Vorlesungen über die Sittenlehre: Teil 2, 2 Die besondere Sittenlehre 9783111468938, 9783111102009


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German Pages 433 [440] Year 1824

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Inhalt
Zwölfte vorlesung. Die Pflicht der Wahrhaftigkeit
Drehzehnte vorlesung. Die Pflicht der Treue und Vergeltung
Vierzehnte vorlesung. Die Liebe: allgemeine Menschenliebe, Theilnahme, Wohlwollen, Wohlthätigkeit, Dankbarke
Fünfzehnte vorlesung. Von der Freundschaft und Liebe
Sechszehnte vorlesung. Von der Ehe
Siebzehnte vorlesung. Eheliche- und häusliches -eben
Achtzehnte vorlesung. Geselligkeit und Gemeingeist
Neunzehnte vorlesung. Von der Ehre vom Selbstmorb
Zwanzigste vorlesung. Von der persönlichen Vollkommenheit
Einundzwanzigste vorlesung. Beschluß über die persönliche Vollkommenheit
Zweyundzwanzigste vorlesung. Vom Berufsleben
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Vorlesungen über die Sittenlehre: Teil 2, 2 Die besondere Sittenlehre
 9783111468938, 9783111102009

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Vorlesungen über die

6 i 11 e n I e N e. Do» Dr,

Wilhelm Martin Leberecht de Wette.

Zweyter Theil. Die besonder« Sitte »lehr«.

2

. Band.

Berlin, bey G. Reimer. 18 2 4

Inhalt

Awölfte Vorlesung. Die Pflicht der WahrhaftigDreyzehnte Vorlesung. Die Pflicht der Treue und Vergeltung. ----------------------------35 Vierzehnte Dorlesu ng. Die Liebe: allgemeine Men­ schenliebe, Theilnahme, Wohlwollen, Wohlthätig­ keit, Dankbarkeit._ _ _ _ _ _ _ 74 Fünfzehnte Vorlesung. Don der Freundschaft und Liebe. ................................................ n4 SechSzehnte Vorlesung. Don der Ehe. _ _ _ _ _ _ _ 154 Siebzehnte Vorlesung. Eheliches und häusliches Leben.------------------.195 Achtzehnte Vorlesung. Geselligkeit und Gemein­ geist...................... —233 Neunzehnte Vorlesung. Don der Ehre; vom Selbst­ mord. _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _______ _ ____ _ _ _ _ _ _ _ 27 s Zwanzigste Vorlesung. Don der persönlichen Voll­ kommenheit. ............ 322

Inhalt. Ein un-jwan;igAe Vorlesung. Beschluß über t terö / die Stärke und Ausdauer der strebenden Kraft, die Klarheit des Geistes, die Festigkeit des Charakters und die freundliche Milde, welche das gemeinschaftliche Glück sichern sollen. Wie ist es aber möglich, alles dieses mit dem prüfen­ den Blicke des Verstandes zu erfassen und auSzumessen? Alle diese Eigenschaften bewähren sich erst inr Leben selbstja, manche können sich erst später entwickeln Und ausbil­ den. Die Liebe gründet sich nicht ans das, was man siehet und erkennt, sonst wäre sie daü Ergebniß beson­ nener, kühler Erfahrung, und man könnte erst am Ende -er Lebensbahn recht lieben. Die Liebe ist, wie überall, so auch hier im Geleite des Glaubens und der Hpffnung. Die Liebenden sehen in einander mit dem Auge deS Glaubens, was sie lieben; die Hoffnung malt ihnen mit allem Reiz der Farben das Lebensbild, dem sie Hand in Hand entgegengehen. Dieser Glaube und diese Hoffnung' aber sind die Kinder des ahnenden Gefühls und der dich-terischen Einbildungskraft. Mit dem Gefühl vermögen wir unmittelbar und gleichsam instinetmäßig dasjenige zu ahnen, was in einem Menschen liegt, und die Einbil­ dungskraft entwickelt den vom Gefühl entdeckten Keim zu einem reichen, schimmernden Brlde. Die Liebe ist die Dichterin deS Lebens, die begeisterte Seherin der Zu­ kunft,-welche ihre lockenden Verheißungen in schimmernde Bilder hüllt, und das Gemüth mit hoffnungsreichen Ah­ nungen entzückt. Daher der wunderbare Reiz, mit dem sie Seele an Seele zieht, daher der Zauberschimmer, in welchem sie den Ltebenden die Welt erscheinen läßt, daher die Sehnsucht, das unwiderstehliche Verlangen, das sie

145 entzündet. Und dieses Verlangen der zn einander gezo­ genen Seele» wird zur hinreißenden Gewalt durch die Neigung, welche sich mit der Liebe verbindet, und neben rer Aussicht in das Paradies der Seligkeit den Blick in den Blüthengarten der Lust öffnet. So finden die Lie­ denden in einander Himmel und Erde; alles AngenehmeReizende, Liebliche, alles Große, Edle, Schöne, alle Lust und alle Wonne, aller Gehalt des Lebens drängt sich in dem Bilde des Geliebten zusammen; eS schimmert in allen Farben, welche sich im Sonnenglanz entfalten, und welche die Einbildungskraft mischen kann. Diese dichterische Stimmung ist der Freundschaft we­ nigstens nicht in diesem Grade eigen. Auch sie hat einen gewissen ahnenden Glauben, mit welchem sie de» Werth -es Freundes erkennt; aber selbst dieser ist ein ruhiger Gefühl, und nimmt nicht mit solcher Gewalt das ganze Gemüth ein. Zu dieser dichterischen Stimmung der Lieben­ den gesellt sich nun auch die Leidenschaft- welche der Freundschaft ebenfalls fremd, wenigstens nicht in solcher Heftigkeit-eigen ist. In jugendlichen, feurigen Gemüthern kann Alles leidenschaftlich werden, selbst die Liebe zur Wissenschaft, Kunst und Dichtung, mithin auch die Freund­ schaft; und diese nimmt in ihnen oft die Gestalt der Liebe an; aber in der Regel ist die Freundschaft ohne Leidens schaft. Die Liebe hingegen ist an sich nothwendig leiden­ schaftlich, weil sie den Besitz des Geliebten oder die Ver­ einigung für das ganze Leben will, weil die Gewalt, mit welcher sie die ganze Seele ergreift, sich mit sinnlicher Lebhaftigkeit verbindet, weil die in ihrem Dienste grschäf. tige Einbildungskraft sinnliche Farben zu ihren Bilder« braucht, und endlich weil die Neigung und dgs darauS n. Bd. io

entspringende Verlangen seiner Natur nach sinnlich ist. Eine Liebe ohne sinnliche Gewalt, ohne glühendes Ver­ langen, ohne eine solche Herrschaft über das Gemüth, wodurch sie alle sinnlichen Kräfte desselben, und dag ganze Spiel der Einbildungskraft in ihren Dienst nimmt, ist gewiß keine wahre Liebe. Das Verlangen zum aus­ schließenden Besitz bringt auch die Eifersucht mit sich, welche in die Freundschaft nur durch die mißtraui­ sche, heroische Selbstsucht oder durch den jugendlichen Ungestüm gebracht wird, ihr aber an sich fremd ist. Die Freundschaft ist nicht bloß auf zwey beschränkt, aber wohl tue Liebe; jener kann eine neue Verbindung nicht ge­ fährlich werden, eS sey denn, daß sie auf einer Täuschung beruhe; diese aber verträgt keine Theilung de§ Herzens. Dem Liebenden ist eS also zu verzeihen, wenn er den Verlust seines Glückes fürchtet, zumal wenn er desselben noch mcht versichert ist. Aber Leidenschaft im eigentlichen Sinne, d. h. eine sinnltche Gemüthserregung, welche ein solches Uebergewichr gewinnt, daß die Freyheit des Geistes darüber verloren gcht, darf die Liebe nicht werden. Wenn sie auch das ganze Gemüth einnimmt und alle Kräfte desselben in das heftige Verlangen nach dem Besitz des geliebten Gegen­ standes vereinigt: so soll der Wille doch noch die Kraft behaupten, diesem Verlangen, wenn es seyn soll, zn wi­ derstehen. Erhaben über die Leidenschaft ist der Mensch in der Liebe, wenn diese, wie die Freundschaft, der höheren Liebe der Begeisterung untergeordnet tst, wenn das Herz dem geliebten Gegenstand nicht als einem Götzen huldigt, der eS von dem wahren Gott und dessen Dienst abzieht, sondern in demselben nur das Geschöpf bebt, das

durch seine Vollkommenheit die Ehre Gottes verherrlicht» und in dessen Gemeinschaft sein heiliger Dienst leichter und froher verrichtet werden kann. Ein liebendes Paar soll in der höheren, heiligen Liebe den innersten Einklang der Herzen finden; indem die Seelen einander enrgegenfliegen, sollen sie fich mit einander emporschlvingen dahin, wo ihre ewige Heimath ist. Das ist die wahre Wonne der Liebe, dem geliebten Herzen in einem großen, begeisterten Gefühl zu begegnen; das ist der ewige Bund der Seelen, in dem, was ewig, was über Welt und Zeit erhaben ist, einig zn seyn. O Seligkeit deö Himmels auf Erden, die ganze Fülle der Begeisterung in ein geliebtes weibliches Her; auszugießen «nd daraus geläutert zurückzuempfangen, die Wahrheit dessen, was man fühlt, die Reinheit der gehegten Absichten und Hoffnungen in der Uebereinstim. inuttg der Geliebten bewährt zu finden, sich mit ihrer beflügelten Seele über alle Unvollkommenheiten und Män­ gel dieses Lebens zu erheben, und in der Welt urbildlicher Schönheit und Herrlichkeit die ungestillte Sehnsucht zu weiden! In einer begeisterten, tugendhaften Liebe sind erst die ganzen Menschen vereinigt, die unsterblichen Seelen sind in den Bund eingetreten, welcher Leib und Geist ver­ einigt; der Himmel neigt sich küssend zur Erde nieder, «nd die Fülle seines Segens strömt auf die Vereinigten herab. Ach! warum muß gerade eine solche Liebe, die so hoch über der Erde schwebt, in den irdischen Verhältnissen trennende Unterschiede und Schranken finden, und darf nicht einmal die Heldenkraft, die ihr zu Gebore steht, gebrauchen, um sie über den Haufen zn werfen! Die Pflicht ist ihr heilig, und mit deren Verletzung würde sie sich selbst verletzen. Eine Liebe, welche den Geist durch

die entnervende Gewalt der Leidenschaft der heldenmiithigen Entsagung unfähig macht, ist nicht die wahre, denn diese erhebt und kräftigt den Geist. Sprecht nicht von einer alles überwindenden Nothwendigkeit, welche die Seelen an einander ziehe und ein Band knüpfe, das nicht zerrissen werden könne; für die Sinnlichkeit allein gibt es eine Nothwendigkeit, für den Geist aber nicht, welcher frey ist und Alles überwinden kann. Zwey Her­ zen find für einander geschaffen: wohl l sie würden in Ihrer Vereinigung glücklich seyn, und erst ganz die Fülle des Lebens genießen; aber die Tugend ist mehr als das Lebensglück, oder vielmehr ohne fit gibt es keines. „ Reißt ihr die Herzen aus einander, so werden sie sich verbluten." Wehe dem, der sie willkürlich aus einander reißt! aber gebietet das Schicksal und die Pflicht, so müssen sie sich trennen, und sollten sie wirklich sich ver­ bluten. Der Schmerz der Liebe ist süß, und sie bleibt ei» Engel des Himmels, mag He weinen oder lächeln; das Bild des Geliebten ist gleich schön, mag eS die Myrte oder die Cypresse umkränzen. Aber die Begeisterung, die mit ihr ist, gibt Muth und Kraft; ein großes Herz ist jedes Opfers fähig, und erliegt nicht unter der Last der Pflicht. Auf denn, edle Seelen! vollzieht die schmerzliche Pflicht der Entsagung! Ihr entsagt nur dem Glücke, nicht der Liebe, welche euch stets verbindet; ihr zerreißt nur das irdische Band, aber ihr bleibt für die Ewigkeit ver­ bunden, und jenseit findet ihr euch wieder. Du, Jüng­ ling, liebtest in der Geliebten die Genossin deiner Begei­ sterung : so bringe denn dieser das erste und schwerste Opfer, und wende ihr dein Herz ganz und unmittelbar zu; die Wissenschaft, die Kunst, das Vaterland und vor

149 allem die Tugend sey formn deine Geliebte, und glaube nur, das Leben ist mit dieser Liebe zu ertragenGustav Adolph opferte seine Jugendliebe dem erhabenen Beruf deS Königs und Helden, und er ward der Befreyer der evangelischen Kirche. Auch dir wird das Schicksal für den Sieg der Pflicht mit einem schönen Siege auf deiner Laufbahn lohnen. Und du, Jungfrau, liebe in dem verlornen Geliebten seine Heldengröße, sein begeistertes Strebe», seine Siege und seinen Ruhm. In ihm ging dir das höhere Leben auf, dieser Gewinn bleibt dir; von ferne kannst dn ihm folgen auf seiner Laufbahn, im Geiste kannst du ihm zur Seite stehen, und das Leben mit ihm theilen. Und ist er dir ganz entrissen, trennen -ich Länder und Meere von ihm, bringt auch daö Ge­ rücht dir keine Kunde von ihm, verschlingt der Strom der Zeit sein Bild: so halte fest an dem Glauben, daß die Liebe ewig, und waü du in der innersten Seele lieb­ test, unvergänglich ist; was du verloren, findest du einst wieder, und du hast es nie verloren, wen« du e- in feinem reinsten Gehalt gewonnen hattest. ES gibt auch eine Freundschaft zwischen Personen verschiedenen Geschlechts, die fich unabhängig von der Liebe behauptet, und theils ganz der Freundschaft zwischen Personen gleichen Geschlechts verwandt, theils eigenthüm­ lich ist. So wie Freunde desselben Geschlechts ausser der geistigen Uebereinstimmung zuweilen auch durch Nei­ gung verbunden find: so können auch Personen verschie­ denen Geschlechts durch äussere Annehmlichkeit zu einander gezogen seyn, ohne daß nothwendig daraus die GeschlrchtSliebe entstehen muß. Wenn Freund und Freundin schon bejahrt oder von sehr verschiedenem Alter, oder glücklich

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verheyraHet und dadurch für jede andere innigere Ver­ bindung unempfänglich find: so kann sich die Begierde nicht zwischen sie drängen. Aber c§ ist überhaupt ein Unterschied zwischen Neigung und Neigung, und nicht jede führt zur Geschlechtsverbindung. Zwischen edlen Menschen wird die Geschlechtöneigung nur dann eintreten, wenn die Geschlechtsliebe Statt findet, jene Hinneigung -er männlichen und weiblichen Seele zu einer ganzen und innigen Verbindung; und wo diese Statt findet aber nicht Statt finden darf und soll, da sst es Zeit, das Verhältniß abzubrechen, oder es wenigstens genau zu bewachen. Freundschaft zwischen Personen verschiedenen Geschlechts, wenn fie nicht in Liebe übergehen soll, darf eben nichts als Freundschaft seyn, nämlich, wie wir fie gefaßt haben, eine nur theilweise Verbindung der Ge­ müther, die Uebereinstimmung bloß für gewisse Lebens­ zwecke, nicht für das ganze Leben, der Austausch der Gefinnungen und Anfichten über gewisse gemeinschaftliche Angelegenheiten; und diese können zwischen Personen verschiedenen Geschlechts fast keine andern, als die der Frömmigkeit und Geistesbildung seyn. Eine solche Freund­ schaft wird zuweilen, wenn die Freundin emen männli­ chen Geist besitzt, ganz der Freundschaft zwischen Männern gleichen; selbstthätiges Aufstreben und Eindringen der Erkenntniß, dichterischer Aufschwung des Gefühls, schö­ pferische Einbildungskraft werden sich in beyden Gemü­ thern begegnen, und einen geistigen Verkehr unterhalten. Meistens aber wird das Weib auch in der Freundschaft gegen den Mann da§ Verhältniß der Empfänglichkeit, und dieser das der Selbstthätigkeit behaupten, und dem männlichen freyen Gedanken wird das weibliche Gefühl

begegnen. Eine enge Vertraulichkeit/ wie sie zwischen Freunden des gleichen Geschlechts Statt findet, kann zwischen Freund und Freundin nur selten eintreten, weil die Geschlechtsverschiedenheit und die anderweitigen Ver­ hältnisse gewisse Schranken ziehen. Diejenigen, welche keine Freundschaft zwischen-Personen beyderley Geschlechts annehmen wollen, und jedes Verhältniß des Zutrauens und der Uebereinstimmung als die Anbahnung der Liebe betrachten, haben theils einen falschen Begriff von der Liebe, theils zu wenig Zutrauen zum menschlichen Herzen, das sie nicht eines geistigen Austausches ohne die Ein­ mischung der Neigung und Begierde für fähig halten. Für die Bildung beyder Geschlechter ist ein gemischter geselliger Umgang nothwendig, und die edlere Sitte der Europäer begünstigt ihn, während die der eifersüchtigen, mißtrauischen Orientalen ihn nicht zuläßt; dieser Umgang aber wird von selbst zu gewissen näheren Verbindungen zwischen den Gleichgesinnten führen, in deren ungetrüb­ ter Unterhaltung sich die reine Sittlichkeit bewähren wird. So wie zwischen Personen beyderley Geschlechts Freundschaft ohne Liebe und GeschlechtSneignvg Statt finden kann, so gibt eS eine der Liebe nahe kommende Freundschaft zwischen Personen desselben Geschlechts, ohne doch natürlicher Weise die eigentliche GeschlechtSliebe zu seyn. Der Mann liebt den Knaben mit einem Gefühl, welches verschieden von dem der eigentlichen Freundschaft ist, wie eS denn auch der Sprachgebrauch nicht mit sich bringt, eine solche Liebe mit dem Worte Freundschaft zu bezeichnen. Nämlich den Werth einet Kindes fassen und messen wir mcht mit dem Verstände,



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sondern mit dem ahnenden dichterischen Gefühl/ gerade so wie der Liebende die Vollkommenheit der Geliebten erkennt. In einem Kinde liegt/ wie in einer Knospe/ -er Werth -eS Mannes eingeschlossen/ unsere EinbildungS. kraft entfaltet diese Knospe zur Blüthe und Frucht/ und entwikft «nS ein Bild/ dem wir uns mit dem ganzen Wohlgefallen -er Seele hingeben: und das ist Liebe/ wenn auch noch sehr weit von der Geschlechtsliebe ent­ fernt. So geht auch die Freundschaft -er Jünglinge und Jungfrauen unter einander oft in Liebe üfojt, indem sich ihre Seelen mehr durch jenes dichterische Gefühl, als durch das klare Urtheil des Verstandes verbinden; und weil srch das jugendliche Feuer in dieses Gefühl ergießt/ und die Einbildungskraft ihre schimmernden Farben dazu mischt: so wird eine solche Freundschaft auch/ wie die Liebe/ von der Leidenschaft begleitet sey». Wer durch einen reich blühende» Rosengarten wan­ delnd/ hier bey der prächtigen Crntifolie/ dorr bey der dunklen Sammetrose / dort bey der lieblichen weißen Rose mit sinniger Betrachtung verweilt hätte/ und es übernähme/ -ie Schönheit -er Zeichnung und die Pracht der Farben zu schildern: würde es ihm in Morsen gelingen? würden seine Beschreibungen nicht matt und kalt bleiben/ und höchstens Erinnerungen wecken an das, was das Auge selbst in lebendiger/ frischer Erscheinung gesehen? Schö­ ner/ herrlicher und mannichfaltigek/ als ein Rosenflor/ sind die Blumen der Freundschaft «nd Liebe. Wer mag den glühenden Farbenschmelz/ den zarten Duft/ der auf ihnen liegt/ in Worten schildern? wer mag die manuichfaltigen Gestalte«/ welche die Schöpferin Liebe immer von neuem hervorbringt, wer dir unendlichen Mischungen,

ras in einander fließende Spiel rer Farben Md die an jeder ihrer Schöpfungen eigenthümlichen Zeichnungen auch nur vor der Beobachtung zusammenfassen, geschweige in der Beschreibung wieder geben? Nur schwache Andentuugen, flüchtige Umrisse konnte und wollte ich versuchen, und ich bin zufrieden, wenn ich nur einige Anklänge in gefühlvollen Gemüthern erregt, dm Strahl eine- Helleren Bewußtseyns auf eine glückliche Wirklichkeit gewor­ fen, oder die schlummernden Bilder süßer Erinnerung oder sehnsuchtsvoller Ahnung geweckt habe.

Sechszehente Vorlesung Don der Ehe.

tDie Liebe zwischen Personen verschiedenen Geschlechts/ von welcher wir in der vorigen Vorlesung gehandelt haben, hat zu ihrem Ziel die Ehe. Sie ist die ganze Hinneigung des Mannes zum Weibe mit Seele und Leib, die innigste Uebereinstimmung der Gemüther, und fodert mit leidenschaftlichem Ungestüm den Besitz, die ganze Verbindung für das ganze Leben: und diese Verbindung, wenn sie vom Staat und Kirche anerkannt und geheiligt ist, nennen wir Ehe. Eine Liebe, welche ihrer Beschaf­ fenheit nach gar nicht den Wunsch und die Absicht der eheltchen Verbindung erregt, ist keine Liebe, und ent­ weder bloß Freundschaft oder etwas, was eines reinen, edlen Gemüths nicht würdig ist. ES gibt nnter den Män­ nern abentheuernde Freybeuter, welche die Liebe al§ ein Spiel der Phantasie betreiben, und, von weiblicher Schön­ heit schnell angezogen, eben so schnell anzuziehen wissen, aber, wenn die flüchtige Begierde gestillt ist, sich treulos wieder wegwenden. Solche kennen eben so wenig das

155 Sek« und dessen wahren Gehalt/ als die Lrebe/ die für lie nur m der Sinnlichkeit und EmbrldungSkraft/ mcht nn Herzen lebt. Zu beklagen sind die Jungfrauen, deren Herz durch dieses treulose Spiel aufgeschlossen und getäuscht worden. Selbst wenn dre Verbindung nicht weiter als zur vertraulichen Mittheilung der Herzen führte / so ist doch der zarte Schmelz von der Blume der Jungfräulich­ keit abgewischt/ dre Unbefangenheit verloren/ und die Unschuld wenigstens angetastet. Die erste und einzige Liebe ist die schönste/ denn sie lebt am reinsten in der dichterische«/ ahnenden Stimmung/ welche das Wesen der Liebe ausmacht. Dre zweyte Liebe läßt schon mehr die verständige Vergleichung zu. Ist die Hinneigung des Jünglings zur Jungfrau ächte Liebe/ und fodert sie die eheliche Vereinigung, die Umstände und Verhältnisse ver­ wehren aber diese mit gebieterischer Nothwendigkeit: so ist eö der Liebenden heilige Pflicht/ em solches Verhält­ niß/ noch ehe es zu mmg wird/ abzubrechen/ und sich einander gegenseitig die Unbefangenheit und Unschuld der Herzen zu bewahren. Die Ehe/ alö die wirkliche Verbindung derer/ die sich nach Verbindung sehne»/ ist entweder die glückliche Erfüllung der schönen Hoffnungen der Liebe/ oder die traurige Vereitelung derselben. Tritt ans der schönen Ferne / die vor dem trunkenen Auge der Liebenden tin zauberischen Duft ausgebreitet lag/ wirklich ein schöneS/ reiches/ liebliches / an Blüthen und Früchten fruchtbares Land hervor; finden die Verehelichten wirklich alles däS/ was sie von einander gehofft/ Eines nicht nur m des Andern Herzen/ sondern auch im Charakter und Betragen; «elingt ihnen in der Vereinigung das gemeluschaftliche

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LebenSwerk / zumal die Erziehung der Kinder, auf eine erfreuliche Weife;-.stören die znancherley vrrdrüßlichen Zufälle des Lebens, Täuschungen und Sorgen, die Ein­ tracht nicht; entwickeln sich nicht im Gemüth des Einen und Andern unangenehme Eigenschaften, auffahrendes, ungeduldiges Wesen, Rohheit, Härte, Bitterkeit; genug, bewährt sich die Uebereinstimmung der Herzen in einem einträchtigen Zusammenleben: so ist die Ehe glücklich. Ach! nur zu oft ist sie eS nicht; nur zu oft hat jenes ahuendr, hoffnungsreiche Gefühl getäuscht. Entweder ist die Liebe von sinnlicher Begierde getrübt und das Herz von den äusser» Reizen und bt» blendenden Eigen­ schaften des Geistes bestochen, mithin die Uebereinstim­ mung der Gemüther nur erträumt gewesen; oder wenn sie wirklich Statt gefunden, so wird sie durch die Fehler des einen und andern Gauen, welche die einträchtige Gemeinschaft des Lebens stören, nach und nach erschüt­ tert und aufgelöst. ES gibt in der That liebenswürdige Menschen, die über durch Statut und Erziehung für eine glückliche Ehe untauglich sind, die sich nicht in eine fremde Eigenthümlichkeit finden, ihr nichts von der ihrigen auf­ opfern, und keinen Frieden halten können. Solche Fehler erscheinen in dem Liebenden nicht, theils weit dem Auge des Andern die Schärfe der Beobachtung fehlt, und eihn schöner sieht, als er wirklich ist, theils weil «in Jeder auch unbewußt sich besser darstellt, als er ist, und, um den geliebten Gegenstand zu gewinne», nur die schö­ nen Seiten seines Innern herauskehrt. Ist aber der er­ wünschte Besitz errungen, dann überläßt sich der Mensch ganz wieder feiner Eigenthümlichkeit, bezähmt seine Lei­ denschaften und Gemüthsbewegungen nicht mehr, und



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erscheint m seiner nackten Gestalt mit allen Mangeln und Fehlern. Indem aber so die Liebe in der Ehe sich aus ihre» btchtenschen Träumen in das Gebiet der Erfahrung und Wirklichkeit herabläßt, hört sie, selbst im glücklichsten Falle, wenn alle Hoffnungen sich bewähren, auf, Liebe zu seyn, und verwandelt sich in ruhige, klare Freundschaft. Nicht nur die Leidenschaft hört auf im ruhigen Genuß des Besitzes, sondern auch jene dichterische Stimmung kann und soll sich nicht mehr erhalten, indem an ihre Stelle dre besonnene Erfahrung tritt, und der Glaube und dre Hoffnung, dre m ihrem Geleite waren, sich in eine sichere, klare Ueberzeugung verwandeln. Dazu kommt, daß das Lebenswerk, welches nunmehr getrieben werden soll, das häusliche Leben, und besonders die Erziehung der Kinder, die Gatten m Anspruch nimmt, und die Liebe der Herzen theilt. Die Mutter liebt m dem Gatten mehr den Vater ihrer Kinder, als den Geliebten ihres Herzens. Zwar wird die Freundschaft der Ehegatten, weil sie in der innigsten, ungetheilttsten Verbindung leben, immer inniger und wärmer seyn, als die gewöhnliche Freund­ schaft ; auch wird die Tiefe eines schönen Gemüths durch keine Erfahrung ganz erschöpft und mithin dem ahnenden. Gefühl immer noch ein Spielraum offen gelassen werden; aber die Stimmung zwischen Gatten wird und soll immer eine andere seyn, als zwischen Liebenden, das fodert d,e Gemeinschaft des Lebens, welche der ruhigen Besonnenheit bedarf. Darum ist das Verhältniß liebender Gatten nicht weniger schön, als das der Liebenden, ja vielleicht schöner, weil die Herzen sich iumgrr und wahrhafter dnrchdrmgen; auch macht es nicht weniger glücklich;

158 denn es versüßt und verschönt alleS/ was das nunmehr sich entwickelnde Leben bringt/ und das Glück/ Kinder zu haben und sich in ihnen verbunden zu sehen, geht über alles Lebensglück. Aber man muß immer den W-ahn ans. gebe«/ alS wenn die Lieb«/ wie sie vor der Ehe war/ in dieser dauern könne. Eben dieser Wahn trübt d len, weil sein Herz, für das er wählt, keine Stimme dabey hätte. Die Ehen werden im Himmel geschlossen, sagt das Sprüchwort,. und von den glücklichen gilt eS gewiß. Es ist der gute Schntzgeist.deS Mannes, der ihm das Weib des Herzens zuführt, und der, was das Herz nur dunkel und träumend fühlt, was der Verstand an einzelnen Merkmalen gleichsam tastend erkennt, mit hellem Seherauge in vollständiger Klarheit schaut. Zwey Engel geben sich die Hände, wenn eine ächte, glückliche Ehe geschlossen wird, umfange» einander, und schwingen sich zusammen empor zum Altar der ewigen Liebe und Treue, wo sie tm Angesicht Gottes den ewigen Bund beschwören. Und sie bleiben vereint unter allem Wechsel des Lebens, und sind noch dtefelben, wenn die blühenden Gestalten, die am Altar standen, niemand mehr in dem gebückten

181 Greise, t» der wankenden Greisin erkennt; ewig jung blüht im Herzen die Liebe, und von jeder verwelkenden äusser« Blüthe der Jugend zieht sich die Lebenskraft ge­ läutert in das Her; zurück, um es immer mehr mit Liebe zu erwärmen. O himmlischer Segen einer glücklichen Ehe! warum ist er so Vielen versagt7 Lieblicher Garten, strahlend vom warmen Sonnenschein der Liebe,-gesichert vor den Stürme« des Lebens! warum finden so Wenige dazu den Eingang, und irren draussen in der rauhen, kalten Wüste 7 Gibt es keinen Ersatz für dieses entbehrte Glück 7 wie wird dem liebedurstigen Herzen vergolten, das vergebens ein gleichgestimmtes suchte, und die Fülle der Liebe, der Freundschaft unerfaßbar, sehnsuchtsvoll in die Unendlichkeit ausströmt 7 — — > Ob e§ schmerzlicher sey, das Glück der Ehe zu ken­ nen und nicht zu finden, oder eö zu genießen und zu ver­ lieren, wäre eine traurige Strmftage. ES ist em herbes Schicksal, am Grabe eines geliebten Gatten, einer ge­ liebten- Gattin zu trauern. Wie sich das Leben der Ehe­ leute mit tausend zarten Fäden in einander schlingt, so durchzuckt der Todesschmerz jede Fiber, und dnngt in das innerste Mark dessen, dem die Hälfte des Lebens geraubt ist. Sein ganzes Daseyn ist zerrüttet, alle Ztele find ihm verrückt, der Glanz des Lebens ist erloschen. Er möchte alle Arbeit von sich werfen, alle Unternehmungen aufgeben; denn was hilft ihm aller Erfolg und Gewinn, -wenn sie die Freude,und den Genuß nicht theilt? DaS -Haus, welches sie verschönte und belebte, ist verödet, wie ein Garten, über welchen der Hauch des Frostes geweht, .und alle Blumen zerstört hat. Aber den Mann zieht daS Leben, wenn auch widerseinen Willen, mit den Bandest

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der Pflicht an sich, Sie Geschäfte rufe» , er muß gehör« chcn/ und er betäubt seine» Schmerz durch die Anstreu« flung der Arbeit. Hmgegen die Wittwe fleht allein und muffig rm verödeten Hause- die häuslichen Geschäfte, die nur ihm galten, ruhen, oder können ihren Geist nicht erfüllen; und sie ist noch glücklich, wenn Sorgen, zymal die süßen für ihre Kinder, ihre Thätigkeit in Anspruch nehmen, ohne ste niederzudrücken. So groß ist die heilende Kraft der Natur, daß auch solche Wunden verharschen und vernarben. Die Sehnsucht des Herzens bleibt, aber als ein stilles, wehmüthiges, süß schmerzliches Gefühl; das Andenken des Verlornen ist unauslöschlich in das Herz gegraben, und das schöne Bild verschönt und verklärt sich in der liebenden Erinnc« rung. ES ist ein schöner Zug deS menschlichen Herzens, daß eS alles Widrige und Unvollkommene vergißt, und Nur das Gute und Schöne festhält. Alle Schattenflecken, welche das wechselnde Spiel des Lebens auf das Bild des Gatten geworfen hatte, werden in der Erinnerung vom Glanze der Verklärung überdeckt; die Jugendliebe be> mächtigt sich wieder mit aller ihrer Gewalt der Einbil« dungskraft, und der verblichene Morgenstern der Liebe glänzt in unwandelbarem Licht als Abendstern am Him, mel der Sehnsucht. Bey einem tiefen Gemüth wird die Heilung langsam von Statte» gehen, und langsamer beym Weibe, als beym Manne, weil das weibliche Daseyn, das ganz an das männliche gefesselt ist, durch einen solchen Verlust gewaltsamer erschüttert und das Herz schmerzli­ cher verwundet wird. Aber nur krankhafte Gemüther werde» ewig am S eine Gabe des Schöpfers mit frommem Danke anerkennen. Wie wir den köstlichen Wein nicht nur als das Stärkungsmittel des Leibes genießen, sondern darin unmittelbar die Güte deS Schöpfers mit fröhlichem, aber reinem Herzen erkennen sollen: so sollen wir auch in

241 Gesellschaft heiter seyn, um Heuer zu sey»/ unddaS Leben unmittelbar von seiner angenehmen Seite alö Gabe des Schöpfers dankbar genießen. Man kann aber nur recht heiter in Gesellschaft seyn, und die gesellige Heiterkeit wird schon durch die Gemeinschaftlichkeit von der selbst­ süchtigen Sinnlichkeit gereinigt und in eine höhere Sphäre erhoben. Der fromme Dank gegen den Schöpfer kann sich zwar nicht immer in Gesellschaft anSsprechen, wenn nicht ein beitetet!, frommes Lied dem allgemeinen frohen Gefühl höher» Ausdruck und- Schwung gibt. Aber eine reine Heiterkeit ist schon an sich selbst ein frommes Ge­ fühl, und ein dem Schöpfer angenehmes Opfer. Aus diesen Zwecke» der Geselligkeit stießen nun von selbst die Regeln unsers Verhaltens in Ansehung der­ selben. Was zurrst die Personen betrifft, mit denen wir Umgang suchen, und die Kreise, welche wir schließen und in welche wir treten sollen: so zieht uns allerdings ein natürlicher Trieb zu unsers Gleichen. Das Kind sucht das Kind, der Jüngling den Jüngling, der Mann den Mann, das Weib das Weib zur Gesellschaft. Wie bey der Freundschaft ist es dre Gleichheit, verbunden mit einer gewissen Verschiedenheit, was den Umgang knüpft. Austausch kann nur zwischen Gleichen geschehen, aber ste müssen Verschiedenes zum Tausche bringen. Gemeinschaft­ licher Genuß, gemeinschaftliches Spiel und jede Unter­ haltung setzt eine gleiche Empfänglichkeit voraus; aber dergleichen Empfänglichkeit muß eine mannichfaltige Verschiedenheit dargeboten werden, sonst fehlt der Reiz und die Anregung. Man wird also immer unter seines Gleichen solche zum Umgang suchen, die durch die II. Bd. 16

242 Lebhaftigkeit ihres Geistes, ihre Erfindungskraft / ihren Witz und ihre geistreiche Unterhaltung anzuziehen, zu beschäftigen, zu erfreuen wissen. Die Geselligkeit zwischen Gleich und Gleich hat nun allerdings ihren Werth, die Namr führt zu ihr, und wer möchte ihr widerstreben? ES können auch alle Zwecke dr§ geselligen Lebens durch sie in einem gewissen Grade erreicht werden: Erholung, Erfrischung, Geistesnahrung, Anregung, Erheiterung. Ein solcher Umgang wird Freundschaft knüpfen und unter­ halten ; denn Freunde finden fich gewöhnlich im gleichen Alter, Geschlecht, Stand und Beruf. Man wird unter seines Gleichen oft die wichtigsten, fruchtbarsten Bekannt­ schaften machen, und in ihrer Unterhaltung neue Ge­ danken und Ansichten gewinnen, die um so wehr Ein­ gang finden werden, als sie fich zunächst auf unsere Be­ rufs- und andern Lebensverhältnisse beziehen. Aber auf den Umgang mit feines Gleichen soll die Geselligkeit keineswegs beschränkt werden, denn dadurch wird der Einseitigkeit nicht genug entgegengearbeitet. Es sollen im Leben einander nicht bloß Menschen Eines Alters, Ge­ schlechts und Berufs begegnen, sondern alle sollen, wie sie wirklich das Leben theilen, auch mit einander in eine gewisse Berührung treten. ES ist immer ein Zeichen von Mangel an Geistesbildung, wenn die Menschen sich auf engere Kreise des Umgangs beschränken; eS fehlt ihnen die Empfänglichkeit des Sinnes für ein anderes Gebier des Lebens, als sie selbst einnehmen. Der Jüngling nimmt keinen Theil am Manne, und fühtt sich in dessen Gesellschaft verlegen und langweilig; der Mann kann fich nicht in eine weibliche Unterhaltung finden; der Kaufmann wag nicht- vom Gelehrten, und dieser nichts von ihm

243 und vom Geschäftsmann wissen. Die Einseitigkeit der Umgangs begünstigt aber nicht bloß die Einseitigkeit, sondern auch die Rohheit des Lebens. Jünglinge, auf sich selbst beschränkt, geben sich leicht rohen Vergnügun­ gen hin; in Männergesellschaften werden Gespräche ge­ führt, von welchen weibliche Ohren sich verletzt fühlen würden; und in weibliche Zirkel schleicht sich die Ge. meinheit und Leerheit ein, wenn nicht Männer Gehalt und Bedeutung in das Gespräch bringen. Darum ist die Geselligkeit in der Familie am schönsten. Hier wird wenig­ stens die Hausfrau dem geselligen Ton Anmuth und Fein­ heit verleihen, wenn auch nicht Söhne, Töchter und Verwandte zur Vielseitigkeit und Beweglichkeit der Un­ terhaltung beytragen. ES ist eine rohe Sitte in England, daß die Frauen sich beum Nachtische entfernen, um den Zügellosigkeit des vom Weine erhitzten Gesprächs freyen Lauf zu lassen; das heißt der Geselligkeit die feinste Zrerde rauben, wenn man die Frauen ausschließt. Die Familie ist die schönste Freystätte des geselligen Lebens. Eine glückliche Familie birgt in ihrem Schooße nicht nur die äusser» Annehmlichkeiten und Bequemlich­ keiten, welche dasselbe bedingen, sondern auch die Fülle von Heiterkeit und Frohsinn, welche sich zugleich mit dem Ueberfluffe der gastlichen Bewirthung in den Kreis der Gäste ergießt. ES wird dem Gaste schon wohl, wenn er «in HauS betritt, wo die Eintracht und die Liebe herrscht; eS ist rhm, als wenn er in einen schattigen, duftenden Hain träte. Wie Mancher fühlt erst im Kreise einer edlen Familie, was es mit dem häuslichen Leben auf sich hat, die Sehnsucht erwacht ihm, und er kehrt aus seinem wilden Leben zurück. Jünglinge und Jungfrauen stude«,

244 -irr ihre Muster/ und auch Gatten lernen manche Sott« zöge kennen, die sie sich zu eigen machen können. Eine edle Familie übt eine schöne und zugleich höchst angenehme Art von Wohlthätigkeit/ wenn sie gastfrey ist/ und sich dem geselligen Leben öffnet. Sre wirkt erziehend und bildend auf Andere/ sie verbreitet ihr Licht und ihre Wärme um sich her, sie mildert und veredelt die Sitten. Aber sie bedarf der Geselligkeit auch für sich selbst. Schlimm ist es/ wenn Eheleute gegen den Unmuth der Zwietracht Heilung und Ersatz im geselligen Leben suchen; dadurch wird da» Uebel nur beschwichtigt/ nicht gründ­ lich geheilt. Aber allerdings bedürfen auch einträchtige Gatten der geselligen Erheiterung; und wenn sie sich alles gewähre» könne»/ was die Liebe gewährt/ so wird eS doch noch an frischer Anregung fehlen. Je mehr sie sich in einander eingelebt habe»/ desto mehr werden sie der Lüstern Erweckung bedürfen/ um nicht einseitig zu werden. Die Geselligkeit wird ihnen leiste»/ was ihnen gemein­ schaftliche Lesung und Kunstbeschäftigung oder gemein­ schaftlicher Naturgenuß nicht leisten kann. Der Manu bedarf des männlichen Umgangs/ das Weib des weiblichen/ in Beziehung auf die geistigen Bedürfnisse des Geschlechts und Berufs; und beyden werden gemischte Gesellschaften gleich wohl thun/ in welchen sich daS fremde Leben in mannichfaltigern Erscheinungen vor ihnen bewegt. Größer ist allerdings der gesellige KreiS/ den verwandte Familien unter einander beiden/ die Eltern mit ihren verheyratheten Kindern/ Geschwister-mit Geschwistern. Aber dieser Umgang kann dennoch nicht alle Bedürfnisse befriedigen; denn Verwandt«/ zumal wenn der KreiS der Verschwä­ gerung zu eng bloß auf die Vaterstadt oder gar nur auf

245 gewisse ausgezeichnete Familien beschränkt ist, setzen sich einander zu bald gleich m Ansicht, Gesinnung und Lebens­ weise, und stumpfen sich gegen einander ab, so daß der lebendige, mannichfaltige Austausch fehlt. Sind es z. B. Familien, welche einen gewissen Kastengeist unter sich unterhalten, oder sonst gewisse Vorurtheile mw einander gemein haben: so wird in ihren Umgang, wenn Fremde davon ausgeschlossen sind, kerne Anregung kommen kön­ nen, welche sie über eine solche Beschränkung erhebt; sie werden sich vielmehr in ihrer Einseitigkeit befestigen. Der Hauptvortheil der geselligen Unterhaltung, das freye Spiel der Einbildung, wird einem so abgeschlossenen Kreise ab­ gehen, die Einförmigkeit wird herrschen und zwar lischt die des Verstandes, sondern die schlimmere der Gewohn­ heit. Verwandte sollen allerdings mit einander Umgang haben; das befördert die Eintracht und das Vertrauen. Aber dieser Umgang soll erstens frey seyn; denn ein gezwungener widerspricht geradezu dem Zwecke der Ge­ selligkeit. Das Geschäft soll seinen Zwang haben, aber in der Geselligkeit soll man gerade frey athmen, und der freyen Neigung folgen. ZweytenS soll der Umgang mit Verwandte» nicht ausschließend gegen Fremde seyn, durch die allein Frischheit und Mannichfaltigkeit in die Unter­ haltung kommen kann. Durch dieses Ausschließen begeht man ein Unrecht gegen sich selbst, indem man sich deS edelsten und wohlthätigsten Vergnügens beraubt, und ein Unrecht gegen Andere, denen man die Theilnahme an demjenigen, dessen man sich »m häuslichen Kreise freut, neidisch versagt. Der' Mangel an Wohlwollen bestraft sich dadurch, daß sich das Herz immer mehr gegen die sanften Regungen desselben verschließt, und man kommt

in -er sittlichen Bildung zurück/ anstatt durch den Um­ gang mit Menschen sich immer mehr auszubilden. „ Gastfrey zu seyn vergesset nicht; denn durch dasselLige haben Etliche / ohne ihr Wisse»/ Engel beherberget. ” Welche Wahrheit liegt in dem heiligen Worte! Abra­ ham/ Loth bewirtheten und beherbergten Engel, Boten des Heils und des Friedens/ welche Freude in ihre Hütten brachten, und ihnen den Weg der Rettung aus dem Verderben zeigten. Ein Engel des Heils und deö Frie­ dens kann cmer Familie, die in Beschränktheit/ Gemein­ heit und Vorurtheilen lebt, ein Fremder werden, der mit höheren Ansichten, mit freyem Geist in ihre Mitte tritt, und die erstorbenen Herzen weckt. Den Teich der Versumpfung kann ein Gedankenblitz bewegen, der aus dem Himmel der Begeisterung in ein verstocktes Gemüth fällt. In dem freyen Spiel der Einbildungskraft - welches im geselligen Leben herrscht, liegt etwas Göttliches, weil eö sich über der menschlichen Willkür und Gewohn­ heit bewegt, und den Menschen oft wider sein Wissen und Vermuthen mit sich fortreißt; das Höhere begegnet ünS in ihm- ohne daß wir es gleich fassen und erkennen, so wie.auch Abraham und Loth nicht gleich wußten, daß Engel bey ihnen einkehrte«. Und wenn auch die Gesel­ ligkeit weiter keine heilsamen Folgen hätte, als daß sie unser Herz dem Mitgefühl, der Theilnahme, dem Wohl­ wollen öffnet, und die Freundschaft vorbereitet: so bewährt sich schon dadurch jenes schöne, große Wort. Ist nicht die Liebe der Engel des Heils und Friedens, der uns herabgesendet ist, um unser kaltes, dunkles Leben zu erwärmen und zu erhellen? Und wer wäre so reich an Liebe, daß er sein Herz für neuen Zuwachs . ..schließen

247 dürfte? welche Familie wäre durch sie so glücklich, daß sie nicht durch einen theilnchmenden Freund noch glück­ licher werden könnte? O laßt die Himmelsboten, welche euch Gott sendet, nicht draussen stehen, thut ihnen eure Pforten auf, kommt ihnen mit freundlichem Wohlwollen entgegen, öffnet ihnen ener Herz.' Sie werden nicht von euch gehen, phne euch ein köstliches Gastgeschenk zu hinrerlassen. Auch über das häusliche Leben hinaus soll sich die Geselligkeit erstrecken. Die verschiedenen Familien und die Einzelnen sollen sich in größeren Versammlungen an öffentlichen Orten finden, damit die Berührung und der Austausch noch allseitiger werde; denn kein HauS kann für alle Bewohner einer Stadt einen VereinigungSpunkr bieten; es werden sich immer Scheidewände und Hinder­ nisse finden, durch welche Viele ausgeschlossen werden. In diesen allgemeinen Zirkeln sollen so viel als möglich die Unterschiede des Standes wegfallen, und Gesittung und Bildung einem Jeden den Zutritt verschaffen. Durch Aufhebung jener Schranken wird eben die Vielseitigkeit des Lebens, als der Hauptzweck der Geselligkeit, beför­ dert; ein allgemeines Wohlwollen verbreitet sich unter die verschiedenen Klassen der Gesellschaft, und feindselige Vorurtheile der einen gegen die andern können sich nicht mehr behaupten. Was zweytenS die Mittel des geselligen Vergnügens und der Unterhaltung betrifft, so können sie freylich keine andern als sinnliche Reize seyn, wohin selbst die geistigen Mittel des Gesprächs, des Lesens, der Musik «. dgl. gehören; aber man betrachte und benutze Alleuur als Mittel für die höhere» Zwecke, und ziehe die

248 edleren den unedlen vor. Das gewöhnlichste und mttüt* lichstc DergnügungSmittel ist der Genuß von Speise und Trank. Der gastfreye Bewirthung ist theils die wohlthätige gegen Arme und Fremde, und macht einen Theil der Wohlthätigkeit aus, theils die gesellige gegen Freunde und Bekannte, um sich mit ihnen zu vergnügen und zu erheitern. Dte Mahlzeit dtent der körperlichen Erholung und Erfrlschung, und der Mensch ist dabey ganz natür­ lich zur Heiterkeit aufgelegt, indem er fich stnnltch auf­ geregt und wohl fühlt. Das Brod stärkt des Menschen Herz, und der Wein macht ihn fröhlich. Dtese Fröh­ lichkeit erhöhet sich durch den gemeinschaftlichen Genuß, und man sucht daher gern eine heitere Tischgesellschaft. Ein Freund nimmt nun gern bey dem Freunde mit dem täglichen Mahl fürlreb, welches der Reiz der Selten-heit und noch mehr dre Untcrhaltuug zum festlichen macht. Aber die Wirthe wollen gern den Reiz noch erhöhen Lurch ein seltenes Gericht und emen größer« Ueberßuß; und es erfreut den Gast schon der Anblick deü Ueberfiuffeö , wenn er auch keinen Werth auf den Genuß legtWie eS uns wohl thut, in ein wohleingerichtetes Haus zu treten, und uns das Bild der Ruht und Behaglich­ keit darin entgegenlächelt: so macht auch der Ueberfluß, den man daselbst wahrnimmt, einen wohlthuenden Ein­ druck. Auf der andern Seite fühlen die Wirthe ihr Glück von neuem, wenn sie dem Gaste den Ueberfiuß des Hauses bieten können; sie genießen die Gabe Gottes mit erhöhetem Bewußtseyn. Aber der Ueberfluß sey nicht erkünstelt oder erzwungen, und nicht mit schmerzlichen oder störenden Entbehrungen erkauft, so daß die häus­ liche Zufriedenheit durch die Folgen der gemachten

249 Anstrengung leidet. Auch diene man damit nicht der eigenen, oder fremden Genußsucht/ so daß man / dem Götzen deS Bauches opfernd/ den wahren Zweck der Geselligkeit ver. kenne und verfehle. Die Aufmerksamkeit und Sorgfalt für die Annehmlichkeiten des Mahles sey nur von dem Bestreben geleitet/ das gesellige Vergnügen zu erhöhen; dieses aber leidet und nimmt eine niedrige Richtung, wenn der Gaumen allzusehr in Anspruch genommen wird. Vor allen Dingen aber darf die Geselligkeit selbst nicht erschwert werden durch die Wichtigkeit/ welche man fälsch­ lich auf eine bloß äusserliche Form legt. Je weniger der Umgang Zurüstungrn kostet, desto leichter und freyer wird er seyn. Die Heiterkeit und daS Wohlwollen würze das Mahl/ so wird eS köstlich seyn; daS Gericht Gerne sehe»/ wie daS Sprüchwort sagt/ ist das beste/ das man vorsetzen kann. Auch ausser dem häuslichen Kreise bildet eine gemeinschaftliche Mahlzeit einen natürlichen Mittel­ punkt der Geselligkeit, obschon dann jener höhere Reiz fehlt, den die Häuslichkeit leihet. Aber auch da sey daS Essen und Trinken nie Zweck, sondern Mittel, und der Uebrrfluß erhöhe nur die Fröhlichkeit oder die Festlichkeit deö Tageö, diene aber nicht unedler Gefräßigkeit oder Leckerey. Rach einer gewissen engherzige«, finstern Anficht des Lebens mißbilligen Manche jeden ungewöhnlichen Auf­ wand zum Behuf des geselligen Vergnügens, indem fie darin etwas Sündhaftes finden, und alles, was über die eigene Rothdurft hinausgeht, für die Armen ver­ wendet wissen wollen. Sie verkennen den hohen Werth und die heilsamen Wirkungen der Geselligkeit, ohne welche die Menschen für vieles Gute nicht empfänglich

250 seyn würde», und haben in ihrem düstern Gemüth keine Ahnung von der fromm dankbaren Freude, welche ein rerneS Her; auch im sinnlichen Genuß empfinden kann. Die Armen sollen nicht darben, aber die Freuden der Geselltgkeit nicht durch eine übertriebene, ängstliche Wohl­ thätigkeit gestört werden. Wo möglich, benutze man noch andere, edlere Hülfs­ mittel der Geselligkeit, als die Genüsse der Tgfel. Das Natürlichste, reichste und fruchtbarste Unterhaltungsmit­ tel ist und bleibt das Gespräch, in welchem sich Gedanken und Gesinnungen gegen einander austauschen, durch­ weiche man neue Bekanntschaften macht, und neue An­ regungen empfängt. Je edler und gebildeter die Menschen, desto reicher, anziehender und erwecklicher daß Gespräch, und ein solches fodern, heißt eigentlich Geistesadel und Bildung fodern. Aber man kann eher das Bedürfniciner gute» Unterhaltung fühlen und für dessen Befrie­ digung Sorge tragen, als eö selbst befriedigen. Man wähle den Umgang solcher Menschen, welche durch ihre Gaben und ihre Bildung dem Gespräch einen höheren Schwung und reichern Gehalt zu geben im Stande sind. Wehe einer Gesellschaft, welche keine bessere Unterhaltung kennt, als die Mittheilung von Stadt-Neuigkeiten, wie wohl auch diese, in einem guten Sinne behandelt, Anlaß zu fruchtbaren und lehrreichen Bemerkungen geben können. Da der Stoff zum Gespräch bisweilen ausgehen kann, so frische man die Unterhaltung durch Spiele an, welche um so edler sind, je mehr sie die Gesellschaft ver­ einigen und in lebhafte Bewegung setzen. Besser, als Kartenspiele, welche fast zu weiter nichts dienen, als der Langenweile zn wehren, sind die Verstandes- oder

251 Witzspiele/ welche durch die Theilnahme der alteren Personen eine edlere Bedeutung gewinnen, und durch­ aus nicht bloß der Jugend überlassen bleiben sollten. Damit möge Musik und Tanz abwechseln/ und bey einem frohen Mahle sollte nie ein heiteres Lied fehlen / wodurch die Heiterkeit nicht nur erhöhet/ sondern auch geläutert und geadelt wird. In kleinern Kreisen solcher Personen, welche einander in Bildung und Geschmack näher siehe», tollte daS Gespräch mit der Lesung eines guten Buches abwechseln, wodurch jenes selbst wieder neues Leben und Stoff gewinnen würde. Endlich vernachlässige man nicht das allerschönste und fruchtbarste Hülfsmittel der Gesel­ ligkeit, daö ist der Naturgenuß. Eine Gesellschaft im Freyen, unter grünen Schatten gelagert, vor sich eine schöne Aussicht, über sich den blauen Himmel, kann ihr die Heiterkeit- fehlen? Muß sich da nicht jedes Herz ausschließen, muß nicht jedes Auge vor Freude glänzen, muß nicht der Geist Flügel gewinnen? Kann in einem solchen Kreise gemeine, tadelsüchtige, verläumderische Klätscherey Eingang finden? Dieser finstere Dämon ver­ trägt nicht das allsehende, heitere Auge der Sonne, der kranke Neid selbst gesundet beym Anblick des blauen Himmels, des grünen Waldes, und die Saure undBitterkett des Gemüthes mildern die lauen, balsamische« Lüfte. O Natuy! zu deinen unversieglichen Heilquellen laß uns fiiehen, wenn das Gift des Lasters und der Thorheit unser Herz beschleicht, in ihren reinen, stärken­ den Fluchen wollen wir uns baden, chr Göttertrank gieße neue Kraft in die ermattende Seele. Endlich prägen wir uns noch btt Regel ein, daß der Geist deö Wohlwollens in der Geseüigkett herrschen soll,

252 «nd daß die Freundschaft das Ziel ist, dem man in der­ selben entgegen gehen soll. Hierin reiht sich die Gesellig­ keit ganz an die Wohlthätigkeit an, ja sie ist die Schwester derselben. Beyde sorgen für das Wohl der Nebenmen­ schen , erhöhen das Lebensglück, und stiften freundliche Verbindungen. Wie die Gaben der Hülfleistung, welche dem druckenden Bedürfnisse abhelfen, wie dir Gaben des Raths, des Unterrichts, der Erziehung mit Wohlwollen gereicht werden sollen: so biete man die heitern Gaben -er Bewkrthung, welche die Sinne erquicken und erfri­ schen, und die schöneren des Gesprächs, des Witzes, der Kunstfertigkeit, welche den Geist erheitern, mit dem Wohlwollen, welches nur Andern Freude machen will. Fern sey die ettele Prunksucht, mit welcher man durch die Spendung des UeberfiusseS und die Schaustellung Persönlicher Vorzüge zu blenden, und Neid zu erregen, oder den. Weihrauch der Lobsprüche einzuernten sucht. Solche Gaben erfreuen nicht, und tragen nicht die schöne Frucht des allgemeinen Frohsinns. Fern sey jede hämische Stimmung und mißwollende Gesinnung, Spott, Ver­ achtung, Uebermuth und vor allem die Verläumdung, welche nur zu oft ihr durch den Reiz der Neuigkeit «nd des Witzes versüßtes Gift in die Unterhaltung gießt. Fern sey alles, was der Genußsucht, Lüsternheit und Ueppigkeit dient; Bacchus und Ceres mögen als Götter mit heiterer Mäßigkeit walten, und wenn Amor sich ein­ schleicht, so sey eS der liebliche Sohn der himmlischen -Venus, von dessen Pfeilen unschuldige Herzen unbewußt getroffen werden. Keiner kehre aus einem geselligen Kreise anders, als mit erheiterter, erleichterter, gehobe­ ner Seele, mit erfnschter Lust zur Arbeit; und wohl

253 dem, der noch mehr davon trägt, dem ein höherer Lichte funke in die Seele gefallen, dem ein edler Mensch begeg­ net ist, dem sich ein schönes Gemüth enthüllt hat.' Von der Geselligkeit und ihrem heitern Spiel wenden wir nnS nun zu einer ebenfalls allgemeinern, aber ernsiern Verbindung der Menschen, welche der Grmrin­ ge ist stiftet und unterhält. Freundschaft und Liebe verbindet Einzelne durch die Theilnahme an gemeinsamen Zwecken der Vollkommenheit und durch persönliche Gleich­ stimmung. Der Gemeingeist verbindet ganze Klassen drS Volks und das ganze Volk selbst durch den Eifer und die Lrebe zu gemeinschaftlichen Angelegenheiten des gemein­ samen und öffentlichen LebenS; aber die persönliche, auf persönliche Vollkommenheit gerichtete, durch persöo. liche Gleichstimmung geknüpfte Lrebe liegt dieser werte« Verbindung nicht zum Grunde; hier liebt ein Jeder dm Andern und Alle nur um des allgemeinen Wohles willen. Hingegen die rein menschliche Liebe soll allerdings Ein­ gang finden und die Selbstsucht, sowohl die besondere der Einzelnen, als die allgemeine des Ganzen, verdrän­ gen. Zwischen beyden Gebieten, dem der persönliche« Freundschaft und dem des GemringeisteS, waltet mit hei­ terer Beweglichkeit die Geselligkeit; sie knüpft und erhält manches persönliche Band, und belebt den Verkehr der Menge, der sonst nur der ernste des Geschäfts wäre, durch ihr heiteres Spiel. Der Gemeingeist ist nach Maßgabe der grmeinsiv men Angelegenheiten, denen er dient, theils ein beson­ derer, theils ein allgemerner. Auf der untersten Stufe steht der Gemeingeist der Stände und Körper­ schaften, deren gemeinsame Angelegenheiten «inen

254 engern Kreis ausfüllen. Der Unterschied der Stände iß theils durch den Beruf/ theils durch bürgerliche Rechte bestimmt. Sind diese Rechte schädliche Vorrechte/ wie

Rechenschaft ablegen damit sich der Bürger überzeuge, daß dxr Staatshaushalt treu verwaltet, und, was er zum allgemeine» Bedürfniß beytrügt, gut argewendet wird, und gern ferner dazu beytrage. Endlich soll das öffentliche Urtheil über vaterländische AngelVenhsiten frey seyn, und Jeder schriftlich und mündlich fdm Stimme darüber abgeben dürfen,.damit sich eine freye, öffent­ liche Meinung bilden könne. Die Freyheit her Presse wird dq nicht gefährlich seyn, wo eint gerechte und milde Regierung das Vertrauen des Volkes gewon­ nen hat; und würde sie durch die öffentliche Stimme eines begangenen Fehlers berüchtigt, so wird sie diese Belehrung mit Dank annehmen und befolgen; denn es kann ihr ja nur um das Wohl deg Ganzen zu thun sey». Unruhe und Umtriebe wird die freye, öffentliche Behand­ lung gemeinschaftlicher Angelegenheiten nur da erregen, wo sich durch die Schuld der Regierung schon der GährungSstoff der Unzufriedenheit angehäuft hat, und diesen unterdrückt das Stillschweigen nicht, sondern drängt ihn nur zurück, bis er dann desto gewaltsamer losbricht. Eine versammelte Menge, die sich nicht laut äussert, sondern stumm da steht, gleicht einer Gewitterwolke, welche schwarz und drohend in schwüler Windstille über dem Haupte schwebt: so ein Staat, in welchem die Denk- und Druckfreyheit unterdrückt ist, und sich nur ein dunkles Murren kund gibt. Endlich gehört noch zur Oeffentlichfeit als nothwendiges Belebungsmittel des Gemeingeistes, wie zur Pstege der Freundschaft gesel­ liger Umgang, so eine öffentliche Geselligkeit, welche in Volksfesten unterhalten wird. Das Volk muß sich als Volk zusammenfinden; und da dieses im

265 ernsten Geschäft nur in rein demokratischen Staaten geschehem kann, so geschehe es sonst in heisrer Feyerlichkeit^ iey öffentlichen Spielen und Vergnügungen. Jedes Doef, jede Stadt sollte ihr Volksfest haben, und, wo möglich, auch da- ganze Volk, wie die Grieche» ihre olympischen Spiele hatten. Bey öffentlichen Festen fallen alle Scheidewände, welche sonst die verschiedenen Atter, Ge'chlechter qnd Stände trennen; Aste sind gleich in der «allgemeinen Freude, in der Theilnahme an der dem Vaterlande gewidmeten Feyer. Vaterländische Feste sollen das Andenken an das Vaterland und dessen Ge­ schichte erbattcn und beleben, und dem Gedächtniß großer Thaten md der Helden, die sie verrichtet, gewidmet seyn; zugleich aber soll sich der Blick dabey auf die Zukunft und die Hoffnung des Vaterlandes, welche ihm in der Jugend aufblüht, richten. Pie schönsten Zierden der Volksfeste sind die Spiele der Jugend, Kampf und Wettspiele der Jünglinge, der Helden künftiger Siege, und heitere Spiele der Kinder. Me Geselligkeit soll fröhlich seyn, und vornehmlich die öffentliche, in welcher man sich der allgemeinen Glückseligkeit freuen soll: was kann aber mehr erheitern, als der Anblick einer frohen Jugend, die Theilnahme an ihren muntern Spielen? Was kann zugleich mehr, vereinigen und befreunden, als die Freude an der Jugend, unter welcher doch ein Jeder seinen Sohn oder seine Tochter, oder seine Geschwister und Verwandten hat? Das Band gleich froher Hoffnun­ gen umschlingt Alle, die um den Spielplatz versammelt sind, und sanfter werden in der allgemeinen Freude die Thränen derer streßen, welche ihre Hoffnungen verloren haben. Als schönes Zeichen eines wieder erwachende»

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lebendigem GemeingeisteS laßt u»S den Versuch, dieser Stadt wieder Jugendfeste zu geben, begrüßen, und auch Liesen Versuch verdanken wir jener edlen Gesellschaft, der Pflegerin alles Gemeinnützigen. Er wird ihr gelin­ gen, wie ihr so vieles gelang; sie streut ihren Samen in einen fruchtbaren Boden; ein junges, empfängliches Geschlecht, das auch ihr mit eine bessere Erziehung ver­ dankt, unterstützt ihre Bemühungen; eine solche Jugend wird man nicht vergebens nach St. Jakob führen, und ihr nicht vergebens die Erinnerung an jenen Heldentag ins Gedächtniß prägen. O schöne Hoffnung des Vater­ landes, goldene Morgenröthe einer bessern Zeit.' Wenn die Sonne stegprangend heraufsteigt, und Alles in Glanz und Blüthe» steht, werden wir nicht mehr seyn; aber der kurze Morgentraum des Lebens schwinde hin, wenn nur seine Hoffnungen in Erfüllung gehen; dieses Herz stehe still, wenn nur die Begeisterung, die e6 durchströmte, sich thatenreich in die Welt ergießt.' Die Väter sterben gern§ wenn sie wissen, daß heldenmütyige Söhne den heiligen Boden, in welchem ihre Gebeine ruhen, ver­ theidigen werden, und überlassen ihnen mit Freude» das Tagwerk ihres Lebens, das sie besser und kräftiger fortführen können. Die Vaterlandsliebe ist die stärkste, ja die einzige Schutzwächterin der öffentlichen Freyheit und Sicherheit. Keine Festungen und Heere von Söldnern, keine Künste der Unterhandlung schützen vor dem Andrang der Ge­ fahr; das ist leichte Spreu, welche der Sturm zerstreut: nur die heldenmüthige Tapferkeit begeisterter Söhne des Vaterlandes, die feste Eintracht, die unbeugsame Stand­ haftigkeit hochsinniger Bürger und Räthe, die kein Opfer

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scheuen, welches die Ehre gebietet, und einen ehrlichen' Untergang einem schändlichen Frieden vorziehen, bildet einen Damm, den keine Wogen durchbrechen. Wie klein das Heer der VaterlandSvertheidiger, wie schwach-die Kräfte des Staates seyen; wie mächtig dagegen der Feind, wie unerschöpflich seine HülfSquellen: unüberwindlich ist die begeisterte Tapferkeit, die heldenmüthige Stand­ haftigkeit eines vaterlandliebenden, einträchtigen Volkes; der Feind selbst wird seine Tugend ehren, und es lieber zum Freunde als zum unversöhnlichen Feinde haben wollen. Diese Wahrheit verkündigt laut die Geschichte; eS zeugen von ihr die StegeSfelder in den Alpenthälern, und selbst das Schlack-tfeld von St. Jakob, wo der Opfertod weniger Helden dem Feinde Achtung und Still­ stand gebot. Und wenn ein hochherziges Volk im Kampfe unterging, so lebt es in unsterblichem Rnhm, und die Flammen der Zerstörung, in welchen es sich opferte, leuchten fort und fort im verklärten Glanze. Die Vaterlandsliebe schützt aber auch vor den schlim­ mern innern Feinden der Freyheit. Ein Volk, in welchem ein kräftiger Gemeingeist lebt, wird stch nicht unter die Zwingherrschaft eines Einzigen oder Mehrerer beugen i eS wird seine Freyheit und alle Wohlthaten seiner Gesetz­ gebung und Verfassung gegen List und Gewalt, gegen Lockung und Schmeichele») vertheidigen. Immer hat sich ein Volk nur selbst unterdrückt, oder ei» Theil desselben das Ganze. Woher kaun die Tyranney ihre Macht nehinen, als ans den Kräften de§ Volkes? und ist es nicht die Schuld desselben, wenn es diese hergibt zu seiner eigenen Unterdrückung? Umgibt stch der Tyrann mit fremden Lohnknechten, so war eS mrr die Zwietracht de-

268 Volkes, welche sie ins Land ließ. Ohnmächtig stürzt alle Tyrannen zusammen, wenn das Volk sie nicht selbst aufrecht hält. Eintracht schützt gegen innere, wie gegen äussere Feinde, und der Wahlspruch aller. Zwingherrn ist: Theile und herrsche. Endlich sichert der Gemein­ geist auch gegen die Schlaffheit der Regierung und gegen alle Verderbnisse, welche daraus entspringen. Er regt sie durch die lebendige: Gegenwirkung der öffentlichen Meinung zur Wachsamkeit, zur kräftigen Verwaltung, zur Aufrechthaltung und Verbesserung der Gesetze, zur Bestrafung der Verbrechen und Laster und zur Beloh­ nung der Tugenden auf. Volk und Regierung müsse« in lebendiger Wechselwirkung stehen, und einander tragen uud halten, erwecken und belebe»; und will ein Regent sich gegenüber das Volk in leidender Unthätigkeit sehen, so will er sich selbst in trägen Schlummer wiegen, ane welchem ihn dann der Sturm des Schicksals schrecklich aufstören wird. Die Vaterlandsliebe erhält aber und schützt nicht bloß; sie ist die. Schöpferin alles Guten, Großen und Schönen im Volksleben; sie regt jedes Streben zum Besseren an, weckt den Erfindungsgeist, die Thatenlust, und verwandelt das össentliche Leben in einen Schauplatz des begeisterten Wetteifers für die allgemeine Wohlfahrt und Vollkommenheit. Den» die Liebe liebt nicht nur, was vollkommen ist, sondern will auch, was sie liebt, «och vollkommner machen. Diese schaffende und vervoll­ kommnende Vaterlandsliebe geht über den Kreis der Gnvohnheit hinaus, und bewahrt den ruhigen, bloß er­ haltenden Gemeingetst, den Sohn der Gewohnheit, vor Erschlaffung; sie verbindet sich mit dem freyen Geiste

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btt Sittlichkeit/ der die Bewegung und das Fortschrei­

ten fodert, und mit der auf der Urbilder alles Guien und Schönen gerichteten Begeisterung. Von dieser em­ porgehoben/ wird sie mit dem engen Kreis der Gewohnt heit rugleich die sumpfige Weide der Selbstsucht verlassen. Denn es gibt allerdings einen selbstsüchtigen Volksgeist, dessen Ziel allein der Reichthum und die Macht ist/ und welchem die Gerechtigkeit und die Geistesbildung als leerer Wahn gilt; und fast immer hat sich die Vater­ landsliebe erobernd und unterdrückend nach aussen hi» gewendet. Wenn man den Engländern das Lob des Gemeingeistes nicht versagen kann/ so muß man ihnen zugleich- den Vorwurf der Gewinnsucht und deS Eigen­ nutzes machen. Dem deutschen Volke hat man oft den Mangel an politischem Gememgeist und nicht ganz mit Unrecht vorgeworfen: dafür ist in ihm/ eben weil ihm durch seine Vereinzelung die Anhänglichkeit an eine gleichmäßige Verfassung und Sitte fehlt/ der freye Geist und die' höhere Richtung auf die Geistesbildung desto lebendiger. Die Schweizer theilen mit den Deutsche» diese Richtung/ indem sie mit ihnen Sprache und Schrift, thum theilen; zugleich freuen sie sich einer glücklichen, durch heldenmüthige Begeisterung gestiftete» Verfassung, und ihre Stellung gegen die' andern Staaten ist die der gerechte»/ friedlichen Partheylosigkeit: und so soll und kann sich ihre Vaterlandsliebe zu dem höchsten Ziele er­ heben, welches einem Volke gesteckt seyn kann. Der thätige Geist der Vaterlandsliebe offenbart sich in dem Wetteifer der öffentlichen Ehr- und Ruhm­ liebe/ vermöge deren jeder Einzelne Wirksamkeit und Drdeutung im öffentlichen Leben sucht, und was er thut

270 im- leistet,, mit kindlicher Hingebung dem öffentlichen Urtherl unterwirft, und nach dem öffentlichen Beyfall strebt. So wie der Freund das Urtheil des Freundes achtet und nach dessen Beyfall strebt, wie der fierßige Sohn sich durch das Lob des Vaters belohnt fühlt: so stellt der treue Sohn des Vaterlandes feine Thaten und Werke zur öffentliche» Beurtheilung hm; und Hochgefühl schwellt ferne Brust, wenn die Stimme der Besten und Erleuchtetsten sesner Mitbürger ihm Beyfall zollt. Wie er überhaupt im Ganzen lebt, so findet er auch seine Zufriedenheit nur in der Zufriedenheit Aller. In einem gesunden, lebendigen Volksleben muß das Verdienst um das Vaterland belohnt, und ein edler Ehrgeiz und Wett­ eifer entzündet werden, damit das Streben nicht erschlaffe. Darum waren die Griechen und Römer so groß, weil das öffentliche Verdienst so herrlich belohnt wurde. Als Sieger in den öffentlichen Spielen anerkannt, von den Gesängen der Dichter gepriesen, in Bildsäulen verewigt, von den Wogen des allgemeinen Lobes empor gehoben zn werden, das war wohl der höchsten Anstrengung werth; ein solcher Augenblick wog die Lust eines ganzen Lebens auf. Welch ein stolzes, göttergleiches Gefühl, auf dem Triumphwagen nach dem Kapitol zu ziehen, und in diefern Augenblick der Erste eines ganzen hochherzigen Volkes, der Gegenstand der allgemeinen Bewunderung und Dank, darkeit zu seyn! Die Alten ehrten das Verdienst durch edle Zerchen, durch einen Kranz, ein Lied, ein Denkmal; ein Ehrgeiz, der nach solchen Auszeichnungen trachtet, erhebt über den niedern Geldgei;, den die öffentliche Vergeltung nrcht begünstigen sollte. Wenn das Verdienst auch nicht gerade darben soll, so soll man rS doch nicht

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mit Gold belohnen, welches dessen Preis nicht sey» kann. Alles, was zur Vervollkommnung des Volkslebens gehört, finde seine Belohnung im öffentlichen Dank; nicht bloß die Tugend des Kriegers und Staatsmannes, sondern auch das Verdienst des Erfinders, Gelehrten, Dichters und Künstlers. Den Dank aber spende nicht die Laune eines Herrschers oder eines durch Schmeichele» verführ, baren Pöbels, sondern das unpartheyische, einsichtsvolle Gericht der Besten des Volks, deren Beyfall schon allein ohne daS Ehrenzeichen belohnt. Nach einer durch Montesquieu empfohlenen An­ ficht soll die Ehrliebe besonders in monarchischen Staaten herrschend seyn; aber eine Ehre, die nur vom Urtheil des Alleinherrschers ansgeht und nicht zugleich auf der freyen öffentlichen Meinung ruht, ist schwerlich die wahre. Die Ehre des Lehenweftnö, die Rmerehre, ist ohne VolkSliebe, und durch den Kastengeist verunreinigt. Unser monarchisches Staatöleben kennt fast keine andere Ehre, als die des Hof. und Beamten-RangeS, der Ordens, und Titel-Auszeichnungen. Ausserdem zieht daö Privatleben alle Bestrebungen in seinen engen KreiS, und die Meisten trachten nur nach häuslichem Glück, zufrieden, wenn ihnen der Staat dazu beförderlich ist. Selbst diejenigen, welche durch ihren Beruf in öffentlicher Wirksamkeit leben, die Beamten und Krieger, treten meistens nur beym Staate in Lohnarbeit, um dann den Gewinn zu Hause gemächlich zu verzehren. ES fehlt uns an Anstalten und öffentlichen Vereinigungspunkten, rote die Spiele und Feste der Alten waren, wo das Verdienst setne würdige Anerkennung fand; wtr leben nicht in der freyen, sonni­ gen Luft des öffentlichen Lebens, welche den Geist erhebt

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Und stärkt. Darum gedeiht bey uns so selten die offene, liche Engend > darum fehlt es uns an großen Thaten der Begeisterung und Aufopferung für das gemeine Wohl nnd die gemeine tzhre, darum suchen in Zeiten der öffentli­ chen Gefahr die Bürger ihr eigenes Glück zu ketten, an­ statt es dem Vaterlands zum Opfer zü bringen, darum beugen sich Alle so gern unter daS Joch der öffentliche» Schande, um ihr ärmliches Daseyn zu fristen. Das muß anders werden, und wird anders werden. Der Geist der Gemeinschaft ist aus seinem Schlummer erwacht, und regt fich, wenn auch erst in kleinern Kreisen; von unten hinauf wird er stch von Stufe zu Stufe empor arbeiten. Und endlich da§ ganze Volk durchdringen. O diese große Hoffnung erfülle ganz unsre Brust! ES erhebt schon den Geist, den Gedanken derselben zu fassen, aber der Muth, daran zu glauben, gibt ihm Flügel der Begeisterung, und der muthige Glaube bringt die Erfüllung. In unserm Innern laßt unS den Keim der schönern Zukunft pflegen, so wird er fich entwickeln, mit kräftigem Wachsthum hervorbrechen, und als ein mächtiger Baum die Welt erfüllen! Die Vaterlandsliebe ist auf das eigene Volk beschränkt, »nd kann daher immer einer wenn auch höheren Selbst» sucht dienen, wie dieß mit der Vaterlandsliebe der Griechen und Römer der Fall war, welche der Völkerhaß und die Eroberungssucht verunreinigte. Sie wird geläutert durch den kirchlichen Gemeingeist «nd die fromme Begeisterung, welche alle christlichen Völker in eine allgemeine Verbrüderung vereinigt. Die heilige Wahrheit, die fromme Tugend «nd Andacht ist aller Christen Gemeingut, und alle sollen in einträchtiger Liebe dafür

273 -reden und kämpfen, und in dem gemeinsamen Eifer und Streben sich als Brüder lieben. Diese christliche Bruder­ liebe wird die Liebe der Mitbürger gegen einander mit einer höheren/ heiligeren Wärme beleben, und die Völ. ker gegen einander zur Friedfertigkeit und Sanftmuch stimmen. Wäre ste recht lebendig, und beherrschte sie die Herzen der Fürsten und Gewalthaber: so gäbe es keine Kriege mehr, und es würden kerne Trmmphe mehr ge­ feuert, als die der großmüthigen Liebe und des Wetteiferder Tugend. Aber bleibt auch dieser fromme Wunsch noch fange und vielleicht ewig auf dieser Erde unerfüllt: so soll die christliche Liebe wenigstens die Rohheit des Krie­ gers mildern, und femt wilden Kräfte der Gerechtigkeit dienstbar machen. Nie werde das Schwert anders als zur Vertheidigung gezückt, und es kehre in die Scheide, wenn der Feind einen gerechten Frieden bietet! In seinem eigenen Geb»et wird sich der kirchliche Gemeingeist als Glaubenöeifer und als sittlich fromme Begeisterung dadurch beweisen, daß er das kirchliche Leben in seinen hetligeu Lehren, Gebräu, chen und Anstalten schützt und erhält, und immer mehr erweitert, reinigt und vervollkommnet. Die Gewohn­ heit, die treue Anhänglichkeit an die Ueberlieferung der Väter, wird erhaltend wirken, die freye Begeiste­ rung aber zur Vollkommenheit führen, und jene soll dieser nie hemmend entgegen treten. Nichts Menschliches ist vollkommen und kann der Verbesserung entbehren; so auch die Krrche, als äussere, menschltche Anstalt. Die Lehre muß immer mehr von menschlichen Meinungen ge­ reinigt, dte Andachlsübung immer mehr beiebt und ver­ schönt werden. Zu diesem Vervollkommnungsstreben sollen II. B. 18

im« Alk ihre Wirksamkeit ucrctniijc«/ und jeder Einzelne soll dem gemeinschaftlichen Werke die besondern Gabe» itnd Kräfte wtdmen, welche chm der Summet verliehen. Der Wahrheitsforscher trage das Licht der bessern Erkenntntß m die öffenrliche Kirche»lehre, der Erzieher und Lehrer wirke zur Verbesserung des frommen Unterrichts der Jugend, der Dichter und Künstler verschönere die heiligen Uebungen und kirchlichen Gebäude, und wen Gott mit den Gütern dieser Welt gesegnet hat, verwende sre zu frommen Stiftungen, und nehme die Künste tn den Dienst der Kirche. O schöne Zeit, als ein frommer Eifer jene herrlichen Münster aufführte, vor welchen wir stau­ nend iin erdrückenden Gefühl unserer Kleinheit stehen! O herrliche Begeisterung, welche Rtesenmassen m Bewe­ gung setzte, und mit dem Geist der Schönheit und An­ muth schöpferisch belebte! O Glaube, welcher Berge ver­ setzte und aufthürmte, um sich auf ihnen zum Hiinmel emporzuschwingen! Der kirchliche Gemeingcrst soll aber besonders diejeni­ gen beleben, welche den Beruf haben, an der Kirche-zu arbeiten; mit begeisterter Hingebung an tue ewige Wahr­ heit und alle Urbilder des frommen Lebens sollen ste, steh selbst und jeden selbstsüchtigen Vortheil ihres Standes vergessend, nur das suchen und erringen, waö zur Vollkommenhett führt, und zu jeder Verbesserung die Hand beeten. Wehe der Kirche, deren Geistlichkeit eifersüchtig ihre Herrschaft bewacht, und mit engherzigem, selbstsüch­ tigem Kasten-Geist jedes freye Streben unterdrückt, da­ mit das Volk in der Unmündigkeit erhalten werde. Dem VerbefferungSrlfer der Erleuchteten und Begeisterten wird ein lebendiger Gemeingcist der Kirche willig entgegen

275 sommert; aber wenn die Gewohnheit und das Vorurtheii den großen Haufen verblendet, und geistliche Herrschsucht ihn zum Widerstande reizt, daß er Scheiterhaufen für diejenigen rüstet, welche ihn erleuchten wollen: so wird die Begeisterung für die Krrche, wie die für das Vaterland, den Tod nicht fürchten. Der Märtyrertod, der Tod für die Wahrheit, ist der schönste Tod; denn die Lrebe der Wahrheit ist die reinste, es ist die himmlrfche, ewige Liebe selbst; ln diesem Tode läutert sich die Seele von aller irdischen Neigung, welche selbst noch in die Vater, randsliebe eingeht, und besteht die höchste Prüfung der Treue, der Treue gegen sich selbst und Gott. Dieser Tod ist stets siegreich und heilbringend; denn die Wahrheit siegt in der treuen Liebe über die Todesfurcht, und be­ zeugt dadurch ihre göttliche Macht, welche früher oder später den Irrthum überwindet; die Opferflamme des MärtyrerthumS leuchtet als Fackel der Wahrheit durch die Nacht der Zeiten, und keine Finsterniß kann ihre Strahlen dämpfen. Der kirchliche Gemeingeist ist nicht bloß der einer einzelnen Gemeinde oder einer Landes- oder Volks-Kirchr, noch der einer Sekte; er strebt aller Absonderung entge­ gen, und hebt die engherzigen Schranken deö SeklenwesenS auf, indem er feine Theilnahme und Liebe über die ganze Kirche Christi ausdehnt. Der begeisterte Christ fühlt mit feinen fremden Brüdern, und theilt ihr geist­ liches Wohl und Weh. Würde eine Kirche selbst in den entferntesten Erdthrilen wegen deö Glaubens verfolgt und gedrückt: so sollte eö jede andere Kirche als ihre Sache ansehen, und der bedrängten Schwester wo mög­ lich Beystand leisten. Die christliche Begeisterung will

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aber auch die christliche Kirche immer weiter ausgebreitet sehen, und strebt, den Ungläubigen die Wohlthaten des Evangeliums mitzutheilen: daher die Missionsunternehmungen und der heilige Muth, mit welchem die dazu Berufenen allen Gefahren und Mühseligkeiten entgegen gehen. Hier schließt stch der christliche Gemeingeist an die weltbürgerliche Gesinnung an, welche alle Völ­ ker als Brüder, und alle menschlichen Angelegenheiten auf dieser Erde alS die eines jeden Menschen und jedes Volkes betrachtet. Diese Gefinnung geht zunächst von der Theilnahme au dem Völkerleben der Europäer und ihrer Pflanzer in den andern Erdtheilen, unter dessen Einfluß daö Leben des eigenen Volkes steht, aus, und erhebt sich dann zu der Theilnahme an dem Leben auch der andern Völker: sie möchte alle Söhne der Mutter Erde, die ein menschliches Antlitz tragen, in ein Reich der Liebe vereinigt sehen; wie über Alle die Sonne ihre Strahlen, und Gott seine Vaterliebe ausgießt, so soll auch die Lebenswärme der menschlichen Bruderliebe über die ganze Erde von Volk zu Volk strömen, so daß eines dem andern beystehe, und Wohlthaten reiche und empfange. Dieser weltbürgerlichen Ltebe verdanken wir die Abschaffung der Sklaverey und die Anerkennung der Schwarzen als menschlicher Brüder, und ihr dient der wenn auch gewinn- und eroberungssüchtige Unterneh­ mungsgeist der Erdumschiffer und Länderentdecker. Sie folgt den Spuren ihrer oft verheerenden und Unhetl bringenden Thätigkeit, um die geschlagenen Wunden zu heilen, um zu versöhnen und durch Wohlthun zu be­ freunden ; sie verwandelt die Eroberungen des Schwertes

277 ttt die Eroberungen der Liebe; sie löst die angelegte» Fesseln, um dafür das Band des Friedens zu knüpfen. Und so kehrt die Liebe, welche von der allgemeinen Men­ schenliebe ausgeht, indem sie die Kreise des FamilienVolkS- und Kirchenlebens überschreitet, wieder in die Sphäre des rein Menschlichen zurück.

Neunzehente Vorlesung Don der Ehr«; vom SelbAmord.

Nachdem wir die Pflicht -er Gerechtigkeit und die Liebe gegen den Nebenmenschen in ihren verschiedenen Abstu­ fungen betrachtet, und dadurch zugleich eine Uebersicht aller Verhältnisse, in welchen Menschen gegen Menschen stehen, gewonnen haben: so gehen wir nun zu der Pflicht des Menschen gegen sich selbst oder zu der Pflicht der Ehre über, welche gleichsam die Kehrseite der Gerechtigkeit oder die Gerechtigkeit des Menschen gegen sich selbst ist. WaS haben wir unter der Ehre zu verstehen? Der gemeine Sprachgebrauch, als der Dolmetscher der unter dem großen Haufen herrschenden sittlichen Begriffe, be­ zeichnet mit dem Worte Ehre zunächst die äussere Ehre oder den Wiederschein dessen, was wir hier als Gesin­ nung geltend machen wollen. Man versteht gewöhnlich unter der Ehre dasjenige, waS der Mensch in der Gesell­ schaft gilt, die Achtung, die ihm die öffentliche Meinung

279 zuerkennt. Man spricht von einer bürgerlichen Ehre, welche man durch entehrende Handlungen und Strafen z.durch den Diebstahl und Pranger verliert. Aber der feine Dieb, welcher die öffentliche Wachsamkeit zu täuschen wejß, entgeht nicht nur der Strafe, sondern behauptet auch seine Ehre in der Gesellschaft. Die Gestnnung und Handlungsweise eines solchen nennt man unehrlich, desjenigen hingegen, dem man keinen Betrug, keine Bevortheilung zutraut, ehrlich, und damit trifft man auf das, was wir hier als die Gesin­ nung der Ehre geltend machen wollen. Aber der Begriff der Ehrlichkeit ist sehr eingeschränkt, und bte Tugend, die man mit diesem Worte bezeichnet, nimmt eine sehr nie­ drige Stelle ein. Man spricht von einem ehrlichen Diener und Beamten, von einem ehrlichen Gewerbe; aber wer weiter nichts, als ehrlich im gewöhnlichen Sinne, ist, verdient noch keine hohe Achtung. Schade, daß dieses schöne Wort so herabgekommcn ist. Ehrbar und Ehrbarkeit gilt fast nur von Keuschheit und Sittsamkeit und dem guten Rufe in dieser Hinsicht. Ehrliebe und Ehrgefühl bezeichnen allerdings die Gesinnung des Mannes, der auf Ehre hält; aber es kommt darauf an, was man unter Ehre versteht. EhrUebend nennt man auch denjenigen, der sich nicht durch die Großmuth, die Freygebtgkeit und daS glänzende Be­ tragen derer, die ihm gleich stehen, übertreffen lassen will; und dieses bezeichnet noch nrcht den innern Kem der wahren Ehrliebe, wiewohl es auch mit ihr zusam­ menhängt. Am häufigsten wird das Wort Ehre. von dem­ jenigen, gebraucht, waS der Mensch durch seinen Stand und sein Verdienst in der Gesellschaft und im Staat-

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gilt; LaS ist aber nicht unmittelbar der Gegenstand dessen, was wir die sittliche Ehrliebe nennen und) gehört mu)t in den KretS der Pfltcht, sondern dS SttrebarS nach Vollkommenheit. Wrr unterscheiden eine zwiefache Ehre: die eine tst eins und dasselbe mit der sittlichen Würde, die wir in unserer Gesinnung und Handlungsweise u behaupten haben; dre andere ist die persönliche Volkoinnuenhett, welche wir allerdmgS auch nach aussen hin getend «machen, vorzügllch aber «tut reiner Selbstliebe um hres innern Werthes willen erstreben sollen. Dre ein ist Sache -er strengen Pflicht; die andere der fm)et Lieibe und Begeisterung: die Verletzung der einen emedriigr de» Menschen, und beraubt ihn der sittlichen Zchtumg; d«e Vernachlässigung der andern vermindert bloß seinen Werth, und entzieht ihm mehr oder wenige.' die Werthschätzung und Liebe der Nebenmenschen. Wir handeln nun zuerst von der strengen Pflicht -er Ehre. Wir natinten die Ehre die Kehrseite der Gerechtigkeit. Diese bezieht sich, wie wir wissen, auf die sittliche Wech­ selwirkung, und gerecht seyn heißt den Nlbenmenschen in der Stelle, die er in derselben tinnimmt, anerkennen und achten, ihn nicht aus derselben stoßen, ihn nicht so behandeln, als wenn er «»icht da wäre, oder nur als beliebiges Werkzeirg und Mittel gälte. Die Ehre, als das der Gerechtigkeit Entsprechende, ist dagegen die Selbstachtung, oder die Geltendmachung und Behaup­ tung der Stelle, die auch wir in der sittlichen Wechsel­ wirkung einnehmen, und auf seine Ehre halten heißt so gesinnt seyn und handeln, daß rnan dieser Stelle an

sich selbst wirdig ist, und auch von Ander» darin aner­ kannt wird. Daher st die Ehre zuvörderst mit der Gerechtigkeit «ins; denn ver ferne Stelle in der sittlichen Gemeinschaft oder feitne Ehre behaupten will, muß sie zuvorderst da­ durch behaumn, daß er ihrer würdig handelt. Indem er den Rrbaimenschen als Glied derselben achtet, wird er selbst bey dtesem Achtung finden. Aber diese Achtung, die er sich durch gerechte Handlungen erwirbt, macht die Ehre neck- nicht allein aus; diese kann man auch durch Heuckeley gewinnen. Durch die Gesinnung der Gerechtlgkeii achtet der Mensch sich selbst und behauptet in sich selbs das Gefühl der Menschenwürde, und daS ist die wahr: Ehre, welche vor dem Gewissen gtlt. In der That pflegt das Wort Ehrlichkeit im gewöhn, lichen Sprachgebrauch wenigstens einen Theil der Gercchtigkeu zu bezeichnen, nämlich die Trene in der unei­ gennützigen, redlichen Verwaltung fremden Gutes, die Treue LeS Verwalters, des Dieners, des Kaufmanns und Handwerkers, des Finders, der das Gefundene an den Eigenthümer zurückgibt, des Bürgers, der seine Abgaben ohne Unterschleif bezahlt, de§ Sachwalters, der seine Schutzbefohlenen nicht durch falsche Hoffnungen betrügt, und überhaupt mit der Wahrheit umgeht. Ehr­ lichkeit wird fast immer dem Betrug entgegengesetzt. Eine Ungerechtigkeit durch offene Gewaltthätigkeit, wie der Raub oder die Wegnahme eines fremden Gutes durch die Uebermacht eines Fürsten oder Großen, wird nicht mit der Makel der Unehrlichkeit bezeichnet. Und so viel ist richtig, daß der Betrug noch schändlicher ist, als die Gewaltthat. Erlaubt diese die muthige Gegenwehr,

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wie cs meistens beym Raube der Fall ist: so stellt der­ jenige/ der sie übt/ den Ander«/ der sie leidet/ gewis­ sermaßen mit sich auf den Fuß der Glerchyeit/ und seine That ist nicht mit der Verachtung aller sittlichen Wech­ selwirkung verbunden/ wie der Betrug/ welcher unter dem Scheine derselben durch Mißbrauch des Vertrauens geschieht. Der Räuber hat sich aus der gewöhnlichen bürgerlichen Gemeinschaft herausgestellt/ der Gesellschaft den Krieg angekündigt/ und handelt also offen; der Betrüger aber heuchelt den Gesetzen und Verträge» Achtung/ lockt das Vertrauen Hera«/ und mißbraucht es r«r Befriedigung schändlicher Selbstsucht. Er ver­ achtet mithin die sittliche Gemeinschaft viel mehr/ als der Räuber, der sich ihr feindlich gegenüber stellt; er braucht sie zu seinem Werkzeug/ und tritt sic mit Füßen. Derjenige/ der unter dem Schutze einer ohnmächtigen und unvollkommenen Rechtspflege feine bürgerliche Uebermacht zur Ungerechtigkeit benutzt/ handelt freylich an sich wider die Ehre; aber indem er mit Offenheit der öffentlichen Meinung trotzt/ nimmt er, den Schein an/ als handle er aus Ueberzeugung oder wenigstens aus leidenschaftlicher Verblendung/ und al§ verachte er nicht ganz alle Gesetze der sittlichen Gemeinschaft/ und seine Handlungsweise erscheint nicht so verächtlich/ -tote die des Betrügers. Dieser schändet sich besonders durch die Feigheit/ mit der er handelt/ indem er im Finstern schleicht/ während der Räuber und Gewaltthätige den Widerstand hervorruft/ oder doch/ wenn derselbe unmög­ lich ist/ auf seine Uebermacht trotzt. Andere Arten von Ungerechtigkeit bezeichnet die herr­ schende Meinung als R i e d e r t r ä ch t i g k e it; diese aber.

283 als die Frucht einer niedrigen Gesinnung und des Man­ gels an Hochsinn und wahrem Stolz/ ist aller­ dings der Gegensatz dessen , was wir unter der sittlichen Chre verstehen. Unter Niederträchtigkeit versteht man zuvörderst den schändlichsten Grad von Unehrlichkeit, wodurch man der smltchen Achtung der Nebenmenschen frech spottet. Man nennt einen Betrüger niederträchtig, wenn er seinen Betrug so arg treibt, daß derselbe Allen klar mrd und dadurch die allgemeine Verachtung auf sich zieht, oder wenigstens, wenn entdeckt, mit der Makel der öffentlichen Schande bezeichnet wird. Nieder­ trächtig nennt man den Lügner, welcher die Wahrheit so frech verkehrt, daß ein Jeder die Lüge erkennt, 'ohne sie doch vielleicht ans Licht ziehen zu können. Nieder­ trächtig ist die Verläumdung, weil sie im Verborgenen den guten Namen dessen mordet, der sich nicht verthei­ digen kann. Niederträchtig ist die Treulosigkeit, mit welcher man ein Versprechen, auf welches der Andere in der Noth rechnet, nicht hält uud ihn dadurch t» drin­ gende Verlegenheit bringt. Niederträchtig ist das Ab­ leugnen einer Schuld, wofür entweder der Gläubiger sich nicht auf die gehörige Art gesichert hat, oder der rechtliche Beweis verloren gegangen ist. Niederträchtig ist der Verrath, weil eine der schändlichsten Arten von Untreue, besonders der Verrath des Freundes, welcher arglos vertraute. Niederträchtig ist es, einen Genossen und Freund der eigenen Sicherheit und Wohlfahrt auf­ zuopfern , ihn in der Noth zu verlassen und der Gefahr preiszugeben, einer Geliebten die Treue zu brechen, um eine reichere Braut zu gewinnen, oder gar, wie iener Engländer in GellertS Erzählung, Mutter und

284 Kind als Sklaven zu verkaufen. Niederträchtig ist das Gewerbe eines Spions, zumal dessen, der im Dienste der geheimen Polizey die friedlichen Bürger belauert, weil er das öffentliche Vertrauen untergräbt. Ausser dem Betrug nennt man alle solche Ungerech­ tigkeiten niederträchtig, durch welche man aus niedriger Gesinnung, aus Eigennutz und Selbstsucht die Pflicht heiliger Achtung verletzt oder die Gesetze der Gerechtig­ keit auf eine grobe Weise übertritt. Niederträchtig ist die Undankbarkett gegen einen Wohlthäter, dem man Gutes mit Bösem vergilt, oder den man in der Noth verläßt. Niederträchtig ist die Undankbarkeit gegen El­ ter», und die grobe Bevortheilung der Geschwister, denen man Großmuth schuldig ist. Niederträchtig ist eS, dem armen Arbeiter seinen Lohn auf eine drückende Weise zu vermindern oder gar zu entziehen. Auch die Hoffahrt und der Uebermuth in der verächt­ lichen und beleidigenden Behandlung Anderer trägt die Makel der Niederträchtigkeit, wenn damit Feigheit ver­ bunden oder die Pflicht der Menschen-Achtung allzusehr dadurch verletzt ist. Wenn ein Vornehmer und Mächtiger einen Geringen und Niedrigen, der sich ihm nicht widersezzen kann, frevelhaft beleidigt und mißhandelt: so empört «nS die niedrige Gesinnung, welche nur die äussere Macht, «icht aber die innere Würde achtet. Ein solcher Uebermuth wird sich dann gerade in Kriecherey verwandeln, wenn ihm ein Mächtigerer entgegentritt, und die Nieder­ trächtigkeit der Gesinnung auch in äusserer Erniedrigung offenbaren. Niederträchtig ist jeder Angriff auf die frenide Ehre, dessen Beweggrund nicht in heftiger Aufwallung, sondern in schonungsloser Verachtung liegt, und den

285 man mit überlegter/ planmäßiger Bosheit führt. Nieder­ trächtig ist jedes Uebermaß in der Rache? die man an dem Feinde mit kaltem Blute übt, weil ein solches nicht durch die Aufwallung der Leidenschaft entschuldigt wird. Im Allgemeinen kann man also annehmen, daß jede Ungerechtigkeit, welche aus schlechter Gesinnung, aus Bosheit und Menschenverachtung geübt wird, und wel­ cher keine Uebereilung, Verblendung und Aufwallung zu? Entschuldigung dient, für niederträchtig und ehrlos gilt, mithin der Mangel an Achtung gegen den Nebenmenschen als ein Zeichen des Mangels an Selbstachtung angesehen und mit der öffentlichen Verachtung bestraft wird. Aber auch die Schwachheit und Feigheit, aus welcher man treulos und pflichtwidrig handelt, gilt als ehrlos. Der Krieger, der aus Furcht seinen Posten verläßt, wird nicht nur von seinen Genossen, sondern von allen Bür­ gern verachtet. Der Beamte, der aus Feigheit das ihm anvertraute Gut preisgibt oder die Gesetze verletzt, werd seine Achtung nicht behaupten können; denn er hat nicht als Mann das Vertrauen gerechtfertigt und sich treulos bewiesen. Auch hier ist die Ehrlosigkeit eins mit Ungerech­ tigkeit. Die Ehre dagegen besteht in der Gerechtigkelt, welche einem Jeden sein Recht und seine Ehre zuerkennt, welche keine Schranke und kein Maß übertritt, und Alles nach dem zarten Gefühl der Menschenachtnng abmißt; sie besteht in der Wahrhafttgkeit, Zuverlässigkeit und Treue, und dem festen Muthe, der sich darin bewährt. Der Ge­ rechte ist der Ehrenmann, der sich selbst ehrt und auch überall Ehre findet. Zweytens und eigentlich besteht die Ehre in dem wahren Stolze, welcher die eigene persönliche Würde

Argen Andere behauptet und vor Erniedrigung bewahrt. Wir kennen die Verhältnisse der Abhängigkeit, in welchen Menschen zu einander stehen, und haben eine Psticht der Gerechtigkeit darin gefunden, daß man solche VerhältNisse nicht über das Geschäft hinaus auf die Person aus­ dehnen , die Untergebene» mcht mit Uebermuth behandeln, Und sich nicht für persönlich besser, als sie, halten soll. Die Ehre besteht nun dann, daß man in der GeschäftsAbhängigkeit nicht seine persönliche Würde und Selbst­ ständigkeit preisgeben, sich nicht als Sklaven verkaufen, sich auf keine Weife erniedrigen soll. Der Diener, der Untergebene muß freylich seinem Herrn und Vorgesetzten gehorchen, und das ist nicht wider die Ehre; aber einen Herrn, der Launen hat, und alles nach seiner Willkür, nicht nach Plan und Ordnung gethan wissen will, wird der Diener von Ehrgefühl bald verlassen. Noch weniger wird er sich zum Werkzeug seiner Laster und Ungerech­ tigkeiten hingeben, wie dieses ehrlose Sklaven thun. Der Beamte soll den Gehorsam gegen seinen Fürsten nie so weit treiben, daß er gegen die Gesetze und sein Gewissen handele. Viele entschuldigen sich damtt, daß sie die Derantworrnng dem Herrscher oder Vorgesetzten zuschieben; aber kem Mensch soll als Maschine handeln, und cs ist eine schlechte Verfassung, in welcher Beamte eine solche Stel­ lung haben. Ein Diener soll sich nicht mißhandeln lassen, und wohl die Aufwallungen eines gutmüthigen, wohl­ wollenden Herrn, aber nicht die Beleidigungen und Krän­ kungen des UebermuthS ertragen. Anhänglichkeit und Ergebenheit des Untergebenen gegen seinen Gebieter sind schöne Tugenden; aber er kann sie zu weit und bis zur Sttederträchtlgkeit treiben, wenn er ihn abgöttisch verehrt

2-87 und selbst fthtett Lastern huldigt/ was stch oft die Fürsten. Weiter zu Schulden kommen lassen. Eben so artet ihre Ehrerbietung und Dienstbeflissenheit oft in Kriecherei) aus, durch welche stch der edle Mannesstolz erniedrigt. Jedes Verhältniß, in welchem stch der freye Mann nicht in feiner Würde behaupten kann, ist wider die Ehre. Aber die falsche Unterordnung der Person ist besonders daun schändlich und niederträchtig, wenn nicht Anhänglichkeit und Diensteifer, sondern Eigennutz zum Grunde liegt, wenn man vor den Mächtigen kriecht, um Reichthum und Ehrenstellen von ihnen zu erlangen. Die Elenden! die wahre Ehre geben sie hin, um dafür einen leere» Schein zu erhaschen; sie wollen sich mit dem Schimmer der Erde um­ geben und löschen darum den Glanz ihrer inneren Würde «»§.'• Die Schmeichele») ist die Gesellin der Krieche­ rei), und theilt ihre Ehrlosigkeit. Wir haben sie schon als einen Fehler gegen die Wahrhaftigkeit und eine der häß­ lichsten Lügen aufgeführt; sie streitet aber auch wider die Ehre, weil sie eine Art von Betrug ist und den niedrigen Eigennutz zur Quelle hat, und weil sie der Eitelkeit und Hoffahrt auf eine niedrige Weise dient. Leider wird oft das Verhältniß der Freundschaft durch heuchlerische Schmeichelet) entweiht. Mancher Schmarotzer lügt den Namen und das Betragen des Freundes-, während er die Annehmlichkeiten des Umgangs zu suchen vorgibt, will er nur den Bauch füllen und den Gaumen kitzeln, und bezahlt den elenden Genuß mit der Erniedrigung seiner Person. Abhängig darf der Mensch im Geschäft seyn, so daß er für seine Arbeit Lohn empfängt; aber er muß ver­ dienen, was er empfängt, und von der Gnade, Großmmh

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und Barmherzigkeit des Andern darf er sich nicht abhän­ gig machen, es sey denn daß ihn ein unvermeidliches Schicksal dazu nöthigt. Wohlthaten zu empfangen und darauf fern Daseyn zu gründen, wenn man arbeiten kann, ist ehrlos, denn man verliert dadurch seine Selbst­ ständigkeit. Dieß gilt vom Bettler, von demjenigen, der die Großmuth seines Freundes mißbraucht, von dem Höfling, der de» Gnadensold des Fürsten in üppigem Müssiggang verzehrt. Ueberyaupt ist cs gegen die Ehre des freyen Mannes, sein Daseyn von einem Andern ab­ hängig zu machen, und wäre es die eigene Ehefrau oder der nächste Verwandte. Gelehrte, Künstler, Dichter können von Mächtigen und Reiche» Unterstützung empfan­ gen, ohne daß sie mit etwas anderin als mit den freyen Erzeugnissen der Muße bezahlen; aber hüten müssen sic sich, daß sie nicht die Begeisterung m de» ehrlosen Dienst der Schmeicheley verkaufen. Das Verhältniß von Mann und Weib in Ansehung der Geschlechtsliebe berührt die Ehre an ihrer zariesten Seite. Nur ans Liebe gibt sich das ehrbare Weib dem Manne zu eigen, die Liebe aber fodert die Ehe.- mithin kann nur die Ehefrau mit dem Manne leben. Die Jung­ frau opfert ihre Ehre, wenn sie mit einem Manne in eine außereheliche Verbindung tritt, und nicht bloß die bürgerliche, sondern auch die innere, weil sie die Selbst­ achtung vergessend ihre Person schnöder Willkür preis­ gibt. Der ehrenräuberische Verführer ist selber ehrlos, weil er dir Pflicht der heiligsten Achtung verletzt. Tritt der Mann aber vollends mrt etntm Werbe ut uneheliche Verbindung, welche ihre Ehre nicht bloß aus Schwach­ heit leidenschaftlicher Liebe, sondern ans Leichtyn» oder

289 um eines niedrigen Vortheils willen hingibt: so ernie­ drigt er sich aufs tiefste. Umgang mit Ehrlosen entehrt, besonders aber ein solcher, welcher nur zwischen den Genossen der innigsten, heiligsten Verbindung Statt ftiu den darf. Uebcrhaupt erniedrigt sich der Mensch, Mim er dem stnnlichen Triebe dient, ohne einen höheren Zweck -amt zu verbinden, ohne dabey eine sittlich reine Gefühlsstimmung behaupten zu können. Unedel ist es schon im Essen und Trinken eine thierische Lust zn suchen; aber hier sündigt man mit und gegen sich allein. Hingegen in der Wollust sündigen Mann und Weib, und das Eine erniedrigt das Andere zum Werkzeug einer thierischen Begierde, und entweihet m sich und dem Andern die Menschenivürde. Dazu kommt, daß mit der Befriedigung deS GeschlechtStrrebeö ausser der Ehe fast immer tm schändlicher Betrug verbunden ist, indem die Treue entweder gegen den wirklichen oder gegen den zukünftigen Gatten gebrocheir wird. Denn nach «nserer Sitte sollen Mann und Weib nur ,n der Ehe zusammen, leben, und von reden», der sich verheyrarhet, wird er­ wartet, daß er sich von jeder ungesetzlichen Verbindung mit erhalten habe; hat er eö nun nicht gethan, so täuscht er den Gatten auf die schmerzlichste Weise. Ern auf­ richtiges Bekenntniß kann das begangene Unrecht nicht wieder gut machen, und kaum Vergebung finden; gar leicht hinterläßt es einen Eindruck, welcher die Eintracht der Ehe stört, indem dadurch Mißtrauen und Eifersucht erregt wird, und so wird oft em einziger Fehltritt mit dem Verlust deS schönsten LebenSglückeS gebüßt. Die Unschuld deS Jünglings ist der schönste Edelstem tm Kranze seiner Ehre, und ist dieser getrübt, so erbleichet II. Bd. 19

290 der Glanz auch -er übrigen. Er hat die Schul- eines Betrugs auf sich geladen, und der Stolz der offenen Gradheit ist dahin; fein Auge blickt nicht mehr frey «ud klar ins Auge des Vaters, des Lehrers, des Freun, des.. Ein tödtlicheS Gift hat feine Seele berührt; feine Einbildungskraft ist befleckt, und der Aufschwung der Begeisterung gelähmt. Nie empfindet er -aS Hochgefühl, das Vertrauen der sich ihm hingebenden Braut zu ver. dienen, und ihr reines Herz mit reinem Bewusitfeyn an daS feine zu schließen; in den Einklang deS Gefühls der Liebe ist ein Mißton getreten. Die Unschuld dev Jungfrau aber ist daS Kleinod ihrer Ehre selbst; nur in ihr besteht ihr Selbstgefühl, nur durch sie tritt sie als würdiges Glied in die sittliche Gemeinschaft, und mit ihr welkt jede Blüthe geistiger Schönheit in ihrer Seele. Der Ehrliebende erniedrigt sich selbst nicht vor und mit Andern; er läßt sich aber auch von Niemanden er. niedrigen. Er duldet keinen Frevel der Anmaßung und -es UebermuthS gegen feine persönliche Würde, und behauptet sich gegen einen Jeden, der ihn bey Seite drängen, oder unterdrücken will, mit festem Muth. . Angriffe auf sachliche Rechte, auf Besitz und Habe, gehen die Ehre nicht unmittelbar an, und hierin mag der Angegriffene so nachgiebig seyn, wie er will und kann; nur muß er

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313 Freyheit, als dessen wahres Wohl, welches auch unter einer gerechten Alleinherrschaft bestehen konnte; und er verließ eS treulos, indem er es seinem Schicksal überlreß. In seiner Gesinnung ist eine gewisse selbstsüchtige Beschränktheit, durch dte er stch nicht über seine Vornr, theile erheben konnte, und es fehlt ihm vor allen Dingen die fromme Ergebung des Christen. Freylich wird diese Ergebung in schwachen, unlauter» Gemüthern leicht zur willenlosen, feigen Nachgiebigkeit, und «ns wäre oft jener unbeugsame, spröde Römerstolzzu wünschen; aber der Sittenlehrcr muß darauf dringen, daß beydes, tapfere Festigkeit und fromme Ergebung, vereinigt werde. So lange noch der Kampf möglich ist, gelte die Festigkeit, hat aber das Schicksal entschieden, die Ergebung, und mit der einen und andern sey im Bunde die unermüd­ liche Liebe, welche den Brüdern so lange wohlzuthun beflissen ist, als ihr auch nur die kleinste Kraft und der geringste Spielraum übrig bleibt. Wir haben sonach gefunden, daß keine, selbst nicht die edelste Rücksicht auf stch selbst einen gerechte» Be­ weggrund zur Selbstentleibung leihet. Sie ist meistendaSiWerk einer verwerflichen Feigheit, welche das Lebe» nicht fortzuführen wagt, und, im besten Falle, sittlicher Vorurtheile und eines sittlichen Stolzes ohne GeisteSfreyheit und Frömmigkeit. Dazu kommt in den meisten Fällen die Selbstsucht, welche das Gefühl der Pflicht und Liebe gegen die Hinterbleibenden auslöscht, die man wenigstens einer schmerzlichen Trauer, wo nicht der Noth und dem Elende Preis gibt. Am schändlichsten ist der Selbstmord 4 wenn damtt unmittelbar eine Ungerechtig­ keit, ein Betrug, eine Treulosigkeit gegen die Lebenden

314 verbunden ist. Aber das Urtheil der Veroerfmng trifft immer die Gesinnung, nicht die äussere Fom dcer That , und über diese haben wir unser Urtheil imner moch fest­ zustellen. Dazu sübrt die Betrachtung der zwerten Classe von Selbstentleibungen, deren Beweggrind >in einer Rücksicht auf Andere liegt, denen man dadurch weh oder wohlthun will. Wenn man sch dcas Leben nimmt, um einen Andern dadurch zu kräiken, iwie Don Carlos von Spanien (der geschichtliche tümlich, nicht der dichterische im Trauerspiel) Diamanen verschlang ans Bosheit und Haß gegen seinen Vat-r: so ist dieß die schändlichste Art aus der Welt zu geh:«. Der Tod ist seiner Natur nach versöhnend, weil de Ge-danke an die Ewigkeit den Geist läutert und erhcht, und edle Selbfttödtcr sind auch immer mit versölntem Gemüth abgeschieden; stirbt man aber im Haß uro Rachgefühl, so nimmt man'das Bose mit in die Ewigkeit hinüber, und verewigt eö. Jedes fromme Herz schaudert vor einem solchen Tode; es ist der Abgrund sittlicher Vernich­ tung , m welchen kein Schimmer der Hoffnung fällt. Rachsucht mischt sich bisweilen in den Selbstmord aus Verzweiflung über die Untreue einer geliebten Person, aber die Liebe herrscht doch darin vor: man will da§ harte Herz im Tode rühren/ das man im Leben nicht rühren konnte, und ihm, mit dem man nicht glücklich seyn konnte, einen Antheil seines Unglücks zurücklassen. Zur Ehre-der Menschheit ist der Selbstmord aus Rach­ sucht und Haß der allerseltenste. Aber auch der selbst-, gegebene Liebeö- und Aufopferungötod ist sehr selten. Wenn hier Gesinnung und Zweck zu loben sind, so bleibt

315 bloß die Frage übrig, ob das Mittel Billigung verdient, und ob es dem Menschen erlaubt ist, nicht bloß den Tod zu suchen, ftndern ihn sich auch selbst zu geben: und die Beantwortung dieser Frage ist hier eigentlich unsere, Aufgabe. Friedrich II. soll im siebenjährigen Kriege Gift bey sich geführt haben auf den Fall, wenn er im schwe­ ren Kampfe unterlegen oder in Gefangenschaft gerathen wäre. Er hätte dann seinem Leben ein Ende gemacht nicht bloß aus edlem Stolz, sondern um nicht zu Friedenöbedinguugen gezwungen zu werden, durch welche sein Herrscherhaus erniedrigt worden wäre: mithin wäre er aus Pflicht gestorben. Der römische Kaiser Otto als er sein Heer von dem seines Gegners besiegt sah, wählte den Tod, um dem Bürgerkrieg und dem Blutvergießen ein Ende zu machen, und opferte sich so der öffentlichen Wohlfahrt. Arria stieß sich den Dolch in die Brust, um ihrem Gemahl den gebotenen Tod zu erleichtern, und ihm zu folgen; ihr Tod war das Werk der schönste», hingehendsten Liebe. Cäcilie in einem neuern Trauer­ spiele nimmt Gift, um ihren Liebhaber von der Liebe gegen sie zu heilen, welche sich nicht mit hem Willen der Eltern und seiner fürstlichen Bestimmung verträgt'. Solche Handlungen haben eine gewisse dichterische Schön­ heit, indem sie durch die begeisterte, hingebende Liebe und Großmuth, die daraus hervorleuchtet, die Einbildungs­ kraft und das Gefühl ergreifen, und Bewunderung er­ regen ; aber der Sittenlehrer kann das Gefühl nicht mißbilligen, das sich in zarten Gemüthern trotz aller Be­ wunderung dagegen sträubt, daß sich diese Opfer der Liebe selbst mit gewaltiger Hand opferten. Ganz rein

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ist das Wohlgefallen an Thaten der Aufopferung, wo eine fremde Hand das widrige Amt des TodeSengclS verwaltet, und die Liebe nichts thut, als daß sie dem Verderben entgegengeht. Ist auch die Todesgefahr so nahe, daß der Untergang gar nicht zweifelhaft seyn kann, und eS ganz gleich ist, ob man sich ihr entgegen wirft oder sich selbst tödtet: so gilt eS doch dem sittlichen Ge­ fühl nicht gleich. Scheint «S nicht eins zu seyn, ob man sich den eigenen Speer, oder wie Arnold von Winkelrred, dre Speere der Feinde in die Brust drückt? und doch würde dieser schöne Aufopferungstod unserm Gefühl nicht so ganz zusagen, wenn nicht die feindlichen Hände die Heldenbrust durchbohrt hätten. Sich selbst aus Hingebung für einen Andern vergiften gefüllt nicht ganz; hingegen das dem Geliebten bereitete Gift trinken, damit er es Nicht trinke, würde, vorausgesetzt, daß eS kein anderes Mittel ihn zu retten gäbe, der Gesinnung und That nach jedem remen Gefühl zu­ sagen, weil dann eine fremde feindselige Gewalt den Todesstrelch führte. Worin liegt nun der Grund des WidcrwillenS, den wir gegen die Selbstentleibung, ihrer äusseren Form nach, fühlen, selbst wenn die That, der Gesinnung nach, unsern ganzen Beyfall verdient? Das Leben eines Menschen ist zwar nicht das höchste der Güter, aber es ist der Inbegriff aller sittlichen Be­ dingungen und Mittel, und gilt uns mit Recht als hei­ lig. Wrr trauern, wenn es der Herr der Schöpfung früher zurückfodert, als es seinen Lauf vollendet hat; «der wir ergeben uns in den unabänderlichen Willen der Allmacht und Weisheit. Der menschlichen Willkür ver­ sagen wir dgS Recht, über das Leben des Andern zu

317 schalten; und eS gilt für ein abscheuliches Verbreche«/ ein Leben-willkürlich einer Leidenschaft oder einer selbst», schen Absicht zu opfern. Nur der an nothwendige Ge­ setze gebundenen Macht der Gerechtigkeit gestatten wir, das Leben als Opfer der Vergeltung zu fodern. Der »nörderische Krieg verletzt unser Gefühl; aber das Leben erliegt da nicht der Willkür des Einzelnen, sondern der zerstörenden Gewalt der entfesselten Leidenschaft ganzer Völker/ zwischen denen die Vernunft nicht mehr SchredS. richterin seyn kann; und es verletzt «nS mehr die urigerechte Ursache de§ KriegS/ als der Anblick der einzelnen Opfer. Auch hier waltet die Nothwendigkeit des Schtck. sals/ vor der wir uns in Ergebung beugen. Gehen Emzelne um eines edlen Zweckes willen der Todesgefahr ent­ gegen und erliegen: so erliegen sie nur der zerstörenden Gewalt der, Natur oder der menschlichen Unvernunft und Bosheit/ welche Andere hingerafft hätte/ wenn sie sich nicht preisgegeben. Sie rufen die zerstörende Gewalt nicht hervor/ sondern sie lenken sie nur von An. der» ab; sie handeln zugleich aus Liebe gegen die Brift der und aus Ergebung in das Schicksal. Hingegen wer sich selbst mit eigener Hand opfert/ handelt zwar vielleicht aus Liebe/ aber er sündigt durch frevelhafte Will, kür gegen das Schicksal/ und wählt / diesem vorgreifend, das Opfer/ welches ihm allein zu erkiesen gebührt. Ein selbstgegebener Tod ist immer mit menschlicher Klugheit berechnet/ und menschliche Berechnung kann trügen. Vielleicht war ein solches Opfer unnöthig/ und der Zweck konnte auf eine andere Art erreicht werden; viel. leicht war es vergeblich, und umsonst ist dann ein schö­ nes Leben verschwendet, welches noch viele Früchte der

318 Liebe hätte tragen können; umsonst ist der Menschheit eine Wunde geschlagen, wenn sie nicht daö Gebrechen heilt, das sie heilen sollte; der. Schmerz, den wir dar­ über fühlen, findet nicht den Trost in frommer Erge­ bung, und reizt uns zum Tadel des menschlichen Vor­ witzes. ES ist nicht die schwächliche Scheu vor dem Tode, was uns so urtheilen läßt, denn der Mensch soll aller­ dings für die Wahrheit und Gerechtigkeit und für das Wohl seiner Brüder den Tod. leiden, wenn eS das Schick­ sal fodert; aber er soll das Märtyrerthum nicht will­ kürlich und ungeduldig suchen, sondern dem göttlichen Rufe folgen. Dieser Anficht zufolge findet die feine Selbsttödtung, selbst wenn ste offenbar wird, immer ein milderes Urtheil als die eigentliche Selbstentleibung. Die feine Selbsttödung besteht darin, daß man theils lödtliche Einwirkungen der Natur abfichtlich aufsucht, theils die Erhaltungsmittel des Lebens verschmäht. Aurelie in Wilhelm Meisters Lehrjahren geht nach einer heftigen Erhitzung langsam durch die kalte Nachtluft, und zieht fich eine tödtliche Erkältung zu. Schon längst des Lebens überdrüßig und durch die Darstellung der Nolle der Ophelia lebhaft an ihr Unglück erinnert, wird sie von ihrem Bruder schmerzlich gekränkt, und in die­ ser Stimmung verschmäht ste die nothwendige Vorficht, welche die Sorge für die Gesundheit gebot. Sie suchte den Tod, aber fie gab sich nur seinen auf sie gerichteten Pfeilen hin; fie handelte nicht, sondern litt; fie litt, indem sie unter der Last des Schmerzes erlag, und die Kraft ihrer Seele gebrochen war. So tadelnSwerth diese Hingebung an ein leidenschaftliches Gefühl ist, so »er*

319 letzt uns doch nicht bey ihrem Tode die gewaltthätige Willkür. Ottilie in den Wahlverwandschaften gibt sich den Tod, indem sie sich aller Speise enthält; dieß konnte nicht ohne festen Willen geschehen, und es war ein Thun, kein Leiden: aber sie erscheint als eine Kranke, welche die Speise aus Ekel verschmäht; sie unterließ nur, was die Lebenslust fodert, die. in ihr erstorben war; sie unterlag der Gewalt der Natur, indem sie ih­ rem sittlichen Schmerzgefühl erlag. Wir tadeln daher an ihrem Tode mehr die Gesinnung, welche dazu führte, als das Mittel, das sie wählte, wenigstens lassen wir uns gern über dieses täuschen. . Die Selbstentleibung ist am häufigsten die Folge von Geniüthskrankheit, Lebensüberdruß und Verzweiflung, und verletzt als solche auch am meisten. Durch sie tritt der Tod nicht mir plötzlich in das Leben herein, sondern erscheint auch in seiner schrecklichsten Gestalt, »fld schlügt Wunden, welche doppelt schmerzen, sowohl durch den Verlust selbst als durch die Ursache des Ver­ lustes. ES ist ein zwiefacher Tod, der geistige, der vor­ hergegangen, und der körperliche, der dessen Folge ist. Nichts erregt so allgemein Bedauern oder Unwillen alS solche Unglücksfälle, und man äussert sich dann verschie­ dentlich über die Ursachen derselben, und die Mittel, denselben entgegen zu arbeiten. Ohne die Materie er­ schöpfen zu wollen, bemerke ich darüber folgendes. Die Ursache der Selbsttödtnng ist im Allgemeinen der Mangel an Lebenslust; denn wer das Leben liebt, wird es sich nicht nehmen. Die Lebenslust liegt im Geist; und selbst wenn körperliche Krankheit« auf diesen nach­ theilig einwirkt, so ist eS nur seine Schwäche, welche

320 nachgibt. Das Leben r« lieben, ist ein Thekl des Lebens selbst, oder vielmehr mit demselben eins. Alles, worin das Leben besteht, geniesten und arbeiten, denken, füh­ len und handeln, geschieht alles aus und mit Liebe zum Leben. Denn leben ist nichts als thätig seyn; man ist aber thätig um eines Zweckes willen, oder wenigstens um thätig zu seyn. Hieraus folgt, daß die Lebenslust um so größer ist, je reicher und umfassender das Leben ist, je mehr eS HülfSquellen bietet, je mehr Zwecke eS einschließt. Der Fisch, der nur im Wasser leben kann, verliert ausser demselben sowohl die Kraft als die Lust tzum Leben. Wer nur in der Wollust lebt, verliert die Lust zum Leben, wenn die Reize des Genusses abge­ stumpft sind. Der Geizhals, dem das Lebenslicht nur im Golde schimmert, mag nicht mehr leben, wenn dieses verloren ist. Wer sein einziges Lebensglück in äusserer Ehre und Herrlichkeit findet, stürzt in Verzweiflung, wrun er von seiner Höhe herab finkt. Wer einen Be­ ruf, ein Weib, ohne Neigung gewählt hat, und ohne die HülfSquellen der Geistesbildung, ja ohne irgend eine ander« starke Neigung und Liebe ein gleichgültiges Leben führt, wem alle Bewegung, Abwechselung, Anregung und Erhebung fehlt: der wird einer Gemüthskrankheit, welche bey einem eintönigen Leben ohne körperliche, An­ strengung sehr leicht entstehen kann > nichts entgegen zu fetzen habend um sie zu bekämpfen. Selbst der fromme Glaube verliert feine Kraft, wenn fich nicht ein kräfti­ ger lebendiger Geist seiner bemächtigt. Ein Mensch hin­ gegen, der mit warmer Liebe an Weib und Kindern hängt, seinen Beruf eifrig treibt, in der Thätigkeit seine Lust und in GeisteSbeschäftigung und frischer, anregender

321 Geselligkeit seine Erholung findet, dessen Geist fich in Begeisterung und Andacht über das Leben zu erheben vermag, wird schwerlich in eine Gemüthskrankheit verfallen, und fie wenigstens kräftig zu bekämpfen wissen. Wer fich in eine enge Gewohnhett gefügt hat, wird, daraus gerissen, fich fremd im Leben fühlen; wer nur mit gewissen Personen leben kann, wird durch den Verlust derselben deS Lebens überdrüßig werden. Derjenige hingegen, der das Leben frey beherrscht und eine allseitige Empfänglichkeit und Selbstthätigkett behauptet, wird eS um keines Verlustes willen für verloren achten. Genug je mehr Leben, desto mehr Lebenskraft und Lebenslust; je todter und schlaffer hingegen das Leben, desto leichter erlischt auch die Lebenslust. Man arbeitet also der Selbst entleibung am besten entgegen, wenn man der Einför­ migkeit, Leerheit, Schlaffheit und Kälte des Lebens ent­ gegenarbeitet, wenn man es durch lebendige Frömmig­ keit, Sittlichkeit und Geistesbildung belebt, bereichert und in Bewegung fetzt. Der giftige Schwaden des Le­ bensüberdrusses gehört dem dumpfen Kerker der Gewöhnheit, der engen Bahn des EinerleyS; so vertrauen wir unS denn der frischen, freyen LrbenSluft des freyen Geistes, welche die Brust heilt und erquickt: so werden wir gesunden, .und mit gesunder Kraft und Liebe im Leben stehen und wirken, bis uns der Herr abruft.

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II. »d.

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Zwanzigste Vorlesung. Von der persönlichen Vollkommenheit.

&0« der Pflicht der Ehre oder Selbstachtung, vermöge deren der Mensch mit edlem Stolz sich aufrecht erhält, vor Erniedrigung bewahrt und m der sittlichen Gemeinschaft als Gegenstand der Achtung behauptet, haben wir gehandelt. Nun müssen wir aber auch sehen, wie der Mensch sich selbst lieben darf und soll. Es gibt allerdings eine erlaubte, edle Selbstliebe, welche dre strenge Ehrliebe gerade so ergänzt und vollendet, wie die Liebe gegen andere Menschen die strenge Gerechtigkeit. So tote derjenige, der gegen Andere nur das strenge Maß der Gerechtigkeit erfüllen, aber sie nicht lieben wollte, gewiß nicht vollkommen gerecht seyn würde: swürde auch diejenige Ehrliebe nicht die wahre sey», welche nicht mit der edlen Selbstliebe verbunden wäre. Die Liebe brmgt, wie mr wissen, in das Leben Wärme und Bewegung; sie erweckt das Streben nach Vollkom. menheit, nach immer größerer Veredelung und Verschö­ nerung; sie schafft Neues, bildet, remigt, und verklärt.

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Die edle Selbstliebe ist das Strebe» nach persönlicher Vollkommenheit. Die Ehrliebe hält die Würde des Mannes aufrecht/ die Selbstliebe will sie erhöhen und erweitern; ste will/ daß der menschliche Geist tn seiner ganzen Erscheinung/ sowohl äusserlich als innerlich/ so vollkommen als möglich auftrete. Das Wesen des mensch, -lichen Geistes ist Selbstständigkeit/ Thätigkeit/ Leben in der höchsten Bedeutung. Schon durch die Ehrliebe wird dessen Selbstständigkeit und Geltung in der sittlichen Ge­ meinschaft behauptet; die Selbstliebe aber will diese Selbstständigkeit nach allen Seiten hin geltend mache«/ dem Geiste die Herrschaft über alles, was ihm entgegen­ steht/ verleihen , daß er der Natur seine Form aufdrücke/ die Persönlichkeit mit seiner schöpferische«/ bildenden Kraft durchdringe/ belebe und verkläre/ und daraus in seiner. Göttlichkeit wiederstrahle. Die Vollkommenheit/ «ach welcher die Selbstliebe strebt/ist theils die äussere/ theils dre innere: theils die Herrschaft über die Natur, und die Geltung in der menschlichen Gesellschaft; theils die Selbstbildung oder die persönliche Vollkommenheit im eigentlichen Sinne. In jeder dieser Richtungen ist die Selbstständigkeit oder Herrschaft des GetsteS dasjenige, was gilt und erreicht werden soll/ und die Selbstliebe/ welche das Streben darnach erweckt und unterhält/ muß von der Selbstsucht/ welche bloß das sinnliche Selbst der Person liebt/ frey. seyn. Die edle Selbstliebe ist nichts als die Liebe deö rein Menschlichen in der eigenen Person; sie ist mit der Menschenliebe/ dem Wohlwollen, der Freundschaft und jeder Liebe gegen Andere dem Wesen nach eins, und nur in der Richtung verschieden- So wie es heißt: du

sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst: so heißt es hier umgekehrt: du sollst dich selbst lieben, me du deinen Nächsten mit reiner menschlichen Liebe liebst. Ein VollkommenheitS-Streben, von welchem nicht dtese Liebe, sondern dre Selbstsucht oder Eigenliebe die Seele ist, führt nicht zur wahren Vollkommenheit; nur tm treuen Liebesdrenste gegen tue Menschheit gelingt die Darstellung einer ächt menschlichen Vollkommenheit. Das ist die erste und wichtigste Regel, nach der wir hier Alles zu messen haben: was mcht der rein mensch­ lichen Liebe angehört, ist des Menschen unwürdig. Eine zweyte Regel, welcher beym VollkommenhettSStreben alles, was zum Ziel des StrebenS werden kann, unterworfen werden muß, ist das Mittelmaß. Nichts, was in diesem Gebiet als schätzenswerth, liebenswürdig und als Gegenstand des StrebenS gilt, hat einen unbe­ dingten Werth, wie em solcher demjenigen zukommt, waö zur Würde der Person gehört, und gleichsam den innern, festen Kern ihres Wesens ausmacht. Dre per­ sönliche Vollkommenheit ist mcht, wre d»e Tugend, etwas in sich Nothwendiges; zu »hr gehört Vieles, was auch dem Einen und Andern fehlen kann, was nur dem Einen und Andern möglich isteben darum aber darf Kerner nach etwas als nach einem unbedingten Gute streben, sondern muß darin Maß halten. Besitz, Ansehen und äussere Ehre gehören allerdings zu einem vollkommenen menschlichen Leben; aber wer zu viel Werth darauf legt, und mit zu großem Eifer darnach strebt, verfehlt eben dadurch das rechte Ziel. Die Vollkommenheit besteht in einem Inbegriff des Mannichfaltigen; in ihr vereinigen sich verschiedene Vorzüge von verschiedenem Werthe, und sie besteht nur darin, daß ein iedrr dieser Vorzüge in daS

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richtige Weriältniß zu dem andern gestellt werde.- so bal» «nn der