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German Pages [296] Year 1984
Werner Schwartz Analytische Ethik und christliche Theologie
Für Gabriele
WERNER SCHWARTZ
Analytische Ethik und christliche Theologie Zur metaethischen Klärung der Grundlagen christlicher Ethik
VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink, Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka Band 46
ClP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Schwartz, 'Werner: Analytische Ethik und christliche Theologie: zur metaeth. Klärung d. Grundlagen christl. Ethik / Werner Schwartz. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1984. (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 46) ISBN 3-525-56252-7 N E : GT
D 36 © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1984. Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesetzt aus Garamond auf Linotron 202 System 3 (Linotype). Satz und Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen. Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Winter 1981/82 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen. Für den Druck habe ich sie nur geringfügig verändert. In den Hauptteilen entstand sie in den Jahren 1975/76, ermöglicht durch ein Stipendium der Graduiertenförderung der Universität Mainz. Ich danke denen, die zu dieser Arbeit beigetragen haben, indem sie mich zu dem haben werden lassen, der ich bin: Eltern, Schwiegereltern, Lehrern, Bekannten und Freunden. Für die theologische Ausbildung danke ich meinen Lehrern und Gesprächspartnern in Göttingen, Tübingen und Mainz, in der Pfalz und in England. Herrn Professor Dr. Dietrich Ritsehl, D.D., der die Arbeit mit viel Geduld und Anteilnahme begleitet hat und mir darüber zum Freund geworden ist, möchte ich herzlich danken, denn von ihm habe ich weit mehr als nur theologisches Wissen und Handwerkszeug gelernt. Mein Dank gilt den Herausgebern, den Herren Professor Dr. Edmund Schlink, D.D., Professor Dr. Wolfhart Pannenberg, D.D., und Professor Dr. Reinhard Slenczka, für die Aufnahme in diese Reihe und dem Verleger, Herrn Dr. Arndt Ruprecht, für die Bereitschaft zur Publikation. Durch Zuschüsse des Forschungsfonds des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses und des Landeskirchenrates der Evangelischen Kirche der Pfalz und durch den Johannes Gutenberg-Preis der Universität Mainz für meine Dissertation wurde die Drucklegung ermöglicht. Den für die Entscheidungen Zuständigen danke ich sehr. Frau Marianne Bühl, Speyer, hat bei der Reinschrift des Manuskripts geholfen. Dankbar erinnere ich mich an sie. Gewidmet sei das Buch meiner Frau, ohne deren Verständnis und Ermutigung nicht nur diese Arbeit nicht hätte entstehen können. Großkarlbach, im Dezember 1983
Werner Schwartz
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Inhalt Vorwort Teil 1 : Probleme und Klärungen 1. Philosophische und theologische Ethik : Die gegenwärtige Situation und ihre Aufgaben Der Gang der Untersuchung 14 2. Methode und Ziele analytischer Ethik Analytische Philosophie und Ethik 16 - Normative Ethik, deskriptive Ethik, Metaethik 16 - Neutralität der Metaethik? 19
5 11 11 16
Teil 2: Positionen und Entwicklungen
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1. Intuitionismus versus Naturalismus G. E. Moore 23 - Die Bedeutung Moores für die analytische Ethik 27 2. Emotivismus A. J. Ayer 29 - Ch. L. Stevenson 30 3. Präskriptivismus R. M. Hare 35 - Kritik an Hare 40 4. Der Ansatz bei den „ g o o d reasons" S. E. Toulmin 43 - Κ. Baier 45 - Andere Autoren 48 5. Vermittelnde Positionen P. H. Nowell-Smith 4 9 - R. B. Brandt 52 6. Neonaturalismus G. E. M. Anscombe, Ph. Foot, G. J. Warnock 56 7. Ethik der Ideale Ethik der Regeln vs. Ethik der Ideale: R. W. Hepburn, I. Murdoch, H. Oppenheimer 59 - Ethik der Handlung vs. Ethik des Handelnden: P. F. Strawson, S. Hampshire, W. K. Frankena 63 8. Rückkehr zur Ethik R. B. Brandt 67 - J. Rawls 68 - S. Hampshire 69 - Α. Pieper 70 F. Kaulbach 71
23
Teil 3 : Diskussionen und Entscheidungen
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1. Die Herausforderung der Theologie durch analytische Philosophie und Ethik
75
28 35 42 49 55 59
67
7
Die Aufnahme der analytischen Philosophie 75 - Die Aufnahme der analytischen Ethik 77 - Aufgaben der theologischen Ethik 78 2. Die Rechtfertigung ethischer Sätze: Rationalität und Entscheidung Die Rechtfertigung ethischer Sätze 80 - Letzte Rechtfertigungsgründe 81 S. E. Toulmin 81 - R. M. Hare 82 - Prinzipienentscheidung und Rationalität 85 - Entscheidungsprozeß und Rechtfertigungsvorgang 86 3. Relativismus und Objektivität Theologische Ethik zwischen Relativismus und Objektivität 88 - Relativismus 90 - Diskussion 92 - Zwischenergebnis 95 - Argumente gegen den metaethischen Relativismus 96 - Die soziale Verankerung der Moral 96 Die Transzendentalien des moralischen Diskurses 97 - Objektivität der Ethik? 100
79
88
4. Sein und Sollen Humes These „no ought from an is" 1 0 2 - M . Black 1 0 3 - J . R. Searle 1 0 5 Diskussion 106-Ergebnis 108
102
5. Naturalismus in theologischer Ethik Sein und Sollen in christlicher Ethik: Vorwurf und Auseinandersetzung 110 - Der Zusammenhang von Fakten- und Wertaussagen 114
110
6. Zwischen Deskriptivismus und Präskriptivismus : Eine angemessene Konzeption der Metaethik Argumente gegen die Arbitrarität in der Moral 115 - Menschliche Grundbedürfnisse 117-Uberzeugungen über den Menschen 118 - Schwierigkeiten 119 - Die grundlegenden Überzeugungen und die Sicht der Welt 121 7. D i e Konzeption der Metaethik und die theologische Ethik Metaethik zwischen Subjektivismus und Objektivismus 125 blick 127
115
125 Aus-
Teil 4 : Moral und Religion
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1. Klärung der Β egriffe Moral 131 - Religion 133 - Religion und Moral 135 2. Die Abhängigkeit der Moral von der Religion Überblick 138 - Die These von der Abhängigkeit der Moral 139 - Abhängigkeit von der Religion 140 - Abhängigkeit von Gott 141
130 138
3. D i e Abhängigkeit der Religion von der Moral Sprachanalytische Argumente gegen die Abhängigkeit der Moral von der Religion 147 - Metaethische Argumente 149 - „x ist gut, weil Gott es will" 150 - „Gott will x, weil χ gut ist" 153 - Die Autonomie der Moral 156
147
4. Religiöse und nichtchristliche Ethik Die Unabhängigkeit der Moral von der Religion 159 - Das Selbstverständnis religiöser Ethik 160 - Metaethische Voraussetzungen: Sprachspiele der Moral? 163 - Von der Religion geprägte Form der Moral 165 - Ergebnis 166
158
8
Teil 5 : D i e F u n k t i o n religiöser Sätze f ü r die E t h i k
168
1. Religiöse Sätze als A u s d r u c k der Objektivität der M o r a l R. Corkey 170 - K. Ward 172 - Diskussion 1 7 3 - 1 . Trethowan 175
169
2. Religiöse Sätze als A u s d r u c k der A u t o r i t ä t der M o r a l Objektivität und Autorität 177 - Der Wille Gottes 179 - 1 . T. Ramsey 179
177
3. Religiöse Sätze als H a n d l u n g s a n l e i t u n g Gottes Gebot 182 - Naturrecht 182 - Ein Paradigma der Moral 183 4. Religiöse Sätze als E m p f e h l u n g eines Verhaltens R. B. Braithwaite 186 - Diskussion und Kritik 191 - Verifikations- oder Gebrauchsprinzip 192 - Metaethische Theorie 192 - Identität religiöser und moralischer Sätze 194 - Die Funktion der stories 198
181
5. Religiöse Sätze als A u s d r u c k einer Sicht der Welt Stories, blik, onlook 201 - Der Bereich des Moralischen und der Bereich des Ethischen 202 - Ideale und Verhaltensdispositionen 204 - Weltsicht und Moral 208 - Grenzfragen der Ethik 211
200
Teil 6 : D i e metaethischen V o r a u s s e t z u n g e n der E t h i k von Christen . .
214
1. G e m e i n s a m e i t e n in der ethischen Sprache von C h r i s t e n und N i c h t christen Kriterien des Moralischen 215 - Rationale Argumentation 216 - Teleologie vs. Deontologie 218 2. D i e D i f f e r e n z in der E t h i k v o n C h r i s t e n u n d N i c h t c h r i s t e n : D i e F r a g e nach d e m P r o p r i u m G. J. Hughes 224 - M. Simpson 227 - Diskussion 229
185
215
223
3. D i e Vielfalt der E l e m e n t e des ethischen D i s k u r s e s der Christen . . . . Elemente moralischen Argumentierens 233 - Elemente der christlichen Weltsicht 237 - Theologie 238 - Christologie 241 - Ekklesiologie 243 Der ethische Diskurs 243 - Eschatologie 246 - Gebet und Gottesdienst 247
232
4. Vielfalt u n d Einheit der E t h i k v o n C h r i s t e n Einheit im Inhalt: Ethik der agape 249 - Einheit in der Form: Die spezifische Weltsicht 251 - Das story-Konzept religiöser Sprache 252 - Christliche stories und Moral 2 5 7 - V o r z ü g e des story-Konzepts 259
248
Teil 7: A b s c h l i e ß e n d e Ü b e r l e g u n g e n
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Literaturverzeichnis
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Namenverzeichnis
292 9
TEIL 1
Probleme und Klärungen Es gibt kaum eine Frage praktischen Verhaltens, in der Christen einer Meinung sind. Dies gilt für den Bereich des alltäglichen Lebens ebenso wie dort, wo offizielle kirchliche Stellungnahmen abgegeben werden. Wie sollen wir unsere Kinder erziehen? Was sind die Ziele, was die richtigen Methoden? Wie soll ich mich im Geschäftsleben verhalten? W o findet meine Ehrlichkeit eine Grenze? Ist es genug, wenn ich fair bin? Oder ist Fairness noch zu wenig? Wie soll ich mich für den Frieden einsetzen? Als Soldat oder als Zivildienstleistender? Und auf der Ebene öffentlicher Äußerungen: Gegen Krieg sind wir alle. Doch was sollen wir tun, um den Frieden zu sichern? Aufrüsten? Abrüsten? Hunger soll es auf der Welt nicht geben. Sollen wir auf freien Wettbewerb setzen oder sollen wir die Bedingungen des Welthandels ändern? Rassismus ist verabscheuungswürdig. Wie sollen wir dagegen angehen? Welches Programm sollen wir (oder können wir noch) unterstützen? Wenn so wenig klar ist, was das Verhalten von Christen ausmacht, hat es dann überhaupt Sinn, von einer christlichen Ethik oder wenigstens von einer Ethik von Christen 1 zu sprechen? Und ist es dann möglich, theologische Ethik als eine wissenschaftliche Disziplin zu betreiben, deren Gegenstand die Ethik von Christen und deren Aufgabe ihre theoretische Klärung ist? Ich unterstelle, daß man beide Fragen bejahen kann, und will in dieser Arbeit zu zeigen versuchen, weshalb ich meine, daß man von einer christlichen Ethik sprechen und theologische Ethik betreiben kann, und in welcher Beziehung christliche Ethik zur Ethik überhaupt oder theologische Ethik zur philosophischen Ethik steht.
1.1. Philosophische und theologische Ethik: Die gegenwärtige Situation und ihre Aufgaben Angesichts der verwirrenden Fülle der ethischen Positionen und Konzepte ist es im Grunde überraschend, daß über ethische Fragen dennoch diskutiert wird. Das menschliche Verhalten ist nicht etwas, was stillschweigend der Beliebigkeit anheim gestellt wird, vielmehr werden Differenzen in der Beur1 Vgl. zu dieser Frage, ob man sachgemäßer von einer Ethik der Christen statt von der christlichen Ethik sprechen solle, Dietrich Ritsehl, Medizinische Ethik in der internationalen und ökumenischen Diskussion, in W . Becher, H g . , Medizinische Ethik in der evangelischen Theologie der Ökumene, Frankfurt 1979, 1 1 - 5 9 , 2 3 - 2 5 .
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teilung von Verhaltensweisen zum Anlaß von Erörterungen. In solchen Fällen bemühen sich beide Partner des Gesprächs darum, die besseren Argumente zu finden und einzusetzen. Wer argumentiert, hat die Zuversicht, durch die Uberzeugungskraft seiner Argumente am Ende Ubereinstimmung mit seinem Partner herstellen zu können. Worauf gründet sich solche Zuversicht? Diese Frage ist zur Leitfrage zahlreicher Bemühungen um die Ethik geworden und hat für alle weitergehenden Untersuchungen der Ethik fundamentale Bedeutung. Auch die Ethik der Christen hat an dem diskursiven Charakter aller Ethik teil. Daher ist auch für sie diese Frage dringlich. Auch sie muß in dem komplexen Feld, das sie umfaßt, nach Klarheit suchen. Die Probleme, die der ethische Diskurs aufwirft, sind zunächst Sprachprobleme. Auf der Ebene der Sprache sind sie zumindest vorerst allein zugänglich. Es liegt daher nahe, sie auf dieser Ebene anzugehen. Die philosophische Richtung, die die Bearbeitung von Sprachproblemen zu ihrer Aufgabe macht, hat in den letzten Jahren auch hierzulande eine gewisse Bekanntheit erlangt 2 . Ihre angestammte Heimat ist die angelsächsische Welt, sieht man von ihren Vorläufern in der Wiener Schule der zwanziger und dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts einmal ab. Sie firmiert unter den Titeln der philosophischen Analyse oder der (sprach-)analytischen Philosophie. Ihrem Programm zufolge geht es ihr um die immanente Klärung und Sinnanalyse des (alltäglichen) Sprachgebrauchs 3 . Sie verfolgt damit das Ziel, die Schwierigkeiten, Unstimmigkeiten und Widersprüchlichkeiten alltäglicher und philosophischer Sätze aufzulösen und eine Weise philosophischen Denkens zu ermöglichen, die ein hohes Maß an Klarheit besitzt. Die angelsächsische analytische Philosophie hat ihre sprachanalytischen Methoden auch auf die Ethik angewandt und so zu einer eigenständigen Beschäftigung mit ethischen Fragen, der analytischen Ethik, gefunden. In dieser Arbeit geht es nicht vornehmlich um die Ethik allgemein und ihre angemessene Beschreibung. Im Zentrum steht vielmehr die Ethik der Christen. D a die Ethik der Christen jedoch an der Problematik aller Ethik teilhat, kann es eine lohnende Arbeit sein, die Methoden analytischer Ethik auf sie anzuwenden und die Implikationen der bisherigen Diskussionsergebnisse der analytischen Ethik für die Ethik der Christen zu erheben. Wenn die Arbeit der analytischen Ethik zum Verständnis ethischen Denkens und Redens tatsächlich einen hilfreichen Beitrag leistet, dann ist zu erwarten, daß ihre Ergebnisse auch für die Ethik der Christen relevant und hilfreich sind. Sofern sie zur Klärung beitragen, müßten sie selbst dann als hilfreich angesehen werden, wenn sie zu der Folgerung führten, eine Ethik von Christen 2 Vgl. Eike von Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache. Eine kritische Einführung in die „ordinary language philosophy", Frankfurt 1969. 3 Diese Aufgabenstellung war schon Teil des philosophischen Programms des Aristoteles, vgl. zB. Wolfgang Wieland, Die aristotelische Physik, Göttingen 1962.
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habe neben der allgemein menschlichen Ethik kein Spezifikum und daher keine eigenständige Berechtigung 4 . Diese Arbeit wird also den ethischen Diskurs, seine Struktur, seine Elemente und deren Verknüpfung analysieren und aufweisen, unter welchen Bedingungen die in diesem Diskurs gemachten Aussagen intersubjektive Gültigkeit beanspruchen können. Dort, wo es um interpersonale Nachprüfbarkeit und kommunikative Verbindlichkeit von Aussagen geht, wird nach der Begründung dieser Aussagen gefragt 5 . Die Klärung des Verfahrens ethischen Überlegens muß den ethischen Diskurs der Christen einschließen. Dabei sind die Besonderheiten und die Voraussetzungen der Ethik von Christen zu untersuchen. Man wird auf deren soziale Gebundenheit stoßenals einer Ethik von Christen - und fragen, was hinter ihrer Verpflichtung zum christlichen Glauben steht: eine bloße Entscheidung oder mehr als dies. So kann schließlich der Stellenwert der Ethik von Christen im Horizont der Ethik überhaupt und das Verhältnis christlicher zu sonstiger Ethik bestimmt werden. Aus dieser Zielangabe ist bereits deutlich, daß es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine Erörterung über die Ethik der Christen nicht auf der Ebene der Ethik selbst, sondern auf einer Metaebene handeln wird. Dies ist, vordergründig beurteilt, ein sehr theoretisches Unternehmen, das von der Lösung konkreter ethischer Fragen abstrahiert. Die Klarheit, die man auf dieser theoretischen Metaebene erreichen kann, ist jedoch das, was im alltäglichen 4 Hypothetisch ist mit diesem Ergebnis zu rechnen. Die Erörterung in Abschnitt 6.2. wird diese Annahme als unbegründet erweisen. 5 Zum Begriff der Begründung vgl. Gerhard Sauter, Die Begründung theologischer Aussagen - wissenschaftstheoretisch gesehen, in G. Sauter, Erwartung und Erfahrung. Predigten, Vorträge, Aufsätze, München 1972, 262-275, 267, 272. Vgl. auch G. Sauter u.a., Wissenschaftstheoretische Kritik der Theologie. Die Theologie und die neuere wissenschaftstheoretische Diskussion, München 1973, 308-310, 312-315. Sauter unterscheidet in Anlehnung an Hans Albert (Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1968, 37-41) Entdeckungs- und Begründungszusammenhang. - Zur Frage der empirischen und rationalen Begründung vgl. auch Wilhelm Kamiah u. Paul Lorenzen, Logische Propädeutik oder Vorschule des vernünftigen Redens, Mannheim/Wien/Zürich 1967, 116-128, bes. 127. Diese Überlegungen sind implizit gegen H. Alberts Ablehnung einer Begründungsmöglichkeit gerichtet. Nach Alberts Ansicht führt jeder Begründungsversuch in das von ihm so genannte „Münchhausen-Trilemma" (infiniter Regreß, logischer Zirkel, willkürlicher Abbruch des Verfahrens; H . Albert, Traktat über kritische Vernunft, 8 - 2 8 , bes. 11-15). Er schlägt vor, die Idee der Begründung durch die der kritischen Prüfung zu ersetzen (aaO. 29-37). Vgl. zum Problem der Begründung ethischer Aussagen auch die Überlegungen, die Hans G. Ulrich in dem Literaturbericht Grundlinien ethischer Diskussion (Verkündigung und Forschung 2/1975, 53-99, 73 f, 77f, 81-83) verarbeitet hat. Er unterscheidet eine doppelte Aufgabe der Anthropologie : (1 ) Sie muß eine Grundlegung der Ethik vornehmen ; dazu beschreibt sie das menschliche Subjekt, die ethische Existenz des Menschen. (2) Und sie muß die Ethik (als normative Ethik) begründen ; dazu entfaltet sie das Humanum in der Gestalt von Normen. Über Begründungsfragen wird jetzt auch im Handbuch der christlichen Ethik, hg. Anselm Hertz, Wilhelm Korff, Trutz Rendtorff und Hermann Ringeling, Freiburg/Basel/Wien/Gütersloh 1978, in vielfältigen Beziehungen gehandelt (Bd. 1, passim).
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Leben, im ethischen Diskurs zwischen Menschen fehlt. Da sie fehlt, da man die Erwartungen an das ethische Gespräch nicht präzise formulieren kann und die Implikationen ethischer Aussagen nicht immer ausreichend bewußt hält, entstehen so viele Mißstimmungen im Diskurs. In den Voraussetzungen des ethischen Diskurses Klarheit zu schaffen kann daher, auch wenn es auf einer theoretischen Ebene geschieht, ein eminent praktisches Unternehmen werden. Es kann, indem es theoretische Klärungen herbeiführt, die Praxis im rechten Licht zu sehen und die ethischen Vollzüge besser, angemessener zu verstehen lehren. Der Gang der Untersuchung. Um das Ziel, Klarheit über die christliche Ethik auf dem angegebenen Weg, mit Hilfe der analytischen Philosophie und Ethik, zu erreichen, wird diese Arbeit mehrere Stufen durchschreiten. Zunächst soll ein Uberblick über Absicht und Methoden der analytischen Ethik gegeben werden6. Der folgende Abschnitt wird die Begriffe Moral, Ethik, Metaethik klären und sie unterschiedlichen Ebenen zuordnen. Der zweite Teil wird dann einen historisch-systematischen Abriß der Entwicklung der analytischen Ethik zu geben versuchen. Richtungen und Tendenzen innerhalb dieser philosophischen Strömung, ihre Fragestellungen, Themen und Methoden sollen vorgestellt werden. Anschließend wird auf dem erarbeiteten Hintergrund nach der Konzeption einer Metaethik gefragt werden, die dem ethischen Diskurs gerecht wird. Es wird zur Diskussion konkurrierender Ansätze und zu einer begründeten Entscheidung für eine metaethische Konzeption kommen (Teil 3). Das Ergebnis wird den Rahmen abgeben für die Analyse spezifisch religiöser Formen der Ethik, die sich anschließt7. Sofern die religiöse Ethik ein Teilsystem des Gesamtsystems der Ethik ist8 6 Das Gewicht wird auf der analytischen Ethik, nicht auf der analytischen Philosophie im allgemeinen liegen. Diese Beschränkung hat arbeitstechnische Gründe. Das ganze Feld der sprachanalytischen Philosophie mit einzubeziehen müßte den Rahmen dieser Arbeit sprengen. E s ist jedoch vorstellbar, daß auch aus diesem weiteren Bereich wertvolle Anregungen für die Ethik zu erhalten wären, man denke etwa an die Sprechakttheorien J . Austins und J . Searles (vgl. John L. Austin, H o w to D o Things with Words, London 1962, und John R. Searle, Speech Acts, Cambridge 1969, dt. Sprechakte, Frankfurt 1971). 7 Die Begriffe „Religion" und „religiös" werden in dieser Arbeit so verwandt, wie es in der angelsächsischen Literatur üblich ist. Sie bezeichnen sowohl das Phänomen des Religiösen allgemein als auch das der christlichen Religion. In der deutschsprachigen Literatur der letzten Jahrzehnte ist im Gefolge der Dialektischen Theologie die Unterscheidung zwischen den Begriffen Religion einerseits und Glaube und Theologie andererseits dafür gebräuchlich geworden. Auf diese Unterscheidung wird hier verzichtet. Nahezu immer ist auch da, w o von „Religion" gesprochen wird, christlicher Glaube und christliche Theologie im Blick. Andere Religionen bleiben aus Gründen methodischer Beschränkung weitgehend außerhalb des Blickfeldes. Gelegentlich können die Aussagen jedoch ebenso für andere Religionen als die christliche gelten. - Vgl. auch unten die Begriffserklärung in Abschnitt 4.1. 8 Diese Betrachtungsweise erinnert an die Fragerichtung des Strukturalismus. Günther Schiw y weist in seinem Aufsatz über „Sittliche Normierungen im Strukturalismus" (in A . H e r t z , H g . , Moral, Mainz 1972, 1 5 2 - 1 6 7 ) darauf hin, daß eine Anwendung der strukturalistischen
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und sofern ihre Sätze einen Ausschnitt aus dem Corpus der ethischen Sätze darstellen, ist die religiöse Ethik mit denselben Problemen befaßt wie alle Ethik, und sie hat dieselben Aufgaben zu lösen. Damit soll nicht von vornherein geleugnet werden, daß die religiöse Ethik nicht daneben noch ihre eigenen, für sie spezifischen Fragen zu beantworten haben kann. Auch in diesen Fragen ist sie jedoch an die Kommunikation und die in ihr erreichbare Verbindlichkeit gebunden, ist sie also auf sprachliche Vermittlung angewiesen. Daher ist zu vermuten, daß auch dieser, der religiösen Ethik eigenster Bereich durch Sprachanalyse zu erhellen ist. Es wird im Rahmen dieser Arbeit allerdings nicht möglich sein, alle möglichen Ansatzpunkte für eine Verbindung von sprachanalytischer und religiöser Ethik auszuarbeiten. U m nicht bei bloßen Uberblicken stehenzubleiben, wird es notwendig sein, einen dieser Ansatzpunkte herauszugreifen und eingehender zu behandeln. In Teil 4 wird zunächst die Beziehung zwischen Moral und Religion präzisiert werden. Es geht darin um die Möglichkeit einer religiösen Ethik neben und innerhalb der Ethik überhaupt. Die Erörterung wird sich dann zunehmend auf die Ethik der Christen konzentrieren. In Teil 5 wird nach der Funktion christlich-religiöser, theologischer Sätze für die Ethik gefragt. Mehrere Verwendungsweisen werden unterschieden. Teil 6 soll dann die Ethik der Christen mit der von Nichtchristen vergleichen. Die Gemeinsamkeiten und die Differenzen sind herauszuarbeiten. Es muß bestimmt werden, worin, wenn überhaupt, das Spezifische christlicher Ethik besteht. Nach diesen Vorarbeiten wird nach der metaethischen Konzeption einer Ethik von Christen gefragt werden müssen, die mit der Metaethik, wie sie in Teil 3 entwickelt wird, verträglich ist. Es muß beschrieben werden, wie die Ethik von Christen funktioniert und was in ihr als Grund zählt. Dieser metaethische Entwurf muß eine Antwort auf die Frage nach der Begründung christlicher Ethik geben. Er muß feststellen, welches die spezifischen Elemente sind, die Christen im Denken und Reden über ethische Fragen verwenden. Und er muß angeben, worin die Kohärenz dieser Elemente besteht und wie die „Rationalität" des ethischen Diskurses der Christen beschaffen ist. Indem er dies tut, indem er die kommunikative Verbindlichkeit der Ethik von Christen demonstriert, kann er beanspruchen, zu dem Versuch beizutragen, der christlichen Ethik eine Begründung zu geben. Im abschließenden Teil 7 wird Bilanz gezogen und beurteilt werden, ob und in welcher Weise es der Ethik von Christen nützt, derartige Überlegungen anzustellen und zu ihrem besseren Verständnis die analytische Ethik zu bemühen.
Methode auf die Ethik hieße, den strukturalen Charakter der Moral, ihre systemorientierte Gestalt zum Ausgangs- und Zielpunkt der Erörterung zu machen (aaO. 155,157f uö.).
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1.2. Methode und Ziele analytischer
Ethik
1. Analytische Philosophie und Ethik. Das Spezifikum analytischer Philosophie liegt in ihrer Methode. Diese philosophische Schule versucht, dem Menschen zur besseren Erkenntnis seiner Welt zu verhelfen, indem sie die Sprache analysiert, mit der er sich über die Phänomene seiner Welt verständigt. Im strengen Festhalten an dieser Methode wird der Unterschied zu aller bisherigen Philosophie gesehen. Zwar haben schon Sokrates, Piaton und Aristoteles die gleiche Methode angewandt, doch sie haben sie verlassen, um zu den höheren Zielen der Philosophie zu gelangen: zu einem Entwurf philosophischer Weltsicht, der kraft seiner Totalität umfassende Erklärungskraft hat. Demgegenüber ist das Ziel analytischer Philosophie bescheidener, die Forderung methodischer Klarheit aber rigoroser. Aus diesem Grund sehen analytische Philosophen eine deutliche Zäsur zwischen aller bisherigen Philosophie und ihrer eigenen Arbeit. Diesen Bruch und Neuanfang sehen sie auf allen Gebieten traditioneller Philosophie. Erst jetzt, so meinen sie, hat sich die Philosophie auf das ihr eigene Feld beschränkt, und diese Selbstbescheidung garantiert die Wissenschaftlichkeit der Philosophie. In dem Bewußtsein, Altes abzubrechen und Neues zu beginnen, haben sich analytische Philosophen der Ethik zugewandt. Sie brachen mit der Tradition, die Ethik als praktische Wissenschaft zu verstehen, die praktisches Wissen bereitstellt. Wollte Moralphilosophie diese Aufgabe erfüllen, müßte sie die Wahrheit kennen, den gültigen moralischen Code, von dem aus z.B. die Frage „Was soll ich tun?" zu beantworten wäre. Ob es diese Wahrheit, diesen einen gültigen Code gibt, ist nicht ausgemacht. Nur durch gründliche theoretische Untersuchung ist Gewißheit darüber zu erlangen. Daher ist aller praktischen, „angewandten" Moralphilosophie die Arbeit der theoretischen Analyse moralischer Phänomene vorzuordnen. Dies allein ist der Arbeitsbereich wissenschaftlicher, analytischer Moralphilosophie9. Will Ethik wissenschaftlich bleiben, hat sie sich auf die Aufgabe zu beschränken, theoretisches Wissen über moralische Phänomene bereitzustellen. Da in der bisherigen Philosophiegeschichte der Moralphilosophie beide Ziele gesteckt waren, theoretisches und praktisches Wissen zu erarbeiten, ist eine neue Grundlegung der Moralphilosophie nötig. G. E. Moore nennt daher seine „Principia Ethica" im Vorwort „Prolegomena zu einer jeden künftigen Ethik, die als Wissenschaft wird auftreten können" 10 .
9 Vgl. C . D . Broad, Some of the Main Problems auf Ethics, Philosophy 21, 1946, wieder abgedr. in H . Feigl u. W . Seilars, H g . , Readings in Philosophical Analysis, N e w Y o r k 1949, 547-563,547. 1 0 G. E . Moore, Principia Ethica, Cambridge 1903, dt. Stuttgart 1970. Der Untertitel ist in Analogie zu dem Titel von I. Kants Schrift von 1783 „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können" gebildet. Vgl. auch P. H . NowellSmith, Ethics, Harmondsworth 1954, Kap. 1 und 2.
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2. Normative Ethik, deskriptive Ethik, Metaethik. Der Unterschied zur traditionellen Moralphilosophie wurde durch terminologische Unterscheidungen klargestellt. Das Corpus ethischer Aussagen und Konzeptionen wird als „normative Ethik" oder „Moral" bezeichnet. Die Analyse dieser Aussagen, die nach der Bedeutung moralischer Termini wie „gut", „richtig" etc. und nach der Rechtfertigung moralischer Aussagen fragt, wird „analytische Ethik", „Metaethik", „kritische Ethik", „theoretische Ethik", „Erkenntnistheorie der Ethik" oder „Logik der Ethik" genannt 11 . Diese beiden Ebenen der Beschäftigung mit Moral verhalten sich zueinander wie die Objektsprache zur Metasprache. Auf der Ebene der normativen Ethik wird der Diskurs darüber, was moralisch richtig und gut ist und was man tun sollte, geführt und begründet, weshalb man dies als gut bezeichnet oder tun sollte. Die Metaethik stellt einen Diskurs über diesen Diskurs, einen Diskurs zweiter Ordnung dar 1 2 . Sie setzt den Diskurs normativ-ethischer Art als ihren Gegenstand voraus und macht Aussagen darüber. Nun sind allerdings nicht alle Aussagen, die über normativ-ethische Sätze gemacht werden, metaethische Feststellungen. Es gibt auch deskriptive Aus1 1 Die traditionelle Unterscheidung von Ethik und Moral wird in dieser Arbeit nicht benutzt. Diesem Definitionsversuch zufolge bezeichnet „Moral" die normativen Äußerungen moralischer Art. „Ethik" kann (a) die philosophische Disziplin meinen, die sich mit der Moral beschäftigt, (b) als Bezeichnung aller systematisch geordneten Darstellungen der Moral, als Bezeichnung normativer Moralsysteme also gelten. Bei strenger terminologischer Unterscheidung von Ethik und Moral wird der Begriff „Ethik" für die Bedeutung (a) reserviert. Da ein analoger Unterschied zwischen den Adjektiven „ethisch" und „moralisch" fehlt und „Ethik" auch mit der Bedeutung (b) verwendet wird, etwa wenn von der Ethik eines Menschen oder von theologischer Ethik gesprochen wird, vernachlässige ich diese Distinktion. Ihre traditionelle Gestalt ist bei Harald Delius, Ethik, in A. Diemer u. I. Frenzel, Hg., Philosophie, Frankfurt, Neuausg. 1967, 43-64, 43-46, dargestellt. Jetzt ist für die Rezeption der analytischen Ethik im deutschen Sprachraum die Unterscheidung von Moral = Gegenstand der Ethik und Ethik = Moralphilosophie, philosophische Beschäftigung mit der Moral - als normative Ethik und Metaethik - wieder aufgegriffen worden; vgl. Norbert Hoerster, Ethik und Moral, in D . Birnbaum u. N . Hoerster, Hg., Texte zur Ethik, München 1976, 9-23, 9 - 1 2 . Im folgenden verwende ich die oben im Text genannten Begriffe „normative Ethik", „Moral" versus „analytische Ethik", „Metaethik". Zu den Fragen der Definition vgl. auch Kai Nielsen, Ethics, Problems of, in P. Edwards, Hg., Encyclopedia of Philosophy, New York 1968, Vol. 3, 1 1 7 - 1 3 4 , 1 1 8 ; R. M. Hare, Ethics, i n j . O . Urmson, Hg., The Concise Encyclopedia of Western Philosophy and Philosophers, New York 1960, 136-144, 136-138; Robert L. Cunningham, Can Metaethics Advance Ethics?, in R. M. Mclnery, Hg., New Themes in Christian Philosophy, Notre Dame/London 1968, 3 0 4 - 3 3 0 , 306. 1 2 Friedrich Kaulbach meint, analytische Aussagen bezögen sich ausschließlich auf unmittelbar moralische Sätze, nicht auf Sätze der systematischen Ethik. Daher schlägt er als korrekte Bezeichnung der Metaethik den Begriff „Metamoral" vor. Er will sich mit dieser Klarstellung gegen die Annahme zur Wehr setzen, die Metaethik stelle eine noch hinter die Ethik zurückgehende Reflexionsstufe dar (F. Kaulbach, Ethik und Metaethik. Darstellung und Kritik metaethischer Argumente, Darmstadt 1974, 42). Kaulbachs Argumentation überzeugt nicht, da er übersieht, daß von der Metaethik tatsächlich Klärungen angestrebt werden, die nicht nur die Moral erhellen, sondern auch zu größerer Klarheit in der „Ethik" als der systematischen Darstellung der Moral führen. (Vgl. zu Kaulbach auch unten Abschnitt 2.8.)
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sagen über moralische Überzeugungen bestimmter Menschen und Gruppen. Man kann also bei den Bemühungen um die Moral drei Arten von Aussagen unterscheiden: (a) Wer normativ-ethische Aussagen macht, gibt Antwort auf moralische Fragen. Er nimmt einen moralischen Standpunkt ein und fällt von hier aus moralische Urteile. Zum moralischen Diskurs gehört weiterhin die Begründung und Rechtfertigung von Moralentscheidungen. Er gibt also Antwort auf die Fragen „Welche ethischen Aussagen sind wahr oder gültig?" und „Warum?" Ziel kann die Erstellung eines vollständigen Systems gültiger ethischer Prinzipien oder Axiome, von denen alle wahren ethischen Aussagen abgeleitet werden können, und die rechtfertigende Begründung dieses Systems sein 13 . (b) Deskriptiv-ethische Aussagen macht jemand, der (als Historiker, Soziologe oder Psychologe) die moralischen Uberzeugungen eines Menschen oder einer Gruppe beschreibt und erklärt. Die Wahrheit einer solchen Aussage ist davon abhängig, welche moralischen Uberzeugungen die betreffenden Menschen faktisch haben 14 . (c) Davon zu unterscheiden sind die metaethischen Aussagen. Sie geben die Bedeutung moralischer Wörter und Sätze an. Sie beantworten (1) die Frage, welche Art des Argumentierens eine gültige Rechtfertigung ethischer Sätze abzugeben imstande ist, beziehungsweise zunächst, ob eine Rechtfertigung ethischer Urteile überhaupt möglich ist. Ziel dieser Untersuchung ist es, die Logik des moralischen Diskurses zu erheben. Um dies leisten zu können, fragt die Metaethik (2) nach der Bedeutung oder Definition ethischer Begriffe wie „richtig", „falsch", „gut", „schlecht" und nach der Bedeutung und Funktion von Urteilen, in denen diese Begriffe auftreten 15 . Ihre Aussa13 Vgl. Richard B. Brandt, Ethical Theory. The Problem of Normative and Critical Ethics, Englewood Cliffs 1959, 4-7; William K. Frankena, Analytische Ethik (Ethics, Englewood Cliffs 1963, dt.) München 1972, 21; Hans Lenk, Der .Ordinary Language Approach' und die Neutralitätsthese der Metaethik. Zum Problem der sprachanalytischen Deutung der Ethik, in H . - G . Gadamer, Hg., Das Problem der Sprache, München 1967, 183-206, 183; Helmut Fahrenbach, Sprachanalyse und Ethik, in H . - G . Gadamer, Hg., Das Problem der Sprache, 373385,373 f; N . Hoerster, Ethik und Moral, 10-12. 14 R. M. Hare, Ethics, 136 f; H . Fahrenbach, Sprachanalyse und Ethik, 373 f; W. K. Frankena, Analytische Ethik, 20 f. Mit der Frage, ob solche deskriptive Moralwissenschaft die Moral begründen kann, beschäftigt sich Gernot Reibenschuh, Warum moralisch sein? Zur Kritik soziologischer Moralbegründung, in M. Riedel, Hg., Rehabilitierung der praktischen Philosophie, Bd. II, Freiburg 1974, 85 ff. Er erweist die Notwendigkeit normativer, „metaphysischer" Argumentation zur Begründung der Moral. Vgl. auch R. W. Newell, Ethics and Description, Philosophy 43, 1968, 360-380. 15 Vgl. R. B. Brandt, Ethical Theory, 7-10; W. Κ. Frankena, Analytische Ethik, 21,114f; R. M. Hare, Ethics, 136f; Κ. Nielsen, Ethics, Problems of, 118f; auch H . Lenk, Der ,Ordinary Language Approach' und die Neutralitätsthese der Metaethik, 187f; Tadeusz Styczen, Metaethik. Ein neues Ding oder ein neues Wort?, Internationale Dialog Zeitschrift 2, 1969, 61-67, 62; Günther Grewendorf u. Georg Meggle, Zur Struktur des metaethischen Diskurses, in G. Grewendorf u. G. Meggle, Hg., Seminar: Sprache und Ethik. Zur Entwicklung der Metaethik, Frankfurt 1974, 7-31, 7f.
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gen dienen also nicht als Antwort auf die Frage, wie man leben soll, sondern allein der Klärung der Fragen, was Moral ist und ob sie als rationales Unternehmen möglich ist. Nach allgemeiner Ansicht analytischer Moralphilosophen ist gerade die Metaethik das Feld, auf dem das Gewicht philosophischer Bemühung um die Ethik zu liegen hat. Diese Festlegung ist zunächst (historisch) in dem Anspruch analytischer Philosophie begründet, strenge Wissenschaft sein zu wollen. Will sie diesen Anspruch realisieren, dann muß sie sich auf die Fragen aus ihrem Gegenstandsfeld beschränken, die mit den Methoden strenger Wissenschaft möglichst wertfrei zu bearbeiten sind. Diese Festlegung ist aber auch durch die Überlegung motiviert, daß gerade die im 20. Jahrhundert bemerkbare Verwirrung der Begriffe in der Diskussion von Wertfragen und ethischen Problemen eine Klärung erfordert 16 . Nur eine klare Konzeption der Bedeutung ethischer Begriffe und der gültigen Rechtfertigungsweisen kann in der Situation der Verunsicherung durch den drohenden Relativismus normativer Vorstellungen Klarheit und dadurch Sicherheit bieten 17 . In diesem Sinn ist es richtig zu sagen, daß eine gründliche Beschäftigung mit der normativen Ethik notwendig zur metaethischen Fragestellung führt. Nur wenn die metaethischen Fragen geklärt werden, können die Probleme der normativen Ethik in zufriedenstellender Weise angegangen werden 18 . 3. Neutralität der Metaethik? Die scharfe Trennung dieser drei Weisen der Beschäftigung mit Fragen der Moral führte zu der pointierten These der normativen Neutralität der Metaethik. Sie besagt, daß metaethische Theorien keine logisch notwendigen Verbindungen zu normativen Urteilen über richtiges oder falsches Verhalten haben beziehungsweise daß verschiedene metaethische Theorien mit verschiedenen normativen Systemen verbunden werden können. In dieser Form folgt die „Neutralitätsthese" aus der Definition der Metaethik: Die Analyse des moralischen Sprachgebrauchs ist nicht daran gebunden, inhaltliche moralische Uberzeugungen für richtig zu halten. Die These der normativen Neutralität metaethischer Aussagen wurde in der Diskussion differenziert. Sie kann bedeuten, (a) daß metaethische Aussagen oder Theorien keine normativ-ethische Aussagen oder Theorien implizieren, (b) daß normativ-ethische Aussagen oder Theorien keine metaethischen Aussagen oder Theorien implizieren, (c) daß metaethische Überzeugungen keine normativ-ethische Funktion haben, (d) daß es ausgeschlossen ist, daß jemandes metaethische Überzeugungen seine normativ-ethischen 1 6 Vgl. Günther Patzig, Ethik ohne Metaphysik, Göttingen 1971, 6 5 f ; R. M. Hare, Rezension von G. J. Warnock, The Object of Morality, Ratio (Hamburg) 1 4 , 1 9 7 2 , 1 9 3 - 2 0 0 , 1 9 4 f . 1 7 Vgl. R. L. Cunningham, Can Metaethics Advance Ethics?, 3 2 5 f . 1 8 Vgl. Κ. Nielsen, Ethics, Problems of, 124 f und 1 2 1 - 1 2 5 .
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Einstellungen ändern. Nicht alle analytischen Ethiker stimmen allen vier Formulierungen dieser These uneingeschränkt zu. So trifft Formulierung (b) sicher nicht zu, da man eine bestimmte metaethische Ansicht vertreten muß („Moralische Aussagen können wahr oder falsch sein"), wenn man eine bestimmte normativ-ethische Aussage macht („Es ist völlig falsch, daß ein Unschuldiger unter bestimmten Umständen bestraft werden soll"). These (a) ist zuzustimmen, während die Thesen (c) und (d) aus empirischen Gründen anzuzweifeln sind. Metaethische Überzeugungen haben eine normativ-ethische Funktion, indem sie normativ-ethisches Denken zu klären und dabei bestimmte Arten normativen Diskurses negativ, bestimmte andere Arten positiv zu bewerten versuchen. Jeder, der am normativ-ethischen Diskurs teilnimmt, hat schon (wenn auch ungeklärt und möglicherweise unbewußt) bestimmte Ansichten über die Bedeutung der Wörter, die er verwendet, und über zulässige Strategien der Rechtfertigung seiner Position. Wenn nun jemand seine metaethischen Ansichten ändert, geschieht in der Regel zugleich eine Umorganisation seiner normativen Uberzeugungen. Er wird seine bisherigen normativen Entscheidungen in neuem Licht sehen. Manche wird er revidieren müssen, weil sie nach seiner neu gewonnenen Einsicht auf falscher Grundlage getroffen wurden 1 9 . Hans Lenk hat die Neutralitätsthese der Metaethik mit zwei weiteren Zielen der Metaethik konfrontiert: mit der konsequenten Anwendung der (beschreibenden) Umgangssprachanalyse Oxforder Prägung und der eindeutig metaethischen Kennzeichnung des spezifisch Moralischen. D a die ordinary-language-Analyse, will sie konsequent sein, nicht zwischen den Ebenen der Ethik und der Metaethik unterscheiden darf, können ihre Anhänger nicht die These vertreten, die Metaethik sei neutral. Die Abgrenzung moralischer von nichtmoralischen Urteilen beziehungsweise die Abgrenzung der moralischen von nichtmoralischen Verwendungsweisen von Begriffen erfolgt per definitionem 2 0 . Zusätzlich eingetragene Elemente („allgemeine Verbindlichkeit" etc.) konstituieren das Feld des Moralischen. Wer so abgrenzt, wendet jedoch theoretische, einer Theorie zugehörige Elemente zur Analyse des Phänomenbereichs an. Andererseits stellt jede Festlegung des spezifisch Moralischen bereits eine normative Entscheidung dar, denn sie macht, wenn sie auf Gleichheit, Allgemeingültigkeit, Unparteilichkeit etc.
1 9 A a O . 1 1 9 - 1 2 1 ; vgl. William T . Blackstone, A r e Metaethical Theories Normatively N e u tral?, Australasian Journal of Philosophy 1961/62, 6 5 - 7 4 , 68, 7 1 - 7 3 ; auch R. L. Cunningham, Can Methaethics Advance Ethics?, 3 1 9 - 3 2 2 . 2 0 Vgl. R. Β. Brandt, Ethical Theory, 2—4; Carl Wellman, The Language of Ethics, C a m bridge (Mass.) 1 9 6 1 , 1 1 .
R. M . Hare hingegen vernachlässigt diese Unterscheidung weitgehend; vgl. jedoch seine Überlegungen in The Language of Morals, O x f o r d 1952, dt. Die Sprache der Moral, Frankfurt 1972, Kap. 9. Zum Problem vgl. Wolfgang Wieland, Praktische Philosophie und Wissenschaftstheorie, in M . Riedel. H g . , Rehabilitierung der praktischen Philosophie, Bd. I, Freiburg 1972, 505-534,509-511.
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als Charakteristika der Moralität hinweist, bereits Vorschriften. D u r c h diese Charakteristika werden normativ nicht akzeptable Äußerungen als Mißbrauch der Sprache des ethischen Diskurses erklärt 2 1 . Keines der drei Ziele der Metaethik, (a) die Erhaltung der Neutralität der Metaethik, (b) die konsequente A n w e n d u n g der beschreibenden Umgangssprachanalyse und (c) die eindeutig metaethische Kennzeichnung des spezifisch Moralischen, ist also mit je einem anderen der drei Ziele vereinbar. Man kann nur jeweils eines erreichen 2 2 . Diese Überlegungen führen dazu, daß eine Reihe analytischer Ethiker eine weniger extreme Position einnehmen. Sie disqualifizieren die neutrale Metaethik als „positivistisch" 2 3 und akzeptieren eine „normative" Metaethik. Freilich wollen sie nicht (wie die Philosophen, von denen sie sich kritisch abheben wollen) unmittelbar normative Ethik betreiben. D o c h sie verstehen ihre A u f g a b e als die rationale Klärung moralischer Sätze, die Entwicklung einer rationalen Metaethik also, und den Entwurf eines ethischen Systems, das rational zu rechtfertigen ist. D e n zweiten Teil der A u f g a b e erkennen sie oft über den U m w e g an, daß sie es als ihre Pflicht ansehen, irrationale Elemente der Ethik zu kritisieren 2 4 . Sie akzeptieren also, daß zumindest
2 1 Vgl. R. C . Salomon, Normative and Meta-Ethics, Philosophy and Phenomenological Research 3 1 , 1 9 7 0 / 7 1 , 9 7 - 1 0 7 , 9 7 f . 2 2 H . Lenk, Kann die sprachanalytische Moralphilosophie neutral sein?, Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 5 3 , 1 9 6 7 , 3 6 7 - 3 8 2 , wieder abgedr. in M. Riedel, H g . , Rehabilitierung der praktischen Philosophie, Bd. II, 407-412; H . Lenk, Der ,Ordinary Language Approach' und die Neutralitätsthese der Metaethik, 187-192. Welches der drei Ziele angesichts dieser Situation den Vorzug verdient, ist eine Frage, die eigener Erörterung bedürfte. Erstrebenswert ist angesichts der desolaten Diskussionslage in der heutigen Ethik sicher eine Theorie, die einen Rahmen für die Kommunikation über moralische Probleme gewährleistet. O b die von H . Lenk vorgeschlagenelConzeption einer Metametaethik, die als eine Sammeldisziplin neutral bleiben will (Der ,Ordinary Language Approach' und die Neutralitätsthese der Metaethik, 202-206; Kann die analytische Moralphilosophie neutral sein?, 416-420), dies leistet, kann bezweifelt werden. Lenk trifft sich in diesem Vorschlag mit H . J . M c C l o s k e y (Meta-Ethics and Normative Ethics, The H a g u e 1969). Kurt Weinke (Einige zentrale Probleme der Ethik, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 58,1972,379-396) stellt die Metametaethik Lenks und McCloskeys als eine weitere, höhere Theoriestufe neben die Metaethik, die er eng mit der deskriptiven Ethik verbunden sieht. (S. auch unten Abschnitt 3.3.) 2 3 Alan Gewirth, Metaethics and Moral Neutrality, Ethics 7 8 , 1 9 6 8 , 2 1 4 - 2 2 5 , 2 1 9 . 2 4 Vgl. Κ. Nielsen, Ethics, Problems of, 119. In ähnlicher Weise argumentiert Hans Albert (Ethik und Meta-Ethik. D a s Dilemma der analytischen Moralphilosophie, Archiv für Philosophie 11, 1961,28-63, 47-55). Er setzt voraus, daß Philosophie, will sie relevant sein, sich auf den Boden des Prinzips kritischer Rationalität stellen muß. Die Konzentration auf neutrale Metaethik ist „die Folge einer Überspitzung der Neutralitätsthese" (aaO. 49). Jede Metaethik hingegen, die das Problem der Abgrenzung ihres Gegenstandsbereichs gelöst hat, hat bereits ihre Neutralität aufgegeben. Dann allerdings hat Metaethik einerseits durch ihre linguistische Analyse die Aufgabe, eine Grundlage der Moralphilosophie vorbereitend bereitzustellen (53), andererseits als Metaethik zugleich regulativ-kritisch zu sein, normative Systeme im Rahmen der vorlaufenden metaethischen Entscheidung zum Kriterium der Rationalität kritisch zu würdigen (54 f).
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einige ihrer metaethischen Positionen normative Implikationen oder Konsequenzen haben 2 5 . Hauptaufgabe analytischer Ethik bleibt freilich die Metaethik. Sie klärt, ob eine normative Ethik überhaupt möglich ist. Dann - erst dann - können, auf der Grundlage einer adäquaten Metaethik, rational begründbare normative Aussagen entwickelt werden 2 6 . Die analytische Ethik überwindet auf diese Weise den Bruch, den sie zwischen ihrer Position und der Philosophiegeschichte sah beziehungsweise festsetzte, und kehrt zur normativen Ethik als Ziel der philosophischen Beschäftigung mit der Ethik zurück 2 7 . Die Metaethik, auch wenn sie breiten Raum in der Erörterung einnimmt, ist das legitime Instrumentarium des normativen Ethikers, mit dem er die Bedeutung und Methoden klärt, die ihm in seiner normativen Ethik begegnen 28 .
2 5 Vgl. Kai Nielsen, Speaking of Morals, The Centennial Review of Arts and Science 2 , 1 9 5 8 , 414-444, 416f; R. C. Salomon, Normative and Meta-Ethics, 97f, 100, 105-107. In dieselbe Richtung argumentiert R. L. Cunningham. Er hält es für ein Ergebnis der analytisch-ethischen (metaethischen) Diskussion, daß die rationale Basis aller Ethik gegen allen Relativismus betont herausgestellt wird (Can Metaethics Advance Ethics?, 323 f). 2 6 Diesen Weg schlägt R. B. Brandt ein, vgl. Ethical Theory, 4—10; auch Κ. Nielsen, Ethics, Problems of, 119. 2 7 Vgl. die These Ε. M. Adams', Metaethik beschäftige sich mit den traditionellen Problemen der Moralphilosophie, freilich nachdem sie zuvor in metaethische Terminologie übersetzt wurden (Classical Moral Philosophy and Metaethics, Ethics 74, 1964, 97-110; vgl. auch R. L. Cunningham, Can Metaethics Advance Ethics?, 306). Neuerdings betont Norbert Hoerster den Zusammenhang von normativer Ethik und Metaethik innerhalb der Moralphilosophie (der Ethik, wie er sie definiert). Er versteht beides als einander nachgeordnete Tätigkeiten des Ethikers, die er beide übernehmen muß, um seiner Aufgabe gerechtzuwerden, zur letztmöglichen Begründung ethischer Auffassungen vorzudringen (Ethik und Moral, 10). 2 8 A. Gewirth, Metaethics and Moral Neutrality, 223. Kritisch beurteilt F. Kaulbach dieses normative Engagement der analytischen Ethiker: Sie behandeln normative Fragen; lehnen es seiner Meinung nach jedoch ab, ihren „Stand" auf dem Boden der praktischen Vernunft zu nehmen (Ethik und Metaethik, 48 f; vgl. die Diskussion dieses Problems 38—49).
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TEIL 2
Positionen und Entwicklungen Nachdem im vorangehenden Abschnitt die Grundzüge der Arbeitsweise analytischer Ethik geklärt und ihr Arbeitsfeld beschrieben wurden, ist es nun notwendig, an Hand einzelner Positionen einen Uberblick über die Entwicklungstendenzen dieser Disziplin zu geben. Die Metaethik, die Moralphilosophie, wie sie im Bereich der sprachanalytisch orientierten Philosophie Gestalt gewonnen hat, stellt das Material dar, von dem diese Arbeit ausgeht. Der nun folgende historisch-systematische Überblick wird daher dort ansetzen müssen, w o diese Metaethik zum erstenmal zum Leitthema ethischer Untersuchungen geworden ist. (Partielles Thema der Moralphilosophie war sie ja schon seit den Tagen des Sokrates, Piaton und Aristoteles. Nur war sie in der Philosophiegeschichte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts immer mit normativ-ethischen Analysen vermengt 1 .) 2.1. Intuitionismus
versus
Naturalismus
1. G. E. Moore. Metaethik in dem hier gemeinten Sinn beginnt mit George Edward Moore 2 .1903 erscheint sein Buch „Principia Ethica", die Schrift, die man als Beginn analytischer Metaethik bezeichnen kann, auch wenn die sprachanalytischen Elemente, die er verwendet, noch nicht den Charakter einer umfassenden Analyse umgangssprachlicher Sätze besitzen 3 . In einer 1 Vgl. oben, Abschnitt 1.2. Anm. 27; auch Norbert Hoerster, Vorwort, in G. E. Moore, Grundprobleme der Ethik (Ethics, London 1912, dt.), München 1975, 7-17,11 f. - Zu dem nun folgenden historischen Abriß der Entwicklung der analytischen Ethik vgl. das sehr gründlich argumentierende Buch von Hans Biesenbach, Zur Logik der moralischen Argumentation. Die Theorie Richard M. Hares und die Entwicklung der Analytischen Ethik, Düsseldorf 1982, das parallel zu dieser Arbeit entstanden ist. Biesenbach konzentriert sich stärker, als ich es tue, auf den Entwicklungsgang der analytischen Ethik, den er in der Theorie R. M. Hares (s. unten Abschnitt 2.3.) kulminieren sieht. Von dessen Theorie aus nimmt er in seinen abschließenden Thesen (aaO. 261-272) unmittelbar die theologische Ethik in den Blick und weist ihr ihren Platz zu. Er unterscheidet sich darin von dem hier eingeschlagenen Weg, eine in der Auseinandersetzung mit der analytischen Ethik gewonnene metaethische Konzeption anhand der Bestimmung des Verhältnisses von Moral und Religion zu überprüfen und in diesem Prozeß eine theologische Metaethik zu erarbeiten bzw. die metaethischen Grundlagen christlicher Ethik zu klären. Der Dialog über die unterschiedlichen Ergebnisse beider Arbeitsgänge könnte fruchtbar sein. Er soll aber nicht mehr in dieser Arbeit begonnen werden. 2 1873-1958. Von 1911 bis 1939 dozierte er Philosophie an der Universität Cambridge. 3 Erörterungen der Bedeutung eines Wortes begreift er als Aufgabe der Linguistik, nicht der Philosophie (Principia Ethica, dt. Ausg., 30, § 2).
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Situation, in der auch die Moralphilosophie in England unter den Einfluß des in der Philosophie insgesamt vorherrschenden späthegelianischen Idealismus geraten war, findet sich Moore nicht ab mit Theorien wie der Francis Herbert Bradleys, in denen die fundamentalen ethischen Aussagen letztlich von metaphysischen Aussagen abgeleitet werden, so daß alles einzelne ethische Handeln und Urteilen bloß Teil der Verwirklichung des „wahren Selbst" oder des universalen Guten in der Welt ist 4 . Im Gegensatz dazu will Moore schlicht eine subtile Analyse der „grundlegenden Prinzipien des ethischen Vernunftgebrauchs" erkennen und damit „Prologomena zu einer jeden künftigen Ethik, die als Wissenschaft wird auftreten können", schreiben 5 . Er definiert die Ethik als „die allgemeine Untersuchung dessen, was gut ist" 6 . Sie umfaßt nicht nur eine Theorie des guten oder richtigen Verhaltens, sondern ebenso eine Theorie des Guten an sich. Daher stellte sie - in dieser Reihenfolge - zwei Fragen, auf die sie mit ihrer ganzen Arbeit eine Antwort geben muß: (a) Was ist gut? 7 (b) Was sollen wir tun? 8 Von Einfluß sind insbesondere Moores Erörterungen zur ersten Frage 9 . Hier liegen diejenigen Aussagen vor, die als Bruch mit der bisherigen Ethik angesehen wurden und damit den Anlaß zur analytischen Moralphilosophie gegeben haben. Insbesondere zwei Aussagenkomplexe sind hier von Bedeutung. Der eine formuliert Moores Antwort auf die Frage, was gut sei. Den zweiten bildet ein Argument, das in diesem Zusammenhang verwendet wird, um die bisherigen moralphilosophischen Theorien als unzureichend, ja falsch zu erweisen. Die Frage, was gut sei, wird häufig so verstanden, als werde eine Definition von „gut" gesucht, gemeinhin so, daß andere Wörter die Bedeutung des Wortes „gut" wiedergeben sollen. Dies jedoch lehnt Moore ab. Er ist der Uberzeugung, daß die letzte Antwort auf die Frage, was gut sei, laute: „gut ist gut" und daß damit „die Sache erledigt" sei 1 0 . Eine Definition ist also nicht möglich. „ G u t " ist vielmehr ein einfacher, nicht analysierbarer und nicht definierbarer Begriff, der wie der Begriff „gelb" nicht auf zugrundeliegende 4 A a O . 164, § 66; vgl. F. H . Bradley, Ethical Studies (1876), O x f o r d 1962, 72, 174 uö. Zu Bradley vgl. F. Kaulbach, Ethik und Metaethik, 50-57. 5 A a O . 5, Vorwort. 6 A a O . 30 f, § 2. 7 „Was für Dinge sollen um ihrer selbst willen existieren?", aaO. 4, Vorwort; 31, § 2. 8 „Was für Handlungen sollen wir ausführen?" (aaO. 4, Vorwort). Diese Frage ist eine Frage nach dem guten Verhalten und daher der ersten Frage nachgeordnet. Ohne die erste Frage beantwortet zu haben, kann die zweite nicht adäquat verstanden und behandelt werden (aaO. 30 f, § 2). 9 Auf diesem Gebiet lag das eigentlich N e u e der Moralphilosophie Moores. Daher fand es die größere Aufmerksamkeit. Seine Ausführungen zur praktischen Ethik bewegen sich in den Bahnen des traditionellen, die Konsequenzen ethischen Handels kalkulierenden Utilitarismus (vgl. aaO. Kap. V, 204 ff, und G . E. Moore, Grundprobleme der Ethik, bes. Kap. I, II und V). D a s letztgenannte Buch beschäftigt sich stärker mit den Fragen praktischer Ethik. Die geringere Verbreitung, die es im Vergleich zu Principia Ethica fand, ist Ausdruck der Tatsache, daß Moores Überlegungen zur praktischen Ethik geringere Aufmerksamkeit zuteil wurde. 1 0 Principia Ethica, 36, § 6.
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Einzelbestandteile zurückgeführt werden kann 1 1 . „Gut" ist - wie „gelb" eine Eigenschaft 12 , die einem Gegenstand zugeschrieben wird, ohne daß sie durch den Verweis auf eine andere Eigenschaft dieses Objektes definiert werden kann 1 3 . Sie läßt sich nicht auf natürliche Eigenschaften zurückführen und muß daher als nichtnatürliche Eigenschaft gelten 14 . Wenn dies so ist, dann besteht die einzige Möglichkeit, sie wahrzunehmen, darin, sie intuitiv zu erkennen 15 . Man ist sich dessen, was gut ist, entweder unmittelbar bewußt oder eben nicht. Aber es gibt keine Möglichkeit, es jemand einsichtig zu machen, der sich dessen nicht unmittelbar bewußt ist. Aus dieser Position Moores ergibt sich zwangsläufig die Negation davon abweichender philosophischer Anschauungen. In der Abwehr und Kritik seiner Meinung nach unzutreffender Ansichten liegt seine Stärke. Dort ist er sehr viel ausführlicher, während er zur positiven Formulierung seiner eigenen Ansicht kaum mehr als das eben Referierte sagt. Für grundlegend falsch hält er alle Versuche, „gut" zu definieren, indem man es als Funktion einer anderen, natürlichen Eigenschaft zu beschreiben versucht. Wer meint, damit „gut" definieren zu können, begeht den „naturalistischen Fehlschluß" 1 6 . Beispiele dafür sind, „gut" mit Lust oder „gut" mit dem, was begehrt wird, gleichzusetzen. Als Fehlschluß gilt dieses Verfahren, weil der Versuch unternommen wird, eine komplexe Eigenschaft auf einen Bestandteil zu reduzieren und damit eine Eigenschaft, die nur einen Teil darstellt, mit dem Ganzen identisch zu sehen 17 . Einen ähnlichen Fehlschluß beginge man, wenn man „gelb" mit den Lichtschwingungen gleichsetzte, die das menschliche Auge AaO. 36f, § 7, vgl. 53, § 15. Moore gelangt zu diesem Gedanken, indem er auf den adjektivischen Charakter des Begriffs „gut" reflektiert. Ein Adjektiv bezeichnet eine Eigenschaft eines Substantivs (aaO. 38 f, 11
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s 9)·
1 3 Beide Theorien, der Nonnaturalismus Moores und der von ihm angegriffene Naturalismus setzen eine referentielle Bedeutungstheorie voraus. Ein Wort muß irgendwo in der Realität einen Bezugspunkt haben, andernfalls besitzt es keine Bedeutung. Im Fall der metaethischen Theorien ist es einmal eine nur intuitiv erkennbare nichtnatürliche Eigenschaft, ein andermal eine natürliche Eigenschaft, auf die sich ethische Urteile oder das Wort „gut" beziehen. Wenn diese Bedeutungstheorie fällt, sind auch die beiden metaethischen Theorien, die darauf aufbauen, nicht mehr zu halten (vgl. W. D. Hudson, Modern Moral Philosophy, London/Basingstoke 1970, 65 f). 1 4 Vgl. etwa G. E. Moore, Principia Ethica, 44, § 12. 1 5 Moore legt Wert darauf, nicht als „,Intuitionist' im üblichen Sinne des Wortes" (aaO. 6) betrachtet zu werden. Er wehrt damit das mögliche Mißverständnis ab, als wolle er behaupten, die Antworten auf seine zweite Frage („Was sollen wir tun?") würden durch Intuition erkannt. Antworten auf diese Frage will er ausschließlich durch Kalkulation der Folgen einer Handlung auf dem Hintergrund des Wissens um das, was gut ist - gewinnen (vgl. oben Anm. 9; auch aaO. 211 f, § 90). Wenn er sagt, was gut sei, werde durch Intuition erkannt, will er lediglich betonen, daß Urteile darüber unbeweisbar sind (aaO. 6, Vorwort). 1 6 AaO. 41, § 10. 1 7 Burkhard Wisser bringt Moores Argument auf den begrifflichen Gegensatz von Teilhabe (methexis) und Identität. Vgl. das Nachwort zur deutschen Ausgabe von Principia Ethica, 319f; auch Moores Erörterung über das Ganze und seine Teile, aaO. 61-73, § 18-23.
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reizen, wenn es die Farbe „gelb" wahrnimmt. Die Lichtschwingungen sind an dem Prozeß beteiligt, den die Wahrnehmung von „gelb" darstellt, aber sie sind nicht mit ihr identisch 1 8 . Der Fehlschluß heißt „naturalistisch", weil und sofern er versucht, „gut" durch Reduktion auf natürliche Eigenschaften zu definieren 1 9 . Daß bei den Versuchen, „gut" zu definieren, nicht nur eine Meinungsverschiedenheit über die richtige Definition, die richtige Analyse eines komplexen Ganzen vorliegt, sondern daß der Versuch zu definieren selbst schon falsch ist, erweist eine einfache Überlegung. Wie auch immer man die Eigenschaft „gut" (das definiendum) zu definieren versucht, durch den Verweis auf welche andere, natürliche Eigenschaft auch immer (als definiens), stets bleibt die Möglichkeit, zu fragen, ob das, als was „gut" definiert wurde, das definiens, selbst gut ist 2 0 . Man kann „gut" zu definieren versuchen, indem man sagt, es sei etwas, was begehrenswert sei. Dann bleibt jedoch die Möglichkeit offen, zu fragen, ob das, was begehrenswert sei, auch gut sei. Die Frage, ob etwas gut sei, ist einer Antwort nicht dadurch näher gekommen, daß man die Auskunft erteilt hat, gut sei etwas, was begehrenswert sei. Da weiterhin gefragt werden kann, ob das, was begehrenswert ist, wirklich gut ist, wurde „gut" nicht definiert, sondern lediglich eine terminologische Verschiebung durchgeführt, die nicht als Definition bezeichnet werden kann 2 1 . Man hat dieses Argument, das Moore verwendet, um die Fehlerhaftigkeit einer naturalistischen Definition zu erweisen, das „Argument der offenen Frage" genannt 2 2 . Mit diesem Argument meint Moore alle oder fast alle bisherige Moralphilosophie als falsch erweisen zu können, weil sie auf der einen oder anderen Form eines naturalistischen Fehlschlusses beruhe 2 3 . 1 8 A a O . 40, § 10. Ein anderes Beispiel hilft zu weiterer Klärung: Zu sagen, die Apfelsine sei gelb, heißt nicht, die Bedeutung von „gelb" und „Apfelsine" gleichzusetzen. Ebensowenig meint die Behauptung, die Apfelsine sei auch süß, daß „süß" und „gelb" identisch seien (aaO. 45, § 12). 1 9 In David Humes Terminologie: Ein Sollen soll auf ein natürliches Sein zurückgeführt werden. (Vgl. F. Kaulbach, Ethik und Metaethik, 6 8 ; zu H u m e und den sich von ihm herleitenden Formulierungen der Sein-Sollens-Problematik vgl. unten Abschnitt 3.4.) 20 21
G. E . Moore, Principia Ethica, 46, § 13. Vgl. aaO. 47, § 13.
2 2 „Open-question argument", George C . Kerner, The Revolution in Ethical Theory, O x ford 1 9 6 6 , 1 6 . 2 3 Der einzige Philosoph, den er von seiner Kritik ausnimmt, ist H e n r y Sidgwick, der ähnlich wie Moore selbst „gut" als nicht analysierbaren Begriff betrachtet (vgl. H . Sidgwick, Methods of Ethics, London 1874, Buch I, Kap. III, 1; ihn erwähnt Moore in Principia Ethica, 4 9 A n m . 5, § 14). Als Philosophen, die den Fehlschluß begehen, nennt Moore ausdrücklich Jeremy Bentham (aaO. 4 9 - 5 2 , § 14), John Stuart Mill (50, § 1 4 ; 77, § 2 6 ; llOf, § 4 0 uö.), später Herbert Spencer (85, § 2 9 ; 8 7 - 1 0 0 , § 3 1 - 3 4 ) . W . K. Frankena hat in einer sehr gründlichen Analyse der Mooreschen Vorstellung des naturalistischen Fehlschlusses (The Naturalistic Fallacy, Mind 48, 1939, wieder abgedr. u.a. in Ph. F o o t , Hg., Theory of Ethics, London 1967, 5 0 - 6 3 , dt. Der naturalistische Fehlschluß, in G. Grewendorf u. G. Meggle, H g . , Seminar: Sprache und Ethik, 8 3 - 9 9 ) überzeugend nachgewiesen, daß man davon nicht als von einem logischen Fehlschluß sprechen kann. Wollte man dies zu behaupten versuchen, so müßte man ein von dieser
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Diese Bemerkungen zu Moores Moralphilosophie können für den Zweck dieses Uberblicks genügen. Es ist nicht nötig, ausführlich auf die Antwort einzugehen, die er auf die zweite seiner Fragen, die Frage „Was sollen wir tun?", gibt 2 4 . 2. Die Bedeutung Moores für die analytische Ethik. Moores Bedeutung für die Entwicklung der analytischen Ethik liegt nämlich völlig in dem begründet, was er zum Status des Wortes „gut" als Bezeichnung der für die Ethik grundlegenden Eigenschaft sagt. In zweierlei Hinsicht wurde er zum Ausgangspunkt der analytischen Ethik, (a) Man folgte seiner Ansicht, daß es einen deutlichen Bruch zwischen dem Hauptstrom moralphilosophischer Tradition und der in der Gegenwart notwendigen Weise, Moralphilosophie zu betreiben, gibt. Diese Uberzeugung prägt bis in die jüngste Zeit einen großen Teil der Arbeit analytischer Ethiker. (b) Zugleich mit dieser Überzeugung zieht sich die Kritik am Naturalismus durch die analytische Moralphilosophie bis in die letzten Jahre durch. Erst in jüngster Zeit gibt es Ausnahmen von der Regel, daß analytische Ethik antinaturalistisch ist 25 . Der breitere Strom analytischer Ethik verwendet Moores Argument des naturalistischen Fehlschlusses oder bietet eine verbesserte Form dieses Arguments dar, um die Formen des Naturalismus abzuweisen. Verbesserungen der Argumente Moores waren notwendig, sobald erkennbar wurde, daß sie ihr Ziel, die logische Unmöglichkeit des Naturalismus zu zeigen, nicht erreichen können, sondern im Grund nur die von Philosophen vor Moore versuchten naturalistischen Definitionen des Guten als unzureichend erweisen. Moores Argument der offenen Frage ist richtig, wenn es die Gleichsetzung von „gut" Behauptung unabhängiges Wissen darüber voraussetzen, daß „gut" eine nicht definierbare Eigenschaft ist. Dies aber soll durch die Denkfigur des naturalistischen Fehlschlusses allererst nachgewiesen werden. M a n begeht, wenn man das T h e o r e m des naturalistischen Fehlschlusses oder Definitionsfehlschlusses, wie Frankena präziser zu sagen versucht (aaO. 91) - so versteht, also eine petitio principii (94). Frankena bestreitet damit die Beweiskraft dieses Arguments. Seiner Ansicht zufolge liegt nichts anderes vor als der Gegensatz zweier grundsätzlicher Positionen: der intuitionistischen und der definistischen. Die erste behauptet, daß man die einzigartigen Eigenschaften wahrnehmen könne, die hinter den ethischen Ausdrücken stehen. Die andere bestreitet dies und sieht sich darauf zurückgeworfen, die Bedeutung ethischer Ausdrücke mit Hilfe von Definitionen durch andere Eigenschaften zu sichern. Das Argument des Fehlschlusses - ebenso könnten die Definisten von dem intuitionistischen Fehlschluß sprechen - ist solange nicht stichhaltig, solange nicht entweder gezeigt werden kann, daß alle Menschen, auch Definisten, die einzigartigen Eigenschaften hinter ethischen Ausdrücken wahrnehmen können - dann hätten die Intuitionisten recht - , oder aber gezeigt werden kann, daß die Wahrnehmung solcher Eigenschaften selbst unmöglich ist - in diesem Fall wäre die definistische Position begründet. Solange keines von beidem gezeigt werden kann, ist die Rede von „Fehlschlüssen" nur die sich logisch gerierende Einkleidung einer grundsätzlichen Behauptung (aaO. 9 5 - 9 8 ) . 2 4 Einige Bemerkungen dazu sind oben (Anm. 9) bereits gemacht. Eine sehr knappe Zusammenfassung findet sich bei Annemarie Pieper, Analytische Ethik. Ein U b e r b l i c k über die seit 1900 in England und Amerika erschienene Ethik-Literatur, Philosophisches Jahrbuch 78/1, 1971,144-176,146f. 25
Vgl. dazu unten Abschnitt 2.6.
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und „glückbringend", „lustbringend" - oder auch „dem Willen Gottes gemäß" 2 6 - zurückweist. Damit ist jedoch nur gezeigt, daß diese Gleichsetzungen falsch sind. Wird das Argument so verstanden, als stütze es den globalen Anspruch des Vorwurfs eines naturalistischen Fehlschlusses, dann hat man seine Grenze überschritten. Dann ist es nicht mehr als die Behauptung, daß (moralisch) „gut" und ein beliebiges anderes Prädikat nicht völlig deckungsgleich sein können - eine linguistisch-semantische These, die nicht notwendig jeglichen ethischen Naturalismus verurteilt, sondern lediglich diejenigen (definistischen) Formen des Naturalismus, die eine sehr einfache Gleichsetzung von „gut" und natürlichen Eigenschaften vornehmen 27 . Solche Überlegungen führten zu Einschränkungen und Modifikationen der Thesen Moores. Sie brauchen hier nicht referiert zu werden. Eine Bemerkung ist noch nach nachzutragen. Bei aller positiven Anknüpfung späterer analytischer Ethiker an Moore fand er jedoch kaum Nachfolger in der intuitionistischen metaethischen Theorie, die er vertrat 28 . Die Annahme einer eigenständigen Wahrnehmungsweise moralischer Werte, der Intuition, widerspricht dem empiristischen Grundsatz, mit möglichst wenigen zusätzlichen ontologischen und epistemologischen Annahmen die Welt zu beschreiben und zu erklären. Im weiteren Verlauf der Debatte um die adäquate Metaethik verfiel diese Theorie daher der Kritik. Andere Theorien über die Natur des ethischen Urteils traten an ihre Stelle. 2.2.
Emotivismus
Der Intuitionismus nahm an, daß moralische Aussagen Feststellungen über bestimmte, wenn auch nicht-natürliche Fakten sind. Ein moralisches Urteil zu fällen heißt, einem Sachverhalt moralische Qualität zuzuschreiben, von ihm zu behaupten, daß er bestimmte, nichtnatürliche Eigenschaften besitzt, die ihm seinen moralischen Charakter und Wert oder Unwert verleihen. Mit diesem Verständnis der Moral mußte man in Konflikt geraten, wenn man seine Philosophie auf dem Boden des logischen Positivismus entwickelte. Denn diese philosophische Richtung, die ihre Wurzel im Wiener Kreis der 20er und 30er Jahre dieses Jahrhunderts hat 29 und weitere 2 6 Eine derartige Definition beruht Moore zufolge ebenfalls auf einem naturalistischen Fehlschluß (Principia Ethica, 76, § 2 5 ; 1 6 7 - 1 7 0 , § 67), wenn man nicht - wie Kaulbach (Ethik und Metaethik, 69) es tut - von einem „supernaturalistischen Fehlschluß" sprechen will. 2 7 Vgl. K. Nielsen, Ethics, History of, in P. Edwards, Hg., Encyclopedia of Philosophy, Vol. 3, 100—102; Κ. Nielsen, Ethics, Problems of, 1 2 7 - 1 2 9 ; G. J. Warnock, Contemporary Moral Philosophy, London/Basingstoke 1967, 4 - 9 ; W . D . Hudson, Modern Moral Philosophy, 6 6 - 8 7 ; auch F. Kaulbach, Ethik und Metaethik, 6 5 - 8 4 . 2 8 Η . A . Prichard und W . D. Ross sind hier allerdings als Intuitionisten zu nennen. 2 9 Namen, die man hier nennen muß, sind Moritz Schlick, Rudolf Carnap, Friedrich Waismann, O t t o Neurath, Karl Popper und Viktor Kraft. Uber Moritz Schlick in Verbindung mit dem Wiener Kreis und von starkem Einfluß auf ihn ist der Wittgenstein des Tractatus (vgl. Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Oxford 1959, dt. Frankfurt 1960, Erst-
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Verbreitung dann im angelsächsischen Raum besitzt 30 , legt präzise und enger als andere Richtungen fest, wann einer Aussage Bedeutung zukommt. Sie kennt letzten Endes nur zwei Arten von sinnvollen Sätzen. Die eine Gruppe besteht aus Sätzen, die auf analytischem Weg zu verifizieren sind, indem man die Definitionen der in dem Satz verwendeten Zeichen anstelle der Zeichen selbst in die Aussage einsetzt. Erweist sich der Satz als tautologische Aussage, dann ist er wahr und somit sinnvoll. (Die mathematische Gleichung „2 + 2 = 4" ist in dieser Weise ein wahrer und sinnvoller Satz 31 .) Die andere Gruppe von Sätzen zeichnet sich dadurch aus, daß sie durch empirische Beobachtung verifizierbar oder falsifizierbar sind. (Der Satz „Dieser Tisch hat vier Beine" ist von dieser Art, denn jeder, der die Möglichkeit hat, diesen Tisch zu sehen, zu betasten etc., kann mit Hilfe seiner Sinneswahrnehmung diese Aussage über den Tisch verifizieren oder falsifizieren 32 .) Wenn nur diejenigen Sätze, die entweder analytisch oder empirisch verifizierbar sind, als sinnvoll gelten 33 , ist der Bereich sinnvoller Aussagen stark eingegrenzt. 1. A. J. Ayer. Insbesondere die Ethik gerät in große Schwierigkeiten. Denn moralische Urteile können auf keine der beiden Weisen verifiziert werden. Dies macht Alfred Jules Ayer in dem 1936 erschienenen Buch „Language, Truth and Logic" deutlich 34 . Das positivistische Verifikationsprinzip schließt eine besondere, auf moralische Urteile gerichtete Sinneserfahrung, die Intuition, aus. Da moralische Urteile nach den positivistischen Prinzipien also nicht überprüft werden können, sind sie bedeutungslos. Die in ihnen enthaltenen moralischen Begriffe fügen dem deskriptiven, mit Bezug auf Sinneswahrnehmungen nachprüfbaren Gehalt des Satzes nichts hinzu, was seinerseits nachprüfbar wäre. Was durch sie zu einer sachlich„wissenschaftlichen" Aussage 35 hinzukommt, ist nur die Äußerung eines Gefühls 36 . „Du tates Unrecht, als du das Geld stahlst" besagt nicht mehr, als der Satz „Du stahlst das Geld" beinhalten würde, wenn man ihn in einem Veröffentlichung 1921). Über den Wiener Kreis informiert Viktor Kraft, Der Wiener Kreis, Wien 1950; kürzer auch Wolfgang Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Eine kritische Einführung, Stuttgart 4. Aufl. 1969, 351-428. 3 0 Der traditionelle angelsächsische Empirismus begünstigte die Aufnahme und Verbreitung des Gedankenguts des logischen Positivismus. Zu den bedeutendsten Vertretern dieser Richtung, die bis heute Nachwirkungen hat, gehören in der ersten Zeit - neben den aus Österreich ausgewanderten Philosophen - besonders Alfred Jules Ayer, Bertrand Russell und (der frühe) Ludwig Wittgenstein. 3 1 Vgl. Alfred Jules Ayer, Sprache, Wahrheit und Logik (Language, Truth and Logic, L o n d o n 1936, dt.), Stuttgart 1970, Einleitung zur 2. Aufl. 1946, 24-26. 3 2 Vgl. aaO. 9-23. 3 3 A a O . 10. Vgl. zur Problematik des Verifikationsprinzips W. D . Hudson, Modern Moral Philosophy, 33-36. 3 4 L o n d o n 1936,17. Aufl. 1967. 3 5 Herbert Herring, der deutsche Ubersetzer des Buches von A. J. Ayer, gibt Ayers Ausdruck „literal meaning" mit „wissenschaftliche Bedeutung" wieder (vgl. passim). 3 6 Vgl. aaO. 135.
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Tonfall des Entsetzens ausspräche37. Die moralischen Begriffe sind nach Ayers Meinung nicht „wissenschaftlich" bedeutungsvoll und daher „sinnlos". Sie erfüllen lediglich die beiden Funktionen, „Empfindungen über bestimmte Gegenstände auszudrücken" und „Empfindungen hervorzurufen, um so Handlungen anzuregen" 38 . Sie fungieren somit als emotionale Begriffe. Sätze, die nur solche Begriffe verwenden und nicht zusätzlich einen propositionalen (Sachverhalte beschreibenden) Inhalt haben, sind unverifizierbar 39 . Umfaßt ein Satz beides, emotionale Moralbegriffe und propositonale Behauptungen, so ist er nur in dem Teil verifizierbar, den die Proposition ausmacht. Der andere Teil bleibt für den rationalen Diskurs unzugänglich. Der Diskurs in moralischen Fragen hat daher lediglich den Teil moralischer Äußerungen zum Gegenstand, der sich mit Tatsachenfragen beschäftigt. Uber Wertfragen läßt sich nicht diskutieren40. Alles weitere Argumentieren ist nur innerhalb einer Gemeinschaft möglich, die das gleiche moralische Empfinden teilt und in der moralischen Billigung bestimmter Handlungen und der Mißbilligung bestimmter anderer völlig übereinstimmt. Argumentativ kann dann der Bezug einzelner Handlungen auf bestimmte Prinzipien geklärt werden. Besteht eine Differenz in bezug auf die Moralprinzipien, hat das Argument keinen Platz 41 . Dann kann Diskurs nur noch dazu dienen, „andere Menschen durch eine geeignete Wahl emotionaler Sprache zu beeinflussen" 42 und zu der Annahme der eigenen Einstellung zu bewegen. Die Einengung der Moral auf den Ausdruck von Emotionen und die Beeinflussung der Emotionen anderer ist in der emotivistischen Konzeption Ayers die Folge seines engen Bedeutungsbegriffs. Er schränkt („wissenschaftliche") Bedeutung auf empirisch Nachprüfbares ein. In diesem Sinn bedeutungsvoll ist an moralischen Äußerungen nur deren deskriptiver, der Nachprüfung zugänglicher Bedeutungsanteil. Dann fragt er weiter, welche Bedeutung (im weiteren, nicht auf empirisch Nachprüfbares begrenzten Sinn) moralische Sätze darüber hinaus noch besitzen. Seine Antwort ist: lediglich emotive Bedeutung 43 . 2. Ch. L. Stevenson. Ayers Bemerkungen zur Ethik sind Teil des umfangreicheren Programms, die gesamte Philosophie durch die Einführung analytischer Methoden neu zu begründen und metaphysische, der Verifikation nicht zugängliche Elemente zu eliminieren44. Die Ethik wird daher nur V g l . a a O . 141. A a O . 142 f. G. Grewendorf und G. Meggle übersehen diese doppelte Funktion der Moral in Ayers „Sprache, Wahrheit und Logik". Sie legen Ayer auf die erste der beiden genannten Funktionen fest (vgl. Zur Struktur des metaethischen Diskurses, in G. Grewendorf u. G. Meggle, H g . , Seminar: Sprache und Ethik, 7 - 2 7 , 1 5 ) . 37
38
39 40 43 44
30
Vgl. A . J . Ayer, Sprache, Wahrheit und Logik, 142 f. 4 1 Vgl. aaO. 147 f. Vgl. aaO. 145 f. Im oben beschriebenen doppelten Sinn. Vgl. das V o r w o r t zur ersten Auflage, aaO. 37f.
42
A a O . 31.
knapp behandelt. Das Verdienst, die emotive Theorie der Ethik - unter Modifikation der Thesen früherer Vertreter - ausführlich entwickelt zu haben, kommt Charles L. Stevenson 4 5 zu. Stevenson geht ausdrücklich vom moralischen Diskurs aus, wie er täglich geführt wird 4 6 . Er will dessen Logik erforschen und eine metaethische Theorie entwickeln, die der Vielfalt dieses Diskurses gerecht wird. Dabei konzentriert er sich darauf, die Bedeutung des Wortes „gut" zu analysieren. Drei Forderungen müssen erfüllt sein, so sagt er, wenn eine Theorie der Bedeutung dieses Wortes angemessen sein soll, (a) Sie muß zulassen, daß man im moralischen Diskurs darüber uneins sein kann, ob etwas gut ist. (b) Sie muß der Eigenschaft „gut" eine gleichsam „magnetische Wirkung" zuschreiben, so daß jemand, der etwas als gut erklärt, eine positive Einstellung diesem Gegenstand oder Verhalten gegenüber besitzt und sich dafür einsetzt, (c) Daß etwas „gut" ist, „darf nicht allein durch die Verwendung der wissenschaftlichen Methode verifizierbar sein" 4 7 . Stevensons Anliegen ist es, eine Theorie ethischen Sprechens zu entwerfen, die diese Bedingungen erfüllt. Sie soll in drei Schritten hier entwickelt werden. (a) In seinem Buch „Ethics and Language" geht er von der Beobachtung aus, daß es im ethischen Diskurs sowohl Ubereinstimmung als auch Uneinigkeit geben kann. Er fragt, ob es sich damit ähnlich verhält wie mit Ubereinstimmung und Uneinigkeit hinsichtlich der Aussagen der Naturwissenschaft. Seine Antwort ist: zum Teil ähnlich, aber keinesfalls gleich. U m dies zu verdeutlichen, unterscheidet er zwischen Uneinigkeit in den Uberzeugungen 4 8 und Uneinigkeit in der Einstellung 4 9 . Die Naturwissenschaften - paradigmatisch für weite Bereiche des Lebens, bei denen Einstellungen nicht im Spiel sind - sprechen nur die Uberzeugung an. Divergenzen in den Uberzeugungen lassen sich klären, und es lassen sich Verfahren angeben, mit deren Hilfe es möglich ist, über wahr und falsch zu entscheiden 5 0 . Anders bei Divergenzen in der Einstellung. Dort ist es schwierig, die Ebene zu finden, auf der eine weitere Klärung erreicht werden kann. N u r in einem Fall ist diese Klärung möglich: dann, wenn eine Einstellungsdivergenz in einer Uberzeugungsdivergenz wurzelt. Durch Rückzug auf die zugrundeliegenden Überzeugungen läßt sich dann erkennen, welche der beiden Überzeugungen das größere Recht beanspruchen kann. Die Divergenz kann dann aufgelöst und Übereinstimmung erreicht werden 5 1 . 45
Sein Hauptwerk: Ethics and Language, N e w H ä v e n / L o n d o n 1 9 4 4 , 1 3 . Aufl. 1969.
46
A a O . 13.
4 7 Charles L . Stevenson, The Emotive Meaning of Ethical Terms, Mind 46, 1937, dt. Die emotive Bedeutung ethischer Ausdrücke, in G. Grewendorf u. G. Meggle, H g . , Seminar: Sprache und Ethik, 1 1 6 - 1 3 9 , 1 2 1 . 4 8 „Disagreement in belief", C. L. Stevenson, Ethics and Language, 2. 4 9 „Disagreement in attitude", aaO. 3f. 5 0 In diesem Bereich gilt nach Stevensons Meinung das Verifikationsprinzip des Positi5 1 Vgl. C . L . Stevenson, Die emotive Bedeutung ethischer Ausdrücke, 133. vismus.
31
Falls Divergenzen in ethischen Fragen auftreten, ist immer damit zu rechnen, daß beide der genannten Möglichkeiten im Spiel sein können. Dies macht den Diskurs über moralische Fragen so aufregend, aber auch so schwierig 5 2 . Stevenson hält jedoch die Kombination beider Divergenzen für eine faktische, nicht für eine logisch unvermeidliche Tatsache 5 3 . Logisch ist es leicht möglich, beides zu trennen. Zunächst ist im Fall ethischer Divergenzen allerdings zu beobachten, daß sie in der Regel doppelten Charakter besitzen. Die Frage der Ubereinstimmung in den Uberzeugungen ist nicht leichthin beiseite zu schieben, und sie wird dadurch kompliziert, daß Divergenzen in den Einstellungen auf die Uberzeugungen einwirken 5 4 . Dennoch können Überzeugungsdivergenzen im Prinzip durch empirische Methoden aufgelöst werden. Daher bleibt als entscheidende Divergenz die in der Einstellung. (b) Der Unterscheidung von Überzeugung und Einstellung im moralischen Diskurs entspricht eine Unterscheidung, die Stevenson in der Bedeutung und Funktion der im Diskurs verwendeten Wörter einführt. Im moralischen Diskurs werden Sätze und Wörter verwendet, um über Tatsachen zu berichten und Überzeugungen mitzuteilen. Den Zweck dieser Sätze kann man „deskriptiv" nennen 5 5 . Sie machen zwar nicht notwendig den geringeren, aber auch nicht den spezifischen Teil des moralischen Diskurses aus. Sätze und Wörter werden auch verwendet, um Gefühle auszudrücken, Stimmungen hervorzurufen und zu Handlungen oder Einstellungen anzuspornen. Stevenson nennt dies den „dynamischen" Gebrauch der Wörter 5 6 . Hinter diesem dynamischen Gebrauch von Wörtern sieht er ihre Bedeutung, doch nicht so, daß sie je nach Gebrauch, nach Tonfall und äußeren Umständen verschieden wäre. Er findet vielmehr ein in der Tendenz gleichbleibendes Element in der Bedeutung dieser Wörter, eine „dispositionale Eigenschaft" 5 7 , die den dynamischen Gebrauch sichert. Er nennt dies die „emotive Bedeutung" von Wörtern 5 8 . Sie ist „die Tendenz eines Wortes, affektive Reaktionen in Menschen zu bewirken" 5 9 . Wörter, die emotive Bedeutung besitzen, werden in diesem dynamischen Sinn gebraucht. „Je ausgeprägter
C . L . Stevenson, Ethics and Language, 11. A a O . 6. Mir scheint fraglich, ob man eine logische Verknüpfung beider Divergenzen so leicht ausschließen kann. Der Augenschein spricht dagegen. In vielen ethischen Auseinandersetzungen ist es gerade nicht möglich, diese einfache Unterscheidung zu treffen. Es sieht vielmehr so aus, als wären Fragen der Einstellung und der Uberzeugung so eng ineinander verwoben, daß die Trennung nicht möglich ist. Die grundlegende Einstellung und die Art, die Welt zu sehen, hängen unmittelbar zusammen oder sind identisch. (Vgl. dazu unten die Abschnitte 3.6. und 5.5.) W . D . Hudson kommt von einem praktischen Beispiel (der Diskussion um die Enzyklika „Humanae vitae") zu der gleichen Überlegung (vgl. Modern Moral Philosophy, 1 1 8 - 1 2 0 ) . 52 53
54 55 56 59
32
Vgl. C . L. Stevenson, Ethics and Language, 1 1 - 1 3 . C . L . Stevenson, Die emotive Bedeutung ethischer Ausdrücke, 124 f. 5 7 A a O . 126. 5 8 AaO. 125-127. Ebd. A a O . 127; die Hervorhebung wurde getilgt.
die emotive Bedeutung eines Wortes ist, desto unwahrscheinlicher ist sein rein dekriptiver Gebrauch." 6 0 Beide Bedeutungen sind also unmittelbar auf die jeweils entsprechende Gebrauchsweise des Wortes bezogen. Von zentraler Bedeutung ist dabei für Stevenson die Frage, was ein solcher Gebrauch des Wortes bewirkt, nicht nur, was er beschreibt 6 1 . Es macht nicht etwa die Besonderheit von Moralurteilen aus, daß sie beschreiben, daß jemand eine bestimmte Einstellung besitzt und welche er besitzt 6 2 . Im Zusammenhang der Moral sieht Stevenson die Wirkung von Wörtern mit emotiver Bedeutung vielmehr darin, daß sie Emotionen hervorrufen 6 3 , dadurch Einstellungen entstehen lassen 64 oder sie verändern und intensivieren und somit Handeln beeinflussen 65 . (c) Gerade an dieser Wirkungsweise moralischer Aussagen liegt es, daß sie nicht mit den Methoden der Wissenschaft zu verifizieren sind. Mit ihrer Hilfe ist nur der deskriptive Gebrauch eines Wortes zu überprüfen und entsprechend zu definieren. Der Erfolg der dynamisch gebrauchten Wörter mit emotiver Bedeutung ist allein daran abzulesen, ob und wie gut sie ihr Ziel, die gewünschte Einstellung hervorzurufen oder zur erstrebten Handlung zu veranlassen, erreichen. Die meisten moralischen Begriffe, die in moralischen Zusammenhängen verwendet werden, besitzen eine große Bedeutungsbreite und umfassen sowohl deskriptive wie emotive Bedeutungen 6 6 . Diese Bedeutungsbreite und die vage Festlegung der deskriptiven Bedeutung vieler im Bereich der Moral gebrauchter Begriffe erlaubt es, solche Begriffe zu benutzen, um eine Einstellungsänderung herbeizuführen. Stevenson nennt diesen Vorgang eine „persuasive Definition". Er beschreibt sie folgendermaßen: Ein in seiner deskriptiven Bedeutung sehr vager Begriff mit sehr starker emotiver Bedeutungskomponente wird hinsichtlich seiner deskriptiven Bedeutung präzisiert. Seine emotive Bedeutung wird beibehalten. Auf der Ebene der Überzeugungen wird eine Divergenz ausgeräumt und eine Definition vorgeschlagen, die dem Gesprächspartner akzeptabel ist. Man vertraut darauf, daß im Zusammenspiel von deskriptiver und emotiver Bedeutung diese NeudefiniEbd. W . D . Hudson spricht - unter Verweis auf zahlreiche Textbelege bei Stevenson - zu Recht davon, daß Stevensons Moraltheorie eine psychologisch-kausale Theorie der Bedeutung von Wörtern zugrunde liegt. Sie beschreibt die Bedeutung eines Wortes durch die psychologischen Prozesse, aufgrund deren der Sprecher das W o r t gebraucht und die durch das W o r t im H ö r e r ausgelöst werden, und nicht als die logische Bedeutung im Zusammenhang eines Diskurses. Nicht das Verstehen eines Wortes zu beschreiben ist Zielpunkt, sondern unmittelbar die Auswirkungen auf das Denken und Verhalten des Hörers (vgl. Modern Moral Philosophy, 3 7 44,122-125). 60
61
62 63 64
C . L. Stevenson, Die emotive Bedeutung ethischer Ausdrücke, 121 f. C . L . Stevenson, Ethics and Language, 59. A a O . 33.
C . L . Stevenson, Die emotive Bedeutung ethischer Ausdrücke, 121 f. Beispiel dafür ist „gut" in Sätzen wie „Ölzeug zu tragen ist ein gutes Mittel, in einem Sturm trocken zu bleiben" oder „x ist ein guter Mensch" (vgl. Stevenson, Ethics and Language, 8 3 - 8 5 ) . 65 66
33
tion sich so auswirkt, daß die emotive Bedeutung auf die neue Deskription bezogen wird und die Einstellung des Gesprächspartners in dieser Weise eine neue Orientierung erhält 6 7 . (Die Bedeutung, die Stevenson diesem Verfahren der persuasiven Definition für die Ethik beimißt, ergibt sich aus seiner Annahme, daß es sich in allem ethischen Diskurs vornehmlich um Divergenzen in der Einstellung handelt. Der ethische Diskurs benötigt daher dringend Mittel, diese Divergenzen auszuräumen 6 8 .) Die Funktion des moralischen Urteils ist in erster Linie also nicht, Uberzeugungen zu formulieren und zu übermitteln, sondern (mit dem Mittel der persuasiven Definition oder mit anderen Mitteln 6 9 ) die Einstellung von Menschen zu beeinflussen. Die Stärke des Emotivismus Stevensons ist es, den Bezug der Moralurteile auf Emotionen und Einstellungen des Sprechers und Hörers zu verdeutlichen 7 0 . Seine Schwäche ist es jedoch, diesen Bezug zu einlinig und undifferenziert und auf dem Hintergrund der doch fragwürdigen psychologischen Bedeutungstheorie zu machen 7 1 . Die Kritik, die an Stevenson geübt werden kann, läßt sich ganz knapp zusammenfassen: Stevenson betont zu stark den in bezug auf menschliches Verhalten kausalen Charakter der Moral, und er vernachlässigt ihren rationalen Charakter. Seiner Meinung zufolge ist es das Ziel moralischen Redens, Einfluß auf Urteile und Verhalten anderer Menschen auszuüben. Wendet man die linguistische Sprechakttheorie John L. Austins 7 2 an, so muß man sagen, Stevenson interessiert ausschließlich der perlokutionäre Akt, das, was durch die Äußerung eines Satzes bewirkt wird, was auf sie folgt und was an Verhalten durch sie ausgelöst wird, und nicht eigentlich der illokutionäre Akt, das, was im Äußern eines Satzes geschieht 7 3 . Das erste ist eine rein Vgl. aaO. 21 Of, vgl. auch Stevensons Beispieldiskurs über den Begriff der Kultur, 211. C. L. Stevenson, Die emotive Bedeutung ethischer Ausdrücke, 1 3 2 - 1 3 6 . 6 9 Die Erörterung der logischen, rationalen und nichtrationalen psychologischen Weisen, eine Ubereinstimmung zwischen Diskursteilnehmern herbeizuführen, bleibt hier ausgeklammert. Ich verweise auf die Darstellung bei W . D . Hudson, Modern Moral Philosophy, 130 f. 67
68
7 0 Dies bezeichnet auch Roger Scruton (Attitudes, Beliefs and Reasons, in J. Casey, Hg., Morality and Moral Reasoning, London 1971, 2 5 - 1 0 0 , 95) als den Vorzug des Emotivismus gegenüber dem Naturalismus. E r geht über diese Aussage hinaus und behauptet, daß es kein verbindliches Kriterium für die Anwendung moralischer Begriffe auf bestimmte Sachverhalte gibt, und er sieht damit den Naturalismus als widerlegt an. 7 1 Die Kritik der Bedeutungstheorie Stevensons kann hier nicht im einzelnen dargelegt werden. Für die Bedeutung eines Wortes ist es sicher nicht unwesentlich, durch welchen psychologischen Prozeß sie entstanden ist oder welchen sie selber initiiert, aber die Bedeutung ist nicht völlig mit diesen Prozessen identisch. E s gibt andere Elemente, die die Bedeutung eines Wertes bestimmen. Dazu unten, vgl. auch W . D . Hudson, Modern Moral Philosophy, 1 4 0 142. 7 2 Vgl. J o h n L. Austin, H o w to D o Things with Words, und die Zusammenfassung bei Eike von Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache, 1 2 7 - 1 6 6 , bes. 1 2 7 - 1 3 6 . 7 3 Auf die Bedeutung dieses Unterschieds für die im nächsten Abschnitt zu besprechende Theorie R. M . Hares verweisen G. Grewendorf und G. Meggle, Zur Struktur des metaethischen Diskurses, 19.
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faktische Frage, von vielen a priori nicht erfaßbaren Imponderabilien beeinflußt. Nur das zweite, der illikutionäre Akt, ist von logischen Regeln bestimmt und somit der eigentliche Gegenstand einer sprachanalytisch orientierten Philosophie. Die Folgen, die eine Äußerung moralischer Art hat oder haben kann, sind nicht unwichtig. Eine umfassende Theorie der Moral muß sie einkalkulieren. Doch sie allein machen nicht das Spezifische des moralischen Diskurses aus. Dies ist ebenso auf der illokutionären Ebene zu suchen 74 . Das Versäumnis, diese Ebene zu berücksichtigen, spiegelt sich in der Art wider, wie Stevenson den moralischen Diskurs „Einfluß" ausüben sieht. Moralische Äußerungen drücken einerseits die Gefühle und Einstellungen des Sprechers aus, und sie beeinflussen die Gefühle und Einstellungen des Hörers. Damit ist zum einen nur die faktische Ebene des Bewirkens von Gefühlen und Einstellungen angesprochen. Zum anderen ist jedoch ein wichtiger Unterschied vernachlässigt worden: der zwischen Emotionen und Einstellungen. Ohne beide Begriffe hier genau zu klären, ist ein Unterschied unmittelbar deutlich: Emotionen sind eher unkontrolliert und ephemer, Einstellungen kann man bewußt übernehmen und auch bewußt verteidigen 75 . Indem Stevenson diesen Unterschied nicht macht, ignoriert er erneut die Ebene rationalen Argumentierens in der Ethik, wie sie sich der logischen Analyse des moralischen Diskurses darstellt. (Wer moralisch argumentiert, vertraut ja auf rationale Gründe für seine Meinung zu einer ethischen Frage. Er zählt nicht nur psychologische Gründe und Motive auf.) Stevenson sieht letztlich nur auf die Motive, die jemand hat, der am Diskurs teilnimmt, und ist damit beschäftigt, sie darzustellen. Die Gefühle und Einstellungen des Menschen selbst und das, was sie verursacht, zählen für ihn als Gründe für ein bestimmtes Verhalten. Die Frage der Logik des moralischen Diskurses ist dabei vernachlässigt. Dies führt Stevenson zur Betonung der Persuasion und ihrer Effektivität statt zur Beachtung der Validität und Rationalität im moralischen Gespräch 76 . 2.3.
Präskriptivismus
1. R. M. Hare. Einer der Philosophen, die Stevensons Einsichten in ihre eigene Theorie in modifizierter Form aufnehmen, ist Richard Mervyn Hare 7 7 . Seine Arbeit ist zwar nicht nur eine Verbesserung oder Präzisierung 74 75
Vgl. G. J . Warnock, Contemporary Moral Philosophy, 24f. Vgl. aaO. 2 7 f ; W . D. Hudson, Modern Moral Philosophy, 124.
7 6 C . L. Stevenson, Ethics and Language, 156 f. Dies hat Stevenson den Vorwurf eingebracht, er reduziere die Moral auf bloße Propaganda (vgl. etwa G. J . Warnock, Contemporary Moral Philosophy, 2 8 ; W . D. Hudson, Modern Moral Philosophy, 148). Zur weiteren Kritik vgl. G. J. Warnock, Contemporary Moral Philosophy, 2 4 - 2 9 ; W . D. Hudson, Modern Moral Philosophy, 1 3 2 - 1 5 4 ; Κ. Nielsen, Ethics, History of, 107. 7 7 Derzeit White's Professor of Moral Philosophy an der Universität Oxford. - Vgl. zu
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des Emotivismus Stevensons 7 8 , aber sie nimmt dort doch ihren Ausgang und bewahrt die Uberzeugung, daß moralische Aussagen nicht mit Tatsachenfeststellungen identisch sind, weder mit der Feststellung natürlicher Tatsachen im Sinn naturalistischer Theorien noch mit der Feststellung nichtnatürlicher Tatsachen eines Mooreschen Intuitionismus. Hare hebt sich jedoch vom Emotivismus ab, weil er der Auffassung ist, daß diese Theorie den moralischen Sprachgebrauch inadäquat wiedergibt und in philosophische Schwierigkeiten führt, die sie nicht lösen kann. Der Emotivismus versteht moralische Äußerungen als Versuche eines Sprechers, „auf den Hörer kausal einzuwirken und ihn dazu zu bringen, etwas zu t u n " 7 9 . Es ist nur folgerichtig, wenn moralische Äußerungen als Befehle aufgefaßt werden beziehungsweise ein Element in ihnen isoliert wird, das befehlenden Charakter hat. Die Befehle wiederum dienen zu nichts anderem als dazu, den Hörer zu überreden, eine bestimmte Handlung zu tun. Während Hare den Gedanken bewahren will, daß moralische Aussagen mit Imperativen zu tun haben 8 0 , lehnt er es ab, eine kausale Verknüpfung zwischen der Äußerung moralischer Sätze und entsprechendem Handeln anzunehmen. Einen moralischen Satz zu äußern ist zunächst nichts anderes, als jemand die Frage „Was soll ich tun?" zu beantworten und ihm eine Empfehlung eines bestimmten Verhaltens zu geben. Ihn dazu zu bringen, diese Empfehlung zu befolgen, ist eine zweite Sache. Dort haben möglicherweise auch Überredung und Propaganda ihren Platz. Die Funktion moralischer Sätze ist es jedoch in erster Linie, zum Handeln anzuleiten, indem sie Empfehlungen geben, nicht etwa das Handeln kausal zu beeinflussen 81 . Mit dieser Kritik am Emotivismus hat Hare seine Position bereits erreicht. Sie wird als „universeller Präskriptivismus" bezeichnet. Ihre Grundzüge lassen sich in vier Punkten ausführen. (a) Präskriptivismus heißt Hares Theorie, weil sie moralische Aussagen als eine von mehreren Arten präskriptiver, vorschreibender Sprache betrachtet 8 2 . Sie haben, sofern sie präskriptive Aussagen sind, die Form von Imperativen, oder Imperative lassen sich mit logischer Stringenz aus ihnen herleiten 8 3 . Immer dann (und nur dann), wenn aus einem Satz, der ein Sollen formuliert („Ich soll χ tun"), ein Imperativ folgt, handelt es sich bei dem fraglichen Satz um ein Werturteil. Dies gilt per definitionem 8 4 . Daneben gibt diesem Abschnitt insgesamt die kenntnisreiche und sehr gründliche Darstellung bei H . Biesenbach, Zur Logik der moralischen Argumentation, 1 0 7 - 2 3 4 . 7 8 So betrachtet sie G. J. Warnock, Contemporary Moral Philosophy, 30. 7 9 R. M . Hare, Die Sprache der Moral, 32, § 1.7. 8 0 Dies wird im folgenden erläutert. 8 1 R . M . Hare, Die Sprache der Moral, 3 1 - 3 6 , § 1.7. Hier wie an vielen anderen Stellen der Ausführungen Hares drängt sich die Vermutung auf, daß Hares Analyse des moralischen Sprachgebrauchs ausschließlich an der Erfahrungswelt eines Oxford-Professors orientiert ist. D o r t sind moralische Aussagen nicht mehr als ein empfehlender Ratschlag unter Freunden. Hinsichtlich der Adäquatheit der Analyse scheint hier die Grenze Hares zu liegen. 82
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A a O . 1 9 f , § 1.1.
83
A a O . 2 0 5 , § 11.1.
84
A a O . 2 1 1 , § 11.2.
es den nicht-wertenden Gebrauch derselben Aussagen, etwa als Beschreibung dessen, was in einer Gesellschaft allgemein üblich ist oder was man selbst fühlt 8 5 . Wer leugnet, daß ein Satz, der ein Sollen formuliert, einen Imperativ impliziert, hat ihn nicht als Werturteil, sondern als deskriptiven Satz verstanden. Für ihn hat er keine handlungsleitende Funktion. Da Hare überzeugt ist, daß moralische Urteile Handlungen leiten, ist er gezwungen anzunehmen, daß aus moralischen Urteilen Imperative folgen 8 6 . (b) Mit dieser Aussage allein gibt sich Hare nicht zufrieden. Er untersucht die Beziehungen zwischen Werturteilen und Imperativen und die verschiedener Werturteile untereinander. Er behauptet, daß es eine Beziehung logischer Art zwischen präskriptiven Aussagen gibt und daß aus diesem Grund eine rationale Behandlung moralischer Fragen möglich sei. U m diese Behauptung zu belegen, entwirft er ein beschreibendes Modell präskriptiver und indikativischer Sprache. Jede Aussage läßt sich diesem Modell zufolge in zwei Bestandteile zerlegen. Er wählt als Beispiele die beiden Sätze „Du wirst die Tür schließen" und „Schließ die T ü r " . Zur Analyse schlägt er eine Umformulierung vor, die das Gemeinsame beider Sätze verdeutlicht. Sie lauten dann: „Dein Schließen der Tür in unmittelbarer Zukunft, ja" und „Dein Schließen der Tür in unmittelbarer Zukunft, bitte". Das beiden gemeinsame Element nennt er „Phrastikon", den unterscheidenden Teil, der den beiden Sätzen ihre charakteristische Funktion als Tatsachenbehauptung beziehungsweise als Befehl gibt, „Neustikon" 8 7 . Sofern ein Satz logische Verknüpfungen (wenn, und, oder), Negationen oder Qualifikationen (alle, einige) enthält, werden sie in der Analyse dem Phrastikon zugerechnet. Zwischen den Phrastika verschiedener Sätze kann man logische Beziehungen feststellen. Wie es Kontradiktionen zwischen indikativischen Behauptungssätzen gibt, so können sich auch Befehle widersprechen und müssen, wenn sie sich nicht widersprechen sollen, bestimmten logischen Regeln genügen 8 8 . Insbesondere ist es aufgrund des Imperativischen und indikativischen Sätzen gemeinsamen phrastischen Elements und der zwischen den Phrastika herstellbaren logischen Verknüpfungen möglich, logische Folgebeziehungen zwischen präskriptiven Aussagen zu behaupten - der zweite Grundzug der Hareschen Theorie. Man spricht dann davon, daß ein Imperativ („Bring dies zum Bahnhof") - unter Zuhilfenahme eines deskriptiven Satzes („Dies ist eine Kiste") - aus einem anderen („Bring alle Kisten zum Bahnhof") folgt, wenn man nicht zugleich den erstgenannten Imperativ ablehnen und dem zweiten zustimmen kann 8 9 . Es gibt demnach eine „Logik von Imperativen", A a O . 209, § 11.2. A a O . 2 1 4 f , § 11.3. Hare bezeichnet beides, die handlungsleitende Funktion der Werturteile und die Implikation von Imperativen als zwei Ausdrucksweisen desselben Sachverhalts. 85
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8 7 A a O . 3 7 f , § 2 . 1 . Die beiden Begriffe sind in Anlehnung an griech. phrázein ,sagen, anzeigen' und neúein .zusagen, beifällig nicken' gebildet. 8 8 A a O . 43, § 2 . 3 . ; 45, § 2 . 4 . 8 9 H a r e versteht diese Behauptung als eine Verbesserung der aristotelischen Konzeption des
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die ebenso große Schlüssigkeit und Plausibilität beanspruchen kann wie die Logik von Indikativen 9 0 . Diese Logik läßt sich präzisieren. Zwei Regeln sind wichtig: (a) „Kein Schlußsatz im Indikativ kann aus einer Prämissenmenge gefolgert werden, wenn er nicht aus den Indikativen unter den Prämissen allein gefolgert werden kann." (b) „Kein Schlußsatz im Imperativ kann gültig aus einer Prämissenmenge gefolgert werden, die nicht mindestens einen Imperativ enthält." 9 1 Diese Regeln können angewandt werden, um Folgerungen aus Prämissen abzuleiten, und sie können dazu dienen, praktische Schlüsse auf ihre Stimmigkeit zu überprüfen und dabei Aussagen über die logische Stimmigkeit einer bestimmten Moral zu erhalten 9 2 . Hare untermauert die Richtigkeit beider Regeln durch allgemeinlogische Betrachtungen über das Schluß verfahren. Er versteht es so, „daß alle deduktiven Schlüsse ihrem Wesen nach analytisch sind" 9 3 . Dies heißt: Im Schlußsatz kann lediglich etwas explizit gemacht werden, was bereits implizit in den Prämissen enthalten war. N u r in einem Fall kann den Prämissen in einem Schlußverfahren etwas hinzugefügt werden: dann, wenn es sich allein aufgrund der Definition von Begriffen ergibt. In diesem Fall ergeben sich in der Logik der Imperative hypothetische Imperative 9 4 . U m die Frage „Was soll ich tun?" beantworten zu können, benötigt man einen Imperativ. Den Regeln logischen Schließens gemäß erhält man einen Imperativ nur aus einer Menge von Prämissen, die wenigstens implizit mindestens einen Imperativ enthalten. Die Logik, die zur Behandlung ethischer Fragen notwendig ist, ist daher genau jene Logik von Imperativen, deren Möglichkeit Hare gezeigt hat 9 5 . (c) Im Prozeß moralischen Schließens muß es irgendwo letzte Präskriptionen, Imperative geben, die nicht selbst wieder von anderen Imperativen ableitbar sind, sondern die Rolle moralischer Prinzipien spielen. Neben der Beachtung der Folgen, die eine Handlung hat, - hier kommt das utilitaristische Erbe der englischen Moralphilosophen auch bei Hare zum Vorschein 9 6 praktischen Syllogismus. Zu den Einzelheiten und Differenzen beider Konzeptionen vgl. aaO. 4 7 Anm. 8, § 2.4. A a O . 4 5 - 4 8 , § 2.4. A a O . 50, § 2.4. 9 2 In dieser zuletzt genannten Hinsicht ist die Formulierung der logischen Regeln praktischer Schlüsse eine Präzisierung des Humeschen Grundsatzes, kein Sollen aus einem Sein abzuleiten, und eine Umformulierung des von Moore definierten kritischen Analyseinstruments des naturalistischen Fehlschlusses. Denn ein Schluß von einem Sein auf ein Sollen oder eine naturalistische Definition moralischer Werturteile und Begriffe sind nach diesen Regeln ausgeschlossen (51 f, § 2.4.). 90 91
93 94
A a O . 53, § 3 . 1 . A a O . 54, ξ 3.2. Zu F o r m und Problematik hypothetischer Imperative vgl. 5 4 - 6 0 .
9 5 Hare nimmt das notwendige Vorhandensein eines Imperativs unter den Prämissen an, weil er nur so eine logische Beziehung herstellen, eine Logik von Imperativen entwickeln und dem Skeptizismus hinsichtlich ethischer Fragen entgehen kann (aaO. 6 7 - 6 9 , § 3.4.). E r schließt darin an S. E. Toulmin (s.u. Abschnitt 2.4.) an (vgl. aaO. 68 Anm. 3 ; vgl. auch Hares Begründung, 6 9 - 8 0 , § 3 . 5 . - 3 . 7 . ) . 96
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Vgl. aaO. 8 1 - 8 3 , § 4 . 1 . ; 9 6 - 9 7 , § 4.4.
ist der Bezug auf ein Prinzip des Handelns die zweite Größe, die anzuführen ist, wenn man eine Verhaltensweise vollständig rechtfertigen will. Prinzipien zu haben und anzuwenden ist gewissermaßen eine Sache praktischer Erfahrung. Sie sind Kondensate zahlreicher Einzelentscheidungen und fassen Lebenserfahrungen zusammen. Aufgrund dieser Eigenschaft spielen sie auch eine bedeutende Rolle in der Sozialisation des Menschen, sofern sie die Erfahrungen der Vorfahren den später Lebenden übermitteln 9 7 . Prinzipien bedürfen logischer Schlußverfahren, um mit konkretem Verhalten vermittelt zu werden. Sie sind nicht für alle Zeiten starr festgelegt, sondern können verändert werden. Ihre Veränderung wird durch Einzelentscheidungen ausgelöst, die sich mit dem Prinzip nicht widerspruchslos vertragen, dennoch aber gefällt werden. Die Wechselwirkung zwischen Prinzip und Entscheidung kann also sowohl zur Anwendung als auch zur Modifikation des Prinzips führen 9 8 . Sieht man von dem Sonderfall der Modifikation von Prinzipien einmal ab, gibt es in dem Prozeß der moralischen Urteilsbildung letzte Prinzipien, die nicht anders konstituiert werden als dadurch, daß man sich zu ihnen aufgrund seiner Erfahrung oder der Übernahme von anderen entscheidet: „Letztlich ruht alles auf einer Prinzipienentscheidung." 9 9 Allerdings ist dies keine willkürliche Entscheidung. Sie kann ihrerseits gerechtfertigt werden durch die Angabe all der Umstände, die zu ihr geführt haben, durch die „vollständige detaillierte Beschreibung der Lebensweise (. . .), von der sie ein Teil i s t " 1 0 0 . (d) Die Imperative, die in moralischen Zusammenhängen eine Rolle spielen, sind mit einfachen Imperativen nicht völlig identisch. Sie unterscheiden sich vielmehr darin, daß sie Sätze sind, die universalisierbar sind, die also auf alle Situationen, die sich in den relevanten Aspekten gleichen, ausgedehnt werden können 1 0 1 . U m dieser Eigenschaft moralischer Sätze willen heißt Hares Theorie universeller Präskriptivismus 1 0 2 . Hare sieht die Universali9 7 Vgl. R. M. Hare, Universalizability, Proceedings of the Aristotelian Society 5 5 , 1 9 5 4 / 5 5 , wieder abgedr. in R. M. Hare, Essays on the Moral Concepts, London 1972, 1 3 - 2 8 , dt. Universalisierbarkeit, in G. Grewendorf u. G. Meggle, Hg., Seminar: Sprache und Ethik, 198— 216, 2 1 2 f ; auch R. M. Hare, Die Sprache der Moral, 8 5 - 8 8 , § 4 . 3 . ; zum Problem der moralischen Erziehung vgl. aaO. 1 0 1 - 1 0 6 , § 4.7. 9 8 A a O . 8 8 - 9 2 , § 4.3.
A a O . 96, § 4.4. Ebd. Hare verbindet mit der Betonung der Entscheidung für die Ethik eine Kritik an allen Bemühungen, durch transzendentale Reflexion ein formales, a priori gültiges Moralprinzip zu gewinnen, das unabhängig von jeder Entscheidung gilt und aus dem alle weiteren moralischen Maximen ableitbar sind. Ein solches Prinzip gibt es nach Hares Meinung nicht. (Hare ist sich nicht sicher, ob Kant so interpretiert werden muß, als beginge er diesen Fehler. Einerseits scheint ihm dieser Gedanke nicht fremd zu sein, andererseits widerspricht er dem Axiom der Autonomie.) Vgl. R. M. Hare, Universalisierbarkeit, 205, vgl. 2 0 3 - 2 0 8 . 1 0 1 Vgl. R. M. Hare, Die Sprache der Moral, 2 1 8 - 2 2 3 , § 11.5.; R. M. Hare, Freedom and Reason, O x f o r d 1 9 6 3 , 1 2 f , § 2.3. 1 0 2 Vgl. etwa R. M. Hare, Freedom and Reason, 16, § 2.5. 99
100
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sierbarkeit moralischer Sätze parallel zu der deskriptiver Sätze. Wenn jemand sagt, etwas sei rot, kann er dieses Urteil nur solange aufrecht erhalten, solange er gewillt ist, alle anderen Gegenstände, die dem ersten in der fraglichen Hinsicht gleichen, ebenfalls als rot zu bezeichnen 103 . Was für deskriptive Sätze als Regel gilt, um die Bedeutung eines Wortes zu sichern, gilt ebenso für präskriptive moralische Sätze, und zwar gerade deshalb, weil auch sie deskriptive Bedeutung als einen Teil ihrer gesamten Bedeutung besitzen 104 . (Es gilt nicht für alle präskriptiven Sätze. Neben universalisierbaren moralischen Werturteilen gibt es nichtuniversalisierbare einfache Imperative, die nur für eine einmalige Situation einen Befehl formulieren.) Universalisierbar ist ein Werturteil in der Weise, daß es auf alle Fälle zutrifft, auf die sich die im Phrastikon angegebene deskriptive Bedeutung beziehen läßt. Wenn man irgend etwas als gut bezeichnet, muß man alles beliebige andere, das ihm in der Hinsicht gleicht, um derentwillen man das eine als gut bezeichnet hat, auch gut nennen. Da moralische Begriffe jedoch mehr als nur eine deskriptive Bedeutung haben, kann das Phrastikon nicht der einzige die Universalisierbarkeit betreffende Teil eines solchen Begriffs sein, wenn es auch deren Grundlage liefert. Sobald präskriptive Bedeutung zu einem Begriff hinzutritt, bleibt zwar sein deskriptiver Inhalt derselbe, doch der Begriff erhält eine neue, zusätzliche logische Funktion. Er ist evaluativ oder präskriptiv, er gibt Empfehlungen oder macht Vorschriften 105 . Wer die Universalisierbarkeit eines Moralurteils aufgrund seiner deskriptiven Bedeutung erkennt, nimmt notwendig an, daß auch seine präskriptive Bedeutung universale Geltung besitzt. Er universalisiert nicht nur den beschreibenden Inhalt, sondern auch die wertende Funktion. Im Fall moralischer Werturteile sichert daher die Möglichkeit, diese Urteile zu universalisieren, den Charakter und die logische Funktion substantieller moralischer Prinzipien 106 . 2. Kritik an Hare. Hares Theorie der moralischen Sprache beschreibt moralische Sätze ausdrücklich als präskriptive Aussagen, die universalisierbar sein müssen. Er bemüht sich dabei, der Rolle Rechnung zu tragen, die sowohl die Entscheidung als auch die rationale, auf logischen Beziehungen aufbauende Argumentation in der Moral spielen. In keinem dieser vier Punkte blieb seine Position unwidersprochen. Die Fülle der Kritik, die Hares exponierte Theorie gefunden hat, kann hier nicht ausführlich dargestellt werden 107 . Da eine Reihe von kontroversen Themen im dritten Teil 103
A a O . 11 f, § 2.2.
104
A a O . 15, § 2.4.
105
A a O . 21, § 2 . 6 . ; 2 2 f , § 2.7.
106
A a O . 29, § 2 . 8 . ; 30, § 3.1.
1 0 7 Ich verweise auf die gründliche Ubersicht W . D. Hudsons (Modern Moral Philosophy, 2 0 1 - 2 4 8 ) und die von einer prononcierten Gegenposition aus vorgetragene Kritik G. J. W a r nocks (Contemporary Moral Philosophy, 3 4 - 4 7 ) . Es wäre ein zu mühevolles Unterfangen, alle Titel aufzuzählen, die sich mit Hares Darstellung kritisch auseinandersetzen. Dies zu versuchen hieße beinahe eine vollständige Bibliographie der analytischen Moralphilosophie der letzten dreißig Jahre zu erstellen und sie durch zahlreiche Titel außerhalb dieser Tradition zu ergänzen.
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dieser Arbeit wieder aufgegriffen werden, begnüge ich mich an dieser Stelle damit, in Kürze die grundlegenden Einwände gegen Hares Theorie zu charakterisieren. (a) Widersprochen wurde seiner These, die Präskriptivität sei das entscheidende Merkmal moralischer Aussagen. Man wirft Hare vor, damit den weiten Horizont der Moral auf die wenigen Situationen einzuschränken, in denen jemand fragt, was er tun solle, und ein anderer ihm auf diese Frage mit der Äußerung moralischer Sätze antwortet. Moralische Prinzipien gelten aber, sieht man von dieser speziellen Situation der moralischen Beratung einmal ab, auch als Ausdrücke der Einstellung und Zustimmung, von Wünschen und Zielen, von Idealen und Interessen und einer Reihe anderer Funktionen 1 0 8 . Die moralische Sprache ist nicht auf eine Funktion festzulegen, sie ist multifunktional 1 0 9 . (b) Widerspruch fand auch Hares These, daß alle moralischen Werturteile universalisierbar seien. Zwar lehnt niemand diese These als unzutreffend ab, Kritik findet sie jedoch, weil sie als unzureichend für die Qualifikation moralischer Urteile empfunden wird. Man erkennt an, daß sie eine wichtige Funktion erfüllt, indem sie singuläre Urteile aus dem Bereich der Moral ausschließt. Doch man kritisiert, daß dies allein nicht genug ist und zusätzliche Kriterien nötig sind, um abzugrenzen, was moralisch gut und schlecht ist. Sie läßt noch zu viele Möglichkeiten offen, die üblicherweise nicht mehr als moralisch gelten. Wer bereit ist, ein falsches moralisches Urteil zu universalisieren und dies in konsistenter Weise tut, wird der Falschheit seines Urteils nicht gewahr 1 1 0 . (c) Aus dieser Kritik ergibt sich bereits der letzte Kritikpunkt. Man hält Hare vor, seine Theorie betone zu sehr die Freiheit der Entscheidung des Moralsubjekts und vernachlässige letztlich die Rolle vernünftigen moralischen Argumentierens. Seine Position sei die eines liberalen Protestanten, dem persönliche Entscheidung über alles gehe. Letzten Endes sei seine Analyse des moralischen Argumentierens nichts anderes als die Parteinahme für eine bestimmte, liberal-protestantische Konzeption der Moral. Sie sei nicht überzeugend gegenüber anderen Positionen zu begründen. Am Ende stünden zwei oder mehrere mögliche Positionen gegeneinander, deren keine 108
Vgl. G . J . Warnock, Contemporary Moral Philosophy, 3 5 , 3 9 , vgl. 3 4 - 4 0 .
So hat man Nowell-Smiths Entwurf genannt; vgl. P. H . Nowell-Smith, Ethics, Kap. 7, 95-104. 109
1 1 0 Hare versucht diesem Phänomen gerecht zu werden, indem er mit der Möglichkeit des Fanatismus rechnet. Ein Fanatiker ist jemand, der durch Interessen geleitete Urteile zu verallgemeinern bereit ist. E r rückt auch dann nicht von der Universalisierung ab, wenn sie ihm selbst ernsthaften Schaden bringen würde. Als Beispiel dient Hare der fanatische Nazi, der bereit ist, in die Gaskammer zu gehen, wenn sich herausstellt, daß er jüdische Vorfahren hat (Freedom and Reason, Kap. 9, bes. 1 7 0 - 1 7 2 , § 9 . 4 . uö.). Gegen Menschen, die ein dermaßen gestörtes Empfinden haben, ist jede moralische Theorie machtlos, auch das Prinzip der Universalisierbarkeit. Deshalb kann dieses Argument nicht gegen die Bedeutung der These der Universalisierbarkeit gerichtet werden.
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ein größeres Recht als die andere beanspruchen könne. Dem gegenüber gelte es, eine Basis in der Sprache der Moral zu finden, die einen über diese in der Tendenz dezisionistische Position, die der persönlichen Entscheidung alles Gewicht beimißt, hinausgelangen lasse 111 . 2.4. Der Ansatz bei den „good reasons " In den bisher dargestellten Positionen analytischer Ethik kam ein Zug der Moral zu kurz, dessen Vorhandensein bei fortdauernder analytischer Bemühung um die Ethik nicht übersehen werden konnte. Gemeint ist der Tatbestand, daß man moralische Sätze durch das Aufweisen vernünftiger Gründe zu stützen versucht und annimmt, solche rationalen Verfahren dienten der Begründung ethischer Aussagen. Eine ausführliche Würdigung fand dieses Phänomen weder in der intuitionistischen noch in der emotivistischen Theorie. Keine der beiden Konzeptionen konnte der Suche nach Gründen für moralische Aussagen und der rationalen Argumentation in moralischen Zusammenhängen eine entscheidende Funktion zubilligen 112 . Die Betonung dieses Elements der Moral führte daher unmittelbar zur Kritik und Ablösung der beiden genannten Theorien. Sie wurden durch eine Richtung der analytischen Moralphilosophie abgelöst, deren Anliegen es ist, die Rolle rationaler Argumentation in der Ethik zu beschreiben und anzugeben, was als Rechtfertigung im moralischen Diskurs gilt. U m dieses Anliegen zu verfolgen, konzentriert man sich noch stärker als bisher darauf, den praktischen Vollzug des moralischen Diskurses zu analysieren und seine Logik darzustellen. (Hare ist in seinem zweiten Buch „Freedom and Reason" dieser Fragestellung nachgegangen. Es gibt jedoch Philosophen, die stärker als er die Logik des moralischen Diskurses in den Mittelpunkt gestellt haben und die man daher mit größerem Recht hier nennen kann.) Man kann eine Gruppe analytischer Moralphilosophen erkennen, deren gemeinsames Merkmal der Ansatz bei den „good reasons" ist, bei dem, was als guter Grund für moralische Behauptungen zählt. Mehrere Vertreter wären hier zu nennen. Ausführlich sollen jedoch nur zwei besprochen werden: Stephen E. Toulmin, der als erster wieder der Rolle der Rationalität in der Ethik nachging, und Kurt Baier, dessen Position eine besondere Prägnanz besitzt 1 1 3 . 111
Vgl. G. J. Warnock, Contemporary Moral Philosophy, Μ—\Ί\ Κ. Nielsen, Ethics, History of, 110; W. D. Hudson, Modern Moral Philosophy, 230-248 uö.; Alasdair Maclntyre, A Short History of Ethics, London 1967, 250-262. Ich breche hier ab, ohne die Einzelheiten zu erörtern. Später wird Gelegenheit sein, auf einzelne Probleme zurückzukommen und zu sehen, daß Hare sich sehr wohl gegen diese Kritik zu verteidigen vermag. 112 Stevenson wies der Rationalität eine Rolle bei der Entscheidung von Divergenzen in der Uberzeugung zu (vgl. oben Abschnitt 2.2.). Diese Klärung gehört für ihn jedoch noch zum Vorfeld der Ethik. Die eigentlich ethischen Fragen beginnen erst, wenn es um die Divergenzen der Einstellung geht. 113 Baier wird auch deshalb ausgewählt, weil sein Hauptwerk inzwischen ins Deutsche
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1. S. E. Toulmin. Stephen E. Toulmin brachte 1950 mit seinem Buch „An Examination of the Place of Reason in Ethics" 114 diese Diskussion in Gang. Es geht ihm darum, Klarheit in die ethische Diskussion zu bringen, indem er grundsätzlich klärt, welche Gründe als gute Gründe in der Ethik zählen und welche Rolle die Rationalität dort spielt 115 . Zunächst prüft er die Antworten, die die bisherige Moralphilosophie auf seine Frage geben konnte. Er unterscheidet drei Typen von Theorien: den objektivistischen, den subjektivistischen, den imperativistischen Typ. Alle drei Typen erörtert er, und gegen alle drei grenzt er sich ab. (a) Die objektivistische Theorie versteht Wertvorstellungen als Eigenschaften bestimmter (nichtnatürlicher) Art, die den Subjekten moralischer Sätze, den Dingen oder Handlungen, von denen gesagt wird, sie seien gut, zukommen und die durch besondere Intuition erkannt werden 116 . Diese Theorie wird dem tatsächlichen moralischen Sprachgebrauch nicht gerecht, sofern sie nicht erklären kann, daß es ethische Meinungsdivergenzen gibt, selbst wenn beide Gesprächspartner die gleiche Faktenkenntnis besitzen 117 . Ihr berechtigtes Anliegen ist es, völlig unterschiedliche Meinungen über ethische Streitfälle als einander widersprechend zu bezeichnen und die Frage nach der Wahrheit (oder den besseren Gründen) zu stellen 118 , (b) Die subjektivistische Theorie 119 betrachtet Werturteile als bloße Bekundung der Gefühle, die der Urteilende dem gegenüber hat, was er als gut oder richtig etc. bezeichnet 120 . Sie geht zu unrecht davon aus, daß es keine allgemein (oder weithin) anerkannten Methoden gibt, zur Ubereinstimmung zu gelangen, und bleibt im Subjektivismus gefangen 121 . Zu Recht betont sie jedoch, daß Werturteile eine Wurzel im Empfinden, im Gefühl der Zustimmung oder Ablehnung des Subjekts besitzen 122 , (c) Die imperativistische Theorie 1 2 3 setzt Werturteile mit Interjektionen, Ausrufen und Befehlen gleich, deren hervorstechendstes Merkmal ihre rhetorische Kraft ist 124 . Sie vermag nicht den Unterschied zwischen einfachen Imperativen und moralischen Sollenssätzen anzugeben und behandelt ethische Aussagen, als seien sie nicht mehr als einfache Imperative 125 . Andererseits gelingt es ihr, die Rolle zu betonen, die die Rhetorik für die Ethik spielt 126 . Alle drei Theorien machen also auf wichtige Elemente des moralischen Diskurses aufmerksam, übersetzt ist (s. unten). Als weitere Vertreter einer Metaethik, die bei den „good reasons" ansetzt, wären zu nennen: Henry David Aiken, Reason and Conduct, New York 1962; vgl. H . D. Aiken, The Concept of Moral Objectivity, in Η . - Ν . Castañeda u. G. Nakhnikian, Hg., Morality and the Language of Conduct, Detroit 1963, 69-105; Paul W. Taylor, Normative Discourse, Englewood Cliffs 1961 ; Marcus George Singer, Verallgemeinerung in der Ethik. Zur Logik moralischen Argumentierens (Generalization in Ethics, New York 1961, dt.) Frankfurt 1975. 114 Cambridge 1950, Neudr. London 1970. 116 117 118 A a 0 . 9 f . Beispiel dafür ist G . E . M o o r e . Aa0.20f. AaO. 26-28. 119 Als Vertreter nennt Toulmin vor allem A. J. Ayer und C. L. Stevenson. 120 121 122 AaO. 29. AaO. 33-35. AaO. 30-32, vgl. 63. 123 124 Hauptvertreter ist Toulmin zufolge A . J . Ayer. AaO. 49, 46. 125 126 AaO. 52f. AaO. 49f. 43
aber sie verabsolutieren sie jeweils. Vor allem aber versäumen sie allesamt, der Rationalität den ihr in der Ethik zukommenden Raum zu gewähren. Toulmin stellt daher erneut seine Ausgangsfrage nach dem, was in der Ethik als vernünftiges Argument zählt, wodurch ethische Aussagen begründet werden 1 2 7 . Die Antwort darauf bereitet er durch Überlegungen zur Natur der Rationalität vor. Ziel dieser Ausführungen ist es zu zeigen, wie weit die Erklärungskraft der Rationalität geht und wo ihre Grenzen liegen. O h n e die Einzelheiten zu referieren 1 2 8 , kann man festhalten: Auch in den exakten Wissenschaften wird zwischen dem Feld der Wissenschaft, in dem die Rationalität Anwendung findet, und dem ihrer Grenzfragen unterschieden. Dort hat die Rationalität dieser Wissenschaft ihre Grenze erreicht, und Fragen brechen auf, die mit den Mitteln dieser Rationalität nicht mehr beantwortet werden können 1 2 9 . Toulmin überträgt diese Erkenntnis auf die Ethik. Auch dort unterscheidet er zwei Bereiche: den der Moral, in dem einzelne Handlungen oder Urteile innerhalb einer Gesellschaft 1 3 0 durch Bezug auf ein bestimmtes Moralsystem begründet und gerechtfertigt werden, und den ihrer Grenzfragen, in dem nach der Rechtfertigung eines bestimmten Moralsystems selbst gefragt wird. Man muß daher zweierlei Weisen vernünftigen Argumentierens in ethischen Zusammenhängen sehen. Der einen zufolge wird eine einzelne Handlung dadurch begründet, daß innerhalb des Moralsystems einer Gruppe argumentiert und gezeigt wird, inwiefern die Handlung aus den moralischen Prinzipien dieser Gruppe folgt oder mit ihnen zu vereinbaren ist 1 3 1 . Die andere Art von Rationalität wird bemüht, wenn eine in einer Gruppe anerkannte soziale Praxis durch Verweis auf Gründe, die für sie sprechen, gerechtfertigt werden soll 1 3 2 . Sie dient dazu zu prüfen, ob die in einer Gesellschaft akzeptierte Praxis beibehalten oder durch eine bessere Alternative ersetzt werden soll 1 3 3 . Diese Überlegung hat jedoch nur Sinn, wenn es um die Entscheidung solcher Alternativen geht. Ansonsten hat sie keine andere als rhetorische Funktion 1 3 4 . In vernünftiger ethischer Argumentation sieht Toulmin die Gründe, die zur Entscheidung von Streitfragen führen, auf der (utilitaristischen) Ebene der Abwägung der Folgen, die die eine oder die andere Handlungsalternative besitzt. In vielen Fällen ist eine gewisse Standpunktabhängigkeit der Urteile, die als Antwort auf solche Fragestellungen gegeben werden, nicht zu vermeiden 1 3 5 . Es hängt dann von den persönlichen Präferenzen des Urteilenden ab, welcher Alternative er den Vorzug gibt. Stets bleiben jedoch in der Ethik wie auf anderen Gebieten eine Reihe von Fragen, die nicht mit vernünftigen Gründen beantwortet werden können, die sogenannten „Grenzfragen". In der Ethik sind 127
A a O . 64.
128
Vgl. dazu die in Anm. 160 unten angegebene Literatur.
A a O . 9 8 f uö. Vgl. aaO. 1 3 2 - 1 3 6 , bes. 133. 131 AaO. 144-148. 1 3 2 AaO. 148-150, 150-152. 1 3 3 A a O . 149f, 153. 1 3 4 Eine Funktion freilich, die in zahlreichen philosophischen Entwürfen immer wieder zentral zu sein scheint; vgl. aaO. 1 9 0 - 1 9 6 , bes. 195; 153. 129
135
44
AaO. 155-160.
dies die letzten Fragen, die beim Versuch der Begründung einer Moral auftauchen. Sie drängen sich dem auf, der bis zum Ende fragt und die Welt verstehen und akzeptieren will 1 3 6 . Toulmin sieht nur eine Möglichkeit, diese nichtrationalen Fragen zu beantworten: durch Akte quasi-religiösen oder religiösen Glaubens, nicht in erster Linie also durch rationale Argumentation, sondern durch Erkenntnis der Evidenz einer bestimmten Antwort 1 3 7 . Toulmins Theorie wurde von den unterschiedlichsten Positionen aus kritisiert. Die einen warfen ihm vor, seine Analyse der Logik der Ethik sei in den Aussagen über die Ethik nichts anderes als eine normative Theorie, die den Utilitarismus angelsächsischer common-sense-Philosophie zur Grundlage der Ethik erklärt. In den Augen anderer kommt Toulmin überhaupt nicht zur normativen Ethik, sondern bleibt mit seinen Erörterungen ganz in der Deskription stecken. Wieder andere kritisieren, seine Darstellung der Ethik sei zu einfach, um dem komplexen Feld der Ethik gerecht zu werden. Wesentliche Teile der Ethik fänden in seiner Theorie keinen Platz. Insbesondere sei fraglich, ob die Entscheidung in Konfliktfällen die einzige oder wichtigste Funktion der Moral sei oder ob die Ethik nicht andere, ebenso wichtige Funktionen umfasse 138 . 2. K. Baier. Ähnlich wie Toulmin hat auch Kurt Baier ein Interesse am Aufweis einer Logik der Moral und an der Darstellung der sozialen Verankerung und Funktion eines Moralsystems 1 3 9 . Im Unterschied zu Toulmin befaßt er sich jedoch nicht vornehmlich mit der Abgrenzung des Feldes der Ethik von dem ihrer Grenzfragen, seine Ziele sind vielmehr die erkenntnis1 3 6 Als Beispiel für eine Grenzfrage der Ethik nennt Toulmin : „Warum soll man das tun, was richtig ist?", aaO. 209. 1 3 7 AaO. 217, vgl. 202-211. Toulmin scheint, wenn er von „Grenzfragen" spricht, durch Gedanken Ludwig Wittgensteins beeinflußt zu sein, die allerdings erst posthum veröffentlicht wurden. Er zitiert zustimmend Wittgensteins Diktum, daß die letzten Fragen der Ethik nicht logisch exakt, sondern allenfalls stammelnd beantwortet werden können (aaO. 209). Wittgensteins Auffassung der Ethik änderte sich mit dem grundlegenden Wandel seiner Philosophie. Im Tractatus logico-philosophicus ging er davon aus, „daß sich die Ethik nicht aussprechen läßt" (Tractatus logico-philosophicus, Ziffer 6.421). In seiner Lecture on Ethics aus dem Jahr 1929/30 betont er dann, daß man über ethische Fragen nicht sprechen kann, ohne gegen die Grenze der Sprache zu stoßen und Metaphern (similes) zu gebrauchen, die keinen Referenzpunkt innerhalb der klar beschreibbaren Welt besitzen (Lecture on Ethics, Philosophical Review 74,1965, 3-12, 9-12). Dennoch meint er, man müsse vor dieser Art der Betätigung des menschlichen Geistes tiefen Respekt haben (aaO. 12). Vgl. seine Aussage im Gespräch (Friedrich Waismann, Notes on Talks with Wittgenstein, aaO. 12-16) und die knappe Darstellung der Entwicklung der ethischen Anschauung Wittgensteins von Rush Rhees (Some Developements in Wittgenstein's View of Ethics, aaO. 17-26). 1 3 8 Vgl. zu den genannten Kritikpunkten die Zusammenfassung bei K. Nielsen, Ethics, History of, 111 f. 1 3 9 Vgl. Κ. Baier, The Point of View of Morality, Australasian Journal of Philosophy 32, 1954, dt. Der moralische Standpunkt, in G. Grewendorf u. G. Meggle, Hg., Seminar: Sprache und Ethik, 285-316; K. Baier, The Moral Point of View, Ithaca 1958, dt. Der Standpunkt der Moral. Eine rationale Grundlegung der Ethik, Düsseldorf 1974.
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theoretische Absicherung der Moral und eine präzise Darlegung ihres rationalen Charakters. Er nimmt die weitestgehende Form der Frage nach der Rechtfertigung einer Moral zu seinem Ausgangspunkt, die Frage: „Warum sollen wir tun, was recht ist?" oder „Warum sollen wir moralisch hand e l n ? " 1 4 0 Eine Antwort auf diese Frage versucht er zu finden, indem er zunächst die erkenntnistheoretische Frage „Woher wissen wir, was recht ist?", dann die phänomenologisch zu beantwortende Frage „Warum tun wir, was recht ist?" prüft. D a in der Antwort auf die erste, erkenntnistheoretische Frage bereits die Stellungnahme zu den beiden nachgeordneten Fragen enthalten ist, widmet er ihr den breitesten Raum. Er wendet sich gegen all jene Theorien, die die Objektivität von moralischen Werturteilen bestreiten, und betont, moralische Werturteile seien Aussagen, deren Wahrheitswert festgestellt werden könne. Man könne davon sprechen, daß sie wahr oder falsch seien, obgleich die Entscheidung, ob ein einzelnes Werturteil wahr oder falsch ist, davon abhänge, ob die allgemein als gültig angesehenen Kriterien akzeptiert sind 1 4 1 . U m „Moral" festzulegen, ist es daher notwendig zu beschreiben, welches die in moralischen Zusammenhängen gültigen Kriterien sind. Baier versucht, dieses Ziel über einen Umweg zu erreichen. Zunächst untersucht er, was es bedeutet zu fragen: „Was soll ich tun?" Seine These ist, daß diese Frage soviel besagt wie „Was ist die bestmögliche Handlungsweise?" oder genauer: „Was ist die Handlungsweise, die die besten Gründe für sich h a t ? " 1 4 2 Zu der Überzeugung, eine Handlungsweise habe gute Gründe für sich, kommt man, indem man (a) alle für sie relevanten Tatsachen zusammenstellt und (b) diese Gründe in einem Prozeß, den Baier „Erwägung" nennt, abwägt und „ihr relatives ,Gewicht' zu bestimmen" versucht 1 4 3 . Es gibt Regeln, denen die Gründe, die Gültigkeit beanspruchen, folgen müssen. Diese Regeln legen fest, welche Gründe gegenüber welchen anderen Gründen Priorität besitzen, welches also die besseren, welches die schlechteren Gründe sind. Diese Regeln, die eine Rangfolge der Gründe 1 4 4 festlegen, entstammen der sozialen Umgebung, in der man lebt. Sie sind in einer bestimmten Gesellschaft gültig, zwischen unterschiedlichen Gesellschaften möglicherweise strittig 1 4 5 . 140
K. Baier, D e r Standpunkt der Moral, 15, 2 2 7 uö.
A a O . 79, vgl. Kap. 2. Baier greift die Überlegungen auf, die J. O . U r m s o n über die Tätigkeit des Einstufens anstellte ( O n Grading, Mind 5 9 , 1 9 5 0 , dt. Einstufen, in G. Grewendorf u. G. Meggle, H g . , Seminar: Sprache und Ethik, 1 4 0 - 1 7 4 ) . 1 4 2 K. Baier, D e r Standpunkt der Moral, 86, 87. 1 4 3 A a O . 93, vgl. 9 2 f , 9 3 - 1 0 1 , 105. Bereits eine erste Vermutung ergibt sogenannte „presumptive Gründe", die durch weitere detaillierte Uberprüfung abgesichert werden müssen (aaO. 1 0 1 - 1 0 4 ) . 141
1 4 4 Zum Begriff der Hierarchie der Gründe und der Priorität „moralischer" über andere Gründe vgl. aaO. 2 8 2 - 2 8 6 , 2 8 6 - 2 9 2 . 1 4 5 A a O . 105. Es gibt nach Baiers Meinung eine Anzahl von Regeln, die in allen oder vielen moralischen Systemen konstant sind. Diesem Tatbestand will er gerecht werden, indem er das
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Baier beschreibt sodann die Regeln, die in den westlichen Gesellschaft e n 1 4 6 die Moral bestimmen. Das, was (seiner Ansicht nach) in diesen Gesellschaften als Moral gilt, faßt er in Abgrenzung zum Egoismus unter dem Begriff „Standpunkt der Moral" zusammen 1 4 7 . Der „Standpunkt der Moral" ist (a) dadurch charakterisiert, daß er ein Handeln nach Prinzipien, nach festen Regeln erfordert und nicht etwa nur aufgrund des eigenen Interesses, wobei Ausnahmen von einer solchen Regel nur dann zugelassen werden, wenn sie selbst durch eine übergeordnete (oder in dem speziellen Fall überzuordnende) Regel veranlaßt und gerechtfertigt sind 1 4 8 . Der „Standpunkt der Moral" setzt (b) voraus, daß diese Regeln universal sind und für jeden ohne Unterschied gelten 1 4 9 . Er impliziert (c), daß die Regeln inhaltlich so gestaltet sind, daß sie „zum Nutzen von jedermann ohne Unterschied" sind 1 5 0 . Die Bedingungen (a) und (b) sind formaler Art, (c) ist eine materiale Bedingung 1 5 1 . Aus alledem ergibt sich, daß Moral, wie man sie hierzulande versteht, stets auf das Zusammenleben von Menschen in konkreten Umständen bezogen ist. Sie ist mit der Tatsache des Zusammenlebens von Menschen als Aufgabe gestellt und ergibt sich zwangsläufig aus ihr 1 5 2 . Die Frage, warum wir moralisch handeln, ist nach diesen Überlegungen einfach zu beantworten: deshalb, weil es „natürlich" ist, moralisch zu handeln 1 5 3 . Will man die „Natürlichkeit" dieses Handelns selbst erklären, kann man nur darauf verweisen, daß die Menschen (in jeder Gesellschaft) ein Verfahren dafür (von den Vorfahren) übernommen haben, das es erlaubt, Handlungsweisen daraufhin zu prüfen, welche Gründe für sie sprechen, und die Handlungsweise auszuwählen, für die die besten Gründe sprechen 1 5 4 . Sofern es für besser
Gegenüber von wahren Ethiken und absoluter Moral konstruiert. Wahre Ethiken sind tatsächlich bestehende Ethiken, die den Bedürfnissen einer spezifischen Gesellschaft optimal entsprechen und alle in diesem Kontext stattfindenden Uberprüfungen bestehen. Absolute Moral ist hingegen „die Gesamtheit moralischer Uberzeugungen, die, ob sie von jemand vertreten werden oder nicht, wahr ist, ganz unabhängig von den besonderen gesellschaftlichen Bedingungen, in denen sie verkörpert sein mag" (aaO. 174). Beide Größen sind so aufeinander bezogen, daß jede wahre Ethik Elemente der absoluten Moral enthalten muß und deren Anwendung auf die konkreten Lebensumstände der jeweiligen Gesellschaft darstellt (aaO. 1 7 2 - 1 7 5 ) . 1 4 6 Baier verwendet diesen Begriff nicht. E r vermeidet eine genauere Festlegung und spricht vage von „unserer Gesellschaft", aaO. 105 uö. Vgl. aaO. 178 und das ganze Kap. 8. Vgl.aaO. 181-185. 1 4 9 Baier verweist - wie schon für Punkt (a) - auf Kants Lehre vom kategorischen Imperativ (vgl. aaO. 189f). 147
148
A a O . 190. Der Übersetzer des Buchs sagt - begrifflich unsauber - : eine „materielle" Bedingung, aaO. 196. 1 5 2 Pflichten, moralische Verpflichtungen gibt es nur gegenüber anderen Personen, nicht der eigenen Person gegenüber, aaO. Kap. 9 , 2 0 2 - 2 1 7 . 1 5 3 A a O . 275. 1 5 4 A a O . 276. 150 151
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gehalten wird, die Vernunft zu gebrauchen, als sie nicht zu gebrauchen, versteht es sich von selbst, daß rationales (und das heißt: moralisches) Handeln besser ist als irrationales. Die gegenteilige Option ist unwahrscheinlich; sie bedeutete ein Aussteigen aus dem „Spiel des Begründens" und würde im Extremfall als „Schwachsinn" deklariert 155 . Sofern es also für den Menschen „normal" ist, rational zu sein, ist es für ihn auch „normal", moralisch zu handeln. In der Rationalität des Menschen liegt die Antwort auf die Frage: „Warum sollen wir moralisch handeln?" 156 3. Andere Autoren. Baier hat damit sein Programm erfüllt, den rationalen Charakter der Moral zu beschreiben. Man kann eine Reihe von Philosophen nennen, die die gleiche Intention haben, bei der Ausführung aber zu jeweils spezifischen Entwürfen einer Theorie der Moral gelangen. Marcus G. Singers Buch „Generalization in Ethics" 1 5 7 wäre hier zu nennen. Erwähnenswert sind insbesondere auch die Veröffentlichungen von John Rawls, die in seinem Werk „A Theory of Justice" 1 5 8 zusammenlaufen. Schließlich ist auf Bernard Gerts Buch „The Moral Rules" hinzuweisen, das ausdrücklich den Gedanken J. Rawls', Κ. Baiers und M. Singers verpflichtet ist 159 . Jedes dieser Bücher und eine Reihe anderer könnten hier ausführlich besprochen werden. Aus Raumgründen beschränke ich die Darstellung auf die beiden frühesten Veröffentlichungen von Toulmin und Baier. Ihr Thema ist der Erweis der Vernünftigkeit moralischer Urteile. Sie setzen moralisches Handeln mit sozialem Handeln gleich, das selbst wiederum als vernünftig erklärt wird. Die soziale Funktion der Moral erhält eine Schlüsselrolle. Sie gibt der Moral ihren konkreten Inhalt und garantiert ihre Rationalität. Darin gleichen die neueren der genannten Entwürfe denen Toulmins und Baiers. Sie variieren lediglich die Einzelheiten und sichern ihre Position gründlicher als Toulmin und Baier gegen Einwände ab 1 6 0 . Alle diese Autoren müssen sich jedoch fragen lassen, ob sie die Konzeption der Moral gerade dann, wenn sie die soziale Funktion ins Zentrum stellen, nicht zu eng fassen und Bereiche außer acht lassen, die es innerhalb der Moral unstreitig gibt 161 . Sie müssen sich fragen lassen, ob sie die Moral nicht zu einseitig auf ihre soziale Funktion festlegen und daher zu dem Schluß gelangen, Moral sei (nichts anderes als) ein rationales Unternehmen AaO. 280-282. 156 Vgl. a a o . Kap. 12, 277-297. Zum Ganzen vgl. den 1954 erschienenen Aufsatz von K. Baier, The Point of View of Morality. 1 5 7 S.o. Anm. 113. 1 5 8 London/Oxford/New York 1972, dt. Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt 1975. 1 5 9 B. Gert, The Moral Rules. A New Rational Foundation for Morality, New York 1973 (1. Aufl. 1966), xiv. 1 6 0 Zu diesem gesamten Abschnitt vgl. H. Fahrenbach, Sprachanalyse und Ethik, 379; K. Nielsen, Ethics, History of, 110-112; Α. Pieper, Analytische Ethik, 156-158, 164-167; G. Grewendorf u. G. Meggle, Zur Struktur des metaethischen Diskurses, 21. 1 6 1 Dazu vgl. unten Abschnitt 2.7. 155
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des Menschen. Dies jedenfalls ist die Kritik späterer Autoren an dem eben referierten Bündel von Positonen. 2.5. Vermittelnde
Positionen
Die analytische Ethik ist, soweit sie bisher erörtert wurde, keineswegs einheitlich. Zu groß ist die Divergenz der einzelnen Positionen. Zu unterschiedlich sind die Schwerpunkte, die jeweils gesetzt werden 162 . Es ist daher nicht verwunderlich, daß einige Autoren den Versuch unternommen haben, die Einseitigkeit der divergierenden Ansichten zu vermeiden und einzelne ihrer Elemente zu einem einheitlichen Entwurf zusammenzufügen. Zwei solche Versuche sollen hier vorgestellt werden: der P. H. Nowell-Smiths und der Richard B. Brandts. Beide haben freilich nicht primär die Intention, eine Synopse bisheriger analytischer Ethik zu liefern. Primär wollen sie eine metaethische Theorie entwerfen, die das Feld der Ethik adäquat beschreibt. Daß ihr Vorschlag auf eine Vermittlung der Extreme früherer Positionen hinausläuft, ergibt sich erst als Folge dieser Intention. Ihre Entwürfe besitzen je ihre charakteristische Eigenart: Nowell-Smith weitet die bisherigen ethischen Analysen dahin aus, daß er eine größere Vielfalt moralischer Sprache in den Blick faßt. Brandt weitet sie aus, indem er normativ-ethische Fragen erstmals wieder in einen analytisch-ethischen Entwurf einbezieht. 1. P. H. Nowell-Smith. P. H. Nowell-Smith diskutiert einleitend die Frage, welchen wissenschaftlichen Status die Moralphilosophie besitze, ob sie den theoretischen oder den praktischen Wissenschaften zuzuordnen sei. Er sieht sie mit den praktischen Fragen, was man tun solle, beschäftigt, so jedoch, daß sie solche Fragen nicht einfach beantwortet, sondern systematische Untersuchungen darüber anstellt 163 . Durch diese gründliche theoretische Vorarbeit versucht sie einen Beitrag zu leisten zum Verständnis und zur Beantwortung dieser praktischen Fragen 164 . Da die Lebensumstände, in denen moralische Fragen sich stellen und auf die entsprechende Antworten bezogen sein müssen, einem stetigen Wandel unterworfen sind, ist die Aufgabe der Moralphilosophie nicht ein für allemal abschließend zu erfüllen. Sie erfordert ständig neue Bemühungen 165 . Die philosophische Beschäftigung mit der Moral muß nach Nowell-Smith damit beginnen, das spezifisch moralische Vokabular zu analysieren, die Bedeutung der verwendeten Wörter und ihre wechselseitigen Beziehungen zu klären und somit eine Logik moralischen Redens zu entwerfen 166 . 1 6 2 Selbst der Versuch, der hier unternommen wird, jeweils einige Autoren zu einer Gruppe zusammenzunehmen, erscheint fragwürdig. Die Literaturübersicht, die A . Pieper, Analytische Ethik, vorgelegt hat, referiert über die Autoren in der chronologischen Reihenfolge des Erscheinens ihrer Hauptwerke. 1 6 3 P . H . Nowell-Smith, Ethics, 11 f. 1 6 4 A a O . 12f. 165 AaO. 17-19. 1 6 6 AaO. 19-22.
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Die Voraussetzung, unter der er diese Aufgabe angeht, ist, daß es nicht möglich ist, den in moralischen Zusammenhängen gebrauchten Wörtern jeweils eine und nur eine Bedeutung zuzuschreiben. Sie erfüllen vielmehr mehrere Funktionen zu gleicher Zeit in den gleichen Kontexten. Sie dienen u. a. dazu, Geschmacksurteile und Präferenzen, Entscheidungen und Wahlen auszudrücken, Kritik zu üben, zu bewerten, zu beraten, zu ermahnen 1 6 7 . Ihre Bedeutung auf eine dieser Funktionen zu reduzieren heißt, andere zu vernachlässigen. Man muß jedoch davon ausgehen, daß eine moralische Äußerung mehrere Funktionen zugleich erfüllt. Sie ist prinzipiell mehrdeutig 1 6 8 . Ihre Gemeinsamkeit haben moralische Äußerungen darin, daß sie ein Handeln erklären, es begründen oder rechtfertigen. Eine solche Erklärung kann auf verschiedene Gründe für das fragliche Handeln hinweisen, (a) Man kann argumentieren, dieses Handeln sei notwendig, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. („Um in ein Konzert gehen zu können, löste ich zuvor eine Eintrittskarte." 1 6 9 ) (b) Man kann sagen, daß ein bestimmter Tatbestand, eine Konstellation von Fakten ein bestimmtes Handeln erfordert. („Ich half einem Mann über die Straße, weil er blind i s t . " 1 7 0 ) (c) Man kann behaupten, die Tatsache, daß ein Gegenstand Eigenschaften besitzt, die geeignet sind, bestimmte Emotionen entstehen zu lassen, gelte als Grund, in bestimmter Weise zu handeln 1 7 1 . („Ich rannte weg, weil es schrecklich w a r . " 1 7 2 ) (d) Man kann annehmen, eine Handlung werde begründet, indem darauf verwiesen wird, daß man dazu verpflichtet oder daß sie „richtig" sei 1 7 3 . („Ich tat es, weil es meine Pflicht w a r . " 1 7 4 ) Eine metaethische Theorie, die nicht mehr tut, als diese unterschiedlichen Begründungsweisen aufzuzählen, beschreibt lediglich das disparate Mate1 6 7 Diese und andere Funktionen zählt Nowell-Smith (aaO. 98) auf. 168 Nowell-Smith spricht vom „Janus-Prinzip" moralischer Äußerungen, aaO. 100.
A a O . 116f. A a O . 117f. Tatsachen werden Nowell-Smiths Terminologie zufolge in „D-Sätzen", Sätzen deskriptiver Art beschrieben, vgl. aaO. 72 f. 1 7 1 Solche Eigenschaften werden nach Nowell-Smith durch „A- (aptness-)Wörter" bezeichnet. „Herrlich", „furchteinflößend", „großartig" sind Beispiele solcher Wörter, vgl. aaO. 71 f. 1 7 2 A a O . 118 f. 1 7 3 Man verwendet dann in Nowell-Smiths Terminologie „G- (gerundive-)Wörter oder -Sätze". Beispiele dafür sind „lobenswert", „richtig", „ich soll . . .", „verwerflich", vgl. aaO. 72 f. 169 170
1 7 4 A a O . 120 f. In dieses Schema integriert Nowell-Smith Elemente unterschiedlicher H e r kunft. Mit (a) nimmt er das Begründungsmuster der Teleologie auf. Hinter (b) steht entweder eine Theorie naturalistischer Art, wie sie Moore attackiert hat und wie sie später wieder in modifizierter F o r m vertreten wird (vgl. unten Abschnitt 2.6.), oder - in abgemilderter F o r m eine an „guten Gründen" orientierte Theorie, (c) stellt ein Element in den Mittelpunkt, das dem Emotivismus verwandt zu sein scheint, während (d) entweder ein bloßes Reden von Pflicht, eine intuitionistische Theorie, eine A r t Hareschen Präskriptivismus oder eine Kombination aus diesen drei Elementen aufgreifen kann. Daran zeigt sich die integrative Intention und Potenz des Entwurfs Nowell-Smiths.
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rial, ohne seine Einheitlichkeit zu erweisen. Nowell-Smith ist davon überzeugt, daß die Moral ein einheitliches Phänomen ist. Neben diesen unterschiedlichen Begründungen sieht er nämlich eine weitere Bedingung, die erfüllt werden muß, wenn ein Handeln vollständig erklärt werden soll. Diese Bedingung ist der notwendige Bezug jeder Handlungserklärung auf eine Pro- oder Contra-Einstellung 1 7 5 des Handelnden zu seiner (intendierten oder ausgeführten) Handlung. Nur wenn jemand eine solche Pro- oder Contra-Einstellung besitzt und sie demnach auch ausgedrückt und expliziert werden kann, kann von Moral gesprochen werden. Darin, daß eine derartige Einstellung vorliegt oder impliziert ist und notwendig impliziert sein muß, liegt das gemeinsame Element der Moral und der moralischen Sprache 1 7 6 . Auf diese Bedingung können die übrigen Begründungsformen zwar nicht zurückgeführt werden, aber sie spielt in allen eine hervorragende Rolle. Nichts anderes als eine Pro-Einstellung liegt zugrunde, wenn man Handlungen mit dem Verweis auf Gewohnheiten oder den Charakter und die Motive des Handelnden zu erklären versucht 1 7 7 . Diese letzte Beobachtung faßt eher sich durchhaltende Dispositionen als einzelne Handlungen in den Blick und versucht sie zu analysieren. Nowell-Smith betont die entscheidende Rolle, die die gesamte Lebensweise eines Menschen, das, was ein Mensch ist und geworden ist, für die Moral spielt. Vererbung, Erziehung und die Erfahrung des eigenen Handelns in der Vergangenheit haben einen Menschen so werden lassen, wie er ist, und das komplexe Muster seiner moralischen Existenz gebildet 1 7 8 . Die einzelnen Pro-Einstellungen erhalten damit eine letzte, umfassende Bezugsebene in der Vorstellung von der gesamten Lehensweise eines Menschen, die der Kritik von einer Position außerhalb dieser bestimmten Ebene nicht zugänglich ist. Es gibt mehrere solcher Lebensweisen, die von Menschen vertreten und verwirklicht werden. Zwar ist nicht alles, was denkbar ist, auch hinreichend akzeptiert - einige Weisen des Lebens gelten unter Menschen im allgemeinen als unattraktiv, nicht zufriedenstellend. Ein Element der persönlichen Entscheidung des einzelnen widerspricht nicht der Vorstellung der Moral, es gehört geradezu als Konnotation zum Begriff der Moral hinzu 1 7 9 . Aufgabe der Philosophie ist es nach Nowell-Smiths Meinung jedoch nicht, durch normative Setzung bestimmte Lebensweisen als unmoralisch auszuscheiden, sondern innerhalb des gebräuchlichen Vokabu„ P r o - " oder „con-attitude", aaO. 112 uö. AaO. 111-113. 1 7 7 A a O . 1 2 2 - 1 2 4 , 1 2 4 - 1 3 2 . Auch die Einbeziehung dieser Vorstellungen erweist die Tendenz Nowell-Smiths, zahlreiche divergente Ansichten und Erklärungsmodelle zu integrieren. Die Darstellung, die ich hier gebe, vermag nur einen unzureichenden Eindruck von der Breite des Spektrums zu geben, das Nowell-Smith abzudecken versucht. Man vergleiche nur etwa seine Erörterung der ethischen Theorie des Egoismus und Hedonismus (Kap. 10) oder des Verhältnisses von Pflicht und Freiheit (Kap. 1 4 , 1 9 , 20 uö.). 1 7 8 A a O . 2 9 7 f . Zur Herleitung moralischer Regeln aus Gewohnheit und Tradition vgl. auch aaO. 2 3 4 - 2 3 6 . 1 7 9 Nowell-Smiths Position erinnert an R. M. Hare; vgl. oben Abschnitt 2.3. 175 176
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lars die möglichen Lebensweisen zu charakterisieren und ihre wechselseitigen Beziehungen zu klären 180 . 2. R. B. Brandt. Ein ähnliches Interesse an der Analyse und Klärung des moralischen Sprachgebrauchs hat Richard B. Brandt. Sein Ziel ist es, aus der Diskussion der bisherigen metaethischen Entwürfe eine adäquate metaethische Theorie zu entwickeln und auf ihr seinen Entwurf einer normativen Ethik aufzubauen. Von früheren metaethischen Untersuchungen unterscheidet er sich zunächst darin, daß er ein sehr einfaches Kriterium zur Abgrenzung des Bereichs der Moral angibt: In sprachanalytischer Hinsicht ist die Moral als das Feld moralischer Aussagen greifbar. Eine moralische Aussage ist ein Satz, der bestimmte Wendungen („,is a desirable thing that', ,is morally obligatory', ,is one's moral duty', ,is reprehensible', ,is morally admirable') enthält, impliziert oder einem Satz widerspricht, der solche Wendungen enthält oder impliziert 181 . Brandt umgrenzt in dieser Weise, was er als Material einer analytischen Ethik betrachtet. Er diskutiert dann die verschiedenen Versuche, die unternommen wurden, eine Theorie der Bedeutung ethischer Aussagen zu entwerfen. Er unterscheidet und diskutiert im wesentlichen folgende Theorien: (a) Den Kontextualismus, der besagt, man müsse den Kontext jeder Situation, in der ein Handeln gefordert werde, genau beobachten und mit Hilfe wissenschaftlich-rationaler Methoden reflektieren, um zu ethischen Aussagen zu gelangen 182 , (b) Den Supernaturalismus, der moralische Aussagen durch Verweis auf übernatürliche autoritative Institutionen (in seiner religiösen Form: durch Verweis auf Gott) begründen will 183 , (c) Den ethischen Naturalismus, der ethische Aussagen durch Beobachtung der Fakten und anschließender induktiver Überlegung rechtfertigen will 184 , (d) Den ethischen Nonnaturalismus (Intuitionismus), dem zufolge ethische Begriffe nicht mit den wissenschaftlichen Methoden des Naturalismus definierbar sind, der aber daran festhält, daß ihnen nichtnatürliche Eigenschaften zugrundeliegen, die mit einem besonderen Erkenntnisvermögen, dem der Intuition oder rationaler Einsicht, wahrgenommen werden können 185 , (e) Den Nonkognitivismus, der bestreitet, daß 1 8 0 A a O . 319f. Z u m Ganzen vgl. auch A. Pieper, Analytische Ethik, 160-162; Christofer Frey, Was trägt die analytische Moralphilosophie zu einer Theorie der Ethik bei ? Untersucht an P. H . Nowell-Smith, Ethics, Zeitschrift für Evangelische Ethik 15,1971,35-49, bes. 38-49; zur Kritik an der fehlenden Berücksichtigung des gesellschaftlichen Aspekts der Ethik und des Zeitfaktors, an der Reduktion auf individualethische Fragestellungen, an der Ausklammerung des moralischen Handelnden und seiner Intention, schließlich an der Unverbindlichkeit der ethischen Option vgl. Ch. Frey, aaO. 46-48. 1 8 1 Richard B. Brandt, Ethical Theory, 2. 1 8 2 A a O . Kap. 3, 37-55, bes. 40-45. Die Überlegungen der Kap. 5 und 6 über die soziale Verankerung jeder Moral und die individualpsychologische Ausbildung moralischer Codices läßt sich dieser Theorie zuordnen, vgl. aaO. 83-113,114-150. 1 8 3 A a O . Kap. 4, 56-82. 1 8 4 A a O . Kap. 7,151-182, bes. 152. 1 8 5 A a O . Kap. 8,183-202, bes. 184-187, vgl. auch 152.
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ethischen Begriffen bestimmte Eigenschaften zugrundeliegen und daß es ethische Wahrheit gibt, und der die ethischen Aussagen nach der Analogie von Sätzen versteht, die nicht Fakten beschreiben, sondern Gefühle ausdrücken oder Ausrufe und Befehle darstellen 186 . Brandt kritisiert alle diese Theorien, indem er zeigt, daß sie jeweils wichtige Züge der Moral nicht ausreichend berücksichtigen. Eine Theorie, die angemessen beschreiben will, was ethische Aussagen sind und wie sie funktionieren, muß davon ausgehen, daß ethische Aussagen mehrere Funktionen ausüben und unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. Sie können (faktische) Aussagen machen, sie können Einstellungen ausdrücken, Einfluß ausüben etc. 1 8 7 . Man kann sie nicht auf eine Funktion reduzieren, ohne ihrer faktischen Bedeutungsvielfalt Abbruch zu tun. Die angemessene Theorie ist daher der „Multifunktionalismus" 1 8 8 . (Brandt folgt allerdings der von ihm skizzierten Entwicklung der analytischen Metaethik darin, daß er den von den jüngsten Theorien erhobenen Sachverhalten eine Priorität einräumt. Das Gewicht will er in allen oder den meisten Fällen auf die nonkognitiven Funktionen ethischer Äußerungen legen 1 8 9 .) Der Multifunktionalismus allein vermag jedoch das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Funktionen nicht festzulegen. Er vermag nicht zu beschreiben, wie ethische Fragen zu beantworten sind. Daher greift Brandt die Überlegungen zur Rationalität ethischer Aussagen auf. Sie zielen darauf anzugeben, welches die korrekte Weise der Beantwortung ethischer Fragen ist 1 9 0 . Brandt versucht eine Neuformulierung dieser Gedanken. Ihn leitet die Absicht, eine „Standard-Praxis" der ethischen Reflexion" 1 9 1 zu entwerfen, die methodisch ebenso abgesichert ist wie das Induktionsverfahren, das Naturwissenschaftler auf ihre Beobachtungsdaten anwenden. Er konstruiert das Verfahren in der Ethik daher analog zu dem der Induktion 1 9 2 . An die Stelle der Beobachtungsdaten treten die Einstellungen, Gefühle, Impulse, Emotionen, an die Stelle der Theorie die moralischen Prinzipien. Das Modell des ethischen Uberlegens beschreibt dann den Vorgang der permanenten Revision der Prinzipien zur Angleichung an persistente Einstellungen 1 9 3 . Brandt nennt dieses Modell die „Methode qualifizierter Einstellungen" (Qualified Attitude Method) 1 9 4 . Sie legt die Kriterien fest, die über eine gültige Rechtfertigung ethischer Aussagen entscheiden: „(1) Wir entscheiden einzelne Probleme, indem wir uns einerseits auf Prinzipien, andererseits auf unsere Präferenzen, Gefühle der Verpflichtung etc. berufen (. . .) (2) Wir korrigieren unsere Prinzipien, wenn sie unvereinbar sind mit unseren kritisch geprüften, nicht disqualifizierten Einstellungen (. . .) (3) Urteile 1 8 7 AaO. 231 f. 234. AaO. Kap. 9,203-240, bes. 205. 1 8 9 AaO. 232,238. AaO. 238f. 1 9 0 Brandt nennt die Namen Kurt Baier, W. D. Falk, J. N. Findlay, Jonathan Harrison, John Rawls, Israel Scheffler, S. E. Toulmin und Morton White, aaO. 241 Anm. 1. 1 9 1 AaO. 245. 1 9 2 AaO. 243 f. 1 9 3 AaO. 249. 1 9 4 AaO. 251. 186 188
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(. . .) müssen konsistent und spezielle Urteile müssen generalisierbar sein. (4) Einstellungen werden disqualifiziert, wenn sie nicht unparteiisch, informiert, das Ergebnis eines normalen Geisteszustandes oder mit dem Festhalten an einem nicht allzu komplexen konsistenten System genereller Prinzipien vereinbar sind." 1 9 5 Beschrieben wird also das Zusammenspiel von Einstellungen, Prinzipien und formalen Voraussetzungen für das gültige ethische Denken. Dabei erfüllen die formalen Regeln die Funktion des eingrenzenden Rahmens, innerhalb dessen die als primär angesehenen (sich durchhaltenden) Einstellungen auf die jeweils vorgefundenen, vom Individuum im Sozialisationsprozeß übernommenen oder in eigener Reflexion ausgebildeten Prinzipien einwirken. Die Methode prüft demnach die Ubereinstimmung der Prinzipien mit den sich durchhaltenden Einstellungen und gibt ein Verfahren ihrer Harmonisierung an 1 9 6 . Brandts Absicht ist es, mit der „Qualified Attitude Method" eine Darstellung der Moral zu geben, die einerseits weitestgehende Zustimmung unter rational denkenden Menschen findet und als Beschreibung ihres moralischen Diskurses gelten kann 1 9 7 , die andererseits zugleich eine Handhabe bietet, die den methodologischen Relativismus abzuweisen erlaubt, der die Ethik der völligen Beliebigkeit ausliefern würde 1 9 8 . Er will eine Standardmethode entwerfen, die die Bedeutung moralischer Sätze sichert und ihre Rechtfertigung beschreibt. Sie muß weithin anerkannt sein, um zeigen zu können, daß und inwiefern man von Wahrheit in ethischen Zusammenhängen sprechen kann, und sie muß so formuliert sein, daß sie der Differenz ethischer Stand-
1 9 5 Übersetzt aus aaO. 250, vgl. 249 f. Punkt (4) erinnert an K. Baiers Beschreibung des „moral point of view" (s. oben Abschnitt 2.4.). W. K. Frankena (Analytische Ethik, 40, 135— 138) vertritt eine ganz ähnliche Theorie. 1 9 6 Vgl. aaO. 265. Deutlich ist, daß in diesem Modell die moralischen Einstellungen die jeweils letzte Ebene für die Rechtfertigung moralischer Urteile darstellen, ungeachtet der sehr problematischen Frage, ob die durch die „Qualified Attitude Method" gewährleistete Ubereinstimmung zwischen dem Urteilenden und dem Urteil nicht selber noch der moralischen Beurteilung bedarf. (A. Pieper weist darauf hin, daß „auch die Einstellung eines Mörders mit seinem (amoralischen) Urteil, nämlich richtig gehandelt zu haben, korrespondieren kann" ; Analytische Ethik, 168, vgl. 173 f.) Der Erörterung bedürfte daneben die strukturelle Parallelsetzung der moralischen Einstellung mit den Daten im Erkenntnisprozeß. Die darin beschlossene Schwierigkeit ist bereits darin sichtbar, daß Brandt ephemere Einstellungen in moralischen Äußerungen und zu moralischen Handlungen explizit ausschließt und von „persistent attitudes" spricht. Fraglich ist, ob dies eine zutreffende Beschreibung des normalen moralischen Sprachgebrauchs ist oder ob es nicht Bereiche gibt, in denen moralische Urteile in einen umfassenderen Zusammenhang eingebettet sind, und es eine nicht zulässige Reduktion wäre, vernachlässigte man diesen Integrationsrahmen. An diesem Punkt setzt Kritik an (vgl. Abschnitt 2.7.). Unten wird ein alternatives Modell der Funktionsweise der Moral entworfen (vgl. vor allem Abschnitt 3.6.). 1 9 7 Vgl. R. B. Brandt, Ethical Theory, 2 5 1 , 2 6 1 - 2 6 4 uö. 198 Vgl. a a O . 292 f. Zu dem Begriff des methodologischen Relativismus und zur Problematik des Relativismus insgesamt vgl. unten Abschnitt 3.3.
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punkte und unterschiedlicher moralischer Optionen Raum gewährt. Brandts Vorschlag scheint beiden Bedingungen zu genügen. Die zweite Hälfte seines Buches widmet Brandt der Erörterung normativethischer Fragen: der Frage nach den „Gütern", dem Verhältnis von Lust und in sich Gutem 1 9 9 , der Frage nach dem Verhältnis von Pflicht und Interesse 2 0 0 und Pflicht und allgemeinem Wohlergehen 2 0 1 , den Fragen nach ausgleichender Gerechtigkeit 2 0 2 , Menschenrechten 2 0 3 und Determinismus 2 0 4 . Diese Erörterungen laufen darauf hinaus, den Regelutilitarismus, diejenige normative Theorie also, die die einzelne Handlung von Regeln bestimmt sieht, die ihrerseits unter teleologischen Gesichtspunkten des Nutzens beurteilt werden, als die der „Qualified Attitude Method" am ehesten entsprechende normative Theorie anzuerkennen 2 0 5 . Darauf, beide Zweige ethischer Philosophie, die der Metaethik und die der normativen Ethik, zu verbinden, kam es Brandt ja an 2 0 6 .
2.6.
Neonaturalismus
Die analytische Metaethik ist durch äußerste Zurückhaltung gegenüber jeglicher normativen Festlegung des Feldes der Moral gekennzeichnet. Sie möchte neutral beschreiben, wie Moral funktioniert, ohne von vornherein zu sagen, was als moralisch, was als nicht moralisch gilt. Diese Zurückhaltung hat in manchen der analytischen Theorien, insbesondere im Präskriptivismus, dazu geführt, daß formale Kennzeichen der Moral immer stärker in den Vordergrund getreten sind und die Theorie moralischer Werte und Wertungen zu einer allgemeinen Werttheorie entwickelt wurde. Welche konkrete Wertentscheidung einer bestimmten Moral zugrundeliegt, blieb immer mehr einer Sphäre der Entscheidung zugeordnet, in der rationale Argumentation keinen Platz mehr hatte 2 0 7 . Aus der gleichen Intention, Beschreibung und Wertung als zwei voneinander unabhängige Größen auseinanderzuhalten, nährt sich die pauschale Ablehnung aller naturalistischen Argumente innerhalb der analytischen Ethik. Da Beschreiben und Werten zwei Tätigkeiten sind, die unterschieden werden müssen - so lautet die These - , ist es nicht möglich, von Inhalten einer Beschreibung auf deren Wertung zu schließen. Jeder Schluß dieser Art ist unzulässig, da man nicht aus Faktenaussagen ohne Einführung zusätzlicher normativer Prämissen auf normative ethische Aussagen schließen kann 2 0 8 . 2 0 0 A a O . Kap. 14. 2 0 1 A a O . Kap. 15. A a O . Kap. 12 und 13. 2 0 3 A a O . Kap. 17 . 2 0 4 A a O . Kap. 20. A a O . Kap. 16 . 2 0 5 Vgl. aaO. 254, 3 9 6 - 4 0 0 . 2 0 6 Zu Brandt vgl. A . Pieper, Analytische Ethik, 1 6 7 - 1 6 9 . 2 0 7 Vgl. die Ausführungen über R. M. Hare, oben Abschnitt 2.3.; auch die unten dargestellte Kontroverse um Hares Position in Abschnitt 3.2. 2 0 8 Daß dies die Folie ist, gegen die sich der Neonaturalismus abheben will, zeigen Philippa Foot, Moral Beliefs, Proceedings of the Aristotelian Society 59, 1958/59, 8 3 - 1 0 4 , wieder abgedr. in Ph. Foot, Hg., Theories of Ethics, 8 3 - 1 0 0 , bes. 83-85, 93; vgl. auch G. J. Warnock, 199
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G. E. M. Anscombe, Ph. Foot, G. J. Warnock. In der Kritik dieser These wurde seit Ende der 50er Jahre die Gegenthese des Neonaturalismus entwikkelt. Ihre Vertreter finden sich ausschließlich unter britischen Philosophen. Zu ihnen gehören (in jeweils spezifischer Ausprägung der These) G. E. M. Anscombe 209 , Philippa Foot 2 1 0 und G. J. Warnock 211 . Diese Autoren wollen die pauschale Ablehnung naturalistischer Argumentation in der Ethik revidieren. Sie setzen dem die These entgegen, daß bestimmte Fakten als gute Gründe für moralische Werturteile gelten. Ein Verhalten oder eine Handlung gelte gerade deshalb als moralisch gut oder schlecht, weil in ihm selbst Elemente enthalten seien, die als moralisch gut oder schlecht gekennzeichnet werden müßten 212 . Wo es um moralische Werturteile gehe, könne nicht alles als Kriterium der Wertung gelten, vielmehr sei durch die Angabe des Bereichs bereits festgelegt, daß bestimmte Arten von Kriterien, eben „moralische" Kriterien, entscheidend seien. Moral sei nämlich nicht durch nur formale Kriterien zu erfassen. Wer von Moral spreche, setze immer schon den inhaltlich festgelegten Bereich vernünftiger Argumentation, der Fakten und Normen umfasse, voraus. Moral hat zu tun mit der Frage nach dem menschlichen Wohlergehen, nach Bedürfnissen, Interessen und Wünschen des Menschen. Ohne eine derartige an Fakten rückgebundene Konkretion gibt es keine Moral 213 . Die Autoren setzen im einzelnen bei unterschiedlichen Überlegungen an, um diese These zu erhärten 214 . (1) Man führt an, die Natur des vernünftigen moralischen Uberlegens und Argumentierens oder die auf Rationalität angelegte Natur des Menschen selbst schließe bestimmte Optionen aus. Man könne nicht sagen, eine bestimmte Handlungsweise habe Leiden zur Folge, die Frage, ob sie moralisch sei oder nicht, sei von solchen Überlegungen aber völlig unabhängig215. Contemporary Moral Philosophy, 6 2 - 6 6 ; dieser Abschnitt des Buchs findet sich dt. u.d.T. Naturalismus in G. Grewendorf u. G. Meggle, H g . , Seminar: Sprache und Ethik, 3 4 1 - 3 5 2 , vgl. 341-345. 2 0 9 Modern Moral Philosophy, Philosophy 33, 1958, 1 - 1 9 , dt. Moderne Moralphilosophie, in G. Grewendorf u. G. Meggle, H g . , Seminar: Sprache und Ethik, 2 1 7 - 2 4 3 . 2 1 0 Moral Beliefs; Ph. F o o t , Moral Arguments, Mind 67, 1958, dt. Moralische Argumentationen, in G. Grewendorf u. G. Meggle, H g . , Seminar: Sprache und Ethik, 2 4 4 - 2 5 9 . 2 1 1 Contemporary Moral Philosophy, bes. Kap. V I ; G. J. Warnock, The Object of Morality, London 1971. 2 1 2 Das Objekt der moralischen Wertung sei für diese Wertung ausschlaggebend. Vgl. Ph. F o o t , Moral Beliefs, 85; vgl. dazu auch G. J . Warnock, The Object of Morality, passim. Zur Kritik vgl. R. M. Hares Rezension dieses Buches von Warnock in Ratio (Hamburg) 14, 1972, 193-200.
Vgl. G. J . Warnock, Naturalismus, 3 4 7 f ; auch K. Nielsen, Ethics, Problems of, 1 3 0 - 1 3 2 . Eine gewisse Verwandtschaft zu den Philosophen, die der Rationalität des moralischen Diskurses ein starkes Gewicht beilegen (vgl. oben Abschnitt 2.4.), ist offenkundig. Die N e o n a turalisten gehen jedoch über deren Aussagen hinaus, wenn sie die faktische Basis moralischer Urteile behaupten. 213
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G. J . Warnock, The Object of Morality, 162f, vgl. 1 4 3 - 1 6 6 .
(2) Man sagt, von „Moral" zu sprechen bedeute insofern eine inhaltliche Festlegung, als es bestimmte Kriterien des Guten gebe, die man nicht willkürlich wähle 2 1 6 , sondern die man einfach anerkennen müsse, wenn man moralische Aussagen machen wolle. Wie es möglich sei, ein Messer nur dann gut zu nennen, wenn es seine Funktion angemessen erfülle, so könne man auch nur dann von einem Verhalten als einem (moralisch) guten Verhalten sprechen, wenn es seiner Funktion gerecht werde, und dessen Funktion habe mit fundamentalen menschlichen Bedürfnissen zu tun 2 1 7 . (3) Dies führt zum zentralen Argument des Neonaturalismus. Man erklärt, Moral besitze einen Inhalt, der gesehen werden müsse, wenn das, was in den Blick kommt, wirklich die Moral sein soll 2 1 8 . Dieser Inhalt könne unterschiedlich bestimmt werden: als das Ziel, das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl von Menschen zu schaffen; als das Ziel, fundamentale menschliche Bedürfnisse, Interessen oder Wünsche zu befriedigen 219 . Die utilitaristische Bestimmung könne auf die grundlegendere des Bezugs auf menschliche Wünsche und Bedürfnisse zurückgeführt werden, da das Verlangen nach Glück selbst ein hinreichend allgemeines Verlangen von Menschen sei. Moral sei daher unmittelbar der Bereich, der mit den fundamentalen Bedürfnissen und Wünschen, dem Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit, nach Leben, Kleidung, Wohnen, Nahrung, dem Wunsch nach Abwesenheit von Leid und nach Glück in Verbindung steht und ihre (für alle Menschen gleiche) Erfüllung zu gewährleisten versucht. Der Neonaturalismus muß dann lediglich noch präzise festlegen, welche der Bedürfnisse und Wünsche des Menschen als fundamental gelten und damit für die Moral konstitutiv sind 2 2 0 . Daß es solche fundamentalen Bedürfnisse gibt, die zur Abgrenzung des Bereichs der Moral herangezogen werden können, behaupten die Neonaturalisten entgegen der Bestreitung dieser These durch eine andere Gruppe von Philosophen 2 2 1 . Sätze sind nur dann moralische Urteile, wenn sie sich auf die Befriedigung dieser Bedürfnisse und die Erfüllung dieser Wünsche richten 2 2 2 . Die Negation richtet sich gegen (ein bestimmtes Verständnis von) R. M. Hare. 217 Vgl. Ph. F o o t , Goodness and Choice, Proceedings of the Aristotelian Society, Suppl. Vol. 3 5 , 1 9 6 1 , wieder abgedr. in W . D. Hudson, Hg., The Is-Ought Question. A Collection of Papers on the Central Problem in Moral Philosophy, London/Basingstoke 1 9 6 9 , 2 1 4 - 2 2 7 ; vgl. auch G. J . Warnock, Naturalismus, 3 4 5 f ; W . D . Hudson, Modern Moral Philosophy, 301 f, 304 f; zur Kritik vgl. aaO. 3 0 5 - 3 0 7 . 216
2 1 8 W a r n o c k spricht vom „object of morality"; vgl. das gleichnamige Buch Warnocks, bes. 24-26,263 fuö. 2 1 9 G. J . Warnock, Contemporary Moral Philosophy, 54 f. 2 2 0 Z u m Zusammenhang der Moral mit den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen vgl. Ph. F o o t , Goodness and Choice, 227. 2 2 1 Man kann die Theorien dieser zweiten Gruppe, zu der der Intuitionismus Moores, der Emotivismus Stevensons, der Präskriptivismus Hares und eine Reihe von Theorien in deren Nachfolge rechnen, als nonnaturalistisch bezeichnen. 2 2 2 Zu dem Problem, ob nicht auch Hare die Moral in dem gründet, was alle Menschen wollen, dies jedoch nur auf einer allgemeineren Ebene bestimmt als etwa G. J . Warnock und Ph.
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Gelegentlich wird dieser (notwendige) Bezug moralischer Aussagen auf Wünsche und Bedürfnisse des Menschen dadurch illustriert, daß man das Leben des Menschen mit dem eines pflanzlichen Organismus vergleicht. Die Erfüllung bestimmter Bedürfnisse ist die Voraussetzung für das Gedeihen des Organismus. Ebenso seien bestimmte Verhaltensweisen zum Gedeihen des menschlichen Lebens unerläßlich. In beiden Fällen sei es daher möglich, von einer Beschreibung dessen, was Gedeihen heißt und was zum Gedeihen notwendig ist, zu der normativen Aussage überzugehen, daß man das tun solle, was zum Gedeihen notwendig sei. Dieser Zusammenhang stellt die Gültigkeit des Arguments in Frage, man begehe damit einen naturalistischen Fehlschluß 2 2 3 . Auch dieser Weg 2 2 4 hat freilich seine Schwierigkeiten. Man kann zu Recht fragen, ob das normative Element nicht lediglich in die Begriffe des Bedürfnisses und des Gedeihens zurückverlegt wurde und der Streit darum, was als fundamentales Bedürfnis gilt beziehungsweise was zum Gedeihen nötig ist, selber ein Streit um normative Inhalte ist. Sofern dieser Streit möglich ist und es eben nicht a priori gültige und allgemein anerkannte Antworten auf diese Frage gibt, kann man nicht sagen, man könne von einer Beschreibung der Fakten auf Sollensurteile schließen 2 2 5 . Alle genannten Formen neonaturalistischer Argumentation haben ein gemeinsames Ziel: Sie wollen nachweisen, daß es in der Ethik nicht nur bloße Meinungen über gut und schlecht, richtig und falsch gibt, sondern daß es dort um Fakten - wenn auch nicht um neutral zu beschreibende Fakten geht, die die moralische Stellungnahme eines rationalen Menschen mit Notwendigkeit prägen, beeinflussen und festlegen 226 . Ihre These ist also, daß metaethische Theorien notwendig naturalistisch sind und daß alle nichtnaturalistischen metaethischen Theorien die Struktur der Moral verkennen 2 2 7 .
Foot, so daß er alle Wünsche umfaßt, die der Mensch haben kann, während Warnock und Foot bestimmte Wünsche und Bedürfnisse als ausschlaggebend für die Qualifikation eines Urteils als moralisches Urteil halten, vgl. W . D. Hudson, Modern Moral Philosophy, 3 1 6 f . 223 Vgl. Q £ M. Anscombe, Moderne Moralphilosophie, 225 f. 2 2 4 Ahnlich argumentiert Helen Oppenheimer mit der Vorstellung des „human flourishing" in Christian Flourishing (Religious Studies 5, 1 9 6 9 , 1 6 3 - 1 7 1 , z.T. aufgenommen in H. Oppenheimer, The Character of Christian Morality, 2. A u f l . , Leighton Buzzard 1974, Kap. IX, 9 2 100) und in Ought and Is (Theology 76, 1973, 5 9 - 7 3 , wieder abgedr. in G. R. Dunstan, Hg., D u t y and Discernment, London 1975, 9 - 2 2 , bes. 15, 22) im Zusammenhang der christlichen Moral. 2 2 5 Gegen diese Möglichkeit einer Sein-Sollens-Ableitung mit Hilfe der Vorstellung des „human flourishing" argumentiert mit anderen Gründen W . D. Hudson, M o d e m Moral Philosophy, 3 1 9 f. 2 2 6 Vgl. G . J. Warnock, Contemporary Moral Philosophy, 6 0 f . 2 2 7 G. J. Warnock, Naturalismus, 3 4 7 f . Zum Ganzen vgl. den informativen und im Urteil ausgewogenen Überblick bei R. L. Franklin, Recent W o r k on Ethical Naturalism, in Ν. Rescher, Hg., Studies in Ethics, O x f o r d 1973, 5 5 - 9 5 .
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2.7. Ethik der Ideale Seit Beginn der sechziger Jahre wird vermehrt Kritik an der Engführung analytischer Moralphilosophie laut. Diese Kritik erhebt sich zunächst unter Philosophen, die im Bereich analytischer Metaethik zu Hause sind. Sie setzt an zwei Punkten an: einmal an der ausschließlichen Orientierung der analytischen Moralphilosophie an der Ethik als einem System von Regeln und der daraus resultierenden Mißachtung offener Konzepte im Bereich der Ethik, etwa von Idealen, Tugenden, Parabeln etc.; zum andern entzündet sich die Kritik an der ausschließlichen Orientierung analytischer Metaethik an einzelnen Handlungen oder Handlungstypen und der Vernachlässigung des handelnden Subjekts als einer wichtigen, wenn nicht der wichtigsten Komponente der Ethik. Beide Linien der Kritik sollen im folgenden dargestellt und einer ersten Prüfung unterzogen werden 228 . 1. Ethik der Regeln vs. Ethik der Ideale: R. W. Hepburn, I. Murdoch, H. Oppenheimer. Die analytische Moralphilosophie betrachtet die Moral weithin als Sphäre der Beachtung verhaltenssteuernder Regeln und Prinzipien, die innerhalb einer sozialen Gemeinschaft Anerkennung finden. Auf deren Gültigkeit gründen die Verhaltenserwartungen innerhalb einer Gemeinschaft 229 . Das Handeln des einzelnen besteht dieser Ansicht zufolge aus einer Reihe von Wahlakten zwischen verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten in einer Reihe von angebbaren Situationen. Aufgabe der Moralphilosophie, wie sie sich herkömmlicherweise versteht, ist es, die Situationen und die in ihnen bestehenden Möglichkeiten zu beschreiben und anzugeben, was für die Wahl als valide Begründung zählt. In ihrer sprachanalytischen Ausprägung versucht sie diese Aufgabe zu erfüllen, indem sie die Sprechakte analysiert, die das regelgesteuerte Verhalten vorbereitend oder begleitend beschreiben, und dabei die Bedeutung spezifisch moralischer Wörter erhebt. Ein moralisches Konzept besteht demnach aus einer objektiven Deskription eines bestimmten Handlungsfeldes und einer Empfehlung oder einem Verbot 230 . Die Vorstellung, daß derjenige, der moralisch handelt, bei der Wahl seiner Handlungsweisen bestimmte Regeln befolgt 231 , wird recht anschaulich von 2 2 8 Die Konsequenzen aus dem Ergebnis dieser Prüfung werden im dritten Teil dieser Arbeit aufgenommen werden, vgl. besonders Abschnitt 3.6. 2 2 9 Vgl. P. F. Strawson, Social Morality and Individual Ideal, Philosophy 36, 1961, 1-17, wieder abgedr. in I. T. Ramsey, Hg., Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 2 8 0 298, dt. Gesellschaftliche Moral und persönliches Ideal, in G . Grewendorf u. G . Meggle, Hg., Seminar: Sprache und Ethik, 317-340,322. Zur Sozialbezogenheit der Moral vgl. auch K. Baier, Der Standpunkt der Moral, Kap. 10,218-240. 230 Vgl. Iris Murdoch, Vision and Choice in Morality, Proceedings of the Aristotelian Society, Suppl.Vol. 30, 1956, 32-58, wieder abgedr. in I. T. Ramsey, Hg., Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 195-218, 197f. 2 3 1 R. W. Hepburn (Vision and Choice in Morality, Proceedings of the Aristotelian Society, Suppl.Vol. 30, 1956, 32-58, wieder abgedr. in I. T. Ramsey, Hg., Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 181-195,181) spricht vom „,rule-obedience' model".
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Helen Oppenheimer in Analogie zur Wirkungsweise eines Computers beschrieben. Ein Computer ist so programmiert, daß er über die für den jeweiligen Menschen gültigen moralischen Regeln verfügt. Werden ihm die Daten einer bestimmten Situation eingegeben, so ist er in der Lage, das von den Regeln erforderte Verhalten vorzuschreiben. Soll das Modell funktionieren, so müssen die Antworten des Computers als verbindlich gelten und befolgt werden, andernfalls muß der Computer neu programmiert werden 2 3 2 . Damit ist das Bild beschrieben, das allein sich der moderne Mensch von der Moral machen zu können scheint. Es ist „einfach, behaviouristisch, antimetaphysisch und läßt keinen Raum für eine Begegnung mit dem Transzendenten" 2 3 3 . Es steht außer Frage, daß es diesen Bereich der regelgeleiteten Moral, diese „Minimalinterpretation der M o r a l " 2 3 4 gibt. Dort geht es um gesellschaftliche Pflichten, die miteinander verrechenbar sind 2 3 5 . Bei dieser Sicht fällt jedoch eine ganze Dimension der Moralität aus, eine Dimension, deren Existenz phänomenologisch außer Zweifel steht. Denn man reflektiert nicht nur auf die aktuellen (oder vergangenen und zukünftigen) ethischen Entscheidungen, die man zu treffen hat, sondern auch auf das Bild eines Lebens als ganzes 2 3 6 . Was weithin als Moral gilt, kann daher nicht als ausreichend angesehen werden. Eine andere Konzeption der Moral ist dem an die Seite zu stellen 2 3 7 . Sie erfaßt als Bestandteile der Moral auch die Manifestationen von persönlichen Einstellungen, die Visionen eines Lebens 2 3 8 , die Bilder eines idealen Lebens 2 3 9 . Moralisch leben heißt nämlich nicht nur, durch bestimmte Regeln sein Verhalten leiten zu lassen, sondern auch, „ein bestimmtes Modell des Lebens zu verwirklichen" 2 4 0 . An Autobiographien hat R. W. Hepburn die Beobachtung gemacht, daß die bloße Erzählung der Ereignisse eines Lebens häufig verbunden ist mit einem „sich langsam entwickelnden, oft nicht zu fassenden Bündel persönlicher Symbole, zusammengesetzt aus Kindheitserinnerungen, Brennpunkten der Sehnsucht, Entdeckungen in der Literatur, durch die ein ganzes Leben 232 Vgl. Helen Oppenheimer, Moral Choice and Divine Authority, in I. T . Ramsey, H g . , Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 2 1 9 - 2 3 3 , 220f. Das Gemeinte wird sehr eindringlich klar an dem Beispiel eines auf christliche Ethik programmierten Computers: „One feeds in the datum ,someone has struck me on the right check' and out comes the result ,turn to him the other also'." ( A a O . 221.) 233 234
I. Murdoch, Vision and Choice in Morality, 201 ; meine Übersetzung. P. F. Strawson, Gesellschaftliche Moral und persönliches Ideal, 322.
AaO. 322-326. 236 Vgl. Stuart Hampshire, Morality and Pessimism, Cambridge 1 9 7 2 , 9 f. 2 3 7 I. Murdoch stellt dem „current view" den „alternative view of morality" gegenüber; vgl. Vision and Choice in Morality, 1 9 7 , 2 1 4 uö. 235
Vgl. aaO. 200. Vgl. P. F . Strawson, Gesellschaftliche Moral und persönliches Ideal, 317, 321 ; S. H a m p shire, Morality and Pessimism, 10 f. 236
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2 4 0 „(. . .) the realizing of a pattern of life or the following out of a pilgrimage", R. W . Hepburn, Vision and Choice in Morality, 181.
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seine Orientierung gewinnt und eine Autobiographie zu einer natürlichen Einheit verknüpft wird, einer Einheit, die sich von allem konventionellen Reden von den Phasen eines Lebens unterscheidet" 2 4 1 . In Gesprächen und inneren M o n o l o g e n begegnen diese Bilder, Geschichten und Muster wieder. Sie gehören somit zu den F a k t e n 2 4 2 , die der Moralphilosoph bei seinem Unternehmen, die Moral zu beschreiben, nicht vernachlässigen darf. Selbst die privaten „ s t o r i e s " 2 4 3 , die dem Bewußtsein eines M e n s c h e n 2 4 4 angehören, sind identifizierbar und prinzipiell kommunikabel und somit feststellbar. Gerade dann, wenn man andere Menschen beurteilt, berücksichtigt man nicht nur ihre jeweiligen aktuellen, vergangenen oder zukünftigen ethischen Entscheidungsakte, sondern auch ihre Ideale, ihr Bild eines Lebens als ganzes, ihre Vorstellung eines guten Lebens, wie sie sich kontinuierlich in ihrem H a n d e l n und Sprechen äußert 2 4 5 . Man denkt moralisch nicht nur in der F o r m einzelner Entscheidungsakte, in denen man zwischen „richtig" und „ f a l s c h " zu unterscheiden und entscheiden hat, sondern ebenso oft so, daß man eine bestimmte Lebensanschauung, ein Ideal verwirklichen will 2 4 6 . Wer diesen Feldausschnitt des Moralischen vernachlässigt 2 4 7 , kann nicht behaupten, die Moral als ganze zu seinem Gegenstand zu h a b e n 2 4 8 . Sprachanalytisch ausgebildete Philosophen tun sich schwer mit diesem „Lebensvisions"-Modell einer Ethik. Denn die Analyse ist hier viel diffiziler und subjektiver als die Analyse der sogenannten C o m p u t e r - M o r a l . In das Schema einer deontischen L o g i k läßt sich diese Sicht der M o r a l 2 4 9 nicht ohne 2 4 1 A a O . 182; meine Übersetzung. Strawson rekurriert auf ähnliche Gedanken; vgl. P. F. Strawson, Gesellschaftliche Moral und persönliches Ideal, 317-320. 2 4 2 I. Murdoch spricht von den „data", Vision and Choice in Morality, 210 uö. 2 4 3 Zum Begriff der story vgl. unten vor allem Abschnitt 5.4. 2 4 4 I. Murdoch spricht von dem „inner life" eines Menschen; vgl. Vision and Choice in Morality, 210; auch R. W. Hepburn, Vision and Choice in Morality, 181. 2 4 5 Vgl. I. Murdoch, Vision and Choice in Morality, 202. 2 4 6 Ein Blick auf die Entstehung moralischer Uberzeugungen in der Sozialisation von Kindern unterstützt diese Ansicht: Kindern werden nicht nur Sätze aus Moralkompendien ( „ D u sollst nicht stehlen") vorgesagt, sondern auch Geschichten vorgelesen oder erzählt, die eher ein ganzes Leben abbilden, als daß sie eine Sammlung von Ratschlägen wären (Legenden, biblische Geschichten, Parabeln, Märchen). Was hinter allen Äußerungen über moralischen Wert oder Unwert von Personen steht, besteht eher in einem solchen („ganzheitlichen") Konzept eines guten Lebens als in einem Moralkodex. Zur Bedeutung von Geschichten und Sprichwörtern für die moralische Erziehung vgl. Renford Bambrough, Reason, Truth and G o d , London 1969. Vgl. auch die Hinweise bei Franz Furger, Möglichkeiten und Grenzen ethischer Rede, in F. Rauh u. C . Hörgl, H g . , Die Grenzen des menschlichen Ethos, Düsseldorf 1975,113-131. 2 4 7 Wie der oben skizzierte „current view". 248 Vgl. I. Murdoch, Vision and Choice in Morality, 201 f. 2 4 9 N a c h Strawsons Terminologie werden die Idealbilder eines menschlichen Lebens dem Bereich des Ethischen („the region of the ethical"; P. F. Strawson, Gesellschaftliche Moral und persönliches Ideal, 319f) zugerechnet - im Unterschied zu dem Bereich der Moral („the region of morality", a a O . 322), dem Bereich, in dem die Befolgung von Regeln oder verhaltenssteuernden Prinzipien die Moral definieren.
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Rest verrechnen, denn in einem solchen Schema (das als das am stärksten formalisierte „rule-obedience"-Modell stellvertretend für alle ähnlichen Modelle stehen kann) finden zwei Aspekte keinen Platz, die zu einem „visionof-life"-Modell wesentlich gehören: Kreativität und Integration 250 . Mit Kreativität ist diejenige Einstellung eines Menschen zu seinem Leben gemeint, die davon ausgeht, daß jeder einzelne sein Leben weitgehend selbst gestalten kann und er einen verhältnismäßig großen Spielraum 251 besitzt, innerhalb dessen er unter verschiedenen möglichen Arten der Lebensführung wählen kann 252 . In dieser Hinsicht kann die Moral auch der Tätigkeit eines Künstlers oder Malers analog gesetzt werden, der aus dem vorgefundenen Material sein Kunstwerk oder Bild herstellt 253 . Integration steht für das Bestreben des Menschen, dem Bild seines Verhaltens Einheitlichkeit zu verleihen. Er bedient sich dazu eben dieser Fähigkeit, die Form seines Lebens innerhalb gewisser Grenzen selbst zu schaffen (der Kreativität), und freilich seines Selbstbewußtseins. Eine Einheitlichkeit der Existenz zu erreichen, bedarf es ständig neuer Anstrengungen, entweder sich gemäß dem Bild, das man von sich selbst hat, zu verhalten oder dieses Bild, ohne es aufzugeben, dem tatsächlichen Verhalten entsprechend umzugestalten 254 . 250
Vgl. R. W. Hepburn, Vision and Choice in Morality, 183. Vgl. aaO. 185. 252 In den Formulierungen, die hier gewählt wurden, ist freilich anerkannt, daß diese Kreativität ihre Grenzen hat. Darüber, wie eng oder weit diese Grenzen gesteckt sind und auf welchen Gebieten sie engeren, auf welchen sie weiteren Raum abstecken, kann man streiten. Daß es einen Raum gibt, innerhalb dessen man sein Leben frei gestalten kann, steht allerdings außer Zweifel. Hepburn nennt selbst Beispiele dafür: die Erziehung eines Kindes, die Gestaltung der Beziehungen zu dem Ehegatten, die Wahl des Berufs und der Karriere, der Lebensstil (aaO. 185). Vgl. auch die Beispiele bei H . Oppenheimer, Moral Choice and Divine Authority, 223 uö. 253 Vgl. R. W. Hepburn, Vision and Choice in Morality, 183-186; auch H . Oppenheimer, Moral Choice and Divine Authority, 221 f uö. Oppenheimer spricht vom „,painter' model" im Gegensatz zum „computer model", aaO. 223 uö. 254 Vgl. R. W. Hepburn, Vision and Choice in Morality, 186f, Zitat 186. Für den analytischen Philosophen scheint allerdings das „vision-of-life"-Modell der Moral strengen logischen Kriterien nicht zu genügen und verwirrend zu sein, weil es sich mit Vorstellungen befaßt, die nicht ohne Bezug auf das Bewußtsein des Menschen beschrieben und erklärt werden können. Die stärker behaviouristisch orientierten analytischen Philosophen (etwa im Gefolge Gilbert Ryles; vgl. sein Schlagwort „no-ghost-in-the-machine", The Concept of Mind, London 1949; vgl. R. W. Hepburn, Vision and Choice in Morality, 181; zu Ryle vgl. E. v. Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache, 91-126) können mit ihren Grundsätzen nur ein Modell der Moral vereinbaren, das auf Prinzipienentscheidungen und verhaltenssteuernden Regeln beruht. Die Frage ist daher, ob die Alternativkonzeption der Moral notwendigerweise logisch konfus ist oder nicht einen zwar philosophisch vernachlässigten, aber logisch legitimen Aspekt der Moral darstellt (vgl. R. W. Hepburn, Vision and Choice in Morality, 181). Daß sie nicht logisch konfus ist, läßt sich zeigen, indem man sie in Beziehung zu dem „rule-obedience"-Modell setzt, dessen logische Konsistenz außer Zweifel steht. Die Analyse der Wirkungsweise einer parabelgeleiteten Ethik führt zu dem Ergebnis, daß eine solche Ethik mit der anderen, prinzipiengeleiteten Ethik nicht in Konflikt zu geraten braucht. Vielmehr ist das Parabelmodell durchaus parallel zum Regelmodell, sofern eine Parabel oder story - allerdings in ihrer spezifischen Form 251
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Eine vollständige Reduktion der parabelgeleiteten auf eine regelgeleitete Ethik würde jedoch einen Verlust der Vielfalt von Lebensformen bedeuten, die es phänomenologisch zunächst anzuerkennen gilt. Die parabelgeleitete Ethik bietet die Möglichkeit, ein an Erfahrungen, Motivationen und Vorstellungen reicheres Leben zu führen, eine Möglichkeit, die man nicht um der glatteren (oder platteren?) Formalisierung ethischer Entscheidungen und Vollzüge willen geringschätzen sollte 2 5 5 . 2. Ethik der Handlung vs. Ethik des Handelnden: P. F. Strawson, S. Hampshire, W. K. Frankena. Die dargestellte Kritik an einer regelgeleiteten Ethik und deren Ablösung oder ergänzende Erweiterung durch eine Sicht der Ethik, die auch Vorstellungen des Ganzen eines Lebens, Ideale und Visionen einbezieht, steht im Kontext jener Strömung innerhalb oder am Rand der analytischen Moralphilosophie, die seit Beginn der sechziger Jahre die Engführung der analytischen Ethik überwinden will. Diese Strömung ist mit den Namen P. F. Strawsons, S. Hampshires, W. K. Frankenas, R. B. - etwas ausdrückt, was in Analogie zu Regeln verstanden werden kann. Die story bzw. Parabel kann daher die gleiche Funktion erfüllen wie ein Prinzip bzw. eine universale Regel, nämlich zu Urteilen anzuleiten und Verhaltensweisen vorzuschreiben. Insofern ist die Entscheidung zu einer E t h i k in Parabelform - in Hares Terminologie - nichts anderes als eine Prinzipienentscheidung. Ein Urteil in Parabelform ist dann nichts anderes als jedes andere moralische Urteil, ebensowenig ist es von der Anforderung an alle moralischen Urteile, verallgemeinert werden zu können, von der Forderung ihrer Universalisierbarkeit ausgenommen. Aus diesen Gründen braucht derjenige, der eine Parabelethik befolgt, seine Prinzipien nicht explizit als Regeln zu formulieren, es genügt, daß er seine Parabel aufrechterhält. Insoweit die Alternativkonzeption dem Regelmodell parallel läuft, besitzt sie also logische Konsistenz. Sie geht über das Regelmodell dadurch hinaus, daß sie weniger streng festgelegte F o r m e n (Parabel, Ideal, story etc.) verwendet und mit ihrer Hilfe die Vision eines guten Lebens formuliert. D a ß sie aufgrund dieser Eigenschaften logisch inkonsistent sein soll, ist nicht einzusehen, wenngleich zugestanden werden m u ß , daß damit der Boden des mühelos Formalisierbaren und des restlos Greifbaren verlassen und ein Terrain betreten ist, in dem Kreativität, Imagination und Interpretation ihren Platz haben. Z u m Ganzen vgl. R . W . H e p b u r n , Vision and Choice in Morality, 192. Erwägenswert ist der Vorschlag Helen Oppenheimers, beide Modelle in einem Schema zu vereinen. Sie will damit dem Zustand ein Ende bereiten, daß zwei für sich jeweils inadäquate Modelle sich alternativ anbieten ( H . Oppenheimer, Moral Choice and Divine Authority, 226). Das „painter m o d e l " bewahrt zwar das Mysterium der Moral, gibt aber ihre Stringenz preis; das „computer m o d e l " betont die Rationalität der Moral, vernachlässigt aber die Kreativität (aaO. 227). Oppenheimers Vorschlag ist es, beide Modelle als verschiedene Ebenen (levels) der Moral zu integrieren: die R e g e l - E t h i k als die niedrigere Ebene und die „Sphäre lebendiger personaler Beziehungen" als die höhere Ebene (aaO. 229). In der Sphäre der personalen Beziehungen geht es nicht nur um die Erfüllung der Pflichten, die jemand hat, sondern darum, „daß wir eine Pflicht haben, mehr als unsere Pflicht zu t u n " (aaO. 229, meine Ubersetzung, vgl. die Beispiele 230). Oppenheimer nimmt damit einen Vorschlag auf, den H e n r y David Aiken 1952 bereits allerdings ohne den Bezug auf die Sphäre der personalen Beziehungen - gemacht hat; vgl. T h e Levels of Moral Discourse, M i n d 62, 1952, 2 3 5 - 2 4 8 , wieder abgedr. in H . D . Aiken, Reason and C o n d u c t , 6 5 - 8 7 . 2 S 5 Vgl. I. M u r d o c h , Vision and Choice in Morality, 2 1 7 ; R . W . Hepburn, Christianity and Paradox. Critical Studies in Twentieth Century T h e o l o g y , L o n d o n 1958, 2 0 9 ; Paul M . van Buren, T h e Edges of Language. An Essay in the Logic of a Religion, London 1 9 7 2 , 1 6 9 .
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Brandts und anderer verknüpft. Sie will die Bindung der analytischen Ethik an das Schema von Entscheidung und Handlung lockern, das als zu einfach und dem Phänomen des moralischen Lebens inadäquat empfunden wird. Sie geht ihrerseits häufig mit der Kritik einher, die an der Konzeption des Utilitarismus geübt wird. Diese Kritik hat ihren Zielpunkt ebenfalls darin zu zeigen, daß eine utilitaristische Konzeption der Moral die Phänomene des Feldes der Moral nur ausschnittweise zur Kenntnis nimmt und ihnen nur zum Teil gerecht wird. Sie argumentiert, daß im Prozeß moralischer Entscheidungsfindung nicht allein Überlegungen eine Rolle spielen, welche der möglichen Alternativen die besseren Folgen haben 2 5 6 , sondern daß die Fülle der Überlegungen von Bedeutung sind, die sich mit Idealen, einer Lebensweise als ganzer und ähnlichen Vorstellungen befassen 2 5 7 . Im Grunde stehen einander also zwei Konzeptionen der Ethik gegenüber: (a) eine Ethik, in deren Zentrum die (einzelne) Handlung steht, und (b) eine Ethik, die den Handelnden zu ihrem Ausgangspunkt wählt. Die erste Konzeption umfaßt das breite Feld der Überlegungen, auf das sich die analytische Ethik weithin konzentriert hat. Sie ist keineswegs ein einheitliches Gebilde, sondern umschließt mehrere, zum Teil rivalisierende Vorstellungen. Einesteils werden ihr deontologische Theorien zugerechnet. Sie erklären, daß moralische Entscheidungen von Regeln begleitet werden, daß es bestimmte Pflichten gibt, die man zu erfüllen hat, daß man bestimmte Handlungen tun soll, weil sie richtig sind, andere nicht, da sie als falsch gelten. Anderenteils gehören auch teleologische Theorien hierher. Sie führen hinter die deontologischen Überlegungen zurück. In der Regel sind sie der angelsächsischen philosophischen Tradition entsprechend utilitaristisch. Richtig ist eine Handlung dann, wenn sie positiv zu beurteilende Folgen bewirkt, falsch ist sie dann, wenn ihre Konsequenzen als schlecht beurteilt werden müssen. Die Entscheidung darüber, wie eine bestimmte Handlung zu beurteilen ist, fällt der einzelne in der jeweiligen Situation (Handlungsutilitarismus), oder er fällt sie, indem er sich an etablierten Regeln orientiert, die für bestimmte Typen von Situationen bestimmte Handlungen vorschreiben (Regelutilitarismus). Trotz aller Unterschiede im einzelnen wird diese Gruppe von Theorien durch eine übereinstimmende Ansicht über die Funktionsweise der Moral, über die Art, wie man zu einer moralischen Entscheidung kommt, zusammengehalten. Denn sie alle nehmen an, daß zunächst die Situation, in der die Entscheidung gefordert ist, objektiv „wertfrei" beschrieben werden kann und darauf ein Akt der Entscheidung über das moralisch Gesollte folgt. Die Unterschiede liegen in der Auffassung und Begründung des Entscheidungsaktes, die Gemeinsamkeit liegt in dieser Doppelstruktur von Beschreibung und Entscheidung 2 5 8 . 256 Wegen dieses Bezugs auf die Folgen wird der strikte Utilitarismus auch als „consequentialism" bezeichnet; vgl. etwa K. Nielsen, Ethics Without G o d , L o n d o n / B u f f a l o 1973,67 uö. 257 Vgl. zB. S. Hampshire, Morality and Pessimism, Cambridge 1972. 2 5 8 Donald Evans bezeichnet dieses Modell daher als die „is-then-ought"-Konzeption der
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Dieser Gruppe steht die andere, zweite gegenüber, die von der Vorstellung des moralisch Handelnden ausgeht. Auch sie ist nicht völlig einheitlich. Ihren Zusammenhalt findet sie durch die Ablehnung einer bloßen Handlungsethik und die Einbeziehung von Aspekten, die auf die Identität des Handelnden abzielen 2 5 9 . Man entscheidet nicht von Fall zu Fall, was richtig und gut ist, sondern besitzt eine Einstellung gegenüber Typen von Fällen, die sich in der Beurteilung spezifischer Fälle durchhält. Man trifft nicht jedesmal neu seine grundsätzliche Entscheidung. Diesen Sachverhalt damit zu erklären, daß man sich zu bestimmten Prinzipien oder Regeln entscheidet und diese Prinzipien oder Regeln dann in den Einzelfällen moralischen Urteilens anwendet, ist eine Möglichkeit 2 6 0 . Sie gehört der ersten Gruppe von Theorien zu. D o c h sie reicht nicht aus, um die Vielfalt moralischer Phänomene restlos zu erklären. Daher werden nun Einsichten aufgenommen, die in der oben referierten Kritik an dem Regelmodell der Ethik verwandt wurden. Die Konsistenz der Moral eines Menschen wird nicht länger darin gesucht, daß er in allen einzelnen Handlungen ein und dasselbe moralische Prinzip oder ein und dasselbe System von Prinzipien verwirkliche, sondern in der offeneren, unbestimmteren Vorstellung, er bemühe sich um die Verwirklichung oder eine näherungsweise Verwirklichung eines Ideals oder einer Tugend. Ideal und Tugend sind dabei so unterschieden, daß mit „Ideal" die Vorstellungen umfaßt sind, mit denen der einzelne die von ihm gewünschte zukünftige Wirklichkeit seines Lebens und seines Lebensraums entwirft, der er einen hohen (moralischen) Wert beimißt, während „Tugend" die Tüchtigkeit eines Menschen bezeichnet, mit der er sein Verhalten auf ein bestimmtes Lebensideal hin ausrichtet. Darin, daß jemand ein bestimmtes Ideal, eine Tugend verfolgt, erweist er die Konsistenz seiner Moral und bewahrt er seine persönliche Identität. Er benötigt dazu nicht mehr oder weniger fest formulierte Regeln. Die Vorstellung eines Ideals oder einer Tugend genügt. Wenn sich jemand um Wahrhaftigkeit bemüht, heißt dies nicht notwendig, daß er eine der Regeln „Sage immer die Wahrheit", „Sage nie Unwahres" befolgt. Es kann einfach eine Einstellung gegenüber der Welt und dem Handeln in ihr meinen, eine positive Einstellung zu dem Wert der Wahrhaftigkeit, die sich nicht unmittelbar in Regeln niederschlägt. Dennoch zeigt sie sich im Verhalten 2 6 1 . Gerade der nicht völlig abgeschlossene Charakter einer solchen VorEthik; vgl. Does Religious Faith Conflict with Moral Freedom?, in G. Outka u. J . P. Reeder Jr., H g . , Religion and Morality, Garden City 1973, 3 4 8 - 3 8 8 , 378. 2 5 9 Man spricht in diesen Kreisen von einer „agent"-Konzeption der Ethik im Kontrast zu einer „act"- oder „action"-Konzeption; vgl. Gene Outka, Character, Conduct and the Love Commandment, in G. Outka u. P. Ramsey, H g . , N o r m and Context in Christian Ethics, N e w Y o r k 1 9 6 8 , 3 7 - 6 6 , 4 1 f. 2 6 0 R. M . Hare vertritt diese Überzeugung in seinem Buch Die Sprache der Moral. In Kap. 8 seines späteren Buches Freedom and Reason versucht er jedoch, auch dem Phänomen der Entscheidung für ein Ideal oder eine bestimmte Lebensweise gerecht zu werden (vgl. Freedom 2 6 1 Vgl. Keith Ward, Ethics and Christianity, London 1972, 87. and Reason, bes. 1 4 6 - 1 5 4 .
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Stellung ist ihr Vorzug: Sie läßt sich durch denjenigen, der handelt oder urteilt, leicht auf unterschiedliche konkrete Fälle beziehen, ohne daß durch ständige Einschränkungen und Modifikationen einer Regel das Bild der Moral unnötig kompliziert würde 2 6 2 . Bei diesen Ergebnissen kann die Erörterung der neuen, breiteren Konzeption einer Ethik vorläufig belassen werden. Diese Diskussion wird unten 2 6 3 wieder aufgenommen und in anderem Zusammenhang weitergeführt werden. Hinzuweisen ist allerdings noch auf die Überlegung eines Autors, der die beiden zu Anfang dieses Abschnitts benannten und im Verlauf dieses Abschnitts erörterten Stoßrichtungen der Kritik vereint. Es ist dies Stuart Hampshire, der bereits in seinem Buch „Thought and Action" die Einbeziehung des handelnden Subjekts in die moralische Reflexion empfahl, indem er auf die Bedeutung der Selbsteinschätzung für den Prozeß der moralischen Urteilsbildung und Entscheidungsfindung aufmerksam machte 2 6 4 . In seiner Leslie Stephen Lecture in Cambridge 1972 „Morality and Pessimism" führt er diesen Gedanken fort. Er argumentiert gegen einen rein konsequentialistischen Utilitarismus, der die moralische Argumentation einzig auf die Kalkulation der Folgen einer Handlung beschränkt. Demgegenüber hält Hampshire daran fest, daß bestimmte Handlungen unabhängig von der Abwägung der Folgen als gut oder schlecht gelten, daß also etwa ein Mord auch dann als moralisch schlecht gilt, wenn er das kleinste mehrerer möglicher Übel dar2 6 2 Man kann auch innerhalb dieser Gruppe einige Unterscheidungen treffen. (Der folgende Vorschlag konstituiert eine Unterscheidung, die in der Literatur häufig vernachlässigt wird. Nicht selten sind die Begriffe und Vorstellungen als austauschbar gebraucht; vgl. etwa Joseph Fletcher, Virtue Is a Predicate, The Monist 54, 1970, 66-85, 72f, 77 uö.) Man kann versuchen, die Dichotomie „deontologisch vs. teleologisch" anzuwenden. Dabei muß man die Überlegung zurückstellen, daß deontologische Theorien sich auf Vorstellungen wie Pflichterfüllung, Befolgen von Regeln etc. beziehen, die der zuvor genannten ersten Gruppe zugehören. Überträgt man diesen Begriff in abgewandelter Form auf die zweite Gruppe, dann wird man feststellen können, daß es einen deontologischen Anstrich haben kann zu sagen, durch ein Verhalten seien Tugenden oder Charaktereigenschaften zu verwirklichen. Denn in diesem Fall sind Vorstellungen vorab konzipiert, die einen Anspruch an den Menschen erheben, der sie unterhält. Um dieses Forderungscharakters willen kann man beiden Vorstellungen ein deontologisches Element zuschreiben. (Bei dem Situationsethiker Joseph Fletcher ist es nur zu gut verständlich, daß er dafür eintritt, auch die Vorstellung der Tugend als Teil einer teleologischen Ethik zu interpretieren. Nur so paßt sie in sein System, das die Gültigkeit allgemeiner Regeln ablehnt; vgl. aaO. 77.)
Andererseits kann man vermuten, daß die Begriffe des Wertes und des Ideals einen eher teleologischen Hintergrund haben. Sie können nämlich - müssen aber nicht - in teleologischer Manier begründet werden. Bei beiden Vorstellungen, der eines Wertes und der eines Ideals, kann man durch Verweis auf ihre Vorzüge ihre Berechtigung unterstreichen. Man kann die guten Folgen, die sie haben werden, als Grund, sie zu befolgen, anführen. Die Aufteilung der Begriffe auf das überkommene Schema der Dichotomie von Deontologie und Teleologie scheint also eine gewisse Berechtigung zu besitzen, wenn sie auch letzter Stringenz entbehrt. 2 6 3 Abschnitt 5.5. 2 6 4 London 1959, bes. 169-222,271.
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stellt. Das Bündel von Vorstellungen, das die allgemein anerkannten Barrieren gegenüber bestimmten Handlungsweisen formuliert, hat Hampshire zufolge seine Einheit nicht in einem Kodex von Regeln, sondern in der Lebensweise (dem „way of life"), der das jeweils handelnde Subjekt verpflichtet ist. Hampshire übersieht dabei nicht, daß diese Lebensweise selbst bis zu einem gewissen Grad durch die soziale Umgebung des Subjekts bedingt und strukturiert ist. Aber er betont, daß daraus nicht abgeleitet werden kann, daß es eine einfache, auf dem Prinzip der Verrechenbarkeit konstruierte Moral gibt, sondern daß die Moral auf eben der Lebensweise sich begründet, die selbst sehr vage und schwach umrissen ist 265 . 2.8. Rückkehr zur Ethik Am Ende dieses Uberblicks über eine Reihe wichtiger Positionen und Entwicklungen der analytischen Ethik erhebt sich die Frage nach dem Stellenwert, den diese Forschungstradition innerhalb der Geschichte fortschreitender Erforschung menschlichen Handelns einnimmt. Es ist zu fragen, wie sie sich in diese Geschichte einfügt und in welcher Weise sie die künftig stattfindende Diskussion ethischer Fragen bestimmt. Insbesondere ist zu überlegen, ob es zutrifft, daß diese Art der Beschäftigung mit der Ethik im Grund einen „Verzicht auf Ethik" 2 6 6 darstellt, und alles darauf ankommt, nun wieder zu den „eigentlichen" Fragen der Ethik zurückzulenken. Im Umkreis der analytischen Ethik selbst lassen sich eine Anzahl von Erörterungen erkennen, die sich als Bewegung „zurück zur Ethik" verstehen lassen, sofern sie extreme Vereinfachungen innerhalb der analytischen Ethik kritisieren und deren Rahmen weiter zu spannen versuchen. Einer dieser Ansätze wurde im vorangehenden Abschnitt 267 dargestellt. Die Kritik richtet sich gegen ein zu enges Verständnis des Bereichs der Ethik. Nicht nur der Bereich von Verhaltensregeln soll erfaßt werden, sondern auch der weniger präzis festzulegende Bereich der Ideale wird der Ethik zugerechnet. 1. R. B. Brandt. Ein anderer Ansatz, die vermeintliche Unverbindlichkeit analytischer Beschäftigung mit der Ethik zu überwinden, ist R. B. Brandts Versuch, Ethik und Metaethik in einem einheitlichen Entwurf zuzuordnen. Brandts Vorschlag wurde oben 2 6 8 bereits angesprochen. Dabei ist nicht die spezifische Ausprägung wichtig, die Brandt der Zuordnung von normativer Ethik und Metaethik gibt. Der wesentliche Beitrag seiner Arbeit besteht vielmehr darin, die Notwendigkeit dieser Zuordnung im Grundsatz konsta265
S. Hampshire, Morality and Pessimism, bes. 12-21. Unter dieser Kapitelüberschrift („The Abdication of Ethics") behandelt Ν . H . G. Robinson die analytische Ethik in seinem Buch The Groundwork of Christian Ethics, London 1971. 267 Abschnitt 2.7. 268 Abschnitt 2.5. 266
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tiert zu haben. Er trifft sich in dieser Absicht mit anderen Philosophen analytischer Schule hauptsächlich in Amerika, die wie er dafür plädieren, einerseits die normativen Fragen nicht aus der philosophischen Beschäftigung mit der Ethik herauszunehmen, andererseits die metaethische Fragestellung durchzuhalten 269 . Die analytisch-deskriptive Beschäftigung mit der Ethik soll in eine Moralphilosophie integriert werden, die praktische Folgen mitbedenkt und in diesem weiteren Rahmen die Funktion erfüllt, die erkenntnistheoretischen Grundfragen der Ethik zu behandeln. Wenn man dieses Ziel verfolgt, muß man sich jedoch der Frage stellen, wie beide Teile der Moralphilosophie, der analytische und der normative, einander zugeordnet sind. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Beide Teile könnten so zusammenhängen, daß die jeweils eingenommene metaethische Position selbst schon normativen Charakter besitzt und den Standpunkt vorbestimmt, von dem aus normative Fragen beantwortet werden. Sie könnten so verknüpft sein, daß der normative Bereich von der metaethischen Grundentscheidung völlig unabhängig ist und die jeweilige Metaethik die normative Ethik in keiner Weise präjudiziert. Sie könnten aber auch so verbunden sein, daß die Entscheidung zur rationalen Behandlung ethischer und metaethischer Probleme ihrerseits eine allen Detailentscheidungen vorausliegende Grundentscheidung darstellt, die eine (und nur eine) metaethische und normative Position zur Folge hat 270 . 2. J. Rawls. Als weiterer im Umkreis der analytischen Ethik entstandener Ansatz, die Enge analytischer Ethik zu überwinden, kann John Rawls' Entwurf einer ethischen Theorie betrachtet werden, den er unter dem Titel „ A Theory of Justice" veröffentlicht hat. Er geht von der Annahme aus, daß jeder Mensch eine Fähigkeit entwickelt, gerechte und ungerechte Dinge zu unterscheiden 271 . Sein Ansatzpunkt liegt bei den Urteilen, die gemeinhin getroffen werden. Von da aus fragt er nach den Prinzipien zurück, die hinter der Ebene der Urteile liegen. Er gelangt zur Formulierung zweier Prinzipien der Gerechtigkeit 272 . Rawls konzipiert ein Verfahren der Zuordnung von Prinzipien und Einzelaussagen, das an Brandts „Methode qualifizierter Einstellungen" erinnert. Prinzipien und spezifisch moralische Urteile werden in einem Bezugsverhältnis derart gesehen, daß sowohl die Prinzipien mit com2 6 9 Das wohl am weitesten verbreitete Werk dieser Art ist W . K. Frankenas Buch Ethics, dt. Analytische Ethik; vgl. bes. 21 f, 2 8 f in der deutschen Ausgabe. 2 7 0 Dieser Folgerung kommen Hans Albert (Ethik und Metaethik), aber auch Kurt Baier (Der Standpunkt der Moral; vgl. oben Abschnitt 2.4.) nahe. 2 7 1 J . Rawls, A Theory of Justice, engl. Ausg., 46 ff, § 9. 2 7 2 A a O . 60ff, § 11. Sie lauten (1) „Jede Person soll gleiches Recht auf die weitestgehende grundlegende Freiheit haben, die mit einer ähnlichen Freiheit für andere vereinbar ist. (2) Soziale und ökonomische Ungleichheiten sollen so verteilt sein, daß sie (a) vernünftigerweise zum Vorteil eines jeden gereichen und (b) an Positionen und Ämter geknüpft sind, die allen offenstehen." ( A a O . 60, meine Übersetzung.)
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mon-sense-Urteilen über bestimmte Situationen vereinbar sein müssen als auch die partikularen Urteile durch den Bezug auf Prinzipien modifiziert werden können 273 . In der Vorstellung der „Urposition" (original position) fallen beide Aspekte zusammen. Rawls versteht darunter die hypothetisch zu konstruierende ideale Situation, in der sich ein freier Konsens aller Beteiligten über die Prinzipien der Moral formuliert 274 . Diese Vorstellung gibt ihm die Möglichkeit, die Analyse moralischer Aussagen mit der Entfaltung eines normativen Konzepts zu verbinden 275 . In der angenommenen idealen Situation fällen die Beteiligten Urteile, die aufgrund der Idealität der Situation verallgemeinerbar sind und somit Prinzipien gleichkommen 276 . 3. S. Hampshire. Schließlich gibt es im angelsächsischen Raum eine vierte philosophische Position, von der aus die Engführung der analytischen Ethik überwunden zu werden beginnt. Sie tritt in ihrer moralphilosophischen Zuspitzung vor allem in den Gedanken des bereits genannten amerikanischen Philosophen Stuart Hampshire auf 277 . Hampshire fragt nach der Verbindung zwischen der Denkwelt 278 und dem Handeln des Menschen 279 . Er betont, daß man nur dann von einem Handeln in Freiheit sprechen kann, wenn der Handelnde sich dessen möglichst genau bewußt ist, was er tut 2 8 0 . Es kommt auf das umfassende Bewußtsein des handelnden Subjekts in der Ethik entscheidend an. Daher greift jede Philosophie, die diesen Zusammenhang vernachlässigt, zu kurz 281 . Das handelnde Subjekt in die Überlegungen zur Moral einzubeziehen setzt voraus, in sehr umfassender Weise die Frage zu klären, wie sich die Eigenverantwortlichkeit des Subjekts konstituiert und worin die Identität des handelnden Subjekts besteht 282 . Zu kritischen Stellungnahmen kam es auch bei der Rezeption der analyti273
Vgl. zusammenfassend aaO. § 87, 579 f.
A a O . 1 1 8 - 1 2 1 , § 20 und § 2 1 - 2 5 . Rawls steht damit denjenigen Autoren nahe, die in ihrer metaethischen Analyse einen besonderen unparteiischen „Standpunkt der Moral" (K. Baier, vgl. oben Abschnitt 2.4.) als Ausgangspunkt aller Ethik annehmen und damit eine normative Festlegung vornehmen. Ausführlicher wird das Problem, das sich hier zwischen Normativität und Neutralität der Metaethik stellt, in Abschnitt 3.2. diskutiert. 2 7 6 Rawls' Theorie wurde inzwischen lebhaft diskutiert; vgl. u.a. Kenneth J. A r r o w , Review, Journal of Philosophy 70, 1973, 2 6 3 - 2 7 5 ; Otfried Höffe, A Theory of Justice, Philosophische Rundschau 21, 1975, 1 8 7 - 2 0 8 . Zum methodologischen Aspekt vgl. Frank Snare, John Rawls and the Methods of Ethics, Philosophy and Phenomenological Research 36, 1975/ 76,100-112. 2 7 7 Vgl. oben Abschnitt 2.7. 2 7 8 Damit nimmt Hampshire die angelsächsische „Philosophie des Geistes" (philosophy of mind) auf und wendet sie auf die Ethik an. 274
275
Vgl. den Titel seines Buches Thought and Action. Vgl. aaO. 177 uö. 2 8 1 Vgl. aaO. 271 uö. 2 8 2 Einige Hinweise zu der angedeuteten Problematik wurden im letzten Abschnitt (2.7.) bereits gegeben. Ausführlicher wird diese Frage unten in Abschnitt 5.5. entfaltet. 279 280
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sehen Ethik im deutschsprachigen Raum. Schon die ersten Ansätze, die metaethische Debatte hierzulande bekanntzumachen, schlössen kritische Stellungnahmen ein. Die Autoren, die die Metaethik darstellten, benannten zugleich die Stellen, an denen ihrer Meinung zufolge die Metaethik angelsächsischer Provenienz einer Korrektur bedürfe 283 . Seit diesen ersten Aufsätzen der sechziger Jahre ist nun schon eine Anzahl längerer Auseinandersetzungen mit der analytischen Ethik im deutschen Sprachraum erschienen. Die Kritik, die geäußert wird, hat zwei Stoßrichtungen. Einmal wird der antimetaphysische Affekt der analytischen Ethik kritisiert, zum anderen die Behauptung, voraussetzungslos an die Ethik herangehen zu können. 4. A. Pieper. Annemarie Pieper 284 untersucht die Gestalt und die Implikationen analytischer Ethik und deckt ihre Begrenztheit auf, indem sie diese Forschungstradition mit der kontinentalen Tradition philosophischer Ethik konfrontiert und fragt, wo das Defizit analytischer Ethik liege. Sie setzt sich mit der Ablehnung der Metaphysik zu Beginn der Entwicklung der analytischen Moralphilosophie auseinander. Metaphysik ist in ihrer Sicht das Bemühen, „die Möglichkeit des Wissens überhaupt aus einem ersten Prinzip" darzutun 285 . Jedes Wissen drängt in letzter Konsequenz zu einer so verstandenen metaphysischen Begründung 286 . Sofern es in der Ethik um die „Begründung und Rechtfertigung (. . .) moralischen Wissens" geht, ist Metaphysik ein unabdingbarer Bestandteil moralphilosophischer Reflexion 287 . Spätestens wenn man nach der Rechtfertigung der Moralität eines Urteils oder einer Handlung fragt, sind metaphysische Aussagen nicht zu umgehen. Andernfalls wird nicht Metaethik, Reflexion auf die Moralität moralischer Urteile und Handlungen, betrieben 288 , sondern lediglich der moralische Sprachgebrauch beschrieben und analysiert, - und das ist nur deskriptive Ethik 2 8 9 . Nun ist unbestritten, daß eine derartige analytische Beschäftigung mit der Ethik eine legitime Aktivität des Moralphilosophen darstellt. Doch seine Tätigkeit muß darüber hinausgehen, er darf nicht dabei stehenbleiben. Er muß die Moralität moralischer Urteile auf ein Prinzip zurückführen und dadurch zeigen, daß das, was faktisch als Moral auftritt, zu Recht den Anspruch der Moralität erhebt 290 . Nur wenn die Moralphilosophie den Sinn der Moral und der Ethik in der Moralität aufweist 291 , gelangt sie zum Ziel. 2 8 3 Zu denken ist an Hans Albert, Ethik und Meta-Ethik; Helmut Fahrenbach, Sprachanalyse und Ethik; Hans Lenk, D e r .Ordinary Language Approach' und die Neutralitätsthese der Metaethik; H . Lenk, Kann die sprachanalytische Moralphilosophie neutral sein? 2®4 A . Pieper, Sprachanalytische Ethik und praktische Freiheit. Das Problem der Ethik als 2 8 5 A a O . 43. autonomer Wissenschaft, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1973. 2 8 6 Die Metaphysikkritik A . J . Ayers (s. oben Abschnitt 2.2.) verkennt diese transzendentalphilosophische Ausrichtung metaphysischen Uberlegens. Sie kann die metaphysischen Begriffe 2 8 7 A a O . 43 f. nur in ontologisierter F o r m begreifen. Vgl. A . Pieper, aaO. 41 f. 288
Zur Unterscheidung der drei Ebenen praktischer Reflexion vgl. aaO. 55 f.
289
Vgl. aaO. 6 3 - 6 5 .
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290
Vgl. aaO. 1 0 2 - 1 0 4 .
291
A a O . 2 2 7 , 2 3 2 , vgl. 2 2 5 - 2 3 3 .
Sie würde zu kurz greifen, wenn sie ihre Aufgabe darin sähe, „eine metaethische Sprache zu konstruieren, vermittels derer die ethische Sprache so rekonstruiert wurde, daß ihre Wörter und Begriffe eindeutig definiert und ihre logischen Beziehungen untereinander nach einem System geregelt werden könnten" 2 9 2 . Damit wäre nur Bekanntes geordnet und nachträglich systemisiert. Ihre Aufgabe ist umfassender. „Es muß ein Prinzip gefunden werden, auf dem sich die Ethik als die Wissenschaft des Praktischen aufbaut." 2 9 3 Nach Piepers Meinung ist die Idee des Guten dieses oberste Sinnprinzip, das sowohl den Sinn der Ethik als auch den Sinn der Moral verbürgt 2 9 4 . Die analytische Ethik allein reicht also nicht aus, um das Geschäft der Moralphilosophie zu betreiben. Sie muß durch eine „synthetische E t h i k " 2 9 s ergänzt werden. Neben der Sprachanalyse sind andere Methoden in der Ethik notwendig, um die Frage nach der Begründung und Rechtfertigung der vorgefundenen Qualität des Moralischen zu lösen: allem voran die transzendentale Reflexion auf die metaphysischen Voraussetzungen jeder Ethik und Moral 2 9 6 . 5. F. Kaulbach. Wie Pieper setzt Friedrich Kaulbach mit seiner Kritik an der reduktionistischen und daher simplifizierenden Engführung der Beschäftigung mit der Ethik im Bereich analytischer Moralphilosophie an. Er erkennt an, daß sich die analytische Ethik darum bemüht, die praktische Sprache zu beschreiben und dadurch ihr Funktionieren sicherzustellen 297 . Aber er wendet sich gegen den Anspruch von Metaethikern, die praktische Sprache neutral beschreiben zu können 2 9 8 . Diesen Anspruch könne nur jemand erheben, der die Frage nach der Begründung und Rechtfertigung moralischer Aussagen kurzschlüssig beantworte und nicht bereit oder in der Lage sei zu sehen, daß es zur Beantwortung dieser Frage nötig sei, eine weitere, fundamentalere Dimension als die des faktisch Feststellbaren einzubeziehen. Ethik erschöpft sich nicht in der Beschreibung der „horizontale(n) Beziehung zwischen einem Subjekt, welches denkt, spricht und handelt, und einem Objekt, welches festgestellt und zugleich ,bewertet' werden soll" 2 9 9 . A a O . 232. Ebd. 2 9 4 Vgl. aaO. 232 f. Pieper hat diese Uberzeugung aus ihrer Rezeption Fichtescher Philosophie übernommen; vgl. aaO. 198-204. 2 9 5 A a O . 104. 2 9 6 Vgl. A. Pieper, Analytische Ethik, 1974. Ingrid Craemer-Ruegenberg spricht ebenfalls davon, die Sprachanalyse in der Moralphilosophie methodisch einzusetzen, ohne sie absolut zu setzen. Dadurch ergebe sich die Möglichkeit, analytische Ethik und klassische Moralphilosophie zu verknüpfen (vgl. Moralsprache und Moralität. Zu Thesen der sprachanalytischen Ethik. Diskussion, Kritik, Gegenmodell, Freiburg/München 1975,193). 2 9 7 Ethik und Metaethik, I X uö. 298 AaO. X. 299 AaO. XI. 292 293
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Der praktischen Sprache werde man nur dann gerecht, wenn man die Dimension der praktischen Vernunft als des in allem praktischen Reden vorausgesetzten apriorischen Allgemeinen berücksichtige. Man müsse eine eigenständige praktische Logik annehmen, die aller praktischen Erörterung zugrundeliege 3 0 0 . Die Eigentümlichkeit dieser Logik besteht Kaulbach zufolge darin, daß in ihr der „Stand bzw. Standpunkt der praktischen Vernunft" 3 0 1 Grundlage allen Argumentierens ist. Kaulbach spricht vom Standpunkt der praktischen Vernunft und meint damit die intersubjektive Verbindlichkeit, auf die man sich bezieht, wenn man moralisch urteilt oder handelt. Diese Vernunft stellt den „Boden" dar, auf dem der praktisch Handelnde und praktisch Denkende und Sprechende sich „immer schon" befindet 3 0 2 . Kaulbach spricht andererseits vom Stand und der Perspektive des urteilenden und handelnden Subjekts und will damit die auf den jeweiligen Erkenntnis- und Bewußtseinsstand des Subjekts bezogenen Elemente der Moral benennen. Der jeweilige „Stand" lokalisiert das Subjekt an einem Punkt einer voranschreitenden Geschichte der Ausbildung seines Urteils und des Vollzugs seines Handelns und bezieht diesen Punkt auf diese Geschichte der Ausbildung seines Urteils und des Vollzugs seines Handelns und bezieht diesen Punkt auf diese Geschichte. Das Prinzip „Stand" gewährleistet daher sowohl die Intersubjektivität der Moral als auch die Partizipation an der dialogischen Geschichte praktischer Entscheidungen 3 0 3 . Auf dieser Grundlage kann Kaulbach eine enge Verbindung zwischen der metaethischen Analyse und der normativen Ethik herstellen 304 . Die metaethische Analyse wird, wenn sie weit genug vorangetrieben wird, notwendig auf das apriorische Allgemeine stoßen, das allen normativen Überlegungen 3 0 1 A a O . 2. AaO. X-XII. 3 0 3 A a O . 2-9. A a O . 1-3. 3 0 4 Kaulbach definiert die Begriffe „Ethik" und „Metaethik" neu - vor allem wohl deshalb, damit er sich der Metaethik gegenüber leichter abgrenzen kann. Bezeichnet „ M o r a l " das praktische Denken im konkreten Vollzug, so ist „Ethik" „eine Metastufe der Reflexion" (aaO. 42) gegenüber diesem Denken. „Das praktische Denken begibt sich auf die Stufe der ethischen Reflexion, wenn der Handelnde, der schon immer auf dem Boden seiner praktischen Prinzipien und Grundsätze steht, diese auch theoretisch' zu begründen und zu rechtfertigen herausgefordert wird." ( A a O . 40.) D e n Begriff „Metaethik" schränkt er auf die Tätigkeit ein, moralische „Aussagen zu analysieren und die Bedeutung der praktischen Wörter und Sätze zu untersuchen" (aaO. 42). Beide Tätigkeiten, die des Ethikers und die des Metaethikers, beziehen sich also auf die Moral als das „Gegenstandsfeld". Sie unterscheiden sich darin, daß das Verhältnis zu dem untersuchten Gegenstand jeweils anders begriffen wird. Der Ethiker ist dem moralischen Subjekt gegenüber ein Dialogpartner und steht mit ihm gemeinsam auf dem Boden der praktischen Vernunft. Der Metaethiker Kaulbachscher Definition hingegen ist der Moral gegenüber neutral. Seine einzige Aufgabe ist es, sie als Objekt zu untersuchen, nicht etwa sie zu begründen (aaO. 42 f). D a Kaulbach an dieser Stelle „Metaethik" sagt und die analytische Ethik im allgemeinen meint (vgl. aaO. 48 f), legt er die analytische Ethik auf einen Teilbereich dessen fest, was sie selbst als ihre Aufgabe betrachtet. Er schafft sich so ein Bild der analytischen Ethik, das es ihm infolge der Einseitigkeit leicht macht, sich davon abzugrenzen. 300
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zugrundeliegt und allein die praktischen Sätze begründen und rechtfertigen kann 3 0 5 . Sobald man auf diese vorgängige praktische Vernunft reflektiert, geht man „vom Standpunkt der Bedeutungsanalyse zu demjenigen einer synthetischen Konstruktion der die Handlungen leitenden N o r m e n " über 3 0 6 . Die Reflexion auf den „Stand" und die „Perspektive" des Handelnden oder Urteilenden ermöglicht es, eine Verbindung zwischen den Bedeutungen der praktischen Wörter und Sätze und der Ebene der normativen Verpflichtungen herzustellen 3 0 7 . Sie stellt die „Tür" dar, die von der metaethischen Reflexion zur normativen Ethik führt 3 0 8 . Pieper und Kaulbach halten eine Ausweitung der analytischen Beschäftigung mit der Ethik und eine Einbeziehung transzendentalphilosophischer Reflexion für notwendig. Dabei legt Pieper das Gewicht in allgemeinerer Weise darauf, die Moralphilosophie bis in die mit der Ethik verbundenen metaphysischen Fragen hinein weiterzuführen. Kaulbach will vor allem den „Stand" und die Perspektive des Sprechenden und Handelnden in die Reflexion einbeziehen 3 0 9 , und er meint, daß damit die Ebene erreicht wird, auf der sich das subjektive Element 3 1 0 und die intersubjektive Verbindlichkeit, die aller Moral zugrundeliegt, verbinden lassen. Insgesamt konnte in diesem Abschnitt die Kritik, die an der traditionellen analytischen Ethik geäußert wurde, sicher nicht erschöpfend behandelt werden. Es konnte nur jeweils der Blickwinkel aufgezeigt werden, aus dem die Kritik und der Ansatz zur Erweiterung des Konzepts der analytischen Ethik kam. Eines haben die besprochenen Strömungen gemeinsam: Sie möchten die Enge analytischer Ethik aufbrechen und wieder Gedanken und Denkrichtungen der bisherigen moralphilosophischen Tradition aufgreifen, die von der analytischen Ethik aufgegeben und geächtet wurden, als sie sich in der Kritik an der traditionellen Ethik zu kontituieren begann.
305 306 307
Vgl. aaO. 162. A a O . 165 f. A a O . 175.
3 0 8 A a O . 196. Die Terminologie von „Stand" und „Perspektive" kann der Geschichtlichkeit ethischen Handelns, dem Eingebundensein des Handelnden in die historische Situation und der Möglichkeit einer im Dialog mit anderen vorbereiteten Veränderung seines „Standes" gerecht werden. (Zu den Stichworten „Wechsel des Standes" und „Dialoggeschichte" vgl. aaO. 5, 41, 9 2 f , 100 uö.) Darin, daß diese Phänomene ausführlich berücksichtigt werden, liegt die Chance des von Kaulbach vorgetragenen Entwurfs. Andererseits erhebt sich die Frage, ob Kaulbachs Drängen auf transzendentalphilosophische Reflexion notwendig zu Gedanken und Formulierungen vordringen muß, deren Verankerung im Denken und Sprechen der moralischen Agenten nicht mehr konkret aufweisbar ist (vgl. Kaulbachs Rede von „der sich selbst zur Sprache bringenden Freiheit", aaO. 173, vgl. 167f, 2 0 6 uö.).
AaO. 170,175. Kaulbach lehnt es ab, wie manche Analytiker von Attitüde oder Einstellung zu sprechen, weil er hinter diesen Begriffen nur die Psychologie des Subjekts, nicht aber geschichtlich vermittelte Rationalität erkennen kann (vgl. aaO. 1 0 - 1 2 ) . 309
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TEIL
3
Diskussionen und Entscheidungen Nach diesem ersten Uberblick über die analytische Ethik wird es nun Aufgabe dieses Teils der Arbeit sein, die hier vorgestellten Theorien und Konzeptionen zu prüfen und festzustellen, wie eine adäquate metaethische Beschreibung der Ethik aussieht. Dieses Unternehmen wird unter der Voraussetzung begonnen, daß es sinnvoll ist, Metaethik in dem in Abschnitt 1.2. beschriebenen Sinn zu betreiben, und daß es sinnvoll ist, die metaethische Analyse an den Anfang der Beschäftigung mit der Ethik zu stellen. Daß beides sinnvolle Annahmen sind, läßt sich vermuten, weil es im Interesse der Klarheit ratsam zu sein scheint, die erkenntnistheoretischen und logischen Fragen nach der Bedeutung und Rechtfertigung moralischer Urteile den normativen Fragen vorzuordnen. Daß diese Annahmen in der Tat sinnvoll sind, muß sich auch im Vollzug ihrer Uberprüfung erweisen. Dieser Erweis wird dann geglückt sein, wenn eine größere Klarheit über die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Moral erreicht ist, als sie gemeinhin herrscht, und wenn diese größere Klarheit dazu beitragen kann, Irrtümer und Konfusionen in der Moralphilosophie - und vielleicht auch in der Ethik - zu vermeiden. Zugleich wird nun die Zielsetzung der gesamten Arbeit in den Blick treten müssen, das Arbeitsgebiet der analytischen Ethik mit dem der theologischen Ethik zu konfrontieren und die Frage zu beantworten, welchen Gewinn die theologische Ethik von einer Beschäftigung mit der Moralphilosophie analytischer Provenienz erwarten kann. Dazu wird zunächst in sehr allgemeiner Weise das Verhältnis von Philosophie und Theologie charakterisiert. Danach wird die sich dem in Teil 2 gegebenen Überblick anschließende Frage erörtert, wie eine angemessene Metaethik auszusehen habe.
3.1. Die Herausforderung der Theologie durch analytische Philosophie und Ethik Die Philosophie formuliert und bestimmt den Problemhorizont ihrer Zeit. Sie tat es seit ihren Anfängen und tut es bis in die Gegenwart. Ihre Entwicklung prägt das Wahrheitsbewußtsein einer Zeit. Philosophische Innovationen verändern zwar in den wenigsten Fällen das Denken des „Mannes auf der Straße"; die Wissenschaften und diejenigen Menschen, die ihr Denken im Horizont der Wissenschaften formulieren, können sich jedoch kaum dem Einfluß neuer philosophischer Problemstellungen entziehen. Zumindest als 74
Diskussionsgegenstand sind sie, wenn auch mit mehr oder weniger großer zeitlicher Verschiebung, zu akzeptieren. Zu den Aktivitäten, die durch die jeweilige Philosophie nicht ausschließlich, aber doch mit bestimmt werden, gehört sicher die Theologie. Dieser Verbindung wegen wurde die Theologie neben den artes liberales an den mittelalterlichen Universitäten gelehrt. Deshalb hat sie ihren Platz bis heute an den Universitäten behalten. Und um dessentwillen lohnt es sich auch, durch den Aufweis dieser Verbundenheit - und Abhängigkeit - für den Verbleib an den Universitäten einzutreten 1 . 1. Die Aufnahme der analytischen Philosophie. Im traditionellen Einflußbereich des Empirismus, in der anglo-amerikanischen Welt, hat sich während der letzten Jahrzehnte die analytische Philosophie entwickelt. Es ist verständlich, daß diese neue philosophische Strömung zuerst von englischsprachigen Theologen aufgenommen und verarbeitet worden ist. Doch in den letzten Jahren sah sich auch die deutschsprachige Theologie genötigt, die analytische Philosophie und zugleich die theologische Reaktion darauf in ihre Überlegungen einzubeziehen 2 . Wenn sie es tat, konzentrierte sie sich 1 Vgl. die wiederholten Diskussionen um die Wissenschaftlichkeit der Theologie, von Wilhelm von O c k h a m über Philipp Melanchthon, die altprotestantische O r t h o d o x i e , Friedrich Schleiermacher und Karl Barth bis zu Wolfhart Pannenberg und Gerhard Sauter.
Vgl. u . a . folgende Veröffentlichungen: (a) Ubersetzungen: Dallas M . High, H g . , Sprachanalyse und religiöses Sprechen ( N e w Essays on Religious Language, N e w Y o r k 1965, dt.) Düsseldorf 1972. - James A. Martin, Philosophische Sprachprüfung der Theologie. Eine Einführung in den Dialog zwischen der analytischen Philosophie und der Theologie (The N e w Dialog Between Philosophy and T h e o l o gy, L o n d o n / N e w Y o r k 1966, dt.) Einleitung und Bearbeitung der dt. Ausg. v. G . Sauter u. H . G . Ulrich, München 1974. - Ingolf U . Dalferth, H g . , Sprachlogik des Glaubens. Texte analytischer Religionsphilosophie und Theologie zur religiösen Sprache, München 1974. 2
(b) Aufsätze: Friedrich Kambartel, Theo-logisches. Definitorische Vorschläge zu einigen Grundtermini im Zusammenhang christlicher Rede von G o t t , Zeitschrift für Evangelische E t h i k 1 5 , 1 9 7 1 , 3 2 - 3 5 . - Gottfried H o r n i g , Abschied vom Gottesbegriff? Diskussionsbeitrag zu dem Aufsatz von F . Kambartel „Theo-logisches", Z E E 15, 1971, 3 0 9 - 3 1 1 . - W o l f - D i e t e r J u s t , Kritischer Rationalismus und Theologie. Eine Auseinandersetzung mit H . Albert, Traktat über kritische Vernunft, Z E E 1 5 , 1 9 7 1 , 1 - 1 9 . - Ingolf U . Dalferth, Religiöse Sprechakte als Kriterien der Religiosität? Kritik einer Konfusion, Linguistica Biblica 4 4 , 1 9 7 9 , 1 0 1 - 1 1 8 . (c) B ü c h e r : H a n s Albert, Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1 9 6 8 . - W i m A . de Pater, Theologische Sprachlogik, München 1971. - Helmut Fischer, Glaubensaussage und Sprachstruktur, H a m b u r g 1972. - Gerhard Sauter, J . Courtin, H . - W . Haase, G . König, W . Raddatz, G . Schultzky, H . G . Ulrich, Wissenschaftstheoretische Kritik der Theologie. Die Theologie und die neuere wissenschaftstheoretische Diskussion, München 1973. - Peter J . Etges, Kritik der analytischen Theologie. D i e Sprache als Problem der Theologie und einige Neuinterpretationen der religiösen Sprache, H a m b u r g 1973. - A n t o n Grabner-Haider, Semiotik und T h e o l o gie. Religiöse Rede zwischen analytischer und hermeneutischer Philosophie, München 1973. Wolfhart Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie, Frankfurt 1974. - W i m A. de Pater, Reden von G o t t . Reflexionen zur analytischen Philosophie der religiösen Sprache, B o n n 1974. - W o l f - D i e t e r J u s t , Religiöse Sprache und analytische Philosophie. Sinn und Unsinn religiöser Aussagen, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1975. - J o a c h i m T r a c k , Sprachkritische U n -
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allerdings darauf, die stärksten Herausforderungen der analytischen Philosophie aufzunehmen. Sie wandte sich also vornehmlich der Epistemologie und - verbunden damit - der Wissenschaftstheorie zu. Analytische Philosophen beschäftigten sich mit der Religion, indem sie die „religiöse Sprache" analysierten. Ergebnis ihrer Analyse war oft der Vorwurf, was religiös gläubige Menschen und ihre Theologen tun, sei erkenntnistheoretisch nicht haltbar, weil ihre Aussagen die Grenzen dessen, was nach menschlichem Erkenntnisvermögen zu sagen möglich ist, überstiegen; daher seien solche Sätze sinnlos. Die Theologie reagierte auf diese ihr wenig sympathischen Überlegungen, indem sie der Religionsphilosophie die Rolle einer Fundamentalapologetik zuwies und in dieser Disziplin ihrerseits entweder eine Beschreibung religiöser Sprache entwickelte, die den Kriterien analytischer Philosophie standzuhalten vermöchte, oder den Anspruch der analytischen Philosophen, die Theologie kritisieren zu können, zurückwies. Tat sie das erste, dann modifizierte sie die von analytischen Philosophen benutzten Beschreibungskategorien. Tat sie das zweite, dann postulierte sie für die Theologie gänzlich eigenständige Kategorien 3 . Fast alle diese Untersuchungen, zumindest die in der deutschsprachigen Literatur zur Kenntnis genommenen, sind auf die epistemologischen Fragen beschränkt, auf die Frage der religiösen Sprache, der Möglichkeit religiösen Wissens und religiöser Erkenntnis einschließlich der Möglichkeit, den religiösen Glauben zu rechtfertigen, sowie auf den Gottesbegriff 4 . Die Versuche, die Theologie wissenschaftstheoretisch zu klären und zu rechtfertigen, können als eine weitere Konzentration auf einen Teilaspekt der erkenntnistheoretischen Frage angesehen werden, als Konzentration auf die Frage, wie Theologie als Wissenschaft möglich sei 5 .
tersuchungen zum christlichen Reden von Gott, Göttingen 1 9 7 7 , - J o s e f Meyer zu Schlochtern, Glaube - Sprache - Erfahrung. Zur Begründungsfähigkeit der religiösen Uberzeugung, Frankfurt/Bern/Las Vegas 1 9 7 8 , - I n g o l f U . Dalferth, Religiöse Rede von Gott, München 1981. 3 Gewöhnlich geht dieser zweite Versuch von einer Interpretation des Wittgensteinschen Begriffs des Sprachspiels aus und weist dem religiösen Sprachspiel Autonomie zu. Herausragender Vertreter dieses „Wittgensteinschen Fideismus" ist D . Z. Phillips. Vgl. Faith and Philosophical Enquiry, London 1970, und andere Veröffentlichungen, auch die beiden Aufsätze Religiöser Glaube und philosophische Untersuchung und Religiöse Glaubensansichten und Sprachspiele, in I. U . Dalferth, H g . , Sprachlogik des Glaubens, 247-257 und 258-282. Zur Ansicht, die Religion sei ein selbständiges Sprachspiel, vgl. John F. Miller, Theology, Falsification and the Concept of Weltanschauung, Canadian Journal of Theology 16, 1970, 54-60; kritisch dazu Patrick Sherry, Truth and the „Religious Language G a m e " , Philosophy 47, 1972, 18-37; P. Sherry, Is Religion a „ F o r m of L i f e " ? , American Philosophical Quarterly 9, 1972, 159-167. 4 Vgl. die ausführliche Bibliography bei I. U . Dalferth, Sprachlogik des Glaubens, 284-302. Ausschließlich aus diesem Bereich stammen auch W. Pannenbergs Bezugnahmen auf analytische Religionsphilosophie in Wissenschaftstheorie und Theologie. 5 Mit der wissenschaftstheoretischen Problematik der Theologie im Licht analytischer Philosophie setzen sich vor allem auseinander: G . Sauter, Wissenschaftstheoretische Kritik der
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2. Die Aufnahme der analytischen Ethik. Wesentlich geringere Aufmerksamkeit hingegen hat bei den Theologen, vor allem bei denen deutscher Sprache, die analytische Ethik gefunden. Dies überrascht, zumal es innerhalb der Theologie eigens die Disziplin der theologischen Ethik gibt, von der man annehmen sollte, daß sie enge Beziehungen zur philosophischen Ethik hat. Doch für die Vernachlässigung analytischer Ethik durch die Theologie lassen sich Gründe anführen, (a) Von Umwälzungen der Ontologie oder Erkenntnistheorie ist die Theologie unmittelbar betroffen. Sie muß ihre Position zu verteidigen versuchen. Anders in der Ethik. So brennend moralische Fragen in der Praxis, auch im Leben von Christen, sind, so leicht ist es andererseits möglich, die theoretische Grundlegung zu vernachlässigen und als eine zweitrangige Frage zu behandeln. Wer handeln muß, muß wissen, was er tun soll, aber eine umfassende Theorie, die seine Uberzeugungen und Entscheidungen erklärt, ist nicht vorrangig erforderlich. Daher beschäftigt sich theologische Ethik eher mit den inhaltlichen Fragen des (christlichen) Moralkodex als mit Fragen seiner Grundlegung. Der Blick in die Philosophiegeschichte scheint außerdem zu erweisen, daß die Meinungen über die Grundlegung der Ethik nur wenig differieren. Von Aristoteles bis Kant hält sich die Uberzeugung durch, daß der Mensch seine Moral aus der Erkenntnis des Guten gewinnt, das selbst durch die Kategorien der Bestimmung des Menschen und des Nutzens für den Menschen sicherzustellen ist. Mit dieser Art der Ethik hat die Theologie ihren Frieden geschlossen, und nur gelegentlich flackert noch der antike und in der Aufklärung neu belebte Streit um Heteronomie oder Autonomie auf. Dieser Streit aber wird sehr schnell der Fundamentaltheologie überwiesen und dort in seinen ontologischen und epistemologischen Implikationen behandelt, (b) Die Herausforderung der analytischen Philosophie an die Theologie hat ihren Schwerpunkt dort, wo die Möglichkeit, von Gott zu reden, in Frage gestellt wird. Dort ist sie aufzunehmen, dort muß zunächst argumentiert werden. Alles andere hat vorerst zurückzustehen, (c) Das Unternehmen analytischer Ethik ist selbst so uneinheitlich und zugleich so theoretisch-akademisch, daß man als Theologe erst einmal abwarten will, zu welchen praktischen Konsequenzen es führen wird. Dann kann man mit der Auseinandersetzung immer noch beginnen, (d) Die Zurückhaltung der deutschen Theologie 6 hat einen wissenTheologie; W . Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie; vgl. auch W . Pannenberg, G. Sauter, S. M. Daecke, Η . Ν . Janowski, Grundfragen der Theologie - ein Diskurs, Stuttgart/ Berlin/Köln/Mainz 1974. 6 Bislang gab es m. W . nur die beiden Aufsätze von Christofer Frey, Was trägt die analytische Moralphilosophie zu einer Theorie der Ethik bei?, Zeitschrift für Evangelische Ethik 1 5 , 1 9 7 1 , 3 5 - 4 9 , und Zwischen Intuition und Goldener Regel. Ein Arbeitsbericht zu neueren Tendenzen der angelsächsischen Moralphilosophie, Z E E 19, 1975, 2 1 5 - 2 3 3 , und die Aufsätze von H . G. Hubbeling, Einige Probleme der analytischen Ethik, Z E E 1 5 , 1 9 7 1 , 2 0 - 3 0 ; J(ens) F(ischer), Wie kommt es zu ethischen Imperativen? Sprachlogische Ansätze zur Begründung von Normen, Evangelische Kommentare 5, 1972, 452—456; Anders Jeffner, Die Rechtfertigung ethischer
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schaftspraktischen Grund. Im Gegensatz zu den Universitäten und Hochschulen des englischsprachigen Raums haben die deutschen und schweizerischen theologischen Fakultäten in der Regel keine speziellen Lehrstühle für Ethik. Die Disziplinen der Dogmatik und Ethik sind zur „systematischen Theologie" zusammengefaßt. Und wer dieses Gebiet mit seiner wissenschaftlichen Arbeit abdecken soll, wird leicht dazu neigen, den Schwerpunkt seines Tuns auf die fundamentaleren Fragen der Dogmatik zu legen. Für die Ethik bleibt demzufolge wenig Zeit, zumal für eine Tradition philosophischer Ethik, die im deutschsprachigen Kulturkreis noch kaum Beachtung gefunden hat 7 . So ist die stiefmütterliche Behandlung der analytischen Ethik durch die deutsch- (und englisch-)sprachige Theologie nicht verwunderlich 8 . 3. Aufgaben der theologischen Ethik. Dennoch sollte die Theologie an der analytischen Ethik nicht derart achtlos vorübergehen. Eine Beschäftigung der Theologen mit dieser Forschungsarbeit läßt sich auch kaum mehr umgehen, da sich analytische Philosophen mit der theologischen (oder christlichen) Ethik befaßt und sie darzustellen versucht haben. Zumindest diese Passagen müssen gesichtet und aufgearbeitet werden, wenn jemand mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit oder auch nur mit Bezug auf das Wahrheitsbewußtsein seiner Zeit theologische Ethik treiben will. Die Theologie wird also die sie betreffenden Passagen im Werk analyti-
Urteile, Z E E 19, 1975, 234-248, und neuerdings das Buch von H . Biesenbach, Zur Logik der moralischen Argumentation. 7 Die erste deutschsprachige Veröffentlichung über analytische Ethik datiert aus dem Jahr 1961 : Hans Albert, Ethik und Meta-Ethik. Der deutsche Philosophenkongreß 1966 in München brachte weitere Beschäftigung mit dem Gebiet: H. Lenk, Der ,Ordinary Language Approach' und die Neutralitätsthese der Metaethik; H. Fahrenbach, Sprachanalyse und Ethik. Vgl. seither: A. Pieper, Analytische Ethik; A. Pieper, Sprachanalytische Ethik und praktische Freiheit; F. Kaulbach, Ethik und Metaethik; I. Craemer-Ruegenberg, Moralsprache und Moralität; Norbert Hoerster, Zum Problem der Ableitung eines Sollens aus einem Sein in der analytischen Moralphilosophie, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 55, 1969, 11-39; N. Hoerster, Moral und Emotionen, Philosophische Rundschau 1 7 , 1 9 7 0 , 1 1 - 1 2 8 . Vgl. die Ubersetzung der Bücher von Kurt Baier, The Moral Point of View, dt. Der Standpunkt der Moral; Marcus G. Singer, Generalization in Ethics, dt. Verallgemeinerung in der Ethik; R. M. Hare, The Language of Morals, dt. Die Sprache der Moral; R. M. Hare, Freedom and Reason, dt. Freiheit und Vernunft, Düsseldorf 1973; W. K. Frankena, Ethics, dt. Analytische Ethik. Vgl. auch den von G . Grewendorf und G. Meggle herausgegebenen Sammelband Seminar: Sprache und Ethik, mit Texten, zumeist Aufsätzen, analytischer Moralphilosophen. 8 Vgl. zu den deutschsprachigen Veröffentlichungen oben Anm. 6. In der englischsprachigen Literatur ist hinzuweisen auf die Aufsätze in dem von I. T. Ramsey herausgegebenen Band Christian Ethics and Contemporary Philosophy, London 1966. Vgl. auch K. Ward, Ethics and Christianity; Ν . H . G. Robinson, The Groundwork of Christian Ethics; Gene Outka, Agape. An Ethical Analysis, New Haven/Londen 1972; Stanley Hauerwas, Vision and Virtue. Essays in Christian Ethical Reflection, Notre Dame 1974. Die neuesten Beiträge zu diesem Thema sind in der seit 1973 erscheinenden Zeitschrift The Journal of Religious Ethics zu finden.
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scher Moralphilosophen zu prüfen haben, und sie wird beurteilen müssen, ob sie dem untersuchten Gegenstand adäquat sind. Von dieser speziellen Aufgabe abgesehen wird die Theologie zu prüfen haben, ob sie nicht aus den Untersuchungen der analytischen Ethik weitere Elemente für ihre Arbeit fruchtbar machen kann. Sie wird die analytische Moralphilosophie gründlich zur Kenntnis nehmen müssen. In diesem Prozeß wird sie diejenigen Züge erkennen, die eine Verbindung zu ihrer eigenen Arbeit explizit haben oder implizit eröffnen. Im folgenden soll ein Anfang solcher Uberprüfung gemacht werden, oder besser, die begonnenen Anfänge sollen referiert und ein Stück weit fortgesetzt werden. Dabei werde ich zunächst einige Diskussionsgänge der analytischen Ethik auf ihre Relevanz für die christliche und theologische Ethik befragen und untersuchen, ob und inwiefern das analytische Programm der Metaethik auf die theologische Ethik anzuwenden ist und welche Konsequenzen dies hätte (Teil 3). Im Anschluß daran soll die früher erwähnte Aufgabe, Darstellungen der theologischen Ethik durch analytische Ethiker zu überprüfen, angegangen werden. Dies wird im Zusammenhang der (bereits metaethischen) Frage geschehen, welche Rolle die Religion für die Ethik und in der Ethik spielt bzw. welche Funktion religiöse Aussagen für die Formulierung ethischer Sätze haben (Teil 4 und 5). Diese Untersuchung wird die Voraussetzungen dafür schaffen, eine Darstellung der Metaethik christlicher und theologischer Ethik zu geben, eine Antwort also auf die Frage nach der Bedeutung der Wörter im ethischen Diskurs der Christen und nach den Rechtfertigungsstrategien, die in diesem Diskurs als gültig angesehen werden. 3.2. Die Rechtfertigung ethischer Sätze: Rationalität und Entscheidung Der einleitende Uberblick über die Entwicklung der analytischen Ethik hat eine Fülle einzelner Positionen und Diskussionen angezeigt. Die theologische Ethik, so wurde gesagt, muß diese Positionen prüfen und in der Auseinandersetzung mit ihnen ihre eigene Theorie formulieren. Ein Stück weit ist daher die Diskussion der Moralphilosophie zu verfolgen. Ihre entscheidenden Streitfragen müssen aufgegriffen werden. Es wird nach ihrer Lösung gesucht werden müssen und zu fragen sein, welche Konsequenzen dies für die theologische Ethik hat. Die Metaethik will die Frage klären, wie der moralische Diskurs adäquat zu verstehen ist. Sie umfaßt nach der eingangs gegebenen Definition dabei zwei Fragerichtungen: (a) die Frage nach der Bedeutung der im ethischen Dialog verwendeten Wörter und (b) die nach der Rechtfertigung ethischer Sätze 9 . Mit dem Bereich der zweiten Frage werden sich die Überlegungen in diesem Abschnitt beschäftigen. 9
Vgl. oben Abschnitt 1.2.
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Ausgangspunkt ist der Sachverhalt, daß es mehr als nur eine metaethische Theorie gibt. In Teil 2 wurden einige dieser Theorien skizziert. Sie unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht, eben auch darin, daß sie die Strategien zur Rechtfertigung moralischer Urteile unterschiedlich darstellen. 1. Die Rechtfertigung ethischer Sätze. Jeder, der ein moralisches Urteil fällt, eine ethische Aussage macht, muß sich ja die Frage gefallen lassen, weshalb er gerade dieser und nicht anderer Ansicht ist. Wer sagt: „Es ist falsch, daß X seine Frau betrügt", muß eine Antwort auf die Frage, warum dies falsch sei, geben können. Antworten, wie sie kleinen Kindern auf solche Fragen gelegentlich gegeben werden („Das ist eben so"), befriedigen nicht. Sie gelten nicht als Rechtfertigung des abgegebenen moralischen Urteils und werden deshalb nicht als Begründung akzeptiert. Die Warum-Frage eröffnet vielmehr ein Begründungs- oder Rechtfertigungsverfahren. Wer so gefragt wird, sieht sich herausgefordert, rechtfertigende Gründe für sein Urteil anzugeben. Er sagt etwa: „Es ist falsch, daß X seine Frau betrügt, weil Ehebruch moralisch verwerflich ist." Oder er sagt auch nur: „Es ist falsch, weil seine Frau hilflos in der Klinik liegt." Im zweiten Fall ist entweder eine Aussage der ersten Art vorausgesetzt oder eine ähnliche allgemeine Regel: „Es ist falsch, die Hilflosigkeit anderer auszunutzen." Die konkrete Verurteilung eines moralisch falschen Verhaltens wird damit gerechtfertigt, daß man allgemeine Richtlinien, moralische Prinzipien, zitiert. Moralische Prinzipien, Aussagen also, die allgemeine Relevanz für das Verhalten von Menschen haben und festlegen, was getan werden soll, besitzen ihrerseits unterschiedliche Grade der Allgemeinheit. Weniger allgemeine Prinzipien können auf allgemeinere zurückgeführt werden. Das Prinzip „Man soll nicht die Einheit der Familie zerstören" oder „Man soll nicht gegebene Versprechen brechen" gilt als allgemeiner als das Prinzip „Man soll nicht ehebrechen" 10 . Jenes kann herangezogen werden, um dieses zu rechtfertigen. Somit besteht der Prozeß der Rechtfertigung in einem Regreß immer fundamentalerer Prinzipien, die notwendige Bedingungen zur Rechtfertigung spezieller Prinzipien darstellen. Schreitet man immer weiter zurück, dann muß es an einem Punkt letzte Prinzipien geben, wenn der Begründungsprozeß nicht in einem infiniten Regreß enden soll. In der Vorstellung, die eine metaethische Theorie über den letzten Grund der Rechtfertigung ethischer Sätze hat, zeigt sich der Unterschied zwischen den Theorien am deutlichsten. Der Naturalismus beruft sich auf bestimmte beschreibbare Eigenschaften einer Handlung oder ihrer Folgen, die ihr Gutsein begründen. Auf diese Eigenschaften hinzuweisen ist der letzte Schritt in dem Prozeß, ein Verhalten oder einen ethischen Satz zu rechtfertigen. Der Emotivismus erkennt in den Gefühlen dessen, der handelt oder ethische 10
Vgl. A . Phillips Griffiths, Ultimate Moral Principles, in P. Edwards, H g . , Encyclopedia of
Philosophy, Vol. 8 , 1 7 7 - 1 8 2 , 1 7 8 f.
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Aussagen macht, den letzten Grund der Rechtfertigung. Andere Theorien verfahren entsprechend. In allen Theorien gilt eine Instanz als letztlich entscheidend. Der Streit geht bloß darum, welche Instanz dies sein soll. 2. Letzte Rechtfertigungsgründe. Im Rahmen dieser Diskussion kam die spezielle Frage in den Blick, ob die verschiedenen letzten Rechtfertigungsgründe alle auf der gleichen Ebene liegen. Könnte es nicht sein, daß unterschiedliche Theorien unterschiedlich weit zurückgehen, wenn sie ethische Sätze begründen wollen? Kennzeichnet es nicht den Streit zwischen metaethischen Theorien, daß jede Theorie ihrer Vorläuferin vorwirft, sie sei nicht bis zum letztlich entscheidenden Grund vorgedrungen ?Oder-eine Kritik in umgekehrter Richtung - sie habe hinter die letztlich erreichbaren Gründe zurückzugehen versucht und sei dabei zu weit gegangen. Wie weit ist es dann aber überhaupt möglich, ethische Sätze zu begründen beziehungsweise zu rechtfertigen? Gibt es einen unendlichen Regreß von Prinzipien, der keinen letzten Grund zu nennen erlaubt, oder darf man den Regreß an einem Punkt abbrechen, ohne daß dies arbiträr ist 11 ? Läßt sich ein solcher letzter Grund als begründet ansehen, gibt es also eine rationale Basis der Ethik, oder muß man ohne eine solche Basis auskommen? Die Problematik hinter diesen Fragen will ich zu erörtern versuchen, indem ich zunächst eine Kontroverse aufgreife, die zu Anfang der 50er Jahre zwischen Stephen E. Toulmin und Richard M. Hare ausgetragen wurde. a) S. E. Toulmin. Toulmins Buch „An Examination of the Place of Reason in Ethics" ist mit der Frage nach der Rechtfertigung moralischer Urteile befaßt. Welche Gründe als „gute Gründe" in der Ethik zählen, ist eine zentrale Frage. (Diese Akzentsetzung war der Anlaß, Toulmins Position und einige verwandte Positionen als „good reasons approach" der Metaethik zu bezeichnen 12 .) Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, will Toulmin rein deskriptiv vorgehen 13 . Er will nicht angeben, was Gutsein oder Wert bedeutet, sondern will beschreiben, wie der ethische Diskurs im Normalfall verläuft und was darin als „guter Grund" gilt. Dies, so sagt Toulmin, läßt sich tun, ohne daß man eine ausgearbeitete naturalistische oder emotivistische Metaethik voraussetzt, die erklärt, was „gut" etc. heißt. Er nimmt an, daß die ethischen Urteile nach einem verhältnismäßig einfachen Muster begründet werden: Man gibt für jeden ethischen Schlußsatz Tatsachengründe an, auf die sich der Schluß stützt. Philosophische Ethik soll dann die Frage
Vgl. aaO. 179. Vgl. Abraham Edel, Symposium: Ethical Reasoning, I, in M. White, H g . , Academic Freedom, Logic, and Religion, Philadelphia 1 9 5 3 , 1 2 7 - 1 4 2 , 1 3 3 ; Kai Nielsen, G o o d Reasons in Ethics. An Examination of the Toulmin-Hare-Controversy, Theoria 24, 1958, 9 - 2 8 , 10, 11 Anm. 2. 11
12
13
S. E . Toulmin, An Examination of the Place of Reason in Ethics, 193 uö.
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klären, welche Gründe im Diskurs als gute Gründe für eine bestimmte ethische Entscheidung gelten 14 . Toulmin will zur Beantwortung dieser Frage beitragen. Er will den moralischen Diskurs, wie er ihn vorfindet, explizieren. Das heißt, er geht von dem Bereich aus, der im normalen Sprachgebrauch als „Moral" bezeichnet wird l s . Innerhalb dieses Bereichs beschreibt er die (dann bereits eingegrenzte) Rolle des Verweises auf Gründe, m. a. W. der Rationalität. Er kommt zu einem Ergebnis, das als eine Synthese von deontologischen und teleologischen Theorieaspekten betrachtet werden kann: Einzelne Handlungen werden durch den Verweis auf die anerkannten Prinzipien sozialer Praktiken, etwa des Versprechens, begründet. Diese sozialen Praktiken werden ihrerseits durch teleologisch-utilitaristische Überlegungen gerechtfertigt16. Im ersten Schritt ist die Untersuchung der Moralphilosophen durch ein vorgegebenes System sozialer Praktiken begrenzt. Toulmins These ist, daß auch im zweiten Schritt durch das vorausgesetzte Einverständnis darüber, was Moralität ist, eine Grenze des Fragens festgelegt ist 17 . Ein letztes Prinzip kann noch im Hinblick auf seine Konsequenzen überprüft werden. Wer jedoch darüber hinaus fragt, welche Konsequenzen gut und welche schlecht sind, hat den Boden dessen verlassen, was als Moralität gilt. Er bewegt sich auf einer Ebene hinter der Moral, auf der nicht mehr nur moralische Kriterien gelten 18 . Man kann fragen, warum man eine bestimmte Handlung ausführen oder unterlassen soll. Dies ist eine Frage, die in den Bereich der Moral fällt. Aber man kann nicht mehr fragen, warum man das tun soll, was richtig ist. Wer so fragt, stellt sich außerhalb der Moral - oder so weit über sie, daß er keine Beziehung mehr zu ihr findet 19 . Eine Rechtfertigung ethischer Urteile hat daher für Toulmin ihre Grenze dort, wo das Gebiet der Moral verlassen wird und Fragen gestellt werden, die sich auf die Legitimität der Moral selbst beziehen. Die letzte erreichbare Grenze ist also die Frage, was in der Moral als guter Grund für ein Verhalten oder Urteil zählt. Wird dies umfassend beschrieben, dann ist der Vorgang der Rechtfertigung erschöpfend dargestellt. b) R. M. Hare. Geht Toulmin davon aus, daß die Aufgabe der Moralphilosophie ausschließlich deskriptiv ist, so setzt R. M. Hare hier mit seiner A a O . 4. Hier tritt wieder das Problem ins Blickfeld, wie Moral abzugrenzen sei (vgl. Abschnitt 1.2.), außerdem die Frage, ob man nicht eine unkontrollierte Eingrenzung auf eine soziologisch zu beschreibende Gruppe vornimmt, wenn man von der ordinary-language-Definition der Moralität ausgeht. 14
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1 6 So zusammenfassend S. E . Toulmin, A n Examination of the Place of Reason in Ethics, 150f. Vgl. auch Κ. Nielsen, G o o d Reasons in Ethics, 13f. 17 18 19
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Vgl. S. E . Toulmin, An Examination of the Place of Reason in Ethics, 1 5 2 - 1 5 5 . A a O . 161. Vgl. aaO. 161 f.
Kritik an. E r hält daran fest, daß es keinen gültigen Schluß gibt, der zu moralischen Schlußfolgerungen komme und nicht bereits moralische Prämissen enthalte oder die Option für eine bestimmte Moral voraussetze 2 0 . Er weist auf die Gefahr des naturalistischen Fehlschlusses hin. Wer von Tatsachengründen zu ethischen Aussagen gelangen wolle, habe nur eine von zwei Möglichkeiten: (1) Er begeht den naturalistischen Fehlschluß. (2) Er setzt neben den Tatsachengründen eine zweite, normative oder evaluative Prämisse voraus, die ihn zur ethischen Conclusio gelangen läßt. Obgleich Toulmin - so Hare 2 1 - „die gröbsten Fehler" vermeidet, stimmt Hare seinen Ausführungen nicht zu. Vielmehr wendet er die zweite Verstehensmöglichkeit des Schlußverfahrens gegen Toulmin an. Er unterstellt, daß Toulmin der zweiten Möglichkeit entsprechend verfahren sei und seiner Argumentation eine zweite, normative Prämisse zugrundeliege. Hare zufolge ist nämlich die Entscheidung darüber, was als guter Grund im moralischen Diskurs zählt, selbst eine moralische Entscheidung 2 2 . Sie kann durch Berufung auf den Sprachgebrauch nicht den Anschein der Nichtnormativität erhalten 2 3 . Eben dies strebe Toulmin aber an. Er definiere die Ethik und lege damit fest, was als guter Grund anzusehen ist. Sobald er dies tue, habe er jedoch schon einen bestimmten (den moralischen) Standpunkt eingenommen und sei er schon für eine bestimmte (die moralische) Lebensweise eingetreten. Somit habe er metaethische und normativ-ethische Aussagen in seiner Analyse bereits vermengt 2 4 . Demzufolge lehnt Hare es ab, den Bereich der Moral durch den normalen Sprachgebrauch, etwa durch den Gebrauch von Begriffen wie „moralisch richtig", einzugrenzen. Er stellt die moralischen Fragen vielmehr in den größeren Zusammenhang aller Wertfragen und hält an deren grundlegender logischer Verwandtschaft fest. Erst danach fragt er nach der Besonderheit der moralischen Aussagen. Er sieht sie in einer doppelten Beziehung: Moralische Aussagen gehören zu der Klasse der präskriptiven Aussagen, die ein imperativisches oder empfehlendes Element enthalten, und sie unterscheiden sich von anderen (etwa ästhetischen) Wertaussagen dadurch, daß sie verallgemeinert werden können 2 5 . Hares Kritik an Toulmin lautet also: Toulmin erreicht nicht die letzte Ebene metaethischer Analyse. Er nimmt moralisch wertende Aussagen nicht nur als Material zum Ausgangspunkt seiner Analyse, sondern baut sie als Axiome in seinen analytischen Apparat ein. Daher bleibt er auf der Stufe der Normation stehen. Es ist folgerichtig, daß er eine letzte Rechtfertigung 2 0 R. M. Hare, An Examination of the Place of Reason in Ethics, by Stephen Edelston Toulmin, 1950, Philosophical Quarterly 1 , 1 9 5 1 , 3 7 2 - 3 7 5 , 374.
R. M. Hare, Die Sprache der Moral, 68. R. M . Hare, An Examination of the Place of Reason in Ethics, 374. 23 Ebd. 2 4 E b d . ; vgl. Κ. Nielsen, G o o d Reasons in Ethics, 16. 2 5 Z u m präskriptiven Universalismus Hares vgl. oben Abschnitt 2.3. Vgl. R. M. Hare, Freedom and Reason, § 1.3, 8.2; R. M. Hare, Die Sprache der Moral, § 11.5. 21 22
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ethischer Prinzipien ablehnt, daß er „innerhalb" der E t h i k 2 6 die Rolle ethischer Argumentation untersucht und die Grenzen der Ethik nicht überschreitet 2 7 . Hare vollzieht den Schritt zu der weiteren Ebene, den er bei Toulmin vermißt. Er macht explizit, was bei der Entscheidung zu einer Moral impliziert ist. Moralisch zu argumentieren oder sich moralisch zu verhalten setzt jeweils voraus, sich zuvor für bestimmte Prinzipien entschieden zu haben 2 8 . Die Summe aller Prinzipien, für die man sich entschieden hat, stellt die Moral dar, der man verpflichtet ist. Aus ihnen lassen sich die konkreten Imperative der Entscheidungen und Urteile ableiten. Ein bedeutender Faktor für die Entscheidung zu bestimmten Prinzipien - darüber ist Hare mit Toulmin einig - ist die Berücksichtigung der Folgen, die ein Handeln haben kann, das sich an diesen Prinzipien orientiert 2 9 . Zu einer vollständigen Rechtfertigung einer Entscheidung gehören deshalb zumindest die Aufzählung der Prinzipien, auf die sie sich gründet, und die Aufzählung der Folgen, die sich aus der Befolgung der Prinzipien ergeben 3 0 . Ihre letzte Rechtfertigung fände eine Entscheidung jedoch erst dann, wenn man auch die Gründe für die Entscheidung zu bestimmten Prinzipien angäbe und nicht einfach voraussetzte, daß eine solche Begründung überflüssig sei, sofern jemandes Entscheidungen und Handlungen „moralisch" seien. Mit diesem Schritt geht Hare hinter das, was Toulmin für ausreichend hält, zurück. U m diesen Schritt zu gehen, um also die Prinzipienentscheidung selbst zu rechtfertigen und Gründe für sie anzugeben, ist es nach Hare nötig, „eine vollständige detaillierte Beschreibung der Lebensweise (zu) geben, von der sie ein Teil ist" 3 1 . Freilich ist eine solche Beschreibung kaum zu geben. D o c h erst sie könnte die vollständige Rechtfertigung der Prinzipien darstellen. Hinter sie könnte man dann nicht mehr sinnvoll zurückfragen. Erkenntnistheoretisch (und, falls man die Sichtweise umkehren will, ontologisch) ist die Prinzipienentscheidung somit fundamental. Sie und die „Lebensweise" des Individuums, die von der Summe seiner Prinzipienentscheidungen konstituiert wird, bilden die Grundlage, auf der alle Entscheidungen und Urteile beruhen. In dieser Weise ist jede Prinzipienentscheidung ebenso gut zu rechtfertigen wie eine andere 3 2 . Dennoch ist sie keineswegs willkürlich zu treffen.
26 „Within" bei Toulmin, An Examination of the Place of Reason in Ethics, 162. Toulmin spricht deutlich von den Grenzen des rationalen Verhaltens, das Ethik genannt wird; vgl. aaO. 1 5 2 , 1 5 4 , 1 5 5 , 2 2 4 uö., vgl. auch K. Nielsen, G o o d Reasons in Ethics, 2 2 f , 26.
Vgl. S. E . Toulmin, An Examination of the Place of Reason in Ethics, 1 6 0 - 1 6 3 . Vgl. Philippa F o o t , Moralische Argumentationen, 247. 2 9 R. M. Hare, Die Sprache der Moral, 81 f, § 4.1. Beide Metaethiker sehen die Ethik also als teleologisch-utilitaristisch orientiert an. 3 0 R . M . Hare, Die Sprache der Moral, 95 f, § 4.4. 27 28
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A a O . 96, § 4.4. Vgl. Ph. F o o t , Moralische Argumentationen, 247.
Sofern es nämlich eine entscheidende Rolle spielt, wie die Befolgung der in Frage stehenden Prinzipien sich auswirkt, und sofern die Entscheidung sich auf die Lebensweise dessen bezieht, der sie trifft, beruht sie „auf der Erwägung all dessen (. . .), worauf sie sich möglicherweise gründen könnte" 33 . 3. Prinzipienentscheidung und Rationalität. Toulmin und Hare sehen die Grenze der Begründung und Rechtfertigung ethischer Aussagen demnach auf unterschiedlichen Ebenen: (a) Eine vollständige Rechtfertigung ethischer Sätze muß auf die allein autobiographisch zu begründende Entscheidung zu einer bestimmten Moral zurückgehen. Die grundlegenden Kriterien dessen, was als guter Grund in der Ethik zählen kann, gehören in den Rahmen einer Ethik, auf den man sich verpflichtet, statt sich auf einen anderen zu verpflichten. Eine vollständige Beschreibung der Lebensweise, in die die Moral eingebettet ist, stellt die letzte erreichbare Begründungsebene dar. (Dies ergibt sich aus den Überlegungen Hares 34 .) (b) Innerhalb einer sozialen Gruppe ist in der Regel eine bestimmte Ethik weitgehend akzeptiert, und es besteht ein beträchtliches Einverständnis über die Minimalforderungen der Moral. Ein Grund dafür könnte darin zu suchen sein, daß innerhalb der Gruppe die zugrundeliegenden autobiographisch zu beschreibenden Erfahrungen und die Beurteilung der Folgen bestimmter ethischer Prinzipien interpersonal nicht stark differieren35. Ist man sich einig, was als „moralisch" gilt und welche Verhaltensweisen mit dem, was man „Moral" nennt, völlig unvereinbar sind, dann hat man bereits einen (gruppenspezifischen) „Standpunkt der Moral" 3 6 anerkannt. Dann bedarf es für diese Gruppe keiner weitergehenden Rechtfertigung ihrer Prinzipien mehr. Was als guter Grund für eine ethische Aussage oder Handlungsweise gilt, steht außer Frage. Wenn man untersuchen will, was vernünftiges ethisches Denken in einer solchen Gruppe bedeutet, kann man die Problematik der hinter allen anerkannten Prinzipien und Urteilsprozessen liegenden letzten Entscheidung ignorieren 37 . (Zu dieser Folgerung gelangt man in Anlehnung an Toulmin 38 .)
3 3 R. M. Hare, Die Sprache der Moral, 97, vgl. 96f. Besser wäre zu übersetzen: „. . . , worauf sie sich überhaupt gründen könnte". 3 4 Im folgenden Abschnitt wird diese Ansicht, mit dem Namen Hares bezeichnet, diskutiert werden. 3 5 Vgl. M. F . Cohen, Knowledge and Moral Belief, Australasian Journal of Philosophy 43, 1965,168-188,184. 36
„Moral point of view".
Vgl. Κ. Nielsen, G o o d Reasons in Ethics, 2 8 ; auch Η . Fahrenbach, Sprachanalyse und Ethik, 382 f; Norbert Hoerster, Einleitung, in W . K. Frankena, Analytische Ethik, 7 - 1 5 , 1 0 - 1 2 . 3 8 D e r Einfachheit halber werde ich im folgenden diese Darstellung mit dem Namen Toulmins verbinden. Dabei sollte bewußt bleiben, daß Toulmin diese Ansicht in der hier entwickelten F o r m höchstens angeregt, nicht jedoch selbst vertreten hat. 37
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Keine der beiden Positionen, die dargestellt wurden, ist ohne Probleme, weder die Suche nach Prinzipienentscheidungen, die mit dem Namen Hares, noch die Darstellung des moralischen Standpunkts, die mit dem Namen Toulmins verbunden wurde. Gegen Toulmin wird eingewandt, er verletze die Neutralität metaethischer Argumentation, da er sich bereits vorab zu einer bestimmten Art von Moral entschieden habe 39 . Im Anschluß daran ist freilich zu fragen, ob seine Konzeption der Moral tatsächlich auf den Konsens einer Gruppe beschränkt werden muß oder ob es nicht in der Moral eine allgemeine Verbindlichkeit fundamentaler Prinzipien gibt, die dem Menschen als Menschen bereits notwendig zukommt. Wenn dies so wäre, hätte Toulmins Position jene Universalität, die Hare bestreitet und dann nachträglich durch das Prinzip der Universalisierbarkeit in seine Konzeption der Moral selbst einführt. Die Diskussion dieser Frage soll im nächsten Abschnitt aufgegriffen werden. 4. Entscheidungsprozeß und Rechtfertigungsvorgang. Hare billigt der Prinzipienentscheidung eine fundamentale Rolle bei der Konstitution einer Ethik zu. Sie hält die letzte Stelle im Prozeß der Rechtfertigung einer Entscheidung inne. Hinter die Prinzipienentscheidung kann man nicht mehr zurückfragen in der Hoffnung, eine weitere begründete oder begründbare Antwort zu erhalten. Nun könnte man versucht sein, die Fragerichtung Hares umzukehren. Dann fragte man nach der adäquaten Vorstellung des Prozesses der Entscheidungsfindung. Man fragte: Wie kommt es zu einer bestimmten moralischen Entscheidung? Wie hat man sich diesen Vorgang vorzustellen? Hares Darstellung ließe sich als Antwort auf diese Frage verstehen. Dann ergäbe sich ein sehr einfaches Bild des Entscheidungsprozesses: Jemand steht vor der Notwendigkeit, eine moralische Entscheidung zu treffen. Er muß sich zunächst über die Prinzipien klar werden, die seine Entscheidung leiten sollen. Daher wird er erst festlegen, welche Prinzipien er akzeptieren möchte. In dieser Überlegung wird er versuchen, sich über seine Wünsche, über deren Gesamtheit und über das Gesamtbild seines Lebens völlig oder, soweit es geht, im klaren zu sein. Dann kann er beanspruchen, eine gültige und wohlbegründete Entscheidung über Prinzipien zu treffen. Ist dieser Schritt getan, wäre die wichtigste Arbeit für die Beantwortung der Ausgangsfrage geleistet. Dann käme die Logik zu ihrem Recht. Sie müßte, von den Prinzipien ausgehend, über einige Zwischenglieder die Konkretisierung ableiten und somit bei einem Satz angelangen, der als Antwort auf die Frage gelten kann, welche konkrete Entscheidung der betreffende Mensch treffen, vertreten oder realisieren soll. Dieser Entwurf eines Entscheidungsvorgangs scheint allzu einfach zu sein. Ist damit der moralische Sprachgebrauch, der Prozeß der Entscheidungsfin3 9 Der Einwand wurde oben bereits angesprochen und in der Einleitung, Abschnitt 1.2., schon behandelt, als es um die Neutralitätsthese der Metaethik ging.
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dung zutreffend beschrieben? Diese Frage erfordert eine differenzierte Antwort. Zumindest in zweierlei Hinsicht muß sie entfaltet werden: (a) Trifft diese Darstellung des Entscheidungsprozesses zu, so daß sie beschreibt, wie man seine Entscheidung trifft? (b) Ist sie adäquat hinsichtlich der Voraussetzungen, die sie macht, oder sind die Bedingungen und Voraussetzungen des moralischen Diskurses nicht völlig andere? (Die erste Frage kann gleich beantwortet werden. Die zweite Frage eröffnet eine neue Diskussion. Sie wird Gegenstand des nächsten Abschnitts 4 0 sein.) Ist es denn richtig, daß am Anfang die Prinzipienentscheidung steht? Ist das der Weg, sich seine Meinung über ein moralisches Problem zu bilden? Ist es nicht eher so, daß man die Prinzipien der Moral entdeckt, erkennt, als daß man sie durch einen Akt der Wahl festlegt 4 1 ? Hier ist das Mißverständnis auszuräumen, Hare habe mit dem, was er sagt, den Ablauf eines Entscheidungsprozesses darlegen wollen. Auch Hare weiß, daß man nicht erst über Prinzipien entscheidet und dann das gewählte Prinzip mit dem konkreten Anwendungsfall in Beziehung bringt. Hare will vielmehr beschreiben, was geschieht, wenn man nach Gründen für seine Entscheidung gefragt und dabei gedrängt wird, diese Frage bis zum Ende zu verfolgen. Dann, so sagt er, steht am Ende dieses Begründungsvorganges eine Entscheidung, allerdings eine nicht unbegründete Entscheidung. Bestimmte Prinzipien werden akzeptiert oder abgewiesen. Man kann also die Umkehrung der Fragerichtung Hares nicht als einen Einwand gegen seine Darstellung benutzen. Denn diese Umkehrung selbst ist unzulässig, weil sie den Unterschied zwischen dem Entscheidungsprozeß und dem Vorgang, seine Entscheidung zu rechtfertigen, nicht beachtet. Was Hare darstellt, trifft für den Vorgang der Rechtfertigung von Entscheidungen zu, es will aber nicht darstellen, welche Schritte zu einem bestimmten moralischen Urteil führen 4 2 . Die weitergehenden Fragen sind damit allerdings noch nicht beantwortet: Ist der letzte Schritt im Begründungsgang die Entscheidung des Individuums Vgl. unten Abschnitt 3.3. Diese Fragen stellen Leute, die von der Objektivität moralischer Urteile, also von einer naturalistischen Position ausgehen. Vgl. Ph. Foot, Goodness and Choice, 216, 2 2 7 ; Jonathan Harrison, When Is a Principle a Moral Principle?, Proceedings of the Aristotelian Society, Suppl.Vol. 28, 1954, 1 1 1 - 1 3 4 , 116; Ph. Foot, Moralische Argumentationen, 2 5 5 - 2 5 9 ; G. J . Warnock, Contemporary Moral Philosophy, 4 7 ; David Pole, O n Practical Reason and Benevolence, Proceedings of the Aristotelian Society 68, 1967/68, 1 2 9 - 1 4 4 , 132; K. Ward, Ethics and Christianity, 158 f. 40 41
4 2 Vgl. Κ. Nielsen, G o o d Reasons in Ethics, 28. So auch Α . Jeffner, Die Rechtfertigung ethischer Urteile, 2 4 5 - 2 4 7 , und George C . Kerner, Passions and the Cognitive Foundation of Ethics, Philosophy and Phenomenological Research 31, 1970/71, 1 7 7 - 1 9 2 , 189f. Kerner wendet diese Erkenntnis ins Praktische, indem er allen ethischen Forschritt nicht von Verbesserungen der Erkenntnisse oder Methoden der Ethik, sondern von der Erziehung der Moralsubjekte zu verantwortlichen „Passionen", d.h. fundamentalen Einstellungen und Entscheidungen, abhängig sieht, aaO. 192.
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für Prinzipien oder die Anerkenntnis vorgegebener Prinzipien? Hat das moralische Subjekt eine originäre Wahl, oder besteht ein Sachzwang, der sich aus dem Wesen der Moral ergibt? Pointiert gefragt: Kann alles als moralisch gelten, oder gibt es Einschränkungen? 3.3. Relativismus und
Objektivität
Damit ist man bei der zweiten Frage angelangt: Treffen die Voraussetzungen zu, die hinter der Theorie stehen, die aus Hares Ausführungen entwickelt wurde? Angenommen, die Verpflichtung zu letzten Prinzipien sei eine Sache der Entscheidung. Dann ist es wohl Sache des einzelnen, seine Entscheidungen zu fällen, und eine Kritik ist kaum mehr möglich. Jeder kann sich auf seine Biographie zurückziehen. Diese Position scheint das Einfallstor der Beliebigkeit in die Ethik weit zu öffnen. Wenn jeder seine Prinzipienentscheidung selbständig und unabhängig von allgemeingültigen Kriterien trifft - ist dann der Relativismus noch auszuschließen? Kann dann nicht alles und jedes als moralischer Standpunkt gelten und alles und jedes als Rechtfertigungsgrund dafür angeführt werden43? Was ist dann noch Moral? Ist sie etwas anderes als die willkürliche Entscheidung jedes Moralsubjekts? Das Problem, um das es hier geht, ist letztlich, in welcher Weise der Streit zwischen einem extremen Relativismus und einem extremen Objektivismus zu schlichten ist. Dabei wäre Hares Position zum Ausgangspunkt des Relativismus zu nehmen, während sich aus der Kritik daran der Objektivismus entwickeln ließe. 1. Theologische Ethik zwischen Relativismus und Objektivität. Bevor diese Fragen weiter verfolgt werden, soll ein Blick auf die theologische Ethik zeigen, welche Folgen jede der möglichen Antworten für diesen Bereich hätte. Es ist ja von nicht unerheblicher Bedeutung für eine Theorie der theologischen Ethik, wie die eben gestellten Fragen entschieden werden. Wenn die Moral bestimmte Prinzipien vorschreibt bzw. notwendig enthält, muß sich die theologische Ethik dafür interessieren. Sie muß dann fragen, welches diese Prinzipien sind, die die Moral zur Moral machen. Die theologische Theorie muß diese Prinzipien zur Kenntnis nehmen, sie integrieren und sie in Beziehung zu ihren eigenen spezifischen Inhalten setzen, wenn sie eine theologische Ethik entwickeln will. Die theologische Ethik hätte dann z.B. Auskunft zu geben, welche Rolle das Prinzip der Universalisierbarkeit im ethischen Diskurs der Christen spielt, wie es sich zur Goldenen Regel 44 verhält, ob es denkbar ist, daß es außer Kraft gesetzt wird, gegebenenfalls unter welchen Bedingungen, und ob es ethische Vorschriften für Christen gibt, die nicht universalisierbar sind. Sie müßte etwa auch der Frage nachge43 44
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Vgl. W . D . Hudson, F a c t and Moral Value, Religious Studies 5 , 1 9 6 9 , 1 2 9 - 1 3 9 , 1 3 5 . M t 7,12 p a r . L k 6 , 3 1 .
hen, ob sie zusätzliche, spezifische Prinzipien neben denen, die von der Moralphilosophie herausgestellt werden, kennt und in welcher Beziehung diese zu den allgemein anerkannten stehen. Diese und ähnliche Untersuchungen wären in dem einen Fall nötig. Im anderen Fall, wenn also wirklich die subjektive Entscheidung die letzte Stelle im Begründungsgang innehat, stellt sich das Bild der Ethik für die Theologie verlockend dar. Denn zu einer Ethik, die auf Entscheidung gründet, könnte eine theologische Epistemologie treten, die das Fundament der Theologie ebenfalls in der persönlichen Entscheidung des Glaubenden (oder Nichtglaubenden) sieht. Beide Theorien fügten sich nahtlos zusammen. Wie der Glaube als das Ergebnis der Entscheidung zu einer bestimmten Weltsicht verstanden wird, so braucht jetzt die theologische Ethik bloß als Ergebnis der Entscheidung zu einer bestimmten Art von Ethik interpretiert zu werden. Abweichende Entscheidungen stehen selbstverständlich jedem offen. Doch keiner kann dann die Entscheidungen des anderen von einem neutralen, überparteilichen Standpunkt aus kritisieren. Es liegen einfach unterschiedliche Lebensweisen vor 45 . Diese zweite Alternative hätte weitreichende Folgen für die ethische und metaethische Theorie. Sie impliziert die Anschauung, daß verschiedene Ethiken als in sich abgeschlossene Welten, als „Sprachspiele" nebeneinanderstehen. Es ist eine Sache willkürlicher Entscheidung, eine dieser Ethiken zu wählen oder gar von einem zu einam anderen Moralsystem zu wechseln. Zwar dient der gesamte Rahmen der Uberzeugungen, die jemand hat, als Grundlage dieser Entscheidung, doch ebenso, wie grundverschiedene Überzeugungen nebeneinander vertreten werden, kann es auch nur das Nebeneinander von Ethiken geben. Mehr noch: sofern die Uberzeugungen völlig in sich abgeschlossene Systeme sind - und davon gehen einige Philosophen aus - , ist weder eine Auseinandersetzung noch auch nur ein gegenseitiges Verstehen möglich 46 . Man kann sich dieser Ansicht zufolge im ethischen Diskurs über vieles streiten, über die richtige Beurteilung der Fakten, über die Abschätzung der Folgen, die ein Verhalten haben wird, jedoch nicht über die Prinzipien, zu denen jeder der Debattanden sich entschieden hat. Dort endet der Streit, die Auseinandersetzung bricht ab, und jeder zieht sich auf die Deklamation seiner Position zurück. Der „tote Punkt" ethischer Argumentation ist erreicht 47 . Lauter abgeschlossene, partikulare Moralsysteme stehen nebenein45 Eine diesem zweiten Typ entsprechende Theorie der Religion und Ethik vertritt D. Z. Phillips, vgl. zB. Religiöse Glaubensansichten und Sprachspiele, und D. Z. Phillips u. H . O . Mounce, O n Morality's Having a Point, Philosophy 40, 1965, wieder abgedr. in W. D. Hudson, Hg., The Is-Ought Question, 2 2 8 - 2 3 9 , 2 3 6 - 2 3 9 . 46 Von dieser Konsequenz ausgehend, versucht Roger Trigg die hier referierte Position zu widerlegen, vgl. Reason and Commitment, Cambridge 1973. 47 Phillips und Mounce vertreten diese Position. Sie erkennen bereitwillig an, daß der tote Punkt dort sehr bald erreicht wird, wo auf dem Hintergrund unterschiedlicher Traditionen
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ander und in Konkurrenz miteinander. Jeder einzelne oder jede Gruppe sucht sich die Position aus, die sich am besten mit den sonstigen Uberzeugungen verträgt. Ist dies nicht das Bild eines totalen Relativismus in der Ethik? Ist dieser Relativismus unausweichlich, oder gibt es einen Ausweg, der diese Konsequenz vermeidet? Beide Fragen sollen untersucht werden. 2. Relativismus. Zunächst zur Frage des Relativismus. Er stellt gewiß die zentrale Herausforderung aller Ethik dar. Schon die Bezeichnung „Relativismus" hat den Beigeschmack des Negativ-Reduktionistischen. Die Ethik scheint der Möglichkeit beraubt, verbindliche Aussagen zu machen. Ihre Reichweite wird begrenzt. Doch man muß sogleich differenzieren: Dieser Begriff wird nicht verwendet, um ein einheitliches Phänomen zu bezeichnen. Es gibt verschiedene Konzeptionen des Relativismus, die man der Klarheit halber auseinanderhalten sollte, da sie den Relativismus auf unterschiedlichen Ebenen begründet sehen. (a) Der deskriptive Relativismus nimmt die erste, phänomenologische Ebene zum Ausgangspunkt. Er geht von der Beobachtung aus, daß tatsächlich Differenzen in den moralischen Urteilen und Regeln verschiedener Personen und Gruppen vorliegen, und erklärt diesen Sachverhalt mit der Vorstellung fundamentaler Nichtübereinstimmung. Nicht nur eine unterschiedliche Beurteilung der Fakten verursache die Differenzen. Vielmehr seien es fundamentale Unterschiede in Wertsetzungen und ethischen Prinzipien, die zu unterschiedlichen Bewertungen in einzelnen Fragen führten. Allerdings gibt es, so nimmt der deskriptive Relativismus an, für jeden spezifischen Fall eine einzige moralische Entscheidung, die richtig ist, und demgemäß auch ein Prinzip, das als moralisch richtig gilt. (b) Diese These verwirft der metaethische Relativismus. Er behauptet im Gegensatz dazu, daß es falsch sei, vorauszusetzen, es gebe so etwas wie eine aufweisbar richtige Entscheidung. Vielmehr seien die Methoden, mit denen ein solcher Aufweis versucht würde, selbst relativ, bezogen auf die Gruppe, in der sie Geltung besäßen: Es gebe keine Methode, die den Streit fundamentaler moralischer Differenzen entscheiden könnte. Differierende Standpunkte müßten als gleichermaßen richtig gelten. (c) Der normative Relativismus geht über die beiden bisher genannten Formen noch hinaus. Er begnügt sich nicht mit einer soziologisch-anthropologischen These wie der deskriptive Relativismus, auch nicht mit einer metaethischen These wie der metaethische Relativismus, sondern bietet selbst eine normative These. Sie lautet: Richtig oder falsch ist etwas nur und immer dann, wenn die Gruppe, der man angehört, es als richtig oder falsch beurteilt. Ein Verhalten, das so beurteilt wird, ist dann gut oder schlecht, moralische Fragen entschieden sind, vgl. D . Z. Phillips u. H . O . Mounce, O n Morality's Having a Point, 2 3 5 - 2 3 9 .
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richtig oder falsch. Wird dasselbe Verhalten unterschiedlich beurteilt, dann ist es einmal gut und einmal schlecht 48 . Diese Typologie definiert unterschiedliche Arten des Relativismus so, daß jede folgende Art sich auf der Ebene begründet, die hinter der bisher erreichten Ebene liegt. So folgt dem deskriptiven der metaethische und diesem der normative Relativismus. D a sich die Ebenen der Begründung unterscheiden, folgt keine der jeweils folgenden Arten des Relativismus aus der ihr vorhergehenden mit logischer Notwendigkeit. Zwar ist es richtig, daß sowohl der metaethische als auch der normative Relativismus die vorfindbare Unterschiedlichkeit der Ethiken, also den deskriptiven Relativismus, voraussetzen. Gäbe es keine Unterschiede in den moralischen Urteilen, wären beide Positionen unbegründet. Doch da beginnen bereits die Schwierigkeiten, (a) Der kulturell-deskriptive Relativismus ist seinerseits nicht selbstverständlich. Es gibt neben erheblichen Unterschieden in der ethischen Beurteilung auch ein beträchtliches Maß an Übereinstimmung zwischen Individuen und sogar unterschiedlichen Kulturen 4 9 . Die Theorie des deskriptiven Relativismus muß diesen Sachverhalt berücksichtigen und ihre Reichweite entsprechend begrenzen. Darüber hinaus muß man bei der Formulierung dieser Theorie zweierlei unterscheiden: Die Deskription der Verschiedenheit von Ethiken, die Darstellung der Unterschiede in der Phänomenologie der Moral, in Urteilen und Regeln einerseits und die weitergehende These des deskriptiven Relativismus andererseits, daß die unterschiedlichen Bewertungen auf unterschiedliche Wertsetzungen zurückzuführen und nicht bloß durch unterschiedliche Beurteilung der Fakten begründet seien. Die erste Hälfte der These, das Phänomen divergierender moralischer Urteile, ist nicht zu bestreiten. Der zweite Teil der These ist jedoch nicht mehr Deskription, sondern bereits Interpretation. Aus den festgestellten Differenzen zwischen Ethiken folgt diese Konsequenz nicht notwendig 5 0 . Immerhin liegt es nahe, den Sachverhalt durch die Annahme fundamentaler Differenzen zu erklären. Diese These läßt sich nur zurückweisen, wenn gezeigt werden kann, welche andere Instanz oder welche anderen Instanzen die Differenzen verursachen. Die Annahme, die Differenz beruhe vollständig auf der unterschiedlichen
4 8 Vgl. zu der verwendeten Terminologie R. B. Brandt, Ethical Relativism, in P. Edwards, H g . , Encyclopedia of Philosophy, Vol. 3, 75-78,75 f ; W. Κ. Frankena, Analytische Ethik, 132134; R. Β. Brandt, Ethical Theory, passim. 4 9 Die Anthropologen May und Abraham Edel betonen eher den Unterschied als die Gemeinsamkeit verschiedener Ethiken. Der Unterschied, so sagen sie, sei offensichtlich; ob die wenigen gemeinsamen Merkmale berechtigen, von einer allgemeinmenschlichen Basis der Moral zu sprechen, sei zu bezweifeln, vgl. The Confrontation of Anthropology and Ethics, The Monist 47,1962/63, 489-505,489-492. 5 0 Von „deskriptivem Relativismus" zu sprechen ist daher in dieser Hinsicht irreführend. D a der Sprachgebrauch eingeführt ist, behalte ich ihn bei. S. auch T. L. McClintock, The Argument for Ethical Relativism from the Diversity of Morals, The Monist 47, 1962/63, 5 2 8 - 5 4 4 , bes. 537 f.
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Beurteilung der Fakten, ist bisher nicht überzeugend begründet worden 51 , (b) Selbst wenn die These des deskriptiven Relativismus akzeptiert wird, folgt daraus allein noch nicht, daß auch der metaethische Relativismus als richtig erwiesen wäre. Denn festzustellen, daß es unterschiedliche ethische Entscheidungen gibt, ist etwas anderes, als zu behaupten, daß es sie deswegen gebe, weil es keine Methode gebe, die den Streit schlichten könne. (Etwas anderes ist es freilich, wenn gesagt wird, jede metaethische Theorie habe zu berücksichtigen, daß es ein gewisses Maß an kulturellen oder sozialen Unterschieden in der Ethik gibt. Dies ist sicher richtig.) Ist der metaethische Relativismus keine notwendige Folge des deskriptiven, so ist (c) der normative Relativismus erst recht nicht von jedem gefordert, der sich zum deskriptiven oder metaethischen Relativismus bekennt. Man kann durchaus zugestehen, daß es gewisse unterschiedliche Urteile von Menschen gibt, man kann sogar einräumen, daß es keine Methode gibt, die es erlauben würde zu bestimmen, welche Ansicht falsch und welche richtig ist. Dennoch ist man nicht gezwungen zuzugeben, daß ein und dasselbe Urteil oder Verhalten in einem Fall wirklich gut, im andern wirklich schlecht ist 52 . 3. Diskussion. Dieser Uberblick über die Formen des Relativismus ermöglicht es nun, die zur Debatte stehenden Vorstellungen einzuordnen und klarer zu erfassen. Vorweg läßt sich sagen: Eine Theorie, die unter die Kategorie des normativen Relativismus fiele, scheint in der Diskussion, um die es hier geht, nicht vertreten worden zu sein. Keiner der Autoren hat sich auf der normativen Ebene über die Richtigkeit oder Falschheit divergierender Aussagen geäußert. Die Theorie des normativen Relativismus scheint im übrigen unbegründet zu sein. Es ist kein Grund vorstellbar, weshalb man den moralischen Diskurs nur verstehen könnte, wenn man diese Theorie akzeptierte. Unentscheidbare Differenzen zwischen Teilnehmern am Diskurs lassen sich durch die Theorie des metaethischen Relativismus hinreichend erklären. Die Differenzen sind dieser Theorie zufolge nämlich unlösbar, weil es keine Methode gibt, die zur Entscheidung herangezogen werden könnte. Daß jedoch beide Positionen gleichermaßen richtig wären, ist eine Konsequenz, deren Notwendigkeit nicht einleuchtend zu machen ist. Viel eher scheint diese Theorie nur einen bequemen Ausweg aus der problematischen Situation darzustellen, die Differenzen zu erklären. Mir scheint, es bedürfe positiver Gründe für diese Theorie, ehe sie akzeptiert werden könnte. Da es diese Gründe nicht gibt, wird man die anderen Wege zur Erklärung des Sachverhalts prüfen müssen. 5 1 Auch McClintocks Argument, von der moralischen Diversität könne ebenso wenig auf die Relativität geschlossen werden, wie die Uniformität der Moral den Relativismus ausschließe (aaO. 543 f), ersetzt diesen Nachweis nicht. 5 2 Vgl. R. B. Brandt, Ethical Relativism, 7 6 - 7 8 .
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Anhänger unter den bisher herangezogenen Autoren hat offenkundig der metaethische Relativismus. Er ist eine von mehreren möglichen metaethischen Theorien. Daher ist es nicht verwunderlich, ihn gerade im Streit um die Letztbegründung moralischer Entscheidungen und um die Rolle der subjektiven Entscheidung im Begründungsgang auf der Seite einer der streitenden Parteien wiederzufinden. Die Zuordnung der bisher vertretenen Positionen zum metaethischen Relativismus ist jedoch nicht ohne Probleme. Sie muß daher im einzelnen diskutiert werden. Fraglich ist, ob die Position Hares, von der die gegenwärtige Erörterung ausging, dem metaethischen Relativismus zugehört. Hare selbst lehnt die Unterstellung des Relativismus nachdrücklich ab 5 3 . Er hält es für absurd, diese Theorie zu vertreten. Die Universalisierbarkeit, die nach Hare eines der beiden Grunderfordernisse moralischer Urteile ist, verbietet den Relativismus und ermöglicht nach Hares Meinung, das Phänomen der moralischen Argumentation adäquat zu erfassen 54 . Hare versäumt es jedoch, den Begriff des Relativismus in der oben dargestellten Weise zu differenzieren 5 5 . Er scheint lediglich den normativen Relativismus von den beiden übrigen Arten zu unterscheiden, wobei er allerdings eine andere Terminologie verwendet 5 6 . Er spricht von der moralischen Lehre des Relativismus und meint damit die Ansicht, daß für jeden das, was er für richtig hält, auch richtig ist 5 7 . Davon hebt er alle „ethischen" Theorien ab, die mit der Bedeutung von Wörtern befaßt sind, in der hier verwendeten Terminologie also : alle metaethischen Theorien. D a er diese Unterscheidung vornimmt, bedeutet seine Zurückweisung des Relativismus als einer moralischen Theorie nicht, daß er damit den metaethischen Relativismus abgelehnt hätte 5 8 . Vielmehr ist Hares Position in dieser Frage differenziert zu sehen: Für den überwiegenden Teil des moralischen Diskurses kommt der Relativismus für ihn nicht in Frage. Dort gibt es eine Methode, durch die sich feststellen läßt, ob ein Urteil richtig oder falsch ist: die Prüfung der Universalisierbarkeit. An der Grenze metaethischer Rechtfertigung eines Urteils bleibt jedoch nichts übrig, als sich auf die Entscheidung zu einem Prinzip zu berufen. Zwei Prinzipienentscheidungen können sich unterscheiden und doch müssen beide als gerechtfertigt gelten. Dort versagt die Methode des Räsonierens, und die Entscheidung tritt an ihre Stelle 5 9 . Hares Theorie ist an dieser Stelle (und damit freilich in ihrem Grund) relativistisch im Sinn des metaethischen Relativismus. 53 54 55 56
R. M . Hare, Freedom and Reason, 4 9 f, § 3 . 9 . Ebd. Jedenfalls in Freedom and Reason. R. M . Hare, Ethics, 140 f.
A a O . 140. Vgl. R. B. Brandt, Ethical Relativism, 7 5 f ; R. M. Hare, Ethics, 141. 5 9 Vgl. R. M. Hare, Die Sprache der Moral, 107f, 127; R. M. Hare, Descriptivism, P r o ceedings of the British Academy 49, 1963, 1 1 5 - 1 3 4 , dt. Deskriptivismus, in G. Grewendorf u. G. Meggle, H g . , Seminar: Sprache und Ethik, 2 6 0 - 2 8 4 , 2 7 9 f . 57 se
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Andere Autoren gehen sehr bereitwillig und von vornherein von einem metaethischen Relativismus aus. Die Philosophen D . Z. Phillips und H . O . Mounce etwa nehmen an, daß völlig autonome moralische „Sprachspiele" mehr oder minder unverbunden nebeneinander stehen und alle gleichermaßen gültig sind. Dieser Ansicht zufolge gibt es keine Methode ethischen Räsonierens, die den Konflikt unterschiedlicher ethischer Prinzipien abschließend zu klären vermöchte. Niemand kann angeben, welches der umstrittenen Prinzipien eher als ein anderes zu rechtfertigen wäre. Eine anerkannte Methode der Rechtfertigung ethischer Prinzipien gibt es nämlich nicht. Diese Auffassung der Moral ist damit relativistisch im Sinne des metaethischen Relativismus. Andererseits schließt die Position der beiden Autoren im Gegensatz zu der Hares den Subjektivismus als eine spezielle Variante des Relativismus aus. Nicht das einzelne Subjekt entscheidet über die Annahme oder Ablehnung letzter moralischer Prinzipien, es findet vielmehr einen Code von Prinzipien vor, die es übernommen hat und anwendet 60 . Der Code ist sozial bestimmt. Die einzelnen moralischen Gemeinschaften konstituieren ihre Ethiken. Eine klare Darstellung dieser Ansicht bietet R. W. Beardsmore 6 1 . Jede Gruppe, so argumentiert er, besitzt ihre eigene Konzeption der Moral, ihren moralischen „viewpoint" 6 2 . Innerhalb 63 der Gemeinschaften ist anerkannt, was moralische Signifikanz hat, was als geboten, erlaubt und verboten gilt. Was als Moral gilt, ist daher gänzlich relativ zu dem Konzept der Gemeinschaft, in der man steht 6 4 . Eine Lösung moralischer Differenzen ist innerhalb der Gruppe durch Bezugnahme auf Pririzipien sehr einfach möglich, zwischen Gruppen, deren Ansichten differieren, kann sie jedoch nicht nach einer anerkannten Prozedur des Räsonierens erfolgen, da es keine solche Prozedur gibt. Entweder bricht das Gespräch zusammen, oder einer der Beteiligten ändert seine Meinung 6 5 . Dennoch, so betont Beardsmore zu Recht, ist die Moral dieser Darstellung zufolge nicht völlig arbiträr, denn sie vermeidet es, eine subjektive Entscheidung zu ihrer Basis zu machen, wie es Hare zu tun scheint 66 . Jede Entscheidung ist abhängig von der Fähigkeit, Werturteile zu fällen, und diese wiederum ist von dem gesamten Wertrahmen abhängig, in dem der einzelne aufgewachsen ist 6 7 . Beardsmore legt 6 0 Im Fall moralischer Evolution oder Revolution werden allerdings einzelne Prinzipien zurückgewiesen bzw. verändert, doch wird der Zusammenhang mit dem akzeptierten C o d e nicht völlig aufgegeben, vgl. R. W. Beardsmore, Moral Reasoning, L o n d o n 1969, 54-64. 6 1 R. W. Beardsmore, Moral Reasoning. 6 2 A a O . 78 f, 91. 6 3 Vgl. das „within", aaO. 7 8 , 1 0 1 , 1 0 3 , 1 2 0 f uö. 6 4 V g l . a a O . lOOf. 6 5 V g l . a a O . 115-118. 6 6 Freilich muß betont werden, daß Hares subjektive Entscheidung nicht willkürlich ist. Er beharrt darauf, daß die Basisentscheidung in den ganzen way of life eingebunden ist, und damit scheint er sogar sehr nahe bei Beardsmore zu stehen, vgl. oben Abschnitt 2.3. 6 7 A a O . 132-134.
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daher den Akzent auf die sozialen Aspekte der Moral, auf den Sachverhalt also, daß Moral ein im sozialen Verband erlerntes und gültiges Verhalten und Verhaltenssteuerungsinstrument ist 68 . Dann ist es verständlich, daß der soziale Verband zugleich den Rahmen des Einverständnisses bereitstellt, innerhalb dessen die Moral funktioniert 69 . 4. Zwischenergebnis. Blickt man auf die bisherige Diskussion des Relativismus zurück, dann sind folgende vorläufige Schlußfolgerungen erlaubt: Deskriptiven Relativismus muß man als adäquate Beschreibung der Wirklichkeit moralischen Diskurses akzeptieren. Es gibt unterschiedliche Lebensweisen und unterschiedliche Ethiken. Alle Hinweise auf die gemeinsamen Voraussetzungen unterschiedlicher Ethiken können lediglich das Ausmaß dieses Relativismus eingrenzen. Sie vermögen ihn nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Die Differenzen sind zumindest in extremen Fällen grundsätzlicher Natur, nicht bloß Differenzen in der Beurteilung der Fakten. Angesichts des Scheiterns vieler ethischer Streitgespräche ist auch der metaethische Relativismus als sachgemäße Theorie anzuerkennen. Der bloße Verweis auf anerkannte moralische Standards ist nicht in der Lage, den Streit unterschiedlicher moralischer Standpunkte zu beenden. Die Methode, mit der es möglich wäre, moralische Streitfragen zu entscheiden und letzte Prinzipien allgemeingültig zu rechtfertigen, ist zumindest noch nicht demonstriert, und es kann bezweifelt werden, ob es sie gibt. Zwei Einschränkungen sind jedoch nötig: (a) Die Theorie des metaethischen Relativismus impliziert nicht extremen Subjektivismus. Nicht der einzelne muß für die letzte Entscheidung verantwortlich gemacht werden, und sie braucht auch nicht seiner Willkür überlassen bleiben. Mit der Einsicht in die Relativität moralischer Positionen läßt sich durchaus der Gedanke verbinden, daß diese Positionen sozial verankert sind. Die Relativität ist somit gruppenbezogen, (b) Daraus ergibt sich die zweite Einschränkung: Der Relativismus ist eine Theorie, die nur die letzten, grundlegenden Divergenzen unterschiedlicher Positionen erklärt. Nur an den Grenzpunkten der Moral hat sie überhaupt Erklärungskraft und Berechtigung. Daneben gibt es das weite Feld der Ethik, innerhalb dessen die akzeptierten Regeln gelten 70 . 6 8 Zu einer vergleichbaren Schlußfolgerung gelangt J. B. Schneewind (Moral Knowledge and Moral Principles, in G. Ν . A. Vesey, Hg., Knowledge and Necessity, Royal Institute of Philosophy Lectures, III, London 1970, 2 4 9 - 2 6 2 ) auf anderem Weg. E r schlägt vor, die Struktur der Moral in Analogie zur Struktur der Wissenschaft zu verstehen. Dann sind moralische Prinzipien nicht als Axiome, sondern als Systematisierungen moralischer Erfahrungen zu verstehen. Sie werden somit auf induktivem Weg gewonnen (aaO. 2 5 6 - 2 6 0 ) . Dies bedeutet, daß sie in der Praxis und im Reden der moralischen Gemeinschaft verankert sind: Daraus sind sie gewonnen, darin werden sie verwendet. Ahnlich argumentiert Bernard Rosen, Rules and Justified Moral Judgements, Philosophy and Phenomenological Research 3 0 , 1 9 6 9 / 7 0 , 4 3 6 - 4 4 3 . 6 9 Vgl. R. W . Beardsmore, Moral Reasoning, 1 2 0 - 1 2 2 , Zur Kritik dieser Position vgl. R. Trigg, Reason and Commitment, 1 9 - 2 6 , 6 4 - 7 2 . Trigg nennt die Vorstellungen von Phillips und Mounce und Beardsmore „conceptual relativism". 7 0 Das anerkennt Hare. O b auch Phillips und Mounce und Beardsmore so verstanden werden
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5. Argumente gegen den metaethischen Relativismus. Gegen den metaethischen Relativismus erhebt sich nun entschiedene Kritik. Zwar wird eingeräumt, daß mit dieser Theorie einleuchtend beschrieben ist, weshalb ethische Diskussionen so selten zu dem erwünschten Ergebnis des Einverständnisses kommen. Doch - und das ist der zentrale Einwand gegen die dargelegte Position - damit ist die Intention des ethischen Diskurses völlig verkannt 71 . Man spricht ja miteinander über Fragen der Ethik, weil man annimmt, daß es zu einer Einigung kommen werde. Diese Annahme hat nicht den Stellenwert der unsicheren Hoffnung oder vagen Vermutung im Bewußtsein der Diskursteilnehmer. Sie gründet sich vielmehr auf die Uberzeugung, daß es eine von allen geteilte oder zu teilende gemeinsame Basis ethischer Wertungen gibt. Nicht die Wahl oder Entscheidung des Menschen sei letzter Grund der Moral, sondern es gebe eine rationale Grundlage der Moral, die vor aller Entscheidung des Menschen bereits feststeht. Die im Diskurs implizite Voraussetzung der Möglichkeit rationaler Argumentation weise darauf hin 72 . Diese gemeinsame Basis zu erkennen ist Aufgabe der Moralphilosophie. Auf drei grundsätzlich unterschiedene Weisen hat die Moralphilosophie dieses Problem anzugehen versucht. Man argumentiert (a) mit dem Verweis auf die soziale Verankerung der Moral, (b) mit dem Hinweis auf die Transzendentalien des moralischen Diskurses und (c) mit dem Hinweis auf notwendige Strukturelemente des menschlichen Lebens. Allen Argumentationsstrategien ist das Ziel gemeinsam, die intersubjektive Basis derMoralität zu erweisen und damit dem Phänomen des moralischen Diskurses gerecht zu werden. a) Die soziale Verankerung der Moral. Die erste Linie der Argumentation wurde oben bereits besprochen, als der Relativismus erörtert wurde. Ihre Vertreter wenden sich gegen den Subjektivismus. Sie stellen die These auf, daß die Moral der Gruppe, zu der man gehört, die Rationalität und Verbindlichkeit des moralischen Diskurses konstituieren. Grundlegende Entscheikönnen, ist ungewiß. Ihrer Ansicht zufolge wäre das Feld der anerkannten Moral auf jeweils eng begrenzte Gruppen (etwa die Katholiken, die Samurai, um zwei zu nennen) beschränkt. 7 1 Dies und nicht Joel J. Kuppermans ständiger Hinweis auf die Unvereinbarkeit des Relativismus mit der ordinary language des Englischen scheint mir der entscheidende Einwand gegen den Relativismus zu sein (vgl. Kupperman, Ethical Knowledge, London 1970, 69, 72, 73, 79, 80). Diese Argumentation wäre ja vergleichsweise trivial, solange sie nur mit der Annahme argumentiert, die eine vordergründige Phänomenologie feststellt. Kupperman selbst räumt daher für seine Ansicht auch ein, daß sie sich, falls der Relativismus breiteren Raum gewinnt, als falsch erwiesen wird und umgekehrt werden muß (aaO. 79). 7 2 Vgl. R. S. Downie u. Elizabeth Telfer, Respect for Persons, London 1 9 6 9 , 1 2 0 ff. Vgl. die parallellaufende Argumentation von Roger Trigg zum Problem theologischer Erkenntnistheorie. Zur Entscheidung steht die Alternative der beiden extremen Positionen: die Religion als eigenständiges Sprachspiel einerseits und eine von allem menschlichen Diskurs vorausgesetzte Rationalität andererseits, vgl. Reason and Commitment, 7 2 - 8 1 , 8 6 - 9 2 , 1 5 0 - 1 5 7 uö.
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düngen fällt nicht das Individuum, sie liegen im Code der Gruppe bereits fest. Es wird nicht behauptet, daß man auf diesem Weg zu einer allgemein verbindlichen Basis der Ethik gelangen würde. Der Diskurs der Gruppe selbst schafft und repräsentiert die einzig erreichbare Basis der Ethik. Sie ist also nicht universal, sondern auf die Gruppe bezogen, relativ. Diese Argumentationsstrategie kann den extremen Subjektivismus, den Solipsismus, abweisen, sie vermag jedoch nicht eine universale Grundlage der Moral zu sichern. Sie bleibt auf halbem Weg stehen, ohne das gewünschte Ziel zu erreichen. Vertreter eines moralischen Objektivismus wenden daher gegen sie ein, sie erkläre nicht, wie auch Vertreter unterschiedlicher moralischer Positionen miteinander sprechen können und dabei voraussetzen, daß es eine Instanz oder den Verweis auf eine Instanz gebe, die ihre Differenzen entscheiden könnten. Ob dieser Einwand berechtigt ist oder nicht, sei dahingestellt. Möglicherweise kann man ihm Rechnung tragen, wenn man die These modifiziert oder ergänzt. Vielleicht gelingt es aber auf einem der beiden anderen Wege, die Objektivität der Moral, ihre intersubjektiv verbindliche Grundlage zu erweisen. Daher soll nun das zweite Argument geprüft werden. Das dritte Argument wird Gegenstand des sechsten Abschnitts sein. b) Die Transzendentalien des moralischen Diskurses. Gesucht wird die gemeinsame Basis aller Moral. Angesichts der drohenden Vorwürfe, im infiniten Begründungsregreß gefangen zu bleiben oder ihn arbitär abzubrechen und irgend etwas als Wahrheit in der Moral zu deklarieren, sehen die Philosophen, die dieses Argument vertreten, nur einen Weg: Die Philosophie muß bei der Phänomenologie des praktischen Diskurses ihren Ausgangspunkt nehmen und zur transzendentalen Argumentation fortschreiten. Sie muß die Bedingungen der Möglichkeit von Moral, das heißt die formale Struktur der Moralität selbst, zum Gegenstand ihrer Überlegungen machen. Angenommen, zwei Menschen sprechen über moralische Fragen. Jeder der beiden hat eine bestimmte Meinung, die sich mit der seines Gesprächspartners nicht deckt. Beide sind jedoch davon überzeugt, daß ihre eigene Ansicht richtig ist, genauer: daß sie richtiger ist als die des anderen. Jeder bringt Argumente vor, die seine Uberzeugung stützen und die des Kontrahenten widerlegen sollen. Der Vorstellung, die eigene Meinung besitze größeres Recht als die des anderen liegt eine Uberzeugung zugrunde, die die Natur des moralischen Diskurses betrifft: die Uberzeugung nämlich, daß es nicht eine Sache bloßer Option ist, welche moralische Ansicht man vertritt, sondern daß die Entscheidung von einer moralischen Notwendigkeit geleitet ist, daß die Moral selbst immer schon eine Instanz darstellt, die bestimmte Entscheidungen fordert und bestimmte andere verbietet. Nur die eine moralische Ansicht ist akzeptabel, die andere ist falsch, unmoralisch, und wer sie vertritt, kann oder muß kritisiert werden. Die Moral selbst beziehungsweise die Tatsache des moralischen Diskurses setzt also die Vorstellung einer moralischen Wahrheit voraus. Sie impliziert, 97
daß man zwischen wahr und falsch unterscheiden kann. Es gibt eine Grundlage, auf der eine Entscheidung möglich ist. Es gibt objektive Gründe zu sagen, diese Ansicht sei falsch und die andere richtig 7 3 . Soviel ist von dem, der sich im moralischen Diskurs engagiert, vorausgesetzt. Die Phänomenologie des Diskurses - daran soll hier erinnert werden kann jedoch auch für die gegenteilige Argumentation bemüht werden. Man kann mit ihr zu beweisen versuchen, daß die Verbindlichkeit der Moral nur solange gilt, wie Ubereinstimmung in den Prinzipienentscheidungen vorausgesetzt werden kann, wie die Partner im Diskurs also denselben Standpunkt einnehmen 7 4 . D a andere Standpunkte dasselbe Recht auf Verbindlichkeit in Anspruch nehmen, gibt es neben dem Bemühen, den Diskurs in Gang zu halten, auch das Phänomen, daß ein Diskurs abgebrochen wird, weil es nicht möglich war, sich auf gleiche Grundlagen zu einigen. Die transzendentalphilosophische Argumentation muß sich daher bescheiden. Sie kann aus dem phänomenologischen Befund nicht auf die O b jektivität der Moral in dem Sinn zurückschließen, daß es eine unbedingt wahre, objektiv begründbare ethische Position gäbe. Sie muß sich darauf beschränken zu zeigen, daß bestimmte moralische Prinzipien als richtig betrachtet werden müssen, wenn der moralische Diskurs überhaupt möglich sein soll 7 5 . Wenn einige moralische Prinzipien sich als notwendige Bedingungen des moralischen Diskurses erweisen, so müssen sie als wahr gelten, ohne weiterer Begründung zu bedürfen 7 6 . Sie müssen für alle Teilnehmer am moralischen Diskurs wahr sein, auch wenn sie unterschiedliche Positionen vertreten. N u r diese Voraussetzung erklärt, weshalb der Diskurs weitergeht und nicht abgebrochen wird. Gäbe es lauter autonome Ethiken ohne die Voraussetzung einer gemeinsamen Basis, dann wäre in der Tat eine Verständigung nicht möglich 7 7 . Daß der moralische Diskurs weitergeht und daß er auch dann, wenn er zuvor abgebrochen wurde, immer wieder neu begonnen wird, scheint zur Natur des Menschen zu gehören. Es ist mit der Annahme absoluter Autonomie ethischer Sprachspiele nicht vereinbar 7 8 , sondern erweist die Notwendigkeit einer minimalen gemeinsamen Basis oder der Suche nach ihr als die transzendentale Bedingung dieses Diskurses. Analog zu dieser Argumentation läßt sich Toulmins Suche nach der Rationalität in der Ethik verstehen. Baiers Argumentation vom Standpunkt der Moral aus 7 9 geht den gleichen Weg. Sogar Hares Prinzip der Universalisierbarkeit muß in dieser Weise als transzendentales Postulat angesehen werden. Eine derartige transzendental begründete Theorie der Rechtfertigung mo73 74 75 76 77 78 79
98
Vgl. K. Ward, Ethics and Christianity, 4 7 - 5 3 uö. Vgl. oben die Erörterung der Position von D. Z. Phillips und H . O . Mounce. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
A . P. Griffiths, Ultimate Moral Principles, 180. ebd. D. Z. Phillips u. H . O . Mounce, Moral Practices, London 1 9 7 0 , 1 1 1 f uö. auch R. Trigg, Reason and Commitment, 6 9 - 7 1 .
Κ. Baier, D e r Standpunkt der Moral. Vgl. dazu oben Abschnitt 2.4.
raiischer Entscheidungen besitzt in zweierlei Hinsicht Grenzen. (1) Sie kann nur den Apparat allgemeiner Prinzipien bereitstellen, der für eine minimale Konzeption der Moral nötig ist. Nicht alles moralische Verhalten läßt sich durch die „gesicherten" Prinzipien (wie etwa Unparteilichkeit, Wohlwollen, Freiheit 8 0 oder Wohlwollen und Gerechtigkeit 8 1 ) rechtfertigen. Und nicht alles Verhalten, das durch den Bezug auf diese Prinzipien nicht gerechtfertigt werden kann, ist darum schon unmoralisch oder nicht moralisch. Diese Einschränkung ist für die Konzeption einer Ethik der Tugenden bedeutsam 8 2 . Sie wird für die Begründung der theologischen Ethik ausschlaggebend sein 8 3 . (2) Die vorgeschlagene Theorie der Rechtfertigung ist nicht in der Lage, die angenommenen letzten Prinzipien wirklich zu begründen. Es gelingt ihr allenfalls der Nachweis, daß es keinen moralischen Diskurs gäbe, wenn man nicht diese Prinzipien voraussetzte. Sie kann diese Prinzipien lediglich als notwendige, nicht jedoch als zureichende Bedingungen moralischen Diskurses erweisen 8 4 . Die letzte Begründung ist nicht erreicht 8 5 . (In diesem Eingeständnis ist das Ergebnis des vorangehenden Abschnitts aufgenommen.) Dennoch ist eine Basis gewonnen, von der man behaupten kann, sie umfasse alles, was zur Begründung zu sagen möglich ist, und zugleich so viel, daß man zu Recht von „Begründung" sprechen kann. Mehr zu sagen ist nicht möglich, weniger zu sagen käme jedoch einem Verzicht auf etwas gleich, was vom Standpunkt des rationalen Menschen guten Gewissens gesagt werden kann. Denn für denjenigen, der sich im rationalen Diskurs engagiert, ist die Schranke des Dezisionismus zu überwinden. Der Pluralismus scheinbar letzter Wertorientierung wird nicht bestritten, aber es wird behauptet, daß es möglich ist, durch Argumentation und rationale Motivierung „die jeweils verallgemeinerungsfähigen Interessen von denen zu scheiden, die partikular sind und bleiben" 8 6 . Man muß voraussetzen, daß jemand, der sich mit Fragen der Moral beschäftigt, immer schon in einen Diskurs eintritt, der in der beschriebenen Weise durch Rationalität charakterisiert ist 8 7 . Er bedarf also keiner gesonderten Entscheidung mehr, die Universalität von Ansprüchen in moralischen Zusammenhängen zu akzeptieren 8 8 . U m etwa die Prinzipien des Wohlwollens und der unparteiischen Betrach80 81 82 83 84
Vgl. A . P. Griffiths, Ultimate Moral Principles, 180 f. Vgl. W . K. Frankena, Analytische Ethik, 6 4 - 7 1 . Vgl. oben Abschnitt 2.7. Unten Abschnitt 4.5. So auch A . P. Griffiths, Ultimate Moral Principles, 182.
8 5 Jürgen Habermas spricht im Blick auf die Position von H . Albert, P. Lorenzen, O. Schwemmer und K . - O . Apel von einer „dezisionistischen Restproblematik"; Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt 1 9 7 3 , 1 5 0 , 1 5 2 Anm. 160. 8 6 A a O . 149. 8 7 Vgl. K a r l - O t t o Apel, Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik. Zum Problem der rationalen Begründung der Ethik im Zeitalter der Wissenschaften, in K . - O . Apel, Transformationen der Philosophie, Bd. 2, Frankfurt 1 9 7 3 , 3 5 8 — 4 3 5 , 4 2 0 f . 88
Vgl. J . Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 151 f.
99
tung oder der Gerechtigkeit zu begründen, ist es weder möglich noch nötig, daß man auf eine tatsächlich bestehende universale Ubereinstimmung hinweist und sie auf diese Prinzipien zurückführt. Sie sind allein aus der Struktur des moralischen Diskurses zu begründen, der eben diese Ubereinstimmung als theoretische Annahme für den (idealen89) Fall des Diskurses voraussetzt 90 . Freilich bleibt die Entscheidung zur Teilnahme am moralischen Diskurs, zur Mitgliedschaft in der moralischen Gemeinschaft vorausgesetzt. Sie selbst ist keine notwendige Implikation des Menschseins91, wenn sie auch eine recht verbreitete Form menschlicher Existenz darstellt, durch den Sozialisationsprozeß vorbereitet wird und (dadurch?) für den rationalen Menschen akzeptabel ist. Ob man diese Entscheidung als dezisionistisch deklariert oder nicht, hängt einzig daran, ob man mit Karl Popper, Hans Albert und anderen die Rationalität sehr eng als formales Instrument zur Herstellung und Überprüfung von deduktiven Argumenten versteht oder mit Jürgen Habermas sehr weit als die mit dem Diskurs als menschlicher Kommunikationsform gesetzte transzendentale Bedingung dieses Diskurses 92 . 6. Objektivität der Ethik? Die Frage des letzten Abschnitts, wie die Alternative von Entscheidung und Rationalität als Grundlage des ethischen Diskurses zu entscheiden sei, ob eine bloß irrational zu begründende Entscheidung oder der Moral inhärente und vom moralischen Subjekt zu erkennende und dann anzuerkennende Prinzipien die Grundlage der Moral darstellen, hat damit zu einer neuen Frage weitergeführt: Hat die Moral eine objektive Grundlage, und worin besteht sie, falls es sie gibt? Die Argumente, die zur Entscheidung dieser Frage ausschlaggebend sind, wurden im Verlauf der letzten beiden Abschnitte bereits zusammengetragen. Nach allem, was erörtert wurde, läßt sich nicht erwarten, daß eine Entscheidung eindeutig zugunsten der einen oder anderen, der relativistischen oder objektivistischen Alternative möglich ist. Beide Positionen haben ihr - begrenztes - Recht erwiesen und müssen daher als unterschiedliche Aspekte derselben Sache zusammengesehen werden. Die Rolle des moralischen Diskurses und der in ihm gemachten Voraussetzungen muß in adäquater Weise berücksichtigt werden. Daher wird man bei aller Vorsicht den von Toulmin und vielen anderen vertretenen Standpunkt als berechtigt anerkennen. RatioZ u m Begriff und Konzept der Idealität des Diskurses vgl. aaO. 148 f, 152. Vgl. W . K. Frankena, Analytische Ethik, 1 3 6 - 1 3 8 ; N . Hoerster, Einleitung zu W . K. Frankena, Analytische Ethik, 11 f. 89 90
9 1 Dies ist das Argument A . J . Watts (Transcendental Arguments and Moral Principles, Philosophical Quarterly 25, 1975, 4 0 - 5 7 ) . E r hält die Versuche, durch Bezug auf den moralischen Diskurs und dessen formale Struktur eine Basis der Rechtfertigung letzter Prinzipien zu erhalten, für gescheitert. A m Beispiel des Prinzips der Berücksichtigung der Interessen aller weist er nach, daß es für Menschen durchaus möglich ist, ohne dieses Prinzip und die entsprechende A r t moralischen Diskurses und Uberlegens auszukommen (vgl. bes. 49ff, 56f). 92
100
Vgl. J . Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 1 4 4 - 1 5 2 , bes. 144f.
nalität konstituiert den moralischen Diskurs. Sie limitiert ihn und schließt arbiträre Entscheidungen aus. Es gibt einen Standpunkt der Moral, der vorausgesetzt ist, wenn man sich am moralischen Diskurs beteiligt. Man hat Prinzipien immer schon anerkannt, die man vorfindet, und sei es auch nur das Prinzip, diejenigen Aussagen als moralisch gelten zu lassen, die vom Standpunkt eines normalen, umfassend informierten, unparteiischen, zur Verallgemeinerung seiner Sätze bereiten Menschen aus vertretbar sind. Wer nicht in dieser Weise denkt, schließt sich selbst von der Moral aus. Extremer Subjektivismus ist durch diese Position ausgeschlossen, wenn auch die Objektivität der Moral nicht im einzelnen begründet ist, sondern im Verweis auf die intersubjektive Gültigkeit fundamentaler Prinzipien besteht. Dieser Standpunkt betont die objektiven Aspekte der Ethik. Andererseits scheint jedoch auch die Frage der Standpunktabhängigkeit moralischer Entscheidungen nicht unwichtig zu sein. Bestimmte Entscheidungen lassen sich nur durch Bezug auf Uberzeugungen begründen, die selbst nicht unbestritten sind. Wenn jemand erfahrenes Unrecht damit beantwortet, daß er Unrecht zurückzahlt, kann dies als moralisch gerechtfertigt angesehen werden. Andererseits wird es jedoch von vielen Christen als moralisch falsch beurteilt. Hinter beiden Urteilen steht ein System von Uberzeugungen, durch die sie bestimmt werden. Es ist notwendig, den Zusammenhang zwischen Uberzeugungen und moralischen Wertungen zu klären, die Abhängigkeit herauszustellen und die unterschiedlichen Konsequenzen beider Verhaltenweisen zu beurteilen. Doch zumindest als Grenzfrage 9 3 muß die Frage eine Antwort finden, ob der Standpunkt, den man bezogen hat, letztlich nicht von einer Entscheidung abhängt. Nach dem bisherigen Argumentationsgang läßt sich diese letzte Frage nur zustimmend beantworten. Damit ist nicht gesagt, daß jede denkbare Position gleichermaßen möglich und berechtigt ist. Es ist nur anerkannt, daß es fundamentale Differenzen in der Moral gibt, obwohl ein breites Feld von allgemein oder weitgehend akzeptierten Standards beherrscht wird. Positionalismus, der im Extremfall zum arbiträren Dogmatismus werden könnte 9 4 , ist nicht gerechtfertigt. Die erwähnte soziale Verankerung der Moral und der implizite Bezug auf Rationalität, Argumentation und Erkenntnis stehen dem entgegen. Extremer Objektivismus ist durch diese Position ausgeschlossen. Die Relativität und erst recht die Subjektivität der Moral sind andererseits nicht uneingeschränkt bejaht. Dieser Standpunkt betont die subjektiven Aspekte der Ethik. Beide Standpunkte zu vereinen ist gewiß nicht unmöglich, und dies scheint mir die sachgemäßeste Position zu sein. Sie vermeidet die Einseitigkeiten und Schwächen der beiden ihr zugrundeliegenden Standpunkte, für deren „reiZu der Vorstellung von Grenzfragen des ethischen Diskurses vgl. unten Abschnitt 5.5. Auf diese Konsequenzen weist Robert R. Ehman, Moral Objectivity, Philosophy and Phenomenological Research 2 7 , 1 9 6 7 / 6 8 , 1 7 5 - 1 8 7 , 1 8 3 f , hin. 93 94
101
ne" Formen aus dem letzten Kapitel die Namen Hares und Toumins übernommen wurden. Sie lehnt die Arbitrarität der letzten Prinzipienentscheidung ab, betont aber, daß der Inhalt der Moral und ihre Konstituentien durch den Konsens der Moralsubjekte begründet sind. Damit ist eine Position erreicht, die beiden Aspekten, der Rationalität und der Entscheidung, den entsprechenden Platz anweist und keinen auf Kosten des anderen zum ausschließlichen Kriterium werden läßt. Dissens läßt sich damit erklären, andererseits ist auch die wichtige Rolle rationaler Argumentation und gemeinsamer Grundlagen festgehalten 95 . 3.4. Sein und Sollen Bevor man sich mit der eben erreichten Position endgültig begnügt, ist sie einer neuerlichen Kritik auszusetzen. Die Kritik stellt sich als Verschärfung und Zuspitzung der bisherigen Einwände dar. Sie kommt von einer Seite, die man in der analytischen Ethik totgesagt hatte. Ende der fünfziger Jahre wurde jene Position, die als längst widerlegt und abgetan galt, erneut virulent: der sogenannte Naturalismus 96 . Sie stellte jenen Satz, der zum Gemeinplatz, wenn nicht zum Dogma analytischer Ethik geworden war, wieder in Frage: Aus einem „Sein" läßt sich kein „Sollen" ableiten 97 . 1. Humes These „no ought from an is". Der Angriff auf die sicher geglaubte Position und seine Abwehr erfolgte in mehreren, teilweise parallellaufenden Schüben. Die Aufsätze „Modern Moral Philosophy" von G. E. M. Anscombe und „Moral Argument", „Moral Beliefs" und „Goodness and Choice" von Philippa Foot markieren eine Linie der Argumentation. Sie kann dem Neonaturalismus, wie er im zweiten Teil dargestellt wurde, zugerechnet werden. Moralphilosophen griffen diese Herausforderung auf und versuchten erneut eine Widerlegung des Naturalismus 98 . Im Zug dieser Auseinandersetzung besann man sich wieder auf den Ursprung der in Frage stehenden These „no ought from an is". Man konzen9 5 Zu einer ähnlichen Schlußfolgerung gelangt Anders Jeffner, Die Rechtfertigung ethischer Urteile. Er will Elemente des Präskriptivismus, den er unter dem Oberbegriff emotivistischer oder nonkognitivistischer Theorien behandelt (aaO. 241 f), und Elemente eines auf die Verbindung von Deskriptivistischem und Normativem gerichteten Pluralismus (242-244) verbinden. Damit sei nicht ein willkürlicher Endpunkt der Rechtfertigung, sondern die einzig mögliche Darstellung der Moral erreicht. Er bezieht sich hierzu auf die in einer Wertgemeinschaft anerkannten Werte und die von den Grundbedingungen des Daseins abhängigen Willensreaktionen. (Zum ersten vgl. hier die Abschnitte 3.4. und 3.6., zum zweiten 3.5.) Rationale Argumentation und Engagement für „gewisse (. . .) grundlegende (. . .) Wertungen des Menschenlebens" gehören zusammen (247). 9 6 Vgl. oben Abschnitt 2.6. 9 7 Vgl. oben Abschnitt 2.1. A n m . 19. 9 8 Vgl. D. Z. Phillips u. H. O . Mounce, O n Morality's Having a Point; R. M. Hare, Deskriptivismus.
102
trierte sich auf die Passage im Dritten Buch (Teil 1, Abschnitt 1) von David Humes „Treatise of Human Nature" und stritt sich um die rechte Interpretation, um den Status der Sätze Humes und um die Gültigkeit des Arguments". Es gab den Versuch M. Zimmermans, das Skandalon der Sein-SollensAbleitung zu beseitigen. Er behauptete, jede Sollensaussage könne auf eine Seinsaussage reduziert werden, ohne daß die Sprache und menschliche Kommunikation eine Bedeutungseinbuße erleide 100 . K. Hanly hat zu Recht argumentiert, daß Zimmerman das Problem nur auf eine andere Ebene verschiebe: Er benötigt die Vorstellung zweier unterschiedlicher Arten von Seinsaussagen, einer deskriptiven und einer evaluativen. Welche Beziehung zwischen beiden besteht und insbesondere ob es möglich ist, eine evaluative Seinsaussage von einer deskriptiven abzuleiten, bleibt bei Zimmerman eine offene Frage 101 . Damit ist man wieder bei dem Problem der is-oughtAbleitung zurück, das man überwinden wollte. Stärkste Beachtung fand ein anderes in diesem Streit vorgebrachtes Argument: Es sei - zumindest in einigen Beispielfällen - entgegen Humes Meinung möglich, Sollensaussagen von Seinsaussagen abzuleiten. 2. M. Black. Einen ersten Versuch in dieser Richtung stellt ein Aufsatz von Max Black aus dem Jahr 1964 dar. Er wählt folgendes Beispiel aus der Welt des Schachspiels: (1) Fischer will Botwinnik schlagen. (2) Der einzige Weg, Botwinnik zu schlagen, ist für Fischer, mit der Dame zu ziehen. (3) Deshalb soll Fischer mit der Dame ziehen 102 . Dies sei, so argumentiert Black, ein Beispiel einer logisch schlüssigen Ableitung einer Sollensaussage (3) von Tatsachenaussagen (1 und 2). Dabei ist Satz (1) eine deskriptive Aussage über das Wollen einer Person, die wahr oder falsch sein und deren Wahrheitswert durch geeignete Methoden nachgeprüft werden kann. Satz (2) ist ebenfalls eine Faktenaussage, während die Conclusio (3) einen deutlich performativen Aspekt enthält 103 . Denn jemand, der diesen Satz sagt, tut mehr und anderes, als nur eine wahre oder falsche Aussage zu machen. Black erörtert dann, ob es einen Unterschied machte, würde man das
9 9 Vgl. die Aufsätze in Teil I der Sammlung W . D. Hudson, Hg., The Is-Ought Question, von A . Maclntyre, R. F. Atkinson, G. Hunter, A. Flew und W . D. Hudson, aaO. 3 5 - 8 0 . îoo v g l . M . Zimmerman, The ,Is-Ought'. An Unnecessary Dualism, aaO. 8 3 - 9 1 . 1 0 1 Vgl. Kenneth Hanly, Zimmerman's ,Is-Is'. A Schizophrenic Monism, aaO. 92-94. Zimmermans Replik (aaO. 95) geht an dieser Kritik vorbei. 1 0 2 M a x Black, The Gap Between ,1s' and ,Should', Philosophical Review 73, 1964, wieder abgedr. in W . D. Hudson, H g . , The Is-Ought Question, 9 9 - 1 1 3 , 1 0 2 . 103
A a O . 104.
103
Beispiel in die zweite Person übertragen und als Ratschlag verstehen. Die beiden Schlußsätze hießen dann: (4) D u solltest mit der Dame ziehen. (5) Zieh mit der D a m e 1 0 4 ! Auch in dieser Form hält Black den Schluß für gültig. Die beiden Haupteinwände werden diskutiert, (a) Es wird behauptet, der Schluß setze eine weitere Prämisse voraus, die Black nicht ausdrücklich aufgeführt habe: (2a) Jeder sollte das tun, was den einzigen Weg darstellt, etwas zu erreichen, was er erreichen will. Black bestreitet, daß diese Prämisse normativ sei. Er hält sie vielmehr für analytisch, so daß sie selbst nicht mehr ausdrückt, als die in den beiden anderen Prämissen verwendeten Wörter ohnehin bedeuten 1 0 5 , (b) Man wendet ein, die Conclusio jedes praktischen Schlusses werde (seit Kant) als hypothetisch betrachtet. Sie habe die Form „Wenn du E erreichen willst, mußt du M tun". Der konditionale Vordersatz, so argumentiert Black, sei jedoch lediglich die Umformulierung und Aufnahme von Prämisse (1). In dem vorliegenden Schluß selbst hat er seinen Platz daher nicht in der Conclusio 1 0 6 . Die Conclusio als hypothetisch zu verstehen, kann allenfalls als ein Hinweis darauf akzeptiert werden, daß Sollensaussagen in praktischen Schlüssen in bestimmter, durch den Kontext der Situation spezifizierter Weise zu verstehen sind. Bei seinem Bemühen, die Gültigkeit praktischer Schlüsse zu erweisen, sieht Black sich genötigt, zwei Anwendungsbereiche zu unterscheiden: Praktische Schlüsse mit Konklusionen in der dritten und in der zweiten Person. Der eine Bereich umfaßt Sätze, die von einem Dritten aussagen, er solle dies oder jenes tun. Der andere Bereich umfaßt praktische und moralische Ratschläge, die ein Diskurspartner dem anderen gibt. Die grundlegende Differenz zwischen beiden Arten von Schlüssen liegt nach Black darin, daß der Schluß in der zweiten Person nicht in der gleichen Weise logisch zwingend ist wie der in der dritten Person. In diesem Fall des moralischen, auf Handeln bezogenen Ratschlags besteht eine Kluft zwischen Sein und Sollen, die nur durch die willentliche Entscheidung des einen Partners, den Ratschlag zu geben, zu überbrücken ist. Es bedarf dieses Willensentschlusses, da es offenbar Sperren dagegen gibt, anderen Menschen Vorschriften zu machen und sich in den Prozeß der Entscheidungsfindung anderer einzudrängen. Dessen ungeachtet gibt es jedoch die „latente Notwendigkeit" der Ableitung eines Sollens von einem Sein, wenn auch das Verfahren der Ableitung willentlich unterbrochen oder abgebrochen werden kann 1 0 7 .
1 0 5 A a O . 106f. 1 0 6 A a O . 107f. A a O . 105. A a O . 109-112. M. Blacks Aufsatz wurde von D . Z. Phillips diskutiert (The Possibility of Moral Advice, Analysis 25, 1964, wieder abgedr. in W. D . H u d s o n , H g . , The Is-Ought Q u e s t i o n , 114-119). Phillips betont, daß jemand, um einen Ratschlag zu geben oder anzunehmen, bereits den Standpunkt der Moral eingenommen haben muß. Innerhalb dieser Sichtweise, 104
107
104
3. J. R. Searle. Der zweite, ungleich einflußreichere Versuch in dieser Richtung wurde von John R. Searle in seinem Aufsatz „How to Derive ,Ought' from ,Is'" 1 0 8 vorgetragen. Er will die These, deskriptive Sätze könnten evaluative Sätze ohne zusätzliche Einführung einer evaluativen Prämisse implizieren, die These des naturalistischen Fehlschlusses also, durch ein Gegenbeispiel angreifen. Er wählt folgende Sätze zu seinem Ausgangspunkt: (1) Jones äußert die Worte „Hiermit verspreche ich, dir, Smith, fünf Dollar zu zahlen." (2) Jones versprach, Smith fünf Dollar zu zahlen. (3) Jones übernahm eine Verpflichtung, Smith fünf Dollar zu zahlen. (4) Jones ist verpflichtet, Smith fünf Dollar zu zahlen. (5) Jones soll Smith fünf Dollar zahlen. Searle behauptet von dieser Reihe nicht, daß jede der Aussagen (2) bis (5) die bloße Explikation des in der vorhergehenden Aussage Implizierten ist, aber er will daran festhalten und aufzeigen, daß mehr als nur eine kontingente Beziehung zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Aussagen vorliegt und daß diejenigen zusätzlichen Aussagen, die notwendig sind, um Implikationsbeziehungen herzustellen, nicht evaluativ sind 109 . Er demonstriert jeden der Schritte und formuliert folgende Zwischenannahmen: (la) Unter bestimmten Bedingungen C verspricht jemand, der die Worte „Hiermit verspreche ich dir, Smith, fünf Dollar zu zahlen" äußert, Smith fünf Dollar zu zahlen, (lb) Die Bedingungen C bestehen. (2a) Alle Versprechen sind Akte, in denen sich jemand selbst verpflichtet, das Versprochene zu tun. (3a) und (4a) Die übrigen Bedingungen sind gleich (ceteris paribus). (3b) All jene, die sich selbst verpflichten, stehen - ceteris paribus - unter einer Verpflichtung 110 . Auf diesem Weg gelingt es Searle, eine Sollensaussage von einer Seinsaussage abzuleiten 111 . Nacheinander wird die Verbindung der Äußerung bestimmter Wörter zu dem „Sprechakt" 112 des Versprechens, des Versprechens zur Verpflichtung und der Verpflichtung zu einem Sollen aufgezeigt113. Die Aussage, daß jemand ein Versprechen halten soll, ist die notwendige Implikation der Tatsache, daß jemand bestimmte Wörter geäußert hat. Searle sieht hat man sie einmal akzeptiert, gibt es jedoch kaum noch rein faktische Aussagen. Alles hat moralische Bedeutung (vgl. bes. 117). 1 0 8 Philosophical Review 73, 1964, wieder abgedr. in W . D . Hudson, H g . , The Is-Ought Question, 1 2 0 - 1 3 4 . 1 0 9 V g l . a a O . 121. 110 AaO. 121-124. 1 1 1 A a O . 125. 1 1 2 Zu diesem Terminus vgl. J . R. Searle, Speech Acts. 113
J . R. Searle, H o w to Derive ,Ought' from ,1s', 125.
105
und erkennt an, daß seine Ableitung nur innerhalb des Rahmens der Institution Versprechen möglich und gültig ist, innerhalb eines Rahmens also, der durch Regeln allererst konstituiert wird 114 . Er stellt daher auch nicht ungeschützt die These auf, alle Sollensaussagen könnten von Istsätzen abgeleitet werden. Vielmehr übernimmt er Anscombes Unterscheidung von „reinen Tatsachen" und „institutionellen Tatsachen" 115 . Versprechen gehört zu den institutionellen Fakten. Dennoch sei es möglich, von dem brutum factum, daß jemand bestimmte Wörter äußert, auszugehen und die Institution des Versprechens davon abzuleiten. Die einzige weitere Voraussetzung für dieses Verfahren sei es, als eine für den Sprachgebrauch konstitutive Regel anzuerkennen, daß ein Versprechen zu machen heißt, eine Verpflichtung zu übernehmen 1 1 6 . Searle bestreitet also nicht, daß „Versprechen" ein evaluatives Wort ist, er behauptet nur, daß es auch deskriptiv verstanden werden kann, ohne daß der Sprache Gewalt angetan wird. Deswegen plädiert er dafür, die Unterscheidung zwischen Sein und Sollen neu zu überprüfen und zumindest nicht als fraglos gültig zu akzeptieren 117 . 4. Diskussion. Die Herausforderung durch Searle wurde von den Philosophen, die sich dem Erbe Moores verpflichtet wissen, angenommen. Sie diskutieren den Ableitungsvorschlag Searles in aller Gründlichkeit und versuchen die Stelle oder die Stellen aufzuspüren, an denen er einen naturalistischen Fehlschluß begeht. Die Kritik fällt nicht schwer. Stellt man sich auf den Standpunkt, daß praktische Sprache immer schon auf einer Verbindung von deskriptiven mit präskriptiven oder evaluativen Elementen beruht, dann lassen sich die Einsichten Searles leicht aufnehmen, und dennoch kann man seine Behauptung, er habe ein Sollen von einem Sein abgeleitet, zurückweisen. Die Kritik konzentriert sich auf zwei Argumente: (a) Sie zeigt, daß Searle - obwohl er selbst vorschlägt, zwischen dem Betrachten der Institution Versprechen von außen und gleichsam von innen, unter Übernahme der Verpflichtung, zu unterscheiden 118 - unversehens den internen Blickwinkel einnimmt und die Institution des Versprechens als eine moralisch verpflichtende Institution akzeptiert 119 , wobei er es allerdings 114 Searle unterscheidet konstitutive Regeln von regulatorischen. Essen etwa ist ein vor allen Regeln etabliertes Verhalten, das durch die Vorschriften der Etikette nur reguliert wird. Das Schachspiel hingegen wird durch die Regeln erst als Spiel und als menschliches Verhalten konstituiert; vgl. aaO. 113 f, auch W. D. Hudson, Fact and Moral Value, 130. 115 „Brute facts" und „institutional facts", G. E. M. Anscombe, O n Brute Facts, Analysis 18, 1958, 69-72, wieder abgedr. in J. J. Thomson u. G. Dworkin, Hg., Ethics, New York/London 1968, 71-75; vgl. G. E. M. Anscombe, Moderne Moralphilosophie, 220-222. 116 Vgl. J. R. Searle, H o w to Derive ,Ought' from ,Is', 131. 117 AaO. 133. 118 AaO. 127. 119 So argumentiert Antony Flew, O n N o t Deriving ,Ought' from ,1s', Analysis 25, 1964, wieder abgedr. in W. D. Hudson, Hg., The Is-Ought Question, 135-143, 139f; vgl. R. M.
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ablehnt, diesen Schritt zuzugeben. Er behauptet, nichts zu tun, als normalen Sprachgebrauch beschreibend zu analysieren, übersieht jedoch gerade das Verpflichtungsmoment, das „normale" praktische Sprache impliziert. Wer nur den Sprachgebrauch beschreiben will, etwa weil er eine anthropologische Darstellung einer bestimmten Gesellschaft geben will, kann nicht zu der einfachen Feststellung kommen, jemand solle etwas Bestimmtes tun. Er kann allenfalls diesen Satz in oratio obliqua zitieren 120 . Die Unterscheidung von Tatsache und Wert läßt sich auf diese Weise nicht überwinden. Allerdings kann dieses Argument nicht umgekehrt dazu benutzt werden, die These von der is-ought-Spaltung zu stützen. Denn auch wenn jemand von Versprechen in oratio obliqua spricht, ja sogar wenn jemand diese Redeweise benutzt, um anzuzeigen, daß er die Institution des Versprechens nicht (mehr) teilt, ist damit nicht bewiesen, daß es eine Trennung zwischen is und ought gibt, wobei der Betreffende das is akzeptiert hätte, das ought aber zurückweise. Vielmehr wird jemand, der wie Searle argumentiert, es so verstehen, als weise er ein is einschließlich aller in ihm implizierten oughts zurück 1 2 1 . (b) Die zweite Linie der Kritik lokalisiert den Fehler Searles in seiner Annahme, die ceteris-paribus-Prämissen seien nicht evaluativ. Gerade diese Prämisse eröffne ja den Spielraum der Beurteilung und macht moralische Entscheidungen sehr viel weniger eindeutig als Entscheidungen über Fakten. Seien die Prämissen faktisch, nichtevaluativ gemeint, so seien sie nicht in der Lage, die Ableitung Searles zu stützen 122 . Diesem zweiten Kritikpunkt entgegnet W. D. Hudson allerdings, er widerlege Searle nicht. Denn es sei durchaus möglich, daß Searle sein Argument auch ohne die ceteris-paribusPrämissen aufrechterhalten könne. An ihre Stelle könne die Bedingung treten, daß der, dem etwas versprochen wurde, den, der es versprach, nicht von seinem Versprechen entbinde. Dann folge Satz (4) unmittelbar aus Satz (3) und Satz (5) aus Satz (4). Die Ableitungsreihe, die dann entsteht, wäre sogar für den Fall richtig, daß jemand an zwei widerstreitende Versprechen gebunden sei. Der Konflikt zweier Verpflichtungen lasse sich ohnehin nicht durch die Vorstellung, eine Verpflichtung verdränge die andere, erklären. In Hare, The Promising Game, Revue Internationale de Philosophie 70, 1964, wieder abgedr. in W. D. Hudson, Hg., The Is-Ought Question, 144-156, 146-151; auch J. R. Cameron, Ought and Institutional Obligation, Philosophy 46,1971,309-322,322. 120 A. Flew, O n N o t Deriving .Ought' from ,1s', 140-142; R. M. Hare, The Promising Game, 146-150. 121 Vgl. W. D. Hudson, Fact and Moral Value, 133; W. D. Hudson, The ,Is-Ought' Controversy, Analysis 25, 1965, wieder abgedr. in W. D. Hudson, Hg., The Is-Ought Question, 168-172,169f. 122 So argumentieren J. E. McClellan und Β. P. Komisar, O n Deriving ,Ought' from ,1s', Analysis 25, 1965, wieder abgedr. in W. D. Hudson, Hg., The Is-Ought Question, 157-162; ähnlich auch James und Judith Thomson, H o w N o t to Derive .Ought' from ,1s', The Philosophical Review 73,1964, wieder abgedr. in W. D. Hudson, Hg., The Is-Ought Question, 163— 167.
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einem solchen Fall bleibt der Handelnde, wie er sich auch entscheidet, hinsichtlich einer seiner beiden Verpflichtungen tadelnswert123. 5. Ergebnis. Man kann die Diskussion, wie sie sich bis jetzt darstellt, folgendermaßen zusammenfassen: Searle hat zu zeigen versucht, daß es eine logisch gültige Ableitung eines ought von einem is gibt. Er wählte dazu das Beispiel des Versprechens. Seinen Kritikern ist es nicht gelungen, einen logischen Fehler in seiner Ableitung nachzuweisen. Die Meinungsverschiedenheit, die allerdings weitreichende Konsequenzen nach sich zieht, beruht auf einer Diskrepanz in der Beurteilung der Prämissen, die Searle einführt. Die Kritiker Searles sind überzeugt, daß die Prämissen oder zumindest eine von ihnen evaluativ sind, etwa daß (la) die moralische Prämisse formuliert: „Gegebene Versprechen soll man halten." Searle hingegen ist der Meinung, daß seine Prämissen nichts weiter tun, als Tatsachen über die Bedeutung eines im Grunde deskriptiven Wortes, des Wortes „Versprechen", zu formulieren. Die Verpflichtung, die sich in diesem Konzept für den Handelnden ergibt, ist vollständig durch ein institutionelles Faktum bestimmt und kann daher deskriptiv abgeleitet werden 124 . Die zwischen beiden Parteien grundlegende Differenz läßt sich also in der unterschiedlichen Beurteilung institutioneller Fakten erkennen. Für die einen sind dies Fakten, die nach der Analogie reiner Fakten zu beschreiben sind. Für die anderen sind es bereits unmittelbar evaluative Phänomene, die der Analogie moralischer Prinzipien gemäß zu beurteilen sind 125 . In dieser Differenz liegt der Grund für den Vorwurf an Searle, er verwende den Begriff des Versprechens äquivok 126 . Der Versuch, Searles Ableitung zu kritisieren, ist ebenso an einen bestimmten Standpunkt gebunden wie Searle selbst 127 . Den einen stellen sich institutionelle Fakten als eine besondere Art von Fakten dar, die es ihnen ermöglicht, die Tatsache-Wert-Dichotomie zu überwinden, als eine spezielle Sorte von Seinssätzen, so daß das Feststellen des Tatbestandes und das Akzeptieren der Norm zusammenfallen 128 . Die 1 2 3 W. D . H u d s o n , The ,Is-Ought' Controversy; auch seine Diskussion in Fact and Moral Value, 131 f. 124 Y g j s e a r } e s Replik auf die Kritiken, Deriving ,Ought' from ,Is'. Objections and Replies, in J. R. Searle, Speech Acts, Kap. 8, auszugsweise wieder abgedr. in W. D . H u d s o n , H g . , The Is-Ought Q u e s t i o n , 261-271, bes. 263 f. 1 2 5 R. D . Milo erklärt die Differenz sehr einleuchtend, indem er das Mißverständnis charakterisiert, das der Diskussion zwischen Searle und Hare zugrundeliegt: Danach spreche Searle von einem „ought of requirement", das das ought als Erfordernis der Institution des Versprechens darstelle, während Hare annehme, Searle habe ein „ought of commitment", eine moralische Präskription von einem „is" ableiten wollen. Vgl. Ronald D . Milo, Morality and Convention, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 58,1972, 533-553,543 Anm. 21. 1 2 6 R. M. Hare, The Promising Game, 150; vgl. Searles Replik, Deriving .Ought' from ,Is', 265 f. 1 2 7 Vgl. das Phänomen der „aber-doch"-Argumentation: Allem gegenüber, was Searle darlegt ist es „aber doch wichtig, darauf zu insistieren . . . " Vgl. etwa A. Flew, O n N o t Deriving 1 2 8 Vgl. Α. Jeffner, Die Rechtfertigung ethischer Urteile, 244. ,Ought' from ,1s', 141.
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anderen erklären sie als ein Konglomerat aus reinen Fakten und zusätzlicher moralischer Bewertung. Beides läßt sich ihrer Uberzeugung zufolge sauber trennen 1 2 9 . Hier scheint ein ähnlicher Gegensatz zwischen zwei Konzeptionen vorzuliegen wie der zwischen den beiden alternativen Positionen, die im letzten Abschnitt diskutiert wurden. Hier wie dort wird eine strittige Frage dadurch gelöst, daß jeweils eine Position einen Aspekt des Problems herausgreift und zur Grundlage der Analyse macht. Der jeweils andere Aspekt wird in seiner Bedeutung bestritten, oder es wird erklärt, er sei von dem ersten Aspekt abhängig. Läßt sich das dort verwendete Modell des Zusammensehens zweier zusammengehöriger Aspekte auch auf den Streit zwischen Searle und seinen Opponenten um die institutionellen Fakten anwenden? Eines müssen ja auch die Opponenten Searles zugestehen: Seine Argumentation hält die Anfrage aufrecht, ob man so eindeutig zwischen Tatsache und Wert, zwischen Sein und Sollen trennen kann, wie „Humes Guillotine" 1 3 0 annehmen läßt. Wenn sich in einigen Fällen - wie in Searles Beispiel des Versprechens eine Ebene aufzeigen läßt, auf der Fakten und Werte ungetrennt zu finden sind, ist die Frage nach dem Verhältnis von Fakten und Normen in der Ethik erneut offen. Der Naturalismus entscheidet sich für die Fakten als letzte Instanz, der Nonnaturalismus für die Wertentscheidung 1 3 1 . Wie man die Entscheidung auch fällt, man muß sich der Frage stellen, ob es sich nicht um die Wahl eines Aspekts auf Kosten eines anderen handelt, ob nicht zwei Dinge getrennt werden, die zusammengehören 1 3 2 . Alle drei Entscheidungsmöglichkeiten, die Betonung des Faktencharakters, die der Werthaltigkeit und die Entscheidung, beide Ebenen ungetrennt zu lassen, stellen letztlich Antworten auf eine metaethische (oder metaphysische) Grundfrage dar. Wie diese Grundfrage zu beantworten ist und welche 1 2 9 Vgl. W. D . Hudson, Fact and Moral Value, 134; Hudson, Modern Moral Philosophy, 291-293. 1 3 0 Diesen Ausdruck benutzt M. Black, The G a p Between ,1s' and .Should', 100. 1 3 1 Vgl. K. Nielsen, Ethics, Problems of, 130 f. 1 3 2 D a s Ergebnis der Argumentation in diesem Abschnitt der Arbeit trifft sich mit dem, was William K . Frankena in seinem Aufsatz O n Saying the Ethical Thing (Proceedings and Addresses of the American Philosophical Society 39, 1965/66, 21-42) vertritt. Der Aufsatz gibt sehr klar die vermittelnde Position W. K. Frankenas zwischen einem deskriptivistischen Naturalismus und dem Intuitionismus auf der einen Seite und dem nonkognitivistischen Emotivismus und Imperativismus auf der anderen Seite wieder (aaO. 28-36). Frankena hält die extremen Positionen für reduktionistisch (aaO. 28, 30) und plädiert dafür, einen dritten Weg zwischen diesen Positionen zu gehen. Menschliches Reden erschöpft sich nicht in Bericht, Beschreibung und Erklärung bzw. Befehl, Ausruf, Ausdruck von Gefühlen und Einstellungen. Es umfaßt auch Aktivitäten wie Beurteilen, Empfehlen, Bewerten und Beraten. Sich darauf einzulassen meint: „saying the ethical thing" (aaO. 30, vgl. 36). Frankena will der Rationalität in der Moral einen Raum sichern. Der moralische Diskurs lebt von der Erwartung, alle vernünftigen Menschen wurden am Ende einer (der „richtigen") Lösung eines moralischen Problems zustimmen. Eine Metaethik ist nur dann dem moralischen Diskurs angemessen, wenn sie dieser Voraussetzung des moralischen Diskurses gerecht wird (aaO. 39-41).
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Konzeption der Metaethik demnach vorzuziehen ist, soll im übernächsten Abschnitt 1 3 3 durch weitere Überlegungen geklärt werden. Dann wird auch zu überlegen sein, ob die Geschichtlichkeit menschlichen Lebens hinreichend berücksichtigt ist, wenn man das institutionelle Faktum eines is hinter jedem moralischen ought aufzuspüren sucht. Möglicherweise benötigt man andere Kategorien, um das is wirklichkeitsnah zu beschreiben. Zuvor soll jedoch die Zwischenfrage gestellt werden, wie die bisherigen Eröterungen auf die theologische Ethik angewandt werden kann.
3.5. Naturalismus in theologischer
Ethik
1. Sein und Sollen in christlicher Ethik: Vorwurf und
Auseinandersetzung.
Das Prinzip analytischer Ethik, daß kein Sollen von einem Sein abgeleitet werden könne, fand selbstverständlich seine Anwendung auch auf die christliche und theologische Ethik. Es ist zwar nicht so, daß analytische Ethiker sich schon immer und intensiv mit der benachbarten Disziplin der theologischen Ethik beschäftigt hätten. Doch wenn sie ihrem Programm zufolge den ethischen Sprachgebrauch aufklären wollen, kommen sie nicht umhin, auch die Ethik von Christen gelegentlich in den Blick zu fassen 1 3 4 . Daß christliche Ethik dabei immer fair behandelt würde, kann man nicht behaupten. Häufig wird nur eine Karikatur christlicher Ethik herangezogen, wenn sie auch durch Verweise auf theologische Literatur belegt wird 1 3 5 . Beinahe regelmäßig geschieht es, daß christliche Ethik als Beispiel einer Ethik dargeboten wird, die auf einem naturalistischen Fehlschluß basiert. Christen, so wird argumentiert, begehen den Fehler, ein Sollen von einem Sein ableiten zu wollen. Sie gehen von einem Faktum, einer Aussage über Gott oder über die Natur des Menschen, aus und schließen daraus auf das Verhalten, das vom Menschen gefordert ist. Ein treffendes Beispiel zitiert P. H . Nowell-Smith aus R. Mortimers Christian Ethics: „Die erste Grundlage ist die Lehre von Gott als Schöpfer. Gott schuf uns und die ganze Welt. Aus diesem Grund hat er einen uneingeschränkten Anspruch auf unseren Gehorsam. Wir existieren nicht aus eigenem Recht, sondern allein als seine Geschöpfe, die deshalb tun und sein sollen, was er w i l l . " 1 3 6 Analytische Philosophen sind in ihrer Mehrzahl der Überzeugung, daß alle theologische Ethik diesen Fehler der Deduktion eines ought aus einem is 133
Siehe unten Abschnitt 3.6.
Ausführliche Erörterungen theologischer Ethik durch analytische Philosophen sind selten, und die es gibt, sind erst in den letzten Jahren geschrieben worden. Vgl. etwa W . D . Hudson, Fact and Moral Value. 1 3 5 Vgl. etwa die breite Diskussion um die Vorstellung des Willens Gottes als Prinzip christlicher Ethik, unten Abschnitt 4.2. und 4.3. 134
1 3 6 R. C . Mortimer, Christian Ethics, London 1950, 7, zit. bei P. H . Nowell-Smith, Ethics, 3 7 f A n m . 2 (meine Ubers.); vgl. A . Maclntyres Diskussion dieser Passage, H u m e on ,Is' and ,Ought', 37f.
110
begeht. N u r die wenigen christlichen Autoren würden ihn vermeiden, die ihre Prämisse von Anfang an als Werturteile und nicht als bloße Tatsachenaussagen verstanden wissen wollen 1 3 7 . Mit diesem Urteil verfällt eine breite Tradition theologischer Ethik der Kritik der Moralphilosophie. N u r eine christliche Ethik, die sich darauf zurückzieht, daß eine (mehr oder weniger gut begründbare) Entscheidung Grundlage ihres Systems ist, und die darauf verzichtet, ihren Basisannahmen faktischen Charakter zuzusprechen, kann dann noch in den Grenzen bestehen, die ihr die Moralphilosophie läßt 1 3 8 . Einerseits wird hier die Frage dringend, ob eine derartige klare Trennung zwischen Fakten- und Werturteilen möglich ist, ob die Wahrnehmung der Welt und die moralische Beurteilung tatsächlich so deutlich voneinander abzuheben sind. Die Vermutung liegt nahe, daß bereits die Kategorien, in denen die Welt wahrgenommen wird, Wertungen einschließen. Es macht sicher einen Unterschied nicht nur in den Faktenannahmen, sondern in unlösbar damit verbundenen Wertungen, ob ein Mensch die Welt als Schöpfung Gottes oder als Konglomerat zufällig zusammengewürfelter Teile betrachtet. Angemessene Kategorien müssen entwickelt werden, die dieser engen Verbindung von Tatsachen und Werten, Sein und Sollen gerecht werden. Religiöse und theologische Sätze jedenfalls können kaum je als reine Seinsaussagen verstanden werden 1 3 9 . Andererseits können Christen und Theologen Mut schöpfen, wenn sie sehen, daß „Humes Guillotine" in der philosophischen Ethik nicht mehr fraglos akzeptiert wird. Beide Bewegungen, der Neonaturalismus G . Ε. M. Anscombes, Ph. Foots und G. J. Warnocks und die Diskussion um die IsOught-Frage, eröffnen neue Möglichkeiten auch für die theologische Ethik. Man wird zwar einem bestimmten Lager der Moralphilosophen zugerechnet, wenn man diese Gedanken aufgreift, aber man steht nicht mehr außerhalb jeder ernsthaften philosophischen Beschäftigung mit der Moral. Daher gibt es auch bereits eine Reihe von Theologen, die diesen Argumentationsstrang aufgreifen. Sie behaupten, daß die christliche Ethik die Möglichkeit der Sein-Sollens-Ableitung voraussetzt und daß eine theologische Ethik unmöglich wäre, würde man die Möglichkeit dieser Ableitung verneinen 1 4 0 . Wer so argumentiert, macht seine eigene theologische Ethik von der Gültigkeit einer bestimmten, der naturalistischen metaethischen Theorie abhängig. Es käme dann für die theologische Ethik alles darauf an, diese Art der Metaethik argumentativ zu sichern. P. H . Nowell-Smith, Ethics, 37. Einer solchen Ethik, die das Entscheidungsmoment zur Grundlage hat, kommen D . Z. Phillips einerseits, R. B. Braithwaite und R. M. Hare andererseits nahe. Vgl. unten Abschnitt 5.4. und 5.5. 1 3 9 Vgl. zu dieser Frage nach der Entwicklung angemessener Kategorien unten insbesondere Abschnitt 5.5. 1 4 0 Vgl. A. D . Galloway, Fact and Value in Theological Ethics, Religious Studies 5, 1969, 172-178. 137
138
Ill
Andere Theologen wollen sich nicht in einseitiger Ausschließlichkeit an die naturalistische Metaethik binden, obwohl sie die Nähe der christlichen Ethik zu einer solchen Konzeption sehen. (Vielleicht besteht der Unterschied zu der zuvor genannten Gruppe nur darin, daß diese Theologen angesichts der Diskussion über verschiedene metaethische Konzeptionen, die noch nicht als abgeschlossen gelten kann, vorsichtiger formulieren.) Ihre Ermutigung erhalten auch sie von der neuen Debatte um den Naturalismus oder Deskriptivismus. Helen Oppenheimer formuliert: „Christentum scheint etwas zu tun zu haben mit der .Objektivität' der Moral, mit der ,Wahrheit' von moralischen Aussagen, ja mit der Möglichkeit, ein ,ought' aus einem ,is' zu gewinnen." 1 4 1 In der Ethik von Christen sind zweifellos Seinsaussagen mit Sollensaussagen verknüpft. Solche Verbindungen bestehen auf mehreren Ebenen, (a) Der christliche Glaube stellt eine Reihe von Aussagen über die Schöpfung, die geschaffene Ordnung und die Natur des Menschen bereit. U m traditionelle Formulierungen zu gebrauchen: Die Welt ist von Gott geschaffen. Die Schöpfung ist dem Menschen anvertraut. Der Mensch ist Ebenbild Gottes. Der Mensch ist in Sünde gefallen. Solche Glaubenssätze beschreiben einerseits, was der Glaubende für wahr hält, andererseits dienen sie zugleich als Ausgangspunkt für Überlegungen, deren Ziel die Aufstellung ethischer N o r men ist. (b) Traditionellerweise billigt man Glaubenssätzen über die Attribute Gottes normative Implikationen zu. „Lasset uns einander liebhaben, (. . .) denn Gott ist Liebe" (1 J o h 4,7f). Viele Gleichnisse wollen zeigen, wie Gott ist und wie der, der sie hört, sein soll (z.B. Mt 20,1-15). Was man von Gott glaubt, ist nicht ohne Einfluß auf das Verhalten, das man gefordert sieht, (c) Die Moral steht im Kontext historischer Aussagen. Die Geschichte Israels mit seinem Gott, die Geschichte Jesu von Nazareth haben sich in einer Fülle von Geschichten niedergeschlagen, die fortwährend Menschen geprägt haben und prägen. Juden und Christen erinnern sich an diese Geschichten. Die Geschichten werden als historische Erzählungen verstanden, die Auskunft geben über den Ursprung der eigenen religiösen Gruppe. Sie konstituieren so den Rahmen der Zugehörigkeit zu dieser religiösen Gruppe. Zugleich sind diese Geschichten maßgeblich beteiligt bei der Konstitution des gesamten Rahmens des Weltverständnisses dieser Gruppe. Damit hängt es zusammen, daß aus ihnen auch regulative Prinzipien für das Verhalten der Mitglieder der religiösen Gruppe gewonnen werden. So hängen moralische Aussagen in mittelbarer Weise mit Annahmen über die Welt zusammen 1 4 2 . Mit diesen Überlegungen wird das Verhältnis von dogmatischen und ethischen Sätzen thematisiert. Es wird in der theologischen Literatur unter 1 4 1 Helen Oppenheimer, Ought and Is, 12 (meine Übers.); vgl. K. Ward, Ethics and Christianity. 142 Vgl. dazu A. D . Galloway, Fact and Value in Theological Ethics, 171, und den G a n g der Argumentation dieser Arbeit, besonders in den Abschnitten 5.5., 6.3. und 6.4.
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zwei Titeln diskutiert: Einige Autoren fragen ausdrücklich nach dem Verhältnis von Dogmatik und Ethik, andere fragen nach dem von Indikativ und Imperativ. Karl Barth etwa bemüht sich darum, die Geschichte der Verhältnisbestimmung von Dogmatik und Ethik zu sichten und die darin erkannten Positionen in Beziehung zu seinem eigenen Standpunkt zu setzen 1 4 3 . Er argumentiert, daß es um der Reinheit theologischer Erkenntnis und der Souveränität Gottes willen keinen von der Dogmatik abzutrennenden methodischen Zugang zur Ethik gibt. Denn eine solche Ethik nähme ihren Ausgang beim gläubigen Menschen und nicht bei Gott, seiner Offenbarung und seinem W o r t 1 4 4 . Daher ist nicht nur die Trennung von Dogmatik und Ethik untersagt, vielmehr ist die Ethik mit der Dogmatik identisch. Dogmatik muß Ethik sein, und Ethik kann nur Dogmatik sein 1 4 5 . Beide Bereiche lassen sich nur technisch zum Zweck ihrer übersichtlichen Behandlung trennen, keinesfalls prinzipiell oder methodisch 1 4 6 . Während Dogmatiken und Ethiken solche Erörterungen wissenschaftslogischer oder wissenschaftsorganisatorischer Art enthalten, sprechen vor allem die Exegeten von derselben Sache in der Begrifflichkeit von Indikativ und Imperativ. Der Imperativ christlichen Lebenswandels ist im Indikativ der Heilszusage begründet. Weil der Christ gerechtfertigt ist, kann er als gerechtfertigter Mensch leben. Und weil er gerechtfertigt ist, soll und wird er sich auch dementsprechend verhalten. Die Ethik ist in der Dogmatik begründet, und die Dogmatik hat die Ethik zur notwendigen Folge 1 4 7 .
1 4 3 Karl Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd. 1/2, Zollikon 1938, 873-890, § 22.3. Vgl. dazu kritisch Trutz Rendtorff, Der ethische Sinn der Dogmatik. Zur Reformulierung des Verhältnisses von Dogmatik und Ethik bei Karl Barth, in T. Rendtorff, Hg., Die Realisierung der Freiheit. Beiträge zur Kritik der Theologie Karl Barths, Gütersloh 1975,119-134. 1 4 4 K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd. 1/2, 880-886. 1 4 5 AaO. 888, 890. 1 4 6 AaO. 889. Emil Brunner stimmt in diesem Punkt mit Barth überein, auch wenn seine Formulierung, die Ethik sei nur als ein „Teil der Dogmatik" richtig darzustellen, im Sinn der von Barth abgelehnten methodischen Trennung mißverstanden werden kann. Man vergleiche jedoch die Aussage: „Jedes Thema der Dogmatik ist notwendigerweise auch ein Thema der Ethik." (E. Brunner, Das Gebot und die Ordnungen. Entwurf einer protestantisch-theologischen Ethik, Zürich 1932, 71.) 1 4 7 Ausgehend von neutestamentlichen Bibelstellen, die vom ethischen Verhalten der Christen, ihrer Heiligung, als der Frucht ihres Glaubens, des Heiligen Geistes, der Rechtfertigung sprechen ( M t 3 , 8 f f ; 7,16ff; L k 3 , 8 ; 13,6ff; Joh 15,2ff; R ö 6 , 2 2 ; Gal 5,22; Eph 5,9; Phil 1,11 uö.), zieht sich dieses Thema durch die ganze Theologiegeschichte. Vgl. etwa zur Theologie der Reformationszeit Martin Luther, Sermon von den guten Werken (1520), Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520), Kleiner und Großer Katechismus (1529); Confessio Augustana (1530), bes. VI, X X ; Philipp Melanchthon, Apologie der Confessio Augustana (1531), bes. IV; Johannes Calvin, Institutio Christianae Religionis (1536), bes. III, 1-3, 6 - 1 0 , 11-18, 19; Heidelberger Katechismus (1563), bes. Frage 60-64, 89-91. Vgl. auch die Erörterung des Themas bei Rudolf Bultmann, Die Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 1958, 6. Aufl. 1968, 334f, 432f uö. - H. van Oyen, Ethik, in Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. II, 708-715, 711 f. - Helmut Thielicke,
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2. Der Zusammenhang von Fakten- und Wertaussagen. Keine Darstellung theologischer Ethik wird diese Verbindung zwischen Fakten- und Wertaussagen unbeachtet lassen können. Theologische Ethik wird versuchen müssen, die Fragen, die sich aus der Beobachtung dieses Zusammenhangs von Tatsache und Wert ergeben, mit Hilfe des Instrumentariums der Metaethik aufzuklären. Dazu kann die Debatte um Searles Darlegung institutioneller Fakten ein Stück weit helfen. Das Versprechen, so stellte er es dar, ist ein Phänomen, das einerseits durch rein deskriptive Sätze charakterisiert werden kann, andererseits jedoch normative Aussagen impliziert. Kann man auf dieselbe Weise den Zusammenhang zwischen christlichen Glaubenssätzen und ethischen Aussagen von Christen darstellen? Es fällt nicht schwer, ein Beispiel lückenloser Ableitung von einem theologischen Seinssatz zu einem ethischen Sollenssatz zu finden. Nur wird ein solches Beispiel kaum allgemein als Ableitung eines Sollens von einem Sein gelten können. Die Schwierigkeit dürfte darin liegen, daß es keinen theologischen Satz gibt, der von allen als Seinssatz akzeptiert würde. Man wird einwenden, daß im theologischen „Sein" bereits ein so starkes evaluatives Element enthalten ist, daß die Ableitung einer ethischen Folgerung nur natürlich ist. Warum sollte man die Überlegungen über den Zusammenhang von Sein und Sollen nicht in der theologischen Ethik aufnehmen? Christen gehen von Uberzeugungen aus, die in hohem Maß evaluative Elemente enthalten, wenn sie sich auch in ihrer Formulierung als faktische Sätze geben. Das Sein, mit dem christliche Ethik beginnt, ist bereits werthaltig. Das Problem scheint damit allerdings bloß eine Frage der Definition geworden zu sein. Wenn man genügend ought in das is legt, mit dem man beginnt, wird es dort bereitliegen, um wieder herausgeholt zu werden, wenn man es zur Ableitung normativer Sätze braucht 148 . Christliche Ethik wäre dann naturalistisch, wenn man den Tatsachencharakter der Glaubenssätze betont, und sie wäre nichtnaturalistisch, wenn man die Werthaltigkeit dieser Tatsachen herausstreicht. Ist es eine Sache willkürlicher Festlegung, das eine oder das andere zu betonen? Oder ist es nicht so, daß beides zusammengehört und das eine und das andere nur Aspekte derselben Sache darstellen? Die Ausgangsbasis theologischer Ethik bilden Sätze, die sowohl faktisch als auch evaluativ zu verstehen sind. Die christliche Ethik gründet sich auf Tatsachen, denen bereits „ein bestimmter Wert beigelegt wird" 1 4 9 . Wenn dies so ist, daß Tatsache und Wert für die christliche Ethik nicht zu trennen sind, dann wird die Theologie gegen das Axiom der is-oughtTrennung in der analytischen Moralphilosophie kritisch angehen müssen. Theologische Ethik, Bd. 1, Tübingen 1951, 8 7 - 1 1 2 . - O t t o Weber, Grundlagen der Dogmatik, Bd. II, Neukirchen 1 9 6 2 , 3 5 5 - 3 7 0 . 148 149
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Helen Oppenheimer, Ought and Is, 10. H . G. Hubbeling, Einige Probleme der analytischen Ethik, 24.
Allerdings braucht die Theologie nicht dafür zu streiten, daß es ein rein faktisches Sein ist, von dem das Sollen abgeleitet wird. Dies mögen einige Vertreter des Neonaturalismus behaupten und aufzuzeigen versuchen. Für die Konzeption der theologischen Ethik genügt es, den Zusammenhang zwischen Tatsachenaussage und ethischer Norm zu betonen. Sie kann und wird anerkennen, daß ihre Basissätze bereits Wertungen enthalten 150 . 3.6. Zwischen Deskriptivismus und Präskriptivismus: Eine angemessene Konzeption der Metaethik 1. Argumente gegen die Arbitrarität in der Moral. Gegen die These, daß das Gutsein einer Sache oder Entscheidung allein von der arbiträren Wahl des moralischen Subjekts abhängt, sind drei Argumentationsstrategien möglich 151 . Die erste geht vom Einverständnis einer Gruppe, die zweite von den Transzendentalien des moralischen Diskurses und die dritte von der Natur des menschlichen Lebens und seinen Strukturmerkmalen aus. In den ersten beiden Argumenten geht es um die Ansicht, daß es in der moralischen Gemeinschaft anerkannte Prinzipien und Wertvorstellungen gebe, die für alle Diskursteilnehmer verbindlich seien. Der Entscheidung für oder gegen den Relativismus entsprechend begnügt sich die eine Gruppe von Philosophen mit der Annahme, jede Traditionsgemeinschaft habe ihre eigenen Prinzipien, während die andere Gruppe nach der allen Menschen (oder allen rational denkenden Menschen) gemeinsamen Grundlage der Moral sucht. Beide Gruppen haben das gemeinsame Anliegen, die Arbitrarität der Prinzipienentscheidung zurückzuweisen, indem sie auf die Basis der Intersubjektivität innerhalb der Diskursgemeinschaft rekurrieren. Auf die Ausgangsfrage bezogen, heißt dies: Die Kriterien des Gutseins sind nicht vom augenblicklichen Wahlakt des Sprechers abhängig. Sie sind intersubjektiv gültig im 150 D ¡ e s e r Bedingung entspricht die Umformulierung des Prinzips des naturalistischen Fehlschlusses bei A . D. Galloway, Fact and Value in Theological Ethics, 173. 1 5 1 S. o. Abschnitt 3.3. - Diese Vorstellung steht in Gegensatz zu Hares Präskriptivismus. Es gibt einen Versuch, zwischen den Positionen Hares und Foots zu vermitteln. M. A. Slote hat ihn in einem Aufsatz von 1968 vorgetragen (Value Judgements and the Theory of Important Criteria, Journal of Philosophy 65, 1968, 9 4 - 1 1 2 ) . E r geht von der Beobachtung aus, daß Wertdifferenzen und fortgesetzter Dialog nebeneinander bestehen, und er will die Einseitigkeiten der Entwürfe Hares und Foots überwinden, indem er eine (metaethische) „Theorie der wichtigen Kriterien" vorschlägt. Danach sind Werturteile von dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein solcher „wichtigen Kriterien" abhängig. Wertbegriffe können also durch ihre Kriterien definiert werden (aaO. 105). (Dies entspricht Toulmins und Baiers Vorstellungen von der Rolle des Räsonierens in der Ethik.) Allerdings räumt Slote ein, daß es unter den Diskursteilnehmern unterschiedliche Auffassungen über die Bedeutung bestimmter Kriterien gibt, über die man sich grundsätzlich einig ist (aaO. 110; M. F. Cohen, Knowledge and Moral Belief, 173f, bestreitet gerade, daß ein Einverständnis über die Kriterien moralischer Entscheidungen vorliegt). Die Vorstellung der Ambiguität von Wertbegriffen, die Slote zuvor ablehnt, erhält hier über den U m w e g der Differenz in der Einschätzung der Kriterien doch wieder Eingang in die Theorie.
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Hinblick auf Konventionen der Beurteilung. Ein guter Bauer, ein guter Reiter werden im Blick auf die Konventionen der Beurteilung eines Bauern, eines Reiters „gut" genannt 1 5 2 . Anders argumentiert der Neonaturalismus oder Deskriptivismus. Arbitrarität wird hier auf einer anderen Grundlage zurückgewiesen. „Gut" heißt eine Sache hier im Hinblick auf funktionale Eigenschaften, die sie besitzt. Ein gutes Messer ist ein Messer, das gut schneidet 1 5 3 . Eine Handlung ist gut, wenn sie einen Zustand herbeiführt, der bestimmte gut zu nennende Eigenschaften aufweist. Die momentane Präferenz des Sprechers kann mitschwingen, wenn ein solches Urteil gefällt wird. Doch sie ist nie allein ausschlaggebend. Die Intention des Sprechers, die Absicht, die er mit der Aussage verfolgt, ist an der Bestimmung dessen, was als gut gilt, ebenso beteiligt wie die Natur der beurteilten Sache 1 5 4 . Die Bedeutung der transzendentalen Argumentation in diesem Streit um die Relativität oder Objektivität der Moral wurde bereits ausreichend diskutiert. Hingegen lassen sich die beiden anderen Weisen, der Vorstellung von der Willkürlichkeit der Moral zu entgehen, noch heranziehen, um die bisher erreichten Ergebnisse zu präzisieren. Wer annimmt, daß das Einverständnis der Gruppe über die Moral die Basis abgibt, muß sagen können, wie es feststellbar ist. Er muß auf etwas zeigen können, was dieses Einverständnis formuliert. Ohne einen solchen Hinweis ist ja bloß eine leere strukturelle Beschreibung der Moral gegeben. U m dieser Schwierigkeit abzuhelfen, erweitern und präzisieren die Vertreter dieser These ihre Darstellung. Sie behaupten, daß die moralischen Entscheidungen eines Menschen von einem komplexen Muster von Überzeugungen und Vorstellungen abhängig· sind. Dazu rechnen sie (a) Vorstellungen, wie sie den Tugenden der klassischen Morallehre verwandt sind: Ernsthaftigkeit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Mut, Loyalität, Treue etc. Durch diese Vorstellungen, so behaupten sie, erhält eine Situation Tiefe, so daß sie zur moralisch relevanten Situation wird 1 5 5 . Sie gehen einen Schritt weiter und rechnen (b) Vorstellungen und Überlegungen über Nutzen und Schaden des Menschen, über die menschlichen Bedürfnisse (needs) und Wünsche (wants) und schließlich (c) Überzeugungen, die man hinsichtlich der Natur des Menschen und demzufolge hinsichtlich eines Ideals des menschlichen Lebens hat, zu diesem komplexen Muster. Indem diese Philosophen den Zusammenhang moralischer Vorstellungen und Tugenden (a) mit den zugrundeliegenden Überzeugungen (b und c) klären wollen, versuchen sie eine Ebene zu finden,
1 5 2 Diesen Standpunkt vertritt R. W . Beardsmore. Allerdings verwendet er den Begriff .conventionalism" für eine bestimmte moralische Haltung; vgl. Moral Reasoning, 1 2 0 - 1 3 4 .
Vgl. Ph. F o o t , Goodness and Choice; auch P. F o o t , Moral Beliefs, 85. Ph. F o o t , Goodness and Choice, 227. 155 v g l . D . Z. Phillips und Η . O . Mounce, O n Morality's Having a Point, 2 2 9 f. 153 154
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die es ihnen ermöglicht, die Vorstellung zurückzuweisen, moralische Entscheidungen seien willkürlich 156 . 2. Menschliche Grundbedürfnisse. Die andere Gruppe, die der Neonaturalisten, versucht hinter diese Ebene der Vorstellungen als der intersubjektiven Basis der Moral zurückzugehen und Fakten ausfindig zu machen, die als Grundlage dieser Vorstellungskomplexe dienen können. Ph. Foot behauptet in ihrem Aufsatz „Moral Beliefs" 157 einen Zusammenhang zwischen einzelnen moralischen Entscheidungen, was man tun solle, und allgemeinen Vorstellungen. So sei ein moralisches Urteil wie „Verletzungen zu vermeiden ist gut" in direkte Verbindung mit der Vorstellung des Verletzten zu bringen. Der Tatbestand, der mit „verletzen" bezeichnet ist, erweise sich aus sich selbst heraus als nicht wünschenswert. Kein Mensch könne ihn wollen. Unversehrtheit hingegen erweise sich als ein menschliches Bedürfnis. Somit bedürfe es keines zusätzlichen Elements, um Handlungen, die zur Verletzung von Personen führen, als moralisch verwerflich zu erkennen. Das Konzept „Verletzung" (oder „Unversehrtheit") besitze selbst handlungsleitende, praktische Bedeutung, weil es unmittelbar die Vorstellung eines Nichtgewünschten beziehungsweise eines Bedürfnisses ist 158 . Letztlich sind es dieser Ansicht zufolge Fakten, die über die moralischen Urteile entscheiden. Denn Verletzung ist feststellbar: einfach im Fall körperlicher Beeinträchtigung, etwas schwieriger, aber dennoch erhebbar im Fall psychischer Verwundung. Moralische Konzepte sind handlungsleitend. In ihnen sind Deskription und Evaluation verbunden. Die deskriptive Seite läßt sich explizieren, und in ihr ist bereits die Evaluation beschlossen. Moralische Vorstellungen können also unmittelbar auf Fakten zurückgeführt werden 159 . Dieser Versuch, auf Fakten als Grundlage der Moral zurückzugehen, hat die Tendenz, zu einer letzten Übereinstimmung aller Menschen vorzustoßen 1 6 0 . Denn wenn es diese Fakten der menschlichen Natur gibt, die allen Menschen gemeinsam sind, dann bestimmen sie die Erfordernisse der Moral ganz allgemein. Jeder Mensch ist aufgrund seines Menschseins verpflichtet, ihnen zu genügen. Wer es nicht tut und einige dieser Forderungen ablehnt, hat die Bedeutung der Fakten nicht erkannt. Richtige Erkenntnis dieser Fakten führt zum richtigen Handeln 161 . Eine Möglichkeit, auf diesem Weg A a O . 2 3 0 f. Vgl. Abschnitt 2.6. Anm. 208. 1 5 8 P. F o o t , Moral Beliefs, 9 3 - 9 5 . 1 5 9 Hare weist den Fehler in dieser Darstellung der Moral auf: Sie stellt fest, daß es W ö r t e r gibt, die Beschreibung und Bewertung verbinden. Sie schließt von da aus jedoch darauf, daß es Dinge gibt, in denen beides verbunden ist, und dieser Schluß ist durch nichts gedeckt. R. M. Hare, Deskriptivismus, 2 7 2 ; vgl. W . D . Hudson, Modern Moral Philosophy, 298. 156 157
160 161
Vgl. D. Z. Phillips u. H . O . Mounce, O n Morality's Having a Point, 233. Ein platonischer Gedanke.
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die Allgemeingültigkeit der Moral zu berücksichtigen, liegt darin, daß sich die Argumentation auf fundamentale Bedürfnisse des Menschen beschränkt, die als unbestritten gelten und daher zu allgemein verbreiteten moralischen Folgerungen führen können. Allein die Vorstellung der Grundbedürfnisse des Menschen ermöglicht dann, eine allen Menschen gemeinsame Basis von Uberzeugungen und damit eine gemeinsame Basis der Moral zu formulieren. Wer auf diese Weise die Ethik zu begründen versucht, trägt allerdings die Beweislast für die Richtigkeit der Annahme, daß es solche allen Menschen gemeinsamen Bedürfnisse unabhängig von individuellen oder kollektiven Entscheidungen, etwas als Bedürfnis zu erkennen, gibt. Verfährt man nach dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners, dann erhält man wenige Grundbedürfnisse. Das, was darauf aufbaut, als Moral zu bezeichnen, ist möglich. Doch man verliert damit weite Bereiche der Moral aus dem Blick. Es gibt vieles, was als moralisch gilt, aber nicht einem Bedürfnis korrespondiert, das alle Menschen hätten. Andererseits fällt es schwer, die Bedürfnisse zu benennen, die allen Menschen gemeinsam wären. D. Z. Phillips und H. O. Mounce haben das Beispiel Ph. Foots in Frage gestellt, daß alle Menschen es erstrebten, von körperlicher Verletzung frei zu sein. Es gibt andere Beispiele, die die entgegengesetzte Meinung nahelegen: Der Ratschlag, das Auge, das einen ärgert, auszureißen, bei Mt 18,9. Paulus, der den „Pfahl im Fleisch" nicht als schlecht empfindet (2 Kor 12,7ff). Franz Brentano, der die Blindheit als begrüßenswert empfindet, weil sie die Konzentration fördert 162 . Wer wie Foot die Moral auf menschliche Bedürfnisse gründen will, kann diese Fälle auch nicht als Ausnahmen zulassen 163 . Daher gibt ein solcher Philosoph mit seiner Theorie keine angemessene Darstellung der Moral. Wenn dieses zentrale Beispiel nicht zutrifft, darf man annehmen, daß es keine Bedürfnisse gibt, die alle Menschen gemeinsam haben 164 . Der Versuch der Neonaturalisten, von Fakten der menschlichen Existenz auf moralische Prinzipien zu schließen, wäre dann gescheitert. 3. Überzeugung über den Menschen. Dennoch braucht man damit nicht alle Versuche aufzugeben, Vorstellungen über die Bedürfnisse und Wünsche und über die Natur des Menschen mit moralischen Entscheidungen in Verbindung zu bringen. Man sollte bloß bescheidenere Ansprüche erheben, als Vgl. D . Z . Phillips u. H . O . Mounce, aaO. 237i. Vgl. W . D . Hudson, Modern Moral Philosophy, 305 f. Damit ist freilich nicht behauptet, daß es nicht auch psychopathologische Wünsche gibt, die sich auf körperliche Beeinträchtigung, Verletzung oder gar Selbstverstümmelung richten. Sie sind jedoch Teil eines Krankheitsbildes und insofern hier nicht von Belang. 1 6 4 A a O . 305. Keith W a r d stellt wegen des Scheiterns dieser Argumentation den Naturalismus in die Nähe des Relativismus und Subjektivismus. Denn die Erkenntnis der moralischen Fakten ist, so sagt er, subjektiv, und die menschlichen Bedürfnisse und Wünsche sind kontingent und relativ (Ethics and Christianity, 58 f). 162
163
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es die Naturalisten tun. Man wird dann im wesentlichen der ersten der früher genannten Gruppen von Philosophen folgen können 165 . Moralische Einzelentscheidungen haben ihren Bezugsrahmen in spezifisch moralischen Vorstellungskomplexen. Diese müssen nicht zu einem einheitlichen Gesamtsystem der Ethik zusammenstimmen. Sie können durchaus eigenständig sein und - bezogen auf ein Gesamtsystem - Lücken aufweisen166. Konsistenz ist allerdings von ihnen gefordert. Diese Vorstellungen sind ihrerseits nicht zufällig gewählt. Sie beruhen vielmehr auf einem Komplex von Uberzeugungen, was der Mensch sei, was er wolle, bedürfe und deswegen auch solle. Dort, in diesem Bezug zwischen moralischen Uberzeugungen und Überzeugungen anthropologischer Art, sind gewisse Minimalanforderungen zu erfüllen. Zwar ist kein einheitliches, umfassendes Bild gefordert, aber Inkonsistenz ist doch ausgeschlossen. Die Aussagen über die Natur des Menschen dürfen mit den moralischen Ansichten nicht unvereinbar sein 167 . Nicht die Fakten des menschlichen Daseins sind die Grundlage der Moral - sie sind umstritten - , sondern die Überzeugungen, die Menschen hinsichtlich der Fakten der menschlichen Existenz haben 168 . So besteht ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis auf der Ebene der Überzeugungen. Mit dieser Ebene ist die letzte Ebene der Begründung moralischer Urteile erreicht. Dort sind die „moralischen Gründe" verwurzelt 169 . Es ist für die moralischen Anschauungen nicht gleichgültig, welche Anthropologie jemand anerkennt. Unterschiedliche Anthropologien können mit unterschiedlichen Ethiken verbunden sein. Die Beziehung ist allerdings nicht zwingend im Sinn logischer Notwendigkeit. 4. Schwierigkeiten. Bei dieser Sichtweise ist es nicht einmal ausgeschlossen, nach einer gemeinsamen Basis der Moral zu suchen. Die Antwort ist nur erschwert, und sie ist nicht in absoluter Weise zu geben. Der Weg zu einer solchen gemeinsamen Basis verläuft ähnlich zu dem, den die Naturalisten gehen wollten, nur auf einer anderen Ebene. Er könnte über die Vorstellung des „Erfordernisses des Konzepts Mensch" (conceptual requirement) 170 führen. Man müßte die Vorstellungen erheben, die als konstitutiv für das Menschsein gelten 171 . Dann würde man nach dem Prinzip der Vereinbarkeit - oder darüber hinausgehend - moralische Folgerungen zuordnen. Der Siehe oben, zu Anfang dieses Abschnitts. 166 Vgl. R ψ Beardsmore, Moral Reasoning, 100 uö.; vgl. oben Abschnitt 3.3. 165
167 168
Vgl. W . D . Hudson, Modern Moral Philosophy, 328. So argumentiert auch M. F. Cohen, Knowledge and Moral Beliefs, 178.
1 6 9 Vgl. W . D. Hudson, Fact and Moral Value, 1 3 7 - 1 3 9 . Das gleiche Argument verwendet John H . Barnsley, The Social Reality of Ethics. The Comparative Analysis of Moral Codes, London 1972, 23 f. 1 7 0 Vgl. H . Oppenheimer, Ought and Is, 17. 1 7 1 Vgl. A . D. Galloways Begriff der „constitutional facts", Fact and Value in Theological Ethics, 1 7 4 , 1 7 5 f.
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Mensch will überleben. Daraus ergäbe sich das moralische Erfordernis des Tötungsverbots. Der Mensch ist auf Kommunikation angelegt. Daraus ergäbe sich das Erfordernis guter zwischenmenschlicher Beziehungen (Liebe?) und der Abwesenheit von Falschheit und Lüge. In dieser Weise ließe sich fortfahren 1 7 2 . Nicht unmittelbar aus den Fakten menschlicher Existenz, aber aus den Überlegungen, die Menschen über diese Fakten anstellen, würden moralische Aussagen gewonnen. Man erhielte eine Grundstruktur der Ethik, die vielleicht nicht für alle, aber doch zumindest für viele Menschen akzeptabel ist. Diese Einschränkung deutet die Schwierigkeiten an, denen auch dieser Versuch unterliegt. Man erreicht innerhalb eines Kulturkreises möglicherweise Einverständnis über die Vorstellung des Menschen oder des guten Menschen. Aber dieses Einverständnis kann ebenso wenig als unumstritten gelten wie die früher abgelehnte naturalistische Ableitung der Moral von Fakten der menschlichen Existenz. Beide Ableitungsversuche hätten ja zur Voraussetzung, daß es objektive Fakten der menschlichen Existenz gibt. Der Unterschied bestünde bloß darin, daß der von den Vorstellungen darüber ausgehende Versuch nicht in platter Weise Fakten annimmt, sondern diese Fakten bereits als durch die menschliche Erkenntnis vermittelt ansieht. Ihre Allgemeingültigkeit setzt die Zustimmung der moralischen Subjekte voraus, und doch bleibt der Anspruch auf Allgemeingültigkeit bestehen. Bei aller Relativierung durch die subjektive Erkenntnis betont diese Position den objektiven Aspekt der Moral, die Objektivität ihrer fundamentalen Annahmen. Beide Aspekte sind in ihr gleichberechtigt vereint 1 7 3 . Eine zweite Schwierigkeit teilt der vorgeschlagene Weg mit jeder Beschäftigung mit ethischer Theorie: Man stimmt über die grundlegenden ethischen Aussagen überein, ist sich über ihre Konkretion jedoch keineswegs einig. In den Details scheint diese strukturelle Moral zu versagen. Dort bleibt es der Entscheidung des Moralsubjekts überlassen zu beurteilen, wie diese allgemeinen Aussagen über die Natur des Menschen und demzufolge über die Moral des Menschen in konkretes Handeln angesichts konkreter Umstände übersetzt werden soll 1 7 4 . Einverständnis über das moralische Prinzip „Man soll nie einen Akt der Grausamkeit begehen" ist sehr leicht zu erzielen. Einem solchen Prinzip könnten wohl alle Menschen zustimmen. Dennoch gibt es beträchtliche Differenzen in dem Verhalten von Menschen, auf das dieses Prinzip bezogen werden kann. Häufig beschuldigt einer den anderen der Grausamkeit, und der Beschuldigte ist sich dessen nicht bewußt, grau1 7 2 Vgl. H . Oppenheimer, Ought and Is, 17-19. Nach diesem Muster verfährt Wilhelm Kamiah in seinem Buch Philosophische Anthropologie. Sprachliche Grundlegung und Ethik, Mannheim/Wien/Zürich 1973, 93-102 uö. 1 7 3 Vgl. A. Jeffner, Die Rechtfertigung ethischer Urteile, 234-248. 1 7 4 Hier entsteht die Frage nach der Bedeutung des Kontextes der ethischen Entscheidung, die in der Situationsethik Joseph Fletchers zum zentralen Thema wurde. Vgl. unten Abschnitt
6.1.
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sam gehandelt zu haben. Er belegt sein Verhalten einfach nicht mit der Bezeichnung „grausam". Er würde es nicht als adäquate Wiedergabe seines Entscheidungsprozesses gelten lassen, wenn man sagte, ein anderes Prinzip, etwa das staatspolitischer Notwendigkeit, sei wichtiger als das Prinzip der Nichtgrausamkeit, und daher sei das letztere im vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Nein, er sagt: „Man soll nichts Grausames tun. Aber was ich tue, ist nicht grausam." 1 7 5 Das Problem, um das es hier geht und das an dieser Stelle nicht erschöpfend behandelt werden kann, ist das der Beziehung zwischen allgemeinen moralischen Prinzipien und speziellen, definitiven Handlungsanweisungen und Verhaltensregeln. Je allgemeiner das Prinzip ist, desto unbestimmter ist die Frage der Realisation zu beantworten. Ein Vorgang der Entscheidungsfindung ist zwischen Prinzip und Konkretion geschaltet, in dem die Entscheidung des Moralsubjekts eine wichtige Rolle spielt. Das heißt freilich nicht, daß an dieser Stelle, bei der Beziehung zwischen moralischer Maxime und konkretem Urteil oder konkreter Handlung, sich Raum zu völliger Beliebigkeit öffnen würde. Dagegen läßt sich wieder ein schlüssiger Einwand von der Ebene der Phänomenologie der Moral her geltend machen: Man schließt vom tatsächlichen Verhalten eines Menschen auf seine moralischen Uberzeugungen zurück. Obgleich dieser Rückschluß nicht mit letzter Eindeutigkeit geführt werden kann, nimmt man doch an, daß er bis zu einem gewissen Grad valide ist. Von jemand, der mutwillig wehrlose Kinder quält, erwartet man nicht, daß er zugleich moralische Grundsätze eines hohen Standards vertritt. Würde er sie dennoch äußern, würde man ihn zumindest der Inkonsistenz zwischen verbalem und aktualem Verhalten zeihen. Sein Verhalten würde wahrscheinlich als Widerlegung der von ihm geäußerten Grundsätze gelten. 5. Die grundlegenden Uberzeugungen und die Sicht der Welt. Arbitrarität moralischer Entscheidungen war das eine Extrem, naturalistische Erklärung der Moral das andere. Dazwischen gibt es jenen Spielraum, der den Formen einer dritten Position offensteht. Betrachtet man den Diskurs, in dem Menschen über moralische Dinge sprechen, so wird diese Ansicht bestätigt, und man erhält zusätzlichen Aufschluß. Selten verläuft dieser Diskurs so, daß als letzte Begründung der Satz „Weil ich dies will" steht. Nicht immer verläuft er so, daß der Hinweis auf Fakten, „Weil dies so und so ist, weil du diese Tatsache übersehen hast", das letzte Wort darstellt. Häufig wird die Meinungsdifferenz, wenn nach Gründen gefragt wird, mit dem Satz enden: „Ich bin der Meinung, daß . . .", und dann folgt die möglichst konsistente Darlegung eines Gesamtbildes dessen, was im jeweiligen Zusammenhang als relevant angesehen wird. 1 7 5 Vgl. zu diesem Beispiel Ian Crombie, Moral Principles, in I. T. Ramsey, Hg., Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 234-261, 249.
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Moralische Urteile, so wird man also sagen müssen, sind von den Wünschen der Urteilenden abhängig, die ihrerseits durch den Apparat der grundlegenden Uberzeugungen des Urteilenden gesteuert werden 1 7 6 . Die Gesamtheit aller grundlegenden Uberzeugungen, die jemand besitzt, stellt seine Sicht der Welt dar. Der deutsche Begriff der Weltanschauung umfaßt sicher mehr als dies, da er dazu verwendet wird, den ideologischen Charakter dieser spezifischen Sichtweise der Welt zu betonen. U m nicht zu weit abzuschweifen, muß die Diskussion dieses Elements hier ausgeklammert werden. Doch es bleibt wichtig festzuhalten, daß es ein solches mehr oder minder explizit formuliertes Gesamtsystem der Uberzeugungen, eine Gesamtansicht der Welt, gibt. Auf sie sind die einzelnen Entscheidungen ebenso bezogen, wie die grundlegenden moralischen Überzeugungen in sie eingebettet sind 1 7 7 . Wie die allgemeinen Theorien in den Wissenschaften als Bezugsschema für Einzelhypothesen dienen, ist es die Funktion eines solchen Uberzeugungsganzen, den partikularen Sichtweisen von Ausschnitten der Welt und den einzelnen Entscheidungen in bestimmten moralischen Fragen ihre Integrität und Einheit zu geben 1 7 8 . Das von Phillips und Mounce angeführte Beispiel differierender moralischer Aussagen erweist eben die Tatsache, daß die Wünsche der Urteilenden von ihren Uberzeugungen abhängig sind und nicht umgekehrt die Überzeugungen von den Wünschen: Eine römisch-katholische Mutter und ein szientistischer Rationalist sind unterschiedlicher Meinung über Empfängnisverhütung. Der Wissenschaftler betont die Nachteile, die es mit sich bringt, wenn jemand viele Kinder hat. Das Geld ist knapp, es können nicht allen Kindern optimale Ausbildungsmöglichkeiten angeboten werden, die Eltern haben zuviel Arger, die Mutter muß ihren Beruf aufgeben. Deshalb tritt er für die Anwendung empfängnisverhütender Mittel ein. Die Mutter hingegen ist der Überzeugung, daß es eine Ehre sei, viele Kinder zur Welt zu bringen, daß man Kindern allererst Gutes erweisen kann, wenn man ihnen das Leben ermöglicht hat, daß es Gottes Wille für sie ist, Kinder zu haben. Deshalb lehnt sie die Empfängnisverhütung ab 1 7 9 . Nicht die Wünsche der Streitenden bestimmen in diesem Beispiel ihre Überzeugungen, vielmehr werden die Wünsche durch die Überzeugenden selektiert 180 . In welcher Weise diese Überzeugungen als faktisch gelten können, ist eine offene Frage. Sicher gibt es Menschen, die der Meinung sind, ihre grundle1 7 6 D . Z. Phillips u. H . O . Mounce, O n Morality's Having a Point, 230 f, 235-239; vgl. M. F. Cohen, Knowledge and Moral Belief, 178-182. 1 7 7 Vgl. Burkhart Holzner, Observer and Agent in the Social Process, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 5 1 , 1 9 6 5 , 2 6 5 - 2 9 0 , 2 8 7 f . 1 7 8 Vgl. J. B. Schneewind, Moral Knowledge and Moral Principles, 257; D . Evans, D o e s Religious Faith Conflict with Moral Freedom?, 375-380. 1 7 9 Vgl. D . Z. Phillips u. H . O . Mounce, O n Morality's Having a Point, 238 f. leo Vgl. w D . H u d s o n , Fact and Moral Value, 136-138; W. D . Hudson, Modern Moral Philosophy, 305 f.
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genden Überzeugungen seien faktische Annahmen über den Menschen, sie stellten (als Tatsachen) fest, wie der Mensch sei und welche Bedürfnisse er demzufolge habe. Welche Relevanz hat es für die Philosophie zu wissen, daß einige Menschen ihren Uberzeugungen Tatsachenwert zusprechen 1 8 1 ? Kann nicht nachgewiesen werden, daß solche Uberzeugungen über das Wesen des Menschen nicht rein faktische Annahmen sind, sondern selbst durchaus evaluativ? Wäre also nicht auch hier die These zu bezweifeln, es sei möglich, ein Sollen von einem Sein abzuleiten 1 8 2 ? Unabhängig davon, wie diese Fragen beantwortet werden, ist anzuerkennen, daß alles Gewicht in dem genannten Beispiel auf der differierenden Überzeugung über die Fakten der Welt und nicht etwa auf einer Differenz in der Moral liegt. Beide Beteiligten sehen den Unterschied in ihren Annahmen über die Fakten der Welt. Eine Entscheidung ihres Streites, wenn sie sie überhaupt erwarten, erwarten sie von der Entscheidung dieser Differenz, nicht von einer eingehenden Untersuchung über die Natur der Moral 1 8 3 . Ergebnis dieser Argumentation ist, daß es einen Zusammenhang zwischen Überzeugungen eines Menschen oder einer Gruppe und seiner oder ihrer Moral gibt. Die Ebene der Überzeugungen ist zugleich die Ebene der letzten erreichbaren Begründung oder Rechtfertigung der ethischen Urteile. Dort, im Bereich der grundlegenden Überzeugungen über den Menschen und die Welt, liegen die Grundlagen der Moral 1 8 4 . Wird dieser Zusammenhang nicht rigide im Sinn eines logischen Ableitungsverhältnisses verstanden 1 8 5 , dann läßt sich dem Einwand sehr leicht begegnen, der sich hier erhebt. Bestritten wird, daß man zu Recht von einem Zusammenhang sprechen könne. Es wird eingewandt, dasselbe moralische Urteil ( „ D u sollst nicht stehlen" z.B.) sei mit durchaus unterschiedlichen Ansichten über die menschliche Natur vereinbar. Andererseits könnten mit ein und derselben Ansicht über den Menschen völlig unterschiedliche moralische Folgerungen einhergehen. Es sei also nicht möglich, eine nicht-kontingente, logische Verbindung zwischen den Anschauungen über den Menschen und der Moral anzunehmen 1 8 6 . Der Einwand trifft nicht, wenn die logische Beziehung, gegen die er sich richtet, gar nicht behauptet wird. Die moralischen Anschauungen, die jemand vertritt, können vielfältig sein. Seine Ansichten über den Menschen brauchen nicht völlig gleich gewichtet und leicht systematisierbar zu sein. Dennoch können beide Anschauungen einander zugeordnet sein. Die Anthropologie kann den Hintergrund der Ethik
lei Vgl. p a u ] Helm, Fact and Moral Value. A Comment on Dr. Hudson's Paper, Religious Studies 5 , 1 9 6 9 , 1 4 0 - 1 4 4 , 1 4 2 . 1 8 2 V g l . a a O . 144. 1 8 3 Vgl. Helen Oppenheimer, The Character of Christian Morality, 38. 1 8 4 W. D . H u d s o n , Fact and Moral Value, 138f. 1 8 5 Ebd. 1 8 6 P. Helm, Fact and Moral Value, 143.
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bilden, und eine fragmentarische Anthropologie kann den Hintergrund einer fragmentarischen Ethik abgeben. Grundbedürfnisse des Menschen sind kaum als allgemein und ohne Ausnahme gültig zu erweisen. Der Wert einer minimalen strukturellen Konzeption der Ethik, die man aus der Konstitution des Menschen ableiten könnte, bleibt fraglich. Die Schwierigkeit, Grundsätze und reales Verhalten miteinander zu verbinden, besteht. Vielleicht ist es unmöglich, mehr als nur Fragmente der Ethik und der Anthropologie zu entdecken und einander zuzuordnen. Dennoch - und dies kann als das Ergebnis der skizzierten Diskussionsgänge gelten - lohnt es sich, nach der Verbindung zwischen den Uberzeugungen, die jemand oder eine Gruppe in bezug auf den Menschen hat, und den moralischen Urteilen zu suchen. Es ist nicht möglich, moralische Aussagen von Tatsachenaussagen abzuleiten. Doch es geschieht regelmäßig, daß Tatsachenaussagen verwendet werden, um moralische Aussagen zu stützen 1 8 7 . Daß dies möglich ist, hängt daran, daß beide Ebenen dort, wo die Überzeugungen des Menschen über die Welt formuliert werden, miteinander in Beziehung stehen 1 8 8 . In dem doppeldeutigen Charakter dieser Überzeugungen ist die Ambiguität bewahrt, die die Moral kennzeichnet: Man erhebt den Anspruch auf Objektivität moralischer Aussagen, man reklamiert die Vorstellung des Wissens für die Moral, und man tut sich auf der anderen Seite schwer, die Bedingungen dieses Anspruchs anzugeben und die objektiven Elemente zu benennen. In dem Begriff der Überzeugung oder des Überzeugungsganzen ist genau diese Ambiguität wiederzufinden. Sie gehört zur Moral, wie sie zu menschlicher Erfassung der Wirklichkeit gehört 1 8 9 . Vgl. K . Nielsen, Ethics Without G o d , 31. Eine sehr gründliche Darstellung der Beziehung zwischen Tatsachenüberzeugungen und praktischen Einstellungen gibt Stephan Körner in seinem Aufsatz O n the Coherence of Factual Beliefs and Practical Attitudes (American Philosophical Quarterly 9 , 1 9 7 2 , 1 - 1 7 ) . Er kommt zu dem Ergebnis, daß unbestreitbar mehrere Systeme von Tatsachenüberzeugungen nebeneinander bestehen. Alle sind sie in sich konsistent. Sie unterscheiden sich jedoch in ihrem spezifischen Inhalt oder in den spezifischen Prinzipien ihrer Kohärenz. Körner geht also - ähnliche Positionen wurden in 3.3. anhand des Streites um den Relativismus diskutiert - von der Vielfalt der Überzeugungen aus, sieht aber keinen Anlaß, ihre Konsistenz zu bestreiten, solange sich Prinzipien der Kohärenz erheben oder entwickeln lassen. Den Theorien, die von der Vielfalt ausgehend die Konsistenz bestreiten, wirft Körner „transzendentale" oder „dialektische" Illusion vor. Zu einer absoluten faktischen Realität und zu einem absoluten, für alle gültigen moralischen Ideal kann man nicht gelangen. Dennoch bleiben zwei alternative metaphysische Positionen möglich: die Korrespondenztheorie, der zufolge ein einziges System von Überzeugungen faktischer Art einer absoluten faktischen Realität und ein einziges System praktischer Einstellungen einem absoluten moralischen Ideal korrespondiert, oder die perspektivische Theorie, der zufolge jedes kohärente System faktischer Überzeugungen eine Perspektive der absoluten faktischen Realität und jedes kohärente System praktischer Einstellungen eine Perspektive des absoluten moralischen Ideals repräsentiert. Zwischen beiden Alternativen entscheidet man sich aus Gründen, die der bloßen Analyse der Konzepte nicht zugänglich sind (151 f). 187
188
1 8 9 Vgl. M. F . Cohen, Knowledge and Moral Belief, 187f; William B. Williamson, O n the Relations Between Morals and Religion, Journal of Religious Thought 27,1970, 5 - 1 7 , 1 6 .
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3.7. Die Konzeption
der Metaethik und die theologische
Ethik
Die Metaethik als eine Theorie, die das Modell einer gültigen Rechtfertigung ethischer Normen und Urteile im ethischen Diskurs beschreiben soll, war notwendig geworden angesichts der Erfahrung, daß die Voraussetzungen der Rationalität und Verbindlichkeit im ethischen Diskurs fraglich geworden waren. Ohne diese Voraussetzungen kann der ethische Diskurs nicht funktionieren. Daher soll die Metaethik den Rahmen dieses Diskurses allererst sichern und begründen. Dazu ist es nicht ausreichend, ethische Systeme bloß zu beschreiben mit dem Ziel, sie zu ordnen und aus diesem Uberblick Kriterien für die Konstituierung einer Theorie der gültigen Rechtfertigung ethischer Urteile zu gewinnen 190 . Auf diesem Weg läßt sich zwar ein Alternativenkatalog erstellen, der als Orientierungshilfe zu dienen vermag, aber die Frage bleibt offen, woher die Kriterien zur Entscheidung zwischen den Alternativen kommen und ob diese Entscheidung selbst begründet und begründbar ist. Es ist auch nicht ausreichend zu versuchen, durch den Regreß auf eine jeweils weitere Metaebene zu einem letzten, unhinterfragbaren Prinzip aller Ethik zu gelangen 191 . Dieser Versuch mißrät entweder zu einem infiniten Regreß und erreicht somit keine Begründung der Ethik, oder er wird an einer Stelle abgebrochen und setzt sich dem bereits diskutierten Vorwurf der Arbitrarität aus 192 . 1. Metaethik zwischen Subjektivismus und Objektivismus. Metaethik muß daher anders vorgehen. Sie muß sich darauf beschränken, auf das immer schon vorhandene Einverständnis über den Ausgangspunkt und die Grundlagen des ethischen Diskurses zu reflektieren. Dazu muß sie zunächst klären, welche unterschiedlichen Begründungsmöglichkeiten es gibt und wie sie sich zueinander verhalten. Dann muß sie die Frage beantworten, in welchem Rahmen sich das zugrundeliegende Einverständnis beschreiben läßt. Sie muß angeben, ob es als allgemein akzeptiert gilt oder als kultur- oder gar bloß gruppenspezifisch. Diese Fragen zu erörtern heißt, sich auf das Gespräch mit bisher vertretenen metaethischen Auffassungen einzulassen und nach einer adäquaten metaethischen Konzeption zu suchen. Dies zu tun war die Aufgabe der vorangehenden Abschnitte. Sie sollten, indem sie Elemente des moralischen Diskurses und des in ihm vorausgesetzten Einverständnisses be-
1 9 0 Diese Verfahrensweise liegt vielen Werken der analytischen Ethiker zugrunde. Vgl. etwa R. B. Brandt, Ethical T h e o r y ; W . Κ. Frankena, Analytische Ethik. 1 9 1 Solche Versuche liegen bei H . Albert (Ethik und Meta-Ethik) und H . Lenk (Der ,Ordinary Language Approach' und die Neutralitätsthese der Metaethik) vor. Sie sind von ihnen jedoch aufgrund der Schwierigkeiten dieses Regreßverfahrens abgebrochen worden. Vgl. bes. H . Albert, aaO. 5 5 - 6 3 . 1 9 2 Vgl. oben Abschnitt 3.2.
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schreiben, den fraglich gewordenen Kommunikationsrahmen dieses Diskurses konstituieren 1 9 3 . N u n ist ein solches Programm sehr umfassend, und die wenigen vorgetragenen Überlegungen können kaum dessen vollständige Bewältigung darstellen. Dennoch können sie einen entscheidenden Beitrag leisten: Sie haben gezeigt, in welche Schwierigkeiten die Frage führt, was als adäquate Grundlage der Moral zu gelten habe. Sie haben die Möglichkeiten geprüft, diese Frage zu beantworten, und sie haben eine dieser Antwortmöglichkeiten durch Argumente zu stützen versucht. Das Ergebnis, das am Ende steht, ist nicht unbestritten. Häufig argumentieren gerade Christen, daß sie sich mit einer solchen Ansicht der Moral nicht zufriedengeben können. In Auseinandersetzungen mit derselben philosophischen Tradition, der analytischen Ethik, gelangt Keith Ward zu beinahe entgegengesetzten Ergebnissen. Moral ist für ihn objektiv in dem Sinn, daß es ein Objekt der Moral gibt, die moralischen Fakten, die einen absoluten Anspruch an den Menschen stellen. Die moralischen Fakten sind, so sagt er, zumindest teilweise erkennbar. Man kann aus dem, was der Mensch als absolut verpflichtend erfährt 1 9 4 , in Verbindung mit der Überlegung, was dem Menschen zu tun möglich ist, erkennen, was als moralisch geboten gilt. Der objektive Charakter der Moral ermöglicht und erfordert bestimmte Aussagen metaphysischer Art. Wards Argument verläuft folgendermaßen: Die moralischen Verpflichtungen verbinden die empirisch vorfindbare mit einer zukünftigen Welt. Mit beiden Welten sind sie durch die Bedingung der Möglichkeit verbunden: mit der empirischen Welt, sofern in ihr ein Handeln gemäß den moralischen Verpflichtungen möglich sein muß; mit der künftigen Welt, sofern es möglich sein muß, sie - nicht ausschließlich, aber auch durch die Erfüllung der moralischen Verpflichtung zu erreichen. In beiderlei Hinsicht stellt das Objekt der Moral die causa efficiens dar, die als notwendige Bedingung menschlichen Lebens zugleich diejenigen menschlichen Möglichkeiten konstituiert, deren Realisierung sie verlangt. Grund und Inbegriff all dieser Möglichkeiten ist ein notwendiges und notwendig unendliches Wesen: Ward gelangt also von der phänomenologisch beschreibbaren Voraussetzung der Objektivität im moralischen Diskurs über die Annahme eines Objekts der Moral oder eines Bereichs objektiver Forderungen zu einer Form metaphysischer Teleologie mit metaphysisch-ontologischen Konse-
1 9 3 Diese Überlegungen gehen in ihrem Kern auf die Diskussion in einer Sitzung des D o k t o randenkolloquiums von Prof.Dr. Gerhard Sauter und Prof.Dr. Eckhard Lessing im Wintersemester 1972/73 an der Universität Mainz zurück. 194 ¡ς Wards Position ist unbestreitbar intuitionistisch. Vgl. oben Abschnitt 2.1. und die Diskussion um Wards Thesen in Abschnitt 5.1. 1 9 5 Vgl. K. Ward, Ethics and Christianity, Kap. III und IV.
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quenzen 195 . Er vollzieht damit dieselbe Gedankenbewegung, wie sie Kants moralischem Gottesbeweis zugrundeliegt 196 . Diese hier nur in ihren Grundlinien skizzierte Darstellung der Moral würde die in der Diskussion der vorangehenden Kapitel erarbeitete Ansicht für zu subjektiv-relativistisch erklären. Im Gegensatz dazu betont Ward, daß die christliche Ethik notwendig die Objektivität der Moral behaupten und somit seiner Darstellung folgen muß 197 . Beide Einwände sind allerdings nicht zwingend. Ihnen kann entgegnet werden, was oben, schon als Argument für den vorgeschlagenen Mittelweg zwischen Subjektivismus und Objektivismus verwendet wurde: daß es nämlich durchaus eine Darstellung der Moral gibt, die subjektivistische Konsequenzen vermeidet und damit dem moralischen Sprachgebrauch Rechnung trägt, ohne daß sie zusätzliche ontologische Annahmen einführt. Falls, und wie ich meine: da es möglich ist, auf diesem Weg eine Grundlegung der Moral zu finden, ist es nicht nötig, den Umweg über die Ontologie zu gehen. Ich gehe davon aus, daß auf der Basis der Überlegungen dieser Abschnitte eine Metaethik der Mitte zwischen Subjektivismus und Objektivismus vertreten werden kann. 2.,Ausblick. Die andere Frage, ob diese Art der Metaethik mit der theologischen Ethik in Einklang zu bringen ist und welche Konsequenzen sie dafür hat, ist noch offen. Ich möchte sie nicht durch weitere abstrakte und zugleich komprimierte Erörterungen zu beantworten versuchen. Dieser Frage soll der Rest der Arbeit gewidmet werden. Dazu wird das Einverständnis, das unter Christen über die christliche Ethik besteht, Ausgangspunkt und zugleich Zielpunkt der Erörterung sein. Denn indem das vorausgesetzte Einverständnis und damit eine sozial und institutionell verankerte Größe und nicht eine ontologische beschrieben wird, soll ja der fraglich gewordene Rahmen der christlichen Ethik gesichert werden. Dies zu tun gilt im früher beschriebenen Sinn als Begründung christlicher Ethik 198 . Man wird einräumen müssen, daß diese Aufgabe mit einer Reihe von methodischen Schwierigkeiten belastet ist. Eine umfassende Beschreibung des Kommunikationsrahmens ist wohl allein deswegen nicht zu leisten, weil diese Arbeit uferlos wäre. Zudem ist nicht klar, was der genaue Gegenstand einer solchen Tätigkeit wäre. Worauf sollte sich die Beschreibung des theologisch-ethischen Diskurses richten? Was wäre die zugrundeliegende „ordinary language" 199 ? Wären es die ethischen Vorschriften im Neuen Testa-
1 9 6 Die Affinität Wards zu I. Kant erweist sich sehr deutlich in seiner Kantinterpretation, The Development of Kant's View of Ethics, O x f o r d 1972. 1 9 7 K. Ward, Ethics and Christianity, 38 uö. 1 9 8 S. oben Abschnitt 1.1. 1 9 9 Im Rahmen der strukturalistischen Beschäftigung mit der Moral wurde diese Frage erörtert. Günther Schiwy faßt als Ergebnis zusammen, daß nicht das ganze Corpus der ethi-
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ment 2 0 0 , wären es Predigten oder Akademiediskussionen, wären es Alltagsunterhaltungen oder von Fachtheologen verfaßte Aufsätze oder Denkschriften? Diese Fragen zu beantworten wäre die Voraussetzung einer solchen Analyse 2 0 1 . Es dürfte zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehr schwierig sein, das Corpus der relevanten ethischen Argumentationsmuster der Christen aufzuhellen, abzugrenzen und dessen Analyse vorzunehmen. Dieser Schwierigkeit wegen ist es notwendig, den Rahmen der Untersuchung zu begrenzen. Man wird auf das aufbauen müssen, was als Ergebnis der metaethischen Diskussion der letzten Jahrzehnte gilt. Im vorliegenden dritten Teil dieser Arbeit wurde es zusammenzufassen versucht. Von da aus muß man fragen, wie eine Metaethik der Ethik von Christen aussieht. Man wird sich auf Aspekte dessen beschränken müssen, was Christen tun, wenn sie ethische Sätze äußern. Einer der Aspekte, ein zentraler Aspekt, ist die Frage nach dem Ort bzw. der Funktion theologischer Sätze im ethischen Diskurs derjenigen, die in ihrer Kommunikation religiöse Symbole zur Begründung oder Illustration ihres moralischen Urteilens und Handelns verwenden. Zentral ist dieser Aspekt deshalb, weil sich daran die spezifische Differenz der theologischen Ethik zur Ethik überhaupt aufzeigen läßt. Denn die Annahme ist sicher nicht unberechtigt, daß sich christliche oder theologische Ethik im Gesamtsystem der Ethiken dadurch auszeichnet, daß religiöse oder theologische Sätze an irgendeiner Stelle im Begründungsgang der Ethik oder in ihrer Explikation auftreten. Diese Stelle zu bezeichnen und die spezifische Funktion der religiösen und theologischen Sätze zu erheben ist Aufgabe der nächsten beiden Teile der Arbeit.
sehen Sätze als Grundlage einer strukturalistischen Analyse erfordert ist, sondern eine repräsentative Auswahl genüge; Sittliche Normierungen im Strukturalismus, 160. 2 0 0 D a z u gibt es Darstellungen spezieller Art. Vgl. Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des N e u e n Testaments. Eine Einführung, Göttingen 1970; Rudolf Schnackenburg, Christliche Existenz nach dem Neuen Testament, 2 Bde., München 1971 u. a. 2 0 1 D o c h auch für die Begründung theologisch-ethischer Aussagen ist es erwägenswert, ob nicht in der Aufstellung einer „generativen Theorie der theologischen Sprache, die die Entstehung christlichen Redens zu erklären versucht" (G. Sauter, Die Begründung theologischer Aussagen - wissenschaftstheoretisch gesehen, 275), die Alternative zu einer vom vorhandenen Material ausgehenden Beschreibung der ordinary language der theologischen Ethik besteht (vgl. aaO. 274 f).
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TEIL
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Moral und Religion Bisher wurde die analytische Ethik in einem historisch orientierten Abriß dargestellt (Teil 2). Einige grundlegende Entscheidungen wurden diskutiert (Teil 3). Damit wurden erste Schritte auf dem Weg von der analytischen Ethik zur theologischen Ethik getan, doch der Fortschritt ist noch nicht allzu groß. Die Zielangabe der weiteren Untersuchung, wie sie am Ende des letzten Abschnitts gegeben wurde, legt den nächsten Schritt der Untersuchung bereits fest. Es soll um die Funktion religiöser oder theologischer Sätze für die Ethik von Christen gehen. So neu diese Fragestellung in ihrer Formulierung sein mag, so alt ist sie ihrem Wesen nach. Das Neue ihrer Formulierung liegt in der Sprachbezogenheit. Religiöse Sätze sollen auf die Rolle hin untersucht werden, die sie für die Moral derjenigen spielen, die sie äußern. Traditionell ist jedoch das Anliegen dieses Unternehmens, die beiden Bereiche der Moral und der Religion zu kontrastieren und die Beziehungen zwischen ihnen zu erfassen. Seitdem es Religionen gab, denen ethische Implikationen zugeschrieben wurden, ist das Phänomen vorhanden, das der Untersuchung zugrunde liegt. U n d spätestens seit Sokrates gibt es die philosophische Frage nach dem Verhältnis beider Bereiche, der Religion und der Moral. Denn Sokrates fragt im Gespräch mit Euthyphron, „ob wohl das Fromme, weil es fromm ist, von den Göttern geliebt wird, oder ob es, weil es geliebt wird, fromm ist" 1 . Seither wurde diese Frage immer wieder gestellt. Die Antworten, die gegeben wurden, fielen unterschiedlich aus. Nicht alle diese Antworten sollen hier wiedergegeben oder gar untersucht werden. Die Darstellung wird sich dem in der Einleitung gesteckten Rahmen entsprechend auf diejenigen Positionen beschränken, die im Bereich analytischer Philosophie und von Philosophen und Theologen analytischer Provenienz vertreten wurden und werden. Sie wird sich in diesem Teil inhaltlich und methodisch weitgehend von der Arbeit der hier diskutierten Philosophen bestimmen lassen. Die Absicht dabei ist, die Konzepte der Moral und der Religion und ihre mögliche wechselseitige Abhängigkeit mit dem Handwerkszeug analytischer Philosophie eingehend zu untersuchen und damit einen Weg zu bereiten, die in Teil 3 erarbeitete offene Konzeption einer Metaethik auf die religiöse Ethik zu beziehen. 1 Piaton, Euthyphron, 10 a, in der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher; Piaton, Sämtliche Werke, Bd. 1, hg. W. F. Otto, E. Grassi, G . Plambeck, Reinbek 1957, 188.
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4.1. Klärung der B e g r i f f e Um diese Aufgabe zu erfüllen, ist es nützlich, zunächst die Begriffe zu klären, mit denen operiert wird. Ein gewisses Maß an Klarheit darüber, was unter „Moral" und „Religion" verstanden wird, muß gegeben sein, wenn von ihrer Beziehung gesprochen wird. Ob es dazu ausreichend ist zu sagen, Moral sei „mit der Beziehung zwischen Menschen" und Religion „mit der Beziehung der Menschen zu einer höheren Macht oder Idee" befaßt 2 , kann bezweifelt werden. Mit Sicherheit unzulänglich ist jedoch die einfache Annahme, es gebe so etwas wie Religion und Moral und jeder wisse selbst, was damit gemeint sei; davon könne man bei dem Versuch, die Beziehung zwischen beiden Bereichen zu klären, ausgehen3. Vielmehr wird man zunächst hinreichende Klarheit über beide Bereiche gewinnen müssen, bevor man darangehen kann, ihre Beziehung zu klären. Solche Klarheit könnte durch die Definition der Begriffe Moral und Religion erreicht werden oder durch die Aufschlüsselung der Vorstellungen, die mit beiden Begriffen verbunden sind. Definition ist hier in einem anderen Zusammenhang und mit einer anderen Intention gefordert als in den einleitenden Abschnitten. Dort war die Frage der Definition der Moral einer der entscheidenden Streitpunkte, als es um die Neutralitätsthese der Metaethik ging. Die einen wollten von irgendeiner Instanz her definieren, was Moral ist, und sei es vom alltäglichen Gebrauch des Wortes „moralisch" her, die anderen betrachten dies bereits als Festlegung zugunsten eines bestimmten Konzeptes der Moral, zugunsten einer normativen Ethik und damit als Verletzung der Neutralität der Metaethik 4 . Nur in diesem Zusammenhang der Auseinandersetzung um die Neutralitätsthese ist dieser Streit von Bedeutung. Nur dann, wenn eine moralisch neutrale Wissenschaft von der Moral begründet werden soll, ist Zurückhaltung gegenüber einer Definition der Moral angebracht und wichtig. Hier geht es jedoch nicht mehr um die Konstruktion einer voraussetzungslosen Wissenschaft von der Moral. Jetzt steht die Frage im Zentrum, in welcher Beziehung Moral und Religion zueinander stehen. Um darauf eine Antwort zu geben, ist es unerheblich, ob die Neutralität einer der Wissenschaften, die sich mit beiden Bereichen befassen, verletzt ist oder nicht. Eine Klärung der beiden Begriffe Moral und Religion kann hier allerdings keine Definition im strengen Sinn des Wortes sein. Denn die Vielfalt menschlicher Betätigung in beiden Bereichen entzieht sich einer strengen Festlegung. Es gibt zu viele unterschiedliche Ethiken und moralische Verhaltens2 J o h n Milton Yinger, The Scientific Study of Religion, New Y o r k 1970, 51. Zum ersten Teil der Annahme vgl. auch P. H. Nowell-Smith, Religion and Morality, in P. Edwards, Hg., Encyclopedia of Philosophy, Vol. 8, 1 5 0 - 1 5 8 , 150 f. 3 Derart undifferenziert beginnt William Warren Bartley, Morality and Religion, London/ Basingstoke 1971, 1. 4 Vgl. Abschnitt 1.2.
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weisen, als daß sie alle unter eine Definition zu bringen wären, die dann überhaupt noch etwas definieren würde. Es gibt zu viele unterschiedliche Religionen und Ansichten über die Religion, als daß sie eng genug definiert werden könnten 5 . Daher beschäftige ich mich in diesem Abschnitt damit, eine Arbeitsdefinition der beiden Konzepte zu geben. Sie vereint Elemente beider Wege, der Definition und des Versuchs, die mit den Begriffen verbundene Vorstellung aufzuschlüsseln. Sie weist auf charakteristische und wesentliche Züge beider Bereiche hin. Ihr Zweck ist es, beide Bereiche soweit zu umschreiben, daß sie auseinandergehalten werden können. Um diesen Zweck zu erfüllen, ist es nicht nötig, allen Kriterien einer strengen Definition zu genügen. Es wird sogar erlaubt sein, manche philosophischen Distinktionen für den Augenblick zurückzustellen, um zu einem operablen Konzept von Moral bzw. Religion zu kommen 6 . 1. Moral. Versuche, in der beschriebenen Weise Moral zu definieren, sind sehr zahlreich. Sie werden von Philosophen, Anthropologen und Sozialwissenschaftlern vorgetragen. Einige von ihnen sollen diskutiert werden. Bezüge zu bisher vorgetragenen Ergebnissen analytischer Moralphilosophie werden sich leicht erkennen lassen. Denn zum Teil werden Ergebnisse der bisherigen Untersuchung aufgenommen, zum Teil werden sie durch Annahmen und Ergebnisse soziologischer Arbeit ergänzt. Moral hat es mit dem Handeln und Verhalten von Menschen zu tun, genauer: sie dient der Handlungsleitung. Dazu errichtet sie Institutionen, und sei es nur die Institution gegenseitiger Verhaltenserwartungen. In dieser Hinsicht ist sie dem Recht und der Etikette zu vergleichen. Wie diese Institutionen umfaßt sie Regeln, Prinzipien, Urteile, Imperative, Ratschläge, mit einem Wort: Präskriptionen. Von beiden unterscheidet sie sich dadurch, daß ihre Ziele und Forderungen als denen anderer Institutionen überlegen gelten. Wo moralische Gründe und rechtliche Überlegungen oder Forderungen der Etikette in Konflikt stehen, wird der Moral Priorität zugeschrieben. Dies ist Ausdruck ihrer besonderen Autorität. Daneben ist die Moral autonom in dem Sinn, daß sie durch moralische Gründe allein gerechtfertigt werden kann. Beides, die Autonomie und die Priorität der Moral gründen in ihrer Legitimität. Nur weil Moral legitimierbar ist und weil sie in der ihr eigenen Weise legitimierbar ist, besitzt sie Überlegenheit über andere handlungsleitende Institutionen. Zu der ihr eigenen Weise der Legitimation gehören Züge, die sie mit anderen Aktivitäten des Menschen gemeinsam hat, und spezifische Züge der moralischen Legitimation. Legitimität wird im allgemeinen unter Menschen dadurch gesichert, daß es ein akzeptiertes Ver5 Vgl. dazu auch Ninian Smart, Bliss and Morality, Proceedings of the Aristotelian Society 58, 1 9 5 7 / 5 8 , wieder abgedr. in I. T . Ramsey, Hg., Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 1 5 - 3 0 , 1 6 f. 6 In ähnlicher Weise argumentiert John H . Barnsley für Definitionen zum Zweck der soziologischen Analyse; The Social Reality of Ethics, 41.
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fahren der Rechtfertigung gibt. Ein Anspruch muß sich intersubjektiv als gültig erweisen lassen. Es muß möglich sein, einen Diskurs mit dem Ziel zu führen, Einverständnis unter den Diskursteilnehmern herzustellen. Soll dieser Diskurs möglich sein, dann sind einige Annahmen unerläßlich: Der Diskurs muß bedeutungsvoll sein, indem er linguistische und logische Regeln respektiert. Der Diskurs muß in einer Beziehung zur realen Welt stehen, die sich angeben läßt, das heißt, er muß Wahrheitsbedingungen kennen. Und der Diskurs setzt voraus, daß jeder der Teilnehmer sich und den anderen als Partner im Diskurs betrachtet und annimmt, daß jeder seine Meinung selbständig bilden kann. N u r unter dieser Voraussetzung ist es sinnvoll, einen Diskurs über moralische Fragen zu führen, in dem Gründe angeboten werden. Neben den Erfordernissen des Diskurses ist es zur gültigen Rechtfertigung moralischer Aussagen notwendig, daß sie der Bedingung der Generalisierbarkeit genügen. Die Bezeichnung Generalisierbarkeit wird hier verwandt, um den Unterschied zu dem Konzept der Universalisierbarkeit zu betonen, von dem Anthropologen behaupten, es sei eine spezifische Eigenart der westlichen Moral. Während die Vorstellung der Universalisierbarkeit impliziert, daß eine Vorschrift sich auf alle Menschen in allen Orten zu jeder Zeit bezieht, bescheidet sich das Konzept der Generalisierbarkeit damit zu betonen, daß moralische Urteile nicht auf die Person des Urteilenden selbst beschränkt sind, sondern für ähnliche Menschen in ähnlichen Situationen gelten 7 . Das Spezifikum moralischer Handlungsleitung muß jedoch in einem weiteren Zug der Moral gesehen werden: in ihrem Bezogensein auf andere. Im Rahmen des gegenwärtigen Versuchs, eine möglichst breite Definition der Moral vorzulegen, ist dieses Bezogensein auf andere in zweierlei Hinsicht zu explizieren: (a) Handlungen, für deren Steuerung die Moral verantwortlich ist, haben Auswirkungen auf das Wohlergehen anderer, (b) Moralische Urteile schließen Überlegungen ein, welche Auswirkungen die Handlungen eines Menschen auf das Wohlbefinden anderer haben. Daneben gehört die Sanktion als ein weiteres Element zur Moral als handlungsleitender Institution. Spezifische moralische Systeme stellen in der Regel Sanktionen für diejenigen bereit, die ihren Anforderungen nicht genügen. Zu diesen Sanktionen gehören Schuldgefühle und Gewissensbisse, aber auch Tadel durch andere und Verachtung 8 . Diese Aufzählung von Elementen einer Definition der Moral 9 stellt die Moral hinreichend allgemein dar, so daß verschiedene moralische StandVgl. die Diskussion um Universalisierung und Generalisierung, aaO. 34-36. Zum Begriff der Sanktion und ihrer Problematik vgl. aaO. 37—41. Barnsley bezweifelt, daß man vom Begriff der Sanktion her einen guten Zugang zur Moral gewinnt. 9 Dieser Überblick folgt im wesentlichen David Little und Sumner Β. Twiss Jr., Basic Terms in the Study of Religious Ethics, in G . Outka u. J. P. Reeder Jr., H g . , Religion and Morality, 45-59, die sich ihrerseits auf J . H . Barnsley, The Social Reality of Ethics, 41-48, stützen. 7
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punkte umschlossen werden. Sie erfüllt damit die Bedingungen einer Arbeitsdefinition in dem oben erläuterten Sinn, einer Definition, die vorläufige Eingrenzungen vornimmt und doch offen bleibt für notwendige Präzisierungen oder Korrekturen 1 0 . Zugleich weist diese Definition die Spezifika der Moral aus, so daß im folgenden dieser Ausschnitt menschlichen Lebens mit einem anderen, dem der Religion kontrastiert werden kann. 2. Religion. Zunächst soll in analoger Weise versucht werden, zu umschreiben, was als Religion gilt und welche Komponenten sich unterscheiden lassen. Die berechtigte Frage der theologischen Wertung der Religion bleibt dabei ausgeblendet. Ich konzentriere mich auf sozialwissenschaftliche Aspekte der funktionalen Beschreibung der Religion. Religion ist in dieser Hinsicht von der Moral unterschieden. Ein Mensch (oder eine Gruppe) fragt danach, wie er handeln soll, um gut zu handeln. Diese Frage umschreibt die Moral des Menschen (oder der Gruppe). Ein Mensch (oder eine Gruppe) sucht nach einem Sinn im Leben. Er fragt nach dem Gesamtzusammenhang der Welt. E r will die Komplexität der Welt reduzieren auf überschaubare Strukturen, die ihm die Welt als sinnvoll geordnetes Gebilde erscheinen lassen. Dazu bezieht er sich auf eine Größe jenseits der natürlichen Welt: auf Gott oder Götter oder das Absolute oder auf eine Ordnung oder einen Prozeß, die das diesseitige Beschreibbare transzendieren. Er will diesen Sinn, den er erfährt, bewahren auch in Situationen, die die sinnhafte Konstruktion seiner Wirklichkeit in Frage stellen. Diese Bedürfnisse des Menschen umschreiben den Bereich der Religion 11 . Religion, so nimmt die Soziologie an, Vgl. J . H . Barnsley, aaO. 47. Vgl. zB. Niklas Luhmann, Religion als System. Thesen, in K.-W. Dahm, N . Luhmann u. D. Stoodt, Religion - System und Sozialisation, Darmstadt/Neuwied 1972, 11-13, 11; Thomas Luckmann, Das Problem der Religion in der modernen Gesellschaft. Institution, Person und Weltanschauung, Freiburg 1963 ; Peter L. Berger, The Sacred Canopy. Elements of a Sociological Theory of Religion, Garden City 1967, dt. Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft. Elemente einer soziologischen Theorie, Frankfurt 1973. Die Diskussion der Religionssoziologie muß hier nicht im einzelnen verfolgt werden. Gute Zusammenfassungen bieten Wolfgang Marhold, Gesellschaftliche Funktionen der Religion, in W . - D . Marsch, Hg., Plädoyers in Sachen Religion. Christliche Religion zwischen Bestreitung und Verteidigung, Gütersloh 1973, 77-93 ; Karl-Wilhelm Dahm, Volker Drehsen u. Günther Kehrer, Das Jenseits der Gesellschaft. Religion im Prozeß sozialwissenschaftlicher Kritik, München 1975. Vgl. auch John Hick, God and the Universe od Faiths. Essays in the Philosophy of Religion, London/Basingstoke 1973, 133 uö.; J . Hick, Philosophy of Religion, Englewood Cliffs 1963, passim; Mircea Eliade, Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte, Salzburg 1954, 19 uö.; G. van der Leeuw, Phänomenologie der Religion, Tübingen 2. Aufl. 1956, 768-781. Der gegenüber dieser religionssoziologischen und religionsphänomenologischen Betrachtung andere Ansatz der Beurteilung der Religion, wie ihn etwa Karl Barth (Kirchliche Dogmatik, Bd. 1/2, 305-324 und insgesamt 305-397) vertritt, wertet alle Religion als bloß menschliches Bemühen ab und läßt allein die Selbstoffenbarung Gottes als Grund des Glaubens und Gegenstand der Theologie gelten. Es ist fraglich, ob allein diese Argumentation, wie es ihre Absicht war, den christlichen Glauben vor den Angriffen der Religionskritik zu retten vermag. Im Zusammenhang der vorliegenden Frage nach der Korrelation von Religion 10 11
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geht dieses Problem der Sinngebung und Sinnsicherung auf drei unterschiedlichen Ebenen an: (a) Auf der (objektiven) Ebene der Konzeption der Welt. Religion bietet eine Weltanschauung, ein System von Glaubensansichten, das in bezug auf eine letzte Autorität die Welt ordnet und einander widerstrebende Elemente der Wirklichkeit interpretativ vereint, (b) Auf der (subjektiven) Ebene der Einstellung und Emotion. Religion ermöglicht demjenigen, der ihre Uberzeugungen akzeptiert, eine emotionale Einstellung zu ihrem Objekt, die es erleichtert, die Widersprüche der Welt zu ertragen, (c) Auf der (praktischen) Ebene der rituellen Handlungen. Religion bietet Rituale und Zeremonien an, die beides, die Weltanschauung und die Einstellungen, stützen und verstärken 12 . Diese Züge der Religion haben in den etablierten Religionen unterschiedliche Ausprägung erfahren. Die Unterschiede im einzelnen konstituieren die Differenz der Religionen untereinander. Doch der skizzierte Rahmen läßt sich bei allen Religionen wiederfinden. Der Gläubige nimmt ein System von Uberzeugungen an und antwortet damit auf einen grundlegenden religiösen Anspruch, den er erfährt. Dieses System bildet einen Rahmen von Vorstellungen, die die Wahrnehmung der Wirklichkeit steuern. Sie erhalten ihre Form durch Texte in heiligen Schriften und Glaubensbekenntnissen, durch liturgische Formeln, Aussprüche autoritativer Personen oder Predigten und sind häufig in heiligen Geschichten, Legenden und Mythen symbolisch verschlüsselt 13 . Sie unterscheiden sich hinsichtlich der Annahmen über das religiöse Objekt. Die Vorstellungsbreite reicht von menschlichen Wesen (König) über menschliche Eigenschaften (Weisheit), Naturwesen (Licht, Sonne) und abstrakten Ideen (das Gute, die Idee, das Eine, das Sein selbst, der Grund des Seins) bis zu transzendenten, als Person vorgestellten Wesen (Gott, Jahwe, Allah). Diese Objekte religiöser Verehrung sind positiv qualifiziert als verehrungswürdig, höchste Wesen etc. Ihnen wird höchste, heilige Autorität zugeschrieben. Das heißt: Der religiöse Mensch hat es mit etwas zu tun, was er als von sich und seiner Welt verschieden und seiner Kontrolle entzogen erfährt und was zugleich innerhalb seiner Welt besonderen Rang beansprucht. Daher hat es seine Autorität für den Gläubigen und den Einfluß auf seine Überzeugungen, Einstellungen und Handlungen. Der Bezug auf die heilige Autorität ermöglicht es dem religiösen Menschen, seine Welt zu ordnen und die Probleme der Interpretation einer Welt voller Unerklärbarem, voller Leid, T o d und und Moral geht es jedoch um die Bedeutung der Religion für das Handeln des Gläubigen. Trotz aller prinzipiellen Unterschiede zur religionssoziologischen Betrachtungsweise führt der offenbarungstheologische Ansatz Barths in dieser Hinsicht nicht zu anderen Verhältnisbestimmungen, da hier Religion und Glaube nur in ihrer Funktion für das Selbstverständnis des Menschen in Betracht gezogen werden. 1 2 Vgl. P. H . Nowell-Smith, Religion and Morality, 151; D . Little u. S. B. Twiss Jr., Basic Terms in the Study of Religious Ethics, 60-63. 1 3 Vgl. D . Little u. S. B. Twiss Jr., aaO. 64.
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menschlicher Unzulänglichkeit zu lösen. Die emotionale und die praktische Seite der Religion haben eine davon abgeleitete Funktion: Die Einstellung der Verehrung und die Teilnahme an religiösen Zeremonien dienen der Annahme und dem Aufrechterhalten der Uberzeugungen, wie sie andererseits deren Folge sind. Alle drei Komponenten spielen in diesem Prozeß zusammen und stützen sich gegenseitig14. 3. Religion und Moral. Die subjektive und die auf Verhalten bezogene Komponente der Religion scheinen sich jedoch nicht auf zeremonielle Handlungen allein beschränken zu lassen. Religion hat einen weiterreichenden Einfluß. Sie beansprucht, das gesamte Handeln und Verhalten des Menschen zu leiten. Jedenfalls behaupten Anhänger einer Religion, ihr Verhalten werde durch bestimmte Uberzeugungen ihres Glaubens gesteuert. Idealtypisch lassen sich zwei Weisen unterscheiden, diesen Sachverhalt theoretisch zu erfassen : (a) Man bleibt bei der engen Definition der Religion und erklärt das Verhalten religiöser Menschen als ein moralisches Verhalten, das durch religiöse Ansichten beeinflußt wird. Die strikte Sonderung von Religion und Moral wird dabei bewahrt, (b) Man gesteht eine spezifisch religiöse Form der Handlungsleitung zu. Dann stehen im Grunde religiöse und nichtreligiöse Moral nebeneinander oder in Konkurrenz miteinander. Das erste Modell 15 legt die Religion auf die drei Elemente „System von Glaubensüberzeugungen", „emotionale Einstellungen" und „rituelle Handlungen" fest, wobei das erste Element in der Regel gleich als „Glaube an übernatürliche Mächte" 1 6 präzisiert wird. Hand in Hand damit geht die regulatorische Vorschrift, alles, was mit Verhaltenssteuerung zu tun hat, gehöre zur Moral. Die Moral umfaßt dieser Ansicht zufolge neben den Verhaltensregeln und den Idealen auch Annahmen über die Natur des Menschen und die Motive zur Wahl moralischer oder unmoralischer Verhaltensweisen 17 . Dann ist die Kontrastierung der auf Verhalten ausgerichteten Moral mit der auf die Sphäre des Ubernatürlichen beschränkten Religion in der Tat einfach. Und dann kann das Konzept einer religiösen Ethik bestritten werden. Moral hat es mit dem Menschen, Religion mit Gott zu tun. Jede Form menschlichen Verhaltens gehört per definitionem zur Sphäre der Moral. Allenfalls ist es noch zulässig oder erforderlich zu fragen, ob die „rein religiösen Glaubensansichten" 18 einen Einfluß auf die Moral religiöser Menschen haben. Da die Trennung beider Bereiche so streng ist, wird es nicht schwer sein nachzuweisen, daß es keinen unmittelbaren Einfluß der Religion auf die Moral gibt. Man wird sagen, die Argumentation für eine religiöse Moral sei falsch, da diejenigen Elemente der Religion, die Implikationen für 14 ls 16 17 18
Vgl. aaO. 6 4 - 6 9 . Ein Beispiel dafür bietet P. H . Nowell-Smith, Religion and Morality. V g l . a a O . 151. V g l . a a O . 150. A a O . 154.
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das Verhalten von Menschen haben, selbst schon Elemente der Moral oder aus der Moral übernommene Elemente seien 19 . Das zweite Modell 2 0 erweitert die oben gegebene Darstellung der Religion in ihrer praktischen Komponente. Dort sind dieser Ansicht zufolge nicht nur rituelle Handlungen eingeschlossen, sondern auch das Verhalten des religiösen Menschen neben den spezifisch auf seine Religion bezogenen Handlungen. Das gesamte Verhalten gilt als religiös bestimmt und gesteuert. Entsprechend wäre ein Modell des Apparates zur Verhaltenssteuerung zu entwerfen, das die Religion an entscheidender Stelle einbaut. Für den Zweck der vergleichenden Untersuchung religiöser Ethik haben D. Little und S. B. Twiss ein solches Modell entwickelt. Es entspricht weitgehend dem oben für die Moral dargestellten Modell, nur daß es eine andere legitimierende Instanz einführt. Anstelle des Bezugs auf den anderen steht als Legitimationsinstanz die Vorstellung einer heiligen Autorität 2 1 . Im einzelnen kann die Legitimation durch eine heilige Autorität verschiedene Gestalt annehmen. Man kann sie sich so vorstellen, daß das religiöse Objekt als Befehlsgeber dem religiösen Subjekt Verhaltensmaßregeln offenbart. Man kann das religiöse Objekt als verbunden oder identisch mit einem Wertstandard verstehen, so daß durch die Anwendung dieses Standards sich Verhaltensvorschriften ergeben. Man kann auch annehmen, daß Verhaltensanweisungen gewonnen werden, indem die Implikationen des Verhältnisses zwischen dem religiösen Subjekt und Objekt ausgelegt werden 2 2 . Nach diesen und vielleicht einigen anderen Mustern kann das Verhalten des Gläubigen von seinen religiösen Überzeugungen geleitet werden. Im ersten Fall korreliert der engen Definition der Religion eine offenere Konzeption der Moral. Das zweite Modell kehrt die Proportionen um. Es besitzt eine weitere Definition der Religion, die auch Verhaltenssteuerung einschließt, andererseits wird die Moral sehr eng verstanden. Moral erhält ihre Grenzen durch ihre Funktion: die Verhaltensleitung. Jenseits dieser Aufgabe hat sie kein Recht. Ein Rahmen von Uberzeugungen, den das Moralsubjekt hat und innerhalb dessen es seine Moral lokalisiert und versteht, gehört nicht mehr dazu. Er wird einer kulturellen oder (in diesem Fall) der religiösen Dimension der Wirklichkeit zugerechnet 23 . D a z u vgl. unten Abschnitt 4.3. Beispiele dafür bieten - wenn auch mit Unterschieden und nicht in allen Punkten mit den folgenden Ausführungen übereinstimmend - W. B. Williamson, O n the Relations Between Morals and Religion, 6 f f ; D . Little u. S. B. Twiss Jr., Basic Terms in the Study of Religious Ethics, bes. 70-77. 2 1 D . Little u. S. B. Twiss Jr., aaO., vgl. 70 mit 46. 2 2 Diese Beispiele zählen D . Little u. S. B. Twiss Jr., aaO. 71 f, auf. 2 3 Von einer sehr weiten Fassung des Begriffs Religion geht auch W. W. Bartley (Morality and Religion, Kap. 4, bes. 54-56) aus. Alle „inneren Fragen", die mit der Entwicklung eines Selbstbewußtseins und den Idealen und Werten der Person im Kontrast zum bloß „äußerlichen Verhalten" zu tun haben, werden der Religion zugerechnet. Diese Konzeption vereinnahmt jedoch für die Religion Phänomene, die ebenso gut oder mit größerem Recht als zur Moral 19
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Die Differenz zwischen beiden Modellen scheint eine Sache der Definition zu sein. Interessant ist der Bereich, der im einen Fall der Moral, im anderen der Religion zugerechnet wird. Man kann das Problem auf einfache Weise beseitigen, indem man sich für eine der beiden Konzeptionen entscheidet. Wer Religion eng definiert, so daß sie keinen Einfluß auf das Verhalten hat, überläßt der Moral das restliche Feld. Moral und Religion überschneiden sich nicht 2 4 . Wer Moral dagegen auf Verhaltenssteuerung begrenzt und alle Beschäftigung mit Vorstellungsgehalten dem Bereich der Religion zuordnet, hat den fraglichen Bereich für die Religion vereinnahmt. Notwendig muß er an dieser Stelle ein Zusammenspiel von Religion und Moral annehmen. Diese letzte Konzeption wird jedoch derjenigen Ethik nicht gerecht, die zwar Vorstellungsgehalte integriert, die nicht im strengen Sinn moralisch sind, die aber doch nicht als religiös gelten will. Dagegen scheint die Konzeption sachgemäßer, die D. Little und S. B. Twiss am Ende ihres Aufsatzes vortragen 2 5 . Sie lehnen es ab, einen der beiden Bereiche auf Kosten des anderen zu sehr auszuweiten. Ihr Entwurf sieht konkurrierende Alternativen vor. Sie unterscheiden zwei „reine" handlungsleitende Modelle: eines, in dem die Moral, und ein anderes, in dem die Religion die Rolle der Legitimationsinstanz erfüllt. Jemand urteilt oder handelt nach einem moralischen handlungsleitenden Modell, wenn er keine anderen Gründe als die der Berücksichtigung des anderen Menschen letztlich geltend macht. Er richtet sich nach einem religiösen handlungsleitenden Modell, sobald er Fragen der Interpretation der Welt einbezieht bzw. sie höher bewertet als die der „bloßen M o r a l " 2 6 . Religiöse Ethik aber beruht auf der Möglichkeit des Zusammenwirkens beider Modelle. Little und Twiss entwerfen ein drittes, „unreines" handlungsleitendes Modell, das zwei Teilmodelle umfaßt und je nach der Gewichtung der beiden Komponenten als „moralisch-religiöses" oder als „religiösmoralisches handlungsleitendes Modell" bezeichnet wird 2 7 . (Sie schließen ihren Aufsatz allerdings mit der Vermutung ab, daß das letzte Modell, das der religiös-moralischen Handlungsleitung, das als moralisch gilt, aber religiöse Elemente als seine Grundlage impliziert, auch auf die säkularisierte oder humanistische Ethik bezogen werden kann, wenn man deren unhinterfragte Voraussetzungen, diejenigen Elemente, die sie zur Stützung ihrer Moral verwenden, bloßlegt 2 8 .) Dieses dritte Modell zielt auf die Entdekkung, die Aufdeckung der religiösen Komponente in der Beschäftigung mit gehörend betrachtet werden können. (Vgl. zur Kritik Glen C . Graber, A Critical Bibliography of Recent Discussions of Religious Ethics by Philosophers, Journal of Religious Ethics, 2 / 2 , 1974,53-80,55.) 2 4 Diese Konsequenz zieht letztlich P. H . Nowell-Smith. W o Religion moralische Implikationen hat, sind sie von dem autonomen Bereich der Moral entliehen; vgl. Religion and Morality, 155; auch unten Abschnitt 4.3. 2 5 Vgl. D. Little u. S. Β. Twiss Jr., Basic Terms in the Study of Religious Ethics, 74 ff. 26
Vgl. aaO. 74.
27
Vgl. aaO. 76.
28
A a O . 77.
137
menschlichem Verhalten ab, während das erste Modell die Tendenz hat, Religion und Moral zu isolieren und den Einfluß der Religion auf die Moralzumindest in der theoretischen Erfassung der Phänomene - zu minimieren, und das zweite Modell der Religion von vornherein Priorität gegenüber der Moral zuschreibt und die Moral der Religion unterordnet. In allen drei Modellen ist bereits eine bestimmte Sicht des Verhältnisses von Moral und Religion eingenommen. Mit ihrer Erörterung ist daher die Aufgabe dieses einleitenden Abschnitts schon verlassen und auf das Thema dieses ganzen Teils der Arbeit vorgegriffen. Ich tat es hier, um zu zeigen, wie die Frage der vorläufigen Definition der beiden Begriffe bzw. der umschreibenden Abgrenzung der beiden Bereiche auf das Verständnis ihres gegenseitigen Verhältnisses übergreift. Aus dieser Erkenntnis folgt für die weitere Arbeit, daß keine der vorgetragenen Arbeitsdefinitionen als abgeschlossen akzeptiert werden kann, sondern daß beide Begriffe hier nur als vorläufig geklärt gelten können. Im Verlauf der zweiten Erörterung in diesem und dem nächsten Teil werden Modifikationen erforderlich sein. Die Möglichkeit der Modifikation ist offenzuhalten, und zwar der Modifikation dieser allgemeinen Bestimmung der Begriffe und ihres Verhältnisses zueinander wie auch der Modifikation durch Präzisierung, wenn die christliche Ethik in den Blick gefaßt wird. Darauf soll jetzt schon hingewiesen werden. Dennoch können diese einleitenden Bemerkungen eine erste Orientierung geben und einen Uberblick über die Probleme, die jetzt eingehender behandelt werden sollen. Gerade die dargestellte Konkurrenz zweier oder dreier differierender Ansichten des in Frage stehenden Verhältnisses von Religion und Moral macht es dringlich, die Beziehung beider Bereiche im einzelnen zu untersuchen. Die These, daß beide Bereiche sich klar und definitiv trennen lassen, kann nicht als unzweifelhaft sicher gelten. Man kann nicht sagen, die Analyse erhebe nur, was ohnehin gelte und leicht einzusehen sei, daß nämlich Moral und Religion voneinander isolierte Bereiche seien und daß ihre Vermengung aufgehoben werden müsse. 4.2. Die Abhängigkeit
der Moral von der
Religion
Die Aufgabenstellung des letzten Abschnitts, die zentralen Begriffe der Moral und der Religion zu klären, um vorläufige Definitionen zur Verfügung zu haben, hat bereits weit in die Problematik dieses Teils geführt. Das Unternehmen, die Begriffe festzulegen, warf nämlich die Frage des Verhältnisses der Begriffe und damit der von ihnen bezeichneten Bereiche auf. Beides ist miteinander verknüpft, und die eine Aufgabe ist nicht zu lösen, ohne daß die Lösung der anderen schon vorbestimmt würde. Diese Einsicht ergab sich am Ende des letzten Abschnitts, der sich auf einen Versuch der Definition beider Begriffe konzentriert hat. 1. Überblick. 138
Dieser und die folgenden Abschnitte sollen sich mit dem
Verhältnis beider Bereiche zueinander befassen. Zu diesem Zweck muß die eben gegebene Verhältnisbestimmung präzisiert und ausführlich diskutiert werden. Man kann die Unterscheidung zweier Formen der Beziehung von Moral und Religion, die von verschieden weit gefaßten Begriffen ausgeht, erweitern und erhält dann drei Grundtypen dieses Verhältnisses: Typ (1) begreift die Moral als der Religion untergeordnet. Die ethischen Sätze lassen sich von theologischen Sätzen ableiten, oder zumindest lassen sich in der Analyse grundlegende theologische Elemente erheben. Die Religion normiert demzufolge die Moral, und nur diejenige Moral ist begründet, für die eine religiöse Basis aufgewiesen werden kann. Typ (2) behauptet das umgekehrte Verhältnis von Moral und Religion: Die Religion ist der Moral untergeordnet. Die Moral ist für die Religion normativ, und nur das kann als wahrhaft religiös gelten, was moralischen Kriterien standhält. Jedenfalls wird eine Beziehung vom Typ (1) bestritten. Die Moral ist autonom und bedarf der Religion weder zur Begründung noch zur Stützung. Typ (3) der Bestimmung des Verhältnisses von Moral und Religion versucht zwischen diesen beiden Positionen zu vermitteln. Einerseits wird nicht behauptet, die Moral sei von der Religion ableitbar, und damit nicht bestritten, daß die Moral Autonomie 29 besitze. Andererseits wird die Abhängigkeit der Religion von der Moral nicht in dem Maß betont, wie es Typ (2) entspricht. Vielmehr wird angenommen, daß zwischen beiden Bereichen, zwischen Moral und Religion eine Wechselbeziehung besteht, die sorgfältiger Analyse bedarf. Eine mittlere Position zwischen (1) und (2) nimmt Typ (3) auch in anderer Hinsicht ein: Die Religion wird nicht als alleiniger Grund der Moral betrachtet und die Moral nicht als alleiniger Grund der Religion, sondern es wird anerkannt, daß es beides gibt, religiöse und nichtreligiöse Moral. Ein Bezug auf die Religion ist für die Moral also nicht notwendig, wohl aber möglich. Dieser Möglichkeit gilt die Aufmerksamkeit. Diese Typologie legt zugegebenermaßen ein recht grobes Raster an. Doch sie kann dazu dienen, die Vielfalt der Verhältnisbestimmungen von Moral und Religion vorläufig zu ordnen und ihre Erörterung zu erleichtern. Im Verlauf dieser Erörterung wird sich erweisen, daß zwei dieser drei Typen mit erheblichen Schwierigkeiten belastet sind und daher aufgegeben werden müssen. Dies wird im einzelnen aufzuzeigen sein. 2. Die These von der Abhängigkeit der Moral. Anschauungen des ersten Typs waren in der Vergangenheit sehr verbreitet: Die Ethik ruht auf der Religion als ihrer Grundlage. Die fundamentalen religiösen Uberzeugungen bestimmen die ethischen Werte. Dieser Standpunkt läßt sich für alle bekannten Erscheinungsformen der Religion vertreten. Sie alle enthalten ein Element der Weltbejahung und Weltgestaltung oder Weltverneinung und Welt2 9 Zu dieser Gegenüberstellung vgl. Heinz Horst Schrey, Einführung in die Ethik, Darmstadt 1 9 7 2 , 2 6 .
139
flucht. In beiden Formen und in jeder Mischform zwischen beiden steckt eine grundsätzliche Stellungnahme zum Problem der Moral. Im einen Fall übt die Religion einen positiven, aktiven Einfluß auf das Handeln der Menschen aus, im anderen Fall einen negativ-abstinenten, passiven. Um Verhalten und Verhaltensleitung geht es beide Male 30 . Diese Überlegung allein erweist jedoch lediglich die Tatsache, daß Religion ethische Implikationen besitzt, sofern sie Verhalten von Menschen beeinflußt. Daß Religion und Moral in dieser Weise verbunden sind, ist offensichtlich. Insofern ist damit keine bedeutende Einsicht gewonnen. Vergleichsweise einfach ist es auch, den Zusammenhang von Religion und Moral aus der bisherigen Geschichte erweisen zu wollen. Man kann argumentieren, zu moralischen Uberzeugungen seien bisher nur diejenigen Menschen gekommen, die eine Religion hatten. Dies mag richtig sein, es erweist jedoch nur, daß es jenen Zusammenhang zwischen Moral und Religion gibt, nicht daß es ihn notwendig geben muß. Das historische Phänomen kann durchaus kontingent sein, ohne daß eine logische Notwendigkeit dieser Beziehung vorauszusetzen wäre 31 . a) Abhängigkeit von der Religion. Die weitergehende Behauptung, um die es hier geht, ist hingegen die, daß Religion zur Begründung aller Ethik nötig sei. Das ist keineswegs evident, sondern muß argumentativ erarbeitet werden - falls dies möglich ist. Ein erster Argumentationsversuch in diese Richtung geht von der Behauptung aus, daß jede Ethik auf Voraussetzungen beruhe, die in ihrer Funktion dem vorgängigen Engagement des Glaubens der spezifisch religiösen Ethik (dem „faith-commitment") entsprechen. Es sei dann Aufgabe einer „theologischen Analyse", diese unausgesprochene und manchmal nicht zugestandene Basis, auf der alle moralischen Urteile beruhen, aufzuspüren und ans Tageslicht zu bringen 32 . Aller Ethik, so behauptet diese Position, liegt ein religiöses oder quasi-religiöses Engagement zugrunde. Dieses Element der Verpflichtung zu erkennen heißt nicht, nachzuweisen, daß alle Einzelvorschriften von einer religiösen Grundlage abzuleiten wären. Vielmehr wird eine formale Analogie zwischen der Religion und der Basis der Moral behauptet. Wer so argumentiert, scheint mit der Frage befaßt zu sein, was der letzte Grund der Rechtfertigung eines moralischen Urteils ist, und er scheint - ähnlich wie einige der in Teil 3 besprochenen Autoren - betonen zu wollen, daß es ohne ein Element der Verpflichtung, der Entscheidung zu einem moralischen Prinzip keine Moral gibt. Somit ist hier nicht eine Ableitung der Moral von der Religion im strengen Sinn vorausgesetzt, sondern lediglich von struktureller Analogie gesprochen. Typ (1) gegen Typ (2). Vgl. P. H. Nowell-Smith, Religion and Morality, 155; R. S. Downie, Roles and Values. An Introduction to Social Ethics, London 1971,16f. 3 2 Vgl. Edward LeRoy Long Jr., A. Survey of Christian Ethics, Oxford 1967,29. 30 31
140
Ein zweites Beispiel, in dem es nicht in erster Linie um die Beziehung der Moral zu Gott, sondern zur Religion geht, ist das, was in der Literatur als Identitätsthese bezeichnet wird. Es ist mit dem ersten Beispiel eng verwandt. Es begnügt sich im Gegensatz dazu jedoch nicht damit, die Basis von Moral und Religion zu parallelisieren. Religion und Moral als ganze werden einander gleichgesetzt. Moral ist Religion, die moralische Verpflichtung ist zugleich religiöse Verpflichtung. In einer anderen Formulierung: Moralisch sein heißt, ein von Liebe geleitetes Leben zu führen, und das heißt, ein religiöser Mensch zu sein, Religion zu haben, an Gott zu glauben33. Man mag seine Gründe haben, diese Position einzunehmen, zumal im Einflußbereich des Christentums, das die Bedeutung der Liebe betont 34 . Man steht aber, wenn man Moral und Religion zu identifizieren versucht, vor der Schwierigkeit zu erklären, weshalb es die Differenz beider Konzepte gibt. Als sprachliche Verwirrung läßt sich der Begriffsunterschied sicher nicht bezeichnen. Das Problem ist nicht einfach als Scheinproblem zu deklarieren und beiseite zu schieben. Dazu ist der Unterschied beider Konzepte zu deutlich, wie der Abgrenzungsversuch im letzten Abschnitt gezeigt hat. Die These von der Identität der beiden Konzepte steht daher zumindest auf sehr schwachen Beinen. b) Abhängigkeit von Gott. Die beiden eben skizzierten Wege haben nicht dazu geführt, die These von der Ableitbarkeit der Moral von der Religion zu belegen. Daher ist jetzt die modifizierte These zu betrachten, daß die Moral in der Weise in Beziehung zur Religion steht, daß sie mit Notwendigkeit Gott voraussetzt. Auch hier lassen sich wieder mehrere, wenigstens vier Weisen der Bestimmung dieses Verhältnisses unterscheiden. Ihre Differenz liegt in der Rolle, die Gott für die Moral spielt. Gott gilt demnach (1) als moralischer Gesetzgeber, (2) als Offenbarer der Moral oder (3) als Schöpfer oder Grund der Welt und der moralischen Ordnung. Die wesentlichen Elemente dieser drei Vorstellungen lassen sich zu einem weiteren Modell zusammenfassen: (4) Gottes Wille bestimmt, was moralisch gut ist. Als eine fünfte Möglichkeit könnte man das moralische Argument für die Existenz Gottes nennen, wie es Kant vorgetragen hat. Gott wird darin als notwendige Implikation einer bestimmten Sicht der menschlichen Moral vorausgesetzt, und um theoretischer Vollständigkeit willen wird seine Existenz als erwiesen betrachtet. Der Gedanke der Notwendigkeit Gottes kommt hier auf der Ebene theoretischer Argumentation allein ins Spiel. Gott wird darüber hin3 3 Vgl. Graeme de Graaff, God and Morality, in I. T. Ramsey, Hg., Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 3 1 - 5 2 , 3 6 - 3 8 ; R. S. Downie, Roles and Values, 22f. 3 4 Einer der Gründe ist sicher, daß es die Identitätsthese ermöglicht, die Moral als Ebene der empirischen Verankerung der Religion namhaft zu machen. Deswegen wählt Braithwaite diesen Weg in seiner Vorlesung An Empiricist's View of the Nature of Religious Belief, vgl. unten Abschnitte 5.4. und 5.5.; auch R. M. Hare, Religion and Morals, in B. Mitchell, H g . , Faith and Logic. O x f o r d Essays in Philosophical Theology, London 1 9 5 7 , 1 7 6 - 1 9 3 , 1 7 9 f .
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aus keinerlei Auswirkung auf praktisches Verhalten zugeschrieben. Religion hat also nur auf der höchsten theoretischen Ebene eine Beziehung zur Moral. Diesen T y p der Verhältnisbestimmung werde ich hier nicht ausführlich erörtern, sondern seine Argumente nur insoweit berücksichtigen, wie sie mit denen des oben genannten dritten Typs zusammenfallen 3 5 . (1) Die Moral, so wird der ersten Sichtweise zufolge angenommen, ist eine Summe von Vorschriften, die verbieten, was nicht getan werden darf, und gebieten, was getan werden soll. Wie jedes Gesetz bedarf ein solcher Moralkodex eines Gesetzgebers. Diese Instanz hat das Gesetz bzw. den Moralkodex erlassen. Ihre Autorität garantiert den verpflichtenden Anspruch, den das Gesetz erhebt. Im Fall der Moral gilt Gott als derjenige, der die Vorschriften erlassen hat. Die moralische Sollensaussagen würden nur verständlich und hätten nur einen Sinn, wenn sie in Verbindung mit einem göttlichen Gesetzgeber gebracht würden. Andernfalls verliere die Moral ihren Verpflichtungscharakter 36 . Moralische Vorschriften im allgemeinen oder alle einzelnen Vorschriften sind somit unmittelbar als Befehle Gottes verstanden. Moral ist, was Gott will. Auf Gottes Willen zu achten ist der ursprüngliche Entstehungszusammenhang der Moral, der sich in den formalen Bedingungen moralischer Äußerungen erkennbar festgesetzt hat. Diese formalen Bedingungen sind angemessen nur zu beschreiben, wenn Religion als ihr Kontext vorausgesetzt wird. Diese Konzeption ist der Kritik freilich schon insofern ausgesetzt, als bestritten werden kann, daß damit ein logisches und nicht nur ein historisches Argument aufgestellt wird. Die ethischen Vorstellungen sind in unserem Kulturkreis sicher in Abhängigkeit von der jüdisch-christlichen Tradition gewachsen, und dort ist die Vorstellung des Willens Gottes als der Instanz, die moralische Gesetze erläßt, vorhanden. Aber diesen historischen Zusammenhang aufzuweisen heißt ja noch nicht nachzuweisen, daß die moralische Verpflichtung ohne die Vorstellung Gottes keinen Sinn hat. Man kann durchaus annehmen, daß der Verpflichtungscharakter der Moral sich verselbständigt hat und auch unabhängig von seinem Ursprung Sinn ergibt 3 7 . (2) War Gott eben der Gesetzgeber einzelner Vorschriften, das heißt, setzte er nach seinem Willen fest, was als moralisch richtig gilt und was nicht, so ist seine Funktion jetzt eingeschränkter: Er offenbart die Moral. Er teilt seinem Volk Israel mit, was moralisches Leben ist, und zwar nicht nur, indem er Gebote, etwa in Gestalt des Dekalogs, gibt, sondern indem er eine Gesamthaltung offenbart, die den Geist der Moral insgesamt bestimmt: die Liebe. In der jüdischen und christlichen Religion spielen zwar die Gebote Gottes, vor allem in der Formulierung des Dekalogs, eine dominierende Siehe unten, Abschnitte 5.1. und 5.2. Vgl. G . Ε. M. Anscombe, Moderne Moralphilosophie, 223 f, 233 f, 240. 3 7 Zu dieser Kritik vgl. Kai Nielsen, Some Remarks on the Independence of Morality from Religion, in I. T. Ramsey, H g . , Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 140-151,150; entspricht Κ. Nielsen, Ethics Without G o d , 19. 35
36
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Rolle für die Ethik. Eine Untersuchung der Wirkungsgeschichte des Dekalogs könnte das erweisen. Doch schon das Alte und erst recht das Neue Testament spiegeln die Tendenz wider, die Einzelgebote auf eine ethische Grundeinstellung zu beziehen und von ihr her zu bestimmen. Daher ist es zu erklären, daß Einzelgebote zu allgemeinen Anweisungen zusammengefaßt werden 3 8 . Von dieser allgemeinen Haltung, die mit Liebe bezeichnet wird, wird einerseits gesagt, sie sei in nuce die Formulierung der Moral schlechthin, dessen, was als moralisch gelten kann und gilt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Das könnte sich durch Argumentation im einzelnen nachweisen lassen 39 . Andererseits wird behauptet, weil dies so sei, sei die Notwendigkeit Gottes oder Jesu Christi als Offenbarer eben dieser Moral erwiesen. Ohne Gott und seine Offenbarung habe diese Sicht der Moral nicht bekannt werden können, ohne Jesus Christus gäbe es nicht die Betonung der Liebe, die die Ethik des Christentums auszeichnet. Freilich erheben sich gegen diese Darstellung Einwände. Denn es kann bezweifelt werden, daß diese Haltung nicht ohne Religion, ohne Gott oder Jesus Christus bekannt geworden wäre oder sich verbreitet hätte. Das Objekt der Religion, Gott, scheint den Vorgang des Bekanntwerdens allenfalls zu beschleunigen 4 0 . Es ist dann ein kontingentes Ereignis, daß Gottes Offenbarung den Fortschritt der Moral vorangetrieben hat, doch es besteht keine Beziehung logischer Notwendigkeit zwischen beiden Größen. Gott offenbart demnach nichts, was nicht auch ohne seine Hilfe hätte erkannt werden können. Durch das vorgetragene Argument kann die These der Abhängigkeit der Moral von der Religion also nicht gestützt werden 4 1 . (3) Nicht von Gott als Offenbarer, sondern von Gott als dem Schöpfer geht der dritte Ableitungsversuch aus. Gott hat die Welt geschaffen und die grundlegenden Ordnungen des Lebens festgelegt. Die Moral gehört zu den Grundordnungen des menschlichen Lebens, also muß auch sie von Gott geschaffen sein. Gott hat dann nicht mit allen Einzelheiten der Moral zu tun, obwohl sie natürlich auf Gottes Schöpfung rückbezogen werden können. Er hat den Menschen als moralisches Wesen und damit die Grundlagen der Moral geschaffen 42 . Daher sind diese Grundlagen, wenn auch nicht die Einzelvorschriften, von Gott abhängig 4 3 . Dem gleichen Argumentationstyp gehört ein etwas anders verlaufendes 3 8 Vgl. Lev 19,18; A m 5,15; Hos 6,6; Mi 6,8; Mt 19,19; 22,39; 1 K o r 13 und öfter im Neuen Testament. 3 9 Vgl. G. Outka, Agape. 4 0 Ein Argument, das dem Gotthold Ephraim Lessings in seiner philosophisch-theologischen Abhandlung aus dem Jahr 1777 Die Erziehung des Menschengeschlechts vergleichbar ist (Die Erziehung des Menschengeschlechts und andere Schriften, Stuttgart 1969, 8, § 4). 4 1 Zur Kritik vgl. auch G. de Graaff, G o d and Morality, 3 6 - 3 9 ; R. S. Downie, Roles and Values, 16 f. 4 2 Es zeigt sich eine Beziehung dieser Ansicht zu der, die oben behandelt wurde, als die Gesetzeskonzeption der Moral im Zentrum stand. 4 3 Vgl. G . de Graaff, G o d and Morality, 4 5 - 4 7 .
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Argument an. Es geht nicht explizit von der Schöpfungsvorstellung aus, sondern eher von einer bestimmten metaphysischen Fassung des Begriffes Gott. Gott gilt hier als Grund der Wirklichkeit, der alles Wirkliche bestimmt. Moral ist als ein Aspekt menschlichen Lebens Teil dieser Wirklichkeit. Daher hat auch die Moral ihren Grund und ihre N o r m in Gott oder durch den Bezug auf ihn. Beide Argumentationen sind stimmig, vorausgesetzt, man hat die Prämissen akzeptiert: im einen Fall die Aussage, Gott sei der Schöpfer der Welt, im anderen die Bestimmung Gottes als des Grundes der Wirklichkeit. Besonders die zuletzt dargelegte Argumentationsweise legt jedoch die Frage nahe, ob sie nicht eine bloße Sache der Definition ist, ob nicht der Begriff selbst die Konzeption insgesamt entscheidend festlegt 4 4 . Denn wer Gott in dieser Weise bestimmt, hat damit bereits den Bezug alles Wirklichen ohne Ausnahme auf Gott impliziert 4 5 . Auf die Moral angewandt: Wer den Begriff Gottes oder der Religion weit genug faßt, kann den notwendigen Bezug der Moral auf Gott oder die Religion leicht erweisen 46 . (4) Die drei bisher erörterten Argumentationsketten unterliegen hinsichtlich ihrer Gültigkeit bestimmten Einschränkungen. Die ersten beiden, weil sie allenfalls etwas historisch Zufälliges wiedergeben, aber keine logisch notwendige Verbindung von Religion oder Moral erweisen. Die dritte, weil sie unter dem Verdacht steht, die Verbindung von Gott und Moral bloß zu postulieren, statt sie zu beweisen. Diese Einwände begrenzen den Anspruch der drei Thesen, sie könnten die Abhängigkeit der Moral von der Religion erweisen, auf sehr viel bescheidenere Ausmaße. Sie zeigen nämlich, daß eine solche Argumentation jeweils nur für die Moral derjenigen Menschen in Betracht kommt, die die Religion bereits aus anderen Gründen akzeptiert haben. N u r für sie kann Gott als moralischer Gesetzgeber, als Offenbarer der Moral, als Schöpfer der moralischen Ordnung gelten. Über den Kreis dieser Menschen hinaus kann der Zusammenhang zwischen Moral und Religion nicht als eine notwendige Beziehung verstanden werden. U n d selbst für die Gruppe der religiösen Menschen ist diese Beziehung nicht als notwendig erwiesen. Sie besteht einfach. Diese Menschen erfahren ihre Moral nur in der Bezogenheit auf Gott. Aber das ist ihre eigene Sichtweise. Uber ein logisches Abhängigkeitsverhältnis ist damit noch nichts ausgesagt. Vgl. oben Abschnitt 4.1., Ende. Hier begegnet das Problem, das in allen Formen und besonders in der ontologischen Form des Gottesbeweises in den Blick tritt: die Frage, inwieweit alles Reden von Gott durch den Begriff (oder N a m e n ) „ G o t t " nicht bereits vorbestimmt ist, so daß es einfach nicht möglich ist, läßt man sich auf dieses Reden ein, Gottes Existenz und seine alles umgreifende Bedeutung zu leugnen oder bestreiten. 4 6 H . - H . Schrey definiert zB. Religion als „die geistige Einheit, die das Wertbewußtsein einer Gesellschaft begründet". Damit ist keineswegs nur „der Zusammenhang zwischen Ethik und Religion angedeutet", wie Schrey meint. Diese Definition behauptet vielmehr von der Religion, sie sei zur Begründung der Ethik unerläßlich (Einführung in die Ethik, 22; vgl. auch oben Abschnitt 4.1. Anm. 23). 44 45
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Trifft dies zu, dann muß die Hauptthese dieses Kapitels, daß die Moral von der Religion abhänge, in dieser allgemeinen Form als widerlegt gelten. Eine letzte Möglichkeit, sie zu retten, könnte in dem vierten, bisher noch nicht erörterten Modell der Verhältnisbestimmung von Religion und Moral liegen : Gott selbst, sein Wille ist notwendig gut. Gottes Wille oder der Bezug darauf ist es daher, der eine Handlung als moralisch gefordert oder erlaubt erscheinen läßt, der sie fordert oder erlaubt 4 7 . Drei Beispiele aus der Literatur, eines von einem Theologen deutscher Sprache und zwei von angelsächsischen Philosophen, sollen zeigen, welche Arten von Argumentation ich zu diesem Typ rechne. (a) Emil Brunner bestreitet, daß sich die christliche Ethik als eine Art einer allgemeinen Ethik fassen läßt. Er bestreitet dies, weil sich nach seiner Meinung die Formalbestimmung der allgemeinen (philosophischen) Ethik nicht auf die christliche Ethik anwenden läßt. Dieser Formalbestimmung zufolge ist die Ethik „die Lehre oder Wissenschaft von dem Handeln, das durch letzte Prinzipien als das ,richtige' vom prinzipienlos Zufälligen unterschieden ist" 4 8 . Gerade der Bezug auf Prinzipien des Handelns wird von der christlichen Ethik zurückgewiesen. Nicht das Prinzip steht im Mittelpunkt, und es geht auch nicht mehr wie bei der natürlichen Sittlichkeit und rationalen Ethik um autonome Erkenntnis der Vernunft 4 9 . Christliche Ethik hat ihre Begründung vielmehr im „freien, souveränen Willen Gottes", der dem Menschen offenbart ist. Das Gute ist durch diesen Willen definiert: „Gut ist, jederzeit das tun, was Gott jeweils will." 5 0 Werden das Gute und Gottes Wille in dieser Weise in eins gesetzt, so ist der Schluß unausweichlich, daß nur der Glaubende, der die Offenbarung Gottes empfangen hat, diesen Willen und damit das Gute erkennt. N u r er kann das Gute in einer Weise erkennen, die sich nicht - wie das natürliche Ethos - ohne Ausweg in Gegensätze verstrickt: in den Gegensatz von Theonomie und Autonomie, von Freiheit und Notwendigkeit, von Materialität und Formalismus, von Individualität und Universalität, von Eudämonismus und Pflichtrigorismus. Diese Gegensätze sind überwunden, sofern Gottes Wille der Wille Gottes und zugleich Liebe zum Menschen ist 5 1 . 4 7 So argumentier: J. Duns Scotus (Opus Oxoniense III 19, vgl. Allan B. Wolter, Duns Scotus, J o h n , in P. Edwards, H g . , The Encyclopedia of Philosophy, Vol II, 4 2 7 - 4 3 6 , 4 3 5 ; auch W . Betzendörfer, Duns Scotus, R G G 3. Aufl., Bd. II, 2 8 3 - 2 8 5 , 284). Für Duns Scotus hängt dies mit dem Primat des Willens zusammen, den er in seiner Darstellung der Moralphilosophie postuliert. 4 8 Emil Brunner, Das Gebot und die Ordnungen, 69. 4 9 Brunner sieht hinter Kants Betonung der Autonomie eine verblaßte F o r m der Theonomie. Kants Prinzip der Autonomie setzt seinerseits die „Identität von göttlichem und menschlichem 5 0 A a O . 70. Wissen in der Vernunft" voraus (aaO. 31). 5 1 A a O . 45 f. N . H . G. Robinson greift Brunners Argumentation auf, kritisiert daran aber die zu starke Betonung des Andersseins Gottes und demzufolge die Vernachlässigung der menschlichen N a t u r als konstitutivem Bestandteil auch christlichen ethischen Denkens (The Groundwork of Christian Ethics, 2 3 0 - 2 3 6 ) .
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(b) „Gott ist gut" ist für Patterson Brown eine a priori gültige analytische Wahrheit. Daher ist - für jemand, der diese Wahrheit anerkennt, für Christen zum Beispiel - Gott auch das letzte Kriterium des Guten 5 2 . O b etwas moralisch gut oder richtig ist oder nicht, entscheidet sich daran, ob es Gottes Willen entspricht oder nicht. Nicht daß der Wille Gottes die moralischen Begriffe „gut", „schlecht", „richtig", „falsch" erst definieren würde, aber er stellt doch Kriterium oder Standard der Anwendung moralischer Begriffe dar. Nachdem klar ist, was diese Begriffe bedeuten, wird nun durch den Bezug auf den Wollen Gottes als Kriterium festgelegt, was als moralisch richtig, gut oder falsch, schlecht gilt 53 . Ist Gottes Wille in dieser Weise der letzte moralische Standard 5 4 , so steht außer Frage, daß er die moralischen Entscheidungen des Menschen (des Christen) beeinflußt. Von der Erkenntnis des Willens Gottes läßt sich die konkrete Verhaltens Vorschrift ableiten. (c) Dewi Z. Phillips fragt nach der Verbindung zwischen Gottes Befehl und moralischer Pflicht. Er bestreitet, daß für den Gläubigen diese Verbindung notwendig darauf beruht, daß er zuvor ein moralisches Urteil über Gottes Willen gefällt hat. Er antwortet damit bereits auf Einwände gegen die Theorie vom Willen Gottes, wie sie im nächsten Abschnitt dargestellt werden. Für den Gläubigen gilt die umgekehrte Beziehung: Es ist seine Pflicht, Gottes Willen zu tun, und von diesem Willen hängt es ab, was im einzelnen als Pflicht des Gläubigen gilt. Von religiösen Sätzen, die Gottes Willen beschreiben, kann man also Aussagen ableiten, die Verhaltensvorschriften für Menschen enthalten 55 . Alle drei Beispiele behaupten zwar die Identität des Guten mit dem Willen Gottes. Insofern machen sie theologisches Wissen zur unaufgebbaren Voraussetzung richtiger moralischer Erkenntnis oder zumindest der gültigen Rechtfertigung ethischer Urteile und Prinzipien. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen der Position Brunners und den Ansichten Browns und Phillips'. Denn die beiden zuletzt genannten Autoren schränken ihre Behauptung bereits ein. Sie wollen nicht die allgemeine These vertreten, daß alles ethische Wissen eine Kenntnis der theologischen Voraussetzungen erfordert 5 6 oder daß alle Ethik auf der Religion beruht. Vielmehr befassen sie 5 2 Vgl. Patterson Brown, Religious Morality, Mind 72, 1963, 235-244, 238; auch Antony Flew, The .Religious Morality' of Mr. Patterson Brown, Mind 74, 1965, 578-581; Keith Campbell, Patterson Brown on G o d and Evil, Mind 74, 1965, 582-584; P. Brown, Religious Morality. A Reply to Flew and Campbell, Mind 77, 1968, 577-580; P. Brown, G o d and the G o o d , Religious Studies 2, 1967, 269-276; John P. Reeder Jr., Patterson Brown on G o d ' s Will as the Criterion of Morality, Religious Studies 5, 1969,235-242. 5 3 Vgl. P. Brown, Religious Morality. A Reply, 577; P. Brown, G o d and the G o o d , 272; dazu G . Wallace, Brown on Religious Morality, Mind 82,1973, 85-88, 86 f. 5 4 Vgl. P. Brown, G o d and the G o o d , 274. 5 5 Vgl. D . Z. Phillips, G o d and Ought, in I. T. Ramsey, H g . , Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 133-139, 133, 137f. 5 6 Bereits Paulus in R o m 2,14 f. Später in allen (oder fast allen) theologisch-ethischen Entwürfen, zB. O t t o Weber, Grundlagen der Dogmatik, Bd. 2,449.
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sich mit der religiösen Moral. Sie wollen beschreiben, wie glaubende Menschen die Moral verstehen, ohne die Moralität nichtglaubender Menschen zu leugnen oder zu mißachten. Im Grunde vertreten sie daher nicht die These der uneingeschränkten Abhängigkeit der Moral von der Religion. Sie sind eher dem dritten der eingangs besprochenen Typen der Bestimmung des Verhältnisses von Moral und Religion zuzuordnen, der die relative Selbständigkeit säkularer und religiöser Moral vertritt und eine Interdependenz von Moral und Religion für den Bereich der religiösen Moral annimmt 57 . Damit bleibt allein Brunner als Beispiel für die These der notwendigen Abhängigkeit der Moral von der Religion. Diese These ist nun zu erörtern und auf ihre Gültigkeit zu prüfen. Das ist die Aufgabe zu Beginn des nächsten Abschnitts. 4.3. Die Abhängigkeit
der Religion von der Moral
Wenn der Wille Gottes Kriterium des Guten ist, ist die Frage des Sokrates an Euthyphron, ob etwas gut sei, weil Gott es wolle, oder ob Gott es wolle, weil es gut sei 58 , zugunsten der ersten Möglichkeit entschieden. Ob diese Entscheidung stichhaltig ist, ist nun zu prüfen. Danach ist die zweite der in dieser Frage angebotenen Alternativen zu diskutieren, die darauf hinausläuft, die Moral der Religion logisch vorzuordnen. 1. Sprachanalytische Argumente gegen die Abhängigkeit der Moral von der Religion. Zunächst läßt sich gegen die These, die Moral sei von der Religion abhängig, auf der linguistischen Ebene argumentieren. Der Anspruch, den die These erhebt, wird mit dem alltäglichen Sprachgebrauch kontrastiert. Dabei ergibt sich, so lautet das Argument, eine Divergenz. Was die These behauptet, ist im Sprachgebrauch der Gegenwart nicht oder nicht überall wiederzufinden. Nicht alle Menschen beziehen sich auf Gott oder seinen Willen, um moralische Normen zu gewinnen oder zu rechtfertigen. Auch durch theologische Analyse 59 läßt sich nicht alles ethische Sprechen auf 5 7 Das Ergebnis dieser Erörterungen stimmt mit dem Robert N . van Wyks überein (God and Ethics. A Study in Moral Philosophy and the Philosophy of Religion, University of Pittsburg, PhD-Dissertation 1971). Van W y k unterscheidet eine „schwache Autonomiethese" von einer „starken". Die „schwache" Autonomiethese besagt nicht mehr, als daß man zu gültigen moralischen Urteilen auch ohne Bezug auf Gott kommen kann. Die „starke" Autonomiethese kann in unterschiedlicher F o r m auftreten. Sie kann die Priorität der moralischen Überzeugungen über die religiösen behaupten; sie kann behaupten, die religiösen Überzeugungen seien moralisch irrelevant; und sie kann behaupten, eine letzte Rechtfertigung eines ethischen Systems sei wenn überhaupt - nur autonom, ohne den Bezug auf Gott möglich (vgl. aaO. 7). A m Ende kommt van W y k zu dem Schluß, daß die „schwache" Autonomiethese berechtigt sei, die „starke" Autonomiethese aber kein größeres Recht besitze als mögliche Konzeptionen religiöser Moral (aaO. 1 8 8 - 1 9 0 ) . 58 59
Vgl. oben Abschnitt 4.1. Vgl. die Position E . L. Longs, s. oben Abschnitt 4.2. Anm. 32.
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zugrundeliegende religiöse Aussagen zurückführen. Es gibt nämlich Menschen, die jedem religiösem Glauben fernstehen und dennoch eine Moral besitzen und moralische Begriffe benutzen. Sie würden bestreiten, daß ihr Reden eine religiöse Grundlage besitzt. Der Versuch, die Religion als historische Grundlage der Moral zu reklamieren, würde, selbst wenn er zutreffend wäre, daran nichts ändern 6 0 . Denn die Moral könnte sich durchaus von der Religion als ihrer historischen Grundlage freigemacht haben, wenn sie sich in diesem Prozeß auch inhaltlich geändert hätte 6 1 . Zu behaupten, die Religion sei die notwendige Basis der Moral, käme in letzter Konsequenz der Behauptung gleich, ein religiöser Skeptiker oder Atheist könne seine moralischen Uberzeugungen niemals vollständig rechtfertigen. Vielmehr könnten nur diejenigen ihre Grundsätze rechtfertigen, die ein bestimmtes theologisches Wissen besitzen, also nur einige Theologen. Diese Ansicht wäre als eine supernaturalistische Theorie der Bedeutung und Rechtfertigung ethischer Aussagen zu bezeichnen, denn sie setzte die Bedeutung ethischer Aussagen („x ist falsch") mit der Bedeutung theologischer Aussagen („Gott mißbilligt x " ) gleich. Diese These wird aber dem Sprachgebrauch einiger, wenn nicht vieler Menschen 6 2 nicht gerecht 6 3 . Außerdem läßt sich ja beobachten, daß glaubende Menschen mit Nichtglaubenden über moralische Sachverhalte debattieren und dabei moralische Argumente gebrauchen, ohne vorauszusetzen, die Nichtglaubenden meinten mit „moralisch richtig" und „moralisch falsch" : „dem Willen Gottes entsprechend beziehungsweise widersprechend". Wenn Glaubende sich in dieser Weise auf den moralischen Sprachgebrauch Nichtglaubender einlassen, haben sie auch für ihr eigenes Sprechen die Möglichkeit eingeräumt, moralische Begriffe unabhängig von theologischen Vorstellungen zu gebrauchen 6 4 . Diese beiden Argumente machen den Schluß unausweichlich, daß auf der linguistischen Ebene eine Abhängigkeit 6 0 Die historische These bestreitet A . Macbeath, Experiments in Living. A Study of the Nature and Foundation of Ethics or Morals in the Light of Recent W o r k in Social Anthropology, London 1952, 3 4 6 u. passim in Kap. X I und X I I . 6 1 Vgl. die Diskussion der Überlegungen G. E. M. Anscombes, oben Abschnitt 4.2. Vgl. auch die Diskussion bei G. C . Graber, A Critical Bibliography of Recent Discussions of Religious Ethics by Philosophers, 64 f.
Der „Heiden" in R o m 2 , 1 4 f . Vgl. R. Β. Brandt, Ethical Theory, 6 8 - 7 5 ; Charles E. Reagan, Ethics for Scientific Research, Springfield 1969, 3 8 ; H . D. Lewis, Morality and Religion, Philosophy 1949, wieder abgedr. in H . D . Lewis, Morals and Revelation, London 1951, 1 - 2 7 , 16f uö. Dieses Argument ist die sprachanalytische Formulierung einer Ablehnung des „christlichen Imperialismus", derjenigen Denkform also, die allein den christlichen Glauben als Rechtfertigung einer validen Ethik zuläßt. Z u m Begriff des „christlichen Imperialismus" vgl. Dietrich Ritsehl, M e m o r y and H o p e . An Inquiry Concerning the Presence of Christ, N e w Y o r k / L o n d o n 1 9 6 7 , 1 9 2 , auch 136, 182. 62
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6 4 Vgl. Robert M . Adams, A Modified Divine C o m m a n d Theory of Ethical Wrongness, in G. Outka u. J . P. Reeder Jr., H g . , Religion and Morality, 3 1 8 - 3 4 7 , 341 f; Larry K. Nelson, The Independence of Moral from Religious Discourse in the Believer's Use of Language, Harvard Theological Review 6 8 , 1 9 7 5 , 1 6 7 - 1 9 5 , 1 7 0 f .
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der Moral von der Religion oder moralischer Konzepte von religiösen nicht bewiesen werden kann, sondern gerade bestritten werden muß 6 5 . Ebenfalls auf der linguistischen Ebene erhebt sich ein zweiter Einwand gegen die These des letzten Kapitels : Selbst für glaubende Menschen ist die Frage, ob etwas dem Willen Gottes entspreche, mit der anderen, ob es gut sei, nicht identisch. Denn auch für sie ist es möglich zu fragen, ob das, was Gott will, gut oder ob das, was Gott geboten hat, wirklich richtig ist. Diese Fragen sind keineswegs redundant 66 . Standardbeispiele in diesem Zusammenhang ist Gottes Befehl an Abraham, seinen Sohn Isaak zu opfern 67 . Angesichts dieses Befehls können auch Gläubige, ohne der Inkonsistenz geziehen zu werden, fragen, ob das, was Gott will, wirklich gut ist 6 8 . Sofern sie dies tun, machen sie einen Unterschied zwischen der Vorstellung des Willens Gottes und der des moralisch Guten. Auf die Frage der Definition des Guten gewendet heißt dies: Auch der Sprachgebrauch von religiösen Menschen ist nicht zutreffend beschrieben, wenn Gottes Wille als Kriterium des Guten angenommen wird 6 9 . 2. Metaethische Argumente. Neben diese linguistischen Einwände gegen die These der Abhängigkeit der Moral von der Religion treten weitere, die von einer bestimmten metaethischen Position aus die in Frage stehende These logischer Kritik unterziehen. Sie lassen sich anhand der beiden Alter6 5 Vgl. G. C. Graber, A Critical Bibliography of Recent Discussions of Religious Ethics by Philosophers, 63. 6 6 Vgl. Κ. Nielsen, Some Remarks on the Independence of Morality from Religion, 141 ; auch R. W.. Hepburn, Christianity and Paradox, 128-131, 191 Anm.; P. H. Nowell-Smith, Morality, Religious and Secular, The Rationalist Annual 1961, wieder abgedr. in I. T. Ramsey, Hg., Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 95-112, 97; W. G. Maclagan, The Theological Frontier of Ethics. An Essay Based on the Edward Cadbury Lectures in the University of Birmingham 1955/56, London/New York 1961, 50, 81, 84, 87 uö.; R. S. Downie, Roles and Values, 175. 6 7 Gen 22,1-19. Seren Kierkegaard freilich meint, daß derjenige, der danach fragt, ob das, was Gott will, gut ist, wohl die Ethik, nicht aber den Glauben versteht. Abraham ist ihm in dieser Geschichte von der Opferung Isaaks das Urbild des Glaubenden. Die Ethik verpflichtet den einzelnen, das Allgemeine als Maßstab zu nehmen. Der Glaube stellt ihn als einzelnen in ein absolutes Verhältnis zum Absoluten. Ethisch ist Abraham verpflichtet, seinen Sohn Isaak zu lieben und sein Leben zu bewahren. Als Glaubender ist ihm das ethische Gebot in einer „theologischen Suspension des Ethischen" relativiert. Er ist bereit, dem Gebot Gottes zu folgen. Er empfindet einerseits die Resignation, dem ethischen Gebot nicht folgen zu können, weil er sich im Gehorsam gegenüber Gott gebunden weiß. Er erfährt sich andererseits herausgefordert zum Glauben, dazu, Gott gegenüber gehorsam zu sein und mit der absurden Möglichkeit zu rechnen, daß Gott einen Weg eröffnet, der ihm im Gehorsam zum Heil wird. Die Kraft seines Glaubens befähigt ihn, dieses Paradox auszuhalten. Vgl. S. Kierkegaard, Furcht und Zittern. Dialektische Lyrik von Johannes de Silentio, 1843, übers. E. Hirsch, Düsseldorf/Köln 1950, passim. 6 8 Vgl. G. de Graaff, God and Morality, 32. 6 9 Diese Differenz beider Konzepte erfordert weitere logische Prüfung. Vgl. unten Abschnitt 4.4.
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nativen des Euthyphron-Dilemmas entwickeln. Die eine Gruppe von Argumenten entfaltet sich entlang der Aussage (a) „x ist gut, weil Gott es will", die andere entlang der Aussage (b) „Gott will x, weil χ gut ist". Jede Ethik, die einen Bezug auf Gott und seinen Willen einschließt, muß sich einer dieser beiden Möglichkeiten zuordnen lassen - es sei denn, es gäbe einen dritten Weg, der das Dilemma vermeidet. Beide Möglichkeiten wurden in der Literatur diskutiert. Wenn die Einwände berechtigt sind, die sich gegen Aussage (a) richten, ist die These der Ableitbarkeit der Moral von der Religion abgewiesen. Wenn man andererseits in der Lage ist, Aussage (b) mit Argumenten zu stützen, hat man die umgekehrte These, daß nämlich die Moral der Religion vorgeordnet ist, erhärtet. Nur wenn beide Aussagen widerlegt werden, kann behauptet werden, daß es keine ethische Theorie gibt, in der Gottes Wille von Bedeutung ist 70 . Diese Möglichkeiten müssen im einzelnen erörtert werden. a) „x ist gut, weil Gott es will. " Dies ist die eine der beiden Alternativen. Der Satz besagt, etwas werde allein dadurch gut, daß Gott es befehle oder daß es Gottes Willen entspreche. Dagegen erhebt sich ein erster Einwand: Man begehe den Fehlschluß einer Sein-Sollens-Ableitung, wenn man behauptet, etwas sei gut, weil Gott es wolle. Man würde ja das Gutsein einer Sache und damit ein Werturteil von einem Faktum, nämlich daß Gott diese Sache wolle, ableiten 71 . Formal ist dieses Argument richtig. Die Diskussion im vierten und fünften Abschnitt des Teils 3 hat allerdings zu dem Ergebnis geführt, daß sich die Trennung von Sein und Sollen in der hier vorausgesetzten Weise nicht aufrechterhalten läßt. Es gibt Fakten, die bereits werthaltig sind. Ganz sicher gehört Gottes Wille, wenn man ihn als Faktum betrachtet, zu dieser Art von Tatsachen. Nach beiden Interpretationen werthaltiger Fakten muß man dies annehmen: Nach der institutionellen Interpretation, sofern der Bezug auf den Willen Gottes einen institutionell gewährleisteten Code voraussetzt, wie ihn die Religion anbietet. Nach der nicht-institutionellen Interpretation, weil der Wille Gottes als legitimierende Instanz nur angenommen werden kann, wenn er gleichzeitig als wertsetzend gilt. Nicht das bloße Faktum allein, daß Gott etwas will, garantiert also, daß es gut ist. In diesem Zusammenhang kann demnach nicht von einem „bloßen Faktum" gesprochen werden, vielmehr ist bereits die komplexe Vorstellung eines werthaltigen Faktums im Spiel. Daher kann das Argument, der Fehler einer Sein-Sollens-Ableitung werde begangen, nicht entscheidend zählen. Man müßte die komplexe Vorstellung des werthaltigen Faktums aufschlüsseln. Den Ausführungen in Abschnitt 3.4. zufolge ist zu erwarten, daß dabei eine Gruppe von Philosophen versucht, diese Vorstellung zu analysieren und 7 0 Vgl. G. C. Graber, A Critical Bibliography of Recent Discussions of Religious Ethics by Philosophers, 59. 7 1 Vgl. W . W . Bartley, The Reduction of Morality to Religion, Journal of Philosophy 67, 1970, 7 5 5 - 7 6 7 , z.T. identisch mit W . W . Bartley, Morality and Religion, 2 - 1 2 , 7.
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beide Elemente, Tatsache und Wert, zu trennen, während eine andere Gruppe die Zusammengehörigkeit beider Teile behauptet und den Versuch der Trennung zurückweist. Beide Positionen werden im Verlauf der weiteren Diskussion begegnen 7 2 . Eine zweite Schwierigkeit kommt dann in den Blick: Es gibt Fälle, für die Gottes Wille nicht bekannt und bereits formuliert ist. Dieser Schwierigkeit scheint man noch verhältnismäßig leicht entkommen zu können. Man muß das Kriterium lediglich umformulieren und sagen: „Etwas ist dann gut, wenn es Gottes Willen entspricht oder entsprechen würde." Wie will man jedoch feststellen, was dem Willen Gottes entsprechen würde? Der Begriff des Entsprechens setzt in diesem Zusammenhang voraus, daß ein Transfer von Elementen eines Bekannten auf analoge Elemente eines Unbekannten stattfindet. Nimmt man dies an, dann ist Gottes Wille die bekannte, das Handlungserfordernis der Situation die unbekannte Größe. Zwischen beiden setzt ein Vorgang der Vermittlung ein. Ein einfacher Ableitungsprozeß kann dieser Vorgang nicht sein, da ja der Wille Gottes für die Situation nicht unmittelbar erkennbar ist 7 3 . Die Mittelbarkeit muß durch einen Reflexionsprozeß überwunden werden. Da es hier um Fragen der Moral geht, wird ein Element moralischen Uberlegens die Lücke zwischen der Erkenntnis des Willens Gottes und der Situation überbrücken müssen. Dies heißt aber nichts anderes als: U m den Willen Gottes als Kriterium des Guten zu erkennen, ist moralische Reflexion vorausgesetzt, die ihrerseits Kriterien des Guten kennt und anwendet. Somit ist nicht der Wille Gottes letztlich ausschlaggebend für die Erkenntnis des Guten, sondern die zur Erkenntnis des Willens Gottes vorgängig nötige Kenntnis des Guten 7 4 . Die Moral - zu diesem Ergebnis hat die oben angestellte Überlegung wie die frühere geführt - ist der Religion vorgeordnet. Der Ansicht, daß der Wille Gottes das Gutsein einer Handlung allererst konstituiere, stehen zudem andere, größere Schwierigkeiten entgegen. Denn wenn eine Handlung dadurch und allein dadurch gut wird, daß Gott sie will, gibt es kein moralisches Kriterium außerhalb des Willens Gottes. Ist Gott dann in der Lage, willkürlich zu entscheiden, was gut ist und was nicht? Warum sollte Gott eher die eine als die andere Handlung als gut erklären? Zu antworten, weil er sie wolle, schafft eine bloße Tautologie: „Gott will x, weil Gott χ will." 7 5 Anzunehmen, er habe bestimmte Gründe, das eine zu wollen, 7 2 Vgl. I. T. Ramsey, Moral Judgements and God's Commands, in I. T. Ramsey, Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 1 5 2 - 1 7 1 , 152 f. Der erste der genannten Argumentationstypen liegt den in Abschnitt 4.3. dargestellten Positionen zugrunde, der zweite denen in Abschnitt 4.4. 7 3 Die doppelte Mittelbarkeit wird in der Formulierung durch den Prädikator „entsprechen" und dessen konjunktivische F o r m „würde" gekennzeichnet. 7 4 Vgl. Thomas C . Mayberry, God and Moral Authority, The Monist 54, 1970, 1 0 6 - 1 2 3 , llOf. 7 5 Vgl. H . Oppenheimer, The Character of Christian Morality, 43 f; A . C . Ewing, The
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das andere abzulehnen, führt ein vom Willen Gottes unabhängiges Kriterium des Guten ein. Es würde bedeuten, moralische Erwägungen der Frage, was Gott will, überzuordnen, und käme somit der These gleich, Gott wolle etwas, weil es gut sei. Dieser Fall wurde oben erörtert. Wird hingegen die Ansicht vertreten, etwas sei gut, weil Gott es wolle, und aus keinem anderen Grund, dann gibt es auch wirklich keinen zusätzlichen Grund, weshalb Gott gerade dies und nicht etwas anderes wolle, als allein seinen Willen. Dann hängt es allein von Gottes Willen ab, was als gut oder schlecht gilt. U n d die Entscheidungen dieses Willens könnten völlig arbiträr sein. Diese Annahme wird dem Gottesbegriff nun insofern gerecht, als sie die Unverfügbarkeit Gottes nicht antastet, sondern sogar betont. Doch dafür zahlt man den Preis, annehmen zu müssen, Gott könne alles Beliebige wollen, eben auch Grausames - einen Preis, den viele Menschen nicht zu zahlen bereit sind 7 6 . Dieser Ansicht zufolge könnte daher alles, auch Grausamkeit moralisch gut sein. Denn wer ein von Gott unabhängiges Kriterium des Guten ablehnt und sich allein auf den Willen Gottes als Kriterium des Guten zurückzieht, hat keine Möglichkeit auszuschließen, daß Gott auch Handlungen, die im allgemeinen als moralisch verwerflich gelten, will und damit zu moralisch geforderten Handlungen macht 7 7 . Vielleicht ist diese Ansicht extrem. Sie zu vertreten würde der Willkür tatsächlich Eingang in die Moral verschaffen. Sie würde die Moral zu einer höchst zweifelhaften und ungewissen keineswegs verläßlichen Sache machen. Die wenigsten gläubigen Menschen würden diese Beschreibung aber auch als zutreffend anerkennen. Sie würden argumentieren, daß Gott unmöglich etwas wollen könne, was moralisch falsch sei. Den Grund dafür würden sie nicht darin sehen, daß sie „moralisch gut" unabhängig von Gottes Willen definieren und auf Gott anwenden würden 7 8 , sondern daß sie voraussetzen, daß Gott ein bestimmtes Wesen, einen bestimmten Charakter hat, der es nicht zuläßt, moralisch Verwerfliches für moralisch geboten zu erklären 7 9 . Dieser Charakter Gottes und die Kriterien des Gutseins hängen dabei
A u t o n o m y of Ethics, in I. T. Ramsey, Hg., Prospect for Metaphysics. Essays of Metaphysical Exploration, L o n d o n 1961, 33^*9, 39; W. W. Bartley, Morality and Religion, 8. 7 6 In Abschnitt 4.4. wird argumentiert, daß auch viele Gläubige damit nicht übereinstimmen. 7 7 Vgl. A. C . Ewing, The A u t o n o m y of Ethics, 39; P. H . Nowell-Smith, Religion and Morality, 155f; R. M. Adams, A Modified Divine C o m m a n d Theory of Ethical Wrongness, 320-324; J. P. Reeder Jr., Patterson Brown on G o d ' s Will as the Criterion of Morality, 240. 7 8 Gerade dies weisen Menschen zurück, die religiös gebunden sind. Sie halten die erkenntnistheoretischen Überlegungen, die zu diesem Ergebnis führen, für unangemessen. So zu denken hieße, etwas grundlegend anderes zu tun, als religiös zu denken und zu sprechen. Vgl. L. K. Nelson, The Independence of Moral from Religious Discourse in the Believer's U s e of Language, 170; auch R. N . van Wyk, G o d and Ethics, 18-27, bes. 25. 7 9 Vgl. R. M. Adams, A Modified Divine C o m m a n d Theory of Ethical Wrongness, 321-323 ; J. P. Reeder Jr., Patterson Brown on G o d ' s Will as the Criterion of Morality, 238-240.
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so eng zusammen, daß sie nicht getrennt werden können 80 . Dieses Argument wird im nächsten Abschnitt von Bedeutung sein. Hier genügt es zu beobachten, daß die Unterstellung, Gottes Urteile seien arbiträr, nicht ohne Widerspruch hingenommen wird. Vielmehr werden Argumente gesucht, um ihr entgegenzutreten. Man scheint diese Unterstellung als einen Angriff auf die Religion und auf die Moral zu empfinden, der abgewehrt werden muß. Denn ein Gott, der willkürliche Entscheidungen fällt, entspricht nicht der Gottesvorstellung, die man für wertvoll und richtig hält, und eine Moral, die von willkürlichen Entscheidungen abhängt, besitzt kein verläßliches Fundament. Die Schwierigkeit besteht darin, beide Konzepte, das Gottes und das der Moral, miteinander in Einklang zu bringen. Wie wäre denn zu gewährleisten, daß Gott eben nicht willkürlich entscheidet, wenn nicht dadurch, daß Gott in seinen Entscheidungen von einem Gesetz abhängig ist, das nicht seinem jeweiligen Willen erst folgt? Es muß also eine vorauszusetzende Konzeption der Moral geben, an die auch Gott gebunden ist. „Ohne zuvor Gott als gut oder seine Befehle als richtig zu erklären, hätte Gott kein größeres Recht auf unseren Gehorsam als Hitler oder Stalin." 81 Das Konzept der alleinigen Definition des Guten durch den Willen Gottes steht daher entweder unter dem Verdacht, die Entscheidungen seien arbiträr, und wird somit aus moralischen Gründen unakzeptabel, oder es wird eingeschränkt beziehungsweise aufgegeben, indem moralische Gründe in die Gottesvorstellung einbezogen werden. Die erste Alternative ist diskreditiert aus den Gründen, die bereits genannt wurden. Daher bleibt nur die zweite Alternative wirklich möglich, und dies heißt: Nur dann kann behauptet werden, die Religion habe Einfluß auf die Moral, wenn zuvor moralische Kriterien in die Religion integriert wurden 82 . b) „Gott will χ, weil χ gut ist. " Dieser Satz ist die zugespitzte Formulierung der einen der beiden Folgerungen, die aus den allgemeinen Feststellungen „Gott ist gut" oder „Gott will das Gute" gezogen werden können. Am Beispiel der ersten der beiden Feststellungen kann man sich den Gedankengang klarmachen, der beide Aussagen miteinander verbindet. „Gott ist gut" ist entweder ein analytischer oder ein synthetischer Satz. Ist es eine synthetische Aussage, dann wird dem Begriff Gott eine bestimmte Eigenschaft, das Gutsein, zugeschrieben. In diesem Fall ist χ gut, unabhängig davon, ob Gott 8 0 F ü r den Gläubigen gibt es daher keine völlige Unabhängigkeit der Moral von der Religion. In seinem Sprachgebrauch besitzt die Moral allenfalls eine relative Unabhängigkeit; vgl. L. K. Nelson, The Independence of Moral from Religious Discourse in the Believer's Use of Language, 1 7 3 , 1 9 4 . 8 1 A . C . Ewing, The A u t o n o m y of Ethics, 40 (meine Übers.); vgl. I. T . Ramsey, Moral Judgements and God's Commands, 152; K. Nielsen, Ethics Without God, 4 f . 8 2 Vgl. A . C . Ewing, The A u t o n o m y of Ethics, 41, 4 6 f ; T . C . Mayberry, God and Moral Authority, 1 0 9 - 1 1 1 ; K. Nielsen, Ethics Without God, 4f, 6 uö.; P. H . Nowell-Smith, Religion and Morality, 155 f; vgl. auch die Diskussion in Abschnitt 4.4.
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es will oder nicht. Ein Urteil, das moralisch richtig ist, hat seine Richtigkeit, schon bevor es mit Gott in Verbindung gebracht wird. Die Vorstellung Gottes fügt nichts mehr hinzu. Vielmehr ist dieser Ansicht zufolge Gott in seinem Urteil darauf angewiesen, Kriterien des moralisch Richtigen und Falschen, Guten und Schlechten zu gebrauchen. Gottes Handeln und Wille kann am Standard moralischer Kriterien gemessen und beurteilt werden. Für die Beziehung zwischen Gott und Moral heißt dies: Die Moral ist in ihrem Inhalt, in ihren Standards von der Vorstellung Gottes oder seines Willens unabhängig. Wer den Satz „Gott ist gut" als eine synthetische Aussage betrachtet, wendet ein unabhängiges moralisches Kriterium auf Gott an 8 3 . Anders sieht es aus, wenn dieser Satz als analytische Aussage angesehen wird, wenn man also annimmt, die Prädikation „gut" sage nichts aus, was nicht schon in dem Begriff Gottes enthalten wäre. Gott besitzt - dies gilt für den jüdisch-christlich-abendländischen Kulturkreis, wenn nicht für die monotheistischen Hochreligionen insgesamt - das Attribut „gut" 8 4 , und er besitzt es zugleich in ausgezeichneter, vollkommener Weise, so daß von ihm gesagt werden kann, er sei das „summum bonum". Freilich gibt es einen Unterschied zwischen den Sätzen „Gott ist gut" und „Gott ist das summum bonum". Der zweite Satz erscheint eher angemessen als der erste, denn er drückt den mit der Gottesvorstellung notwendig verbundenen Uberlegenheitscharakter der Gott zugeschriebenen Attribute aus 8 5 . Der erste Satz scheint demgegenüber den Inhalt der Gottesvorstellung nur unvollkommen wiederzugeben, ja er scheint eher den Charakter einer synthetischen Aussage zu haben und ein menschliches Prädikat („gut") Gott zuzuschreiben. Sofern er dies versucht, wird er dem Subjekt der Aussage, Gott, jedoch nicht völlig gerecht 8 6 . Unabhängig von dieser zusätzlichen Frage der angemessenen Formulierung steht man vor der Schwierigkeit, das zugrundeliegende Dilemma zu entscheiden. Denn argumentiert man, nichts werde Gott genannt, was nicht in vollkommener Weise gut ist, dann macht man entweder - wie oben 8 3 Vgl. K. Nielsen, Ethics Without G o d , 5 - 7 ; T. A. Roberts, Morality and Divine C o m mands, Proceedings of the Aristotelian Society 68,1967/68, 49-62, 51 ; A. Maclntyre, A Short History of Ethics, 112 f. 8 4 Burton F. Porter (Deity and Morality, London 1968, 121-125 uö.) betont aus diesem G r u n d , daß der Satz „ G o t t ist g u t " eine analytische Aussage ist und keinesfalls ein synthetischer Satz sein kann. 8 5 In der Terminologie I. T. Ramseys: Er umfaßt sowohl das Modell als auch den „Α1ΓQualifikator. Vgl. Religious Language. An Empirical Placing of Theological Phrases, L o n d o n 1957, Kap. 2, und andere Veröffentlichungen desselben Autors. 8 6 Diese Frage ist im Zusammenhang einer Theorie des religiösen Sprechens weiter zu bedenken. Vgl. I. T. Ramsey, aaO.; Frederick Ferré, Language, Logic and G o d , N e w Y o r k / L o n d o n 1961, und eine Reihe anderer Autoren, vgl. die Bibliographie bei I. U . Dalferth, H g . , Sprachlogik des Glaubens, 283-302. Die beschriebene Differenz beider Formulierungen läßt bereits erkennen, daß das Selbstverständnis des Glaubens für die Beantwortung der Frage nach der Abhängigkeit der Religion von der Moral oder der Moral von der Religion eine entscheidende Rolle spielt. Darauf wird in Abschnitt 4.4. einzugehen sein.
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beschrieben - „gut" zu einem Kriterium des Gottseins. In diesem Fall hat man ein unabhängiges moralisches Kriterium vorausgesetzt und die Moral Gott vorgeordnet 8 7 . Oder man versucht, diesen Schritt zu vermeiden, gerät aber in einen Zirkel: Gott ist Kriterium des Guten, und das Gute ist Kriterium des Gottseins. Das heißt nichts anderes als: Gott ist Kriterium des Gottseins, oder: das Gute ist Kriterium des Gutseins 8 8 . Damit ist nichts erklärt. Die Erörterung der Differenz zwischen beiden Aussagen führt offenbar nicht weiter. Weiterführen könnte eher die Frage, wie Menschen zu der Aussage „Gott ist gut" oder „Gott ist das summum bonum" gelangen können. Die Aufmerksamkeit sollte daher dieser erkenntnistheoretischen Fragestellung gelten. Sie führt nämlich zu der Einsicht, daß - ungeachtet der ontologischen Fragen über Gottes Gutsein - der Mensch nur behaupten kann, Gott sei gut, wenn er seinen eigenen Standard von „gut" als Modell benutzt, um eine Aussage über Gott zu machen. Der Mensch muß - erkenntnislogisch gesprochen - zuvor wissen, was „gut" heißt, und er muß Kriterien kennen, die es ihm erlauben zu sagen, was gut ist und was nicht 8 9 . Uberträgt man diese Einsicht auf die Ausgangsfrage, wie es sich mit der Zuordnung von Gottes Willen und der Entscheidung, daß etwas gut ist, verhält, dann kommt man zu folgender Überlegung: Ein Mensch kann nur durch die Anwendung moralischer Kriterien Sinn in der Aussage finden, daß Gott gut ist und er das will, was gut ist. Indem jemand diese Aussage als sinnvoll erkennt, trifft er jedoch zugleich die Entscheidung, Gottes Willen als Kriterium zu akzeptieren. Eine zeitliche Reihenfolge zweier Entscheidungsschritte läßt sich nicht postulieren. Es ist nicht so, daß man zuerst moralische Vorstellungen erwirbt und sie in einem zweiten Schritt religiös überhöht. In der Regel werden beide Prozesse parallel verlaufen: der Erwerb moralischer und der Erwerb religiöser Vorstellungen. Für die Innenansicht des Glaubens sind sie nicht voneinander zu trennen. Erkenntnistheoretisch kann man jedoch versuchen, beide Prozesse zu scheiden - gewissermaßen in einer Außenansicht des Glaubens. Dann muß man sagen: Von Gottes Willen in der Formulierung ethischer Sätze zu sprechen setzt voraus, Gottes Willen entsprechend dem Wissen darum, was gut ist, als gut zu verstehen 9 0 . O b ein vorgängiges, nichtreligiöses und logisch unabhängiges Wissen um das Gute in jedem Fall zu isolieren ist 9 1 , ist nicht ausgemacht. Insbesondere ist nicht sicher, ob mit einem solchen Versuch nicht bereits das zerstört ist, was die Grundlage der Ethik 8 7 So argumentiert James Rachels, G o d and Human Attitudes, Religious Studies 7, 1971, 3 2 5 - 3 3 7 , 333, 335 f. Vgl. auch R. S. Downie, Roles and Values, 175. 8 8 Vgl. T. C . Mayberry, God and Moral Authority, 108; A . C. Ewing, The Autonomy of Ethics, 3 3 - 4 9 , 4 0 , 4 7 . 8 9 Vgl. Κ. Nielsen, Ethics Without God, 7 - 9 . 9 0 Vgl. R. W . Hepburn, Christianity and Paradox, 42 f. 9 1 Vgl. Κ. Nielsen, Ethics Without God, 10; R. W . Hepburn, Christianity and Paradox, 1 2 8 - 1 3 1 ; H . Oppenheimer, The Character of Christian Morality, 36.
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religiöser Menschen ausmacht, und die Funktion in Frage gestellt ist, die die Religion für die Ethik überhaupt haben kann 92 . Die erkenntnistheoretische Überlegung hat die Frage gestellt, ob „Gott ist gut" als analytische Aussage gelten kann oder ob nicht ein von der Religion unabhängiges Kriterium des moralisch Guten auch für die religiöse Moral, die Gott als gut versteht, vorausgesetzt ist 93 . Sie hat die Folgerung nahegelegt, daß für beide Sätze, „Gott will x, weil es gut ist" und „x ist gut, weil Gott es will" eine unabhängige moralische Erkenntnis des Guten von Seiten des Menschen vorausgesetzt ist, sofern sie zum Verständnis dieser Sätze notwendig ist. Denn ohne diese Kenntnis kann auch der Wille Gottes nicht als gut erkannt werden. Nur wenn man anerkennt, daß das moralische Urteil des Menschen im Spiel ist, kann man dem Argument entgehen, die Gleichsetzung des Guten und des Willens Gottes käme einem Zirkel gleich, in dem beide Elemente sich wechselseitig bestimmen wollen und letztlich beide Vorstellungen inhaltsleer sind 94 . 3. Die Autonomie der Moral. Die bisherigen Überlegungen haben stets zu dem Argument zurückgeführt, ein von Gott unabhängiges Kriterium des Guten sei vorauszusetzen, eine unabhängige Sphäre der Moral. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt man auch, wenn man von der Vorstellung der Autonomie des moralisch Handelnden ausgeht95. Diese Vorstellung besagt, daß der - und nur der - als moralisch Handelnder angesehen werden kann, der seine Entscheidungen eigenverantwortlich gefällt hat und selbständig vertritt. Nur in diesem Fall schreibt man ihm das Prädikat „moralisch Handelnder" zu, und nur in diesem Fall spricht man von „Moral". Diese Vorstellung schließt von vornherein aus, daß Moral etwas mit Befehlen eines anderen oder mit dem Willen eines anderen als des moralischen Subjekts zu 9 2 Vgl. L. K. Nelson, The Independence of Moral from Religious Discourse in the Believer's U s e of Language, 170. R. N . van W y k bestreitet ausdrücklich, daß Menschen, die an Gott glaubten, seinen Willen deshalb für gut hielten, weil sie zuvor einzelne Vorschriften als gut oder richtig beurteilt hätten. Vielmehr bildeten für sie ihr Glaube und die Uberzeugung, was Gottes Wille sei, eine Einheit, die nicht, auch nicht analytisch, aufzulösen sei (God and Ethics, 171 f). 9 3 Vgl. zu diesem Argument auch P. H . Nowell-Smith, Morality, Religious and Secular, 9 7 ; T . A . Roberts, Morality and Divine Commands, 51. 9 4 W e r behauptet, Gottes Wille sei gut, und gleichzeitig „gut" als das definiert, was Gott will, sagt nichts als die Tautologie „Gott will das, was Gott will" (vgl. H . Oppenheimer, The Character of Christian Morality, 34 f). O b diese erkenntnistheoretische Überlegung dem Selbstverständnis des gläubigen Menschen entspricht, ist eine Frage, die gesonderter Beantwortung bedarf. In Abschnitt 4.4. versuche ich eine Antwort zu geben, die vom Selbstverständnis des Gläubigen ausgeht (vgl. auch oben Anm. 78). 9 5 Diese Linie der Argumentation leitet sich von I. Kant her; vgl. Grundlegung der Metaphysik der Sitten, S. B A 8 5 - 8 8 , in I. Kant, Werke, hg. Wilhelm Weischedel, Wiesbaden 1956, Bd. 4, 7 3 - 7 5 uö. Vgl. dazu die Diskussion bei R. M . Hare, Can I Be Blamed for Obeying Orders?, The Listener, O c t . 1955, 5 9 3 - 5 9 4 , wieder abgedr. in R. M. Hare, Applications of Moral Philosophy, London 1972, 1 - 8 , 2 f .
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tun habe 9 6 . Nicht der Befehlscharakter moralischer Urteile als solcher wird abgelehnt 97 , denn damit wäre ja eine deontologische Theorie der Moral prinzipiell unmöglich, und dies widerspricht der Position einiger Vertreter der in Frage stehenden These 9 8 . Doch die Ansicht wird zurückgewiesen, daß ein anderer als der moralisch Handelnde selbst die moralischen Normen vorschreiben könnte. Jeder setzt sich seine Normen selbst oder akzeptiert zumindest selbst die Normen eines anderen oder seiner Umwelt 9 9 . Nur dann handelt jemand verantwortlich, wenn er in dieser Weise eine autonome Moral besitzt. Alle anderen Formen der Verhaltenssteuerung verdienen nicht den Namen der Moral, sondern können allenfalls als Vorstufen der Entwicklung zur Moral, als ihre infantilen Vorformen betrachtet werden 1 0 0 . Sie als erwachsener Mensch zu befolgen, heißt aus dem Sprachspiel der Moral auszuscheiden 101 . Diese Anschauung, so verbreitet sie ist, ist jedoch, wenn sie als Argument gegen eine Verbindung von Religion und Ethik gebraucht wird, mit einem logischen Fehler behaftet: Man begeht, wenn man sie anwendet, eine petitio principii. Denn um zu beweisen, daß moralische Urteile vorausgesetzt sind, wenn man Gott als Kriterium der Moral annimmt, verwendet man eine Anschauung, die ihrerseits die völlige Unabhängigkeit der Moral von allen anderen Instanzen vertritt. Man hat damit das gewünschte Beweisresultat schon in die Prämisse des Beweises eingeschlossen - und nichts bewiesen 102 . Begrenzt man die Aussagekraft dieses Argumentes darauf, daß es lediglich betont, man müsse sich zuerst entscheiden, dem Willen Gottes zu folgen, bevor der Wille Gottes moralisch verpflichtende Kraft hat, dann ist der 9 6 Vgl. de Graaff, God and Morality, 3 4 f ; P. H. Nowell-Smith, Morality, Religious and Secular, 97; J . Rachels, God and Human Attitudes, 334. 9 7 Gegen G. de Graaff, God and Morality, 34, und T. A. Roberts, Morality and Divine Commands, 60. 9 8 Vgl. P. H. Nowell-Smith, Morality, Religious and Secular, 98 f. Die deontologische Konzeption der Moral bedürfte eigener Erörterung, die hier aus Platzgründen ausgespart werden muß. 9 9 Vgl. R. M. Hare, Die Sprache der Moral, 97f, § 4.5. uö. Hare weist auch hier auf Kant hin. 1 0 0 P. H . Nowell-Smith, Morality, Religious and Secular, 98-104. Hier kann die Frage nicht ausführlich erörtert werden, inwieweit die These Nowell-Smiths zutrifft, daß derjenige, der sich für die Ethik des Christentums entscheidet, sich einer infantilen Form der Ethik verpflichtet, die gerade in den Teilen, die das spezifisch Religiöse an ihr ausmachen, wesentliche Elemente der Moralität von Kindern bewahrt (die heteronome Einstellung gegenüber Regeln, die zu einer streng deontologischen Ethik führt, und den „moralischen Realismus", der nur äußerliche Fakten als moralisch relevant ansieht), statt zur unabhängigen, freien Moral der Erwachsenen zu gelangen, die sich durch autonome Einstellung gegenüber Regeln und durch eine teleologische Orientierung der Ethik auszeichnet. Der oben gegebenen Darstellung zufolge wäre allerdings die Entscheidung zur religiösen Ethik selber ein autonomer Akt, der aller Heteronomie vorangeht. Doch ist die Frage nicht leichthin zu erledigen, ob sich christliche Ethik oft nicht allzu bereitwillig denen anbietet, die unablässig nach einem „Vaterersatz" suchen. 1 0 1 Vgl. J . Rachels, God and Human Attitudes, 334. 1 0 2 Vgl. dasselbe Argument in anderem Zusammenhang bei G. C. Graber, A Critical Bibliography of Recent Discussions of Religious Ethics by Philosophers, 59.
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logische Fehler vermieden 1 0 3 . Dann ist aber auch die argumentative Reichweite der Überlegung sehr eingeschränkt: Sie sagt dann nur, daß der Wille Gottes nicht aus sich selbst heraus moralisches Kriterium ist, sondern ein Akt der Zustimmung von Seiten des Menschen vorausgesetzt bleibt. Unter dieser Voraussetzung ist es freilich möglich, Gott als Kriterium moralischer Entscheidungen anzusehen. Dies zu tun widerspricht nicht der Vorstellung, die Moral sei autonom. Denn die Entscheidung, Gott als moralisches Kriterium zu akzeptieren, ist selber ein Akt autonomer Wahl. Anschließend der Autorität Gottes zu folgen kann nicht als gänzlich heteronom betrachtet werden. Und es kann nicht bestritten werden, daß ein solches Leben das Leben eines verantwortlichen moralischen Subjekts ist 1 0 4 . Die in diesem Abschnitt erörterten Gedankengänge haben somit allesamt zu einem Schluß geführt: Es gibt die Sphäre der Moral, die von Aussagen über Gott unabhängig ist. Man kann moralische Sätze äußern, ohne zugleich religiöse Sätze zu implizieren. Die Untersuchung der religiös fundierten Moral hat zu der Einsicht geführt, daß es Elemente des Moralischen in jeder religiösen Moral gibt, die von religiösen Voraussetzungen prinzipiell unabhängig sind oder zumindest als unabhängig betrachtet werden können. Moral und Religion sind also keine identischen Bereiche. Moralische Urteile sind von religiösen Aussagen nicht notwendig abhängig. Damit ist die These des vorangehenden Abschnitts endgültig abgewiesen. Der umgekehrte Zusammenhang gilt jedoch: Religiös-ethische Sätze inkludieren oder implizieren ethische Basisaussagen. Daß es keine Ethik ohne Gott gäbe, kann man also nicht sagen. Die Ethik ist autonom. Es gibt ein unabhängiges Wissen vom Guten. Nicht bestritten wurde durch die Gegenargumente jeweils die eingeschränkte These, daß es eine Konzeption der Ethik gebe, für die ein innerer Zusammenhang von Ethik und Religion besteht. Dies ist der Bereich spezifisch religiöser Ethik. Doch dessen Möglichkeit und Legitimität standen in diesem und dem vorangehenden Abschnitt nicht zur Debatte. Ergebnis dieser Diskussion ist vielmehr die Erkenntnis, daß nicht alle Moral von Gott oder der Religion mit Notwendigkeit abhängig ist, sondern daß die Moral Selbständigkeit besitzt. 4.4. Religiöse und nichtreligiöse Ethik Die theologische Ethik steht vor dem eben zusammengefaßten Sachverhalt als dem Ergebnis der analytischen Beschäftigung mit der Beziehung von Religion und Ethik. Was bleibt ihr zu tun übrig? Muß sie diese Ergebnisse 1 0 3 Diese Folgerung zieht R. M . Hare, Can I Be Blamed for Obeying Orders?, 3. Allerdings ist die Einschränkung zu beachten, auf die oben, Anm. 78 und 80, hingewiesen ist. 1 0 4 Gegen J . Rachels, God and Human Attitudes, 334, mit G. C . Graber, A Critical Bibliography of Recent Discussions of Religious Ethics by Philosophers, 62.
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akzeptieren und damit leben? Wenn sie das tun muß - welche Folgerungen muß sie für ihre Arbeit und für ihr Gegenstandsfeld daraus ziehen? Diese Fragen schließen sich hier logisch an. Sie werden von Theologen nicht einhellig beantwortet. Es zeichnen sich zwei Gruppen von Reaktionen ab. Beide unterscheiden sich in ihrer Stellung zum Euthyphron-Dilemma. 1. Die Unabhängigkeit der Moral von der Religion. Die eine Gruppe akzeptiert die Kritik, die an der Möglichkeit, ethische Aussagen von theologischen abzuleiten, geübt wurde. Diese Theologen erkennen die Ergebnisse der moralphilosophischen Diskussion um die Rolle Gottes als Kriterium der Ethik ohne grundsätzliche Vorbehalte an. Sie stimmen den Moralphilosophen zu, die erwiesen zu haben glauben, daß es ein notwendigerweise unabhängiges Kriterium des Guten gebe und daß eine moralische Entscheidung vorausgesetzt sei, wenn Gott oder Gottes Wille eine Funktion in der Ethik haben sollten. Man muß zuerst wissen, was „gut" ist, bevor man Gottes Willen als „gut" bezeichnen kann. Die Argumente, die für diese Ansicht sprechen, wurden im letzten Abschnitt dargelegt. Wenn man ihnen folgt, gelangt man zu der Konzeption einer autonomen Moral, einer Moral, die von religiösen Voraussetzungen frei ist. Das heißt freilich nicht, daß auf dieser Grundlage keine religiöse Ethik möglich wäre, denn es ist ja nicht bestritten, daß überhaupt eine Beziehung zwischen Moral und Religion bestehen könne. Es ist lediglich ausgeschlossen, daß die Religion die notwendige Norm aller Ethik sei. Man kann ethische Aussagen - so wird gesagt - nicht von Sätzen über religiöse Inhalte ableiten. Eine Handlung ist nicht deswegen gut, weil Gott autoritativ festgesetzt hat, sie sei gut. Vielmehr ist sie gut aus anderen Gründen - je nach metaethischer Position: weil sie bestimmte Eigenschaften besitzt, die sie gut machen; weil sie einen Zustand herbeiführt, der solche Eigenschaften besitzt; weil sie einer Vorschrift entspricht, die in sich selbst gut ist; weil sie dem anerkannten Moralcode einer Gruppe entspricht; weil sie vom moralischen Subjekt als gut bezeichnet wird und daher gut ist; weil sie unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren die beste der möglichen Alternativen ist etc. Was als moralisch gut gilt, hat diese Qualität aus eigenem Recht. Hat man Ethik so konzipiert, dann kann Religion nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen, etwa als unterstützende Instanz während der Sozialisation von Kindern, wobei Religion die Internalisierung von Grundnormen erleichtern kann, später jedoch von freier, autonomer Einsicht abgelöst werden muß 1 0 5 . Oder Religion dient dazu, schwache moralische Einstellungen von Menschen psychologisch zu unterstützen 106 . Jedenfalls muß anerkannt werden, daß religiöse Moral auf derselben Grundlage wie alle ios Vgl ρ j-j Nowell-Smith, Morality, Religious and Secular, 1 0 0 - 1 0 2 uö. 1 0 6 Diese Funktion der Religion wird unten erörtert, wenn die Position R. B. Braithwaites dargestellt wird, vgl. Abschnitt 5.4.
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Moral beruht: auf der autonomen Entscheidung des Menschen. Die Religion kann allenfalls sekundäres Rankenwerk zu dieser Entscheidung darstellen. 2. Das Selbstverständnis religiöser Ethik. Hinter dieser Konzeption steht die Vorstellung, daß Gott etwas will oder die Religion etwas als gut bezeichnet, weil es gut ist, wobei Menschen dieses Gutsein unabhängig von Gott oder der Religion zu erkennen vermögen. (2) Dieser Vorstellung widerspricht die zweite Gruppe von Theologen und Philosophen. Sie bestreitet von vornherein, daß das Euthyphron-Dilemma überhaupt eine der Religion angemessene Redeweise ist. Denn beide alternativen Möglichkeiten, daß Gott das Gute wolle, weil es gut sei, und daß das Gute allein deshalb gut sei, weil Gott es wolle, verkenne - so argumentieren sie - die religiöse Ethik gründlich. Die religiöse Ethik unterscheidet nämlich nicht zwischen beiden Konzepten: zwischen dem Willen Gottes und dem moralisch Guten. Gottes Wille ist gut, weil Gott gut ist. Und Gott will das Gute, weil Gott gut ist. Keine der beiden Alternativen des Dilemmas trifft daher das Selbstverständnis der religiösen Ethik, zumindest nicht das der christlichen Ethik 107 . Für den Christen (wie auch für den Juden) gilt nämlich die These der vollständigen Autonomie der Ethik nicht, vielmehr geht er davon aus, daß die beiden Bereiche der Ethik und der Religion in Zusammenhang stehen 108 . Diese Position steht also der Zuspitzung der These des letzten Abschnitts entgegen, daß eine Aussage über das Gutsein Gottes nur sinnvoll ist aufgrund der Tatsache, daß der Mensch, der diese Aussage macht, ein vorgängiges Wissen um das Gute besitzt. Es wird nicht bestritten, daß es möglich ist, die religiöse Ethik so zu verstehen. Aber es wird in Frage gestellt, ob es diese Verordnung des moralischen Urteils notwendig geben müsse. Die These des letzten Abschnitts ging ja von der Beobachtung aus, daß der Wille Gottes und das Gute nicht von vornherein identisch sein müssen. Es hat Sinn, die Frage zu stellen: „Ist das, was Gott will, gut?" Daher gibt es die Differenz zwischen beiden Vorstellungsinhalten, dem Willen Gottes und dem Guten 109 . Dieselbe Differenz erweist sich am Unterschied der beiden Sätze „Gott befiehlt mir, χ zu tun" und „Ich soll χ tun". Denn offenbar ist es möglich, den zweiten Satz zu äußern, ohne den ersten notwendig zu implizieren. Dagegen ist es nicht möglich, den ersten Satz zu akzeptieren, ohne zugleich das Verpflichtungsurteil des zweiten Satzes anzuerkennen110. Da107 Vgl. H u w Parri O w e n , Some Philosophical Problems in Christian Ethics, Theology 76, 1973, 1 5 - 2 1 , wieder abgedr. in G. R. Dunstan, H g . , Duty and Discernment, 1 - 8 , 2, vgl. aber S. 4. ios V g l . j M. Gustafson, Religion and Morality from the Perspective of Theology, in G. O u t k a u . J. P. Reeder Jr., H g . , Religion and Morality, 1 2 5 - 1 5 4 , 1 5 3 . 1 0 9 Vgl. oben Abschnitt 4.3. no Vgl. D . A. Rees, The Ethics of Divine Commands, Proceedings of the Aristotelian Society 5 7 , 1 9 5 6 / 5 7 , 8 3 - 1 0 6 , 8 6 .
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her, so wird argumentiert, ist das moralische Urteil ursprünglich, unabhängig von religiösen Annahmen, während die religiöse Ethik die Ethik überhaupt voraussetzt und möglicherweise integriert 111 . Eine solche Ansicht kommt dem Autonomiestreben des Menschen nach der Aufklärung entgegen, doch sie widerspricht der Anschauung einer ganzen Reihe von religiös gebundenen Menschen oder erfordert deren radikale Umgestaltung. Sie läßt sich nämlich kaum mit der traditionellen Gottesanschauung der Religion in Einklang bringen. Sie wird dem Sprachgebrauch der Gläubigen nicht gerecht und muß daher auf derselben Grundlage zurückgewiesen werden, auf der sie gegen die religiöse Ethik angetreten ist. Sie stützt sich ja wesentlich auf Argumente aus dem alltäglichen Sprachgebrauch. Doch ihre Ergebnisse stimmen nicht mit dem alltäglichen Sprachgebrauch von Menschen überein, die daran festhalten, daß die Religion eine Bedeutung für ihr Leben hat. Dies behaupten jedenfalls die Betroffenen. D a Sprachanalyse dort ihre Grenze hat beziehungsweise dort unrichtig wird, wo ihre Ergebnisse nicht mehr als korrekte Analyse akzeptiert werden, ist mit dieser Behauptung ein kritischer Punkt der Analyse erreicht. Wenn religiöse Menschen sagen, der Versuch, ein unabhängiges moralisches Urteil über Gottes Willen vorauszusetzen, biege ihren Sprachgebrauch um, dann muß man annehmen, daß die gegebene Analyse das Phänomen, das sie zu analysieren vorgibt, nicht adäquat angeht. In diesem Fall muß eine neue, adäquatere Analyse entwickelt werden, die die Fehler der früheren vermeidet. Zwei Autoren lassen Ansätze zu einer solchen Analyse erkennen: D . Z. Phillips und P. Brown. Ihre Beiträge unterscheiden sich zwar in der Zielsetzung, dennoch stimmen sie an dem Punkt überein, der für die gegenwärtige Diskussion von Belang ist. Beide beschäftigen sich ausdrücklich mit der religiösen, genauer: mit der jüdisch-christlichen Ethik, wobei sie die Möglichkeit nichtreligiöser Moral zugestehen 1 1 2 . Und beide betonen sie die Selbständigkeit der religiösen Moral. Zu dieser Selbständigkeit gehört es, daß die Termini der religiösen Moral ihre Legitimation nicht erst aus einer säkularen oder allgemein gültigen Moral ableiten, sondern aus eigenem Recht besitzen. Gottes Wille ist dieser Sicht zufolge aller Bestreitung zum Trotz tatsächlich identisch mit dem Guten 1 1 3 oder selbst Kriterium des Guten 1 1 4 . Es ist nicht möglich, den Glauben an den jüdisch-christlichen Gott von seinen moralischen Implikationen abzutrennen. „ G o t t " ist daher selbst ein „teilweise moralischer Begriff" 1 1 5 , ein Begriff, der notwendig moralische Implikationen hat. Man kann weder im Vollzug christlicher Existenz noch bei der Entscheidung zum Glauben zwei getrennte Akte 111 112
Vgl. K. Nielsen, Some Remarks on the Independence of Morality from Religion, 143 f. Vgl. oben Abschnitt 4.2.; P. Brown, Religious Morality; D . Z. Phillips, G o d and Ought,
133. 113 114 115
D . Z. Phillips, G o d and Ought, 133. P. Brown, Religious Morality, 238f. AaO.238.
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unterscheiden, wobei im einen Gott als Autorität anerkannt würde und im anderen (vorangehenden) Gott das Prädikat „gut" zugeschrieben würde. Wer sich für den Glauben entschieden hat, hat damit - in einem - Gott als Herrn und Gottes Willen als moralische Instanz akzeptiert. Für ihn ist Gott dann tatsächlich das letzte Kriterium des moralisch Guten 1 1 6 . „Gott ist gut" ist für ihn (wenn auch nicht für alle Menschen) ein analytisches Urteil, eine „Wahrheit der Sprache" 1 1 7 und nicht ein synthetisches Urteil, mit Hilfe dessen dem Subjekt „ G o t t " das Prädikat „gut" in einem Akt moralischen Urteilens zugeschrieben oder übertragen würde 1 1 8 . Es widerspräche der Vorstellung von Gott anzunehmen, er sei nicht gut und wolle nicht das Gute. Ihn als Gott zu bekennen impliziert daher zugleich, seinen Willen als Standard des Guten anzuerkennen. „Gut" heißt dann - für Gläubige - nichts anderes als „was Gott will". Beide Konzepte, das des Guten und das des Willens Gottes, sind so eng ineinander verwoben, daß sie sich gegenseitig bestimmen. D a der Wille Gottes so wenig wie das Gute in jedem Fall ohne weiteres evident ist, gibt es auch für Gläubige die moralische Argumentation als Bestandteil ihrer moralischen Existenz. Auf keinen Fall kann jedoch für den Gläubigen Gott ohne das Gute und das Gute kann nicht ohne Gott gedacht werden. Dies ist auch der Grund, weshalb der Gedanke für ihn unvollziehbar ist, durch die Vorstellung, Gottes Wille besitze besondere Bedeutung für die Moral, werde die Moral selbst arbiträr. Sofern nämlich Gott und das Gute zusammengehören, ist für Willkür hier kein Raum 1 1 9 . Die Ansicht, daß ein unabhängiges moralisches Urteil die Voraussetzung auch der religiösen Ethik darstellt, wurde abgewiesen, weil sie dem Sprachgebrauch gläubiger Menschen nicht entspricht. Die eben entwickelte Auffassung scheint in dieser Hinsicht adäquat zu sein. Jeder Gläubige wird zustimmend betonen, daß er nicht zuerst beurteilt, ob das, was Gott will, gut ist oder nicht, bevor er entscheidet, was er tun wird. „Gott" und „gut" gehören für ihn ursprünglich zusammen, und es ist nicht vorstellbar, die eine Vorstellung zu akzeptieren, ohne zugleich den anderen Gedanken eingeschlossen zu haben 1 2 0 . Die Gottesvorstellung und die Ethik stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang. Die religiöse Ethik ist also nicht von ihrem Bezug auf A a O . 239. A a O . 2 3 8 ; vgl. D . Z. Phillips, God and Ought, 133: ,„good' means ,·whatever G o d wills'". 116
117
1 1 8 P. Brown, Religious Morality, 239, gegen P. H . Nowell-Smith, Morality, Religious and Secular, und Κ . Nielsen, Some Remarks on the Independence of Morality from Religion. Vgl. auch oben Abschnitt 4.3. 119 Vgl. oben Abschnitt 4.3. Von einer anderen Grundlage aus argumentiert G. C . Graber (A Critical Bibliography of Recent Discussions of Religious Ethics by Philosophers, 60 f) gegen die Vorstellung von der Arbitrarität der Entscheidungen Gottes: Man müsse bei G o t t nicht ethische Gründe annehmen, um diese Vorstellung auszuschließen. Andere Gründe und Motive (Wohlwollen zum Beispiel) genügten zu diesem Zweck ebenso. U n d diese Motive gehörten zu Gottes Charakter. 1 2 0 Vgl. D . Z . Phillips, G o d and Ought.
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Gott abzulösen. Für die religiöse Ethik muß zwar nicht notwendig der Satz gelten, der oben bestritten wurde: Die Moral ist von der Religion abhängig. Doch es gilt der Satz: Die Moral und die Religion hängen untrennbar zusammen 121 . 3. Metaethische Voraussetzungen: Sprachspiele der Moral? Eine solche Position kann man nur vertreten, wenn man bestimmte metaethische Voraussetzungen macht, wenn man sich für eine bestimmte metaethische Konzeption entscheidet. Der enge Zusammenhang zwischen Religion und Moral kann nur behauptet werden, wenn daneben noch andere Formen der Moral zugestanden werden. Denn wie der Gläubige es ablehnt, seine Moral ohne Bezug auf Gott beschrieben zu sehen (und gleichwohl rationaler Argumentation einen Platz in seiner Ethik einräumt), so lehnt es der Atheist oder Skeptiker ab, diesen Bezug vorauszusetzen. Die metaethische Konzeption, die diese Vorstellung ermöglicht, wurde im letzten Teil dieser Arbeit im Anschluß an D. Z. Phillips und H. O. Mounce und R. W. Beardsmore entwickelt 122 . Sie nimmt an, daß mehrere Ethiken nebeneinander bestehen und daß es eine Sache der Entscheidung ist, welche Ethik jemand hat. So können hier religiöse und nichtreligiöse Formen der Moral nebeneinander stehen. Jede dieser Formen beruht auf einer grundlegenden Entscheidung. Einmal kann sie utilitaristische Überlegungen zu ihrer Rechtfertigung bemühen, das andere Mal Überlegungen zum formalen Verpflichtungscharakter der Moral als einer universellen Lebensform, ein drittes Mal etwa den Bezug auf eine religiöse Position. Die religiöse Moral ist entweder eine Form der Moral unter anderen Formen, eines der moralischen Sprachspiele123, oder sie ist ein eigenständiges Sprachspiel neben dem moralischen oder neben den moralischen Sprachspielen, eine Institution eigenen Rechts, die ihre Berechtigung nicht erst von der Institution der Moral herleiten muß 124 . Die Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten fällt aus anderen Gründen als aus solchen der Moral. Die erste Lösung wird namentlich dann vorgezogen, wenn die Moral als die Verifikationsbasis der Religion bemüht wird 125 . In beiden Fällen ist allerdings die Selbständigkeit der religiösen Moral bewahrt. Nicht „die Mo1 2 1 Paul T . Menzel spricht in seinem Aufsatz Divine Grace and Love. Continuing Trouble for a Logically Non-Dependent Religious Ethics (Journal of Religious Ethics 3/2, 1975, 2 5 5 2 6 9 ) davon, daß die Prinzipien religiöser Ethik nur in ihrem Kontext, nicht aber in ihrem Wesen religiös sind („contextually . . . not essentially", 268). Eine religiöse Ethik könne ihre Prinzipien durchaus im spezifischen Kontext der Religion gewinnen und sei insofern autonom. Aber sie könne nicht zu spezifisch religiös-ethischen Prinzipien gelangen. N u r der Kontext bestimme diese Prinzipien als solche einer religiösen Ethik (ebd.).
Vgl. oben Abschnitt 3.6. Dieser Ansicht neigen R. B. Braithwaite und R. M. Hare zu. Vgl. unten die Diskussion in Abschnitt 5.4. 1 2 4 Das entspricht der Position D. Z. Phillips', vgl. G o d and Ought, 137f. 122
123
125
Vgl. dazu unten die Diskussion um R. B. Braithwaite, Abschnitt 5.4.
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ral" entscheidet darüber, was als gut im Sinn der religiösen Moral gilt. Die Religion selbst erklärt Gott und das Gute für identisch. Daher ist für den religiösen Menschen die Frage, ob der Wille Gottes gut sei, tatsächlich redundant. E r lehnt es ab, beide Vorstellungen auf zwei voneinander unabhängige Bereiche aufzuteilen. Sie stehen daher nicht auf demselben gemeinsamen Grund in Konkurrenz miteinander, sondern sind Alternativen, die jeweils für sich eine eigene Lebensweise (einen eigenen „way of life") darstellen 1 2 6 . Jemand entscheidet sich für die eine oder andere säkulare oder religiöse Form der Ethik und wendet dann deren Kriterien an. Hat er sich für die religiöse Ethik entschieden, kann er nicht deren Kriterien zurückweisen oder unabhängig über sie entscheiden, denn wenn er dies versuchte, wiese er die Lebensform selbst zurück, zu der er sich entschieden hat 1 2 7 . Auf dem Boden der erwähnten metaethischen Konzeption ist diese Ansicht möglich und für die religiöse Ethik darüber hinaus adäquat. Einwände gegen diese Auffassung können erhoben werden, wenn man eine andere, begrenztere metaethische Konzeption vertritt 1 2 8 . Wenn man nämlich annimmt, daß die Moral inhaltlich bereits festgelegt ist oder zumindest doch Grenzen des Möglichen definiert und nicht alles als Moral zählt, was auf einer beliebigen Prinzipienentscheidung von Menschen beruht, hat man einige Uberzeugungen, die als moralisch gelten wollen, ausgeschlossen. Man hat damit aber auch der These den Grund entzogen, es stünden mehrere, ja prinzipiell unbeschränkt viele moralische Sprachspiele gleichberechtigt nebeneinander und eines davon sei eben die christliche Ethik. (Dabei ist die Frage völlig offen, ob es so etwas wie „die christliche Ethik" überhaupt gibt 1 2 9 .) Dieser Diversifikation der Moral in lauter partikulare Ethiken gegenüber verfolgt die Gegenposition in der Tendenz die Idee der Einheit der Moral. Die eine menschliche Moral ist es, an der alles, was sich moralisch nennt, teilhat. Sie hat unterschiedliche Ausprägungen, doch keine, die von dem allgemeinen Konzept der Moral abzutrennen und ihm gegenüber völlig selbständig wären. Vielmehr haben diese unterschiedlichen Ausprägungen gerade im Bezug auf die eine Moral ihren Zusammenhalt. Die Unterschiede liegen allein darin, daß einzelne Züge der Moral stärkeres Gewicht erhalten als andere, so daß einmal eher die Objektivität der moralischen Forderungen, ein andermal der Forderungscharakter der Moral, ein drittes Mal die Motivation zur Moral betont wird. Weitere Formen mit anders gesetzten Schwerpunkten ließen sich anfügen. Obgleich diese Unterschiede zugelassen werden, wird daran festgehalten, daß die Moral dennoch einen einheitlichen Vgl. D . Z. Phillips, God and Ought, 137. Vgl. aaO. 139. 1 2 8 Zum folgenden vgl. auch die Debatte um den Relativismus, oben Abschnitt 3.3., und die Erörterung über die Begriffe „Moral" und „Religion" in Abschnitt 4.1., Ziffer 3. 1 2 9 J. P. Reeder Jr., Patterson B r o w n on God's Will as the Criterion of Morality, 235f, bestreitet dies. 126 127
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Vorstellungsinhalt besitzt, der mit fundamentalen Prinzipien wie dem der Gerechtigkeit etwa in Verbindung zu bringen ist. Daran müssen sich alle Spielarten und Ausdrucksformen der Moral messen lassen. 4. Von der Religion geprägte Form der Moral. Der Streit zwischen den beiden Konzeptionen der Moral, der eher relativistischen Konzeption vieler moralischer Sprachspiele und der Konzeption der Moral als einer Einheit, wurde oben 1 3 0 als müßig erwiesen. Es wurde argumentiert, daß beide Konzeptionen die Moral lediglich aus unterschiedlicher Perspektive betrachten. Die erste Position sieht die Entscheidung zur Moral oder zu einer bestimmten Moral als zentral, die zweite die Tatsache, daß es eine allen Moralsystemen gemeinsame, durch rationale Argumentation zu erweisende Grundlage gibt. Beide Sichtweisen betonen also jeweils wichtige Aspekte der Moral. Der Gegensatz wird dann greifbar, wenn man auf die relativistischen beziehungsweise absolutistischen Konsequenzen beider Positionen blickt. Erlaubt man jedoch beiden Positionen, sich gegenseitig zu relativieren und zu ergänzen, indem man sie zusammenbindet, dann lassen sich diese letzten Konsequenzen eben vermeiden, und der vermeintliche Gegensatz erweist sich als die Verschiedenheit der betonten Aspekte 131 . Dieses Ergebnis bestätigt sich auch im vorliegenden Zusammenhang, in dem es um die unterschiedliche Beurteilung des Verhältnisses von Religion und Ethik von beiden Standpunkten aus geht. Beide Positionen erheben Anspruch-auf Ausschließlichkeit. Die eine besagt: Moral ist unabhängig von aller Religion, und Religion muß, soweit sie Moral einschließt, allererst durch einen Akt moralischen Urteilens begründet werden. Die andere Position heißt: Religion ist hinsichtlich ihrer Ethik eine neben anderen Arten von Moral. Als solche ist sie autonom und keineswegs von moralischen Kriterien abhängig. Reduziert man den Anspruch beider Positionen auf das ihnen zukommende Maß, so zeigt sich, daß auch sie wichtige Aspekte religiöser Moral sehen, aber sie absolut setzen: Die eine Sichtweise betont die Tatsache, daß es ein breites Einverständnis über Moral gibt und daß auch die religiöse Ethik daran partizipiert. Die andere sieht eher die Unterschiede zwischen den Moralsystemen und legt das Gewicht ihrer Aussage auf den Sachverhalt, daß die Religion in der religiösen Ethik eine bedeutende Rolle spielt. So verstanden stellen beide Ansichten Richtiges fest. Beide betonen Zusammengehöriges. Nun kann man diesem Versuch einer Synopse entgegnen, er harmonisiere zwei Dinge, die einander widersprechen, oder zumindest: er verbinde zwei disparate Ansichten zu schnell. Diesen Einwand wird vermutlich jeder erheben, der sich für die eine der beiden Seiten entschieden hat und Grund zu haben glaubt, den anderen Zugang zu dem Problem für unange1 3 0 Vgl. bereits die Diskussion zwischen S. E . Toulmin und R. M. Hare, wie sie in Abschnitt 3.2. dargelegt ist. 131
Vgl. oben, insbesondere Abschnitt 3.3. und 3.6.
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messen zu halten. Er wäre berechtigt, wenn man sich weigerte anzuerkennen, daß die Synopse wesentliche Abstriche an den ursprünglichen Positionen erforderlich macht. Statt um die Vorordnung der Moral gegenüber der Religion geht es darum, die Teilhabe religiöser Menschen an der Moral überhaupt festzuhalten. Statt um die Gleichstellung von Religion und Moral geht es darum, die religiöse Moral als eine besondere, von der Religion geprägte Form der Moral zu sehen. Die Ansprüche der ursprünglichen Ansichten sind in der Tat reduziert. Religiöse Moral gilt als eine Ethik wie andere, neben anderen und nach der Analogie anderer Ethiken. Insofern nur ist sie eine Form der Moral. Aus diesem Grund ist es möglich, beide Sichtweisen zusammenzubinden und als Perspektiven derselben Sache zu betrachten. 5. Ergebnis. Am Ende dieser Untersuchung kann man ihre Teilergebnisse zusammenzufassen versuchen: (a) Moral ist das handlungsleitende System, das auf mehreren Ebenen in bezug zur sozialen Interaktion steht. Es wird im Sozialisierungsprozeß internalisiert. Es ist in einer sozialen Gruppe gültig. Es wird durch Bezug auf soziale Elemente begründet und gerechtfertigt, (b) Religion ist ein System von Uberzeugungen, zu dessen Funktionen es gehört, die Welt zu interpretieren und verstehbar zu machen. Es ist um einen transzendenten Bezug zentriert und erhält darin seine spezifische Qualifikation. (c) Beide Systeme sind keine einheitlichen Phänomene, sondern besitzen mehrere unterschiedliche Ausprägungen. Sie können (müssen aber nicht) zueinander in Beziehung treten, (d) Diejenigen Systeme, die beide Ebenen mit ihrem Anspruch abdecken und sich auf beiden Ebenen legitimieren, heißen religiöse Ethik. Es sind Moralsysteme, die einen Bezug zur Religion haben. Sie beruhen auf einer zwar nicht einheitlichen, doch im Prinzip beschreibbaren Interdependenz von Moral und Religion. Sie kann auf verschiedenen Ebenen bestehen, (e) Da die Religion einen absoluten Anspruch an den Menschen erhebt, tendieren religiöse Ethiken dazu, der Religion Superiorität gegenüber der Moral zuzuschreiben 132 . Die religiöse Ethik scheint stärker von der Religion als von der Moral bestimmt. Im Sinn der Unterscheidungen in Abschnitt 4.1. wird durch diese Überlegungen die weiter gefaßte Definition der Religion, die Handlungsleitung als eine Funktion der Religion einschließt, der engeren Definition vorgezogen 133 . Aber es wird nicht gleich jene Definition verwandt, die alles, was mit Vorstellungen zu tun hat, der Religion zuschlägt 134 . Der Weg, der hier beschritten wird, liegt zwischen diesen Möglichkeiten. Der Religion wird Einfluß auf das Verhalten zugeschrieben, soweit die religiöse Ethik tangiert wird. Aber nicht alles Verhalten gilt als letztlich durch die Religion oder 132 133 134
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Vgl. J . Rachels, G o d and H u m a n Attitudes, 334 f. Vgl. oben Abschnitt 4.1., Ziffer 3. Vgl. ebd.
durch quasi-religiöse Entscheidungen gesteuert. Das Konzept der Religion hat eine mittlere Reichweite. Ebenso hat auch das Konzept der Moral jene mittlere Reichweite, die es ermöglicht, Vorstellungsgehalte, Ideale etc. zu umfassen und somit auch eigenständige Ethiken zu konstituieren. Die Definition beider Begriffe ist daher nicht eng. Sie erfolgt so, daß hinreichend klar umrissene Konzepte gegeneinander abgegrenzt werden und die Trennung doch nicht so vollständig ist, daß keine Beziehungen zwischen beiden Bereichen mehr wahrgenommen werden.
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TEIL 5
Die Funktion religiöser Sätze für die Ethik Im vorangehenden Teil dieser Arbeit wurde das Verhältnis von Moral und Religion im Überblick behandelt. Es wurde gezeigt, daß religiöse Moral eine mögliche Konzeption von Moral darstellt, die neben anderen, nichtreligiösen Konzeptionen stehen kann. Die Gemeinsamkeit aller unterschiedlichen Moralsysteme wurde in deren Funktion erkannt - sie dienen der Handlungsleitung - und in dem Erfordernis der transsubjektiven Gültigkeit. Die spezifische Eigenart der religiösen Moral, so wurde gesagt, liegt darin, daß ihre Operationen auf der moralischen Ebene mit Aussagen auf einer dahinter liegenden Ebene der Interpretation der Welt und des Lebens verbunden sind. Diese Auskunft ist zunächst sehr unbestimmt und allgemein. Sie bedarf der Explikation und der Konkretion. Zwei Wege gibt es, diese Aufgabe anzugehen. Der eine bleibt eher abstrakt und versucht zu klären, welche Funktion die Religion für die religiöse Ethik hat. Der andere wird konkreter und beschreibt, wie in einer bestimmten religiösen Ethik, etwa in einer bestimmten Form der christlichen Ethik, Religion und Moral einander zugeordnet sind. Ich wähle den ersten Weg, weil er am ehesten an das anschließt, was bisher erörtert wurde, und weil er nicht ausschließt, wenn erst die theoretische Erörterung zur Klärung geführt hat, später die zweite Fragerichtung aufzugreifen und darzustellen, wie in der christlichen Ethik Religion und Moral zusammenhängen und wie religiöse Elemente im einzelnen die Moral bestimmen oder beeinflussen. Die bisher sehr allgemein geführte Erörterung wird sich also zunehmend auf die christliche Ethik konzentrieren. Damit wird diese Arbeit ihrem Ziel näherkommen, christliche Ethik und analytische Ethik zu konfrontieren und christliche Ethik mit analytischem Instrumentarium zu erfassen. Zunächst geht es also um die Funktion der Religion für die religiöse Ethik, in sprachanalytischer Formulierung: um die Funktion religiöser und dann auch theologischer Sätze für die Ethik 1 . Von „der" Funktion religiöser Sätze für die Ethik zu sprechen ist falsch oder zumindest ungenau. Denn es fällt nicht schwer, mehrere solcher Funktionen zu entdecken und voneinander abzugrenzen. Ich werde einige dieser Funktionen herausgreifen und erörtern. Vollständigkeit ist dabei nicht angestrebt, doch sollen die wichtigsten Typen von Funktionen berücksichtigt werden. 1 Ü b e r die Verwendung der Begriffe „religiös" und „theologisch" vgl. oben Abschnitt 1.1., A n m . 7.
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Dadurch soll die Untersuchung der Eigenart religiöser Moral vorangetrieben werden. Im Anschluß daran kann rückblickend versucht werden, die Differenz und Gemeinsamkeit von religiöser und nichtreligiöser Moral zu beschreiben beziehungsweise präziser - sofern die christliche Ethik bereits ausdrücklich im Blickpunkt stand - die Gemeinsamkeit und Differenz christlicher und nichtchristlicher Ethik. 5.1. Religiöse Sätze als Ausdruck der Objektivität der Moral An erster Stelle ist der weitestgehende Anspruch religiöser Aussagen in bezug auf die Ethik zu besprechen: Religiöse Aussagen wollen als Ausdruck dafür gelten, daß es Objektivität in der Ethik gibt. Man gelangt zu dieser Vorstellung, wenn man das zuerst phänomenologische, dann transzendentalphilosophische Argument weiter verfolgt, das oben als Einwand gegen den Relativismus in der Ethik geltend gemacht wurde 2 . Eine relativistische Position zu vertreten heißt anzunehmen, daß eine Entscheidung allein durch den Verweis auf das Prinzip, zu dem man sich verpflichtet hat, zu rechtfertigen und eine weitergehende Begründung nicht mehr möglich ist. Verschiedene Menschen können unterschiedliche Prinzipien zur Grundlage ihres Handelns machen. Von keinem Standpunkt aus kann man sie kritisieren. Die Gegenargumentation beginnt mit der Beobachtung, daß jede ethische und jede metaethische Theorie die Tatsache des moralischen Argumentierens als ein Datum berücksichtigen muß. Wenn jemand moralisch argumentiert, nimmt er an, daß nicht willkürliche Entscheidungen letzte Basis der Ethik sind - dann könnte er seinen Diskurspartner allenfalls zu überreden versuchen, daß seine eigene Ansicht besser oder vorteilhafter und deswegen der des anderen vorzuziehen ist. Er geht vielmehr davon aus, daß es eine Ebene gibt, auf der rationale Argumente die Richtigkeit der eigenen Position darzulegen vermögen. Von dem Phänomen moralischen Argumentierens kann man auf dessen transzendentale Bedingung zurückgehen und die Vorstellung der Objektivität der Moral postulieren. Autoren, die diesen Weg beschreiten, um den Zusammenhang von religiösen und ethischen Sätzen zu demonstrieren, weichen in der Regel von der oben gegebenen differenzierten Darstellung des Beziehungsgefüges Subjektivität - Relativität - Objektivität ab und plädieren dafür, die Vorstellungen der Subjektivität und der Relativität gänzlich zugunsten der Objektivität der Ethik abzulehnen. Die Konzepte werden als rivalisierende Alternativen gesehen, zwischen denen man sich entscheiden muß. Diese Ansicht wurde bereits als zu einfach abgelehnt. Die Einseitigkeit beider Alternativen wurde in einem synoptischen Modell der Moral aufzuheben versucht. Doch dieser Einwand und die sich daraus ergebende Modifikation der 2
Vgl. Abschnitt 3.3.
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Theorie sollen vorerst hier außer acht bleiben. Es ist genug zu sehen, daß die Vorstellung der Objektivität der Moral mit dem religiösen Element der religiösen Ethik in Verbindung gebracht wird. Dazu drei Beispiele: 1. R. Corkey. R. Corkey argumentiert, daß man erst die Objektivität der Ethik annehmen müsse, bevor man christliche Ethik begreifen könne. Denn die christliche Ethik sei nicht denkbar, ohne jene andere Vorstellung vorauszusetzen3. Daher beginnt er sein Buch mit zwei Kapiteln, deren Aufgabe es ist, sein Reden von der Objektivität ethischer Urteile vorzubereiten. Im ersten Kapitel diskutiert er den ethischen Relativismus und macht auf seine Schwächen aufmerksam. Er sieht den größten Fehler des Relativismus darin, daß er der rationalen Argumentation keinen zureichenden Platz im ethischen Diskus zuzuweisen vermag4. Das zweite Kapitel entwirft eine Theorie der Erkenntnis von Fakten. Corkey zeigt, daß ein intuitives Element des Wissens oder Erkennens vorausgesetzt ist, auch wenn man von faktischer Erkenntnis spricht5. Diese Vorstellung wendet er im dritten Kapitel auf die Ethik an. Wie jemand die Fähigkeit haben muß, seine fünf Sinne zu gebrauchen, um zu faktischer Erkenntnis zu gelangen, so braucht jemand nicht mehr als die normale Befähigung, um zu erkennen, was in einer bestimmten Situation seine Pflicht ist, was moralisch von ihm gefordert ist 6 . Vorausgesetzt, jemand besitzt normale Begabung und einen gesunden Geisteszustand, dann erkennt er zugleich mit der Erkenntnis der Situation seine Verpflichtung. Denn er nimmt entweder den der Situation inhärenten Wert (intrinsic value) oder den grundlegenden Wert bestimmter Weisen der Erfahrung, etwa den Wert der Erfahrung von Glück, von Erkenntnis der Wahrheit, von gutem Willen wahr 7 . In diesem Vorgang ist die ethische Erkenntnis nicht mehr von der Erkenntnis der Fakten der Welt zu unterscheiden. Wer die Fakten erkennt, muß den ihnen inhärenten Wert oder Unwert anerkennen und damit seine moralische Verpflichtung, in einer bestimmten Weise zu handeln. Die Sphäre der Werte partizipiert damit an der Objektivität der Fakten, und die Werterkenntnis partizipiert an der Objektivität faktischer Erkenntnis. In beiden Fällen ist Intuition die Basis des Erkennens und zugleich eine Fähigkeit, die jeder normale Mensch besitzt 8 . Die Objektivität der Moral bedingt ihren Verpflichtungscharakter und damit ihre Autorität 9 . Beide Züge werde von vielen metaethischen Theorien 3 4
R. C o r k e y , A Philosophy of Christian Morals for Today, London 1961, vgl. 32 f. 5 Vgl. aaO. 2 5 , 2 8 , 3 1 . 6 Vgl. aaO. 3 5 - 3 7 . 7 Vgl. aaO. 38. Vgl. aaO. 22 f.
8 Corkeys metaethische Theorie ist intuitionistisch: E r setzt einen speziellen „moral sense" voraus, der auf die Erkenntnis der moralischen Verpflichtung ausgerichtet ist (aaO. 41, vgl. 25, 32 ff, 37). 9 Einen Hinweis auf die Objektivität der Moral stellt die Rede vom Gewissen dar. Sie ist nicht unbeeinflußt von religiösen Uberzeugungen. Vgl. dazu auch Corkeys Begriff der „conscientious convictions", aaO. 1 3 2 , 1 3 9 uö.
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verkannt 1 0 . In zufriedenstellender Weise lassen sie sich nach Corkey nur dann erfassen, wenn es einen Garanten der Objektivität der Moral gibt - und dies ist der Gott des ethischen Theismus 1 1 , die Vorstellung des Willens Gottes 1 2 . Die Objektivität moralischer Forderungen braucht eine Basis, und diese liegt in dem Gott des christlichen Glaubens 1 3 als der letzten Autorität, die moralische Forderungen begründet 1 4 . Corkey will nicht die Religion der Moral vorordnen. Er betont ausdrücklich die Unabhängigkeit und Unmittelbarkeit der Erkenntnis des moralisch Gesollten 1 5 . Doch er insistiert, daß es keine adäquate Darstellung des moralischen Imperativs in seiner Objektivität und Autorität gibt ohne theistische Annahmen 1 6 . Alle anderen Versuche, eine Darstellung der Ethik zu geben, können deren objektiven Charakter nicht zur Geltung bringen, letztlich versagen sie und führen zu den Konsequenzen des Relativismus oder Irrationalismus 1 7 . Die intutitve Erkenntnis des bindenden Charakters moralischer Forderungen stellt daher ein Argument für die Existenz Gottes dar, während die Annahme der Existenz Gottes ihrerseits die objektivistische Darstellung der Moral stützt. Denn wer weiß, daß moralische Aussagen objektiv sind und einen Wahrheitswert besitzen, wird fragen, worin diese Objektivität begründet ist. Die Annahme der Existenz Gottes kann diese Frage beantworten, sofern Gott als Schöpfer und Garant des objektiv existierenden moralischen Ideals gilt 1 8 . Das Vorhandensein des moralischen Gesetzes beweist dann zwar nicht die Existenz Gottes. Doch die Tatsache des Vorhandenseins dieses Gesetzes läßt sich leichter einsehen, wenn Gottes Existenz vorausgesetzt wird 1 9 . Corkey geht also von der Objektivität der Moral aus und redet um der Objektivität willen im Zusammenhang der Moral von Gott. Er vollzieht damit die in der Struktur gleiche Denkbewegung, wie sie dem moralischen Gottesbeweis zugrundeliegt: Aus Gründen der Moral wird die Existenz Gottes postuliert. (Man muß diesen Vergleich einschränken, denn offenbar geht es Corkey nicht darum, Gott zu beweisen, sondern die Bedeutung des unabhängig von der Moral und ihren Erfordernissen bereits als existent angenommenen Gottes für die Moral herauszustellen und theistische mit nichttheistischer Moral zu vergleichen.)
1 0 C o r k e y faßt sie unter den Begriffen Subjektivismus (aaO. 20) und Relativismus (aaO. 21, 39 A n m . 1) zusammen. 1 1 Vgl. aaO. 40. 1 2 Vgl. aaO. 41. 1 3 Vgl. aaO. 124. 1 4 Vgl. aaO. 131. 1 5 Vgl. aaO. 139. 1 6 Vgl. aaO. 140. 1 7 Dies ist die negative Seite der Argumentation von Corkey, aaO. 140-144. 1 8 Vgl. aaO. 140. Daher sagt Corkey auch, es sei nicht möglich, eine zufriedenstellende philosophische Darstellung der Moral und ihrer Autorität zu geben, ohne theistische Annahmen zu machen (ebd.). 1 9 V g l . a a O . 141-143.
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2. Κ. Ward. Strukturelle Ähnlichkeit zum moralischen Gottesbeweis zeichnet auch Keith Wards Darstellung aus. Auch er geht in seinem Buch „Ethics and Christianity" von der Objektivität der Moral aus 20 . Er behauptet, daß Subjektivisten dem Konzept der Moral nicht gerecht werden. Sie verfehlen die Vorstellung der Wahrheit der moralischen Imperative, weil sie Willkür nicht auszuschließen vermögen 21 . Und sie vernachlässigen die Vorstellung des zwingenden oder verpflichtenden Charakters moralischer Forderungen, indem sie die Moral in die Faktizität einer je ergehenden Präskription auflösen 22 . Auch der Versuch der Naturalisten, die Moral auf menschliche Bedürfnisse oder Erfordernisse des Konzeptes Mensch zu gründen, erreicht die Ebene der Objektivität nur scheinbar. Denn menschliches Glück (happiness), Interesse oder Gedeihen (flourishing) sind keineswegs objektive Faktoren, sondern von Wünschen des Menschen beeinflußt, die subjektiv sein können und der Relativität unterliegen23. Demgegenüber versteht Ward die moralische Forderung als einen Anspruch an den Menschen, der von ihm ein bestimmtes Handeln fordert 24 . Das Erkennen dieser Forderung ist nicht abzulösen von einer Stellungnahme zu dem geforderten Handeln, obgleich es zunächst ein Erkennen des Faktums der Forderung ist und nicht notwendig die positive Verpflichtung zu entsprechendem Handeln einschließt, wenn es sie auch als Forderung erhebt 25 . Dies ist zusammengefaßt in Wards Begriff des „moralischen Faktums" 2 6 . Die moralischen Fakten sind notwendig begriffliche Vorstellungen 27 . Sie sind universal 28 , das heißt, sie binden durch ihren Vorstellungsgehalt den Menschen an bestimmte Typen von Handlungen, nicht an einzelne konkrete Handlungen, obwohl sie solche konkreten Handlungen in konkreten Situationen implizieren 29 . Und die moralischen Fakten müssen sich auf die empirische Welt so beziehen, daß das Weltganze die Gesamtheit der moralischen Forderungen ermöglicht und umfaßt. Der Mensch muß so sein können, wie er sein soll, und die Welt außerhalb des Menschen muß so sein, daß das, was von Menschen gefordert ist, möglich ist 30 . Mit Kant argumentiert Ward von diesem Zusammenhang ausgehend, daß die moralischen Fakten daher den metaphysischen Status einer Wirkursache in der Welt 2 0 Keith Ward, Ethics and Christianity. Vgl. dazu schon Abschnitt 3.7. Wenn Ward in Kap. III speziell mit der Objektivität christlicher Ethik beginnt (aaO. 38 f, 47 uö.), dann ist dies allein durch die Art seiner Darstellung veranlaßt, die sich auf christliche Ethik konzentriert. Bereits im vierten Kapitel betont er die Objektivität der moralischen Forderung im allgemeinen (aaO. 60-64). Im ganzen Buch ergreift er Partei für den Objektivismus (vgl. aaO. Kap. VIII, 125-131 ; 268 uö.; auch K. Ward, Moral Seriousness, Philosophy 45,1970,114-127). 2 1 Vgl. Κ. Ward, Ethics and Christianity, 44. 2 2 Vgl. aaO. 50 f. 2 3 Vgl. aaO. 58 f. 2 5 A a O . 66 . 2 6 Ebd. 2 4 A a O . 64 f. 2 9 V g l . a a O . 71. 2 8 A a O . 67-69 . 27 Aa0.66f. 3 0 Damit ist der Gedanke formuliert, daß es notwendige Voraussetzung eines moralischen Verpflichtungsurteils ist, daß das Gesollte dem Handelnden möglich ist: „ought implies can". Vgl. R. M. Hare, Freedom and Reason, Kap. 4, u.v.a.
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haben müssen und der Sphäre der Noumena zuzurechnen sind, daß sie also den Grund für das Wesen der Welt darstellen31. Es ist möglich, den argumentativen Rückgang auf eine letzte begründete Basis der Moral an dieser Stelle abzubrechen. Man muß nicht erklären, was diese moralischen Fakten als letzte Wirkursache ihrerseits bestimmt. Man kann die Grenze menschlichen Erkenntnisvermögens hier respektieren. Doch Ward setzt sich dafür ein, darüber hinausgehende Antworten nicht zu diskreditieren. Die Antwort, die sich logisch hier anschließt, ist ja, ein geistbegabtes Wesen nach Analogie des Menschen anzunehmen, das alle Situationen kennt und die zugehörigen moralischen Fakten bestimmt oder schafft 32 . So gelangt man zu der Annahme der Existenz Gottes, ohne die Gotteslehre von außerhalb an die moralische Theorie heranzutragen. Gott ist dann das moralische Faktum. Der Gedankengang verläuft also von der Einsicht in die Objektivität der Moral über die Vorstellung moralischer Fakten zu der Annahme eines letzten, notwendigen, kausal wirksamen Wesens, das die abgeleiteten moralischen Fakten determiniert: Gott 3 3 . Die Theorie des moralischen Objektivismus führt also zu der Einsicht weiter, daß die theistische Anschauung die am ehesten adäquate Basis der Moral darstellt 34 und keine andere Ansicht der Objektivität der moralischen Forderung letztlich gerecht wird. 3. Diskussion. Die beiden bisher referierten Beispiele ethisch-metaethischer Argumentation ähneln in der Struktur dem moralischen Gottesbeweis. Doch sie sind im strengen Sinn keine solchen Beweise. Denn beide Male wird zuerst argumentiert, daß alle Ethik objektiv ist, dann wird eine einheitliche rationale Erklärung für die Objektivität der Ethik gesucht. Dabei gehen beide Autoren nicht so weit zu behaupten, aus der Tatsache der Objektivität der Ethik lasse sich mit Notwendigkeit ableiten, daß Gott, der Gott der Religionen oder der Gott des christlichen Glaubens, die Rationalität hinter der Ethik darstellen müsse. Ihre Argumentation ist vielmehr eine Denkbewegung, die von zwei Seiten ausgeht: Die Moral wird so weit und in einer solchen Weise analysiert, daß eine einheitliche rationale Erklärung ihrer Objektivität als erforderlich oder erwünscht nachgewiesen wird. Dann greift von der anderen Seite die Gottesvorstellung etwa des christlichen Glaubens ein und bietet sich als Formulierung dieser Rationalität an 35 . Somit wird Gott nicht als notwendige Implikation der Objektivität der Moral zu erweisen versucht. Es wird lediglich gesagt, daß die Implikationen der Moral mit der Gottesvorstellung der Religion zusammentreffen können und in der christliVgl. K. Ward, Ethics and Christianity, 72. A a O . 73, vgl. 73 f. 3 3 Vgl. aaO. 74, 7 5 - 7 8 . 3 4 Vgl. aaO. 1 1 8 - 1 2 0 . 3 5 Man wird durch diese A r t der Argumentation an die Schluß Wendung der quinqué viae des Thomas von Aquin erinnert: „und das ist, was wir Gott nennen". 31
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chen (religiösen) Ethik als identisch betrachtet werden. Gott wird nicht durch die Ethik zu erweisen versucht, sondern seine Existenz wird vorausgesetzt, und ihm wird in der religiösen Ethik sein Platz zugewiesen: als Garant der Objektivität der Ethik. In dem Referat beider Beispiele wurde deutlich, daß sie auf einer intuitionistischen metaethischen Grundlage argumentieren. Der Objektivität der ethischen Forderung entspricht die Unmittelbarkeit ihrer Erkentnismöglichkeit. Jeder einzelne weiß, was von ihm gefordert ist, was er tun soll, was moralisch richtig, was seine Pflicht ist. An einem solchen Intuitionismus kann man Kritik üben. Denn er führt - wie oben dargestellt wurde 3 6 zusätzliche erkenntnistheoretische und ontologische Annahmen ein, deren Notwendigkeit durch nichts außer durch die intuitionistische Theorie selbst begründet ist. „Nichtempirische Fakten" der Moral müssen als Objekte der Intuition postuliert werden. Man könnte von hier aus die beiden Positionen kritisieren und bestreiten, daß sie eine adäquate metaethische Theorie voraussetzen. Doch zwei Argumente sprechen dagegen, diesen Einwand zu verfolgen, (a) Keith Ward selbst argumentiert, daß man „Occam's razor" 3 7 nicht auf die religiöse Ethik anwenden könne. Denn wenn Gott aus anderen Gründen als solchen der ethischen Theorie als ontologische Größe angenommen werde, sei es nicht überzeugend zu sagen, man brauche und dürfe nicht um der Ethik willen zusätzliche ontologische Annahmen einführen. Gott ist dann nämlich bereits als „nichtempirisches Faktum" vor aller Bemühung um die ethische oder metaethische Theorie akzeptiert 3 8 . Man muß damit rechnen, daß die religiöse Ethik andere metaethische Annahmen erfordern kann als manche Arten einer profanen Ethik. D a eine metaethische Theorie bemüht sein muß, das Ganze der Moral des Menschen in den Blick zu fassen, muß sie durch das Vorhandensein einer religiösen Ethik modifiziert werden 3 9 , (b) Der Zielpunkt beider Argumentationen bleibt von der Kritik an dem Intuitionismus, den sie voraussetzen, unberührt. Man kann nämlich zu der Ebene, die eine Identifikation der Gottesvorstellung mit den Erfordernissen der Moral ermöglicht, auch gelangen, indem man die transzendentalen Bedingungen des moralischen Diskurses erhebt. Dann braucht man nicht von einer intuitionistischen Metaethik auszugehen und eine Sphäre nichtempirischer Fakten für die Moral zu postulieren. Hingegen analysiert man die Tatsache und die Art des moralischen Argumentierens und erkennt in diesem Vorgang, daß gewisVgl. oben Abschnitte 2.1. und 2.2. Der Begriff „Occam's razor" bezeichnet die Bedingung, man dürfe nicht mehr zusätzliche ontologische Annahmen einführen, um die Welt zu beschreiben, als unabdingbar notwendig seien. Alle in diesem Sinn nicht notwendigen Annahmen müssen in diese Klinge springen. 3 8 Vgl. K. Ward, Ethics and Christianity, 48. 3 9 Dann käme alles darauf an, die spezifische Eigenart einer Metaethik der religiösen Ethik bzw. die metaethischen Implikationen religiöser Ethik zu untersuchen. Vgl. dazu das Ende von Abschnitt 4.4. dieser Arbeit; auch K. Ward, Moral Seriousness, bes. 124-127. 36 37
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se Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn moralischer Diskurs möglich sein soll. Zu diesen Bedingungen gehört auch die Rationalität und daher Objektivität moralischer Aussagen 40 . Damit ist, ohne ontologische Annahmen des Intuitionismus bereits in dieser Argumentation vorauszusetzen, eine Ebene erreicht, der man sich nun von der anderen, religiösen Seite her nähern kann. Beide Positionen müssen sich zwar der Kritik stellen, die an der vorausgesetzten intuitionistischen Metaethik geübt werden kann. Sie können dieser Kritik jedoch in der beschriebenen Weise ausweichen. Dem Ergebnis, auf das sie abzielen, kann man seine Berechtigung daher nicht absprechen. Man muß damit rechnen, daß es zumindest eine von mehreren möglichen Interpretationen religiöser Moral darstellt und der religiösen Ethik durchaus adäquat ist. Religiöse Sätze, Aussagen über Gott, können als Ausdruck für die Objektivität der Moral, genauer: der moralischen Forderungen gelten und diese Objektivität zu formulieren versuchen. 4. I. Trethowan. Bescheiden sich die beiden bisher diskutierten Vorschläge damit zu zeigen, wie theologische Annahmen in den Zusammenhang der Ethik und ihrer Implikationen passen, so geht ein anderer Theologe über diesen Ansatz hinaus: Illtyd Trethowan. In einem Artikel, der sich mit Patrick McGraths Buch „The Nature of Moral Judgement" 41 befaßt, lehnt er dessen Behandlung der Moral als unzureichend ab und behauptet, alle Ethik - nicht nur die religiöse - könne nur dann zu Recht von der Objektivität der Moral sprechen, wenn sie bereit sei, die Metaphysik in ihrer theistischen Form als ihre Begründung anzuerkennen und von Gott zu sprechen42, wenn sie also eine natürliche Theologie in ihre Theorie integriere 43 . Sein Ausgangspunkt ist ebenfalls eine intuitionistische Epistemologie der Moral. Der Mensch erfährt moralische Verpflichtung. Die moralische Forderung ist ihm evident. Diese Erfahrung wird jedoch nur dann in ihrem absolut verpflichtenden Charakter erkannt, wenn anerkannt wird, daß etwas außerhalb unser selbst existiert, dem wir bedingungslos verpflichtet sind 44 . Diese Anerkenntnis braucht nicht ausdrücklich formuliert zu sein, aber sie ist in jeder „echten" Moral vorausgesetzt 45 . Der Forderung, diese Instanz anzuerkennen, wird nur gerecht, wer Gott anerkennt, wer also eine theistische Metaphysik akzeptiert. Somit ist die Sphäre der Moral unmittelbar ein Beweis für die Existenz Gottes und Gott andererseits eine notwendige Implikation jeder ernsthaften Moral 46 . Trethowan geht sogar so weit zu behaupten, jemand Vgl. oben die Abschnitte 3.2., 3.3. und 3.6. Patrick McGrath, The Nature of Moral Judgement, London/Melbourne 1967. 4 2 Illtyd Trethowan, Ethics and Religion, Downside Review 8 6 , 1 9 6 8 , 1 0 5 - 1 2 0 , 1 1 0 . 4 3 A a O . 115. 4 4 Hier spielt schon die Behauptung eine Rolle, um die es im nächsten Abschnitt (5.2.) ausdrücklich gehen wird: die Behauptung, theologische Sätze seien Ausdruck des verpflichtenden Charakters der Moral. 4 5 Vgl. I. Trethowan, Ethics and Religion, 117. 4 6 Vgl. aaO. 1 1 9 f . 40 41
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könne nur dann den objektiven Charakter der moralischen Verpflichtung erfassen, wenn er zuvor von Gottes Existenz überzeugt sei 4 7 . Absolute Verpflichtung zu erkennen ist völlig identisch mit der Erkenntnis Gottes 4 8 . In Trethowans Sicht sind der moralische Gottesbeweis, die Vorstellung von der Objektivität der Moral, von der Absolutheit ihrer Forderungen und die theistische Metaphysik zu einem unlösbaraen Knoten verwoben. Eine dieser Vorstellungen ist nur zu haben, wenn man auch die anderen akzeptiert. Trethowans Anspruch ist sehr weitgehend und seine Position doch sehr ungeschützt. Er gebraucht die Moral als Ausgangspunkt des Erweises Gottes und führt Gott als zusätzliche, freilich notwendige Größe in die ethische Theorie ein. In dieser Hinsicht verfällt seine Argumentation der Kritik, sie vermehre die Anzahl der ontologischen Größen, die zur Darstellung eines Phänomens, hier der Moral, nötig sind. Trethowan entzieht sich dieser Kritik nicht wie Corkey und Ward, die jene Größe nicht um der Moral willen pustulieren, sondern sie als vorgegeben von der Religion übernehmen, um sie auf bestimmte Formen der Moral oder einen bestimmten Zug der Moral anzuwenden. Neben weiteren Einwänden, die gegen seine Ansicht erhoben werden können 4 9 , reicht dieses Argument aus, ernsthafte Zweifel gegenüber dieser Darstellung anzumelden. Die Ablehnung dieser Position besagt jedoch nicht, daß jene andere Ansicht abzulehen wäre, religiöse und theologische Sätze könnten die Objektivität der Moral angemessen artikulieren und wiedergeben. Vielmehr muß man daran festhalten, daß es sehr wohl eine adäquate Weise sein kann, von dem objektiven Charakter der Moral zu sprechen, indem man von Gottes Forderung, Gottes Willen, der Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber Gott, der Stimme des Gewissens etc. spricht. Dies ist die Weise, in der religiöse Menschen von der Moral sprechen, und auch die Weise, in der Christen moralische Aussagen machen können. Es ist ihr Ausdruck für den verpflichtenden Charakter der moralischen Forderung. Nichts an dieser Darstellungsweise ist inkonsistent. Sie gründet in den religiösen Uberzeugungen dieser Menschen, in ihrer Erfahrung Gottes, und sie ist mit der metaethischen Analyse der Moral und einer adäquaten metaethischen Theorie, die die Objektivität der Moral berücksichtigt, völlig verträglich. Ohne ausdrückliche Antwort ist noch die Frage, welche theologischen Sätze es sind, die mit der Vorstellung von der Objektivität der Moral verbunden werden und als ihre Artikulation dienen. Sind es der herkömmlichen Unterteilung der Dogmatik entsprechend eher theologische, christologische, soteriologische, ekklesiologische oder anthropologische Sätze 5 0 ? Sind 4 7 Vgl. I. Trethowan, Comments on Fr. McGrath's Article, Downside Review 8 7 , 1 9 6 9 , 6 4 6 7 , 6 4 , 6 6 f. 4 8 A a O . 64, vgl. 67. 4 9 Vgl. dazu Patrick McGrath, Ethics and Religion. A Reply, Downside Review 87, 1969, 54—64. Einwände ließen sich auch gegen Trethowans moralischen Gottesbeweis erheben. s o Ich begrenze die Frage und ihre Beantwortung zunächst auf die christliche Theologie.
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es eher Aussagen über Gott, über Christus, über die Erlösung, die kirchliche Gemeinschaft oder die Natur des Menschen? Die in diesem Abschnitt dargestellten Beispiele zeigen: Wer die Theologie als Ausdruck der Objektivität der Moral bemüht, konzentriert sich auf Aussagen über Gott, auf Sätze und Vorstellungen der speziellen Theologie. Denn Gott ist für ihn der Inbegriff des Objektes der Moral. Gott ist ihr notwendiger Grund, der Grund, der gewährleistet, daß moralische Urteile nicht arbiträrer Natur sind, sondern eine letzte Rationalität und Objektivität besitzen. Aussagen wie „Gott existiert", „Gott ist allmächtig", „Gott ist allwissend" verbürgen dem, zu dessen Vorstellungsganzem die Inhalte dieser Aussagen gehören, daß seine moralischen Entscheidungen nicht Sache eigener willkürlicher Präferenz sind, sondern daß sich gut und schlecht, richtig und falsch unterscheiden lassen. Wer den Gedankengang soweit mitzugehen bereit ist, wird hier nicht stehenbleiben. Für ihn wird Gott nicht nur Garant der Objektivität der Moral sein. Denn ist diese Vorstellung einmal akzeptiert, wird man Gott auch Einfluß auf das moralische Verhalten zuschreiben. Man wird fragen, welche Implikationen die Annahme Gottes für die inhaltliche Seite der Moral hat. Dann wird man andere religiöse und theologische Sätze als nur die der engeren Theologie heranziehen können, um diese Implikationen zu entfalten. Das wird in einem späteren Abschnitt zu erörtern sein 51 . 5.2 Religiöse Sätze als Ausdruck der Autorität der Moral 1. Objektivität und Autorität. Ein zweiter Typ der Verwendung religiöser Sätze in der Ethik ist mit dem ersten, der eben erörtert wurde, verwandt. Die Verwandtschaft ist so eng, daß es schwer fällt, die Unterscheidung beider Typen präzis zu treffen. Im letzten Abschnitt wurde davon gesprochen, daß religiöse Sätze in der Lage sind, die Objektivität ethischer Forderungen auszudrücken und dadurch zu unterstützen. Jetzt soll die These diskutiert werden, daß religiöse Sätze als Ausdruck der Autorität der Ethik fungieren können. Beide Thesen liegen deswegen so nahe beieinander und sind deswegen so schwer zu trennen, weil unter einer Voraussetzung die Vorstellung, daß ein ethisches Urteil auf Autorität gegründet ist, ihrerseits impliziert, daß dem ethischen Urteil Objektivität zukommt. Dies ist der Fall unter der Voraussetzung, daß ein dezisionistisches Verständnis der Autorität der Moral ausgeschlossen ist. Dann besagt nämlich die Vorstellung, die Moral besäße ihre eigene Autorität, nichts anderes, als daß moralische Urteile ihre Legitimation derart erhalten, daß sie als objektive Forderungen und nicht bloß subjektive Präferenzdeklarationen verstanden werden. Die Autorität moralischer Urteile läßt sich dann nur behaupten, wenn zugleich gesagt
51
Vgl. unten, insbesondere Abschnitt 5.3.
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wird, moralische Aussagen seien objektiv, und wenn angegeben wird, auf welcher Ebene ihre Objektivität zu demonstrieren wäre. Auf der anderen Seite ist es möglich, aber man ist nicht gezwungen, von der Autorität der Moral zu sprechen, wenn man an der Objektivität moralischer Aussagen festhalten will. N u r in einer sehr allgemeinen Weise besteht ein Gefälle dieser Art von der Behauptung der Objektivität zu der der Autorität der Ethik, wenn man nämlich sagt, Objektivität schließe immer bereits ein, daß irgendeine Instanz über richtig und falsch zu entscheiden habe, und dieser Instanz Autorität zuschreibt. In diesem allgemeinen Sinn fallen beide Vorstellungen, die der Objektivität und die der Autorität der Moral, zusammen. Davon soll hier nicht die Rede sein, wenn auch kein Versuch, beide Konzepte auseinanderzuhalten, an dieser Verwandtschaft vorbeikommen kann. Nicht immer wird jedoch die Autorität der Moral von ihrer Objektivität abhängig gesehen. Daher ist es erlaubt, die Behandlung beider Vorstellungen zu trennen. Es gibt Positionen, denen zufolge zur Moral die Vorstellung ihrer Autorität gehört, ohne daß ihre Vertreter ausdrücklich das Argument der Objektivität moralischer Urteile bemühen, um ihre Position zu stützen. Aufgrund des oben Gesagten läßt sich vermuten, daß eine solche Position allerdings mit einer dezisionistischen oder subjektivistischen metaethischen Theorie verbunden sein wird. Insbesondere religiös gebundene Menschen beschreiten diesen Weg. Für viele von ihnen konstituiert sich die Moral, ihre Richtigkeit und damit ihre Autorität auf der Ebene personalen Uberzeugtseins 5 2 . Zusätzliche Überlegungen über die Objektivität der Moral stellen sie nicht an, oder sie entwikkeln sie erst als nachgeordnete Schlüsse aus der Vorstellung der Autorität der Moral. Es genügt, auf den göttlichen Ursprung der Moral zu verweisen, um sie zu begründen, sei es, daß Gott als moralischer Gesetzgeber angesehen wird, sei es, daß die einzelnen Forderungen der Moral auf Gottes Willen bezogen werden, sei es, daß moralisch richtiges Verhalten als Folge und Ausdruck der Verpflichtung, Christ zu sein, oder der Verpflichtung zur Nachfolge Jesu verstanden wird. Ein Akt der Entscheidung, der Verpflichtung und des Engagements liegt zugrunde, wenn von Autorität der Ethik die Rede ist. Erst wenn diese Autorität als solche von Menschen anerkannt wird, ist sie ja Autorität 5 3 . Dann kann das Individuum, das sich zu dieser Autorität verpflichtet hat, sie zur Begründung seiner einzelnen Handlungsweisen anwenden. Die Natur dieser Verpflichtung schließt aus, daß ihre Inhalte ohne weiteres verallgemeinert werden können. Autorität besitzt eine Vorstellung 5 2 Diesen Gedanken führt Clyde Α. H o l b r o o k (The Problem of Authority in Christian Ethics, Journal of the American Academy of Religion 3 7 , 1 9 6 9 , 2 6 - 4 8 ) in der Analyse verschiedener theologisch-ethischer Entwürfe vor. Personales Uberzeugtsein ist eine von drei Ebenen, auf denen Autorität christlicher Ethik sich konstituiert. Die anderen beiden sind die Ebene des Inhalts und die der Rechtfertigung. 5 3 Vgl. aaO. 41.
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nur für den, der sich zu ihr verpflichtet hat und sich ihr verpflichtet weiß. Jemand, der nicht in dieser Beziehung steht, untersteht auch nicht der Autorität dieser spezifischen Verpflichtung. 2. Der Wille Gottes. Im Bereich religiöser (christlicher) Ethik gibt es also jene einfache, nicht weiter zu begründende Vorstellung der Autorität. Was im letzten Teil dieser Arbeit über den Willen Gottes gesagt wurde, gehört hierzu 54 . Wenn Gott als moralischer Gesetzgeber angesehen wird und Jesus als verpflichtendes Vorbild und Beispiel gilt, sind dies Anschauungen, die ebenfalls hierher gehören. Durch solche Vorstellungen werden nicht moralische Erwägungen außer Kraft gesetzt, auch nicht neue moralische Pflichten geschaffen - das war das Ergebnis der Diskussion um Autonomie und Heteronomie 55 - , vielmehr wird moralischen Verpflichtungen ein neuer Kontext gegeben, indem sie ihre Legitimation erhalten. Solche Vorstellungen und die religiösen oder theologischen Sätze, in denen sie formuliert werden, drücken lediglich die Autorität moralischer Forderungen in einer anderen Weise aus, sie konstituieren sie nicht erst. Man könnte allenfalls sagen, sie geben den moralischen Forderungen zusätzliche Unterstützung, indem sie die Motivation verstärken, ihnen zu folgen S6 . Auch wenn sie dies tun, tasten sie die Autonomie der Moral nicht an 57 . Nicht die religiösen und theologischen Sätze schreiben ja die Norm vor, sie unterstützen nur die bereits bestehenden Forderungen und anerkannten Normen, verleihen ihnen zusätzliche Autorität und Motivation 58 . 3. I. T. Ramsey. Ian T. Ramsey geht der Frage nach, was genau es ist, das die Religion oder Theologie zur Moral beitrage. Um diese Frage zu beantworten, bemüht er sich zunächst um eine adäquate Beschreibung der Logik des moralischen Sprachgebrauchs. Er findet sie bei R. M. Hare, hält dessen Konzeption jedoch für ergänzungsbedürftig. Präskriptivität und Universalisierbarkeit sind gewiß zwei Züge der Moral, wobei die erste Vorstellung den verpflichtenden Charakter, die zweite die Allgemeingültigkeit ethischer Sätze betont 59 . Doch Ramsey geht hinter beide Vorstellungen zurück. Präskriptivität und Universalisierbarkeit schließen ein, daß moralische Urteile einen deskriptiven Gehalt haben, daß sie an bestimmten beschreibbaren Phänomenen der Welt festzumachen sind. Das bestreitet auch Hare nicht. Ramsey stellt dieser Forderung allerdings eine zweite zur Seite. Moralische Sätze Vgl. Abschnitt 4.2. V o m moralisch Guten wird so gesprochen, daß es als identisch mit dem Willen Gottes gilt. Vgl. insbesondere die Abschnitte 4.3. und 4.4. 5 6 Vgl. C . A. Holbrook, The Problem of Authority in Christian Ethics, 42. Dazu vgl. auch unten die Abschnitte 5.4. und 6.2. 5 7 Vgl. I. T . Ramsey, Moral Judgements and God's Commands, 165. 5 8 Vgl. C . A . Holbrook, The Problem of Authority in Christian Ethics, 45. 54
55
59
Vgl. I. T . Ramsey, Moral Judgements and God's Commands, 161 f.
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enthalten neben ihrem deskriptiven Inhalt einen bestimmten Anspruch an den, der sie äußert. Den moralischen Satz auszusprechen heißt, diesen Anspruch anzuerkennen. Das moralische Urteil stellt nichts anderes dar als die Antwort des Moralsubjekts auf die Erfahrung des Anspruchs der moralischen Forderung. Das Moralsubjekt erfährt diesen Anspruch gleichzeitig mit der Erkenntnis der Situation. Es nimmt die Fakten wahr, und aus dieser Wahrnehmung erwächst die Erkenntnis des moralischen Anspruchs. Die Formulierung moralischer Sätze und der Vollzug entsprechender moralischer Handlungen sind die angemessene Antwort 6 0 . Moralisch zu denken heißt also, den moralischen Anspruch einer Situation zu erfahren. Und moralisch zu handeln heißt, diesen Anspruch durch sein Verhalten zu beantworten 6 1 . An dieser Stelle sieht Ramsey die Brücke zur theologischen Interpretation der Moral. Das Moment des Anspruchs einer moralischen Situation ermöglicht die Verbindung von Theologie und Moral allererst 62 . Denn dann erst kann „ G o t t " eine Vorstellung mit moralischen Implikationen sein. Dann erst kann der Anspruch der Moral als ein Anspruch Gottes erfahren werden 6 3 . Auf diese Ebene zurückzugehen heißt nicht, eine Basis der Moral zu formulieren, von der man einzelne Forderungen ableiten könnte. Es heißt allein, die Voraussetzungen der Moral selbst aufzudecken. Daher beeinträchtigt der Aufriß, den Ramsey von der Moral gibt, in keiner Weise die Autonomie der Ethik 6 4 . Die moralische Verpflichtung bleibt eine Verpflichtung, die aus der Erkenntnis der Situation entsteht. N u r ist es dieser Darstellung zufolge möglich, daß dieselbe Situation auch theologische Einsichten evoziert. Eine moralische Verpflichtung entsteht, und zugleich wird sie als etwas erfahren, was mit G o t t in Verbindung zu bringen ist - sei es über die Vorstellung des Willens Gottes oder in anderer, stärker vermittelter Weise. Eine solche Situation wird zum Entstehungsort religiöser (christlicher) Ethik 6 5 . Die Religion begründet ethische Sätze also nicht, aber sie stellt den weiteren Rahmen dar, innerhalb dessen die ethische Verpflichtung zusätzliche Kraft und Betonung erhält 6 6 . Ramseys Darstellung der Moral bleibt sehr allgemein. Ursache dafür ist, daß Ramsey sich in der ersten Hälfte des vorliegenden Aufsatzes ausdrücklich darauf beschränkt, die Logik der Moral zu erörtern und anzugeben, welche Rolle die Theologie für die Moral spielt. 60 63
Vgl. aaO. 162f. A a O . 166.
61 64
Vgl. aaO. 165. A a O . 167.
62
Ebd.
6 5 Ramsey parallelisiert die Weise moralischer und religiöser Erfahrung. O b seine Darstellung der Religion konsistent ist und den Erfordernissen empirischer Philosophie gerecht wird (was ihre erklärte Absicht ist), ist eine heftig umstrittene Frage. Vgl. Ingolf U . Dalferth, Einführung in die analytische Religionsphilosophie und Theologie, in I. U . Dalferth, Hg., Sprachlogik des Glaubens, 9 - 6 0 , bes. 42—46. Vgl. auch die Darstellung bei Wolf-Dieter Just, Religiöse Sprache und analytische Philosophie, 1 2 0 - 1 2 4 , und die Kritik, 1 2 4 - 1 2 7 . 66
180
Vgl. I. T . Ramsey, Moral Judgements and God's Commands, 167.
Da es Aufgabe dieses Abschnitts ist, in derselben Allgemeinheit die Funktion religiöser Vorstellungen für die Moral zu behandeln, kommen Ramseys Ausführungen dem sehr entgegen. Sie unterstreichen einmal mehr, daß religiöse und theologische Sätze dazu dienen können, die Autorität der Moral zu formulieren. Zugleich machen sie deutlich, daß die Religion der Moral nicht erst Autorität verleiht. Diese besitzt sie aus sich heraus. Religiöse Sätze sind nur eine mögliche Formulierung dieser Autorität, aber eine Formulierung, die zur Struktur der Moral und ihren Voraussetzungen nicht in Widerspruch steht. Andere, nichtreligiöse und nichttheologische Formulierungen sind möglich. Sie besitzen jeweils ihr eigenes Gewicht 6 7 . 5.3. Religiöse Sätze als
Handlungsanleitung
Im vorletzten Abschnitt traten religiöse Sätze in ihrer Funktion für die Ethik in den Blick, sofern sie der Objektivität der Ethik Ausdruck verleihen. Der letzte Abschnitt ordnete beide Gruppen von Sätzen, religiöse und ethische, einander zu, indem er festhielt, daß Aussagen über Gott oder allgemeiner: Aussagen der Religion dazu dienen, die spezifische Autorität der Moral auszudrücken. In beiden Fällen besteht die Beziehung zwischen Religion und Moral auf der formalen Ebene: Religiöse Sätze gewährleisten den Anspruchscharakter moralischer Forderungen, und sie unterstreichen und konsolidieren ihn. Gott vorauszusetzen, eine Beziehung zwischen moralischen Imperativen und Gott herzustellen, gibt den moralischen Imperativen ihre Kraft, es verleiht ihnen ihre Autorität oder gibt der Autorität, die sie in sich selbst besitzen, zusätzliche Unterstützung. Nun gibt es jedoch auch auf der anderen, der inhaltlichen Ebene, eine Beziehung zwischen der Religion und der Moral. Die Gottesvorstellung dient nicht nur zur Sicherung des formalen Charakters der Moral, sie besitzt auch Implikationen für den Inhalt der Moral. In sprachanalytischer Formulierung: Theologische und religiöse Sätze können als unmittelbare Handlungsanweisungen fungieren. Sie können Vorschriften darstellen, wie jemand leben soll, der sich dieser (bestimmten) christlichen Tradition zugehörig fühlt. Beispiele sind unschwer zu finden. Alle Aussagen nach dem Muster „Es ist Gottes Willen, . . . zu tun" gehören hierher. Solche Aussagen sind nicht unhinterfragbar. Sie lassen sich im theologisch-ethischen Diskurs weiter begründen. Im Bereich christlicher Ethik sind vor allem drei Grundmuster solcher Begründung bedeutsam. Die ersten beiden sind eng verwandt.
6 7 Von Autorität wird in der theologischen Ethik gewöhnlich in ganz anderem Zusammenhang gesprochen: Es wird nach der Autorität theologischer Ethik gefragt, nach der Größe, an der sie festzumachen ist, und als mögliche Antworten werden Gottes Gebot, das Beispiel Jesu, die Lehre der Kirche etc. diskutiert. Davon ist unten in Abschnitt 6.3. die Rede.
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1. Gottes Gebot. Christen sollen eine bestimmte Handlung tun oder unterlassen, weil Gott es so geboten hat. Christen sollen nicht lügen, nicht töten, nicht ehebrechen. Das schreibt der Dekalog den Israeliten vor, und der Gott der Christen steht zu diesen Geboten. Es gibt also einen Kanon solcher Vorschriften, die die moralischen Anforderungen an Christen formulieren. Im Dekalog sind sie in einer Reihe zu finden, sonst an verstreuten Stellen der Bibel in kleineren Reihen oder als Einzelgebote. Durch ihren Kontext oder die Einleitungsformel sind sie als Gebote Gottes gekennzeichnet. Hinter allen Geboten dieser Art steht die Vorstellung Gottes als des souveränen Gesetzgebers, der festlegt, was rechtens ist und was als verboten gilt 68 . Sofern die Gebote als Gottes Wille deklariert sind und sofern die Vorstellung Gottes als des Gesetzgebers ihnen zugrundeliegt, muß man davon sprechen, daß theologische Sätze Einfluß auf die Moral nehmen oder daß sie doch selbst eine spezielle Art der Formulierung moralischer Imperative darstellen. 2. Naturrecht. Mit dieser Vorstellung verwandt ist eine zweite Ansicht über die Beziehung von religiösen und moralischen Aussagen. Sie besitzt eine lange Tradition in der christlichen, vor allem in der katholischen Moraltheologie. Es handelt sich um die Naturrechtslehre. Schon die Bezeichnung als Lehre macht darauf aufmerksam, daß es sich nicht wie im ersten Fall um einfache Imperative handelt, sondern um ein wesentlich komplexeres Gebilde 69 . Grundlage der Lehre ist die Vorstellung Gottes als des Schöpfers. Gott, der die Welt geschaffen hat, hat ihr die Form gegeben, die sie hat, und er hat ihr die Gesetze gegeben, nach denen sie lebt. Beides hängt zusammen: Die Gesetze der Welt sind in der Natur der Dinge begründet. Dies trifft für die physikalischen Gesetzmäßigkeiten ebenso zu wie für das moralische Gesetz. Der Mensch als das Wesen, das eine bestimmte Natur hat, muß bestimmte Handlungen tun und andere unterlassen, um dieser Natur zu entsprechen. Die Naturrechtslehre stellt nun den Versuch dar, diejenigen Gesetze und moralischen Vorschriften zu formulieren, die der Natur des Menschen entsprechen. Als theologische Naturrechtslehre stellt sie diese Vorschriften in Bezug zu Gott und sieht Gott als ihren Urheber. Sätze über Gott, vor allem Aussagen über die Schöpfung und die Ordnung der Welt haben unmittelbare Relevanz für die Moral. Nur besteht ihre Besonderheit im Vergleich zu den Sätzen der ersten Gruppe darin, daß es nicht genügt, sie aus der Bibel abgeleitet zu haben, sondern daß sie sich an den Phänomenen der vorfindlichen Welt ausweisen müssen. 68
Vgl. die Diskussion um diese Vorstellung in Abschnitt 4.2.
Die Problematik der Naturrechtslehre kann auf diesen wenigen Seiten freilich nicht völlig ausgelotet werden. Vgl. zu neueren katholischen Veröffentlichungen Franz Furger, Zur Begründung eines christlichen Ethos. Forschungstendenzen in der katholischen Moraltheologie, in J . Pfammatter u. F. Furger, H g . , Theologische Berichte IV, Zürich/Einsiedeln/Köln 1974, 9-87. 69
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In dieser Hinsicht ist es nun fraglich, ob theologisch-naturrechtliche Aussagen überhaupt an dieser Stelle zu behandeln sind, ob sie überhaupt den Aussagen zuzurechnen sind, die Inhalte der Moral mit theologischen Annahmen in Verbindung bringen. Gehören sie nicht eher zu der Guppe von Sätzen, die in den ersten beiden Abschnitten dieses Teils besprochen wurden? Zu der Gruppe, deren Gemeinsamkeit darin liegt, daß sie den verpflichtenden Charakter der Moral formal begründet? Ich meine, man ist berechtigt, das Naturrechtsdenken in den gegenwärtigen Zusammenhang einzuordnen. Denn es dient nicht allein der Legitimation oder dem Ausdruck der formalen Struktur der Moral. Dieser Zug ist in ihm unstreitbar enthalten. Wer mit dem Naturrecht argumentiert, will immer auch die Forderungen der Moral begründen. Er will sagen: Die Moral stellt bestimmte Ansprüche, und diese sind berechtigt. Aber er bleibt nicht dabei stehen. Er verwendet die formale Kategorie des Naturrechts, um bestimmte Handlungen als geboten, andere als untersagt zu kennzeichnen, um also inhaltliche moralische Aussagen zu machen, moralische Vorschriften zu geben oder moralische Urteile zu fällen. Im Fall der theologischen Naturrechtslehre sind dabei indirekt auch theologische Sätze beteiligt. Sie begründen entweder das gesamte naturrechtliche Denksystem: „Gott hat den Menschen geschaffen und ihm eine Ordnung seines Verhaltens gegeben." Oder ihre Funktion besteht darin, zur Formulierung konkreter Normen beizutragen: „Gott hat die Ehe als Lebensordnung eingesetzt. Daher hat der Mensch die moralische Pflicht, die Ehe zu schützen. Ehebruch und Ehescheidung sind moralisch verwerflich."Da es im konkreten Vollzug naturrechtlicher Argumentierens häufig so ist, daß theologische Sätze im Begründungsprozeß angeführt werden, scheint es legitim zu sein, das Naturrecht hier zu nennen 70 . 3. Ein Paradigma der Moral. Eine dritte Weise, wie theologische Sätze unmittelbar als Handlungsanweisungen fungieren können, sieht in Gott beziehungsweise seinem irdischen Offenbarer die Moral des Menschen exemplarisch dargestellt. Jesus (entsprechend könnte man einsetzen: Konfuzius, Buddha etc.) ist das Beispiel moralischen Lebens. Er ist keineswegs nur eines von mehreren gleichermaßen möglichen und berechtigten Beispielen, wie man moralisch lebt. Er ist das Beispiel, das „Paradigma"71 der Moral, das „Exemplar" moralischen Lebens 72 . Sein Beispiel besitzt Autorität für die, die ihm folgen. Jesus verkörpert die Ideale und Werte, denen der Christ folgen
Einige weitere Bemerkungen zum Naturrecht folgen weiter unten, vgl. Abschnitt 6.1. Diesen Ausdruck verwendet James M. Gustafson, The Relation of the Gospels to the Moral Life, in D. G. Miller u. D . Y . Hadidian, H g . , Jesus and Man's Hope, Vol. II, Pittsburgh 1 9 7 1 , 1 0 3 - 1 1 7 , wieder abgedr. i n j . M. Gustafson, Theology and Christian Ethics, Philadelphia 1974,147-159,154. 70 71
7 2 Davon sprechen G. de Graaff, God and Morality, 40, und Κ. Ward, Ethics and Christianity, 93 f, 96 f.
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soll. Als Beispiel zu fungieren, dem man folgt, ist seine Absicht. Moralisch sein heißt dann, so zu leben, wie er lebte, sich nach seinem Vorbild zu verhalten, sich streng wie möglich an sein Beispiel zu halten. Es ist einsichtig, inwiefern in diesem Modell der Moral religiöse Ssätze Handlungsanweisungen darstellen können. Denn eine theologische Aussage über Jesus zu machen kommt einer Verhaltensvorschrift für seine Anhänger gleich oder besitzt Implikationen für solche Vorschriften. Der Satz „Jesus ißt mit Zöllnern und Sündern" zum Beispiel läßt sich - nach entsprechender Transformation - auf Situationen übertragen, in denen von Christen ein Verhalten in der einen oder anderen Weise gefordert ist. Die Problematik dieser Vorstellung liegt freilich an der Stelle, wo das eigene Urteil des Glaubenden in dem Prozeß der Übertragung mitwirkt, in der eben gebrauchten Formulierung also in dem einschränkenden Zusatz „nach entsprechender Transformation". Hier muß nämlich im konkreten Fall entschieden werden, ob diese Situation heute in ihren relevaten Aspekten der damaligen Situation entspricht und ob die theologische Aussage (die Aussage über das Verhalten Jesu) auf die Situation, vor der der Christ heute steht, anzuwenden ist. Liegt hier eine erste Schwierigkeit, so liegt eine zweite darin, die Wirkungsweise des Bezugs auf das Beispiel Jesu zu bestimmen. Wie soll man sich die Funktion dieses Paradigmas vorstellen? Soll man annehmen, es sei ein Ziel, dem man sein Leben im Zug der Selbstvervollkommnung gleichgestalten sollte? Oder es sei ein höchstes Ideal oder eine universelle Vorschrift, denen man die einzelnen Entscheidungen unterwerfen müßte? Im Vorgriff auf den übernächsten Abschnitt (5.5.) kann hier skizzenhaft folgendes gesagt werden: Die beiden eben genannten Vorstellungen wollen die Beziehung des Paradigmas zum Leben dessen, der das Paradigma akzeptiert hat, zu eng festlegen. Sie verkennen das Spezifikum der paradigmatischen Beziehung. Wenn nämlich Jesus als Beispiel, als Paradigma einermoralischen Lebensweise verstanden wird, dann formt er das Leben dessen, der jenes Verständnis hat, in einer nicht eindeutig beschreibbaren Weise, nicht nur als Ziel des Lebens, als Ideal oder Vorschrift - obwohl dies alles enthalten sein kann. Indem das Paradigma ein Leben formt, wird es selbst verändert. Es „fließt" in dieses Leben ein, das es formt, und die Konturen beider Größen verwischen sich 73 . Darin liegt dann der große Vorzug einer Ethik, die statt konkreter Vorschriften oder Prinzipien ein Paradigma als ihre Grundlage wählt. Sie kann die unterschiedlichen Werte, Ideale und Vorschriften in ein Wertgefüge einordnen, das weitgehende Harmonie herstellt. Denn sie veranschaulicht die Gesamtheit der Werte, die sie als moralisch charakterisieren will, in einem
73
184
Vgl. J . M. Gustafson, The Relation of the Gospels to the Moral Life, 154f.
exemplarischen Leben, das diese Werte bereits in einem einheitlichen Bild integriert hat 7 4 . Der Vorstellung Jesu als des Paradigmas des moralischen Menschen entspricht auf der Seite des Menschen, der sich an diesem Paradigma orientiert, eine Ethik der imitatio. Dem Beispiel Jesu nachzufolgen ist von ihm gefordert. Wieder zeigen sich die Schwierigkeiten, die imitatio präzis zu umschreiben. Soll der Glaubende Handlungen Jesu nachahmen? Dazu wäre es nötig, daß die Umstände der Handlung heute dieselben, zumindest in ihren relevanten Aspekten dieselben wären wie damals 75 . Was muß der Glaubende in einer bestimmten Situation tun, um dasselbe zu tun, was Jesus in einer anderen Situation tat? Reicht es aus, dieselbe Einstellung zu haben, wie Jesus sie hatte? Wie ließe sich die Identität der Einstellung festlegen, wie überprüfen? Die Auskunft, von dem Glaubenden sei die imitatio Christi verlangt, löst allein noch nicht das Problem, wie sein Handeln zu bestimmen sei. Denn diese Auskunft enthebt ihn nicht der Schwierigkeit, in eigener Verantwortung zu entscheiden, wie die Nachfolge konkret zu gestalten sei. „Imitatio Christi" ist also wohl nicht die Formel, die die christliche Ethik aus ihren Aporien herausführen könnte. Weitere Überlegungen sind nötig. Doch ist deutlich, daß in dieser Weise Aussagen über G o t t 7 6 oder Jesus, theologische Sätze also, als ethische Handlungsanweisungen zu dienen vermögen. U m Beispiele für diesen Zusammenhang ging es in diesem Abschnitt 7 7 . 5.4. Religiöse Sätze als Empfehlung eines Verhaltens Aussagen der Religion können in formaler Weise die Objektivität oder Autorität der Ethik rechtfertigen. Sie können andererseits ganz unmittelbar Handlungsdirektiven formulieren. Das ist bisher deutlich geworden. Damit sind noch nicht alle Möglichkeiten erschöpft, religiöse Sätze als fruchtbar für die Formulierung der Ethik zu erweisen. Zunächst muß eine vierte Funktion religiöser Aussagen erörtert werden. Sie bezieht sich wie die dritte auf die inhaltliche Seite der Moral, doch sie richtet die theologischen Formulierungen weniger direkt auf einzelne Urteile oder Handlungen aus, sondern eher
74
Vgl. K. Ward, Ethics and Christianity, 9 3 - 9 7 . Im einzelnen vgl. dazu unten den Abschnitt
5.5. 7 5 Vgl. G. de Graaffs Diskussion, ob die Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel übertragbar sei, G o d and Morality, 41. 7 6 D o n Cupitt parallelisiert die imitatio Gottes und die imitatio Christi (God and Morality, Theology 76, 1973, 3 5 6 - 3 6 4 , wieder abgedr. in G. R. Dunstan, Hg., D u t y and Discernment, 9 0 - 9 9 , 9 1 - 9 3 ) . Barnabas Lindars, SSF, unterzieht beide Konzepte einer genauen exegetischen Uberprüfung (Imitation of G o d and Imitation of Christ, Theology 76, 1973, 394—402, wieder abgedr. in G . R. Dunstan, H g . , Duty and Discernment, 1 0 0 - 1 1 0 ) . 7 7 Die mit dem letzten Beispiel des exemplarischen Charakters Jesu und der Imitationsethik aufgerissenen Probleme werden in den Abschnitten 6.3. und 6.4. erneut ins Blickfeld treten.
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auf eine Verhaltensweise als ganze. Theologische Aussagen sind dieser Ansicht zufolge nichts anderes als Empfehlungen eines bestimmten Verhaltens. 1. R. Β. Braithwaite. Der prominenteste Vertreter einer solchen Position ist Richard B. Braithwaite. Da sein Vorschlag ein breites Echo in der analytischen Religionsphilosophie gefunden hat, soll er als ein Beispiel der Ansicht, um die es hier geht, ausführlich behandelt werden. (Daß Braithwaites Ausführungen eher unter dem Aspekt der Religionsphilosophie als unter dem der theologischen Ethik diskutiert wurden und werden 78 , hängt damit zusammen, daß er den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf die adäquate Beschreibung der Funktion religiöser Sätze legt und nicht etwa nach einer Konzeption christlicher Ethik fragt. Aus dem folgenden Referat wird dies deutlich werden). Braithwaite fragt in seiner Arthur Stanley Eddington Memorial Lecture (Cambridge, 1955) unter dem Titel „An Empiricist's View of the Nature of Religious Belief" danach, welche Ansicht des religiösen Glaubens mit einem kompromißlosen logischen Empirismus vereinbar ist 79 . Der Empirismus behauptet, nur diejenigen Aussagen besäßen eine Bedeutung, für die angegeben werden könne, wie sie zu verifizieren seien. Daher versucht Braithwaite zunächst, die religiösen Aussagen in eine Beziehung zu den drei Klassen von Aussagen zu setzen, deren Verifikationsmethoden unterschiedlich, aber klar sind. Es sind dies: (a) Aussagen über empirische Einzeltatsachen. Sie sind durch direkte Beobachtung zu verifizieren, (b) Wissenschaftliche Hypothesen. Sie enthalten Aussagen darüber, welche empirischen Tatsachen mit der Hypothese vereinbar sind. Daher können sie wie Aussagen des ersten Typs überprüft werden, (c) Logisch notwendige Sätze der Logik und Mathematik. Religiöse Aussagen fallen in keine der drei Klasen, denn sie sind weder Sätze über empirische Tatsachen noch Hypothesen zur Erklärung von Tatsachen der natürlichen Welt noch logisch notwendige Sätze. Daher können die Standardmethoden zur Verifikation solcher Aussagen nicht auf sie angewandt werden 80 . Religiöse Aussagen können nicht verifiziert werden, aber sie stehen in dieser Hinsicht nicht allein. Sie gleichen darin etwa den moralischen Aussagen, die sich ebensowenig verifizieren lassen. Dennoch besitzen diese Aussagen eine Bedeutung, sie sind nicht etwa sinnlos. Ihre Bedeutung liegt in dem Gebrauch, den man von ihnen macht 81 . Daher muß man, wenn 7 8 Vgl. die wenigen Erwähnungen Braithwaites in theologisch-ethischer Literatur: K. Ward, Ethics and Christianity, 26 f, 195; K. Nielsen, Ethics Without God, 41 f; G. C . Graber, A Critical Bibliography of Recent Discussions of Religious Ethics by Philosophers, 54. 7 9 Vgl. D . M . Mackinnon, Discussion, Cambridge Review, Febr. 2 5 , 1 9 5 6 , wieder abgedr. in I. T . Ramsey, H g . , Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 7 7 - 8 4 , 77. 8 0 Vgl. R. B. Braithwaite, Die Ansicht eines Empiristen über die Natur des religiösen Glaubens, in I. U . Dalferth, Hg., Sprachlogik des Glaubens, 1 6 7 - 1 8 9 , 1 6 8 - 1 7 2 . 8 1 A a O . 173. Braithwaite bezieht sich auf die Wende vom Verifikationsprinzip zum Verwendungsprinzip zur Gewährleistung der Sinnhaftigkeit von Aussagen, wie sie der späte Wittgen-
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man die Bedeutung von Sätzen erheben will, erklären, wie diese Sätze gebraucht werden. Moralische Aussagen werden nun nach Braithwaite dazu verwendet, Einstellungen des Sprechers gegenüber einer bestimmten Verhaltensweise auszudrücken. Dabei versteht er Einstellungen nicht vornehmlich als Emotionen, die jemand kundtut, sondern als die Intention, eine bestimmte Handlung auszuführen. Er nennt diese Darstellung eine „konative" (im Kontrast zur emotiven) Theorie der Ethik 8 2 . Diese Theorie hat den Vorzug, zu erklären, weshalb jemand eine Handlung tut, von der er annimmt, daß sie seine Pflicht sei. Denn das moralische Urteil, das die Pflicht feststellt, ist selbst die Formulierung der Intention, die Handlung zu tun, und damit unmittelbar auf die Handlung bezogen 8 3 . Freilich müssen sich solche intentionalen Erklärungen generalisieren lassen, wenn sie als moralische Aussagen gelten sollen 8 4 . (Die Frage drängt sich auf, ob diese Annahme Braithwaites nicht zu einer fundamental falschen Sicht der Moral führt. Denn wenn die Formulierung des moralischen Urteils mit der Intention, ihm gemäß zu handeln, identisch ist, wenn die Beziehung zwischen beiden Größen logischer Art ist, dann ist in der Tat jedes zusätzliche Element der persönlichen Entscheidung des Moralsubjekts, ob es seinem Urteil gemäß handelt, überflüssig geworden. Gerade diese Frage scheint jedoch häufig Anlaß ernster Auseinandersetzung zu sein. Braithwaites konative Theorie scheint daher im Ansatz falsch zu sein, da sie dieser Eigenart moralischen Entscheidens nicht Rechnung trägt 8 5 .) Braithwaites These ist nun, daß sich religiöse Sätze in dieser konativen Weise verstehen lassen, daß sie 8 6 also verwendet werden, um kundzutun, stein gegenüber dem logischen Positivismus vollzogen hat. Vgl. Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (Oxford 1958), Frankfurt 1971, § 340, 353, 559, 560. 8 2 R. B. Braithwaite, Die Ansicht eines Empiristen über die Natur des religiösen Glaubens, 174. 8 3 A a O . 177f. Die Aussage selbst hat bereits an der Handlung teil. Braithwaite scheint hier Züge von Austins Begriff des performativen Sprechakts vorwegzunehmen. Austins Vorstellung geht jedoch darüber hinaus, indem sie die Äußerung eines Satzes als gleichbedeutend mit dem Vollzug einer Handlung erklärt. (Standardbeispiele für performative Sprechakte sind das Versprechen und die Taufe.) Vgl. John L. Austin, H o w to D o Things with Words, 4-11; J. L. Austin, Performative Utterances, i n j . L. Austin, Philosophical Papers, 2. Aufl. O x f o r d 1970, 233-252; E. v. Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache, 127-136; W. A. de Pater, Theologische Sprachlogik, 111-113. 8 4 Vgl. das über R. M. Hare und M. G. Singer Gesagte, oben Abschnitte 2.3. und 2.4. 8 5 Diese Kritik kann die folgenden Überlegungen Braithwaites nicht völlig entwerten. Sie weist aber auf einen grundlegenden Mangel dieser Theorie hin: Sie versäumt es, der Person des moralisch Handelnden und religiös Denkenden den ihr angemessenen Stellenwert einzuräumen. Erst der nächste Abschnitt dieser Arbeit wird diese Korrektur vornehmen. Vgl. auch N o r m a n H . G . Robinson, Die Logik der religiösen Sprache (The Logic of Religious Language, in G . Ν . Α. Vesey, H g . , Talk of G o d , Royal Institute of Philosophy Lectures, Vol. 2, L o n d o n 1969,1-19, dt.) in I. U . Dalferth, Hg., Sprachlogik des Glaubens, 190-207,205 f. 8 6 Braithwaite spricht allgemein von „religiösen Sätzen" etc., nicht von einer Teilmenge religiöser Sätze.
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daß der Gläubige eine spezifische Handlungsmaxime oder eine bestimmte Lebensweise zu befolgen intendiert 8 7 . Wenn der Gebrauch als moralische Aussagen das primäre Element in der Verwendung von Ausdrücken religiöser Behauptungen ist, sind religiöse Sätze mit moralischen hinsichtlich ihrer Verwendung und demzufolge auch hinsichtlich ihrer Bedeutung zu parallelisieren. Religiöse Aussagen werden als moralische Aussagen gebraucht. Wer sie gebraucht, erklärt damit, daß er die Intention hat, eine bestimmte Lebensweise zu befolgen - im Fall des Christentums : die christliche Lebensweise 8 8 oder - nach dem zentralen Satz christlichen Glaubens, daß Gott Liebe (agape) sei - eine „agapeistische" Lebensweise 8 9 . Braithwaite will mit dieser Theorie nicht die Unterschiede zwischen religiösen und moralischen Behauptungen verwischen. Sie bleiben bei aller strukturellen Ähnlichkeit doch erhalten. Braithwaite sieht sie in drei Punkten : (a) Das intendierte Verhalten wird gewöhnlich nicht von einer einzelnen religiösen Aussage allein spezifiziert. Erst das Gesamtsystem religiöser Sätze bezeichnet hinreichend klar die geforderte Lebensweise. Einzelne Sätze stellen bloß repräsentative Beispiele dar 9 0 , (b) Die moralische Lehre und Unterweisung der Religion geschieht häufig nicht in abstrakten Begriffen, nicht auf theoretischer Ebene, sondern anhand konkreter Beispiele. Die Erzählung vom barmherzigen Samariter ist sicher das bekannteste dieser Beispiele. Freilich treten bei dem Versuch, die Aussage einer solchen Geschichte auf konkretes Handeln heute zu beziehen, die gleichen Probleme auf wie bei dem Bemühen, sehr allgemeine Verhaltensmaximen zu konkretisieren und anzugeben, welches Verhalten von einem Satz wie „Strebe nach Glückseligkeit" gefordert wird 9 1 , (c) Die Lebensweise, die von der Religion begründet und ausgedrückt wird, unterscheidet sich darin von der moralischen, daß sie neben „äußerlichem" auch „innerliches" Verhalten betrifft. Damit ist gemeint, daß nicht nur das äußerliche Verhalten der favorisierten Lebensweise entsprechen sollte, sondern auch eine entsprechende Geisteshaltung gefordert ist. Ein Christ soll nicht nur so tun, als liebe er alle Menschen, er soll tatsächlich von Liebe zu allen Menschen erfüllt sein 9 2 . Dann erst befolgt er die agapeistische Lebensweise ernstlich. Seine Geisteshaltung in dieser Weise zu ändern verstärkt den Entschluß, ihr entsprechend zu handeln 9 3 . In diesen drei Punkten unterscheiden sich religiöse von bloß moralischen Aussagen. Nun fährt Braithwaite fort, den Unterschied zwischen den Religionen zu beschreiben. Die Aussage verschiedener religiöser Systeme, so sagt er, sind zum einen unterscheidbar, da in jeder Religion spezifische 87
R. B. Braithwaite, Die Ansicht eines Empiristen über die N a t u r des religiösen Glaubens,
176. Ebd. A a O . 178. Die metaphorische, aber gleichwohl empirische Beschreibung dieses „agapei90 AaO. 177,179. stic way of life" sieht Braithwaite in 1 K o r 13 (ebd.). 88
89
91
188
A a O . 179 f.
92
A a O . 180.
93
Ebd.
rituelle Handlungen Bestandteil der jeweiligen Lebensweise sind. Doch Braithwaite schränkt ein, daß dies wohl nicht den wichtigsten Unterschied zwischen Religionen darstellt. Nicht daß der eine zur Kirche und der andere zur Synagoge geht, konstituiert die Differenz in der Lebensweise zweier Menschen. Der bedeutsamere Unterschied liegt zum anderen darin, daß „die Intentionen zur Befolgung von Verhaltensmaximen (. . .) mit dem Denken an unterschiedliche Geschichten (. . .) verknüpft sind" 9 4 . Diese Vorstellung ist aus dem Gedanken weiterentwickelt, die Religion unterscheide sich von der Moral dadurch, daß sie nicht abstrakte Maximen, sondern konkrete Beispiele gebraucht, um die geforderte Verhaltensweise zu spezifizieren 9 5 . Verschiedene Religionen unterscheiden sich darin, daß sie jeweils bestimmte Geschichten erzählen, um diesen Zweck zu erreichen. Stellt die Formulierung der Intention den moralischen Gehalt einer religiösen Aussage dar, so ist die Geschichte (story), die damit verbunden ist, ihr propositionales Element. Durch dieses Element scheinen religiöse Sätze einen Bezug zur Empirie zu haben 9 6 . Doch Braithwaite schränkt gleich ein: Sich auf eine Geschichte zu beziehen heißt nicht, die Geschichte im Sinn einer empirischen Tatsache zu behaupten 9 7 . Die story selbst wird nicht als etwas unmittelbar Empirisches betrachtet, sondern sie wird erzählt, auf sie wird angespielt wie auf einen bekannten Namen. Sie ist bei verschiedenen Menschen unterschiedlicher empirischer Interpretation fähig 9 8 . Wer religiöse Aussagen macht, muß nicht notwendig an die historische Wahrheit der story glauben - sie kann wohl fiktional sein - , die story muß allerdings in seinem Denken gegenwärtig sein und ihre Aussage muß dadurch eine Bedeutung haben, daß sie als Kontext seiner ethischen Entscheidungen dient 9 9 . Braithwaite konzentriert sich ganz auf die Verwendung der religiösen stories als moralischer Sätze. Für das Bewußtsein des Vertreters einer Religion, so sagt er, haben die stories eine doppelte Funktion: (a) Sie dienen als psychologische Stützen, denn viele Menschen finden es einfacher, „sich zu einer ihren natürlichen Neigungen zuwiderlaufenden Handlungsweise zu entschließen und diese in die Tat umzusetzen, wenn diese Maxime in ihrem Geist mit bestimmten Geschichten verknüpft i s t " 1 0 0 . In dieser Funktion sind religiöse stories grundsätzlich nicht von Werken der Literatur im allgemei9 4 A a O . 181. Ich verwende im folgenden den englischen Begriff „story". Das deutsche W o r t „Geschichte" ist wegen seiner doppelten Bedeutung (engl, story und history) irreführend. Braithwaite nennt als Wechselbegriffe: „parable", „fairytale", „allegory", „fable", „tale", „myth" (vgl. R. Β. Braithwaite, An Empiricist's View of the Nature of Religious Belief, in I. T. Ramsey, H g . , Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 5 3 - 7 3 , 68). Vgl. zur Wahl des Begriffs und zum story-Konzept insgesamt das im Erscheinen begriffene Buch Dietrich Ritsehl, Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken, München 1984.
Vgl. oben Buchstabe (b). Vgl. R. B. Braithwaite, Die Ansicht eines Empiristen über die Natur des religiösen 9 7 A a O . 182 . 98 AaO. 182,185. Glaubens, 181. 95
96
99
A a O . 183, vgl. 184f, 187.
100
A a O . 183 f.
189
nen unterschieden 1 0 1 , (b) Einen ihrer Sätze zu denken heißt zugleich, die Intention zu haben, entsprechend zu handeln. Die Verbindung zwischen dem Denken an die story und dem Handeln ist unmittelbar. Nach der konativen Theorie der Ethik ist sie kausal zu nennen 1 0 2 . Jedenfalls ist sie keine logische Verbindung. Religiöse stories dienen nicht der logischen Rechtfertigung eines bestimmten Verhaltens. Sie fungieren als psychologische Unterstützung eines Entschlusses und damit als ein Element in der Kette kausaler Bedingungen für die Ausführung einer Handlung 1 0 3 . Primäres Element einer religiösen Aussage ist nicht ihr propositionaler Gehalt, der Inhalt der story, sondern die Entscheidung zu einer bestimmten Lebensweise. Sie ist nicht vom Glauben an eine story erst abgeleitet. Zusammenfassend kann Braithwaite daher definieren : „ein religiöser Glaube ist eine Intention, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten (ein moralischer Glaube), zusammen mit der Vergegenwärtigung bestimmter Geschichten, die mit der Intention im Geist des Gläubigen verknüpft sind" 1 0 4 . Braithwaite hält es nicht für einen berechtigten Einwand gegen seine Theorie zu sagen, wenn der Inhalt der religiösen stories eine so untergeordnete Rolle spiele, sei die Religion höchst subjektiv, die bloße Formulierung privater Ideale und Vorstellungsgebilde. Vielmehr glaubt er Grund zu haben, von der InterSubjektivität der Religion zu sprechen. Eine Diskussion über Religion und eine Weitergabe religiöser Tradition ist zwischen Partnern mit ähnlicher Grundeinstellung ja sinnvoll, denn was dem einen nützt, eine bestimmte Lebensweise zu realisieren, zu der er sich entschieden hat, kann auch dem anderen nützen, der eine ähnliche Lebensweise zu befolgen versucht. Sind die Grundeinstellungen unterschiedlich, dann ist eine Diskussion zwischen zwei Partnern immerhin noch so möglich, daß sie sich über die Konsequenzen, die jede der akzeptierten Verhaltensweisen impliziert, mit rationalen Argumenten auseinandersetzen und entscheiden, ob sie diese Konsequenzen intendieren wollen oder nicht 1 0 5 . Zustimmend zitiert Braithwaite R. M. Hares Diktum, das die letzte persönliche Entscheidung als wohl begründet bezeichnet 1 0 6 . Braithwaites Entwurf beantwortet die Frage nach der Rolle der Religion im ethischen Diskurs unzweideutig: Religiöse Sätze fungieren unmittelbar als ethische Aussagen, nämlich als Aussagen darüber, zu welcher Lebensweise sich der Sprecher des jeweiligen Satzes verpflichtet fühlt. Eine bestimmte Rolle religiöser Sätze zu akzeptieren setzt voraus, daß man das diesen Sätzen 1 0 1 Braithwaite stützt sich bei diesen Überlegungen auf Erörterungen Matthew Arnolds zum Zusammenhang von Imagination und Verhalten. Vgl. Matthew Arnold, G o d and the Bible. A Review of Objections to Literature and D o g m a , 1875, Kap. X I I I ; R. B. Braithwaite, aaO. 185 A n m . 12; auch W. K . Frankena, Analytische Ethik, 123f. 1 0 2 Vgl. R. B. Braithwaite, D i e Ansicht eines Empiristen über die Natur des religiösen Glaubens, 185. 1 0 3 A a O . 186. 1 0 4 A a O . 187. l o s A a O . 187f. 1 0 6 A a O . 188; vgl. dazu oben die Abschnitte 2.3. und 3.2.
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zugrundeliegende Ideal einer Lebensweise zuvor als für sich selbst gültig akzeptiert, das heißt, daß man eine ethische Prinzipienentscheidung bereits getroffen hat. Dann, wenn man also bereits die inhaltlichen Vorentscheidungen für eine Teilnahme am ethischen Diskurs gefällt hat, tritt die Religion gleichsam subsidiär hinzu 107 . Sie dient dazu, dem religiösen Menschen durch die psychologische Unterstützung, die durch die Erinnerung an ein „set of stories" bewirkt wird, zu helfen, auf Dauer dem „way of life" treu zu bleiben, zu dem er sich entschlossen hat. Man könnte formulieren: Wer das Sprachspiel der christlichen Religion und Theologie, die stories des Christentums, übernimmt, hat den Nutzen, daß es ihm einerseits den Rücken stärkt,wenn er im Sprachspiel der Ethik seine eigene Position vertreten muß, daß er andererseits durch den Rückbezug auf die stories des religiösen Sprachspiels, der ihm ständig möglich ist, eine größere Sicherheit darin erhält, daß er so handeln muß, wie es seine Intention (und die der stories) ist. Für Braithwaite ist damit die Funktion der Religion für die Ethik erschöpfend beschrieben. 2. Diskussion und Kritik. Die Vorlesung Braithwaites ist seit ihrem Erscheinen bis heute eingehend diskutiert worden 108 . Weitgehende Zustimmung hat Braithwaites Absicht gefunden, eine Beschreibung des Phänomens Religion zu geben, die den theoretischen Anforderungen des Empirismus standhält 109 . Zustimmung hat er auch darin gefunden, daß er den moralischen Aspekt des Christentums eindringlich ins Bewußtsein hebt und eine Erklärung für die Tatsache gibt, daß in der Geschichte der Christenheit das Handeln stets als eine unabdingbare Implikation des Glaubens galt 110 . Auf der anderen Seite wurde gegen Braithwaites Vorlesung eine Reihe von Einwänden erhoben. Sie richten sich gegen vier zentrale Inhalte des Vortrags: (a) gegen Braithwaites Konzeption der Verifikation in Abgrenzung zum Verwendungsprinzip der Bedeutung; (b) gegen die metaethische Theorie, die Braithwaite voraussetzt; (c) gegen Braithwaites Gleichsetzung von reliV g l . a a O . 186 f. ios Vgl. ¿ ¡ e ¡ n d e r Cambridge Review 1956 erschienenen Kritiken (Discussion) von J. N . Schofield, D . M. Mackinnon, I. T. Ramsey und die Antwort R. B. Braithwaites, wieder abgedr. in I. T. Ramsey, H g . , Christian Ethics and Contemporary Philosophy, 7 4 - 9 4 ; weiter James A. Martin, Philosophische Sprachprüfung der Theologie, 1 3 5 - 1 3 9 ; Alexander Boyce Gibson, Theism and Empiricism, London 1970, 3 2 - 3 7 ; W . W . Bartley, Morality and Religion, 1 8 - 2 7 ; P. M. van Buren, The Edges of Language, 34—39, 1 5 1 - 1 5 7 . Dies sind nur einige markante Stücke der Auseinandersetzung mit Braithwaite. Nahezu keine religionsphilosophische Arbeit im englischen Sprachraum seit 1956 verzichtet auf eine Diskussion der These Braithwaites. - W . W . Bartley (Morality and Religion, 19 f) führt die Beachtung, die Braithwaites Vorlesung gefunden hat, weniger auf deren Qualität als auf das Ereignis zurück, daß der Empirist Braithwaite, der als Quäker erzogen war, zuvor zum anglikanischen Christentum übergetreten und vor der Öffentlichkeit von Cambridge getauft worden war. 107
109 110
Vgl. etwa D . M. Mackinnon, Discussion, 7 7 f ; I. T. Ramsey, Discussion, 84. Vgl. etwa P. M. van Buren, The Edges of Language, 35 f.
191
giösen mit moralischen Sätzen ; (d) gegen seine Darstellung der Funktion von stories in der Religion und Moral. Diese Einwände sollen im einzelnen besprochen werden. a) Verifikations- oder Gebrauchsprinzip. In der Frage nach dem Sinnkriterium von Sätzen und Begriffen und damit auch von religiösen Aussagen versucht Braithwaite offenbar einen Kompromiß zwischen der alten und der neuen Theorie zu schließen: zwischen dem Verifikationsprinzip des logischen Positivismus, wonach nur das sinnvoll ist, was empirisch überprüft werden kann, und dem Gebrauchsprinzip der Wittgensteinschen Spätphilosophie, wonach der Sinn eines Satzes durch seinen Gebrauch konstituiert wird. Er bemüht sich sehr, den Zusammenhang beider Prinzipien zu klären und endet mit der Feststellung, das Verifikationsprinzip sei unter das Gebrauchsprinzip zu subsumieren 111 . Dennoch kehrt er gleich im nächsten Satz (und zuvor schon häufiger) die Abhängigkeitsbeziehung wieder um, indem er behauptet, daß eine empirische Aussage ihren Gebrauch von der Tatsache ableitet, daß sie empirisch verifizierbar ist 112 . Für eine Teilmenge allermöglichen Sätze gilt also die erwähnte Subsumption nur so, daß das Verifikationskriterium uneingeschränkt regiert. Andererseits erklärt Braithwaite, daß den Anforderungen empirischer Philosophie Genüge getan werde, wenn man den Gebrauch der in Frage stehenden Sätze beschreibt; dies geschehe in empirischen Sätzen 113 . Mir scheint, Braithwaite versucht an dieser Stelle Unvereinbares zu vereinen. Er versucht, das Gebrauchsprinzip zu verwenden, ohne dem Verifikationsprinzip abgesagt zu haben. Aus dieser Zwischenposition ergibt sich der unentschlossene Charakter der Ausführungen auf den ersten Seiten des Aufsatzes, und daraus ergeben sich die Ungereimtheiten 114 . Für die Darstellung der Moral des Christentums ist diese Problematik jedoch nur eine Vorfrage. Daher braucht sie hier nicht ausführlicher behandelt zu werden. b) Metaetische Theorie: Eine weitere Vorfrage, die bereits näher beim Zentrum der gegenwärtigen Untersuchung liegt, bezieht sich auf die metaethische Position Braithwaites. Er grenzt sich von der emotiven Theorie der Moral ausdrücklich ab. Moralische Äußerungen drücken nicht bloß eine Emotion des Sprechers aus, nicht bloß seine positiven oder negativen Gefühle hinsichtlich einer Handlung. Sie teilen vielmehr mit, daß der Sprecher eine bestimmte Einstellung der Handlung gegenüber besitzt, eine „Pro-Einstellung" 115 , deren primäres Element die Intention des Sprechers ist, in einer 111
R. B. Braithwaite, Die Ansicht eines Empiristen über die Natur des religiösen Glaubens,
173. 112
113 Ebd. Ebd. Diese Einwände stimmen mit der Kritik, die Wolf-Dieter Just (Religiöse Sprache und analytische Philosophie, lOOf) übt, weitgehend überein. 115 Vgl. R. B. Braithwaite, Die Ansicht eines Empiristen über die Natur des religiösen 114
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bestimmten Weise zu handeln. Braithwaite nennt dies eine „konative" Theorie der Ethik. Moral ist nicht mehr als der Ausdruck einer Intention zu handeln. Diese Ansicht steht nahe bei denjenigen Theorien, die Gegenstand der Diskussion um Relativismus und Subjektivismus sind 1 1 6 . Braithwaite macht daraus auch keinen Hehl. Er zitiert zustimmend R. M. H a r e 1 1 7 und akzeptiert die Meinung, daß Moral subjektiv sei 1 1 8 . Seine metaethische Theorie unterliegt daher der gleichen Kritik, wie sie an Hare und einer bestimmten Tendenz bei P. H.Nowell-Smith 1 1 9 geübt werden kann: Dieser Ansatz der Moral ist zu subjektivistisch, er schreibt der ersten Entscheidung des Moralsubjekts eine zu bedeutende Rolle zu, er konzentriert sich auf den Willen des Menschen einerseits und das moralische Handeln andererseits. Ein intersubjektiv gültiger Kommunikationszusammenhang ist in dieser Theorie nicht ausreichend berücksichtigt, obwohl er - wenigstens fragmentarisch - zu bestehen scheint. Eine solche Theorie vernachlässigt daher das objektive Element der Moral. Doch nicht nur dies, sie vernachlässigt letztlich zu sehr die Elemente, die dem Bereich des Visionären, Kontemplativen angehören. Braithwaite spricht nicht von der Vision eines ganzen Lebens, von Idealen, die jemand verfolgt 1 2 0 . Es gibt für ihn weitgehend nur das einfache Bild, daß jemand etwas intendiert und dies dann ausführt. Allerdings ist bei Braithwaite das intendierte „Etwas" nicht nur die einzelne Handlung. Die Intention richtet sich nicht nur auf eine einzelne Verhaltensmaxime. Ihr Objekt kann ebensogut eine ganze Lebensweise (ein „way of life" 1 2 1 ) sein 1 2 2 . Diese VorGlaubens, 174. Den Ausdruck hat Braithwaite von P. H. Nowell-Smith (Ethics, 112-121 uö.) übernommen. 1 1 6 Vgl. oben Abschnitt 3.3. 1 1 7 R. B. Braithwaite, Die Ansicht eines Empiristen über die Natur des religiösen Glaubens, 188. 1 1 8 AaO. 189. Braithwaite behauptet dies von der Religion - und damit auch von der Moral. 1 1 9 Renford Bambrough (Reason, Truth and God, 83) spricht von den „Oxford-Aposteln einer Moral der Handlung und der Wahl". 1 2 0 Der Gerechtigkeit halber muß erwähnt werden, daß er darin nicht R. M. Hare folgt. Hare kennt diesen Zug der Moral (vgl. Freedom and Reason, 137-156, Kap. 8). 1 2 1 R. B. Braithwaite, Die Ansicht eines Empiristen über die Natur des religiösen Glaubens, 177, 178. 1 2 2 Braithwaites Sprachgebrauch ist jedoch nicht einheitlich. Auf der nächsten Seite (aaO. 179) spricht er schon wieder davon, daß religiöse Sätze dazu dienten, die Bindung des Gläubigen „an eine Menge moralischer Prinzipien" bekanntzugeben. Eine größere Einheitlichkeit der Terminologie könnte zu einem klareren Gedankengang führen. - R. M. Hare schlägt in einer späten, sehr wohlwollenden Besprechung des Vortrags von Braithwaite vor, statt von „moralischen Prinzipien" durchweg von einem „way of life" zu sprechen. Dieser umfaßt dann nicht bloß das äußerliche Verhalten des Menschen, sondern auch den geistigen Horizont, aus dem es entspringt, in dem es verstanden wird, den „state of mind" des Gläubigen. Er umfaßt die Ideale, Wünsche und Bestrebungen des Menschen. Wird die Religion auf eine solche Konzeption der Moral bezogen, dann ist sie in der Tat eine alles umfassende (moralische) Einstellung des Menschen. (Vgl. R. M. Hare, The Simple Believer, in G. Outka u. J . P. Reeder Jr., Hg., Religion and Morality, 3 9 3 ^ 2 7 , 4 0 8 f.)
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Stellung einer intendierten Lebensweise bringt einen Schimmer jener Moral in den Blick, die sich auf das Verstehen des gesamten Handelns eines Menschen, auf ein kohärentes Bild seiner Moral, auf seinen Charakter richtet. Leider mißt Braithwaite dieser Vorstellung nicht genügend Gewicht bei. Er zieht sie lediglich als Hilfskonstruktion heran, um sofort auf die Funktion der stories für die Formulierung von Intentionen überzugehen. N u r an dieser Stelle spricht er von der „agapeistischen Lebensweise" 1 2 3 . Sogleich stellt er fest, daß unterschiedliche Religionen die gleiche oder eine in hohem Maße ähnliche Lebensweise favorisieren. Er sucht nach der wesentlichen Differenz der Religionen und sieht sie in den stories, die in ihnen lebendig sind. Daher sieht er sich berechtigt, die unmittelbare Beziehung zwischen stories und moralischem Verhalten in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit zu stellen - dies trotz der guten Ansätze, das Vorstellungsganze religiöser Geschichten zu betonen 1 2 4 . Braithwaite läßt die Vorstellung der Gesamtheit der stories ebenso unentwickelt wie die einer Gesamtsicht des Lebens eines Individuums. Diese Einseitigkeit ist sicher durch den starken behaviouristischen Einschlag zu erklären, der in dieser Vorlesung spürbar ist. Dieser wiederum scheint damit zusammenzuhängen, daß Braithwaite sich noch keineswegs von dem engen Verifikationskriterium der Empiristen abgelöst hat. Er hält sich an Beobachtbares : das registrierbare Verhalten, die geäußerte Intention und die feststellbare Beschäftigung mit literarischen Texten (stories). Er übersieht, daß es daneben auch den sicher schwerer erfaßbaren Bereich jenes Ganzen der Vorstellung gibt, dessen Berechtigung im empirischen Denken aber gleichwohl erwiesen werden kann 1 2 5 . Dieser zuletzt genannte Aspekt könnte weiterentwickelt werden. Er könnte Braithwaites Darstellung der Funktion religiöser Sätze korrigieren und durch diese Korrektur vielleicht zu einer der religiösen Ethik angemessenen metaethischen Konzeption beitragen. c) Identität religiöser und moralischer Sätze. Einer groben Vereinfachung macht sich Braithwaite schuldig, wenn er den Gebrauch religiöser Sätze völlig mit dem moralischer Aussagen identifiziert. Sein Vorhaben ist berechtigt, den Sinn religiöser Aussagen in ihrer Verwendung zu suchen. Es ist sicher richtig festzustellen, daß eine ganze Anzahl religiöser Aussagen dazu 1 2 3 R. B. Braithwaite, Die Ansicht eines Empiristen über die Natur des religiösen Glaubens, 176-178. 1 2 4 Vgl. die Rede von „sets of stories" bei I. T. Ramsey, Discussion, 66; vgl. auch R. Β. Braithwaite, Die Ansicht eines Empiristen über die N a t u r des religiösen Glaubens, 177, 183. 1 2 5 Darüber hinaus weist Braithwaites Darstellung eine formale Schwäche auf: Die Verwendung des Begriffs „agapeistic" ist unklar. D a sein Inhalt nirgendwo exakt erläutert wird, bleibt eine Festlegung der Vorstellungskraft jedes einzelnen anheimgestellt. Bereits unter den ersten Antworten auf den Vortrag gibt es das, was Braithwaite „Fehlinterpretation" nennt; vgl. R. B. Braithwaite, Discussion, 92; D . M. Mackinnon, Discussion, 82f; W. W. Bartley, Morality and Religion, 20 f.
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dienen, Intentionen zu handeln zu formulieren und ihre Befolgung zusätzlich zu motivieren. Dies ist der Bereich religiöser und dann auch theologischer Ethik. Er umfaßt Aussagen, die beide Elemente umschließen, religiöse und moralische. In ihnen ist das religiöse Element dem moralischen funktional zugeordnet. Es besitzt eine Funktion für die Moral, indem es ihre Begründung sicherstellt oder inhaltliche Festlegungen trifft. Darin hat Braithwaite recht. Fraglich wird seine Position erst dann, wenn er behauptet, damit die zentrale oder mehr noch: die einzige Funktion der Religion beschrieben zu haben. Dies tut er an einigen Stellen seines Vortrags. Es ist dort sein Anliegen zu erklären, wie ein Empirist den religiösen Glauben auffassen kann und muß. Er sagt, für seine, die empirische Betrachtung falle die Religion mit ihrer Funktion der moralischen Handlungsleitung zusammen, wenn sie auch in der Weise, wie sie Handeln leitet, ihr Spezifikum besitzt und bewahrt. Braithwaites Fehler ist, daß er der Religion nur diese eine Funktion zugesteht. Dadurch begibt er sich der Möglichkeit, der Religion gerecht zu werden. Er erfaßt nicht die Mannigfaltigkeit der Funktionen und Verwendungsweisen religiöser Sprache, sondern begnügt sich damit, eine, die moralische, herauszugreifen und sie zu verabsolutieren. Indem er die Religion auf diese eine Funktion reduziert, verschließt er sich den Zugang zu ihrer Vielfalt. Daher wird sein Entwurf von nicht wenigen Gläubigen zurückgewiesen. Viele Christen finden ihr Denken in dem nicht wieder, was Braithwaite als Darstellung des Christentums ausgibt. Für sie und erst recht für Christen früherer Zeiten besteht Christsein aus mehr und anderem als „nur" der Verpflichtung zu einer agapeistischen Lebensweise in Verbindung mit bestimmten stories. Braithwaites Darstellung nimmt in ihren Augen eine zu weit gehende Reduktion der Religion vor. Für sie besitzen die Aussagen des christlichen Glaubens neben ihren verhaltensmotivierenden Funktionen auch Elemente, die beschreiben wollen, was wahr ist, wie die Welt aussieht etc. Zumindest ein Teil der Geschichten der Bibel beansprucht ja, sich auf historische Ereignisse zu beziehen und daher „wahr" zu sein 1 2 6 . Braithwaite versucht, die Bedeutung dieser Geschichten herunterzuspielen und das Gewicht seiner Aussage auf die andere Gruppe von Geschichten ohne historisch-empirischen Bezugspunkt zu legen 1 2 7 . Er stellt die christlichen stories mit Märchen und Mythen auf eine Stufe 1 2 8 und unterscheidet sie in ihrer Funktion nicht mehr von fiktionaler Literatur. Damit hat er freilich einen so eigenwilligen konstruktiven Entwurf vorgelegt, daß er nur abgelehnt werden kann, weil Christen sich darin nicht wiederfinden. Denn ihrer Ansicht zufolge besitzen ihre Geschichten auch einen propositionalen Inhalt, eine Aussage, die als deskriptive Aussage verstanden werden will und sich nicht 126 127 128
D . M. Mackinnon, Discussion, 80f. R. B. Braithwaite, Discussion, 91. Vgl. oben Anm. 94.
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ohne Bedeutungsverschiebung auf ihre moralische Funktion reduzieren läßt 1 2 9 . Zwar mögen es keine unmittelbar empirisch überprüfbare Tatsachenaussagen sein, wenn Christen sagen, daß Gott Liebe ist, daß er sich in Jesus Christus mitgeteilt hat, daß der Tod der Lohn der Sünde ist, daß Gott uns unsere Sünden in Jesus Christus vergeben hat 1 3 0 , man muß jedoch erkennen, daß Christen, indem sie so sprechen, etwas über die Situation auszusagen versuchen, in der sie sich befinden. Sie beziehen sich damit auf bestimmte historische Fakten, über die sie Aussagen machen, zu deren Funktion auch die Beschreibung und Erklärung von Sachverhalten gehört. Damit ist freilich nicht gesagt, daß die Behauptungen als empirische Tatsachenaussagen verstanden werden müssen. Sie können sehr wohl einer eigenen Logik folgen, die dann allerdings näher zu beschreiben ist 1 3 1 . Nach gewöhnlichem Verständnis sind diese Aussagen für den Christen ebenso bedeutsam wie seine Verpflichtung zu einer bestimmten Lebensweise, wenn sie nicht sogar primär sind 1 3 2 . Wenn Braithwaite gerade für dieses Element in seiner Konzep1 2 9 Vgl. I. T . Ramsey, Discussion, 86 f. Braithwaites Analyse stellt in dieser Hinsicht einen Rückschritt hinter Einsichten dar, die R. M. Hare 1954 in seinem Aufsatz Religion and Morals geäußert hatte. H a r e hatte einen ähnlichen Gedankengang wie Braithwaite: Er stellt eine Ähnlichkeit zwischen moralischer Sprache und einem Teil der religiösen Sprache fest und anerkennt diesen moralischen Aspekt des religiösen Diskurses als nicht sinnlos gemäß dem modifizierten Verifikationsprinzip (aaO. 177-180). Er erörtert den Zusammenhang von Einstellung (precept, aim, prescription; desires, purposes, principles: „springs of action", aaO. 181), Tatsachenfeststellung und Handeln. Aus allen drei Elementen besteht das Schlußverfahren der Ethik, der praktische Schluß des Aristoteles. Religiöse Sätze können als Teil der Formulierung einer Einstellung dort wirksam werden. Insofern haben sie ihre Funktion in der Ethik, und insofern sind sie nicht sinnlos. (Man kann den Schluß auch umkehren und v o m tatsächlichen Verhalten auf die Prinzipien und Tatsachenannahmen zurückschließen. Diese Methode ermöglicht es zu überprüfen, ob die Prinzipien, die jemand äußert, mit seinem tatsächlichen Verhalten übereinstimmen oder ob er nicht ganz andere Prinzipien zugrundelegt; aaO. 181-183.) Schließlich gesteht H a r e aber zu, daß dieser moralische Aspekt der Religion nur ein Aspekt unter anderen ist und daß religiöse Sätze auch deskriptive Faktenaussagen umfassen (aaO. 184—189). Er erkennt an, daß die Analyse der religiösen Sprache keineswegs einfach und unkompliziert sei: „Wenn wir die religiöse Sprache als ganze nehmen, ist sie zu sehr faktenbezogen, um spezifisch moralisch genannt zu werden, und zu eng mit unserem Verhalten verbunden, um im herkömmlichen Sinn faktenbezogen (faktisch) genannt zu werden." ( A a O . 189, meine Ubers.) 130 Vgl. P. M . van Buren, The Edges of Language, 3 8 f ; auch J . A . Martin, The N e w Dialog Between Philosophy and Theology, 148; W. W. Bartley, Morality and Religion, 32; K . Ward, Ethics and Christianity, 79-87, bes. 79, 87. 1 3 1 Dies zu tun ist Schwerpunkt der Arbeit der analytischen Religionsphilosophie der letzten Jahrzehnte. - I. T . Ramsey z B . spricht von der „oddness" der Logik christlicher stories (Discussion, 87) und meint damit, daß sie nicht verständlich sind, wenn sie nicht in einer „Erschließungssituation" (disclosure situation) erschlossen werden (vgl. aaO. 85 f). In einer solchen Situation wird eine Einsicht hervorgerufen („the light dawns, the penny d r o p s " , a a O . 85), die über das empirisch Erfahrbare, an das sie anknüpft, hinausreicht. Vgl. zum Verständnis Ramseys die zusammenfassende Interpretation seiner Gedanken bei W. A . de Pater, Theologische Sprachlogik, 11—49, bes. 20-23. 1 3 2 Die Analyse von Texten des traditionellen Christentums läßt keinen anderen Schluß zu. Vgl. W. W. Bartley, Morality and Religion, 23-25.
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tion keinen Platz findet, vielmehr die Religion wie die Literatur überhaupt allein auf die Funktion reduziert, moralische Intentionen auszudrücken und die Moralität bestimmter Menschen psychologisch zu unterstützen, dann tut sich darin die zu einfach strukturierte Wirklichkeitsauffassung des Empiristen kund. Sie verführt ihn zu einer so inadäquaten Reduktion des Christentums, wie Braithwaite sie vorführt 1 3 3 . Sein zu einfaches Bild der Moral ist mit einer zu einfachen Konzeption der Religion gepaart, und beides zusammen ergibt eine Darstellung der Religion, die den Phänomenen nicht gerecht wird 1 3 4 . Sie gibt vielleicht Braithwaites private Auffassung wieder, keinesfalls aber die Auffassung eines durchschnittlichen, eines „orthodoxen" Christen, dessen Sache ja auch beschrieben werden soll 1 3 5 . Fairerweise muß dieser Kritik hinzugefügt werden, daß Braithwaite selbst nicht daran dachte, mit seiner Vorlesung einen vollständigen und allgemein akzeptablen Abriß der Religion zu geben. In einer Replik auf einige erste kritische Stimmen zu seinem Vortrag bestätigt er dies ausdrücklich. Er sagt, er habe bewußt das Risiko auf sich genommen, eine klare Ansicht dessen zu skizzieren, wie ein Empirist religiöse Behauptungen auffassen könne - nicht, wie er sie notwendig auffassen müsse. Dabei habe er nicht einen Augenblick lang daran gedacht, daß die Darstellung, die er gebe, die ganze Wahrheit über den religiösen Glauben sei 1 3 6 . Braithwaite will also keine wissenschaftlich exakte Deskription des Phänomens Religion geben. Er will erst recht nicht die Innenansicht des Glaubens aufzeichnen, die Weise, wie er sich dem Gläubigen darstellt. Dennoch legen seine Ausführungen die Vermutung nahe, daß er nicht nur seine private Meinung darstellen will. Zu häufig gebraucht er ganz allgemeine Redeweisen, zu häufig spricht er von „der" Funktion der Religion. Was er will, scheint daher zu sein: eine konstruktive Theorie zu entwickeln, die darlegt, wie eine ihm, dem Empiristen Braithwaite - und damit anderen Empiristen - , plausible Ansicht der Religion aussieht 1 3 7 .
1 3 3 Vgl. dazu D. M. Mackinnon, Discussion, 8 0 f ; I. T . Ramsey, Discussion, 8 6 - 8 8 ; Α. Β. Gibson, Theism and Empiricism, 3 4 ; W . W . Bartley, Morality and Religion, 2 2 - 3 2 , bes. 2 2 - 2 5 ; P. M . van Buren, The Edges of Language, 3 7 - 3 9 . - A. B. Gibson (Theism and Empiricism, 37) spricht von der „unmöglichen Einschränkung", die in Braithwaites Voraussetzungen begründet ist: „ E r nimmt die Voraussetzungen einer Clique als selbstverständlich an, die sich selbst als .zeitgenössische Menschen' beschreibt". Braithwaite erkennt diese Beschränkung an als eine, die für den Empiristen unabdingbar ist (vgl. Discussion, 91 f). 134 -ψ ψ Bartley nennt Braithwaites Darstellung „simple-minded", Morality and Religion, 25, vgl. 22 f; auch P. M. van Buren, The Edges of Language, 37 f. 135 Vgl. W é W . Hartley, Morality and Religion, 21 : „The meaning of a Christian assertion is to be determined by the use that I (Braithwaite) make of it." Vgl. R. Bambrough, Reason, Truth and God, 82, 8 6 f ; auch Κ. Nielsen, Some Remarks on the Independence of Morality from Religion, 145.
R. B. Braithwaite, Discussion, 88. Auf den Unterschied zwischen Deskription und konstruktiver Theorie hat Anders Jeffner (The Study of Religious Language, London 1972, 3 8 f ) hingewiesen. 136
137
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Berücksichtigt man die Selbstbeschränkung, die Braithwaite auf sich nimmt, dann fällt es nicht schwer, seiner Theorie den angemessenen Ort zuzuweisen. Braithwaite stellt - ob in zutreffender Weise oder nicht, wird noch zu erörtern sein - einen Ausschnitt des Feldes der Religion, eine ihrer Funktionen dar: ihre ethische Komponente. Er tut dies unter Vernachlässigung anderer Komponenten der Religion oder besser: so, daß er ihre anderen Komponenten als abgeleitete Formen dieser einen auffaßt 138 . Einen Punkt auf Kosten anderer zu betonen ist das Recht einer konstruktiven Theorie, und so ist Braithwaites Darstellung danach zu beurteilen, wie gut begründet und wie plausibel sie für einen Menschen ist, dessen Denken von dem Horizont der empiristischen Philosophie bestimmt ist. d) Die Funktion der stories. Ist Braithwaites ausschließliche Betonung der Moral schon in Zweifel zu ziehen, so ist erst recht fraglich, ob die Art, wie er religiöse Sätze auf moralisches Verhalten bezogen sieht, der Sache adäquat ist. Eine ganze Reihe von Fragen drängt sich hier auf: Kann man allgemein von „den stories" einer Religion sprechen? Muß man nicht viel stärker zwischen einzelnen Gattungen differenzieren? Gibt es neben spezifischen Formmerkmalen und Inhalten einzelner Gattungen von stories gemeinsame Züge, die einem berechtigen, von der Gruppe der religiösen stories zu sprechen? Worin bestehen diese Gemeinsamkeiten, worin die spezifischen Unterschiede? Wie im einzelnen beziehen sich stories auf die Moral derer, die sie benutzen? Wenn religiöse Aussagen nicht nur als Ausdruck moralischer Intentionen fungieren - wozu dienen sie noch? In welchem Verhältnis stehen die unterschiedlichen Funktionen zueinander? Die Fülle von Fragen kann hier nicht erschöpfend behandelt werden. Angesichts der breiten Beschäftigung mit diesen Fragen in der Literatur der letzten Jahre ist es auch nicht nötig, jedes Detail in dieser Arbeit erörtern zu wollen. Es genügt, die Modifikationen zu benennen, die an der Position Braithwaites vorgenommen werden müssen 139 . Zunächst ist im Anschluß an die eben erörterte Kritik die Funktionsweise zu betrachten, die Braithwaite den stories zuschreibt. Das Referat stellte den lockeren Zusammenhang zwischen story und Handeln deutlich heraus. Die story dient lediglich als psychologische (und daher kausale) Untersützung der intendierten Handlung oder Verhaltensweise. Die Entscheidung zu dieser Verhaltensweise ist unabhängig von der story vorausgesetzt. Die story motiviert zur Handlung nur so, daß sie das Warum des Handelns verstärkt,
138 Vgl. R. B. Braithwaite, Discussion, 89. Die Legitimität dieses Vorgehens bestreiten zB. J. A . Martin, Philosophische Sprachprüfung der Theologie, 138; A . Jeffner, The Study of Religious Language, 4 3 ; Ian G. Barbour, Myths, Models and Paradigms. The Nature of Scientific and Religious Language, London 1974, 5 7 ; R. Bambrough, Reason, Truth and God, 75. 139
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Zur weitergehenden Begründung vgl. die jeweils in den Fußnoten erwähnten Titel.
nicht so, daß sie das Was des Handelns beeinflussen würde 1 4 0 . W. W. Bartley kann daher Braithwaites Ansicht des christlichen Glaubens karikieren, als würde er sagen: „Das Wesen des Christentums ist es zu tun, was immer man will, vorausgesetzt, man dekoriert das Verhalten, das man wählt, mit stories der christlichen Tradition, die man in beliebiger Weise interpretieren darf." 1 4 1 Damit ist Braithwaites Darstellung überzeichnet, doch nicht in einer Weise, gegen die Braithwaite Sicherungen eingebaut hätte. Solche Sicherungen scheinen allerdings nötig zu sein, wenn man den christlichen Glauben beziehungsweise die christliche Ethik in angemessener Weise beschreiben will. Es reicht nicht aus zu sagen, ein Christ erhalte die stories des christlichen Glaubens aufrecht 1 4 2 . Wenn nicht alles als christliche Ethik soll gelten können, müssen die Geschichten andere Funktionen besitzen als nur die, eine bestimmte Verhaltensweise psychologisch zu unterstützen. Jene anderen Funktionen müssen zugleich die Moral der Christen inhaltlich eingrenzen. Braithwaites Begriff einer „agapeistischen Lebensweise" ist zu veschwommen. Die christlichen Geschichten müssen eine Autorität christlicher Ethik konstituieren und moralische Normen in größerer Spezifität vorschreiben, als Braithwaite annimmt 1 4 3 . Sie müssen die moralischen O p tionen der Christen inspirieren und kontrollieren 1 4 4 . Man kann zu dieser größeren Spezifizität gelangen, wenn man die Wirkungsweise der stories für die Ethik anders begreift, als Braithwaite es tut. Braithwaite bezieht die einzelnen Geschichten unmittelbar auf das Verhalten derer, die diese Geschichten gegenwärtig halten. Diesen Bezug kann es sicher geben, aber er muß nicht unabdingbar in dieser Form statthaben. Die einzelnen stories können wohl einmal unmittelbare Auswirkung auf Intention und Handlungen der Gläubigen haben. Jemand kann die Geschichte vom barmherzigen Samariter lesen oder hören und plötzlich erfahren, daß diese Geschichte ihn dazu treibt, etwas Bestimmtes zu tun, daß sie seine Intention, etwas zu tun, verstärkt. Jemand kann sich fragen, was er tun soll, und durch eine Geschichte, an die er sich erinnert, oder durch einige solcher Geschichten veranlaßt werden, sich so oder so zu entscheiden. Doch das allein ist nicht typisch für die christliche Moral. Es gibt anderes als nur diese unmittelbare Anwendung religiöser Geschichten. Zum Beispiel die Vorstellung, daß in Jesus das Bild eines moralischen Lebens integrativ dargestellt ist. Zum Bei1 4 0 Vgl. dazu D . A. Rees, Metaphysical Schemes and Moral Principles, in I. T. Ramsey, H g . , Prospect for Metaphysics, 15-32, 31. 141 y / Bartley, Morality and Religion, 22 (meine Übers.). 1 4 2 R. Β. Braithwaite, An Empiricist's View of the Nature of Religious Belief, 71 : „entertainment of certain stories". 143 Y g ] < J a z u p. M. van Buren, The Edges of Language, 155. 1 4 4 Vgl. R. W. Hepburn, Christianity and Paradox, 192-195, 209; J . A. Martin, Philosophische Sprachprüfung der Theologie, 138; P. M. van Buren, The Edges of Language, 36 f. Diese Funktion der stories muß noch präziser beschrieben werden. D a z u vgl. unten die Abschnitte 6.3. und 6.4.
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spiel die Annahme, daß nicht nur einzelne stories, sondern der gesamte Zusammenhang christlichen Denkens (die christliche „Dogmatik") die M o ral von Christen beeinflusse 1 4 5 . Innerhalb dieses Zusammenhangs haben Gott und Jesus als ethische Autoritäten ihren Platz 1 4 6 . Die christliche Ethik umschließt alle diese Vorstellungen und einige mehr. Sie auf die unmittelbare Beziehung zwischen stories und Handeln oder Handlungsintentionen zu reduzieren stellt einen Bedeutungsverlust der analytischen Darstellung im Vergleich zum Feld der Phänomene dar. Die Kritik an Braithwaite lautet also: Seine Ansicht der Religion besitzt zu große Mängel, um den christlichen Glauben phänomenologisch adäquat wiederzugeben. Dennoch hat er durch seinen Vortrag auf wesentliche Elemente christlichen Glaubens und christlicher Ethik aufmerksam gemacht: auf die Bedeutung des Verhaltens für den Gläubigen und auf die Möglichkeit, religiöse Aussagen am Verhalten des Sprechers zu messen; auf die Funktion religiöser Sätze als Verpflichtung zu einer bestimmten Lebensweise; auf den Einfluß religiöser stories in diesem Prozeß und auf die Ambiguität, die diese stories einbringen, indem sie sich nicht auf eine ein für allemal gültige Interpretation festlegen lassen. Dies sind zutreffende Beobachtungen des Verhaltens religiöser Menschen. Darauf so deutlich hingewiesen zu haben ist Braithwaites Verdienst. Die Ergebnisse müssen in der Theorie theologischer Ethik berücksichtigt werden. Und selbst aus der Erkenntnis der Grenze von Braithwaites Überlegungen kann die theologische Ethik Gewinn ziehen. Sie kann nämlich der Frage nachgehen, wie es sich mit dem Bezug der Einzelstories auf das Überlieferungs- oder Verstehensganze des christlichen Glaubens verhält und welche Bedeutung dieses Ganze für die christliche Ethik hat. 5.5. Religiöse Sätze als Ausdruck einer Sicht der Welt Nun soll im Rückgang auf eine weitere Ebene des Verständnisses religiöser Aussagen eine Möglichkeit gefunden werden, religiöse und ethische Sätze so aufeinander zu beziehen, daß Einseitigkeiten der bisher dargestellten Verstehensweisen vermieden und eine angemessene Darstellung der Ethik von Christen erreicht werden. Dazu werde ich (1) R. B. Braithwaites Vorstellung vom Gesamtsystem der stories des Christentums und dem Gesamtbild einer entsprechenden Lebensweise aufnehmen und durch entsprechende 145 Vgl. dazu I. T . Ramsey, Discussion, 8 5 f ; J . N . Schofield, Discussion, 7 5 - 7 7 ; und Braithwaites Antwort, 89; auch Alan P. F . Sell, Agape, Atonement and Christian Ethics, Downside Review 91, 1973, 8 3 - 1 0 0 , 93 f. Diese Gedanken werden unten, bes. Abschnitte 6.3. und 6.4., fortgeführt. 1 4 6 Hugh O . Jones hat in seinem Aufsatz Das Story-Konzept in der Theologie (in D . Ritsehl u. H . O . Jones, „Story" als Rohmaterial der Theologie, München 1 9 7 6 , 4 2 - 6 8 , 67) nachdrücklich darauf verwiesen, daß die Rede von stories für den Zusammenhang der christlichen Theologie und Ethik durch Elemente theologischen Räsonierens ergänzt werden muß.
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religionsphilosophische Entwürfe ergänzen. Das Ergebnis dieser Erörterung werde ich (2) kontrastieren mit der Unterscheidung zweier Bereiche der Moral, wie P. F. Strawson sie vorgeschlagen hat. Ich werde (3) die formale Seite des Vermittlungvorgangs zwischen Weltsicht und Moral eingehender betrachten und (4) diesen gesamten Argumentationsgang in Beziehung setzen zu der im dritten Teil dieser Arbeit 147 entwickelten metaethischen Konzeption, die dem Uberzeugungsganzen einen entscheidenden Anteil an der Ethik einräumt. In einem Anhang soll (5) geklärt werden, inwieweit zwei Entwürfe über die Beziehung von religiösen und moralischen Sätzen, die in den letzten Jahrzehnten von analytischen Moralphilosophen vorgetragen wurden, mit der hier vorgeschlagenen Sicht dieses Beziehungsverhältnisses vergleichbar sind. 1. Stories, blik, onlook. R. B. Braithwaites Darstellung 148 weist bereits über ihre eigenen Grenzen hinaus. Denn zweifellos besteht christliche Ethik nicht nur darin, daß einzelne, unverbundene Geschichten auf konkrete Situationen bezogen und daraufhin befragt werden, welche Verhaltensweisen sie vorschreiben oder empfehlen. Es ist auch kaum ausreichend zu sagen, die stories insgesamt würden eine bestimmte, die agapeistische Lebensweise vorschreiben, so daß diese Lebensweise als ganze die Vermittlungsinstanz zwischen den Geschichten und konkretem Verhalten darstellte. Man muß also nach einer anderen Weise suchen, beide Größen, das religiöse Uberzeugungssystem und das Verhalten eines von der Religion bestimmten Menschen, zueinander in Beziehung zu setzen. Weiterführende Überlegungen können dort ansetzen, wo Braithwaite von der Gesamtheit religiöser Sätze spricht, von dem System eines (bestimmten) religiösen Glaubens 149 . Religionsphilosophen haben eine Reihe unterschiedlicher Vorstellungen darüber entwickelt, welche andere als die von Braithwaite vorgeschlagene Funktion ein solches System religiöser Sätze haben kann 150 . R. M. Hare will in der Debatte über „Theologie und Falsifikation" 151 einen allzu kurz greifenden Empirismus abwehren. Er vergleicht die Religion mit der Grundhaltung eines Menschen der Welt gegenüber. Für diese Grundhaltung prägt er das Kunstwort „blik". Gemeint ist - sieht man von den Schwierigkeiten der Abschnitte 3.6. und 3.7. Vgl. oben Abschnitt 5.4. 149 Vgl. R g Braithwaite, Die Ansicht eines Empiristen über die Natur des religiösen Glaubens, 177. 147
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1 5 0 Vgl. die knappe Zusammenfassung bei I. U . Dalferth, Einführung in die analytische Religionsphilosophie und Theologie, bes. 3 6 - 4 6 . 1 5 1 Vgl. R. M . Hare, Theologie und Falsifikation. Ein Symposium, in I. U . Dalferth, H g . , Sprachlogik des Glaubens, 8 7 - 9 0 , als Erwiderung auf den Beitrag A . Flews, Theologie und Falsifikation, aaO. 8 4 - 8 7 . Vgl. zum Zusammenhang W . - D . Just, Religiöse Sprache und analytische Philosophie, 8 2 - 8 7 , 1 0 3 - 1 0 7 .
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Verwendung und Interpretation dieses Begriffs bei Hare ab 1 5 2 - die positive oder negative und in vielfältiger Hinsicht näher zu qualifizierende fundamentale Einstellung, mit der jemand der Welt gegenübersteht und sie wahrnimmt. Dieser blik ist das Produkt der ersten und aller weiteren Begegnungen des betreffenden Menschen mit seiner Welt. Einige Begebenheiten können und werden dabei eine größere prägende Kraft entfaltet haben als andere. Am Ende ist er jedoch das Konglomerat vieler solcher Begebenheiten und Eindrücke. (Um dieser Eigenart willen bringt P. M. van Buren daher das Konzept des blik mit dem der story in Verbindung und ergänzt und interpretiert so Hares Vorstellung durch die Überlegungen Braithwaites 1 5 3 ). Donald Evans greift den Gedanken Hares auf, vermeidet jedoch das allumfassende Konzept des blik und spricht lieber von den „onlooks", die sich auf eine bestimmte Situation richten. Auf dem Hintergrund der umfassenden Weltorientierung sieht der einzelne oder sehen Gruppen die Situationen des Lebens in einem bestimmten Licht. Aus unterschiedlichen Perspektiven wird dieselbe Welt unterschiedlich wahrgenommen 1 5 4 . Wer im Sinn eines onlook eine Situation wahrnimmt, hat sie damit nicht nur rein deskriptiv beschrieben, sondern sieht sie bereits wertgeladen und in moralischen Zusammenhängen mit einem Gefälle zu einem bestimmten Verhalten oder Urteil. Religiöse Sätze, so ist dann anzunehmen, sind nicht der unmittelbare Ausdruck für eine bestimmte Lebensweise, sondern sie formulieren eine derartige Perspektive, eine umfassende Sichtweise der Welt. Die Art, wie jemand seine Welt sieht, bestimmt ihrerseits seinen ganzen Umgang mit der Wirklichkeit. Auch sein moralisches Verhalten ist dadurch beeinflußt. Demnach tragen religiöse Sätze dazu bei, den gesamten Rahmen der Welterfahrung zu formulieren, innerhalb dessen auch die Moral ihren Platz hat. 2. Der Bereich des Moralischen und der Bereich des Ethischen. U m diesen Ansatz fortzuführen, greife ich den Gedanken P. F. Strawsons auf, zwei Bereiche der Moral seien zu unterscheiden: ein Bereich, in dem Regeln und Prinzipien zur Verhaltensleitung dienen (Strawson nennt ihn den Bereich des Moralischen), und ein zweiter Bereich, wo Ideale und persönliche Vor1 5 2 Vgl. W . - D . Just, aaO. Erkenntnistheoretische Überlegungen zum Konzept des „blik" können hier nicht im einzelnen erörtert werden. Ich will lediglich darauf hinweisen, daß bliks auch eine gewisse kognitive Funktion besitzen, sofern sie den Bezugsrahmen bilden, innerhalb dessen Erklärungen, N o r m e n etc. einen Sinn haben. Zum Ganzen vgl. jetzt die Mainzer Habilitationsschrift von Hugh O . Jones, Die Logik theologischer Perspektiven. Eine sprachanalytische Untersuchung. 1 5 3 Paul M . van Buren, Reden von Gott in der Sprache der Welt. Zur säkularen Bedeutung des Evangeliums (The Secular Meaning of the Gospel. Based on an Analysis of its Language, N e w Y o r k 1963, dt.) Zürich/Stuttgart 1965, 8 1 - 8 3 , 8 7 - 1 0 1 und die Kap. V und VI des zweiten Teils, 1 0 3 - 1 4 6 . 1 5 4 Vgl. Donald Evans, The Logic of Self-Involvement, London 1963, passim; auch D. Evans, Does Religious Faith Conflict with Moral Freedom?, 3 7 7 - 3 8 0 .
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Stellungen eine wesentliche Rolle spielen (in Strawsons Terminologie der Bereich des Ethischen) 1 5 5 . Dieser Weg verspricht über Braithwaites Konzeption hinauszuführen, weil er die bis dahin vorherrschende und auch bei Braithwaite zugrundeliegende analytische Moralphilosophie kritisiert, sie sei zu eng und vernachlässige einen weiten Bereich, der phänomenologisch der Moral zugerechnet werden müsse 1 5 6 . So stehen zwei Vorstellungen über die Moral nebeneinander: die eine, in der analytischen Moralphilosophie traditionelle, nach der die Moral in der Anwendung eines normativen Moralkodex auf wertneutral beschreibbare Situationen besteht, und die andere, aus der Kritik an der ersten Gruppe von Vorstellungen erwachsene, die weitere, offenere Vorstellungen einbezieht und nicht mehr auf den abgeschlossenen Charakter verrechenbarer Regeln beschränkt bleibt. Die zweite Gruppe von Vorstellungen scheint gegenüber der Regel-Ethik merkwürdig heterogen zu sein. Die Frage erhebt sich, ob ein dermaßen weites Feld divergenter Vorstellungen überhaupt so weit einheitlich ist, daß man von einer einzigen Gruppe von Vorstellungen sprechen kann. Die Einheit dieser Position besteht hauptsächlich in ihrem Gegensatz zu den Vorstellungen der ersten Gruppe. Dort ging man davon aus, daß eine Situation zu beschreiben ist und dann die moralische Bewertung erst hinzutritt. Demgegenüber lassen die Vorstellungen der zweiten Gruppe eine unbeeinflußte, „objektive" Beschreibung der Situation nicht zu. Wenn die Ethik vom Handelnden her konzipiert wird, wenn ihre zentralen Vorstellungen die eines Wertes, eines Ideals, einer Tugend oder des Charaktes sind, dann ist schon die Beschreibung der Situation im Licht der Wert-, Ideal- oder Tugendvorstellungen des Handelnden gesehen. Der moralisch Handelnde oder Urteilende fällt nicht jeweils eine moralische Entscheidung zusätzlich zur Feststellung der Situation. Er sieht vielmehr die Situation von allem Anfang in ihrem moralischen Charakter, im Horizont seiner umfassenden Art, die Welt zu sehen, die gerade auch einen bestimmten moralischen Blickwinkel einschließt 1 5 7 . Zwei voneinander unabhängige Akte der Wahrnehmung und der Bewertung unterscheiden zu wollen ist ein höchst künstliches Unternehmen 1 5 8 . 155
Vgl. die Ausführungen über P. F. Strawson, oben Abschnitt 2.7.
P. F. Strawson spricht von einer „Minimalinterpretation der M o r a l " ; Gesellschaftliche Moral und persönliches Ideal, 322. 1 5 7 So argumentiert auch Stuart Hampshire in seinem Vortrag Morality and Pessimism: „The principal and proximate grounds for claiming that the action must, or must not, be performed are to be found in the characterization of the action offered within the prescription; and if the argument is pressed further, first a virtue or vice and then a whole way of life will have to be described." ( A a O . 23.) 156
1 5 8 Vgl. die Argumentation Chr. Freys, Zwischen Intuition und Goldener Regel, 226 f. - Im Zusammenhang der Kontrastierung zweier Bereiche der Moral ist der Versuch A . S. Cuas interessant, die Prinzipienethik so umzuformulieren, daß sie nicht in Widerspruch zur Ethik des Handelnden tritt. E r führt zu diesem Zweck die Unterscheidung zwischen den Prinzipien des
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Die hier vorgeschlagene Sicht der Moral ist umfassender, nicht etwa völlig anders als die im breiten Strom der analytischen Ethik übliche. Dies zeigt das vorläufige Ergebnis der hauptsächlich in der Zeitschrift „Journal of Religious Ethics" geführten Debatte um Pflicht- und Tugendethik (ethics of duty / ethics of virtue) 159 . Danach besteht die Alternative einer mit den Mitteln der Logik zu entwickelnden Pflichtethik und einer die Vorstellungswelt des moralischen Subjekts betonenden Tugendethik keineswegs in der Schärfe, wie die ersten Kontrahenten William K. Frankena und Stanley Hauerwas angenommen hatten. Die Vertreter der Tugendethik machten darauf aufmerksam, daß die Vorstellung moralischer Pflicht nicht ausreicht, um das Feld des Moralischen zu beschreiben. Diese Vorstellung wird ergänzt durch die andere der Dispositionen, des Charakters und der „moralisch relevanten Tugenden", die nicht selber mit moralischen Pflichten zu tun haben 160 . Die moralisch relevanten Tugenden gehören zu dem umfassenderen Zusammenhang der Sicht der Welt, die der moralisch Handelnde oder Urteilende hat. Ist dieser umfassendere Zusammenhang religiös bestimmt, dann ist damit zu rechnen, daß auch religiöse Inhalte, in der Terminologie amerikanischer analytischer Philosophen „metaphysische Fakten" 1 6 1 , moralische Überlegungen beeinflussen. 3. Ideale und Verhaltensdispositionen. Die formale Seite des Vermittlungsvorgangs zwischen Weltsicht und Moral bedarf weiterer Klärung. In zwei Schritten werde ich fragen, welche Rolle (a) Ideale und (b) Verhaltensdispositionen und Charaktereigenschaften in diesem Vermittlungsvorgang spielen. (a) Die Basis des erweiterten Zugangs zur Moral bilden die VorstellungsHandelns und der Anwendung dieser Prinzipien ein. Die Anwendung sieht er wesentlich durch Faktoren bestimmt, die in der Person des Handelnden begründet sind: durch seine moralische Sozialisation, den sozialen Kontext, die überkommene Tradition, den persönlichen Lebensstil, die A r t zu leben, die Ideale, die sich allesamt mittelbar in der Anordnung der Regeln und Prinzipien ausdrücken (Towards an Ethics of Moral Agents, Philosophy and Phenomenological Research 27, 1 9 6 7 / 6 8 , 1 6 3 - 1 7 4 , 1 7 1 - 1 7 3 ) . Im Kern ist diese Darstellung ein Versuch, zwischen beiden Konzeptionen der Ethik zu vermitteln. D a allerdings der Person des moralisch Handelnden und Urteilenden größeres Gewicht beigemessen ist als der Entscheidung in der jeweiligen Situation, wird man Cuas Abriß der Ethik in ihrer Intention zu Recht dem zweiten Muster der Ethik zurechnen, demjenigen, das vom moralisch Handelnden ausgeht. 1 5 9 Vgl. Frederick S. Carney, The Virtue-Obligation Controversy, Journal of Religious Ethics ( J R E ) 1 , 1 9 7 3 , 5 - 2 0 ; William K. Frankena, The Ethics of Love Conceived as an Ethics of Virtue, J R E 1, 1973, 2 1 - 3 6 ; Arthur J . Dyck, A Unified Theory of Virtue and Religious Ethics, J R E 1, 1973, 3 7 - 5 2 ; F. S. Carney, O n Frankena and Religious Ethics, J R E 3, 1975, 7 - 2 5 ; Stanley Hauerwas, Obligation and Virtue O n c e More, J R E 3, 1975, 2 7 - 4 4 ; W . K. Frankena, Conversations with Carney and Hauerwas, J R E 3, 1975, 4 5 - 6 2 ; J . Wesley Robbins, Frankena on the Difference Between an Ethic of Virtue and an Ethic of Duty, J R E 4 / 1 , 1 9 7 6 , 5 7 - 6 2 ; David Schenck Jr., Recasting the „Ethics of Virtue / Ethics of D u t y " Debate, J R E 4 / 2 , 1 9 7 6 , 2 6 9 - 2 8 6 . 160 Vgl. D . Schenck Jr., Recasting the „Ethics of Virtue / Ethics of D u t y " Debate, 283. 161
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AaO. 278,284.
und Sprechakte, in denen man Urteile über das Leben eines Menschen als ganzes abgibt - wenn man zum Beispiel sagt: „Er war ein guter Mensch" und damit noch etwas anderes als die Summe aller seiner einzelnen moralisch guten Handlungen meint 1 6 2 - und die Vorstellungs- und Sprechakte, mit denen man seine Vision eines guten Menschen, eines guten Lebens, eines guten Charakters, einer guten Gesellschaft formuliert 1 6 3 . Prinzipiell müssen diese Gedanken formulierbar sein. Es muß, zumindest auf entsprechende Fragen hin, etwas geben, was man als Rede von und über moralische Ideale 1 6 4 bezeichnen kann, wenn auch diese Visionen im normalen, auf die Lösung spezifisch moralischer Probleme bezogenen ethischen Diskurs nicht immer ausdrücklich formuliert werden, sondern eher unausgesprochen den Hintergrund für den tatsächlich geführten ethischen Diskurs darstellen 165 . Die moralischen Ideale haben es nicht so sehr mit einzelnen Handlungen zu tun als vielmehr mit dem Bild, das der Handelnde von sich selber hat, damit, wie er sich selbst im Zusammenhang der Welt sieht, wie er sie wahrnimmt. Moralische Ideale sind den moralischen Prinzipien darin ähnlich, daß sie sich ebenfalls auf die Wahl von Verhaltensweisen auswirken. Denn wie diese können sie als Anleitung zur Lebensführung dienen, indem sie bestimmte Handlungsprogramme vorschreiben, empfehlen oder nahelegen 1 6 6 . Zudem dienen sie als Maßstab zur Beurteilung des Ganzen eines Lebens, und zwar des eigenen wie eines fremden 1 6 7 . Die Rede von moralischen Idealen wird mithin benutzt, nicht nur um die Frage „Was soll ich tun?" zu beantworten 1 6 8 , sondern auch die weiteren Fragen: „Wie stellt sich mein Leben zusammenfassend dar?", „Ist es kohärent, integrativ oder ohne 1 6 2 Vgl. Paul M. van Buren, What is the Analysis of Theological Language?, Typoskript 1969, 13, frz. u.d.T. Qu'est-ce que c'est l'analyse du langage théologique?, in E. Castelli, Hg., L'analyse du langage théologique. Le nom de Dieu, Paris 1969,107-120. 1 6 3 Vgl. I. Murdoch, Vision and Choice in Morality, 200 f; P. M. van Buren, What is the Analysis of Theological Language?, 13; P. M. van Buren, The Edges of Language, 36. 1 6 4 P. M . van Buren, What is the Analysis of Theological Language?, 13. 1 6 5 Vgl. I. Murdoch, Vision and Choice in Morality, 200-202, bes. 202: „When we apprehend and assess other people we do not consider only their solutions to specifiable practical problems, we consider something more elusive which may be called their total vision of life, as shown in their mode of speech or silence, their choice of words, their assessments of others, their conception of their own lives, what they think f u n n y : in short, the configurations of their thought which show continually in their reactions and conversations." 166 Vgl. R . W . Hepburn, Vision and Choice in Morality, 192; H . Oppenheimer, Moral Choice and Divine Authority, 222; P. M. van Buren, What is the Analysis of Theological Language?, 13 f, 14: „It serves (. . .) as a guide to how one shapes one's life". 1 6 7 In diesem Sinn kann man auch das Beispiel bei R. M. Hare (Freedom and Reason, 147) interpretieren. Vgl. auch P. M. van Buren, What is the Analysis of Theological Language?, 14. 1 6 8 G. J . Warnock lehnt den Gedanken ab, die Ideale oder Tugenden gäben überhaupt Antwort auf diese Frage. Dies hängt mit seiner Intention zusammen, die Moral als etwas leicht und präzise Verständliches und Anwendbares zu erklären. Ideale und Tugenden kommen dieser Absicht keineswegs entgegen. Deshalb ist er bestrebt, sie dem Bereich der Moral fernzuhalten. Was sich nicht auf Prinzipien reduzieren läßt, fällt also nicht in das Gebiet der Moral (vgl. The Object of Morality, 89-92).
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Form, chaotisch?", „Bin ich initiativ geblieben, war ich mit Erfolg kreativ, oder ist mein Leben in unkreativer Passivität verstrichen?" 1 6 9 Und gerade an dem Bezug auf diese Fragen liegt es, daß die Rede von moralischen Idealen weniger définit und präzis ist als die Rede von moralischen Prinzipien, denn die Gestalt eines Lebens ist weniger bestimmt zu beschreiben als eine einzelne Handlung 1 7 0 . Moralische Ideale erhalten ihre eigentümliche Gestalt und ihren Namen häufig durch den Bezug auf ein Ereignis oder eine Person der Vergangenheit, wenn ihre Bezugsobjekte auch gewöhnlich in einem verklärten Licht erscheinen und sich als Idealisierungen erweisen. Man will etwa leben wie Albert Schweitzer, als ein freier Schweizer Bürger oder als Christ. Die Erinnerung an vergangene Erfahrung ist es, die das Ideal konstituiert oder wachhält 1 7 1 . Daneben gehört es zum Begriff des Ideals, daß der von ihm intendierte Zustand ganz der Zukunft angehört und weder in der Vergangenheit realisiert war noch in der Gegenwart realisiert ist. Das Ideal steht so in der Spannung zwischen Erinnerung und Hoffnung 1 7 2 . Der nicht definiten und präzisen Art der moralischen Ideale entsprechen die Sprachformen, in denen sie Ausdruck finden: Mythen, Parabeln, Fabeln, Symbole, Metaphern, stories, Formen also, die sich einem eindeutig festlegenden Zugriff entziehen 173 . Eine diesen Sprachformen inhärente Mehrdeutigkeit 1 7 4 schafft die Voraussetzung für ihre hohe Flexibilität 175 . Denn anR. W. Hepburn, Vision and Choice in Morality, 181 f. Vgl. P. M. van Buren, What is the Analysis of Theological Language?, 13. 1 7 1 Vgl. D . Ritschl, Memory and Hope, 161 f. 1 7 2 Vgl. P. M. van Buren, What is the Analysis of Theological Language?, 14f; auch D . Ritschl, Memory and Hope, 161-163. 173 Vgl. R W. Hepburn, Vision and Choice in Morality, 181f; I. Murdoch, Vision and Choice in Morality, 2 0 3 , 2 1 1 ; P. M. van Buren, What is the Analysis of Theological Language?, 16; Stanley Hauerwas, The Self as Story. A Reconsideration of the Relation of Religion and Morality from the Agent's Perspective, Journal of Religious Ethics 1, 1973, 73-85, bes. 74-77, 79 f (wieder abgedr. in S. Hauerwas, Vision and Virtue, 68-89). An dieser Stelle ist auf S. Hauerwas' Versuch hinzuweisen, die religiöse Ethik aus der Perspektive des moralisch Handelnden zu begreifen. Zu diesem Zweck ordnet er die stories, die jemand während seines Lebens hört, der Weise, die Welt zu sehen, die sich aus der Summe dieser stories konstituiert, zu und dieser die spezifische Sicht moralisch relevanter Situationen. Hauerwas' Darstellung kommt dem Argument dieses Abschnitts sehr nahe. In ähnlicher Weise wie hier verbindet er die beiden Begriffe „moralisches Ideal" oder „Vision" und „Charakter", wobei er in beiden Bereichen die Bedeutung des narrativen Elements bei der Konstitution des Ideals bzw. des Charakters hervorhebt. 1 7 4 Vgl. I. Murdoch, Vision and Choice in Morality, 211; P. M. van Buren, What is the Analysis of Theological Language?, 16f. 1 7 5 Es bedarf einer eigenen Untersuchung zur Frage der Eigenarten und Wirkungsweise der Metaphern und stories im Christentum. Ansätze dazu bieten Max Black, Models and Metaphors. Studies in Language and Philosophy, Ithaca 1962, Kap. III, 25-47, 236f; D. Ritschl, Memory and Hope, 173-176; P. M. van Buren, The Edges of Language, passim, bes. 36f, 122— 1 2 8 , 1 6 7 - 1 7 0 . Vgl. auch Eberhard Jíingel, Metaphorische Wahrheit. Erwägungen zur theologischen Relevanz der Metapher als Beitrag zur Hermeneutik einer narrativen Theologie, in P. 169 170
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ders als nach dem Regel-Modell ist es für jemanden, dessen Ethik auf der Aufrechterhaltung einer story 1 7 6 gegründet ist, möglich, „trotz" ( ! ) 1 7 7 entgegenstehender oder veränderter Umstände die story als Muster seiner Ethik durchzuhalten, ohne in eine moralische Katastrophe oder in Absurdität zu fallen 1 7 8 . Dies ist möglich, da die Motive, aus denen die story besteht, grundsätzlich der Interpretation bedürfen, um aussagekräftig zu sein. Es ist dann Aufgabe eines Menschen, der Kreativität besitzt, die alten Motive in einer veränderten Situation zu re-interpretieren, so daß die story die neue Situation abdeckt 1 7 9 . Durch solche Akte der Vermittlung kann die Kontinuität eines moralischen Konzepts inmitten der Diskontinuität der Umwelterfahrungen gewährleistet und der ethisch Reflektierende vor einem Identitätsverlust bewahrt werden 1 8 0 . Gewiß wird es Grenzen geben, jenseits derer moralische Entscheidungen nicht mehr mit dem Aufrechterhalten einer story vereinbar sind. D o c h innerhalb dieser Grenzen sind eine Reihe unterschiedlicher Positionen möglich. Durch den Bezug auf die gleiche story ist ihre Kohärenz gewährleistet. (b) So sieht jeder Mensch die Welt in einer bestimmten Perspektive. Er hat eine bestimmte Anschauung und ein bestimmtes Verständnis der Welt. Es ist von anderen Auffassungen unterschieden. Dieses Verständnis schafft die Basis der Weltorientierung. Es ist nicht rigide festgelegt, sondern weist eine gewisse Variationsbreite auf, besitzt jedoch auch eine gewisse Konsistenz und Integrität 1 8 1 . Nun muß man aber weiter fragen, wie sich diese Weise, die Welt zu sehen, im moralisch Handelnden oder Urteilenden manifestiert. Die naheliegende Antwort auf diese Frage ist, daß die Perspektive der Welt sich in bestimmten sich durchhaltenden Einstellungen und Verhaltensdispositionen niederschlägt. Sie bewirkt und formt bestimmte Intentionen, mehr oder minder gleichbleibende Neigungen, in einer bestimmten Weise zu urteilen oder zu handeln. Daß diese Neigungen und Absichten sich weitgehend Ricoeur u. E. Jüngel, Metapher. Zur Hermeneutik religiöser Sprache, München 1974, 7 1 - 1 2 2 ; E . Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 1977, 383—408 uö.; D. Ritsehl u. H . O . Jones, „Story" als Rohmaterial der Theologie. 1 7 6 Story steht hier als Sammelbegriff für die oben genannten, auf Interpretation angelegten Sprachformen, in denen moralische Ideale sich ausdrücken. Vgl. zu den Vorzügen des storyKonzepts unten Abschnitt 6.4. Vgl. R . W . Hepburn, Vision and Choice in Morality, 191 : „in spite of Vgl. aaO. 191. Das Computer-Modell erfordert in einem solchen Fall die „Neuprogrammierung" (vgl. H . Oppenheimer, Moral Choice and Divine Authority, 221). 1 7 9 Vgl. R. W . Hepburn, Vision and Choice in Morality, 187. Die Fähigkeit, alle, auch die schroff den bisherigen entgegengesetzten Erfahrungen dem eigenen Bild der Moralität anzupassen, nennt Hepburn die „comprehensiveness", die eines der Kriterien für das adäquate Bild eines Lebens („pattern or fable") darstellt (vgl. aaO. 189). 1 8 0 Vgl. aaO. 189; I. Murdoch, Vision and Choice in Morality, 199, 2 0 5 f ; P. F. Strawson, Social Morality and Individual Ideal, 2 8 0 f , 2 8 3 ; R. M. Hare, Freedom and Reason, 151 f. 1 8 1 Vgl. dazu James M. Gustafson (Christ and the Moral Life, N e w Y o r k / E v a n s t o n / L o n d o n 1 9 6 8 , 2 4 0 - 2 4 3 ) über die Begriffe „perspective" und „posture". 177
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gleichbleiben, ist eine Folge dessen, daß die Perspektive der Welt tendentiell auf Einheitlichkeit gerichtet ist, auch wenn Variationen zugelassen und durch die Sprachformen, die verwendet werden, aufgefangen werden. Einstellungen schleifen sich ein, Intentionen halten sich durch. Ein Element des Gewohnheitsmäßigen wird sichtbar. Sich durchhaltende Einstellungen und Intentionen verdichten sich zu Verhaltensdispositionen, ähnlich dem, was die katholische Moraltheologie als „habitus" bezeichnet182. Beides, die Perspektive und die Verhaltensdispositionen, ist Ausfluß der Geschichte, die jemand hat, oder der Geschichten, die für jemand Aktualität besitzen. Die Geschichte, die man erlebt, die Geschichten, die man gehört hat, die einem als bedeutsam in Erinnerung blieben und mit denen und aus denen man lebt, konstituieren die Wirklichkeit des Menschen, seine Weise, die Welt wahrzunehmen 183 . Zugleich berühren und gestalten sie seine Moral. Sie bilden die Disposition aus, sich in einer bestimmten Weise und nicht anders zu verhalten. Sie schaffen eine Einheitlichkeit der Orientierung und Intentionalität, die eine so große Selbständigkeit gewinnt, daß man von dem Charakter oder bestimmten Charaktereigenschaften sprechen kann 184 . Tugenden und Charaktereigenschaften gehören also zu dem System der Weltsicht eines Individuums oder ähnlich denkender Individuen185. Genauer: Sie stellen den Ausschnitt dieses Systems dar, der die grundlegenden Überzeugungen zusammenfaßt, die auf das moralische Verhalten bezogen sind. Tugenden und Charaktereigenschaften sind dann die Verbindungsglieder zwischen der Perspektive der Welt und dem moralischen Urteilen und Handeln. 4. Weltsicht und, Moral. So beeinflußt die Art und Weise, wie jemand die Welt sieht, das Verständnis der Moral und damit auch die Moral selbst. 1 8 2 Vgl. James M. Gustafson, The Relation of the Gospel to the Moral Life, bes. 151—153; J. M. Gustafson, Christ and the Moral Life, 248; J. M. Gustafson, The Personal Factor, in J. M. Gustafson, Christian Ethics and the Community, Philadelphia 1 9 7 1 , 1 6 5 - 1 7 5 , 1 6 9 f . Die kontroverstheologische Debatte um diesen Begriff hat ihre historischen Wurzeln in der Reformationszeit. Vereinfachend kann man sagen, der Nominalist Luther polemisierte gegen einen (mißverstandenen) realistischen Thomismus. Die Berechtigung der Polemik liegt in der Betonung der Unverfügbarkeit Gottes gegenüber einer Position, die die Eigenständigkeit des Menschen auf Kosten der Freiheit Gottes herausstellt. 183 Ygj j ¡ e entsprechenden wissenssoziologischen Untersuchungen von Thomas Luckmann und Peter L. Berger, The Social Construction of Reality. A Treatise on the Sociology of Knowledge, Garden City 1966, dt. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt 1969. Vgl. auch David B. Harned, Faith and Virtue, Edinburgh 1 9 7 3 , 3 8 . 1 8 4 Zum Zusammenhang von Tugend, Charaktereigenschaft und Disposition vgl. Bernhard Stoeckle, Tugend, in B. Stoeckle, Hg., Wörterbuch Christlicher Ethik, Freiburg 1 9 7 5 , 2 4 3 - 2 4 7 , 244. íes y g j z u m Begaff d e r Tugend den genannten Artikel von B. Stoeckle. Auf die personale Struktur der Tugend und ihre ursprüngliche Verbindung zu einem (religiös begründeten) Vorbild weist Dieter W y s s (Strukturen der Moral. Untersuchungen zur Anthropologie und Genealogie moralischer Verhaltensweisen, Göttingen 2. A u f l . 1 9 7 0 , 1 1 4 - 1 3 2 ) hin.
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Mit dieser Einsicht läßt sich das Ergebnis der Erörterungen aus Teil 3 dieser Arbeit verbinden, w o nach einer Metaethik gefragt wurde, die der tatsächlich benutzten Sprache der Moral und der tatsächlich gelebten Moral angemessen ist. Die Spannung zwischen Sein und Sollen, zwischen Tatsachenaussagen und moralischen Sätzen, wurde dort so aufgelöst, daß auf den Zusammenhang beider Aussageweisen auf der Ebene der grundlegenden Uberzeugungen über den Menschen und die Welt hingewiesen wurde 1 8 6 . Die Moral ist immer schon in das umfassende Konzept des Weltverständnisses eingeordnet und erhält so im menschlichen Leben ihren Sinn 187 . In diesem Vorstellungsganzen sind Tatsachen und Wert letztlich untrennbar verbunden 188 . Abgetrennt von dem System des Weltverständnisses besäße die Moral nicht ihre Bedeutung und Aussagekraft. Eine derart komplexe, nicht in deskriptive Faktenbeschreibung und evaluative Wertsetzung aufteilbare Sicht der Welt umfaßt nämlich bestimmte Einstellungen gegenüber der Welt, den Menschen und möglichen Handlungen und schließt bestimmte andere Einstellungen aus. Mehrere konkurrierende, sich ergänzende oder widersprechende Sichtweisen der Welt sind möglich. Eine von ihnen zu akzeptieren kann als der Sinn von Hares Vorstellung einer Prinzipienentscheidung angesehen werden 189 . Jedoch sollte dem Mißverständnis nicht Vorschub geleistet werden, als sei dazu ein gesondert auffindbarer Akt eines willentlichen Entschlusses notwendig. Letzte Prinzipienentscheidungen gibt es selten als große, sich dramatisch vollziehende Wahlakte. Sie bilden sich meist organisch im Lauf der Lebensgeschichte eines
186 Oben Abschnitt 3.6. 187 Vgl. Keith Ward, Language and Understanding in Morality, Philosophy 47, 1972, 249262,256. 188 AaO. 259. 189 Vgl. £) Evans' Ausführungen über die „world views", Does Religious Faith Conflict with Moral Freedom?, 376 f. Richard Norman (Reasons for Actions. A Critique of Utilitarian Rationality, Oxford 1971, 103 f) betont gerade für die religiöse Ethik den Zusammenhang dieser Art der Ethik mit einer bestimmten Sicht der Welt und des Verhältnisses des Menschen zu ihr. - Auch W. Pannenbergs Argumentation, daß nach der Erschütterung der Allgemeingültigkeit der Ethik durch Friedrich Nietzsche die Ethik selber nicht mehr als evident gelten und somit auch nicht mehr „Grundwissenschaft" für die Theologie darstellen kann und daß daher die Ethik ihrerseits erst ihre Fundierung erhält, wenn sie in die Klärung der Sinnthematik des Menschseins einbezogen wird, läßt sich im gleichen Zusammenhang verstehen. Denn auch hier ist die notwendige Abhängigkeit der grundlegenden Entscheidungen der Moral von der Ebene der Entscheidungen über die Sicht der Welt herausgestellt. Vgl. W. Pannenberg, Die Krise des Ethischen und die Theologie, Theologische Literaturzeitung 87, 1962, 7-16, 11-16 (vgl. zum Zusammenhang die Auseinandersetzung zwischen W. Pannenberg und G. Ebeling: Gerhard Ebeling, Die Evidenz des Ethischen und die Theologie, Zeitschrift für Theologie und Kirche 57, 1960, 318-356, wieder abgedr. in G. Ebeling, Wort und Glaube, Bd. II, Tübingen 1969, 1-41; G. Ebeling, Die Krise des Ethischen und die Theologie, in G. Ebeling, Wort und Glaube, Bd. II, 42-55; W. Pannenberg u. G. Ebeling, Ein Briefwechsel, ZThK 70,1973,448-473); auch W. Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie, 410 ff.
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Menschen heraus. Die grundlegende Orientierung des Lebens formt sich, man wächst in sie hinein mit den vielen Einflüssen, die man aufnimmt und deren Impulse man in vielen verschiedenen Situationen des Lebens bereits in die Praxis umsetzt 1 9 0 . Wenn Moral abhängig ist von einer bestimmten Weltsicht, dann liegt es nahe, die religiösen Sätze in ihrer Gesamtheit als Ausdruck einer Sicht der Welt zu verstehen. Sie stehen dann keineswegs unverbunden neben der Moral, so daß die Religion eine Sache, die Moral eine andere wäre. Vielmehr sind beide Größen mittelbar - über die Vorstellung der Sicht der Welt miteinander verbunden 1 9 1 . (a) Eine bestimmte Sicht der Welt, des Menschen und des Lebens, kann mit bestimmten grundlegenden Einstellungen, auch mit bestimmten moralischen Einstellungen verbunden sein. Die Welt in einer bestimmten Weise zu sehen heißt dann, bestimmte Einstellungen zu haben, die sich in der Option für bestimmte Verhaltensweisen oder moralische Urteile niederschlagen. Die Welt so zu sehen, wie Christen sie sehen, heißt sehr allgemein, eine posititve Einstellung dem Mitmenschen gegenüber zu haben. Dies wird nicht ohne Einfluß auf die konkreten Entscheidungen sein, wie man sich einem Nachbarn, Freund oder Fremden gegenüber verhalten soll. Die religiöse Vorstellungswelt des Gläubigen ist also das umfassendere Ganze, in das seine moralischen Vorstellungen und Prinzipien eingebettet sind 1 9 2 . (b) Die Weise, wie man die Welt sieht, beeinflußt auch die Wahrnehmung von Situationen, in denen moralisches Handeln oder Urteilen gefordert ist. Es ist nicht gleichgültig für das Verständnis der Situation, vor der man steht, in welcher Weise man das Woher und Wohin der Welt und die in ihr wirkenden Kräfte sieht. Das gesamte System der Uberzeugungen, das man hat,' beeinflußt die Wahrnehmung der Welt. Man sieht eine Situation im Licht dieser Überzeugungen. Sie sieht dann anders aus, als wenn man sie im Licht gänzlich anderer Überzeugungen sähe. Die christliche Ethik ist also einzuordnen in den Zusammenhang christlichen Weltverständnisses. Alle Elemente dieses Weltverständnisses, die ja keineswegs einheitlich sind, können eine Bedeutung für die Ethik gewinnen, sofern sie Elemente einer Perspektive sein können, die moralische Sachverhalte in einem bestimmten Licht erscheinen läßt. Es gibt eine Fülle solcher Elemente. Hier sollen wenige Beispiele genügen: 190 Vgl. zu diesen Überlegungen Enda McDonagh, The Moral Subject. Towards a Christian Theology of Morality III, Irish Theological Quarterly 39, 1972, 3-22; auch James Wm. McClendon J r . , Biography A s Theology, Cross Currents 21, 1971, 416—431 ; H u g h O . Jones, G o r d o n Kaufman's Perspectival Language, Religious Studies 14,1978, 89-97,97. 1 9 1 Für die christliche Ethik sagt J o h n Hick zutreffend, Jesus habe keine neue Ethik gegeben, sondern eine neue Vision der Welt, aus der ein Impetus zum Handeln entspringt. Vgl. J . Hick, Faith and Knowledge, Ithaca 2. Aufl. 1966, 243 uö. Zu der folgenden Dichotomie vgl. D . Evans, D o e s Religious Faith Conflict with Moral Freedom?, 377. 1 9 2 Vgl. J . B. Schneewind, Moral Knowledge and Moral Principles, 257.
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(1) Christen (nicht nur sie) sehen die Welt als Gottes Schöpfung an. Sie werden daher eine positive Einstellung den Dingen dieser Welt gegenüber haben und nicht mutwillig ihren Untergang herbeiführen. (2) Christen erkennen in Jesus Christus Gott als den, der alle Menschen ohne Ausnahme und ohne Unterschied liebt. Wer davon überzeugt ist, wird bestimmte Verhaltensweisen den Mitmenschen gegenüber als richtig betrachten, andere als falsch. (3) Christen sehen die Welt auf dem Weg zum Kommen der Herrschaft Gottes. Sie sehen daher einen Prozeß in der Welt am Werk, an dem sie sich beteiligen. Dieses Engagement legt bestimmte moralische Verhaltensweisen nahe, schließt andere aus. Wie im einzelnen diese Vermittlung zwischen der Perspektive der Christen mit ihrem Handeln aussieht, ist noch genauer zu erörtern 193 . Festzuhalten ist, daß es ein Beziehungsgefüge gibt, in dem die Geschichte eines Menschen (history), die Geschichten (stories), in denen er sich seine Geschichte vergegenwärtigt und die sein Leben bestimmen, seine Sicht der Welt und die Intentionen und Verhaltensdispositionen, die sich (als Ideale und Charakterzüge) in seinem Leben durchhalten, verbunden sind. 5. Grenzfragen der Ethik. Gleichsam anhangsweise sind nun noch zwei Konzeptionen analytischer Moralphilosophen zu betrachten, die in der Nähe zu der hier entwickelten Verbindung von Weltsicht und Moral stehen: (a) Überlegungen Stephen Toulmins zu den Grenzfragen des moralischen Diskurses und (b) R. M. Hares Rekurs auf die theologische Vorstellung der göttlichen Vorsehung für die Letztbegründung der Ethik. (a) Der eine Überlegungsstrang schließt St. Toulmins Untersuchung der Rationalität der Ethik ab. Ausdrücklich kommt dabei die Funktion religiöser Sätze zur Sprache. Toulmin geht von der Erkenntnis aus, daß das vernünftige Denken begrenzt ist und Vernunftgründe in allen Erörterungen nur bis zu einem bestimmten Punkt gegeben werden können 194 . Er spricht daher von „Grenzfragen" 195 , die dann auftreten, wenn man die Grenzen aller Arten vernünftigen Denkens untersucht 196 . Dies sind Fragen, auf die zwar gewöhnlich Antwort gegeben wird. Doch diese Antworten stellen den Fragesteller nicht zufrieden, so daß er fortfährt, die Frage zu stellen 197 . Im Bereich der Ethik stellen sich solche Fragen, wenn das vernünftige ethische Denken seine 193 Vgl.
u n t e n
Abschnitt 6.4.
S. E. Toulmin, A n Examination of the Place of Reason in Ethics, 202. 1 9 5 „Limiting questions". 1 9 6 A a O . 205. 1 9 7 A a O . 204 f; vgl. R. C . Coburn, A Neglected Use of Theological Language, Mind 72, 1963, wieder abgedr. in D. M. High, H g . , N e w Essays on Religious Language, 2 1 5 - 2 3 5 , dt. Eine vernachlässigte Verwendung der theologischen Sprache, in D. M. High, Sprachanalyse und religiöses Sprechen, 2 1 3 - 2 3 3 . 194
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Grenzen erreicht hat. Zum Beispiel, wenn jemand anerkannte soziale Praktiken (etwa daß man etwas Ausgeliehenes zurückgibt) nach einer weiteren Rechtfertigung hinterfragt 1 9 8 . Oder wenn jemand fragt: „Warum soll ich tun, was richtig ist?" und sich mit der Auskunft „ D u sollst tun, was richtig ist" nicht zufriedengibt 1 9 9 . (Solche „Grenzfragen" treten auch in außerethischen Bereichen auf, etwa: „Warum mußte mir das geschehen?", „Welches ist der letzte Sinn des Lebens?", „Was erklärt die Tatsache, daß es überhaupt eine Welt gibt?" 2 0 0 ) Für einige dieser Fragen, nämlich für die „religiösen Grenzfragen" 2 0 1 , kann der religiöse und theologische Diskurs als Antwort fungieren. In solchen Fällen ist die Frage auf eine logisch vollständige Weise beantwortet, sofern die Annahme der Antwort logisch unvereinbar damit ist, die Frage weiterhin zu stellen 202 . So kann die Frage „Warum soll ich tun, was richtig ist?" logisch vollständig beantwortet werden mit dem religiösen oder theologischen Satz: „Es ist Gottes Wille, daß wir unsere Pflicht tun." 2 0 3 Wenn man diese Antwort akzeptiert hat, ist eine weitere Frage nicht mehr sinnvoll. Religiöse Sätze zu akzeptieren schafft die Voraussetzung zu der Bereitschaft, Dinge, die vernünftig nicht weiter zu erklären sind, ohne weitere Fragen hinzunehmen und in dem Bewußtsein zu leben, man habe diese Widrigkeiten akzeptiert 2 0 4 . Die Theologie befindet sich aufgrund dieser Funktionszuweisung in einem „Nichtangriffspakt" 2 0 5 mit der Naturwissenschaft und der Ethik. Sie hat dadurch ihre Selbständigkeit und Autonomie bewahrt. Sie erhebt lediglich den Anspruch, die religiösen Grundfragen der Ethik zu beantworten, Fragen also, die den ethischen Erörterungen vor- beziehungsweise nachgeordnet sind. Nicht alle Menschen und nicht alle Philosophen können sich darauf verständigen, daß diese Fragen notwendig gestellt werden müssen. Ethische Überlegungen, so sagen viele, sind möglich, ohne an die Grenze des rationalen Diskurses vorzustoßen. Muß man dann rationale und theologische Ethik als zwei selbständig nebeneinander bestehende Bereiche ansehen? Die Erörterungen der letzten Abschnitte legen diese Annahme nahe. Theologisches Reden kann durchaus als ein Antwortgeben auf Grenzfragen des ethischen Diskurses verstanden werden. Es bettet die Ethik in ein umfassendes Gesamtverständnis der Welt ein. Andere Auffassungen, nichttheologische oder S. E. Toulmin, An Examination of the Place of Reason in Ethics, 217f. A a O . 218; vgl. R. C . Coburn, Eine vernachlässigte Verwendung der theologischen Sprache, 219. 2 0 0 R . C . Coburn, a a O , 2 1 9 f . 2 0 1 A a O . 220-222. Vgl. auch L. Wittgensteins Parallelsetzung von Ethik und Religion als Gegenständen, die jenseits der Grenzen der Sprache liegen und daher keine „Wissenschaft" sein können (vgl. Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychologie und Religion, hg. Cyrill Barrett, Göttingen 1968). 2 0 2 R . C . Coburn, Eine vernachlässigte Verwendung der theologischen Sprache, 222 f, 234. 2 0 3 A a O . 224. 204 Vgl. S. E. Toulmin, An Examination of the Place of Reason in Ethics, 218. 2 0 5 A a O . 220. 198
199
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nichtreligiöse, sind möglich und werden vertreten. Die Entscheidung für die eine oder andere Art des Weltverständnisses fällt da, wo man der einen oder anderen Art größere Konsistenz und Erklärungskraft zuspricht, wo man annimmt, die eine eigne sich besser zur Organisation der eigenen Welterfahrung als die andere 2 0 6 . (b) Die zweite Konzeption, die hier zu besprechen ist, stellt einen Teil der religionsphilosophischen Überlegungen R. M. Hares dar, die er in den Nathaniel Taylor Lectures an der Yale Divinity School 1968 vorgetragen hat 2 0 7 . Hare fragt nach den Anhaltspunkten, die ein Empirist haben könnte, die Religion für sinnvoll zu halten. Er geht dabei ein gutes Stück den Gedanken R. B. Braithwaites entlang und versucht, an einzelnen Stellen dieses Entwurfs Verbesserungen anzubringen 2 0 8 . Uber Braithwaites Vorschläge geht er jedoch hinaus, indem er die Bedeutung der Grundannahme christlicher Ethik für die Moral überhaupt expliziert. Dabei vergleicht er die letzten Fragen der Ethik mit den letzten Fragen wissenschaftlichen Erkennens und stellt eine Verwandtschaft fest. Wie die Wissenschaft annehmen muß, daß das Universum auch in Zukunft den aus der Beobachtung vergangenen Geschehens gewonnenen Gesetzmäßigkeiten folgt, so muß der moralisch Handelnde annehmen, daß seine moralischen Ziele sich erreichen lassen, daß seine Handlungen diesen guten Zielen dienen und daß die Ereignisse nicht den Zielen zuwiderlaufen. Beide Annahmen, die der Erkenntnistheorie und die der Moral, sind Akte des Glaubens 2 0 9 . Sie können sich in religiösen Vorstellungen ausdrücken. Es ist sogar völlig natürlich, daß sich dieser Glaube in religiöser Begrifflichkeit ausdrückt 2 1 0 . Hare verbindet diesen Gedanken mit einem bestimmten religiösen, auch christlichen Vorstellungsund Lehrinhalt, dem der göttlichen Vorsehung, der seiner Darstellung zufolge besagt, daß am Ende alles gut sein wird 2 1 1 . Der Glaube an die göttliche Vorsehung kann helfen, die Moral davor zu bewahren, ein nutzloses, vergebliches Bemühen zu sein, dem am Ende doch kein Erfolg beschieden ist. Er kann den moralisch Urteilenden oder Handelnden gewiß machen, daß sein Einsatz einen Sinn hat. Darin sieht Hare Funktion und Bedeutung der Religion für die Ethik 2 1 2 .
2 0 6 Zu diesem letzten Gedanken vgl. Basil Mitchell, Ideals, Roles, and Rules, in G. Outka u. P. Ramsey, Hg., Norm and Context in Christian Ethics, 351-365, 364. 2 0 7 Vgl. R . M . Hare, T h e Simple Believer. 2 0 8 Vgl. bes. a a O . 4 0 7 - 4 1 1 • 2 0 9 „Acts of faith", aaO. 4 1 2 , 4 1 4 . 2 1 0 A a O . 413. 2 1 1 A a O . 414, 424. Paul T. Menzel weist allerdings nachdrücklich darauf hin, daß diese „moralische Hoffnung" nicht notwendig mit theologischen Vorstellungen in Verbindung gebracht werden müsse (Divine Grace and Love, 268 f). 2 1 2 R. M. Hare vermag zu differenzieren zwischen dem Glauben an die göttliche Vorsehung und dem „Gott der Orthodoxen" (The Simple Believer, 421), der als Basis der Moral keineswegs notwendig ist. Er bestreitet daher ausdrücklich, daß sein Begriff der göttlichen Vorsehung ein supernaturales, contranaturales oder transzendentales Element enthalte (aaO. 414—417). Davon ist der Gottesbegriff, der „gebildeten Menschen" (aaO. 415) akzeptabel ist, frei.
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TEIL 6
Die metaethischen Voraussetzungen der Ethik von Christen In den Abschnitten des letzten Teils wurde versucht, einige der Funktionen religiöser Aussagen für die Ethik zu benennen. Die betrachteten Vorstellungsinhalte waren sehr vielseitig: Sie umfaßten sehr allgemeine Konzepte wie die der Objektivität und Autorität der Moral und dann auch speziellere, etwa dies, daß religiöse Sätze dazu dienen, konkrete Handlungsanweisungen zu geben. Oder das andere, daß sie eine globale Orientierung der Art zu leben ausdrücken wollen. Oder das dritte, daß sie zunächst versuchen, die umfassende Art der Weltorientierung und des Weltverständnisses des Menschen zu spezifizieren. Diese Konzepte wurden in der Erörterung einiger maßgebender Autoren entwickelt. Durch diese Art der Darstellung könnte man zu zwei falschen Schlüssen verleitet werden. Man könnte annehmen, damit seien alle Funktionen dargestellt, die die Religion für die Moral nur haben könnte, so daß diesem Abriß nichts mehr hinzuzufügen wäre. Man könnte auch annehmen, die genannten Funktionsweisen theologischer Sätze stellten miteinander konkurrierende Alternativen dar, so daß theologische Aussagen entweder als dies oder als jenes fungierten, aber jetzt noch dargelegt werden müßte, welche der Funktionen überhaupt nur berechtigt seien oder zumindest als primär zu gelten hätten. Beide Vermutungen sind jedoch unberechtigt, und es wird Aufgabe des vorliegenden Teils sein, dies zu erweisen. Dazu wird es sinnvoll sein, die Funktionsweise des ethischen Diskurses von Christen im Uberblick darzustellen. Elemente sollen zusammengetragen werden, die eine Metaethik konstituieren, die Raum zur adäquaten Darstellung der Ethik von Christen bietet. In einer solchen Gesamtdarstellung können die einzelnen Elemente und Funktionen den ihnen zukommenden Platz erhalten. N u r eine solche recht komplexe Konzeption vermag der Komplexität des Feldes religiöser Moral gerecht zu werden. Mit dieser Gesamtdarstellung soll nun das Fazit gezogen werden aus der Darstellung und Diskussion der analytischen Metaethik (Teil 2 und 3) und aus der Diskussion der Beziehungen zwischen Religion und Ethik (Teil 4 und 5). Auf dem Hintergrund der Arbeiten zur analytischen Ethik wird der Versuch unternommen, eine Metaethik zu formulieren, die der theologischen Ethik angemessen ist. Dahinter steht die Abicht, einerseits das Feld zu markieren, auf dem die theologische Ethik innerhalb des Gesamtrahmens 214
aller Ethik operiert, und andererseits der theologischen Ethik zu größerer Klarheit über ihr eigenes Vorgehen zu helfen. In vier Schritten sollen die metaethischen Voraussetzungen der Ethik von Christen geklärt werden: Es wird geprüft werden, worin die Gemeinsamkeit der Ethik von Christen und Nichtchristen (6.1.) und worin die Besonderheit der christlichen Ethik besteht (6.2.). Dann werden die Elemente zusammengetragen, die im ethischen Diskurs der Christen eine Rolle spielen (6.3.). Schließlich wird nach der Vielfalt und der Einheit in dieser Vielfalt der christlichen Ethik gefragt (6.4.). 6.1. Gemeinsamkeiten
in der ethischen Sprache von und Nichtchristen
Christen
Zunächst ist eine Frage nochmals aufzugreifen, die bereits Gegenstand der Erörterungen von Teil 4 war: die Frage nach der Beziehung von christlicher (oder religiöser) und nichtchristlicher (nichtreligiöser) Moral. In Abschnitt 4.4. wurde gesagt, die religiöse Moral sei eine Form der Moral, der nicht im Namen der Autonomie der Moral die Legitimation abgesprochen werden könne, Moral zu sein. Vielmehr sei sie eine besondere, von der Religion geprägte Form der Moral. Was aber macht dann die religiöse Moral zur Moral? An welchen Eigenarten der Moral überhaupt im Sinne der in dem erwähnten Abschnitt besprochenen Ansicht einer einheitlichen Moral 1 hat die religiöse Moral, die Moral von Christen teil, durch die sie zur religiösen Moral wird? Eine mit religiösen Motiven verbundene Art der Handlungsleitung zu sein reicht noch nicht aus, um das Prädikat Moral in Anspruch nehmen zu können 2 . Es müssen Elemente dessen eingeschlossen sein, was man gemeinhin als Moral bezeichnet, um von einer religiösen Moral sprechen zu können. Bei aller Abhängigkeit der religiösen Moral von der Sicht der Welt, wie sie die Religion bietet3, partizipiert die religiöse Moral dennoch an der gemeinsamen Basis aller Moral. Dies soll nun entfaltet werden. 1. Kriterien des Moralischen. Die Kriterien des Moralischen gelten auch für die religiöse Moral. Dazu gehören die Präskriptivität moralischer Aussagen, ihre Universalisierbarkeit, die Prävalenz moralischer über andere Gründe. Dies sind formale Bedingungen dafür, was als moralischer Satz gilt. Strittig unter den Philosophen ist es, ob moralische Sätze eine materiale, inhaltliche Bedingung erfüllen müssen, etwa die, daß moralisches Verhalten bestimmte positive Auswirkungen für den anderen haben muß 4 . Christen Vgl. oben Abschnitt 4.4., Ende. Diese Bedingung stimmt mit der Unterscheidung überein, die D. Little und S. B. Twiss Jr. zwischen einem rein religiösen handlungsleitenden System und einem moralisch-religiösen oder religiös-moralischen handlungsleitenden System treffen. Vgl. oben Abschnitt 4.1. und D. Little u . S . B . Twiss Jr., Basic Terms in the Study of Religious Ethics, 6 9 - 7 7 . 3 Vgl. Abschnitt 5.5. 1
2
215
erkennen den universalen Anspruch moralischer Forderungen an. Sie können für ihre moralischen Grundsätze keinesfalls eine besondere, nur partikulare Gültigkeit beanspruchen, und sie tun dies auch nicht. Wenn jemand etwas als moralische Aussage behandelt, muß er dessen universale Gültigkeit voraussetzen. Andernfalls ist seine Behauptung kein moralischer Satz 5 . Denn jeder Satz, der nur partikulare Gültigkeit besitzt und Ausnahmen von vornherein zuläßt, verkennt den Charakter der moralischen Verpflichtung. Moralische Vorschriften, genauer: bestimmte grundlegende moralische Vorschriften gelten für alle Menschen. Sie lassen keine anderen Ausnahmen zu als solche, die gerechtfertigt werden können, weil eine andere moralische Vorschrift mit der ersten konkurriert und ihr größeres Recht erweist. Nur aus selbst wieder moralischen Gründen kann man sich über moralische Gründe, eine Handlung zu tun oder zu unterlassen, hinwegsetzen. An diesem wesentlichen Zug der Moral haben auch Christen in ihrem moralischen Reden, Uberlegen und Verhalten teil6. 2. Rationale Argumentation. Unbestreitbar hat der Gebrauch rationaler Argumentation Platz in der Ethik. Argumentiert wird über die zutreffende Interpretation der Fakten und über die Angemessenheit des moralischen Verhaltens oder Urteils. Wo zwei über die Beurteilung der Fakten uneins sind, werden sie in ihrer Argumentation versuchen, den anderen dazu zu bewegen, ihrer Sicht der Dinge zuzustimmen. Sie werden ihre eigene Sicht als folgerichtig erweisen und dem Diskurspartner Inkonsistenzen seiner Sicht nachweisen wollen. Sie werden ihr eigenes moralisches Urteil plausibel zu machen versuchen, indem sie zeigen, daß es mit gemeinsam geteilten moralischen Anschauungen (Prinzipien, Tugenden etc.) übereinstimmt. Andererseits werden sie den Partner auf Stellen in seiner Argumentation aufmerksam machen, an denen sie Brüche sehen oder Abweichungen von einem zunächst einmal angenommenen oder als erreichbares Ziel vorgestellten Wertkonsensens. In der Diskussion um die Todesstrafe z.B. wird die Argumentation auf der Ebene der Interpretation der Fakten geführt um die Frage, ob die Todesstrafe eine abschreckende Wirkung hat. Auf der Ebene der Wertsetzungen geht die Argumentation darum, ob der Staat ein Recht haben kann, einem straffällig gewordenen Menschen das Leben zu nehmen. Die Ethik von westlichen Christen ist von der Tradition westlichen moralischen Denkens nicht abzulösen, und so gibt es in ihr erwartungsgemäß eine rationale Komponente, vernünftiges Denken im Bereich der Moral. Die 4 Vgl. James F. Childress, The Identification of Ethical Principles, Journal of Religious Ethics 5 / 1 , 1 9 7 7 , 3 9 - 6 8 , 4 1 f. 5 Dies folgt aus dem Grunderfordernis aller Moral, das R. M. Hare als Universalisierbarkeit bezeichnet. Vgl. oben Abschnitte 2.3., 3.2. und 3.6. 6 Vgl. zur Wichtigkeit der Forderung nach Universalisierbarkeit ethischer Aussagen für die theologische Ethik S. Hauerwas, The Self as Story, 81.
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christliche Theologie hat dies von Anfang an gesehen. N u r so ist der Hinweis des Paulus auf das ethische Erkenntnisvermögen der Heiden 7 zu verstehen das auch den Christen nicht abgeht. So läßt sich seine Ermahnung begreifen zu prüfen, was „das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene" sei 8 . So ist zu verstehen, daß er Mahnungen jüdischer und hellenistischer Tugend- und Lasterkataloge übernehmen kann, auch wenn er die Begründung für das ethische Verhalten der Christen ganz präzis theologisch faßt 9 . Insbesondere die scholastische Theologie systematisierte diesen Gedanken, indem sie eine ausgebaute Naturrechtslehre entwickelte. Unter der Voraussetzung der „adaequatio rei et intellectus" sah sie die rationalen Elemente der Ethik in der natürlichen Ordnung der Welt begründet. Christen haben an einer solchen natürlichen Sittlichkeit kraft ihres Menschseins teil. Der Streit ist müßig, ob eine derartige Naturrechtslehre heute noch aufrechtzuerhalten oder neu zu begründen ist. Der Sache nach trifft es zu, daß rationale Überlegungen eine Rolle in der Ethik von Christen und Nichtchristen spielen. O b dieser Teil der Moral durch ein naturrechtliches Gedankengebäude überhöht werden sollte, wie es einige katholische und anglikanische Theologen vorschlagen 1 0 , oder ob er nicht einfach als Teil der Moral als menschlicher Institution gelten soll 1 1 , ist der Kern des Streites. Angesichts der Schwierigkeiten, in die eine Naturrechtslehre führt 1 2 , wird man nicht um jeden Preis an ihr festhalten müssen. Was mit ihr gemeint ist, kann man einfacher dadurch zur Geltung bringen, daß man auf das rationale Element in jeder Ethik, auch in der Ethik von Christen, hinweist und die Notwendigkeit betont, solche Überlegungen in jeder Theorie einer Ethik zu berücksichtigen. R o m 2,14. R o m 12,2; vgl. auch R o m 12,9; 16,19; Gal 6,9f; 1 Thess 5,15.21 uö. Zu R o m 12,2 vgl. neben der klassischen Interpretation von Ernst Käsemann (Gottesdienst im Alltag der Welt, in E. Käsemann, Exegetische Versuche und Besinnung, Bd. 2, Göttingen 3. Aufl. 1970, 198-204) auch Klaus Wengst, Das Zusammenkommen der Gemeinde und ihr Gottesdienst nach Paulus, Evangelische Theologie 33, 1973, 547-559. 9 Vgl. die Kataloge in R o m 1,29-31; 12,8-21; 1 K o r 5,10f; 6,9f; 2 K o r 12,20f; Gal 5,19-23. Zur Ethik des Paulus vgl. Günther Bornkamm, Paulus, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1969, 207-225, bes. 207-211 ; auch H . - D . Wendland, Ethik des Neuen Testaments, 49-88. 1 0 Vgl. George F. Woods, Natural Law and Christian Ethics, Theology 68, 1965, wieder abgedr. in G . R. Dunstan, H g . , Duty and Discernment, 35—41. 1 1 Dieser Vorschlag entspricht eher protestantischem Geist (vgl. James Whyte, A Comment from the Reformed Tradition, in G. R. Dunstan, Hg., Duty and Discernment, 42-48), aber auch Enda M c D o n a g h (A Comment from the Roman Catholic Tradition, aaO. 49 f) plädiert für diese Lösung. 1 2 Ein Teil der Probleme wird in Teaching Christian Ethics, hg. The Advisory Council for the Church's Ministry, L o n d o n 1974, 50-53, benannt, darunter vor allem der Konservativismus dieses Konzepts, die Unfähigkeit, andere Elemente christlicher Ethik zur Geltung kommen zu lassen, und die Unvereinbarkeit mit dem augenscheinlichen Relativismus verschiedener ethischer Optionen. F. Furger (Möglichkeiten und Grenzen ethischer Rede, 120-122) weist auf die Abhängigkeit dieser Vorstellung von traditionellen Gottesbeweisen hin, hält aber an der Berechtigung eines „Natur-Rechts" fest. 7 8
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3. Teleologie vs. Deontologie. Strittig zwischen den normativ-ethischen Theorien ist dann aber die Frage, worin die Rationalität ethischen Uberlegens besteht. An diesem Streit partizipieren auch die ethischen Theorien, denen Christen anhängen. Die einen meinen, Rationalität erweise sich in der Anwendung eines konsistenten Systems von Regeln und Prinzipien. Die anderen halten eine Ethik nur dann für rational, wenn sie auf das Ziel höchstmöglichen Glücks oder größtmöglicher Befriedigung ausgerichtet ist und die einzelnen Handlungen hinsichtlich ihrer Konsequenzen und ihrer Nützlichkeit zur Erreichung dieses Ziels beurteilt. Es geht hier um den alten Streit zwischen deontologischer und teleologischer (und das heißt zumeist: utilitaristischer) Theorie 13 . In der analytischen Ethik ist gerade seit den sechziger Jahren die Auseinandersetzung darüber wieder aufgebrochen, als normative Fragen innerhalb der analytischen Ethik erneut Gewicht erhielten. Denn in diesem Streit geht es ja nicht mehr allein um das adäquate Verständnis des ethischen Sprachgebrauchs, also nicht mehr um rein metaethische Fragen, sondern um die Art der Normierung ethischen Verhaltens, um die Frage nach den letzten relevanten normativen Überlegungen und damit um Fragen, die auf der Grenze zwischen Metaethik und normativer Ethik aufbrechen und von strengen Metaethikern der normativen Ethik zugerechnet werden. Man meinte, diese Fragen ausklammern zu können, wenn man eine Metaethik entwirft. Unausgesprochen standen jedoch die meisten Metaethiken in großer Nähe zu einer der beiden genannten Positionen, der utilitaristischen. Die starke Verankerung des Utilitarismus in der angelsächsischen Philosophie ist dafür verantwortlich, daß analytische Metaethik die Rationalität der Ethik häufig an utilitaristischen Überlegungen glaubte festmachen zu können. Lange Zeit schien es keine Kritik an dieser Allianz zwischen analytischer Ethik und Utilitarismus zu geben. Der Neonaturalismus Ph. Foots und G. J. Warnocks Kritik an den Verkürzungen der analytischen Ethik betonen zwar den verpflichtenden Charakter moralischer Regeln oder Gründe und bringen gerade ihn mit Rationalität in Verbindung 14 , sie führen ihre Überlegungen jedoch nicht ausdrücklich zu der Folgerung weiter, eine rationale Moral müsse eine Moral der Regeln und Prinzipien sein 15 . Erst in jüngster Zeit findet man in der analytischen Philosophie Stimmen, die sich dafür 1 3 Der sogenannte „consequentialism", wie er etwa von K. Nielsen vertreten wird (vgl. Ethics Without G o d , Kap. 4, 6 5 - 1 0 3 ) , ist eine Form des Utilitarismus, deren Spezifikum in der Betrachtung der Moral unter dem Aspekt der Konsequenzen einer jeden Handlung liegt. 1 4 Vgl. G. J. Warnock, The Objekt of Morality, 70, 9 4 - 1 1 7 , 1 4 3 - 1 6 6 . 1 5 G. J. Warnocks Ablehnung des Regelutilitarismus (The Object of Morality, 50, 6 8 - 7 0 ) widerspricht dieser Folgerung allerdings auch nicht. Er lehnt diese Theorie ab, weil er den Utilitarismus in jeder seiner Formen für unzutreffend hält und den Regelutilitarismus nur als eine Unterform begreift. Er betont jedoch, daß das Befolgen von Regeln keine entscheidende Rolle in der Moral spiele. Wichtiger sei es zu überlegen, zu welchen Ansichten oder Handlungen es vernünftige Gründe gebe (aaO. 67). Dieser Begriff des vernünftigen Grundes (reason) bleibt bei Warnock jedoch merkwürdig unanalysiert.
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einsetzen, auch die Rationalität nicht teleologisch-utilitaristischer, sondern deontologischer Theorien der Moral und entsprechender Begründungen moralischer Urteile und Entscheidungen anzuerkennen 16 . Ideal typisch kann man je zwei Formen deontologischer und teleologischer Theorien unterscheiden. Der Utilitarismus, der der Einfachheit halber für die teleologischen Theorien stehen soll, läßt sich in reinen Handlungsutilitarismus und Regelutilitarismus differenzieren. Der Handlungsutilitarismus behauptet, daß man in jeder Situation neu die Folgen einer Handlung abwägen muß und diejenige Handlung die moralisch gebotene ist, die die bestmöglichen Folgen hat. Demgegenüber berücksichtigt der Regelutilitarismus das Moment der Erfahrung. Vergangene Entscheidungen können zu Regeln und Generalisierung kristallisieren. Eine Handlung, die in einer bestimmten Situation richtig ist, ist auch für andere Menschen in ähnlichen Situationen richtig. (Dieses Element des Regelutilitarismus nimmt einen Aspekt der Generalisierungsforderung auf, die aus Kants kategorischem Imperativ und Hares Prinzip der Universalisierbarkeit oder M. Singers Postulat der Generalisierbarkeit bekannt ist.) Damit sind die Regeln der utilitaristischen Gesamtkonzeption untergeordnet. Moralisches Uberlegen und Verhalten wird dann zu einem guten Teil von Regeln gesteuert, die es zu befolgen gilt. Diese Regeln sind jedoch ihrerseits im Hinblick auf ihre Nützlichkeit zur Erreichung des Telos der Moral zu rechtfertigen. Nicht die einzelne Handlung, wohl aber die Regel, die solche Handlungen steuert, unterliegt der Beurteilung nach utilitaristischen Kriterien 1 7 . Eine analoge Unterscheidung wird bei den deontologischen Theorien vorgenommen. Handlungsdeontologische Theorien sind solche, denen zufolge Menschen in jeder einzelnen Situation neu erkennen, was ihre Pflicht ist. Diese Theorie setzt eine intuitionistische Metaethik voraus. Es muß so etwas wie Intuition geben, um jeweils zu erkennen, was geboten ist. Dieser Theorie steht die regeldeontologische gegenüber, die eine Regel oder ein System von Regeln zur Grundlage der Moral erklärt, wobei dieses System nicht durch teleologische Erwägungen zu begründen ist. Es umfaßt einfach die Regeln, die zu befolgen Pflicht des Menschen, gewöhnlich wird gesagt: als eines rationalen Wesens, ist 1 8 . Zwischen diesen ethischen Theorien ist strittig, was als gültige Rechtfertigung ethischer Aussagen zählt. Es gibt eine Anzahl von Kompromißversuchen, die Elemente unterschiedlicher Theorien zu vereinen suchen, um 1 6 Vgl. John P. Casey, Actions and Consequences, in J. P. Casey, H g . , Morality and Moral Reasoning, 155—205; Roger Scruton, Attitudes, Beliefs and Reason; Bernard Williams, A. Critique of Utilitarianism, i n j . J. C . Smart u. B. Willams, Utilitarianism For and Against, L o n d o n 1973, 75-150; aber auch schon W. Κ. Frankena, Analytische Ethik, 32—49, 54—61 und vor allem 61-71; vgl. dazu die Verbesserungen in der zweiten amerikanischen Auflage (Ethics, Englewood Cliffs 2. Aufl. 1973,34-52). 1 7 Vgl. etwa W. K. Frankena, Ethics, 2. amerik. Aufl., 35—43. 1 8 W. K. Frankena, Analytische Ethik, 35-37, 4 3 ^ 9 .
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damit die Moral adäquat zu erfassen. W. K. Frankenas „gemischt deontologische Theorie" ist einer davon. Mit dieser Theorie versucht er der Rolle gerecht zu werden, die Regeln in der Moral spielen, und zugleich zu berücksichtigen, daß diese Regeln in bestimmten Situationen durchbrochen werden können. E r ordnet Nützlichkeitserwägungen dem deontologischen Prinzip unter, da er nur so gewährleistet sieht, daß Moral wesentlich auf den Prinzipien des Wohlwollens und der distributiven Gerechtigkeit beruht und etwa puren Egoismus und sich darauf aufbauendes Nützlichkeitsdenken ausschließt 1 9 . Diese und ähnliche Theorien 2 0 haben den Vorzug, die Übertreibungen und Einseitigkeiten der extremen Formen zu vermeiden und die Elemente des moralischen Denkens, Redens und Handelns in abgewogener Weise zur Geltung kommen zu lassen. Sie integrieren damit die zuvor getrennt erkannten Aspekte. Die Ethik von Christen hat an dem Streit zwischen diesen Positionen teil. Christen haben eine dieser Theorien zu ihrer Grundlage gewählt 2 1 . Die einen stellen sich auf die Seite der handlungsdeontologischen oder handlungsteleologischen Theorien. Sie betonen die Situationsgebundenheit der Entscheidungen und Urteile und lehnen jede Abhängigkeit von Regeln als unmoralisch ab. Als „Situationsethik" hat diese Gruppe in den letzten Jahren Verbreitung gefunden 2 2 . Andere Christen liegen mit ihren Ansichten über die Moral auf der Linie der Utilitaristen, überwiegend der Regelutilitaristen. Sie verstehen die Moral als das Hilfsmittel, mit dem der Mensch sein Leben vor dem endgültigen Kommen des Gottesreiches auf dieses hin gestaltet. Vor allem im protestantischen Bereich ist diese Art zu denken anzutreffen. Wieder andere begreifen sich eher als verwandt mit den Regeldeontologen. Sie benutzen naturrechtliche Vorstellungen und sehen die Moral in der Natur des Menschen begründet. In der katholischen, besonders der thomistischen Tradition sind sie beheimatet, doch sind solche Ansichten keineswegs auf diesen Bereich beschränkt 2 3 .
Vgl. aaO. 6 1 - 7 1 ; vgl. die Verbesserungen in der zweiten amerikanischen Auflage. Vgl. etwa R. B . Brandt, Ethical Theory. 2 1 W . Κ. Frankenas Vorschlag, die jüdisch-christliche Ethik möglicherweise als „Agapismus", als eigenständige A r t von Theorie neben Deontologie und Teleologie zu stellen (Analytische Ethik, 72 f), leistet der Partizipation der christlichen Ethik an der allgemeinen Ethik keinen Abbruch. Sie plaziert die christliche Ethik vielmehr zwischen Deontologie und Teleologie, ohne zunächst präzise zu entscheiden, ob die deontologischen, auf eine Pflicht bezogenen oder die teleologischen, ein Ziel formulierenden Elemente in dieser agapistischen F o r m der Theorie überwiegen. Paul Ramsey entscheidet sich eher für eine deontologische Interpretation des Agapismus, vgl. Deeds and Rules in Christian Ethics, Edinburgh/London 1 9 6 5 , 9 6 f , auch 103. 19
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2 2 Vgl. die Standardwerke von Joseph Fletcher, Situation Ethics, Philadelphia 1966, und John A . T. Robinson, Christian Morals Today, London 1964. Kontextualistische Konzeptionen der christlichen Ethik (zB. Paul L. Lehmann, Ethics in a Christian Context, N e w Y o r k 1963, dt. Ethik als Antwort. Methodik einer Koinonia-Ethik, München 1966) sind hier ebenfalls zu nennen, auch wenn sie nicht zur Gruppe der Situationsethik gehören. 2 3 Vgl. vor allem die Aufnahme dieser naturrechtlichen Tradition in der angelsächsischen
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Die Lösungen, die am ehesten Aussicht gewähren, der Komplexität der Moral gerecht zu werden, sind Kompromißlösungen zwischen den genannten Typen von Ethik, etwa eine regeldeontologische Theorie, die utilitaristische Erwägungen einschließt, oder eine Form der regelutilitaristischen Theorie. Versuche, eine einheitliche Theorie zu entwerfen, mißlingen, wenn sie diese Komplexität mißachten. Eine Theorie muß Raum für die ganze Vielfalt von Inhalten und die Pluralität möglicher Begründungsschemata lassen, will sie die tatsächlich gedachte, gesagte und getane Moral erfassen. Beide Wege moralischer Begründung werden faktisch beschritten: der, auf die Konsequenzen einer Handlung und die Nützlichkeit zur Erreichung eines Ziels zu verweisen, und der andere, auf die Verpflichtung zu einer Handlung hinzuweisen, ohne daß sie utilitaristisch-teleologisch zu rechtfertigen wäre. Und beide Wege haben Platz in einer rationalen Ethik. Eine derart komplexe, unterschiedliche Elemente in sich integrierende Moral ist es, an der auch Christen teilhaben. U m ihr gerecht zu werden, muß die Beschreibung der Ethik von Christen differenziert werden. W. K. Frankena versucht dies 2 4 , indem er verschiedene ethische Theorien unterscheidet: (a) „reinen Handlungsagapismus", (b) „modifizierten Handlungsagapismus", der Regeln anerkennt, die auf der Systematisierung vergangener Erfahrung beruhen 2 5 , (c) „reinen Regelagapismus" und (d) Kombinationen von Handlungs- und Regelagapismus. Diese vier Typen faßt er unter der Bezeichnung „reiner Agapismus" zusammen 2 6 . Daneben nennt er als weitere Formen die „gemischt agapistische" Theorie und den „Nonagapismus". Die gemischt agapistische Theorie erkennt in der geoffenbarten Liebe eines der Grundprinzipien der Moral, neben dem es jedoch noch andere gibt, die von einer Offenbarung unabhängig sind und durch die natürliche Vernunft erkannt werden können 2 7 . Diese Theorie läßt also rationalen ethischen Überlegungen, deontologischen wie teleologischen, Raum neben Überlegungen, die sich aus der christlichen Tradition herleiten 28 . Als Nonagapismus betheologischen Ethik, zB. H . P. Owen, Nature and Morality, in G . R. Dunstan, H g . , Duty and Discernment, 23-34; G . F. Woods, Natural L a w and Christian Ethics. Zur innerkatholischen Diskussion um verschiedene Ausprägungen der Naturrechtslehre vgl. Franz Böckle, H g . , Das Naturrecht im Disput, Düsseldorf 1966, und F. Böckle und E.-W. Böckenförde, H g . , Naturrecht in der Kritik, Mainz 1973. Eine Zusammenfassung der dort diskutierten Problematik findet sich in Franz Böckle, Fundamentalmoral, München 1977, 233319. 2 4 William K. Frankena, Love and Principle in Christian Ethics, in A. Platinga, H g . , Faith and Philosophy, Grand Rapids 1964, 203-225, wieder abgedr. in K. Pahel u. M. Schiller, H g . , Readings in Contemporary Ethical Theory, Englewood Cliffs 1970, 540-560. Frankena übernimmt dazu aus seinem Buch Ethics die Charakterisierung christlicher Ethik als Agapismus und führt weitere Differenzierungen ein. 2 5 Sogenannte „summary rules". 2 6 Vgl. aaO. 208,211-214. 2 7 Vgl. P. Ramsey, Deeds and Rules in Christian Ethics, 109 f. 2 8 Die Moral der Christen besteht demnach in der Dualität beider Bereiche, deren Beziehung entweder als harmonisch (wie im Thomismus) oder als spannungsreich (wie bei zahlreichen
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zeichnet er diejenigen ethischen Anschauungen von Christen, die von anderen Vorstellungen als von der Liebe ausgehen, etwa von der Vorstellung der imitatio Gottes 2 9 . Frankena nimmt also die für die allgemeine Ethik getroffenen Unterscheidungen verschiedener Formen der Theorie in erweiterter Form ausdrücklich für die christliche Ethik auf 3 0 . Dabei kann die Typologie, die er aufstellt, hilfreich sein, um theologisch-ethische Theorien hinsichtlich der Rolle zu systematisieren, die das Prinzip der Liebe in ihnen spielt 3 1 . Doch damit dürfte ihre Erklärungskraft erschöpft sein. Sie ist zu sehr auf das eine Prinzip der Liebe zentriert, um die Vielfalt ethischen Redens von Christen erfassen zu können, und sie konstruiert auf diesem Prinzip ein zu abstraktes Klassifikationsschema 3 2 . In der ethischen Argumentation von Christen spielt also beides eine Rolle: die rationale moralische Argumentation und die Frage nach der gültigen Rechtfertigung und Begründung moralischer Aussagen. Auf der Ebene dieser Frage werden theologische Aussagen in den ethischen Diskurs einbezogen. Der erste Bestandteil, die im engeren Sinn moralische Argumentation, gehört konstitutiv zur christlichen Ethik. Dies klarzustellen war das Ziel des vorliegenden Abschnitts. Selbstverständlich können Christen und Theologen behaupten, die zweite Frage sei bedeutsamer, weil etwa sich erst auf dieser Ebene das Proprium der christlichen Ethik konstituiert 3 3 . Aber sie können nicht mit Recht bestreiten, daß es jenen ersten Strang von Argumenten auch unter Christen gibt 3 4 . Ethische Aussagen, Urteile und Entscheidungen von Christen stehen also in doppeltem Bezug. Sie lassen sich durch moralische Argumentation, sozusagen auf der Ebene säkularer Moral, rechtfertigen und verlangen solche Rechtfertigung. Und sie lassen sich durch theologische Herleitung oder Illustration rechtfertigen 35 . protestantischen Autoren) gesehen werden kann. Vgl. W. K. Frankena, Ethical Theory, in R. M. Chisholm, H g . , Philosophy, Englewood Cliffs 1964, 3 4 5 - 4 6 3 , 423. 2 9 Vgl. W. K. Frankena, Love and Principle in Christian Ethics, 215-219. 3 0 Vgl. auch P. Ramsey, Deeds and Rules in Christian Ethics, 94-97,105-108. 3 1 Frankena versucht diese Anwendung in Love and Principle in Christian Ethics, Abschnitt VII, 219-222. 3 2 Vgl. zu diesem letzten Kritikpunkt P. Ramsey, Deeds and Rules in Christian Ethics, 109. 3 3 Vgl. dazu Abschnitt 6.2. dieser Arbeit. 3 4 Robert E. Willis befaßt sich in einem Aufsatz (Some Difficulties in Barth's Development of Special Ethics, Religious Studies 6, 1970, 147-155) mit Karl Barths Ethik als einem Beispiel für die Ethik eines Theologen, der die Prävalenz der Theologie für die christliche Ethik betont. Willis macht auf die Diskrepanz zwischen den theoretischen Aussagen Barths und der praktischen Durchführung der Ethik aufmerksam. Barth wertet einerseits die natürliche Moral ähnlich wie Emil Brunner ab (vgl. K. Barth, Kirchliche Dogmatik II/2, Zollikon/Zürich 1942, 511-603), andererseits greift er bei der Erörterung praktischer ethischer Fragen nicht nur auf göttliches G e b o t in der Form von Schriftzitaten zurück, sondern bemüht durchaus auch rationale ethische Überlegungen. 3 5 James M. Gustafson gelangt zu derselben Dichotomie von Rechtfertigungsprozeduren. Er qualifiziert jedoch den Vorgang der Rechtfertigung auf der Ebene moralischen Überlegens, indem er die Verbindung auch dieser Gedankengänge mit der Sicht der Welt betont, die durch
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6.2. Die Differenz in der Ethik von Christen und Nichtchristen: Die Frage nach dem Proprium Die beiden eben herausgearbeiteten Argumentationsstränge, der rationaler moralischer und der religiöser Argumentation, hängen in religiöser Moral zusammen. Das Spezifikum christlicher Ethik soll nun in den Blick gefaßt werden, indem die Beziehung zwischen beiden Größen zum Thema gemacht und insbesondere nach dem Beitrag der zweiten, religiösen Komponente gefragt wird. Die Zusammengehörigkeit beider Argumentationsstränge kann man verdeutlichen, wenn man die christliche Ethik insgesamt nach dem Schema beschreibt, das P. F. Strawson vorgeschlagen hat. Strawson unterscheidet den Bereich der Moral als eines elementaren Systems zur Gewährleistung sozialer Interaktion, das die Regeln umfaßt, die alle Menschen in einer bestimmten Gesellschaft verpflichten, von dem des Ethischen. In diesem Bereich geht es um die „höhere" Moral der Idealvorstellungen, der Visionen, des Sinn-, Existenz- und Weltverstehens 3 6 . Wendet man diese Terminologie auf die christliche Ethik an, so gehört sie zu einem bedeutenden Teil dem Bereich des Ethischen zu. Gleichwohl bleibt jedoch auch bei dieser höheren, offeneren Form der Moral die Verbindlichkeit der grundlegenden minimalen Form der Moral, der Moral als gesellschaftlich wichtigem System von Regeln vorausgesetzt. Die allgemeinverbindlichen Regeln sind nicht außer Kraft gesetzt. Sie sind nur durch eine weitere, in sich differenzierungsfähige Komponente, die des Ethischen ergänzt. Die Moral als ein soziales Regelsytem wird in eine umfassende Sichtweise der Welt integriert und gewinnt so eine höhere Komplexität. Zum Bereich moralischer Phänomene gehören somit (a) Elemente der Verhaltenssteuerung durch Verweis auf allgemeingültige Prinzipien und Regeln. Die derart beschriebene Moral läßt (b) Einflüsse zu, deren Ursprung außerhalb dieses engeren Bereichs liegt. Insbesondere die jeweilige Weise, die Welt zu sehen, beeinflußt die Moral im engeren Sinn. Sie kann die moralischen Regeln selbst ergänzen, erweitern, qualifizieren oder in ihrem Anwendungsbereich festlegen 37 . So tritt die Theorie ethischer Sprache in Kontakt zur Theorie religiöser Sprache. Religiös-ethisches Sprechen ist ethisches Sprechen, das qualifiziert ist durch die bestimmte Weise, in der religiös gebundene Menschen die Wirklichkeit sehen, und durch die sprachlichen Ausdrucksweisen und Forden christlichen Glauben erschlossen wird. Vgl. T w o Approaches to Theological Ethics, Union Seminary Quarterly Review 23, 1968, 3 3 7 - 3 4 8 , bes. 339, 348; auch Basil Mitchell, Law, Morality and Religion, London 1 9 6 7 , 1 0 5 - 1 0 8 , 1 1 4 - 1 1 8 . 3 6 P. F . Strawsons Unterscheidung floß bereits in die Überlegungen des Abschnitts 5.5. ein, als es darum ging, die Ethik der Ideale und Visionen von einer bloß regelgeleiteten Ethik abzuheben. Vgl. auch schon Abschnitt 2.7. und insgesamt P. F. Strawson, Gesellschaftliche Moral und persönliches Ideal. 3 7 Vgl. dazu die Überlegungen von S. Hauerwas, The Self as Story, 8 0 - 8 2 .
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men, in denen sich diese Sicht der Welt ausdrückt. D i e umfassende Weise, die Welt zu sehen, stellt also den Zusammenhang dar, in den die M o r a l eingegliedert ist. Sofern sich solche Sichtweisen unterscheiden, ist auch die jeweils integrierte Moral nicht dieselbe. Vielmehr bestimmt der Z u s a m m e n hang die jeweilige Moral und qualifiziert sie. D i e Ethik der Christen läßt sich dann verstehen als diejenige F o r m von Ethik, die im H o r i z o n t eines bestimmten, des christlichen Weltverständnisses steht. D a b e i ist zu beachten, daß es das christliche Weltverständnis kaum als eine einheitliche, für alle Zeiten festgelegte Größe gibt. E s gibt zu jeder Zeit zahlreiche F o r m e n , die miteinander konkurrieren und teilweise einander ausschließende Z ü g e aufweisen 3 8 . D e n n o c h scheint es keine andere Möglichkeit zu geben, das spezifisch Christliche christlicher Ethik zu benennen, als auf den Kontext von Vorstellungen hinzuweisen, in dem diese Ethik steht. N u r in diesem H i n weis und seiner Explikation scheint die Frage nach dem Proprium christlicher Ethik eine A n t w o r t zu finden 3 9 . Diese A u s s a g e ist unbestritten. A b e r sie legt noch nichts fest, und daher findet sie weite Z u s t i m m u n g 4 0 . D a s Proprium der christlichen Ethik liegt sicher in ihrem Eingebundensein in das christliche Gottes- und Weltverständnis, in dem Verständnis „der ethischen Existenz des Menschen vor G o t t in der W e l t " 4 1 . D a m i t ist k a u m mehr gesagt als mit der Feststellung, daß das Spezifikum religiöser M o r a l in ihrer religiösen K o m p o n e n t e zu suchen ist 4 2 . D i e Aussage, die eben gemacht wurde, muß präzisiert werden. Was im einzelnen sind die Eigenarten christlicher Weltsicht? Worin genau bestehen deren Implikationen für die Ethik? Sobald man derart präzise A u s k ü n f t e verlangt, beginnen die Antworten kontrovers zu werden. E s werden A u s s a gen minimalen und maximalen Inhalts gemacht. D i e einen beschränken die Funktion der spezifischen Bestandteile einer christlichen Ethik auf die Ebene der Motivation. D i e anderen lassen offen, o b nicht auch inhaltliche N o r m i e rungen mit einzubeziehen sind. D i e Unterschiede lassen sich an einer Kontrovers, die in den letzten Jahren zwischen zwei englischen Jesuiten, G . J . H u g h e s und M . Simpson, ausgetragen wurde, veranschaulichen. 1. G.J. Hughes.
Gerard J . H u g h e s 4 3 fragt, ob es eine spezifisch christliche
3 8 Die mangelnde Einheitlichkeit des christlichen Weltverständnisses wird am Ende dieses Abschnitts als Funktion von dessen sprachlicher Organisation dargestellt werden. 3 9 Vgl. zu dieser Ansicht, daß die religiöse Ethik nicht in ihrem Inhalt („essentially"), sondern in ihrem Kontext religiös ist, P. T. Menzel, Divine Grace and Love, 266, 268. 4 0 Oben, Abschnitt 5.5., wurde gesagt, die Sicht der Welt, die jemand hat, beeinflusse seine Moral. Wie diese Beeinflussung aussieht, ist noch nicht geklärt. Hier liegt der Grund, weshalb die Darstellung bisher noch zu unbestimmt ist. 4 1 So H . G . Ulrich, Grundlinien ethischer Argumentation, 74. 4 2 Zu dieser Folgerung können die Überlegungen in Abschnitt 4.4. zusammengezogen werden. 4 3 Gerard J. Hughes, A Christian Basis for Ethics, The Heythrop Journal 1 3 , 1 9 7 2 , 2 7 - 4 3 .
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Basis einer Ethik gibt und worin sie möglicherweise besteht. Er stellt diese Frage nicht in der Absicht, eine genetische Erklärung der Ethik von Christen zu liefern 4 4 , sondern die Prozeduren der Rechtfertigung ethischer Urteile von Christen zu erheben und festzustellen, was in einem Diskurs, den Christen über ethische Entscheidungen führen, als Grund eines Urteils gilt. Seine Fragestellung ist metaethisch. Er versucht zu einer metaethischen Klärung der Ethik von Christen zu gelangen. Es könne, so überlegt er, das Spezifikum der Ethik von Christen sein, daß einige ihrer moralischen Uberzeugungen sich nur durch Bezug auf die spezifisch christliche Offenbarung rechtfertigen lassen. Hughes bestreitet diese These 4 5 . E r zeigt, daß immer dann, wenn Christen moralische Entscheidungen treffen oder moralische Aussagen machen, ihr eigenes ethisches Urteil den Ausschlag gibt. Die eigene moralische Uberzeugung dient als Filter, durch das die Lehre und das Beispiel Jesu gesehen werden. In diesem Verstehensprozeß wird eine Auswahl relevanter Faktoren getroffen. Die Art des Filters legt fest, was als bedeutsam gilt und was interpretativ umgedeutet oder zurückgedrängt wird. In logischer Hinsicht besitzt das Filter, das eigene ethische Urteil, als Selektionsinstanz die Priorität gegenüber dem Objekt, dem Beispiel oder der Lehre J e s u 4 6 . N u r was zuvor als moralisch gut akzeptiert wurde, kann als Gebot Jesu oder als Gebot Gottes und Formulierung seines Willens moralische verpflichtende Kraft erlangen. Gerade weil es eine tautologische Wahrheit ist, daß das Gute im jüdischen und christlichen Verständnis mit dem Willen Gottes identisch ist, kann etwas nur dann als Gottes Wille entsprechend gelten, wenn es zuvor und unabhängig davon als moralisch gut erkannt werden kann 4 7 . Aus diesen Überlegungen schließt Hughes, daß der christliche Glaube dem moralischen Erkennen und Argumentieren keinen eigenständigen Inhalt hinzufügt 4 8 . Der Christ fragt zwar nach den ethischen Implikationen
4 4 E r mutmaßt, daß sehr wohl die ganze westliche oder zivilisierte Welt in ihrer Ethik genetisch von christlichen Anschauungen abhängig sein kann, aaO. 27. 4 5 E r setzt sich mit drei aus dieser Ansicht ableitbaren Thesen auseinander und weist nach, daß sie nicht aufrecht erhalten werden können. Die Thesen lauten: (1) Jesu Lehre und Beispiel sind von zentraler Bedeutung für die Ethik. (2) Die christliche Offenbarung stellt eine notwendige Ergänzung jener moralischen Wahrheiten dar, die wir ohne solche Offenbarung rechtfertigen könnten. (3) Die Offenbarung des Gebots (oder Willens) Gottes ist die letzte Rechtfertigung für alle moralische Wahrheit; aaO. 2 8 , 2 9 - 4 0 . 4 6 Hughes erklärt den Selektionsmechanismus u. a. am Beispiel der unterschiedlichen Haltung der christlichen Großkirchen zu ansonsten parallel formulierten Geboten Jesu. Sexualethische Aussagen werden als unmittelbar gültig angesehen (Mt 5,28.32), während pazifistische Äußerungen (Mt 5 , 3 4 . 3 7 . 3 9 f ) zu Idealen mit geringerem Grad der Verbindlichkeit herabgestuft werden; vgl. aaO. 29f.
Vgl. aaO. 4 0 ; oben wurde in Abschnitt 4.4. derselbe Gedanke bereits erörtert. Diese Ansicht verträgt sich mit dem Ergebnis von Abschnitt 6.1., daß die allgemeingültige, rationale, säkulare Ethik im Zusammenhang der Ethik von Christen ihren Platz hat. Sie verschärft jedoch diese These, denn sie läßt es nicht dabei, die säkulare Ethik als einen Bestand47 48
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seines Glaubens. Doch die Antwort auf die ethischen Fragen des Christen „müssen mit den gängigen Methoden ethischer Reflexion" gesucht werden 49 . Damit ist der Inhalt christlichen Glaubens nicht als unbedeutsam für die Frage nach der Ethik von Christen erwiesen. Was der christliche Glaube für die Ethik der Christen leistet, faßt Hughes in drei Begriffe: Stimulus, Kontext und Motivation, (a) Als Stimulus fungiert die christliche Tradition, indem sie durch die Vorstellung eines transzendenten Gottes, der vom Menschen Vollkommenheit fordert, eine Unruhe in die säkulare Moral bringt, die zu ständig neuer Uberprüfung der ethischen Urteile und Entscheidungen anhält 50 , (b) Die christliche Tradition dient als Kontext der Moral, denn die Moral tritt in den Zusammenhang einer umfassenderen Sicht der Wirklichkeit und erhält dort ihren Platz 51 . In dieser Weise stellt die christliche Tradition eine Bereicherung säkularer Ethik dar. (c) Indem der christliche Glaube das moralische Uberlegen stimuliert und in einen Kontext stellt, gibt er zugleich ein Motiv zu moralischem Handeln ab, ein Motiv, das in fundamentalerer Weise als moralische Gründe den, der in diesem Kontext steht, zum Handeln zu bewegen vermag 52 . Über diese drei Wege hinaus gibt es keinen Einfluß christlicher Tradition auf die Moral, insbesondere nicht den, daß der christliche Glaube inhaltliche Normen der Moral bereitstellen würde 5 3 . Vielmehr steht die christliche Ethik auf demselben Boden wie alle teil in die Ethik der Christen zu integrieren. Sie bestreitet, daß es daneben aus der spezifisch christlichen Komponente gewonnene inhaltliche Normen geben könne. 49 AaO. 41 (meine Übers.). 50 AaO. 41 f. 51 Hughes erläutert diesen Gedanken nicht weiter (aaO. 42). Er dürfte analog dem in 4.4. Dargestellten zu verstehen sein. Die Vorstellung, daß die Differenz christlicher zu nichtchristlicher Ethik in dem Kontext besteht, innerhalb dessen das moralische Leben gesehen wird, benutzt auch John Macquarrie (Three Issues in Ethics, London 1970, 89). Er betont im Rahmen dieser Vorstellung die Rolle, die Jesus Christus als Kriterium und Inspiration zu einem bestimmten Lebensstil spielt (ebd.). 52 AaO. 42. 53 Zwischen den Ebenen des Inhalts und der Motivation zu unterscheiden und das spezifisch Christliche der zweiten Ebene zuzuordnen ist eine inzwischen geläufige Ansicht in der theologischen Ethik. Helmut Thielicke stellt fest, daß das Handeln der Christen von dem der Nichtchristen äußerlich (und das meint: inhaltlich) nicht unterschieden werden kann. Das ethische Tun von Christen ist „verwechselbar" (Theologische Ethik, Bd. I, 17) mit nicht spezifisch christlichem Handeln. Das spezifisch Christliche ist „ausdrücklich und ausschließlich in der Motivation des Handelnden zu sehen" (aaO. 20). In der „Tatschicht" läßt sich die christliche Ethik nicht eindeutig erkennen (aaO. 22). Auch in der neueren und neuesten katholischen Moraltheologie ist diese Ansicht häufig zu finden, daß es nicht materiale Normen sind, die die christliche von der nichtchristlichen Ethik unterscheiden. Vgl. etwa Hans Rotter, Tendenzen in der heutigen Moraltheologie, Stimmen der Zeit 185,1970, 259-268, 267. Rotter betont allerdings die Bezogenheit alles sittlichen Handelns auf Gott bzw. Jesus Christus. In seinem späteren Buch Grundlagen der Moral. Überlegungen zu einer moral theologischen Hermeneutik (Zürich/Einsiedeln/Köln 1975) geht er weiter und behauptet, alle Moral, auch die nichtchristliche, habe ihren ontologischen Grund in der Exi-
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Ethik, und Christen bedienen sich derselben Argumentations- und Rechtfertigungsmethoden wie alle Menschen 54 . 2. M. Simpson. Michael Simpson 55 stimmt Hughes darin zu, daß der christliche Glaube für die Ethik bedeutsam ist, weil er als Stimulus, Kontext und Motivation zu moralischem Urteilen und Verhalten dient. Hingegen lehnt er Hughes' These ab, darin erschöpfe sich die Bedeutung des christlichen Glaubens für die Ethik von Christen. Er hält daran fest, daß die ethischen Verpflichtungen von Christen auch inhaltlich durch den Glauben bestimmt werden können. Um dies zu erweisen, skizziert er zunächst einige Aspekte einer metaethischen Theorie, die er für sachgemäß hält. Seine Theorie ist im Grund intuitionistisch, denn er betont, der Mensch erkenne den Inhalt seiner ethischen Verpflichtung in jeder Situation 56 , sein Verhalten werde nicht notwendig und nicht in allen Bezügen von generalisierbaren moralischen Regeln und Prinzipien gesteuert 57 . Zwischen die intuitive Erkenntnis der Verpflichtung, in einer bestimmten Weise zu handeln, und das Handeln oder Urteilen selbst schiebt er eine dritte Größe ein: das „gesamte Selbstbewußtsein eines Menschen". 5 8 Diese Größe faßt alles zusammen, was
Stenz Gottes und beziehe von daher ihren absolut verpflichtenden Anspruchscharakter (vgl. aaO. 136). Eine Reduktion der Bedeutung der Religion für die Moral auf die Ebene der Motivation sei deshalb nicht erlaubt, weil eben die Motivation des Christen den ganzen Bezugsrahmen moralischer N o r m e n so entscheidend verändert, daß die N o r m e n selbst nicht dieselben sind, unabhängig davon, ob sie in dem Bezugsrahmen des christlichen Glaubens verstanden werden oder nicht (aaO. 166). F r a n z Furger (,Kenosis' und das Christliche einer christlichen Ethik. Eine christologische Rückfrage, in K . D e m m e r u. B . Schüller, H g . , Christlich glauben und handeln. Fragen einer fundamentalen Moraltheologie in der Diskussion, Düsseldorf 1977, 9 6 - 1 1 1 ) sieht hingegen das Proprium christlicher Ethik in der Motivationsschicht der Ethik, in der transzendentalen Glaubensausrichtung, die der Ethik von Christen vorgängig ist. A u f der Ebene kategorialen Verhaltens muß das spezifisch Christliche gar nicht mehr aufzufinden sein. E r erläutert diesen Sachverhalt unter Aufnahme des traditionellen dogmatischen Gedankens der Kenosis (aaO. 103-106). Vgl. auch J o s e f Fuchs, S. J . , G i b t es eine spezifisch christliche Moral?, Stimmen der Zeit 185, 1970, 9 9 - 1 1 2 ; Bernhard Stoeckle, Die Grenzen der autonomen Moral, München 1974, 3 5 f . R o b e r t Spaemann (Christliche Religion und Ethik, Philosophisches Jahrbuch 80, 1973, 282— 291, 284) weist auf den Zusammenhang dieser Sicht der christlichen Moral mit der Naturrechtstradition hin. Vgl. auch die Bemerkungen von Richard A . M c C o r m i c k , N o t e s on Moral T h e o l o g y , Theological Studies 3 2 , 1 9 7 1 , 6 6 - 1 2 2 , 74, und Theological Studies 34, 1973, 5 3 - 1 0 2 , 58. 5 4 D i e neue, zusätzliche Motivation ethischen Verhaltens im Zusammenhang christlichen Glaubens betonen ähnlich wie Hughes u.a. I. T . Ramsey, Moral Judgements and G o d ' s C o m m a n d s ; Knud E . Logstrup, Das Proprium des christlichen Ethos, Zeitschrift für Evangelische E t h i k 11, 1967, 1 3 5 - 1 4 7 , 146; T . C . Mayberry, G o d and Moral Authority, 117; W . B . Williamson, O n the Relation Between Morals and Religion, 1 4 f ; N . H . G . R o b i n s o n , T h e G r o u n d w o r k of Christian Ethics, 260, 268. 55 56
Michael Simpson, A Christian Basis for Ethics?, T h e H e y t h r o p Journal 1 5 , 1 9 7 4 , 2 8 5 - 2 9 7 . 57AaO,288f. 5 8 A a O . 286. AaO. 286f.
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an Sozialisation und Erfahrung auf ihn eingewirkt und sein bewußtes oder unbewußtes Verständnis seiner selbst wie seine Beziehung zur Welt, zu anderen Menschen und zu Gott geprägt hat 59 . Die Religion, der christliche Glaube ist also ausdrücklich darin eingeschlossen. (Was Simpson mit dem Begriff des „gesamten Selbstbewußtseins eines Menschen" meint, kommt dem nahe, was in dieser Arbeit mit dem Ausdruck „umfassende Sichtweise der Welt" oder entsprechenden Formulierungen belegt ist.) Dieses Selbstbewußtsein und mit ihm dessen religiöse Komponente kann den Inhalt moralischer Uberzeugungen, Urteile und Entscheidungen bestimmen. Wie die Welterfahrung aller Menschen ein großes Maß an Ubereinstimmung aufweist, so gibt es auch einen Bereich der Moral, in dem alle oder die meisten Menschen übereinstimmen 60 . Wenn es andererseits Unterschiede in der Welterfahrung und in der Sicht der Welt gibt, ist damit zu rechnen, daß sie zu unterschiedlichen ethischen Positionen führen. Sofern man einen charakteristischen Inhalt des religiösen Bewußtseins von Christen feststellen kann, der es vom Bewußtsein von Nichtchristen unterscheidet, kann man erwarten, daß er sich auf die Ethik auswirkt. In der Besonderheit dieser Auswirkungen auf die Ethik liegt nach Simpson die Berechtigung, von einer christlichen Ethik zu sprechen 61 . Er benennt zwei Vorstellungsinhalte christlichen Glaubens, die solche Auswirkungen auf die Ethik haben: (a) die Liebe und Selbsthingabe Christi, manifestiert in seinem Leiden und Sterben für alle Menschen 62 und (b) die Auferstehung Jesu von den Toten und die daraus resultierende christliche Auferstehungshoffnung. Ihre ethischen Implikationen sieht er darin, daß Christen (a) um den Wert des gegenwärtigen Lebens besorgt sein müssen und (b) es ablehnen müssen, das gegenwärtige Leben als einziges Ziel des Menschen zu betrachten; Leiden und Selbsthingabe können als moralische Pflicht erfahren werden 63 . Simpson behauptet nicht, daß diese Forderungen nicht auch von Nichtchristen erfahren werden könnten. Er besteht lediglich darauf, daß sie im „Selbstbewußtsein" eines Christen einen besonders hohen Grad der Konsistenz besitzen. Aus diesem Grund vermag er sie als unterscheidend christlich zu betrachten und von anderen, etwa hinduistischen oder marxistischen ethischen Anschauungen abzuheben 64 . Über Simpsons Darstellung des charakteristisch Christlichen kann man streiten. Vielleicht müssen noch weitere Züge des christlichen Glaubens aufgezählt werden. Die Stärke seiner Argumentation liegt jedoch dort, wo er die Beschränkung der Religion auf die Ebene der Motivation ethischen Verhaltens abweist, wie sie hinter Hughes' Ausführungen zu stehen scheint 65 . Er tut dies, indem er den tiefergreifenden Einfluß nachweist, den 5 9 Ebd. A u f dem genetischen Aspekt, der Frage, wie es zu einem bestimmten Zustand eines Selbstbewußtseins gekommen ist, liegt bei Simpson (wie bei Hughes) kein Gewicht. O b diese Vernachlässigung zu vertreten ist, wird später zu fragen sein. 6 0 A a O . 289. « A a O . 290. 6 2 Ebd. 6 3 Ebd. 6 4 A a O . 291 f. 6 5 Der Ebene der Motivation lassen sich zumindest zwei der drei Einflußmöglichkeiten der
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die Religion für das Selbstverständnis des Menschen hat. Der christliche Glaube kann nämlich einen Teil der gesamten Erfahrung eines Menschen darstellen. Ist dies der Fall, dann muß er zwar nicht selbst unmittelbar und ursächlich an der Formulierung der Moral dieses Menschen beteiligt sein. Er gehört aber dem Bereich von Vorstellungen an, die das Selbstverständnis des Christen konstituieren. Dieses Selbstverständnis hat seinerseits Auswirkungen auf die Moral, und zwar Auswirkungen auf den Ebenen der Motivation und des Inhalts. In einer derartigen mittelbaren Weise beeinflußt der christliche Glaube auch inhaltlich die Moral der Christen 6 6 . Damit ist Hughes' Vorstellung, daß der christliche Glaube den Kontext der Moral von Christen abgebe, aufgenommen, aber erheblich erweitert 67 . 3. Diskussion. Simpsons konstruktiver Kritik an Hughes muß man zustimmen, denn er erreicht eine Konzeption der Moral, die als adäquate Beschreibung der Ethik von Christen gelten kann 6 8 . Der Christ bildet sich sein moralisches Bewußtsein nicht unabhängig von seinem Wissen um die Inhalte christlichen Glaubens. Ebensowenig fällt er seine Entscheidungen allein durch Ableitung von dogmatisch festgesetzten, geoffenbarten Moral-
Religion, von denen Hughes spricht, zuordnen: Stimulus und Motivation (vgl. oben). Hughes schließt zwar aus, daß der christliche Glaube inhaltliche Normierungen der Moral vornehme, doch ist fraglich, o b nicht gerade der K o n t e x t christlicher Moral, Hughes dritte G r ö ß e , auch inhaltliche Implikationen für die Moral besitzt. 6 6 H u g h e s ' Ansicht, daß der Christ J e s u Lehre und Leben oder Gottes G e b o t e erst einem unabhängigen moralischen Urteil unterwirft, bevor er sie als gut anerkennt, läßt sich dann nicht mehr aufrecht erhalten. D e n n das moralische Urteil des Christen ist selbst bereits von Elementen seines christlichen Glaubens beeinflußt. D e r P r o z e ß des Urteilens ist also reflexiv (vgl. Simpson, a a O . 2 9 3 - 2 9 5 ) .
Zu ähnlichen Schlußfolgerungen wie Simpson k o m m e n u. a. R . N . van W y k , G o d and Ethics, bes. 1 7 8 - 1 8 0 ; Stephen M a y o r , Morality and Christian Faith, T h e Reformed W o r l d 32, 1972, 1 3 6 - 1 4 4 , 1 3 9 f ; W . K . Frankena, Conversations with Carney and Hauerwas, 5 2 f ; Peter Baelz, Ethics and Belief, L o n d o n 1977, 6 5 - 8 7 , bes. 8 3 - 8 5 . Auch J . Fuchs ( G i b t es eine spezifisch christliche Moral?) stimmt der Ansicht zu, daß sich ein unterscheidend christliches Element im konkreten Verhalten des Christen inhaltlich auswirken kann (aaO. 110 f). Zwar legt er zunächst alles G e w i c h t auf die Aussage, im „partikulären kategorialen Verhalten" unterscheide sich christliche M o r a l nicht von aller humanen Moral. Unterscheidend christlich sei vielmehr die transzendentale Haltung hinter der Oberfläche moralischen Verhaltens, die „christliche Intentionalität" (aaO. 101 f). Diese Intentionalität gehe allerdings in das partikuläre Verhalten ein. D e r Christ sei von einer christlichen Anthropologie geprägt, sein Menschsein sei also in einer bestimmten Weise qualifiziert, so daß er etwa mit der Bedeutung der Person J e s u und dem W i r k e n des Heiligen Geistes rechne. Dieses so bestimmte Menschsein motiviere die Moral des Christen, und grundsätzlich bestimme es sie auch inhaltlich (aaO. 109 f). 6 7 D a s Ergebnis dieser Diskussion stimmt mit dem in Abschnitt 5.5. erreichten überein. Auffallend ist, daß beide Male eine reduktionistische Position den Anstoß zu den Überlegungen gab: einmal Braithwaites Reduktion des Christentums, das andere Mal H u g h e s ' Reduktion der Verbindung von christlichem Glauben und Ethik der Christen auf die Ebene der Motivation. 6 8 D a s intuitive und situative Element ist bei Simpson nach meiner Meinung jedoch zu stark betont (vgl. M . Simpson, A Christian Basis for Ethics?, 2 8 6 , 2 8 7 f , 2 9 6 f ) .
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prinzipien 6 9 . Schwierig ist es nun allerdings anzugeben, worin gerade die spezifischen Inhalte christlichen Glaubens bestehen, die moralische Implikationen besitzen. Würde man sie leichtfertig formulieren, so würde die Geschichtlichkeit menschlichen Verstehens mißachtet, denn so sehr die christliche Dogmatik, die Inhalte des christlichen Glaubens ständiger Interpretation fähig sind und ihrer bedürfen, so können und müssen auch dessen ethische Implikationen aus ständig neuer Interpretation hervorgehen. Das Proprium christlicher Ethik ist also nicht so zu greifen, daß man es abschließend formulieren könnte. Es ist in den Prozeß der Formulierung der ethischen Implikationen des christlichen Glaubens eingebunden. Es ist von einem sich wandelnden Verständnis der Uberzeugungsinhalte von Christen abhängig. Zwar hat jeder derartige Prozeß, in dem ein Vorstellungsganzes sich wandelt, eine gewisse Kontinuität zur Voraussetzung. Andernfalls wäre ja keinerlei Identität gewährleistet. Auf dieses Kontinuum könnte man sich beziehen, wenn man vom Proprium einer christlichen Ethik spricht. Sachgemäßer ist es jedoch - nach allem, was über die Metaethik (Teil 3) und die Funktion religiöser Sätze für die Ethik (Teil 5) gesagt wurde - , nicht nur die sich im historischen Wandel durchhaltenden Züge eines Vorstellungsganzen zur Grundlage zu nehmen, sondern gerade die Vielfalt 7 0 voneinander abweichender Vorstellungen einzubeziehen. In einer Sprachform, die um höchstmögliche Klarheit bemüht ist, sind solche allgemeingültigen Aussagen über das Proprium christlicher Ethik daher nur auf einer theoretischen Ebene möglich, und es wird kaum gelingen, eine alle Aspekte umfassende einheitliche Theorie zu entwickeln 7 1 . Man kann, wie es in diesem Teil der Arbeit versucht wird, eine Metaethik christlicher Ethik entwerfen und die Logik des moralischen Diskurses von Christen beschreiben. Man kann angeben, welche Elemente diesen Diskurs konstituieren und was als gültige Rechtfertigung zählen kann. Eine solche metaethische Darstellung läßt sich zu möglichst großer Klarheit vorantreiben. Aber sie beschreibt dann nur die mögliche und tatsächliche Vielfalt unterschiedlicher Beziehungen zwischen christlichem Glauben und der Ethik von Christen. Sie läßt kein einheitliches Bild entstehen. Allgemeingültige Aussagen auf der Ebene einer normativen Theorie christlicher Ethik lassen sich nicht so erreichen, daß sie zugleich hinreichend konkret sind. Denn der christliche Glaube und die Ethik von Christen sind 6 9 Dies zu betonen ist die Intention des Aufsatzes von Hughes. E r hat nachdrücklich auf die Verwendung säkularer moralischer Überlegungen durch Christen und auf die Bedeutung der Methoden säkularer Ethik für die Ethik der Christen hingewiesen. Darin verdient er volle Unterstützung (vgl. Abschnitt 6 . 1 . ; G . J . Hughes, A Christian Basis for Ethics, 43).
Von Vielfalt kann unter diachronischem und synchronischem Aspekt gesprochen werden. Die christliche Ethik ist wie andere ethische Traditionen zu komplex, um sich in einer alle Aspekte umfassende Theorie darstellen zu lassen. Vgl. Don Cupitt, H o w W e Make Moral Decisions, Theology 76, 1973, 2 3 9 - 2 5 0 , wieder abgedr. in G. R. Dunstan, Hg., D u t y and Discernment, 7 6 - 8 9 , 89; auch S. Hauerwas, The Self as Story, 81 f. 70 71
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über das Selbstbewußtsein eines Christen oder einer Gruppe von Christen vermittelt. Daher kommen zwangsläufig Momente subjektiver oder kollektiver Erfahrung, Momente der Auswahl, der Betonung eines Aspekts auf Kosten eines anderen ins Spiel. Ethische Folgerungen sind nicht in einfacher, unmißverständlicher Weise von dogmatischen Formeln ableitbar, und der Bestand an dogmatischen Wahrheiten ist keineswegs gesichert. Das Beziehungsgefüge ist vielmehr recht komplex. Grenzen der Variabilität - auch für Aussagen auf der metaethischen Ebene - können nur sehr schwer präzise definiert werden. Die eingangs gestellten Fragen nach den Eigenarten christlicher Weltsicht und deren Implikationen für die Ethik lassen sich also kaum befriedigend beantworten. Das Proprium christlicher Ethik liegt in der spezifischen Weise, in der (oder den spezifischen Weisen, in denen) Christen die Wirklichkeit sehen, und in den Implikationen dieser Sichtweise(n) für die Ethik. Beide Größen sind jedoch nicht einheitlich, sondern lassen vielfältige Möglichkeiten offen. Aus diesem Grund kann von dem Proprium christlicher Ethik nur in der allgemeinen Weise gesprochen werden, wie es eben getan wurde. Bei genauerem Zusehen muß sich diese Redeweise diversifizieren, und man kann nur von den vielfältigen Propria christlichen ethischen Denkens sprechen. Man kann dies tun mit der Absicht, doch noch in der Summe aller Propria das Proprium christlicher Ethik zu finden. Man versucht dann, eine alle Propria erfassende und dennoch einheitliche Theorie zu bilden. Dies gelingt freilich nur, wenn man einen leitenden Gesichtspunkt auswählt und damit eine normative Komponente einträgt. Im Extremfall setzt man sich dann dem Vorwurf des positionellen Dogmatismus aus 7 2 . Scheut man vor dieser Konsequenz zurück, dann muß man sich an dieser Stelle bescheiden. Dies ist jedoch kein Grund, die Suche nach einem Proprium oder mehreren Propria völlig aufzugeben 7 3 und zu bestreiten, daß es christliche Ethik, spezifisch als christlich zu identifizierende Elemente in der Ethik von Christen überhaupt gibt und die Ethik der Christen ausschließlich unter säkular-ethischen Gesichtspunkten zu beschreiben 7 4 . N u r die Suche nach dem einfach und eindeutig beschreibbaren Proprium führt nicht zum 7 2 Beispiele für die Positionalität theologischer Ethiken, die das Proprium christlicher Ethik normativ festlegen, finden sich in der Theologiegeschichte häufig, gerade auch in der Kontroverstheologie, in der es als legitim und erforderlich galt, die eigene Position zu profilieren. Zu dem Begriff des positioneilen Dogmatismus vgl. Dietrich Roessler, Positionelle und kritische Theologie, Zeitschrift für Theologie und Kirche 6 7 , 1 9 7 0 , 2 1 5 - 2 3 0 . 7 3 Erwägenswert ist, ob man nicht die Rede von dem Proprium zugunsten einer Bezeichnung aufgeben soll, die der zu berücksichtigenden Vielfalt Raum gibt. In Abschnitt 6.4. wird vorgeschlagen, in der story und den stories der Christen das Spezifische christlicher Ethik zu sehen, und es werden die Gründe dafür erörtert, daß eine derartige Beschreibung der Ethik von Christen angemessen ist. 7 4 In der Tendenz steht diese Absicht hinter den Ausführungen von G. J . Hughes. Ausdrücklich wird sie von Günther Kehrer, Wie christlich ist die christliche Ethik? O d e r : Auf der Suche nach dem Proprium, Zeitschrift für Evangelische Ethik 16, 1974, 1 - 1 4 , vertreten.
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Erfolg. Auf dieser Suche zeigt sich, daß es dieses Proprium nicht als einheitliche Größe gibt. Aber es gibt charakteristische Elemente des ethischen Diskurses der Christen. Ihre Vielfalt zu beschreiben ist Aufgabe des nächsten Abschnitts. Es wird sich zeigen, daß diese Elemente, so unterschiedlich sie auch sind, nicht zusammenhanglos nebeneinanderstehen. Sie fügen sich zu einem mehr oder minder stark zusammenhängenden Gebilde. In Abschnitt 6.4. wird aufzuzeigen sein, worin dieser Zusammenhang besteht, und eine adäquate Beschreibungsmöglichkeit wird vorgeschlagen. 6.3. Die Vielfalt der Elemente des ethischen Diskurses von Christen Die Aufgabe dieses Abschnitts kann in unterschiedlicher Weise angegangen werden. Man könnte eine Anzahl von Beispielen ethischen Diskurses unter Christen auswählen und sie analysieren. Dieser Ansatz wäre sogar sehr reizvoll und vielversprechend. Er gäbe nämlich der Darstellung den Charakter einer empirischen Untersuchung 7 5 . Ihn mit hinreichender Gründlichkeit zu verfolgen würde jedoch heißen, ein eigenes Buch darüber zu schreiben. Die Abzweckung und der Rahmen dieser Arbeit lassen keinen Raum für ein so umfangreiches Unternehmen. Es ist zu hoffen, daß durch den Verzicht auf die Analyse nur das Verfahren abgekürzt wird. Die Gefahr besteht freilich, daß es zu inhaltlichen Verkürzungen kommt, weil einige Aspekte ganz außer acht bleiben, die einen festen Platz im ethischen Diskurs von Christen haben. Mit dieser Möglichkeit ist zu rechnen. Im Rahmen einer einzigen Arbeit kann man nicht beides tun : in möglichst großer Breite grundsätzliche Erörterungen zur Metaethik einer christlichen Ethik darbieten und eine wohlfundierte Analyse des ethischen Redens von Christen geben. Sich für den ersten Weg zu entscheiden heißt nicht, die Fruchtbarkeit und Notwendigkeit des zweiten zu mißachten. Es bedeutet lediglich eine arbeitstechnische Beschränkung. Die genaue Analyse könnte zusätzliche Ergebnisse bringen beziehungsweise zu Korrekturen an den folgenden Ausführungen zwingen. Darüber sollte man sich im klaren sein. Eine zweite methodische Vorbemerkung ist angebracht. Sie betrifft den Umgang der nun eingeschränkten Aufgabenstellung. Vollständigkeit ist auch hier ein Postulat, dessen Erfüllung nicht garantiert werden kann. Zwar soll versucht werden, charakteristische Elemente christlicher Ethik zu beschreiben oder zumindest anzusprechen. Aber es wird nur eine Auswahl der wichtigsten Elemente sein können. Denn um Vollständigkeit zu erreichen, müßte man in der Tat die umfassende Analyse durchführen, von der eben die Rede war, und ihre Ergebnisse systematisieren. Freilich bleibt zu hoffen, daß 7S
Die Frage der Materialauswahl (Denkschriften, Predigten, Unterrichtsstunden, seelsorgerliche Gespräche, Akademiediskussionen o. ä.) wäre nicht einfach zu beantworten, vgl. schon oben Abschnitt 3.7.
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die Auswahl der Elemente, die im folgenden getroffen wird, nicht völlig arbiträr ist, sondern sich dadurch als gerechtfertigt erweist, daß tatsächlaich die bedeutendsten Aspekte berücksichtigt sind. Nur wenn diese methodischen Beschränkungen bewußt sind, kann der folgenden Darstellung der ihr angemessene Stellenwert zugewiesen werden. Die Auflistung der Elemente im ethischen Diskurs der Christen orientiert sich an der Unterscheidung zweier Argumentationsstränge: (Í) Elemente moralischen Urteilens und Argumentierens und (2) Elemente ethischer Argumentation, die sich aus der spezifisch christlichen Weltsicht herleiten. 1. Elemente moralischen Argumentier ens. Zunächst ist die in Abschnitt 6.2. gewonnene Einsicht aufzunehmen, daß Christen die Methoden moralischen Urteilens und Argumentierens anwenden, die auch andere Menschen kennen und verwenden. Dieser Bereich allein macht schon eine Vielfalt differenziert zu beschreibender Elemente der Ethik aus. Je nach dem Standort, den ein Christ in der Landschaft ethischer Theorien nimmt, wird er den Prozeß ethischer Urteilsfindung in einer spezifischen Weise vollziehen 76 . Steht hinter seiner Ethik eine deontologische Theorie, dann gibt es für ihn bestimmte Pflichten, die er hat und denen er sich nicht entziehen kann. Wie diese Pflichten erkannt werden, ist eine Frage, die hier nicht erörtert zu werden braucht 77 . Er wird einfach wissen, was er in einer Situation oder grundsätzlich in allen ähnlichen Situationen zu tun hat. Danach wird er sich richten. Vertritt er eine teleologische Ansicht der Moral, dann sieht er auf den erwünschten Endzustand und kalkuliert sein Urteil oder Verhalten danach, ob es diesen Zustand herbeiführen wird oder nicht. Diese Konzeption setzt Klarheit über das gewünschte Ziel voraus. Erst wenn man dieses Ziel formuliert hat oder eine wenn auch ungenaue Vorstellung von ihm hat, kann man die nächsten Schritte oder die allgemeinen Verhaltensmaßregeln dazu in Bezug setzen und von den Zielen her entscheiden, wie sie auszusehen haben. Die Unterscheidung beider Gruppen wird von einer zweiten Unterscheidung überlagert. Jede dieser Orientierungen kann in der einzelnen Situation ansetzen und von der Besonderheit jeder Situation ausgehen, oder sie kann voraussetzen, daß es Regeln gibt, die für Situationen gleicher oder ähnlicher Struktur gelten. Es stehen dann die vier idealtypischen Theorien nebeneinander, von denen in Abschnitt 6.1. die Rede war: Handlungs-(Situations-) teleologie und Regelteleologie, Handlungs-(Situations-)deontologie und Regeldeontologie. Da es sich bei diesen vier Theorien um Idealtypen handelt, werden sie kaum in reiner Form anzutreffen sein. Dieser Gedanke ist beruhigend, denn oben wurde argumentiert, daß jede dieser Theorien eine richtige Einsicht in die Erfahrung der Moral und die Funktionsweise des 76 77
Vgl. zum Folgenden die Bemerkungen in Abschnitt 6.1. Vgl. oben Abschnitt 6.1.
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moralischen Argumentierens absolut setzt. Die moralischen Aspekte des Lebens sind selbst umfassender und vielfältiger als die einseitigen Theorien, die entwickelt werden, um diese Phänomene zu beschreiben. Es ist zu erwarten, daß diese unterschiedlichen Weisen, die Moral zu verstehen und moralische Urteile zu rechtfertigen, sich auch unter Christen finden. Diese Erwartung bestätigt sich. Belege für diese Behauptung sollen nun nicht der Systematik der vier Typen von Theorien folgend aufgeführt werden. Aber es sollen einige Beobachtungen genannt werden, die sich jeweils dem einen oder anderen Pol der beiden Unterscheidungen, die dieser Typologie zugrunde liegen, zuordnen lassen. Auf fünf solcher Elemente moralischen Räsonierens will ich hier hinweisen: (a) auf die Argumentation von Prinzipien oder Regeln her, (b) auf die Argumentation von einem „Standpunkt der Moral" her, (c) auf die Rolle von Sprichwörtern und Redensarten im moralischen Diskurs, (d) auf das Abwägen der Konsequenzen einer Verhaltensweise, (e) auf die Berücksichtigung der konkreten Situation, in der eine Handlung gefordert ist. (a) Moralische Überlegungen von Christen stellen gelegentlich, wenn nicht häufig Prozesse dar, in denen bestimmte formulierte Regeln oder Prinzipien auf vorgefundene Situationen angewandt werden. Klassische Fälle sind etwa die Regeln „Du sollst nicht lügen", „Du sollst nicht stehlen". In allgemeingültiger Form werden Normen formuliert, die auf mögliche praktische Fälle angewandt werden können. Allerdings liegen im Prozeß der Anwendung alle Schwierigkeiten dieses Ansatzes beschlossen. Denn im Streitfall wird nicht die Gültigkeit der allgemein formulierten Regel bestritten, sondern die Berechtigung der Anwendung auf den konkreten Fall. Die genannten Beispiele sind nicht typisch darin, daß sie an den Dekalog anknüpfen. Viele solcher Regeln werden in Verbindung mit Bibelstellen stehen und als Gottes Gebot gelten 78 . Doch es gibt sicher eine Reihe von Regeln, die unter Christen angewandt werden, ohne daß sie der Bibel entstammen. (b) Aufgabe der Metaethik ist es, eine Theorie zu entwerfen, die beschreibt, wie der ethische Diskurs funktioniert und wie die gültige Rechtfertigung ethischer Urteile und Entscheidungen aussieht. Ist eine solche Theorie einheitlich und streng, dann besitzt sie zugleich normative Geltung. Sie will normieren, was als Rechtfertigung gilt und gelten kann. Zahlreiche Metaethiker fanden eine solche Theorie darin, daß sie einen „Standpunkt der Moral" (K. Baier) definierten 79 . Diesen „Standpunkt" hat derjenige eingenommen, der unvoreingenommen, wohlinformiert, die Notwendigkeit, zu universalen Aussagen zu gelangen, vor Augen und zur Berücksichtigung der Interessen anderer bereit mit gesundem Menschenverstand die Situation betrachtet 80 . Wer diesen Standpunkt einnimmt, kommt zu „richtigen" mo78 79 80
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Zu dieser Vorstellung s. die Ausführungen unten. Vgl. zB. K. Baier, Der Standpunkt der Moral, auch oben Abschnitt 2.4. Vgl. auch R. B. Brandt „Qualified Attitude Method", oben Abschnitt 2.5.
raiischen Urteilen. Derartiges Denken hat seinen Platz auch in der Moral von Christen. Es ist nicht notwendig, die komplette Theorie in die christliche Ethik zu integrieren, zumal die Theorie selbst beansprucht, die einzig gültige Weise moralischen Denkens zu beschreiben, und daneben keine anderen Überlegungen als moralisch anerkennt. Aber ihre Aspekte sind auch in christlicher Ethik bedeutsam: unvoreingenommene Betrachtung der Situation, umfassende Kenntnis der Zusammenhänge, Bereitschaft zu universalen Urteilen. (c) Neben den allgemeinen Regeln und Prinzipien, die auf einen konkreten Fall jeweils anzuwenden sind, und neben einer formalen Prozedur zur Entscheidungs- und Urteilsfindung spielt in der Ethik von Christen der Bereich der Idealvorstellungen und Visionen eine Rolle, von dem in Abschnitt 5.5. die Rede war. Er zeichnet sich gegenüber einer Ethik der Regeln durch seine größere Offenheit und Variabilität aus. Im einzelnen wird darüber unten zu sprechen sein, wenn es um die unterschiedlichen Inhalte der Visionen und Ideale geht. An dieser Stelle soll auf eine Form der Ethik aufmerksam gemacht werden, die durch ihre sprachliche Form an die Ethik der Regeln, durch ihre Offenheit jedoch an die der Ideale erinnert. Sie spielte kaum jemals in der Moralphilosophie, aber in der bisherigen Geschichte menschlicher Moral eine maßgebliche Rolle. Gemeint ist die Normierung ethischen Verhaltens durch Redensarten und Sprichwörter. Dazu gehören sowohl allgemeine Formulierungen wie etwa die negative Fassung der Goldenen Regel „Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinem andern z u " 8 1 oder „Tue recht und scheue niemand" als auch speziellere Aussagen moralischen Inhalts: „Der Hehler ist so gut wie der Stehler", „Lügen haben kurze Beine", „Unrecht Gut gedeihet nicht", „Ehrlich währt am längsten" 8 2 . Wie und auf welche Situationen diese Redeweisen anzuwenden sind, ist allerdings eine Frage, die von deren Allgemeingültigkeit unabhängig ist. Verbreitete Vorstellungen wie die der Notlüge setzen die Regel, die das Sprichwort formuliert, wieder außer Kraft. Dieses Problem haben Sprichwörter mit anderen Formen ethischer Normierung gemeinsam 8 3 . (d) Eine ganz andere Art moralischen Überlegens tritt neben die bereits genannten. Der Christ setzt sein Verhalten in Beziehung zu dem Ziel, das er damit erreichen will und beurteilt es von daher. Diese Überlegungen sind
8 1 Vgl. die positive Formulierung Mt 7,12. An diesem Beispiel kann die Verknüpfung dieser „Sorte" von Ethik mit anderen „Sorten" gezeigt werden. Es genügt den Bedingungen einer Regelethik und läßt sich vom Standpunkt der Moral aus rechtfertigen. (Deutlich ist die Verwandtschaft mit Kants kategorischem Imperativ.) 8 2 Aus der hebräischen Weisheitsliteratur wurde eine ganze Anzahl von Sprichwörtern in das Alte Testament aufgenommen (vgl. etwa Spr 10,1-22,16). 8 3 Hinweise auf die Funktion des Sprichworts für die Ethik habe ich nur an wenigen Stellen in der Literatur gefunden, zB. R. Bambrough, Reason, Truth and God, 117; F. Furger, Möglichkeit und Grenzen ethischer Rede, 119, 127; Dietmar Mieth, Narrative Ethik, Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 2 2 , 1 9 7 5 , 2 9 7 - 3 2 6 .
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teleologischer Natur. Entsprechend dem Konzept des Ziels, das angestrebt wird, sind sie entweder egoistisch (diese Möglichkeit zu vertreten ist Christen durch genau entgegengesetzte, kaum umzudeutende Aussagen der Bibel sehr schwer gemacht) oder utilitaristisch. Im zweiten Fall wird das Ziel im Glück, Wohlbefinden etc. aller Menschen oder der größtmöglichen Menge von Menschen gesehen. Die einzelnen Handlungen werden daran gemessen, wie gut sie geeignet sind, diesem Ziel näherzuführen. Sie sind dem übergeordneten Ziel instrumental zugeordnet. Beschränkt man den Blick auf die einzelne Handlung und läßt man ihre Richtung auf ein Ziel zunächst außer acht, dann sind die möglichen Folgen der Handlung der Maßstab, sie zu beurteilen. U m diesen Maßstab anzuwenden, muß man die Konsequenzen alternativer Handlungsmöglichkeiten probeweise zu kalkulieren versuchen und abwägen, welche Alternative bessere Folgen nach sich zieht als die andere. Bei diesem letzten Schritt kann man von dem intendierten Ziel allerdings nicht mehr absehen. Denn hier benötigt man eine N o r m , mit deren Hilfe man zwischen den alternativen Handlungsgängen entscheidet. Alle diese Vorstellungen und Denkweisen findet man auch unter Christen. Wenn sie offizielle Stellungnahmen abgeben, gilt gerade die an den Folgen einer Handlung orientierte Argumentation als vorzügliche und überzeugendste Argumentationsweise. Andere Überlegungen 8 4 stehen ihr zur Seite. Aber gerade diese Art der Argumentation wird als die eigentlich moralische an zentraler Stelle verwendet 8 5 . So deutlich der Einfluß anderer Elemente auf die Verhaltensleitung des einzelnen Christen sein kann, ist es doch in der Regel so, daß gerade bei den jüngeren, beweglicheren und sogenannten kritischen unter ihnen sich an der Abwägung der Folgen ihres Handelns entscheidet, welches Verhalten sie wählen. Nicht allein als „Auftrag Gottes" erfahrene Gebote, sondern die Kalkulation der Folgen veranlaßt jemand wesentlich, sich finanziell an einem Hilfsprogramm für Notleidende zu beteiligen oder sich in einer Arbeitsgruppe für die Resozialisation von Strafgefangenen zu engagieren. Die Beispiele könnten vermehrt werden. Was gemeint ist, scheint deutlich zu sein. (e) Eine solche Kalkulation der Konsequenzen einer Handlung setzt eine genaue Kenntnis der Situation voraus, in die die Handlung eingreift. Das gleiche Verhalten kann in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Folgen haben. Versöhnlichkeit und Kompromißbereitschaft sind sicher Tugenden, die Christen gut anstehen. Doch sie sind nicht in jeder Situation angebracht. Zuweilen ist eine deutliche, klare und unmißverständliche ParBesonders die unten besprochenen „theologischen" Erwägungen spielen hier eine Rolle. Diese These könnte man durch die Analyse zahlreicher Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland erhärten. Sie spricht etwa auch aus den Thesen zur Diskussion um den § 2 1 8 der Tübinger Theologen E. Jüngel, E. Käsemann, J . Moltmann und D . Roessler, Abtreibung oder Annahme des Kindes, Evangelische Kommentare 4 , 1 9 7 1 , 4 5 2 - 4 5 4 . 84 85
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teinahme erfordert 86 . Diesen situationsbedingten Charakter aller, auch der christlichen Ethik betont zu haben ist das Verdienst der Situationsethik87. Man kann nicht annehmen, das Problem der Moral sei gelöst, wenn man moralische Regeln, Prinzipien oder Normen formuliert hat. Dann beginnt vielmehr erst die Schwierigkeit, diese Normen auf die konkrete Situation anzuwenden88. Dazu ist eine genaue Kenntnis der Situation nötig. Diese Kenntnis steuert ihrerseits die Auswahl der Normen, die auf die Situation anzuwenden sind. Die Bedingungen und Erfordernisse einer Situation zu erkennen ist ein Vorgang, der für die Entscheidung über das Verhalten oder Urteil von entscheidender Bedeutung ist. 2. E l e m e n t e d e r c h r i s t l i c h e n W e l t s i c h t . An derartigen moralischen Überlegungen partizipiert die christliche Ethik. Aber sie machen nicht das Spezifische christlicher Ethik aus. Dies liegt vielmehr in anderen Elementen. Im allgemeinsten Sinn kann man sagen, es liege in der Perspektive, in der Christen die Wirklichkeit sehen, in ihrer spezifischen Weitsicht. Diese Auskunft stellt jedoch den nicht zufrieden, der die christliche Ethik möglichst präzis erfassen will. Er fragt weiter nach den Grundwerten dieser Perspektive, nach der grundlegenden Orientierung, die sie anbietet, nach den normativen Elementen in ihr. Diese Fragen können so verstanden werden, als richteten sie sich auf die formale Struktur, die eine christliche Ethik auszeichnet. Sie sind dann mit erkenntnislogischen Überlegungen zu beantworten. Die christliche Ethik steht im Zusammenhang christlichen Weltverständnisses. Dieses hat seinen Ursprung darin, daß Christen Gott in der Geschichte Israels und der Kirche wahrnehmen. Wie das Weltverständnis der Christen in entscheidender Weise von dieser Wahrnehmung geprägt und auf sie bezogen ist, so ist auch die Moral der Christen in diese Struktur eingebettet. Sie stellt die Antwort des Menschen auf diese Begegnung mit Gott dar, die er mit seinem Verhalten, mit der Lebensweise gibt, die er verwirklicht89. 8 6 Wann und wo dies der Fall ist, wäre in einer jeweiligen Situation - in einer normativen Stellungnahme - jeweils gesondert zu erörtern. 8 7 Vgl. dazu die Bemerkungen oben Abschnitt 6.1. 8 8 Stanley Hauerwas spricht im Zusammenhang der Situationsethik davon, daß sie das Verdienst habe, auf die Schwierigkeiten bei dem Prozeß hinzuweisen, allgemeine moralische Begriffe (moral notions; der Begriff ist von Julius Kovesi, Moral Notions, L o n d o n / N e w York 1967, übernommen) auf die Besonderheiten jeder Situation zu beziehen und den Anwendungsbereich solcher Begriffe einzuschränken. Vgl. S. Hauerwas, Situation Ethics, Moral Notions, and Moral Theology, Irish Theological Quarterly 38, 1971, 242-257, bes. 242, 252 f, wieder abgedr. in S. Hauerwas, Vision and Virtue, 11-29. 8 9 Das theologische Konzept der Offenbarung Gottes will diesen Gedanken ebenfalls ausdrücken. Hier sollen Schwierigkeiten vermieden werden, zu denen dieses Konzept führen kann. Daher ist eher deskriptiv von der menschlichen Seite dieses Vorgangs gesprochen, davon, wie Christen ihre Welt und G o t t in dieser Welt wahrnehmen. Die Redeweise von der Offenbarung Gottes verwenden im Zusammenhang der christlichen Ethik zB. H . Oppenheimer, The Cha-
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Man kann die Ethik der Christen in diesem Beziehungsgefüge verstehen. Das unterscheidend Christliche ist dann die Einstellung und die grundlegende Orientierung, die sich ergibt, wenn ein Mensch sich als jemand versteht, der seine Geschichte so erlebt, daß er zu ihrer vollständigen Beschreibung von Gott sprechen muß, wie er ihn in den Erfahrungen Israels und der Kirche findet. Diese Einstellung und Orientierung ist sehr umfassend. Sie entspringt der besonderen Beziehung, in der Christen sich Gott gegenüber sehen. Sie läßt sich für die Ethik nicht unmittelbar verrechnen. Auf ethische Bezüge ausgerichtet, dürfte sie sich am ehesten mit Begriffen wie Vertrauen, Hoffnung, Dankbarkeit, Optimismus, Freude umschreiben lassen. Solche vagen Vorstellungen und Einstellungen spielen für die Moral sicher eine bedeutende Rolle. Ein von Optimismus getragener Mensch hat andere und mehr Möglichkeiten zu handeln als ein Pessimist. Doch das Spezifische christlicher Ethik erschöpft sich nicht in dermaßen vagen Annahmen. Man gelangt zu präziseren Auskünften, wenn man die zuvor gestellten Fragen nach den Grundwerten der christlichen Weltperspektive in ihrer materialen Dimension erfaßt. Dann ist nämlich inhaltlich nach den einzelnen Elementen dieser Perspektive gefragt, danach, welche Uberzeugungen und Vorstellungen die Ethik von Christen bestimmen und normieren und wie sie dies tun. Ich will im folgenden eine Reihe solcher Elemente aufzählen und in gebotener Kürze besprechen 90 . a) Theologie. Christen rechnen mit der Bedeutsamkeit christlicher Theologie, und das heißt zunächst: mit der Bedeutsamkeit der speziellen Theologie, der Gotteslehre und damit Gottes für das Verständnis der Welt, alles Lebens und daher auch der Moral. Gott wird als gut, als absolut gut erfahren und als derjenige, der die Menschen auffordert, ihm in diesem Gutsein zu entsprechen. (Daß diese Vorstellung des Gutseins Gottes nicht in unzulässiger Weise die Autonomie der Moral in Frage stellt, wurde oben 91 erörtert.) Für den Christen ist das, was Gott will, mit dem identisch, was gut ist. Der Erkenntnisvorgang, in dem das Gute erkannt wird, verläuft zweispurig: Man erkennt einerseits mit den Mitteln moralischer Vernunft, was gut ist, und man erfährt andererseits Gott und seinen Willen und gelangt von hier aus zu weiteren Einsichten in das moralisch Gebotene. Dieser Prozeß vollzieht sich in fortwährender Wechselbewegung92. Von Gott zu sprechen ist dabei einracter of Christian Morality, 52, 54 f; The Advisory Council for the Church's Ministry, Teaching Christian Ethics, 13f. 9 0 Auch hier kann nicht Vollständigkeit das Ziel sein, sondern lediglich das Bemühen, wesentliche Elemente zu nennen und keines der bedeutendsten auszulassen. Sie sind zu unterschiedlich in ihrem Charakter, als daß ein einheitliches Bild entstehen würde. 91
Abschnitte 4.2. bis 4 . 4 . ; vgl. H . Oppenheimer, The Character of Christian Morality, 3 4 -
36. 9 2 L. Κ. Nelson (The Independence of Moral from Religious Discourse in the Believer's Use of Language, 193) spricht wie James M. Gustafson (The Place of Scripture in Christian Ethics. A Methodological Study, Interpretation 24, 1970, 4 3 0 - 4 5 5 , wieder abgedr. i n j . M. Gustafson,
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mal Ausdruck des unbedingt verpflichtenden Charakters der moralischen Forderungen. Diese Forderungen auf Gott zu beziehen verleiht ihnen höchste Autorität. Die moralischen Forderungen haben in dieser Sichtweise denselben Ursprung wie alles Leben: sie gründen in Gott 9 3 . Von Gott in Zusammenhang der Moral zu sprechen verändert zum andern die Struktur der Moral, denn es nötigt dazu, Offenbarung einzubeziehen. Dabei kann durchaus strittig bleiben, ob Offenbarung als Quelle neuer, anderer Erkenntnis, als Quelle von Kriterien zur Korrektur überkommener Moralvorstellungen oder als Quelle zusätzlicher Motivation verstanden wird. Die Moral ist dann so verstanden, daß sie eingebettet ist in die Struktur einer Offenbarung, die der Mensch zur Kenntnis nimmt, und der Antwort, die er darauf gibt 9 4 . Christlicher Glaube erfährt Gott als den liebenden Vater, der mit seiner Schöpfung, der Welt und dem Menschen, eine gute Absicht hat. Diese gute Absicht, die Erfahrung der Liebe des Vaters, ist es, die dem Gläubigen zentraler Inhalt seines Glaubens ist. Die anderen Theologoumena sind diesem einen untergeordnet 9 5 . Gott als Vater zu kennen schafft die Bereitschaft, seinerseits eine positive Einstellung gegenüber der Welt als ganzer und dem Mitmenschen als dem Bruder einzunehmen, eine Einstellung, die als moralische Einstellung dem Egoismus entgegengesetzt ist. Denn wenn Gott als liebender Vater erfahren wird und qua seines Gottseins als gut, dann haben Gutsein und Liebe eine Gleichsetzung erfahren, und liebendes Verhalten gilt als auch moralisch gut. Dieses Gutsein mit dem Wesen, dem Charakter Gottes ineinszusetzen macht es zum höchsten Ziel menschlichen Strebens, zum höchsten Ziel auch menschlicher Moral. Gott als guten liebenden Vater zu erfahren fordert den Gläubigen auf, sein Beispiel nachzuahmen und selber Gutsein und Liebe zu verwirklichen, um seinen eigenen Charakter dem „Charakter" Gottes ähnlich zu gestalten. Das Thema der imitatio Dei ist zwar nicht das ausschließliche, vielleicht T h e o l o g y and Christian Ethics, 1 2 1 - 1 4 5 , 1 4 1 ) v o n einer D i a l e k t i k im E r k e n n t n i s p r o z e ß christlicher E t h i k . D i e beiden dabei beteiligten E r k e n n t n i s q u e l l e n sind die Bibel u n d das a u t o n o m e m o r a l i s c h e Urteil des C h r i s t e n . 9 3 N . H . G . R o b i n s o n (The G r o u n d w o r k of Christian E t h i c s , K a p . 4) betont die m o r a l i s c h e R e l e v a n z der V o r s t e l l u n g G o t t e s als des S c h ö p f e r s . 9 4 H i e r hat die F r a g e der A u t o r i t ä t ihren U r s p r u n g . K . W a r d sieht gerade im autoritativen B e z u g G o t t e s z u m G l ä u b i g e n die G a r a n t i e f ü r die B e w a h r u n g des autoritativen C h a r a k t e r s der M o r a l . D a h e r hält er die religiöse M o r a l f ü r die einzig a d ä q u a t e V o r s t e l l u n g der M o r a l (vgl. Ethics and C h r i s t i a n i t y , K a p . X ) . In ähnlicher Weise schließt auch N . H . G . R o b i n s o n ( T h e G r o u n d w o r k of C h r i s t i a n E t h i c s , K a p . 4) v o n der O b j e k t i v i t ä t moralischer F o r d e r u n g e n z u r v o r a u s g e s e t z t e n E x i s t e n z G o t t e s als Einheit dieser F o r d e r u n g e n . 9 5 E n t s p r e c h e n d e s k ö n n t e m a n v o m jüdischen G l a u b e n sagen, wenn er dann auch aus der Sicht des C h r i s t e n einseitig gezeichnet sein m a g . D o c h wäre darin die T a t s a c h e zu b e w a h r e n versucht, daß J e s u s den alttestamentlichen G o t t als liebenden Vater gezeigt hat. D a r i n sehe ich den entscheidenden G r u n d , eher die K o n t i n u i t ä t z w i s c h e n d e m G o t t des Alten und des N e u e n T e s t a m e n t s zu sehen, als die D i s k o n t i n u i t ä t v o n G e s e t z u n d E v a n g e l i u m zu betonen u n d das Alte Testament dem Gesetz zuzuordnen.
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auch nicht das beherrschende Thema christlicher (und jüdischer) Ethik, aber es spielt dort doch eine bedeutende Rolle. Im Alten Testament gilt Gott als Vorbild menschlichen Verhaltens: seine Gerechtigkeit, seine Treue, seine Güte, seine Rechtschaffenheit, seine Heiligkeit 9 6 . Im Neuen Testament wird der Gläubige aufgefordert, vollkommen zu sein, wie Gott vollkommen ist 9 7 . Häufig tritt das Thema der imitatio Dei im Neuen Testament in der vermittelten Form der imitatio Christi oder in Form einer Nachfolge der Apostel auf 9 8 . Nun wird man imitatio Dei nicht notwendig so verstehen müssen, als sei damit vom Gläubigen gefordert, einzelne „Charakterzüge" Gottes zu erkennen, die er dann nachzuvollziehen und im Nachvollzug sich anzueignen habe. Hier wie bei den weiteren Elementen christlicher Ethik, die aufzuzählen sind, muß berücksichtigt werden, daß der Bezug religiöser Vorstellungen auf die Moral kein einlinig zu beschreibendes Phänomen ist, sondern eine Vielfalt unterschiedlicher Abstufungen und differenzierter Beziehungen darstellt. Man muß mit dieser Vielfalt rechnen. Daher ist der Weg zu der herkömmlichen Verfahrensweise versperrt, mit der Theologen dem Problem unterschiedlicher Interpretationen zu Leib rücken wollen. Man kann nicht aus Gründen des eigenen theologischen Systems - häufig dadurch gestützt, daß man das eigene System als einzig legitime Interpretation für T e x t e 9 9 zu erweisen versucht - die Berechtigung eines anderen Verständnisses oder eines anderen Ansatzes einer spezifisch christlichen Ethik bestreiten 1 0 0 . Man wird vielmehr davon ausgehen, daß es unterschiedliche Elemente gibt, die zur Konstituierung und Begründung der Ethik von Christen herangezogen werden, und daß dieses Vorgehen legitim ist 1 0 1 . Daher ist es wohl möglich, imitatio Dei als Nachahmung von Charakterzügen Gottes zu verstehen - wie immer man sich den Prozeß der Erkenntnis solcher Charakterzüge vorzustellen hat. Man kann aber auch dann von imitatio Dei sprechen, wenn jemand, ohne ausdrücklich nach einem Charakter Gottes zu spüren, Vorstellungen der Liebe, Güte, Geduld etc. Gottes auf sein eigenes Handeln überträgt. Diese Vorstellungen gewinnt er in einem mehr oder minder bewußt ablaufenden Prozeß der Reflexion und Meditation
9 6 Vgl. das Thema der Gerechtigkeit in den Psalmen ( 1 , 5 f ; 11,7; 3 2 , 1 1 ; 3 3 , 1 ; 68,4 und 11,7; 3 3 , 5 ; 4 5 , 8 ; 1 1 6 , 5 ; 1 4 5 , 1 7 ; 111,3), zur Treue vgl. etwa Dtn 7,9; 32,4 mit Spr 2 8 , 2 0 u. ä. 9 7 M t 5,48.
S. unten zur Christologie. Nicht selten geschieht dies so, daß man eine Tendenz der jeweils ausgewählten Schriftbelege nachweist. 1 0 0 Ein Beispiel solchen Vorgehens im Zusammenhang der Frage der imitatio Dei bietet B. Lindars, Imitation of G o d and Imitation of Christ, bes. 1 0 1 - 1 0 8 . Dagegen betont D . Cupitt (God and Morality, bes. 92 f) die Bedeutung der imitatio-Vorstellung für die christliche Ethik. 1 0 1 Die Frage nach der N o r m innerhalb der Überlegungen von Christen, die dann als eine Folge dessen auftritt, daß auf ein Interpretationsprinzip der biblischen Schriften verzichtet wird, bleibt damit notwendig unbeantwortet. 98
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der Tradition, der Geschichten (stories), in denen von diesem Gott die Rede ist. Ihrer Bedeutsamkeit wegen soll eine zweite Weise, Gott und die Moral in Verbindung zu bringen, hier noch erwähnt werden: die Vorstellung, zur moralischen Pflicht werde etwas, weil es Gottes Wille oder Gottes Gebot sei. Die Bedeutung dieser Vorstellung für die Grundlagen der Moralphilosophie wurde bereits in anderem Zusammenhang besprochen 102 . Hier geht es nicht darum, ihre Prävalenz gegenüber einer nichtreligiösen Moral zu behaupten oder zu bestreiten. Unabhängig von der Frage der Prävalenz ist nur festzuhalten, daß von Christen die moralische Pflicht als Wille oder Gebot Gottes erfahren werden kann. Was unbedingt getan werden muß, hat mit dem zu tun, der als unbedingt verpflichtende Macht erfahren wird. Diese Verbindung von Moral und Gebot Gottes findet sich in der jüdisch-christlichen Tradition bereits in den Texten der Bibel, in denen einzelne Verhaltensweisen als von Gott geboten gekennzeichnet werden. Diese breite Textbasis führt dazu, daß christliche Ethik im landläufigen Sprachgebrauch mit einem Kodex von Geboten Gottes, gewöhnlich dem Dekalog, gleichgesetzt wird. b) Cbristologie. Von der imitatio Christi als einer vermittelten Form der Nachahmung Gottes war schon die Rede. Damit kam die Bedeutsamkeit der Christologie für das ethische Verhalten von Christen in den Blick. Spätestens hier unterschieden sich jüdisches und christliches ethisches Denken. Christen erkennen in Jesus den vollkommenen Menschen, den Menschen, wie er in Gottes Schöpfungsakt gemeint war 103 . Er ist derjenige, der in adäquater Weise Gottes Forderung entspricht und daher Gottes Zusage bevollmächtigt weitergeben kann. Daher ist das Leben Jesu die exemplarische Verwirklichung des antwortenden Verhaltens des Menschen. An ihm (genauer: an den Berichten über ihn) können Menschen aller Zeiten ablesen, wie das vollkommen gottgefällige, auch das vollkommene moralische Leben und Verhalten aussieht104. Christen erkennen in Jesus außerdem Gott selbst: Für sie ist Jesus also nicht nur ein beliebiges Beispiel guten moralischen Lebens, sondern er besitzt die Fähigkeit, das zu erkennen, was gut ist, und er erfüllt die FordeVgl. oben Abschnitt 4.2. Vgl. Jesus als den neuen Adam (Rom 5 , 1 2 - 2 1 ) bei Paulus und beispielsweise die sich an Paulus anschließenden Aussagen i n j . Feiner und L. Vischer, Neues Glaubensbuch, Freiburg/ B a s e l / W i e n / Z ü r i c h 1 9 7 3 , 2 2 7 - 2 3 1 . Auf die Fülle entsprechender Aussagen aus der Theologiegeschichte von der alten Kirche bis zur Gegenwart kann hier nur pauschal hingewiesen werden. 1 0 4 Den Begriff der exemplarischen Verwirklichung habe ich dem sachlich ausgezeichneten Abschnitt über „The Christian Exemplar" in K. Wards Ethics and Christianity (Kap. VI, 9 1 101, bes. 9 3 - 9 8 ) entlehnt. Ward hebt zu Recht hervor, daß die exemplarische Verkörperung unterschiedlicher Werte im Leben eines Menschen den Vorzug hat, die Interrelation unterschiedlicher Werte und Ideale zu veranschaulichen und ihre Integration zu einer einheitlichen oder wenigstens kohärenten Größe zu demonstrieren (vgl. auch D . Evans, Does Religious Faith Conflict with Moral Freedom?, 385f). 102
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rungen, die er proklamiert, vollständig 1 0 5 . Er ist für den Christen nicht nur ein beliebiges Muster ethisch richtigen Verhaltens, wie es ebensogut andere geben könnte, er ist das letztlich verbindliche Abbild des von Gott gewollten Lebens und besitzt als solcher höchst moralische Autorität 1 0 6 . Hier, wenn irgendwo, wird die Abhängigkeit christlicher Ethik von der christlichen Weltsicht deutlich. D a beide Größen nicht in sich einheitlich sind, ist es auch hier schwer möglich, zu eindeutigen Festlegungen zu gelangen, die alle Ethik von Christen umfassen könnten. Der Streit um die Christologie von den alten Konzilien bis zur „Theologie nach dem Tod Gottes" dieser (oder jüngst vergangener) Tage geht gerade um unterschiedliche Stellungnahmen zu diesem Problem. D a der Streit noch nie ein Ende derart gefunden hat, daß christologische Rede, Aussagen über die Gottheit und Autorität Jesu von Nazareth nicht länger möglich wären, ist mit der Bedeutung christologischer Vorstellungen für die christliche Ethik zu rechnen. Auf dieser Grundlage kommen Inhalte des Lebens und der Lehre Jesu für die Ethik von Christen zum Tragen. Sie sind mit den Geschichten der Evangelien verbunden und aus ihnen geschöpft. Liebe, Sorge um den Menschen statt um die Einhaltung von Gesetzen, Sorge um den Nächsten, der Hilfe braucht, Friedfertigkeit, Verzeihen, Versöhnungsbereitschaft, Geduld, Gewaltlosigkeit, Leidensbereitschaft bis zur Opferbereitschaft - das sind Schlagworte, die zu benennen versuchen, was diese Geschichten, das Leben und die Lehre Jesu inhaltlich auszeichnet 1 0 7 . Das Beispiel Jesu steigert für den Gläubigen die Attraktivität und Bedeutung dieser Werte und Verhaltensweisen. Er sieht diese Werte in Jesu Leben und Lehre paradigmatisch verwirklicht, erkennt die Autorität Jesu an und versucht demnach, sich in
Vgl. K. Ward, Ethics and Christianity, 97. Die Verbindung des imitatio-Christi-Gedankens mit der letzten Autorität und Souveränität Christi unterstreicht N . H . G . Robinson (The Groundwork of Christian Ethics, Kap. 5, 100-120), und er weist darauf hin, daß diese Autorität mit Jesu Christus-Sein, mit seiner Funktion als Offenbarer und Offenbarung Gottes zusammenzubringen ist (aaO. 109). Hier hängen christliche Heilsgeschichte und christliches Leben zusammen: Der, der Gottes Liebe in der Welt repräsentiert, hat damit die Welt verändert und die tätige Nachfolge des Gläubigen ermöglicht und gefordert (aaO. 114f, vgl. 119). Auch K. Ward hebt auf den autoritativen Charakter des Beispiels Jesu ab (Ethics and Christianity, Kap. XIII). Seinem Ansatz bei der natürlichen Moral entsprechend geht er weiter: Seiner Meinung nach liegt gerade in der Tatsache, daß christliche Ethik in dieser Weise autoritativ ist, begründet, daß diese Art der Ethik der tatsächlich gelebten Moral einzig angemessen ist (vgl. aaO. 115f, 158 f). 107 Vgl. etwa J o h n Macquarrie, Ethical Standards in World Religions, X . Christianity, Expository Times 85,1974, 324-327, 324. Zur Herleitung der Gewaltlosigkeit aus der Christologie vgl. auch G o r d o n D . Kaufman, Systematic Theology. A Historicist Perspective, N e w York 1 9 6 8 , 2 1 9 f f , 4 9 3 f f . 105
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seinen konkreten Lebenssituationen dem Paradigma Jesu ähnlich zu verhalten 108 . c) Ekklesiologie. Neben im engeren Sinn theologischen und christologischen Überlegungen spielt die Ekklesiologie im Zusammenhang christlicher Ethik eine Rolle. Wenn man den Rahmen der Ekklesiologie weit genug steckt, wie es hier vorgeschlagen wird, findet man dort sogar das Feld, auf dem die Ethik der Christen eine gewisse Kohärenz und Einheitlichkeit gewinnt. Man kann von der Ethik von Christen als einer eigenständigen Größe sprechen, weil Christen Menschen sind, die in einer spezifischen Gemeinschaft stehen. In dieser Gemeinschaft erwirbt ein Christ das Uberzeugungsganze, das das Spezifikum seines Christseins konstituiert, und dort wird es ständig erweitert, bestätigt oder verändert. In dieser Gemeinschaft, in der Kirche, bietet sich eine Plattform dar, auf der Menschen, die einen gleichen oder ähnlichen geistigen Hintergrund besitzen, miteinander auch über ethische Fragen sprechen können. d) Der ethische Diskurs. Der Diskurs, den Christen in der Absicht führen, ethische Fragen zu klären, hat mehrere Themenbereich zum Inhalt 109 . (1) Er beschäftigt sich zunächst mit der Tradition, in der Christen stehen, mit der Quelle beziehungsweise den Quellen, aus denen sie ihre Uberzeugung gewinnen. Nach protestantischem Verständnis gehört hierher zuerst und vor allem die Beschäftigung mit der Bibel. Hier hat die Frage nach den Inhalten des Neuen Testaments ihren Platz. Die Frage nach Leben und Lehre Jesu taucht wieder auf. Aber es kommen auch umfassendere theologische Begründungsmuster einer Ethik in den Blick: die paulinische Ethik des „Wenn wir im Geist leben, so lasset uns auch im Geist wandeln" 110 , die strenger an Gesetzen und Geboten orientierten Handlungsanweisungen des Matthäus, die ganze Breite der Aussagen über den christlichen Glauben als Ermöglichungsgrund des Handelns der Christen, über den Zusammenhang von Evangelium und Gesetz und die Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz etc. 1 1 1 Auch Inhalte alttestamentlicher Theologie und Ethik kommen als Traditionselemente in Betracht. Das Neue Testament selbst bezieht sich ja anknüpfend auf das Alte Testament. Jesus ist nicht nur das Ende des Gesetzes, 1 0 8 Zum Begriff des Paradigma vgl. J . M. Gustafson, The Relation of the Gospels to the Moral Life, 1 5 4 - 1 5 9 ; D. Evans, Does Religious Faith Conflict with Moral Freedom?, 3 8 5 - 3 8 7 . 1 0 5 Die folgende Skizze gibt keine faktische Reihenfolge von Gesprächsgängen wieder, sondern stellt die unterschiedlichen thematischen Teile in logischer Ordnung dar.
Gal 5 , 2 5 ; vgl. R o m 6,4. Vgl. die Darstellungen neutestamentlicher Ethik, insbesondere H . - D . Wendland, Ethik des Neuen Testaments, 3 8 - 4 5 , 1 0 4 - 1 0 9 ; Georg Strecker, Strukturen einer neutestamentlichen Ethik, Zeitschrift für Theologie und Kirche 75, 1 9 7 8 , 1 1 7 - 1 4 6 . 110 111
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sondern auch dessen Erfüllung. So ist die jüdische Tradition zum Teil Bestandteil der Ethik von Christen. Der Dekalog spielt eine bedeutende Rolle in der jüdischen und der christlichen Ethik, in der moralischen Erziehung und im konkreten Entscheidungsprozeß. Die Vorstellung Gottes als eines Gesetzgebers wird in diesem Zusammenhang relevant. Die Beteiligung des Menschen an dem guten Handeln, das Gott in der Welt mit den Menschen begonnen hat, kann zum Thema werden 112 . Vom Neuen Testament aus ist es jedoch nicht nur möglich, die zurückliegende Tradition zu befragen. Von ihm geht ja auch eine Tradition christlichen Denkens aus, die für den gegenwärtig lebenden Christen zu den Quellen seiner Entscheidungsfindung werden kann. Diese Tradition einzubeziehen ist möglich. Dann gerät man allerdings in den Streit zwischen evangelischer und katholischer theologischer Anschauung von der Bedeutung der Tradition. Diesen Streit aufzurollen ist hier nicht der richtige Ort. Es sind sehr viele gewichtige Argumente darin zu beachten 113 . Da aber jede Zeit vor der Notwendigkeit steht, die ihr überkommene Tradition zu aktualisieren, kann man die Manifestationen solcher Interpretationsversuche sicher auch als Material verwenden, das helfen kann, die ursprüngliche Botschaft besser zu erfassen. Insbesondere im Zusammenhang der Ethik ist es interessant, die historischen Kondensate ethischer Überlegungen von Christen zur Kenntnis zu nehmen. Selbstverständlich wird man den Einfluß der jeweiligen Umwelt, der historischen, sozialen, politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Bedingungen auf die jeweilige Konzeption christlicher Ethik berücksichtigen müssen. Tut man dies, dann kann man in den unterschiedlichen Formen doch die gleichbleibenden, sich durchhaltenden Züge dieser Ethik und ihrer spezifisch christlichen Elemente erkennen. In dieser Hinsicht ist die Geschichte des christlichen ethischen Denkens von Interesse und in der anderen, weniger allgemeinen Hinsicht, daß heute lebende Christen aus den Überlegungen und Entscheidungen früherer Generationen von Christen Anleitung, Beispiel und Anregung finden. So haben zum Beispiel unterschiedliche Stellungnahmen zum Krieg, Entwürfe eines Gemeinwesens wie in Augustins Gottesstaat, Franz von Assisis Ideal der Armut, Luthers Stellungnahmen zum Bauernkrieg, Calvins Modell einer eng verflochtenen geistlichen und weltlichen Regentschaft und eine nahezu endlose Zahl anderer, bedeutender und weniger bedeutender ethischer Konzeptionen immer wieder Christen beschäftigt, wenn sie in ihrer Zeit ähnliche Probleme zu lösen hatten 114 . Vgl. auch J. Macquarrie, Ethical Standards in W o r l d Religions, 324 f. In Betracht kommen u. a. die Argumente, die sich mit der Bedeutung der Kanonbildung des 2. und 3. Jahrhunderts, mit der geschichtlichen Frage weitergehender theologischer Reflexion und ihrer Beurteilung, mit der Bedeutung der ersten Quellen, ihrer normierenden Funktion, mit der Abhängigkeit der ersten Quellen und späterer Traditionen vom jeweiligen Zeitgeist befassen. 1 1 4 J. Macquarries Hinweis verdient Beachtung, daß durch die historische Gebundenheit solcher Konzeptionen die christliche Ethik sich differenzierte und ihre Standards relativiert 112
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(2) Diese Überlegungen leiten über zu einem zweiten Inhalt des Diskurses, den Christen im Zusammenhang der Ethik führen. Sie fragen nach einer Sicht der Wirklichkeit, die mit ihren Glaubensüberzeugungen vereinbar ist. Dieser Vorgang hat zwei Pole: die adäquate Berücksichtigung der Traditionselemente, von deren Bedeutung ein Christ überzeugt ist, und die adäquate Erfassung der Welt, wie sie erfahren wird. Es geht darum, diese beiden Pole in einen einheitlichen Zusammenhang zu stellen, ein Verständnis, eine Weltanschauung zu entwickeln, die beides umfaßt und kohärent ist. Diese Arbeit zu leisten ist nicht Aufgabe des einzelnen Theologen, sondern sie wird in der Zusammenarbeit aller Christen, der Fachtheologen und der Laien, angegangen, sie geschieht also im Rahmen der Kirche, der Kirchen und der Ökumene, als der Gemeinschaft von Christen. Man verständigt sich über die Implikationen der christlichen Tradition für die heutige Wirklichkeit und formuliert ausdrücklich die Uberzeugungen und Einstellungen, die der einzelne mehr oder minder unbewußt besitzt. Von Vertrauen wird dann die Rede sein. Ein Christ muß die Welt nicht hoffnungslos ihrem Untergang entgegengehen sehen. Er verläßt sich auf die Zuwendung Gottes und hat Hoffnung für die Welt und die Menschen. Worum es bei diesem Unternehmen geht, wurde in Abschnitt 5.5. bereits erörtert. Die Klärung der einer solchen Sicht der Wirklichkeit entsprechenden moralischen Uberzeugungen, der grundlegenden ethischen Orientierung kann hier als Inhalt des ethischen Diskurses unter Christen angefügt werden. Dies stellt ja nur die Fortführung des Diskurses über eine adäquate Weltanschauung in Richtung auf eine angemessene moralische Grundkonzeption dar und somit die praktische Seite der christlichen Glaubensinhalte. (3) Diskurse unter Christen, in ihrer Gemeinschaft finden auch auf einer dritten inhaltlichen Ebene statt. Man spricht miteinander über die Lösung konkreter Probleme. Die Entscheidung, wie man sich verhalten solle, fällt nicht immer, wahrscheinlich nicht einmal in der Mehrzahl der Fälle in der Einsamkeit der inneren Zwiesprache der Gewissenserforschung eines einzelnen. Selbst wenn sie dort letztlich gefällt wird, weil der einzelne von sich selbst erwartet, daß er hinter seinen Handlungen steht, geht in den meisten Fällen doch eine Phase des Diskurses vorauf. Dieser Diskurs nimmt unterschiedliche Formen an. Er kann durch eine öffentlich geführte Auseinandersetzung über ein konkretes ethisches Problem verkörpert werden, an der vielleicht nicht nur Christen teilnehmen oder zumindest Menschen teilnehwurden. Als Ergebnis dieser Entwicklung sieht er mehrere kohärente Lehrgebäude christlicher Ethik nebeneinander existieren. Er nennt die Ethik des östlichen, orthodoxen im Kontrast zu der des westlichen Christentums und die Ethik der römisch-katholischen Kirche im Kontrast zu der der lutherisch-calvinistischen Kirchen (aaO. 325 f). Mir ist allerdings sehr fraglich, ob man durch eine dermaßen grobe Unterteilung weiter gelangt als dahin, daß man jeweils ein Gegensatzpaar an H a n d eines Kriteriums (Askese - Weltzugewandtheit; Legalismus - Antilegalismus) herausgreift und zur Unterscheidung bemüht. Damit kann man vielleicht charakteristische Eigenarten großer Traditionsgemeinschaften treffen, aber die Einteilung bleibt doch sehr grob.
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men, die mit einer spezifisch christlichen Argumentation nichts im Sinn haben. An solchen öffentlichen Debatten nehmen hierzulande in der Regel auch Debattanden teil, die von einem dezidiert christlichen Standpunkt aus zu argumentieren behaupten 1 1 5 . Er kann auf Sitzungen kirchlicher Gremien und Treffen kirchlicher Gruppen geführt werden. Er kann schließlich auch im persönlichen Beratungsgespräch stattfinden. In all diesen Fällen ist der ethische Diskurs unter Christen nichts anderes als ein Spezialfall des ethischen Diskurses überhaupt. Diskurs über ethische Fragen scheint für die menschliche Moral konstitutiv zu sein, weil Moral nicht solipsistisch ist und moralisches Verhalten immer bereits andere Menschen tangiert und weil Moral, die ihren Namen zu Recht trägt, auf intersubjektive Gültigkeit angelegt ist. Ein Spezialfall dieses Diskurses ist es, wenn Christen, Menschen, die in ähnlicher oder gleicher Weise die Welt sehen, miteinander über ethische Fragen sprechen. Die Faktizität solcher Gespräche steht außer Zweifel. Auch wenn sie dem allgemeinen ethischen Diskurs sehr ähneln, sind sie doch andererseits eine Funktion der Kirche, der Gemeinschaft von Christen, sind sie von dieser Gemeinschaft getragen, bestimmt und auf sie bezogen. e) Eschatologie. Andere klassische Loci der Theologie könnten aufgezählt werden, die als Elemente der christlichen Sichtweise der Welt ihre Auswirkungen haben auf die Ethik von Christen. Hier soll noch einer dieser Loci erwähnt werden, der in der theologischen Diskussion der letzten Jahre von Bedeutung ist: die Eschatologie. Vor allem die Theologie der Hoffnung und verwandte Konzeptionen fragen nach der Bedeutung der Eschatologie für die gesamte Dogmatik und Ethik. Die Inhalte christlicher Hoffnung (das Reich Gottes, der neue Himmel und die neue Erde etc.) werden in ihrer normativen Funktion für die Ethik der Christen gesehen. Ethisches Handeln läuft entweder der Bewegung auf das erhoffte Ziel der Geschichte hin parallel, oder es ist das Mittel zum Erreichen dieses Ziels. In beiden Fällen ist es vom Ziel her bestimmt. Die vorherrschende Argumentationsstruktur ist teleologisch. An dem Ziel, das erhofft wird, wird das Handeln ausgerichtet. Das erwartete Ziel ist allerdings nicht so eindeutig und konkret zu beschreiben, daß Handlungsanweisungen mit logischer Stringenz abgeleitet werden könnten. Zur Ebene der Handlungsanweisungen hin sind Vermittlungsschritte nötig. Aussagen, die für viele Christen verbindlich sein könnten, sind nur auf einer Ebene möglich, die oberhalb der Ebene konkreter Handlungsnormen liegt. Gleichwohl haben Elemente der christlichen Hoffnung Relevanz für die Formulierung der Ethik von Christen, wenn auch nicht in eindeutig festlegbarer Weise.
1 1 5 Für den evangelischen Bereich vgl. in der Bundesrepublik die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland.
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f ) Gebet und Gottesdienst. Als eine Funktion der Kirche kann man die Praxis dieser Gemeinschaft betrachten, die ihren Glaubensinhalten zur Seite steht. Praxis meint dabei nicht in erster Linie moralisches Verhalten, tätige Liebe, sondern die spezifisch religiösen Verhaltensweisen, die eher auf Kontemplation ausgerichtet sind, wie Gebet und Gottesdienst 116 . Diese Aktivitäten sind keineswegs ohne jede Verbindung mit der Ethik von Christen, sie selbst sind aber etwas anderes als unmittelbar ethisches Verhalten. Gebet und Gottesdienst gehören ebenso wie moralisches Verhalten zum Leben des Gläubigen. Für ihn sind sie nicht zu trennen. Nur beides zusammengenommen macht das christliche Leben zu dem, was es ist. Beides ist aufeinander bezogen, auch wenn jede Größe eine gewisse Spezifik besitzt. Gottesdienst und Gebet beschäftigen sich auch mit dem Verhalten des Christen und der Klärung ethischer Fragen. Eigentümlich ist ihnen jedoch, daß der Gläubige in Beziehung zu Gott tritt. Moralisches Verhalten hat für den Christen auch mit dieser Beziehung zu Gott zu tun, aber seine Eigenart ist zunächst einfach das zwischenmenschliche Verhalten. Da beides für den Christen untrennbar verbunden ist, ist es wichtig zu fragen, worin die Bedeutung kontemplativer Aktivitäten wie des Gebets und des Gottesdienstes für die Ethik besteht. Nach allem, was in den letzten beiden Teilen dieser Arbeit erörtert wurde, ist die Antwort auf diese Frage nicht schwer zu geben. Eine Verbindung zwischen Ethik und der Erfahrung Gottes zu sehen ist das Proprium religiöser Ethik. Gerade dadurch, daß Christen - ähnliches könnte man von Juden und mit entsprechender Modifikation von Anhängern anderer Religionen sagenGott erfahren, sich für diese Erfahrung offenhalten und ihr Leben an dieser Erfahrung ausrichten, sind sie von Nichtchristen unterschieden117. Gottesdienst und Gebet haben in eminenter Weise mit der Vermittlung, der Entstehung und Bewahrung dieser Erfahrung zu tun. Gottesdienst ist der Ort, an dem in Schriftlesung und Predigt Geschichten über die Gotteserfahrung anderer vermittelt werden - darum geht es in den Geschichten der Bibel. Es ist auch der Ort, an dem Menschen miteinander, wenn auch häufig in der verfestigten Form einer „Einbahn-Kommunikation", über ihre Erfahrung Gottes sprechen und sich darüber verständigen. Und es ist der Ort, an dem die Antwort des Menschen, der von dieser Erfahrung betroffen ist, - wiederum häufig in sehr strengen Formen - gegeben wird. In weniger strenger Form hat das persönliche oder kollektive Gebet denselben Sinn, Antwort des Menschen auf die Erfahrung Gottes zu sein. Dieses antwortende Verhalten des Menschen in Gebet und Gottesdienst stellt selbst die Beziehung zur Ethik her. Es geht von der Erfahrung Gottes aus und umfaßt bestimmte Uberzeugungen über Gott als Schöpfer, Vater, 1 1 6 U m die eigenständige Bedeutung hervorzuheben, erhält dieses Thema einen eigenen Abschnitt, obwohl es ebenso gut unter den Titel der Ekklesiologie untergeordnet werden könnte. 1 1 7 Vgl. James M. Gustafson, Spiritual Life and Moral Life, Theology Digest 19, 1971, 2 9 6 307, wieder abgedr. i n j . M. Gustafson, Theology and Christian Ethics, 1 6 1 - 1 7 6 , 163.
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Erlöser, Richter etc. Es umfaßt ebenso bestimmte Grundhaltungen und Einstellungen dessen, der Gott in dieser Weise erfahren hat: Vertrauen, Zuversicht, Dankbarkeit, Verantwortungsbewußtsein etc. Solche Einstellungen zu haben heißt, in einer bestimmten Weise die Welt und das Leben zu sehen. Diese charakteristische Weise, die Wirklichkeit zu begreifen, findet im Gebet und im Gottesdienst ihren Ausdruck. Sie führt weiter zu der Disposition, in einer bestimmten Weise moralisch zu handeln 1 1 8 . Menschen, die durch Gebet und Gottesdienst in eine Gemeinschaft eingebunden sind, in der eine bestimmte Geisteshaltung und bestimmte Überzeugungen gepflegt werden, sind dadurch disponiert, diese Geisteshaltungen und diese Uberzeugungen in ihre moralischen Entscheidungen einfließen zu lassen. Sie tun dies vor allem dann, wenn - wie im Fall des christlichen Glaubens - die Gestaltung des Lebens für den Glauben als nicht unbedeutend gilt. Kontemplative Praktiken wie Gottesdienst und Gebet, aber auch Bibellesen, Lesen von theologischer oder erbaulicher Literatur und Gespräche über den christlichen Glauben betonen gerade die Zusammengehörigkeit von Glauben und Leben, von Spiritualität und Ethik. Da auf der Ebene der Spiritualität, des Umgangs mit den Inhalten christlichen Glaubens, sich das Spezifische christlicher Ethik konstituiert, ist gerade diese Ebene notwendig mit der des ethischen Handelns und Urteilens verbunden. Wenn diese Verbindung auseinanderbricht, droht das unterscheidend Christliche christlichen Handelns und Urteilens verlorenzugehen. Solange die christliche Gemeinschaft an der Kontemplation festhält, ohne dabei das Handeln zu vergessen, kann dieses Auseinanderbrechen vermieden werden. 6.4. Vielfalt und Einheit der Ethik von Christen Die Ethik der Christen scheint mit diesen Überlegungen aufgelöst und auseinandergeblättert zu sein in viele verschiedene partikulare Elemente. Die Untersuchung begann mit der Feststellung, die christliche Ethik sei durch ein hohes Maß an Komplexität gekennzeichnet. Die Vielfalt einzelner Elemente scheint dieser Feststellung zu entsprechen. Über dem Bemühen, der Vielfalt Rechnung zu tragen, ist jedoch der Blick auf die Einheit verlorgengegangen. Worin bestehet hinter dieser Vielfalt unterschiedlicher Aspekte und Verfahrensweisen im ethischen Denken der Christen ihre Einheit? Besitzen die einzelnen Elemente einer Ethik der Christen innere Kohärenz, oder sind sie nur als eine unzusammenhängende Ansammlung von Fragmenten unterschiedlicher Provenienz zu verstehen? Diese Fragen sind noch nicht zureichend beantwortet 1 1 9 . Mit ihnen wird sich dieser Abschnitt beschäftigen. Es 1 1 8 Eine detaillierte Korrelation sich entsprechender Elemente auf den Ebenen der Geisteshaltung, der Glaubensansichten über Gott und der Prädisposition der Weltsicht und des Handelns entwirft J . M . Gustafson, Spiritual Life and Moral Life, 166f, 1 6 7 - 1 7 5 . 119
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Vgl. allenfalls die Ausführungen in Abschnitt 5.5.
wird nach einer Vorstellung gesucht werden müssen, die die einzelnen Elemente in ein integratives Konzept zusammenzufassen vermag. Denn gäbe es sie nicht, dann müßte die Ethik der Christen tatsächlich als inkohärente Ansammlung unterschiedlicher motivierender und begründender Elemente gelten. Zwei Versuche, die Einheit christlicher Ethik zu zeigen, sollen dargestellt und diskutiert werden. Der erste sucht ein inhaltliches Merkmal zum organisierenden Prinzip zu nehmen, der zweite versucht, die Einheit in der sprachlichen Form zu finden, in der christliche Ethik auftritt. 1. Einheit im Inhalt: Ethik der agape. Christliche Ethik ist eine Ethik der Liebe, der „agape". Das ethische Verhalten der Christen ist dadurch gesteuert, daß Liebe in allen ethischen Vollzügen realisiert werden soll. Diese Liebe hat ihren Ursprung in Gott und ihr Vorbild in Jesus von Nazareth. Daher ist die Vorstellung der agape spezifisch genug, um als unterscheidend christlicher Beitrag zur Ethik zu gelten. Zugleich ist sie in der Ethik der Christen allgemein genug, um als integratives Konzept dieser Ethik angesehen werden zu können. Aus diesen Gründen wurde die christliche Ethik als „Agapismus" oder „agapeistisch" bezeichnet 120 . Agapismus ist dann wie Utilitarismus oder Egoismus eine normative Theorie. Ihre Eigenart besteht darin, daß die Liebe als Grundnorm angenommen wird und Kriterium allen ethischen Urteilens und Handelns darstellt. Es scheint zunächst sehr plausibel, die Ethik der Christen in dieser Form des Agapismus zu beschreiben. Man nimmt damit die breite Tradition in der Kirche auf, die der Liebe einen zentralen Stellenwert in der Ethik zuweist. Diese Tradition erwuchs aus der Interpretation biblischer Stellen, die Liebe als Norm der Ethik bezeichnen 121 . Sie beherrscht die ganze Kirchengeschichte. Augustin, Thomas von Aquin, M. Luther, A. Nygren und K. Barth als Theologen, die dieses Konzept in unterschiedlicher Form vertraten, herauszugreifen ist völlig arbiträr, kann aber veranschaulichen, wie weit die Vorstellung verbreitet ist. Genauere Prüfung zeigt jedoch, daß nicht jeder, der die Ethik der Christen als Agapismus bezeichnet oder von der Liebe als höchster Norm spricht, dasselbe meint. W. K. Frankena hat in seinem Klassifzierungsversuch diesen Sachverhalt bereits berücksichtigt. Er unterscheidet mehrere Arten des Agapismus: reinen und modifizierten Handlungsagapismus, reinen Regelagapismus und Kombinationen von Handlungs- und Regelagapismus122. Ihnen ist gemeinsam, daß sie die Liebe als Grundwert enthalten. Sie unterscheiden sich darin, daß jede dieser Theorien der Liebe eine bestimmte Funktion zuweist, die von der verschieden ist, 1 2 0 R. B. Braithwaite, Die Ansicht eines Empiristen über die N a t u r des religiösen Glaubens, 178; W . K. Frankena, Love and Principle in Christian Ethics; W . K. Frankena, Analytische Ethik, 7 1 - 7 5 ; vgl. oben Abschnitt 6.1. 1 2 1 Vgl. im Alten Testament Lev 19,18 ; auch Dtn 6,5 ; 11,1 ; im Neuen Testament Mk 12,28 ff ; 1 J o h 5 , 3 ; J o h 14,15.21; Gal 5 , 1 4 ; R o m 13,10. 122
Vgl. oben Abschnitt 6.1.
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die sie in einer beliebigen anderen Theorie erfüllt. Frankena versucht freilich, diese Unterschiede in seinem Schema systematisch zu erfassen. Soweit ihm dies gelingt, kann er die Kohärenz der Theorien bei aller Diversität einsichtig machen. In seiner sehr gründlichen Analyse der agape als ethischem Konzept in der theologischen Literatur zwischen 1930 und etwa 1967 gelangt Gene Outka zu teilweise ähnlichen Schlußfolgerungen 1 2 3 . Er spricht zu Beginn seiner Analyse die Befürchtung aus, die Gemeinsamkeit der von ihm herangezogenen Autoren könne sich darin erschöpfen, daß alle dasselbe Wort verwendeten und dadurch tieferliegende und wichtige Unterschiede ihrer Vorstellungen verdunkeln 1 2 4 . Gegen Ende seiner Untersuchung kommt er auf diese Vermutung zurück. Er stellt fest, daß tatsächlich abweichende und zum Teil mehrdeutige Verwendungsweisen des Begriffs agape vorliegen. Die Gründe dafür sieht er einmal darin, daß dieses Konzept in unterschiedliche theologische und ethische Gesamtkonzeptionen eingefügt ist und von ihnen her seine Begrenzung und Festlegung erfährt, zum andern in der Allgemeinheit des Begriffs selber, der sich geradezu anbietet, auf unterschiedliche Sachverhalte und Situationen bezogen zu werden 1 2 5 . Es ergeben sich (a) Abweichungen in der Verwendungsweise des Begriffs agape, die letztlich auf Meinungsverschiedenheiten über theologische Grundfragen beruhen, (b) solche Abweichungen, die aus der Betonung jeweils unterschiedlicher Aspekte hervorgehen, wobei beide Verwendungsweisen des Begriffs einander nicht ausschließen, (c) allerdings auch Abweichungen, die auf fundamentale Differenzen und einander ausschließende Standpunkte zurückgehen 1 2 6 . Nun endet Outkas Analyse aber nicht mit diesem Befund, daß das Konzept der agape mehrdeutig gebraucht werde. Er sieht Anlaß zu betonen, daß es in diesem Konzept bestimmte „dominante Muster" gibt, die sich unterschiedlich starker Betonung in allen Verwendungsweisen durchhalten. Dies zu zeigen ist die Hauptabsicht seines Buches. Als solche Muster oder Prinzipien nennt er: gleiche Berücksichtigung aller (equal regard), Selbsthingabe, Gegenseitigkeit (mutuality), Eigenliebe und (ausgleichende) Gerechtigkeit 1 2 7 . Beide Wege, der eher deduktive Weg zu Frankenas Systematik normativer Theorien und der eher induktive Weg zu Outkas Systematik analytisch gewonnener Prinzipien, scheinen gangbar. Auf beiden Wegen gelangt man zu dem Ziel, ein gewisses Maß an Einheit der Ethik von Christen zu erkennen und beschreiben zu können. In Frankenas Konzept ist die Einheit allerdings auf einer sehr formalen Ebene nur sichtbar, denn die unterschiedlichen Spielarten des Agapismus unterscheiden sich doch recht tiefgehend. 123 124
G. Outka, Agape, vgl. 1 und ix. A a O . 4.
AaO. 257-259. A a O . 259 f. 127 v g l . aaO. 2 6 0 - 3 1 2 . Diese Prinzipien wurden in den ersten drei Kapiteln des Buches in der Analyse des Inhalts der agape erarbeitet, aaO. 7 - 9 2 . 125 126
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Outka hingegen vermag es, einen Inhalt zu spezifizieren, der allen Verwendungsweisen des Konzepts der agape gemeinsam ist. D a wohl keine christliche Ethik und kein Christ in seiner Ethik daran vorbeikommen, sich dieses Konzepts zu bedienen - es besitzt eben eine zentrale Stellung in den Texten, auf die Christen rekurrieren - , kann man aus Outkas Analyse folgern, daß es einen aller christlichen Ethik gemeinsamen minimalen Inhalt, die beschriebenen Prinzipien, gibt. Dieser Schluß besitzt um so größere Berechtigung, als es zutrifft, daß in den meisten Fällen, wenn nicht immer, das Konzept der agape eine fundamentale Rolle in der Ethik von Christen spielt und an den Schlüsselstellen im Entscheidungs- und Urteilsprozeß auftritt. Den allen Formen einer agape-Ethik gemeinsamen Inhalt zu zeigen ist die eine Möglichkeit, die Kohärenz christlicher Ethik zu erweisen. Die Ergebnisse, zu denen Outka kommt, lassen die Frage entstehen, ob diese Inhalte die agape-Ethik zur agape-Ethik beziehungsweise die christliche Ethik zur christlichen Ethik machen. Nach Outkas Ansicht ist es offenbar so, daß die von ihm genannten Prinzipien aus sich heraus den Inhalt der agape bilden und daß es durch die Kontingenz der christlichen Geschichte bedingt ist, daß diese Ethik mit dem Prädikat agape belegt wurde. Ebenso ist christliche Ethik eine Form der Ethik, die den Inhalt der agape - der säkularen Ethik, um Outka zu interpretieren - nicht oder kaum verändert 1 2 8 . Die menschliche, säkulare Moral wird bei Outka dadurch zur agape-Ethik qualifiziert, daß sie einem einheitlichen Leitbegriff oder Leitgedanken unterstellt wird. Wenn es allerdings nicht die Inhalte sind, die die agape-Ethik zur agape-Ethik machen oder die christliche Ethik zur christlichen Ethik, dann ist fraglich, ob eine Analyse des Inhalts der agape das spezifisch Christliche zu zeigen vermag 1 2 9 . 2. Einheit in der Form: Die spezifische Weltsicht. Ohne den Wert und die Berechtigung des Ansatzes bei dem Konzept der agape zu bestreiten oder auch nur in Zweifel zu ziehen, soll nun die zweite Möglichkeit geprüft werden, eine Einheit in der Vielfalt christlicher Ethik zu finden. Sie wird dem Erklärungsmodell G . Outkas überlegen sein, wenn sie eine Erklärung für die 1 2 8 D i e religiösen Ü b e r z e u g u n g e n k ö n n e n einen V e r s t e h e n s h i n t e r g r u n d ( b a c k g r o u n d of intelligibility) f ü r die a g a p e bereitstellen ( a a O . 185), sie k ö n n e n die a g a p e a u s d r ü c k l i c h unterstützen (192), u n d sie k ö n n e n in b e g r e n z t e m U m f a n g A u s w i r k u n g e n auf den Inhalt der a g a p e besitzen (193). G e r a d e den inhaltlichen E i n f l u ß sieht O u t k a j e d o c h darauf beschränkt, daß L i e b e z u G o t t der L i e b e z u m N ä c h s t e n ihre G r e n z e n zeigen kann u n d daß die L i e b e z u m N ä c h s t e n d a d u r c h ü b e r h ö h t w i r d , daß der N ä c h s t e als v o n G o t t geliebt gilt (193 f). 1 2 9 F a i r e r w e i s e m u ß a n g e m e r k t w e r d e n , daß es gar nicht O u t k a s A b s i c h t ist, sich mit dieser F r a g e z u b e f a s s e n . E r geht den anderen W e g , durch eine A n a l y s e des Inhalts der a g a p e einen A u f r i ß der Inhalte christlicher M o r a l zu g e b e n u n d damit auf d e m H i n t e r g r u n d der christlichen T r a d i t i o n die ethischen W e r t v o r s t e l l u n g e n eines heute lebenden C h r i s t e n (der gebildeten Schicht N o r d a m e r i k a s ) s y s t e m a t i s c h aufzureißen. E s geht ihm nicht u m das spezifisch Christliche, s o n d e r n eher u m eine a d ä q u a t e S k i z z e tatsächlich gelebter u n d gedachter christlicher E t h i k . Z u r K r i t i k an der a g a p e - K o n z e p t i o n christlicher E t h i k vgl. S. M a y o r , M o r a l i t y and C h r i s t i a n Faith, 139.
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Differenzen anzubieten vermag, die Outka in der Verwendung des Konzepts agape nur feststellt. Dem zweiten Erklärungsmodell liegt die Überzeugung zugrunde, daß die Ubereinstimmung in der Ethik der Christen eher auf der formalen als der inhaltlichen Seite zu finden ist. Dazu wird angeknüpft bei dem erweiterten Konzept der Ethik, wie es oben vorgestellt wurde, als die Funktion der Theologie für die Ethik besprochen wurde 130 . Die Ethik eines Menschen steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der ganzen Art, wie er die Wirklichkeit sieht. Für Christen gibt es spezifische Elemente einer solchen Sicht der Wirklichkeit, die nur sie in dieser Weise oder dieser Kombination haben und die sie von Nichtchristen unterscheiden. Der Zusammenhang dieser Summe von Elementen des Gottes-, Welt- und Selbstverständnisses mit der Ethik macht das Spezifische christlicher Ethik aus. Dieser Zusammenhang ist aber nirgendwo sonst greifbar als auf der Ebene der Sprache, die verwendet wird, um die spezifische Weise, die Welt zu sehen, zu formulieren und mit ethischen Urteilen und Entscheidungen zu korrelieren. Nur hier also kann die Suche nach dem einsetzen, was der Vielgestaltigkeit ethischer Uberzeugungen und Vollzüge unter Christen Einheitlichkeit oder Kohärenz verbürgt. Daher werden zunächst einige Bemerkungen über die religiöse Sprache gemacht werden müssen, die Christen verwenden, die sie auch dann verwenden, wenn sie über ethische Fragen sprechen. Dabei können die Ergebnisse der bisherigen Erörterung christlicher Ethik aufgenommen werden. 3. Das story-Konzept religiöser Sprache. Ein gewisses Maß an Einheit hat das Reden der Christen darin, daß es ein mit normativer Geltung ausgestattetes Corpus von Texten gibt, auf das Christen sich immer wieder beziehen 131 . Das Corpus selbst gewinnt seine Einheit dadurch, daß es der Niederschlag der Erfahrung ist, die ein Volk beziehungsweise eine Gruppe mit Gott gemacht hat. Ein Begriff, der sich gut, besser als andere, eignet, den einheitlichen Aspekt dieser Erfahrung zum Ausdruck zu bringen, ist der der story. Er eignet sich deshalb so gut, weil er auf mehreren Ebenen verwendet werden kann 132 . Story kann zunächst die Geschichte des Volkes Israel bezeichnen, die von ihm als Geschichte mit seinem Gott erfahren wurde. Diese kollektive Geschichte hat ihren Niederschlag in einzelnen stories gefunden, die jeweils Teile der Gesamtstory sind. Damit sind bereits zwei Verwendungsweisen des Begriffs charakterisiert: (a) Story als Narration, Erzählung, als literarisch fixierte Erfahrung oder Begebenheit und (b) story als Gesamtzusammenhang vieler einzelner stories, als Abriß einer kollektiven Geschichte. Story kann 130 131
Vgl. oben Abschnitt 5.5. Hinsichtlich dieser Struktur gleichen sich alle sogenannten Buchreligionen.
1 3 2 In dieser Eigenart liegt zugleich die Gefahr, die von dem Begriff ausgehen kann: E r kann gewissermaßen als passe par tout verwendet werden, der vielerlei Möglichkeiten in sich birgt, ohne eindeutig festgelegt werden zu können.
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dann die Geschichte Jesu von Nazareth bezeichnen. Es kann wieder die Einzelerzählung einer Begebenheit meinen, und es kann den aus vielen Einzelerzählungen gebildeten Zusammenhang eines geschichtlichen oder als geschichtlich konzipierten Ablaufs meinen, diesmal dann (c) als Gesamtzusammenhang vieler einzelner stories einer Individualgeschichte 133 . Hinzu kommt eine dritte Ebene der Verwendung: Man kann die story Israels und Jesu von Nazareth nach vorne verlängert sehen und von der story der Kirche sprechen. N u r weil die ersten Christen die Bedeutsamkeit der story Jesu für sich erkannten und damit in diese story eintraten, wurde sie ja aufgezeichnet. Im Neuen Testament finden sich demzufolge neben der engeren story Jesu auch stories aus der Geschichte der frühen Kirche, und zwar Einzelerzählungen 1 3 4 und gleichsam Momentaufnahmen aus der kollektiven Geschichte der Kirche, die als Fortsetzung und Auswirkung der story Israels und Jesu verstanden wird 1 3 5 . Man kann von der weiteren Verlängerung dieser story durch die Kirchengeschichte sprechen und schließlich (d) die story heute lebender Christen in den Blick fassen. Christen interpretieren und verstehen ihr Leben und die Welt - wie alle Menschen - in einer Weise, die durch die Erfahrungen ihrer Biographie bedingt ist 1 3 6 . Christen unterscheiden sich von Nichtchristen darin, daß sie der story Jesu und der Kirche eine Bedeutung für ihre eigene story zusprechen. Wie genau sich diese Bedeutung manifestiert, ist kontrovers. Allen Christen gemeinsam ist jedoch, daß sie zumindest zeitweise - der story Jesu übergreifenden, umfassenden Einfluß auf das Verständnis ihrer eigenen story zubilligen. Man muß die Redeweisen von stories noch differenzieren, wenn man die stories nach ihrem Umfang, ihrer besonderen Abzweckung und Funktionsweise unterscheidet. Einen Versuch dieser Art, der zugleich die jüngste Diskussion um die religiöse Sprache zusammenfaßt, hat Ian G . Barbour 1974 1 3 3 Story ist in allen drei genannten Bezügen ein eigentümlich schillernder Begriff, der sich zwischen den Bedeutungen ,Geschichte = Erzählung, Narration' und .Geschichte = Historie' nicht festlegt. Deutlich läßt sich diese Ambiguität etwa in James A. Whartons Aufsatz The Occasion of the W o r d of God. An Unguarded Essay on the Character of the Old Testament as the M e m o r y of God's Story with Israel (Austin Seminary Bulletin 84, 1968, 1, 3 - 5 4 ) verfolgen. Zur Problematik dieses Sprachgebrauchs vgl. Η . O . Jones, Das Story-Konzept in der Theologie. Zum story-Konzept insgesamt vgl. D. Ritsehl, Zur Logik der Theologie. 1 3 4 Vgl. etwa die Apostelgeschichte. 1 3 5 D e r Briefwechsel des Paulus mit der Gemeinde in Korinth stellt ein Musterbeispiel dafür dar. Der Gedanke ist allerdings verallgemeinerungsfähig. Story kann dann als eine Größe gedacht werden, die den „Sitz im Leben" eines Einzelstücks oder einer Schrift - nicht im streng formgeschichtlichen Sinn als Sitz im Leben der typischen F o r m - bezeichnet und den Text in seinem spezifischen sozialen O r t verständlich macht. 136 Yg] < J a z u Stephen Crites, The Narrative Quality of Experience, Journal of the American Academy of Religion 39, 1971, 2 9 1 - 3 1 1 ; James W m . McClendon Jr., Biography As Theology, Cross Currents 21, 1971, 4 1 6 - 4 3 1 ; J. W . McClendon Jr., Biography As Theology. H o w Life Stories Can Remake Today's Theology, Nashville 1974; Charles E. Winquist, The A c t of Story Telling and the Self's Homecoming, Journal of the American Academy of Religion 42, 1974, 101-113.
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vorgelegt 1 3 7 . E r unterscheidet drei Gruppen von stories: Mythen, Modelle und Paradigmen, wobei er drei kleinere Formen als Vorformen oder Elemente des Mythos betrachtet: Metapher, Symbol und Parabel. Eine Metapher ist eine analogische Ausdrucksweise, die einen Menschen, Gegenstand oder Vorgang nicht in seiner herkömmlichen Weise bezeichnet, sondern eine Bedeutung auf ihn überträgt, die ursprünglich einem anderen Kontext zugehört. Das so Bezeichnete erscheint in einem anderen Licht als üblich: „Die Liebe ist ein Feuer", „Mein Herz ist schwach." 1 3 8 Das Symbol ist eine Metapher, die bereits eine bestimmte Tradition entwickelt hat. Es wird von einer Gruppe gebraucht, die es bereits kennt und es verwendet, um einen Sachverhalt in einer besonderen, eigentümlichen Weise anzusprechen: „Gottes Thron in der H ö h e " , „Gott ist L i c h t " 1 3 9 . Parabeln sind ebenfalls analogisch verwendete Formen, die jedoch eine abgeschlossene fiktionale Erzählung bemühen, um ihre Wirkung zu erzielen: das Gleichnis vom verlorenen Sohn oder vom barmherzigen Samariter 1 4 0 . Aus solchen Formen konstituieren sich die Mythen. Dies sind umfangreiche, aus verschiedenen Einzelelementen zusammengefügte Erzählungskomplexe, die der Orientierung des Menschen in der Welt dienen, indem sie die Welterfahrung des Menschen unter bestimmten ordnenden Aspekten darstellen 1 4 1 . Mythen, stories werden erzählt, um damit auszudrücken, welchen Sinn man im Leben sieht und seinen Handlungen zuschreibt 1 4 2 . Mythen umfassen vielfältige Elemente und lassen sich in ihrem Wirklichkeitsbezug kaum einheitlich festlegen. E r schwankt zwischen den beiden extremen Vorstellungen, Mythen seien buchstäblich zu verstehende Abbilder der realen Welt oder sie seien anthropologisch hilfreiche und daher wertvolle, aber rein fiktive Erzählungen. Beide Extreme werden zwar bei realistischer Beurteilung ausgeschlossen werden können, damit ist jedoch noch keine Präzisierung des Wirklichkeitsbezugs geleistet. Vermutlich ist sie nur so zu erreichen, daß man auf die Funktionsweise der Mythen für das Wirklichkeitsverständnis derer, die sie benutzen, reflektiert 1 4 3 . Barbour schlägt vor, die Mythen als Modelle für die Interpretation der Wirklichkeit zu begreifen. Er nimmt damit Einsichten der Wissenschaftslogik auf. Modelle fungieren in den Naturwissenschaften als theoretische Konstrukte, die die Wirklichkeit nicht unmittelbar abbilden, sondern das, was nicht beobachtbar und beschreibbar ist, in einer Weise darstellen, daß die beobachtbaren und beschreibbaren Fakten erklärt werden können und der Prozeß dieser 1 3 7 I. G. Barbour, Myths, Models and Paradigms. Der folgende Abriß folgt weitgehend dieser Analyse. 138 AaO. 12-14. 1 3 9 In dieser Weise spricht man von einem literarischen Symbol, das den Kennern einer bestimmten Literatur verständlich ist, und etwa v o m religiösen oder politischen Symbol, die beide der jeweiligen Gruppe geläufige Interpretationen der Welt abgeben. Vgl. auch aaO. 15f. 1 4 0 Lk 1 5 , 1 1 - 3 2 ; 1 0 , 3 0 - 3 5 . Vgl. I. G. Barbour, aaO. 16. 141
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AaO. 19-21.
142
A a O . 27.
143
Ebd.
Erklärung vorangetrieben werden kann 144 . Überträgt man dies auf die Religion, so ergibt sich dort eine erste Funktion von Modellen: Modelle werden verwendet, um die Wirklichkeit zu interpretieren. Zu diesem Zweck sind Modelle notwendig. Wirklichkeit kann nur, wenn sie interpretiert ist, verstanden werden. Uninterpretierte Erfahrung der Wirklichkeit gibt es nicht 145 . Wohl gibt es aber unterschiedliche, zum Teil konkurrierende Interpretationen der erfahrenen Wirklichkeit. Wer die Welt nach dem dualistischen Modell eines Kampfes zwischen dem guten Gott und dem bösen Satan versteht, macht sich ein anderes Bild als der, der den Schöpfer in der Welt am Werk und die Menschen als seine Mitarbeiter sieht. Die zweite Funktion der Modelle, die zur ersten hinzutritt, besteht darin, daß sie bestimmte Haltungen und Einstellungen des Menschen ausdrücken und hervorrufen können 146 . Diesen beiden Funktionen religiöser Modelle lassen sich alle Verwendungsweisen solcher Modelle unterordnen. Und religiöse Modelle besitzen eine so starke Kohärenz, daß keine der beiden Funktionen völlig von der anderen zu isolieren wäre. Die Interpretation der Erfahrung hat bestimmte Einstellungen zur Folge. Die Einstellungen können durch die religiösen Modelle nur dann hervorgerufen werden, wenn auch die spezifische Interpretation der Wirklichkeit akzeptiert wird 147 . Beides gehört zusammen 148 . Die in einer Religion verwendeten Modelle werden durch das Paradigma dieser Religion umfaßt. Es ist die Gesamtansicht einer Tradition, die durch zentrale historische Beispiele (exemplars) vermittelt werden 149 . Damit ist der Bezug der Mythen und Modelle zur Geschichte einerseits und zu einer sozialen Gruppe, im Fall der christlichen stories zur Kirche, andererseits festgestellt. Ein gemeinsames Leben als Antwort auf historische Ereignisse ist ein wesentliches Charakteristikum mancher religiösen, insbesondere der jüdischen und christlichen Gemeinschaft 150 . Durch den Bezug auf ein Para144
AaO. 29-48. AaO. 53. Wenn Barbour die Funktion der Modelle in der Interpretation der Wirklichkeit (interpreting as) sieht, ist dies eine Weiterführung der von der Wissenschaftslogik entwickelten Konzeption des Modells als einer Konstruktion (construing as), eine Präzisierung des Gedankens John Wisdoms, die Welt könne unterschiedlich gesehen werden (seeing as; vgl. J. Wisdom, Gods, in A. Flew, Hg., Logic and Language, Bd. I, Oxford 1963, 187-206, dt. Götter, in I. U. Dalferth, Hg., Sprachlogik des Glaubens, 63-83), und eine geringfügige Korrektur der Vorstellung John Hicks, die Welt werde unterschiedlich erfahren (experience as ; vgl. J. Hick, Religious Faith as Experiencing-As, in G. N . A. Vesey, Hg., Talk of God, 20-35; I. G. Barbour, Myths, Models and Paradigms, 51-53; zum gesamten Themenbereich vgl. Η . O . Jones, Die Logik theologischer Perspektiven, s. Abschnitt 5.5. Anm. 152). 146 Barbour nimmt damit die Intention der Überlegungen R. B. Braithwaites (s.o. Abschnitt 5.4.) auf, ohne seine Reduktion der Religion auf diese Funktion zu akzeptieren (vgl. Myths, Models and Paradigms, 57-59). 147 Eine story, deren rein fiktiver Charakter zutage liegt, bewirkt nicht in der gleichen Weise und Intensität eine bestimmte Einstellung und entsprechendes Verhalten, als wenn sie umfassendere als bloß imaginative Bedeutung hätte. 148 Vgl. auch I. G. Barbour, Myths, Models and Paradigms, 68 f. 149 150 AaO. 9. AaO. 147f. 145
255
digma unterscheidet sie sich von metaphysischen Systemen, die ebenfalls Modelle bereitstellen, die die Erfahrung der Wirklichkeit interpretieren und zu bestimmten Einstellungen aufrufen. Wer Mitglied einer religiösen Gemeinschaft ist, stellt sich in die dieser Gruppe gemeinsame Tradition und erkennt das „Exemplar" oder die „Exemplare" an, die paradigmatischen historischen Personen, die das Zentrum der Tradition dieser Gemeinschaft bilden. Für Christen ist Jesus Christus dieses Exemplar 1 5 1 . Eben dieses Exemplar, das Zentrum des Paradigmas, setzt dem Gebrauch von Modellen in einer Religion seine Grenzen. Es wird als normatives Element in einem Traditionsstrom geltend gemacht, das Fehlentwicklungen, Innovationen und Trends ausschließt, die als unvereinbar mit dem Paradigma gelten 1 5 2 . Hier also, in der paradigmatischen Funktion der story Jesu, der story der Christen, liegt das einende, Einheit stiftende Moment christlichen Denkens. Dies heißt allerdings nicht, daß alle Christen sich in der gleichen Weise auf dieselben stories beziehen würden. Es gibt Unterschiede. Es gibt eine gewisse Breite der Auswahlmöglichkeit. Man kann einige stories oder einige Züge an den stories hervorheben, andere vernachlässigen. Zwar kann man nicht zentrale Aspekte völlig unterdrücken und dennoch sagen, man sei Christ. Wer Leiden, Tod und Auferstehung Jesu als stories völlig aufgeben will, wird der Häresie geziehen werden. Man wird ihm sagen, er stelle sich außerhalb des christlichen Paradigmas, Christus sei für ihn nicht mehr das Exemplar. D o c h es gibt immerhin die Variationsbreite unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen, unterschiedlicher Interpretationen der Modelle innerhalb des Paradigmas. Sie ist allein schon dadurch gegeben, daß die stories der Bibel durchaus disparates Material umfassen und keineswegs einfach in ein einheitliches, etwa an einer zeitlichen Abfolge orientiertes Schema zusammenlaufen. Die Konsistenz der stories muß jeweils von dem Gläubigen, von der Gruppe der Christen hergestellt werden, indem Hauptlinien hervorgehoben werden 1 5 3 . Ein leitendes Paradigma muß festgelegt werden. Ein bestimmtes, wenn auch einfaches theologisches Konzept wird formulierbar, das die Verwendung der stories, der Mythen und Modelle regelt 1 5 4 . 1 5 1 Barbour hat zwei Gründe, von Paradigma statt einfach von Tradition zu sprechen: (1) Die Wissenschaftstheorie verwendet in ihrer jüngsten Diskussion diesen Begriff, um die umfassenden Hypothesenkomplexe einer Zeit zu bezeichnen, die durch wissenschaftliche Innovationen erweitert, ergänzt, verändert oder abgelöst werden können (vgl. Thomas S. Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, Chicago 1962, dt. Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt 1 9 6 7 ; I. G. Barbour, Myths, Models and Paradigms, 9 2 - 1 1 8 ) . (2) E r will, indem er diesen Begriff übernimmt, das Mißverständnis ausschließen, das naheliegt, wenn man von Tradition spricht, daß nämlich die Tradition einer religiösen Gemeinschaft etwas Statisches, Feststehendes sei. E r will gerade die Dynamik, Veränderungs- und Entwicklungsfähigkeit religiöser Modelle betonen (I. G. Barbour, aaO, 149).
Vgl. I. G. Barbour, aaO. 149. 153 £)j e Betonung der Rechtfertigung in der Reformation ist etwa ein solcher Vorgang. Andere Beispiele ließen sich finden. 1 5 4 Damit ist der reformatorische Grundsatz, daß es keinen an die Bibel heranzutragenden 152
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4. Christliche stories und Moral. Nicht darin, daß die Gesamtheit der stories bis ins einzelne identisch ist, und nicht darin, daß dieselbe theologische Konzeption, dieselbe Interpretation des Paradigmas zugrunde gelegt wird, liegt die Einheit christlicher Ethik, sondern allein darin, daß die Entscheidung ethischer Fragen nach derselben Struktur erfolgt, genauer: daß bestimmte Elemente und Begründungsschemata im Prozeß der Entscheidungsfindung vorkommen oder vorkommen können. Diese Struktur des Prozesses der Entscheidungsfindung von Christen soll nun zusammenfassend beschrieben werden. Christen sind Menschen, deren persönliche story neben vielen anderen Einflüssen auch (und entscheidend) durch die story geprägt wird, die in der christlichen Kirche vom Handeln Gottes an Israel, seinem Handeln in Jesus und seinem Handeln an der Kirche geprägt wird. Diese story ist ihnen literarisch faßbar, und sie ist im Leben der Kirche, in Gottesdienst und Gebet, und im Denken und Reden des einzelnen Christen gegenwärtig beziehungsweise wird häufig oder gelegentlich vergegenwärtigt. Sie stellt als ganze ein Paradigma dar, das von einem einheitlichen Zentrum, Gott in Jesus Christus, aus das gesamte Verständnis der Wirklichkeit entwirft. Die christliche story oder ihre einzelnen stories fließen in das Leben des Christen und der christlichen Gemeinschaft ein und formen mit an der christlichen Perspektive, der Sicht der Welt, die sowohl Ansichten über die Fakten als auch Einstellungen und Haltungen praktischer Art umfaßt. Der Formungsprozeß läuft ab, indem einzelne stories und wiederkehrende Teile mehrerer stories als Modelle fungieren. Sie stellen dem Gläubigen Verstehensmuster bereit, die er anwenden kann, wenn er die Welt interpretiert und seine Erfahrung verarbeitet oder artikuliert. Eine herausragende Bedeutung haben für Christen in diesem Zusammenhang christologische Modelle, die die Person Jesu Christi in Beziehung zum Weltverständnis des Glaubenden setzen. Diese christliche Perspektive hat mittelbar auch Einfluß auf die moralischen Überlegungen und Entscheidungen des Christen. Denn die Weise, wie er die Welt sieht, seine grundlegende Haltung zur Welt einerseits und seine spezifische Sicht einer Situation andererseits führen zu bestimmten Einstellungen gegenüber moralischen Situationen, zu bestimmten Grundhaltungen (Dispositionen) und konkreten Absichten (Intentionen). Die Ebene der religiösen Uberzeugungen ist mit der moralischer Uberzeugungen untrennbar verbunden. An Gott und seine Liebe zu glauben heißt, ein positives Verhältnis zu den Menschen und den Dingen dieser Welt zu bekommen. Es heißt, sich ihnen gegenüber in ähnlich positiver Weise zu Auslegungskanon gibt, sondern daß die Schrift sich selber interpretiert, nicht außer Kraft gesetzt, aber eingeschränkt. Ohne Auswahl und Schwerpunktsetzung durch den Interpreten interpretiert sich auch die Bibel nicht eindeutig. D o c h die Interpretationen müssen sich ständig an den Texten ausweisen lassen und sich der Frage stellen, ob sie die adäquateste Interpretation der Texte darstellen.
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verhalten, wie man es von Gott glaubt. So zu denken führt zu einer bestimmten Grundhaltung, zu einem bestimmten Charakter. Sich in einer story zu verstehen, die mit der story Israels, Jesu und der Kirche zu tun hat, heißt, bestimmte Situationen im Licht dieser story zu sehen. Dann sieht man nicht bloß eine faktische Situation und müßte erst einen Prozeß der Urteilsbildung darüber in Gang setzen, ihr eine Bewertung zukommen zu lassen. Vielmehr sieht man dann etwa die Situation des vereinsamten Menschen, der einen geduldigen Gesprächspartner braucht, als die Situation, in der man selbst aufgerufen ist, dieser Gesprächspartner zu sein. Man sieht etwa die Situation der Menschen in materiell sehr schlecht gestellten Ländern nicht in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Ausgewogenheit einer Wirtschaftsordnung der Welt. Diese Überlegung hat auch ihren Platz. Doch zuerst erfährt man die Verpflichtung zur Solidarität mit extrem armen Menschen, die unter der gleichen Liebe Gottes leben. Indem man die Situation wahrnimmt und sie so, im Licht der eigenen story mit Gott wahrnimmt, besitzt die Situation bereits ein Gefälle zur moralischen Handlung, die von einem selbst gefordert ist. Versteht man die story als die alles umfassende Kategorie individuellerund kollektiver Wirklichkeitserfassung und Lebensbewältigung, so sind auch moralische Elemente 1 5 5 in sie integriert. Wer auf dem Hintergrund seiner story eine Situation sieht und bedenkt, wird daher auch moralische Überlegungen einbeziehen, moralischen Gründen Gewicht beimessen in der Beurteilung der Situation und der Formulierung seines Urteils oder der Festlegung seines Handelns. Ein solcher moralischer Argumentationsprozeß wird seinen Platz haben in der Entscheidung der Frage, welches Verhalten im einzelnen richtig und angemessen ist, und in der Kalkulation der Folgen möglicher alternativer Verhaltensweisen. In den beiden genannten Beispielen spielen solche Überlegungen für die Beurteilung der moralischen Situation eine wichtige Rolle. Bestimmte Situationen des gegenwärtigen Lebens können jedoch auch in dem, dessen story von dem christlichen Paradigma beeinflußt wird, die Erinnerung an bestimmte einzelne stories dieses Paradigmas wachrufen. Diese stories können dann als Modell des eigenen Verhaltens dienen und so entscheidenden Einfluß gewinnen. Im Fall des einsamen Menschen, der einen Gesprächspartner sucht, können etwa stories eine Bedeutung gewinnen, die von Jesu Zuwendung zu Kranken 1 5 6 handeln oder von seinen Gesprächen mit einzelnen 1 5 7 . Oder es können stories lebendig werden, die von der Aufnahme eines Fremdlings in Israes berichten 1 5 8 . Im zweiten Fall der materiellen N o t armer Länder kann neben zweckrationalen ÜberlegunMoralische Elemente in dem oben, Abschnitt 4.1., erläuterten Sinn. Solche Geschichten sind nicht gerade selten in den Evangelien. 157 Y g ¡ j e s u Gespräch mit Nikodemus (Joh 3 , 1 - 2 1 ) und der Frau am Brunnen (Joh 4,5—42). 1 5 8 E x 2 2 , 2 0 ; 2 3 , 9 ; Dtn 10,18; 27,19. 155 156
258
gen, welches Verhalten am ehesten oder nachhaltigsten zu Verbesserungen führt, die Imagination ebenfalls eine Rolle spielen. Christen werden an stories denken wie die der Speisung des Propheten E l i a 1 5 9 , der Speisungsw u n d e r j e s u 1 6 0 , aber auch an stories wie die vom großen Weltgericht und den Satz „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir g e t a n . " 1 6 1 In beiden Fällen ließe sich die Liste der angeführten Beispiele einzelner stories leicht verlängern. U n d in beiden Fällen spielt das Verhalten Jesu als exemplarisches Verhalten eine herausragende Rolle. 5. Vorzüge des story-Konzepts. Diesem Uberblick über die Struktur des Entscheidungsprozesses christlicher Ethik möchte ich einige kommentierende Bemerkungen anschließen, die die Vorzüge einer derartigen Konzeption gegenüber möglichen anderen bezeichnen. (a) Eine Reihe metaethischer Theorien setzte die alte Trennung zwischen Sein und Sollen absolut und konzipierte eine Metaethik, die die Faktenbeschreibung und die Wertentscheidung des Menschen völlig trennte. Diese Ansicht wurde verworfen, da sie die Realität unzutreffend erfaßt 1 6 2 . Die angemessenere Alternative dazu ist eine Konzeption, die mehrere Dimensionen in einem einheitlichen Bild umfaßt, die insbesondere die Dimensionen der Faktenbeschreibung und der Wertzuschreibung vereint 1 6 3 . Eine solche Konzeption ist dann zu erreichen, wenn man eine Sprach- und Vorstellungsebene anzugeben vermag, die beide Dimensionen umfaßt. In der Redeweise von Symbolen, Metaphern und Modellen ist diese Bedingung erfüllt. Diese Elemente können in das Konzept der story integriert werden. Die obige Darstellung beruht auf dieser Integration 1 6 4 . Das Konzept der story ist 159 161
1 Kön 17,1-16. M t 25,31—46.
160 162
M k 6 , 3 0 - 4 4 par.; 8 , 1 - 1 0 par. Vgl. oben Abschnitt 5.5.
1 6 3 Eine Ebene zu erreichen, in der beide Dimensionen synoptisch gesehen werden können, ist das Anliegen J e r r y H . Gills in seinem Aufsatz Christian Meta-Ethics? An Exploration of the Logical Status of the Judgments of the Christian Conscience (Encounter 2 9 , 1 9 6 8 , 1 8 3 - 2 0 6 ) . D i e beiden metaethischen Grundpositionen des Kognitivismus und Nonkognitivismus sieht er jeweils nur mit einer der beiden Dimensionen beschäftigt (aaO. 1 8 5 - 1 9 1 ) . E r untersucht H . Richard Niebuhrs E t h i k (anhand des Buches T h e Responsible Self, N e w Y o r k 1963) und stellt fest, daß dort eine vermittelnde Ebene durch epistemologische Überlegungen über den M e n schen als ein Wesen, das komplexe Vorstellungsformen schafft und gebraucht, erreicht wird (vgl. N . R . Niebuhr, aaO. 1 5 2 - 1 5 7 ; J . H . Gill, aaO. 198 f). A u f dieser Ebene der „images" sieht Gill die Dimension des Faktischen - images gründen in der faktischen Beschreibung der damaligen bzw. der heutigen Situation - und die des Wertes, der persönlichen Verpflichtung, des existentiellen Betroffenseins verbunden (J. H . Gill, aaO. 2 0 1 - 2 0 3 ) . In dem Buch T h e Possibility of Religious Knowledge (Grand Rapids 1971) entwickelt Gill in systematischer Weise einen Entwurf einer „Sprache der Metaphern und Modelle", die beide Dimensionen verbindet. 1 6 4 Ein G r u n d dafür, das umfassendere K o n z e p t story anstelle der Rede von Metaphern und Modellen zu verwenden, liegt in der Funktion, die das K o n z e p t story zusätzlich zu der mit den anderen Vorstellungen zu erfüllenden Funktionen wahrnimmt: in der Möglichkeit, zugleich als K o n z e p t verwendet zu werden, das die Identität des Menschen beschreibt. (Dazu vgl. die unter Buchstabe (b) folgenden Bemerkungen.)
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somit eine der Möglichkeiten, eine Basis einer ethischen Theorie für Christen zu beschreiben, die den Erfordernissen einer solchen Theorie gerecht wird. Sie stellt ein Beschreibungsinstrument dar, das einheitlich ist und zugleich mehrere Bezugsebenen besitzt. (b) Eine der zusätzlichen Bezugsebenen ist die der Identität des Menschen oder einer Gruppe, die in der Begrifflichkeit der story beschrieben werden kann 1 6 5 . Der Mensch besitzt eine eigene story,- die von den unterschiedlichen Einflüssen seiner Sozialisation und seiner Erfahrungen geprägt wurde. Insofern sind auch die Gepflogenheiten moralischen Uberlegens, Argumentierens und Entscheidens Teil seiner story. Indem er vorgeprägte Erklärungsund Verstehensmuster der Welt übernimmt, tritt er in die jeweils dahinter stehende story ein. Seine story wird zu der umgreifenden story einer Traditionsgemeinschaft in Beziehung gesetzt, und diese umgreifendere story wird Teil seiner eigenen. Die story ist also das Medium, in dem die Identität eines Menschen formulierbar wird und in ihrem Verhältnis zu einer oder mehreren Gruppenidentitäten dargestellt werden kann. Sie ist nicht nur eines von mehreren möglichen Idiomen zur Formulierung der Identität, sie ist das einzig zugängliche. N u r über die story, die ich habe, kann ich den Horizont meiner Erfahrungs- und Wertwelt umfassend und zugleich für künftige Entwicklungen offen darstellen. N u r über die story, die mir ein anderer erzählt, kann ich mir ein Bild machen von seiner Art, die Welt zu sehen und ihre Ereignisse zu bewerten. U m die story zu erzählen, sind viele einzelne Sätze, auch Sätze allgemeinen Inhalts, Summierungen von stories, Generalisierungen und gleichsam theoretische Aussagen nötig 166 . Ihren Zusammenhalt finden sie jedoch nur in dem ganzen Bild, das die story entwirft und zu dem sie die unterschiedlichen Bestandteile zusammenfügt. Die integrative, Identität sichernde Funktion der story oder eines Komplexes von stories gewinnt in der Ethik eine besondere Bedeutung. Die story der christlichen Kirche stellt den Rahmen dar, auf dem die Christen ihre Normen, ihre Wertvorstellungen, Urteile und Entscheidungen beziehen und durch den sie diese vermittelt sehen. Ihre eigene story und die story ihrer Kirche, mit der sie ihre eigene story verbunden sehen, sind daher diejenigen Instanzen, an denen die Wertentscheidungen in einzelnen Fragen ihre Einheit gewinnen. Diese Einheit vermittelt das Bewußtsein des Zusammenhangs der einzelnen Entscheidungen und der Konsistenz oder zumindest Kohärenz der Wertentscheidungen. Wer dieses Bewußtsein hat, kann sich mit seinen einzelnen Urteilen und Handlungen identifizieren, er gewinnt seine Identität. Sich mit seinen Entscheidungen identifizieren zu können verstärkt rück165 Zum Folgenden vgl. insbesondere D. Ritsehl, „Story" als Rohmaterial der Theologie, und D. Ritsehl, Zur Logik der Theologie. 166 Zur Rolle der Summierungen, generalisierter Aussagen etc. vgl. D. Ritsehl, „Story" als Rohmaterial der Theologie, 25-27, und H . O . Jones, Das Story-Konzept in der Theologie, 6668.
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wirkend wieder die Motivation zu diesen Entscheidungen und die Bereitschaft, an ihnen festzuhalten 1 6 7 . Die story als Bezugs- und Integrationssystem für die Ethik ermöglicht und erleichtert daher den Prozeß der Findung und Bewahrung der Identität des handelnden Menschen 1 6 8 . (c) Die Integration diverser Elemente, Urteile und Entscheidungen wird von dem Konzept der story durch die ihr eigentümliche Flexibilität und Ambiguität unterstützt. In zweierlei Hinsicht kann man von Flexibilität der story sprechen. Einmal erfordert die christliche story einen Vermittlungsvorgang, der ihr insgesamt und ihren einzelnen stories Bedeutsamkeit für das Leben und die story des Christen oder der Gruppe von Christen gibt. Dieser Vermittlungsvorgang gewährleistet die Flexibilität der christlichen story, weil die story nicht von vornherein und ein für allemal festliegt, sondern jeweils vom Gläubigen angeeignet und dabei neu interpretiert werden muß. Zum andern liegt die Flexibilität des Konzepts der story darin begründet, daß das Konzept selbst sehr offen ist. Gründe dafür kann man auf zwei Ebenen suchen. Auf der linguistischen Ebene ist es die Sprachform der story, die Verwendung von metaphorischen Elementen, die ihre Flexibilität bedingt. Metaphern, Parabeln, Symbole, Modelle sind sprachliche Formen, die sich in ihrem Inhalt nicht eindeutig festlegen lassen. Auf der erkenntnistheoretischen Ebene zeigt sich die story als eine Vorstellungsform, die divergentes Material umfassen und integrieren kann und sich dabei einer exakten Systematisierung entzieht. Stories besitzen also eine gewisse Ambiguität. Eine Ethik, die sich auf dem Konzept der story aufbaut, muß mit dieser Schwierigkeit rechnen. (d) Zugleich ist die dem Konzept der story inhärente Ambiguität aber der große Vorteil dieses Konzepts für die Ethik der Christen. Indem sie nämlich die exakte Systematisierung aller einzelnen Elemente verbietet und dennoch einen Rahmen der Integration unterschiedlicher Elemente bereitstellt, wird sie in einzigartiger Weise sowohl der Komplexität als auch der Offenheit und Nichtfestlegbarkeit der Ethik von Christen gerecht. Sie erlaubt es, im Prozeß der ethischen Urteilsbildung von Christen neben moralischen Überlegungen die Verwendung einer Fülle unterschiedlicher biblischer und theologischer Elemente - sowohl grundlegender Anschauungen wie etwa des Gottesgedankens oder der Schöpfungsvorstellung als auch einzelner, vergleichsweise 1 6 7 Story als formales Konzept hat also einen „konservativen" Charakter. Es entspricht daher im Bereich der Religion ihrer „bewahrenden Funktion" (vgl. Dieter Stoodt, Religion emanzipiert und stabilisiert, Evangelische Kommentare 3, 1970, 707-711; Hans-Eckehard Bahr, Religion 1, Religion 2. Zur Doppelfunktion religiöser Sinnvergewisserung in der Gesellschaft, Zeitschrift für Evangelische Ethik 18, 1974, 280-288). Von den Inhalten des christlichen Paradigmas und seiner stories ergibt sich die Stoßrichtung gegen zu beharrlichen Konservativismus. Dies ist der kritische, „progressive" Charakter, dem das story-Konzept ebenfalls Raum gibt. 1 6 8 Vgl. R. W. Hepburn, Vision and Choice in Morality, 187, 189; R. W. Hepburn, Christianity and Paradox, 192, 209.
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spezieller stories - zu erfassen 1 6 9 . Und sie erlaubt es, von einer Ethik von Christen zu sprechen, die viele im einzelnen unterschiedene Positionen umfaßt und doch nicht völlig auseinanderfällt. Der gemeinsame, wenn auch formale Rahmen ist in hohem Maß integrativ. Er bietet im Gespräch zwischen Christen, auch im ökumenischen Dialog, die Plattform, auf der die Verständigung zwischen Christen unterschiedlicher Standpunkte möglich ist. Die Pluralität dieser Standpunkte wird nicht zugedeckt. Es wird nicht behauptet, daß das Handeln von Christen immer einheitlich zu sein habe. Im Gegenteil: Die spezifische story jedes einzelnen und jeder Gruppe führt zu spezifischen Ausprägungen auch der Ethik. Die Unterschiede liegen nicht nur in der unterschiedlichen Auswirkung nichtreligiöser Einflüsse, auch die religiöse Tradition wirkt sich unterschiedlich auf die Ethik aus. Die einen betonen eher die Autorität der Bibel, ihrer Sätze, Gebote und stories. Andere betonen eher die verbindliche Autorität eines kirchlichen Lehramtes. Manche wählen eine Reihe von stories als normativ aus und vernachlässigen andere. Manche gehen eher von summarischen theologischen Vorstellungen und Lehren aus, um zu ethischen Schlußfolgerungen zu gelangen. Derartige Unterschiede und Varianten gibt es. Und es muß anerkannt werden, daß durchaus unterschiedliche Handlungsweisen und Werturteile mit der christlichen story vereinbar sind. Freilich stellt sich dann das Problem der Begrenzung dieser Vereinbarkeit, die Frage nach der N o r m , die ausschließt, daß jedes beliebige Handeln als mit der christlichen story übereinstimmend erklärt werden kann. Dieses Problem läßt sich nur so lösen, daß der Christ fragt, welches Handeln oder Urteilen mit der story oder den stories, die für ihn lebendig sind, oder mit dem Paradigma seines Glaubens, Jesus Christus, korrespondiert 1 7 0 . Von daher ergibt sich die Möglichkeit, betimmte Verhaltensweisen in der Geschichte und Gegenwart des Christentums als solche zu kennzeichnen, die außerhalb der Grenze der Interpretationsmöglichkeiten liegen: etwa die Kreuzzüge oder die Ketzerverfolgungen oder eine rassistische Politik 1 7 1 . Trotz dieser Unterschiede eine einheitliche oder zumindest zur Einheitlichkeit tendierende Basis christlicher Ethik anzunehmen ist der Vorzug des vorgeschlagenen Konzepts.
1 6 9 Vgl. D . Cupitt, G o d and Morality, 99; J . M. Gustafson, The Place of Scripture in Christian Ethics, 134. 1 7 0 Vgl. zu dem Begriff der Korrespondenzfrage D . Ritsehl, Medizinische Ethik in der internationalen und ökumenischen Diskussion, 29. 1 7 1 Vgl. James M. Gustafson, Moral Discernment in the Christian Life, in G . H . O u t k a u. P. Ramsey, H g . , N o r m and Context in Christian Ethics, 17-36, wieder abgedr. i n j . M. Gustafson, Theology and Christian Ethics, 99-119,109.
262
TEIL 7
Abschließende Überlegungen A m E n d e dieser Arbeit bleibt die A u f g a b e , über ihr Ergebnis Rechenschaft abzulegen. D i e Frage muß eine Antwort finden, was die Beschäftigung mit der analyischen Ethik für die theologische Ethik ausgetragen hat. Präziser: Im Rückblick auf den Gang, den die Arbeit genommen hat, soll zusammenfassend dargelegt werden, wie auf den Bahnen analytisch-ethischen Denkens die Grundlagen christlicher und somit die Voraussetzungen theologischer Ethik geklärt werden konnten. D e n n das war ja das Anliegen der Arbeit: angesichts der Situation, daß christliche Ethik als ein spezifischer Bereich der Ethik fraglich geworden war und mit ihr die theologische Ethik als die theoretische Beschäftigung mit der Ethik der Christen, zu klären, ob man von christlicher Ethik sprechen kann, wie sie gegebenenfalls zu beschreiben ist, w o ihr Standort innerhalb der Ethik ist und worin ihr Proprium besteht. D a s Instrument, das zu dieser Klärung helfen sollte, war die analytische Ethik, ein brauchbares Instrument deshalb, weil sie es war, die vor einem halben Jahrhundert aller philosophischen Ethik ihre Berechtigung bestritt. Wenn in ihrem H o r i z o n t christliche Ethik bestehen kann, dann ist anzunehmen, daß mit diesem Aufweis die Voraussetzungen theologischer Ethik beschrieben sind. Sofern dies zutrifft, ist das, was in dieser Arbeit versucht wurde, selbst schon wichtiger Bestandteil der Arbeit theologischer Ethik. D i e Untersuchung verlief in drei großen Schritten. (a) D i e Thematik der sprachanalytischen Ethik wurde beschrieben, und ihre Ergebnisse wurden dargestellt und gesichtet. Dies geschah anhand der Durchsicht ihrer bisherigen Entwicklung (Teil 2). Im Verlauf dieser Erörterungen hat sich gezeigt, daß nach dem Zerfall aller Ethik und der R ü c k f ü h rung aller ethischen Sätze auf bloß subjektive Präferenzaussagaen im Frühstadium analytischer Beschäftigung mit der Ethik die philosophische Ethik als metaethische und normative Disziplin wiedererstand. N a c h der Bedeutung ethischer Wörter und Sätze und nach gültigen Rechtfertigungsstrategien zu fragen und N o r m e n zu entwickeln, die mit dem A n s p r u c h auf Allgemeingültigkeit ethisches Handeln und Urteilen bestimmen, waren wieder als Tätigkeiten anerkannt, die moralphilosophischer Mühe wert waren. Daran schloß sich die Frage an, wie beim gegenwärtigen Stand der analytisch-ethischen Diskussion die metaethischen Voraussetzungen des ethischen Diskurses angemessen beschrieben werden können. Eine Metaethik wurde skizziert, die dem ethischen Diskurs gerecht wird: Im ethischen D i s k u r s tauscht man sich aus über die Entscheidungen, die man in Situatio263
nen trifft, die zu moralischem Verhalten oder zu moralischem Urteil herausfordern, und man fragt nach den Gründen für diese Entscheidungen. Wenn man diese Frage weit genug vorantreibt, wird man auf letzte Gründe stoßen, hinter die man nicht zurückfragen kann. Solche letzten Gründe, so wurde gesagt, sind nicht im Verweis auf unabänderliche Prinzipien zu finden, sondern im Bezug auf die grundlegenden Uberzeugungen eines Menschen beziehungsweise einer Gruppe. Diese grundlegenden Überzeugungen, die je spezifische Sicht der Welt ist die letzterreichbare Ebene bei dem Unternehmen, bestirnte Entscheidungen oder Urteile zu begründen (Teil 3) 1 . Mit diesen Überlegungen wurde deutlich, daß von der analytisch-ethischen Diskussion ein Zugang zur christlichen Ethik offensteht. Die analytische Ethik schließt christliche Ethik nicht aus. Sie kann sich mit ihrem Instrumentarium dem Feld der ethischen Äußerungen von Christen zuwenden und sie auf ihre metaethischen Voraussetzungen hin analysieren. Eine derartige Analyse ist notwendig Teil der Aufgabe theologischer Ethik. Als eine wissenschaftliche Disziplin ist sie mit der Klärung ihres Gegenstandsfeldes, der Ethik von Christen, beschäftigt. Sie hat eine doppelte Aufgabe: Sie muß Problemfelder moralischen Urteilens und Handelns beschreiben und normative Kriterien aufzeigen, die ethische Entscheidungen bestimmen. Dies ist ihre normativ-ethische Aufgabe. Sie muß angeben, welche Rechtfertigungsgründe für bestimmte Urteile und Entscheidungen im Diskurs Geltung haben. Dies ist ihre metaethische Aufgabe. Das Instrumentarium der philosophischen Metaethik kann ihr helfen, diese Aufgabe zu erfüllen. (b) Im zweiten Schritt konzentrierte sich die vorliegende Arbeit auf die Fragen theologischer Ethik. Zunächst wurde versucht, das Verhältnis von Religion und Moral/Ethik zu klären. Die Diskussion einer Reihe bisher vorgebrachter Bestimmungen dieses Verhältnisses ergab, daß die Religion als ein System von Überzeugungen, das die Welt interpretiert und verstehbar macht, in Beziehung treten kann zur Moral als einem handlungsleitenden System. Wenn dies geschieht, spricht man von religiöser Ethik. Sie ist eine Form der Ethik, die sich von anderen gerade dadurch unterscheidet, daß 1
Hier ist in anderer Hinsicht von der letzten Begründungsebene gesprochen, als dies die transzendentalphilosophische Beschäftigung mit der Ethik tut. Dort geht es darum zu zeigen, daß allem sinnvollen ethischen Diskurs die Annahme intersubjektiver Gültigkeit moralischer Normen oder doch das Vertrauen zugrundeliegt, im Diskurs werde sich herausstellen, welche Normen mit Gründen als gültig behauptet werden können. Keiner kann sich am ethischen Diskurs beteiligen, ohne diese Voraussetzung der Intersubjektivität und Argumentationsfähigkeit auf dem Gebiet der Ethik zu machen. Dort geht es also um die Begründung der Ethik als eines rationalen Unternehmens. Demgegenüber geht es hier nur um den Aufweis einer letzten Ebene im ethischen Diskurs, auf die die Diskurspartner sich beziehen und die phänomenologisch noch aufweisbar ist. Zur transzendentalphilosophischen Letztbegründung der Ethik vgl. etwa K.-O. Apel, Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik, und die Arbeiten von J. Habermas und K.-O. Apel in K.-O. Apel, Hg., Sprachpragmatik und Philosophie, Frankfurt 1976.
264
moralische Vorstellungen in Verbindung mit religiösen gesehen werden (Teil 4). In einer erneuten Konzentration auf die Sprache und ihre Analyse wurde der Anteil religiöser Sätze an der Formulierung einer religiösen Ethik zu bestimmen versucht. Religiöse Sätze können, so wurde gesagt, im ethischen Diskurs von Christen die Objektivität oder die Autorität der Moral formulieren und somit gewährleisten, sie können als Ausgangspunkt für die Gewinnung handlungsleitender Sätze dienen, sie können die Verpflichtung zu einem bestimmten Verhalten formulieren, und sie können vor allem als Ausdruck einer spezifischen Weise, die Welt zu sehen, verstanden werden und insofern Einfluß auf die Ethik nehmen (Teil 5). (c) Abschließend wurde ein Modell der Metaethik religiöser Ethik entwickelt, das die Ergebnisse der vorangegangenen Analysen und Klärungen zu berücksichtigen und einen Rahmen darzubieten versucht, innerhalb dessen die Entwürfe religiöser Ethik unterschiedlicher Prägung begriffen werden können (Teil 6). Moral ist als handlungsleitendes System von Regeln und Vorstellungen verstanden, das seinerseits auf der Basis einer umfassenden Sichtweise der Welt ruht. Im Fall der Ethik von Christen nimmt eine Sicht der Wirklichkeit Einfluß auf die Ethik, die von stories lebt, die den Menschen in der Nähe Gottes befreit sehen, im Anbruch des Reiches Gottes zu leben. Eine Reihe christlicher Vorstellungsinhalte wurde in ihrer Verbindung zu Inhalten christlichen ethischen Denkens aufgezeigt. In dieser Verankerung christlicher Ethik in der spezifischen Sicht der Welt, die Christen von Nichtchristen unterscheidet, wurde das Proprium der Ethik von Christen erkannt. Daher rühren die Besonderheiten christlicher Ethik. Doch dieses Proprium stellt die christliche Ethik nicht außerhalb der Ethik überhaupt. Denn jede Ethik ist auf einen ihr spezifischen Rahmen von Grundannahmen, auf eine spezifische Sicht der Welt bezogen. Die Ethik insgesamt ist als eine Landschaft zu begreifen, in der mehrere spezifisch ausgeprägte Ethiken nebeneinander und in in Konkurrenz zueinander stehen 2 . Jeder Mensch und jede Gruppe hat daraus die Ethik gewählt, die der jeweiligen Weltsicht entspricht und mit ihr in Verbindung steht. So ist zum einen deutlich geworden, daß die Beschäftigung mit der Metaethik Raum läßt für die christliche und theologische Ethik. Mit guten Gründen kann eine metaethische Position vertreten werden, die die Ethik eingebettet sieht in ein System von Grundannahmen über den Menschen und die Welt. Die Art und Weise, wie Christen die Welt sehen, hat in dieser Hinsicht keine geringere Berechtigung als die von Menschen, für die christlicher Glaube keine Bedeutung besitzt, die christliche stories nicht benutzen, um ihre Orientierung und den Horizont ihrer Hoffnung zu beschreiben. Das nämlich zeichnet christliche Ethik gegenüber nichtchristlicher Ethik aus: daß 2
Vgl. zu dieser Vorstellung auch J. F. Childress, The Identification of Ethical Principles, 5 4 -
59.
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für Christen ethisches Denken und Handeln eingefügt ist in den Rahmen ihres Weltverständnisses. Wenn Christen und Nichtchristen über ethische Fragen sprechen, dann verläuft ihr Gespräch nach den Regeln des ethischen Diskurses: Sie klären die Voraussetzungen ihres Verhaltens, die Situation und ihre Fakten, sie entwerfen Verhaltensalternativen und klären ihre mutmaßlichen Folgen, sie verständigen sich über die Bedeutung, die die ethische Tradition, in der sie stehen, Regeln, Ideale und Tugenden für ihr Verhalten haben 3 . Sie werden, wenn sie ausdauernd miteinander sprechen, an den Punkt gelangen, wo sie Klarheit wünschen über die Voraussetzungen, von denen aus sie denken und ihre Welt ordnen. Christen werden dann Auskunft geben, indem sie religiöse Sätze sagen, Bezug nehmen auf die story Israels, Jesu und der Kirche, die zugleich die story Gottes mit dem Menschen ist. Und dies ist das andere Ergebnis der vorliegenden Arbeit: In eben diesem Bezug auf eine spezifische Weltsicht ist die Einheitlichkeit der Ethik von Christen zu sehen - bei allen Unterschieden in ihrer Ausprägung. Ein offenes Konzept ist erforderlich, das diese Einheitlichkeit auszudrücken erlaubt. Es muß notwendig interpretationsfähig sein, denn nur so ermöglicht es die Integration unterschiedlichen Materials christlicher Ethik. Dazu wird das Konzept der story vorgeschlagen, das die spezifisch christliche Weltsicht (die story der Christen, der ersten Christen, des Christus im Horizont der story Israels) mit der gegenwärtigen story der Christen einschließlich ihrer ethischen Entscheidungen und ihres ethischen Denkens vermittelt. So sind die stories einer Glaubensgemeinschaft die gemeinsame Bezugsebene für die gesamte Weltsicht und daher auch für die Begründung ethischer Urteile und Entscheidungen. Selbst wenn Mitglieder derselben Glaubensgemeinschaft nicht ständig übereinstimmende ethische Entscheidungen treffen, stellt der Bezug auf die gleichen stories die gemeinsame Basis dar. Auf dieser Basis kann darum gestritten werden, ob die jeweilige ethische Entscheidung der Kontrahenten mit den stories korrespondiert, wo die Fakten der moralischen Situation und wo die gemeinsamen stories unterschiedlich interpretiert werden, wie groß also das Maß der Ubereinstimmung ist und wo die Differenzen begründet liegen 4 . Wenn man die Ethik der Christen so sieht, besteht die Hoffnung, daß man auch bei Unterschieden in der ethischen Beurteilung weniger schnell, als man es bisher getan hat, die Gemeinschaft aufkündigt und härter als bisher um eine Klärung der Differenzen ringt - auch wenn diese Klärung am Ende nur zu dem Ergebnis führt, daß der eine einige stories oder bestimmte Züge in den stories anders bewertet als der andere und man sich nicht einigen kann auf eine übereinstimmende Beurteilung. Nicht allein um dieses Vorzugs willen wurde die Ethik von Christen mit der story von Christen in Verbindung gebracht. Von story wurde im Zusam3 Vgl. das S c h e m a einer ethischen U r t e i l s f i n d u n g bei H e i n z E d u a r d T ö d t , V e r s u c h z u einer T h e o r i e ethischer U r t e i l s f i n d u n g , Zeitschrift f ü r Evangelische E t h i k 21, 1977, 8 1 - 9 3 , 83. 4
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V g l . d a z u o b e n , A b s c h n i t t 6.4.
menhang der Ethik gesprochen, weil dieses Konzept deutlich macht, daß alle Ethik auf die ganze Lebensweise des handelnden und urteilenden Subjekts Bezug nimmt. D o r t erst, im Rekurs auf diese ganze Lebensweise, ist die Ebene gefunden, auf der ethisches Urteilen und Handeln begründet ist. Eine Metaethik, die zu dieser Ebene nicht vorstößt, bleibt mit den Fragen nach der Bedeutung von Wörtern und nach den Schemata zur Rechtfertigung moralischer Aussagen beschäftigt. Sie tut gewiß notwendige und sinnvolle Arbeit, doch sie stößt nicht zur letzten erreichbaren Begründungsebene vor. Von der Verankerung der Ethik in der Sicht der Welt, von story und stories als letzter Begründung der Ethik eines Menschen oder einer Gruppe zu sprechen stellt also eine Weiterführung der Bemühungen der Metaethik dar und reformuliert zugleich die Metaethik derart, daß sie weniger abstrakt, weniger abgelöst vom konkreten ethischen Handeln und Argumentieren und näher bei der Wirklichkeit des handelnden und urteilenden Subjekts ist. W o philosophische Ethik, die sich auf das ethische Urteilen und Verhalten der Menschen richtet, es klärt und systematisiert, an ihre Grenze stößt, weil sie die hinter allem ethischen Engagement liegenden Grundannahmen nicht weiter analysieren kann, sondern als gegeben hinnehmen muß und nur noch ihren Zusammenhang mit bestimmten ethischen Entscheidungen aufweisen kann, dort beschreibt theologische Ethik als die systematische Beschäftigung mit der Ethik von Christen die Funktion religiöser Sätze für die Christen. Theologische Ethik hat also keine prinzipiell andere Aufgabe als philosophische Ethik. Sie hat lediglich einen eingegrenzteren Gegenstand, die Ethik von Christen, und kann daher ihre Aufmerksamkeit stärker konzentrieren. Und sie hat durch ihren Gegenstand, die Ethik von Christen, die Aufgabe, die Beziehungen zwischen der Ethik eines Menschen, des Christen, und seiner Art, die Welt zu sehen, präzis zu erfassen, eine Aufgabe, die doch nicht jeder Moralphilosoph im Blick hat und haben kann. Indem dieser Sachverhalt klargestellt wurde und indem deutlich wurde, daß theologische Ethik, so verstanden, eine sinnvolle und notwendige Beschäftigung mit der Ethik von Christen ist, hat diese Arbeit, die sich vom Ansatz der analytischen Ethik aus mit der theologischen Ethik beschäftigte, beigetragen zur Grundlegung der theologischen Ethik 5 .
5 Sollte ich am Ende eine Positionsbestimmung dieser Arbeit vornehmen, so würde ich auf die N ä h e der Gedanken über die theologische Ethik zu James M . Gustafson (vgl. besonders Can Ethics Be Christian?, C h i c a g o / L o n d o n 1975) und Stanley Hauerwas (bes. Vision and Virtue) und auf die N ä h e der in der Arbeit vorausgesetzten Epistemologie zu Ian G . Barbour (Myths, Models, and Paradigms), H u g h O . J o n e s (in seiner Mainzer Habilitationsschrift Die L o g i k theologischer Perspektiven) und Dietrich Ritsehl (jetzt bes. Zur Logik der Theologie) hinweisen.
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Literaturverzeichnis Das Literaturverzeichnis umfaßt nur die wichtigsten Titel der benutzten Literatur. Im übrigen verweise ich auf die Bibliographie zur analytischen Religionsphilosophie bei I. U. Dalferth, Hg., Sprachlogik des Glaubens, 283-302, und die (ergänzungsfähige) Bibliographie zur analytischen Ethik bei H . Biesenbach, Zur Logik der moralischen Argumentation, 273-335. Abkürzungen nach Kurt Galling, Hg., Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 3. Aufl., Bd. VI, Tübingen 1962, X I X XXXIII.
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Frankena, W. Κ. 18,26 f., 5 4 , 6 3 , 6 8 , 7 8 , 9 1 , 99 f., 1 0 9 , 1 2 5 , 1 9 0 , 2 0 4 , 2 1 9 - 2 2 2 , 2 2 9 , 249 f. Franklin, R. L. 58 Frey, C. 5 2 , 7 7 , 2 0 3 Fuchs, J . 2 2 7 , 2 2 9 Furger, F. 6 1 , 1 8 2 , 2 1 7 , 2 2 7 , 2 3 5 Galloway, A. D . I l l f., 115,119 Gert, B. 48 Gewirth, A . 2 1 f . Gibson, Α. Β. 191,197 Gill, J . Η. 259 de Graaff, G. 1 4 1 , 1 4 3 , 1 4 9 , 1 5 7 , 1 8 3 , 1 8 5 Graber, G. C. 137, 148-150, 157f., 162, 186 Grabner-Haider, A. 75 Grewendorf, G. 1 8 , 3 0 , 3 4 , 4 8 , 78 Griffiths, A. P. 80,98 f. Gustafson.J.M. 1 6 0 , 1 8 3 f . , 2 0 7 f . , 2 2 2 f „ 238 f., 2 4 3 , 2 4 7 f . , 2 6 2 , 2 6 7 Haase, H . - W . 75 Habermas, J . 9 9 - 1 0 1 , 2 6 4 Hampshire, S. 6 0 , 6 3 f., 66 f., 6 9 , 2 0 3 Hanly, Κ. 103 Hare, R. M. 1 7 - 2 0 , 2 3 , 3 4 - 4 2 , 5 0 f., 55-57, 65,78,81-88,93-95,98,102,106-108, 111,115,117,141,156-158,163,165,172, 1 7 9 , 1 8 7 , 1 9 0 , 1 9 3 , 1 9 6 , 2 0 1 f., 205,207, 209,211,213,216,219 Harned, D. Β. 208 Harrison, J . 53, 87 Hauerwas, S. 7 8 , 2 0 4 , 2 0 6 , 2 1 6 , 2 2 3 , 2 3 7 , 2 6 7 Helm, P. 123 Hepburn, R. W. 5 9 - 6 3 , 1 4 9 , 1 5 5 , 1 9 9 , 2 0 5 207,261 Hertz, A. 13 Hick, J . 1 3 3 , 2 1 0 , 2 5 5 High, D. M. 75 Höffe, O . 69 Hoerster, Ν. 17f., 22f., 78, 8 5 , 1 0 0 Holbrook, C. A. 178f. Holzner, B. 122 Hornig, G. 75 Hubbeling, H. G . 77,114 Hudson, W. D . 25,28 f., 3 2 - 3 5 , 4 0 , 4 2 , 5 7 f . , 88,103,106-110,117-119,122f. Hughes, G. J . 224-231 Hume, D . 2 6 , 3 8 , 1 0 3 , 1 0 9 , 1 1 1 Hunter, G. 103 Janowski, H . N. 77 Jeffner, A. 77, 8 7 , 1 0 2 , 1 0 8 , 1 2 0 , 197f.
Jones, H. 0 . 2 0 0 , 2 0 2 , 2 0 7 , 2 1 0 , 2 5 3 , 2 5 5 , 260,267 Jiingel, E. 106f., 236 Just, W . - D . 7 5 , 1 8 0 , 1 9 2 , 2 0 1 f. Käsemann, E. 217,236 Kambartel, F. 75 Kamlah, W. 13, 120 Kant, 1 . 1 6 , 3 9 , 4 7 , 7 7 , 1 0 4 , 1 2 7 , 1 4 1 , 1 4 5 , 156,172,219,235 Kaufman, G . 242 Kaulbach, F. 1 7 , 2 2 , 2 4 , 2 6 , 2 8 , 71-73, 78 Kehrer, G. 133,231 Kerner, G. C . 26, 87 Kierkegaard, S. 149 König, G. 75 Körner, S. 124 Komisar, B. P. 107 Korff, W. 13 Kovesi, J . 237 Kraft, V. 28 f. Kuhn, T. S. 256 Kupperman, J . J . 96 van der Leeuw, G. 133 Lehmann, P. L. 220 Lenk, H . 18,20 f., 70, 78,125 Lessing, E. 126 Lessing, G. E. 143 Lewis, H. D . 148 Lindars, Β. 185,240 Little, D . 132, 134-137,215 Logstrup, Κ. E. 227 Long, E. L. 140,147 Lorenzen, P. 13,99 Luckmann, T. 133, 208 Luhmann, N. 133 Luther, M. 1 1 3 , 2 0 8 , 2 4 9 Macbeath, A. 148 McClellan, J . E. 107 McClendon, J . W. 210, 253 McClintock, T . L. 91 f. McCloskey, H. J . 21 McCormick, R. A. 227 McDonagh, E. 210,217 McGrath, P. 175 f. Maclntyre, A. C . 4 2 , 1 0 3 , 1 1 0 , 1 5 4 Mackinnon, D . M. 1 8 6 , 1 9 1 , 1 9 4 f . , 197 Maclagan, W. G. 149 Macquarrie, J . 2 2 6 , 2 4 2 , 2 4 4 f. Marhold, W. 133 Martin, J . A. 75,191, 196,198f. Mayberry, T. C. 151, 153,155, 227
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Mayor, S. 229,251 Meggle, G. 18,30, 34,48, 78 Melanchthon, P. 75,113 Menzel, P. T. 163,213,224 Meyer zu Schlochtern, J. 76 Mieth, D. 235 Mill, J. S. 26 Miller, J. F. 76 Milo, R. D. 108 Mitchell, B. 213,222 Moltmann, J. 236 Moore, G. E. 16,23-28,36,38,43,50,57, 106 Mortimer, R . C . 110 Mounce, Η. O . 94f., 98f„ 102,116-118,122, 163 Murdoch, I. 59-61,63,205-207 Nelson, L. Κ. 148,152 f., 156,238 f. Neurath, 0 . 2 8 Newell, R . W . 18 Niebuhr, H . R. 259 Nielsen, K. 17-22,28,35,42,45,48,56,64, 81-84,87,109,124,142,149,153-155, 161 f., 186,197,218 Nietzsche, F. 209 Norman, R. 209 Nowell-Smith, P. H . 16,41,49-52, llOf., 130,134 f., 137,140,149,152f., 156-158, 162,193 Nygren, A. 249 Ockham, W. 75,174 Oppenheimer, H . 58-60,62 f., 112,114, 119f., 123, 151,155f„ 205,207,237f. Outka, G. H . 65, 78, 143,250-252 Owen, H . P . 160,220 van Oyen, Η . 113 Pannenberg, W. 75-77, 209 de Pater, W . A . 75,187,196 Patzig, G. 19 Phillips, D. Z. 76,89 f., 94 f., 98,102,104, l l l , 1 1 6 f . , 118,122,146,161-164 Pieper, A. 27,48 f., 52,54 f., 70 f., 73, 78 Piaton 23,129 Pole, D. 87 Popper, K. 28,100 Porter, B. F. 154 Prichard, Η . A. 28 Rachels, J. 155, 157f„ 166 Raddatz, W. 75
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Ramsey, I.T. 78,151,153f., 179-181,191, 194,196 f., 200,227 Ramsey, P. 220-222 Rawls, J. 48, 53,68 f. Reagan, C. E. 148 Reeder, J. P. 146,152,164 Rees, D. A. 160,199 Reibenschuh, G. 18 Rendtorff,T. 13,113 Rhees, R. 45 Ringeling, H . 13 Ritschl, D. 11,148,189,206f., 253,260,262, 267 Robbins, J. W. 204 Roberts, T. A. 154,156 f. Robinson, J. A. T. 220 Robinson, N . H . G. 67,78,145,187,227, 239,242 Roessler, D. 231,236 Rosen, B. 95 Ross, W. D. 28 Rotter, H . 226 f. Russell, B. 29 Ryle, G. 62 Salomon, R. D. 21 f. Sauter, G. 13, 75-77,126,128 von Savigny, E. 12, 34,62,187 Scheffler, I. 53 Schenk, D. 204 Schiwy, G. 14,127f. Schleiermacher, F. 75 Schlick, M. 28 Schnackenburg, R. 128 Schneewind, J . B . 95,122,210 Schofield,J.N. 191,200 Schrey,H.-H. 139,144 Schultzky, G. 75 Schwemmer, O . 99 Scruton, R. 34,219 Searle, J . R . 14,105-109,114 Seil, A. P. F. 200 Sherry, P. 76 Sidgwick, H. 26 Simpson, M. 224, 227-230 Singer, M. G. 43, 48, 78, 187, 219 Slote, M . A . 115 Smart, N . 131 Snare, F. 69 Sokrates 23,129,147 Spaemann, R. 227 Spencer, H . 26 Stegmüller, W. 29 Stevenson, C. L. 30-36,42f., 57
Stoeckle, Β. 208,227 Stoodt, D. 261 Strawson, P. F. 5 9 - 6 1 , 6 3 , 2 0 1 - 2 0 3 , 2 0 7 , 2 2 3 Strecker, G. 243 Styczeñ, T. 18 Taylor, P. W . 43 Telfer, E. 96 Thielicke, H. 113f.,226 Thomas von Aquin 173, 249 Thompson, J . 107 Thompson, J . J . 107 Tödt, H . E. 266 Toulmin, S. E. 3 8 , 4 2 - 4 5 , 4 8 , 5 3 , 8 1 - 8 6 , 9 8 , 1 0 0 , 1 0 2 , 1 1 5 , 1 6 5 , 2 1 1 f. Track, J. 75 Trethowan, I. 175f. Trigg, R. 89,95 f., 98 Twiss, S . B . 132,134-137,215 Ulrich, H. G. 1 3 , 7 5 , 2 2 4 Urmson, J . O. 46 Vischer, L. 241 Waismann, F. 2 8 , 4 5 Wallace, G. 146 Ward, Κ. 6 5 , 7 8 , 8 7 , 9 8 , 112,118,126 f., 172-
1 7 4 , 1 7 6 , 1 8 3 , 1 8 5 f . , 1 9 6 , 2 0 9 , 2 3 9 , 2 4 1 f. Warnock, G . J . 2 8 , 3 5 f „ 4 0 - 4 2 , 5 5 - 5 8 , 8 7 , 111,205,218 Watt, A . J . 100 Weber, O. 114,146 Weinke, Κ. 21 Wellman, C. 20 Wendland, H.-D. 128, 217,243 Wengst, K. 217 Wharton, J . A. 253 White, M. 53 Whyte, J. 217 Wieland, W . 12, 20 Williams, B. 219 Williamson, W . B. 124,136,227 Willis, R. E. 222 Winquist, C. E. 253 Wisdom, J. 255 Wisser, B. 25 Wittgenstein, L. 28f., 45, 76,186f., 192,212 Wolter, A. B. 145 Woods, G . F . 217,220 van W y k , R . N . 147, 152, 156, 229 Wyss, D. 209 Yinger, J. M. 130 Zimmermann, M. 103
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Joachim Track
Sprachkritische Untersuchungen zum christlichen Reden von Gott (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, Band 37). 1977. 337 Seiten, kartoniert »Joachim Track geht in seinem Buch auf die Herausforderung ein, die die Analytische Sprachphilosophie für das Selbstverständnis der Wissenschaften, besonders aber für die Geisteswissenschaften und die Theologie darstellt. Es geht dem Autor darum, mittels einer um methodische Klarheit bemühten sprachkritischen Untersuchung der bisherigen christlichen Redepraxis zu der Basis eines geklärten, verbindenden und verbindlichen Redens von Gott zu kommen. Ein wichtiger Beitrag für jedes Studium, das sich um ein Verstehen des Wortes Gott bemüht. « Theologia Practica
Koloman Micskey
Die Axiom-Syntax des evangelisch-dogmatischen Denkens Strukturanalysen des Denkprozesses und des Wahrheitsbegriffs in den Wissenschaftstheorien (Prolegomena) zeitgenössischer systematischer Theologen (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, Band 35). 1976. 162 Seiten, kartoniert Die Arbeit will zeigen, wie in der Vielfalt protestantischer systematischtheologischer Wissenschaftstheorien unseres Jahrhunderts auf der Ebene der theorieerzeugenden fachspezifischen Denk- und Sprachkompetenz die strukturale Einheit der evangelischen Religion und der diese Religion an das neuzeitliche Wirklichkeitsbewußtsein vermittelnden systematischen Theologie wirksam ist. Zugleich zeigt die Arbeit die strukturale Einheit der lutherischen und der reformierten Varianten systematischer Theologie.
Anders Jeffner
Kriterien christlicher Glaubenslehre Eine prinzipielle Untersuchung heutiger protestantischer Dogmatik im deutschen Sprachbereich. 1977. 149 Seiten, kartoniert A. d. Inh.: Der Begriff Glaubenslehre und das Kriterienproblem / Indirekte Kriterien / Erfahrungskriterien / Wissenschaftskriterien / Logische Kriterien / Christlicher Glaube und wissenschaftliche Argumentation
Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen und Zürich