Ethik: Christliche Sittenlehre 9783111634586, 9783111253435


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German Pages 340 [344] Year 1922

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einleitung
Erster Teil.. Prinzipienlehre (Moralphilosophie)
Zweiter Teil. Geschichtlicher zur Phänomenologie der Wichen Bewußtseins und zur Geschichte der Ethik
Dritter Teil. Spezielle Ethik (Morallehre)
Sachverzeichnis
Personenverzeichnis
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Ethik: Christliche Sittenlehre
 9783111634586, 9783111253435

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Ethik tLhriftliche Sittenlehre)

Gesamtplan des Unternehmens siehe Seite XII

Töpelmann

Sammlung 1. Gruppe

Vie Theologie im Abriß

Banb 4

Ethik Christliche bittenlehre von

D. Dr. (Emil Walter Mayer Professor an der Universität Sietzen

(922

Verlag von Alfred Töpelmann in Gießen

Alle Rechte,

insbesondere das Recht der Übersetzung, vorbehalten

COPYRIGHT 1922 BY ALFRED TÖPBLMANN

Druck von L. d>. Röder

907921

Leipzig

Vorwort Eine Bearbeitung bet Ethik kann heute nicht gut an bet Frage varübergehen, inwiefern unb unter welchen Voraussetzungen „Ethik" als Wissenschaft möglich fei. Allein schon barmn mutzte vorliegenbes Lehrbuch durch einen moralphilosophischen Teil eröffnet werben. 3n biesem konnte bann auch bie, an sich keineswegs selbstverstSnbliche, Gleichsetzung von christlicher Sittenlehre unb Ethik ihre Begründung finden. (Eine aus­ führlichere Auseinandersetzung mit ben Anschauungen Max Scheiers wäre habet freilich nur möglich unb geboten gewesen unter bet Voraus­ setzung, bah bie ganze ihnen zugrunde liegende „phänomenologische" Er­ kenntnistheorie überhaupt zu Recht bestehe. Vie Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit eines zweiten wesentlich geschichtlichen Teils wirb aus den Ausführungen des Textes selber hoffentlich mit hinreichender veutlichkeit erhellen. 3m dritten, bie sogenannte „spezielle Ethik" behandelnden, Teil war vor allem der Umstand zu berücksichtigen, batz die christliche Ethik eine Gesinnungsethik ist — „ama et fac, quod vis“, lautet ein ebenso schönes als tiefes Wort Augustins —; unb es mußte daher auch den Ein­ wänden gegen irgendwelche Aufstellung von Einzelnormen burch die spezielle Ethik Rechnung getragen werben. Außerdem war aber noch dem Problem von dem Verhältnis der christlich-sittlichen Gesinnung zur profanen Kultur besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Ein flüchtiger Blick auf die Gegenwart genügt ja bereits, um die Erkenntnis zu erschliehen, wie leicht jederzeit naturalistische Kultur­ seligkeit umschlägt in schwarmgeistige Ablehnung der Kultur. Gedankenlos ignoriert man jetzt vielfach wieder die schwere Geistesarbeit von Jahr­ hunderten: den mittelalterlich-katholischen versuch, eine Zweckbeziehung aufzuweisen zwischen der profanen Kultur unb einem darüber stehenden höchsten Gut, ebensowohl wie die reformatorische Forderung, diese Kultur mit christlich-sittlichem Geist zu durchdringen. Unb im Überschwang der Augenblicksstimmung geht man von einer Denkweise, wie sie sich vor einigen Jahren aussprach in dem schalen Selbstruhm, es sei „ein Geist der Dies» seitigkeit über uns gekommen", plötzlich über zu einer schroff entgegen­ gesetzten Denkweise, die bas ernste Mahnwort nahelegt „verachte nur Vernunft unb Wissenschaft". Beide Extreme sind jedoch ethisch unerträglich, von naturalistischer unb materialistischer Kulturseligkeit versteht sich bas wohl von selbst. Was aber anderseits schwarmgeistige Ablehnung bet

Vorwort

VI

Kultur in sittlicher Hinsicht bedeutet, wolle man sich nur einmal mittels des Gedankens vergegenwärtigen, daß beispielsweise eine ihrer letzten Konsequenzen entweder völliger verzicht sogar auf alle geistige Beherrschung des Körpers, dieses uns unmittelbarst gegebenen Stücks Natur, oder aber grundsätzliche Abtötung des Leibes sein mühte. 3u der einen wie der anderen Folgeerscheinung liegen bekannte Paradigmata in der Geschichte vor. Eben deshalb erforderte das Problem vom Verhältnis der ethischen Gesinnung zur Kultur, oder, wie man wohl auch sagt, vom Verhältnis der „vergpredigtmoral" zu einer sogenannten Kulturmoral die sorgfältigste Erwägung. 3m übrigen möchte Verfasser das relativ späte Erscheinen des Buchs damit entschuldigen, daß ihm infolge der Ausweisung aus seinem bisherigen lvirkungskreis und der damit verbundenen wirren ein großer Teil der gesammelten Belege und Notizen verloren gegangen ist. Sie konnten nur mühsam, aber, wie doch wohl angenommen werden darf, in einigermaßen ausreichendem Umfang ersetzt werden. Für das Lesen der Korrekturbogen bin ich Herrn Kollegen Prof. Schian in Gießen und Herrn Kollegen Prof. Wehrung in Münster verpflichtet. Ebenso Herrn Kollegen Lic. Dell, der obendrein die Herstellung des personenund Sachregisters mit Hilfe von Herrn stud. theoL Lebrecht freundlichst übernommen hat. Ihnen allen sei hier aufrichtig Dank gesagt. Gießen, April 1922.

E. w. Mayer

Inhalt Die Zahlen bezeichnen die Seiten

Einleitung.................................................. § 1: § 2:

§ 3:

§ 4:

Der Gegenstand der Ethik im allgemeinen............. Begriff und Aufgabe der Ethik: Die herrschende Auf­ fassung ............................................................................ Begriff und Ausgabe der Ethik: Abweichende Auf­ fassungen und abschließende Bestimmungen.............. Einteilung der Ethik.....................................................

Erster Teil: Prinzipienlehre Moralphilosophie) 1. Kapitel: Das Wesen der sittlichen Normen...... § 5:

§6: §7: § 8:

i-is 1 - 3 4- 7

8-13 ...13

14-70

14-23 Inhaltliche oder formale Merkmale der sittlichen Normen?..........................................................................................14 Die formalen Eigentümlichkeiten der sittlichen Normen. I 15-16 Die formalen Eigentümlichkeiten der sittlichen Normen.II 17-19 Die sittlichen Normen nach ihrem Inhalt................. 20-23

2. Kapitel: Die Entstehung der sittlichen Normen

23-44

Die Entstehung der sittlichen Normen, historisch-kritische Betrachtungen. I.............................................................

23-27

§ 9:

A. Die aprioristisch-intuitivistische Theorie 23-27

§ 10: Die Entstehung der sittlichen Normen, historisch-kritische Betrachtungen.il.............................................................

27-32

B. Die eudämonistische Theorie 27-32 1 Die individual - eudämonistische Theorie 27-29 a) Die individual­ utilitaristische Theorie 28 b) Die „Glückseligkeijstheorie" 28f. 2 Die sozial-eudämonistische Theorie 29-32

§11: Die Entstehung der sittlichen Normen, historisch-kritische Betrachtungen. III...........................................................

32-35

C. Die teleologische Theorie 32f. D Die Theorie, nach der die sittlichen Normen aus der Sitte hervor­ gegangen sind 33 f. E. Die evolutionistische Theorie 34 f. F. Die Theorie, nach der die sittlichen Normen mit der Religion entstanden oder aus der Religion hervorgegangen sind 35

§ 12: Die Entstehung der sittlichen Normen. Ehetischer Teil. I §13: Die Entstehung der sittlichen Normen. Thetischer Teil. II

35-41 41-44

vm

Inhalt

3. Kapitel: Die Begründung der sittlichen Normen

45- 54

§ 14: Die Begründung der sittlichen Normen, historisch­ kritische Betrachtungen § 15: Die Begründung der sittlichen Normen. Thetischer Teil

45 — 50 50— 54

4. Kapitel: Die wissenschaftliche Erhebung und Auf­ stellung der sittlichen Normen

55-70

§16: Die wissenschaftliche Erhebung und Aufstellung sittlichen Normen, historisch-Kritisches § 17: Die wissenschaftliche Erhebung und Aufstellung sittlichen Normen. Thetischer Teil. I §18: Die wissenschaftliche Erhebung und Ausstellung sittlichen Normen. Thetischer Teil. II. (Lehnsätze der Neligionsphilosophie)

der 55- 59

der 59- 60

der aus

Zweiter Teil: Geschichtliches zur Phänomeno­ logie des sittlichen Bewußtseins und zur Geschichte der Lthik § 19: Zur Einführung in diesen Teil

71-172 71

1. Kapitel: Zur Phänomenologie des sittlichen Bewußt­ seins und zur Geschichte derLthikim allgemeinen § 20: § 21:

60 - 70

Das sittlicheBewußtsein der Naturvölker Das sittlicheBewußtsein der Chinesen

72-130 72-75 75-82

1 Der Konfuzianismus 76-81 2 Der Taoismus 81 f. § 22: Das sittliche Bewußtsein der Japaner ........... 82- 85 § 23:Das sittliche Bewußtsein der Jnber 85- 91 § 24: Das buddhistisch-sittliche Bewußtsein 91—97 §25: Das mazdaistisch-parsistische sittliche Bewußtsein .... 97- 98 § 26: Das islamisch-sittliche Bewußtsein 98-100 § 27: Das sittliche Bewußtsein der Griechen 100 — 103 § 28: Die philosophische Ethik der Gr. I. vorsokratische Zeit 103 — 107 Die ionischen Hylozoisten 104 dokles 105 Nnaxagoras 105 f.

Pythagoras 104 Heraklit 105 (Empe* Demokrit 106 Die Sophistik 106f.

§ 29: Die philosophische Ethik der Griechen. II. Die Blüte­ zeit: Softrates, Plato, Aristoteles 107-115 Softrates 107-109

piato 109-112

Aristoteles 113-115

§ 30: Die philosophische Ethik der Griechen. III. Spätere Zeit 115 — 122 l Der Eyrenaismus und Epikureismus 116-118 a) Die cyrenaische Schule 116 b) Die Epikureer 116-118 2 Die Zyniker und die Stoa 118-120 a). Die Zyniker 118 b) Die Stoa 118-120 3 Der Skeptizismus 120f. 4 Der Neuplatonismus 121 f.

IX

Inhalt

§ 31: Var sittliche Bewußtsein der Römer § 32: Das israelitisch-jüdische sittliche Bewußtsein

122—126 126-130

1 Die vorprophetische Periode 126 —128 2Die Periode des Prophetirmns 128f. 3 Die Periode der Judentums 129 4 Das Zeitalter des SpStjudentums 129f.

2. Kapitel: Zur Phänomenologie des christlich-sittlichen Bewußtseins und zur Geschichte der christlichen Ethik 130-172 § 33: Die sittlichen Weisungen Jesu 130-134 § 34: Die Ethik innerhalb der altkatholischen Rirche.... 134-140 I Vie „apostolischen" Väter 134—136 Apologeten 136—140

2 Der Gnostizismus 136

S Die

§ 35: Die christliche Ethik in der Zeit von etwa 325 bis zum Mittelalter 140-148 1 Das Morgenland 141-143

2 Das Abendland 143-148

§ 36: Die christliche Ethik im Mittelalter 148-155 § 37: Die reformatorische Ethik 155-162 § 38: Ausblick aus einzelne wichtigere Erscheinungen in der weiteren Geschichte der christlichen Ethik 162-170 1 Katholizismus 162-166 2 Protestantismus 166-168 a) Negative Merkmale 166s. b) positive Merkmale 167 f. 3 Die philosophische Ethik in nachreformatorischer Seit 168-170

§ 39: Rückblick aus die tjaupttqpen des christlichen Ethos in seinem Verhältnis zur weltlichen Kultur 170-172

Dritter Teil: spezielle Ethik (Morallehre) 173-314 I. Abschnitt:

Grundsätzliches zur speziellen Ethik 173-194

§ 40: Methodologisches § 41: Bedeutung und Ziel des christlichen „Altruismus". I. Verhältnis zum „Individualismus" und „Sozia­ lismus" § 42: Bedeutung und Ziel des christlichen „Altruismus". II. Verhältnis zur „Kultur" § 43: Der antistatutarische Lharakter der christlichen Ethik § 44: Autonomie oder heteronomie der christlichen Ethik? § 45: Imperativer oder deskriptiver Lharakter der christ­ lichen Ethik? §46: „Christliche" und „philosophische" Ethik § 47: Christliche Ethik und christliche Dogmatik § 48: Einteilung der speziellen Ethik

173-175

175-179 179-185 185-188 188-190

190-191 191 192 192-194

II. Abschnitt: von der sittlichen Willensbeschaffenheit (Tugendlehre) 194-245

1. Kapitel: von der rechten Stellung zur Weltordnung als der Voraussetzung und Nährquelle der sittlichen Willensbeschaffenheit 194-211 § 49: Zur Einführung in bas Kapitel § 50: Die „rechte" Stellung zur EDeltorönung ober bas unbebingte Gottvertrauen als Voraussetzung unb Nährquelle speziell ber sittlichen Erkenntnis § 51: Die „rechte" Stellung zur Weltorbnung ober bas unbebingte Gottvertrauen als (Quelle sittlicher Kraft I. Die christliche Hoffnung ober ber christliche (Optimismus § 52: Die „rechte" Stellung zur weltorbnung ober bas unbebingte Gottvertrauen als (Quelle sittlicher Kraft II. Die christliche Freiheit § 53: Die „rechte" Stellung zur weltorbnung ober bas unbebingte Gottvertrauen als (Quelle bestimmter Motive zum sittlichen hanbeln (Die „amans delectatio in lege Dei“) § 54: Exkurs über bas Problem ber willens- ober Wahl­ freiheit

194-195

196

196 - 200

201 -202

202 — 206

206-211

I Der Indeterminismus 206 f. 2 Der Determinismus 207 f. Z Schluß 208-211

2. Kapitel: von der sittlichen Willensbeschaffenheit und ihren verschiedenen Formen (Tugendlehre) 211-245

§ 55: Zur Einführung in bas Kapitel 211 -212 § 56: Dem Subjekt bes hanbelns vorroiegenb zugewanbte ober formale Tugenben 212 — 223 1 Die Weisheit 212-214 2 Die Mäßigkeit 214-217 3 Die Tapferkeit 217-219 4 Vie Lhrliebe 219—221 5 Die Sparsamkeit 221 -223

§ 57: Tugenben, bte zugleich ben Charakter formaler unb materialer Tugenben tragen 223 - 232 2 Die Wahrhaftigkeit 227—231

1 Die Keuschheit 223-227 Demut 231 f.

3 Die

§ 58: Dem (Objekt bes sittlichen hanbelns zugewanbte ober materiale Tugenben 232 - 241 1 Die Gerechtigkeit 233-238 238-241

2 *Dw Wohltätigkeit und Versöhnlichkeit

§ 59: Vie Mittel der Tugendbildung 1 Die Selbstbesinnung 241 f. Tugendübung 242 f.

241 -243

2 Die religiös-sittliche Belehrung 242

5 Die

XI

Inhalt

§ 60: Der sittliche Charakter und die Gewissenhaftigkeit als das im Subjekt des handelns sich verwirklichende Ergebnis der Tugendbildung 243 — 245

HI. Abschnitt: von der Art des sittlichen handelns inner­ halb der verschiedenen Formen menschlicher Tätigkeit und innerhalb der verschiedenen menschlichen Gemeinschaften (Pflichtenlehre)... 245-313 §61: Zur Einführung in den Abschnitt

245 — 246

1. Kapitel: von der Art des sittlichen handelns inner­ halb der verschiedenen Formen menschlicher Tätigkeit 246-265 246 — 249 249 — 253 253-260

§ 62: von der Urproduktion § 63: Industrie und handel § 64: Wissenschaft und Lehre..

1 Die Wissenschaft 253-256 2 Die Lehre 256-260 § 65: Vie Kunst 260-264 § 66: von einzelnen weiteren Formen menschlicher Tätigkeit 264-265

2. Kapitel: von der Art des sittlichen handelns inner­ halb der verschiedenen menschlichen Gemein­ schaften 265-308 265-278 278-302

§ 67: von der Ehe und Familie § 68: vom Staat

1 Die Staatsform ober die Verfassung 284-286 2 Die auswärtige Politik 287-291 5 Die staatliche Rechtspflege 291-299 a) Das Vermögens­ recht 292-296 b) Das Strafrecht 296-299 4 Die staatliche Wohl­ fahrtspflege 299-302

303-308

§ 69: Die Kirche

3. Kapitel: von der Ordnung und Gliederung des sittlichen handelns 308-313 § § § §

70: 71: 72: 73:

Zur Der Vie Die

308 309-310 310-312 312-313

Einführung Beruf individuelle Lebensordnung „Pflichtenkollision"

IV. Abschnitt:

von

dem

§ 74: Das „Keich Gottes" Sachverzeichnis personenoerzeichnis

Ergebnis

des

sittlichen 313-314 315 325

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Erste Gruppe: Oie Theologie im Abriß

1. Einführung in das Alte Testament Geschichte, Literatur u. Religion Israels von prof. D. Johannes Meinhold in Bonn

Bibelkunde d. N. T., Geschichte u. Religion d. Urchristentums von Prof. D. R. Knopf in Bonn

3. Glaubenslehre Oer evangelische Glaube u. seine Weltanschauung von prof.v. Horst Stephan in Halle a. S.

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2. Einführung in das Neue Testament

3. Konfessionskunde von Prof. D. Hermann Muleri in Kiel Befindet sich für das 2ahr 1922 in Vorbereitung

6. Grundriß der praktischen Theologie von Prof. v. Dr. Martin Schi an in Gießen

7. Geschichte der israel. u. jüdischen Religion von Prof. v. Dr. Gust. Hölscher in Marburg Unter der presse

4

Näheres über Band 1, 2, 3 und 6 am Schluß des Buches

§1

(Einleitung: Der Gegenstand der Ethik im allgemeinen

1

(Einleitung § 1. Der Gegenstand der Ethik im allgemeinen Wie man immer Begriff und Rufgabe der Ethik bestimmen möge, auf jeden §aU ist der Gegenstand, mit dem sie es zu tun hat, das „Sittliche"1). Daraus allein schon erhellt, inwiefern sie unter allen Umständen auch allgemeineres Interesse für sich in Anspruch nehmen kann. Denn, ob man nun die Bedeutung ethischer Probleme an sich hoch oder gering anschlägt, verkennen lätzt sich nicht, daß es unter sämtlichen Mächten der Geisteswelt, von der Religion abgesehen, kaum eine gibt, von der die Gestaltung des menschlichen Lebens, sei es des individuellen, sei es des sozialen, in gleichem Matze abhängig wäre, wie von der Sittlichkeit. Gewitz spielen noch andere Faktoren, wie etwa die Wissenschaft, die Kunst, eine Rolle — „scientia potestas est“, wie oft ist das Baconsche Wort wiederholt worden! Und auch des Dichters hyperbolische Äußerung über der Menschheit Würde in des Künstlers Hand enthält unfraglich einen Kern Wahrheit. Wie ganz anders aber, wieviel elementarer und tiefer greifend ist doch die Bedeutung des Sittlichen, des vielfach mit dem Recht sich deckenden, vielfach es auch nur in sich schliehenden oder überbietenden Sittlichen -)! (Ein englischer Philosoph des 18. Jhrhs. versucht einmal an einem Beispiel zu veranschaulichen, daß das ganze (Betriebe des menschlichen Lebens, bis in die alltäglichsten und harmlosesten Erscheinungen hinein, keine Stunde weiterbestehen konnte, wenn es nicht in der Sittlichkeit einen unsichtbaren stählernen halt hätte. (Er verweist auf die stille, anspruchslose Rrbeit des Forschers und bemüht sich darzulegen, datz sie gar nicht möglich wäre, wenn es keinen Derlatz auf Wort und versprechen der Mitmenschen gäbe. Die Ausfüllung fällt unsäglich trivial aus und trieft vom vulgärsten Utilitarismus.. Aber der Grundgedanke ist zutreffend; und es liehen sich leicht ernstere und gewichtigere Zeugen für seine Berechtigung anführen, hat doch selbst der größte Formalist und Rigorist, kein geringerer als Kant — gewissermaßen gegen seine Absicht - das Kriterium des Sittlichen, das er in der Tauglich­ keit zu einer allgemeinen Gesetzgebung erkannt zu haben glaubte, gelegentlich

’) „Gegenstand der Ethik ist die Sittlichkeit", sagt beispielsweise, unus pro multis, Frank Thilly, Einführung in die Ethik, 1907, S. 3. 2) „Der Bestand der Menschheit hängt nicht von der künstlerischen, sondern von der sittlichen Kultur ab" (W. Rein, Grundriß der Ethik, 2. Aufl., 1906). 3) HL palei}, Grundsätze der Moral und Politik. Aus dem Englischen übersetzt von Garve, 1787, S. 129. SU 4: Mayer, Ethik

1

2

(Einleitung

§1

dahin gedeutet, daß das Sittliche den Bestand der menschlichen Gesellschaft zu sichern imstande sein mufote1). Man wende nicht etwa ein, daß die Tiere keine Moral haben und dennoch leben! Vas menschliche Leben, nicht nur bas soziale, sondern auch das individuelle, ist denn doch etwas ganz anderes als das der Tiere. Und bann, und vor allem: das tierische Leben wird aufrechterhalten durch die natürlichen Triebe, die im Tier mit so eindeutigem Zwang wirken, daß man dafür den problematischen, undurchsichtigen Begriff des Instinkts eingesetzt hat. Der Mensch vermag sich im Gegensatz zum Tier von den natürlichen Trieben zu emanzipieren; er kann sie mit Hilfe bestimmter, einer höheren psychischen Sphäre entnommener Vorstellungen zurückdrängen, ja, überwinden bis zur Selbstvernichtung; er kann sie umgekehrt ausbilden und ausweilen bis ins Groteske und perverse: das alles um so eher, je mehr er wirklich Mensch ist. Eben auf dieser relativen Unabhängigkeit der Menschheit von der Macht ihrer Triebe beruht mit die Gröhe und würde des Menschen einerseits, seine Fehlbarkeit und Schwäche anderseits; mit darauf beruht es, dah er „mit dem Scheitel die Sterne berühren" und zugleich das „Spiel von Wolken und Winden" werden kann. Mit alledem hängt es aber auch zusammen, dah „hunger und Liebe" zwar ausreichen, das Getriebe des animalischen Lebens in Gang zu Hallen, nicht aber das des menschlichen, sofern es wirklich ein solches ist. Kn die Stelle der Triebe tritt da notwendig ein anderes und übernimmt die Leitung: was der Instinkt unbewuht für die Erhaltung und Gestaltung des untermenschlichen Lebens leistet, das leistet bewuht für die des menschlichen Lebens das Sittliche. Per Unfang der Menschengeschichte, sagt Kant einmal, ist „der Übergang aus dem Gängelwagen des Instinkts zur Leitung der Vernunft... aus der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit". Denselben Gedanken spricht auch Schiller in seinem Gedicht „Pas höchste" aus: „was die Pflanze willenlos ist, sei du es wollend - das ist's." Es setzt mithin das Sittliche, wie nicht nur Hegel in tiefsinniger Spekulation ange­ deutet hat, immer einen Bruch mit der Natur, mit der „natürlichen Un­ schuld" voraus. Unter schweren Kämpfen, oft mit brutaler härte einzelne Triebe vergewaltigend, ringt es sich in der Menschheit durch, um dann auf einer höheren Stufe, über den Kampf von Pflicht und Neigung erhaben, schliehlich doch wieder zur „Natur", zum - jetzt bewuhten - Triebe, sei es dem des Mitleids, sei es dem der Gerechtigkeit, sei es dem des willens zur Macht, sei es dem der Liebe oder sonst noch einem, zu werden. Man könnte versucht sein, die parallele noch weiter auszuführen. Auf die Frage, woher die Instinkte stammen, lautet nämlich eine nächstliegende Antwort, dah sie, wie sie auch immer entstanden sein mögen, jedenfalls unbewuht aus dem geheimnisvollen Grunde alles Lebens hervorgegangen sind. Dementsprechend liehe sich die Frage nach dem Zustandekommen der sittlichen Normen dahin beantworten, dah sie von der Menschheit bewuht *) Dgl. hierzu w.Freytag, Untersuchungen zu einer Wissenschaft vom Sittlichen, 1916, I, S. 135. Aber auch E. Becher, Die Grundfrage der Ethik, 1908, S. 81

§1

Der Gegenstand der Ethik im allgemeinen

3

mittels des religiös-metaphysischen Denkens aus dem letzten Lebensgrund, aus dem Villen der Gottheit abgeleitet worden sind: das käme dann einer bestimmten, vielleicht zunächst paradox klingenden Theorie über den Ursprung des Sittlichen gleich. Uber noch steht das damit berührte Problem nicht zur Erörterung: hier kam es vorerst lediglich darauf an, die Bedeutung des Sittlichen ganz im allgemeinen an einem Exempel darzulegen, ohne auf schmerzlich aktuelle Erscheinungen einzugehen. Es ist aber zu diesem Zweck auch noch auf anderes hingewiesen worden. (Es ist gelegentlich gesagt worden, es sei eine einzigartige Eigentümlichkeit des Sittlichen, wodurch es sich von allen andern geistigen Gütern abhebt, daß es davon kein „Zuviel" geben könne. So ist es ja wohl auch. Man kann beispielsweise von einem Übermaß des wissens bei einem Menschen reden: schon bei Descartes klingt trotz seines Intellektualismus der Gedanke an, daß die Bildung des Verstandes nur so lange wertvoll bleibt, als diejenige des willens damit Schritt hält. Man kann ebenso von einem Übermaß des ästhettschen Interesses bei einem Individuum oder einer ganzen Generation sprechen. Goethe hatte einen wahren Widerwillen gegen die zahlreichen jungen Männer seiner Zeit,- die durch die Über­ schätzung des Schönen um ihr inneres Gleichgewicht und ein Stück ihrer Lebensenergie gebracht worden waren, von einem Übermaß des Sittlichen dagegen zu reden, wäre wider die Logik. Und wenn Friedrich Naumann einmal dem deutschen Volk vorgehalten hat, es hätte zu viel „Ethik", so war das eine der vielen Paradoxien des geistvollen politischen Romantikers, widerspruchsvoll in sich selbst, wie etwa die Behauptung des Skeptikers, daß Wahrheitserkenntnis unmöglich fei; denn wirft man einem Menschen vor, daß er „zu sittlich" sei, so sagt man eben damit, daß er nicht so ist, wie er sein sollte, das heißt, daß er nicht sittlich genug ist. Deshalb ver­ meidet ein weiser Lehrer der Ethik, wie $. Paulsen, es sorgfältig, von einem „Zuviel der Sittlichkeit" zu reden, wenn er gelegentlich darauf zu sprechen kommt, daß ein Mensch „zu gewissenhaft" sein Rönne1). Ein „Zu­ viel der Gewisienhaftigkeit" entspricht nun einmal dem Wesen des Sittlichen ebensowenig wie Duerulantentum dem Wesen des Rechts oder Hypochondrie den Forderungen der Hygiene. (Ein „Zuviel.des Sittlichen" kann es nicht geben.

So nimmt das Sittliche eine ganz eigenartige Stellung im haushalt des geistigen Lebens der Menschheit em. Mit bitterstem Ernst auftretend, steht es den geheimnisvollen Lebenswurzeln näher als andere, der Krone des Baumes zugehörigen, Mächte, wie etwa Kunst und wisienschaft, und trägt daher, dem Religiösen ähnlich, einen elementaren Eharakter oder, im kühnen Bilde gesprochen, einen Erdgeruch an sich, der Kunst und Wisien­ schaft so nicht zu eigen ist"). ') F. Paulsen, System der Ethik, 1913, Bö. I, S. 381. 2) vgl. zu dem Paragraphen in W. Rein, Grundriß der Ethik, 2. Hufl., 1906, den Rbschnitt über „Die Bedeutung der Ethik". Ebenso bei h. Steinthal, Allgemeine Ethik, 1885, das Kapitel „Das Interesse an der Ethik".

4

(Einleitung

§2

§ 2. Begriff und Aufgabe der Ethik: Die herrschende Auffassung „Gegenstand der Ethik ist das Sittliche." Demgemäß lautet auch eine nicht ganz seltene Definition Kurzweg: die Ethik ist die Wissenschaft vom Sittlichen. Line Begriffsbestimmung, die gewiß nicht als falsch be­ zeichnet werden kann. Nur ist sie nicht ausreichend, weil zu weit. Sie genügt insofern nicht und wird der herrschenden Auffassung insofern nicht gerecht, als sie keinerlei Hinweis enthalt auf die spezielle Hufgabe, die bisher von der unter dem Namen „Ethik" betriebenen Disziplin stets als die vornehmste und wichtigste, bisweilen sogar als die einzige betrachtet wurde. Und so bleiben denn auch solche Forscher, die zunächst mit der betreffenden Definition oder einer analogen einsetzen, wie beispielsweise Frank Thilly*), Jodi"), Köftlitt8), st. Messers, Joseph Schwanes, Dürr6) und manche andere, gewöhnlich nicht bei dieser Formel stehen, sondern ergänzen und erläutern sie durch Zusätze verschiedener strt. Dar kann gar nicht anders sein. Denn war heißt das doch: die „Wissen­ schaft vom Sittlichen"? Darunter kann man sich verschiedenes denken: beispielsweise auch eine Disziplin, die es vor allem darauf abgesehen hat, das sittliche Leben der Menschheit, wie es tatsächlich unter mancherlei Rümpfen und stbbrüchen verläuft, zu beschreiben. Derartiges sucht aber kaum jemand, auch heute noch, in der Ethik, zum mindesten nicht das allein. Er griffe gegebenenfalls eher zu einer Kultur« und Sittengeschichte. Unter allen Umständen liegt in der „Ethik" das Schwergewicht niemals auf der bloßen Schilderung einer empirischen Wirklichkeit, eines „Realen" als solchen, sondern auf der Darstellung eines „Idealen" und der Ver­ ständigung über deffen Wesen. So wird es begreiflich, daß man gelegentlich auf Definitionen stößt, die, um deutlicher zu reden, als Gegenstand der Ethik lieber ein „Ideal" hinstellen. In einzelnen Fällen wird speziell das „Lebensideal" genannt oder auch der „Lebenszweck"?). stber auch diese Bestimmung reicht, ohne falsch zu sein, gleichfalls an sich nicht aus, um das wiederzugeben, was man wirklich meint; sie klingt mißverständlich, wenn der angewandte Begriff nicht sofort eine Einschränkung seines Umfanges erfährt. Denn unter dem bloßen „Lebensideal" kann man wiederum bald dies, bald jenes verstehen; man kann darunter, wie etwa Schiller in seinem Gedicht „Die Ideale", dasjenige Leben verstehen, das ein Mensch lediglich Kraft seiner stnlagen und Neigungen verwirklichen möchte. Die Lebensideale in diesem Sinne sind bekanntlich sehr verschieden; ein anderes war dasjenige stlexanders *) Einführung in die Ethik, 1907. a) F. Jodl, stUgemeine Ethik, Hrsg, von Börner, 1918. 3) 3- Köftlin, Christliche Ethik, 1899. 4) st. Messer, Ethik, 1918. Joseph Schwane, Allgemeine Moraltheologie, 1885. 6) (E.Dürr, Grundzüge der Ethik, 1909. 7) Mit dem Begriff des Ideals operiert unter den Neueren Max wentscher (Ethik, Teil I und II, 1902-1905); ferner st. Dörner (Das menschliche Handeln, Philosophische Clhik, 1895), letzterer freilich nicht, ohne den Begriff sofort in richtiger Erkenntnis durch weitere Merkmale zu begrenzen. In ähnlicher Weise charakterisiert Hein einmal die Ethik als Wissenschaft des Idealen (Grundriß der Ethik, 2. stufl., 1906, S. 19). Dom „Lebenszweck" spricht st. Harleß (Christliche Ethik, 1893).

§2

Begriff und Aufgabe der Ethik: Die herrschende Auffassung

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öes Großen und bas des Aristoteles; ein anderes dasjenige Napoleons I. und das Goethesche. IHit solchen „Lebensidealen" hat die Ethik nichts zu tun; wohl aber mit Lebensidealen, die den Anspruch auf Allgemein­ gültigkeit erheben, die unbedingt verwirklicht werden wollen und sollen. (Es handelt sich in ihr nicht um subjektive, sondern um objektive Werte, das heißt, um den viel gernißbrauchten Begriff des Werts nicht unerläutert zu gebrauchen, nicht um Ziele, die nur dem Begehren eines individuellen Willens vorschweben, sondern um solche, die dem verlangen und den Forderungen eines überindividuellen Willens, überindividueller Gebote, überindividueller Normen entsprechen, oder, in der Terminologie Schelers geredet, um Ziele „eines überindividuellen vorziehens" *). Unter diesen Umständen beugt man gewissen Verwirrungen und INißdeutungen am besten vor und wird man der Wirklichkeit, will hier sagen, der herrschenden Auffassung und dem tatsächlichen Betrieb der Ethik am ehesten gerecht, wenn man diese genauer Kennzeichnetals die „Wiffenschaftvon den sitt­ lichen Normen". Darauf laufen denn auch immer noch die meisten Definitionen der Ethik, die meisten Erklärungen und Umschreibungen allgemeinerer und weniger bestimmter Formeln hinaus. Darauf kommt es selbstverständlich hinaus, wenn man etwa mit W i n d e l b a n d oder W. W u n d t die Ethik zu den „ Normal­ wissenschaften" rechnet o). Darauf kommt es aber gleichfalls hinaus, wenn man ihr die Aufgabe zuweist, die „sittliche ©rbnung3") oder die „Moral­ prinzipien" und die „Grundsätze des handelns"*) oder die „sittlichen Werturteile"5) oder das „Bewußtsein um ein Soll"6) zu erforschen?). Mit

alledem wird immer nur in wechselnden Formen gesagt, daß sie es mit Normen zu tun hat. Interessant und lehrreich ist, daß auch M. Wentscher trotz seiner ausgesprochenen Abneigung gegen den Begriff der Normen gar nicht anders kann als von solchen in der Ethik reden. Das Sittliche beruht zwar für ihn darauf, daß der menschliche Wille, wenn er sich auf ') Max Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wert­ ethik (Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Bö. I, 1913). -) W. Wundt, Ethik, 2. stuft, 1892, S. 8. ’) vgl. Joh. Ude, Ethik, 1902. Ebenso V. Eathrein, Moralphilosophie, 1890. 4) Frank Thilly, Einführung in die Ethik, 1907. 6) Carl Stange, Einleitung in die Ethik, 1901. Ebenso st. Messer, Ethik, 1918. 6) I. Gottschick, Ethik, 1907. 7) stufs Geradewohl und in beliebiger Reihenfolge seien hier noch einige Definitionen angeführt. Julius Uöstlin (Lhristliche Ethik, 1899, S. 7) bezeichnet die Ethik als die Wissenschaft vom „sittlichen Leben"; dieses aber sei ein Leben, das durch einen auf „Normen und Forderungen bezüglichen Willen bestimmt ist". Joseph Schwane (Allgemeine Moraltheologie, 1885): „Die Moral, Ethik hat die Sitten .. . zum Objekte, behandelt sie aber nicht etwa bloß beschreibend, wie sie sich tatsächlich entwickelt haben nach strt einer Sittengeschichte, sondern so, wie sie dem höchsten Endzweck und den Sittengesetzen gemäß sein sollen, also nach strt einer idealen Wissenschaft." F. Jo dl erläutert die Formel „Die Ethik die Wissenschaft vom Sittlichen" dahin, daß sie „die Wissenschaft von den Tatsachen, Gesetzen und Normen des sittlichen Lebens sei". G. Ratz en hofer (positive Ethik, 1901): „Die Ethik bemüht sich, Normen für die menschlichen Wechselbeziehungen zu ermitteln". Th. Häring (Das christliche Leben, 1907): „DerName Sittenlehre ist Übersetzung des lateinischen Wortes Moral, dieses des griechischen Wortes Ethik und bedeutet eigentlich Lehre von den Sitten, stber man hat mit jenen Worten immer gemeint die Lehre vom Sittlichen, d.h.eine Lehre nicht davon, wie die Menschen tatsächlich gewohnt sind zu handeln, sondern wie sie handeln sollen."

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(Einleitung

§2

sich selbst und sein eigenstes Wesen besinnt, bestimmte Ideale sich setzt. Rus diesen ergeben sich dann aber Rnforderungen an das menschliche handeln; und das sind eben die Normen, mit denen es die Ethik zu tun tjat1). Vie Ethik also die Wissenschaft vom Sittlichen insofern, als sie die Wissenschaft von den „sittlichen Normen" ist. Behält man nun aber auch noch weiterhin im Rüge, wie die Ethik tatsächlich Jahrhunderte hindurch betrieben worden ist und wie sie heute noch von den meisten ihrer Ver­ treter aufgefaht wird, und richtet man sich danach, so mutz sofort noch ein letztes hinzugefügt werden zum Zeichen, datz auch die vorgeschlagene Begriffs* bestimmung wenigstens noch zwei Austastungen zulätzt. Vies nämlich mutz dann gleich noch bemerkt werden, datz die Ethik nicht nur darauf bedacht ist, die sittlichen Normen mit kühler Defektivität darzustellen, sondern zugleich auch

darauf, die Berechtigung ihrer Forderungen darzutun. Sie will, sagt D. Ritschl — und macht daraus allerdings der herrschenden Ruffassung von der Ethik einen Vorwurf — „die dem sittlichen Leben geltenden Regeln und Normen auch wieder mit wissenschaftlichen Mitteln. . . begründen"'). Sie will also nicht bloh erforschen, ob es Regeln gibt, an die sich der Mensch in seinem Verhalten gebunden fühlt, und wie diese Regeln beschaffen sind; sie tritt auch mit der Autorität des Wissens für die betreffenden Regeln ein; sie will mit wissenschaftlichen Methoden solche Regeln ermitteln und als geltende aufstellen, will „das Recht der sittlichen Gebote beweisen"s), will dem Menschen Auskunft darüber geben, was er tun und lasten soll, will ihm Wegweiserin, Ratgeberin, Lehrmeisterin, Gesetzgeberin sein. So als Disziplin von letztlich praktischer Bedeutung ist die Ethik auf­ gefatzt worden, seit es eine wistenschaft der Ethik gibt, mithin seit Sokrates, dem es die philosophischen Vertreter der Disziplin immer wieder als ein höchstes Verdienst anrechnen, datz er ein Misten darüber hat dar­ bieten wollen, wie der Mensch handeln soll, um gut zu werden. Hegel hat ihn als den „Erfinder der Moral" gefeiert, freilich zugleich auch getadelt. Aristoteles seinerseits verfolgt in der Ethik ebenfalls einen prakttschen Zweck, „wir stellen", heisst es in der Nikomachischen Ethik, „nicht moralphilosophische Untersuchungen an, bloh um zu wissen, was die Tugend sei, denn das würde von keinem Nutzen sein, sondern um tugendhaft zu werden." Und diese Austastung hat sich erhalten durch die Jahr­ hunderte hindurch bis in die Gegenwart. Vie Ethik ist nach Palet) „diejenige wistenschaft, welche den Menschen seine Pflichten und die Gründe derselben lehrt" 4). Auf denselben Standpunkt stellen sich die theologischen vertteter der Ethik, die protestantischen mit wenigen Ausnahmen so gut wie die katholischen. Vie Ethik, sagt Tathrein, „zeigt dem Willen die unbedingte Pflicht, gut zu handeln. Sie lehrt und führt zugleich zur praktischen Tat"°). Vie protestantischen Theologen urteilen zwar da aus später darzulegenden Gründen etwas vorsichtiger; aber selbst der in dieser

') M. wentscher, Ethik, 1905. -)