbercoulometer, mit Tafel (1905), Butler (1924), Volmer, Erdey-Gruz dem 1881 das internationale Ampere als Einheit (1930) und die Frumkin-Schule (1930-40) folgte die des elektrischen Stroms festgelegt wurde. Poggenmoderne Elektrodenkinetik und Theorie der Festdorffs Kompensationsmethode konnte Spannungen Flüssig-Grenzfläche. Heute verstehen wir Elektrochemessen. mie als heterogene Katalyse fern des thermodynamiDie 1840er Jahre brachten die Bussole (Kompassge- schen Gleichgewichts.
2 Elektrochemische Zellen und Elektrodenvorgänge 2 2.1 Ohne Ladungsträger kein Strom In Metallen und Halbleitern sind Elektronen und Defektelektronen (Löcher) die Träger der elektrischen Ladung Q. In wässrigen Lösungen und Festelektrolyten transportieren Ionen den elektrischen Strom. Kationen sind positiv geladene Teilchen. Metallatome geben nach ihrer Wertigkeit (Gruppennummer im Periodensystem) z Elektronen ab. Anionen sind negativ geladen, weil Nichtmetallatome Elektronen aufnehmen. Es gibt auch Molekülionen. Beispiel: Kationen: Anionen:
Na+ (z = +1), Ca2+ , [Co(H2 O)6 ]2+ (z = +2), Cl− , NO−3 (z = −1), O2− , [S2 O3 ]2− , [CrO4 ]2− (z = −2)
Al3+ (z = +3)
Elektrische Ladung ist immer ein ganzzahliges Vielfaches der Elementarladung e. Eine kleinere Ladung als e gibt es nicht. Ein Mol Elektronen, das sind 602 Trilliarden, transportiert die Elektrizitätsmenge F, die Faraday-Konstante genannt wird. Die gleiche Ladung wird von der Stoffmenge n = 1 mol eines einwertigen Kations M+ (Ladungszahl z = 1) bewegt. Q =
Δt
I(t) dt = I · Δt
0
Q = N·e F = NA · e
e F I(t) I N NA Q
Elementarladung: 1,602·10−19 Faraday-Konstante: 96485 Stromstärke zur Zeit t mittlerer Strom im Zeitintervall Δt Zahl der Ladungsträger Avogadro-Konstante: 6,022·1023 elektrische Ladung
C C/mol A A — mol−1 C = As
Beispiel: Wie viele Lithiumionen N sind notwendig, um eine Stunde lang den Strom 1 A zu treiben? Welche Stoffmenge n und Masse m wandert dabei durch den Elektrolyten? Q s ≈ 2,247·1022 N(Li+ ) = e = 1 A · 3600 1,602 · 10−19 C 2,247 · 1022 n(Li+ ) = NN = ≈ 0,03732 mol A 6,022 · 1023 mol−1 m(Li+ ) = n(Li+ ) · M(Li+ ) = 0,03732 mol · 6,94 g/mol ≈ 0,26 g
Faraday’sche Elektrodenvorgänge sind Elektrodenreaktionen, bei denen elektrische Ladung (Elektronen) über die Phasengrenzfläche Elektrode/Elektrolyt transportiert wird, auch Durchtrittsreaktion genannt. Für die Metallabscheidung Mz+ + z e− M oder allgemein für eine Redoxreaktion Ox + z e− → Red zwischen einer oxidierten Spezies Ox und einer reduzierten Spezies Red gilt das Faraday-Gesetz (S. 5), beispielsweise für Elektrolyse- und Batterievorgänge. Die zeitliche Änderung der elektrischen Ladung, der fließende Strom, ist ein Maß für den Stoffumsatz und die Geschwindigkeit der Elektrodenreaktion. m Q = zFn = zF M I =
dQ dt
= z F n˙
1 dn = j r = A zF dt
I j M m n n˙ r z
Stromstärke Stromdichte: j = I/A molare Masse des umgesetzten Stoffes Masse des umgesetzten Stoffes Stoffmenge: n = m/M Stoffmengenänderung: n˙ = dn/dt Reaktionsgeschwindigkeit, bezogen auf die Elektrodenoberfläche A elektrochemische Wertigkeit
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 P. Kurzweil, Angewandte Elektrochemie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32421-6_2
A A/m2 g/mol kg mol mol/s mol s m2 —
6
2 Elektrochemische Zellen und Elektrodenvorgänge
Die mittlere Stromdichte j = I/A wird in der Praxis auf den geometrischen Elektrodenquerschnitt A bezogen. Infinitesimal kleine Flächen dA sind immer ebene Querschnitte. Aber in der echten, dreidimensionalen Geometrie gibt es mikroskopische Bereiche mit höherer oder niedrigerer Stromdichte. An porösen Elektroden ist die reale Oberfläche S sehr groß: S A. Beispiel: Aus einer Gießkanne fließt ein Volumenstrom Wasser in Liter pro Sekunde durch die Querschnittsfläche des Ausgießers. Tatsächlich fließt durch die kleinen Löcher eine fünf- bis zehnfach höhere Stromdichte als die berechneten Liter pro Sekunde je Quadratzentimeter Ausgießerquerschnitt. Bei der elektrischen Stromdichte j = I/A mitteln sich örtliche Abweichungen der inhomogenen Oberfläche ebenso, wenn man den Querschnitt A groß genug wählt.
Nicht-faraday’sche Elektrodenvorgänge sind Adsorption oder Desorption, die Aufladung oder Entladung der elektrolytischen Doppelschicht, Veränderungen der Elektrodenstruktur und andere Vorgänge, die vorübergehend hohe Ströme fließen lassen, ohne dass ein Ladungstransport durch die Grenzfläche Elektrode/Elektrolyt (Durchtrittsvorgang) stattfindet.
2.2 Ohne Grenzflächen keine Elektrochemie 2.2.1 Elektroden Elektroden transportieren elektrische Ladung durch bewegliche Elektronen oder Löcher. Wichtige Elektrodenmaterialien sind: • Metalle: Platin, Gold, Stahl, Titan, Quecksilber, Amalgame • Kohlenstoff: Grafit, bordotierter Diamant • Halbleiter: Indiumzinnoxid, Silicium An einer Anode findet immer die elektrochemische Oxidation statt. Die Oxidationsstufe nimmt zu. Bei der Elektrolyse ist die Anode der Pluspol, in Batterien der Minuspol. Unter positivem Potential, mit dem Pluspol einer Spannungsquelle verbunden, löst sich eine Metallelektrode auf. Ein an der Elektrode adsorbierter Stoff gibt Elektronen ab. Anionen werden entladen. An einer Kathode findet immer die elektrochemische Reduktion (Elektronenaufnahme) statt. Die Oxidationsstufe nimmt ab. Bei der Elektrolyse ist die Kathode der Minuspol, in Batterien der Pluspol. Unter negativem Potential, mit dem Minuspol einer Spannungsquelle verbunden, werden Metalle aus der Salzlösungen abgeschieden. Ein an der Elektrode absorbierter Stoff nimmt Elektronen auf. Kationen werden entladen. 2.1 Definition von Anode und Kathode
Elektrode
Elektrochemischer Vorgang
äußere Strom- Energie der Elektronenfluss Spannung fluss Elektrode zu einer aktiven Spezies
Anode
Oxidation, Metallauflösung M → Mz+ + z e−
(+)
positiv I>0
Kathode
Reduktion, Metallabscheidung Mz+ + z e− → M
(−)
negativ wächst I