Alexander Lernet-Holenia : Gestalt, dramatisches Werk und Bühnengeschichte
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PETER POTT

ALEXANDER LEIiNET-HOI ENIA GESTALT. DRAMATISCHES WERK UM) BÜHNENGESCHICHTE

WILHELM BRAUMÜLLER

UN IVERSITÄTS-VERLAGS BUCH HANDLUNG

WIENER FORSCHUNGEN ZUR THEATER- UND MEDIENWISSENSCHAFT

Herausgegeben vom Institut für Theaterwissenschaft an der Universität Wien

BAND

WILHELM BRAUMÜLLER UNIVERSITÄTS-VERLAGSBUCHHANDLUNG

WIEN - STUTTGART

PETER POTT

ALEXANDER LERNET-HOLENIA GESTALT, DRAMATISCHES WERK UND BÜHNENGESCHICHTE

WILHELM BRAUMÜLLER UNIVERSITÄTS-VERLAGSBUCHHANDLUNG

WIEN - STUTTGART

Alle Rechte vorbehalten. © 1972 by Wilhelm Braumüller, Universitäts-Verlagsbuchhandlung G. m. b. H., A-1092 Wien

Library of Congress Catalog Card Number: 72-76462 ISBN: 3 7003 0033 7

Printed in Austria Druck: Typographische Anstalt, A-1070 Wien.

VORWORT Diese Arbeit hat sich die Aufgabe gestellt, ein Bild zu geben vom Leben und dramatischen Werk eines der interessantesten und bedeu­ tendsten Vertreter der heute noch lebenden älteren österreichischen Dramatikergeneration :

Alexander Lernet-Holenia

Dieses aus mehreren Gründen: 1. Die dramatische Produktion Lernet-Holenias kann heute schon als ein Lebenswerk bezeichnet werden. 2. Lernet-Holenias bedeutendes lyrisches und episches Werk ließ sein dramatisches vor den Augen der Öffentlichkeit stark in den Hin­ tergrund treten. 3. Es soll außerdem mit dieser Arbeit versucht werden, das Image des Dramatikers Lernet-Holenia einer Veränderung zu unterziehen. Denn spricht man vom dramatischen Werk des Dich­ ters, so verbinden sich damit fast automatisch Assoziationen mit dem Boulevardtheater. Hat zwar Lernet-Holenia selbst daran einen nicht geringen Anteil — manchmal scheint es, als wollte er bewußt den Eindruck, nur Trivialliteratur zu schreiben, fördern —, so ist es dennoch zu bedauern, daß Lernet-Holenias bedeu­ tendster Teil im dramatischen Werk, seine Tragödien und Schau­ spiele, praktisch in Vergessenheit geriet und er nur als Komödien­ schreiber bekannt ist. österreichischen Bühnen und Dramaturgen scheinen leider aus­ schließlich die Lustspiele geläufig zu sein! (Zur Unter­ mauerung dieser Behauptung: „Alkestis“ und „Saul“ brachten es in Österreich lediglich zu einer Leseaufführung im Jahre 1951, obwohl sie bereits 1926 bzw. 1927 enstanden sind, und der „Demetrius“ kam über seine Uraufführung 1925 in Deutschland nie hinaus.) Eines der Hauptanliegen dieser Arbeit ist es daher, diesen fraglos bedeutendsten Teil von Lernet-Holenias dramatischem Werk wie­ der nachdrücklich in Erinnerung zu rufen. 4. Es existiert keine auch nur annähernd eingehende Darstellung und Würdigung der Lernetschen Dramatik. Der signifikante und un­

verwechselbare Beitrag Lernet-Holenias zur österreichischen Dra­ matik des 20. Jahrhunderts soll hier aufgezeigt werden und das Ergebnis dieser Arbeit als Baustein einer künftigen neuen Be­ standsaufnahme und Interpretation der österreichischen drama­ tischen Literatur dienen. Dieser letzte Grund macht es notwendig, eine Übersicht und kri­ tische Kommentierung jener Arbeiten zu geben, die das dramatische Werk Lernet-Holenias berücksichtigen. Als bisher einzige Arbeit erschien im Jahre 1950 an der Universität Wien die Dissertation „Alexander Lernet-Holenia (Dramen)“ von Elfriede Jank, die aber kaum über reine Inhaltsangaben hinausgeht, und auch diese wieder nur von einem Teil der bis dahin erschienenen Stücke; Elfriede Jank scheint sich allzu genau an des Dichters ihr gegenüber geäußerte Ansicht gehalten zu haben: „Was interessant ist, kann ich nicht erzählen, und alles andere ist uninteressant.“ 1 Ilse Janks Dissertation „Die österreichische Dramatik seit Hof­ mannsthals Tod“ (Wien 1953) streift lediglich Lernet-Holenia und unterläßt es, auf sein Werk näher einzugehen. In literaturgeschichtlichen Handbüchern wird naturgemäß in meist kurzer Form eine keinesfalls erschöpfende Übersicht über des Dichters dramatisches Schaffen gegeben und wesentlich mehr Gewicht auf sein lyrisches und vor allem episches Werk gelegt. So begnügt sich Norbert Langer1 2 mit der Aufzählung einiger Titel, desgleichen Franz Lennartz.3 Erwähnen diese beiden immerhin auch einige Stücke neue­ ren Datums, so kommen Nagl — Zeidler — Castle4, Josef Nadler56, Adalbert Schmidt89, Albert Soergel — Curt Hohoff7, Eugen Thurnher* und Werner Tschulik* über des Dichters erste Dramen („De1 Jank, Elfriede: Alexander Lernet-Holenia (Dramen); Diss. Wien 1950 (Vorwort). 2 Langer, Norbert: Dichter aus Österreich, Wien — München 1963. 3 Lennartz, Franz: Dichter und Schriftsteller unserer Zeit; 6. Aufl., Stuttgart 1954. 4 Nagl — Zeidler — Castle: Deutsch-Österr. Literaturgeschichte, 4. Bd., Wien 1937. 5 Nadler, Josef: Literaturgeschichte Österreichs; 2. erw. Aufl., Salzburg 1951. 6 Schmidt, Adalbert: Dichtung und Dichter im 19. u. 20. Jahrhundert, 1 Bd., Salzburg — Stuttgart 1964. 7 Soergel, Albert — Hohoff, Curt: Dichtung und Dichter der Zeit, 2. Bd., Düsseldorf 1963. 8 Thurnher, Eugen: Katholischer Geist in Österreich, Bregenz 1953. 9 Tschulik, Werner: Die österreichische Dichtung im Rahmen der Weltlite­ ratur, Wien 1963.

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metrius“, „Alkestis“, „Saul“, „Ollapotrida“ und „österreichische Ko­ mödie“) nicht hinaus; alle beschränken sich, der Aufgabe ihres Themas gemäß, auf die Wiedergabe einiger Daten und eine lapidare Beurtei­ lung der genannten Stücke. Zwei Arbeiten, und zwar die Dissertation von Ingeborg Kowarna1011 und die Dissertation von Ingeborg Brunkhorst u, beschäftigen sich ausschließlich mit dem epischen Werk des Dichters; über letztere äußerte sich Lernet-Holenia selbst in Worten höchsten Lobes und fand Worte wie „außerordentlich“ und „erstaunlich“. Hans Vogelsangs speziell auf die österreichische Dramatik zu­ geschnittene Untersuchung12 hingegen gewährt neben einer, wenn auch ebenfalls nicht erschöpfenden, Aufzählung einen besseren Ein­ blick in die Lernetschen Dramen; seine Arbeit bedeutet erstmals eine Darstellung Lernet-Holenias im Rahmen der österreichischen Dra­ matik. Heinz Kindermann und Margret Dietrich erweiterten eindrucksvoll diesen Einblick in einer Gesamtschau österreichischer Dramenliteratur als Herausgeber des 1. Bandes der Anthologie „Dichtung aus Öster­ reich“. 13 Paul Fechter 14 mußte den schon vom Titel seiner Arbeit her ge­ zogenen, weitgespannten Rahmen einhalten und sich auf die ihm am bedeutendsten scheinenden Stücke Lernet-Holenias beschränken. Dasselbe muß für Margret Dietrichs „Das moderne Drama“ 15 gelten, die Lernet-Holenia unter dem Aspekt der Gesellschaftskritik be­ handelt. Von Bedeutung für diese Arbeit waren daher neben den aufgezähl­ ten Werken vor allem Abhandlungen und Beiträge zum dramatischen Schaffen des Dichters, die in Zeitschriften erschienen sind. Quellen­ material von größter Bedeutung allerdings waren Schriften und Essays Lernet-Holenias selbst, die er in Zeitungen und Zeitschriften publizierte. 10 Kosvarna, Ingeborg: Das erzählende Werk Lernet-Holenias; Diss. Wien 1950. 11 Brunkhorst, Ingeborg: Studien zu Alexander Lernet-Holenias Roman „Die Standarte“; Diss. Stockholm 1963. (Ein Exemplar befindet sich im Privatbesitz von Reg.-Rat Lambert Binder, Wien 18, Theresiengasse 26.) 12 Vogelsang, Hans: österreichische Dramatik des 20. Jahrhunderts, Wien 1963. 13 Dichtung aus Österreich, 1. Bd.: Drama; hrsg. von Heinz Kinder­ mann und Margret Dietrich, Wien — München 1966. 14 Fechter, Paul: Das europäische Drama, 3. Bd., Mannheim 1958. 18 Dietrich, Margret: Das moderne Drama; 2. überarb. und erw. Aufl., Stuttgart 1963.

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Zur Methodik:

Es erschien angebracht, jedes einzelne Stück einer genauen Analyse seines dramaturgischen Aufbaues zu unterziehen und auf seinen ideellen Gehalt und Aussagewert hin zu untersuchen; wo notwendig, wurden gleichzeitig eventuelle Bezüge und Verwandschaften mit an­ deren Dichtern bzw. deren Einflüsse auf das jeweilige Stück aufge­ zeigt. Auf solche eingehenden Untersuchungen wurde nur bei jenen Stücken verzichtet, die kaum über das Genre der reinen Trivial­ literatur hinausgehen: Für diese spezielle Gattung des Lustspiel­ oeuvres Lernet-Holenias wurde eine Gesamtdarstellung der Einzel­ analyse vorgezogen. Die den Textproben unmittelbar beigefügten Sei­ tenangaben beziehen sich auf die jeweils benützten und in der Biblio­ graphie angegebenen Dramentexte. Dieser Arbeit eine eingehende Würdigung von des Dichters Persön­ lichkeit und ihres Niederschlags in seinem Werk vorarizustellen, er­ schien als unumgänglich notwendig, da sein Werk erst aus dieser Sicht ein abgerundeteres und vor allem gerechteres Bild ermöglicht. Wo immer nur möglich, wurden persönliche Aussagen, besonders Briefe, herangezogen. Erstmals wurden auch seine theoretischen Schriften zum Thema „Theater“ in eine Untersuchung seines dramatischen Schaffens miteinbezogen, wodurch eine Konfrontation von Theorie und Praxis ermöglicht wurde. Außerdem erschien es angezeigt, zur Ergänzung und zum tieferen Verständnis der gesellschaftskritischen Aspekte in Lernet-Holenias Dramatik, des Dichters eigene Aufsätze und Essays zum Thema „Adel und Gesellschaft“ heranzuziehen und ihnen ein eigenes Kapitel zu widmen. Den Abschluß bildet eine Bühnengeschichte: An den Anfang gestellt wurde eine Zusammenfassung des Presseechos und „Kritik der Kri­ tiken“; daran schließt eine Gesamtübersicht der zur Aufführung ge­ langten Stücke mit der genauen Angabe des Aufführungsortes und Aufführungstages bzw. des Theaters (die unaufgeführt gebliebenen Stücke sind in dieser Aufstellung ebenfalls vertreten); soweit es mög­ lich war, wurden die Wiederaufführungen mitberücksichtigt. An­ schließend wurde versucht, einen repräsentativen Querschnitt der je­ weiligen Aufführungskritiken zu geben: Um eine schnelle Konfron­ tation von Dramenanalyse und Aufführungskritik zu ermöglichen, wurden die Kritiken durchnumeriert (K 1—189) und die jeweils entsprechende Nummerngruppe den einzelnen Stückebesprechungen beigefügt.

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I. TEIL

Lebenslauf und Persönlichkeit Lernet-Holenias

1. Biographie

„Der Dichter Alexander Lernet-Holenia ist ein schwieriger Herr. Man merkt es besonders deutlich, wenn man über ihn schreiben soll ... Er macht’s einem nicht leicht, weder persönlich noch lite­ rarisch.“ 1 Diese lapidare Bemerkung Friedrich Torbergs scheint kennzeichnend für die vorliegende Arbeit zu sein. Und Siegfried Melchinger bekräftigt: „Janus . . . hatte zwei Gesichter. Menschen, lehrt uns die Psychologie, können mehr als zwei Gesichter haben. Der Mensch Alexander Lernet-Holenia . . . besitzt eines der am wenigsten eindeutigen Gesichter, die ich kenne ...“ 12 Daraus erhellt, daß wir es mit einer ungemein vielschichtigen und komplizierten Persönlichkeit zu tun haben. Diese vorangestellten Äußerungen machen klar, daß eine ein­ gehende Beschäftigung mit Charakter und Wesenszügen LernetHolenias unerläßlich scheint, um zu einem besseren Verständnis des dramatischen Werkes gelangen zu können. Diesen soll daher breiterer Raum gewidmet werden. Lernet-Holenias Lebenslauf selbst kann kurz skizziert werden. Er wurde am 21. Oktober 1897 in Wien als Sohn der zweiten Ehe einer verwitweten Baronin Boyneburgk, geborene von Holenia, mit dem Marineoffizier Alexander von Lernet geboren. Durch spätere Adoption von Seiten der in Kärnten (Schloß Wasserleonburg) beheimateten mütterlichen Familie erhielt er den Familien­ 1 Torberg, Friedrich: Ein schwieriger Herr (= Alexander Lernet-Hole­ nia. Festschrift zum 70. Geburtstag des Dichters); Wien — Hamburg 1967, S. 15. 2 Melchinger, Siegfried: Poeta Seigneur (= Ebenda, S. 19).

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namen Lernet-Holenia. Den 1. Weltkrieg macht er an der Ostfront (Galizien, Rußland) als blutjunger Kavallerieoffizier, „fast als Kind noch“ 3, mit. Bereits zu dieser Zeit erste dichterische Betätigung, die stark unter Rilkes Einfluß steht. 4 Rilke und bald darauf Hermann Bahr werden zu seinen Förderern; mit beiden tritt er in Brief­ wechsel, mit ersterem verbindet ihn auch Freundschaft. Neben diesen beiden wird später Hugo von Hofmannsthal zu seinem Vorbild. Die ersten Erfolge stellen sich ein. Bahr spricht von ihm als einem Dichter, „der zu meinen stärksten Hoffnungen gehört“ 5 und bald von seiner „letzten großen Hoffnung“ und einem „Glücks­ fall ... für unsere Dichtung.“ 6 Die nächste Zeit verlebt er vorwie­ gend in Kärnten. 1925 kehrt er der Lyrik, wenn auch nicht vollends, den Rücken und wendet sich dem Theater zu. Über den Grund des plötzlichen Wandels befragt, erklärte Lernet-Holenia: „Ich halte nämlich den modernen Menschen für typisch aktivistisch, und die Kunst, die ihm angemessen, muß aktivistisch, dramatisch sein. Die rein betrachtende Kunst der Lyrik ist erledigt. Den ausgesprochenen Zusammenbruch der Lyrik halte ich nicht für eine vorübergehende Erscheinung, sondern für entscheidend und bleibend. Das war der Grund, warum ich zum Theater übergegangen bin. Das Gedicht ist eine private Beichte, das Theaterstück ein ausgesprochenes Kunst­ werk, das mit Beherrschung geschrieben werden muß.“ 7 Bereits mit dem ersten Drama („Demetrius“) stellt sich der Erfolg ein. Verleihung des Kleist-Preises (1926) durch Bernhard Diebold und des Goethe-Preises der Stadt Bremen (1927) für die weitere dra­ matische Produktion ist die Folge. Auch den 2. Weltkrieg macht Lernet-Holenia, wenn auch nur kurz (Polenfeldzug), mit. Nach einer Verwundung „überwintert“ er sozusagen im Jahre 1939 bei der da­ maligen Heeresfilmstelle in Berlin. Die folgenden Kriegsjahre zieht er sich, in totaler Ablehnung des Hitlerregimes (der Abdruck seiner Werke und vor allem die Aufführung seiner Stücke sind verboten), völlig in eine Art innerer Emigration zurück. Romane und Novellen 3 Rainer Maria Rilke — Katharina Kippenberg: Briefwechsel; hrsg. von Bettina von Bomhard, Wiesbaden 1954, S. 400: Brief Rilkes an Katharina Kippenberg vom 9. 3. 1921. 4 Vgl. Briefwechsel Rilke — Katharina Kippenberg, S. 414, vor allem Katharinas Brief an Rilke vom 6. 4. 1921. 5 Bahr, Hermann: Liebe der Lebenden (Tagebücher 1921—1923); 1 Bd., Hildesheim 1925, S. 387. 6 Ebenda, 3. Bd., S. 91 f. 7 Lernet-Holenia, in: Der Morgen, 31. 1. 1927, S. 6.

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kennzeichnen vorwiegend die neue Schaffensperiode nach 1945, auch wenn noch einige Theaterstücke in diese Zeit fallen. Der Preis der Stadt Wien (1951), der Große österreichische Staats­ preis für Literatur (1961), der Adalbert Stifter-Preis der Stadt Linz (1967) und eine große Anzahl weiterer in- und ausländischer hoher Auszeichnungen und Würdigungen sind Ausdruck einer späten, aber um so verdienteren Anerkennung seines bedeutenden Werkes. Seit Februar 1969 ist Lernet-Holenia Präsident des österreichischen PEN-Clubs.

2. Wesenszüge Lernet-Holenias und ihr Niederschlag in seinem Werk

Lernet-Holenias elegante, soignierte, hochgewachsene, typisch aristo­ kratische Erscheinung, gepaart mit überaus großer Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit, läßt leicht auf einen ehemaligen Kavallerie­ offizier schließen, jedoch kaum einen Dichter vermuten, und gar einen, der, nach Melchinger, eines der „am wenigsten eindeutigen Gesichter“ besitze 8 Abkunft und Heimat des Dramatikers sind unschwer aus seinem Werk zu erschließen, seine Arbeiten tragen in seltener Deut­ lichkeit die charakteristischen Merkmale des Bodens, dem er ent­ stammt, der Welt, aus der er hervorgegangen ist. Seine Welt und Umwelt ist die einer adeligen Haltung, die er selbst in einer ver­ gangenen Epoche, im christlichen Mittelalter, verkörpert findet. Lernet-Holenia hatte noch direkten Kontakt mit Ordnungen, die fast bis in jene Zeit zurückreichen. Aus Wissen und Ahnung gebo­ rene, tief eingegrabene Erinnerungen; die Vorstellung vom alten Österreich, von dessen Sinn-Einheitlichkeit, auch seiner historischen Bedingtheit, blieben in ihm wirksam. Sein Werk läßt keinen Zweifel, daß er dort, in der Welt eines geschichtlich vergangenen, aber weiter fortdauernden adeligen Herrentums, sein eigenes Blut und sein eigenes geistiges Wesen beheimatet fühlt. Diese Wesensbezogenheit auf frühere Ordnungen und das aristo­ kratischer Vergangenheit Verhaftetsein lassen seine Vorstellung vom alten Österreich und seine Vorliebe für Mythos und Mystik erklären. In der Beschäftigung mit Mythen und der damit verbundenen Fest­ stellung, daß sich die mythischen Helden aller Kulturkreise einer höheren, zumeist göttlichen Herkunft rühmen bzw. ihnen eine andere als die tatsächliche nachgesagt wird, scheint Lernet-Holenias bis an die Ursprünge des Lebens sich zurücktastender Sinn begründet zu sein; 8 Der Verfasser hatte oftmals Gelegenheit zu persönlicher Begegnung mit Lernet-Holenia.

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scheint ein Problem zu wurzeln, das ihn in besonderem Maße fesselt und sein gesamtes Werk bestimmend durchzieht und das selbst seine leichtesten Komödien anklingen lassen: das Problem der Iden­ tität; das Problem des Ich und des Nicht-Ich, der Unsicherheit über das Ich und der daraus entstehenden Konflikte; das Problem, daß Menschen die Rolle eines anderen übernehmen und sie weiterspielen („Demetrius“, „Kavaliere“, „Ein Optimist“), daß ihre Daseinsform mit ihrer Seinsform nicht übereinstimmt („Saul“, „Alkestis“). So finden sich in seinem Roman „Beide Sizilien“ folgende bezeichnende Sätze: „Will man eben wirklich einmal die Identität eines Menschen nachweisen, so stürzt man ins Bodenlose. Wissen doch auch wir selber nicht, wen wir, in Wahrheit, vorstellen.“ 9 Und: „Die Identität eines Menschen ist eine ziemlich unsichere Angelegenheit.“ 1011

In Widerspruch zu der eingangs geschilderten adeligen Haltung in Leben und Werk entwickelte sich in Lernet-Holenia ein anderer charakteristischer Wesenszug, ein Kontrapunkt sozüsagen, der ihm die Bezeichnung „ein schwieriger Herr“ nicht zu Unrecht eingetragen hat: Gemeint ist seine, aus einer Freude am Revoltieren geborene und psychologisch durchaus erklärbare Auflehnung gegen allgemein gültige Anschauungen und Verhaltensweisen (die jedoch absolut nichts mit der eines Revolutionärs im eigentlichen Sinn des Wortes zu tun hat) n, seine Eigenwilligkeit, die auch nicht vor Streit und Händeln zurückscheut, die unter anderem auch zu offenen Angriffen auf Mit­ glieder des ehemaligen österreichischen Kaiserhauses und der öster­ reichischen Aristokratie führt1213 *, aber auch weniger offene, in den Rahmen von Schlüsselerzählungen gestellte Attacken pamphletistischen Charakters („österreichische Komödie“, Roman „Die vertausch­ ten Briefe“). Dieser polemische Hang des Dichters macht auch vor Ämtern nicht halt („Das Finanzamt“). Ein oft trotziges, manchmal fast boshaft und schadenfroh zu bezeichnendes Wesen mit einer Ten­ denz auch zu unerwarteten politischen Rösselsprüngen 1S, dies alles ’ Lernet-Holenia: Beide Sizilien; Berlin 1942, S. 29. 10 Ebenda, S. 341. 11 Lernet-Holenia nannte sich selbst einmal gesprächsweise einen „kon­ servativen Revolutionär“. 12 Vgl. Lernet-Holenia: Adel und Gesellschaft in Österreich (= Der Mo­ nat, 9. Jg., H. 101), Berlin 1957, S. 33—43. 13 Z. B. öffentliche Unterstützung des sozialistischen (!) Kandidaten, Dr. Adolf Schärf, bei der Bundespräsidentenwahl 1959 aus Protest gegen Julius Raab.

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entspringt einem „So-und-nicht-anders-können“, auf das sich LernetHolenia immer wieder beruft und dabei auf sein „autochthones Recht und Gottesgnadentum“ pocht, womit er „sidh gegen die Zuer­ kennung eines dauerhaften und unerschütterlichen Ruhms gleichsam verbarrikadierte.“ 14 Kennzeichnend für dieses Verbarrikadieren sind zwei öffentliche Briefe 15, die der streitbare und streitfreudige Dichter im Zusammen­ hang mit einer Plagiataffäre, in die er im Jahre 1930 verwickelt worden war, schrieb. Lernet-Holenia wurde — zu Unrecht — be­ schuldigt, das Stück „Das Krokodil“ von Karl Strecker durch sein eigenes Stück „Attraktion“ plagiiert zu haben. Als sich daraufhin Bernhard Diebold, Theaterkritiker der „Frankfurter Zeitung“, För­ derer und Verleiher des Kleist-Preises 1926 an Lernet-Holenia, von diesem distanzierte, veröffentlichte Lernet hintereinander jene Briefe, „deren Tonart und wurstige Gesinnung geeignet sind, das ganze deutsche Schrifttum zu blamieren.“ 16 Lernet-Holenia schrieb unter anderem folgende „inkriminierte“, für ihn typische Sätze: „ ... Ich selbst aber hatte keinerlei Idee, denn mir fällt leider prinzipiell fast nichts ein. — Ob die ,Attraktion' tatsächlich vom ,Krokodil' kopiert ist, weiß ich also nicht... Ich selbst aber wünsche meine königlich­ bayrische Ruhe zu haben. Ich kann ohnedem die ganze Literatur nicht leiden ... Ich schreibe meine Stücke ... nur der Tantiemen halber, und alle jene, die ihre Stücke auch nur der Tantiemen halber schreiben, sollten sich schämen, daß sie’s nicht ebenfalls eingestehen. An wirk­ licher Dichtung gemessen, sind ,unsere' Stücke ohnedem nur Quark. Das Publikum hat ein Recht darauf, das von Fachleuten gesagt zu bekommen, denn das Publikum selber bemerkt es zu selten...“ 17 Und Lernet-Holenia polemisierte weiter: „ ... Dr. Diebold hat seit ein paar Jahren, wie es scheint, keine größere Sorge, als, wenn davon die Rede ist, daß er mir 1926 als Bevollmächtigter der Kleist-Stiftung den Kleist-Preis verliehen hat, seine eigene Haut zu salvieren. Es ist mir ausgesprochen unangenehm, jemanden einen Unsinn, den er, sei14 Spiel, Hilde: A. Lernet-Holenia. Zu seinem 60. Geburtstag (= Der Monat, 10. Jg., H. 109), Berlin 1957, S. 65. 16 Der 1. Brief abgedruckt in: Die Literatur, 32. Jg., Sept., Stuttgart — Berlin 1930, S. 679 f. Der 2. Brief abgedruckt in: Die Literatur, 33. Jg., Okt., Stuttgart — Berlin 1930, S. 58. 16 Diebold, Bernhard: Er will den Kleist-Preis zurückgeben. Bedenkliche Betrachtung meines Kleist-Preisträgers; in: Leipziger Neueste Nachrichten, 30. 8. 1930, S. 2. 17 Lernet-Holenia, in: Die Literatur, 32. Jg., a. a. O., S. 679 f.

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ner und wohl auch meiner Ansicht nach, begangen hat, nicht mit An­ stand tragen, sondern fortwährend korrigieren zu sehen ... ich mache aber dem vorwurfsvollen Geschwätz über meinen Kleistpreis einfach dadurch ein Ende, daß ich diesen Kleistpreis zurückgebe..18 Der ganze Streit selbst mutet übrigens schon wie eine Komödie Lernet-Holenias an, denn in der Folge nahm er den zurückgegebenen Kleist-Preis wiederum entgegen!19 Treffend und einsichtsvoll kommentierte Ernst Schwenk diese Affäre: „ ... Dieser Mann wehrt sich ... dagegen, zugedeckt mit der Würde der Literatur, in einer Dachkammer zu verhungern. Der Ver­ dacht liegt nahe, er wünsche zu leben, vielleicht gut zu leben, und dazu verwendet er sein Talent, einen Theaterdialog zu machen, in­ dem er Stoffe, die ihm bewährte Lieferanten zutragen, auf Glanz appretiert. Sein dergestalt erhaltenes Leben aber benutzt er dann.. . dazu, so Ausgezeichnetes zu machen wie ,Demetrius' oder ,Alkestis'... Dinge, die so schön wie unverkäuflich sind. Aber gerade das wirft man ihm vor... Es ist der psychologisch bekannte Fall der relativ geschlossenen Systeme in einer Person. Gegen einander ,ab­ gedichtet' (wörtlich!) sind der unnahbar starre Lyriker, der Dichter der ,Alkestis‘, der literaturfreie Theatraliker der ,Ollapotrida‘ und der Hersteller der ,Attraktion', und vermutlich noch einige mehr. Die Aufspaltung... in verschiedene für einander nicht verantwort­ liche Personen, die in der physischen Welt miteinander zu leben, in der geistigen zu kommunizieren gezwungen sind, macht Determina­ tionsakte notwendig, die Umwege der Produktion sind ... Diese Eigenschaft, die sich selbst sozusagen das Subjekt wegnimmt, ... be­ dingt das Verschlossene... Die Ironie Lernet-Holenias gegen die Gesellschaft' ist nicht revolutionärer Kampf, sondern Fronde eines durch Verschlossenheit Ausgeschlossenen ..." 20 Es wäre jedoch völlig falsch, wollte man Lernet-Holenias Persön­ lichkeit zu sehr von der Kehrseite betrachten: Diese muß lediglich aufgezeigt und, gegebenenfalls, berücksichtigt werden. Um den Men­ schen und Dichter Lernet-Holenia aufzuspüren, scheint hier die Konfrontierung mit einigen Proben aus Briefen des Dichters 18 Lernet-Holenia, in: Die Literatur, 33. Jg., a. a. O., S. 58. 19 Vgl. hiezu den offenen Brief Lernet-Holenias, in: Leipziger Neueste Nachrichten, 12. 9. 1930, S. 2. 20 Schwenk, Ernst: A. Lernet-Holenia und sein neuer Roman („Die nächtliche Hochzeit“) (= Die literarische Welt, 7. Jg., Nr. 11), Berlin 1931, S. 5.

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die geeignetste, ja vielleicht die einzig mögliche Form. Nicht zuletzt deshalb, weil er sich in seinem gesamten Werk (das lyrische vielleicht ausgenommen) nicht zu derartigen, tiefen Einblick gewährenden Be­ kenntnissen „verleiten“ ließ. Hier scheint sich einem die Möglichkeit zu bieten, in den Kern von Lernet-Holenias Persönlichkeit und Dich­ tertum vorzustoßen und sein wahres Ich zu erschließen. Handelt es sich doch um Briefe, die nicht auch schon mit dem Hintergedanken an eine Veröffentlichung geschrieben wurden, sondern um solche, deren Inhalt fast wie „Beichten“ anmuten, bestimmt für ganz be­ sondere Freunde. Die an ein breiteres Publikum gerichteten Enuntiationen und Werke wirken wie Masken, hinter denen sich LernetHolenia, aus Scheu und Sensibilität, verbirgt. Diese Briefe nun kön­ nen vielleicht mit dazu beitragen, den Dichter in einem ihm gerechter werdenden Licht erscheinen zu lassen. Hier klingen ganz andere, sein „zerrissenes“ Wesen unterstrei­ chende Töne an, wenn er 1927, nach seiner „österreichischen Komö­ die“ und nach „Ollapotrida“, bekennt: „Man muß unterscheiden können zwischen dem, wofür man einsteht, und dem, wofür man Geld einnimmt. Auf alle Fälle bin ich jetzt, seit meinem Kitsch, überlaufen, und wäre doch im nächsten Augenblick im Stand, mich hinzusetzen und einen zweiten ,Kanzonnair‘ zu schreiben.“ 21 Und vor­ her dekretiert er: „Es gibt nichts Wichtigeres für den Künstler, als immer aufmerksam und sorgfältig zu sein, als läsen gleich Zehntau­ sende mit...“ 22 Schon diese Bekenntnisse beweisen deutlich, daß Lernet-Holenia sein Dichtertum überaus ernst nahm bzw. nimmt. Und aus den Zei­ len, die er an Gottfried Benn richtet, sprechen Kampf und Qual einer sensiblen Künstlerpersönlichkeit aus dem Widerstreit zwischen äuße­ rer und innerer Leistung, Zeilen, in denen er über die „leichten, dämonischen Spuren von Zweideutigkeit“ spricht, „wie sie allen Dich­ tern anhaftet, die durch diese Hölle zu wandeln haben.“ 23 Abgerundet wird dieses Bild des Menschen und Künstlers LernetHolenia erst, wenn man aus einem Brief vom August 1944, der Zeit der größten menschlichen und politischen Wirrnisse, erfährt, wie sehr dieser der trivialen Literatur häufiger als zuträglich zugewandte Dich­ ter um innere Haltung und Größe rang: „Ich schreibe Gedichte, um 21 Lernet-Holenia, zit. nach: Hebra, Eduard: Alexander Lernet-Holenia (= Wort in der Zeit, 1. Jg., H. 4), Wien 1955, S. 4. 22 Ebenda, S. 2. 23 Lernet-Holenia: Monologische Kunst? Ein Briefwechsel zwischen A. Lernet-Holenia und Gottfried Benn; Wiesbaden 1953, S. 8.

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mir die geistige Haltung zu wahren. Ich schmiege mich in den Mo­ ment. Ich weiß nicht, ob ich mit diesem System Erfolg habe. Habe ich aber keinen, so vermute ich die Schuld bei mir.“ 2425 Und ein ande­ res Mal lautet eine Stelle in einem Brief aus derselben Zeit: „Äußere Leistung ist so äußerlich, daß tatsächlich etwas so Dummes wie Glück dazugehört, sie entstehen zu lassen. Alles Wirkliche aber hängt nicht vom Zufall ab. Es ist ganz unabhängig von Glück oder Unglück. Die innere Leistung, welche mit dem Sein, der Persönlichkeit eines Men­ schen identisch ist (und nicht daraus resultiert wie die äußere), diese innere Leistung ist alles.“ 26 Und wie wenn er vor sich Rechenschaft ablegen würde, erklärt er: „Nicht die Taten werden vor Gott ge­ wogen (was wären Taten vor ihm!), sondern das Sein oder Nicht­ sein eines Wesens. Alles Getane schadet, im besten Fall, nicht — aber meistens schadet es sogar. In keinem Fall ist es etwas an sich. Es ist nichts weiter als ein Ausdruck für Vorgänge in einem Menschen. Aber es kann in Menschen unendlich viel erwachen, ohne Ausdruck in Gebäuden, Manuskripten oder in der Geschichte zu finden. Gäbe es die Werke der Dichter nicht, so wüßten wir zwar nicht, was für Menschen sie gewesen sind. Wären sie darum aber anders?“ 26 Zuletzt soll noch aus einem Brief Lernet-Holenias, der für ihn besonders bezeichnend ist, zitiert werden, den er an Carl Zuckmayer 1939 zum Abschied in die Emigration schrieb, und der fast wie ein Credo des Dichters anmutet: „ ... Beklage Dein Schicksal nicht, ich beneide Dich darum. Du wirst die Welt sehen, deren Gesetz die Verwandlung ist, Du wirst in einer neuen Welt ein neuer Mensch sein. Verwandle Dich! Verwandle Dich! Nur in der Verwandlung ist Leben!“ 27 Hier knüpft Lernet-Holenia, bewußt oder unbewußt, an sein großes Vorbild Hugo von Hofmannsthal an, der in seinem be­ rühmten Brief über das Ariadneproblem (an Richard Strauss) die Verwandlung als das Zentralproblem seines gesamten dramatischen Schaffens bezeichnet.28 Aus dem Werk Lernet-Holenias den Menschen Lernet-Holenia herauszuschälen, ist, wie schon vorher mehrmals angedeutet wurde, 24 Lernet-Holenia, zit. nach: Hebra, Eduard, a. a. O., S. 7. 25 Ebenda, S. 5. 26 Ebenda, S. 5. 27 Lernet-Holenia, zit. nach Zuckmayer, Carl: Als wär’s ein Stüde von mir; Frankfurt a. M., 1966, S. 123. 28 Richard Strauss — Hugo von Hofmannsthal: Briefwechsel; hrsg. von Franz u. Alice Strauss, bearb. von Willi Schuh (erw. Neuaufl.); Zürich 1954, S. 113 ff. (Brief vom 28. 7. 1911).

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überaus schwierig, vor allem schon deshalb, weil dieses nur in be­ schränktem Maße das einer Selbstspiegelung ist, und wenn, dann nur verborgen und schwer entschlüsselbar. Denn lieber spielt er die Rolle eines Kavaliers als die Wirklichkeit des Künstlers und bedient sich der Mittel gesellschaftlicher Konvention, um sich hinter ihnen mög­ lichst zu verbergen. Am seltensten bekennt der Zurückhaltende, daß er ein Dichter sei. Es ist dies keine affektierte Wichtigtuerei; viel­ mehr, um störende Eingriffe in die innerste Sphäre „behaglicher Ein­ samkeit“ abzuwehren, „spielt... Lernet-Holenia eine Rolle, und zwar die eines Herrn, der schreibt, um sein Brot zu verdienen“.29 Er gleicht in diesem Sinne dem „Schwierigen“, den Hofmannsthal einmal von der Lächerlichkeit „wohlgesetzter Wörter“ und von der „indezenten Selbstüberschätzung“ sprechen läßt, „in einem Leben, wo doch schließlich alles auf das Letzte, Unaussprechliche an­ kommt ...“ 30 (II, 14.) Auf ihn selbst trifft eine Bemerkung zu, die er einer seiner Personen (Wallmoden im Roman „Mars im Widder“) aussprechen läßt: Nichts sei interessanter als verwechselt zu werden.

29 Sebestyen, György: Vermutungen über Lernet-Holenia (= Alexander Lernet-Holenia. Festschrift zum 70. Geburtstag des Dichters); Wien — Hamburg 1967, S. 23. 30 Hofmannsthal, Hugo von: Der Schwierige; Fischer Bücherei, Frank­ furt a. M. 1956, S. 73. 2

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II. TEIL

1. Lernet-Holenias Auseinandersetzung mit dem Theater: Theoretische Ansichten und ihre Verwirklichung

Lernet-Holenia hat sich sehr eingehend mit den Fragen und Pro­ blemen des Theaters auseinandergesetzt und dabei das Publikum als ein wesentliches Element in seine Betrachtungen miteinbezogen. In einer Reihe von programmatischen Aufsätzen legte er seine Gedan­ ken darüber dar, vor allem in den in aphoristisch-epigrammatischer Form verfaßten „Theatralischen Thesen“ Alle diese Äußerungen über das Theater sind ein Spiegelbild seines dramatischen Werkes und zugleich auch wiederum seines widersprüchlichen Wesens. Zunächst ist er der Strömung seiner Zeit verhaftet („Demetrius“), doch schon bald hält er die expressionistische Richtung auf dem Thea­ ter für völlig ungeeignet: „Das Drama ist typisch impressionistisch“ (These 29). Bereits das nächste Werk („Alkestis“) spiegelt diese völlige Abkehr vom Expressionismus und seiner Vertreter wider, die er folgendermaßen beurteilt: „Die jüngste dramatische Generation, die erst nur revolutionär ist, hat auf dem Theater nicht genug Welt; ihre fortwährende Rage auf dieses und jenes ist, als Gegensatz zur Ge­ lassenheit des Selbstverständlichen, das Schlechteste, das es auf dem Theater überhaupt gibt; ihre Stücke sind nicht zu spielen, sondern nur zu sprechen, ihre Bühnen zeigen keine Bilder, sondern bloß Plakate. Sie setzt den leichtproduzierten Krawall theatralischer Revolution bloß deshalb noch fort, weil ihr nichts Gegenwärtiges und wirklich Existentes einfällt. Wer jetzt noch revolutioniert, ist ein Narr“ (These 81). Boshaft fügt er hinzu: „Die jüngste Generation läßt sich aufführen, damit wenigstens tausend Enttäuschte krawallisieren, statt 1 Lernet-Holenia: Theatralische Thesen (= Die Scene, 16. Jg.), Berlin 1926, S. 256 ff. 2*

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daß sie Bücher schriebe, über die kein einziger sich alterieren würde, weil sie niemand läse“ (These 83). Im selben Jahr wie „Alkestis“ (1926) entsteht Lernet-Holenias erste Komödie, „Ollapotrida“, die eine Entwicklung in seinem dra­ matischen Schaffen einleitet, die er nun kontinuierlich verfolgt: „Stücke sind nicht zu dichten, im besten Fall aufzubauen, ein Fach­ werk ist zu konstruieren, in das das Schauspielerische einziehen kann. Es gibt im Theater kein Dichten, sondern bloß ein Spielen und Zu­ schauen.“ 2 Sehr schnell erkennt der Autor die entscheidende Rolle des Publikums: „Das Theater hängt von seinem Publikum ab und nicht von seinen Dichtern“ (These 56), im Gegensatz zu, wie er meint, den anderen Autoren der jüngeren Generation, „die sich in einemfort bloß selbst aussagen will und ohne Rücksicht darauf ist, daß die Leute Stücke sehen wollen, nicht Beichten anhören.“ 3 Das Publikum zwinge den Autor zu einleuchtenden, präzisen und klaren Formulierungen komplizierter Gedankengänge, daher kennt Lernet-Holenia für den Dichter keine bessere Schule als das Theater; denn mit Rätselraten gäbe sich das Publikum nicht gerne ab. Dieses Grunderfordernis alles Theaterspielens hätten „die Deutschen... lange genug, soweit sie sich Theaterdichter nennen ..., zu ignorieren versucht. Damit taten sie eine Art untheatralischen Theaters auf, eben jenes ,gehobene1 Theater, das eine unglückliche und spezifisch deutsche Regierung des Begriffes ,Komödiespielen' ist. Alles Mögliche trugen sie ins Theater hinein: Ethik, Philosophie, Mystisches, Reli­ gion, Gesinnung — nur nicht das Theater. Das Theater überließen sie den Franzosen, die — entsetzlich! — fürs Publikum und nicht als Weltverbesserer oder Löser der Welträtsel ihre Stücke schrieben. Wir aber sind groteskerweise dahin gelangt, daß unsere Theaterdichter das Theater im Grunde verachten. Daß die meisten von ihnen schreck­ liche Angst haben, das Publikum zu ,unterhalten'. Unser deutsches Publikum hat sich, aus lauter Hochachtung vor seinen Dichtern, die schmale, aus Tiefsinn, Prätention und Unklarheit zubereitete Thea­ terkost ja lange genug gefallen lassen. Und sah es sich dann einmal eine richtiggehende, nach unseren Begriffen also natürlich .seichte' Komödie an, so unterhielt es sich zwar glänzend, aber ließ sich gern

2 Lernet-Holenia, zit. nach Schönwiese, Ernst: Einleitung zum Roman „Die nächtliche Hochzeit“ (= Das österreichische Wort, 108. Bd., StiastnyBücherei); Graz — Wien 1962, S. 8. 3 Lernet-Holenia: Analyse des Publikums (= Die Bühne, 4. Jg., H. 118), Wien 1927, S. 8.

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belehren, daß solche Seitensprünge in die Unterhaltung ungehörig, unmoralisch und spießbürgerlich sind.“ * Von besonderem Interesse ist, bezüglich desselben Themas bei Heinz Kindermann von der Reaktion des Publikums zu lesen, die Racines Lustspiel „Les Plaideurs“ hervorrief; so heißt es dort, Racine habe geklagt, „daß dieselben Leute, die sich bei diesem Stück gut unterhalten hätten, insgeheim Angst gehabt hätten, nicht nach den Regeln gelacht zu haben.“ 4 5 Lernet-Holenia verzichtet darauf, „literarische“ Dramen zu schrei­ ben: freilich nicht in dem Sinn, unkünstlerische Stücke zu verfassen, sondern vielmehr solche, in denen „das Künstlerische der bühnen­ mäßigen Wirkung" angepaßt ist, während „bei soundsovielen Auto­ ren da eine Diskrepanz besteht.“ 6 Das Theaterstück wird für ihn zum „Zweck-Kunstwerk“.7 Seine Einstellung zur Bühne ist daher bewußt aliterarisch; dies gilt aber auch für seine, noch dem „Hohen“ verpflichteten Dramen („Demetrius“, „Saul“ und teilweise „Alkestis“). Für Lernet-Holenia sind „die sieben ewigen theatralischen Vor­ würfe: Schicksal, Auftrag, Aufopferung, Zweifel, Reue, Aussöhnung, Traum: Ödipus, Hamlet, Alkestis, Demetrius, Lear, Agamemnon, la vida es suenno“ (These 33). Zwei dieser Themen hat er selbst in Dramen behandelt, obwohl er bereits im Jahre 1924 in einem Auf­ satz über Hofmannsthals Komödien und Dramen bei der Bespre­ chung der „Alkestis“ durchblicken ließ, er glaube nicht, „daß sie wirk­ lich gespielt werden könnte“, da sie, die Alkestis, „auf jeder Bühne..., in der Wirklichkeit, unwirklich sein müßte“: Denn „nie mehr, meinen wir, werden wir diese Tragödie wirklich aufzuführen vermögen ..." Den Grund sieht Lernet-Holenia darin, daß eine Zeit nahe sei, „in der man die Darstellung dieser Engel, dieser Könige und dieser Allegorien nicht mehr ertragen wird, auf dieselbe Art, auf die uns der Apollon in der ,Alkestis‘ schon so in das Hohe entrückt ist, daß man an eine Personifizierung nicht mehr zu denken scheint. (...) Die Engel im Calderon werden, in nicht langer Zeit, nicht des­ halb undarstellbar sein, weil niemand mehr an sie glauben wird, son­ dern vielmehr deshalb, weil die Vorstellung eines, wenn auch unge­ glaubten, Engels eine so enorme sein wird, daß dann von einem 4 Lernet-Holenia, in: Neues Wiener Journal, 27. 1. 1927. 5 Kindermann, Heinz: Theatergeschichte Europas, 4. Bd., Salzburg 1961, S. 147. 8 Lernet-Holenia, in: Der Morgen, 31. 1. 1927, S. 6. 7 Lernet-Holenia, in: Der Tag, 28. 1. 1927.

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Schauspieler, der das auszufüllen vermöchte, keine Rede mehr sein kann... Ganz ähnlich sind nun gewisse theatralische Themen aus dem Darstellbaren in das Geistige entrückt.“ 8 Trotz dieser eher pessimistischen Beurteilung eines „hohen“ thea­ tralischen Stoffes versucht sich Lernet-Holenia selbst an zweien dieser Themen, wobei er aber schon bemüht ist, den Stücken zu geben, was des Theaters ist: Schlagkraft eines lebendigen Dialoges, bühnenwirk­ same Szenen etc. (1. Bild im „Demetrius“). Die folgende Hinwendung zum reinen Zwecktheater ist aus der Situation des Theaters in den zwanziger Jahren und dessen Krise zu verstehen, die Lernet-Holenia als eine Krise des Publikums erkennt. Offensichtlich resigniert er: „Auf dem Theater wirkt das Erlauchte befremdender als das Gemeine“ (These 69). Und wenn er meint, daß die Zeit für „gewisse theatralische Themen“ vorüber sei und „un­ künstlerische Dramen immer weiter hinter sich“ ließe, so ist für ihn aber auch klar, daß seine Zeit „die eines Überganges“ 9 sei, deren Theaterform, die expressionistische, sich bereits totgelaufen und das Publikum eher vertrieben hätte; ein neues, zeitgemäßes Theater hätte sich noch nicht gebildet: „Das moderne Theater, das seit der Revo­ lution existieren sollte, ist noch immer nicht existent, sondern nur erst revolutionär“ (These 11). Im Jahre 1926 bekennt er daher: „Ich würde mich sehr freuen, wenn ich dem deutschen Theater nütz­ lich sein könnte. Denn seine Lage scheint mir noch eine durchaus ver­ wirrte. Seit dem Niederbruch seiner klassizistischen Tendenzen ist es von jungen Dichtern überschwemmt, die, in wirklicher oder un­ wirklicher Genialität, sich darin aufführen wie der Stier im Porzellan­ laden. Theater aber braucht gehaltene Kraft. Die Leute, die hinein­ gehen, dürfen die Bühne nicht weiterhin als Gummizelle ansehen. Man hat überall so viel zerstört, daß Verantwortung hinfällig ge­ worden ist — vor sich selbst, vor Gott, vor den Leuten. Die hoff­ nungsvollsten Lehrjungen haben sich in den Besitz der Werkstätten gesetzt, aber was nützen alle diese infantilen Perspektiven! Man braucht nichts als ganz gewöhnliche Meister!“ 10 Bemerkenswert an diesen Worten ist, daß sie auch heute nichts an Aktualität verloren haben; genauso wie einige seiner „Thesen“: „Volksreden sind zu halten, Theaterstücke sind zu schreiben, Thea8 Lernet-Holenia: Hofmannsthal. Die Komödien und Dramen; in: Neue Freie Presse, 7. 12. 1924, S. 31 ff. • Lernet-Holenia: Analyse des Publikums, a. a. O., S. 6. 10 Lernet-Holenia: Autobiographisches; in: Frankfurter Zeitung, 23. 10. 1926.

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ter ist zu spielen“ (These 88); oder: „Ein Revolutionär versteht vom Theater nichts, denn er läßt nichts an seinem Platz“ (These 87). Es muß hier besonders betont werden, daß Lernet-Holenia bereits vor über 40 Jahren die Forderung nach einer Analyse des Publikums aufstellte, die durchzuführen man sich erst Jahrzehnte später mit Hilfe der Methoden moderner Meinungsforschung entschlossen hat. Bestimmend für ihn war bei seinen Überlegungen der Wunsch, her­ auszufinden, welche Art von Theater „ankäme“. Nachstehend wird ein Auszug der aufschlußreichen „Analyse“ 11 wiedergegeben: „Seit der Zeit des eigentlich großen, abendländischen Theaters, des elisa­ bethanischen etwa in England, des französischen in Versailles, des spani­ schen mit Calderon, und der alles andere befruchtenden Variabilität des italienischen des 17. und 18. Jahrhunderts, geht der Erfolg eines Stückes immer mehr auf den Zufall zurück als eigentlich auf bewußte Kunst und Fähigkeit des Dichters und der Schauspieler... Der Begriff dessen, was auf den Bühnen wirkt, ist völlig ins Schwanken gekommen ... und Stücke sind im voraus auf ihre Wirksamkeit fast nicht mehr einzuschätzen... Schulen des Theaters... waren gut für Zeiten von langem Bestand, in denen ältere Erfahrung irgenwie immer noch weiterhin gültig blieb. Heute, in so emi­ nenter Veränderung der Welt, existiert Erfahrung fast nicht mehr. Wer jetzt auf Publikum angewiesen ist, muß in großer Schnelle aus demselben Tag selbst alle jene Kenntnisse ziehen, die am selben Abend vor den Leuten wirken sollen. Es ist damit nicht gesagt, daß die Welt fortwährend in solcher sich über­ stürzender Veränderung weitergehen würde. Völlig unveränderbar, wie sie ist, hat alles, was mit ihr und den Leuten zu tun hat, erst neu erkannt zu werden. So bedeutet auf dem Theater Genialität des Autors und der Schau­ spieler allein so lange nichts, als sie überhaupt eigentlich nicht wissen, vor wem sie ihre Stücke spielen; denn dieses ihr Publikum ist von dem des Jahres 1900, auf das sie alle noch eingestellt sind, weiter entfernt, als das Schillers von dem des Shakespeare. Völlig unvorbereitet freilich... trat das Theater in die Veränderungen dieser Jetzt-Zeit ein. Es hatte ja schon damals angefangen, so zu sein, wie es bis vor zehn Jahren blieb, als Goethe, das große theatralische Antitalent, die Bühnen von Weimar und Lauchstädt unter seine enorme Persönlichkeit unterwarf und von dort aus überall hin sich auswirkte. Dieser Mann ist dem Theater teuer zu stehen gekommen und als, wegen des Auftretens eines gewissen dressierten Pudels, der vielleicht immer noch theatralischer gewirkt haben mochte als der ,Egmont‘, er die Intendanz hinwarf, war es schon zu spät. Er hatte ein Publikum von Hofräten herangezüchtet, ein total unnatürliches, und das blieb und blieb und überdauerte das Jahr­ hundert, verdarb alles und ist immer noch stark genug, alles Natürliche des Neuen zu verwirren ...11 11 Lernet-Holenia: Analyse des Publikums, a. a. O., S. 6 ff.

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An jenes klassizistische Publikum sind die Theaterleute nun noch ausschließ­ lich gewöhnt sich zu wenden, da sie das moderne kaum erst begreifen . .. Hier nun hätte die augenblickliche Auffassung anzufangen, das Begreifen, was dieses neue Publikum eigentlich sei und w i e es sei. Aber es zeigt sich, daß der Versuch noch nicht im allgemeinen unternommen worden sei, bestenfalls im besonderen, indem es heißt: ,Der kennt seine Leut'.. . Aber man wird sich entschließen müssen, das höchst Schwankende des heutigen Theaters zu festigen, System ins Umgestürzte und Neue zu bringen, damit das Theater über der ganzen gegenwärtigen Konsternation nicht zugrunde gehe. Es wird darauf ankommen, dort anzufangen, wo alles Theater an­ fängt: nämlich beim Publikum... Ein Theater ist nur das, zu dem die Gegenwart es macht. Alle Einbildung, zu einem Spieljahr seien Klas­ siker unbedingt notwendig, wird sofort falsch, wenn das Publikum eben keine Klassiker will. . . Aber man wird bald dazu kommen müssen, das Publikum zu analysieren, es anzuschauen und das Erschaute rasch zu über­ denken, damit man es erkenne, denn dazu ist keine Zeit mehr, erst zu warten, bis Erfahrung und Versuche von Jahrzehnten ergeben würden, mit was für Leuten denn man’s eigentlich in dem inzwischen erloschenen Thea­ ter zu tun gehabt habe..., mit einem Wort: das Publikum, für das man da ist, erst zu kennen — wird von allem dem, was die Theater zu tun haben werden, das Entscheidendste sein.“

Aus der, hier geschilderten, Situation zieht Lernet-Holenia für sich seine eigenen Schlüsse und Konsequenzen. Er glaubt erkennen zu können, daß das Publikum nach leichterer Kost verlange und keine „Beichten“ hören und sehen wolle, und schreibt daher nach seinem „Demetrius“ nun die Stücke „dem Publikum auf den Leib“; „Saul“ und „Alkestis“ betrachtet er bloß als einen vorübergehenden „Rück­ fall in (den) früheren Zustand.“ 12 Er beginnt, nur solche Stücke zu schreiben, die er sich selbst als Publikum ansehen möchte: „Zum Dif­ ferenzierteren, zum Tiefsinn... kann ich ja immer noch zurückkeh­ ren, wenn ich ... wieder einmal Gedichte schreibe.“ 13 Dazu kommt noch ein Faktor, der den Autor offensichtlich zu beeinflussen scheint: Nach dem Zusammenbruch von 1918 und der durch die beginnende Inflation bedingten Verarmung macht sich der immer latente Drang nach Unterhaltung in stärkerem Maße als bisher bemerkbar. Das Interesse des Publikums mußte daher in dieser poli­ tisch und wirtschaftlich unsicheren Zeit für ernste Literatur und welt­ anschauliche Auseinandersetzungen auf der Bühne geringer sein; Stücke ohne gedankliche Schwierigkeiten mußten daher größeren 12 Lernet-Holenia: Autobiographie (= Masken, 22. Jg., H. 9), Düssel­ dorf 1928/29, S. 167. 13 Lernet-Holenia, in: Neues Wiener Journal, 27. 1. 1927.

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Widerhall finden. Lernet-Holenia scheint instinktiv richtig erkannt zu haben, daß das Publikum zu dieser Zeit im Theater vor allem Un­ terhaltung suchte. Daß er bewußt an das Vorbild französischer Komödien an­ knüpfe, leugnet der Autor; vielmehr nimmt er für sich in Anspruch, genauso logisch zu schreiben, „wie jeder normale Mensch im Thea­ ter logisch zu denken gelernt hat“, also ebenso „wie die romanischen Komödiendichter, die den Instinkt für das haben, worauf es dem Publikum im Theater ankommt: Sie sind klar, sie können eine Hand­ lung erfinden, die interessiert.“ 1415 Für Lernet-Holenia ist „das Thea­ ter eine praktische und dem Publikum gegenüber passive Institution, nicht eine theoretische, didaktische und souveräne. Der Spielraum des Theaters ist kongruent mit dem der Auffassungskraft seines Publikums. Was Theatralisches sich außerhalb davon vollzieht, ist verloren“ (Thesen 31 und 32). Indem er feststellt, die jüngste Gene­ ration imitiere bloß dramatische Genialität, doch auch solche wirkliche Genialität sei unverwendbar, kommt er zu dem Schluß: „Die Theater brauchen Veranlagung und Handwerk“ (These 82) und folgert dar­ aus: „Zum Theater gehört jemand von Welt, der weiß, wie er mit den Leuten umzugehen hat: das ist fast schon alles“ (These 90), und untermauert diesen Satz mit dem Diktum: „Ein Theaterstück ist eine Ware, Dramatik ein Handwerk“ (These 22).

Aus all dem bisher Aufgezeigten erhellt deutlich, welche Ab­ sicht Lernet-Holenias Dramatik verfolgt: Verbannen jeglicher literarischer Tendenz aus den Stücken und Betonung rein theatrali­ scher Wirkung, denn „Theater ist nichts als Wirkung.“ 16 Folgerichtig ist er bemüht, nicht Stücke zu schreiben, deren Wirkung allein vom Text ausgeht, bloß auf dem Wort beruht: „Prononcierte Texte ver­ schleppen das Theater ins Literarische“ (These 28), sondern dem Theater ein „wahrhaftes Schauspielertheater“ zu geben, das „fort­ während alle Elemente der ganzen Bühne mit berücksichti­ gen“ 18 will. Denn „der Text selbst stellt sich ja durchaus nicht als das annähernd vollständige und theatralisch ausschließlich Wichtige heraus.“ 17 Lernet-Holenia bevorzugt daher vor allem ein vom Schauspieler getragenes Theater, neben all den anderen thea14 Lernet-Holenia, in: Neues Wiener Journal, 27. 1. 1927. 15 Lernet-Holenia, zit. bei Schönwiese, Ernst, a. a. O., S. 8. 18 Lernet-Holenia: Lob des Schauspiels (= Freiburger Theaterblätter), Freiburg i. B. 1927/28, S. 217. 17 Ebenda, S. 217.

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tralischen Möglichkeiten. Darin trifft er sich mit Hermann Bahr — oder ist er von ihm beeinflußt? —, der in seinem Büchlein über „Die Schauspielkunst“ vom modernen Schauspiel forderte, „daß sich darin der elementare Schauspieler in voller Laune nach ungehemmter Will­ kür austoben kann.“ 18 Schon zu Beginn dieses Kapitels wurde die Konsequenz, die daraus resultiert, kurz gestreift: „Stücke sind nicht zu dichten ..., ein Fach­ werk ist zu konstruieren, in das das Schauspielerische einziehen kann.“ 19 Er bekennt sich damit — das gilt besonders für die Komö­ dien und Lustspiele, während für die Stücke ernsteren Genres, vor allem „Demetrius“, „Saul“ und „Alkestis“, überwiegend andere Kom­ ponenten zu berücksichtigen sind — zum „Regielibretto“, das die Schauspieler eigentlich erst zu Ende dichten; die Figuren sind wie „Drahtgestelle“, die erst von den Darstellern ihre plastische Umklei­ dung erfahren. Darin gleichen diese Stücke jenen des Stegreiftheaters und der Commedia dell’arte, deren Canevas erst auf der Bühne, wäh­ rend des Spiels, ihre Vollendung erfuhren. Die im IV. Teil dieser Arbeit mitgegebene Bühnengeschichte, eine Sammlung bzw. ein Quer­ schnitt von Aufführungskritiken, bestätigt diese Ansicht: Fanden die Stücke selbst beileibe nicht immer Zustimmung, so wurden in den überwiegenden Fällen die Aufführungen an sich und die schauspiele­ rischen Leistungen im besonderen einer positiven, ja zumeist voll des Lobes schwelgenden Kritik unterzogen. Die Menschen dieser Lustspiele sind fast durchwegs mehr typische Erscheinungen als Individualitäten oder Charaktere: da ist die raffi­ nierte Frau, die kluge Überlegene, die Sentimentale; der raunzende oder beschränkte oder pfiffige Diener; der Salonlöwe, der Schelm, der Ehetrottel, wie überhaupt die Männer den Frauen gegenüber meist borniert und lebensfremd erscheinen, deren erotisches Gefühl in Narretei ausartet: die Liebe ist ein immer wieder erneuerter Ver­ such, bei dem sie stets den kürzeren ziehen; der Weisheit letzter Schluß im Eheleben ist meist: endlose Geduld und Ausharren (z. B. Mumu Purgstall in „Glastüren“).

In diesem Bestreben Lernet-Holenias, nur für das Theater zu schreiben und dabei nichts zu wollen, als bloßes Theater an sich zu produzieren, da auf der Bühne lediglich das Theater gelte, lassen sich in seinen Stücken für ihn charakteristische und immer wieder­ kehrende dramaturgische Eigenheiten erkennen: 18 Bahr, Hermann: Die Schauspielkunst, Leipzig 1923, S. 53. 19 Lernet-Holenia, zit. bei Schönwiese, Ernst, a. a. O., S. 8.

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Seine Stücke bestehen in einer raschen Aufeinanderfolge von kurzen Szenen, die zu einer größtmöglichen Anzahl von Verwirrungen und verwickelten und verzwickten Situationen führen. Er verzichtet be­ wußt auf alle erprobten und bewährten technischen Mittel des Stücke­ baus und stellt seine Figuren einfach in Situationen, für deren Stärke und theatralische Schlagkraft ein kühler und berechnender Verstand vorsorgt, operiert mit Mißverständnissen und Verwechslungen, deren Komik er bis zum Absurden steigert: Wirbel und turbulente Bewe­ gung sind die Hauptmotive der Handlung. Es sind keine „Probleme“ vorhanden, bloß die durch die Situation gegebenen (Ausnahmen bil­ den hier: „österreichische Komödie“ und „Glastüren“). Es gibt — es wurde schon erwähnt — keine Charaktere, sondern Typen, und es gibt höchstens komische Verzweiflung darüber, wie man aus den Verwechslungen und Verwirrungen herauskommen soll. All dies er­ fordert absolutes Kalkül der Situationen, das der Autor in höchstem Maße besitzt. Dazu kommt ein schlagkräftiger, aber eleganter, gleich Florettfechtern geführter Dialog. Die besondere Eigenart dieses Dia­ logs besteht darin, daß er in einer Anhäufung von (oft gesellschafts­ kritischen) Sottisen, Aperçus, Pointen und Bonmots besteht, die ein­ ander gleichsam jagen. Es wird gespielt um des Spieles willen, dessen Zweck einfach Unterhaltung im Theater durch Theater ist. Wenn vorhin erwähnt wurde, daß Lernet-Holenia für sich in An­ spruch nimmt, genauso logisch zu schreiben, „wie jeder normale Mensch im Theater logisch zu denken gelernt hat“, so stimmt dies allerdings nur insofern, als er eine künstlich kultivierte, spitzfindige Logik pflegt; denn vielmehr eine gewisse Unlogik ist seine Spezialität, aus der er in vielen seiner Stücke bewußt eine besondere Wirkung dadurch ableitet, daß er die Personen immer das tun läßt, was man für unmöglich hält (vgl. „Flagranti“ oder die Duellkomödie in „Lau­ ter Achter und Neuner“). Gleichzeitig beweist er die Nichtigkeit der menschlichen Rede, wenn die Personen selbst in heikelsten Situatio­ nen statt praktischer Ratschläge bloß Sentenzen von sich geben („Ollapotrida“); die Reden flattern aneinander vorbei und die be­ deutsamsten Aufklärungen müssen auf Umwegen „erschlichen“ wer­ den. Es ist ein aller sonstigen Dramatik widerstrebendes Prinzip, da sonst jeder Autor seine Personen ja immer das Klügste und Folge­ richtigste reden läßt: Möglicherweise sieht Lernet-Holenia darin einen guten Teil des, im schlimmen Sinne, von ihm bekämpften „Literari­ schen“; jedenfalls exzediert er quasi ins Gegenteil und vertreibt aus literarischer Spitzfindigkeit gerade das Literarische aus seinen Dia­ logen. Wenn Lernet-Holenia bei der Vermeidung des Literarischen aber

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dennoch „das Künstlerische der bühnenmäßigen Wirkung“ gewahrt wissen will, so scheint dies in Widerspruch zu einem anderen Satz zu stehen: „Ein Theaterstück als solches auffassen heißt, sich über alles Künstlerische hinwegsetzen und alles Wesentliche daran prononcieren“ (These 67). Diesen Widerspruch glaubt man bestätigt zu finden, wenn man des Autors zynisches Urteil über seine leichten Produktionen ver­ nimmt: „ ... Man kann nur frank und frei heraussagen, daß jeder andere als der allgemeine Wert eines gängigen Theaterstückes aus­ geschlossen ist. Was aber ist allgemeiner Wert? Nichts. Alles Allge­ meine ist wertlos, wie Konfektionsware und von Besonderem ist keine Rede mehr.“ 20 Aus diesen Worten spricht nicht nur kritische Selbsteinschätzung allein, vielmehr scheinen in ihnen Trauer und Resignation über die allgemeine Situation des Theaters dieser Zeit mitzuschwingen, vor allem, wenn er dann hinzusetzt: „Der Dra­ matiker steht also konstant vor dem Dilemma, Besonderes zu schaf­ fen, das nicht gewürdigt wird, oder Allgemeines zu schaffen — von dem es dann wiederum heißt, es sei nichts Besonderes.“ 21 Es ist daher typisch für Lernet-Holenia, wenn er nun hart und apodiktisch er­ klärt: „Es gibt keine Dramatiker mehr, es gibt nur mehr Konfek­ tionäre.“ 22 Doch um wieder zum erwähnten Widerspruch zurückzuführen: Dieser erscheint in einem völlig anderen Licht, wenn man der vorher zitierten Aussage einen anderen, nur wenige Tage später veröffent­ lichten Beitrag gegenüberstellt; denn dieser scheint von wesentlich geringeren Emotionen diktiert zu sein als ersterer, und daher auch wahrhaftiger: „Wenn das Publikum und die Kritik sich darüber im klaren gewesen sind, daß die Basis zu ,Mariage1 einfache und im Einklang mit den immerwährenden Gesetzen des Theaters stehende Arbeit gewesen ist, wenn die Personentypen nicht neu erfunden waren, wenn die Bewegung der Personen untereinander keine sonder­ lich originelle gewesen ist, sondern schon auf dem ganz alten Theater vorhanden war, so gibt mir das alles recht, wenn ich sage: der innere Wert eines auch wirkungsvollen Stückes sei kein sonderlicher. Er­ folgreich an sich und unterhaltend und erfreulich an sich ist nur das, was auf einer solchen Basis erst aufsteht. Hier erst, gewissermaßen im unausgesprochen Gesprochenen, in der Atmosphäre des Stückes, ist Raum für das Künstlerische, das, ans Theater und seine Notwendig20 Lernet-Holenia: Über den Wert von Theaterstücken; in: Die Stunde, 12. 1. 1930, S. 7. 21 Ebenda. 22 Ebenda.

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keit nicht unmittelbar geknüpft, freier sich ausleben kann. Und wenn ich das bloß Handwerkliche eines Stückes in seinen Grenzen schon bestimmt habe, und zwar im allgemeinen, so will ich, nun in bezug auf mich selbst und im besonderen, gern die Grenzen eng um mich ziehen, die mir in bezug auf dieses Künstlerische gesetzt sind ... meine Bemühungen ..., durch die ich dem Lustspiel Originelleres als das bloß Lächerliche, Allgemeingültigeres als bloß ko­ mische Situationen und den fernen Abglanz wirklicher Komödie geben wollte.“ 23 Neben all den oft überspitzt formulierten Überlegungen und Ideen zum Problem „Theater“ scheinen diese zuletzt zitierten Sätze zum Thema „Lustspieldramatik“ den Kern von Lernet-Holenias An­ liegen zu treffen. Für das ernste, „hohe“ dramatische Schaffen entwickelt der Autor ebenfalls seine eigenen Ansichten, wobei er auf dieses teilweise auch jene, die heitere Dramatik betreffenden Ideen bezogen wissen will, vor allem natürlich die Vermeidung des Literarischen und eine Inten­ sivierung aller theatralischer Mittel. Er entwickelt hierbei vor allem Vorstellungen von einer zukünftigen Form des Theaters, die zu finden unabdingbar sei, um die Situation des Theaters zu verbessern. Zwei seiner „Theatralischen Thesen“ weisen deutlich in die Richtung, die ihm vorschwebt: „Wirkliches Theater ist immer Welttheater“ (These 6), und: „Das zukünftige Theater geht auf dramatische Revue hinaus, auf die Revue seiner Welt“ (These 74). Somit sieht LernetHolenia in der dramatischen Revue eines Welttheaters die theatra­ lische Zukunft. Er verdeutlicht diese seine Vorstellung noch: „Welt­ theater tendiert zur Revue, vielmehr: es ist, latent oder offen, mit ihr identisch“ (These 76). Damit schließt er direkt und bewußt an die großen Traditionen des Theaters der Jesuiten an, von denen er sagt: „Die Jesuiten haben vom Theater mehr verstanden als fast alles nach ihnen, denn sie waren Grandseigneurs“ (These 86). Für ihn ist „eigentliches Theater ... so groß, daß es, in allem und jedem, über den Distrikt des Aufzuschreibenden hinausgeht: wie das helle­ nistische und das barocke“ (These 80), denn „großes Theater geht immer aus großer Welt hervor“ (These 5). Das griechische Theater, Shakespeare und Calderon sind daher auch jene Dramatiker, aus deren Themen er seine „sieben ewigen theatralischen Vorwürfe“ bezieht. 23 Lernet-Holenia: Nach meiner Première: Bemerkungen zu „Mariage“; in: Neues Wiener Journal, 15. 1. 1930, S. 4.

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Mit seinem „Demetrius“ und dem „Saul“ hat Lernet-Holenia seine Vorstellungen vom aliterarischen, dramatisch intensivst geladenen „Theater“-Stück verwirklicht, hat deren Wirkung durch eine größt­ mögliche Konzentration der Vorgänge und der Ausdrucksform er­ reicht. Die „Alkestis“ jedoch scheint diese Forderung nicht mehr völlig zu erfüllen. Alle drei Dramen beinhalten Vorwürfe, die der Maxime: „Tragödie ist vollkommene Verwandlung durch den Tod“ (These 36) gerecht werden. Lernet-Holenia unterscheidet streng zwischen Trauer­ spiel und Tragödie (ebenso wie zwischen Lustspiel und Komödie): „Ein Trauerspiel ist nur die erste Hälfte einer Tragödie“ (These 41), denn: „Das Trauerspiel tötet, die Tragödie verwandelt“ (These 42); (dazu entsprechend trennt Lernet-Holenia das Lustspiel von der Komödie: „Ein Lustspiel läßt Leute zufällig sich finden, eine Komödie Verwandelte sich wiederfinden“, These 43: diese Formulierung sieht sich in „Tumult“ bzw. im Liebespaar der „Glastüren“ verwirklicht). Das Trauerspiel ist eine „Form eines Theaters, das sich nicht mehr verwandeln kann“ (These 45), während die „Tragödie . . . himm­ lische . . . Verwandlung“ ist (These 44). Der Schluß von „Demetrius“, „Saul“ und „Alkestis“ entspricht diesen Vorstellungen, denn in allen dreien sehen sich die Titelhelden bzw. -heldin mit der Veränderung ihres Ichs und der Hinwendung zum Transzendentalen konfrontiert. Neben den Überlegungen zu einer Form des zukünftigen Theaters stellt Lernet-Holenia auch solche über das ideale Theater an sich an. Zunächst gilt für ihn: „In großem Theater liegen Tragödie und Komödie gleich hoch nebeneinander“ (These 38). Man könne der Komödie nicht „jede Wirkung zusprechen“, bloß „weil die Leute eben lieber lachen als weinen“ 24 und der Tragödie, zumindest in bezug auf große Mengen von Zuschauern, diese Wirkung aberkennen. Wenn zwar das Tragische „gemeinhin eine äußerste Publizität nicht erreicht“ 25* , das Komische aber sehr wohl, so „scheint jedoch nicht so sehr das komische Element selbst es zu sein, auf das es ankommt, als daß vielmehr im komischen Element ein entscheidender Zusatz liegt, der zu wirklicher theatralischer Wirkung be­ fähigt, der dem tragischen fast ganz abgeht . . . Selbst in den klassi­ schen, eher zur Tragödie geneigten Stücken des Shakespeare und Calderon spricht einen das Gelassene, Komödienhafte eher an als das Feierliche..." 29 Daraus folgert Lernet-Holenia, daß im Theater 24 Lernet-Holenia: Lob des Schauspiels, a. a. O., S. 216. 25 Ebenda. 28 Ebenda, S. 217.

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Kräfte mitwirken, „die aus den bloßen Textbüchern nicht ohne wei­ teres zu ersehen sind, vielmehr erst durch das Schauspiel deutlich vermittelt werden.“ 27 Wenn also, nach Lernet-Holenia, eigentliche theatralische Wirkung eher in der Komödie beheimatet ist, aber gleichzeitig auch offen­ kundig ist, daß nicht die Komödie allein diese Wirkung hervorbringt und auch das Tragische an sich sie nicht erschwert, so müsse es sich beim besagten „entscheidenden Zusatz“ um „ein Drittes, erst zu Konstatierendes“ handeln: nämlich „wesentlich um das Schauspiel selbst, um das Schauspielerische im stärksten Sinn“, das also die „di­ rekte Ursache theatralischer Wirkung“ 28 ist. Lernet-Holenias Forde­ rung besteht darin, „den klaren Blick für das (zu) gewinnen, was seit jeher das eigentliche Theater ausgemacht hat und was es immer ausmachen wird.“ Denn „Theater wirkt außer auf das Gemüt auch auf die meisten Sinne des Zuschauers und Zuhörers zugleich: Das ideale Theater wird also notwendig das sein, das dem geistigen und lebendig-sinnlichen Anspruch des Publikums genügt.“ 29 Der Dichter selbst begnügte sich allerdings damit, überwiegend bloß die „lebendig-sinnlichen Ansprüche“ des Publikums anzuspre­ chen und die „geistigen“ zu vernachlässigen: „Persönlich habe ich mich ... nie zu jener Seriosität entschließen können“, denn „es kommt gar nicht sosehr darauf an, in welchem Sinn etwas passiert, sondern darauf, daß nur überhaupt etwas Rechtes los ist.“ 80

27 Ebenda. 28 Ebenda, S. 218. 29 Ebenda. 80 Lernet-Holenia: Première (= Die Bühne, 7. Jg., H. 276), Wien 1930, S. 15.

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2. Lernet-Holenias Auseinandersetzung mit Adel und Gesellschaft

„Die Art, auf die ein Zeitalter Theater spielt, ist immer identisch mit der Art, auf die es sein Leben führt.“ 81 Diese Worte LernetHolenias rufen die untrennbare Verbindung von Theater und Zeit­ hintergrund in Erinnerung. Eine Untersuchung des dramatischen Schaffens des Dichters hat diesen Zeithintergrund daher zu berück­ sichtigen und dessen Einfluß auf das Werk aufzuzeigen. Bewußt wird hier an dieser Stelle darauf verzichtet, einen Abriß der historischen und kulturpolitischen Ereignisse zu geben — diese können in jedem besseren Geschichtswerk und in jeder Literaturgeschichte nachgelesen werden. Es erscheint vielmehr zweckdienlicher und aufschlußreicher, sich vorwiegend auf Gedanken und Aussagen des Dichters selbst zu stützen. Wie zum Thema „Theater“ hat sich Lernet-Holenia in Essays über „Adel und Gesellschaft in Österreich“ 82, „Die Wiener Gesell­ schaft zu Anfang des Jahrhunderts“31 3S, „Die k. u. k. Vergangen­ 34 33 32 heit“ 34 und das „Groß- und Kleinbürgertum“ 35 geäußert, alles The­ men, die, es wurde schon früher eingehend dargelegt, sein gesamtes Werk nachdrücklich bestimmen. Seine Stücke, vor allem die Lustspiele, tragen den Stempel einer vielhundertjährigen geistigen und weltlichen Ordnung, die im Jahre 1918 zusammenbrach, in ihren letzten Ausläufern aber noch weiter­ 31 Lernet-Holenia, zit. bei Schönwiese, Ernst, a. a. O., S. 8. 32 Lernet-Holenia: Adel und Gesellschaft in Österreich (= Der Monat, 9. Jg., H. 101), Berlin 1957, S. 33 ff. 33 Lernet-Holenia: Die Wiener Gesellschaft zu Anfang des Jahrhun­ derts (= DU, 22. Jg., H. 4), Zürich 1963, S. 63 f. 34 Lernet-Holenia: Die k. u. k. Vergangenheit (= Forum, 10. Jg., H. 109), Wien 1963, S. 31 ff. 35 Lernet-Holenia: Zwischen Groß- und Kleinbürgertum. Notizen zur österreichischen Soziologie (= Forum, 8. Jg., H. 96), Wien 1961, S. 448.

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wirkte und erst 1945 ihr endgültiges Ende fand. Sie spiegeln die durch den Weltkrieg und den Zerfall der Monarchie bedingte rasche Auf­ lösung von Adel und Gesellschaft und deren wirtschaftliche Unsicher­ heit wider, die sich in den Motiven, der Moral der Handlungen und in der Ethik der Personen der Stücke zeigt. Die alten kulturtragenden Schichten, Adel, Geistlichkeit und Großbürgertum, hatten im Krieg und in der Inflation ihr geistiges und materielles Vermögen fast zur Gänze eingebüßt und vermochten ihre Stellung in der neu sich bil­ denden Ordnung nicht mehr auszufüllen: drängte doch der junge, selbstbewußte Stand des Arbeiters kräftig empor und forderte laut sein Recht auf Mitbesitz der staatlichen und kulturellen Einrichtun­ gen. Dabei lag die staatliche Zukunft der neuen Ordnung völlig im Dunkeln.

Überblickt man die Dramenliteratur des 20. Jahrhunderts, so er­ kennt man, daß Lernet-Holenias gesellschaftskritisches Werk quasi den Ausklang eines spezifischen Zuges der europäischen Dramatik, und zwar der Gesellschaftskritik und Gesellschaftssatire, bildet, deren Entwicklung, die parallel zu einem langsamen politisch-soziologischen Umwandlungsprozeß verläuft, in allen Ländern Europas um die Mitte des 19. Jahrhunderts erneut begann — Vorläufer waren im 17. Jahrhundert Molière und im 18. Jahrhundert Beaumarchais, Lenz u. a. — und die in den Jahren um und nach 1900 ihren Höhe­ punkt erreichte. Die österreichische dramatische Literatur besitzt zu jener Zeit auf diesem Gebiet in Schnitzler und Hermann Bahr ihre bedeutendsten Vertreter, zu denen sich teilweise auch Hofmannsthal gesellt. Zusammen mit Fritz von Herzmanovsky-Orlando und auch dem Ungarn Molnar ergibt sich ein Kreis von Dramatikern, die bei aller Verschiedenheit ein Thema zusammenführt: die Darstellung bzw. Kritik der untergehenden Monarchie und ihrer Gesellschaft, vor allem des Adels. Hierin trifft sich Lernet-Holenias dramatisches Werk im überwiegenden Maße mit den genannten Dichtern. Erlebte in Österreich besonders das gesellschaftskritische Volks­ stück, dessen bedeutendster Vertreter Johann Nestroy ist, eine hohe Blüte, und wirkte es weiter bis zu Ödön von Horvath hin, so entstand mit den oben genannten Dichtern eine Dramengattung, die als Salonund Gesellschaftskomödie bezeichnet wird und das gehobene Bürger­ tum sowie die Aristokratie zum Gegenstand hat. An die Grenze zweier Epochen stellt Lernet-Holenia, wie auch die fünf genannten Dichter, seine oft merkwürdig komplizierten Typen eines versun­ kenen Österreich. Die Schatten einer untergegangenen Welt vermen­ gen sich verwirrend mit den Gestalten einer neuen Zeit (vgl. „Der Schwierige“, „Glastüren“). 3

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In sarkastisch-bitterem, mitunter aber auch wehmutsvollem Ton urteilt Lernet-Holenia über die einst staatstragende Gesellschafts­ schicht der Monarchie: den Hof, den Adel, das höhere Militär, der es nicht gelungen bzw. die nicht willens gewesen war, sich den neuen Verhältnissen der Zeit, spätestens um die Jahrhundertwende, anzu­ passen: „Es gehörte, wenn auch nicht ausschließlich, so doch mit zum Wesen des Kaiserlichen und Königlichen in Österreich, daß es zu einer Zeit, wo es sich noch durchaus gegenwärtig gebärdete, eigentlich schon längst vorüber war. Die mit Titeln und Würden überladene Umgebung des Kaisers, die Beamten in den Ministerien, die Offiziere an der sogenannten Sirk-Ecke ..., all dies war, ohne es selber zu wissen, bereits vorbei. Dabei war jene Zeit im mindesten nicht so schön, so gefühlsbetont, so gemütlich, wie man, heutzutage, diejenigen glauben machen möchte, die sie nicht mehr miterlebt haben. Sie konnte vielmehr, gleichsam um ihre Überholtheit wettzumachen, äußerst ungemütlich werden, und am allerungemütlichsten war, ins­ besondere gegen seine eigene Familie, zuzeiten der alte Kaiser. Um­ sonst, schließlich, hat sich ja der Kronprinz, der die Zeichen der Zeit erkannte, nicht erschossen. Denn Österreich war unter dem Hause Lothringen gleichsam bloß noch das Satyrspiel nach der habsburgi­ schen Tragödie des Vertuns einer Welt; und daß Österreich, und in Österreich insonderheit Wien und Ischl, die Operette hervorgebracht hat, kennzeichnet die Lage, die schließlich nur mehr hoffnungslos aber heiter' war.“ 30 Nach der großen Abrechnung des Hauses Habsburg mit den aristokratischen Frondeuren nach der Schlacht am Weißen Berg (1620), die England bereits in den Rosenkriegen (1459—1485) be­ sorgt hatte, war die stark dezimierte Herrenklasse mit italienischen und spanischen Geschlechtern sowie mit frisch nobilitierten Militärs und Ministerialen wieder aufgefüllt worden, allerdings um sich nie wieder zu erheben. In einem jahrhundertelangen Prozeß entwickelte sich diese neugebildete Schicht langsam zu einer Kaste bedeutungs­ loser Attrappen des kaiserlichen Hofes, zu einer wurmstichigen, in­ haltsleeren Gamaschen-, Beamten- und Lakaiengentry: „ ... Was sollten all diese mit Orden und Auszeichnungen bedeckten Greise, diese Geheimen Räte, die keinerlei Rat gewußt hätten, wenn man auf den Gedanken gekommen wäre, sie heimlich um einen solchen zu fragen, . . . was sollten all diese Generale der Kavallerie, deren stra­ tegischer Wert Null war... : Denn was sich in der Hofburg und in Schönbrunn, in Ischl und in Ofen breitmachte, war gleichsam nur38 38 Lernet-Holenia: Die k. u. k. Vergangenheit, a. a. O., S. 31.

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noch ein nicht mehr ganz geglücktes Abziehbild des Mittelalters, ... es war, ins Beamtliche und Hofstaatlidie übersetzt, der unge­ heuerliche Kitsch von Laxenburg, es war so recht die .finstere Neu­ zeit'.“ 3738Diese Kamarilla, die sozusagen die Rechtsnachfolge der „Spanischen Partei“ Karls VI. angetreten hatte, schirmte den Monarchen „vor dem Anhauche der Wirklichkeit“ ab und war aus­ schließlich mit sich allein und Problemen wie die „Vermittlung in betreff der Verleihung des Vlieses ..., gewisser Statthalterposten usw.“ beschäftigt, denn „wesentlich waren . . . bloß die Titel und die soziale Akkreditiertheit.“88 „Vergeblich rannten die aufgeweckte­ ren . . . Mitglieder des Herrscherhauses selbst, wie etwa die Erz­ herzoge Franz Ferdinand oder Johann Orth und Leopold Wölfling, gegen diese Zustände an: es nützte nichts, bis das Debakel ein end­ gültiges war.“ 39 Auch das hohe Militär und im besonderen der Offiziersstand der k. u. k. Armee, welche beide sich überwiegend aus Mitgliedern der Aristokratie rekrutierten, konnten ihrer Aufgabe nicht mehr gerecht werden: Denn „das österreichisch-ungarische Heer nämlich, das noch um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts für das glänzendste ge­ golten . . . hatte, war unter den Befehlen so mancher zu wenig oder kaum befähigter, entweder mit Titeln überladener oder aller Titel ermangelnder und daher serviler, nach oben katzbuckelnder und nach unten tretender Generale und Stabsoffiziere reichlich überständig ge­ worden, ja geradezu in einer Art von Zersetzung übergegangen... Zudem wimmelte die Armee auch noch von Söhnen aus den besten Familien, die aber meist nur deshalb dienten, weil sie auf der Schul­ bank versagt hatten . . . und . . . wurden schon in den ersten Kriegs­ wochen oft genug in ganzen Rudeln ,nervös' oder gar ,krank', und statt im Felde trieben sie sich dann bei den Ersatzkaders herum, wo sie das neu eingezogene Kanonenfutter mit besonderer Strenge ab­ richteten . . . Ach, keine menschliche Schwäche war diesen Aktiven, die aber eher als Passive zu bezeichnen waren, fremd ..." 40 Aus diesen Verhältnissen, aus dieser bereits kraftlosen, von Zer­ setzung und Fäulnis angenagten geistigen Situation heraus mußte die k. u. k. Monarchie und ihre Gesellschaftsordnung zugrunde gehen. Aus dieser geistigen Haltung resultiert aber auch die Einstellung jener 37 Ebenda, S. 32. 38 Lernet-Holenia: Die Wiener Gesellschaft zu Anfang des Jahrhun­ derts, a. a. O., S. 63. 39 Lernet-Holenia: Die k. u. k. Vergangenheit, a. a. O., S. 32. 40 Ebenda, S. 33.

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gesellschaftstragenden Schichten zu dem Zeitpunkt, als der Zusam­ menbruch erfolgte: „Man lebte schon restlos neben der wirklichen Welt her. Daher auch das Erstaunen, das Beleidigtsein, als die eigene, vollkommen unwirklich gewordene Welt zusammenbrach. Denn als die Federbüsche der Arcierenleibgarde, die Hellebarden der Burg­ gendarmen und die Kämmererschlüssel auf einmal nicht mehr un­ bedingt nötig waren, war es wie das Erwachen aus einem Traum.“ 41 Die Aristokratie, die noch das ganze 19. Jahrhundert hindurch für die Gesellschaft rein formal die Spitze gebildet hatte, führte ein der wahren Zeitsituation entfremdetes Leben: ein rein administratives, oder, viel häufiger, ein rein repräsentatives, ein Theater- und Schattendasein. Man konnte oder wollte die Probleme der Zeit nicht sehen und flüchtete in eine Scheinwelt. Naturgemäß ist die Situation des Adels nach dem Jahre 1918 Hauptgegenstand von Lernet-Holenias Dramatik. Und diese Situation ist denn auch, im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Staaten, eine besondere, wurde doch in Österreich neben den Privi­ legien auch der Adel selbst abgeschafft. War jedoch die österreichische Gesellschaft bei ihrem Zusammenprall mit den Härten des 20. Jahr­ hunderts von der Zeit völlig überrumpelt worden, so war es um so erstaunlicher, ja absonderlicher, daß in den Jahren nach dem totalen Zusammenbruch der Vergangenheit eben diese Gesellschaft „fröhliche Urständ’ zu feiern begann, als ob überhaupt nichts geschehen wäre“.42 Voller Ironie und Sarkasmus, ja voll Bitterkeit beleuchtet LernetHolenia dieses „Auferstehen“, das keineswegs einem Regenerieren vergleichbar ist: „Hierin, wie auf allen Gebieten, die praktisch be­ deutungslos geworden sind, ist Österreich voran, ja der rein gesell­ schaftliche Unfug des Landes rangiert — und das will viel heißen — fast noch vor dem englischen. Die italienische, die französische, die spanische Gesellschaft sind, aller Dolce Vita zum Trotz, unerschüt­ tert konservativ geblieben. Die österreichische und insbesondere die Wiener Gesellschaft aber, obwohl bei der Überalterung ihrer Mit­ glieder von einer Dolce Vita keine Rede mehr sein kann, macht, zu­ mindest auf ihre Art, sogar wieder Fortschritte; und zwar schreitet sie um so mehr vor, je weiter sie zurückschreitet.“ 43 In Österreich hatte sich trotz der gewaltigen Umwälzungen nach 1918 jedoch keine soziale Revolution vollzogen. Die wirtschaftliche 41 Lernet-Holenia: Die Wiener Gesellschaft zu Anfang des Jahrhun­ derts, a. a. O., S. 63 f. 42 Ebenda, S. 64. 43 Ebenda.

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Macht verblieb in den Händen des Großbürgertums. Lediglich der Adel hatte sein geistiges Rückgrat, seine Rechte und sein Vermögen verloren, mit Ausnahme der Großgrundbesitzer, wovon die meisten nun Angehörige der neugebildeten Staaten wurden. Ein Teil, vielleicht der entscheidende Teil, der Aristokratie wurde sich in der Zeit nach 1918 aber „aller Dinge eher als der kritischen Situation bewußt, in die sie durch den Zusammenbruch und die Inflation geraten war, und setzte sich zum großen Teil durch arge Fehler in noch größeren Mißkredit als durch den verlorenen Krieg, den ihr die Öffentlichkeit ohnedies schon zur Last legte, indem sie dadurch zugleich die wirklich Schuldigen, die Generale, zu entlasten, ja glorifizieren begann und ihnen allen notwendigen Kredit für den nächsten Krieg verschaffte. Jedenfalls brauchte damals, zum Bei­ spiel, nur eine nicht ganz einwandfreie Handelsgesellschaft gegründet zu werden — und es wurden fast ausschließlich nicht ganz einwand­ freie Gesellschaften gegründet —, so machte man einen Aristokraten zum Gesellschafter und benutzte ihn als Aushängeschild; und wenn das Unternehmen dann nach zwei, höchstens drei Jahren zugrunde ging, waren die übrigen Gesellschafter längst über alle Berge, und der engagierte Graf oder Prinz . . . blieb in der wirtschaftlichen Schande sitzen . . . Oder die Söhne aus gutem Hause taten über­ haupt nichts, sie liehen sich bloß Geld und vertaten’s in den Nacht­ lokalen . . . Aber das Verhängnisvolle an solchen Vorgängen war, daß dadurch diejenigen Mitglieder der guten oder ehemals gut gewesenen Gesellschaft, die trotzdem noch... als Staatsbeamte ar­ beiteten bzw. ihre Güter, oder was ihnen davon geblieben war, be­ wirtschafteten, in den Ruf der Lächerlichkeit gerieten.“ 44 Gerade diese Umstände, besser Zustände, veranlaßten LernetHolenia zu so manchem bitter-satirischen Stück, das dann ob seiner Kraßheit und einer gewissen Tendenz zur überspitzten und verall­ gemeinernden Zeichnung zu vielen Mißverständnissen und Anfein­ dungen Anlaß gab, obgleich aber die innere Wahrheit dieser Zustands­ schilderungen um nichts weniger wahr und richtig ist (vgl. „öster­ reichische Komödie“, „Glastüren“). Berücksichtigt man die Anteil­ nahme, die der Dichter an dieser Zeit und an den, den Adelsstand, dem er selbst zugehörig ist, betreffenden Ereignissen nahm und nimmt, so ist es nur zu verständlich, daß der Hauptanteil seiner Themenwahl in diese Richtung zielt und, seinem ironisierenden, zum Sarkasmus neigenden Wesen entsprechend, verarbeitet. LernetHolenia sah und sieht sich aus diesen Gründen oft mehr oder minder heftigen Angriffen ausgesetzt. Autobiographischen Charakter lassen 44 Lernet-Holenia: Adel und Gesellschaft in Österreich, a. a. O., S 37.

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daher folgende Sätze erkennen: „Ein echter Österreicher aber ist im Grunde keinesfalls auch das, was man einen guten Österreicher nennt — ja, je echter er ist, für einen um so schlechteren Österreicher halten ihn die andern Österreicher, und wenn er sie kritisiert, und das mit noch so vielem Recht, so gehen sie nicht etwa in sich, sondern sie sagen bloß, er beschmutze sein eigenes Nest. Denn kritisiert darf ja bei uns, im eigentlichen Lande der Kritik, nun einmal nicht werden, insbesondere aber dann nicht, wenn die Kritisierten um ihre nicht ganz offiziellen Vorteile bangen.“ 45

45 Lernet-Holenia: Zwischen Groß- und Kleinbürgertum. Notizen zur österr. Soziologie, a. a. O., S. 448.

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III. TEIL

Das dramatische Werk Lernet-Holenias

In diesem dritten Teil der Arbeit sollen nun die Stücke im ein­ zelnen besprochen und auf ihre dramaturgische Struktur hin unter­ sucht werden. Die Gliederung wurde dergestalt gewählt, daß den ersten Abschnitt (A) die Tragödien und Schauspiele bilden, den zweiten (B) die Lustspiele. Um einen sinnvollen Zusammenhang in der Darstellung ihrer Form und ihres Inhaltes zu gewährleisten, wurde in beiden auf eine ihrem Erscheinen nach chronologische Reihenfolge bei der Besprechung teilweise verzichtet und nur dort beachtet, wo dies möglich war. Im zweiten Abschnitt wurden die Stücke in einzelnen Kapiteln zusammengefaßt, und zwar im 1. Ka­ pitel jene, die, ihrem gemeinsamen Gehalt entsprechend, zusammen­ gehören („österreichische“ Komödien), und im 2. Kapitel der ver­ bliebene Rest von Komödien, die in keinen einheitlichen Rahmen passen (auch wenn manche ihrem Inhalt nach einander ähneln); der Vollständigkeit halber sollten jene Stücke, die einer Gemeinschafts­ arbeit mit anderen Autoren entsprungen sind (wobei der jeweilige Anteil Lernet-Holenias praktisch nicht gesichert werden kann) nicht unerwähnt bleiben: sie wurden im 3. Kapitel zusammengefaßt. Ein dritter Abschnitt (C) ist den Arbeiten für Film und Fernsehen (Drehbücher) gewidmet.

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A. Tragödien und Schauspiele

Dieser Abschnitt umfaßt dramatische Werke völlig verschieden­ artigen Genres: Er reicht von der wild-durchpulsten Tragödie („De­ metrius“, „Saul“) über philosophisch-existentialistische Szenen („Der Triumph des Todes“, „Lepanto“) bis zum politisch-mahnenden, histo­ risch verkleideten Zeitstück („Die Lützowschen Reiter“) und schließt die Darstellung irdischer und überirdischer reiner Liebe, ein Lieblings­ thema Lernet-Holenias, mit ein („Die nächtliche Hochzeit“, „Alkestis“). Schon Hofmannsthal „erwies“ ihm „die Ehre“, von der „Spann­ weite“ 1 seiner Begabung zu sprechen. Lernet-Holenia wählte zunächst Themen, die von der Gegenwart und dem Alltag weitab liegen; seine Herkunft als Lyriker dokumentiert sich hier in der Verwendung von Versstellen („Demetrius“, „Saul“, „Alkestis“, „Lepanto“)- Diese Dramen wenden sich nicht an das breite Publikum, sondern an eine kunstverständige Schicht, an Zuhörer, die sich der Mühe unterziehen, neben einer vollendeten Form noch den vollendeten Inhalt zu ge­ nießen. Zusammen mit der „Nächtlichen Hochzeit“ — und auch den ersten Komödien — versuchte sich der Dichter in den erstgenannten Dramen in Anlehnung an Hermann Bahr und Hofmannsthal in einer Art von „modernem Barockstil“ 12: einer barocken Mischung von heilig und profan, von jesuitischem Pathos und Sinn für mimisches Theaterspiel und Freude am Komödiantischen; wurde doch des Dichters Kulturund Lebensauffassung vom bodenständigen Barockgefühl geformt. Die Nebenbezeichnung „Haupt- und Staatsaktion“ für zwei der Dramen scheint diese Behauptung zu untermauern. Der äußere szeni1 Vgl. Brief Lernet-Holenias an H. A. Fieditner (= Hugo von Hof­ mannsthal. Die Gestalt des Dichters im Spiegel der Freunde; hrsg. von Helmut A. Fiechtner), Wien 1949, S. 357. 2 Nadler, Josef: Literaturgeschichte Österreichs, 2. erw. Aufl.; Salz­ burg 1951, S. 506.

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sehe Rahmen dieser Stücke, vor allem des „Demetrius“ und der „Alkestis“, unterstreicht die barocke „Welt“. Der historische Hintergrund des ersten Dramas, „D emetrius. Haupt- und Staatsaktion“ 3 (1925), kann als bekannt vorausgesetzt werden. Bereits Schiller und Hebbel hatten sich dieses Stoffes ange­ nommen. Lernet-Holenias Gestaltung unterscheidet sich jedoch grund­ sätzlich von beiden: Schiller und Hebbel lassen von Anfang an den Zuschauer nicht im Zweifel, ob der Thronanwärter der echte De­ metrius ist oder nicht (bei Schiller: durch unmißverständliche Andeu­ tung in der Szene zwischen Marina und Odowalsky im 1. Akt; bei Hebbel: im Vorspiel durch den Mund des Kardinallegaten), während Demetrius selbst erst auf dem Höhepunkt des Dramas durch einen deus ex machina seiner Unechtheit überführt wird. Die Beantwortung der historischen Frage, ob echt oder falsch, wird hier als geklärt vor­ weggenommen. Für den Zuschauer ist Demetrius daher von vorn­ herein ein falscher Demetrius, während er selbst bis zur Aufklärung ein ahnungsloser Tor ist. Beide, Schiller und Hebbel, interessieren sich zudem für den Moment, da aus dem Betrogenen ein Betrüger wird, also für die Szene, in der Demetrius den Glauben an sich und an die Echtheit seiner Herkunft verliert. Ob er ein unterschobenes Kind (Schiller) oder ein Bastardsohn Iwans des Schrecklichen (Hebbel) ist, bedeutet im Grunde keinen Unterschied. Wesentlich ist nur, daß bei beiden ein unbefangener, an sich schuldloser Erbe plötzlich seinen Anspruch verliert und Schuld auf sich lädt. Bei Lernet-Holenia hingegen ist Demetrius von Anfang an ein an der Echtheit seiner Identität und damit an der Rechtmäßigkeit seiner Thronansprüche zweifelnder Mensch. Und der Zuschauer wird, im Gegensatz zu Schiller und Hebbel, bei ihm durch Demetrius selbst davon in Kenntnis gesetzt. Lernet-Holenia beläßt jedoch dabei die Frage nach der Herkunft des Demetrius in ihrer ganzen Undurch­ sichtigkeit. Deshalb hüllt er wiederum die Szene der Bewußtseins­ erhellung in Schleier (im 3. Bild: die Szene Demetrius — Mutter). Denn Lernet-Holenias Zarenmutter ist eine vom Leid verwirrte Dul­ derin, dem Wahnsinn verfallen oder ihm zumindest nahe. Schon bei ihrem ersten Auftritt (1. Bild) irrt ihr Gefühl vom Knaben Demetrius zum Jesusknaben hinüber: „Ich bin es nicht mehr gewöhnt, die Liebe zu äußern, und ich bin der Umgebung entfremdet. ... Es ist mir nichts als Zeit gelassen worden, glauben zu sollen, daß mir mein Kind entrückt sei wie Jesus Christus“ (S. 23). Als sie Demetrius als Sohn anerkennen soll, so tut sie dies. Doch die Stimme des Herzens * Siehe Kritiken Verzeichnis: K 1—7.

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und des Blutes bleibt stumm: „Er war mir fortgerissen, als risse man mein Herz aus, ich habe ohne Herz gelebt all die Jahre, wie soll ich es wiederfinden?“ Und: „ Er kann es vielleicht sein, der Mensch, ausgekrochen aus demselben Kind, was aber ist ausgekrochen aus meinem Herzen, daß ich ihn nicht erkenn’?“ (S. 45). Am Ende dieser Szene ruft sie Demetrius das ersehnte Wort „Sohn!“ zu. So wird ihm äußerlich das Erlebnis erspart, das den Glauben eines Menschen in Schuld stürzt. Bei Lernet-Holenia sind daher die Akzente ganz anders gesetzt. Bei ihm gibt nicht die Entscheidung und Lösung der mehr den Histo­ riker interessierende Frage den Ausschlag für das Verhältnis der anderen handelnden Personen zu Demetrius, sondern umgekehrt: deren Stellung zu ihm ist es, ob Liebe, Haß, Mitleid oder vor allem politische Berechnung zum Antrieb ihres Handelns werden, eine Stellung, „die ihn für jeden einzelnen seiner Umgebung zu einem besonderen und unterschiedlichen Demetrius macht und ihm, sozu­ sagen unter dem bloßen Sammelnamen des Demetrius, eine Reihe von unzusammenhängend nebeneinander stehenden Einzelexistenzen gibt“ 45: als Zar, als Sohn, als Geliebter und als politische Schachfigur. Es handelt sich nun nicht mehr um die Entscheidung zwischen dem falschen und dem echten Demetrius, sondern zwischen „einem namen­ losen Menschen, der sich selber und seine Herkunft nicht kennt, und allen den verschiedenen Demetrius-Masken, die ihm von den andern angehängt werden.“ s Die Szene Demetrius — Xenia im 4. Bild verdeutlicht dies an­ schaulich (S. 55 f., gekürzt): DEMETRIUS: Du könntest mich lieben, wenn ich’s nicht wäre? XENIA: Wie kannst du etwas nicht sein, was du bist? DEMETRIUS: Ich bin verlogen, Xenia. XENIA: Ja, auch dann. Wie könnte ich etwas anderes sagen, wenn ich dich liebe? Du bist der Demetrius. DEMETRIUS: Nein, es ist nicht wahr. Es ist nicht wahr, daß du die Wahrheit sagst, und es ist nicht wahr, daß ich sie sage. Ich habe die Marina Mniszek, die jetzt meine Braut ist . . . überschlichen im Schlaf..., als ich keinen Namen hatte, ich wollte etwas sein. Sie mußten mich mit ihr verloben. Sie mußten etwas erfinden. Ich bin soviel Demetrius, als die Gedanken reichen im Gehirn eines Schweins von polnischen Wojwoden, der mich erfunden hat, erlogen eine Her­ kunft für den Kerl seiner Tochter. 4 Schaeder, Hans Heinrich: Alexander Lernet-Holenia (= Neue Schwei­ zer Rundschau, 20. Jg., 32./33. Bd.), Zürich 1927, S. 543. 5 Ebenda.

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Die Geschichte des Demetrius wird hier zur Geschichte eines Na­ menlosen, der es nicht aushält, namenlos und niemandes Sohn zu sein. Darum läßt er es zu, daß man ihm den Namen des Demetrius gibt, und kann nun nicht anders, als den dem Demetrius vorgezeich­ neten Weg gehen: nach Moskau, zum Zarenthron, zu seiner Mutter. In ihm erwächst eine „Wirklichkeitswelt als Muß des Innenlebens, als Kräftespiel moralischen Sollens und Wollens.“ * Am Ziel angelangt, steht Demetrius still, er ist mit seiner Kraft am Ende: „Das nimmt mir die Luft weg. . . . Jetzt bin ich, der ich bin, und ich bin nichts! . . . Was hast du mich hergeführt, Wischniowiezki, ich bin hier an den Enden der Welt...“ (S. 61). Er bricht unter der Last des Demetrius-Seins, das man auf ihn gelegt hat, zu­ sammen: „ ... Ihr habt den Sohn Iwan Grosnijs auf mich gelegt, der hängt mir auf den Schultern, ich kann ihn nicht mehr tragen, unter dem brech’ ich zusammen“ (S. 66). „Ihr habt mir die Haut eines Toten angezogen wie Kleider, die Krone aufgesetzt wie einen Schä­ del! .. . Ach, als ich nichts war, bin ich noch gewesen, jetzt bin ich nicht mehr als eine Leiche, die herumgeht, ihr habt mich ermordet“ (S. 67). Und etwas später: „ ... Ich kam wie der Wind, der nur Wind ist, wenn er weht, jetzt bin ich stehende Luft, das ist nichts mehr..." (S. 67). In seiner höchsten Bedrängnis und seelischen Not sammelt er noch einmal alles, was in ihm an Willen und Macht ist, um zu sein, woran er immer gezweifelt hat: „Ich bin Demetrius, Sohn Iwans, ich, jetzt, jetzt, jetzt, wenn ich es nie wär’ gewesen!“ (S. 74). Lernet-Holenia nimmt hier ein Thema Pirandellos auf, das er dann später auch in seiner ersten Komödie („Ollapotrida“) weiter­ verfolgte und mit dem er sich in einem Großteil seines Werks be­ schäftigt: das Thema von Schein und Sein. Beruft er sich erst bei „Ollapotrida“ ausdrücklich auf Pirandello67, so ist doch auch schon beim „Demetrius“ eine thematische Verwandtschaft deutlich erkenn­ bar. Der Mensch erscheint bei Pirandello in seiner „Unmöglichkeit, zu einer Übereinkunft darüber zu gelangen, was dieser oder jener Mensch ist, was ich selber bin.“ 8 „In jedem sitzt das nackte Nichts ..., 6 Kindermann, Heinz: Das literarische Antlitz der Gegenwart; Halle (Saale) 1930, S. 72. 7 Vgl. Lernet-Holenia: Bemerkungen zu „Ollapotrida“; anläßlich der Uraufführung der zweiaktigen Fassung (— Programmheft der Kammer­ spiele Berlin, 14. 12. 1926). 8 Melchinger, Siegfrid: Drama zwischen Shaw und Brecht; 4. Auflage, Bremen 1961, S. 344.

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keiner hat Substanz; keiner kann darum an sich oder einen anderen glauben; aber jeder will etwas scheinen, will ein Spiegelbild in sich und im anderen erzeugen, das nichts mit seiner Wirklichkeit... zu tun hat... ; alle sind Träume ihrer selbst... ; das Nichts des Wesens und das der Wesenlosigkeit gehen so ineinander, daß der Wahnsinn und das normale Leben bis zur Untrennbarkeit in eins gleiten ..." 9 Doch in diesen letzten entscheidenden Minuten wird Demetrius von seiner Mutter verleugnet, dreimal: „ ... Er ist nicht mein Sohn! Er ist nicht mein Sohn! Er ist nicht mein Sohn!“ (S. 75.) Es drängt sich einem unwillkürlich jene Szene im Neuen Testament auf, da Petrus Jesus dreimal verleugnete. Hier nun findet Demetrius zu seiner verlorenen inneren Freiheit. Aus den Zweifeln zwischen Ich und Nicht-Ich entrückt der Dichter den Demetrius ins Metaphysische und läßt ihn sich in den Wahnglau­ ben, Gottes Sohn zu sein, hineinretten: Der Demetrius zu sein in all seinen Formen für seine Umwelt, kann er nicht mehr ertragen; der wahre Demetrius, als den er sich nun erstmals fühlt, zu sein, wird ihm verwehrt — er entzieht sich, nachdem sich seiner Mutter Stimme „klagend wie die eines wilden Vogels“ (S. 75) verliert, allen Iden­ titätsformen mit den Worten: „So flattert es wie Flammen aus mir selbst, wenn ich kein Sohn mehr bin von irgendeiner, so bricht Ge­ walt aus meinem eigenen Haar, aus meinem Haupt, aus meinen Hän­ den bricht Gewalt zu sein, ein Feuer unauslöschlich, zu sein, Gewalt, unendlich, unzerstörbar, zu sein und unerhört und ungeheuer und einzig, auserlesen und erlaucht!“ Und auf die Frage: „Wer bist du?“ tönt es dann zurück: „Jesus! Jesus!“ (S. 75.) Diese Duplizierung von Nicht-Ich und Ich, in Frage gestelltem und fixiertem Ich, verdeutlicht und versinnbildlicht Lernet-Holenia mit der Szenenanweisung für das letzte Bild, in dem der Leichnam des Demetrius vor dem Volk ausgestellt ist: „ ... liegt auf einem der Tische, zugedeckt mit einer Maske...“ (S. 76.) In einem angehängten Schlußbild, das dem dunklen, hektisch-grau­ sigen Prolog mit Boris Godunow diametral gegenübergestellt er­ scheint, schlägt ein lyrischer, himmlischer Ton durch, den Xenia, die mißbrauchte, verjagte, magdalenengleiche, aber einzige lichtvolle und reine Gestalt in diesem Drama, anschlägt. Sie liebt Demetrius, sie weiß nichts und besitzt nichts als ihr Lieben-Müssen. Ungerührt von aller Qual, die auch der Geliebte ihr antut, sendet sie ihm, dem vor allem Volk verfluchten Toten, den letzten Gruß nach: „Kehr’ zurück, wo dich erwarten Klagende in Eichenhainen, deine Toten, und der • Fechter, Paul: Das europäische Drama, 3. Bd.; Mannheim 1958, S. 348.

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Duft deiner Gefahr. Von den Fürsten, von dem Feuer deiner Frauen, die du küßtest, hast du niemand, der noch um dich weint, als mich. Von dem Volk, das kniet, Triumphen, Kronen märchenhaften Glan­ zes, bleibt dir nichts als meine Liebe, o mein Herr Demetrius!“ (S. 79.) Inhalt (Personen: Boris Godunow, Zar bis zum 13. April 1605; Fedor Godunow, Zar bis zum 1. Juni 1605; Demetrius, Zar bis zum 27. Mai 1606; Wasil Schuiskij, Zar seit dem 27. Mai 1606; Maria Skuratowa; Xenia Go­ dunowa; Maria Nagaja, Zarin-Mutter und Witwe Iwans des Schrecklichen; Golitzin, Tatischtschew, Massalskij; Bogdan Bielskij, Mniszek, Marina Mniszek, Die Heilige; Bojaren, Wojwoden, Bediente, Volk u. v. a.): Das 1. Bild handelt am 13. April 1605 und zeigt das Sterben des Zaren Boris Godunow, gejagt vom Gespenst des wieder auferstandenen De­ metrius, Sohn Iwans des Schrecklichen, den er so gut beseitigt glaubte. Er ist umringt von einem in panischer Angst erzitternden Hof, der weiß, was ihm droht, wenn Demetrius, der, unterstützt von polnischen Wojwoden, mit einem Heer gegen Moskau zieht, siegt. Um die Wahrheit zu erfahren, scheut er auch vor der Folterung der für die Tötung des Kindes Verant­ wortlichen nicht zurück, ob diese auch tatsächlich damals seinen Befehl, die Ermordung, ausgeführt haben. In seiner Raserei verfällt er in Schwäche und stirbt. Boris Godunows Witwe proklamiert den Sohn Fedor zum Zaren und versucht, ihm und ihrer Sippschaft das Regiment zu sichern. Das 2. Bild, es spielt am 1. Juni 1605 am Roten Platz, ist ganz kurz und dient nur als Übergang zum dritten: die Ankunft des Demetrius und Inbesitznahme des Zarenthrones durch ihn wird vorbe­ reitet; das Volk wird von opportunistischen Höflingen gegen die Godu­ nows, gegen den neuen Zaren Fedor aufgewiegelt und für Demetrius ge­ wonnen. Zu Anfang des 3. Bildes (am 20. Juni 1605) planen mehrere dieser Bojaren, den Zaren Fedor Godunow und seine Familie zu ermorden, um sich bei Demetrius, der bereits in Moskau angelangt ist, einzuschmeicheln: Der Zar und seine Mutter werden getötet, seine Schwester, Xenia, wird verschont. Demetrius tritt auf. Er hat noch die Todesschreie der Godunows gehört, verlangt Aufklärung und läßt die Mörder töten. Nun folgt die große und entscheidende Begegnung mit Demetrius’ Mutter. In einer dramatischen Szene anerkennt sie ihn als ihren und ihres Gatten (Iwan) Sohn und damit als rechtmäßigen Thronprätendenten. Dann feiert De­ metrius Verlobung mit der Tochter eines polnischen Wojwoden, der ihn zusammen mit anderen polnischen Fürsten gegen die Godunows unter­ stützte. Das 4. Bild spielt am Abend des 3. November 1605. Demetrius hat Xenia, die Tochter Boris Godunows und Schwester seines Vorgängers Fedor, zu seiner Geliebten gemacht. Es kommt zu der schon eingangs zitier­ ten Szene zwischen Xenia und Demetrius, in der die immer latenten Zwei­ fel an der Echtheit des neuen Zaren zum Ausdruck kommen. Demetrius will von Xenia erfahren, was der Zarenhof darüber denkt. Er verdächtigt Wasil Schuiskij, ein Bojar und sein heimlicher Gegenspieler, diese Zweifel zu nähren: er läßt ihn foltern. In Demetrius setzt sich Unsicherheit über

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seine Herkunft wieder fest. Er jagt Xenia, obwohl sie ihn liebt, fort. Das 5. Bild, in der Nacht vom 26. auf den 27. Mai 1606, zeigt Demetrius und den Hof bei der Abendtafel. Einige Bojaren sind betrunken, und einer von ihnen, Golitzin, bezichtigt im Rausch Demetrius, ein Schwindler zu sein. Demetrius bricht in Raserei aus, seine unterdrückten Zweifel treiben ihn fast bis zum Wahnsinn, er glaubt sich von Feinden umgeben. Wasil Schuiskij beteuert seine Ergebenheit. Erschöpft muß Demetrius zu Bett gebracht werden. Die polnischen Wojwoden und die russischen Bojaren geraten in Streit. Schuiskij wiegelt das Volk gegen die Polen auf, indem er vorgibt, diese wollten den Zaren ermorden: Die Wojwoden und ihre Gefolgschaft fallen im Kampf. Schuiskij läßt die Maske nun fallen und beschuldigt Demetrius, ein Betrüger und Usurpator zu sein. Die Mutter widerruft ihre Erklärung, Demetrius sei ihr Sohn; er wird von Golitzin und Schuiskij ermordet. Das 6. und letzte Bild spielt am Morgen des darauffolgenden Tages, dem 27. Mai 1606, vor dem Palast im Kreml. Die Leiche des Demetrius liegt auf einem Tisch, umringt vom tosenden Volk; auf einer Galerie zeigt sich Wasil Schuiskij, der neue Zar, mit seinem Hof­ staat. Schuiskij rechtfertigt sich gegenüber dem Volk, indem er die Leiche des wahren Demetrius vorzeigt, die er damals, wie er beschwört, eigen­ händig begraben habe, als das Kind, siebenjährig, beseitigt wurde. De­ metrius läßt er verbrennen und seine Asche in alle Winde verstreuen. Xenia Godunowa gelobt dem Toten ewige Liebe.

Es stellt sich, nach Abschluß der Betrachtung vom Schicksalslauf des Demetrius, das Phänomen heraus, daß Demetrius eigentlich gar nicht der Held des Stückes ist und auch nicht der Träger der Hand­ lung. Zu Anfang beherrscht Boris Godunow die Szene. Und dann, als er endlich in die Handlung eingreift, stellt sich bald heraus, daß Demetrius vielmehr nur einer ist, mit dem die anderen im Stück, die wirklichen Gewalthaber, handfest handeln, wie in einem Hasardspiel auf Leben und Tod, in dem der Stärkste, Schuiskij, siegreich bleibt und sich selbst die Krone nimmt. Demetrius aber steht tatenlos in­ mitten des Geschehens, sich selbst problematisch, von Zweifeln ge­ plagt über seine Geburt und sein Recht, und am Problem des „Ich und des Nicht-Ich“ (S. 60) scheiternd. Hier an dieser Stelle soll abschließend noch einmal an die schon früher zitierte Erkenntnis Lernet-Holenias erinnert werden: „Will man die Identität eines Menschen nachweisen, so stürzt man ins Bodenlose.“

Diesen dramatischen Erstling kann man als eine Art von Sturm­ und Drang-Stück Lernet-Holenias bezeichnen. Was dennoch ver­ blüfft, ist die innere Spannkraft, die sichere und überaus bühnen­ wirksame Szenengestaltung und die lebensnahe Formung der Sprache. „Mit einem Satz sprang aus dem Wortgoldschmied des ,Kanzonnairc 38

der vollendete Tragiker heraus.“ 1011Den Untertitel „Haupt- und Staatsaktion“ scheint Lernet-Holenia in der Absicht gewählt zu haben, auch nur den Anschein zu vermeiden, als ein Autor eines Literaturdramas bezeichnet zu werden. Denn — dies wurde schon eingehend dargelegt — Theater auf die Bühne zu stellen ist die Absicht des Dichters, ist doch der „Demetrius“ ein richtiges Spektakel­ stück, in dem es wild zugeht, angefüllt — ähnlich Shakespeares Königsdramen — mit Mord, Blut und Totschlag. Der Ablauf der Handlung zeigt, wie überaus sicher Lernet-Holenia die unglaublich verwickelte Handlung auf wenige große Szenen und relativ wenige Hauptpersonen beschränkte. Das Drama ist nicht in Akte geteilt, sondern in sechs Bilder gegliedert. Fünf von den sechs Bildern, jedes zeitlich genau fixiert, spielen im Kreml, eines draußen auf dem Roten Platz, es findet also kein eigentlicher Wechsel des Schauplatzes statt. In der dramaturgischen Struktur des „Demetrius“ mit seinen sechs Bildern vermeint man eine Dramentechnik nicht unähnlich jener Büchners zu erkennen, der mit seinem „Woyzeck“ (uraufgeführt erst 1913) und dessen kurzen, fast filmisch abrollenden Szenen zu den Keimzellen des Expressionismus zählt. Lernet-Holenia bleibt jedoch bloß im Sprachlichen dem expressionistischen Stil verbunden. Im Dramenaufbau tendiert er mehr zu einer Form, die seinem Wesen wesentlich mehr entspricht: er versteht das Theater als dramatische Revue, als die „Revue seiner (des Theaters) Welt“, und diese sechs Bilder verdeutlichen sein Bestreben, den „theatralischen Anblick... einer Welt“ 11 in einer durch die dramatische Revue das Welttheater inhärierenden Form auf die Bühne zu stellen. Das erste Bild ist dem Drama quasi als ein Vorspiel vorangestellt, das einen in sich völlig geschlossenen Charakter zeigt. Es könnte unter dem Titel „Boris Godunows Tod“ ein selbständiges Eigenleben führen. (Das 1. Bild des „Demetrius“ wird aus diesem Grund ausführlicher als die anderen behandelt.) Schon hier kündigt sich an, daß die Form des Einakters, vom Dichter später zumeist bevorzugt, die ihm adäquateste Dramenform ist! Es ist eine wilde, fast atembeklemmende Eingangsszene, in der ein unaufhörliches Kommen und Gehen von Menschen ist, gehetzt von einem brutalen Herrscherwillen. Boris Godunow wird sterbend auf seinem Lager hin und her getragen. Er wandert mitsamt dem Bett durch den Raum. Sprachliches Bild 10 Bahr, Hermann, zit. bei Basil, Otto: Alexander Lernet-Holenia zum 50. Geburtstag; in: Neues Österreich, 26. 10. 1947, S. 3. 11 Lernet-Holenia: Theatralische Thesen, a. a. O., S. 259 f. (These 74 ff.).

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und szenischer Vorgang gehen zusammen, sind untrennbar miteinan­ der verbunden. Wie vollendet und in welcher Dichte dabei das Be­ mühen, Wort und Vorgang innigst zu binden, dem Dichter gelungen ist, sollen zwei Beispiele zeigen: Anfang des 1. Bildes (S. 9 ff.): (Szenenanweisung:) Großer dunkler Saal im Kreml. . ., Tribüne mit Bal­ dachin . . . Gewaltsamster Eintritt von rechts. Von dem vielen Licht, das sie (Diener) tragen, zeigen die riesigen Malereien an den Wänden sich flackernd bis oben hin. Das Bett wird hereingetragen, auf dem Boris Godunow, Zar, angekleidet liegt. Die Zarin Maria Skuratowa . . ., Wasil Schuiskij . . . (u. a.). MARIA SKURATOWA (dem Bett vorauf, an der Tür schon auf die Estrade zeigend): Hinauf das Bett dort! (Der Boris Godunow hat den Dimitrij Schuiskij an der Brust am Waffenrock und schleppt ihn neben dem Bett her.) BORIS GODUNOW: Bist du jetzt da, Schuiskij, bist du jetzt da? Kannst du jetzt rennen, Schuiskij? Vorwärts! Halt! (Sie stellen das Bett hin.) Angenagelt! Angenagelt wie du im Wald von Starodub . . . Weißt du, was er wäre, der Rastriga, wenn du ihn hättest noch einmal an­ gegriffen? Hin wäre er, der Schuft! Vorwärts! (Sie nehmen das Bett wieder auf.) Vorwärts! Schneller! Rennen! Rennen! Kannst du jetzt rennen, Schuiskij! Halt! (Er wälzt sich.) Es tut mir weh! Verfluchter Hund! (Er stößt ihn vor die Brust, der Schuiskij fällt nach hinten. Sie stellen das Bett hin. Sie schleppen noch immer Möbel herein . . . Sie zünden einige Kerzen an.) BORIS (schlägt die Augen auf): Auslöschen! (Sie löschen die Kerzen wie­ der aus . . .) Weiter! (Sie tragen das Bett auf die Tribüne. Hinter der zarischen Familie gehen Leute mit Stühlen.) MARIA: Hinstellen! (Sie stellen ihr und den Kindern die Stühle hin.) BORIS: Hinaus mit dem Dimitrij Schuiskij! (Kniefall des Dimitrij Schuiskij. Der Zar tritt nach ihm.) Hinaus! (Der Schuiskij läuft hinaus. Sie stel­ len sehr große Kerzen zu Häupten des Bettes.) MARIA: Weiter zurück! Es blendet. Schluß des 1. Bildes (S. 30 ff., gekürzt): BORIS (steht vom Bett auf, gestützt auf den Fedor und die Skuratowa ... Er trinkt, es benimmt ihm den Atem. Ihm treten die Augen aus dem Kopf, aus den Händen Fedors und der Skuratowa fällt er vornüber mitten auf den Tisch.) MARIA (aufkreischend): Ach! Ach! Ach! (Ungeheure Verwirrung... Ein Knäuel von Menschen . . . Aus dem Haufen, der sich oben um das Bett drängt, reißt die Skuratowa den Arzt heraus.) Mensch! Red’, Mensch! ARZT: (Den die Skuratowa hin und her zerrt): Ja, er ist tot und hin! MARIA: Wann? ARZT: Gleich in einer halben Stunde.

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MARIA (läßt ihn los. Er fällt hin. Sie steht einen Augenblick. Mit enormer Stimme.) Schließen die Türen! (Sie schlagen die Türen zu.) Wasil Schuiskij, treib die Bojaren dort hinein. Es sind noch in der Stadt. Abholen laß sie, bei deinem Leben, mit Reitern und ledigen Pferden, alle! (Es wird von außen an den Türen gerissen. Von innen stemmen sie sich sofort dagegen . . .) Hierbleiben die Hälfte! Halten die Türen! (Strelitzen stellen sich an alle Türen. Die Glocken des Kreml fangen zu läuten an.) Sie läuten. Aufhören lassen das Läuten! . . .

Das Sprachbild im 1. Bild ist das einer typisch expressionistischen Ausdruckswelt. Die Sätze sind kurz, oft nur einzelne, aneinander­ gereihte Worte. Es geht nicht um eine klingende, reiche Sprache, wie sie in den folgenden Bildern da und dort hervorbricht, sondern um letzten Ausdruck, um den Schrei des Gefühls und der Leidenschaft, um Ekstase und Dynamik. Deutlich sind hier die Strömungen der Entstehungszeit des „Deme­ trius“ (1924) zu erkennen. Denn dieser ist, im Gegensatz zu den späteren Werken, noch allzusehr in ihr verhaftet. Er ist noch vor den „Theatralischen Thesen“ (1926) geschrieben worden, in denen Lernet-Holenia sich auf die große Tradition des Theaters der Jesuiten beruft und den revolutionären Expressionismus scharf ablehnt. Der „Demetrius“ ist noch der letzten Phase der expressionistisdien Revo­ lution, die um 1922 begann, zuzurechnen, so daß Margret Dietrich von einer der „markantesten Leistungen des Expressionismus“ 12 und Otto Basil vom „stärksten Drama des Nachexpressionismus “ 13 neben Bronnens „Vatermord“ und Brechts „Baal“ sprechen können. Das Tier im Menschen, das Barbarische, das Wüste, Orgiastische und Brünstige, wie es von den Vertretern des Expressionismus als ein Ausdruck der Aggression, sowohl gegen den Naturalismus als auch gegen den Ästhe­ tizismus gerichtet, auf die Bühne gebracht wurde, findet in LernetHolenias Werk seinen Widerhall, der sich vor allem im Sprachlichen bemerkbar macht. Diese ekstatische, sich in Wort und Aktion als expressionistische Schreibühne dokumentierende Form beschränkt sich jedoch großteils auf das 1. Bild. Es zeigt sich bereits in den Szenenanweisungen, wie folgende, die hier geradezu angehäuft sind: Sie reißen an ihm herum (S. 12). Sie fahren nur so vom Bett weg (S. 12). Sie reißen die Türen auf (S. 13). 12 Dietrich, Margret: Dichtung aus Österreich, 1. Bd.: Drama; hrsg. v. H. Kindermann u. M. Dietrich, Wien — München 1966, S. 1193. 13 Basil, Otto: A. Lernet-Holenia zum 50. Geburtstag, a. a. O., S. 3. 4

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Er schreit ungeheuer laut und lang aushallend (S. 13). Brüllend (S. 16). Schreit gellend vor Lachen, daran schließt sich, durch die Wände dringend, ein ungeheurer Schrei (S. 27).

Und hier muß noch etwas eingeschoben werden. Nicht nur durch das Sujet (Mord, Blut und Totschlag in einem Königsdrama), son­ dern auch durch ein Zweites wird man bei der Lektüre des Dramas an Shakespeare erinnert: durch die Tatsache, daß einem das Lesen des Stückes aufs erste überaus schwer fällt (und das nicht nur wegen des verwickelten Inhalts). Denn auf den „Demetrius“ paßt, was Lernet-Holenia, in einem ganz anderen Zusammenhang und nicht auf sein eigenes dramatisches Werk bezogen, einmal erklärte: „Das gute Theaterstück zeichnet sich im allgemeinen dadurch aus, daß es beim Lesen, außer für den Eingeweihten, nicht annähernd den Ein­ druck der Aufführung vermittelt.“ 14*Dies ergebe sich daraus, daß er bewußt verzichte, einer jener „Theaterdichter“ zu sein, „die nie über einen gewissen literarischen Standpunkt hinauskommen“; freilich nicht in dem Sinn, daß er ein unkünstlerisches Theaterstück schreiben wollte, „sondern ein Stück, in dem das Künstlerische der bühnen­ mäßigen Wirkung angepaßt ist.“ 16 In den folgenden Bildern finden sich nur mehr vereinzelt solche die Szene erfüllende Anweisungen. Bleibt zwar die Aktion noch weiterhin überaus bewegt, ja manchmal gehetzt (im 5. Bild), und verleihen die Personen ihren Gefühlen im Schrei, in Ekstase Aus­ druck, so ist doch unverkennbar, daß das Tempo nachläßt, daß Pathos Platz greift und da und dort eine innere Ruhe sich ausbreitet. Lyrische Elemente im Sprachbild verdrängen, wie nach einer Über­ spannung des Gefühls, die ekstatische Dynamik und Explosivkraft des 1. Bildes. Es ist, wie wenn mit dem Erscheinen des Demetrius, trotz aller grellen Farben in seinen Szenen, eine gewisse „Ruhe“ Ein­ zug gehalten und das Furioso der Leidenschaften nachgelassen hätte: gleicht doch sein Auftritt im 3. Bild dem eines Boten einer höheren Welt, rein und gnadenspendend. Es ist, wie wenn in der Umgebung des Boris Godunow menschlichere Töne ausgeschlossen wären und diese erst den Szenen mit Demetrius vorbehalten blieben. Worte wie diese des Demetrius zu Xenia (3. Bild, S. 44) sind im 1. Bild nicht zu finden (von den bereits zitierten Schlußworten Xenias ganz zu schweigen): 14 Lernet-Holenia, in: Der Morgen, 31. 1. 1927, S. 6. 18 Ebenda.

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„Ich bin bei dir; wenn du weinst, spür’ ich an meinen Wangen deine Wimpern schlagen. Wenn du zitterst, spür’ ich es überall, als hättest du dein schönes Gesicht über dem ganzen Körper, wie von einem Engel bedeckt mit tausend Augen, deren Wimpern schlagen.“

Oder Demetrius zu seiner Mutter (3. Bild, S. 46): „Mutter, wenn sie einen martern, schreit er nach seiner Mutter. Wenn sie einem das Schwert über den Hals heben, schreit er nach seiner Mutter, die ist da, unsichtbar, aber sie ist da, maßlos vor Liebe. Sie binden ihm die Augen zu, und es ist nicht mehr das Tuch vor seinen Augen, sondern die Hände seiner Mutter, in denen sein Gesicht liegt. Und sie sagt: hab’ keine Angst, ich bin bei dir, ich deine Mutter...“

Aber auch hier ist die Sprache noch eine pralle, grobe, oft derbe; ist angefüllt mit Kraftausdrücken und zeigt manchmal eine Freude an animalisch erotischen Bildern: „Laß sie leben. Er (Demetrius) fliegt auf Weiber ... Er kann kalte Weiber nicht leiden“ (S. 38). „Werft das Aas ins Zimmer!“ (Gemeint sind die Leichen von Fedor und seiner Mutter, der Zarinwitwe) (S. 39). „Es beleidigt Uns, sie umbringen zu sollen, damit Wir sicher seien wie ein Vieh im Stall...“ (S. 41). „Es soll niemand hier herein. Die Bojaren sind immer hinter mir her wie hinter einer läufigen Hündin“ (S. 53). „Mich umarmt und mir ins Gesicht gespien den ganzen Unrat des verfluch­ ten Volks! Reißt ihr die Kleider ab, stellt sie nackt aus am Kreml“ (S. 58). ....... geworfen aus den Eingeweiden eines Schweins, menschliche Züge ge­ fangen unter dem Gesicht eines Viehs, eine Seele gefahren in die niederste Bestie ...“ (S. 60).

Dem Dialog fehlt — und dies ist ein Merkmal der gesamten Lernetschen Dramatik — alles Raisonnement. Die handelnden Personen reden, was sie aus ihrer innersten Leidenschaft heraus sind und tun; und sie tun denn auch, was sie reden! Im zweiten und im letzten Bild — nach dem Tod Boris’ und Demetrius’ — mündet der Dialog in eine fast stereotype Aufeinanderfolge von kurzen Sätzen, dem Glau­ bensbekenntnis oder Litaneien der katholischen Kirche bestechend ähnlich! Szene im 6. Bild (S. 77 f., gekürzt): SCHUISKIJ: Volk! Volk! Der hier liegt, war elf Monat’ falscher Zar in Rußland, ein Aas, gekrönt, ein Leichnam, der nie lebte . . . OTREPJEWS STIEFVATER: . . . der war Grischa Otrepjew, mein Stief­ sohn, um dessentwillen mein Weib verflucht sei, weil sie ihn trug, SCHUISKIJ: ... ein Zauberer, ein Mörder, betrunken von deinem Blut, Volk, 4*

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GOLITZIN: . . . der über dich die Polen ließ wie Wölfe in die Herde, MASSALSKIJ: . . . der deine Weiber schänden ließ von seinen Polen, TATISCHTSCHEW: . . . der die Polen toben ließ wie wilde Tiere, GOLITZIN: . . . dessen Verbrechen aufbrüllen zum Himmel, MASSALSKIJ: . . . der niedergefahren ist zur Hölle, ausgeliefert den Satanen, TATISCHTSCHEW: . . . den Gott verflucht hat, ausgelöscht auf immer und ewig, (Das Volk brüllt auf), SCHUISKIJ: . . . über den Uns Gott ließ siegen, in ungeheuerem Triumph, Wir, der erwählt sind, Wir, von Gottes Gnaden, gesalbt und aus­ erlesen, Wir, dein Zar, Volk, der dich liebt wie seinen Augapfel, GOLITZIN: . . . Wasil, dein Zar, Volk, der dich liebt wie seinen Aug­ apfel, MASSALSKIJ: . . . der dein Herr ist, Volk, weil er dich liebt wie seinen Augapfel, TATISCHTSCHEW: . . . der dir verzeiht, Volk, weil er dich liebt wie seinen Augapfel, GOLITZIN: . . . der dich errettet, Volk, weil er dich liebt wie seinen Augapfel, MASSALSKIJ: . . . den der Teufel Otrepjew maßlos martern ließ, Volk, weil er dich liebt wie seinen Augapfel, TATISCHTSCHEW: . . . der triumphiert, Volk, weil er dich liebt wie seinen Augapfel.

Die Szene schließt mit den Ausrufen des Volkes: „Wasil, Zar, Wasil, Zar!“, sie könnte aber ebensogut mit „Amen“ enden.

Daß der „Demetrius“ nur wenige Jahre nach dem Schicksalsjahr von 1918 sichtlich auch unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der meisten europäischen Monarchien geschrieben wurde, erkennt man in den Worten, die der Dichter dem auf dem Totenbett philosophie­ renden Boris Godunow in den Mund legt; hier äußern sich Gedan­ ken des Dichters über Monarchie und Königtum, deren Ende er selbst miterlebt hat: „Die Könige, die müßte man selten werden lassen. Es denkt einer so hin und es fällt ihm ein: ein König. Die Leute, die lieben sich untereinander, fallen in Ohnmacht, wenn man Hühner schlachtet, werden wahnsinnig, wenn ihnen ein Kind stirbt. Aber die Könige sind ihnen vogelfrei . . . Würfe man alle Könige, die sie in ihren Hirnen erschlagen haben, über­ einander, der Haufen täte bis zum Mond reichen . . . Die Leute kommen einem aus der Hand, ich kann sie nicht halten. Sie haben immer den Tod zu nah, . . .“ (S. 11). Und die Worte, die der Dichter der Heiligen in den Mund legt, sind mehr als nur die Prophezeiung vom Ende und Tod des Zaren: Es sind Worte, die voller Wehmut und zorniger Resignation vom

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Ende einer Epoche, eines Weltbildes ohne Wiederkehr künden, das im Jahre 1918 zerbrach: „Boris Godunow, Tartar, geh fort, du bist abgetan: es geht gegen das Ende. Es ist worden Abend, wie ein Knecht ist Gott fort, aufkündigend den Dienst dir, weggegangen mit der Sonne. Da gelten nicht mehr der Könige Leben, da sind ungegessen und ungetränkt die Könige, einen Tag und eine Nacht lang, ungekrönt im Wind, der tröstet ihr Haupt und Haar, und mit bloßen Fersen, ohne Sporen. Da sind sie wie Saul, kommend nach Endor ... zu den Sybillen, den Prophetinnen, da schreien sie wie Kinder, da wollen sie sehen: Rauch! . . . Jetzt bist du im Rauch, wie ein Toter, den wollen sie bestatten . . . Saul! Du bist Saul! Iß noch zu Abend, Saul, mor­ gen ist Schlacht auf den Höh’n, da stehst du, rauschend die Wagen und Reiter um dich, hinfliehende! Saul! Saul! Morgen bist du tot, Saul!“ (S. 28 f.).

In dieser Szene nahm Lernet-Holenia das Thema eines seiner näch­ sten Dramen vorweg: die Gestaltung des biblischen Stoffes von der Begegnung Sauls mit der Hexe von Endor. In der Figur der Heiligen leuchten erstmals die Konturen Samuels und der Zauberin auf, die dann im „Saul“ ihre eigenständige Gestaltung erfuhren. Doch vorerst wandte sich der Dichter nach Vollendung des „Deme­ trius" der Lustspieldramatik zu, wo er sich, eigener Aussage nach, wohler fühlt, — „Ollapotrida" und „österreichische Komödie“ waren denn auch die nächsten Stücke. Die Abkehr von der Tragödie ging so weit, daß er bereits 1927 erklärte, sein Jugendwerk („Deme­ trius“) nicht mehr vollständig vertreten zu können und es nur „mit gemischten Empfindungen“ 18 auf der Bühne sehen würde. Dennoch scheint das Tragische seinen Reiz für Lernet-Holenia nicht verloren zu haben, befaßte er sich doch nach den beiden Komö­ dien wieder mit ernsten Themen: zuerst mit einem mythischen Stoff („Alkestis“) und darauf mit der biblischen Gestalt des Saul. LernetHolenia unterscheidet sich grundsätzlich von den modernen Franzo­ sen und Amerikanern in der Verwertung eines biblischen oder antiken Themas in einer sprachlich unserer Zeit nahestehenden Form, indem er das Geschehen nicht in die Gegenwart stellte.

Mit der einaktigen Tragödie „Saul“11 (1927) kehrte LernetHolenia zu den Ursprüngen seiner Autorschaft zurück. Er transpo­ nierte hier, in moderne Diktion gekleidet, einen biblischen Stoff ins (deutsche) Mittelalter, so wie er schon in seinem Gedichtband „Kan-16 17 16 Lernet-Holenia, in: Der Tag, 28. 1. 1927. 17 Siehe Kritikenverzeichnis: K 8—12.

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zonnair“ biblische Gestalten in mittelalterlicher Tracht auftreten ließ. Er selbst bezeichnete diese Wendung fast entschuldigend als einen „Rückfall in meinen früheren Zustand“.18 Wie schon vorher ausgeführt, gedachte er bereits im „Demetrius“ (1. Bild) der Begegnung Sauls mit der Hexe von Endor, als die Hei­ lige, eine Gestalt, die bereits an die der Zauberin gemahnt, Boris Godunow in einem mörderischen Fluch den Tod Sauls prophezeit. Im „Saul“ nahm der Dichter den Vorwurf wieder auf und formte diese Szene zu einem einaktigen Stück. Es behandelt den bekannten Stoff aus dem Alten Testament von der Begegnung des ersten Königs Israels, Saul, mit der Hexe von Endor. Der „Saul“ scheint Lernet-Holenias bedeutendstes und tiefstes Drama zu sein und zudem das kennzeichnendste für den Menschen und Künstler Lernet-Holenia, der sich hier deutlicher als anderswo in seinem Werk als ein um letzte Erkenntnisse, als ein um Gott rin­ gender Dichter erweist. Quasi als Leitsatz könnte die bereits zitierte Briefstelle dienen: „Nicht die Taten werden vor Gott gewogen (was wären Taten vor ihm!), sondern das Sein oder Nichtsein eines We­ sens ...“ Denn Saul kommt zur Hexe von Endor nach einem Leben voll wilder Schlachten, seelisch und körperlich zerfressen, vom Unter­ gang gezeichnet, von Gott verlassen. Er glaubt nicht mehr an den ungetreuen, betrügerischen Gott, nur noch an die ihn umgebenden Kräfte und Dämonen —, und ringt sich trotzdem zu der Erkenntnis durch: „Es gibt nichts Dringlicheres als Gott!“ (S. 28.) Hier erweist sich Lernet-Holenia als ein Dramatiker, der die ewige Gültigkeit eines zeitlosen Themas bühnenwirksam und eindrucksvoll zu gestalten vermag, ein Thema, dessen Aktualität gerade in der heutigen, dem Irdischen oft allzusehr zugewandten Zeit brennender denn je ist. Lernet-Holenia fand den Vorwurf zum „Saul“ im 28. Kapitel des 1. Buches Samuel: Saul, König von Israel, führt Krieg gegen die Philister; die entscheidende Schlacht steht bevor. Saul fürchtet die Übermacht der Feinde. Er bittet Gott um Rat und Hilfe. Gott aber antwortet ihm weder durch Propheten noch durch Träume, denn Gott hat sich von ihm abgewandt, als er ungehorsam war. Daraufhin läßt der König nach einem Weib suchen, das die Toten beschwören kann: Er will Samuel, den verstorbenen Hohenpriester und Seher, der Saul zum König gesalbt hat, aus dem Totenreich heraufbeschwö­ ren lassen. Er sieht in ihm die letzte Möglichkeit für Hilfe, obwohl Samuel sich von Saul abgewandt hatte, weil Saul nicht mehr seinen 18 Lernet-Holenia: Autobiographisches; 23. 10. 1926, Nr. 790.

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in:

Frankfurter

Zeitung,

und damit Gottes Anordnungen Folge geleistet hatte. Saul aber hat zwar im ganzen Land alle Totenbeschwörerinnen und Wahrsager ausrotten und jedes Weissagen und Beschwören bei Androhung der Todesstrafe verbieten lassen, seine Knechte aber wissen dennoch von einem Weib, das der Totenbeschwörung fähig ist: sie lebt zu Endor. Samuel erscheint mit Hilfe des Weibes und sagt Saul seinen und seiner Söhne Tod und die Niederlage Israels gegen die Philister voraus, weil der König nicht auf die Stimme des Herrn gehört hat. Lernet-Holenia verlegte die Handlung ins Mittelalter oder viel­ mehr in die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg mit ihren Hexen­ verfolgungen und hielt sich ansonsten streng an den Bericht im Alten Testament: Inhalt (Personen: Samuel, Saul, der Marschall zur Rechten Sauls, der Marschall zur Linken Sauls; Jonathan, der Sohn Sauls; die Hexe, Bauern­ volk, Chor): Bauernvolk sitzt beim Abendessen in der Stube. Die Hexe benimmt sich sonderbar, sie verfällt in Angst vor einem kommenden Ereignis. Wie die wilde Jagd treten Saul und sein Gefolge in die Bauernstube ein. Saul gibt sich nicht als König zu erkennen. Er hat gehört, am Bauernhof solle ein Mädchen leben, das mit visionären Zauberkräften ausgestattet sei: es ist die Magd. Sie, die Hexe, beschwört, während sie in einen Trancezustand verfällt, Samuel aus dem Reich der Abgeschiedenen, und bei seinem Er­ scheinen erkennt sie Saul als den König. Wie im 1. Buch Samuel erfüllt sich Sauls Schicksal, es bleibt ihm nur noch ein karges Abendmahl vor seinem Tod in der Schlacht, wo er Selbstmord verübt.

Dieser Einakter schildert eindrucksvoll den tragischen Untergang eines Menschen, der seiner göttlichen Bestimmung untreu geworden ist. Hierin zeigt sich eine gewisse Verwandtschaft zum „Demetrius", wo der Titelheld als ein an seiner Rechtmäßigkeit Zweifelnder zu­ grunde geht; im „Saul“ stellt Lernet-Holenia das Gottsuchertum eines modernen Menschen in den Mittelpunkt. Das Stück beginnt mit einem wuchtigen, spannungsstarken Einsatz unmittelbar am Kern der Sache. Mit fast traumwandlerischer Sicher­ heit, die sich auskennt in den Geheimnissen wirkungsvollen Theaters und die sich schon im 1. Bild des „Demetrius“ angekündigt hatte, gestaltet Lernet-Holenia den Auftritt Sauls. Mit seinem Gefolge — er selbst einfach gekleidet, seine Begleiter, die beiden Marschälle und sein Sohn Jonathan aber in prachtvolle, mit Wappentieren ge­ schmückte Mäntel gehüllt — betritt Saul die ärmliche Bauernstube, hastig und polternd, mit viel Lärm und Getöse, so daß die Fenster klirren. Verschüchtert und verschreckt verharren der Bauer und seine Sippe. Dieses Bild muß dem Dichter schon früher plastisch vor Augen 47

gestanden sein, denn in seinem Gedicht von den Heiligen Drei Köni­ gen im „Kanzonnair“ läßt er diese in den niederen Flur des Wirts­ hauses zu Bethlehem treten und die Hausleute bloßfüßig aus der Schlafkammer herauskommen, um die Fremdlinge anzustarren, die wie deutsche mittelalterliche Fürsten mit „zwiegeteilten, wildleder­ besetzten Waffenröcken angetan“ sind. Ist zwar der biblische Stoff in einen mittelalterlichen Rahmen ge­ stellt, so erweist sich der Titelheld doch als lebendig und lebensnah gezeichnete Gestalt, die einem geradezu modern und dadurch schon fast wieder zeitlos erscheint. In seiner Hybris und in seinem Macht­ rausch wähnt er sich Gott gleich, ja er glaubt, seine Existenz daher leugnen zu können: „ . . . Aber wo ist Gott? . .. Beweisen Sie mir ihn doch, mein Herr! Haben Sie ihn jemals erblickt? Haben Sie ihn gehört, gefühlt, gespürt?“ (S. 24).

Den Einwurf, Gott merke man in seinem Wirken, tut Saul ge­ ringschätzig und überheblich ab: „ ...Wissen Sie, was das war, sein Wirken? Ich war sein Wirken! Die Größe Gottes, die Macht, das Reich, ich selbst bin das alles gewesen. Meine eigene Kraft ist von mir ausgegangen wie ein Feuer! Gott aber war immer nur eine Einbildung, ein bloßer Name, ein Wunsch, daß er sein möge! Das ist Gott: ein Hirngespinst, ein Nichts!“ (S. 25).

Lernet-Holenia gestaltet die Figur des Saul mit allem Verständnis und Einfühlungsvermögen in die Psyche eines Menschen, der seine letzte Stunde nahen fühlt und erkennt, geirrt zu haben und nun ver­ zweifelt versucht, zu Gott zurückzufinden. Denn im selben Atemzug, in dem er Gott leugnet, glaubt er an seine Existenz: „Es ist viel grauenhafter, wie er mich verlassen hat!“ (S. 25.) Wie kann Gott jemand verlassen, wenn es ihn, Gott, gar nicht geben soll! LernetHolenia zeichnet hier meisterhaft in wenigen Worten die psycho­ logische Situation eines Menschen, den seine Hybris an seiner Sendung scheitern läßt, der sich seine eigene, ihm genehme Lebensauffassung zurechtlegt, der dann in seiner Ausweglosigkeit wieder zu seinem besseren Ich findet und im Widerstreit zwischen Ansicht und Einsicht erkennen muß, daß es zu spät ist. Saul kämpft gegen die Erkenntnis an, gefehlt und gefrevelt zu haben, wie um sich selbst und seine Lebensphilosophie zu beweisen und zu bestätigen. Er versucht, sein aufkommendes besseres Ich zu verdrängen, wie wenn nicht wahr sein könnte, was nicht mehr wahr sein darf. In verzweifelter Ohn­ macht lehnt er sich gegen Gott auf. Aber sein äußeres Verhalten ent­ spricht nicht mehr dieser inneren Haltung. Sein Aufsuchen einer mit visionären Kräften begabten Person, die ihm zu Samuel und damit

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wieder zu Gott verhelfen soll, steht bereits in Widerspruch zu seinen Worten. Saul will zwar Gott ausweichen, indem er an überirdische Kräfte, an Götter zu glauben versucht: „Aber wenn es auch keinen Gott mehr gibt, so ist doch die Welt noch da, das Greifbare, der Boden, die Menschen, die Luft . . . Das ist da, das bewegt sich durcheinander.. ., das ist Gott, das sind Götter, leibhaftige, im Wetter, in der Sonne, im Schicksal, in der Nacht überall! Jedes Ding hat seine Kraft. ..“ (S. 26 f.).

Doch auf die Erwiderung: „Die Götter sind Gott, es ist... alles ein und dasselbe“ kann Saul nur noch verzweifelt ausrufen: „Alles? Dasselbe? Es gibt wohl keinen Ausweg aus Gott?“ Langsam und widerwillig, zuletzt aber sehnsüchtig, ringt er sich zu Gott durch: „Ich will Samuel haben. Er soll herauf ... Er hat mich zum König ge­ salbt, er hat mein Leben gemacht... Er soll mir prophezeien, was morgen sein wird ... Ich habe keine Kraft mehr. Ich bin auf etwas anderes an­ gewiesen . . ., auf etwas außer mir selbst — vielleicht also doch Gott. Ich muß mich wieder mit ihm versöhnen ... Vielleicht ist er hier ... Er soll antworten durch Samuel. Samuel, sagen die Leute, sei bei Gott. Ich komme von Gott nicht los!“ (S. 28).

So ist die Geisterbeschwörung im Grunde nichts anderes als der verzweifelte Versuch, sich durch Samuels Vermittlung Gott wieder zu nähern, ist die Sehnsucht nach der Zeit, als Gott durch Davids Saitenspiel zu ihm sprach. Als Samuel emporsteigt, hört Saul Musik und den Gesang eines Chores, und erinnert sich: „Das spielt! Das spielt und singt! Das spielt und singt wie David! Aber wo ist David jetzt? So spielte er, wenn ich traurig war, vor mir, so ging mein Herz bei seinem Spielen auf, wie mir das Herz jetzt schmilzt. Mein Herz war ganz aus Eis, das Feuchte meiner Augen war gefroren, doch wenn er spielte, schlug mein Herz wie eines Liebenden, meine Augen tauten in Tränen. So löst sich meines Herzens Härte jetzt und meiner Augen starres Schau’n . . .“ (S. 31).

Erschütterung erfaßt Saul bei den Gedanken der Erinnerung: „So spielte David einst vor mir . . . Wie lang habe ich Gott nicht mehr gehört! Jetzt sagt ein Irgendetwas mir, er sei es wieder . . . Wenn das Gott ist, soll es nicht stärker werden, gewaltiger nicht, ungeheurer nicht, schon die Erinnerung verstört mich ganz, ich war zu lange ohne Gott...“ (S. 32).

Aber der furchtbare Gott Israels kennt kein Erbarmen. Wie ein getretener Wurm kriecht Saul vor Samuels verdammenden Worten und nimmt am Schluß als erschütterndes Zerrbild einstiger Größe 49

stumpf und willenlos die aufgenötigte Speise. Die Erkenntnis, daß Gott ihn verlassen hat, weil er selbst Gott verließ, trifft einen Ge­ brochenen, der seine eigene Macht überschätzt hat. Die zweite Hauptfigur in diesem an Personen armen Drama ist die Hexe von Endor. Da Lernet-Holenia das Geschehen der Hand­ lung in das Mittelalter verlegte, machte er aus der biblischen Zauberin eine vom Geist besessene Bauernmagd, eine „Hexe“. Die seltsame Geisterbeschwörung wird dadurch zu einem höchst modernen Pro­ blem. Die Gabe des „Geistersehens“, ihre „Hexenkünste“, stellt der Dichter hier als die psychischen Erscheinungsformen eines den schwer­ sten Pubertätskrisen verfallenen Mädchens dar: „Jungfern werden oft so in der Zeit“ (S. 18). Diese plausible Ausdeutung wurde in der späteren Neufassung des „Saul“, in der „Hexe von Endor“ (1968), zu einer fast psychoanalytischen Studie ausgeweitet. Die schon bei der Besprechung des 1. Bildes des „Demetrius“ auf­ gestellte Behauptung, daß der Einakter für Lernet-Holenia die ad­ äquateste Form sei, sieht sich (wie schon in „Ollapotrida“) im „Saul“ bestätigt. Es ist eine seiner hervorstechendsten und bemerkenswer­ testen Fähigkeiten, einen komplizierten oder problematischen Stoff in wenigen, fast skizzenhaften Szenen souverän in den Griff zu bekom­ men und zu gestalten. Immer fällt auf, daß alle jene Stücke, die ein­ aktig konzipiert sind, gleich mitten in die Problemstellung führen, wo andere Dramatiker vielleicht mehrere Szenen oder gar Akte für die Exposition benötigen. Es sei hier daher gleich vorweggenommen, daß praktisch alle Einakter Lernet-Holenias viel geschlossener, ein­ heitlicher, komprimierter und daher eindrucksvoller sind als die übrigen Stücke, die manchmal zu zerdehnt wirken. Die Wirkung des „Saul“ wird dadurch erhöht, daß Lernet-Holenia, bedingt durch die einaktige Form, die Einheit des Ortes, der Hand­ lung und der Zeit einhalten konnte (dasselbe gilt für „Alkestis“ und „Die nächtliche Hochzeit“), so daß sie sich „an Wucht und Eindring­ lichkeit griechischer Tragödien vergleichen lassen“.19 Lernet-Holenia versteht es, in seinen Stücken vom ersten Augen­ blick an Spannung zu erzeugen; so auch im „Saul“. Auf höchst ein­ fache, aber um so bühnenwirksamere Weise läßt er gleich zu Beginn in der bäuerlichen Beschaulichkeit einer abendlichen Hausgemeinde eine unheimliche Stimmung aufkommen. Die Ankunft Sauls mit sei­ nem Gefolge kündigt sich in wirren Reden der Bauernmagd und mit allen akustischen Begleiterscheinungen einer „Wilden Jagd“ an. Das 19 zit. aus dem Vorwort zu Lernet-Holenias „Saul — Alkestis“, Pegasus Verlag, Zürich 1946; o. S.

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Folgende ist dann ein bis auf das Äußerste komprimierter Disput zwischen Saul und seinen beiden Marschällen, den der Dichter mit Hilfe einiger Anachronismen überaus geglückt dem Zuschauer näher­ zubringen versucht: Bauern, Marschälle, Heraldik, das Vaterunser, das Ave Maria. Diese höfisch-ritterliche Welt in einer alpenländischen Bauernstube ist daher keinesfalls „die dem Untergang geweihte Welt einer bestimmten adeligen Haltung“, in „tragischen Kontrast“ ge­ stellt „zu der dumpfbäuerlichen, aber stabilen Umwelt“ 20, sondern dies alles soll nach des Dichters eigener Aussage dazu beitragen, „Streitsachen mit dem Unbegreiflichen“ 21 anschaulicher zu machen. Durch diese Anachronismen gelingt es dem Dichter, die Distanz zu den Geschehnissen zu mildern, ohne daß sie an geistigen Gehalt einbüßen. Der Titelheld wird dadurch zu einer zeitlosen und doch menschlich lebendigen und lebensnahen Gestalt. Auch daß Jonathan, Sauls Sohn, mit der jungen Bauerndirne während ihres Trancezu­ standes flirtet, läßt nichts von der Tiefe von Sauls Auseinanderset­ zung mit Gott verlieren. Die beklemmende Stimmung wird durch die frisch-naiven Reden des Königssohnes bloß aufgelockert. Zu den dramaturgischen Besonderheiten im „Saul“ (ebenso in „Alkestis“ und „Lepanto“) gehört Lernet-Holenias Versuch, einen Chor, ähnlich jenem in der griechischen Tragödie, wieder einzufüh­ ren. 22 Der Dichter beabsichtigte jedoch nicht, diesen Versuch so weit auszudehnen und dem Chor dieselbe dramaturgische Funktion zu­ zuerkennen, wie er sie im griechischen Drama hat, nämlich eine Klammer- und Interpretationsfunktion, bedingt durch seine dauernde Anwesenheit. Vielmehr bereitet der Chor die entscheidende Begeg­ nung der Titelfigur mit ihren „Todesboten“ vor: im „Saul“ mit Samuel und in „Alkestis“ mit Apollon, so daß das Erscheinen des heraufbeschworenen Sehers nicht lächerlich wirkt und das Zwie­ gespräch mit ihm völlig frei von jedem Mystizismus bleibt und da­ durch zu großer Eindringlichkeit und Bühnenwirksamkeit führt. Die Worte des Chores lassen Saul sich endgültig aus seiner Verblendung lösen und seine Hybris erkennen, und um so erschütternder ist die Verdammung des Frevlers. Lernet-Holenia scheint seiner Absicht, mit Hilfe des Chores eine Katharsis zu erreichen, der Aristotelischen Forderung nach einer Läuterung des Publikums ähnlich, sehr nahe gerückt, auch wenn er dieses Ziel nicht programmatisch ausspricht, 20 Nagl— Zeidler—Castle, a. a. O., S. 1253. 21 Lernet-Holenia: Bemerkungen zu „Saul“ (= Die Theaterwelt, 4. Jg., H. 6), Düsseldorf 1928, S. 81 f. 22 Dieser Chor wurde erst im Jahre 1946 hinzugefügt, als die „Alkestis“ — ebenso wie „Saul“ — ihre endgültige Form erhielt.

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sondern bloß eher zurückhaltend erklärt: „Mich freut dieser ,Saul' wie eine private Träumerei... Man ist auch immer nur darauf an­ gewiesen, sich privat mit Gott auseinanderzusetzen.“ Aber die Mög­ lichkeit, dies nun „im Beisein von mehreren Hunderten von Leuten, durch Sauls Mund“ tun zu können, fasziniert ihn, wie „wenn man sich also irgendwie zum Redner der Konflikte ernannt fühlt, die alle Menschen mit Gott haben ..., zum Advokaten . . . seiner . . . Streit­ sachen mit dem Unbegreiflichen ..." 23 Die höfisch-ritterliche Welt und die bäuerliche Welt spiegeln sich auch in der Sprache wider. Lernet-Holenia läßt die Bauernsippe ganz so reden, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, ohne sich aber auf einen bestimmten Dialekt festzulegen. (Erst in der „Hexe von Endor“ siedelt er den Ort der Handlung und damit die Sprache in einem Gebirgstal Kärntens an.) Dabei verwendet er altertümliche Formen, die eine eigenartige Sprachmelodie erzeugen: „Seind Reiter...“, „Festhalten die Krämpfige!“ (S. 11); „Mal den Leibhaftigen nicht an die Wand’, du Hex’, wenn nicht haben willst, daß dir das Kreuz abschlag’!“; „Sie seind schon ganz in der Näh’ . .(S. 12).

Saul und sein Gefolge hingegen reden eine völlig unpathetische, moderne Sprache in strenger Form- und Wortschönheit, die in einem reizvollen Gegensatz zur bäuerlichen steht. Eine Bühnenmusik zum Einakter „Saul“ schrieb Kurt List, wie auch später zur „Hexe von Endor“.

Sauls Ringen um die Erkenntnis Gottes, seine Flucht zu den Künsten einer Hexe in der Stunde höchster Not und die Beschwörung Samuels weisen die Richtung „ins Modern-Psychologische, zum Teil ins Psychopathologische“ 24, wo Lernet-Holenia diesen biblischen Be­ richt ansiedelte. Die durch Hinzufügung eines zweiten Aktes erfolgte Umarbeitung und Neugestaltung des Dramas im Jahre 1968 zeigt die psychologische Komponente noch deutlicher und eindringlicher auf. Lernet-Holenia löst in dieser Neufassung: »Die Hexe von Endor“ (1968) die objektive Zeitvorstellung auf, indem er die Chronologie umkehrt: Den ersten Akt läßt er in der Gegenwart, den zweiten Akt aber im Mittelalter spielen, wobei dieses zweite Bild, von einigen unwesentlichen sprachlichen Veränderungen und Ergänzungen abgesehen, mit dem einaktigen Drama „Saul“ völlig identisch ist. Das Bemerkenswerte aber ist nicht so sehr die Umkeh23 Lernet-Holenia: Bemerkungen zu „Saul“, a. a. O., S. 81 f. 24 Dichtung aus Österreich, 1. Band: Drama, a. a. O., S. 78.

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rung der Chronologie, sondern daß Handlung und Text des ersten Aktes, wenn auch ins Moderne transponiert, im Grunde mit dem zweiten Akt, d. h. mit „Saul“ übereinstimmen. Außerdem agieren in beiden Akten dieselben Personen und nehmen, bloß unter einem anderen Namen, dieselben Rollen ein. Lediglich die Hexe und der Bauer und seine Sippe behalten ihre Bezeichnung. Der Chor wurde weggelassen. Audi der Ort der Handlung, eine Bauernstube in einem Gehöft, in der einsamen Gegend eines Kärntner Gebirgstales gelegen, ist derselbe. Inhalt des 1. Aktes (Personen: Ein Dorfgeistlicher [Samuel], der Dekan einer Medizinischen Fakultät [Saul], Gerichtsmediziner [Marschall zur Rechten Sauls], Gemeindearzt [Marschall zur Linken Sauls], Gendarm [Jonathan]; die übrigen Personen sind dieselben wie im „Saul“): Die Bauernfamilie sitzt mit der Hausgemeinde beim Abendbrot in der Stube. Die Hexe (Magd) benimmt sich sonderbar, sie verspürt das eigen­ artige Gefühl, etwas Schreckliches würde sich dem Haus nähern. Plötzlich öffnet sich die Tür, der Gendarm blickt herein und läßt drei Herren ein­ treten: den Dekan (er ist Psychiater), den Gerichtsmediziner und den Ge­ meindearzt. Es ist eine ärztliche Kommission, die beauftragt ist, die Hexe zu untersuchen und festzustellen, ob eine etwaige Psychiatrierung auf Grund ihres eigenartigen Verhaltens notwendig ist, da Klagen über sie laut geworden sind: benachbarte Bauern behaupten, sie würde Geister be­ schwören. Der Gemeindearzt gerät mit dem Gerichtsmediziner über Fragen des Okkultismus und die Möglichkeit von derlei Erscheinungen und über­ haupt über die Existenz von Gespenstern in Streit. Die Auseinandersetzung wird durch das Eintreten des Pfarrers unterbrochen. Er hat vom Auf­ tauchen der Kommission gehört und will nun verhindern, daß das sich seiner Meinung nach bloß in einer Pubertätskrise befindliche Mädchen — hierin stimmt er mit dem Gerichtsmediziner überein — durch eine zwangs­ weise Einweisung in eine Nervenheilanstalt seelisch vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht wird. In einem Streitgespräch mit der Kommission muß er aber das Eingeständnis machen, daß die katholische Kirche das Vorhandensein von Gespenstern an sich zugibt, und zwar auf Grund des 1. Buches Samuel, Kapitel 28. Der Pfarrer liest den daraufhin neugierig gewordenen Herren die betreffende Textstelle vor. Der Gerichtsmediziner bezeichnet die durch die Hexe angeblich verursachten Vorgänge als Massen­ hysterie und erklärt die Amtshandlung für beendet. Die Kommission tritt ab.

Das Drama „Die Hexe von Endor“ ist der geistreiche Versucht einer Gegenüberstellung von Rationalem (1. Akt) und Irrationalem (2. Akt). Die zentrale Frage des ersten Aktes ist die, ob Geister­ erscheinungen möglich sind bzw. ob die Hexe solche haben kann, eine Frage, die hier deutlicher als im „Saul“ in einen psychoanalyti­ schen Rahmen gestellt ist:

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„Jedenfalls ist anzunehmen, daß die obengenannten Phänomene mit ihrer Pubertät Zusammenhängen. Es werden dadurch telekinetische Kräfte frei...“ (S. 14).

Im Mittelpunkt des zweiten Aktes steht das Gottsuchertum Sauls. Die Amtshandlung der Kommission löst das plötzliche Auftauchen des Pfarrers (Samuels) aus, findet somit also im Gegensatz zur metaphysischen Akzentuierung der Beschwörung Samuels im zweiten Akt eine triviale Motivierung, die der rationalen Tendenz des ersten Aktes entspricht. Des Dekans (Sauls) Zusammentreffen mit dem Pfarrer (Samuel) wirkt rein zufällig, erhält aber durch die Parallele im zweiten Akt eine Doppelbödigkeit.

Rein äußerlich findet die Frage des ersten Aktes ihre Lösung in der Erklärung, es handle sich bloß um eine Massenhysterie, wenn der Gerichtsmediziner als überzeugter Skeptiker und Rationalist erklärt: „ ... ich weigere mich ganz einfach, die Vorgänge hier oben für etwas an­ deres zu halten als für eine ganz gewöhnliche Massenhysterie, ausgelöst allerdings durch die . . . ziemlich weit hinausgehenden Kräfte dieser Hystrix hier . . . Tote sind ganz einfach tot, sie sind für das Leben er­ ledigt, sie können weder von selbst in das Leben zurück, noch von jemand anders in dasselbe zurückzitiert werden, auch nicht ... als bloße Seelen, denn auch ob es die Seele überhaupt gibt, ist mehr als fraglich, wenngleich sich ganze Wissenschaften ... mit ihr befassen wie die ungeheuren Organi­ sationen der Kirchen mit einem Gott, von dem man gleichfalls nicht weiß, ob er existiert oder nicht . . .“ (S. 50 f.).

Aber trotz dieses rationalen Schlusses des ersten Aktes klingen die Worte des Dekans (Sauls) nach, die gleich zu Beginn fallen und Schlüsselworte des Stückes sind: „Meine Herren Kollegen, ich bitte Sie zu bedenken, daß es, wenn jemand wie immer geartete Geistererscheinungen gehabt haben will, nicht der Realität dieser Erscheinungen, sondern bloß des Glaubens bedarf, daß solche Erscheinungen möglich sind. Denn wenn man an Erscheinungen glaubt, so hat man sie auch ...“ (S. 21). Und ein wenig später: „Es gibt aber trotzdem nichts Verfehlteres, als gewisse Dinge bloß deshalb für unmöglich zu halten, weil man nicht weiß, wie es sich mit ihnen tat­ sächlich verhält . . . Damit meine ich, daß wir nichts nur deshalb ab­ streiten dürfen, weil es uns unbekannt ist“ (S. 23).

Diese Worte können als Leitsätze für den zweiten Akt („Saul“) gelten, wo die parapsychotischen Zustände in den Bereich des Irratio­ nalen, des Glaubens, führen. 54

Voller Absicht stellte der Dichter seinem „Saul“ einen in der Ge­ genwart spielenden, von Ratio und Vernunft erfüllten neuen Akt voran, um, als Kontrapunkt sozusagen, mit Hilfe des zweiten, in die Vergangenheit, ins noch „unverbildete “ Mittelalter führenden Aktes vor den Augen des Zuschauers, eirjer Vision gleich, das Bild eines um letzte Fragen ringenden Menschen erstehen zu lassen. In diesem Drama wird eindringlich vor Augen geführt, daß irrationale Phänomene nicht mit Hilfe des Verstandes erklärt werden können und die Frage nach der Existenz Gottes nicht rational zu beantworten ist, sondern dem Glauben überlassen werden muß.

Es entspricht Lernet-Holenias Freude an Ironie, wenn er hier (im 1. Akt) ironische Sentenzen einstreut: „ ... ja ich finde, daß dieses unser Jahrhundert sogar eine ganz erstaun­ liche Ähnlichkeit mit gewissen Epochen des Mittelalters hat, das man als so dunkel zu bezeichnen pflegt. . (S. 25).

Oder: „ ... da ja das Psychiatrieren eigentlich nichts weiter ist als eine moderne Form der Teufelsaustreibung ...“ (S. 29).

Diese Eigenschaft verführt den von der mütterlichen Seite her mit Kärnten verbundenen Dichter auch manchmal zu kleinen Bosheiten: „ ... Das scheint überhaupt ein Land zu sein, wo die Überspannten zu Haus sind.“ „ ... so viel ich weiß, sind dort die Leute zwar recht begabt, aber faul. Das kommt wahrscheinlich vom windischen Einschlag“ (S. 14). Oder wenn Lernet-Holenia den Gerichtsmediziner dem Pfarrer ge­ genüber ein Mittel vorschlagen läßt, mit dem „auf dem Lande ju­ gendliche Hysterikerinnen zur Vernunft“ gebracht werden: „ ... statt die Psychiatrierung . . . von gerichtswegen vorschlage, soll sie mit einem Burschen auf den Heuboden gehen“ (S. 28).

In diesem überaus geistreichen, manchmal ironisch-sarkastischen Dialog über Okkultismus und die moderne Wissenschaft der Psych­ iatrie findet das (tiefere) Thema im zweiten Akt seine Überhöhung, im ersten aber mündet es — als die Kommission resignierend ab­ tritt — in das Motto typisch österreichischer Mentalität: „Sagen wir halt, es war nichts!“ In seiner, im Jahre 1926 geschriebenen, einaktigen Tragödie „Alk e s ti s“ 25 griff Lernet-Holenia auf einen mythischen Stoff26 26 Siehe Kritikenverzeichnis: K 13—17.

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aus der griechischen Antike zurück, den schon vor ihm eine lange Reihe von Dramatikern bearbeitet hatte, von denen einer der letzten Hugo von Hofmannsthal war. Durch dessen Alkestis-Drama scheint Lernet-Holenia auf diesen Mythos entscheidend aufmerksam gemacht worden zu sein. Denn in einem Essay26 beschäftigte er sich eingehend mit dem dramatischen Werk Hofmannsthals, wobei die „Alkestis“ besondere Erwähnung fand. Lernet-Holenia versuchte sich jedoch nicht in einer Nachahmung Hofmannsthals, sondern schuf eine Neu­ dichtung, die sich in Stil und Auffassung von Hofmannsthal unter­ scheidet. Es sei daher an dieser Stelle ausdrücklich festgestellt, daß LernetHolenia sich keineswegs in der (bewußten) Nachfolge Hofmanns­ thals bewegt, sondern sich vielmehr sein Gesamtwerk unter anderem in einer geistigen Verwandtschaft zu ihm begreifen läßt. Lernet-Holenia beginnt zum Unterschied vom griechischen Mythos und anderer Bearbeitungen mit der Hochzeitsfeier Admets mit Al­ kestis. Das Mädchen (nicht die Gattin!) Alkestis ist bereit, für seinen Bräutigam Admet zu sterben. Das Drama endet unter Weglassung der Herakles-Handlung mit dem Tod der Alkestis ohne Andeutung einer Wiederkehr. Inhalt (Personen: Apollon, Admet, Alkestis, Pheres, die Königin-Mutter, Hochzeitsgäste [stumm], Mägde, Chor): Die Szene ist zu Pherai, in einem Saal des Königspalastes. Das Hochzeits­ mahl ist beendet. Pheres, der Vater Admets, ist bereits betrunken. Das Brautpaar ist im Begriff, sich zurückzuziehen. Es wird von den Hochzeits­ gästen ins Brautgemach geleitet. Doch verstört und entsetzt kommen Admet und Alkestis zurück: sie fanden Schlangen im Bett. Admet erkennt dies als ein Unglückszeichen der Göttin Artemis, der Heiligen von Pherai, der Pheres anläßlich der Hochzeit zu opfern vergessen hat. Darüber geratet Admet mit seinem Vater in Streit. Dieser findet abrupt sein Ende durch das Erscheinen Apollons. Der Gott überbringt Admet die Botschaft, daß er zur Sühne sterben muß. Er gerät außer sich und bettelt um sein Leben. Apollon ist nach längerem Zögern bereit, ihm das Leben zu schenken, wenn an Admets Statt ein anderer stirbt. Vergeblich versucht Admet in seiner Todesangst seine alten Eltern zu überreden, für ihn ihr Leben zu geben. Empört ob dieses Ansinnens bewerfen sie sich, voller Haßgefühle, gegen­ seitig mit moralischem Schmutz. Da erklärt sich Alkestis bereit, ihr Leben für das ihres Bräutigams zu opfern. Der Anblick Apollons hat sie verwirrt, sie fühlt sich zu ihm hingezogen. Gemeinsam mit dem Gott schreitet sie dem Licht, dem Himmel entgegen, vorbei an Admet, den sie nicht mehr erkennt, und läßt dann aber auch Apollon hinter sich zurück.26

26 Lernet-Holenia: Hofmannsthal. Die Komödien und Dramen; in: Neue Freie Presse, 7. 12. 1924, S. 31 ff.

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Es ist ein skizzenhaft anmutendes lyrisches Drama, dessen Titel­ heldin völlig passiv angelegt ist. Im Mittelpunkt steht nicht die Per­ son, sondern die Liebe der Alkestis: ihre Liebe zu Admet, die ver­ drängt wird durch die Liebe zu Apollon. Aber noch eine dritte Liebe klingt an: jene Apollons zu Admet, die den Gott überkam zu der Zeit, als er auf Geheiß des Zeus die Herden des Königssohnes hüten mußte. Mit der psychologischen Situation und Problematik des Stückes setzte sich Lernet-Holenia sehr eingehend auseinander: „Das Thema hat innerlich mehr Möglichkeiten, als man ohne weiteres zu über­ blicken vermag. Hier ist alles vereinigt: dieser Admetos, der der Geliebte Apollons war, zur Rinderhirtenzeit des Gottes. Der Gott überhaupt, wie er dasteht, ausbrechend aus sich selbst wie Feuer vor Gottheit, menschlich gestaltet.... Wir denken, daß, wer den Mut hätte, seinen Anblick zu ertragen, sich an der Liebe zu seiner puren Schönheit entzünden müßte wie Stroh an einem Brand. Denn dies ist offenbar Apollon: der Schönste, dessen wir uns zu erinnern vermögen, ins Maßlose gesteigert. Es ist klar, daß man einen Gott nicht fürchten, sondern nur lieben kann. Er aber, Überbringer des Todes, sagt die Botschaft dem Geliebten mitten im Hochzeitsmahl. Welche Hand­ lung muß in ihm selbst vorangegangen sein, ehe er sich entschloß. Und da sagt er: es könne ein andrer sein, der für Admetos stürbe. Es ist nicht ohne weiteres einzusehen, warum nicht alle, die da waren, sich gedrängt hätten, zu sterben, nur um mit dem Gott zu gehen. Aber es war nur eine: Alkestis, noch Braut, vor der Liebe stehend wie vor dem Tod. Es ist denkbar, daß ihr Entschluß nichts anderes gewesen sein könnte, als Untreue. Daß sie der Gott und die Liebe bewog, den Admetos: nicht zu retten, vielmehr: ihn aufzugeben. Daß sie sich dem Gott zuwandte, unbekümmert um das Sterben. Denn Liebe ist stärker als der Tod. Aber da sagt der Gott: nicht jetzt, später! Warum wies er sie fort, schob alles auf? Das ist die eigentliche Hand­ lung ..." 27 Was hier Lernet-Holenia im Jahre 1924, noch auf die Hofmannsthalsche „Alkestis“ bezogen, theoretisierend reflektierte, versuchte er dann zwei Jahre später selbst dramatisch zu gestalten. Er deutete das Erhabene und Hohe der Problemstellung ins Skeptische, ohne daß dabei der Ernst verloren geht. Indem Lernet-Holenia scheinbar seine Heldin ihr Leben für den Bräutigam opfern läßt, bloß weil ihr Apollon gefallen hat und sie mit ihrem Tod den Gott an Stelle des Admet, scheinbar, gewinnt, betont er die Unsicherheit aller morali27 Lernet-Holenia: Hofmannsthal. Die Komödien und Dramen, a. a. O., S. 31 f. 5

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sehen Bewertung; er läßt durchblicken, daß kein Opfer, das man für andere bringt, auch völlig selbstlos ist. Als Alkestis in den Armen ihres Todesboten Apollon liegt, hat sie den Grund ihrer Selbstaufgabe schon vergessen: „Da kniet ein fremder Mann in diesem Finstern vor mir. Ich kenn’ ihn nicht, ich hab’ ihn nie gesehn. Sag ihm, er soll mir aus dem Weg!“ (S. 71). Lernet-Holenia zeichnet die Figur der Alkestis mehrschichtig. Vor dem Erscheinen Apollons ist sie noch ganz das junge, verliebte Mäd­ chen, in freudiger Erwartung der Brautnacht, Admet voll zärtlicher Liebe zugetan. Doch noch bleibt sie im Geschehen absolut im Hinter­ grund: Pheres und Admet beherrschen die Szene. Erst nach der ent­ scheidenden Begegnung Admets mit Apollon rückt sie in den Mittel­ punkt, aber nun ist sie wie verwandelt: entrückt, fast wie in Trance gefallen, steht sie da und gibt ihre Bereitschaft, für Admet zu sterben, kund. Sie ist nun nicht mehr jenes scheue, passive, zurückhaltende Mädchen, sondern völlig verändert. Von der Schönheit Apollons verwirrt, fühlt sie sich nur noch zu ihm hingezogen: „ ... Lehn ich an dir? Lieg’ ich mit meinem Haupt wirklich an deinem Herzen? Bist das du, Apollon? Ein Duft geht über mich wie aus dem Himmel, es bricht ein Glanz aus deiner Oberfläche wie aus diamantnem Fleisch. Was ist denn jetzt mit mir? Was treibt mich hin, ein Mädchen, zu dir hin?“ (S. 59).

Alkestis ahnt, daß diese neue Gefühl der Liebe der Tod ist: „Bist du bei mir? Ist das nichts anderes, der Tod, als daß, wenn eine einen liebhat, sie durch den Tod gehn muß? Ist denn das Tod, was ungeheuer quillt in mir? Für wen? Auf wen zu? Mir entgegen fällt ein Glanz, mein Alles geht verloren in dem Licht, ein Ungeheures, verwirrt mich so. Wie kann ein Mädchen das ertragen? Gott, Gott!“ (S. 59). Als aber die Erscheinung Apollons vorüber ist, löst sich auch der tranceartige Zustand von Alkestis. Entsetzt erkennt sie wieder die Wirklichkeit: „Apollon, wo bist du? Gott, mein Gott, was habe ich getan!“ (S. 60). Ihr Sinn schwankt zwischen Traum und Realität: „ . .. Ach! — Ja, ja! Ich habe es gesagt . . . Wo ist er jetzt? Wie hat er es dazu gebracht, daß ich . . . Reißt mich am Haar, beißt mich in die Hände! Ich träum’! Es kann nicht wahr sein, daß ich . . . Warum? Wozu? Wie habt ihr denn dabeistehn können und zugeben, daß ich’s tu’?“ (S. 62).

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Die Erinnerung an die Begegnung mit Apollon läßt ihr Gefühl schwanken zwischen Schuldgefühlen, Admet betrogen zu haben, und Entzücken darüber, in den Armen des Gottes gelegen zu sein; läßt sie schwanken zwischen der Überzeugung, alles weitere bloß für Admet zu tun: „Ich weiß nicht, wie ich es ertrüge, Admet, wär’s nicht für dich!“ (S. 63), und dem Gedanken, nicht anders zu können, als diesen Gott zu lieben. Jedoch Apollon ist nicht wie Admet ein ihr bewußt gewordenes Objekt der Liebe. Alkestis fühlt bloß undeutlich, und doch intensiv, daß der Gott zum Mittelpunkt ihrer Liebe gewor­ den ist: „ ... Vielleicht war alles schlecht, was ich getan, und ganz umsonst. Viel­ leicht auch hab’ ich den Admet, trotz allem, nicht so geliebt, wie eine soll . . . Vielleicht war er nur da, damit ich liebhab’: ich weiß nicht wen. Was ist denn das: nicht liebhaben bloß, sondern: einen liebhaben? Kann es denn überhaupt sein, daß eine so liebt? Geht sie nicht bloß herum wie im Traum, es ist in ihr, und niemand weiß davon und auf wen es geht, und auch sie selbst nicht? Aber wenn sie dann einen Mann sieht, so glaubt sie: er ist’s, dem sie gut ist . . . So habe ich vielleicht auch diesen Gott lieb, der da war, und der wiederkommen wird ... Ist das so schlecht? Ich hab’ bloß lieb“ (S. 66).

Alkestis entsagt dem Leben, aber nicht um Admet einen letzten Liebesdienst zu erweisen: „ ... Denn wenn es schon nicht so sein soll, daß ich sterbe für den Ad­ met ... bleibt er ja doch gerettet, weil ich gehe. Es kann ja keine keinem etwas Gutes tun, sie tut’s ja nur für sich, sie weiß ja nichts von dem, für den sie’s tut“ (S, 67).

Sondern sie entsagt der irdischen Liebe, um dem Himmel zuzu­ streben: „Was ist das, was dort glänzt? Das ist ja heiliger als selbst dein Glanz! Ist das der Himmel?“ (S. 72).

Wie schrieb doch der Dichter? „Es ist denkbar, daß ihr Entschluß nichts anderes gewesen sein könnte, als Untreue. Daß sie der Gott und die Liebe bewog, den Admetos: nicht zu retten, vielmehr: ihn aufzugeben. Daß sie sich dem Gott zuwandte ...“ Damit, daß LernetHolenia die Titelheldin als eine von einer allumfassenden, reinen Liebe erfüllte, dem Göttlichen zustrebende Gestalt zeichnet, ihr aber unterschwellig solch einen selbstsüchtigen Beweggrund ihres Han­ delns unterschiebt — Alkestis tauscht den irdischen Admet gegen den göttlichen Apollon — scheint der Dichter die Möglichkeit der Existenz eines solchen absoluten, reinen Gefühls voller Skepsis zu beurteilen. 5«

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Doch läßt der Dichter nicht Alkestis selbst, sondern Pheres diesen Beweggrund aussprechen: „Ja, und hast mit ihm wollen! Vielleicht weil er so schön war, weil er dir in die Augen gestochen hat, weil du den Kopf verloren hast um seinet­ willen ..(S. 65).

Lernet-Holenias Idee einer möglichen Gestaltung des Alkestis-Stoffes ist hier verwirklicht: „Wir denken, daß, wer den Mut hätte, seinen Anblick zu ertragen, sich an der Liebe zu seiner puren Schönheit entzünden müßte wie Stroh an einem Brand.“ Der Dichter verweilt aber nicht in diesem Skeptizismus, der seiner Ironie entspringt: seine Alkestis verläßt auch Apollon, dessentwegen sie doch scheinbar Admet aufgegeben hat. Denn als Apollon nach der abgelaufenen Frist wieder erscheint, ist er nicht mehr der, eine betörende Wirkung auf eine Frau ausstrahlende, Gott, sondern bloß Bote, Todesengel, Thanatos, der Alkestis abholt. Ihre Liebe geht über Apollon, die Verkörperung absoluter männlicher Schönheit, hinaus, und wendet sich dem rein Transzendentalen zu. Sie läßt Apollon allein und geht dem süßen Nichts und der Auflösung in zielloser, bloß das eigene Dahinschwinden umfassender Liebe entgegen. „Da gibt noch jemand Antwort neben mir, ich weiß schon nicht mehr, wer da Antwort gibt, das ist, wie wenn ein Traum vergeht. Da war ein ungeheures Licht vor mir, war das der Himmel? Das lischt jetzt aus. Ich bin so müd’. Ich kann nun schlafen. Ich bin ja allein“ (S. 72 f.).

In „Alkestis“ ist ein Versuch Lernet-Holenias zu erblicken, „die Vergeistigung einer irdischen Liebe“ zu beschreiben, „die danach drängt, sich aller irdischen Begierden und sinnlichen Motive zu ent­ ledigen.“ 28 Der entscheidende Unterschied von Lernet-Holenias AlkestisGestaltung zum Mythos und zu Euripides ist der, daß seine Alkestis weder Frau noch Mutter ist, sondern ein jungfräuliches Geschöpf, das an der Glut ihrer Liebesbereitschaft dahinschmilzt und vergeht, aber nicht wegen der göttlichen, sie nur kurz fesselnden Schönheit Apol­ lons, sondern wegen der Ahnung, daß das Sterben sie zu neuem, stärkeren Leben führt. Der Chor nimmt sie, die Ahnung, einer in­ neren Stimme der Alkestis gleich, darüber reflektierend vorweg: 28 Jank, Elfriede: Alexander Lernet-Holenia (Dramen), Diss. Wien 1950, S. 9. 60

„................. du aber heil’ge das Heilige!... Weihe es durch Mitleid ... Du selbst nur vermagst es. Vergänglich ist, was von den Unvergänglichen, ewig, was von Vergänglichen kommt. Aus beiden Reichen bist du gefügt, aus beiden füge die Welt neu. Verwandle sie. Erbe der Toten ist nur, was du gefunden. Rühre es an, ruf es ins Leben zurück. Leiden besiegt das Leidlose, Liebe die Leiden. Göttliche haben, Menschen einst, sie schon verwandelt, die Welt. Wandle sie wieder! Geh selbst durch den Tod. Durch den Tod sind sie auch gegangen“ (S. 69).

Titelheldin und Drama gehen „über den Schmerz des Abschiedneh­ mens auf den jenseitigen Jubel Verwandelter hinaus“ 29, gemäß dem Wort des Dichters: „Tragödie ist vollkommene Verwandlung.“ 30

Hier ist das Thema von Liebe und Tod, dem Lernet-Holenia unter Rilkes bestimmendem Einfluß schon in seinem lyrischen Werk nach­ hing, in einen mythischen Stoff verarbeitet, der „den Bereich des Irdischen zum Transzendenten hin öffnen und den Menschen die Grenzlinie des Diesseits überschreiten“ 31 läßt. Es fällt dabei auf, daß diese Öffnung zum Transzendenten hier von eindeutig christlichen Elementen begleitet ist, die sich aus Lernet-Holenias Herkunft und Umwelt begreifen lassen. Bezeichnet er doch die antike Götterwelt als „Himmel“ (S. 68 ff.), läßt er Alkestis in ihrer seelischen Not nicht die Götter anrufen oder auch nur den eben wieder entschwun­ denen Gott Apollon, und auch nicht Zeus, sondern bloß „Gott“ allein (S. 59), und legt er seinem Pheres, als dieser von Alkestis spricht, das Wort „Engel“ in den Mund (S. 47), eine Bezeichnung, die die Antike nicht kannte. Diese äußerliche Verbindung des antiken Mythos mit christlichen Elementen findet ihre innere Ergänzung in der Verflech­ tung christlichen Gedankengutes mit der antiken Vorstellungsweise vom Göttlichen. Apollon strahlt enormes Licht und überirdischen Glanz aus, und manchmal möchte man bei allen sonstigen irdischen Zügen, mit denen er ausgestattet ist, meinen, in ihm Christus zu sehen, von dem die jungfräuliche Alkestis gebannt ist und sich zu ihm hingezogen fühlt. Aber ist Christus schließlich nicht auch Mensch 28 Lernet-Holenia: Theatralische Thesen, a. a. O., S. 257. (These Nr. 39). 30 Ebenda (These Nr. 36). 31 Dietrich, Margret: Das moderne Drama, a. a. O., S. 464.

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geworden? Und sollte es zu verwegen sein, hier, in der Jungfräulich­ keit und ihrer Verklärtheit, Anklänge, wenn auch verborgene, an katholisches Gedankengut erkennen zu wollen? Es ist bezeichnend, daß Alkestis die einzige Frauengestalt in Lernet-Holenias Gesamt­ werk ist, die der Dichter jungfräulich beläßt und ihr kein Vorleben anhaften läßt. Er legt Apollon Worte über sie in den Mund, wie sie auch für die Jungfrau Maria lauten könnten: „Ich seh’ auf eine, die mehr gilt auf jeder Waage als du, als der — und der —, als deine Eltern, als ihr da alle. Tritt von mir fort, da kommt jetzt eine her, eine sehr Reine, Einzige und Hohe...“ (S. 58).

Lernet-Holenias „Alkestis“ ist, neben seiner Lyrik, als der Beginn einer Auseinandersetzung mit dem Christentum zu verstehen, das er „als das Wesentliche und Ausschließliche“ 32 in der abendländischen Welt erkennt, eine Auseinandersetzung, die in die Frage nach der Existenz Gottes im „Saul“ mündet. Für ihn stellt sich „das Christ­ liche . . . nicht als bestimmtes, religiöses Gebiet, sondern in seiner riesigen Gültigkeit als äußerstes Ergebnis des Geistigen überhaupt“ dar. Dadurch, daß „jede Erhebung des Geistes auf nichts anderes als Transzendentalität“ hinausgeht, ergibt sich für Lernet-Holenia, „daß Dichtung, je größer sie wird, immer mehr dem Christlichen sich annähert, ja schließlich sich ausschließlich identifiziert und alle andern Zwecke, als, auf die ihr gemäße Art, auf Gott vorzudringen, aufgibt... und die Dichter selbst zum Christentum“ 38 hinführt. Und hier in der „Alkestis“ scheint ein Versuch des Dichters erkennbar zu werden, seine Ausdeutung des Christlichen „als nichts anderes als das schlechthin Transzendentale“ 34 gestaltet zu sehen. Die zweite Hauptfigur des Dramas ist Apollon. Auch er ist mehr­ schichtig gezeichnet: Einerseits bei seinem ersten Erscheinen ganz der unnahbare und unerbittliche Gott, zeigt er dann in der Auseinander­ setzung mit Admet irdische Züge, so wie die griechische Götterwelt sich uns in antiken Darstellungen überliefert hat, und ist in der Schlußszene, da er Alkestis abholt, wieder unendlich erhaben. Bei seiner ersten Begegnung mit Alkestis, als diese sich bereit erklärt, für 82 Lernet-Holenia: Dichtung und Christentum; in: Ostwart-Jahrbuch, Breslau 1926, S. 164. 88 Ebenda. 84 Ebenda.

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Admet zu sterben, ist es fast so, als „kokettiere“ er, die Gelegenheit zu einem Abenteuer wahrzunehmen, doch dann ist er wieder, wie wenn er sich inzwischen auf seinen Auftrag besonnen hätte, nur noch der Gott Apollon. In ihm leuchten antike und christliche Züge auf: das Unabwendbare und die Erlösung. Apollon, „ausbrechend aus sich selbst wie Feuer vor Gottheit, . . . Oberfläche wie Perlen glän­ zend um etwas Namenloses . . ., der Schönste, dessen wir uns zu er­ innern vermögen, ins Maßlose gesteigert“, dieser Apollon trägt Züge, die Lernet-Holenia schon in der kurz sichtbar werdenden und wieder verschwindenden Figur des Zarensohnes Fedor Godunow und dann vor allem in seinem Demetrius (wenn er den Kreml betritt und Xenia begrüßt) anklingen läßt, Züge der Lebenseinheit von leiblicher und seelischer Schönheit, von Frische und Erhabenheit, Züge, die von einer Einstimmigkeit des Geistigen mit dem Körperhaften, des Adels der Haltung mit der Lauterkeit des Herzens sprechen. Alkestis findet in der Gestalt des Apollon ihr männliches Pendant, das ihrer Todes­ bereitschaft und Ewigkeitsgewißheit gegenübersteht. Schwebte dem Dichter bei der Gestaltung dieses Gottes vielleicht eine griechische Plastik vor Augen? Denn in seiner Beschreibung der ehernen Figur eines Siegers in den Kampfspielen, einem Kunstwerk des Phidias, lautet es nämlich unter anderem: „ ... der ... auf einen zutritt, in der Frische . . . der Jugend ....... zugleich durch die sanfte Neigung seines siegbindenumwundenen Hauptes soviel von seiner Seele verrät . . . Von diesen beiden Direktionen nämlich ist die Figur beherrscht: von Wucht und Liebreiz, von Kraft und Trauer, von Feuer und Melancholie. Wie er schon hertritt, nackt und überall umweht vom Äther, weit um die Brust und mit spielenden Gelen­ ken..., fast körperlich grob..., mit leichtgehendem Atem! Es ist nichts davon zart, vielmehr geht alle Zartheit, das eigentlich Sieg­ hafte dieses Siegers, vom Seelischen aus ... Im Lebendigen war es wohl vereint, was hier, selbst in diesem Phidias, wieder getrennt ist: purer Körper und purer Geist.“ 85 86

Admet ist völlig in den Hintergrund gerückt. Als willensschwacher, lebenshungriger Feigling steht er vor uns da. Seinem Vater, Pheres, ist wesentlich mehr Spielraum zugewiesen. Mit Hilfe seiner Gestal­ tung gelingt es Lernet-Holenia, wie schon im „Saul“ (durch Anachro­ nismen), die Distanz zu den Ereignissen zu mildern, ohne die Ent­ wicklung zum Mysterium, zum Liebesopfer der Alkestis und zum Transzendenten hin zu beeinträchtigen. Die Szenen mit Pheres, hier 85 Lernet-Holenia: Pantarkes (= Die literarische Welt, 2. Jg., Nr. 16), Berlin 1926, S. 3.

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vor allem der burleske Anfang des Dramas — Pheres erweist sich bei der Hochzeitsfeier als rührseliger Trunkenbold —, und jene mit der Königinmutter — sie ist das Abbild einer bösen Schwieger­ mutter — zeugen, zusammen mit dem Augenblick, da Apollon mit dem Bogen auf Admet zielt und dieser um sein Leben rennt, als einzige von szenischer Bewegtheit: denn Lernet-Holenia „vertraut“ in seiner „Alkestis“ „den inneren Vorgang allein dem Wort an.“ 38 Von eigenartigem Reiz ist die sprachliche Gestaltung der „Al­ kestis“: Ungebundener Rede folgen in plötzlichen Übergängen Versstrophen. Offensichtlich wollte der Dichter die Szenen voll tiefen inneren Gehalts deutlich abgesetzt wissen gegenüber den burlesken und jenen, die vom Irdischen erfüllt sind. Die Szenenanweisungen unterstreichen diese Absicht, wenn er zum Beispiel einmal vorschreibt: „Die Sprechweise des Gottes ist unbeschreiblich, fast kindlich in ihrer Reinheit“ (S. 51), als nämlich Apollon Admet an ihr gemeinsames Liebeserlebnis erinnert (in gebundener Rede), dann aber dessen voller Todesangst angebotenen Vorschlag, wieder sein Lustknabe zu sein, mit völlig veränderter Stimme ausschlägt (ungebundene Rede). So­ mit erscheint die „Alkestis“ in einer Balance zwischen zwei Ton­ arten: den gehaltvollen und melodischen Worten Apollons bzw. der Alkestis und der derberen, einfachen Sprache der übrigen, vor allem des Pheres und der Königinmutter, Tonarten, zu denen sich, wie schon im „Saul“, ein Chor gesellt, voll dichterischer Wucht und Kraft, die an antiken Pathos griechischer Tragödien erinnern. Das Drama ist in einen pompösen äußeren Rahmen gestellt, der der inneren Hoheit entspricht: Der Palastsaal zu Pherai ersteht nicht in antikischer Strenge und Einfachheit vor unseren Augen, sondern mit aller barocken Farbenpracht und Sinnenlust. Die Wände sind mit Gobelins behängt, „auf denen Jagd- und Liebesszenen dargestellt sind, in Tönen von fraisefarbenem Fleisch und wolkigem Grün ... Mitten im Raum ist . . . eine Tafel aufgeschlagen ..., mit Geschirr und Glas wie in einem Wald von Zieraten, mit Silberschüsseln, hohen Obstaufsätzen und Trinkgefäßen aus geschnitztem Elfenbein, aus ge­ faßten Straußeneiern und aus durchscheinendem Horn, überhöht alles von fünfarmigen Leuchtern mit brennenden Kerzen“ (S. 42). LernetHolenias Gestalten sind in dieser Umgebung etwa vorzustellen wie die heroischen Kostümfiguren eines Jean Berain aus der Zeit Lud­ wigs XIV., mit ihrer schweren, golddurchwirkten Kleidung voller 88 Thurnher, Eugen, a. a. O., S. 64.

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überreichem Zierat und Schmuck und mit ihrem phantastischen Prunkhelm. Ein integrierender Bestandteil für eine theatralische Verwirklichung der „Alkestis“ ist Musik, die der Dichter auch vorschreibt. Ist doch Musik diesem mythischen Stoff, dem Hohenlied der Gatten­ liebe, immanent, so daß es nicht verwunderlich ist, daß zu allen Zeiten Komponisten immer wieder auf das Spiel des Euripides zu­ rückgriffen und es, in variierter Form, als Libretto benützten. Es gibt wahrscheinlich nur wenige Variationen, die ohne Musik gespielt wurden. Und ist nicht auch Hofmannsthals Nachdichtung ein lyrisches Klanggebilde, wie geschaffen zur Vertonung? Lernet-Holenias „Alkestis“ kann man als Versuch eines Librettos ansehen, das schon von Beginn an auf eine mögliche spätere Ver­ tonung hin konzipiert wurde. Es existiert neben einer Bühnenmusik von Kurt List, die erst vor wenigen Jahren geschrieben wurde, vom selben Komponisten auch eine richtige Durchkomponierung des Dra­ mas Lernet-Holenias. Diese Oper, mit dem Gesamttitel „Der Triumph des Todes“, besteht aus drei Teilen, und zwar 1. aus der Geschichte von den „Drei Lebenden und den drei Toten“, die ursprünglich im Bande „Die goldene Horde“ „Der Triumph des Todes“ genannt wurde (vgl. hiezu die Besprechung S. 80); 2. aus einem von Kurt List verfaßten und komponierten Inter­ mezzo; 3. aus der „Alkestis“ selbst, die man am besten „Tod und Verklä­ rung“ nennen könnte, wenn dieser Titel nicht schon von Richard Strauss verwendet worden wäre. Im Jahre 1935 versuchte Stefan Zweig, Lernet-Holenia als einen möglichen neuen Dichter Richard Strauss wärmstens zu empfehlenS7, da der Komponist nach dem Tod Hofmannsthals nun auch Stefan Zweig, durch die politische Situation bedingt, als Textdichter zu ver­ lieren drohte. Tatsächlich schien Lernet-Holenia auch als einziger von allen Dichtern zu jener Zeit geeignet, Hofmannsthals und Zweigs Platz einzunehmen. Strauss lehnte aber zuerst skeptisch, dann miß­ mutig, ja verärgert ab. So schrieb Zweig an Richard Strauss (Brief vom 12. 4. 1935): „ Ist Ihnen von den gegenwärtigen Dichtern Alexander Lernet-Holenia vertraut? Er schiene mir eigentlich der Gegebene für eine Dichtung hohen Stiles: sein ,Saul‘, seine ,Alkestis‘ (...) sind nach Hofmannsthal das Reinste,

37 Vgl. Strauss, Richard — Zweig, Stefan: Briefwechsel; hrsg. v. Willi Schuh, Frankfurt a. M. 1957, S. 105 ff.

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was wir neben Carossa in der deutschen Dichtung haben. Ich sehe ihn in den nächsten Tagen und möchte ihm nahelegen, sich doch einmal mit einem Stoff an Sie zu wenden. Das wäre ein Glücksfall besonderer Art für Sie, wenn dieser Nobelste unserer dramatischen Dichter (der auch sehr viel Sinn für das Scurrile hat) Ihnen etwas schaffen könnte..."

Auch in den folgenden Briefen legte Zweig Richard Strauss drin­ gen dst nahe, es mit Lernet-Holenia zu versuchen: „Er wäre der Berufenste von allen: welch ein nobler Dichter!“ (15. 4. 1935). „Ach wenn er etwas Schönes Ihnen schreiben könnte und wie gerne würde ich diesen noblen Menschen, diesen adeligen Dichter beraten!“ (16. 4. 1935).

Bereits im ersten Antwortbrief gab sich der zur Großartigkeit nei­ gende Richard Strauss skeptisch (13. 4. 1935): „ . .. Ihr großmütiges Anerbieten zu Mithülfe bei einem andern Textdichter (Sie wissen so gut wie ich, daß es einen solchen nicht gibt) ist sehr freund­ lich — aber auch das Preisausschreiben wird keinen brauchbaren Text her­ vorbringen, jedenfalls nicht für mich . . . Lernet-Holenia recht schön und gut, aber auf 300 gute Stücke kommt vielleicht e i n guter Operntext. Der erfordert eben eine ganz eigene Begabung. Wenn Lernet-Holenia den Ver­ such machen will, ich will ihn gewissenhaft prüfen. Aber daran glauben tue ich heut schon nicht. ..“

Eine Woche später (Brief vom 20. 4. 1935) äußerte Strauss dann doch wieder einige Hoffnung, aber nicht sosehr bezüglich dessen Dich­ tungen, sondern hinsichtlich des „Semiramis“-Projekts, mit dem er sich schon seit Jahren beschäftigte: „ . .. Herr Lernet-Holenia hat mir in einem freundlichen Briefe zwei Stücke: Alkestis und das Weib des Potiphar angekündigt, ich fürchte aber, ich werde damit nichts anfangen können... Nun zu etwas Anderem: Semiramis... ; vielleicht besprechen Sie die Idee auch mit Lernet H. Ich kann mich von dem Gedanken der Semiramis noch immer nicht trennen ...“

Es ist augenscheinlich, daß dieser „Semiramis“-Stoff, den Strauss für eine mögliche Oper schon jahrelang im Auge und noch mit Hof­ mannsthal besprochen hatte, der tiefere Grund für die geradezu bös­ artige Reaktion und Ablehnung der angebotenen „Alkestis“ und der „Frau des Potiphar“ war. Hätte nämlich Lernet-Holenia just zu die­ sem Zeitpunkt eine „Semiramis“ angeboten, Richard Strauss hätte wohl kaum dann mit solcher Arroganz und Überheblichkeit reagiert: Brief an Stefan Zweig vom 22. 4. 1935: „Herr Lernet-Holenia hat mir seine beiden sogenannten Comödien: Al­ kestis und die Frau des Potiphar zuschicken lassen und nachdem ich sie

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mit Entrüstung gelesen, bin ich — offen gesagt — auch an Ihnen etwas irre geworden. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß ein Mann, der solch albernes, geschmack- und witzloses Zeug drucken läßt, für mich einen Operntext schreiben kann . . . aber daß derselbe Mann, der dieses immer­ hin gute Buch (Die Standarte) geschrieben hat, solcher Entgleisungen wie Alkestis fähig ist — hält man kaum für möglich . . . Nein, lieber Herr Zweig, so geht es nicht! ..."

Resignierend und traurig konnte da Stefan Zweig bloß antworten (26. 4. 1935): „ Es tut mir leid, daß Lernet-Holenia Ihnen nicht zusagt, er ist ein geheimnisvoller Mensch als Dichter, ganz groß in seinen Gedichten und einigen seiner dramatischen Szenen, dann wieder unglaublich lässig . . . Eine Arbeit mit Ihnen, dachte ich mir, könnte ihn zur höchsten Produktivität reizen, denn wenn in ihm das Feurige erwacht, ist er nach meinem Emp­ finden großartiger als alle andern ...“

Ergänzend zu dem Thema: Lernet-Holenia als Librettist, soll an dieser Stelle noch darauf hingewiesen werden, daß sein „Saul“ offen­ sichtlich wesentlich mehr Anreiz zu einer Vertonung bot: Hermann Reutter (geb. 1900 in Stuttgart) sah in diesem Einakter einen Opern­ stoff, den er im Jahre 1928 zu einer melodramatischen Oper für 13 Instrumentalisten konzipierte.38 In diesem keineswegs vorder­ gründigen Thema erkannte er die Möglichkeit, „den verschieden ge­ lagerten seelischen Spannungen nachzuspüren und ihnen in thema­ tischer Hinsicht, in Melodie und Klang eine angemessene musikalische Prägung zu geben“.39 „Im Buch des Dichters . . . lag eigentlich alles schon aufgezeichnet, es mußte nur aufmerksam gelesen und für die musikalischen Erfordernisse sinnvoll gekürzt werden.“ 40 Reutter ließ Arioso und Rezitativ, Melodram und gesprochenen Dialog dicht bei­ einander stehen, „nicht beziehungslos, sondern miteinander verbunden durch die vom Drama bestimmten Formgesetze“.41 Reutters Oper „Saul“ wurde somit „nicht zu einem herkömmlichen romantischen Opernwerk, sondern eine intime Folge melodramatischer oder gesun­ gener Dialoge im Stile musikalischer Aussparung . . . Die Musik untermalt, verdeutlicht, ist zart und von subtilem Klang.“ 42 38 Diese Kammeroper fand ihre Uraufführung im November 1928 an der „Jungen Bühne“ in Düsseldorf. 39 Schorr, Dieter: Die Bühnenwerke Hermann Reutters (= Hermann Reutter. Werk und Wirken; Festschrift), Mainz 1965, S. 45. 40 Reutter, Hermann: Wort und Ton in der zeitgenössischen Musik (= Hermann Reutter. Werk und Wirken; Festschrift), Mainz 1965, S. 84. 41 Ebenda. 42 Schorr, Dieter, a. a. O., S. 45.

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Im Jahre 1947 arbeitete Reutter diese Kammeroper in einer Neu­ fassung um43: „Die neue Fassung . . . unterscheidet sich von der früheren, von wenigen Ausfeilungen abgesehen, eigentlich nur durch die Orchesterbesetzung: an Stelle des Kammerinstrumentariums ist der voll ausgenützte Klang des großen Orchesterapparates getreten, wie er der Großartigkeit und Intensität des Stoffes auch ent­ spricht.“ 44 Im folgenden Werk, das im Rahmen dieses Abschnitts zu be­ sprechen ist, im einaktigen tragischen Schauspiel „Die nächt­ liche Hochzeit“ (1928), zeichnet Lernet-Holenia mit den Mit­ teln krassesten Realismus die phantastisch-tragische Liebesgeschichte eines Grafen und der bei einem Bauern aufgewachsenen Tochter eines Prinzen aus unebenbürtiger Ehe. Angeregt zu diesem Drama wurde der Dichter von einem Gedicht-Thema Detlev von Liliencrons. Schon in dieser Tragödie läßt sich aber eine ungebändigte Neigung zu Ironie und Sarkasmus erkennen, wie sie seine Lustspiele in so besonderem Maße auszeichnet. Inhalt (Personen: Herzog, Prinzessin, Hofmarschall, Graf Sommerstorff, Marchand, Adjutant, Richter, Magheran, Tonenczuk, Pfarrer, alte Hof­ dame; Hofchargen, Mesner, Organist, Husaren): Vorgeschichte: Ein seines Thrones und Vermögens verlustig er­ klärter, d. h. abgesetzter und in einem erfundenen Königreich Polen im Exil lebender Herzog eines nicht näher bezeichneten Fürstentums versucht, durch Verehelichung mit der Erbin eines riesigen Vermögens seine traurige finanzielle Situation wieder zu verbessern. Vor allem aber hofft er, mit Hilfe dieses Geldes in seinem Land eine Gegenrevolution auslösen und damit das Fürstentum zurückgewinnen zu können. Die Auserwählte ist die Tochter aus der nicht standesgemäßen Ehe eines Prinzen mit einer dollar­ schweren Amerikanerin. Das als „Bankert“ abgeschobene und einem Bauern nach der Scheidung als Ziehtochter übergebene Mädchen wird, als sie Allein­ erbin des mütterlichen Vermögens wird, wieder aus der „Versenkung“ zurückgeholt, zur Prinzessin erklärt und von ihrer Familie als „Beloh­ nung“ zu der politischen Ehe mit dem Herzog gezwungen, obwohl sie sich verzweifelt dagegen wehrt, weil sie Graf Sommerstorff liebt. Der pol­ nische Hof begünstigt inoffiziell diese Eheschließung. Um etwaigen Kompli­ kationen, die sich aus der auch für ihn nicht ebenbürtigen Heirat bei der Wiedergewinnung des Thrones später ergeben könnten, aus dem Wege zu gehen, hat der Herzog, der nur auf das Vermögen spekuliert, einen teuf­

43 Diese zweite Fassung wurde im Jahre 1947 an der Hamburgischen Staatsoper in einer Inszenierung Günther Rennerts uraufgeführt. 44 Schorr, Dieter, a. a. O., S. 45.

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lischen Plan ausgeheckt, um seine ihm frisch angetraute Gemahlin sofort nach der kirchlichen Zeremonie loszuwerden. Hier setzt die Handlung ein: Unter strengster Geheimhaltung — alle Beteiligten sind zu vollkommenem Stillschweigen verpflichtet wor­ den — findet die Trauung zu nächtlicher Stunde in einem entlegenen Dorf statt. Der Pfarrer wird mit Gewalt gezwungen, die Trauung zu voll­ ziehen, ohne nach den Namen des Brautpaares zu fragen, und muß auch den schon vorbereiteten Trauschein ausfertigen, ohne darin Namen einzu­ fügen. Nach vollzogener Zeremonie wird die Prinzessin noch in der Kirche von Richter, einem der gedungenen Mörder, aus dem Hinterhalt erschossen. Sommerstorff, der sich der nächtlichen Hochzeitsgesellschaft, als Kutscher verkleidet, angeschlossen hat, in der Absicht, seine Geliebte zu entführen, wird zur selben Zeit entdeckt und festgehalten. Der Mörder der Prinzessin nimmt die Chance wahr und erschießt auch ihn, um seine Mordtat auf ihn, Sommerstorff, abwälzen zu können: aus Rache für die erlittene Krän­ kung des abgewiesenen Liebhabers habe Sommerstorff die Prinzessin ermor­ det, und er, Richter, habe ihn, als er die Mordtat zu verhindern trachtete, dabei erschossen. Um eine Kompromittierung der anwesenden Mitglieder des königlichen Hofes zu vermeiden, befiehlt der Hofmarschall die sofortige Abreise. Auch der Herzog und seine Leute empfehlen sich schleunigst: ihm ist der Trauschein das Wichtigste, und dem Totenschein der Prinzessin gilt, ihr Vermögen vor Augen, seine nächste Sorge. Die beiden Toten bleiben liegen.

Ort der Handlung ist die barocke Sakristei einer Dorfkirche. Wie­ der ist die Einheit von Zeit, Ort und Handlung gegeben. Ohne jedes Wohlwollen, das selbst noch in seinen bösartigsten Komödien durchschimmert, führt hier Lernet-Holenias kritischer Blick den Talmiglanz einer dem Untergang bestimmten Adelswelt vor Augen; ohne jede einlullende Romantik aberkennt er voller Zynismus dem Milieu der kritisierten Umwelt die Glanzrollen und entlarvt die „Spieler“ sozusagen schon auf der Probe. Meisterhaft versteht es der Dichter, dieses unglaubwürdige „historische“ Abenteuer mit all seiner Unwirklichkeit der Kausalität des Alltags zu unterstellen und jede skeptische Reflexion eines zeitbewußten Publikums zu unter­ binden. Die gestalterische Leistung des Dichters ist die, daß er einen mit der Vergangenheit behafteten Stoff mit historischer Psychologie in die Gegenwart umsetzt, aber in einem erfundenen Königreich Polen ansiedelt. Lernet-Holenia führt so den Zuschauer in eine phan­ tastische, äußere Welt, die nicht die wirkliche ist, aber in ihrer Außer­ wirklichkeit manchmal bezaubernd, aber noch öfters voller Wahr­ heit, voller Grausamkeit ist. So ist die mit geradezu bestürzender Konsequenz verfolgte Schlußszene der Tragödie voller beklemmender Wucht und Eindringlichkeit. Es ist ein Schluß, der um so bedrückender 69

und bestürzender wirkt, als man bis zu diesem Augenblick nie so richtig an ein solches Ende glaubt und darin auch noch durch einige eingestreute komisch-belustigende Szenen bestärkt wird. In der Ba­ lance zwischen Komik und Tragik behält letztere die Oberhand. In steter Steigerung strebt die Handlung von Beginn an auf den entscheidenden Höhepunkt zu. Einige Szenen wie jene mit Marchand und der alten Hofdame, die voller Ironie und Spott überholte Le­ bensvorstellungen beleuchten, mindern keineswegs die Spannung. Im­ mer noch hofft man auf einen deus ex machina, der eine Wendung des Schicksals herbeiführen könnte. In der Person Sommerstorffs scheint er auch aufzutauchen. Aber mit aller Unerbittlichkeit vollzieht sich das Unvermeidliche. Was den beiden Liebenden das Leben ver­ sagte, ihre Vereinigung: sie wird ihnen durch den Tod zuteil. Ist es dem Dichter hoch anzurechnen, daß er nicht der Versuchung erlag, ein Happy-End zu konstruieren und damit in die Nähe eines Stückes von operettenhaftem Genre zu kommen (wie es dann auch in der dreiaktigen Neufassung geschah), so läßt er diesem tragischen Vorfall nun auch noch eine Szene folgen, die mit ihrem geradezu satanischen Zynismus den Zuschauer vor den Kopf stoßen und ihn voller Be­ stürzung zurücklassen muß. HOFMARSCHALL: . . . Der Hof darf in die Affäre nicht verwickelt werden . . . Ich muß infolgedessen Eurer Hoheit die Sorge um das Weitere überlassen. Ich werde dem Hof befehlen, sofort nach War­ schau zurückzukehren. HERZOG: Ah, und Sie glauben, daß ich mich in der Affäre kompromit­ tieren werde, wenn Sie sich nicht kompromittieren? . . . Ich nehme die Verantwortung absolut nicht auf mich. Ich überlasse sie Ihnen. HOFMARSCHALL: Und ich bin verpflichtet, sie abzulehnen. Tun Sie, was Sie wollen, Hoheit, aber tun Sie’s auf alle Fälle ohne mich. HERZOG: Sie irren sich, Exzellenz, wenn Sie glauben, daß ich mich der Toten annehmen kann. Wenn Sie sie nicht mitnehmen, bleiben sie liegen. HOFMARSCHALL: Dann bleiben sie eben liegen ... (Geht mit Hof ah.) HERZOG (zum Adjutanten): Wir haben natürlich ebenfalls kein Inter­ esse, uns mit diesen hier (er zeigt auf die Leichen) zu belasten . . . Jetzt können die beiden mich meinetwegen miteinander betrügen. — Sie werden sich den Totenschein der Prinzessin zu gelegener Zeit be­ schaffen. Den Trauschein haben Sie? Ja? Gehen wir! (Die beiden Toten bleiben liegen.) (S. 23 ff.)

Bewußt verzichtete Lernet-Holenia in dieser makaber anmutenden Szene auf jede als natürliche Reaktion vom Publikum erwartete „Moral“ der Handlung und erzielt damit im Zuschauer das Gefühl 70

der Frustration, wenn angesichts der beiden Leichen den Herzog und den Hofmarschall (den Vertreter des Hofes, der die Heirat begün­ stigte) nicht Bestürzung und Entsetzen befallen, sondern beide bloß einander, fast nonchalant, die Verantwortung aufhalsen wollen und dann das Weite suchen. Der Zuschauer mag versucht sein, zu sagen: Voilà, so ist das Leben! Wieder bewältigte Lernet-Holenia überzeugend, wie schon die Vorgeschichte zeigt, den umfangreichen Stoff mit wenigen, geschickt aneinandergereihten Szenen. In den beiden ersten, da Tonenczuk und Magheran, zwei der gedungenen Mörder, über ihren Auftrag reflek­ tieren, und wo Richter den Pfarrer zwingt, die Trauung vorzuneh­ men, wird der Zuschauer mit der Handlung vertraut gemacht. Wie zur Milderung der gleich zu Beginn geäußerten Brutalität folgt jener schon erwähnte Auftritt Graf Marchands, der die Kavalleriebedeckung des nächtlichen Unternehmens befehligt, und darauf jener der alten Hofdame. Die in ihrer Trauer und Resignation tief berührenden Worte der Braut zum Pfarrer muten in der kurzen Szene der Prin­ zessin an wie das letzte Aufflackern eines Feuers in einer Welt von Infamie und Bosheit: „Verbrechen? . . . Glauben Sie denn, auf die Trauung selbst käme es an? Ahnen Sie nicht, was da vorhergegangen sein müßte alle die Tage, alle die Jahre voll von Verbrechen und Vergewaltigung eines Herzens, bis man dies Herz zu einer Trauung gezwungen hätte, die ein Verbrechen ist! . . . Neh­ men Sie das ,Ja‘ für das, das ich vor dem Altar vielleicht nicht werde aus­ sprechen können, weil es möglich ist, daß ich mich nicht mehr werde auf­ recht halten können, um es zu sagen. Gehen Sie jetzt. Verkürzen Sie mir wenigstens diese letzten Minuten vor dem Unvermeidlichen“ (S. 43).

Ein letzter Hoffungsschimmer leuchtet mit dem Erscheinen Sommerstorffs auf, um dann in der Unerbittlichkeit und Grausamkeit des Schicksals zu verlöschen. Es ist die Überzeugung des Dichters, daß „die Menschheit alle ihre Götter verloren hat, nur die gewaltigste Halbgottheit, das Schicksal, nicht, wenngleich sie sich ihrer nicht bewußt, ja ihrer kaum mehr würdig ist. Dennoch waltet das Schicksal größer denn je, und im Grunde gibt es nur eine Aufgabe der Dichter: das Schicksal zu gestalten.“ 45 Neben der geschickten Szenengestaltung vermag Lernet-Holenia mit einer geschliffenen Dialogführung, wie er sie schon in seinen beiden ersten Komödien brillant demonstriert hatte, zusätzliche Span­ 45 Lernet-Holenia, zit. bei Gaya, Guido, a. a. O., S. 784.

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nung und Interesse zu erwecken. Im Gegensatz zu seinen drei ersten, dem „Hohen“ verpflichteten Dramen („Demetrius“, „Saul“, „Alkestis“) bedient sich der Dichter in der „Nächtlichen Hochzeit“ — und in der Folge auch in den übrigen Schauspielen (z. B. „Die Lützowschen Reiter“) — sprachlicher Ausdrucksmittel, die jeder Pathetik und der Lyrismen entbehren. Die Sprache ist prätentionslos, gemäß seiner These: „Die Dichter haben es vergessen, daß sie Grandseigneurs sein sollen. Sie sprechen zu den Leuten wie zu ihresgleichen statt auf die Art der Leute.“ 48 So findet er immer den richtigen, den jeweils beteiligten Personen angepaßten Ton, in den er dann seine aggres­ siven, gesellschaftskritischen Auslassungen über den moralischen Zu­ sammenbruch der europäischen Aristokratie einstreut. Einige Beispiele: TONENCZUK: Ich verstehe nur nicht, was ein vernünftiger Mensch für Gründe haben kann zu heiraten, ohne daß der Pfarrer wissen darf, wer er ist . . . Diese Aristokraten sind doch absolute Narren! MAGHERAN: Bis zu einem gewissen Grad allerdings . . . der Hof hat es verlangt, weil er die Assistenz zur Trauung beistellt, denn die Leute glauben doch noch immer, sie könnten ohne ihre gewohnte Auf­ machung nicht heiraten. TONENCZUK: Also ich halte das für einen total überspannten Zustand. Glauben denn die Kerle wirklich, daß sie wieder regieren werden? MAGHERAN: Offenbar. TONENCZUK: Und sie haben nicht mit dem Geld genug? MAGHERAN: Nein. Diese Leute sind schon so . . . Die ganze Art dieser Menschen zeigt doch, daß sie immer noch ganz weltfremd sind . . . TONENCZUK: Und der polnische Hof? Weiß er, was wir hier tun sollen? MAGHERAN: Nein, woher denn! . . . Wenn man mich gefragt hätte, so hätte ich einen besseren Ausweg vorgeschlagen, aber diese Aristokraten sind so beschränkt, daß ihnen offenbar kein anderes Mittel für ihre Zwecke eingefallen ist als eine nächtliche Hochzeit auf einem Dorf . . . und ein Schuß . . . (S. 38 f.).

Oder wenn der Hofmarschall nach dem Attentat lamentiert: „Diese abgesetzten Bettelhöfe! Sich mit ihnen einlassen und das Verbrechen ist da! Es ist alles faul!“ (S. 45).

Es ist als außerordentlich bedauerlich zu bezeichnen, daß gerade dieses Drama nie den Weg auf eine Bühne fand. Vermutlich deshalb, weil es bloß beim Vorabdruck in der Zeitschrift „Die Bühne“ (Wien) geblieben ist und somit in Vergessenheit geriet. Lediglich die ein Jahr darauf (1929) verfaßte Umarbeitung: „Die nächtliche Hoch­ zeit. Haupt- und Staatsaktion“ ist in einem Verlag (S. Fischer) er48 Lernet-Holenia: Theatralische Thesen, a. a. O., S. 258 (These Nr. 54).

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schienen, aber auch diese, wenn auch sicherlich schwächere Fassung wurde nie aufgeführt. Bloß die Prosafassung (1930) konnte sich durchsetzen. Im Jahre 1929 erweiterte Lernet-Holenia den Einakter zum drei­ aktigen Schauspiel „Die nächtliche Hochzeit. H aup tund Staatsaktio n”. So wie seinem „Demetrius“ fügte er hier dem Titel die Bezeichnung „Haupt- und Staatsaktion“ hinzu, hierin ähnlich einem Gryphius oder Lohenstein, und somit seine Vorliebe für das barocke Theater bezeugend. Nur ist nicht mehr die Einheit der Zeit, des Ortes und der Handlung gegeben. Der Inhalt ist derselbe wie in der ursprünglichen Fassung. Dieser sind nun die beiden neuen Akte vorangestellt. Der erste Akt spielt im Bauernhaus des Ziehvaters Romaniez, der zweite in den Räumen des Prinzen Karl Sorel (des Vaters der Prinzessin) im Gästeflügel der Warschauer Residenz, und der dritte Akt wieder in der Sakristei der Dorfkirche. Um die beiden neuen Akte zu füllen, wird die Vor­ geschichte breiter erzählt, der Liebesromanze (im 1. Akt) mehr Raum gegeben und einzelne Details besonders ausgeschmückt. So sind auch einige neue Personen hinzugefügt (Wasil Romaniez, Prinz Karl Sorel). Lediglich der Schluß der Handlung ist ein anderer: Inhalt: Graf Sommerstorff, der sich in der Gewalt der Verschwörer befin­ det, kann sich durch Täuschung seiner Widersacher losreißen und den Karabiner Richters, der gerade auf die Prinzessin angelegt hat, in die Höhe schlagen. Der Schuß geht fehl, Sommerstorff selbst fällt, von einem Kolbenhieb getroffen, bewußtlos, aber nicht tot, zu Boden. Die gedungenen, aber erfolglosen Mörder fliehen, und auch der entlarvte Herzog macht sich mit seiner Begleitung aus dem Staub. Einem Happy-end der Romanze Sommerstorffs mit der Prinzessin steht nun nichts mehr im Wege.

Dieser, etwas Operetten hafte, Schluß des Dramas beeinträchtigt wesentlich die Wirkung des Stückes. Das Schwergewicht liegt nun nicht mehr auf der beeindruckenden Schlußszene, sondern auf den amüsanten, von Ironie und Spott durchsetzten, aber manchmal zu redseligen Passagen. Bloß im ersten Akt sticht die rührende Ab­ schiedsszene Marias von ihrem Ziehvater Wasil Romaniez besonders hervor. Lernet-Holenias letztes tragisches Werk ist das Schauspiel „D i e Lützowschen Reiter" (1932) und liegt ebenfalls in zwei Fassungen vor, doch unterscheiden sie sich ausschließlich darin, daß der Held in der ersten Ausgabe (1932) Holenia heißt, in der zweiten (1956) aber Herbeck. Im Mittelpunkt steht aber nicht sosehr, wie 6

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man meinen müßte, das Lützowsche Freikorps, sondern letztlich doch wiederum eines der Lieblingsthemen des Dichters: das Thema uner­ füllter, aber ewiger Liebe über den Tod hinaus. Inhalt (Personen: Graf Albertini; Marie Therese, seine Frau; Herbeck, ihr Sohn aus 1. Ehe; Duval, französischer General; Hauptmann Schöne, Offi­ zier in der Rheinbundarmee; Charlotte, seine Frau; Graf Beaufort, Major von Lützow, Frhr. von Stein, Karl Körner, Theodor Körner, Maltitz, Picenius; Lützowsche Husaren u. a.): Es ist der 6. Jänner im Jahre 1813. Der Schauplatz des 1. Aktes ist der Salon im Hause Albertinis in Bad Kissingen. Man ist in Erwartung einiger Gäste: des französischen Generals Duval und des Ehepaares Schöne. Die Ehe der beiden ist unglücklich: Schöne hat Charlotte bloß geheiratet, um ihren Fehltritt mit einer hochgestellten Persönlichkeit zu decken. Zum Dank wurde er, obwohl nur gemeiner Soldat, zum Offizier gemacht. Als Charlotte versuchte, ihn zu lieben, findet sie bloß kalte Ablehnung. Doch steht sie in seiner Schuld: als er ihre Schönheit voller Berechnung, einem Zuhälter gleich, einsetzt, um seine ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen, widersetzt sie sich nicht. Er versucht Zugang zu national denkenden Kreisen zu erhalten, um die Freiheitsbewegung in Deutschland überwachen zu kön­ nen und diese Informationen an Frankreich weiterzugeben. Er begünstigt das Interesse, das Herbeck Charlotte entgegenbringt, obwohl dieser der nationalen Gesinnung ablehnend gegenübersteht. Schöne hat aber die Ab­ sicht, später einmal aus dem Wissen um die Affäre durch Erpressung seinen Vorteil zu ziehen. — Charlotte trifft als erste ein, sie ist ihrem Mann vorausgeeilt. Herbeck empfängt sie, ohne ihre Ankunft den Gastgebern melden zu lassen. Denn es ist ihre erste Unterredung ohne Zeugen. Sie erklären sich ihre gegen­ seitige Liebe. Herbeck ahnt die Zusammenhänge und Umstände von Char­ lottens Eheschließung und hat auch bereits einiges über ihren Mann in Erfahrung gebracht. Sein Mitleid über ihr entwürdigendes Leben bestärkt nur seine Liebe zu ihr. Die übrigen Gäste treffen ein. Die Unterhaltung wird ausschließlich von Napoleons Rußlandfeldzug beherrscht; man spricht von Gerüchten, die von der Vernichtung der französischen Armee wissen wollen. Duval klassifiziert diese als Geschwätz. Um sich Gewißheit über die Meldungen zu verschaffen, wird ein französischer Offfizier, der in einem Gasthof abgestiegen ist, gegen die heftigen Einwände Duvals ein­ geladen. Da überbringt Lützow einen wichtigen Brief an Duval und wird so Zeuge des peinlichen Auftritts des französischen Offiziers, Beauforts, der in den Schneewüsten Rußlands den Verstand verloren hat. Seinen Bericht von der französischen Katastrophe versucht Duval verzweifelt als die Erfindung eines Verrückten hinzustellen, doch Lützow sagt ihm auf den Kopf zu, daß die Bestätigung des Berichts in dem Brief stehe. Der 2. Akt spielt am 10. April 1813 in Dresden, im Hause der Familie Körner. Die Stadt ist voller Jubel und Begeisterung über den Einzug des Lützowschen Freikorps, das sich auf Durchmarsch befindet. Die Familie ist in Erwartung des Sohnes, Theodor, der sich den Lützowern angeschlossen

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hat. Aus diesem festlichen Anlaß sind einige Gäste zu Tisch geladen. Als erster trifft Herbeck ein. Sein Aufenthalt in Dresden gilt nicht, wie er vorgibt, seinem Jugendfreund Theodor, vielmehr ist er Charlotte, die mit ihrem Mann in Dresden weilt, nachgereist. Zu seiner großen Überraschung erscheinen als nächste Gäste Charlotte und ihr Mann, stellen sich aber als Herr und Frau von Kessler vor: unter dem falschen Namen verkehrt Schöne in der Gesellschaft Dresdens und hat zu patriotischen Kreisen Zu­ gang gefunden, der seiner Spionagetätigkeit ungemein nützlich ist. Er zwingt Herbeck mit der Androhung, die Affäre mit Charlotte aufzudecken und damit ein Duell zu provozieren, das für Herbeck tödlich enden muß — ist doch er, Schöne, ein bekannt guter Fechter und Pistolenschütze —, sein Inkognito nicht zu verraten. Unter allgemeinem Jubel trifft Theodor mit zwei Freunden vom Freikorps ein. Er glaubt in seiner Begeisterung, Herbeck sei gekommen, um sich ebenfalls den Lützowern anzuschließen. Als dieser verneint und überdies erklärt, unter keinen Umständen sich dem Freikorps anschließen zu wollen, weil er von der allgemeinen nationalen Begeisterung nicht viel hält und sich zu einer übernationalen, europäischen Idee bekennt, wird er von Theodors Freunden in einem erregten WortWechsel als Feigling bezeichnet. Nach Beendigung der Mittagstafel versucht Schöne in einem Augenblick, da er mit Herbeck allein ist, diesen zu über­ reden, seine Ansicht zu ändern und sich doch den Lützowern anzuschließen, um für ihn als Spion zu arbeiten. Als Herbeck dieses Ansinnen empört ablehnt, droht Schöne wiederum mit der Aufdeckung der Affäre. Da rafft sich Herbeck auf und eröffnet der herbeigerufenen Gesellschaft die wahre Identität Schönes und deckt dessen Machenschaften auf. Und um nicht mehr als Feigling angesehen zu werden, provoziert er das Duell: er schlägt Schöne ins Gesicht. Der Beginn des 3. Aktes steht im Zeichen der Vorbereitungen zum Duell. Theodor Körner und seine Freunde versuchen mit allen Mitteln, Herbeck klarzumachen, er müsse sich doch nicht mit einem Spion schlagen. Er besteht dennoch darauf, weil der Grund ein anderer sei, persönlicher Natur, will aber den wahren Grund Charlottes wegen um keinen Preis sagen. Da eilt Charlotte herbei. Auch sie will den Kampf um jeden Preis verhindern. Sie bekennt Herbeck, sie hätte die wahre Ur­ sache des Duells Schönes Sekundanten mitgeteilt und daraufhin wären diese von ihrer Aufgabe zurückgetreten: das Duell könne nicht stattfinden. Trotz­ dem beharrt Herbeck auf seinem Entschluß. Schöne stürzt in den Raum, auch er besteht auf der Auseinandersetzung. Er reicht seinem Gegner eine Pistole und geht auf Distanz. Charlotte fällt ihrem Mann in den Arm und umklammert dessen Waffe. Da löst sich aus Schönes Pistole ein Schuß, und getroffen stürzt Charlotte zu Boden: sie ist tot. Schöne wird verhaftet. Herbeck verläßt die Unglücksstätte und kommt nach einiger Zeit wieder zurück: er hat die Uniform der Lützowschen Reiter angelegt, die zu tragen er sich so beharrlich geweigert hatte. Angesichts der toten Geliebten hat er sich entschlossen, seinem Freund Theodor zu folgen und mit ihm ins Feld zu ziehen.

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Es ist ein in seiner Struktur für den Dichter fast als untypisch zu bezeichnendes Stück, das in seinem eher konventionellen Aufbau die Auftritte und Szenen weniger häufig wechseln sieht: Die Aktion tritt, wie schon die Inhaltsangabe zeigt, zugunsten des Wortes etwas in den Hintergrund. Doch fällt auch auf, daß Lernet-Holenias Vorliebe für Sarkasmus, die ihn oft zu weitschweifenden Ausflügen verführt, gebändigter erscheint, bewußter und gezielter auftritt. Und wie kaum in einem anderen seiner Dramen stattete er hier seine Figuren mit Leben und Echtheit aus, so daß sie nicht wie überirdische oder er­ fundene oder Traumfiguren, wie Typen oder Puppen wirken, son­ dern wie wirkliche Menschen, aus Fleisch und Blut. Vielleicht re­ sultiert dies daraus, daß der Dichter mit der Wahl dieses Stoffes sich ausnahmsweise der Gegenwart zuwandte, indem er aktuelle po­ litische Probleme in einem Bild aus der deutschen Vergangenheit transparent werden läßt. Denn dieses in die Rahmenhandlung über das Lützowsche Freikorps gestellte Liebesdrama ist als ein Zeitstück zu verstehen, das auch heute noch nichts an Wirkung eingebüßt hat. Vor dem Hintergrund des sich immer wilder gebärdenden Nationa­ lismus befaßte er sich mit einer Thematik, deren Aktualität in der Ähnlichkeit der Ausgangssituation begründet scheint. Im Jahre 1813, dem Zeitpunkt der Handlung im Drama, wie auch in den Jahren nach 1918 war Deutschland ein in sich uneiniges, durch eine fremde Macht gedemütigtes Reich. Und damals wie zum Zeitpunkt, da Lernet-Holenia das Stück verfaßte, regte sich das nationale Be­ wußtsein. Der Dichter stellt der nationalen Idee, verkörpert in Lützow und Theodor Körner und seinen Freunden, einen übernationalen, euro­ päischen Gedanken gegenüber, dessen Vertreter, Herbeck, ein öster­ reichischer Aristokrat ist: „ ... ich selbst bin kein Nationalist, ich halte den übernationalen, den europäischen Gedanken des Kaisers für viel zu groß, als daß irgendeine kleinere, eine nationale Idee dagegen aufstehen dürfte...“ (S. 10).

Sorge und Ahnung um das Schicksal des deutschen Volkes sprechen aus seinen Worten: „Glauben Sie denn wirklich, Major, daß das Erwachen der Nationen einer Einigung Europas vorzuziehen wäre... ? Daß Krieg und Mord, Not und Elend nicht wiederum folgen würden, bis eben ein anderer die Vormacht­ stellung erlangt hätte... ? Der Gedanke des Kaisers ist wenigstens noch ein europäischer, der des nächsten Siegers wäre vielleicht nur mehr der einer bloßen Tyrannis schlechthin“ (S. 30).

Voller Mahnung, berechnet auf das Publikum in der Zeit wenige Jahre vor Beginn des 2. Weltkriegs, ist endlich der Ausruf:

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„Kein Einsatz wäre mir zu hoch, wenn ich fände, daß dieser Krieg wirk­ lich zum Nutzen des Volkes geführt würde!“ (S. 80).

Und nur noch auf die Gegenwart, das Jahr 1932, ein Jahr vor der Machtergreifung Hitlers, scheinen die Worte des Dichters gemünzt zu sein: „Ich meine, daß man über die Notwendigkeiten des Augenblicks auch anders denken kann als die Allgemeinheit. Vor allem jedoch denkt die Allgemeinheit überhaupt nicht“ (S. 81). Und weiter: „Denn ihr wollt doch alle, daß jeder bloß nachbeten soll, was ihr sagt. Von allen Völkern sollten aber am wenigsten wir zu einer bloßen Masse werden, die sich durch Schlagwörter anführen läßt. Die Mission der Deut­ schen liegt in jedem Einzelnen beschlossen, nicht im Schlagwort“ (S. 82 f.). Und fast verzweifelt ob der Verblendung heißt es: „So meinen Sie also, Deutschlands gekränkter Stolz sei wichtig genug, daß man deshalb einen neuen Krieg und wiederum die Welt in Flammen setzen dürfte?“ (S. 83 f.).

In dieser Gegenüberstellung zweier Ideenwelten begegnet man auch Hofmannsthals vergleichenden Betrachtungsweisen von norddeut­ schem und österreichischem Wesen wieder.47 Findet Hofmannsthal im Preußen „mehr Tugend und Tüchtigkeit“, so entdeckt er im Öster­ reicher „mehr Frömmigkeit und Menschlichkeit“; „verwandelt“ ein Preuße „alles in Funktion“, so „biegt“ der Österreicher „alles ins Soziale“ um; und vor allem ist in Preußen „jeder Einzelne Träger eines Teiles der Autorität“, in Österreich hingegen „Träger einer ganzen Menschlichkeit“. Des Preußen „aktueller Gesinnung, fast ohne Gedächtnis für vergangene Phasen“ steht die „traditionelle Gesinnung“ des Österreichers gegenüber, „stabil fast durch Jahr­ hunderte“. Diese Besonderheiten des Österreichers begünstigten die Bildung eines Gemeinschaftszusammenhanges, wie er in der Tradition der Idee des Kaisertums begründet liegt. Trotzdem ist, nach Hofmanns­ thal, für den Österreicher die Gefahr, Massenmensch zu werden, sehr gering. Denn sein Verhältnis zur Menge, die für ihn Gemeinschaft ist, bleibt immer individuell. Aus diesem Gefühl heraus sind die oben zitierten Worte zu ver­ stehen, die der zutiefst österreichisch denkende Dichter Lernet47 Hofmannsthal, Hugo von: Preuße und Österreicher, Prosa III, Frank­ furt a. M. 1952, S. 407 ff.

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Holenia seinem Herbeck in den Mund legt und an die Vertreter preußischen Denkens richten läßt: „Denn ihr wollt doch alle, daß jeder bloß nachbeten soll . . . Von allen Völkern sollten aber am wenigsten wir zu einer bloßen Masse werden..

Wo der Österreicher von außen und oben diszipliniert werden soll, zieht er sich in die private Sphäre zurück. Daraus entsteht die Ironie: sie ist die starke, oft zersetzende Waffe des Österreichers, mit der er von seiner privaten Position aus alles angreift, was den Normen der „Schicklichkeit“ 48 widerspricht, wie Hofmannsthal den Inbegriff all dessen, was die Gemeinschaft als richtiges Verhalten ansieht und aus ihrer Tradition heraus gebildet hat, bezeichnet. Der Gemeinschaft und der staatlichen Autorität unterwirft sich der Österreicher, sofern er Zutrauen zu ihnen hat, freiwillig, aber er widersetzt sich sofort, ist scheu und mißtrauisch, sobald sein Wille beeinflußt und „gegängelt“ wird. Die Figur des Herbeck steht für die Überzeugung, daß sich ungebundene Eigenart und Eigenwilligkeit des Persönlichen mit na­ türlicher Eingliederung in das geschichtlich gewachsene Ganze der Gemeinschaft auszugleichen und zu verbinden vermag. Seine, Her­ becks, Begeisterung für die übernationale, europäische Idee des Kai­ sers gibt Zeugnis hiefür. Wenn man sich in Erinnerung ruft, daß die Figur des Herbeck in der ersten Ausgabe des Schauspiels Holenia hieß, ist sie vielleicht als eine der dem Dichter wesensähnlichsten Personen zu bezeichnen, die die Signatur innerer Sicherheit — die von vornehm tuender Weltflucht, mit welcher Lernet-Holenia so oft kokettiert, weit ent­ fernt ist — mit dem Ausdruck innerer Freiheit der Gesellschaft ge­ genüber vereint.

Zu Herbecks leidenschaftlichem Bekenntnis für ein übernationales Europa gesellt sich ebenbürtig seine Liebe zu Charlotte, deren tra­ gischer Tod erst seinen Entschluß, sich Lützow nicht anzuschließen, ändert. Lernet-Holenia versteht es, mit der Gestaltung des Schicksals Charlottes tief zu berühren. Für kaum eine andere Frauengestalt — von der Potiphar vielleicht abgesehen — hat er bei ihrer Zeich­ nung und Charakterisierung so viel Mühe aufgewendet wie für sie. Spätestens in den „Lützowschen Reitern“ erweist sich der Dichter als profunder Kenner weiblicher Psyche. Sie, die von Hauptmann Schöne aus Mitleid geheiratet wurde, aus der kalten Berechnung heraus, ihre Schönheit sich nutzbar zu machen, hat versucht, ihn, der sie in der Hand hat, trotzdem zu lieben, was Herbeck zu den bitteren Worten verleitet: 48 Ebenda, S. 408.

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„Ja, denn in Männer, die man eigentlich nicht lieben sollte, verlieben sich Frauen weit eher als selbst in die liebenswertesten Leute..(S. 8).

Charlotte kann sich trotz aller Erniedrigung nicht völlig von ihrem Mann lösen und leidet unter den Vorwürfen Herbecks: „Aber vergißt du denn, daß mich, wie sehr ich dich auch liebe, immer noch tausend Bande an denjenigen fesseln, der eben mein Mann ist! Werde ich je von ihm fort können? . . . Denn einen Menschen, den man einmal ge­ liebt hat, streift man, auch wenn man ihn schon verachtet, doch nicht so leicht von sich ab wie ein Kleid .. (S. 64).

Erst die Angst vor dem drohenden Duell führt zu der entscheiden­ den seelischen Trennung und läßt sie ganz zu Herbeck finden. Es fällt dabei auf, daß der Empfindungsreichtum seelischer Ge­ fühle, die Sensibilität und eine gewisse Verinnerlichung, die dieser Figur der Charlotte anhaften, nicht ihren Worten entströmen; viel­ mehr erhält sie ihre Umrisse und ihr Profil erst durch die Reflexion und ihren Widerhall, die sie in Herbeck und der übrigen Umwelt findet. Erst in den Worten des Geliebten, in seinen Reaktionen, er­ wächst, ja erblüht und entfaltet sie sich zu voller Größe. Manchmal ist sie bloß anwesend, stumm, aber der Dichter versteht es, ihre innere Beteiligung und beseelte Ausstrahlung — und nicht nur ihre oft gerühmte Schönheit — in ihrer Umwelt reflektieren zu lassen. Die Charlotte ist eine Rolle von zumeist wenigen oder überhaupt un­ gesagten, aber im Raum schwebenden, tief empfundenen Worten und Gefühlen. Charlotte weist auffallend ähnliche Züge mit der Prinzessin in der „Nächtlichen Hochzeit“ auf. Beide sind in ihrer Duldsamkeit einander wesensverwandt: hier wie dort eine tief empfindende Seele, die dem Zynismus, der Brutalität und dem Egoismus hilflos ausgesetzt ist. Die nächsten drei dramatischen Werke, die in diesem Abschnitt besprochen werden sollen, sind Produktionen, die keine Theater­ stücke im eigentlichen Sinn des Wortes sind und vom Dichter selbst als „Szenen“ bezeichnet werden. Gemeint sind: „Szene als Einleitung zu einer Totenfeier für Rainer Maria Rilke“ (1927), „Der Triumph des Todes“ (1928) und „Lepanto“ (1948).

Schon der Titel „Szene als Einleitung zu einer To­ tenfeier für Rainer Maria Rilk e“ 40 (1927) verrät Art und Anlaß dieser Szene: Sie steht an Stelle eines Prologes zu einer 49 Siehe Kritikenverzeichnis: K 18—23.

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Gedenkfeier5051 , in welcher der Dichter seinem Vorbild „Worte von erschütternder Einfachheit und innigster Schlichtheit ins Grab nach­ gerufen hat“.61 Inhalt (Personen: Herold, Kornett Christoph von Rilke): Der Herold tritt vor den Vorhang, gekleidet in den Farben samt Wappen des Geschlechtes derer von Rilke. Er stellt sich als treuer Diener seines Dichters und ritterlichen Herrn vor und klärt das Mißverständnis vom Tod auf. Rilke, dem Dichter, könne keine Totenfeier gelten, Rilke, der Dichter, sei Geist und als solcher unsterblich. Wohl aber müsse der Hin­ gang des Letzten aus dem Geschlecht derer von Rilke betrauert werden. Da tritt der Kornett auf. Er ist einer der Ahnen des Dichters, achtzehn­ jährig gefallen gegen die Türken. Er kommt von drüben: der Dichter wird von seinen Ahnen erwartet. Obwohl gestorben, sei der Letzte des Ge­ schlechts noch nicht eingetroffen. Und der Herold entgegnet, sie warteten vergebens. Denn dieser Letzte war kein Adeliger schlechthin, sondern ein Dichter: er gehört nicht mehr zu ihnen. Wenngleich gestorben, ist er nicht tot: er ist lebendig. Er gehört nicht den Geistern an, sondern dem Geist.

Lernet-Holenia kleidete die Szene in eine originelle Form, indem er den Herold vor den Vorhang treten und das Wort unmittelbar an die Zuhörer richten läßt. (Einer ähnlichen Form bediente er sich später auch in den beiden Schauspielen „Die Schwäger des Königs“ und „Die Thronprätendenten “.)

Dramatischer gestaltete Lernet-Holenia die poesievolle, mystisch­ dunkle Szene „Der Triumph des Todes“ (1928), deren Titel schon das Thema verrät: den Tod. Diesem Werk liegt die ProsaErzählung „Die drei Lebenden und die drei Toten“ zugrunde. Inhalt (Personen: Jägermeister, Rittmeister, Kammerherr; zwei persische Falkoniere): Drei Freunde: ein Jägermeister, ein Rittmeister und ein Kammerherr, sind auf Falkenjagd. Vor einem Gewitter suchen sie Schutz und Unterschlupf in einer Landkirche, deren Chor mit einem großen Fastentuch verhängt ist. Rittmeister und Jägermeister unterhalten sich über die Jagd. Der Kammer­ herr aber ist in Gedanken versunken und erinnert sich träumerisch seiner verlorenen Liebe: hier in dieser Kirche hatte er vergangenes Jahr mit der geliebten Frau einmal kurz verweilt; die Romanze zerbrach, er weiß nicht warum, doch die Liebe blieb und mit ihr die Hoffnung, die Geliebte wieder zu erringen. Das Fastentuch erregt seine Aufmerksamkeit, da es

60 Die Feier wurde anläßlich des Hinscheidens des Dichters im Theater in der Josefstadt am 23. 1. 1927 gehalten. 51 Horch, Franz: Zwei österr. Dramatiker: Hans Müller und Alexander Lernet-Holenia (= Radio-Wien, 4. Jg., Nr. 51), Wien 1928, S. 1726.

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bereits tief im Sommer und Ostern doch längst schon vorbei ist. Er will die Stelle sehen, wo sie gestanden haben und sich küßten: das Tuch versperrt ihm den Blick. Er reißt es weg: Drei Tote liegen aufgebahrt dahinter, zwischen brennenden Kerzen, in offenen Särgen. Die drei Jäger entdecken zu ihrem großen Erstaunen, daß die Toten Uniformen tragen: die eines Rittmeisters, eines Jägermeisters und eines Kammerherrn. Die Toten glei­ chen ihnen wie Spiegelbilder. Nachdenklich fragen sie sich gegenseitig: Hättest du Angst vor dem Tod? Der Jägermeister und der Rittmeister fürchten den Tod, würden sich aber in den Willen Gottes fügen. Nur der Kammerherr will sich mit dem Los, einmal sterben zu müssen, nicht ab­ finden; er will leben, da er immer noch hofft und liebt und den Gedanken nicht erträgt, die Geliebte durch seinen Tod endgültig einem anderen über­ lassen zu müssen. Da schlägt ein Blitz ein, wie betäubt stürzen alle zu Boden, und nur der Jägermeister und der Rittmeister erheben sich wieder: der Kammerherr ist tot; und das Gewitter ist vorüber.

Symbol trächtig ist der äußere Rahmen der Szene: Da ist das Ge­ witter, Blitz und Donner erfüllen die Landkirche; die Schreie der Falken, wie sie schon Hofmannsthal in seiner symbolistischen „Frau ohne Schatten“ als suggestives Stimmungsmittel verwendete; das Fastentuch, und dann die drei Särge mit den Toten, dazwischen bren­ nende Kerzen, deren flackerndes Licht unheimlich die Szene beleuch­ tet. Man fühlt sich an das Bild der „Nächtlichen Hochzeit“ er­ innert. Lernet-Holenia setzt alle Mittel bühnenwirksamer Gestal­ tungsmöglichkeiten ein. Die Sprache ist knapp, aber poesievoll, kon­ zentriert wie selten auf das Wesentliche, auf die Frage: Wie würdest du dich in der Stunde des Todes verhalten? „Die Todesangst und die Todesnot als Augenblick, der existentiell die Werte des Lebens bestimmt, der Erlebnisse und Geschehnisse wägt“ 52, behandelt der Dichter hier wie viele andere vor und nach ihm. Der Rittmeister fürchtet sich nicht vor dem Totsein: „Was weiß ich denn von mir, wenn ich nicht mehr bin?“ (S. 97), vielmehr den Augenblick des Sterbens selbst. Der Jägermeister wieder fürchtet das Sterben nicht: „Das ist ein Augenblick, der geht vorüber“ (S. 98), vielmehr das Totsein: „Ich fürchte mich davor, weil ich nichts davon weiß“; er kennt sich im Bereich des Lebens aus, aber wenn er tot ist, ist er „machtlos in der Hand einer Macht“, die „durch alle Ewig­ keiten“ über ihn gebieten wird können, „wie sie wollen wird“ (S. 98). Es ängstigt ihn der Gedanke, „im Tode immer weiter unzählige Leben leben zu müssen, unzählige Tode zu sterben, immer wieder die Angst zu empfinden, die wir vor dem Leben haben, und immer wieder die Angst vor dem Tod“. Furchtbar ist für ihn das Nicht52 Dietrich, Margret, a. a. O., S. 526.

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wissen, „woher wir sind und wohin wir gehen, furchtbar die Angst vor vielen Toden nach vielen Leben. Denn Totsein heißt: ewig leben, und das ist schrecklicher, als ewig tot zu sein“ (S. 99). Doch beide, Rittmeister und Jägermeister, wollen sich in den Willen Gottes fügen. Des Kammerherrn Willen aber bäumt sich auf: er wirft die Liebe in die Waagschale. „Was kümmert mich das Sterben, was kümmert mich das Totsein! Ich will leben, denn ich liebe, ich liebe sie immer noch mehr als mein Leben, und ich will nicht sterben! Ich will nicht! Ich will nicht!“ (S. 100). Düster und unheimlich läßt der Dichter vor unseren Augen ein Sinnbild von Leben, Liebe und Tod erstehen. Es sind Themen, um die in all seinen Werken die Gedanken kreisen und die er in immer wiederkehrenden Variationen neu gestaltet. Hier zeigt sich deutlich eine Wesensverwandtschaft mit Rilke und Hofmannsthal (vor allem dessen Jugenddramen), die sich aus der Gemeinsamkeit ihrer Ab­ kunft und Art begreifen läßt, aus der gemeinsamen (österreichischen) Landschaft, der sie entstammen, aus demselben Glauben, der sie mit­ einander verbindet, und letzten Endes aus derselben Zeit, der sie entwachsen sind. Ganz anders geartet ist die dritte dieser Szenen, „Le p an t o“ (1948): Sie ist ein geistreich-philosophischer Dialog zweier Galeeren­ sträflinge am Vorabend der Schlacht bei Lepanto im Jahre 1571. Personen: Der Ältere, der Jüngere; Chor der Okeaniden. Beide Sträf­ linge sind von adeliger Geburt und wurden durch ein unglückliches Schicksal zur Ruderbank verdammt. Der Ältere ist René von SaintRémy, ehemaliger Gehilfe des Hofmathematikers des französischen Königs; der Jüngere ist der Herr von Thamer de Montegleria, Pa­ trizier von Venedig. Einen Inhalt im Sinne einer Handlung enthält die Szene, die man eine „Summe der Astrologie“ nennen könnte, nicht, da praktisch jede Aktion fehlt. Vielmehr vermittelt der Dialog philosophische Gedan­ ken über die Existenz des Menschen, über die Dauer der Welt bzw. ihr Ende. Existenzialistische Ideen verbergen sich in den, apokalyp­ tischen Visionen ähnlichen, Schilderungen des mit der Astronomie vertrauten Saint-Rémy, in die sich der Chor der Okeaniden mischt. Thamers Gefühl des Ausgesetztseins stellt Saint-Rémy seine Über­ zeugung entgegen: „Denn alles Wirre wird vom Sinnvollen über­ tönt“ (S. 106), er blickt der Schladit, dem möglichen Tod, voller Zu­ versicht ins Auge: „Sicherheit ist nur am Himmel“ (S. 107).

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B. Lustspieldramatik

I. „Österreichische“ Komödien

Lernet-Holenias viel umfangreichere Lustspieldramatik, im Ver­ gleich zur ernsten, entspringt einem reich entwickelten Sinn für das Komödiantische, der dem Österreicher überhaupt, wie er einmal ge­ sprächsweise sagte, innewohne; „vor allem schauspielert der Öster­ reicher fortwährend den Österreicher“; „doch“, stellte er fest, „weil ich Österreicher bin, der nicht schauspielern kann, und Komödien, als das eigentlichste Produkt dieses Bodens, nicht täglich und stünd­ lich erleben kann, bin ich derjenige, der sie vielleicht zu schreiben im­ stande ist“.1 Die typisch österreichische Freude am Theater und das Entdecken des Schauspielerhaften des Österreichers findet in LernetHolenias Lustspielen ihren lebendigen Ausdruck, deren Skala vom Konversationsstück („österreichische Komödie“) über das Intrigen­ spiel („Ollapotrida“) bis zum schwerelosen Schwank („Tumult“) reicht. „Es ist schwierig, die heiteren Stücke des Dichters in die üb­ lichen Kategorien einzuordnen, weil sie in ihrem Gefüge nicht ein­ heitlich sind: einerseits enthalten sie Elemente, die schon beinahe schwankartig anmuten, anderseits aber wieder welche, die schon thematisch auf den Ursprung in der hohen Sphäre der attischen Ko­ mödie hindeuten.“ 1 2 Von Scherz, Satire und Ironie erfüllt, verbunden mit gesellschafts­ kritischen Tönen, sind die Stoffe der Stücke zumeist aus dem Bereich des vergangenen Österreich, der k. u. k. Monarchie, entnommen, in denen des Autors Abkunft und Umwelt am deutlichsten zutage tre­ 1 Lernet-Holenia, zit. bei: Weltmann, Lutz: Zum deutschen Drama: A. Lernet-Holenia (= Die Literatur, 31. Jg.), Stuttgart — Berlin 1928/29, S. 323. 2 Basil, Otto: Lernet-Holenia und das Austriakische. (Zum 60. Geburts­ tag Lernet-Holenias); in: Neues Österreich, 20. 10. 1957, S. 18.

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ten. Die Welt der österreichischen Aristokratie ist das Thema aller dieser Stücke, die darum in diesem ersten Kapitel mit dem Titel „österreichische Komödien“ zusammengefaßt wurden, deren eines diesen Titel auch selbst trägt. Zumeist sind es Variationen ein und desselben Themas, das schon die einzelnen Titel verraten: „Flagranti“, „Erotik“, „Liebesnächte“, „Die Abenteuer der Kascha“ usw. Als „Totentänze der Erotik“ 3 hat Louise Dumont sie geistvoll bezeich­ net und damit zugleich in das Gesamtschaffen des Dichters einge­ ordnet. Allen gemeinsam ist als Ausgangspunkt eine verfängliche, manchmal grotesk übersteigerte, erotische Situation aristokratischen Gesellschaftsspiels, in die der Autor seine Figuren stellt. Häufig läßt er sie dort, Marionetten gleich, zappeln, dem Fall ausgeliefert, um sie dann doch immer vor dem endgültigen Sturz zu bewahren. Ein besonderes Kennzeichen dieser Komödien ist es, daß Lernet-Holenia darauf verzichtet, der keineswegs moralisch einwandfreien Haltung seiner Personen einen Repräsentanten einer sittlichen Idee gegenüber­ zustellen. Seine „Helden“ sind zumeist Schelme, Bluffer, ja manch­ mal sogar richtige Gauner, die die Lacher auf ihrer Seite haben, so­ daß er oft der Amoralität bezichtigt wurde.4 Der Held von Lernet-Holenias erster Komödie, „Ollapotrida"5 (1926), ist solch ein Zappelnder und Bluffer. Doch auch er bleibt vom bösen Ende verschont: er kann sich geschickt aus seiner bedrohlichen Lage befreien. Dieses einaktige Lustspiel liegt ebenfalls — Zeugnis der großen Umarbeitungsfreude des Autors — in zwei Fassungen vor: Für die Berliner Aufführung fügte er, buchstäblich über Nacht, dem Einakter einen zweiten Akt hinzu. Der Titel „Ollapotrida“ bedeutet im Spanischen soviel wie Misch­ masch oder Durcheinander, eine Bezeichnung, die schon Stranitzky seiner Sammlung von Stegreifspielen gab. Es ist denn auch ein wah­

res Gemisch von Wiener Gesellschaftsatmosphäre (um 1900), von Erotik, possenhafter Komik, ironischer Lebensauffassung, ein Ge­ misch, das in einen tollen Wirbel von Geschehnissen mündet. Einer ethoslosen und immoralistischen Lebenskarikatur gleich zielt „Ollapo­ trida“ auf nichts als auf turbulente Belustigung an sich. Dabei spricht aus der Szenen- und Dialogführung solch eine Souveränität, daß Zuckmayer schreiben konnte, er, Lernet-Holenia, beherrsche beides 3 Vgl. Heynen, Walter: Anmerkungen zur Dichtung Lernet-Holenias (= Masken, 22. Jg., H. 9), Düsseldorf 1928/29, S. 171. 4 Vgl. Aufführungskritik von „Kapriolen“, Münchner Neueste Nach­ richten, 27. 9. 1931, S. 3 (Tim Klein). 5 Siehe Kritikenverzeichnis: K 24—40.

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„mit einer sicheren Leichtigkeit..., als habe er jahrelang, wie Moliere, seine eigenen Rollen geschrieben und seine Komödien mit seiner eigenen Truppe einstudiert“.678 Ja sogar „eine Erneuerung der Com­ media dell’arte, eine Übertragung der spanischen und venezianischen Typenspiele auf die uns bekannten Züge und charakteristischen Masken der Gegenwart“ 7 glaubt Zuckmayer in „Ollapotrida“ er­ kennen zu können. Der Inhalt dieser possenhaften Komödie nimmt sich aus wie die Stilisierung einer mathematischen Aufgabe: Ein Herr A (Henninger) wird bei einem Schäferstündchen mit der Gattin des B (Marie Lassarus) gestört durch das Auftreten eben des B (Lassarus), der sich im Junggesellenheim seines Freundes A mit der Gattin des C (Charlotte Rosenzopf) zu einem Abenteuer verabredet hat und für A auch gleich die Verlobte des Herrn D (Clara Ende) mitbringt. Nachdem dann noch C selbst (Rosenzopf), Herr E (Ende, der Vater Claras) und ein Herr F (Schüssler, Verlobter Claras) auf der Szene erschienen sind, ist dem A die Aufgabe gestellt, die drei Damen vor den vier Herren zunächst zu verstechen und sie dann, in einem günstigen Augenblick, durch den einzigen Ausgang ins Freie hinauszubefördern. (Für Alfred Kerr war diese Aufgabe ein Vexierspiel nach dem Motto: „Wie bringe ich, wenn ich drei Erbsen habe, jedoch nur einen Löffel, die drei Erbsen so aus dem Loch, daß ...“ 8) Inhalt des 1. Aktes (Personen: Henninger, Rosenzopf, Lassarus, Ende, Schüssler; Charlotte Rosenzopf, Marie Lassarus, Clara Ende; Toison d’Or): Herr von Henninger und Marie Lassarus liegen nach einem Schäferstünd­ chen noch auf dem Ruhebett, er schlußbereit, sie fortsetzungsbedürftig. In den Dialog kommt der Diener mit der Meldung vom Besuch des Lassarus, ihres Mannes: Er kommt aber nicht wegen seiner Frau, sondern bringt selbst zwei Damen, eine verheiratete und eine verlobte, mit. Henninger sperrt nach langem Hin und Her Marie ins Nebenzimmer und empfängt die Gäste. Da taucht plötzlich Rittmeister Rosenzopf, der Mann der zweiten Verheirateten, auf, da er Lunte gerochen hat. Henninger sperrt daraufhin die beiden Damen ebenfalls ins Nebenzimmer. Dem eifersüchtigen Rosen­ zopf führt er, da dieser seinen Beteuerungen nicht glaubt, die Verlobte (Clara) als seinen einzigen Besuch vor. Rosenzopf stürzt davon, Lassarus eilt ihm zur Kontrolle, ob er nicht vor der Haustür lauere, nach. Fünf Minuten später ist jedoch der aufgeregte Rosenzopf wieder da, begleitet von Vater und Bräutigam der Clara, die nun ihrerseits Krach schlagen. Henninger führt wieder eine Dame vor, diesmal Marie Lassarus. Verlobter 6 Zuckmayer, Carl: Ritter und Träumer (= Alexander Lernet-Holenia. Festschrift zum 70. Geburtstag des Dichters), Wien — Hamburg 1967, S. 11. 7 Ebenda. 8 Berliner Tageblatt, 15. 12. 1926, S. 4 (Alfred Kerr).

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und Vater der Clara entschuldigen sich, verprügeln Rosenzopf und eilen fort und laufen dem zurückkehrenden Lassarus in die Arme. Von ihnen erfährt dieser, daß seine Frau, Marie, bei Henninger sei. Rosenzopf wiegelt die drei auf, gemeinsam eilen sie zurück. Inzwischen aber hat Henninger Zeit gehabt, sich und die Damen hinter einem Paravent zu verbergen, und während die Rächer ihrer Ehre in die Wohnung und ins Nebenzimmer stürzen, können sie entwischen.

Tatsächlich bedient sich Lernet-Holenia all der Requisiten und Mittel eines Verwechslungsschwanks der Commedia dell’arte wie des Ruhebettes, des Paravents und vor allem der (einzigen!) Tür und des mit ihr verbundenen Türen-Auf und Türen-Zu, das schon Akro­ batik gleichkommt. Überlegen handhabt er die Szenenarchitektur und baut die Situationen so in- und aufeinander auf, daß sie sich gegen­ seitig ständig steigern. „Der Schmiß im Arrangement der Auf- und Abgänge beruht wohl auf der Kompositionstechnik der Destouches und Goldoni bis zu den Pariser Boulevardautoren.“ 9 Der Autor versteht es meisterhaft, durch rasche Aufeinanderfolge der einzelnen Situationen über die Unwahrscheinlichkeiten einzelner Szenen hin­ wegzutäuschen und durch stete Bewegung, durch Heiterkeit und Lebendigkeit der Handlung das Publikum davon abzuhalten, über die Geschehnisse nachzudenken. Er suggeriert dem Zuschauer förmlich die Frage: wird er (der „Held“) es schaffen, sich aus der mißlichen Lage zu befreien, und vor allem wie? — und erhöht damit den Spannungseffekt. Auch die Personen entsprechen den Commedia dell’arte-Figuren, die nicht Charaktere, sondern Typen widerspiegeln. Bloß eine ist ihren Konturen nach typisch österreichisch: Toison d’Or, der Diener, der ein Urenkel des Hanswurst des Alt-Wiener Volkstheaters sein könnte. (Oskar Maurus Fontana nennt „Ollapotrida“ mit seinen „Spassetteln und Lazzi“ überhaupt einen „späten Nachfahren“ des Alt-Wiener Volkstheaters, „lebendig wie in den Tagen von Stranitzky und Kurz Bernardon“ *19.) Toison d’Ors Namen, der gar nicht sein richtiger ist, begründet Henninger einmal so: „ ... weil er erstens ein Schaf ist und zweitens sein Geld wert“ (S. 342). Als etwas vertrot­ telter Diener waltet er ängstlich-phlegmatisch seines Amtes, um in manchen Situationen Pfiffigkeit und Humor aufblitzen zu lassen. Lernet-Holenia übersteigert die erotischen Situationen zu Szenen grotesker Lächerlichkeit, so daß im Gelächter des Zuschauers der 9 Die Literatur, 29. Jg., Stuttgart — Berlin 1926/27, S. 285 (Bern­ hard Diebold). 19 Fontana, Oskar Maurus, Statt eines Vorworts; in: österreichisches Theater des 20. Jahrhunderts, München 1961, S. 28 f.

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bittere Ton des Hohns mitklingen muß. Sein Humor zeigt hier Ab­ gründe und Tiefen, wenn alle in dieser Welt der Galans, Hahnreis und Flittchen betrügen und selbst betrogen werden. Als scharfer Beobachter gelingt es ihm, mit dem ihm eigenen, gallischem Witz ver­ gleichbaren Humor und Spott einen tiefen Blick in die Verhältnisse der vornehmen Gesellschaft zu gestatten, deren leichte Moral auch in seinen anderen Komödien zum Ausdruck kommt. Bernhard Diebold begründete, als er dem Dichter den Kleist-Preis für „Demetrius“, „Ollapotrida“ und „österreichische Komödie“ zu­ erkannte, seine Preisverteilung mit den Worten: „Lernet-Holenia verspottet die menschliche Kleinheit in seinen Lustspielen, die ich ,Komödien ohne Worte' nennen möchte, da sie ihr Personal in raf­ finierter Weise mehr aus der Situation als aus dem sprachlichen Ein­ fall reden lassen. Mit seinen Wiener Spielfiguren macht er das Leben äußerlich zum Schwank und steht durch seine Ironie doch himmel­ hoch über der Sensation der Schwankautoren. Sein bildhaftes Deme­ trius-Drama erreicht mit pathetischen Mitteln nur zum Teil die starke Realität, die er mit Grazie und Satire in den Komödien erzielte.“ 11 In „Ollapotrida“ redet man im höchsten Gefahrenmoment nicht über die naheliegendsten Erfordernisse, sondern sinnlos über den Wert von Ehrenwörtern, spricht von der Heiligkeit der Ehe, steigert sich streitend über die Hauptsachen hinweg in die absurdesten Details verworrener Rechthaberei hinein. Lange Gespräche triumphieren über kurze Handlungen: der banalsten, unsinnigsten Rede folgt die banalste, unsinnigste Gegenrede. In einem Begleitwort zu „Ollapo­ trida“ bemerkte der Autor selbst dazu: „Ich bilde mir ein, allem jenem Unsinn, den man positiv in einem tragischen Moment sagt, genau nachgegangen zu sein. Ich glaube, daß das bisher mit einer solchen Exaktheit noch gar nicht geschehen ist.“ 18 Ein Beispiel: Als Henninger zu Marie Lassarus sagt, ihr Mann sei da und stehe vor der Wohnungstür, was sagt da die Gefährdete? Schreit sie etwa auf oder will sie sich verstecken? Sie sagt bloß: „Ja aber wieso denn?“ (S. 332). Als ein besonderes Stilmittel, das der Dichter in all seinen Komö­ dien immer wieder anwendet, läßt der Autor die Personen einander mißverstehen und sich bei der falschen Bedeutung der Worte nehmen, eine Methode, die in ihrer Präzision und Konsequenz schon einer Stilisierung des Dialogs gleichkommt.11 * 12 11 Die Literatur, 29. Jg., Stuttgart — Berlin 1926/27, S. 183 (Bern­ hard Diebold). 12 Lernet-Holenia, zit. bei Gregor, Joseph: Schauspielführer, 7. Bd., Stuttgart 1964, S. 237.

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ROSENZOPF: Wo ist meine Frau? LASSARUS: Ihre . . . R: Jawohl! Heraus damit! L: —------- Wie meinen Sie das, bitte! R: Wo sie ist, will ich wissen. L: Ach so? (Pause) R: Also wo ist sie? L: Darf ich fragen, wieso Sie sich bei mir darnach erkundigen, wo sich Ihre Frau Gemahlin derzeit . . . Ah, Sie meinen . . . R: Was meine ich? L: ... daß ich weiß, wo sie . . . R: Nun? L: ... wo sie ist? R: Verdammt, ja! L: Ah, Sie glauben also, daß sie da ist? R: Ja ist sie vielleicht nicht da? HENNINGER (der sich inzwischen gefaßt hat): Wie kommst du eigentlich da herein? (S. 347).

Das Sprachbild unterscheidet sich hier von dem der dichterisch hohen Dramenliteratur Lernet-Holenias wesentlich: es paßt sich dem Milieu der Szene an. Die Herren reden in einer österreichischen Reitschul- und Kasernensprache, in einem oft saftigen Rittmeisterjargon der k. u. k. Armee, dem die teils vornehm-gezierte, teils leger-laszive Sprache der Damen ebenbürtig ist. Lernet-Holenia setzt mit „Ollapotrida“ — und desgleichen mit seiner „österreichischen Komödie“ und den anderen Lustspielen — einen Weg fort, den schon vor ihm Arthur Schnitzler gegangen war. Er hat Schnitzler noch erlebt, der jene österreichische Gesellschaft noch, bei aller Ironie, ernst nahm, die er selbst aber persifliert und karikiert. Seine Gesellschaftskomödien sind nur „noch ironischer pointiert als die Schnitzlers, stärker nach einer österreichischen Gang­ art französischen Esprits hin entwickelt“ 1S, so daß Fechter in der Komödie „Ollapotrida“ „eine Art Travestie der Schnitzlerschen Lie­ belei-Stimmung“ 14 erblicken kann. Mit „Ollapotrida“ fügte Lernet-Holenia der reichen Tradition der österreichischen Lustspieldramatik ein neues Genre hinzu: das der Verwiddungskomödie, die bisher ausschließlich den Franzosen und Italienern vorbehalten war.

Für die Berliner Aufführung (14. 12. 1926) fügte der Autor einen zweiten Akt hinzu, der, weil dem Preisrichter Diebold zum 18 Dichtung aus Österreich, 1. Bd.: Drama, a. a. O., S. 78. 14 Fechter, Paul, a. a. O., 3. Bd., S. 198.

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Zeitpunkt der Verleihung unbekannt, vom Kleist-Preis ausdrücklich ausgenommen blieb. Seine Beurteilung durch die Kritiker war fast durchwegs negativ. Inhalt des 2. Aktes: Die Schauspieler des vorangegangenen ersten Aktes treten aus der Komödie in die Realität: der Darsteller der Rolle Hen­ ningers und die Darstellerin der Braut Clara Ende stehen einander als Menschen des Alltags gegenüber — der 2. Akt spielt hinter den Ku­ lissen des ersten, und die beiden Darsteller warten auf den Wiederbeginn des Spiels, auf den zweiten (fiktiven) Akt zu dem eben abgeschlossenen ersten. Beide waren miteinander liiert. Nun will er heiraten, aber nicht sie; sie wiederum will nur ihn heiraten, was er wieder nicht will. In diesem zweiten, fiktiven Akt nun muß das Mädchen, d. h. Clara Ende, auf ihn, Henninger, schießen. Dazu sind zwei Pistolen nötig: eine für sie, mit der sie zielt, und eine für den Inspizienten, der hinter der Bühne den Schuß abgibt. Durch einen Zufall wird die des Inspizienten scharf geladen, und das Mädchen vertauscht die Waffen, so daß sie die geladene in der Hand hält. Und nun bedroht' sie, noch immer während der Theaterpause, ihren Partner: „Heirate mich — oder ich schieße!“ Er weigert sich. Da ist die Pause vorbei und das Spiel auf der Bühne, also der fiktive zweite Akt, soll beginnen: Als kompromittierte und daher verlassene Braut des 1. Ak­ tes hat sie in Henningers Wohnung wütend gewartet, bis er von seiner Flucht zurückkehrt. Und nun verlangt sie auch im Spiel: „Heirate mich!“ Er weigert sich, ebenfalls im Spiel, wieder und wieder, aber bald schon voller Angst, da hinter den Kulissen der Schuß fallen soll und nicht fällt, wodurch ihm klar wird, daß sie wirklich die geladene Pistole in der Hand hat. Da zerbricht sein Widerstand und damit die Rolle: nicht mehr der Schauspieler redet, sondern das Individuum. Angstvoll schreit er seine Zustimmung, obwohl dies gar nicht in seiner Rolle steht. Das Mädchen fällt ihm glückstrahlend um den Hals. Der Direktor brüllt und tobt. Das Stück ist zerbrochen, die Realität hat gesiegt.

Pirandello, auf den sich der Autor, wie schon bei der Besprechung des „Demetrius“ hingewiesen wurde, ausdrücklich beruft und der damals auf dem Höhepunkt seines Erfolges war, Pirandello stand Pate zu diesem zweiten Akt, der eine Steigerung der Verwirrung bringt, wie sie nach dem ersten nicht mehr denkbar scheint: Der Streit der beiden handelnden Personen geht langsam und unaufhaltsam in den Streit der beiden Schauspieler über, die Verwirrung der Hand­ lung verstrickt sich mit der Verwirrung der Privatsphäre. Pirandellos Thema von Schein und Sein klingt an, wenn Lernet-Holenia dem Ganzen „eine Schicht tieferer Bedeutung“ unterlegt, indem er „dem Theater eine reale Kehrseite“ 15 mit dem Motto gibt: Alles bisher 15 Fechter, Paul, a. a. O., 3. Bd., S. 199.

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war nur Spiel, ein Schwank!, und damit die Welt des Spiels von der Realität her ins Schwanken bringt. Zum geringen Erfolg des 2. Aktes befragt, äußerte der Autor hiezu, vor dem 1. Akt, statt nach ihm gespielt, würde er mehr Erfolg haben.18 Tatsächlich ist dieser 2. Akt etwas schwer verständlich und dem Publikum gewiß nicht leicht plausibel zu machen. Daß Diebold ihn vom Kleist-Preis ausschloß, sei vom Standpunkt des Theaters daher vielleicht richtig, meint Paul Fechter, aber „für das Doppel­ wesen Lernet-Holenia gehört der zweite Akt unbedingt in den Kreis der Betrachtung mit hinein: das leichte Spiel des ersten lebt für sich allein nur aus geschickter Technik, während es vom zweiten her wenigstens eine literarische Zuspitzung ins Mehrbödige hinein er­ hält.“ * 1718 * Mit seinem zweiten Lustspiel, der dreiaktigen „österrei­ chischen Komödie“™ (1927), beschwor Lernet-Holenia bei­ nahe einen Theaterskandal herauf, denn mitleidlos stellt er hier eine gewisse Schicht der ehemaligen österreichischen Aristokratie und ihre „fragwürdig gewordene Moral“ auf die Bühne, „deren Elite-Anspruch in krassem Gegensatz zu ihrem Verhalten steht“.19 So wurden Demonstrationen deutschnationaler und monarchistischer Kreise an­ läßlich der Uraufführung in Wien angekündigt, und man sprach von Interventionen prominenter Kärntner Aristokraten, die die Komödie als ein Schlüsselstück ansahen und sich verunglimpft glaubten und daher ein Spielverbot zu erwirken getrachtet haben sollen.28 Den­ noch konnte überall das Stüde in Ruhe und mit Erfolg über die Bretter gehen. Der Autor selbst äußerte sich zum Vorwurf, es sei ein Schlüsselstück, er habe „lediglich theatralische Absichten ver­ folgt, allerdings nebenbei ein gewisses Bedürfnis nicht zu unter­ drücken vermocht, eine bestimmte Schicht der österreichischen Gesell­ schaft, die sonst meist idealisiert werde, einmal mit größerer Natur­ treue darzustellen“.21 Dem Vorwurf, diese aristokratische Gesell­ schaft Österreichs bösartig verzeichnet zu haben, begegnete er mit

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Vgl. Der Tag, 28. 1. 1927. Fechter, Paul, a. a. O., 3. Bd., S. 199. Siehe Kritikenverzeichnis: K 41—64. Dietrich, Margret, a. a. O., S. 604. Vgl. Kronenzeitung, 27. 1. 1927; und Grazer Tagespost, 29. 1. 1927. Lernet-Holenia, in: Der Tag, 28. 1. 1927.

den Worten: „Andere Autoren22 haben diese Gesellschaft wahrschein­ lich bloß in Momenten der Parade gesehen: ich finde, daß die Figuren der ,Komödie“, abgesehen von ihrer Handlung, die ja auch, so ähn­ lich, in Wirklichkeit so vorgekommen ist, ganz so sind wie die, mit denen man jeden Tag umgeht, und die Figuren werden mir’s nicht vorwerfen, daß ich sie falsch dargestellt hätte. Sie werden vielmehr sagen, es sei ein Skandal, daß ich sie überhaupt dargestellt habe ..23 Inhalt (Personen: Heinrich Saurau, Mario Sparre, Ernst Roeder, Franz Albertini, Leopold Marschall, Ludwig Ainöth, der junge Neydisser, Oberst Saurau; Anna Saurau, Suzanne, ihre Tochter, Stephanie Tr^vanion, Martina Albertini, Alice Rauscher; Johann u. a.): Baron Albertini lebt von den Reizen seiner Tochter Martina, indem er sie an finanzkräftige Industrielle verkuppelt. Er ist zwar absolut dafür, daß seine schöne Tochter einmal standesgemäß heiratet, aber ihm selbst einstweilen durch reichen Liebeslohn die Möglichkeit gibt, sein vom finanziellen Ruin bedrohtes Aristokratenleben auf gewohntem Standard halten zu können. Um seinem schändlichen Treiben einen unverfäng­ lichen Anstrich zu geben und das Dekorum zu wahren, vermittelt er die Bekanntschaften innerhalb der standesgemäßen Gesellschaft und gibt sei­ ner Tochter als offizielle Anstandsdame die Baronin Rauscher bei. Bei einer Jagdgesellschaft auf dem Schloß des Grafen Saurau soll nun Mar­ tina einem reichen Industriellen, Roeder, zugeführt werden. Er ist als ihre letzte Kundschaft gedacht, denn Herr von Sparre beabsichtigt, sie zu heiraten. Baronin Rauscher wird von Ainöth als Leiterin eines anrüchigen Nachtlokals erkannt. Daraufhin wird auch die Echtheit ihrer Aufgabe als Anstandsdame und auch die Ehrsamkeit Martinas von ihm in Zweifel gezogen. Ainöth teilt Sparre seine Vermutungen mit. Um einen Skandal zu vermeiden, halten Sparre und Ainöth Stillschweigen darüber. Martina, die sich trotz ihres gewerbsmäßigen Handelns in Roeder verliebt hat, wird des Nachts mit ihm in einer verfänglichen Situation, die ja Zweck ihrer Bekanntschaft war, entdeckt. Die Vermutungen, Baronin Rauscher wäre in Wahrheit Kupplerin und Albertini der Spiritus rector der Affäre, finden ihre Bestätigung, der Skandal ist fertig. Sparre tritt von der Ver­ lobung zurück. Um den Schein zu wahren und um sich und Martinas Familie einen leidlichen Abgang zu sichern, erklärt sich Roeder nun sei­ nerseits bereit, sich mit Martina zu verloben, aber nur solange, bis über die Affäre Gras gewachsen ist.

Es ist ein nicht gerade erfreuliches Sittenbild aus dem Zersetzungs­ prozeß adeliger Kreise nadi dem Zusammenbrudi der Monarchie, das 22 Zu diesen Autoren ist auch Hofmannsthal zu zählen, dessen „Schwie­ rigen“ Lernet-Holenia zwar, wie er sich einmal gesprächsweise äußerte, schätze, aber in der Wiedergabe des Milieus als nicht ganz richtig erachte. 23 Lernet-Holenia, in: Der Tag, 28. 1. 1927.

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aber seine Entstehung der Wirklichkeit verdankt: der Tragödie der Comtesse Mizzi Veith, die ihr Vater verkuppelte, und die seinerzeit durch Selbstmord endete, wodurch die Geschichte aufflog. Solche wie die eben erwähnte und andere Skandalaffären scheinen der äußere Anlaß gewesen zu sein, den Autor dazu zu veranlassen, sie zu sozio­ logisch interessanten, mit glänzender Dialogtechnik brillierenden Sze­ nen zu verdichten. (Der Einakter „Flagranti“ und „Glastüren“ ent­ springen offensichtlich demselben Impetus.) Lernet-Holenias souve­ räne Handhabung der Technik forderte hiebei sogar dem blendenden Szenentechniker Arthur Schnitzler noch Bewunderung und Anerken­ nung ab, als er der Uraufführung beiwohnte.24 In manchmal übertrieben wirkender Einseitigkeit läßt LernetHolenia seine Personen sich darstellen, wie sie sind; aber — und das ist das Bemerkenswerte — ohne daß er auch nur die leiseste Neigung spüren ließe, ihnen seine persönliche Anteilnahme, gleichgültig ob positiv oder negativ, zu bezeigen: er glorifiziert (selbstverständlich) nichts, aber verurteilt auch nichts — er stellt sie lediglich in theatra­ lisch wirksame Situationen, läßt sie aneinander vorbeireden und miß­ verstehen (des Autors beliebtestes Stilmittel in allen Komödien!) und läßt alles dies zusammen für sich auf den Zuschauer einwirken und für sich sprechen. Ausdrücklich stellte der Autor fest, daß dieses Stück „nicht eigens zu dem Zweck entstanden“ sei, „österreichisches Milieu oder öster­ reichische Gesellschaft zu charakterisieren, vielmehr produziert diese Gesellschaft und dieses Milieu von selbst Komödien. Überhaupt soll ein Stück nie darauf ausgehen, etwas zu schildern, sondern es soll, auf natürliche Art, aus dem Boden seines Vorwurfs aufwachsen. Alle Absicht im Theater ist verfehlt, Theater hat sich von selbst zu spie­ len.“ 25 Nicht einer hintergründigen Absicht wegen, nämlich in über­ triebener Einseitigkeit den Adel zu verzeichnen, hat demnach der Autor diesen Vorwurf erfunden, sondern er hat ihn als ein von der lebendigen Wirklichkeit geschriebenes und angebotenes Thema auf­ gegriffen. Allerdings kann allein die Tatsache, daß er diesen Vor­ wurf für ein Theaterstück wählte, kaum eine gewisse Absicht ver­ bergen, die er ja auch an anderer Stelle, wie schon eingangs zitiert, erkennen ließ. Der Vorsatz, einen Teil des Adels „mit größerer Na­ turtreue“ darzustellen, mußte somit zwangsläufig zu gesellschafts­ kritischen Aspekten führen. 24 Vgl. Dietrich, Margret, a. a. O., S. 604. 25 Lernet-Holenia: Bemerkungen zur „österreichischen (= Die Scene, 16. Jg.), Berlin 1926, S. 227.

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Komödie“

Die nach dem Untergang der Monarchie und ihres Lebensideals künstlich in einer bis zur Selbstbetörung und Selbstlüge gesteigerten Scheinwelt weiterlebende aristokratische Gesellschaft findet hier ihre unbarmherzige Demaskierung, wobei die nachdrängende, neue, re­ publikanische Gesellschaft (vertreten in der Person Roeders) auch ihren Teil abbekommt. Scheinkonventionen und schönfärbende Fas­ saden des gesellschaftlichen Zusammenlebens, hinter denen sich sittlich und charakterlich Morsches und Brüchiges verbirgt, werden allein durch ihr Aufzeigen schon an den Pranger gestellt. Der Zerfall einer überkommenen Gesellschaftsordnung spiegelt sich in den Reden, in der Konversation dieser Sauraus, Albertinis, Neydisser, Ainöths wider. Durch harmloseste, banalste Gespräche, die er sie miteinander führen läßt, macht Lernet-Holenia uns mit ihren oft zeit- und lebensfremden Sorgen bekannt. Die Auflösung gesellschaftlicher Bindungen zeigt sich in den ungenierten Taktlosig­ keiten und Indiskretionen der Sauraus, die ungehemmt ihre schlechte Laune aneinander auslassen; offenbart sich in den Ungezogenheiten der anderen, die die Situation alle Momente an den Rand eines Krachs führen. Zwischendurch flicht der Autor bissig-ironische Bonmots ein: „Du bist einer von den wenigen charmanten Menschen, die außerdem noch etwas leisten. In Österreich sind die meisten Leute charmant, es bringt nur keiner etwas zusammen“ (S. 11); oder: „In Österreich können die Leute überhaupt nichts mehr reden als Unanständigkeiten, oder es wird geblödelt“ (S. 27). Genau betrachtet spiegelt sich der Zersetzungsprozeß in vier ver­ schiedenen Ebenen wider: Zentrum der bereits verfallenen Welt ist der Baron Albertini mit seiner Komplizin Alice Rauscher; die zweite ist jene der Gräfin Saurau, deren Welt in Auflösung begriffen ist, wenn sie nervös, in Worten zerflatternd, alle Haltung verliert und ihrem Mann vor aller Welt eheliche Szenen macht: Die Oberen finden sich nicht mehr zurecht, weil sie kein Maß und Ziel mehr vor sich haben; die dritte Ebene ist die der noch nicht „angekränkelten“, aber zum Absterben verurteilten adeligen Haltung Sparres und der Gräfin Trevanion, die beide den Kontrapunkt zur übrigen Gesellschaft des Stückes bilden; die vierte Ebene schließlich verkörpert der Diener Johann, der keine Distanz mehr zwischen sich und der Welt der Herrschaft anerkennt: „Früher warns Herren, jetzt seins Leut!“ (S. 112). Jede dieser vier Ebenen steht mehr oder weniger allein für sich, nur lose miteinander verbunden. Der Autor geht hiebei vom Dialog aus, für den er unter anderem im 2. Akt eine genaue Szenen­ anweisung gibt: „ ... Von denjenigen, die sich nun nach und nach

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ansammeln, reden manche gleichzeitig. Damit nun die Spielenden nicht pausieren müssen, bis die Zwischenbemerkungen gefallen sind, oder etwa miteinander lautlos wiederkäuen, ist der ganze Text ihrer Gespräche ausgeschrieben, auch auf die schlechte Chance hin, daß mehr als die Hälfte davon unter den Tisch fiele. Es hat sich also das Hauptgespräch gewissermaßen vor dem Hintergrund des Neben­ gesprächs abzuheben, ohne daß das pure Geschrei daraus entstünde, und keinesfalls ist das alles nacheinander zu bringen“ (S. 45 f.). Die Vertreter der vier Ebenen treten somit isoliert aus ihrer Welt und reden, ohne eine Antwort zu erhalten oder zu geben. Darum kann Fechter von einer „Fortentwicklung der Wedekindschen Verselb­ ständigung der einzelnen Sprechlinien“ sprechen, denn Lernet-Holenia „verzahnt nicht mehr Satz um Satz, sondern stellt Gestalt selbständig gegen Gestalt, verbindet die Figuren nicht... Er verflicht die Linien der Unterhaltung gewissermaßen wie musikalische Stimmen . . . ohne Rücksicht auf die Rhythmik der anderen...“; darum auch kann Fechter von diesem Ausdrucksmittel sagen: „Der Autor gestaltet vom Sprachlichen aus das gestaltlos Zerfallende der alten Welt fast ab­ strakt.“ * 28 Die Auflösung der gesellschaftlichen Bindungen wird auf 27 diesem Wege zum Spiegel des Zerfalls der menschlichen Beziehungen überhaupt. Zwei Figuren stechen in ihrer Isoliertheit besonders hervor: Sparre und die Gräfin Trevanion. In beiden sieht Lernet-Holenia einen Teil des Restes jenes wirklich alten österreichischen Adels (den Kaiser Ferdinand der Katholische in und nach der Schlacht am Weißen Berge vernichtete), der von ihre Rolle glänzend spielenden Neu­ geadelten, deren „blaues Blut das beneidenswerteste Komödienblut“ 27 ist, unterwandert wurde. Für den Autor „charakterisieren“ Sparre und die Gräfin Trevanion „die Deplaziertheit eigentlicher Noblesse in einer solchen, genial spielenden Gesellschaft. “ 28 Darum kann, ob­ wohl alt und fast völlig taub, die Gräfin Trevanion bloß dem Herrn von Sparre aus ihrer isolierten Welt antworten und mit ihm als einzigen einen sinnvollen Dialog führen, da beide eben mehr als nur dieselbe gesellschaftliche Plattform, auf der sie sich bewegen, miteinander verbindet. Alle Figuren sind mit gründlichster Kenntnis des Milieus, dem der Dichter ja selbst entstammt, gezeichnet. Aber der Autor blieb nicht 28 27 a. a. 28

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Fechter, Paul, a. a. O., 3. Bd., S. 196 f. Lernet-Holenia: Bemerkungen zur „österreichischen O„ S. 227. Ebenda.

Komödie“,

bei der Milieuschilderung allein stehen, sondern versuchte, auch das, was dahintersteht, zu durchschauen und transparent werden zu lassen. So konnte es ihm daher auch gelingen, Martina nicht bloß als eine kalte, moralisch verfallene Person zu gestalten, sondern als ein Mäd­ chen, das im Grunde seines Herzens unter seinem Lebenswandel leidet: darin ist Martina eine der Charlotte aus den „Lützowschen Reitern“ wesensverwandte Natur, ähnlich auch der Maria del Pilar in „Glastüren“ und schließlich der Xenia Godunowa im „Demetrius“: „ ... Ich, ich will dir auch etwas sagen, aber es geht mir nicht über das Herz, weil du mir’s nicht glauben wirst, und was soll ich tun, wenn ich es nicht sagen kann und wenn du’s nicht glaubst! — Ich werde dann immer herumgehen und nicht wissen, wohin meine Füße wollen, und du wirst nie einsehen ... du wirst nie einsehen, wie ich dich . . .“ (S. 85 f.).

Und etwas später: ....... Aber was kann denn ich dafür, daß ich dich so furchtbar lieb habe! Glaubst du denn, daß ich das gar nicht mehr kann . . . nach diesen Af­ fären mit den —, mit den andern? Was hätte ich tun sollen, ich habe ja kaum etwas gewußt. . .“ (S. 96).

Eine der köstlichsten Figuren ist die des Johann, der nörgelnd und das Geschehen kommentierend durch die Komödie wandert. Es ist ein raffinierter Kunstgriff des Dichters, ihn gleichsam als Zwischenglied zwischen der manchmal geheimnisvollen Handlung, dem meist nich­ tigen Dialog und dem mit dem Milieu nicht so vertrauten Publikum auftreten zu lassen, und ihn in breiter, vermittelnder Art die oft aphoristisch gehaltenen Reden ausmalen zu lassen. Dadurch gelingt es dem Autor, subtile Angelegenheiten theatralisch wirksam zu unter­ streichen. Johann ist Kammerdiener, Hausfaktotum, Räsonneur und Gesellschaftskritiker in einer Person. Er ist von respektvoller Frech­ heit durchdrungen, hinter der man bei aller Devotion mitunter ein Grollen gegenüber dem hochmütigen Herrentum zu vernehmen meint. Mit seinem schüchtern-frechen Empörergehaben ist er Beaumarchais’ Figaro verwandt und erweckt als die Herrschaft tyrannisierender, ewig dreinredender Diener den uralten Raisonneur der französischen Komödie wieder zum Leben. Unwillkürlich wird man an den Theo­ dor aus Hofmannsthals „Unbestechlichem“ erinnert, so wie die „öster­ reichische Komödie“ insgesamt an Hofmannsthals „Schwierigen“ ge­ mahnt. Darauf angesprochen, erklärte Lernet-Holenia jedoch, dieses Stück erst nach Abfassung seiner Komödie kennengelernt zu haben.29 29 Vgl. Der Tag, 28. 1. 1927.

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In beiden Lustspielen, im „Schwierigen“ wie in der „österreichi­ schen Komödie“, ist das Milieu österreichisch, und ist die Sprache, jenes „französelnde“ Idiom der Aristokratie, österreichisch.30 Aber setzte Hofmannsthal noch voller Liebe einer entschwundenen Epoche und Gesellschaftsform ein Denkmal, so steht Lernet-Holenia ihr be­ reits distanziert gegenüber. Die Ähnlichkeit zwischen beiden Stücken ist nur mehr eine der Stimmung, nicht mehr der Seele; es fehlt, im Gegensatz zu Hofmannsthal, bei Lernet-Holenia alles Grandseigneurale, das noch die „Alkestis“ und der „Saul“, die zur selben Zeit entstanden, aufweisen. „Der Schwierige“, obwohl auch nach der Ka­ tastrophe von 1918 geschrieben, steht noch in der Stimmungswelt vor dem Zusammenbruch, die „österreichische Komödie“ hingegen schon inmitten der Auflösung der Sitten und Normen. Ein weiterer, geradezu typischer Unterschied zwischen beiden Stücken zeigt sich in der Art, wie die Figuren gezeichnet sind: Wäh­ rend im „Schwierigen“ die Personen unentschlossen, dem Leben ab­ gekehrt sind (Kari Bühl), sind bei Lernet-Holenia die Menschen aktiv, dem Leben zugekehrt; ist bei Hofmannsthal die Handlung statisch, so ist sie bei Lernet-Holenia dynamisch. An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, darauf zu verweisen, wie Lernet-Holenia selbst in einem Brief an H. A. Fiechtner seine Beziehungen zu Hofmannsthal beurteilt: ....... Denn im allgemeinen überschätzt man die Beziehungen jenes großen Dichters zu mir bei weitem — vielleicht auf Grund einer gewissen Ähnlichkeit zwischen seiner und meiner äußeren Haltung.“ 31 Im folgenden äußert er sich, er habe nicht zu dem Hofmannsthal nahestehenden Kreis gehört, „wie etwa Mell und Billinger dazugehört haben — wahrscheinlich weil er (Hofmannsthal) ihrem Wesen und weil sie dem seinen fremder waren als ich“, fremder als Lernet-Holenia, in dem Hofmannsthal einen „Menschen aus der für die eigene erkannten Welt“ 32 sah.

Der verallgemeinernd klingende Titel „österreichische Komödie“ stieß auf starke Kritik. Lernet-Holenia ging es aber — und diese Tendenz scheint vielleicht nicht klar genug herausgearbeitet zu sein — nicht nur darum, „eine bestimmte Schicht der österreichischen Gesell30 Lernet-Holenia ist allerdings der Ansicht, daß es Hofmannsthal nicht gelungen ist, die Echtheit der in der österreichischen Aristokratie ge­ bräuchlichen Sprache wiederzugeben, was vor allem auf die Dialoge zwischen Kari Bühl und seinem Diener Lukas zuträfe. 31 Fiechtner, Helmut A.: Hugo von Hofmannsthal. Die Gestalt des Dichters im Spiegel der Freunde; Wien 1949, S. 357. 32 Ebenda.

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schäft . . . einmal mit größerer Naturtreue“ darzustellen, sondern auch darum — und in diesem Sinne trifft der Titel zu —, die zwei­ deutige Haltung des Österreichers schlechthin in eindeutigen Situatio­ nen aufzuzeigen und des Österreichers Vorliebe ironisch zu beleuchten, lieber einen zweideutigen Kompromiß mit den Gesinnungen anderer zu schließen, statt sich durch eigene, eindeutige Gesinnung zu kom­ promittieren. Alice Rauscher weiß um diese Eigenheit und rechnet auch mit ihr: „Glauben Sie vielleicht, daß in diesem eher unsoliden Land hier über irgendeine Unsolidität nicht hinwegzukommen wäre?!“ (S. 76). Aus dem Skandal wird bloß ein „Palawatsch“ (S. 106), nicht der Rede wert, nachdem die Affäre durch die Scheinverlobung wieder aus der Welt geschafft ist. Der Autor greift hier eine Geisteshaltung an, die von dem typisch österreichischen Motto geprägt ist: Um Gottes willen, nur kein Skandal, alles andere wird sich schon finden, „bis Gras über die Affäre gewachsen ist“ (S. 121). Die Lösung ist das österreichischste am Ganzen, denn sie heißt: Vertuschelung um jeden Preis, Wahrung der gesellschaftlichen Fassade, mag auch der eigentliche Bau in Trümmern liegen.

Auch das weitere Bühnenschaffen Lernet-Holenias steht vorwie­ gend im Zeichen der witzig-amüsanten Unterhaltung, mit einer Ten­ denz zur Satire. Nach der unerbittlichen Gesellschaftskritik, die „iro­ nisch, kalt und lieblos“ 33 in „Ollapotrida“ und in der „österreichi­ schen Komödie“ aufleuchtet, hat der Autor nunmehr zu einer mil­ deren Tonart gefunden, wenn er auch das aristokratische Milieu dieser Lustspiele nicht mit jener fast rührenden Verliebtheit zeichnet, wie es Hofmannsthal tat. Der scheinbare Ernst des Daseins — vor­ nehmlich das der oberen Gesellschaftsschichten — wird als wichtig­ tuerische Hochstapelei entlarvt: der Gegensatz von Schein und Sein steht immer im Vordergrund. Aber je weiter der Abstand zum Jahr 1918 wird, desto mehr geheime Trauer um eine verlorene Welt klingt an und läßt des Autors strenges Engagement gegen gesellschaftliche Mißstände, gegenüber einer „aus Zuneigung und Liebe zu einer Le­ bensform“ 34 geborenen Gesellschaftskritik, zurüdktreten. Mit der dramatischen Skizze, dem Einakter „F l a gr an t i“ 35 (1927), setzt Lernet-Holenia das Thema von „Ollapotrida“ fort, läßt aber hier, bei aller Ironie, deren geißelnden Spott vermissen. Viel­ mehr entpuppt sich das Stück als ein frivoler Scherz, an dem der Autor selbst sichtlich seinen Spaß hatte. 33 Nagl — Zeidler— Castle, a. a. O., 4. Bd., S. 1253. 34 Dietrich, Margret, a. a. O., S. 63. 35 Möglicherweise mit dem verschollenen Einakter „Bluff“ identisch.

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Inhalt (Personen: Vieregg; Franzi, seine Frau; Kari Veith): Die Szene ist in einem großen, verdunkelten Salon. Franzi Vieregg betrügt ihren Mann mit Kari Veith. Vieregg wiederum hat eine Liaison mit der Tänzerin Apollonia, die angeblich noch zu einem Zweiten Beziehungen unterhält. Vieregg ertappt seine Frau mit Veith in flagranti und will ihn umbringen. In höchster Not kann Veith sich, da alle Türen versperrt sind, nur noch mit den Worten „Sesam, öffne dich“ durch eine Falltür retten. Vieregg ist perplex, spricht dieselbe Formel und kann ihm nacheilen. Inzwischen ist Veith bei einer anderen Falltür wieder aus der Versenkung herausgekommen. Das rasende Verfolgungsspiel wieder­ holt sich mehrmals. Da hält Veith mit Franzi die eine Falltür, durch die Vieregg ihm nacheilen will, zu. Sie beschließen, Vieregg eine Komödie vor­ zuspielen und ihn glauben zu machen, er, Veith, sei nur zu Franzi gekom­ men, um sie vom Verhältnis ihres Mannes zu Apollonia zu informieren, da er, Veith, seinerseits ebenfalls mit Apollonia liiert sei und sie zu heiraten gedenke: Franzi sollte ihren Mann dazu bewegen, Apollonia dem Kari Veith nicht länger abspenstig zu machen. Aus Eitelkeit und Freude, Veith die Freundin weggeschnappt zu haben, fällt Vieregg auf die Komödie herein und vergißt die verfängliche Situation, in der er seine eigene Frau angetroffen hat: Stolz wie ein Hahn plustert er sich als „Sieger“ auf dem „Schlachtfeld der Liebe“ auf, fühlt sich als die Personifikation der Männ­ lichkeit schlechthin und glaubt sogar, dem „gekränkten“ Veith sogar ein Duell verweigern zu können. Den Gebrochenen spielend, verläßt Veith die Szene, und auch Franzi lacht den eitlen Betrogenen heimlich aus.

„Flagranti“ ist das erste Stück in der Reihe jener Dialogkomödien („Erotik“, „Parforce“), die die Ansicht, ein Ehebruch lohne sich vor allem dann, wenn der Mann dadurch interessant wird, ironisch be­ leuchten: VIEREGG: „ ... Das soll mir einer nachmachen. Wenn das publik wird, bin ich der berühmteste Lebemann von Mitteleuropa. Ich werde dafür sorgen, daß es publik wird .. .“ (S. 10).

Eine fast lausbübische Freude am theatralischen Spaß verführte den Autor dazu, auch die Unterbühne, akustisch, in das Spiel einzube­ ziehen. So gelingt es ihm, Ober- und Unterbühne mit rasender Tur­ bulenz anzufüllen und die Komik zu erhöhen. Wie in „Ollapotrida“ und später dann in „Kavaliere“, „Lauter Achter und Neuner“ und auch in der „Spanischen Komödie“ geht es auch hier in „Flagranti“ um das Thema des betrogenen Betrügers, in das sich nicht nur Veiths und Franzi Viereggs heimliches Lachen mischt, sondern auch das des Autors. Blitzartig leuchtet immer die hintergründige Ironie Lernet-Holenias selbst in den leichtesten Ko­ mödien auf, denn sein Humor hat Abgründe und Tiefen, der seine Lustspiele mitunter zu metaphysischen Possen macht. 98

„Flagranti“ könnten auch die nächsten Lustspiele heißen, in denen die Personen von ihren Liaisons, die kreuz und quer durcheinander laufen, ganz eingenommen erscheinen. Auch die dreiaktige Komödie „E r o t i k“ 38 (1927) setzt diese Linie frivoler dramatischer Späße fort, in denen die Freude am guten Witz, an überraschenden Situa­ tionen und geistsprühendem Dialog, der der Eleganz schmiegsamer Florettfechter gleicht, überwiegt und vor lauter Mißverständnissen, Verwirrungen und Gerede über Erotik die Erotik vergessen läßt. Der Titel von „Erotik“ verspricht viel Schlimmeres, als dann schließlich passiert: auch er ist Ironie. Inhalt (Personen: Clemens Sternfeld, Otto Kubin, der junge Spittel, Franz Beck; Blanche Kubin, Maresi Beck, Karla; die Generalin; Mayerhöfer u. a.): Baron Clemens Sternfeld glaubt in seiner Prüderie, in zwei miteinander zur Musik eines Grammophons tanzenden Damen, Blanche und Maresi, eine lesbische Tatsache zu erblicken. Durch sein Gerede wird das harmlose Tänzchen dem Gatten der einen, Otto, und dem Bräutigam bzw. Cousin der anderen, Franz, zum Grund entsetzlicher Verwirrung und Eifersucht. Eine dritte Dame, die Tänzerin Karla, ergänzt die Dreiheit der erregten Paare. Im Schlußakt, der in einer Bar spielt, erreicht die Figurenmischung ihren Höhepunkt: Blanche läßt sich von Otto scheiden und verlobt sich mit Clemens, und Maresi heiratet nicht ihren Cousin, sondern Spittel.

Die ersten zwei Akte sind eine (schwächere) Nachahmung von „Ollapotrida“, mit der „Erotik“ gewisse Verwechslungsmomente und vor allem die Ähnlichkeit im Charakter, oder besser: im Typus der Hauptpersonen gemein hat. Aus der „österreichischen Komödie“ wie­ derum erkennt man die satirische Absicht: die Darstellung des Zer­ falls des alten Österreich in dem Augenblick, in dem der Adel die Allüren der Neureichen nicht mehr bekämpft. Das alte, noch ethos­ bewußte österreichertum kritisiert diese spielerische, oberflächliche Gesellschaft durch seine oberste und unterste Standesvertretung: durch die Generalin und den Diener Mayerhöfer. Aber „Erotik“ ist weniger auf Pointen, sondern mehr auf (oft schwache) Situationskomik ge­ stellt, die aber für den, eigentlich überflüssigen, dritten Akt nicht mehr recht ausreicht (das Stück wurde daher auch später vom Autor gekürzt: der 3. Akt wurde gestrichen). Eine Variante zum Thema Erotik bringt „Par force"31 (1928), ein ebenfalls auf drei Akte verteilter Einakter. Hier lautet die Maxime (in Abwandlung zu „Flagranti“): den Frauen macht der*37 38 Siehe Kritikenverzeichnis: K 65—67. 37 Siehe KritikenVerzeichnis: K 68—74.

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Ehebruch nur dann Spaß, wenn sie ihre Freundinnen dabei betrügen können, und eine Frau duldet die Eskapaden ihres Gatten bloß dann, wenn e r dadurch vor der Welt interessanter wird. Inhalt (Personen: Stephan Goertz 38, Marie Goertz38; Vorreith, Lucy Vor­ reith; Gabriele Ridinger, Fezi Leblon; eine Unbekannte, eine junge Dame, zwei weitere Damen; das Dienstmädchen Franzi u. a.): Goertz ist ein Kavalier und Herrenreiter von unwiderstehlicher Attrak­ tion und Anziehungskrasta us die Weiblichkeit, die seiner Neigung zu Seitensprüngen nur förderlich sind. Seine Frau ist stolz darüber, daß er soviel „Succès“ hat. Auf Grund von wahren und falschen Gerüchten wird er schließlich von liebeshungrigen, abenteuerlustigen Frauen, die ihn fast wie bei einer Treibjagd „par force“ jagen, so bedrängt, daß er sich ihrer kaum noch erwehren kann und sich zuletzt mit einem zu Tode gehetzten Hirsch vergleicht. Schließlich befördert er in einer Art von erotischem Verfolgungswahn alle zum Haus hinaus und begnügt sich mit seiner Frau — und dem Stubenmädchen.

Bildet schon der Inhalt von „Ollapotrida“ ein unentwirrbares Durcheinander von erotischen Beziehungen nebst entsprechenden Si­ tuationskonflikten, gestaltet im Stil der Commedia dell’arte, so sind in „Parforce“ alle erotischen Möglichkeiten aufeinander losgelassen. Für die nächsten Stücke könnte fast ausnahmslos ein Dialog aus Lernet-Holenias Prosa-Pamphlet „Die vertauschten Briefe“ gelten: A: Sie haben vollkommen unanständig gehandelt! B: Aber nur, weil ich kein Geld hatte. A: Wenn man Geld hat, ist es ja auch keine Kunst, anständig zu handeln.

Denn in der dreiaktigen Komödie „Kavaliere“ (1930) tritt zum Hauptmotiv all dieser Lustspiele, zur Liebe bzw. Erotik, noch ein weiteres hinzu: das Geld. Nicht so sehr die Liebe, über die man nötigenfalls sehr rasch hinwegkommt, sondern vielmehr das Geld, das man nicht hat und das man nicht so sehr zu gewinnen als zu „erwischen“ trachtet, sind die Hauptelemente der bunt durcheinander­ wirbelnden Vorgänge. Schon der Titel ist daher wieder Ausdruck von Lernet-Holenias satirisch-gesellschaftskritischer Betrachtungsweise : nicht Kavaliere, sondern Hochstapler, Freibeuter der Liebe, Schwind­ ler, Betrüger, ja Mörder bevölkern die Szene. Ironisch-sarkastisch flammen die Lichter in diesem Lustspiel von der Jagd nach Liebe und Geld auf. Das Stück verdankt seine Entstehung einem Plan Max Reinhardts, eine von Hofmannsthal hinterlassene musikalische Komödie von 38 Heißen in einer späteren Ausgabe auch: Herr und Frau v. Lenk.

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Lernet-Holenia zu Ende bringen zu lassen, mit welcher dann Rein­ hardt das Theater am Kurfürstendamm (Berlin) eröffnen wollte. Der Plan scheiterte; das Stück wurde dann gänzlich verändert und erschien mit dem nunmehrigen Titel, wurde aber nie gespielt. ” Inhalt (Personen: Schall, Cilly Schall, Strasser, Trautsohn, Consuelo, Henrietta, ihre Mutter; Sergej A. Ujechnin, Michail W. Ujechnin, Kornej W. Protopopow, Kusmin D. Kosakow, Agafja K. Kosakowa u. a.): Der 1. Akt spielt in Cillys Schlafzimmer, dann auf einer Terrasse eines Hotels an der Cöte d’Azur. Schall und seine Frau, Cilly, sind pleite: ihr Vater hat Bankrott gemacht, die Apanage ist zum Teufel. Cilly heckt einen Plan aus, um wieder zu Geld zu kommen: Sie fahren nach Cannes, wo Schall die Bekanntschaften von reichen Damen suchen und diese, mit der Drohung, sie zu kompromittieren, erpressen soll. Consuelo, die mit einem Grafen Trautsohn verlobt ist, ist sein erstes Opfer. Er verliebt sich aber in sie und hat nun Hemmungen, ihr die Wahrheit zu gestehen. Schließ­ lich rafft er sich doch auf und erhält prompt von ihrer Mutter, obwohl sie über die Frechheit empört ist, einen Scheck über 10.000 Dollar. In­ zwischen ist aber Cilly, wütend über ihren, wie sie glaubt, lebensuntüch­ tigen Mann, mit Strasser, einem Regenschirmfabrikanten, durchgebrannt. Der 2. Akt spielt in der Parfümerie des Sergej Ujechnin in Berlin. Sergej ist ein russischer Emigrant und Schwindler, der sich als der Mörder des Metropoliten von Rostow ausgibt und sich obendrein den Fürstentitel zugelegt hat. Sein Ruf, ein Mörder zu sein, läßt sein Geschäft bei über­ spannten Frauen florieren, die bei ihren Einkäufen vor allem ein erotisches Abenteuer suchen. Cilly, die Strasser geheiratet und seine Regenschirm­ fabrik durchgebracht hat, ist auf der Suche nach einer neuen Geldquelle auf Sergej gestoßen. Dabei entdecken sie und Strasser, daß Sergej sich nur als Mörder ausgibt, ohne es wirklich zu sein, nur um sich interessant zu machen und den Umsatz zu fördern. Mit Hilfe seines plötzlich aufge­ tauchten Bruders Michail, der selbst der Mörder zu sein behauptet, ent­ larven und erpressen sie ihn. Um seine gut zahlende weibliche Kundschaft, auf die er nur als Mörder die größte Anziehung ausübt, nicht zu verlieren, beteiligt Sergej Cilly, Strasser und Michail am Geschäft. Doch auch Michail will als Mörder gelten, nachdem ihm „sein“ Mord „gestohlen“ worden ist: sie beschließen, ihn nun als Mörder des Hofintendanten Dunin auszugeben, der bei einem Attentat von einer Bombe zerrissen wurde, so daß weder von ihm noch von seinem Wagen — und den Juwelen einer Großfürstin, die er bei sich hatte, eine Spur zu finden war. Da erscheint plötzlich ein Bettler, der um eine milde Gabe bittet: er stellt sich als Protopopow, den Mörder des Hofintendanten Dunin, vor. Michail sieht sich wieder um einen Mord geprellt und wirft Protopopow wütend hinaus; dieser schwört Rache.

39 Vgl. Lernet-Holenia: Das Calatrava-Kreuz (= Die Bühne, 8. Jg., Nr. 309), Wien 1931, S. 22 f.

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Der 3. Akt spielt in einem Hotel in Berlin. Schall gelingt es, Consuelo, die inzwischen Trautsohn geheiratet hat, wieder zu versöhnen und für sich ein­ zunehmen. Als er des Nachts ihr Hotelzimmer verläßt, sieht er sich plötz­ lich Cilly, Strasser, Sergej und dessen Geliebten Agafja, deren Vater Kus­ min, und weiters Michail und Protopopow gegenüber: Da das Parfümerie­ geschäft Pleite gemacht hat, als Protopopow seinerseits die Brüder Ujechnin & Co. zu erpressen begonnen hatte, mußten sie alle sich nach einer neuen Geldquelle umsehen und hatten nun Schall als Opfer ausersehen: Sie wollen Cillys Anteil an Schalls seinerzeitiger Erpressung von Consuelo in Cannes eintreiben. Der Lärm der erregten Auseinandersetzung ruft Traut­ sohn aus seinem Zimmer auf den Plan. Dabei glaubt Sergej in ihm, Traut­ sohn, den ermordet geglaubten Hofintendanten Dunin zu erkennen: als dieser sich daraufhin sofort zurückzieht, sieht Sergej seine Vermutung be­ stätigt. Die Behauptung Protopopows, der Mörder Dunins zu sein, ist also ebenfalls falsch. Nun gesteht Protopopow ein, das Attentat auf Dunin nach einer Absprache mit ihm bloß für die Öffentlichkeit vorgetäuscht zu haben, um sich gemeinsam mit Dunin in den Besitz der Juwelen teilen zu können: doch Dunin ließ sich mitsamt den Juwelen nirgends mehr blicken. Der Wirbel und die Konfusion erreichen nun ihren Höhepunkt: Schall flieht vor Cilly, Strasser, Agafja und Kusmin in eines der Hotelzimmer, verfolgt von der Meute; Trautsohn recte Dunin wiederum flüchtet vor Sergej, Michail und Protopopow in sein eigenes Zimmer, alle drei hinterdrein. Gleich darauf erscheint Dunin jedoch wieder, reisefertig angekleidet, und verlangt unter einem Vorwand von seiner Schwiegermutter, Henrietta, augenblick­ lich einen Scheck über 10.000 Dollar. Sie begibt sich in ihr Zimmer, um ihn auszustellen. Inzwischen sieht sich Schall, durch die Androhung Cillys, sein Verhältnis mit Consuelo dem Trautsohn mitzuteilen, gezwungen, eben­ falls von Henrietta einen Scheck zu erpressen. Diese reicht, in der Meinung, ihr Schwiegersohn stehe noch vor der Tür, den Scheck heraus. Schall ist er­ staunt, aber nimmt ihn. Als Schall dann die wahre Identität Trautsohns und von der Juwelengeschichte erfährt, spielt er alle gegeneinander aus: Er läßt Dunin, den er in seinem Zimmer festhält, mitsamt den Juwelen entfliehen und hetzt ihm die Meute nach. Damit ist er alle los. Henrietta gibt er den irrtümlich erhaltenen Scheck als den von ihm seinerzeit erpreßten zurück, glänzt somit als Kavalier und verlobt sich mit Consuelo.

Die Bühnenwirksamkeit liegt in der, der Commedia dell’arte ent­ lehnten, Turbulenz des Geschehens. Der verblüffende Ablauf wird durch ein verwirrendes und oft köstliches Türen-Auf und Türen-Zu, das der Autor sosehr liebt, noch erhöht. „Kavaliere“ ist die — neben „Ollapotrida“ — vielleicht echteste, typischste Komödie LernetHolenias. In kaum einer anderen werden die Figuren auf derart verwirrende, aber immer geistreiche und plausible Weise hin und her jongliert wie hier. Deutlicher als kaum anderswo offenbart sich in dieser Komödie ein Problem, das den Autor immer wieder bewegt, und auf das schon früher hingewiesen wurde: das Problem der Iden­

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tität; das Problem, daß Menschen die Rolle eines anderen übernehmen und weiterspielen. Man spürt hier, was auch für sein Gesamtwerk gilt, etwas Hintergründiges, Verborgenes, das von dem für den Dich­ ter so bedeutenden Motiv von der Ungewißheit und Vertauschbarkeit jeder Identität ausgeht. Der Reihe nach entpuppen sich die Personen als jemand anders, als sie zu sein vorgeben. Sie besitzen zunächst keine innere Wirklichkeit, sondern lediglich eine selbstgefügte Kon­ struktionsexistenz, die sie mit einem Kostüm umhüllen. So wird die Jagd nach dem Geld zu einer Jagd nach der Identität, nach einem anderen Ich, die sich, übergossen von des Autors ironischem Humor, wie ein grotesker Spuk ausnimmt. MICHAIL: „Aber stehlen hast du ihn mir können, was? Stehlen schon? Ich habe mein ganzes Leben lang weder etwas gelernt noch geleistet, ich habe nichts Nennenswertes weder besessen noch verwaltet, ich habe weder etwas getan noch mir tun lassen: nichts habe ich geleistet in meinem ganzen Leben, nur diesen Mord habe ich vollbracht, und den hast du mir jetzt gestohlen! Ich bin ein Bettler!“ (S. 32).

In der Komödie „Kavaliere" spiegeln sich Illusion und Wirklich­ keit, die zu einem höhnischen „Theater des Lebens“ werden. Gipfel­ punkt der Satire: nicht mehr die Scheinwelt aristokratischen Lebens ist Ziel der Lebensjagd, sondern die Identifikation mit Mördern. Der Dialog zeigt oft brutale, nackte Schärfen, die einen schauern lassen können, verbunden mit so manch intellektueller Bosheit, die an Nestroy zu erinnern vermögen. Es ist bedauerlich, daß dieses Lustspiel nie aufgeführt wurde und ihm andere, weniger interessante Stücke des Autors vorgezogen wurden. Auch in „Kapriole n“ 40 (1931), einer Komödie in vier Akten, steht ein Gauner im Mittelpunkt: ein Bankrotteur des Lebens, der als Falschspieler das Glück — und die herkömmliche Anschauung von Moral korrigiert. Lernet-Holenia läßt seinen „Helden“ prinzipiell nicht wie einen Kavalier handeln und dadurch einer falschen Moral mit ihrer Antithese „aufs Maul treten“. Das Stück wurde in Deutschland unter dem ursprünglichen Titel gespielt, in Österreich aber, nunmehr auf drei Akte gekürzt, mit dem neuen und heute geläufigeren: „Lauter Achter und Neun e r.“ Inhalt (Personen: Herr von Miller, Baron Flondor; Claire, seine Frau; Dudressier, Neumann, Kalchberg; Stephan u. a.):

40 Siehe KritikenVerzeichnis: K 75—85.

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Miller beschwindelt Flondor und seine Freunde im Kartenspiel. Stephan, der Diener Flondors, den er bestochen hat, hilft ihm dabei. Als Miller ertappt wird, kann er die Spielpartner durch sophistische Spitzfindigkeiten über Moral und Unmoral geschickt verwirren und sich aus der Schlinge ziehen. Aber Miller betrügt Flondor auch noch mit Claire. Flondor fordert ihn, zur Wiederherstellung seiner Ehre, zum Duell. Nun düpiert Miller Flondor ein drittes Mal: er inszeniert eine Duellkomödie. Er trifft mit dem Kampfarzt die Abmachung, nach Flondors Schuß niederzustürzen und sich tot zu stellen; der Arzt muß nur die Todesurkunde ausstellen. So geschieht es auch: Obwohl Flondor in die Luft schießt, fällt Miller um, und der Arzt erklärt ihn für tot. Alle Beteiligten sind entsetzt und können es nicht be­ greifen. Als Flondor mit seiner Begleitung fort ist — ihn erwartet nun eine Zuchthausstrafe —, erhebt sich Miller wieder und organisiert sein „Begräbnis“. Er will unter anderem Namen und mit Claire ein neues Leben beginnen.

Es ist eine amoralische und sicherlich darum lustige Komödie, hinter der sich ein groteskes Spiegelbild vom Verfall einer innerlich ausgehöhlten Gesellschaft, ihrer Moral und der sinnlos gewordenen Ehrbegriffe verbirgt. Miller stellt die Dinge auf den Kopf und erklärt die Unmoral zur Moral, nennt alles, was ihm nicht paßt, ein Vor­ urteil. Er repräsentiert einen optimistischen Nihilismus, da für ihn nichts wirklich, alles bloß gedacht, nur im Denken existent ist und daher alles Lästige und Peinliche leicht aus der realen Welt hinweg­ gedacht werden kann: „Sagen wir einfach: es war nichts“ (S. 22); und: „ Es kommt nicht auf das an, was man tut, es kommt nur darauf an, wie man es auffaßt“ (S. 29). Die Normen der Gesell­ schaft existieren für ihn nicht mehr, da er sie nicht mehr anerkennt: „Die Gesellschaft ist eine blöde Erfindung!“ (S. 44). Dieses possenhafte Lustspiel, das von Vorurteilen handelt, mit denen zu leben es „gräßlich mühsam“ (S. 30) ist, gleicht einer Steg­ reifkomödie, in der der Autor mit Worten und Sätzen jongliert. Und einer solchen scheint der Diener Stephan auch entnommen zu sein, der als geistig Minderwertiger als fast einziger noch Spuren von echter Anständigkeit zeigt: „ ... Das ist ja mein Unglück, daß das Böse mir so gut gefällt. Es bereitet mir ein schreckliches Vergnügen. Aber ich werde doch dagegen tun, was ich kann!“ (S. 28). Er ist zwar Millers Komplice, doch verdirbt er seinem Herrn immer wieder alles durch wohlmeinendes, aber einfältiges Ungeschick. Eine eingehende Besprechung der „Liebesnächte“ (1931), ein Lustspiel in drei Akten, muß entfallen, da kein Dramentext, auch nicht nach Rückfrage beim Kiepenheuer-Verlag, aufzutreiben war.

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Lediglich eine Handvoll von Aufführungskritiken konnten eruiert werden.41 Die Komödie „D ie Abenteuer der Kascha“ (1932), eine Szenenfolge in acht Bildern, ist die Bühnenfassung des Romans „Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen“ (1931). Sie resultiert aus dem unmittelbaren Fronterlebnis im 1. Weltkrieg, den LernetHolenia als blutjunger Fähnrich an der Ostfront mitmachte. Der Schauplatz der Handlung ist demnach auch in Polen, in der Zeit zwischen Oktober 1916 und Mai 1917. Der Held ist zwar ein deut­ scher Leutnant, das Milieu des Stückes trägt aber unverwechselbar Züge der k. u. k. Monarchie. Inhalt (Personen: Herr von Lubienski, die Lubienska; deren Töchter Duschka und Claire; Keller, Leutnant im Husarenregiment König von Hannover = Kascha; Herr von Gawronski, die Gawronska; Herr von Zagorski, die Zagorska; Graf Lewenhaupt; Hartlieb, Lawrentjew u. a.): An der Ostfront tobt der Krieg. Keller wird bei der Ausführung eines militärischen Auftrags hinter die russischen Linien verschlagen und flüchtet vor seinen Verfolgern in ein Bauernhaus. Er zwingt den Bauern und Händ­ ler Hartlieb, ihn nicht zu verraten und ihm Zivilkleider zu geben. Um nicht als ein junger Bursche, der noch nicht zum Militär eingezogen wurde, aufzufallen, wählt er Mädchenkleider. Er verdingt sich als Bauernmagd auf dem Gut des Herrn von Lubienski. Dort wird er von sämtlichen männ­ lichen Bewohnern seiner Hübschheit wegen belästigt und kann sich ihrer oft nur mit Mühe erwehren. Aber auch den beiden Töchtern, die von den Söhnen der benachbarten Gutsbesitzer, Stephan und Lewenhaupt, umwor­ ben werden, bleibt Kascha nicht gleichgültig. Schließlich entdecken beide Mädchen sein Geheimnis, verraten ihn aber nicht. Im Gegenteil: Duschka erwartet eines Tages ein Kind, will aber den Namen des Vaters nicht nennen. Stephan, der schon vergebens gehofft hatte, erklärt sich bereit, Duschka zu heiraten. Mitten in die Hochzeitsvorbereitungen platzt ein rus­ sisches Stabskommando, das im Gutshof Quartier bezieht. Kascha, recte Keller, der seine Uniform bei sich im Zimmer versteckt hat, befürchtet nun, daß diese entdeckt werden könnte. Er verpackt sie in mehrere weg­ geworfene Militärkarten, die er auf dem Fußboden im Zimmer des russi­ schen Generals findet, und schickt das Paket an Hartlieb mit der Bitte, die Uniform zu verstecken. Keller, ein strategisches Kirchenlicht, ahnt dabei nichts von der Bedeutung dieser Karten: Sie enthalten den skizzierten Aufmarschplan zu einer russischen Offensive. Lawrentjew, ein degradierter und aus der Armee ausgestoßener russischer Stabsoffizier, der sich als Kutscher bei Hartlieb verdingt hat, bekommt die Karten in die Hand und erkennt sofort ihre Bedeutung. Aus Rache über seine Degradierung spielt er sie der deutschen Seite mit der Bemerkung zu, sie kämen von Leutnant

41 Siehe KritikenVerzeichnis: K 86—93.

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Keller. Als man zuletzt auf dem Gutshof die wahre Identität Kaschas ent­ deckt, ist es zu spät: die russische Offensive bricht zusammen — und Claire erwartet ebenfalls ein Kind. Kascha flieht. Nicht nur der russische General ist darüber unglücklich, sondern auch die Lubienskis, die ihren zukünftigen Schwiegersohn schon entschwunden glauben. Mit den siegreichen deutschen Truppen kommt aber auch Keller wieder, wird vom deutschen Stabschef als Held gefeiert, was er sich aber absolut nicht erklären kann, da er von Lawrentjews Tat nichts weiß. Claire umfangen haltend, nimmt er, ob des Sachverhalts zwar ahnungslos, stolz die Ovationen entgegen.

Den düsteren Hintergrund des Stückes bildet der 1. Weltkrieg und — im weiteren Sinn — der Untergang der Monarchie. Scherz, Satire und Ironie „verschleiern“ die tiefere Bedeutung der tragischen Er­ eignisse zu einem Bild geradezu romantischen Geschehens. Humorvoll wird der polnische Landadel geschildert. Die Familien, von denen fast jede ihren Stammbaum auf einen König zurückzu­ führen trachtet, leben noch immer ihr von den unruhigen Zeitläuften unbeeinflußtes Leben und versuchen, eine gewisse Romantik aufrecht­ zuerhalten. Von großer komischer Wirkung ist die ironisch gezeich­ nete Figur des Gutsbesitzers Lubienski: solange die Sonne scheint, hängt er seine sämtlichen Kleider in die Sonne, um sie zu lüften, und spielt dazu verträumt Klavier. Wenn er sich um seine Familie oder um sein Gut kümmern soll, schreit er und raucht wie ein Schlot. Die Personen sind lebendig, das Geschehen als Ganzes aber ist un­ wirklich und durch und durch komödienhaft, durchzogen von leiser Ironie. Allein die Schlußszene, in der Leutnant Keller für seine „militärischen Verdienste“, von denen er nichts weiß, geschweige denn verantwortlich zeichnet, einen Orden erhält, ist reinste Ironie, purer Spott und voller Komik. Die beiden letzten Komödien dieses Kapitels, „Glastüren“ und „Spanische Komödie“, zielen wieder auf das Dilemma einer in schmerzlichem Wandel begriffenen Gesellschaft ab. So konfrontiert Lernet-Holenia in den „Glastüren“ die verarmte Hocharistokratie als Vertreter einer überalterten Zivilisation mit der jungen Scheinmoral der reichen „paying guests“ aus den USA; so liefert die „Spanische Komödie“ mit ihren echten und unechten Grafen ein Schelmenstück, in dem Talmi-Eleganz und prätentiöses Bürgertum zum Ziel für Florettgefechte scharf geschliffener Pointen werden. Zusammen mit seiner „österreichischen Komödie“ setzen diese beiden Lustspiele Lernet-Holenias die Tradition österreichischer Gesellschaftsstücke fort, die in Schnitzler und Hofmannsthal kulminierte. Sie persiflieren in einer Fülle von ironischen Sentenzen, leicht hingeworfenen Aphoris-

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men und eleganten Aperçus die feine Gesellschaft und sind doch zugleich auch deren wehmütige Glorifizierung.

Die dreiaktige Komödie „Glastüren “ 42 (1939) gleicht der „österreichischen Komödie“, geht aber in der Abwandlung des The­ mas vom zweifelhaften Vorleben einer Braut einen Schritt weiter als die satirisch-bittere „österreichische Komödie“: sie führt zum ent­ scheidenden „Ja“ der männlichen Hauptperson am Schluß des dritten Aktes und verliert damit den bitteren Nachgeschmack. Dem Titel kommt zweierlei Bedeutung zu: zum ersten heißt „Glastüren“ ein anrüchiges Nachtlokal in Paris, mit dem es seine besondere Bewandt­ nis hat; zum zweiten gewährt uns der Autor gleichsam durch Glas­ türen einen Blick in österreichische Aristokratenkreise nach dem Zer­ fall der Monarchie. Es sind Türen aus mattem Glas, durch die wir die Bewegungen der Menschen sehen, ohne ihre Züge zu erkennen. Sind diese Glastüren nicht ein Symbol dieses Lebens? Wir beobachten die Handlungen unserer Mitspieler auf der Bühne dieser Welt, aber ihre Beweggründe und ihr wahres Ich bleiben uns meist verborgen, bis uns ein Blick, ein Wort plötzlich ein Wesen enthüllt, das uns fremd, ja unheimlich anmutet, weil wir so lange neben ihm lebten, ohne es zu kennen. In dieser Komödie offenbart sich ein Wissen des Dichters um ewige Fremdheit, die zwischen uns Menschen liegt. Inhalt (Personen: Graf Aloys Trautsohn, Maria del Pilar, seine Tochter; Mumu Graf Purgstall, Theres Purgstall, Graf Promnitz, Prinz Latour, Anna Latour, die zweite Tochter Trautsohns; Gräfin Marsano; Clarence Cooper, Patricia, Priscilla; der Dienstmann Eipeldauer u. a.): Die Trautsohns leben nach dem Verlust ihres Vermögens davon, reiche Amerikaner als paying guests in ihrem Schloß aufzunehmen. Lawrence Cooper verliebt sich während dieses Aufenthaltes in Maria del Pilar. Er hat das unbestimmte Gefühl, ihr schon früher einmal begegnet zu sein. Beharrlich widersteht sie seiner Werbung, obwohl sie Cooper eingesteht, ihn zu lieben, was für ihn umso befremdender ist; doch den Grund ihrer Weigerung zu sagen, lehnt sie ab. Sie glaubt, nicht die Frau zu sein, die er sucht. Denn auf ihr lastet eine „Vergangenheit“: sie liebte einst Promnitz, ihren Vetter, dem sie heimlich nach Paris nachreiste und durch den sie auf die schiefe Bahn geriet, da er sie sitzen ließ. In einem zweifelhaften Nacht­ lokal mit Namen „Glastüren“ versuchte sie, erfolglos, Geld zu verdienen: sie war käuflich. Als Maria del Pilar schließlich doch noch, wenn auch widerstrebend, in die Verlobung einwilligt, wird sofort die Hochzeit vor­ bereitet. Am Tag vor der Feier werden die letzten Einzelheiten besprochen, und der Vater schlägt vor, die Tafel im Gartensalon bei geöffneten Glas­ türen zu veranstalten. Damit fällt das Stichwort — ein Blitz der Erinne­

42 Siehe KritikenVerzeichnis: K 94—117.

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rung schlägt in Coopers Hirn ein. Plötzlich weiß er, wo er Maria gesehen hat: im Pariser Animierlokal „Glastüren“. Er tritt von der Verlobung zurück. In einer entscheidenden Aussprache der beiden überzeugt sie ihn, daß nicht das, was einmal war oder was die verletzte Eitelkeit eines Mannes als gegeben annimmt, zwei Liebende leiten soll, sondern die echte, tiefe Liebe, der die Zukunft gehört. Inzwischen treffen auch schon die Hochzeitsgäste ein und gruppieren sich; Theres Purgstall drückt dem noch Unschlüssigen Hut und Handschuhe in die Hand — und Cooper gibt sein Ja-Wort.

Die Komödie wurde in einer Zeit geschrieben, deren Hektik die tiefgehende Zerrüttung der gültig gewesenen Ordnungen nur be­ schleunigte. Selbst eine gesellschaftliche Schicht, die durch uralte Tra­ dition hätte gefeit sein sollen, der Adel, konnte einem Prozeß, den Hermann Broch einmal den „Zerfall der Werte“ 43 nannte, nicht aus­ weichen. Die Äußerlichkeiten einer aristokratischen Konvention blie­ ben zwar gewahrt, die innere Haltung aber ging verloren. So mora­ lisiert Lernet-Holenia hier wie auch in anderen Stücken dieses Genres gegen eine bestimmte Moral, die zur Standesmoral geworden ist. Kern der Komödie ist die zarte und einfühlsame Liebesromanze zwischen Cooper und Maria del Pilar; sie gleicht jener in der „Nächt­ lichen Hochzeit“ und in den „Lützowschen Reitern“. Beide Figuren sind Träger zweier verschiedener Welten und Geisteshaltungen: der hohlen Dekadenz einer nicht mehr zeitgemäßen Gesellschaftsschicht steht die Scheinmoral eines jungen Amerikaners ohne Einsicht gegen­ über. Es ist die Konfrontation amerikanischer Mentalität und Moral mit der Moral und der zur Haltung gewordenen skeptischen Menta­ lität einer bestimmten österreichischen Gesellschaft. Zwischen den Liebenden liegt die Frage: Muß die wahre Liebe des Mannes nicht auch das Vorurteil gegen die Vergangenheit der Frau überwinden? Die Glastüren erscheinen als das trennende Symbol zwischen den Liebenden. Doch zu diesem Vorurteil, zu der moralischen Empörung, scheint sich auch noch Coopers Gefühl zu mengen, um sein gutes Geld geprellt worden zu sein, da er sieht, daß in diesen Aristokraten­ kreisen, die ihm so imponierten, etwas „Derartiges“ möglich ist. Aus der Komödie scheint ein Drama zu werden, aber die Kraft jener Liebe, die alles überwindet, weil sie verzeiht, führt die sich Fremd­ gewordenen wieder zueinander, getreu des Dichters Satz: „ ... eine Komödie läßt Verwandelte sich wiederfinden“ (These 43). Das Problem der Komödie ist der Weg zu diesem „Ja“. Es geht um das Sich-Verlieren einer Frau, die in ihrer Sehnsucht auf Gegenliebe 43 Programmheft zur Uraufführung im Theater in der Josefstadt (14. 2. 1939).

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hoffte, enttäuscht wurde und nun wieder wartet, daß ein Mann ihr Leben mit wahrer Liebe erfüllt. Hier läßt der Dichter zum ersten Mal wahre Liebe zu einem glück­ lichen Zusammenleben führen, während er in allen anderen Stücken, die von tiefer, echt empfundener Liebe handeln, von der Unerfüll­ barkeit als Sinn der Liebe spricht: Nur Liebende, die unglücklich oder voneinander fern sind, gehören zueinander (z. B. „Die nächtliche Hochzeit“, „Der Triumph des Todes“, „Die Lützowschen Reiter“). Diese zarte und doch leidenschaftliche Liebesromanze ist in ein Milieu gestellt, in dem niemand sich selbst und den anderen ernst nimmt und in dem verarmte Aristokraten voller Selbstironie eine Schattenkomödie ihres eigenen unzeitgemäßen Daseins spielen, den Amerikanern und ihren Dollars zuliebe: „ ... Das Ganze funktioniert also, an sich, recht gut, wir spielen sozusagen uns selbst, und es macht sich denn auch bezahlt...“ (Seite 24). Und das verrät wieder einen sehr gesunden, robusten Realitätssinn: einen, demgegenüber der Reali­ tätssinn der zahlenden Amerikaner, Inbegriff der Geschäftstüchtig­ keit, nachgerade naiv anmutet. Und wie diese „unzeitgemäße“ Ge­ sellschaft der Liebe zuletzt zu ihrem Recht verhilft, darin zeigt sich wieder eine weise Lebenserfahrung und wiederum ein gesunder Reali­ tätssinn, wenn Theres Purgstall zu Cooper und Maria del Pilar spricht: „Verzeiht, wenn ich Euch störe, aber Ihr könnt Euch jetzt leider nicht mehr weiter unterhalten —, unterhalten habt Ihr Euch schließlich genug,... es ist fast schon elf, und Ihr müßt heiraten .. . Sie glauben, daß wir warten werden, bis Sie mit Ihrer Braut zu Ende gestritten haben? Streiten Sie doch nach der Trauung weiter..., Sie werden also wenigstens ein Gesprächs­ thema haben, und überhaupt kann niemand so lange warten, bis ein Braut­ paar ausgestritten hat“ (S. 77 f.).

Und auch aus Trautsohns Worten sprechen viel Weisheit und Le­ benserfahrung, wenn er den Unterschied zwischen Amerikanern und seinem eigenen Milieu erklärt: „Bei den Amerikanern weiß man das nie (was für Menschen sie sind). Man weiß es um so weniger, als sie jederzeit bereit sind, einem alles über sich selbst zu sagen. Es zeigt sich dann, daß sie überhaupt nichts von sich selber wissen. Darin besteht ihre Überlegenheit. Wir wissen zuviel von uns selbst. Das ist unsere größte Schwäche“ (S. 39).

Der breite Raum, der den — wie schon in der „österreichischen Komödie“ — meisterhaft gezeichneten Typen eingeräumt ist, scheint nur dazu da, mit räsonierenden, geistreichen, selbstironischen Rand­ bemerkungen und Aperçus ein altösterreichisches, aristokratisches 109

Milieu heraufzubeschwören, das nur infolge der größeren Distanz weniger kritisch beobachtet anmutet. Diese Typen sind Bekannte von gestern und vorgestern, Repräsentanten einer Geisteshaltung, die einer sehr witzigen und durchaus charmanten, aber eben doch über­ holten Lebensauffassung entsprechen. Der technische Aufbau des Stückes ist ähnlich dem eines Kriminal­ romans, nur mit dem Unterschied, daß man nicht fragt, wer der Täter, sondern was denn eigentlich geschehen ist. Denn erst im dritten Akt erfährt man vom Vorleben Maria del Pilars, das vorher bloß immer angedeutet wird. Wie schon in den früheren Komödien stellt der Autor auch in den „Glastüren“ mit der Gestalt des Dienstmannes Eipeldauer eine lustige Figur, die in der Tradition des Alt-Wiener Volkstheaters und der Stegreifkomödie ihre Wurzeln hat, auf die Bühne. Bei einem Gastspiel des Josefstädter-Theaters in Berlin (März 1939) hatte das Stück enormen Erfolg, wurde aber nach wenigen Vorstellungen einfach verboten, da es nicht in die Ideologie der Machthaber paßte.

In der „Spanischen K o mö d i e“ 44 (1948) verlegte LernetHolenia den Schauplatz nach Spanien und Südamerika. Die Personen sind indessen bloß äußerlich Granden; vielmehr verbirgt sich hinter der Welt dieser spanischen Granden doch wieder österreichisches Aristokratenmilieu. Die Komödie ist die Bühnenfassung des später erschienenen Romans „Der junge Moncada“ (1954). Es handelt sich, ähnlich den „Kavalieren", um ein Hochstaplerund Gaunerstück mit dem Motto: Die Welt will betrogen sein. Nicht einen einzelnen Schwindler, der die anderen hineinlegt, läßt LernetHolenia sein Unwesen treiben, sondern jeder täuscht jeden, legt jeden hinein, oder versucht es zumindest, und nimmt voll frivoler Lebens­ philosophie das Recht dazu für sich in Anspruch. Die Komödie folgt der Lustspieltradition, die auf Moliere, den Spaniern und der Commedia dell’arte basiert. Zu der komplizierten und verworrenen Handlung gesellen sich ebenbürtig reichlich ver­ schlungene Gedanken und Gesinnungen. Es gibt dabei fast niemand, der nicht irgendwo wurmstichig und zweifelhaft wäre. Mit bissigem Sarkasmus und doch auch liebenswürdigem Charme kontrastiert der Autor immer wieder Kavaliertum und Geld und schießt mit scharf pointierten Aphorismen und Sottisen seine Kritik an den oberen Ge­ sellschaftsschichten ab. 44 Siehe KritikenVerzeichnis: K 118—125.

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Das Stück erschien zunächst in einer dreiaktigen Fassung und wurde im Jahre 1955 auf fünf Akte erweitert. Inhalt (Personen: Graf Moncada, Graf Cortes, Juan, Alvarez, Pereira; Rafaela, Beatriz; Antonio u. a.): 1. Akt: Die Handlung spielt zunächst in Buenos Aires. Juan Moncada ist mit seiner Freundin, der Schauspielerin Rafaela, die er als seine Frau aus­ gibt, in einem Hotel abgestiegen. Sie befinden sich in Geldschwierigkeiten. Versuche, durch Arbeit Geld zu verdienen, sind gescheitert. 2. Akt: Um ihre Situation zu verbessern, schreiben sie an den spanischen Gesandten, Graf Cortes, einen Brief. Auf Grund dieses Briefes, der offen­ sichtlich von seinem vor vielen Jahren zuletzt gesehenen Freund, Graf Mon­ cada, aus Spanien stammt, erkundigt sich Cortes beim Hotelpatron nach einem Graf Moncada, der seinem Vater mit einer Schauspielerin durchge­ brannt und nun wahrscheinlich ohne Geld sei. Im Auftrag seines Freundes müsse er dem Sohn die Freundin ausreden, von ihr das schriftliche Ehever­ sprechen Zurückkäufen und ihn nach Hause schicken. Juan leugnet zunächst heftig, ein Graf Moncada zu sein und behauptet, verwechselt zu werden. Doch dann geht er auf alle Vorschläge ein und nimmt von Rafaela tränen­ reichen Abschied. Der 3. Akt spielt im Haus des Grafen Moncada in Madrid. Sein Verwalter Alvarez eröffnet ihm gerade, daß er, Moncada, völlig abgewirtschaftet habe und bankrott sei. Da wird ihm ein junger Mann gemeldet: Juan. Die­ ser erzählt Moncada die Geschichte vom Brief an Cortes, die sich nun als ein Schwindel entpuppt. In Wahrheit besitzt Graf Moncada gar keinen Sohn, und Juan ist auch kein Graf. Vielmehr hat er die Namensgleichheit dazu benützt, Cortes hereinzulegen und dadurch zu Geld zu kommen. Indes, auch Juan wurde übertölpelt, denn Rafaela brannte mit dem Geld durch. Der Grund seines Besuches bei Moncada ist nun der: Juan hat auf der Über­ fahrt die Bekanntschaft von Beatriz Pereira gemacht, deren Vater einer der reichsten Industriellen Spaniens ist. Juan hat sich mit ihr verlobt und, um ihren snobistischen Eltern zu imponieren, sich als der Sohn des Grafen Moncada ausgegeben; er will sich nun als Sohn bestätigen lassen und läßt durchblicken, daß Graf Moncada damit auch seine eigene trostlose finan­ zielle Situation entscheidend bessern könnte. Nach Wegräumen einiger Skrupel willigt Moncada in den Schwindel ein. 4. Akt: Moncada und sein „Sohn“ machen bei den Pereiras ihre Aufwar­ tung. Pereira durchschaut den Schwindel, läßt es jedoch in seinem Snobismus dabei bewenden. 5. Akt: Am Tag vor der Hochzeit droht dem finanziellen und dem Liebes­ glück wieder ein jähes Ende: Rafaela taucht auf. Sie hat vom plötzlichen Reichtum Juans gehört. Sie glaubt, das Vermögen stamme von Moncada und verlangt mit der Drohung, Beatriz alles aufzudecken, daß Juan nun sie, Rafaela, heirate. Juan ist bestürzt und will Beatriz alles beichten, um seine Liebe zu retten. Doch da zeigt es sich, daß sie längst schon alles weiß: daß Juan kein Graf ist, er Cortes betrogen hat und Rafaela ihn erpressen will. Sie weiß sogar, daß Rafaela zusammen mit Cortes nach Spanien ge­

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kommen ist, da er sie heiraten will. Aber Beatriz liebt Juan trotzdem. Doch inzwischen hat Rafaela von Alvarez erfahren, daß der Reichtum nicht von Moncada, sondern von Beatriz stamme, Moncada selbst aber bettelarm sei, da er, Alvarez, sich in den Besitz des Vermögens gesetzt habe, was ihm als Verwalter nicht schwergefallen sei. Daraufhin verlobt sie sich mit Alvarez und läßt Cortes stehen. Juan und Moncada sind froh, Rafaela los zu sein, während Alvarez, vorläufig noch, froh ist, daß er sie hat.

Die Komödie bietet ein Feuerwerk an dialektischen und geist­ reichen Pointen, brillanten und glitzernden Aperçus und Bonmots, mit denen der Autor alles auf den Kopf stellt und der Unmoral ironisch zu einem guten Ende verhilft. Nicht allein der Titel weist auf spanische Vorbilder hin, sondern der Autor selbst beruft sich im 4. Akt (S. 59) ausdrücklich auf einen großen spanischen Komödiendichter des 17. Jahrhunderts: auf Tirso de Molinas Schauspiel „Die bezaubernde Schäferin“. Und tatsächlich ist denn auch die „Spanische Komödie“ eine Intrigenkomödie dieser Art, die voll spanischer Grandezza (mit österreichischer Verbrämung und österreichischem Tonfall) und voll spöttischer Angriffslust auf­ tritt, ohne dabei wirklich zu verletzen. Wieder überstrahlt eine ent­ larvende Ironie die brillanten Dialoge und köstlichen Situationen, in denen der Autor humorvoll-satirisch aufzeigt, was an dieser guten Gesellschaft gar nicht gut ist, sondern hohl, und sich gaunerhaft unter noblen Konventionen verbirgt. Wie in den „Kavalieren“ jongliert Lernet-Holenia virtuos mit der Identität Juan Moncadas, und auch bei den anderen stellt sich früher oder später heraus, daß ein jeder ein anderer ist, als er scheint. Die einzige ehrlich denkende und wahrhaftig empfindende Seele ist Beatriz, die Juan um seiner selbst willen liebt. Ihre Gegenüber­ stellung zu Rafaela im 5. Akt ist von tiefem Reiz: auf der einen Seite die raffinierte Geldgierige, die nie nach dem Menschen, sondern nur nach dessen Geld verlangt; und auf der anderen Seite die Millio­ närstochter, die wieder nur den Menschen sucht.

II. Sonstige Komödien (und Schauspiele)

Die in diesem Kapitel zusammengefaßten, „übriggebliebenen“ Stücke bzw. Komödien spiegeln Lernet-Holenias Spannweite in der Wahl seiner Themen und ihrer Behandlung wider. Sie reicht vom biblischen Vorwurf über die Verarbeitung eines aktuellen Themas

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in einem Schwank pamphletistischen Genres zu ironischen und ironi­ sierenden Bildern aus der Vergangenheit und Gegenwart im aristo­ kratischen Milieu.

Mit der fünfaktigen Komödie „Die Frau des Potiphar“1 (1934) wandte sich Lernet-Holenia nach seinem „Saul“ ein zweites Mal einem biblischen Stoff zu, dessen Thema von Keuschheit und Verführung seinem feinfühligen, den Problemen der Frau und der Liebe zugewandten Sinn großen Anreiz bieten mußte. In seinem Be­ streben, auch in den Lustspielen — bei allem Willen zur Unterhaltung — eine tiefere Bedeutung anklingen zu lassen, wird „das Unterhalt­ same des Stoffes... zugleich in seinem geheimen Ernst erschlossen, und die Frau des Potiphar zuletzt zum Symbol der echten und ge­ fühlsstarken Liebe.“ 1 2 Es bleiben die äußeren Linien der biblischen Ereignisse erhalten und auch ihre innere Bedeutung. Nur der Bericht und die Motivierung der Geschehnisse wird persönlich gestaltet: es fließen Elemente der Gegenwart ein, und es klingen Worte an, die des Autors Wissen um die Beziehungen zwischen Mann und Frau erkennen lassen. Inhalt (Personen: Potiphar, die Frau des Potiphar, Joseph, Pharao — stumm, Marschall, Erzschenk, Erztruchseß, Großeunuch, Tege u. a.): Potiphar, von niederem Adel, ist mit seiner Frau einiger Mißernten wegen von Oberägypten an den Hof des Pharao gezogen, um ein Amt anzustre­ ben. Täglich geht er zum Hof, um beim L6ver des Pharao dessen Aufmerk­ samkeit auf sich zu lenken, hat aber keinen Erfolg. Potiphar macht seiner Frau Vorwürfe, daß sie sich nicht auch bei Hof zeigt und ihm durch ihre Schönheit zu einer Stellung verhilft. Er legt ihr nahe, den Würdenträgern schöne Augen zu machen. Doch sie zeigt sich daran uninteressiert, sie liebt ihren Mann auch ohne Stellung und findet ihn schöner als die Männer bei Hof. Potiphar bringt einen Sklaven ins Haus: Joseph. Die Frau des Poti­ phar ist von ihm entzückt und will ihn verführen, doch Joseph widerstrebt ihr. Ihre Schönheit hat sich bei Hof herumgesprochen. Der Reihe nach ver­ suchen die Würdenträger ihr Glück bei Potiphars Frau. Was Potiphars Bemühungen versagt bleibt, bewirkt der Eindruck, den seine Frau auf die Großen des Hofes macht: sie lassen die Ehren und Ämter auf den Gatten förmlich regnen, um seine Frau so ihren eigenen Wünschen zugänglich zu machen. Aber ihr stehen Augen und Sinn nur nach dem jungen Diener Joseph, der sich ihr unter Vorwänden immer wie­ der versagt und sich ihrer drängenden Umarmung unter Zurücklassung sei­ nes Mantels entzieht. Voll Zorn verwendet sie den Mantel als Beweisstück für die Beschuldigung, Joseph habe ihr Gewalt antun wollen. Joseph wird

1 Siehe Kritikenverzeichnis: K 126—136. 2 Schönwiese, Ernst, a. a. O., S. 8.

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in den Kerker geworfen. Da meldet der Marschall die Ankunft Pharaos, der von der Schönheit der Frau gehört hat: Sie wird, dem Zwang der Verhältnisse folgend, und nicht dem eigenen Triebe, die allmächtige Ge­ liebte des Pharao. Mit Joseph schmachten zwei Würdenträger des Hofes, der Mundschenk und der Truchseß, im Kerker, die der Frau des Potiphar wegen in Streit gerieten, als der Truchseß sie zu vergewaltigen versuchte, weil er glaubte, sie könne nicht als Frau empfinden, weil sie noch unbe­ rührt sei, und weil er dadurch dem als Liebenden nahenden Pharao „den Weg bereiten“ wollte. Joseph deutet den Mitgefangenen ihre Träume, die auch in Erfüllung gehen. Die Frau des Potiphar kommt indessen von Joseph nicht los: Nacht für Nacht besucht sie ihn im Gefängnis, um wenigstens ein Wort von ihm zu hören. Aber er antwortet nicht. Denn um diese Zeit be­ findet sich Joseph immer beim Pharao, der von seiner Gabe gehört hat, um ihm seine Träume zu deuten: sie spricht immer ins leere Gefängnis. Auf der Rückkehr in den Kerker begegnet er schließlich der Frau. Pharao hat ihn zum Dank aus dem Kerker befreit. Und nun bietet er sich ihr als Geliebter an. Aber jetzt will sie von dem Willfährigen nichts mehr wissen.

Das biblische Drama von Keuschheit und Verführung gestaltete Lernet-Holenia zu einem modernen Liebesdrama mit psychologischen und dialektischen Feinheiten. Mit leichter Ironie wird geschildert, wie Potiphars Frau ihrem Mann zu einer Karriere verhilft, indem sie sich von den ihr reichlich zugemuteten und zugetrauten amourösen Abenteuern fernhält. Bei Lernet-Holenia ist sie nicht mehr das Urbild der Lüsternheit und Begehrlichkeit, wenn auch nicht gerade eine von Sittsamkeit und Moral geplagte Frau. Sie widersteht dem recht stür­ misch um sie werbenden Erzmundschenk, dem Erztruchseß und dem Marschall, aber beileibe nicht aus Moral, sondern nur, weil die Höf­ linge ihr nicht gefallen: Sie ist eine „anständige“ Frau aus rein ästhe­ tischen Gründen. Joseph hingegen reizt sie, weil er anders ist, reiner als die Männer des Hofes. In der Gestalt von Potiphars Frau steht ein Sinnenmensch („Es gibt keinen Gott außer der Liebe“, S. 77) dem Verstandesmenschen Joseph gegenüber. Auch als sie Macht über den Pharao und damit reine Macht an sich gewinnt, weiß er ihr zu widerstehen. Scharfer Intellekt und zähe Beherrschung lassen ihn Herrschaft über sich selbst — und den Pharao gewinnen. Erst nach Erreichung dieses Zieles („ ... ich war nur gefangen, um frei zu sein. Nun aber bin ich wirklich frei. Ich bin los aus göttlicher Gefangen­ schaft ...“, S. 77) ist Joseph bereit, ihr Geliebter zu werden. Doch nun weist sie ihn ab, denn sie liebte nur den Mann, der ihr wider­ stand; nur den abweisenden, reinen Jüngling suchte ihre Glut; der Mann, der nun den anderen gleichen will, hat ihr nichts mehr zu sagen. Nicht Joseph selbst, nur die Idealgestalt, die sie in ihm er­ blickte, hat sie geliebt: 114

„ ... Nichts bist du mir gewesen als das Lockende, nichts als das Unstill­ bare, nichts als das ewig Ferne. Du Nichts!... du ..., der du... für mich wie ein Sternbild warst! Was willst du? Geh! Ich kenne dich nicht, du bist mir vertauscht, dich habe ich nie gemeint!..." (S. 81.)

Hinter diesen schillernden Worten verbirgt der Dichter die Psycho­ logie des Ewig-Weiblichen: eine zurückgewiesene Frau vergibt nie diese Beleidigung; ihre Rache ist die, den Mann, der die Gelegenheit versäumte, jetzt selbst zurückzuweisen. Überhaupt spricht aus dieser Komödie eine große Kenntnis der weiblichen Psyche; zwei Beispiele: „Ich verstehe nicht, wie Frauen so wahllos sein können. Sie beweisen damit bloß ihre Unbegabtheit. Jede Frau, die zu viele Abenteuer hat, ist unbe­ gabt. Es gibt einfach nicht so viele Männer, bei denen es dafürstünde, mit ihnen befreundet zu sein“ (S. 26). Und: „Frauen sind, von Natur aus, nicht untreu. Sie sind entweder zu phantasie­ voll oder zu phantasielos dazu. Das ist ihre ganze Treue. Erst wenn sie enttäuscht sind, werden sie untreu, aber auch nur, um jemandem andern treu zu werden. Das ist ihre ganze Untreue“ (S. 22).

In der Elastizität der Szenenführung, den feingeschliffenen Ge­ sprächspointen und der bildträchtigen Kraft der Sprache zeigt sich immer wieder der Dichter, dem die Bühne gemäßes Ausdrucksmittel ist. Der Autor erweist sich hier von seiner Formulierung, ein Theater­ stück sei nur eine „Ware“ (These 22), weit entfernt, eine Äußerung, die auf viele seiner anderen Lustspiele zutrifft.

Lernet-Holenia bot über Vermittlung Stefan Zweigs „Die Frau des Potiphar“ Richard Strauss als mögliches Libretto zu einer Oper an (darauf wurde schon im Anschluß an die Besprechung der „Alkestis“ hingewiesen: siehe S. 66). Die Schlußszene des 3. Aktes, in der Pharao selbst als Liebender naht, ist z. B. wie geschaffen zur Vertonung: (Ein Hornruf von der Straße herauf ...) GROSSEUNUCH: Das ist der Hornruf der königlichen Begleitung. (Leise:) Bleib nun so liegen. Ich gehe jetzt. Wenn Pharao eintritt . . . (Er spricht immer leiser, so daß er nicht mehr zu vernehmen ist. Schließ­ lich tritt er zurück.) DIE FRAU (liegt nun reglos und wie gebannt auf dem Bett und hat den Arm vor den Augen. Eine vollkommene Stille, eine Zeitlang anhal­ tend, dann neigen die knienden Frauen die Gesichter bis zur Erde. Auch der Marschall und der Großeunuch fallen auf die Knie. Pharao, ohne daß man seine Schritte hört, tritt ein. Scheinwerfer auf ihn. Indes der Marschall, der Eunuch und die Frauen sich wieder erheben, lautlos

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zur Tür eilen und sie hinter sich schließen, geht Pharao, über und über juwelenglitzernd und unwirklich, auf das Bett zu und beugt sich über die Frau.) (S. 61).

Die äußere Umgebung des mondänen Pharaonenhofes gleicht der des Sonnenkönigs Ludwig XIV. und seinen fetes galantes mit ihren geistreichen Spöttereien. Gänzlich verschieden zu dieser psychologisch-modernen Komödie ist das dreiaktige, schwankmäßige Lustspiel „D as Finanzamt“* (1956) nach der gleichnamigen Prosafassung (1955). Äußeren Anlaß, das Stück bzw. den Roman zu schreiben, sah der Autor darin, seinem Ärger über die österreichischen Finanzbehörden wegen — wie er meinte — ungerechter Steuerforderungen Luft machen zu müssen: „So haften denn auch mir selbst noch eine Menge Steuerschulden von damals an; — und um sie zahlen zu können, habe ich mich ent­ schlossen, diejenigen zum Gegenstand dieses Stückes zu machen, denen ich sie verdanke.“ 4 Es ist eine aus dem Handgelenk „geschüttelte“ 8, polemische Posse, ein „Blick zurück im Zorn“ auf die — inzwischen aufgelösten — Straffinanzämter, voller dialektisch pointierter Angriffslust. Der Autor siedelte die Posse in einer Gegend zwischen Vindobona in Pannonien und Lauriacum in Obernoricum an; die Zeit hingegen ist die Gegenwart. „Das Finanzamt“ ist sohin trotz aller Anachronismen ein höchst modernes Lustspiel, in dem sich Lernet-Holenia zum ersten Mal mit Problemen der (republikanischen) Gegenwart auseinander­ setzt. Die humorvoll-satirischen Angriffe auf den Amtsschimmel rufen eine zweite Bürokratenkomödie ins Gedächtnis: Gogols „Revisor“; die Handlung beruht auf einer fast Nestroyschen Possenvoraus­ setzung. Inhalt (Personen: Finanzminister, der Vorsitzende des Industriellenverbandes, Sektionschef, Sektionsrat; Hofrat, Hofrätin; Stefanie und Mariedl, deren Töchter; Ortlieb, Janotta, Amtsarzt, Amtsdiener u. a.): 8 Siehe Kritikenverzeichnis: K 137—143. 4 Lernet-Holenia, in: Programmheft zur Uraufführung im Volkstheater Wien, 28. 9. 1969. 5 Hiefür höchst aufschlußreich ist eine Stelle in Zuckmayers Würdigung Lernet-Holenias zu dessen 70. Geburtstag: „ . .. Ich erinnere mich an seinen erstaunten Blick, als ich ihm irgendwann sagte, an einem Stück müsse ich ein halbes, manchmal ein ganzes Jahr arbeiten. ,Für ein Theaterstück', sagte er mit hochgezogenen Brauen, ,braucht man ein verregnetes Wochen­ ende.'“ (in: Alexander Lernet-Holenia. Festschrift zum 70. Geburtstag des Dichters, a. a. O., S. 11).

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Der Export-Import-Kaufmann Ortlieb liebt Stefanie, die ältere Tochter des Hofrats und Leiters eines Finanzamtes in Obernoricum. Seinen Heirats­ absichten scheinen sich unüberwindliche Hindernisse entgegenzustellen: Er wird vom Hofrat als säumiger Steuerzahler bzw. hartnäckiger Nichtsteuer­ zahler verfolgt. Des Hofrats Lebensziel ist es, Ortlieb „zur Strecke zu bringen“, weil er wegen diesem den Posten als Leiter des Straffinanz­ amtes in Lauriacum verloren hat: aus diesem Grund ließ er sich an das für Ortlieb zuständige Finanzamt versetzen. Um dieses Ziel auch tatsäch­ lich zu erreichen, hat er außerdem beschlossen, seiner zweiten Tochter, Mariedl, die mit dem Steueroberrevidenten Janotta verlobt ist, nicht eher die Einwilligung zur Heirat zu geben, als bis Janotta, der Ortliebs Akt zu bearbeiten hat, den Steuerhinterzieher „erledigt“ hat. Im 1. Akt versucht Ortlieb, da der Hofrat ihm schon früher Stefanie ver­ weigerte, sein Glück bei der Mutter. Er wird dabei von Janotta gestört, der ebenfalls in Abwesenheit des Vaters um Mariedl anhalten kommt. Ortlieb flüchtet ins Schlafzimmer, unverzüglich gefolgt von Janotta, da der Hofrat überraschend heimkehrt. Beide geraten im Schlafzimmer in ein Handgemenge. Im 2. Akt soll der Hofrat auf Grund einer heimlichen Anzeige Janottas, der sich in Gewissensnöte zwischen Liebe und Büro­ kratie verstrickt sieht, psychiatriert werden, worauf er in seinem Zorn darüber beschließt, unverzüglich nach Vindobona zu reisen und beim Bun­ desminister vorzusprechen. Im 3. Akt findet alle Verwicklung mit Hilfe des Ministers und des Präsidenten der Industriellenvereinigung ihre glück­ liche Lösung.

Die dramaturgische Technik gleicht wieder, wie die „österreichi­ schen“ Komödien, jener der possenhaften Improvisationsstücke des 18. Jahrhunderts und erinnert im 1. Akt an des Autors „Ollapotrida“.

Eine Fortsetzung zum „Finanzamt“ ist Lernet-Holenias unter dem Pseudonym G. Montebachetta geschriebene Komödie „D a s Goldkabinett“ (1957). Sie trägt wie erstere Züge pamphletistischen Charakters, entsprungen einem wachsenden polemischen Hang des Autors, der sich damit auf das nachdrücklichste angriffs­ lustig gegen gewisse Übergriffe von Ämtern wendet. Der Schauplatz der Handlung ist das sogenannte Goldkabinett im Finanzministerium in Rom. Inhalt (Personen: Finanzminister; Marisa, seine Frau; Ministerialdirektor, Sektionsrat; Oberrevident Dionigi u. a.): Der Oberrevident eines Finanzamtes, Dionigi, wird über Antrag des Ministerialdirektors vom Minister gemaßregelt, weil er die Rekurse gegen Steuervorschreibungen eines gewissen Cattaneo in der Überzeugung der Richtigkeit der Beschwerden zugunsten des Beschwerdeführers erledigt. Da

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sich diese Fälle häufen und Cattaneo dadurch auch noch die Möglichkeit zu einer öffentlichen Kampagne gegen die Finanzbehörden erhalten hat, erblickt der Ministerialdirektor darin eine Verunglimpfung des Beamten­ standes: Dionigi hätte wider besseres Wissen und Recht die Rekurse ab­ lehnen müssen. Zur selben Zeit wird vom Parlament die Besteuerung der bisher steuerfreien Abgeordneten und Minister beschlossen. Darin sieht nun Dionigi die Möglichkeit, dem Minister die Unsinnigkeit und Unmoral der Finanzbeamten vor Augen führen zu können: Er läßt sich nach Varese versetzen, wo das zuständige Finanzamt des Ministers ist, als er noch nicht Minister war. Er durchstöbert die Akten aus der Zeit, da dieser noch nicht das Ministeramt bekleidete: prompt entdeckt Dionigi auch einen nicht einbekannten Betrag. Er läßt daraufhin ein Finanzstrafverfahren gegen den Minister einleiten. Die Öffentlichkeit ist über die Tatsache, daß der Finanzminister selbst Steuern hinterzieht, empört und fordert seinen Rück­ tritt. Die peinliche Situation löst zuletzt Dionigi selbst, indem er erklärt, sich geirrt zu haben. Damit wollte er dem Minister bloß vor Augen führen, daß sich auch Finanzbeamte Steuerzahlern gegenüber anständig benehmen sollen.

Das vierte Stück dieses Kapitels hat einen Repräsentanten des ausklingenden österreichischen Heldenzeitalters zum Titelhelden: „Radetzky“ (1956). In der Art eines historischen Bilderbogens zeigt der Dichter drei Stationen aus dem Leben des Feldmarschalls: jeder Akt spielt zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort; so der erste Akt im Jahre 1797 (in Kärnten bzw. Wien), der zweite im Jahre 1813 (auf dem Schlachtfeld zu Leipzig) und der dritte im Jahre 1849 (in Wien). Nicht ausschließliche Verherrlichung und Glo­ rifizierung des Feldherrn ist das Thema des personenreichen Stückes, sondern Lernet-Holenia verbindet die historische Größe seines Titel­ helden in leiser Ironie mit einer menschlichen Seite: mit seinem fast „tragisch“ anmutenden Schicksal, kein Glück bei Frauen gehabt zu haben. Inhalt (Personen: Kaiser Franz, Kaiser Franz Joseph, Zar von Rußland, König von Preußen, Schwarzenberg, Radetzky; Perscha von Antonien­ berg, Maria, seine Frau; Charlotte, deren Tochter; Graf und Gräfin Strassoldo, Franziska, deren Tochter; Fradenegg, Graf Gonfalonieri, Te­ resa, seine Frau u. a.):

Die österreichische Armee ist in Italien geschlagen und befindet sich vor Napoleons Truppen auf dem Rückzug. Major Radetzky, der mit seinen Einheiten aus Klagenfurt abmarschieren muß, nimmt zu Beginn des 1. Ak­ tes Abschied von Charlotte. Er hält um ihre Hand an. Die Entscheidung überläßt Perscha seiner Tochter, doch kann sie sich nicht endgültig ent­ scheiden: ihre Gedanken sind schon auf die anrückenden Franzosen und die damit verbundene freudige Aussicht auf rauschende Feste verbunden.

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Die folgende Szene spielt einige Monate später in Wien, im Hause des Grafen Strassoldo. Er ist mit seiner Familie aus Görz geflüchtet. Fradenegg, der aus dem von den Franzosen besetzten Gebiet gekommen ist, berichtet von den dort herrschenden Verhältnissen. Radetzky tritt ein. Er kommt gerade recht, um die Nachricht zu hören, Charlotte Perscha, die er noch immer liebt, hätte sich Napoleon selbst an den Hals geworfen, erwarte ein Kind und sei nun mit einem Kärntner Aristokraten verheiratet. Darauf­ hin verlobt sich Radetzky aus Trotz und Enttäuschung mit der ihm eigent­ lich gleichgültigen ältesten Tochter Strassoldos, Franziska. Der 2. Akt sieht die drei Kaiser nach der Schlacht bei Leipzig auf dem Feldherrnhügel vereinigt. Schwarzenberg stellt Radetzky als den eigent­ lichen Sieger heraus. Dieser ist unglücklich darüber, daß er Napoleon nicht auch noch gefangen nehmen konnte, obwohl dies möglich gewesen wäre, und schiebt dem Zaren die Schuld daran zu. In der Auseinandersetzung errät der Zar instinktiv den tieferen Grund von Radetzkys mißglücktem Vorhaben, Napoleon zu fangen: er sei diesem bei einer Frau unterlegen. Der letzte Akt zeigt den 83jährigen Feldherrn in einer Unterredung mit Gräfin Teresa Gonfalonieri. Sie ist aus Mailand nach Wien geeilt, um Ra­ detzky zu bitten, eine Begnadigung ihres, wie sie sagt, Bruders beim Kaiser zu erwirken: als unterlegener Anführer des Mailänder Aufstandes er­ wartet ihn die Hinrichtung. Sie ist bereit, mit jedem Mittel dieses Ziel zu erreichen und läßt erkennen, nicht abgeneigt zu sein, auch Radetzkys Zuneigung zu erhören. Gonfalonieri wird begnadigt, doch nun bekennt Teresa, Radetzky betrogen zu haben: sie sei nicht die Schwester, sondern die Frau Gonfalonieris. Wiederum bleibt Radetzky — Tragikomödie des Lebens — das Liebesglück versagt.

Seiner historischen Größe entkleidet und entheroisiert steht Radetzky vor uns da, der um so größere Siege als Feldherr feiert, desto mehr Niederlagen er im Privatleben erleidet. Nicht maßloser Ehrgeiz, sondern erzwungene Resignation in der Liebe scheinen seine militärischen Erfolge zu begünstigen. Aus diesem Schauspiel spricht Lernet-Holenias skeptisch-ironische Beurteilung von der Echtheit der Liebe einer Frau: sowohl Charlotte wie auch Teresa haben, wenn sie in Radetzkys Arme sinken, einen anderen Mann im Kopf.

Auch im folgenden Stück, im dreiaktigen Schauspiel „Die Schwäger des Königs” (1958), verarbeitete Lernet-Holenia einen historischen Stoff zu einem amüsanten Spiel in ironisierender Form, ist doch der Titel schon Ironie schlechthin: gemeint sind die Brüder bzw. ein Cousin der Maitressen König Ludwigs XIV. Inhalt (Personen: Der König, Frau von Montespan, Frau Scarron = spä­ tere Maintenon; Herr d’Aubigni, Bruder der Scarron; Herr von La Valli&re; Herr von Fontanges; Herr von Montespan, von seiner Frau geschie­ den; La Reynie, Polizeichef; die Desceillet; Sant-Simon u. a.):

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Zeit und Ort der Handlung: Versailles in den Jahren 1680 und 1681. 1. Akt: Frau Scarron ist die Erzieherin der Kinder des Königs, Lud­ wigs XIV., mit seiner Geliebten Madame de Montespan. Sie hat durch ihr keusches und zurückhaltendes Auftreten Einfluß auf den König gewonnen. Sie wird daher von ihrem Bruder, d’Aubign6, aber auch von La Valli^re, Cousin einer weiteren Geliebten des Königs, und von Fontanges, dem Bruder der momentanen Favoritin, der Reihe nach bestürmt, für jeden einzelnen einen Titel, verbunden mit einer Herrschaft oder Rente, beim König zu erbitten. Die Bittsteller werden vom Eintritt der Frau von Montespan unterbrochen. Sie ist von Angst und Sorge erfüllt, der neuen Rivalin, der Fontanges, völlig weichen zu müssen und mißtraut auch der Scarron. Sie hat daher beschlossen, die Fontanges aus dem Weg zu räumen: sie erwartet die Desceillet, eine Giftmischerin, mit der sie einen Plan ausheckt. 2. Akt: Der Anschlag auf die Fontanges ist gelungen, aber die Hinter­ gründe wurden aufgedeckt und die Drahtzieher verhaftet; nur die Mont­ espan ist noch auf freiem Fuß. Ihr geschiedener Mann versucht sie zur Flucht zu überreden, doch sie bleibt. Vielmehr läßt sie sich von der Desceil­ let einen Brief besorgen, dem beim öffnen giftige Dämpfe entströmen: sie will ihn dem König als Bittschrift überreichen, wenn sie erkennen muß, daß sie ihre Stellung als Geliebte verloren hat. 3. Akt: Der König läßt sich vom Polizeichef in Gegenwart der Montespan und der Scarron von der Affäre und den Verhaftungen berichten: Alle bis auf die Giftmischerin konnten sofort verhaftet werden, doch letzterer sei er soeben habhaft geworden, als sie gerade die Montespan verließ. Diese weiß sich nun entdeckt, doch geschickt erweckt der König den Eindruck:, die Montespan sei selbst einem Mordanschlag und einem ähnlichen Schicksal wie das der Fontanges entgangen: Der König will sie nicht der Tat über­ führen, gibt ihr aber den Rat, sich auf ihren Landsitz zurückzuziehen. In der Gewißheit, ihn nun endgültig verloren zu haben, überreicht sie dem König die Bittschrift und eilt fort. Doch die Scarron entreißt ihm den Brief. Der Polizeichef öffnet ihn und stürzt sogleich zu Boden. Um die Öffentlichkeit nicht glauben machen zu müssen, daß seine verlassenen Geliebten ihm nach dem Leben trachten, läßt er die Montespan nicht ver­ folgen. Der König dankt seiner Retterin und läßt durchblicken, sie zu seiner Favoritin erhöhen zu wollen; doch die Scarron lehnt (vorläufig) ab. Die bei dem entstandenen Wirbel herbeigeeilten und um das Leben des Königs besorgten drei Herren d’Aubigni, La Valli^re und Fontanges versorgt er großzügig mit den erhofften Titeln und Renten: „So hätte ich drei Geliebte verloren und dafür, sozusagen, drei Schwäger an mich gefesselt“ (S. 75).

Die Figur der Frau Scarron, späteren Maintenon, ist in ihren Zügen ähnlich jener der Frau des Potiphar. Beide sind im Grunde ihres Herzens anständige Frauen und erregen durch ihr Anders-Sein die Aufmerksamkeit des Königs. (Daß das Milieu des Pharaonenhofes dem des Roi Soleil entspricht, darauf wurde schon hingewiesen.) War in den bisher besprochenen Stücken — auch in den ernsten — immer

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wieder das Problem unerfüllter Liebe angeklungen, so streift der Autor nun hier leicht das Problem erfüllter und damit schon wieder verlorener Liebe: „Jede Liebe, die ihre Erfüllung gefunden hat, nimmt einmal ein Ende“ (S. 50). Die Szenen mit den drei „Schwä­ gern“ erinnern an die spanischen Mantel- und Degenkomödien, die dem Autor reiche Gelegenheit bieten, Sottisen gegen Unmoral, Adel und angemorschtes Königtum anzubringen. Lernet-Holenia verwendet in diesem Stück — und dies gilt gleich­ falls für „Die Thronprätendenten“ — eine neue dramaturgische Tech­ nik: Er läßt es hier von den erklärenden Worten Saint-Simons einbe­ gleiten und beschließen. Saint-Simon ist ein Herzog, der lange Zeit am Hof des Sonnenkönigs lebte; seine Erinnerungen hat er in einem Memoirenwerk niedergeschrieben. Der Autor läßt ihn vor den Vor­ hang treten und über die, wie Saint-Simon sagt, „wahren Vorgänge" in Versailles zur Zeit des Roi Soleil berichten. Um nicht alles erzählen zu müssen oder den Zuschauern das Lesen seines Geschichtswerkes zu­ zumuten, läßt Saint-Simon dem Publikum die Handlung auf der Bühne vorspielen: Epische und dramatische Form fließen ineinander über.

„Die Thronprätendenten“ (1965), eine Komödie in drei Akten, ist das bisher letzte dramatische Werk Lernet-Holenias, wenn man von der Neufassung des „Saul“, der „Hexe von Endor“ (1968), absieht. Es spielt im heutigen Spanien unter dem Regime General Francos. Man könnte sagen, nicht der Autor, sondern das Leben schrieb diese Komödie, denn Ziel des Spottes Lernet-Holenias ist der tatsächlich einer Komödie gleichende Streit um den spanischen Thron zwischen den Prätendenten. Inhalt (Personen: Stimme des Generals Aguilar; Oberst Alfonso Montero, Isabella Medina; Herzog und Herzogin Juan von Burgos, Herzog und Herzogin Karl von Burgos, Herzog und Herzogin Ferdinand von Burgos; Ortiz und Espiga, zwei Offiziere des Generals Aranda; Santacana, ein Lakai) : Ort der Handlung: Die Szene ist immer ein großer Salon im königlichen Palast zu Burgos, der Montero, dem Adjutanten Aguilars, als Arbeitszim­ mer dient. Im Königreich Kastilien (sprich: Spanien) regiert als Diktator General Aguilar (sprich: Franco); die monarchische Staatsform ist, wenn schon nicht abgeschafft, so doch außer Kraft gesetzt. Der alternde General beabsichtigt, noch während seiner Amtszeit einen Nachfolger, d. h. den künftigen König zu bestimmen. Drei Thronprätendenten stehen zur Wahl, die sich gegen­ seitig die Unrechtmäßigkeit ihrer Ansprüche vorwerfen und einander den

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Rang abzulaufen trachten. Den gordischen Knoten zerschlägt General Aranda, der Aguilar durch einen Militärputsch stürzt, die Ansprüche der drei Prätendenten für ungültig — und Oberst Montero zu seinem Nach­ folger und künftigen König erklärt: Montero ist ein illegitimer Sohn des letzten Königs von Kastilien.

In überaus geistreicher Weise gibt der Autor das unzeitgemäße Denken und Verhalten der Kandidaten auf den spanischen Thron, und von Thronprätendenten überhaupt, dem Spott und Hohn preis. Das Stück ist reine Satire schlechthin: „ . . . wenn ein Thron einmal eine Zeitlang leergestanden hat, so daß man nicht mehr recht weiß, ob überhaupt noch jemand darauf passen könnte wie eine Sitzgelegenheit auf einen Eimer, so findet sich immer eine ganze Menge von Leuten, die behaupten, daß sie ein Recht hätten, darauf zu sitzen ... im Ausland steht man förmlich Schlange, um auf die Throne zu steigen ... Auf den Thron von Österreich (aspiriert) ... ein gewisser Erz­ herzog Otto. Aber da dieser zugunsten eines seiner Brüder auf seine An­ sprüche verzichtet hat, so ist es leicht möglich, daß, später einmal, beider Kinder... auf den österreichischen Thron prätendieren . .. Dabei ist es das Schönste, daß es die österreichische Monarchie gar nicht mehr gibt... Noch schöner aber ist, daß anläßlich irgendeiner jener Fürstenhochzeiten . . . der portugiesische Thronprätendent Herzog von Braganza einem andern Thron­ prätendenten, der sich gleichfalls Herzog von Braganza nannte, den Titel. .. durch einen Gerichtsvollzieher pfänden ließ“ (S. 19 f.).

Die dramaturgische Form ist dieselbe wie die der „Schwäger des Königs“: Santacana tritt vor den Vorhang und führt das Publikum mit ironischen Bemerkungen in den Sachverhalt der Komödie ein.

III. Lustspiele in Zusammenarbeit mit anderen Autoren

In diesem Kapitel wurden alle jene Stücke zusammengefaßt, die einer Gemeinschaftsarbeit mit anderen Autoren entsprungen sind. Auch wenn sich nicht mit Sicherheit feststellen läßt, welchen Anteil Lernet-Holenia an den jeweiligen Stücken hat, so läßt doch die Art und Weise, wie die Themen behandelt wurden und wie die Per­ sonen sprechen sowie der dramaturgische Aufbau, mit seinen ver­ wickelten Situationen und Mißverständnissen, den Schluß zu, daß der Hauptanteil Lernet-Holenia zuzusprechen ist. Dies gilt vor allem für „Tumult“ und „Attraktion“ (bzw. „Ein Optimist“). Bei

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„Tohuwabohu“ wird Lernet-Holenia als Mitautor genannt, basiert doch das Stüde auch auf einer seiner Erzählungen. In einem per­ sönlichen Gespräch stellte der Dichter jedoch nachdrücklich fest, an der Konzeption des Stückes keinerlei Anteil zu haben: er habe lediglich aus persönlichen Gründen sich bereit erklärt, als Mitautor genannt zu werden. Erste Absicht des Lustspieldichters Lernet-Holenia ist — darauf wurde schon ausführlich hingewiesen — die rein theatralische Wir­ kung; eine Absicht, die zwangsläufig zur Gattung der Possen und Schwänke führt. Und ausschließlich Schwänke sind auch diese Ge­ meinschaftsproduktionen (wie übrigens auch so manches Stück des Kapitels „Österreichische Komödien“). Sie leben von den bis ins Unmögliche gesteigerten Situationen und ihrer Komik, sind also weder auf tiefe Wahrheit noch auf wesentliche Gestalten angelegt, versprühen viel Witz und zeigen tausend Einfälle, die, ins Dra­ matische umgesetzt, Bewegung hin und Bewegung her und noch mehr Durcheinander erzeugen. Sie gleichen oftmals Stegreifstücken, deren Canevas bloß das Gerippe für die Handlung, die Spielgrund­ lage für die Schauspieler geben. Diese Schwänke, zu denen auch die Stücke „Erotik“, „Parforce“, „Lauter Achter und Neuner“, „Das Finanzamt“ zu zählen sind, wurden mit lockerem Handgelenk ge­ schrieben, sind wie Skizzen, Improvisationen, Variationen zum Thema „Unterhaltungstheater“. Lernet-Holenia selbst bezeichnet diese Stücke, weil „gängig“, geringschätzig als „Konfektion und daher wertlos; wert, relativ wert, ist in diesem Falle nur die Tech­ nik des Konfektionierens.“ 1 Was den Reiz — und Erfolg beim Publikum! — dieser Stücke ausmacht, ist die Einstellung, mit der sie geschrieben wurden: Es fehlt ihnen jener heilige Eifer und Ernst, ja die fanatisch-gläubige Inbrunst, womit Professionals des Unter­ haltungsstückes arbeiten; ihnen fehlt die konsequente Verfolgung blühenden Bühnen-Unsinns, wie er so viele andere Produktionen auszeichnet, und sie gelangen stets nur beiläufig ans angenehme Ziel. Sie sehen daher leichten Komödien oft zum Verwechseln ähnlich. Bei der Kritik (vgl. Kritikenverzeichnis) fanden diese Stücke, im Gegensatz zum Publikum, allerdings oft nur wenig Anklang. An­ läßlich der Aufführung von „Tohuwabohu“ brach aber Hans Weigel eine Lanze für diese Gattung von Theater: „ ... Immerhin sind auf dem Weg über das sogenannte ,Gebrauchstheater' Raimund und Nestroy als Dramatiker schöpferisch geworden. Das ,Boulevard­ theater' hat uns das herrliche Œuvre Franz Molnars beschert . . . 1 Lernet-Holenia: Über den Wert von Theaterstücken, a. a. O., S. 7. 9«

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Die große Suche nach dem ,neuen Drama* vollzieht sich allzu ein­ seitig nur nach der literarischen Seite hin. Wir brauchen ebenso auch Komödien, Lustspiele, Schwänke mit geringem spezifischen Gewicht; sie haben ihre eminent wichtige Funktion ... : den Menschen von heute die Menschen von heute in ihrem Alltag darzustellen, in ihrer sozialen und sprachlichen, ganz speziellen Heutigkeit mit den kleinen und mittelgroßen Problemen und Schicksalen der Zeit. Das Publi­ kum will sich nicht nur im großen und historischen Drama, sondern auch, ungeachtet der Qualität und Zeitbeständigkeit, unmittelbar im sogenannten Gesellschaftsstück erkennen und finden; dies be­ weist (...) der Erfolg von ,Tohuwabohu*, der zu denken geben sollte!“ 2

Lernet-Holenias erste Gemeinschaftsarbeit ist das dreiaktige Lust­ spiel „G elegenheit macht Liebe“3 (oder „Quiproquo“) (1928), gemeinsam mit Stefan Zweig; es erschien unter dem Pseud­ onym Clemens Neydisser. Inhalt (Personen: Stefanie: entre deux âge; Bettina: 21 Jahre; Tono Keß­ ler, Legationsrat: etwa 36 Jahre; Fery: 26 Jahre; Urban: 28 Jahre; Ma­ rianne, Haushälterin: Fünfzigerin): Bettina hat sich für 14 Tage von der Bevormundung der Eltern losgemacht und kann nun ihrer eigenen Wege gehen. Obwohl bereits 21 Jahre alt, hat sie zu ihrem größten Bedauern noch kein richtiges Liebesabenteuer ge­ habt: sie beklagt ihren jungfräulichen Zustand; der Grund hiefür sei das rasende Tempo des Lebens, das keine Zeit mehr für die Liebe läßt. Bettinas mütterliche Freundin, Stefanie, soll ihr dabei helfen, diesem Zustand ein Ende zu bereiten: Bettina ersucht Stefanie, sie mit dem befreundeten Lega­ tionsrat Tono zu verkuppeln. Diese ist über das Ansinnen entsetzt, denn Tono ist, wovon Bettina aber nichts weiß, selbst ihr Auserwählter. Als eine in der letzten Blüte stehende Frau wäre sein Verlust für sie gleichbedeutend mit dem Verlust der letzten Gelegenheit, zu heiraten. Ihr Raffinement in Liebesangelegenheiten sucht und findet einen Ersatz: sie spannt Bettina mit ihrem zu Besuch weilenden Neffen Fery und dessen Freund Urban zu­ sammen. Urban scheint der geeignete Mann zu sein: nach einer fröhlichen Zecherei begleitet er Bettina nach Hause; Zeit und Gelegenheit sind wie geschaffen zur Erfüllung ihrer Sehnsucht. Aber Bettina schämt sich plötz­ lich und schlägt dem Bereitwilligen die Tür vor der Nase zu. Urban ist wütend. Als sie am nächsten Tag Stefanie vom mißglückten Versuch be­ richtet, ist diese entsetzt, denn ihr Tono ist somit noch immer in Gefahr, um so mehr, als Bettina zu verstehen gibt, es nun ernstlich mit Tono pro-

2 Weigel, Hans: Schlechte Stücke gesucht! Die Vernachlässigung des Ge­ brauchstheaters; in: Heute, 25. 2. 1961. 8 Siehe Kritikenverzeichnis: K 144—151.

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bieren zu wollen. Stefanie wird zur Kupplerin aus Notwehr, kann Urban mit Bettina wieder versöhnen, worauf beide zu einer Autotour nach Italien aufbrechen. Tono bleibt Stefanie glücklich erhalten.

Das Stück spielt in der Nachkriegszeit und versucht, den Zeit­ geist und die Jugend aufs Korn zu nehmen: das Tempo, die Hast, von der auch schon die Jugend erfaßt ist. Und es ist der (etwas miß­ glückte) Versuch einer Satire auf die Geschlechtsfreiheit der jungen Mädchen, denen jegliche Sentimentalität und Romantik in Liebes­ sachen fehlt. Das Lustspiel „D i e Frau in der W o l k e“ 4 (1928), drei Akte, schrieb Lernet-Holenia zusammen mit Rudolf Lothar. Inhalt (Personen: Alexander Geldern, Graf Haunsperg; Marie, Charlotte, ihre Tochter; der Oberkellner Maurice u. a.): Alexander Geldern, der junge Autor des Romans „Die Frau in der Wolke“, Attaché an einer Botschaft in London, reist nach Bern, um Maud, eine Brief-Verehrerin seiner schriftstellerischen Ambitionen, persönlich kennen­ zulernen. Sie hat sich ihm gegenüber als die Frau eines Diplomaten aus­ gegeben, aber nicht einmal sein Freund, Graf Haunsperg, Diplomat in Bern, kennt eine „tizianblonde“ und „blauäugige“ Diplomatenfrau namens Maud. In Wahrheit handelt es sich um Marie, die ältliche Freundin Haunspergs, deren romantische Phantasie sie zu dem Briefkontakt verführte. So plötzlich in die Situation einer persönlichen Begegnung mit dem angebete­ ten Schriftsteller gestellt, verliert sie dazu den Mut. Sie sucht ihn zwar im Hotel auf, gibt sich aber als ihre eigene Hausdame aus. Die Rolle als des Schriftstellers Anbeterin Maud aber übernimmt ihre (heimliche) Tochter, von deren Existenz auch nicht ihr Freund, Haunsperg, etwas weiß: Char­ lotte stammt aus dem Vorleben Maries als ehemalige Tänzerin. Geldern verliebt sich in die Tochter und will mit ihr durchgehen. Sie versäumen jedoch den Zug, und Geldern muß Charlotte zu sich ins Hotel mitnehmen. Aber die Mutter wacht über die Tochter und desgleichen Haunsperg über Marie: eine Verwicklung jagt die andere, bis schließlich aus den beiden Liebespaaren zwei Ehepaare werden.

Der dritte Mitautor eines Stückes Lernet-Holenias ist Paul Frank, das Resultat der Gemeinschaftsarbeit der Schwank „T um ul ta 5 (1929), der in Wien unter dem Titel „Mariage“ aufgeführt wurde (1930). 4 Siehe Kritikenverzeichnis: K 152—157. 5 Siehe Kritikenverzeichnis: K 158—167.

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Inhalt (Personen: Fries, Tilly, seine Frau; Matthis, Carola, seine Frau; Forster, Lisa, seine Frau u. a.): 1. Akt: Ganz unbefangen erzählt Tilly ihrem Mann von einem Abenteuer während eines Skiausflugs mit einem Fremden, mit dem sie sich verlobt hat und den sie nun heiraten will. Dieser Fremde sitzt unerkannt als Gast beim Mittagstisch: Er ist Fries’ Jugendfreund Matthis, der alle Angst und Qual des Schuldbewußten ausstehen muß. Den Namen des Künftigen, also Matthis’ Namen, will Tilly vorläufig ihrem Mann aber nicht verraten. Sie bringt Fries hingegen dazu, die Frau ihres Zukünftigen von dessen Absich­ ten zu unterrichten und die Einwilligung zur Scheidung einzuholen. 2. Akt: Fries begibt sich zur angegebenen Adresse, ohne aber einen Namen zu nennen. Dort findet er Lisa Forster, Carolas Freundin, vor. Im Glau­ ben, Lisa sei die Frau des präsumtiven Gatten seiner Tilly, unterrichtet er sie davon, ihr Mann wolle sich scheiden lassen. Entsetzt stürzt Lisa davon. Inzwischen kommt Carola, die richtige Hausfrau. Fries erkennt seinen Irr­ tum. Matthis kommt nach, die Geschichte klärt sich auf. Da kehrt Lisa wieder zurück: sie hat sich unterdessen von der Treue ihres Mannes über­ zeugt und will Rechenschaft von dem ihr unbekannten Fries. Dieser will ihr aber ausweichen, und Carola verfrachtet die beiden Männer ins Neben­ zimmer. Gleichzeitig kreuzt Tilly auf und findet bloß Lisa vor. Wieder voll­ zieht sich eine Verwechslungsgeschichte: Tilly hält Lisa für Matthis’ Frau, und Lisa wird neuerdings davon überzeugt, ihr Mann wolle sich scheiden lassen und Tilly heiraten; wieder stürzt Lisa verzweifelt fort. Inzwischen kommen Carola und die beiden Männer wieder aus dem Nebenzimmer. Sie regeln nun ihre verzwickten Eheverhältnisse: Matthis und Tilly sollen vorläufig eine Probeehe für sechs Monate eingehen; dann wollen sich alle wieder in Lugano treffen und eine endgültige Entscheidung fällen. 3. Akt: Der Schauplatz ist ein Hotel in Lugano. Matthis hat von der männertollen und rabiaten Tilly genug; dies um so mehr, als Forster, Lisas Mann, den Tilly „behext“ hat, ihnen überallhin nachreist. Aber auch Lisa ist da: sie wiederum folgt ihrem Mann. Matthis ersehnt die vereinbarte Zusammenkunft mit Carola und Fries herbei. Carola will aber von ihm nichts wissen: Sie hat beschlossen, Fries zu heiraten. Dem enttäuschten Matthis bleibt nur noch Lisa übrig und Forster hat seine Tilly.

Dieser Schwank ähnelt stark Lernet-Holenias „Ollapotrida“. Der Ablauf der Handlung mit den vielen verwickelten Situationen und Verwechslungen läßt seinen dominierenden Anteil gegenüber Paul Frank deutlich erkennen.

„(D ie) Attraktion“ ’ (1930), ein Lustspiel in drei Akten, ist jenes Stück, das zu der Auseinandersetzung mit Bernhard Die­ bold und zu der „Komödie“ um den Kleist-Preis führte. Wiederum* 9 Siehe Kritikenverzeichnis: K 168—172.

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scheint Paul Frank als Mitautor auf und hatte „am dramatischen Aufbau und der Durchgestaltung der ,Attraktion'... völlig gleichen Anteil wie Lernet-Holenia selbst.“ 7 Inhalt (Personen: Dr. Warschauer, Herr und Frau Fediner, Filipin, Blanche; der Diener Franz u. a.): Fechner, ein reich gewordener Händler, hat ein Schloß gekauft und gibt zur festlichen Einweihung eine Jagd mit anschließender Soirée für seine adeligen Freunde. Dr. Warschauer, Anwalt und Spezialist für die Ver­ teidigung geriebener Gauner, ist auch einer der Gäste. Trotz der guten Stimmung fehlt der Hausfrau noch eine richtige Attraktion. Diese stellt sich auch ein: Als Dr. Warschauer aus Ärger über Spötteleien, daß ihm während der Jagd der Pelz gestohlen wurde, den Salon verläßt und sich in die Halle begibt, entdeckt er dort plötzlich einen seiner Klienten, Filipin, der erst vor wenigen Tagen zu 4^ Jahren Gefängnis verurteilt worden ist. Er ist ausgebrochen, hieher geflüchtet und hat auch den Pelz Dr. Warschauers gestohlen. Filipin will bleiben, doch Dr. Warschauer wirft ihn empört hinaus. Doch bald darauf wird der Hausfrau ein neuer Gast gemeldet, der sich als ein Freund Dr. Warschauers ausgibt: es ist wieder Filipin. Er hat sich den Smoking des Hausherrn „ausgeliehen“ und gibt sich nun als Baron Schreckenstein aus. Da er nichts zu verlieren hat, macht er seinem Anwalt die Hölle heiß, ihn ja nicht zu verraten. Mit Nonchalance umschifft er alle Klippen und wird zuletzt von der überglücklichen Hausfrau — sie hat nun ihre „Attraktion“ — eingeladen, über Nacht zu bleiben. Er soll das Zimmer mit Dr. Warschauer teilen, dieser aber sperrt die Tür ab und läßt Filipin nicht ein. Daraufhin ver­ sucht er bei einem jungen Mädchen, Blanche, eine Bleibe für die Nacht zu finden. Als er sie küßt, droht sie empört mit der Polizei und läuft zum Telephon. Filipin verschwindet und Blanche überlegt es sich doch wieder, aber da kommen auch schon zwei Gendarmen: Sie suchen einen entsprungenen Häftling. Die Gäste sind entrüstet, die Hausfrau ist pein­ lich berührt und Dr. Warschauer zittert vor Angst. Aber unterdessen befindet sich Filipin im Badezimmer der Hausfrau, bei der er den miß­ glückten Versuch, ein Nachtquartier zu bekommen, wiederholen will. Dabei kommt er in Kalamitäten mit einem Herrn, der dieselben Absich­ ten hat. Um den Gendarmen zu entgehen, wechselt er den Smoking mit einem Anzug Fechners, versorgt sich mit dem Paß des Dieners Franz und hüllt sich zur Tarnung in einen Bademantel: er will nach Amerika, zum Bruder des Bedienten, der ein schwerreicher Mann ist. Als seine wahre Identität entdeckt wird, verhilft ihm Frau Fechner, die sein Geheimnis längst erraten hat und der er wahnsinnig imponiert, zur Flucht. Schließ­ lich teilt Blanche strahlend den übrigen Gästen mit, daß Baron Schrecken­ stein am nächsten Tag bei ihrem Vater um sie anhalten wird.

7 Frank, Paul, in: Die Literatur, 33. Jg., H. 2, Stuttgart — Berlin 1930, S. 119.

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Es ist eine bittere Satire auf den Verfall der adeligen Gesellschaft, die sich den mit Geld ausgestatteten Emporkömmlingen anbiedert. Aber auch auf den lächerlichen Snobismus dieser neuen, empor­ gekommenen Gesellschaft mit ihrem Geltungsdrang zielt das Stück, in dem ein Häftling zur Attraktion einer „vornehmen“ Gesellschaft werden kann, bloß weil er sich als Baron ausgibt. Diese „Attraktion“ arbeitete Lernet-Holenia im Jahre 1937 in eine „Transaktion“ um, die dann in Wien unter dem Titel „Ein Optimist“6 aufgeführt wurde. Aus dem Dr. Warschauer wurde der Bankmann Kuhn, aus Filipin der Prokurist Baudisch. Aus der Attraktion, die Filipin vorstellte, wurde nun eine Trans­ aktion, die Kuhn durchgeführt hat und die Baudisch, gegen eine gewisse Summe, auf sich nimmt. Inhalt: Baudisch läßt sich für einen Betrug seines Generaldirektors, Kuhn, gegen eine stattliche Barentschädigung zu 1 Jahr Kerker verurteilen. Auf dem Transport zur Strafanstalt gelingt es ihm, zu entspringen, und er flüchtet in ein in der Nähe gelegenes Schloß eines Industriellen, wo sich ausgerechnet sein Chef als Jagdgast befindet. Er gibt sich als ein Baron Schreckenstein aus, flirtet heftig mit der von ihm begeisterten Hausfrau, bringt die ganze, sich gereizt langweilende Weekend-Gesellschaft in animierteste Stimmung und empfiehlt sich bei Morgengrauen mit einem falschen Paß, gestohlenem Anzug und dem versprochenen Geld Kuhns.

Als Mitautor des „bürgerlichen Schwanks“ in acht Bildern, „Remasuri“ (1939) von Hans Adler, wird Lernet-Holenia genannt. Aber bereits in der Einleitung zu diesem Kapitel wurde darauf hin­ gewiesen, daß Lernet-Holenia nach seiner eigenen Aussage keinerlei Anteil an diesem Stück hat und sich bloß bereit erklärte, als Mit­ autor genannt zu werden. Da aber der Schwank auf einer der Er­ zählungen Lernet-Holenias, „Quasi ein Lustspiel“, basiert, soll er dennoch — wenn auch nur am Rande — in dieser Arbeit Berück­ sichtigung finden. Im Jahre 1961 wurde das Stück mit dem neuen Titel „Tohuwabohu“t unverändert zur Aufführung gebracht. Inhalt (Personen: Otto Ingrisch, Eva, seine Frau; Hans Hopfenbach, Lise­ lotte, Susi; das Dienstmädchen Fini; ein Logenschließer): Das frisch vermählte Ehepaar Ingrisch erhält den Besuch des jungen, un­ verheirateten Freundes Hopfenbach, der seinerzeit, als der jetzige Ehe8 Siehe Kritiken Verzeichnis: K 173—177. 9 Siehe KritikenVerzeichnis: K 178—189.

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mann, Otto, noch unverheiratet war, die Wohnung gemeinsam mit ihm zu allerlei lockerem Treiben benützte. Solches hat er auch jetzt wieder vor, und da das dazugehörige Mädchen, Liselotte, schon wartet, erklärt sich die sekkante, „drachenhafte“ Hausfrau Eva bereit, ihm das eine Zimmer für diese eine Nacht nochmals zu überlassen. Doch gerät sie mit ihrem Mann darüber in Streit. Otto bittet daraufhin seinen Freund, eine junge Witwe, Susi, die er vor seiner Frau geliebt hat, zu holen, um über seine Frau zu triumphieren. Als dieser mit Susi zurückkehrt, haben sich die Eheleute wieder versöhnt. Hopfenbach bringt Susi wieder fort, kehrt aber wieder zurück, um mit Liselotte die Nacht zu verbringen — und wieder hat sich Otto mit Eva zerkracht. Hopfenbach muß wieder Susi holen, und wieder folgt die Versöhnung. Begleitet werden diese Zwistig­ keiten und Versöhnungen jedesmal mit einem totalen Ausräumen und Wiedermöblieren der Wohnung: Eva übersiedelt jedesmal mitsamt den Möbeln in die Küche, Liselotte und Hopfenbach werden dabei um ihr amouröses Abenteuer geprellt, da sie immer erst einziehen können, wenn die Hausfrau ausgezogen ist; aber wenn sie mit ihren Möbeln ausgezogen ist, können sie dann doch wieder nicht einziehen, weil sich die Eheleute inzwischen wieder versöhnt haben . . . Nach zahlreichen Verwicklungen kommt es schließlich zum Happy-end: auch Hopfenbach findet in den Hafen der Ehe, und Eva versöhnt sich endgültig mit ihrem Otto.

Es ist kennzeichnend für Lernet-Holenia, daß selbst seine leich­ testen Schwänke Sätze von tiefer Weisheit bergen; so lautet in „Tohu­ wabohu“ ein von Hans Adler aus der Erzählung „Quasi ein Lustspiel“ übernommener Satz: „Die wahre Freiheit besteht nicht darin, daß man in jedem Augenblick automatisch alles tun kann, was man gerade will — sondern darin, daß man in jedem Augenblick alles wollen kann, was man gerade tun muß.“

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C. Arbeiten für Film und Fernsehen (Drehbücher)

Einleitend muß zu diesem Abschnitt bemerkt werden, daß es die ursprüngliche Absicht des Verfassers war, das dramatische Schaffen Lernet-Holenias für die Bühne seinen Arbeiten für Film und Fern­ sehen gegenüberzustellen und die vom jeweiligen Medium bestimm­ ten dramaturgischen Strukturen, ihre Verschiedenheiten und Eigen­ gesetzlichkeiten aufzuzeigen. Sehr schnell stellte sich jedoch heraus, daß dieses Vorhaben scheitern mußte, weil sowohl keine Drehbücher mehr existieren bzw. aufzutreiben sind, als auch — wie der Dichter selbst auf persönliche Befragungen hin mehrmals betonte — seine Arbeit zumeist in einer bloß beratenden Funktion bestand. Bei einigen Filmen wird Lernet-Holenia zwar als Drehbuchautor ge­ nannt, ohne wirklich für das Drehbuch verantwortlich zu zeichnen (z. B. bei „An klingenden Ufern“, „Spionage“ und „Die große Liebe“). Dieser Abschnitt soll daher lediglich als Ergänzung des The­ mas „Lernet-Holenia und sein dramatisches Werk“ verstanden werden. Lernet-Holenia war unter anderem an folgenden Filmen und der Abfassung ihrer Drehbücher beteiligt:

„Hohe Schule“ (1934): Regie: Erich Engel. Drehbuch: Dr. Albrecht Joseph zusammen mit Lernet-Holenia. „Die große Liebe“ (1942): Regie: ? Drehbuch: Nach einem Entwurf Lernet-Holenias stellte ein damals sehr bekannter Drehbuchautor, Buchholz, die Endfassung her. Die Hauptrolle spielte Zarah Leander. (Bemerkenswert an diesem Film ist, daß er im Dritten Reich die höchsten Einspielergebnisse erzielte: RM 814 Millionen.)

„Die Entlassung“ (1942): Regie: Wolfgang Liebeneiner. 130

Drehbuch: Felix von Eckart (Mitarbeiter: Curt I. Braun und LernetHolenia). Hauptrollen: Emil Jannings, Werner Krauß, Karl Ludwig Diehl, Theodor Loos, Werner Hinz, O. E. Hasse. An der Gestaltung dieses Drehbuches hatte Lernet-Holenia nicht unwesentlichen Anteil. Im Mittelpunkt des Films steht die Gestalt des Reichskanzlers Bismarck. Erstaunlich an diesem Film ist, daß er, obwohl in der Zeit des Nationalsozialismus hergestellt, brennend aktuelle deutsche Geschichte ohne Tendenz schildern konnte. An einem — thematisch und vor allem inhaltlich — hochinteres­ santen Projekt war Lernet-Holenia in den Jahren 1964/65 beteiligt: Gottfried Reinhardt plante die Produktion eines neuen Films über „Die Tragödie von Mayerling“: Das Projekt scheiterte leider schließ­ lich aus mehreren Gründen, nicht zuletzt aus Geldmangel und wegen eines gleichzeitigen amerikanischen Konkurrenzunternehmens mit gleichem Titel. So blieb Lernet-Holenias Beitrag notgedrungen auf einen intensiven Briefwechsel mit Gottfried Reinhardt beschränkt, der insofern von großem Interesse ist, als in ihm Vermutungen — Lernet-Holenia hat sich lange Zeit sehr eingehend mit diesem Fall beschäftigt — über das tatsächliche Ende Kronprinz Rudolfs dar­ gelegt werden, deren exakte Belegbarkeit allerdings auf Grund der totalen Vernichtung aller historischen Dokumente heute unmöglich ist. Und zwar sollte dieser Film, wie Lernet-Holenia erläuterte, ursprünglich „die wirklichen Hintergründe von Mayerling auf­ decken, da es mehr als fraglich ist, daß der Kronprinz sich wirklich erschossen hat“. Vielmehr wurde Rudolf, der eine Revolution gegen den Kaiser plante, wahrscheinlich auf Befehl des Generalinspizie­ renden der Armee, Erzherzog Albrecht, der den Auftrag hatte, den Aufstand zu verhindern, liquidiert, oder zumindest bei einem Hand­ gemenge, das entstand, als der Kronprinz verhaftet werden sollte, unglückseligerweise erschossen; Mary Vetsera, zufällige Zeugin des Vorfalles und bloße Randfigur, sei daraufhin, heißt es, ebenfalls erschossen worden. Reinhardt wollte aber auf die Liebesgeschichte (aus geschäftlichen Gründen) nicht verzichten und eine zu starke politische Akzentuierung des Geschehens vermeiden. Über die Ver­ mutungen Lernet-Holenias gibt ein Werk des Dichters, „Die Ge­ heimnisse der Familie Habsburg“ genaueren Aufschluß. Drei Werke Lernet-Holenias dienten als Vorlage für Verfilmun­ gen für das Fernsehen: die Novelle „Der 20. Juli“ (unter dem 1 Lernet-Holenia: Die Geheimnisse der Familie Habsburg, Zürich 1971.

131

Titel „Land, das meine Sprache spricht“), der Roman „Idh war Jack Mortimer“ und die einaktige Komödie „Ollapotrida“. Für den Fernsehfilm „Land, das meine Sprache spricht“ (1959) (Buch und Regie: Michael Kehlmann) fungierte Lernet-Holenia teil­ weise als Berater. „Ich war Jack Mortimer“ (1961) (Drehbuch: Oliver Storz) blieb ohne Mitwirkung des Dichters; der Film hat kaum noch eine Ähn­ lichkeit mit dem Original. Auch an „Ollapotrida“ (1966) (Regie: Wolfgang Glück) hatte Lernet-Holenia keinerlei Anteil. Im Jahre 1966 schrieb der Dichter auch ein Hörspiel für den öster­ reichischen Rundfunk: „Leutnant Burda“ nach der gleichnamigen Erzählung von Ferdinand von Saar, das auch als Fernsehspiel in Er­ wägung gezogen wurde: Ersteres wurde im Rundfunk im Herbst 1970 gesendet, das zweite Projekt blieb unverwirklicht.

Es wurde außerdem eine ganze Reihe von Romanen und Erzählun­ gen Lernet-Holenias verfilmt, fast durchwegs jedoch ohne Mit­ wirkung des Autors am Drehbuch, und zwar:

„Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen“ 2 (1934?) mit Gustav Fröhlich in der Titelrolle. (Eine nochmalige Verfilmung dieses Stoffes in einer deutsch-französisch-italienischen Co-Produktion ist für das Jahr 1972 vorgesehen.) „Ich war Jack Mortimer" 3 (1935). Der Roman wurde übrigens mehr­ mals verfilmt, zuletzt im Jahre 1961 für das Fernsehen (siehe oben). „Mein Leben für Maria Isabell“ 4 (1935) ist die Verfilmung von Lernet-Holenias Roman „Die Standarte“; die Hauptrolle spielte Vik­ tor de Kowa. Dieser Film wurde, nach des Dichters eigener Aussage, nie in ungeschnittener Fassung gespielt und sofort von den national­ sozialistischen Machthabern verboten. Auch für diesen Stoff ist eine neuerliche Verfilmung durch den österreichischen Regisseur Franz Antel im Jahre 1972 geplant.

„Das andere Leben“ (1947): Regie: Rudolf Steinboeck; Drehbuch: verfaßt von Mitarbeitern der Dramaturgie des Theaters in der Josefstadt (Wien); Hauptrollen: Vilma Degischer, Aglaja Schmid, Robert Lindner, Siegfried Breuer. Hinter dem Filmtitel verbirgt sich die Verfilmung der Erzählung 2 Regisseur und Drehbuchautor konnten nicht euriert werden. 3 Regisseur und Drehbuchautor konnten nicht eruiert werden. 4 Regisseur und Drehbuchautor konnten nicht eruiert werden.

132

„Der 20. Juli“ (sie bildete die erste Produktion des neugegründeten „Josefstädter Studios“). Lernet-Holenia sieht in diesem Film eine „Verunstaltung“ seiner Novelle. „Der Angeklagte hat das Wort“ (1948) ist die Film-Version der Pferde-Geschichte „Maresi“ und ist ebenfalls eine Produktion des „Josefstädter Studios“. Regie: Hans Thimig; Drehbuch: Peter Heuser; Hauptrollen: Maria Schell, Attila Hörbiger. „An klingenden Ufern“ (1950): Regie: ?; Drehbuch: Otto Emmerich Groh. Wie eingangs bereits erwähnt, stellte Lernet-Holenia seinen Namen als Drehbuchautor bloß zur Verfügung und hatte keinerlei Anteil an der Gestaltung.

„Spionage“ (1955): Regie: Franz Antel; Drehbuch: Kurt Nachmann; Hauptrollen: Ewald Balser, Gerhard Riedmann, Barbara Rütting, Rudolf Forster. Für diesen Film, der den Fall des Obersten Redl behandelt, gilt das­ selbe wie für den vorigen: Lernet-Holenia wird als Mitautor des Drehbuches bloß genannt, ohne aber tatsächlich mitgearbeitet zu haben. Als Ergänzung zur Aufzählung dramatischer Arbeiten LernetHolenias seien hier zum Schluß noch zwei weitere Hörspiele (neben „Leutnant Burda“) erwähnt, die bei der Besprechung der reinen Bühnenstücke keine Berücksichtigung finden konnten: „Plutonium“ (1952) und „Der Herr von Paris“ (1953).

133

ZUSAMMENFASSUNG

Zum Abschluß dieser Arbeit erhebt sich die Frage: Was für eine Bedeutung hat das dramatische Werk Lernet-Holenias im Rahmen der österreichischen Dramatik des 20. Jahrhunderts und welcher Rang kommt ihm zu? Lernet-Holenia ist zu Unrecht — und dies herauszustellen war eines der Anliegen der vorliegenden Untersuchung — als Dichter „hoher“ dramatischer Kunst vergessen. In seiner sehr selbständigen Nachfolge und Weiterbildung der österreichischen Dramatik um und nach der Jahrhundertwende, deren Hauptgestalten Schnitzler und Hofmannsthal sind, nimmt Lernet-Holenias dramatisches Werk eine bedeutende Stellung ein, dessen Weltbild vom veränderten Heute und dem entschwundenen Gestern bestimmt ist. Was Lernet-Holenia zu sagen hat, „reicht tief unter jedwede Oberfläche hinab, bis ins Un­ heimliche oft, bis zu einer oszillierenden, im rechten Sinn tiefgründi­ gen Durchdringung von Leben und Tod, von Traum und Wirklich­ keit“. 1 Als die zwei Hauptgestalten von heute sieht er den Suchenden bzw. Kämpfer (vgl. die Dramen ernsten Gehalts) und den Schelm (vgl. die Lustspieldramatik) an, weshalb ein Großteil seiner Stücke zwischen Traum und Tag (z. B. „Demetrius“, „Saul“, „Die Lützowschen Reiter“), zwischen Tragik und Burleske (z. B. „Alkestis“), zwischen Ironie und Wahrheit (z. B. „Die nächtliche Hochzeit“, „Ka­ valiere“, „Glastüren“) steht. Vor allem ein Hang zur Satire und zum Spott durchzieht weite Teile seiner Dramatik; eine Neigung, die „aber nur die Schale über einem sehr lebenspessimistischen und scheu­ traurigen Kern“ ist, fast „Pascalscher Natur“ 12, den Lernet-Holenia selbst einmal umschrieb: „Wir wissen nicht, woher wir kommen und nicht, wohin wir gehen. Wohl kann die Philosophie versuchen, uns zu versichern, daß das Nichts alles ist und alles ein Nichts. Wohl 1 Torberg, Friedrich: Ein schwieriger Herr, a. a. O., S. 16. 2 Dietrich, Margret, in: Dichtung aus Österreich, 1. Band: Drama, a. a. O., S. 1194.

134

gibt es die Religion und ihre Tröstungen. Aber ist das mehr als eine Dekoration in unserem Lebenstheater mit seinem undurchdringlichen Hintergrund, Maske vor dem Unerfaßbaren — der Wahrheit, dem Absoluten? Der tiefste Grund der Probleme liegt unendlich weit hinter diesem Dekor, unendlich weit hinter allem, was uns zugänglich ist, wie der Schnittpunkt der beiden Parallelen im Unendlichen.“ 8 Jedoch, eine eindeutige Antwort auf die Frage zu geben, worin nun die Bedeutung der Dramatik Lernet-Holenias liegt, ist nahezu unmöglich: sein Werk ist vieldeutig wie der doppelgesichtige Dichter selbst, der sich „poetischem“ Theater im höchsten Sinn verschreibt und gleichzeitig Produzent von „Konfektionsware“ ist. Die Bedeutung liegt wohl unter anderem darin, daß er immer bemüht ist, auch in der Dramatik die Sprache ehrfurchtsvoll behandelt zu wissen. Der hohe dichterische Gehalt seiner Tragödien und die Virtuosität, mit der er das Wort in den Komödien handhabt und sich dienstbar macht, legen hiefür Zeugnis ab. Nicht umsonst nennt ihn Zuckmayer einen „Caballero“, den „Lordsiegelbewahrer“ und „Grandseigneur unter den Dichtern seiner Generation“.34 Sein Stil ist sein Charakter, äuße­ res Zeichen seiner innerlichen Haltung, die eine ritterliche ist, so wie sein dramatisches Werk letzten Endes Ausdruck eines „Savoir-vivre“ und eines großen Stils der inneren Lebensführung ist. Der Ausspruch: „ ... das ist für uns das einzig Maßgebende: das Predigen über die Zeiten hin“ 5 hat seine Gültigkeit nicht nur für sein lyrisches und episches Werk, sondern auch für das dramatische; er entspricht dem Bewußtsein einer dem Dichter mitgegebenen Mission, die sich unter anderem in den „Lützowschen Reitern“ äußert und ihn als Seher erscheinen läßt, wenn er vor den heraufziehenden Unbilden der Zeit warnt. Des Dichters Lustspieldramatik ist Fortsetzung und vorläufiger Schlußpunkt in der Entwicklungsreihe österreichischer Lustspieltradi­ tion. Sein Werk gipfelt in dem (gelungenen) Versuch, dem Theater in einer Zeit, die mehr den „Ideologien“ huldigt, eines seiner ur­ eigensten Wirkungselemente, das Theatralische an sich, wiederzugeben und seine Achtung vor dem Schauspieler zu bezeugen, indem er seine Stücke als „Regielibrettos“, ähnlich Canevas, schreibt, die erst der Schauspieler zu Ende dichtet. Ein persönlicher Reiz ganz eigener Art geht von seinen Komödien aus, deren besonderes Kennzeichen geisti3 Lernet-Holenia, in: La Table Ronde, Nr. 131, Paris 1958; zit. nach: Dichtung aus Österreich, 1. Bd.: Drama, a. a. O., S. 1194. 4 Zuckmayer, Carl: Ritter und Träumer, a. a. O., S. 7. 5 Lernet-Holenia, zit. bei: Hebra, Eduard, a. a. O., S. 2.

135

gfes Temperament und ironisch gefärbte Kritik sind. Die materiell, sozial und psychisch entwurzelten Menschen dieser Komödien sind Ausdruck und Spiegelbild einer verlorenen Zeit und ihrer Werte. Aus Lernet-Holenias Dramen spricht, und dies ist vielleicht die eigentliche Bedeutung seines Werkes, viel Wissen um die Vergäng­ lichkeit alles Irdischen. Seine Personen, vor allem die Frauen, künden davon, daß wirkliches Ertragen menschlichen Schicksals immer mit dem Adel des Geistes und der Seele verbunden ist. Doch noch mehr hinterlassen seine Stücke den Eindruck des Ungesagten, aber auch des Bemühens, mehr als nur Worte der Mitwelt zu geben, von dessen tragischer Vergeblichkeit die erschütternden Zeilen künden: „Sind die Worte nicht zahllos, und was du im Haupte getragen, war es nicht eine Welt, die du gerühmt und beklagt? Nur was du wirklich gemeint hast, hast du nicht sagen können! Und nichts ist gesagt. Tust du nicht zahllose Dinge? Nur was du am meisten, was du seit jeher gewollt, denn es hätte daran alles gehangen, den wirklichen Auftrag hast du nicht leisten können! Und nichts ist getan.“ •

8 Lemet-Holenia: Linos; in: Die Trophäe, 1. Band, Hamburg—Wien 1966, S. 95.

136

BÜHNENGESCHICHTE

1. Übersicht der Ur- und Wiederaufführungen (wann und wo?):

Die Uraufführungen sind vollständig verzeichnet, die Wiederauf­ führungen nur unvollständig. Für jene Aufführungen, zu denen Kri­ tiken gefunden werden konnten und die anschließend auszugsweise wiedergegeben sind, ist jene Nummerngruppe der durchnumerierten Kritiken angefügt, in der die betreffende Aufführung besprochen wird (siehe Kritikenverzeichnis S. 152 ff.; z. B. K 1—7 für die Ur­ aufführung des „Demetrius“ im Alten Theater Leipzig). ALKESTIS:

Prag, Kleine Bühne München, Residenztheater Zürich, Schauspielhaus Wien, Konzerthaus/Mozartsaal (Leseaufführung)

19. 1. 27.

5. 27 9. 27 6. 46

K

13— 14

K

15— 17

26. 11. 51

DAS FINANZAMT:

Wien, Volkstheater

28.

9. 69

K 137—143

DEMETRIUS:

Leipzig, Altes Theater

1—

7

22. 11. 25

K

28. 5. 30 31. 5. 30 25. 9. 30 1. 6. 30 13. 12. 30 18. 4. 31 21. 6. 37

K 168—171 K 172

DIE ATTRAKTION (EIN OPTIMIST): Kassel, Staatstheater Stuttgart, Schauspielhaus Oldenburg, Landestheater Bochum, Stadttheater Brünn, Schauspielhaus Hamburg, Thaliatheater Wien, Theater i. d. Josefstadt io

K 173—177

137

Wien, Volkstheater Ankündigung für die Saison 1971/72 (als Sommerstück mit dem Titel „Transaktion“)

DIE FRAU DES POTIPHAR: Wien, Deutsches Volkstheater Salzburg, Landestheater (Festspiele) Wien, Kammerspiele

5. 12. 36

K 126—132

5. 8. 47 19. 11. 47

K 133—134 K 135—136

22. 12. 28 16. 6. 29 10. 29 13. 11. 29 7. 10. 31

K 152—157

DIE FRAU IN DER WOLKE: Wien, Akademietheater Salzschlirf, Kurtheater Prag, Deutsches Theater Brünn, Schauspielhaus Bremen, Schauspielhaus

DIE LÜTZOWSCHEN REITER: Bremerhaven, Stadttheater

30.

4. 36

EROTIK: Breslau, Lobe-Theater Frankfurt, Schauspielhaus Leipzig, Altes Theater Hamburg, Thaliatheater

23. 12. 27 23. 12. 27 7. 1. 28 8. 5. 30

K K

65— 66 67

GELEGENHEIT MACHT LIEBE: Frankfurt, Schauspielhaus Wien, Deutsches Volkstheater

3. 11. 28 8. 12. 28

K 144—147 K 148—151

GLASTÜREN: Wien, Theater i. d. Josefstadt Berlin, Kammerspiele (Gastspiel d. Josefstadt) Wien, Theater i. d. Josefstadt Wien, Akademietheater

14.

2. 39

K

17. 7. 11.

3. 39 3. 53 2. 64

K 109 K 110—111 K 112—117

94—108

KAPRIOLEN (LAUTER ACHTER UND NEUNER):

München, Kammerspiele Wien, Kammerspiele 138

25. 9. 31 22. 12. 31

K K

75— 80 81— 85

LIEBESNÄCHTE: Berlin, Komödie

K

86— 93

26 26 26 27 27 29 29 30 32 33 40 52

K K

24— 26 27— 31

K

40

K

32— 36

K

37— 39

1. 27 1. 27 5. 30

K K

41— 61 62— 64

31. 12. 28 23. 2. 29 15. 1. 30 5. 10. 48

K K

68— 69 70

K

71— 74

16.

3. 32

OLLAPOTRIDA:

Frankfurt, Schauspielhaus Berlin, Kammerspiele Stuttgart, Schauspielhaus Prag, Kleine Bühne München, Residenztheater Wien, Deutsches Volkstheater Neiße, Stadttheater St. Pölten, Stadttheater Graz, Stadttheater Troppau, Stadttheater Wiesbaden, Stadttheater Wien, Akademietheater

11. 14. 14. 19. 1. 28. 31.

12. 31. 24. 4.

12. 12. 12. 5. 9. 9. 12. 3. 12. 12. 2. 11.

ÖSTERREICHISCHE KOMÖDIE: Wien, Theater i. d. Josefstadt Frankfurt, Neues Theater Hamburg, Thaliatheater

28. 31. 8.

PARFORCE: Düsseldorf, Schauspielhaus München, Kammerspiele Teplitz-Schönau, Stadttheater Wien, Kammerspiele

TOHUWABOHU (REMASURI):

Wien, Deutsches Volkstheater Wien, Kammerspiele

8. 8.

2. 39 2. 61

K 178—179 K 180—189

SAUL: Gera, Reußisches Theater Aachen, Stadttheater Hamborn-Oberhausen Zürich, Schauspielhaus Wien, Konzerthaus/Mozartsaal (Leseaufführung) 10*

22. 5. 27 18. 5. 29 30. 10. 29 27. 6. 46

K

K

8—

9

10— 12

25. 11. 51 139

SPANISCHE KOMÖDIE: Frankfurt, Städt. Bühnen Linz, Kammerspiele Wien, Akademietheater

12. 6. 50 6. 9. 54 17. 12. 55

K 118—119 K 120—125

SZENE ALS EINLEITUNG ZU EINER TOTENFEIER FÜR R. M. RILKE: Wien, Theater i. d. Josefstadt

23.

1. 27

K

4. 11. 13. 25.

6. 1. 2. 9.

K 158—163 K 164—167

18— 23

TUMULT:

München, Residenztheater Wien, Deutsches Volkstheater Würzburg, Stadttheater Karlsbad, Stadttheater

29 30 30 30

Nicht aufgeführt wurden: Das Goldkabinett Der Triumph des Todes Die Abenteuer der Kascha Die Hexe von Endor Die nächtliche Hochzeit Die nächtliche Hochzeit. Haupt- und Staatsaktion Die Schwäger des Königs Die Thronprätendenten Flagranti Kavaliere Lepanto Radetzky

140

2.

Presse- und Publikumsedio

a) Statistische Übersicht der Aufführungskritiken, gegliedert nach Stück, Aufführung und Publikumsecho:

(Zeichenerklärung:

+ = Zustimmung 0 = teilweise Zustimmung — = Ablehnung

Die fortlaufenden Zahlen entsprechen den durchnumerierten Kri­ tiken im Kritikenverzeichnis.) Stück

Zeitung (Zeitschrift)

Auff. Publikum

DEMETRIUS LL4 Leipzig (Altes Theater), 22. 11. 1925: 1

2 3 4 5 6 7

Leipziger Neueste Nachrichten (Egbert Delpy) Vossische Zeitung (Monty Jacobs) Die Literatur (Georg Witkowsky) Die schöne Literatur (Friedr. Michael) Heilweg (Peter Lee) Das Theater (W. Bloßfeldt) Ihering H.: Von Reinhardt bis Brecht

0 + + 40 + 0

+

1. UA Gera (Reußisches Theater), 22. 5. 1927: + Das Theater (P. A. Otte) + Die schöne Literatur (Hermann Seitz)

+ +

+ +

2. Zürich (Schauspielhaus), 27. 6. 1946: Neue Zürcher Zeitung (—wti—) Wiener Zeitung (Robert Konta) Wiener Kurier

+ + +

+ + +

+

0 0



0 0

0 +

SAUL

8 9

10 11 12

+ + +

141

ALKESTIS

13 14

1. UA Prag (Kleine Bühne), 19. 5. 1927: Prager Tagblatt (M. B.) Die Bühne (Otto Pieck)

+ +

+ 0

+

15 16 17

2. Zürich (Schauspielhaus), 27. 6. 1946: Neue Zürcher Zeitung (—wti—) Wiener Zeitung (Robert Konta) Wiener Kurier

— + +

0 + +

0 + +

TOTENFEIER FÜR R. M. RILKE

18 19 20 21 22 23

Wien (Theater in der Josefstadt), 23. 1. 1927: Neues Wiener Tagblatt + — Wiener Neueste Nachrichten (W. W.) — Der Tag (M. L.) — Wiener Zeitung Volkszeitung (J. St.) — Wiener Allgemeine Zeitung (s.) +

+ 0

OLLAPOTRIDA

24 25 26

1. UA Frankfurt a. M. (Schauspielhaus), 11. 12. 1926: Frankfurter Zeitung (B. Diebold) + 0 Die schöne Literatur (Werner Deubel) + + Heilweg (Dr. Fritz Rupp) 0

27 28 29 30 31

2. Berlin (Kammerspiele), 14. 12. 1926: Berliner Tageblatt (Alfred Kerr) Vossische Zeitung (Monty Jacobs) Deutsche Allgem. Zeitung (P. Fechter) Die Weltbühne (Oscar Blum) Das Theater

0 + + — —

0 + 0 — +

+

40

3. Prag (Kleine Bühne), 19. 5. 1927: Prager Tagblatt (M. B.)



0

+

32 33 34 35 36

4. Wien (Deutsches Volkstheater), 28. 9. 1929: Neue Freie Presse (E. L.) + Neues Wiener Journal (H. Menkes) 0 Neues Wiener Tagblatt (E. H. Rainalter) + Die Stunde (Siegfried Geyer) + Wiener Zeitung (a. f.) 0

+ + + + +

+

142

+ 0

4-

+ + +

37 38 39

5. Wien (Akademietheater), 4. 11. 1952: Die Presse (Rudolf Holzer) Wiener Kurier (Herbert Mühlbauer) Neues Österreich (Otto Basil)

— + 0

+ + +

+ + 4-

ÖSTERREICHISCHE KOMÖDIE

e ++

+ + 0

e+

62 63 64

2. Frankfurt a. M. (Neues Theater), 31. 1. 1927: Frankfurter Zeitung (Ernst Heilborn) + — Heilweg (Dr. Fritz Rupp) Das Theater (G.) —

I

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

1. UA Wien (Theater i. d. Josefstadt), 28. 1. 1927: + — Neue Freie Presse (Felix Salten) + Neues Wr. Journal (Leopold Jacobson) 0 + — Neues Wr. Tagblatt (Moriz Scheyer) — + Wiener Zeitung (Rudolf Holzer) + — Volkszeitung (J. St.) + Wiener Morgenzeitung (Otto Abeies) 0 — — Deutsch-Österr. Tagesztg. (M. Jelusich) + Wiener Allgem. Zeitung (Ludw. Ulhnann) + + — Wr. Sonn- u. Montagsztg. (Liebstoedd) + — Der Tag (O. M. Fontana) + — Die Stunde (Siegfried Geyer) — + Extrablatt (1. p.) — + Weltblatt (treu) — + Illustrierte Kronenzeitung + — Reichspost + Arbeiterzeitung (D. B.) — + + B. Z. am Mittag (F. Th. Csokor) + Rhein.-Westf. Ztg. (Max v. Millenkovich) — + — Die Literatur (R. F. Arnold) + + Die schöne Literatur (Fritz Lehner) + Autograph Hugo von Hofmannsthals 0

EROTIK

65 66

1. UA Breslau (Lobe-Theater), 23. 12. 1927: Das Theater (Paul Rilla) — Die schöne Literatur (O. F. Hallener) —

67

2. Frankfurt a. M. (Schauspielhaus), 23. 12. 1927: Frankfurter Zeitung (B. Diebold) — —

+ +

+

0 143

PARFORCE

1. UA Düsseldorf (Schauspielhaus), 31. 12. 1928: 68 69

Die schöne Literatur (Karl Lehmann) Frankfurter Zeitung

+

+



0

70

2. München (Kammerspiele), 23. 2. 1929: Münchner Neueste Nachrichten (Wilhelm v. Schramm') +

+

3. Wien (Kammerspiele), 5. 10. 1948: Wiener Kurier (Herbert Mühlbauer) Neues Österreich (Otto Basil) Wiener Tageszeitung (H.) Wiener Zeitung (Rudolf Holzer)

+ + 4+

71 72 73 74

— — — —

+

+ + ~r

+

KAPRIOLEN 75 76 77 78 79 80

1. UA München (Kammerspiele), 25. 9. 1931: Münchner Neueste Nachrichten (T. Klein) — Berliner Tageblatt (Werner Richter) — Vossische Zeitung (W. P.) — Mannheimer Tageblatt (A. E. Rutra) (J) Die Literatur (Joseph Sprengler) — Die neue Literatur (A. Mayerhofer) +

81 82 83 84 85

2. Wien (Kammerspiele), 22. 12. 1931 (= Lauter Achter und Neuner): Neue Freie Presse (Paul Wertheimer) + + — Neues Wiener Journal (Hans Saßmann) + + — Neues Wiener Tagblatt (A. Fr.) + + — Wiener Zeitung (R.) + 0 Die Stunde + +

4+

LIEBESNÄCHTE 87 88 89 90 91 92 93 144

UA Berlin (Komödie), 16. 3. 1932: Berliner Tageblatt (F. E.) Vossische Zeitung (Arthur Eloesser) Deutsche Tageszeitung Berliner Lokalanzeiger Germania (Ad.) Die Literatur (Ernst Heilborn) Ihering H.: Von Reinhardt bis Brecht

-

0

-

$

GLASTÜREN

96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108

1. UA Wien (Theater i. d. Josefstadt), 14. 2. 1939: Neues Wr. Tagblatt + + (= Neue Freie Presse) (Louis Barcata) Neues Wr. Tagblatt (Wochenausgabe) + (Hans Schimmer) + + Wiener Zeitung (Dr. G. K.) + + Wr. Neueste Nachr. (Ernst Holzmann) + + Volkszeitung (Hans Auer) + + Kleines Volksblatt (F. Schreyvogl) + 6 Uhr Abendblatt (Fritz Stüber) 0 + Völkischer Beobachter (a.) 0 + Salzburger Volksblatt (R. K.) 0 + B. Z. am Mittag (Karl Lahm) 0 + + Breslauer Neueste Nachr. (Mundhenke) + + Kölnische Zeitung (Eduard Springer) Frankfurter Zeitung (Peter Härlin) 0 Die Zeit (Reichenberg) (Spunda) — — Rundpost (Karl Maria Grimme)

109

2. Gastspiel der Josefstadt in Berlin, 17. 31. 1939: Frankfurter Zeitung (Geisenheyner) —

+

+

110 111

3. Wien (Theater i. d. Josefstadt), 7. 3. 1953: — Die Presse (Rudolf Holzer) Wiener Zeitung (Edwin Rollett) 0

+ +

+ +

112 113 114 115 116 117

4. Wien (Akademietheater), 11. 2. 1964: Die Presse (Piero Rismondo) Kurier (Paul Blaha) Expreß (Gertrud Obzyna) Neues Österreich (Otto F. Beer) Wiener Zeitung (Edwin Rollett) österr. Neue Tagesztg. (Kindermann)

+ — — — 0 +

0 + — — + +

+

+

0

+ 0

+

+

+

94

95

+ +

+ + + + + + + +

0 + + +

SPANISCHE KOMÖDIE

118 119

1. ÖE Linz (Kammerspiele), 6. 9. 1954: Die Presse (Herbert Lange) Wiener Kurier (Gertrud Obzyna)

120

2. Wien (Akademietheater), 17. 12. 1955: Die Presse (O. M. Fontana)

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1. UA Wien (Deutsches Volkstheater), 5. 12. 1936: Neue Freie Presse (Paul Wertheimer) + + Neues Wiener Journal (R. L.) + + Neues Wiener Tagblatt (Helene Tuschak) + + Wiener Zeitung (Rudolf Holzer) + + + Die Stunde + — — Reichspost (tr.) + + Frankfurter Zeitung (W. Jantschga)

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133 134

2. Salzburger Festspiele (Landestheater), 5. 8. 1947: - Wiener Kurier (Herbert Mühlbauer) Wiener Zeitung (Rudolf Holzer) + 0

0 +

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3. Wien (Kammerspiele), 19. 11. 1947: Wiener Kurier (Siegfried Weyr) Wiener Zeitung (Rudolf Holzer)

Neuer Kurier (Herbert Mühlbauer) Bild-Telegraf (Hans Weigel) Neues Österreich (Otto Basil) Wiener Zeitung (Edwin Rollett) österr. Neue Tagesztg. (Kindermann)

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DIE FRAU DES POTIPHAR

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DAS FINANZAMT

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UA Wien (Volkstheater), 28. 9. 1969: Die Presse (Piero Rismondo) Kurier (Rudolf U. Klaus) Expreß (Gertrud Obzyna) Wiener Zeitung (Fritz Koselka) Kronenzeitung (György Sebestyen) Volksblatt (Dr. Jürg) Arbeiterzeitung (Harald Sterk)

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GELEGENHEIT MACHT LIEBE 144 145 146 147

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1. UA Frankfurt a. M. (Schauspielhaus), 3. 11. 1928: + Frankfurter Zeitung (B. Diebold) — + Berliner Lokal-Anzeiger + -iChemnitzer Tageblatt 0 + Das Theater (g.) 0

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2. Wien (Deutsches Volkstheater), 8. 12. 1928: 48 49 50 51

Neue Freie Presse (E. L.) Neues Wiener Journal (-bs-) Neues Wiener Tagblatt (Wochenausgabe) (Hans Schimmer) Wiener Zeitung (a. fr.)

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-t-

DIE FRAU IN DER WOLKE

UA Wien (Akademietheater), 22. 12. 1928: 152 153 154 155 156 157

Neue Freie Presse (Raoul Auernheimer) Neues Wiener Journal Neues Wiener Tagblatt (e. d.) Wiener Zeitung (o. st.) Die schöne Literatur (Fritz Lehner) Polgar Alfred: Ja und Nein

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TUMULT 158 159 160 161 162 163

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1. UA München (Residenztheater), 4. 6. 1929: Münchner Neueste Nachrichten (T. Klein) — — Bayerische Staatszeitung Rheinisch-Westfälische Zeitung — — Berliner Tageblatt (W. R.) Die Literatur (Joseph Sprengler) 0 Die schöne Literatur (A. Mayerhofer) —

2. Wien (Deutsches Volkstheater), 11. 1. 1930 (= Mariage): + Neue Freie Presse (Paul Wertheimer) + + Neues Wiener Journal (H. Menkes) 0 + + Neues Wiener Tagblatt (Wochenausgabe) (Hans Schimmer) + + -r Die Stunde (Siegfried Geyer) + + +

DIE ATTRAKTION 1. UA Kassel (Staatstheater), 30. 5. 1930: 168 169 170 171

Rheinisch-Westfälische Zeitung Vossische Zeitung (W.) Die Literatur (Will Scheller) Die schöne Literatur (Will Scheller)

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2. UA Stuttgart (Schauspielhaus), 31. 5. 1930: Schwäbischer Merkur (H. O. Roecker) +

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3. Wien (Theater i. d. Josefstadt), 21. 6. 1937 (— Ein Optimist): — Neue Freie Presse (L. Hfd.) Neues Wiener Journal (Felix Fischer) + Neues Wiener Tagblatt (-ey-) Wiener Zeitung (Rudolf Holzer) + Die Stunde (Siegfried Geyer) +

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4-

TOHUWABOHU

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188 189

1. VA Wien (Deutsches Volkstheater), 8. 2. 1939 (= Remasuri): Neues Wiener Tagblatt (= Neue Freie Presse) (F. Stüber) 0 Wiener Zeitung (Rudolf Holzer) +

2. Wien (Kammerspiele), 8. 2. 1961: Die Presse (Torberg) Kurier (Peter Weiser) Illustrierte Kronenzeitung (Hans Weigel) Expreß (Gertrud Obzyna) Wiener Zeitung (Rollett) Neues Österreich (f. 1.) Das Kleine Volksblatt (Dr. Jürg) Neue Österreichische Tageszeitung (K. M. Grimme) Morgen Salzburger Nachrichten (o. m. f.)

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b) Kritische Auseinandersetzung mit Aufführungsbesprechungen: Bereits ein flüchtiger Überblick über diese Zusammenstellung be­ stätigt die mehrmals aufgestellte Behauptung, daß Lernet-Holenias Dramen „Rollenstücke“ sind, die sich, eine überdurchschnittlich gute Besetzung vorausgesetzt, hervorragend dafür eignen, die Schauspiel­ kunst in den Vordergrund treten zu lassen; Stücke, die erst durch den Schauspieler ihre Wirkung erhalten: also gleichsam Partituren, die erst vom Schauspieler zu Ende gedichtet werden. Felix Salten und

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ler Kritiker der „Wiener Tageszeitung“ sprechen dies deutlich aus: .Eine mangelhafte Aufführung ... und das Stück wäre kaum in Ruhe tu Ende, geschweige denn zu einigem Beifall gebracht worden“ vgl. K 41); und: „Man lasse die Komödie von weniger routinierten Gönnern herunterspielen, gewisse Leerläufe wären unverkennbar ...“ ^vgl. K 73). Und Lernet-Holenia hatte zumeist das Glück, seine Stücke in erstklassiger Besetzung auf der Bühne verwirklicht zu sehen: Die im überwiegenden Maße zustimmende Beurteilung der Auffüh­ rungen durch die Kritiker und das höchst positive Publikumsecho spiegeln sich deutlich in dieser statistischen Übersicht wider. Gleich­ zeitig kann das Gelingen von des Dichters Absicht, die „Stücke dem Publikum auf den Leib zu schreiben“, eindrucksvoll belegt werden. Anders verhält es sich mit der Beurteilung der Stücke selbst. Be­ reits mit seinem ersten Drama erzielte Lernet-Holenia zwei Re­ aktionen, die als symptomatisch zu bezeichnen sind: begeisterte Zu­ stimmung und erbitterte Ablehnung. Einhellige Zustimmung bei der Kritik fanden lediglich zwei Dramen: „Saul“ und „Die Frau des Potiphar“; auf entschiedene Ablehnung stießen hingegen vor allem die „österreichische Komödie“, „Erotik“ und „Lauter Achter und Neuner“ (die Beurteilung der „Liebesnächte“ kann nicht ernstlich in Betracht gezogen werden, da das Stück völlig entstellt zur Auf­ führung gelangte: vgl. hiezu K 86!). Überwiegend positive Aufnahme fanden außerdem „Alkestis“ und „Ollapotrida“. Eine völlig unterschiedliche Beurteilung erhielten die „Glastüren“: wurde diese Komödie bei ihrer Uraufführung in höchstem Maße ge­ lobt und erhielt sie bei ihrer ersten Wiederaufführung zum Teil noch freundliche Kritiken, erntete sie bei der zweiten Wiederaufführung bloß mäßige bis ablehnende Kritiken. Gertrud Obzyna, eine dem Dichter stets feindlich gesinnte Kritikerin, schrieb hiezu: „Das erste Mal war (das Stück) 1939 ... zu sehen — da war mancher, dank der politischen Umstände, auf alles, was typisch österreichisch klang, bereits versessen; das zweite Mal 1953 . . ., da war man, dank der noch nicht verschmerzten ,Anschluß‘-Jahre, wieder beglückt über alles österreichische. Doch nun, 1964, . . . kann man auch dem österrei­ chischen gegenüber wieder getrost kritischer gegenüberstehen ...“ (vgl. K 114). Eine wesentlich tiefer gehende, gerechtere Aufnahme allerdings fand die Komödie bei Piero Rismondo, der versuchte, das Wesen des Dichters und den Kern des Stückes aufzuzeigen und die Zwischentöne aufzuspüren: „Wer’s versteht, weiß genug!“ (vgl. K 112). Und hier erhebt sich nun die Frage: Wurde die Dramatik LernetHolenias gerecht beurteilt und hat die Kritik das Wesen seiner Dra­

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matik erfaßt? Überblickt man die statistische Aufstellung, so erkennt man, daß des Dichters wesentliche Stücke auch tatsächlich eine über­ wiegend bis eindeutig positive Beurteilung erhielten („Demetrius“, „Saul“, „Alkestis“, „Die Frau des Potiphar“, „Glastüren“, „Spanische Komödie“). Im Falle der „österreichischen Komödie“, einer durchaus gut gebauten, mit brillanten Dialogen ausgestatteten Komödie, scheint die österreichische Presse allerdings überfordert gewesen zu sein: zu kraß und tendenziös erschien ihr das Stück. Die Kritik blieb daher an der Oberfläche haften und ereiferte sich in langatmigen und un­ sachlichen Angriffen. Um so interessanter ist daher eine deutsche Stimme: „Die stärkste künstlerische Leistung des Monats verdankt man Lernet-Holenia . . . Um so seltsamer wird es klingen, daß die ,österreichische Komödie' gerade auf dem Boden, dem sie entstammt, nicht die Aufnahme gefunden hat, die man erwarten mußte...“ (vgl. K 60).

Lernet-Holenias Dramen fanden eine überaus geteilte Aufnahme, aber selbst die ablehnendsten Kritiken gestanden dem Autor eines zu: blendende Dialog- und Szenentechnik. Bereits nach der Urauffüh­ rung des ersten Dramas wurde auf diese Fähigkeit hingewiesen und der „Demetrius“ unter anderem in der „Vossischen Zeitung“ von Monty Jacobs als „Probe für ein unwiderstehliches Talent des Wortes und der Bühnenwirkung“ hingestellt (vgl. K 2). In der Folge wurde der Dichter in den Augen vieler Kritiker zu einem uneingelösten Versprechen seiner anerkannten dramatischen Begabung; Kritiker, die in ihm, nach vielversprechenden Leistungen als Lyriker, einen Dra­ matiker hohen literarischen Ranges heranwachsen sahen: „ ... Es ist bekannt, daß der Preisgekrönte damals vielfach enttäuschte und nicht die hohen Hoffnungen erfüllte, die auf ihn gesetzt wurden“ (vgl. K 172); Kritiker, die zu ihrem Ärger das Gegenteil erlebten, so daß solch ein Enttäuschter von Lernet-Holenia als dem „berückendsten Beispiel vom Untergang eines Talents im Kommerz“ schreiben konnte (vgl. K 156). Ein Ton gekränkter Eitelkeit, sich im Werdegang eines Dichters geirrt zu haben, und nicht so sehr ehrliche Ablehnung des Stückes selbst scheint sich in solchen Worten zu dokumentieren, wurde doch häufig über die Enttäuschung darauf vergessen, zu beurteilen, was Lernet-Holenia nun tatsächlich für die Bühne leisten wollte. Treffend formulierte Siegfried Geyer, mit welchen Augen des Dich­ ters Stücke zu betrachten sind: „Unterhaltung von Lernet-Holenia ist immer Unterhaltung mit Lernet-Holenia ... Er ist also auch dies­ mal oft hinreißend in seiner Nonchalance..., im heiteren Zynis­ mus“ (vgl. K 177). 150

Zu jenen Kritikern, die versuchten, des Autors Eigenart zu begrei­ fen, gehörten in den dreißiger Jahren vor allem Paul Wertheimer und Rudolf Holzer, und nach dem 2. Weltkrieg wiederum Holzer, dazu O. M. Fontana und Piero Rismondo. So schrieb O. M. Fontana anläßlich der Aufführung der „Spanischen Komödie“: „Das Erfreu­ liche und Erfrischende an Lernet-Holenia kommt daher, daß er ein Dichter, aber kein feierlicher Dichter ist. Er hört die Musen singen und die Sibyllen raunen, aber er ist auch Freund mit den Nymphen, Dryaden und bockfüßigen Faunen . . . Lernet-Holenia ist da ganz ein Dichter des Rokokos mit seinen Fetes galantes und seinen geist­ reichen Spöttereien ... Im Menschlichen hält er sein luftiges und lustiges Spiel in rosigen und leichten Farben mit Beschränkung auf den Ton der zärtlichen Verliebtheit und den Ausdruck eines mali­ ziösen Lächelns ..." (vgl. K 120). Um also die Frage, ob des Dichters Werk richtig beurteilt oder miß­ deutet wurde, zu beantworten, muß festgestellt werden, daß nur jene Kritiker, die ohne Animosität urteilten, den Zugang zur LernetHoleniaschen Dramatik gefunden haben. Und zuletzt kann mit Ge­ nugtuung vermerkt werden, daß des Dichters wenige Dramen ernsten Gehalts nahezu uneingeschränktes Lob ernteten und die Absicht des Verfassers der vorliegenden Arbeit, diese Stücke wieder nach­ drücklich in Erinnerung zu rufen, ihre Berechtigung hat.

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3. Kritikenverzeichnis

A. Tragödien und Schauspiele

DEMETRIUS Uraufführung Leipzig (Altes Theater), 22. 11. 1925:

K. 1 Leipziger Neueste Nachrichten, 24. 11. 1925 (Dr. Egbert Delpy): Die Uraufführung ..., die als wildes Theatergewitter ... vorübertobte, hat unsere Erwartungen enttäuscht.. . Auch er verwechselt Roheit mit Kraft, Krampf mit Ekstase ... Brüllen ist aber literarisch, also brüllt auch Lernet-Holenia nach den bewährten Vorschriften der zeitgenössischen Tabulatur seine russische Staatsaktion herunter.. . Der erste Akt mit sei­ nem effektvollen Porträt des kranken . . . sterbenden Boris Godunow .. . läßt Kronachers Eintreten für das Werk noch begreifen, die nachfolgen­ den Akte nicht mehr... Viel Hoffnungen vermag ich aus dieser Kraft­ meierei eines fast Dreißigjährigen nicht zu schöpfen. Immerhin bleibt irgendwie der Eindruck eines Draufgängertums, dem bei wachsender Reife doch wohl Persönlicheres gelingen könnte . . . Das szenische Bild der von Kronacher mit größter Hingabe inszenierten Aufführung bot viel Fesselndes. Auch im Zusammenspiel, vor allem im Sturm der Massen, loderte der befeuernde Atem seiner heftig entbrann­ ten Regieleidenschaft. Im einzelnen hätte er freilich unbedingt die Zügel straffer halten und vor allem das Solobrüllen abdämpfen müssen. Die interessanteste und differenzierteste schauspielerische Leistung . .. bot wie­ der Rudolf Klix als halbirrer Boris Godunow... — Dem Inszenator galt der laute Beifall des Abends, dem sich bald Widerspruch beigesellte, als der anwesende Dichter an die Rampe trat... So war diese Leipziger Urauf­ führung mehr eine Warnung als ein Erfolg für den neuen Mann.

K 2

Vossische Zeitung, 24. 11. 1925 (Monty Jacobs): Stimme und Tonfall im Werk eines neuen Dichters lockten mich zur Uraufführung des „Demetrius“ nach Leipzig. Eine Fahrt ohne Enttäu­ schung ... Aus diesem Spiel hat sich ein Vorspiel herausgesprengt... ist die Probe für ein unwiderstehliches Talent des Wortes und der Bühnen­ wirkung. Um dieses Aktes willen sollten die Dramaturgen der deutschen

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Bühnen, am Ende sogar die Berliner Theaterleiter, von der Existenz des neuen Dichters Kenntnis nehmen. Auch als Spielleiter ließ Kronacher seinem Schützling Fürsorge angedeihen. Seine Aufführung war die beste Tragödiendarstellung, die ich seit Jahren außerhalb Berlins gesehen habe ... So war ein Theaterabend mit einem unanfechtbaren Niveau gesichert. . .

K 3 Die Literatur, 28. Jg., Stuttgart — Berlin 1925/26, S. 232 (Georg Witkowsky): . .. Ein Vorspiel auf dem Theater, der größte und beste Akt des Stücks, der den Tod des Bluthundes Boris Godunow schildert. . . Hier tritt Büh­ neninstinkt, dramatisches Vermögen in Gestalten und gesteigerten Situa­ tionen zutage. Aber was nachher um Demetrius wimmelt, ist ein unbe­ herrschter Reigen farbloser Schemen, unter denen höchstens der intrigante Schuiskij etwas wie eingeborene Lebenskraft erfühlen läßt.

K 4 Die schöne Literatur, 27. Jg., Nr. 1, Leipzig 1926, S. 43 (Friedrich Michael): . . . Aber nicht eigentlich die Gestaltung ... dieser Demetrius-Tragödie fesselt, sondern die breite Basis der ersten Szene, in der Boris Godunow stirbt. . . Diese Szene hat großes Format. Atmosphäre russischer Zaren­ gewalt drängt sich unmittelbar auf. Im übrigen erstickt theatralischer Lärm den Dialog. Das Ungestüm der szenischen Bewegung ... war von Alwin Kronacher in prachtvollen Bildern zu stärkster Wirkung gesteigert.

K 5 Heilweg, 5. Jg., Essen (1926), S. 87 (Peter Lee): . . . Alexander Lernet-Holenia . . . fehlt der Wille zu stählerner Konse­ quenz ... er versucht, dem falschen Thronprätendenten ... ein scharf ge­ prägtes Profil zu geben, aber das Wollen scheitert im wesentlichen am Können. Ohne es selbst zu merken, bröckelt ihm die Konzentration unter den Händen weg, und schließlich nimmt das . . . turbulente Nebenher.. . den Dichter so in Anspruch, daß die Figur des Titelhelden mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt wird und am Ende völlig an Interesse einbüßt. Lernet-Holenia begeht den sehr bedauerlichen Fehler, vor der Zeit sein Pulver zu verschießen . . . Man vernimmt aus diesem „Deme­ trius“ Lärm, wo es einem auf Worte ankommt. Das scheint mir das wesentlichste Kriterium seiner Schwäche zu sein. — Alwin Kronachers Regie ließ (absichtsvoll) alle Zügel schleifen und unterstrich dadurch eine beklemmende Realistik, der die Halblichter gesunder Mäßigung genützt hätten. Barnowskys Bühnenbilder reflektieren Grauen und Dumpfheit russischer Barbarei um 1601. — Zustimmung und Ablehnung standen sich am Schlüsse erbittert gegenüber.

K 6 Das Theater, 6. Jg., H. 24, Berlin 1925, S. 568 (Dr. W. Bloßfeldt): ... Ist Alexander Lernet-Holenia der große Wurf gelungen? Ich denke, nein. Er ist sicher nicht unbegabt und hat einen dramatischen Anfang, ii

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der spannt und viel verspricht... Aber da erlahmt das Stück und fällt von Akt zu Akt ab . . . Die Inszenierung . . . war stark. Quälende, düstere Grundfarbe lag über dem Ganzen ..., die Volksszenen gaben unheim­ liche Hintergründe... Der Dichter durfte sich zeigen. Doch galt der Bei­ fall sichtbar mehr der Aufführung als dem Stück.

K 7 Ihering, Herbert: Von Reinhardt bis Brecht, 2. Bd., Berlin 1959, S. 155 ff.: . .. Alwin Kronacher gab . . . das Drama „Demetrius“ von Alexander Lernet-Holenia: ... Er hat Sprachempfinden, das sich oft prunkend, er hat szenisches Empfinden, das sich oft schlagend äußert. A. Lernet-Hole­ nia schreibt einen ersten Akt, den Tod des Boris G., der zu dem Stärk­ sten gehört, was in den letzten Monaten über die Bühne gegangen ist... Die szenische Begabung von A. Lernet-Holenia ist unbezweifelbar. Sie wird fruchtbar für ein ganzes Drama werden, wenn er.. . klar disponiert, in welchem persönlichen und in welchem dramatischen Verhältnis die Figuren stehen . . . Die zweite Forderung an seine Zukunft ist: die Kon­ trolle darüber zu erlangen, wann er sich auf die Historie, und wann er sich auf seine Deutung der Historie stützt. . . Die dritte Forderung ist: die lyrischen und epischen Elemente seiner Sprache nur zu dulden, wo sie atmosphärisch wesentlich sind . . . Leider ließ die Leipziger Aufführung . . . dem Stück keine Zeit zur kri­ tisch-produktiven Umlagerung. Wenn Kronacher jede Szene auf den Vor­ gang zurückgeführt hätte, hätte sich von selbst herausgestellt, welche Per­ sonen der Klarlegung der Vorgänge gedient, welche sie gehindert hätten. Kronacher aber nahm das Stück als gegeben und preßte es in Bilder; in ausgezeichnet gestellte, ausgezeichnet beleuchtete, kostümierte, dekorativ gegliederte Bilder. Kronachers Regie lieferte vortreffliche Buchillustratio­ nen zu den Szenen ... Die lebendige, fließende Bühnenübertragung fehlte. Der bildlichen Fixierung gleicht die sprachliche. Die Darsteller redeten ohne Senkungen . . . Ein Schrei wurde gegen den anderen gesetzt, ohne Übergänge — quälend .. . Die Aufführung des „Demetrius“ war trotz der zu einseitig auf malerische Präzision angelegten Darstellung eine Tat Direktor Kronachers. Denn die Fehler seiner Aufführung sind die vieler Provinzaufführungen . . .

SAUL Uraufführung Gera (Reußisches Theater), 22. 5. 1927:

K 8 Das Theater, 8. Jg., H. 10, Berlin 1927, S. 266 f. (P. A. Otte): . . . Das Experiment, große, längst vergangene Szenen der Weltge­ schichte . .. für das gegenwärtige Theater zu retten, ist geglückt... Die erfolgreiche Uraufführung am Reußischen Theater hinterließ einen Ein­ druck, der an Tiefe von vielen abendfüllenden Stücken nicht erreicht wird. Die Vorstellung hatte ein beachtenswert hohes Niveau ... 154

K 9 Die schöne Literatur, 28. Jg., H. 7, Leipzig 1927, S. 333 f. (Hermann Seitz): Unbeeinflußt von ängstlichen historischen Rücksichten packt LernetHolenia den biblischen Stoff. .. und nimmt jene seltsame Geisterbe­ schwörung als ein höchst modernes Problem ... Die Aufführung war so stark, daß erst nach einer Ergriffenheitspause lauter Beifall losbrach. Das auf eine wundervolle Harmonie gedämpfter Farben gestimmte Bühnenbild Blankes, die in Belichtung, Rhythmus und Bühnenmusik sehr glückliche Spielleitung Böhms und die hinreißende Darstellung (...) sicherten den Erfolg.

Zürich (Schauspielhaus), 27. 6. 1946: K 10 Neue ‘Zürcher Zeitung, 29. 6. 1946, S. 3 (—wti—): . .. Die Geschichte des jüdischen Volkskönigs Saul... (hat) ihre großen, menschlich tiefsten Spannungen in den Beziehungen zwischen Saul und David . . . Was Lernet-Holenia in seinem kurzen Einakter gibt, ist lediglich ein Ausschnitt. .. Diese sehr theaterwirksam gebaute séance . .. erhält ihre starken Spannungen und Akzente durch Saul und die Magd. Leopold Biberti ist der hochgewachsene, düstere Tyrann..., während Maria Becker aus der Rolle der seltsamen, geisterbeschwörenden Magd eine großartige Charakterstudie macht... hat Oskar Wälterlin dem „Saul“ konzentriertes, starkes szenisches Leben zu geben verstanden ... Freundlicher Beifall. K 11 Wiener Zeitung, 7. 7. 1947, S. 4 (Robert Konta): . . . Unter der Regie Wälterlins gelangten zwei Werke... A. LernetHolenias zur Aufführung, „Saul“, und „Alkestis“, die beide ein großer Erfolg wurden und einen starken Eindruck hinterließen... Der Dichter weiß zu erschüttern und zu fesseln... Starker Beifall lohnte die Auf­ führungen ... K 12 Wiener Kurier, 6. 7. 1946, S. 4: ... Tiefsten Eindruck hinterließ die Aufführung ... Der Erfolg war ein ganz außerordentlicher und Lernet-Holenia wurde oft und oft vor den Vorhang gerufen.

ALKESTIS Uraufführung Prag (Kleine Bühne), 19. 5. 1927: K 13 Prager Tagblatt, 20. 5. 1927, S. 6 (M. B.): . .. Hier haben wir eine Parodie im Geiste Offenbachs, doch so, daß der Ernst der Problemstellung durchaus nicht verlorengeht. . . Breuer traf den travestierenden Ton des Ganzen am besten ... Hilda Kraus (Alkestis) legte ihre Rolle allzu pathetisch an ... Mit feinem Takt verband und trennte Hölzlins Regie das Tragische und das Zynische des kleinen Kunst­ werks; die übergeordnete dichterische Einheit stellte er durch Zweiteilung il»

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der Bühne dar, — im Vordergrund das Derbe, Häßliche —, in der zwei­ ten Halle... haben die metaphysischen Vorgänge ihren Raum für sich. Ein technischer Mangel: die Vorderbühne war zu eng, drückte das Spiel. Im Ganzen aber kam im schönen Bild, in Lichtwirkung und Wortregie der Geist der Dichtung zu klarer Entfaltung.

K 14

Die Bühne, 4. Jg., H. 37, Wien 1927, S. 15 (Otto Pieck):

... Die Prager Uraufführung (...) ließ unbegreiflicherweise den Strom, darin Alkestis ins Unendliche treibt, vorzeitig verebben. Was nur als im Nu verklingende Episode gemeint war, der Alkestis flüchtige Anlehnung an den göttlichen Mittler, erschien nunmehr fälschlich als Kern des Ge­ schehens, und bereits der Auftakt (die Tafelszene) wurde nicht als die wohl vom Dichter beabsichtigte tragische Offenbachiade, sondern einfalls­ los als burleske Rüpelszene aufgefaßt. . .

Zürich (Schauspielhaus), 27. 6. 1946: K 15 Neue Zürcher Zeitung, 29. 6. 1946, S. 3 (—wti—): ... Man hat eine Musterkarte der Stillosigkeit vor sich, ein Gemisch — auch im Sprachlichen — von Schwank, Komödie, barocker Feerie und Klassikimitation, das leider mehr verärgert als unterhält. Dieses Ollapotrida schmackhaft zu machen, ist eifrigstes Bemühen des um die Führung des Einzelnen wie der Gruppen verdienten Regisseurs, des mit einem fest­ lich-großzügigen Dekor sowie geschmackvollen Kostümen aufwartenden Bühnenmalers und der Darsteller. In schlichter Größe bereitet sich Maria Becker als Alkestis auf den Opfergang vor . . . ; Bernhard Wicki spielt ihn (Apollo) sehr dekorativ . . . Daß in diesem Stück der Versuch unternom­ men worden war, eine Art griechischen Chors einzuführen, war mit Sicherheit nur aus dem Programmheft zu erfahren ... freundlicher Bei­ fall ...

K 16 Wiener Zeitung, 7. 7. 1946, S. 4 (Robert Konta): In „Alkestis“ läßt Lernet-Holenia die Antike in einen tiefen Abgrund stürzen und packt das Abgründige an, um es gleichsam als Jammer einer modernen Familientragödie (weit über Strindberg hinaus!) zu analysieren. .. . dieses Stück wurde vortrefflich gespielt. . . Starker Beifall. . . K 17 Wiener Kurier, 6. 7. 1946, S. 4: ... Tiefsten Eindruck hinterließ die Aufführung von ... „Alkestis“ ... Der Erfolg war ein ganz außerordentlicher und Lernet-Holenia wurde oft... vor den Vorhang gerufen.

SZENE ALS EINLEITUNG ZU EINER TOTENFEIER FÜR RAINER MARIA RILKE

(Am 23. 1. 1927 im Theater in der Josefstadt, Wien): K 18

Neues Wiener Tagblatt, 25. 1. 1927:

... Die verschnörkelte, fast allzu originelle Art dieser Szene birgt manches

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tieferdachte Wort, und ihre Sprache ist von starker Ausdruckskraft. Dirmoser und Hans Thimig waren vollendete Interpreten der Szene...

K 19 Wiener Neueste Nachrichten, 25. 1. 1927 (W. W.): .. . Besonders schwach war die einleitende Szene. . . Was ihr an tiefer Geistigkeit und innerlicher Beziehung zu dem Toten fehlte, suchte sie durch einen präpotenten, arroganten Ton zu ersetzen, den ein mittel­ alterlicher Herold sowohl dem Publikum, als auch dem in persona auf­ tretenden Cornet Christoph gegenüber anschlug. Dirmoser und Hans Thimig zogen sich taktvoll aus der Affäre.. .

K 20 Der Tag, 25. 1. 1927 (M. L.): ... Als verfehlt muß der Gedanke bezeichnet werden, den verstorbenen Dichter in seiner eigenen Form zu beklagen. K 21 Wiener Zeitung, 26. 1. 1927: ... erschien zunächst eine bis zur Absonderlichkeit gesteigerte Szene ... Aus ihren mannigfachen Dunkelheiten ging nur die eine Gewißheit klar hervor, daß der gewöhnliche Sterbliche einen Dichter ... als etwas außer­ halb der menschlichen und weltlichen Ordnung Stehendes anzusehen habe ... K 22 Volkszeitung, 25. 1. 1927 (J. St.): ... Aufrichtig gesagt, diese Gedanken haben uns nicht gerade durch Neu­ heit überwältigt... Wir denken: Zur Ehrung eines Rilke hätte Herr Lernet-Holenia doch etwas tiefer in die Tasche greifen können. K 23 Wiener Allgemeine Zeitung, 25. 1. 1927 (s.): . .. Lernet-Holenia fand hiefür eine eigene, persönliche und untraditio­ nelle Form .. . mit edler dichterischer Sprache und in strengem Stil durch­ geführt. Diese überkonventionelle Art für einen konventionellen Anlaß besitzt das Pathos des Unpathetischen. Und deshalb durfte LernetHolenia es sich erlauben, hart an der Parodie vorbei, den Kornett Chri­ stoph v. Rilke auftreten zu lassen ...

B. Lustspieldramatik

OLLAPOTRIDA

Uraufführung Frankfurt a. M. (Schauspielhaus), 11. 12. 1926: K 24 Frankfurter Zeitung, 13. 12. 1926, S. 1 (B. Diebold): ... sich ein ganzes Talent in diesem Schwank verschwendet, und die Reali­ tät der Personagen mit peinlich nachgelebter Psychologie erhalten wird,

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so entsteht im raffinierten Aufbau des Einakters ein Kunstwerk spiele­ rischer Laune... Die Aufführung war so — so. Sie fand nicht etwa das Niveau der über dem Schwankhaften schwebenden Realität... Schon das österreichische Reden war ein Zwang für die Spieler des Hauptliebespaares... sie suchten die phlegmatische Melodie Österreichs, und fanden sie nicht. Es fehlte ein österreichisches Spielschema, das in dieser Uraufführung beispielhaft vor­ angegangen wäre ... Die Konversation floß nicht. Die Auftritte und Ab­ gänge waren oft ohne Überraschung — in einem Stück, das sich vor Neuigkeiten überkugelt. Ja, das Stück ist famos. Und der Beifall war ein Tosen.

K 25 Die schöne Literatur, 28. Jg., H. 2, Leipzig 1927, S. 93 (Werner Deubel): Das Stückchen lebt von leichten, moralin-freien Schwanksituationen. Es hat nicht das mindeste geistige Gewicht und verrät nichts vom Dich­ ter ... Aber diese Komödie hat gesundes Theaterblut in ihren harmlosen Adern. Sie quirlt... ein so lustiges Szenendurcheinander zusammen, daß der Zuschauer mit Vergnügen alle literarischen Ansprüche über Bord wirft und lacht, was er lachen kann. Die Aufführung unter Arthur Sakheim war virtuos und bis ins kleinste durchgearbeitet. Da war nirgends Stillstand, immer Bewegung, immer Wechsel, bis mit der hübschen Schlußpointe alles zerplatzt wie eine schil­ lernd-bunte Seifenblase.

K 26 Heilweg, 6. Jg., Essen 1926 (Dr. Fritz Rupp): ... Was Lernet-Holenia bewogen hat, sich an einer so belanglosen Ange­ legenheit dramatisch zu versuchen, wissen wir nicht. Möglich, daß der talentvolle Dichter den hohlen Schwankautoren unserer Zeit beweisen wollte, wie man auch dem nichtigsten Stoff mit Hilfe eines scharf geschlif­ fenen Dialogs Bühnenwirksamkeit verleihen kann. .. Die heutige Ehe­ bruchskomödie hätte bei einem Molnär in glücklicheren Händen gelegen.

Berlin (Kammerspiele), 14. 12. 1926 (Uraufführung der zweiaktigen Fassung):

K 27

Berliner Tageblatt, 15. 12. 1926, S. 4 (Alfred Kerr):

I. Kleistpreis... (Kakophonie! Schon wegen dieser zwo „ei“ dicht hintereinander hätt’ ich die Stiftung nie gewünscht.) Also Kleist-Krönung für das Jahr 1926. Der Einäugige wird mit Recht unter Blinden gekrönt. Hier ein ganz unterhaltsamer Einäugiger; nicht weltfremd; vielmehr ge­ schickt; kennt sich aus. Wenn einer das Handwerk versteht, ist er darum noch kein Schurke ... Doch wenn er nur das Handwerk versteht, —. (Vielleicht versteht er künftig mehr als das Handwerk, nicht entmutigen.)

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II. Krönung, Krönung, Krönung... Der Preisrichter hatte recht. Kann er Poeten aus der Erde stampfen? — Er krönt das kleinste Übel. Wer für 1925 den „Fröhlichen Weinberg“ belohnte, war leider auch im Recht. (Zuckmayer-Carl, der Einäugige des Vorjahrs.) Wahrlich, ich sage euch: es ist besser, einen Preis für ein Stück zu suchen ... als ein Stück für einen Preis. III. Diebold krönt mit Fug an Lernet-Holenia nur den ersten Aufzug. Da wird immerhin eine, freilich, alte Form sehr virtuos weitergebracht. Der Franzosenschwankwirrwarr noch viel schwankwirrer. Ein Plus. Was geht vor? Der Don Juan Herr Henninger hat in seiner Wohnung mit nur einem Ausgang (Don Juan — und nicht zwei Ausgänge!) drei Damen. Zwei Ehefrauen, eine Braut. Es erscheinen hierzu: ein Gatte, noch ein Gatte, dann ein Bräutigam, ein Vater. Dieses Gesamtvexierspiel heißt nun: Wie bringe ich, wenn ich drei Erbsen habe, jedoch nur einen Löffel, die drei Erbsen so aus dem Loch, daß ... IV. Die Permutation wird gefördert. Es ist spannend und lustig . . . Immer­ hin . . . Immerhin: vor Spannungen kommt man weniger zum Lustigsein. Warum? Weil der Hörer das Rechenexempel mitmacht. Und weil man bloß gemäßigt über das eigene Durchspüren lacht. Auch der Verfasser spürt etwas, halb reuevoll, — deshalb sagt er im zweiten Teil... V. Deshalb sagt er im zweiten Teil: es war nur ein Spiel; nur ein Theater­ spiel; nur von Schauspielern gemimt. Die Leute, die ihr als Wirklich­ keitsmenschen genommen habt, sind nur Scheinmenschen. Histrionen waren es, die euch etwas vorgemacht. Oder: Pirandello . . . Der Preis­ richter hat rechtens diesen zweiten Fall nicht gekrönt. Gallische Vervoll­ kommnung: ja. Italienische Kopie: nein.

VI. Die Pirandello-Kopie wird von Lernet-Holenia bestritten, der etliche Banalheiten im Programmheft naturfrisch äußert. Bestritten und voll­ führt. Auch die Bertolt Brecht und Georg Kaiser pumpen ja aufkratzend beim Pirandello. Unterhaltender Anblick. Der dünne Held in „Mann ist Mann“, der sich doppelt zwieteilt oder doppelt; und Oliver, der sich doppelt oder zwieteilt; alles Pirandello-Pump. (Während jener Pirandello, seinerseits, wiederum fast alles beim Schnitzler vorgemacht fand: im „Grünen Ka­ kadu“; sonst noch gelegentlich in Schnitzlers Spiegelstücken. Indes der Schnitzler es vielleicht bei Meilhac . . .)

VII. Denn wenn einer so was ausschließlich bringt; stets wieder; hartnäckig; jedesmal in jedem Stück; wenn er bloß diesen Zug hat; wenig andere

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daneben, wie der starke steigernde Spezialist Pirandello: dann erst be­ kommt so was Weltgeltung. Dann erst wird es Weltmode. (Die Geistes­ geschichte bleibt ein großer Ulk.) VIII. Hätte der Schauspieler R. Forster mehr Herzhaftes: so käme man häufi­ ger zum Lachen. Dann gäb’s . . . nicht nur den österreichisch betonten, bißl eintönigen Singsang seiner Beileidstimme . . . Hilpert, Spielwart, müßte den toten Alexander mieten. Oder den lebenden Pallenberg.

IX. Unter dem Rest (Jensen, Hörbiger, Biensfeldt, Meyerinck, Sachs, Lud­ milla Hell) kam die Orska nicht zum Schluß. Kleines Feld für sie. Doch Gülstorff, hier ein Bühnendirektor, gibt von dem Ganzen das Beste: weil er das Herzhafteste gibt ... im hübschen Werk des Einäugigen, der zuletzt halbäugig ist.

K 28 Vossische Zeitung, 16. 12. 1926 (Monty Jacobs): ... In diesen Szenen moussiert ein freier Übermut so weltmännisch, daß er alle kleinbürgerlichen Geister des deutschen Schwanks austreibt . . . Das Nachspiel schwächt ... ab, statt zu steigern. An der Tatsache, daß der Abend selbst einen solchen Ausklang ohne Gefahr überstehen konnte, läßt sich die starke Wirkung des eigentlichen Spiels ermessen . . . Auch dieser Akt ist zuweilen lustig. Aber seine Heiterkeit läßt sich von jener Konvention fesseln, von der sich das Spiel „Ollapotrida“ so souverän be­ freit hat . . . Auch unter den Aristokraten . . . wird der Darsteller eine gute Figur machen, der . . . den Erfolg des Abends trug: Rudolf Forster besitzt nämlich alles, was so ein Kavalier aus Lernet-Holenias Welt er­ fordert ... Im eigentlichen Spiel nur mit einer Nebenrolle bedacht, ist Maria Orska die Heldin des Nachspiels mit dem geladenen Revolver. Sie war lange nicht so einfach wie gestern, gewiß ein Verdienst des Regisseurs Heinz Hilpert. Aber die Phantasie dieses Spielleiters ist nicht reich genug, um dem neuen Geist Ollapotrida ein neues Tempo und dem Durcheinan­ der seinen österreichischen Stil zu schaffen.

K 29 Deutsche Allgemeine Zeitung, 16. 12. 1926 (Paul Fechter): . . . der 1. Akt ... ist eine frische, lustige und vor allem überlegene Sache . . . Gemessen an Lernet-Holenias „Demetrius“ ist es ein Neben­ werk, aber ein hübsches und lustiges, das unterhält ... Es folgt ein zweiter: Theater von der Kehrseite ... Es läßt sich manches gegen diesen zweiten Akt einwenden . . . Der Schluß bleibt für den Zuschauer schwer erfaßbar, weil es zu schnell geht . . . Aber für den Autor spricht . . . daß er Geist und Witz zu haben scheint . . . Die Aufführung unter Hilpert war im 1. Akt sehr hübsch und frisch, also daß herzhaft gelacht wurde . . . (Der 2. Akt) gelang nicht so einheit­ lich wie der erste: das Durcheinander gliedert sich nicht — was zur Hälfte 160

am Autor liegt . . . Der Erfolg war sehr freundlich. Namentlich nach dem 1. Akt. Es wurde heftig geklatscht.

K 30 Die Weltbühne, 23. Jg., Nr. 3, Charlottenburg — Berlin 1927, S. 105 £. (Oscar Blum): Komische Käuze, diese Theaterdirektoren hierzulande! Sie wollen und wollen es nicht wahrhaben, daß man aus Dreck keine Konfitüren be­ stellen kann . . . Harmloses Publikum sitzt zwei Stunden lang mit rüh­ render Geduld da und läßt die abgestandensten Späßchen einer vorsint­ flutlichen Theatermache über sich ergehen ... Was für naturalistische Mätzchen, wieviel Meiningerei in einem Stück, dessen offenkundige Sinn­ losigkeit jeder Beschreibung spottet ... K 31 Das Theater, 8. Jg., H. 2, Berlin 1927, S. 32: . . . ist über den preisgekrönten Schwank . . . nicht mehr zu sagen, als daß sich der geringe geistige und künstlerische Wert der zeitgenössischen Produktion nicht krasser offenbaren kann, als wenn ein solches Stücklein den Kleist-Preis erhält. Es ist eine unbedeutende Nichtigkeit, lustig auf­ gebaut und frisch im Dialog, aber letzten Endes doch durchaus gleich­ gültig und gewiß nur dort wirklich wirksam, wo eine frische Wiedergabe wie in den Kammerspielen durch die Damen Orska und Hell und die Herren Forster und Jensen das Ganze beflügelt. Wien (Deutsches Volkstheater), 28. 9. 1929: K 32 Neue Freie Presse, 29. 9. 1929, S. 15 (E. L.): . . . ist dieser Schwank meisterhaft . . . Mit blanken Nadeln spießt der Dialog die Infamie der Sprecher nachlässig-sichtbar auf, und im Wirbel der Schwankstürme leidet der erotische Begriff „Herr“ unentwegt Schiff­ bruch . . . die Lustigkeit dieses Mischmaschs von altem Requisit und neuem Witz bezwingt. Sie kommt in der Darstellung, deren Regie Herr Dr. Furegg führt, durchaus zur Geltung . . . K 33 Neues Wiener Journal, 29. 9. 1929, S. 8 (Hermann Menkes): Ein Abend von dramatischer Gewichtslosigkeit . . . das Ganze ist allzusehr in einer einzigen, humoristisch variierten Situation verankert. Es ist ein Spaß von allzu epischer Breite des Details . . . Dieser possenhaften Komik, die in ihrer Wiederholung ein wenig ermüdet, geben die Darsteller den bedeutsameren Gehalt. Olden spielt den Henninger mit lässiger An­ mut . . ., Lessen ist der gallige Rittmeister . . . Humorvoll der beschränkte . . . Lassarus des Herrn Homma . . ., Elisabeth Markus . . ., und die Damen Donath und Seidler ... Sehr lustig Puchstein als Diener Toison d’Or . . Die Komödie schlug mit ihrer Komik lebhaft ein ... konnten sich mit den Darstellern für den stürmischen Beifall bedanken. K 34 Neues Wiener Tagblatt, 29. 9. 1929, S. 12 (Erwin Rain­ alter) : . . . Lernet ist ein fabelhafter Techniker, und er ist es in diesem schlan­ ken, von allem Rankenwerk befreiten Einakter am allermeisten. Hier

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gibt es nirgends ein Erlahmen des Atems, das ganze Stück ist ein Apparat von bewunderungswürdiger Präzisionstechnik .. . Die Eleganz, mit der die Entwirrung erfolgt, ist reizend .. . Das Ganze ist . . . ein Taschenspieler­ stück. Ein . . . Abend . . ., der Erfolg hatte. Das Publikum fand, daß man sich auch in guter Gesellschaft zu amüsieren vermag. Und so durfte das Volkstheater einen Erfolg verbuchen.

K 35 Die Stunde, 1. 10. 1929, S. 7 (Siegfried Geyer): . . . Lernet mit Kavalleriesäbel als Dichter-Hallodri. . . Ein Tohuwabohu richtiger Possenherrlichkeit, außerordentlich gemacht und herrlich im Ton quietschvergnügter Ordinärheit... Im Volkstheater eine ausgezeichnete k. u. k. Vorstellung .. . Das Publi­ kum wälzte sich vor Lachen, wie bei einer richtigen Posse . . .

K 36

Wiener Zeitung, 1. 10. 1929, S. 2 (a. f.):

. . . ausgiebige und bekömmliche Komödie . . . Welch umstürzlerische Ver­ änderung im Wiener Liebesleben seit Arthur Schnitzlers versunkenen schönen Jugendtagen! Anatol hat sich verpöbelt, er ist manchmal von einer rücksichtslosen Ordinärheit. . . Eine zum großen Teil glänzende Darstellung ließ keine Bedenken aufkommen. . . Viel Beifall. Endlose Hervorrufe. Die paar Mißvergnügten zählten nicht.

Wien (Akademietheater), 4. 11. 1952: K 37 Die Presse, 6. 11. 1952, S. 4 (Rudolf Holzer): . . . die Ausgelassenheit Lernets heiligt nur mehr mit äußerster Nachsicht den Zweck ... So gab es einen Lustspielabend . . . vergröbert durch Laut­ stärke, entsprechend den gröberen Mitteln bei „Ollapotrida“ ... ; über die Ollapotrida-Tollheit mußte man lachen, ob man wollte oder nicht. Da wird Komik zur unüberwindlichen Gewalttätigkeit.

K 38 Wiener Kurier, 6. 11. 1952, (Herbert Mühlbauer): . . . ist in seinen handfesten Possensituationen noch immer von vergnüg­ licher Wirkung. Ulrich Bettac, der . . . Regie führt, läßt sie restlos aus­ nützen und so kommt der unterhaltungslustige Zuschauer voll auf seine Rechnung. Und dazu spielt Hans Holt überaus gewinnend den Haus­ herrn ..., stellt Susi Nicoletti mit bezauberndem Humor eine aben­ teuerliche Dame dar . . . und so war zum Schluß der Beifall allgemein.

K 39 Neues Österreich, 6. 11. 1952, S. 6 (Otto Basil): . . . Lernet-Holenias lausbübisches Husarenstückchen „Ollapotrida“ ist ein Schwank-Eintopf, in welchem Resteln von Labiche-Komödien, ChaplinGrotesken . . . gerade noch erkennbar (aber nicht genießbar) sind . . . Recht lustig, wenn auch ein visionärer Vorgriff auf Löwinger-Thematik (im Herrenreitermilieu) . . . . . . stiehlt die bezaubernde Susi Nicoletti die Szene . . . Hinreißend! Auch Frau Nicolettis Partner und Partnerinnen haben gesegnete Augenblicke: . . . durch die Bank ausgezeichnet. . . Und dementsprechend hatten auch die Lachsalven und Beifallsstürme Lautstärke 14.

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K 40

Prag (Kleine Bühne), 19. 5. 1927: Prager Tagblatt, 20. 5. 1927, S. 6 (M. B.):

. . von Lernet-Holenias anderem Lustspiel, der „Österreichischen Ko­ mödie“, unterscheidet es sich leider durch eine gewisse Langatmigkeit und Unfeinheit des Spaßes... Roman Reinhardts Regie, in Einzelheiten glück­ lich, hätte durch kräftigere Striche die Wirkung steigern können. Es wurde aber auch so ausgiebig gelacht und applaudiert.

ÖSTERREICHISCHE KOMÖDIE

Uraufführung Wien (Theater in der Josefstadt), 28. 1. 1927: K 41 Neue Freie Presse, 30. 1. 1927, S. 18 (Felix Salten): . . . Die Handlung ist winzig und nicht ganz erfreulich ... Ein geborener Einakter, wenn’s denn schon durchaus ein Theaterstück sein muß. Die Personen machen keine Entwicklung durch, . . . höchstens eine Skandal­ szene . .. Dennoch hat Lernet-Holenia Theatersinn, hat Talent und scheint so etwas wie eine „Hoffnung“ zu sein. Diesmal hat ihn eine exemplarisch gute Aufführung gerettet. Er mag sich beim Spielleiter Hock bedanken, der die drei Akte mit subtiler Behutsamkeit durch alle Gefahren bug­ sierte; dann bei Professor Strnad, der eine Szenerie von vollendeter Schön­ heit schuf. Und bei allen Darstellern. Eine mangelhafte Aufführung . . . und das Stück wäre kaum in Ruhe zu Ende, geschweige denn zu einigem Beifall gebracht worden. Der Abend gehörte Herrn Moser, der einen alten . .. Diener gab .. . Das Josefstädter Theater hat glänzende Arbeit ge­ leistet. Aber diese Arbeit noch einmal an solch ein Objekt gewagt, wäre V erschwendung.

K 42 Neues Wiener Journal, 30. 1. 1927, S. 3 f. (Leop. Jacobson): . . . „österreichische Komödie“ ist ein großes Wort, gelassen ausgesprochen von Herrn Lernet-Holenia, der damit selber ein bißchen Komödie zu spielen gedenkt, aber gar nicht merkt, daß er schließlich selber ihr Opfer wird. Er hat entschieden mehr Ohr für die Dinge als Blick. Weil er zu viel hört, sieht er zu wenig . . . Daß Lernet-Holenia nicht ein beliebiges Talent ist, steht unzweifelhaft fest. Auch dieses Stück, das hauptsächlich bei Hof­ mannsthal in die Schule ging, ist ein kleines Meisterstückchen in der Wort­ kunst. Herr Holenia hat, wie gesagt, viel Ohr. Aber er ist auch vom Theater besessen, weiß um das Handwerk Bescheid und macht Zweck­ kunst nach Wunsch oder Laune. Die große Aufmachung ... ist Spezialität des Theaters in der Josefstadt und diese „österreichische Komödie“ sozusagen ein gefundenes Fressen ... die Regie manchmal überpointiert, aber darin mehr dem Autor . . . fol­ gend. Das Bühnenbild ist prachtvoll. . ., nicht wie für einen Theater­ abend, sondern wie für ein Jahrhundert gebaut. .. Hier bewegen sich die Darsteller mit vollendeter Eleganz und Eigenart, jeder ein Nobeltyp aus dem Gotha ... Es sind ihrer viele, die da zu spielen und zu tun haben. Gleichsam an erster Stelle, weil am charakteristischsten hervortretend,

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Herr Lovric, der den adeligen Grafentyp mit einer liebenswürdigen Nonchalance und lässigem Humor repräsentiert; mit ihm zusammen der feudale Hochbürger Romberg, der scheinbare Kälte und wirkliche geistige Überlegenheit mit aller Eindringlichkeit kundtut; dann der leicht ange­ blödelte, aber mit perfider Schläue begabte Aristokratenjüngling Her­ mann Thimigs; Vater Thimig als fabelhafte alte, leicht und schwer rau­ schige Exzellenz, geleitet von Hans Thimig, der ihm lustig assistiert. Man sieht Herrn Korff, der die unangenehmste Rolle des Stückes zu tragen hat, als den kuppelnden Vater; er macht ihn düster . . . Die kuppelnde Baronin ist Frau Terwin, unbefangen und medisant herausfordernd, schon im Ton bald jenseits der Gesellschaft; das zu verkuppelnde Mädchen, das nicht weiß, wie ihm geschieht, aber wissend um ihre Aufgabe, ist Lilli Darvas, schön, anmutig und mit einem rührenden Herzenston, der keusch zum Ausdruck kommt. Reizend ist Emmy Förster als alte schwerhörige Fürstin; vollendet in Haltung und Konversation und amüsant Frau Woiwode, die drollig ihren Nervenzustand äußert. .. Der indignierte und innerlich saubere Aristokrat des Herrn Dirmoser wahrt die allerbeste Haltung . .. Das Theater braucht Talente wie Herrn Lernet-Holenia. Vorläufig hat er sich nur als ein erstes Talent zweiten Ranges vorgestellt, aber vielleicht vertauscht er die Grade.

K 43 Neues Wiener Tagblatt, 30. 1. 1927 (Moriz Scheyer): . . . Zuerst macht uns der Autor Appetit auf die Dehors seines Milieus, daß uns das Wasser nur so im Munde zusammenläuft: feudales Schloß­ leben, livrierte Dienerschaft, blendende Toiletten . . . Allmählich aber läßt Lernet-Holenia . . . auch die Dessous zum Vorschein kommen, und plötzlich beginnt er . . . ungeniert schmutzige Wäsche vor aller Augen zu waschen, daß uns der Appetit wieder gründlich vergeht... Das Aristokratenstück wird . . . auf das nobelste gespielt. Schon der äußere Rahmen . . . : eine sehenswerte Folie für die durchwegs sehens­ werte Darstellung. K 44 Wiener Zeitung, 30. 1. 1927 (Rudolf Holzer): . . . Diese ganze „Österreichische Komödie“ ist nämlich eine begabte Schindluderei, die wir gar nicht stark genug ablehnen können, um uns nicht in den Verdacht zu bringen, einer Prostitution noch Wohlgefallen und Bestätigung widerfahren zu lassen . . . Die Komödie wird . . . gespielt wie ein erlesenes vollendetes Kammerspiel. Bei einer Aufführung wie diese verschwinden natürlich alle Taktlosigkeiten eines Autors... Das Publikum ist erfreulicherweise nicht durchgefallen; es nahm den ersten Akt . . vergnügt und interessiert auf, begann im zweiten Akt stutzig zu werden, war im dritten aufs äußerste abgekühlt. Natürlich war es vom unübertrefflich meisterhaften Spiel so sehr gefesselt. .., daß es starken . . . Beifall bot, aber . . . einstweilen noch nicht „dem“ Lernet-Holenia. K 45 Volkszeitung, 30. 1. 1927 (J. St.): ... Sie ist ein Gemengsel von Gemeinheit, von Witz, von wirklicher Ethik und gespielter Gesinnungsschlamperei, von echter Wahrheit und

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erlogener Komödie... Der Verfasser selbst sagt, die Geschichte habe sich ereignet... Ist aber, was ... als wahr erwiesen dasteht, auch deshalb schon für die Bühne wahr? Nein! Für die Szene gilt nur Blut, nicht Tinte. Innere Begründung, nicht äußere Tatsache... Der Einzelfall ... ist noch lange nicht fürs Theater. Bloß das Typische ist wahr . . . Hervorragend war bloß die Aufführung.. . Das Publikum applaudierte nach den zwei ersten Akten brav. Am Schluß des dritten aber wollten die Leute nicht mehr mit. Diese Hochadeligen schienen ihnen allzu schäbig. Und man zischte!

K 46 Wiener Morgenzeitung, 30. 1. 1927 (Otto Abeies): . . . Wenn Käuflichkeit, Schmutz, Verkommenheit die Gesellschaft be­ sudeln, muß es ein junger Dichter nicht zunächst dort sehen, wo er aufwächst? . . . Daß er sie „österreichisch“ nennt, ist begreiflich, aber nicht gerecht. .. Alle Figuren ... sind mit gründlichster Kenntnis des Milieus, aber, was mehr bedeutet, mit Dichterblick gesehen . . ., der die Seelen erkennt. .. Diese im Technischen überraschend fertige Komödie ist . . . in der Szenenführung und Gestaltung der handelnden Figuren nicht durchaus geglückt. .. Eine glanzvolle Aufführung in einem glanzvollen Rahmen. Strnads Büh­ nenbild von verschwenderischer . . . Vornehmheit... Serie meisterhafter Leistungen! Tatsächlich ein neuer Mann, der im Dramatischen Bescheid weiß,... eine neue Hoffnung, eine österreichische noch dazu. K 47 Deutsch-Österreichische Tageszeitung, 30. 1. 1927 (Mirko Jelusich): . . . das Bühnenspiel selbst enttäuschte leider im großen und ganzen . . . Dazu kommt, daß dieses Stück eigentlich keines ist, sondern eine psycho­ logische Novelle .. . Was hier in drei langatmigen Akten, von denen na­ mentlich der dritte die Lösung nur durch eine unmögliche Bühnen­ situation herbeizuführen versuchte, vor sich ging, war nicht spannend, sondern abspannend . . . Die Spielleitung, auf allzu große Detailarbeit bedacht, versagte bei den Schwierigkeiten des letzten Aktes vollständig und suchte sich vergeblich ins Possenhafte zu retten. In den nicht allzu starken Beifall . . . mengte sich am Ende starker Widerspruch. K 48 Wiener Allgemeine Zeitung, 30.1. 1927 (Ludwig Ullmann): . . . Schwank mit Kultur .. . Viel Lärm um fast Nichts. Aber der Lärm ist amüsant... Alle Dramatik war und bleibt schließlich Porträt. Der Griff ins wirklich Alltägliche verträgt private Entrüstungen. Wenn es ein Griff ist... ! Hier ist einer. Ganz entschieden ... Schauspielerische Pracht in allen Facetten . .. Die Talentprobe hat Lernet-Holenia bestanden ... K 49 Wiener Sonn- und Montagszeitung, 30. 1. 1927 (Hans Liebstoeckl): . . . ferner äußert Lernet-Holenia .. . : „In Österreich können die Leute überhaupt nichts anderes reden als Unanständigkeiten, oder es wird ge-

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blödelt.“ Hierin ruht ein offenes Beitrittsbekenntnis des jungen Autors; hierin erschöpft sich auch seine österreichische Komödie ... Es war arg. Ich . . . stürzte aus allen Himmeln und das Publikum mit mir . .. Diesen Kitt von Lumpen und Trotteln Österreich zu nennen, blieb leider dem Österreicher Lernet-Holenia Vorbehalten, der sich zu Heinrich von Kleist ungefähr verhält wie Gasthof zu Gustav. Was ist denn den Herren draußen eingefallen, diesen wenig versprechenden Jüngling Kleist-zupreisen? . . .

K 50 Der Tag, 30. 1. 1927 (O. M. Fontana): . . . Lernet-Holenia hat aus diesen Vorfällen drei Akte gemacht, mit mancher amüsanter Wendung, mit mancher Theaterwirkung. Aber sie bleiben hoffnungslos privat. . . Humor und Geist erinnern an die Ka­ valleristenmesse . . . Aber das gibt noch keine Komödie. Auch keine öster­ reichische. Nun hat Lernet-Holenia durch die Dramaturgie, die er verkündet, sich eine große Reservatio geschaffen. Auskultiert man ihm den Geist, ant­ wortet er ungefähr, ihm gehe es nicht ums Drama, er wolle das Thea­ tralische, er betrete das Theater nicht als Dichter, sondern als Hand­ werker. Gut, sehr gut. Aber das Theaterhandwerk gibt nicht zu, daß man die Figuren aufhebt und sofort fallen läßt, daß man keiner eine Entwicklung gibt, jede so läßt, wie sie vor dem Aufgehen des ersten Vor­ hanges war. Das verzeiht man einem Dichter zur Not. Aber im Theater­ stück müssen die Figuren auf der Situation „sitzen“ wie der Rock auf dem Körper, müssen sie Zug um Zug ausgewertet werden, müssen sie wie Rädchen in Rädchen ineinandergreifen, weil nur so die Maschinerie in Gang zu bringen ist, läuft. .. Dabei steckt Lernet-Holenia zweifellos voll Talent. Er hat Kultur, die bis an die Grenzen der Versnobtheit geht. Er hat savoir vivre, er versteht eine vor Silber und Delikatessen schimmernde Tafel zu arrangieren. Aber all diese hors d’ceuvre und Feinschmeckereien haben . . . ihre Agacerie verloren. Wir sind satt davon . . . Man muß Nekrophile sein, um sich unter diesen Menschen in dieser Luft wohl zu fühlen . . . Gespenster spielen Leben. Vielleicht hat Lernet-Holenia auch solche Groteske gemeint? Und gelang es ihm nur nicht? Dann hätte er auch als Theatraliker das Dichterische gewollt und nur das Theaterhand­ werk fehlte ihm noch? Wir wollen hoffen . .. Dem Theater in der Josefstadt gelang unter der Regie Stephan Hocks eine respektable Auffüh­ rung . . . K 51 Die Stunde, 30. 1. 1927 (Siegfried Geyer): . . . als Kern einer Komödie, die „österreichische Komödie“ heißt, aber mit der österreichischen Mentalität im Grunde sehr wenig zu tun hat. .. Warum also „österreichische Komödie“? . . . Mit überraschender Kenntnis der Details leitet der Regisseur Hock das hochherrschaftliche Rituale . .. man kann sich Vornehmheit nicht vornehmer denken,... als sie diese Strnadsche Halle wiedergibt,... in der die Schauspieler . . . diese Komödie mit höchster Vollendung spielen ...

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K 52 Extrablatt, 30. 1. 1927 (1. p.): ... Der Autor kann eine ganze Menge ... und wird mit der Zeit auch ein guter Stückeschreiber werden. Einstweilen ist jedoch noch kein Anlaß zu übermäßiger Begeisterung gegeben . . . Man legt sich die Frage vor: Was ist an dieser Komödie außer dem Dialekt österreichisch? Lernets Komödie könnte ebenso gut ins . . . Englische übersetzt werden, ohne daß auch nur ein Hauch österreichischen Wesens irgendwo zum Vorschein kommen würde. Dieser Titel ist eine Anmaßung . .. Immerhin sind die Ansätze zu einer netten, amüsanten Gesellschaftskomödie gegeben. .. Am lustig­ sten ist der dritte Akt. . . Eine glanzvolle Aufführung verdeckt die Schwächen und glättet die Unebenheiten der Komödie. Jeder einzelne ... war unübertrefflich . . . Hans Moser allen voran . . . Eine Sehenswürdig­ keit an sich war die Gestaltung der Bühne.

K 53

Weltblatt, 30. 1. 1927 (treu):

. . . Ein Wust von gesellschaftlichem Schwatz umgibt das Wenige, das wirklich geschieht und die eigentliche Handlung des Stückes fängt erst dort an, wo sie in anderen Komödien fast schon aufhört. .. Der Gewinn des Abends war eine glänzende Darstellung...

K 54 Illustrierte Kronenzeitung, 30. 1. 1927: . . . ist keine übermäßig starke Talentprobe .. ., wirkt. .. bloß verstim­ mend, weil Licht und Schatten zu ungleich verteilt sind . .. Dieses streit­ bare, sehr schwache Stück ist also durchaus unsympathisch, auch für Leute, die überhaupt nicht monarchistisch empfinden . . .

K 55

Reichspost, 30. 1. 1927 (B.):

. . . Dann begann das Stück und die Enttäuschung . . .: Ein Nichts von Handlung, eingewickelt in ein großes Geschwätz... Diesen Titel diesem Stück voranzusetzen, ist. . . verwegen. Will der Autor wirklich behaupten, das . ... sei typisch für Österreich? . . . Einer Prüfung auf seine dichterischen Werte hält dieses Stück .. . nicht ernstlich stand . . . Auch Hocks treubeflissene Regie konnte das Wunder nicht wirken, Unheil ab­ zuwenden. Denn zum Schlüsse wurde das Stück, nachdem ein kurzer, un­ echter Begeisterungsrummel vorüber war, empfindlich ausgepfiffen .. .

K 56 Arbeiterzeitung, 30. 1. 1927 (D. B.): . . . so wenig erfreulich, auch rein theatertechnisch, die ersten zwei Akte sind, so ist Lernet-Holenia unzweifelhaft eine Begabung, insbesondere eine starke Theaterbegabung. Ihm wandeln sich in der Schilderung jener österreichischen Welt... die Farben verklärenden Zwielichts in die Far­ ben des Untergangs. Er liebt seine Geschöpfe. . ., doch er verurteilt sie zum Tode . . . Gespielt wird . . . ganz ausgezeichnet. .. Das Schönste der Aufführung ist ein wunderbares Bühnenbild .. . Die Komödie hatte nach den ersten zwei Akten freundlichen Erfolg. Nach dem dritten Akt, dem weitaus besten, widersprach einiges Zischen dem Beifall.. .

K 57 B. 2. am Mittag (Berlin), 8. 2. 1927 (F. Th. Csokor): ... Voll knabenhafter, übermütiger Lieblosigkeit gibt er die Biologie 167

des österreichischen Adels .. . Dieser aus zwei Akten entsponnene und im dritten von dem für Lernet-Holenia typischen, aus der Commedia dell’arte geerbten Wirbel, überschäumter Vorgang ist nicht so wichtig wie die Canevas, worin er sich verwirkt. Sie hat Lernet-Holenia ausge­ spannt mit einer außerordentlichen Kraft, Milieu zu schaffen und Stefan Hocks treffliche ... Inszenierung ... ist ihr darin gefolgt. . . Eine pracht­ volle Künstlerschar. .. vereint sich zu einem vollendeten Ensemblespiel. Das seine Krönung in Hans Moser findet...

K 58 Rheinisch-Westfälische Zeitung (Essen), 10. 2. 1927 (Max von Millenkovich-Morold): ... Ungewöhnlich war auch die Enttäuschung, österreichisch ist an dieser Komödie überhaupt nichts . . . Von dem echten Adel.. . scheint der Verfasser keine Ahnung zu haben ... Sein Stück ist. . . von A bis Z un­ möglich. Das . . . könnte . . . wettgemacht werden durch die innere Folgerichtigkeit der Komödie in einer willkürlich errichteten oder ab­ sichtlich verzerrten Welt: kurz durch das eigentliche Dichterische oder ausgesprochen Satirische. Nach dieser Seite versagt der Verfasser voll­ ständig ... K 59 Die Literatur, 29. Jg., Stuttgart — Berlin 1926/27, S. 353 (R. F. Arnold): . . . Freilich, der Titel verspricht mehr als das Stüde hält. Läßt er denn nicht eine heitere Bejahung oder Verneinung oder doch Kritik österrei­ chischen Wesens erwarten? Aber all das bleibt in Ansätzen und Rudimen­ ten stecken; und österreichisch ist.. . nicht viel mehr als der allgemeine Tonfall der Gespräche . . . Spezialität Lernets scheint die komische MassenSituation zu sein, das Zusammendenken und Zusammensehen nicht weni­ ger Leute in irgendwelcher grotesken Kombination. — Hat nun Öster­ reich wirklich wieder einen Dichter? Glücklicherweise besitzt Lernet ge­ wichtigere Rechtstitel auf diesen schönen Namen als die „österreichische Komödie“. K 60 Die schöne Literatur, 28. Jg., H. 3, Leipzig 1927, S. 139 (Fritz Lehner): Die stärkste künstlerische Leistung des Monats verdankt man LernetHolenia . . . Umso seltsamer wird es klingen, daß die „österreichische Komödie“ gerade auf dem Boden, dem sie entstammt, nicht die Auf­ nahme gefunden hat, die man erwarten mußte. Und das hat seinen Grund darin, daß das Objekt uns zu nah ist, daß es zu unerbittlich beschrieben und aber auch gar zu einseitig gesehen wurde . . . Der Diener (Hans Moser) gefiel auch denen, die sich über das Werk ärgerten . . . Die Inszenierung von Stefan Hock entschädigte sie... K 61 Autograph Hugo von Hofmannsthals, datiert „Rodaun, 1. 2. 27“:1 1 zit. bei Knölke, Bärbel: Hugo von Hofmannsthals Bühnenschaffen; Diss. Wien 1967, S. 176 f.

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(an Helene Thimig, die sich auf einer Tournee befand und für die Hof­ mannsthal die Funktion des Berichterstatters übernommen hatte): Man spielte in der Josefstadt „österreichische Komödie“ von Lernet... Es fängt an wie der „Schwierige“, endet wie ein Schwank und streift da­ bei ein Kino ... Es wurde reizend gespielt! Hodks Regie war das beste Stück Arbeit, das ich je von ihm gesehen habe. Strnads Dekorationen noch schöner und wirklicher als die im „Schwierigen“. Die Aufnahme war unklar, Kritik sehr geteilt, aber im ganzen war das Spiel doch eine Art von Ereignis und sehr richtig, daß man es gespielt und so aus­ gezeichnet gespielt hat. Besuch war Sonntag ausverkauft... Jetzt aber müßte bald etwas Höheres kommen ... Gefahr..., daß jemand an die Saison zurückdenkt und sich fragt: Was hat eigentlich dies Theater uns gegeben?.. .

Frankfurt a. M. (Neues Theater), 31. 1. 1927: K 62 Frankfurter Zeitung, 1. 2. 1927, S. 1 (Ernst Heilborn): .. . Lernet-Holenias nicht zu gering zu veranschlagendes Können beruht ganz wesentlich auf der Dialogführung ... den Schwank literaturfähig zu machen, das ist ihm gelungen .. . Der Regie Arthur Hellmers gelang es trotz seines aus sehr verschieden gearteten Elementen zusammengesetzten Ensembles, das Gesellschaftsbild plausibel zu machen . . . Die Aufführung hatte Tempo, der Dialog floß ... eine Reihe von Leistungen, die sich auf sehr annehmbarer Mittellinie hielten . . . K 63 Heilweg, 7. Jg., Essen (1927), S. 49 (Dr. Fritz Rupp): ... Es blieb wieder bei einer schlecht verhehlten Enttäuschung... genügt es doch nicht, Theaterstücke zu schreiben, worin es einem schwabbelig wird vor Gestalten, die ohne Geist und Witz in der trüben Brühe des Alltags schwimmen . . . Kreuzung von brutaler Lebensäußerung und sen­ timentaler Verschleierung der Wahrheit..., die auch bei einem gut ge­ bauten Dialog ein gewisses Unbefriedigtsein hinterläßt. Die Aufführung unter Hellmer bemühte sich mit anerkennenswertem Erfolg... Das Premi^ren-Publikum, das der Komödie gegenüber mit dem Beifall zurückhaltend war, gab zum Schlüsse seiner Anerkennung für die Spielleitung um so eindeutigeren Ausdruck. K 64 Das Theater, 8. Jg., H. 5, Berlin 1927, S. 108 (G.): ... Sie hatte nicht den Erfolg der entzückend gebauten „Ollapotrida“Komödie..., und sie verdient ihn auch nicht. Ihr Fehler ist, vom Publi­ kum aus gesehen, daß sie den Hörer nicht genug einweiht..., die Vor­ gänge sich zu langsam entkernen ... die Wirkung der Komödie steckt im Wirbel, in der Charakteristik, in Situationen,... Dialogen ... Die Regie Hellmers war dem Stück im Sichtbaren gewachsen: ein gutes Bühnenbild, ein blendendes Auf und Ab ... Den Ansprüchen LernetHolenias an das Wort... konnte nicht jeder Sprecher genügen ... Den Haupterfolg hatte eine Dienerfigur... Der Beifall war laut, aber wir werden es sehen: das Publikum verlangt Mitwisserschaft. 12

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EROTIK Uraufführung Breslau (Lobe-Theater), 23. 12. 1927:

K 65 Das Theater, 9. Jg., H. 3, Berlin 1928, S. 60 (Paul Rilla): ... Wieder geht nichts vor, als daß eine Handvoll Personnagen männ­ lichen und weiblichen Geschlechts in einen Wirbel gerät, und daß der Wirbel sozusagen aus der saugenden Kulissenluft drei Akte erzeugt, die mit nichts als jenem Wirbel angefüllt sind. Wäre es ein Anlaß zu soziolo­ gischer Betrachtung, so könnte man sagen, eben diese Bewegung aus dem Nichts und um Nichts sei Abbild dessen, was heute als gesellschaftliche Beziehung gepflogen wird, nachdem es die Gesellschaft nicht mehr gibt. Die Beziehungslosigkeit gesellschaftlicher Beziehungen schafft jene eroti­ schen Komplikationen, die keine sind, um das Paradoxon einer Hand­ lung, die, aus versäumten Gelegenheiten bestehend, die reine Gelegen­ heitsmacherei ist. Vernunft wird Unsinn, doch der Unsinn hat Methode. Er äußert sich in einer dialogischen Spruchweisheit, deren ge­ dankenflüchtiges und begriffstütziges Arrangement als zuverlässige Wind­ fangvorrichtung den Wirbel reguliert. Der Geist der Vertrottelung aber schwebt über den Wassern. Indessen: dieser Substanzmangel ist auch ein Mangel an eigentlicher Aktion. Das Spiel macht keine Gebärden, sondern täuscht sie vor. Es ist nicht Fiktion von Wirklichem, sondern Fiktion einer Fiktion. Es ist nicht die heitere Sinnlosigkeit einer überdrehten Lebensmechanik, sondern einfach ein sinnloser Mechanismus, — ein Ven­ tilator, der halt so lange surrt, bis er abgestellt wird. In „Ollapotrida“ kam der Exzentrikwirkung die komprimierte Form des Einakters zu gute. Hier, über drei Akte gestreckt, läßt sich die Atemlosigkeit szeni­ schen Impromptus nicht durchhalten, ohne daß sie schließlich ein etwas asthmatisches Aussehen kriegt. „Ollapotrida“ nahm, Sprung auf Sprung, jedes Hindernis mit gewitzter Bravour. Ein brillantes Hürdenrennen, Hier wird umständlich Anlauf genommen, aber es kommt nicht zum Sprung. Die Aufführung unter Barnays Regie wirbelte dennoch zum höchsten Vergnügen des Publikums. Der Kuriosität des Anlasses dienten sacht hin­ tersinnige Fermaten, gut verteilte dialogische Spitzigkeiten, welche die Spitzfindigkeit des Autors komödiantisch zuschliffen. Der sonst vortreffliche Rudolf Platte schien in der Hauptrolle diesmal allerdings fehl am Platz. Statt lässigen Phlegmas mit liebenswürdigem Akzent gab er Verwaschenheit. Magda Simon dagegen spielte zum ersten Mal wirklich flüssig und beweglich. In guten Chargen: Maja Sering und die Herren Scherzer und Hasse.

K 66 Die schöne Literatur, 29. Jg., H. 2, Leipzig 1928, S. 108 (O. F. Hallener): Das Stück unterscheidet sich nicht wesentlich von den bisher bekannten beiden Komödien ...: es ist die gleiche Auffassung vom „Theatralischen“, vom „aktiven Theater“ ... Es ist die gleiche Mischung von ernster Satire, schwankhafter Handlung und sprachlicher Meisterung der Pointe ... Drei

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Akte lang wird von der Fäulnis und der Zersetzung heutiger Moral ge­ sprochen; Ehescheidungen, Verführungen und sexuelle Irrungen werden mit Charme und recht unernst angedeutet — nur damit am Schluß, als die Schwierigkeiten einen gewissen Gipfel erreicht haben, in ganz über­ raschend dummer Weise das typische Schwank-Ende mit Verlobungen vorgeführt, nur damit am Schluß die Pointe heraus kann: „Erotik? Sie machen schrecklich viel her davon und es ist nichts dahinter.“ — Gespielt wurde unter Barnays Leitung flott und mit gutem Erfolg.

Co-Uraufführung Frankfurt a. M. (Schauspielhaus), 23. 12. 1927: K 67 Frankfurter Zeitung, 25.12.1927, S. 2 (Bernhard Diebold): Lieber es gleich sagen: die ersten zwei Akte sind eine matte Nachahmung von „Ollapotrida“ — und daher noch ganz lustig. Der dritte Akt ist keine Nachahmung von „Ollapotrida“ — und unter aller Kanone. Der Mann mit dem merkwürdigen Doppelnamen Lernet-Holenia erscheint uns auch als Dichter in doppelter Erscheinung ... Im poetischen Gedicht ist Lernet nur Würde und preziöse Schönheit. .. ; benutzt Traditionen zu immer erneuter Romantik; malt mit gewählten Farben ein paar Szenen: „Saul“ und „Alkestis“ wie auf Gobelins . .. Auf einmal schlägt er um; saust wie ein Flieger aus der Höhe. Der Österreicher spürt sein Vaterland von un­ ten. Riecht Praterluft und Beisl-Atmosphäre ... So steigt.. . Lernet-Hole­ nia aus der poetischen Adelswolke heraus direkt ins Materielle. Geistige Haltung weicht sinnlichem Spieltrieb... Aus Poesie wird Prosa; aus Pose wird Posse . . . O „Ollapotrida“ vom letzten Jahr! Man könnte weinen, wenn man an sein Gelächter denkt. . . Denn die Hauptfiguren... sind aus „Ollapotrida“ geklaut. .., Reminiszenz aus der „österreichischen Komödie“. Warum schreibst du dich ab, Alexander?... Wie gesagt: man kennt Stimmung und Ton vom Vorjahr. Aber das Schlimmste: auch das Handlungsmäßige ist ähnlich. Auch in der Commedia dell’arte wird immer wieder Pantalone von Scaramuccio betrogen,... und Arlecchino mit Colombina haben die Kuppeldienste zu verrichten. Aber jedesmal muß die Spielidee neu sein. Der Aufführung, die Odemar leitete, fehlte wie im Vorjahr der österrei­ chische Timbre des Ganzen. Als „Wirkung“ kamen die ersten beiden Akte einigermaßen heraus. Als „Stil des Nebenbei“ mißlang sie. Alle An­ strengungen der Regie im dritten Akt mit dem üppigen Barleben waren umsonst vor dem zusammengewürfelten Charivari des Textes. Aber drei sehr gute Leistungen hielten die Stimmung. Drei Männertaten: Lengbach als Clemens, Impekoven als Diener und Danegger als Oberkellner... Der Beifall war gut. Aber auch der Widerspruch nach Akt zwei und drei — war gut.

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PARFORCE Uraufführung Düsseldorf (Schauspielhaus), 31. 12. 1928: K 68 Die schöne Literatur, 30. Jg., H. 2, Leipzig 1929, S. 91 (Karl Lehmann): Lernet-Holenia stellt in den Mittelpunkt des Stückes den Mann, der wegen seiner stark polygamischen Veranlagung bei abenteuersuchenden Frauen zu einer solchen Berühmtheit gelangt, daß er sich schließlich dem zu Tode gehetzten Hirsch vergleicht. Parforce! Gewaltsam löst er noch einmal — gleichsam einen „Übergeschnappten“ markierend — den Kno­ ten. Aber — bald wird’s von neuem losgehen. Der Dialog ist spritzig, die Situationskomik famos, der Humor manchmal wienerisch golden, manchmal eigentümlich frech. Ein unterhaltsames Lustspiel, das dem Sil­ vesterpublikum sichtlich Freude bereitete.

K 69 Frankfurter Zeitung, 21. 1. 1929 (A. Z.): ... Es bleibt diesmal ein bitterer Nachgeschmack. Die Ursache mag daran liegen, daß Lernet-Holenia — bewußt oder unbewußt — bei all dem sprachlichen Raffinement, mit dem er die Sprache der Wiener guten Ge­ sellschaft beherrscht, das Obszöne, das Nur-Erotische, doch deutlicher auf­ trug als in „Ollapotrida“ ...

München (Kammerspiele), 23. 2. 1929:

K 70 Münchner Neueste Nachrichten, 25. 2. 1929, S. 1 (Wil­ helm v. Schramm): ... Er läßt mit der äußersten Virtuosität, wie man sie nie noch an einem in deutscher Sprache (verfaßten Stück) erlebte, hinreißend plaudern und in der erotischen Sphäre parlieren, er gibt durch Zutat von allerhand Witzen und Würzen ein ungeheuer gewagtes, aber nicht ungenießbares Durcheinander, eine neue und modernisierte Variation von „Ollapo­ trida“ ... Mit einem revueartigen Aufgebot der leichtesten und entzükkendsten Frauenzimmer, die nach jedem Aktschluß in anderen Toiletten erscheinen — und einem einzigen Mann ..., der von ihnen allen gejagt... wird, weiß er eine sehr fesche Sache zu machen..., bis einen der wir­ belnde Schluß mit brillanten Effekten einfach ins Nichts und Finstere fallen läßt. Aber fabelhaft leicht, ein geistreiches Spiel mit der vollkom­ mensten Unbeschwertheit und Grazie ist diese verfeinerte und verflüch­ tigte Posse... Jedenfalls eine ausgezeichnete Sache für einen Regisseur wie Forster-Larrinaga — das hat die Aufführung... gezeigt. Oskar Karlweis vom Deutschen Theater in Berlin ist zwar der vollkommene Herr, aber nicht ganz der glaubwürdige Herrenreiter. Doch das macht nicht viel. Das Spiel gibt diesem... Gast den vielfältigsten Anlaß, leicht, witzig und voll Esprit zu sein .. . Das ist sehr hübsch sich anzusehen, noch hübscher natürlich die Damen, alle entzückende Personen und reizend wechselnd angezogen... So wirbelt das vorüber — bis der umstrittene Mann keine Rettung mehr weiß als seine Frau, und als der letzte Bluff 172

zwei veritable Ponies auf der Bühne erscheinen. Diesen Ponies galt natür­ lich der heftigste Beifall...

Wien (Kammerspiele), 5. 10. 1948: K 71 Wiener Kurier, 7. 10. 1948, S. 4 (Herbert Mühlbauer): .. . Weit witziger, lustspielhafter, lebendiger hat Hermann Bahr ähnliches im „Konzert“ gestaltet. Lernet-Holenia gestaltet gar nicht; er operiert nicht mit Witz, sondern mit Handfertigkeit und wirft Figuren und Worte von einer wirklichen oder vermeintlichen Pointe zur anderen. Manchmal gelangen sie hin, manchmal nicht. Ihre Sorgen möchten wir haben... Er hat schon wirksamere Stücke ähnlichen Genres geschrieben. Obwohl das Stück ein Schmarren ist, gibt es manchen amüsanten Moment, der aber das Verdienst der Aufführung ist, die unter Franz Pfaudlers Regie eine Reihe ausgezeichneter Schauspielerleistungen bietet. Da ist Hans Olden, der mit seinem Humor und Charme den Nöten des Herrenreiters lu­ stige . . . Seiten abgewinnt; Lotte Lang, die gar köstlich die herrsch- und eifersüchtige Freundin darstellt; Paula Pflüger . . . Als Stubenmädchen er­ scheint Hildegard Sochor, eine ansprechende neue Schauspielerin, die eine Bereicherung des Ensembles darstellt... Rahmen der Vorstellung, der Gustav Manker das hübsche Bühnenbild beigestellt hat.

K 72 Neues Österreich, 7. 10. 1948, S. 4 (Otto Basil): Lernet-Holenia nennt seine Komödie eine „seltsame Jagd in drei Akten“. Seltsam an der Sache ist aber nur, daß derlei dem gleichen Kopf ent­ sprungen sein soll, dem immerhin einmal der „Demetrius“ ... gelungen ist. Seltsam ist auch, daß man partout und par force, also „mit G’walt“, das Theater, das ohnehin schon am Hund ist, zu Tode hetzt, und zwar mit sämtlichen Höllenhunden der Langeweile ... Das Ganze wird in einem ennuyanten Graf-Bobby-Ton vorgetragen, mit dem Witz und der Philo­ sophie einer mittleren Kälmän-Operette, wobei noch etwas Seltsames auf dieser Jagd . . . passiert: der Dialog verwandelt den Zuschauer allmäh­ lich selbst in einen Grafen Bobby, so daß er, nunmehr einfältig geworden wie nur ein Herrenreiter, zuletzt am besten selbst lacht. Womit Autor, Theaterdirektor und Zuschauer sich auf der gleichen platten Ebene ge­ troffen haben ... Wenn man lacht, so tut man es jedenfalls nur über Hans Olden, der allerdings um vieles komischer wäre, wenn er nicht Lernetsche Sätze zu sprechen hätte. . . Im übrigen hat diese Komödie vor 40 Jahren Hermann Bahr für sein „Konzert“ viel besser und viel amüsanter komponiert. K 73 Wiener Tageszeitung, 8. 10. 1948, S. 2 (H.): Drei Akte von Alexander Lernet-Holenia. Was bei näherem Zusehen übrigbleibt? Nichts . .. wird nur brillant durchgeführt. So brillant aller­ dings, daß die Wiener Kammerspiele . . . wahrscheinlich auf längere Zeit ausgesorgt haben dürften. Die Probe aufs Exempel wäre sehr einfach. Man lasse die Komödie von weniger routinierten Könnern herunterspie­ len, gewisse Leerläufe wären unverkennbar.

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Franz Pfaudler hatte durchaus das richtige Empfinden für diese Komödie. Seine Inszenierung sorgte vor allem für Tempo. Es war eine rechte Hatz. So meint es wohl auch Lernet-Holenia . .. Randbemerkungen? Fast über­ flüssig. So ein Spiel nimmt man an oder läßt es sein. Letzteres wäre näm­ lich immerhin auch möglich.

K 74 Wiener Zeitung, 12. 10. 1948, S. 4 (Rudolf Holzer): „Parforce“ lebt von der Figur eines homme-ä-femme. In einer ExlKomödie würde man ihn als Gemeindestier bezeichnen. Festzuhalten aber: Lernet-Holenia ist doch immer ein Dichter, auch wenn er ungezogen oder — sagen wir, wie es diesmal ist — pornographisch ist... In den Kammerspielen gibt man Lernet-Holenia . . . weniger als artistische Klein­ kunst, sondern ... entschlossen als lustige Konfektion . . . , etwa unter dem Motto: „Durch Pikanterie zu Du-sollst-und-mußt-lachen“. Dies wird aus­ giebig, reichlich, andauernd erreicht.. . Das Publikum war, wie gesagt, sehr zufrieden und zollte lebhaften Beifall.

KAPRIOLEN = LAUTER ACHTER UND NEUNER

Uraufführung München (Kammerspiele), 25. 9. 1931: K 75 Klein):

Münchner Neueste Nachrichten, 27. 9. 1931, S. 3 (Tim

Angesichts dessen, was uns gestern geboten wurde, fällt es mir leicht, hier öffentlich zu erklären, daß ich Bruno Franks „Nina“ unterschätzt habe .. . es fällt mir nicht ein, mich moralisch zu entrüsten . .. Aber ich frage mit dem Grafen Strachwitz: „Hat darum sieben Tage Müh mit einem Gott gekostet die Erde, daß sie für Lump und Kompanie eine Aktienbörse werde?“ Heute, wo aus bitterer Not arme Teufel in Kassen greifen und ihr Leben lang ehrlos werden, . . . heute, wo das ehrliche Volk hungernd durch die Gassen schleicht..., ich sage: heute müssen wir solche Alfanze­ reien ablehnen. Kein Witz, keine affektierte amoralische „Weltanschau­ ung“ hilft darüber hinweg, daß diese Bocks- und Luftsprünge („Kaprio­ len“) ein Attentat auf den guten Geschmack sind... Diese Art, „das Le­ ben leicht zu nehmen“, geht denn doch über die Hutschnur. . . kurz: mag das Premi^ren-Publikum lachen und klatschen —, das hippokratische Gesicht grinst den Zuschauer an. Bleibt noch die eine bitterböse Frage, was man sich in den Kammerspielen gedacht hat, als man dieses provo­ kante, durch und durch nichtige Stück annahm. Die Aufführung war gut. . . Richard R6vy hat das Stück lebendig insze­ niert . .. Was läßt sich . .. aus solchen konstruierten Kunstfiguren ma­ chen? Nichts. Lauter Lemuren ohne Blut und Leben . .. Der Witz hat eine Grenze, nämlich die, wo er sich als „Weltanschauung“ auftut. Da hört er auf, Witz zu sein und wird schal wie ein Glas Sekt, das drei Tage alt ist. Wer mag das Zeug trinken?

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K 76

Berliner Tageblatt, 1. 10. 1931 (Werner Richter):

... Eine gewisse, sehr skeptische Redlichkeit, eine bitterböse Offenheit ist es, die für die Komödie spricht — während zu ihren Ungunsten frei­ lich die allzu geringe Festigkeit der Figuren wirkt, die eigentlich nur dia­ logisierte Schemen sind und in einer im Grund zeit- und raumlosen, sozial ganz unbestimmten, oberflächlich nur österreichisch angetuschten Welt umherschwimmen wie Algen im weltfernen Aquarium. Ihr Dialog ist zwar immer wieder brillant — aber es bleibt auch nur beim Dialog; die szenische Erfindung, das rein Handlungsmäßige ist durchwegs dünn, kärglich, uninteressant. . .

K 77 Vossische Zeitung, 29. 9. 1931 (W. P.): Mit dieser Komödie will Lernet-Holenia jener südöstlichen Unmoral und Lebenskunst, die er bisher als genießerischer Zuschauer kultivierte, zu einem gleißenden dramatischen Sieg verhelfen. . . Die innere Halt­ losigkeit des Geschehens drückt sich in einem dünnen und schwächlichen Verlauf der Handlung aus . . . K 78 Mannheimer Tageblatt, 29. 9. 1931 (A. E. Rutra): Die neue unehrerbietige Komödie ... ist ein bißchen amüsant, ein biß­ chen öd, eine Strecke lang schmissig-grotesk und im Finish peinvoll­ geschmacklos . . . Wenn Nestroy diesen letzten Akt geschrieben hätte, dann wäre es eine ausgezeichnete Komödie geworden, aber Lernet-Holenia hat nur die Fassade der alten Stegreifkomödie zeitgemäß adaptiert; den Worten und Sätzen, mit denen er virtuos jongliert, versteht er nur Form, eine oft bestechende Form, aber kein Format zu geben ... K 79 Die Literatur, 34. Jg., Stuttgart — Berlin 1931/32, S. 158 (Joseph Sprengler): Die vier Akte, die durch Pausen gestreckt werden müssen, um kaum zwei Abendstunden zu füllen, sind den unmöglichen Situationen nach viel eher als eine Komödie ein Schwank oder eine Posse . . . Seitensprünge, Bock­ sprünge gegen die Moral, ohne indessen ethisch umstürzlerisch zu sein und ohne dies auch nur zu wollen.. . Dieser Herr von Miller ist... charmant, wie die ganze Komödie charmant, d. h. mitunter auch leer ist. Um sie durch volkstümlichen Humor zu ergänzen, hat der Herr seinen Diener, der (.. .) Stephan heißt. Wohl Stephan Thaddädl?

K 80 Die neue (= vormals: schöne) Literatur, 32. Jg., H. 11, Leipzig 1931, S. 567 (Alfred Mayerhofer): Die „Kapriolen“ sind ein witzig-geistreicher Sketch, der in frech-frivoler Haltung angestammte Anstands- und Ehrbegriffe negiert und einen un­ beschwerten Immoralismus zum Siege führt, ... ist weder gesellschafts­ kritisch noch überhaupt ethisch-moralisch fundiert. Es wird gespielt um des Spieles willen. Die Taschenspielerei des Worts, die ein Ding mit einer erstaunlichen Behendigkeit und scheinbar überzeugend in sein Gegenteil zu kehren vermag und alles gleichsam umstülpt, feiert Triumphe. 175

Wien (Kammerspiele), 22. 12. 1931: (= LAUTER ACHTER UND NEUNER) K 81 Neue Freie Presse, 24. 12. 1931, S. 8 (Paul Wertheimer): Das sind natürlich keine Menschen und Schicksale im Theater- oder dem gewohnten Lustspielsinn. Es ist eine Komödie Lernet-Holenias, übrigens eine seiner witzig sanglantesten und so im Grunde nichts ande­ res als die alte, steif-drollige Commedia dell’arte, auf moderne, soll man sagen Menschen, angewendet. Ein sehr vergnügliches Puppenspiel eigent­ lich, nur sind es Gesellschaftsmarionetten im Smoking ... Er kennt aber auch Sternheim und Wedekind und aus all dem, mit einem beträchtlichen Zuschuß eigenen, schnörkelig witzigen Geistes ergeben sich die modern harlekinhaften weiteren Vorgänge ... Ich zweifle, ob man schon irgendwo den schnoddrig-preziösen Stil für die in einem keineswegs nur schmeichelhaften Sinn so österreichischen Komö­ dien Lernet-Holenias gefunden hat. In der Darstellung der „Kammer­ spiele“ trifft unter Herbert Furregs geschmackssicherer Regie vor allem Hans Olden diesen Stil. .. Herr Homma als Diener: eine fidel verschla­ gene Domestikenfigur. .. Die Frauenrolle des Stückes: Lola Chlud: damenhaft, dabei mit einem Stich in das Lernet-Holeniahafte, das wahr­ haftig nicht von „Moralin“ beschwert ist und gerade darum dem sehr belustigten Publikum überaus gefiel. Lernet-Holenia erschien oft — mit einem leicht ironischen Lächeln — wie seine so wirksame, respektlose Komödie. K 82 mann):

Neues Wiener Journal, 23. 12. 1931, S. 11 (Hans Saß-

. . . Lernet-Holenia will im Herzen kein Ethiker sein, sonst wären seine Komödien nicht so amüsant, wie sie es zuweilen sind, er könnte sich’s aber auch ersparen, uns seine Stücke wie eine leere Gleichung vorzulegen, aus einer Moral, die keine ist und aus einer Unmoral, die noch weniger ist als jene. Er könnte uns das ersparen, indem er das Problem über­ haupt nicht anschneidet. . . . Alle zwar sehr amüsant bewegten, aber immer auf ein bestimmtes Standesformat zugeschnittenen Komödienhelden Lernet-Holenias hassen ihren Stand, sie haben sozusagen einen Freiherrnkomplex. Auch . .. Miller ist bald darauf erpicht, einer Reihe von Baro­ nen und Grafen in einer Reihe von Situationen zu beweisen, wie wenig Recht sie auf ihre Standesvorurteile haben und wie anständig es ist, sie abzuwerfen und durch Gaunerei zu ersetzen . . . Vor einem republikani­ schen Publikum ist das sehr billig ... Banditen mit Ethos sind das Ver­ logenste, was ich kenne. Von solcher Verlogenheit ist auch die Figur die­ ses von Miller, mit der das Stück steht und fällt.. . Um einen Falstaff, d. h. aus einem Schwein ein Genie machen zu können, muß man ein Shakespeare sein. Lernet-Holenia polemisiert in allen Komödien mit Bitterkeit gegen die Vorurteile der Welt. . . und es ist schade, daß er dies mit einer Ironie tut, die stellenweise ins Poetische reicht. Im Ganzen aber gelangt Lernet-Hole-

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nia nur zu einer peinlich wirkenden, zuweilen höchst flachen Zustands­ schilderung, die allerdings durch seinen, zwar im Komplex eingezwängten, aber noch gesunden Humor gemildert wird. Was Lernet-Holenia hemmt, ist eine Art Klassenneurose. Der Dichter jedoch entsteht durch Überwin­ dung seiner Neurosen. Das von Herbert Furreg mit Fleiß, Sicherheit und Begabung inszenierte Stück wirkt wie das unterirdische Theaterlokal, in dem es vor sich geht, etwas drückend und peinlich intim. Die laute Heiterkeit der Zuschauer stammt zum Teil aus den gleichen Ressentiments wie das Stück, zum Teil fließt sie aus der Äußerlichkeit der blendenden Pointierungskunst, mit der die Sache gemacht ist...

K 83

Neues Wiener Tagblatt, 24. 12. 1931, S. 11 (A. Fr.):

... Stück, in dem weit mehr geistreicher Bluff waltet, als eigentliche dra­ matische Konsistenz vorhanden ist. .. An einer überspitzt geistreichen Unwirklichkeit krankt die ganze Komödie. Ihre Menschheit setzt sich aus sicher sehr amüsant konstruierten Amüsier- und Sprechpuppen zusam­ men, aber sie ermangeln mit ganz wenigen Ausnahmen der Glaubhaftig­ keit ... Es sind eben zweidimensionale Wesen aus einer Flächenwelt. Und ihre Fläche ist ein Blatt Schreibpapier .. . Das vom Spielleiter Herbert Furreg mit gewohnter Gewissenhaftigkeit und peinlichster Sauberkeit herausgebrachte Stück fand eine recht freund­ liche Aufnahme. Lernet-Holenias satirische Begabung und nonchalante desinteressierte Sittenabschilderung, etwas nasal, von oben herab, hat gewiß etwas Nobles,. . . Kultiviertes. Im Dramatischen verführen jedoch diese Methoden leicht zur Karikatur. .. Immerhin wurde der gewisse landesübliche äußere Erfolg erreicht.. . Wenn wir uns nun — frei nach Lernet-Holenia — nur recht lebhaft vorstellen, daß es ein wirklicher, starker und durchgreifender Erfolg war — nun, dann, aber nur dann, war es auch einer.

K 84 Wiener Zeitung, 24. 12. 1931, S. 13 (R.): . . . Seine (Millers) skrupellose Philosophiererei, die alten Lustspielmomen­ ten neuen Glanz geben soll, erfüllt nicht immer den gewünschten Zweck. Nachdenken darf man dabei überhaupt nicht. Man tut besser, sich der überlegen schlampigen Ausgelassenheit Hans Oldens zu freuen, der die Aufführung trägt, und die amüsante Gestaltung der ihn umgebenden Typen . . . „unliterarisch“ auf sich wirken zu lassen.

K 85 Die Stunde, 24. 12. 1931, S. 6: Lernet-Holenia ist der Ansicht, daß konsequent geübte Unmoral endlich und schließlich zur Amoral führen müsse. Diese Theorie hat viel Be­ stechendes für sich und wird mit noch viel bestechenderen Argumenten vorgetragen. Daß es manchmal nur Scheinargumente sind, die ihre Glaub­ würdigkeit in erster Linie von ihrer, Überlegung ausschließenden, Stelligkeit bekommen, ist gar nicht so wichtig. Die rasche Replik genügt in der Welt der Bühne, zu überzeugen. Besonders wenn man es wie LernetHolenia versteht, Repliken, die dem Helden in den Mund gelegt werden,

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überraschend und paradox zu pointieren. Womit aller Bühnengerechtig­ keit Genüge getan wird ... Der Zuschauer lacht über die Geschicklichkeit, mit der Herr von Miller über die sonst geltenden Schranken hinüber­ voltigiert. Aber im letzten Winkel seines Herzens wird sich doch viel­ leicht ein wenig Unbehagen melden. Etwas von jenem Unbehagen, das nach Freud kultur- und damit moralerzeugend wirkt. Also doch eine moralische Anstalt... Unter Herbert Furregs auf Tempo bedachter Regie wird das Lustspiel sehr wirksam gespielt. Hans Olden ist der richtige Mann für die lässige Noblesse und ebenso lässige Moral, die er mit glaubwürdiger Unbeküm­ mertheit zum besten gibt. In Hans Homma hat er einen ausgezeichneten Leporello, der die Abwege seines Herrn verabscheut und bewundert. .. Lernet-Holenia mußte für viel zustimmenden Beifall danken.

LIEBESNÄCHTE Uraufführung Berlin (Komödie), 16. 3. 1932:

K 86

Vossische Zeitung:2

Alexander Lernet-Holenia sendet uns folgende Zuschrift: Der Autor des Schauspiels (nicht der Komödie!) „Liebesnächte“ legt Wert darauf zu er­ klären: Die in der „Komödie“ gespielte Fassung stimmt auffassungs­ mäßig an keiner Stelle mit dem originalen Stück überein. Textlich und szenisch sind die unglücklichsten Veränderungen vorgenommen worden. Lernet-Holenia sieht in der Aufführung eine reine Parodie. Der Autor tritt dem nahezu hundertprozentigen Bearbeiter Licho die Autorenehrung für diese ihm bis zur Aufführung völlig unbekannte Fassung ab. — Daß das in der „Komödie“ gespielte Stück „toll“ war, darin stimmen alle Zuschauer mit dem Autor überein, der kein Autor sein will. Ob und warum der Direktor Licho freilich aus einem vernünftigen Schau­ spiel eine tolle Komödie gemacht hat, dazu muß e r nun selbst das Wort ergreifen.

K 87 Berliner Tageblatt, 17. 3. 1932, Nr. 131 (F. E.): „Wie können Sie“, so sprach man vor 30 Jahren, „wie können Sie so etwas lesen, Pauline? Sie gehen auf den Markt, dieses Heft wurde für Sie abgegeben, gefällt Ihnen das wirklich? Da will sich eine junge Dame aus feinster englischer Familie auf die eigenen Füße stellen, sie nimmt arglos ein Engagement nach Buenos Aires an und soll an einen Wüstling verschachert werden. Derselbe — so steht es in dem Heft — derselbe wird von ihrer Unschuld gerührt, und befreit er die Jungfrau aus der Sklaverei des Bordells. Sie kehrt nach England zurück, er ihr nach, denn seine Sehnsucht ist grenzenlos. Er trifft sie als Repräsentantin eines großen Modehauses und als Braut eines Lordsohnes. Aber auch sie hat ihn längst im geheimen geliebt und so . . . Das ist doch ganz dummes, 2 Zit. nach: Das deutsche Drama, 4. Jg., Berlin 1932, S. 215.

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verlogenes Zeug und nicht einmal gut erzählt — wie können Sie daran Geschmack finden, Pauline?“ Was vor 30 Jahren Köchinlektüre hätte sein können, bringt LernetHolenia anno 1932, nach so viel Hoffnung, die er als Dramatiker einmal erweckt, nach mancher Enttäuschung, die er inzwischen bereitet hat. Hier zeigt er letzten Tiefstand. Hier hat er sich gegen sich selber ver­ gangen, auch noch schludernd und gegen die eigene Arbeit lieblos. „Liebesnächte.“ Hat Lernet-Holenia oder Lycho den Anreißertitel ge­ funden, der allen Paulinen verspricht, was nicht gehalten wird? Ge­ spielt wird mit Frische, ein nutzloses Vertun. Homolka . . . findet sich hier wieder zu seinem Besten zurück, ein sehr ausgewachsener, frecher und guter Junge, ein männliches Trotzköpfchen. Falkenstein, Hans Zesch-Ballot, sehr gut bei Laune. Auch Jessie Vihrog mit zehn Worten. Aber Höflich II (Ursula Höflich) stand am falschen Platze ... als erleb­ nisreiche Englandstochter greift sie, um Tragik zu erzeugen, zu anfänge­ rischen Kraftmitteln, die nichts als Angstmittel sind. Wenn sie, wie wir glauben, ein echtes Bühnenwesen ist, wollen wir annehmen, daß sie dies­ mal an der Unechtheit der Gestalt gescheitert ist.

K 88 Vossische Zeitung, 17. 3. 1932 (Arthur Eloesser): Der sonst so treffsichere A. E. Licho scheint sich mit dieser Komödie, die bei mäßigem Beifall nur einen Pfiff zur Folge hatte, zum ersten Male ver­ griffen zu haben. Verließ er sich zu sehr auf den Namen Lernet-Holenia, der doch noch kein sicheres Kapital bedeutet? Ein Kleist-Preis ist schließ­ lich nur ein Kredit auf Versprechungen, auf Anlagen, die noch gepflegt werden sollen. Lernet-Holenia hat sich für satirische Komödien empfohlen, die man einmal in Frankreich als Genre rosse bezeichnet hat... Zuerst sah es auch nach diesem trotz allen Versuchen nicht ganz deutschen Genre aus. Wenn eine Komödie auf dem exotischen Breitengrad von Buenos Aires spielt, noch dazu in einem verdächtigen Salon, wenn die Tugend einer ahnungslos verschlagenen Tänzerin auf dem Spiele steht, noch dazu aus einer vor­ nehmen englischen Familie... Aber der exotische Kavalier, der es mit Gewalt nicht machen konnte und nicht mehr wollte, läßt den britischen Konsul holen und die Waise von Lowood aus ihrer schmachvollen Skla­ verei befreien. Stücke sollen nicht reisen, sondern vielmehr unter den einmal gesetzten Bedingungen sich ausspielen. Dieses reist recht unnötig nach England, in ein dezentes Land, wie im dritten Akt ein sehr kor­ rekter Oberkellner versichert. Blanche hat auf anständige Weise Karriere gemacht, ist erst Mannequin, dann Inhaberin eines vornehmen Mode­ salons und sogar die Braut eines Vetters aus ihrer gräflichen Familie ge­ worden. Der exotische Kavalier reist dem Stück nach, und er wird die Braut heim und nach Buenos Aires führen, weil er trotz der primitiven Ungeschicklichkeiten eines biederen Exoten am besten zu lieben versteht, jedenfalls viel besser als der blöde Bräutigam. Warum hat sich Blanche auf diesen Vetter und Sozius im Modesalon überhaupt eingelassen? Sie sagt es nicht und der Autor auch nicht, der wohl irgendeinen Knoten

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brauchte, um ihn zu zerhauen. Hat das Publikum der glücklich ausge­ wechselten Braut überhaupt gratuliert? Ich vermißte die Herzensteil­ nahme, die schließlich auch zu einer Komödie gehört, nachdem es einige salzige Bemerkungen gern geschmeckt und besonders über Homolka als naiven, spaßigen, pudelnärrischen Exoten gelacht hatte. Irgendwie stimmte die Figur nicht, sie muß aus dem Deutschen ins Homolkische übersetzt worden sein, und ist vielleicht erst dadurch zu ihrem Humor gekommen. Die Blanche von Ursula Höflich war noch unfertig. Wenn es aber richtig ist, daß sie die Rolle erst im vorletzten Augenblick; übernommen hat, so war sie wieder überraschend fertig . .. Summasummarum: Man weiß nicht recht, warum das Stück geschrieben worden ist. Der Autor wollte sich wohl einen Spaß machen und hat vielleicht selbst zu viel darüber gelacht. Damit ist schon mancher Anekdotenerzähler verunglückt.

K 89

Deutsche Tageszeitung, 17. 3. 1932:

. . . Nicht die banale Fabel ist das Katastrophale an dem Stück, sondern die lederne Durchführung: die Gedankenarmut, Witzlosigkeit und Platt­ heit der Komödie ...

K 90 Berliner Lokalanzeiger, 17. 3. 1932: Dieser Autor einmal eine österreichische Hoffnung? Nun, jeder blamiert sich, so gut (oder miserabel) er kann. Diese Blamage ist vollkommen, auch die der Aufführung . . . K 91 Germania (Berlin), 18. 3. 1932, S. 2 (Ad.): Von wem der reißerische und attraktive Titel stammt, weiß ich nicht. Mit dem Inhalt hat er nichts zu tun, trotzdem der erste Akt in einem — sagen wir, Nachtlokal in Buenos Aires spielt. Die zwei folgenden spielen dafür in London. Alle drei sind von einer unvorstellbaren, wirk­ lich kompakten Idiotie. Jedes weitere Wort ist überflüssig, nur ein Wort der Verwunderung ist noch nötig, wie eine Direktion diese strotzende Langeweile dem p. t. Publikum zumuten kann. Wenn ein „Dichter“ schon solche Dinge produziert als Zeugnis einer nicht zu überbietenden geistigen Armut, so sollte doch wenigstens eine Direktion geschäftstüchtiger sein.

K 92 Die Literatur, 34. Jg., Stuttgart — Berlin 1931/32, S. 462 (Ernst Heilborn): . . . Noch weniger als von dem Titel bleibt von dem Stück. Noch erkennt man die gefällige Eigenart Lernet-Holenias in der Dialogführung aus seinen früheren Stücken wieder. Der Gesprächspartner schweigt zu dem, was gesagt wurde, und irritiert dadurch. Er bestätigt, und macht damit betroffen. Er wiederholt das Gesagte, und bringt aus aller Fassung. Pflicht der Kritik wäre es gewesen, wollte sie sich dieser Methode an­ schließen, ihm sein Stück zu bestätigen. Denn es ist an der Zeit, ihn einigermaßen betroffen zu machen. Wiederholung seines Stücks, um ihn gar aus der Fassung zu bringen, wäre unnütze Grausamkeit gewesen. Sogar die „Komödie“ hütet sich, zu diesem Mittel zu greifen.

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K 93 Ihering, Herbert: Von Reinhardt bis Brecht, 3. Bd., Berlin 1961, S. 247: Kritik vom 17. 3. 1932: . . . Herr Licho verstand es, ein miserables Stück von Alexander LernetHolenia durch eine dilettantische Aufführung noch stumpfsinniger zu machen. Ein Bedauern für den ausgezeichneten Homolka und für Julius Falckenstein. Eine Verwunderung über Ursula Höflich. .. Die Pfiffe, die nach dieser Aufführung ertönten, waren ein Signal. Die Krise der Theater­ direktoren, die Krise des Typus, der bis jetzt die Berliner Theater führte, ist in das akute Stadium getreten . . .

GLASTÜREN Uraufführung Wien (Theater in der Josefstadt), 14. 2. 1939: K 94 Neues Wiener Tagblatt (Neue Freie Presse), Reichsaus­ gabe, 16. 2. 1939, S. 11 (Louis Barcata): Alexander Lernet-Holenias Komödie „Glastüren“ bezieht . . . ihre stärk­ sten Wirkungen aus einem gepflegten und freilich vielfach auch über­ pointierten Dialog sowie aus einer kühnen, in die Problematik alles Ge­ sellschaftlichen tief eingreifenden Handlung . . . Nun lauern in der Atmo­ sphäre dieses Milieus zweifellos die Gefahren eines tiefen Mißverständ­ nisses: Das Lustspiel leidet nämlich darunter, daß es ein Menschenschicksal von heute in eine Umgebung stellt, die nicht ohne weiteres als histo­ rischer Schauplatz erkannt werden kann, obwohl sie es zweifellos sein muß ... In dieses Milieu . . . stellt Lernet-Holenia . . . eine zarte Liebes­ geschichte. Hier blüht plötzlich die Sprache wie in den frühen Gedichten des Autors, hier verdichtet sich der selbstgefällig funkelnde Dialog zu einem Gespräch von Herz und Herz, und der witzige, blitzgescheite, der boshafte, kritische, mißtrauische Lernet-Holenia entpuppt sich plötzlich als ein Dichter, dem die Angelegenheiten der Seele heilig sind und der allein die Sensationen der Nerven und der Sinne mit den unfreundlichen Augen eines unbarmherzig-analytischen, nur in der Form liebenswürdigen Kritikers betrachtet. Indessen: Die Liebesgeschichte bedarf, um auf der Bühne dargestellt werden zu können, eines dramatischen Konfliktes und hier mündet Lernet-Holenias gar nicht so ernst gemeinter gesellschafts­ kritischer Vorstoß ins „Bürgerlich-Konventionelle“. Eine solche „Ent­ gleisung“ aus dem Abwegigen in das Normale maskiert er dadurch, daß er mit psychologisch ungewöhnlichen, also originell wirkenden Nuancen arbeitet und den Einzelfall als prinzipiellen Gegensatz bzw. dem Nihilis­ mus der europäischen Aristokratie und der inneren Sauberkeit der naiven Amerikaner konstruiert . . . Die Uraufführung empfing besonderen Glanz durch eine meisterhafte, regieliche Durcharbeitung des dramatischen Stoffes. Es erzählt von harter und unendlich geschickter, sehr stark auf die Musik der Worte Rücksicht nehmender Regiearbeit, wenn auf eine so bezaubernd natürliche Weise

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Konversation gemacht, so liebenswürdig unverbindlich Komödie gespielt wird, wie an diesem von Hans Thimig geleiteten Abend . . . spielerisch getragen von einer Schar kultivierter Schauspieler... Die klare Charak­ terisierung der Menschen aus ihrem Wesen statt aus ihrem Tun ist aus Hans Thimigs instinktsicherem Wissen um die Gesetze der Bühne gewach­ sen. Diese Regieleistung sicherte zusammen mit der ungewöhnlich har­ monischen künstlerischen Arbeit guter Schauspieler dem Werk den Erfolg. Hilde Krahl stattete die Gräfin Pilar mit der herben Süße einer modernen, jungen Frau aus. . . Sie rührte in den Liebesszenen an unser Herz und blieb selbst dort, wo die Vergangenheit fremd aus ihr sprach und Un­ erklärliches aufrührte, dem Zuschauer nahe und durch ihre Persönlich­ keit vertraut. Ihr Gegenspieler . . . fand in Karl John einen interessan­ ten . . . Ausdruckston, der . . . die Grundstimmung seiner Rolle ausge­ zeichnet zu halten wußte. Alfred Neugebauer, Karl Günther und Karl Ehmann, Elisabeth Markus . . . ergänzten den wunderbaren Klangkörper des Josefstädter Ensembles. Das stilechte, leicht ironisierende Bühnenbild von Otto Niedermoser bedarf besonderen Lobes. Es trifft das überfällige und amüsant Anachronistische dieses eigenartigen Werkes mit bewun­ dernswerter Sicherheit.

K 95 Neues Wiener Tagblatt (Wochenausgabe), 17. 2. 1939, S. 20 (Hans Schimmer): . . . deren Uraufführung mit einem bemerkenswert starken Erfolg vor sich ging . . . starke Spannung um dieses dramatisch festgefügte, mit scharfem Witz ausgestattete, stellenweise auch dichterisch empfindende Gesellschaftsstück. Die Aufführung gewinnt noch durch die vortreffliche Zeichnung der Figuren und Charaktere sowie durch die lange Reihe dank­ barer Rollen ... Endlich muß man noch das Bühnenbild Otto Nieder­ mosers und die umsichtige Regie Hans Thimigs unterstreichen. K 96 Wiener Zeitung, 15. 2. 1939 (Dr. G. K.): . . . Jedenfalls hat das ganze heiter-plaudernde Stück sehr viel Spannung, sehr viel Geist, einen hübschen Dialog, und wenn auch manches Geist­ reiche Lernet-Holenias manchmal irgendwie bekannt vorkommt, so ändert es nichts daran, daß man köstlich amüsiert ist. Die Aufführung . . . zeigt wieder einmal bestes, glänzendes Josefstädter Theater . . . Alles in allem ein köstlicher Abend, bei dem sich Stück und Schauspieler wundervoll ergänzen. K 97 Wiener Neueste Nachrichten, 15. 2. 1939 (Ernst Holz­ mann) : . . . Etwas Schwergewicht erhält das wortreiche, oft nur allzu wortreiche Lustspiel durch die Liebesaffäre... Der Schlußakt flaut freilich ab und die Lösung wirkt keineswegs überzeugend, auch hätte sie ungezwungen bereits im ersten Akt erfolgen können ... Man hat sein Vergnügen an der artistischen Spielerei wie an einer buntschillernden Seifenblase, lächelt über die flott gezeichneten, scharf umrissenen Figuren und folgt amüsiert dem leicht flüssigen, pointenreichen Dialog. ... das Bühnenbild ... ist sehens-

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wert... Das Zusammenspiel . . . schlechthin vorbildlich ... Einen Spaß für sich verdankt man Alfred Neugebauer und Elisabeth Markus als Ehepaar Purgstall; seine Randglossen und Reflexionen über das Leben im allge­ meinen und das des österreichischen Aristokraten im besonderen gehören zu den ergötzlichsten Einfällen in der Komödie.

K 98 Volkszeitung, 16. 2. 1939 (Hans Auer): . . . da es ein ausgezeichnetes Unterhaltungsstück ist, blendend, mit ge­ wohnter Josefstädter Theaterkultur gespielt... Im Mittelpunkt zwei herr­ liche Menschen: Hilde Krahl als Maria del Pilar und Karl John als Cla­ rence Cooper. Sie waren keine „Schauspieler“, sondern schlechthin Men­ schen, die ein ureigenes Schicksal Wiedergaben — damit ist wohl alles gesagt. Besonders Hilde Krahl riß zu Beifall hin . .. Hans Thimig in der Inszenierung und Otto Niedermoser als Bühnenbildner gaben dem Stück durch liebevollste Ausgestaltung den letzten, aber unentbehrlichen Schliff zu einem vollendeten Ganzen. K 99 Kleines Volksblatt, 16. 2. 1939 (Friedrich Schreyvogl): In der neuen Komödie . . . sind gleichsam zwei Stücke ineinander geschach­ telt. Der seelische Kern ist eine . . . Liebesgeschichte... Dazwischen breitet sich ein Gesellschaftsstück aus, das über die Aristokraten nach dem Kriege allerhand ausplaudert, meistens klug, manchmal, oder besser, oft bissig, um, wie es einmal Oscar Wilde getan hat, seine Pointen abzuschießen. So packt das Stück bisweilen das Herz, dann reizt es zum Lachen, zuletzt auch zum Widerspruch, fast nie wird das Gefühl erweckt, das bei einem solchen Stück unerläßlich wäre: daß der Dichter auch von unserer Zeit, ihrem Wesen und ihrer neuen Klarheit weiß. So ist auch die Wirkung des von Hans Thimig inszenierten Werkes zwiespältig. Am stärksten wirkt die Liebesszene . . . Die Schauspieler . . . holten sich viel Beifall.

6 Uhr Abendblatt, 15. 2. 1939 (Fritz Stüber): . . . Was der Zuschauer zu hören bekommt, sind blitzblank geschliffene Dialoge, geistvolle Aperçus... Und dann sind noch einige Problemchen da, die vielleicht Probleme wären, wenn des Autors Witz dies zuließe. Der Uraufführung der Komödie war . . . vor allem durch die blendende Darstellung Erfolg beschieden ... Das Publikum amüsierte sich und sparte nicht mit lachendem Beifall.

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Völkischer Beobachter (Wien), 16. 2. 1939 (a.):

... Es ist nicht gut möglich, diese Situation zu schildern ohne die Ko­ mödie ihrer Spannung zu berauben .. . Was man schon früher wußte, in diesem Stück bestätigt es sich aufs neue: daß Lernet-Holenias Stärke just nicht im Dramatischen liegt. Mag es das Wohlwollen als Hang zum Geist­ reich-Aparten auslegen, kein Vollblutdramatiker hätte die Grundforde­ rung der Theaterwirkung außer acht gelassen, die verlangt, daß der Zu­ schauer als wissender Dritter Gelegenheit habe, das Geschehen gleicher­ maßen mitschöpferisch zu erleben, und nicht in die Rolle des Ahnungs­ losen gedrängt werde, der sich stets vor neuen Rätseln sieht. Dazu kommt,

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daß der Dichter Stellen dramatischer Verdichtung lyrisch auflöst, was die hinreißende Schönheit seiner Sprache nur teilweise rechtfertigt... Die Kunst des Dialogs freilich ..., von Lernet-Holenia meisterhaft beherrscht, gedeiht gleich üppigen Treibhausblüten besonders prächtig in dieser über­ aus künstlichen Atmosphäre, die in ihrer zwecklosen Schönheit fast an Oscar Wildes Dekadenz erinnert . . . und daß der Abend mit anerken­ nendem Beifall aufgenommen wurde.

K 102 Salzburger Volksblatt, 18. 2. 1939 (R. K.): . . . eine etwas dürftige Handlung..., die jedoch reichlich wettgemacht wird durch eine Flut amüsanten und geistreichen Wortgeplänkels, durch die ganz außergewöhnliche Inszenierung und Darstellung ... K 103 B. Z. am Mittag (Berlin), 15. 2. 1939 (Karl Lahm): Die Uraufführung . . . hatte das Theater in der Josefstadt mit einem neu­ gierigen Publikum gefüllt. Der so begabte und gern etwas eigenwillige Autor . . . enttäuschte nicht. Er hämmerte auf den gewesenen k. u. k. Adel mit unerbittlichen Witz Worten nieder . . . Warum er (Lernet-Holenia) aber die Verworfenheit eines Teils dieses Adels gar zu kraß zeichnen mußte, wird nicht ganz klar ... Hilde Krahl.. . war ergreifend .. . K 104 Breslauer Neueste Nachrichten, 22. 2. 1939 (Heinz Mundhenke): . . . Das Stück beleuchtet in überaus schillernden Farben die Tiefe der gesellschaftlichen Problematik, die in ihrer Eindringlichkeit durch einen ebenso gepflegten wie stark ironisierenden Dialog wesentlich gesteigert wird . . . Vielleicht ist der dramatische Konflikt ... zu kompliziert gestal­ tet, aber dadurch wird andererseits unbestreitbar die innere Spannung dieses Lustspiels bedeutend erhöht. Hans Thimig als Spielleiter hat mit meisterhafter Hand den harmonischen Rahmen für die Typisierung des Milieus und der einzelnen Personen ge­ schaffen. Der große Beifall . . . bewies eindeutig, daß auch diesmal wieder das Josefstädter Theater eine wertvolle künstlerische Arbeit geleistet hat...

K 105 Kölnische Zeitung, 1. 3. 1939 (Eduard Springer): . . . Die dreiaktige . . . Komödie ist ein Bühnenwerk des Zwiegesprächs, das vor allem die beiden ersten Akte ausfüllt und in dem man sich am Anfang des dritten Aktes unwillkürlich fragt, ob diese beiden Akte so notwendig waren und warum das Stück den Namen Glastüren führt. Beide Fragen scheinen ebenso berechtigt, wie die Antwort des Dichters im Stück selbst zutreffend ist... Viel Klugheit und Wahrheit sagt der Dichter, die Spielleitung . . . und die Spiel- und Sprechkunst der Schau­ spieler sorgen, daß Delikatesse geschmackvoll und heiter vorgebracht wird . . . führten die Uraufführung zum Erfolg. K 106

Frankfurter Zeitung, 23. 2. 1939 (Peter Härlin):

. . . Beides, der geistreiche Beginn und der ernsthafte Schluß, ist mit allen wirksamen Ingredienzen gekocht und durch fast detektiv-romantische Spannung verklammert, aber eine runde Komödie ist es nicht...

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K 107 Die Zeit (Reichenberg), 20. 2. 1939 (Spunda): . . . Wir lernen eine abgewirtschaftete österreichische Adelsgesellschaft kennen, die ein überkultiviertes Schmarotzerdasein führt. . . Aber die Hauptsache bei allem ist eine geschwätzige Geistreichelei.. . Außerdem berührt es peinlich, daß die Ausländer als die moralisch Sauberen, die Deutschen als die Minderwertigen gezeichnet werden . . . ein Dichter mit von einem jüdischen Kuratorium verliehenen Kleistpreis . .. : Man ist also genugsam auf seine Kunst vorbereitet. K 108 Rundpost (Wien), 18. 2. 1939 (Karl Maria Grimme): . . . Alexander Lernet-Holenia arbeitet anscheinend für die Westländer. In sehr viel Charme wickelt er Unerquickliches ein, das wir durchaus nicht als österreichisch gelten lassen können .. . Berlin (Kammerspiele) = Gastspiel des Theaters in der Josefstadt: 17. 3. 1939: K 109 Frankfurter Zeitung, 19. 3. 1939 (Max Geisenheyner): . . . Man gesteht gerne ein, daß es wieder einmal ein höchst originelles literarisches Brackwasser sei, das Lernet-Holenia in Bewegung bringt. Aber man wartet immer ungeduldiger auf das, was solcher Stagnation den Sinn gibt. . . Hat der Autor eine Bestandsaufnahme von 1936 geben wollen? Auf dem Theaterzettel ist diese Jahreszahl vermerkt. Nun, dann gesteht man gerne ein, man sei, um diesen Bestand zu prüfen, nicht objektiv genug. Es ist uns nicht mehr möglich, die österreichische Welt durch diese Brille zu sehen. Wollte er aber, wie dies eigentlich seine Art ist, . . . nur eine Karikatur gegeben haben, dann fehlt dieser Komödie die Leiden­ schaft zur Satire. Es scheint eher, vielleicht gegen den Willen des Autors, so, als ob er sich sehr wohl fühle in dieser Welt. Es ist Klugheit in dem Stück, eine recht verstaubte Klugheit. . .

Wien (Theater in der Josefstadt), 7. 3. 1953:

K 110 Die Presse, 10. 3. 1953, S. 5 (Rudolf Holzer): . . . Die Erinnerung (an Franz Molnar) schlägt Lernet-Holenia nicht gut an. Das sozial- und zeitkritische Mäntelchen, das die Komödie als Pro­ blem deklarieren und kostümieren möchte, ist dünn, fadenscheinig und verschossen. Von Gesellschaftskritik ernsthaften Niveaus kann wohl nicht die geringste Rede sein! Bleibt die Verulkung, und die fällt auch recht verstaubt aus! . . . Daß Töchter altösterreichischer Adelsgeschlechter als Animierdamen ihren Unterhalt suchen, bleibt der Geistesblitz unbestrit­ tener Peinlichkeit. Unser feiner, kultivierter Epiker und Lyriker LernetHolenia scheint vom Theater eine recht geringe Meinung zu haben; kein Mittel, kein Effekt ist ihm zu vulgär, um nur bei der Menge sicher Beifall zu finden. Man ist durchaus nicht in moralsaurer Humorlosigkeit befan­ gen, wenn einen derlei Verulkungen abstoßend anmuten. Den Darstellern sind wenig Möglichkeiten geboten, das Problem des abtretenden Adels der alten Welt und der aufkommenden „unhistori13

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sehen.“ Welt des amerikanischen Kapitals menschlich zu gestalten. Abge­ nützte Klischees sind: der alte, schrullenhafte Schwachkopf, den Anton Edthofer glaubhaft machen soll, dann die Aperçus parlierende Gemah­ lin, der Elisabeth Markus ihr bewährtes Profil gibt, desgleichen der Thaddädl-Familienvater Robert Valbergs, Hans Unterkirchers gräflicher Vater, Erik Freys korrupter Zyniker.. . Doch — eine Originalgestalt ist vorhanden: der Dienstmann namens Eipeldauer, Marke: austriazistische Satire. Hugo Gottschlich versucht, aus einer Pointe Leben zu schaf­ fen. Um Leben und Bewegung ist auch Rudolf Steinboecks Regie be­ müht. Aglaja Schmid und Kurt Heintel stehen unter dem Schicksal der geheimnisvollen Glastüren; als Komtesse Maria del Pilar Haltung, Reiz, Noblesse von Geburt sublim ausstrahlend. Repräsentantin wirklicher Ge­ sellschaft, aber auch moralischen Verfalls. Eindrucksvoll Kurt Heintel; das junge vorurteilsfreie Amerika, frisch, männlich, naturhaft als Kontra­ gestalt . . . man war auf gute Laune eingestellt. Der Autor konnte oft für Beifall danken.

K 111 Wiener Zeitung, 11. 3. 1953, S. 3 (Edwin Rollett): ... Stück, das auf einer ganz schmalen Handlung zwischen Burleske und Komödie hinbalanciert und einmal nach der einen, dann wieder nach der anderen Seite hinabrutscht. Was ihm an Handlung abgeht, wird durch dekorative Dialoge, Arabesken, Floskeln, Bonmots und Witze ersetzt, die zwar kein Fleisch, aber ein buntes Kostüm für das Skelett der Ereignisse liefern. Vor etwa 15 Jahren wurde das Stück schon einmal vorübergehend gespielt. Seither hat es allem Anschein nach eine gewisse Veränderung erfahren, denn das sehr reichliche äußere Beiwerk schöpft seine Wirkun­ gen nicht aus der Situation nach 1918, die die urspüngliche zeitliche Hei­ mat ist, vielmehr aus der Situation nach 1945, wodurch eine gewisse Aktualität erzielt wird. So hüpfen also die Geistesblitze mehr oder weni­ ger graziös über ein Menschenalter hin und her und vermehren die Un­ logik noch um ein Wesentliches.. . Die beiden Hauptgestalten. . . wurden von Aglaja Schmid und Kurt Heintel mit einem Aufwand von Darstellung versehen, der fast so etwas wie wirkliche Gestaltung daraus machte. Auch sonst hat das Theater dem an sich nicht gewichtigen Spiel gewichtige Kräfte beigegeben: Anton Edt­ hofer, Elisabeth Markus, Erik Frey, Hans Unterkircher .. . und der präch­ tige Hugo Gottschlich, dazu das ganze weitere durch Rudolf Steinboecks Regie in Schwung erhaltene Ensemble, das dem Miniaturfeuerwerk mit Hingabe und Erfolg diente ... Wien (Akademietheater), 11. 2. 1964:

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Die Presse, 13. 2. 1964, S. 6 (Piero Rismondo):

Wer’s versteht, weiß genug: Was diese Komödie... betrifft, so ist sie dank der besonderen Tücke des Autors weit besser und interessanter, als sie zu sein vorgibt. In jedem Stück finden sich Schlüsselsätze, man muß sie nur aufspüren. Hier, zum Bei­

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spiel, fragt ein Mister Fairfax: „ Sagen Sie, Graf Purgstall, warum ironi­ sieren Sie eigentlich fortwährend sich selbst?“ Und der Mumu Purgstall antwortet ihm: „Mein lieber Herr Fairfax, das haben mich schon manche gefragt. Aber ich glaube, es war ihnen, an sich, gleichgültig, warum ich es tue. Sie fürchteten bloß, ich könne sie am Ende so wenig ernst neh­ men wie mich selber.“ Das ist natürlich durchaus ernst gemeint, denn wie könnte der Mumu Purgstall sich nicht ernst nehmen, wenn er sich, au fond, nicht ernst nähme? Das also ist die Komödie. Daß die Anekdote, d. h. die Story, um die sich der oben angeführte und ähnliche Dialoge ranken, eher simpel ersonnen ist, darf als ein Raffinement für sich an­ gesehen werden. Sich hinsetzen und eine originelle Story errechnen, wäre doch eine zu plebejische Angelegenheit. Es widerspräche der seigneuralen und zugleich provokanten Nonchalance, mit der die Szenen gefügt sind. Es genügt, daß der Titel des Stückes glänzend ist. Kurz gesagt, die Sache hat, ob gut, ob schlecht, Persönlichkeit... In dem spezifischen Gesellschaftston, den die Komödie anschlägt, ist der Regisseur Karl Eidlitz durchaus beheimatet... Er läßt ihn ausklingen, wie er ist, er stellt die Komödie so hin, wie sie sich darbietet. Daß die Tücke des Autors immer aus ihr hervorginge, kann nicht unbedingt be­ stätigt werden. Aber vielleicht ist das wieder eine besondere Tücke des Regisseurs: Sapienti sat — wer’s versteht, weiß genug, und den anderen muß man ja nicht alles auf die Nase binden... Und nun zu Maria Emo, die als Maria del Pilar zum ersten Mal im Ensemble des Burgtheaters auftritt: Sie ist so wunderschön, sie spielt so innerlich beteiligt, so echt,... so voll gefühlsmäßiger Spannung, daß die Lust, hinzusehen und hinzu­ hören, weit größer ist als die Lust, diese Leistung weiter zu analysieren ...

K 113 Kurier, 12. 2. 1964, S. 7 (Paul Blaha): Wessen Uhr ist stehengeblieben? . . . Verballhornte Namen aus dem Gotha beschwören die schleißige Ro­ mantik jener Zeit von gestern ... Müder Abglanz. Nasales Geplätscher in blaublütiger Komödiensauce. Die Uraufführung fand 1939 . . . statt, die Wiederholung bald nach dem Kriege ... Nun ist man einigermaßen überrascht, derlei Nachlese in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abermals über die Bühne huschen zu sehen... Vor spätestens 30 Jahren war solch Feuilletontext mit edel-wehmütigen Zwischentönen passé... Karl Eidlitz inszenierte . . . klaglos und unter der Devise: Unterhalte sich, wer kann. Die Lässigkeit nichtssagender Bühnennoblesse weht bis zur Rampe . . . Die Schauspieler sind zur Darstellung der ihnen anvertrauten Schablonenrollen vertraglich verpflichtet. Alma Seidler als Theres Purg­ stall kann nicht anders als zauberhaft und ein Juwel zu sein; Wolf AlbachRetty (Trautsohn) und Fred Hennings (Mumu) ... absolvieren den Text des Autors distinguiert und unaufdringlich. Alexander Trojan unterlegt dem zweifelhaften Edelmann Promnitz düstere Töne. Fred Liewehr in blaublütiger Bischofsrolle ist reine, reinste Freude . .. Vor Hugo Gott­ schlichs Dienstmann Eipeldauer verneige ich mich in stiller Freude. Maria Emo spielt die lädierte Marzipanseele: teils kühl, teils malerisch verwirrt 13*

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entledigt sie sich ihres Pariser Vorlebens... Jürgen Wilke, steif, ernst und ehrlich, schwärmt einen Abend lang und kränkt sich bis an dessen sentimentales Ende ... Ein fruchtloser Abend.

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Express, 12. 2. 1964, S. 7 (G. Obzyna):

... Das dritte Mal wird dieses Stück in Wien gespielt. Das erste Mal war es 1939... zu sehen — da war mancher, dank der politischen Umstände, auf alles, was typisch österreichisch klang, bereits versessen; das zweite Mal 1953 ..., da war man, dank der noch nicht verschmerzten „Anschluß“-Jahre, wieder beglückt über alles österreichische. Doch nun, 1964, da man der Komödie „Burg“-Reife zugesteht, kann man auch dem öster­ reichischen gegenüber wieder getrost kritischer gegenüberstehen. Und da merkt man’s halt: der Hofmannsthal und der Schnitzler und auch der Molnar, der sich bescheiden selbst gar nicht zur hohen Literatur zählte, konnten uns jene zwischen zwei Welten wurzellos dahinvegetierende Adelsschicht doch entweder durch Töne des Herzens oder die Spitzen des Witzes menschlich näher bringen als Lernet-Holenia . . . In der Inszenierung von Karl Eidlitz geht es jedoch todernst zu ... Höf­ licher Beifall für alle Mitwirkenden. Die gute Erziehung kann man schließ­ lich auch dann nicht verleugnen, wenn man am Faschingsdienstag um ver­ sprochene Unterhaltung geprellt wurde.

K 115 Neues Österreich, 13. 2. 1964, S. 9 (Otto F. Beer): Gewiß: das Burgtheater war es Lernet-Holenia schuldig, sich seiner an­ zunehmen ... Ob es wirklich die „Glastüren“ sein mußten, über deren Thematik sich wohl heute die wenigsten Zuschauer sonderlich erregen dürften? Und ob es für einen österreichischen Dramatiker von Rang wirklich eine Auszeichnung bedeuten soll, ihn in einer hölzernen Insze­ nierung herauszustellen, die alle Schwächen des Stückes auch noch unter­ streicht? Nein: es war eine verhängnisvolle Faschingsnacht! ... In der In­ szenierung von Karl Eidlitz fehlt leider das Schwingende, das Musika­ lische, der innere Klang, dessen dieses Stück so sehr bedurft hätte. Ge­ rade die peinlichen Dialoge des zweiten Aktes werden recht hölzern und belastet gespielt, Aktion und Reaktion werden zu wenig durchkompo­ niert, Schauspieler zeitweilig im Stich gelassen .. . Doch zeigte sich das Publikum beifallsfreudig und rief Lernet-Holenia an die Rampe. Und da die „Glastüren“ gottlob nicht sein einziges Werk sind, hat er die Ehrung auch gewiß verdient. K 116 Wiener Zeitung, 13. 2. 1964, S. 6 (Edwin Rollett): ... Jedenfalls ist es bemerkenswert, daß eine so grazile Dame wie diese Komödie ein volles Jahrhundertviertel ohne allzu deutliche Altersrunzeln hinter sich gebracht hat. Der hohe geistliche Herr . . . erklärt (während der Vorbereitungen zur Trauung) . .., er fühle sich in ein Narrenhaus versetzt. Der Theaterbesucher gibt ihm recht, und der Autor hat es auch so gewollt... Mitunter deckt eine übermütig-sarkastische Milieuschilde­ rung gnädig die Handlung zu. Das gilt besonders für den ersten Akt.

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K 117 österreichische Neue Tageszeitung, 13. 2. 1964, S. 4 (Heinz Kindermann): ... Selbst in Lernet-Holenias kritischer Sicht spüren wir die Selbstironie der Dominierenden von gestern als eine Art Selbstschutz durch. Wenn sie über alles spotten, sich selbst miteingeschlossen, erscheinen die Werte relativiert... Karl Eidlitz hat dieses typisch österreichische Stück auch österreichisch­ elastisch inszeniert. Wiewohl viele der auftretenden Personen oftmals zur Tür hinausgeschickt werden, eine Erschwerung für den Ablauf der Sze­ nen, hat Eidlitz den Gang der Handlung gut im Fluß gehalten und im Dialog das temperierte Parlando dieser Atmosphäre richtig getroffen. Otto Niedermosers Schloßhalle .. . war so gemütlich, daß man gern selber einen Sommer dort zubrächte. Die ... Rolle der .. . Maria del Pilar ... hat jetzt Maria Emo übernommen... sie spielte diese gar nicht einfache Rolle hinreißend. Ja, ein Großteil der guten Wirkung des ganzen Abends ist ihrem nuancenreichen Spiel, auch im Ungesagten, zugute zu halten ... Das Publikum .. . ging gut mit und dankte dem Autor, dem Regisseur und den Darstellern sehr freundlich.

SPANISCHE KOMÖDIE österreichische Erstaufführung Linz (Kammerspiele), 6. 9. 1954: (3 Akte!) K 118 Die Presse, 11. 9. 1954, S. 4 (Herbert Lange): . . . Daß sich mit der epischen Abstammung des Stückes zugleich ein wenig Mangel an ursprünglicher dramatischer Spannung und Explosiv­ kraft bemerkbar macht, bedeutet nicht allzu viel, da das Feuerwerk der Pointen, mit denen der Verfasser die Gaunerkomödie . . . reich und geist­ reich ausgestattet hat,.. . zum Entzücken des Publikums abgebrannt wird. In dieser Beziehung hätte die Regie Charlie Königs wesentlich beschwing­ ter und spritziger sein dürfen ... Eine etwas operettenhaft herausgeputzte südamerikanische und spanische Atmosphäre störte das Publikum (...) so wenig wie die unrichtige Betonung spanischer Eigennamen... Der spielerischen Leichtigkeit dieser satirischen Komödie wurde der Bühnen­ bildner Demetrius Rikakis a. G. gerecht, der . . . zur Gesamtwirkung Hervorragendes beitrug.

K 119 Wiener Kurier, 7. 9. 1954, S. 4 (G. Obzyna): „Spanische Komödie“ — ein leichtes Schifflein ohne Tiefgang... Es ist kein gewichtiges Werk, das Lernet da aus seiner Feder geflossen ist... plätschert . . . dahin, . . . und es strandet schon am Beginn des dritten Aktes. Was dann noch kommt, sind erfolglose Versuche, das bereits fest­ sitzende Schifflein weiterzutreiben. Um seinen Segeln vollen Wind zu geben, brauchte es Darsteller von besonderen Fähigkeiten. Denn die „Spanische Komödie“ ist eines jener Stücke, die nicht die Schauspieler

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tragen, sondern von den Schauspielern getragen werden müssen. Die Komödianten (...) müßten die leicht hingeworfenen Pointen des Dialoges hin und her schweben lassen . . . und dabei die Grazie und Grandezza einer durch Jahrhunderte hochgezüchteten Rasse entwickeln. Die Regie . . . versucht . . . diese Atmosphäre durch die Einhaltung eines spanischen Zeremoniells zu erzielen, das meistens komisch wirkt, während Dinge, die komisch sein sollten, oft dieser Wirkung entbehren... Das Publikum, enttäuscht über das seichte Fahrwasser des Stückes, war auch nicht sehr freigiebig mit seinem Applaus.

Wien (Akademietheater), 17. 12. 1955: (Fünfaktige Fassung, auf vier Akte gekürzt!) K 120 Die Presse, 20. 12. 1955, S. 4 (O. M. Fontana): Das Erfreuliche und Erfrischende an Lernet-Holenia kommt daher, daß er ein Dichter, aber kein feierlicher Dichter ist. Er hört die Musen singen und die Sibyllen raunen, aber er ist auch Freund mit den Nymphen, Dryaden und bockfüßigen Faunen, mit denen Fragonard und Boucher den Olymp . . . anmutig und keck bevölkert haben. Lernet-Holenia ist da ganz ein Dichter des Rokoko mit seinen Fêtes galantes und seinen geistreichen Spöttereien... Im Menschlichen hält er sein luftiges und lustiges Spiel in rosigen und leichten Farben mit Beschränkung auf den Ton der zärtlichen Verliebtheit und den Ausdruck eines maliziösen Lächelns. Auch das gehört zum Rokoko... Karl Eidlitz als Regisseur hat die Komödie sehr gut besetzt... Gewiß könnte man die „Spanische Komödie“ turbulenter und burlesker spielen, aber damit würde sie aggressiver, als sie wohl gemeint ist. In der Insze­ nierung durch Eidlitz wird das Gefällige, Liebenswürdige und zierlich Verschnörkelte in dem Spiel zur Hauptsache, was dem Publikum sicher sehr entgegenkommt...

K 121 Neuer Kurier, 19. 12. 1955, S. 5 (Herbert Mühlbauer): . . . Seine „Spanische Komödie“ allerdings hat nicht die Ambition, etwas zu sagen... Darüber hinaus hat sich Lernet-Holenia diesmal bei der Er­ findung von Situationen und bei der Zeichnung der Figuren nicht sonder­ lich angestrengt und für den Spaß vor allem den Dialog sorgen lassen, dessen Pointen vom eleganten Bonmot bis zum alten Kalauer reichen. Aber auch ihre Fülle kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Hand­ lung . . . recht matt vorwärtsgeht. Der Aufführung, ohne Atmosphäre, wie Judtmanns Bühnenbilder, und ohne Schwung, gelingt es nicht, diesen Gang zu beflügeln. Die Regie... ist steif und trocken... Bestätigt aber sei, daß Mitwirkende und Autor vom Premièrenpublikum, das auch alle Pointen herzhaft belachte, mit heftigem Applaus gerufen wurde. K 122 Bild-Telegraf, 19. 12. 1955 (Hans Weigel): Mitangehörtes Telephongespräch zwischen Graf Bobby und seinem Freund Rudi: Ja, also weißt Rudi, es war wirklich schon Zeit, daß unsereins

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wieder ins Akademietheater gehen kann, wo, und also, ich muß dir sagen, das neue Stück, das er da so hingeschrieben hat, der Xander Lernet, kennst ihn eh aus Wolfgang und vom Demel und so... Wie das Stück war? Also ich sag’ dir, der Aslan! Grandseigneur ist überhaupt kein Ausdruck für den, diese Noblesse von dem, und wie er seine Sager sagt, man hört gar nicht genau hin, was er sagt, weil, er sagt’s so brillant, da könnt’ sich unsereiner gratulieren, wenn er nur die Hälfte hätt’ von dem seinem savoir vivre. Kaum ist er aufgetreten, haben die Leut’ ap­ plaudiert, und wie er dann mit einem anderen Anzug aufgetreten ist, haben sie ihm wieder applaudiert, nein, nicht dem Anzug, schon dem Aslan — und der Hauptspaß war, daß der Tonio Riedl im Stück Antonio geheißen hat, also köstlich, sag’ ich dir. Wie das Stück war? Moment! Der Trojan war auch sehr deliziös, der hat so eine nonchalante Gaminerie, wenn er redet, also geradezu köstlich, und der Hennings hat auch mitgespielt, und dann noch ein paar Bürger­ liche, aber trotzdem sehr charmant, die Frau Servaes und der Herr Schmidt, also die waren wirklich amüsant, wie sie das gespielt haben, und ihre Tochter, das war eine sehr gustiöse Person, Inge Brücklmeier heißt sie, tat’ dir auch gefallen, und die Frau Pistorius hat nur einen Satz sagen dürfen, die hat mir leid getan, und dann waren noch ein paar kleine Rollen. Wie das Stück war? Moment! Es hat noch eine gewisse Angelika Hauff mitgespielt, ausschauen: ja, sonst: no ja, und ein gewisser Skoda, Albert oder so, von dem hat der Lolo nachher erzählt, daß er immer die se­ riösen Sachen spielt, wo ich nie geh’, drum haben die Leute so gelacht, wie er eine Zigarre geraucht hat. Wie das Stück war? Moment! Regie geführt hat der Karli Eidlitz, ist gestanden, und ich hab’ immer schon wissen wollen, wie ist das eigentlich, das Regieführen, also frag’ ich beim Nachtmahl den Lolo, der kennt sich ja aus mit so Sachen, und ich frag’ ihn: Was hat der Eidlitz eigentlich gemacht, daß steht, er hat Regie geführt? Aber der Lolo hat’s nicht sagen können. Er hat nur erzählt, daß vor der Première der jetztige Direktor von der Burg auf einer Probe war, ein Herr Rott, und hat alles geändert und hat ihnen einen ganzen Akt weggenommen, also sind nur vier ge­ blieben. Nach acht hat’s angefangen, eine große Pause war und zwei kleine Pausen, und wie wir am Schluß alle sehr applaudiert haben und der Xander Lernet sich verbeugt hat und so, da war’s erst zehn, und wir haben noch schön Zeit gehabt für den Rest des angebrochenen Abends. Wie das Stück war? Aber Rudi, das sag’ ich ja grad: kurz war’s, das Stück.

K 123 Neues Österreich, 20. 12. 1955, S. 6 (Otto Basil): . . . Der Pauschbetrag der Anerkennung, den man dem Autor des Ge­ dichtes „Germanien“ ursprünglich konzedierte, wird leider immer wieder durch große Abzugsposten — einen besonders gewichtigen stellt diese „Spanische Komödie“ dar — dezimiert; auch wenn man in Voranschlag bringt, daß die Freigrenze, bis zu der literarisch geschludert werden darf, inzwischen wesentlich hinaufgesetzt worden ist... Farce, die trotz allen 191

(zumeist recht billigen) Pointen ... und trotz dem brillanten Zuschliff ... von gähnender Leere und einmaliger Dürftigkeit ist... Das Stück erfährt freilich unter der wirkungssicheren, raffinierten, in das Milieu sich blendend einfühlenden Regie von Karl Eidlitz und in den sehr atmosphärischen Bühnenbildern Fritz Judtmanns . . . durch ein Team erster Schauspieler eine Interpretation, die eines besseren Objekts würdig wäre. Die dankbarste Rolle, die des alten Moncada, hat Raoul Aslan inne, und seine Art, im Graf-Bobby-Ton elegant und geistvoll zu plaudern, läßt den Straß Lernetscher Rede manchmal wie Wildesche Diamanten aufblitzen . .. Das Premièrenpublikum zeigte sich amüsiert und spendete den Darstellern reichen Beifall...

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Wiener "Zeitung, 20. 12. 1955, S. 3 (Edwin Rollett):

. . . Es ist nicht einmal sosehr das Feuerwerk dialektischer Pointen, als vielmehr die Fülle klug postierter überraschender Aperçus, Bonmots und ironischer Sentenzen, womit er, immer graziös und geistreich, alles auf den Kopf stellt und die Alleinherrschaft der Unordnung aufrichtet. Die „Spanische Komödie“ . . . hat für ihre Neuinszenierung im Akademie­ theater eine leichte Aktualisierung und Adaptierung erfahren, die ihr nur gut getan und das Blinkfeuer der Neben- und Seitenhiebe, über die das Publikum herzlich und dankbar lacht, noch intensiviert hat. . . Karl Eidlitz hat . . . mit sorgfältiger Hand inszeniert. . .

K 125 österreichische Neue "Tageszeitung, 20. 12. 1955, S. 4 (Heinz Kindermann): Ein Stück für die Schauspieler: . . . voll Grandezza und voll von spöt­ tischer Angriffslust, immer zum Florettfechten bereit, ohne dabei wirklich verletzend zu werden — für die Schauspieler . . . ein Eldorado der Bon­ mots und der köstlichen Situationen ... Karl Eidlitz ließ bei seiner Inszenierung . . . alle Persiflagen und alle die typischen Lernet-Holenia-Bonmots wie Leuchtkugeln steigen. Seine Regie sprüht vor Laune und Ironie. Und sie bringt alle die Mitwirkenden auf diesen gemeinsamen Nenner einer espritgeladenen Aktion. Raoul Aslan, der schon bei seinem ersten Auftreten mit herzlichem Beifall begrüßt wurde, war ganz in seinem Element als selbstironischer Graf Moncada, dessen treffsichere Bonmots die Welt und ihre Menschen durchschauen .. . jede Bosheit wird von Aslan in Liebenswürdigkeit gehüllt und jede Lie­ benswürdigkeit mit einem Gran Bitterkeit versetzt. Sein Graf Moncada ist eine neue Glanzrolle geworden. Viel gelöster als sonst . . . diesmal Alexander Trojan als junger . . . Moncada . . . Eine Überraschung bot Albin Skoda als raffgieriger Alvarez ... Man muß es gesehen haben, wie Skoda diesen brutalen Egoisten und Emporkömmling . . . „hinlegt“. Es ist ein Meisterstück, wie wir es in dieser Art noch nie von ihm gesehen haben. Gleich gut die beiden gegensätzlichen jungen Mädchen: Angelika Hauff als raffinierte Geldkatze und Inge Brücklmeier als . . . Beatriz ... Das Publikum unterhielt sich königlich... Das Akademietheater hat seine gutgehende Weihnachts- und Neujahrspremière unter Dach.

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DIE FRAU DES POTIPHAR

Uraufführung Wien (Deutsches Volkstheater), 5. 12. 1936: (als Nachtvorstellung der österreichischen Volksbühne) K 126 Neue Freie Presse, 9. 12. 1936, S. 8 (Paul Wertheimer): . . . Diese ganze kleine Komödie ist voll spritzig-geistreicher Lustigkeit... (mit) eine(r) psychologische(n) Schlußpointe, die dem graziös leichten Spiel erst die eigentliche, tiefere Lustspielfärbung gibt. Es entläßt, schon durch den witzig-facettierten Dialog, mit dem Eindruck: man trägt im Theater, gelegentlich wenigstens, wieder Geist. Walter Firner hat . . . eine im Stil künstlerisch eigene, durchgearbeitete Aufführung dargeboten . . . Der Erfolg war ein großer, zuletzt ein stür­ mischer.

K 127 Neues Wiener Journal, 8. 12. 1936, S. 18 (R. L.): . . . In diesem geistvollen, witzigen und amüsanten Stück entfernt sich der Autor sehr weit von der landesüblichen Auffassung der Frau des Potiphar. Diese Dame ... ist bei ihm im Anfang eine . . . ehrbare Frau, die sich unglücklicherweise in den schönen Sklaven verliebt... Aus dem biblischen Drama der Verführung . . . wird ein . . . modernes Liebes­ drama, ein Shaw-Spiel . . . Frau Margit Weiler war eine sehr interessante Madame Potiphar.. . K 128 Neues Wiener Tagblatt, 8. 12. 1936, S. 12 (Helene Tuschak): . . . Es geht im biblischen Ägypten mit Shawscher Frivolität zu. Mehr als das. Shaw ist sittsamer als Lernet-Holenia, wie ja die Nachahmer ihre Vorbilder stets übertrumpfen. Aber Lernet hat auch eigenes, hat vor allem seine sprachliche Kraft, seine dreist zufassende Bildnerhand, die spielerisch einsetzt in einem Kabarettstil.. . Walter Firner ist ein Spielleiter, der . . . entschieden Beachtung fordert . . . Er erkennt Begabungen und weiß sie zu lenken. Tonio Riedl sehr schön in Ton und Gebärde des keuschen Josef, ungemein witzig Grieg als ewig avancierender Potiphar, dem Menelaus Offenbachs verwandt. . . Voll drastischer Lustigkeit Karl Skraup ... als Hofcharge ... Tom Kraa sorgte für das Visuelle des Theaters ... in jener prickelnden Stimmung, die nur dort schwingt, wo Geist zum Kerzenträger für flackernde Bedenklich­ keiten wird.

K 129 Wiener Zeitung, 8. 12. 1936, S. 8 (Rudolf Holzer): Um elf Uhr nachts erfuhr dieses entzückende, geistreiche, gescheite Lust­ spiel seine Aufführung... Lernet-Holenia leistet sich einige Freiheit in Dingen der moralischen Gepflogenheiten... Diese höfisch-erotischen Pro­ bleme werden (.. .) mit ziemlicher Deutlichkeit erörtert, aber immer im Niveau literarischer Gepflegtheit und blendender Geistigkeit. In der Einstudierung Walter Firners erzielte die Komödie ihre federnde Leichtigkeit und Eleganz . . .

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K 130 Die Stunde, 8. 12. 1936, S. 4: . . . konzentriert Lernet-Holenia ... zu einer straff geführten Komödie . . . die . . . sorgsam betreute Aufführung, die Stil hatte, ohne zu stilisie­ ren, und Lebendigkeit, ohne das zwischen den Zeilen Wirkende zu zer­ stören. Die Potiphar ist durch den verschwenderischen Reichtum an Nuancen ein Rolle, wie sie sich eine Schauspielerin nur wünschen kann: Margit Weiler nützt diese Möglichkeiten, sie wird dieser irisierenden Figur durch Erscheinung und Wesen gerecht und gestaltet in schön ge­ schwungenem Bogen das Schicksal einer Frau, von der Bestrickung des Kampfes bis zur Bitterkeit der Enttäuschung ... Die amüsante Auffassung der Potiphar-Legende gab dem Publikum viel Unterhaltung, was durch reichen Beifall bewiesen wurde.

K 131 Reichspost, 7. 12. 1936, S. 6 (tr.): . . . Man kennt . . . Lernet-Holenia als hochbegabten, aber respektlosen Dramatiker, der oft geistreich, häufiger aber geistreichelnd seinen Spott über die Schwächen der menschlichen Gesellschaft verspritzt. Diese Ko­ mödie aber, »die einen biblischen Stoff travestiert, geht doch über die Grenzen des guten Geschmacks allzu sehr hinaus. In dem Bestreben, den Hof des ägyptischen Pharao durchwegs mit geilen Hofschranzen und feilen Frauen zu bevölkern, unter denen die liebestolle Frau des Potiphar fast noch sympathisch erscheint, gelangt Lernet-Holenia zu einer Offenbachiade der Frivolitäten und Laszivitäten, die geradezu widerlich an­ mutet . .. Die Regie . . ., die Unerquickliches betont, und die geschickten Bühnenbilder Tom Kraas sowie einzelne gute schauspielerische Leistun­ gen . . . vermochten dieses Sammelsurium von Langeweile und Frivolität, aus dem nur dann und wann ein kluges, witziges Wort aufblitzt, nicht genießbar zu machen. Obwohl das kongeniale Publikum mit Lachen zu­ stimmte, hätte man sich diese „österreichische“ Uraufführung ersparen können; wir haben für Pseudo-Shawsche Dramatik dieser Art nichts übrig. K 132 Frankfurter Zeitung, 15. 12. 1936 (Werner Jantschga): . . . Nach des Verfassers Absicht ein Versuch, kultiviertes Theater zu schreiben. Es soll die besten Gedanken „zwischen den Zeilen“ aussprechen. Das delikate Thema, das den biblischen Stoff mit einigen Freiheiten ab­ wandelt, macht diesen Versuch begreiflich. Lernet-Holenia bewegt sich dabei in den Fußstapfen B. Shaws. Tatsächlich ist es ihm gelungen, in launiger und geistreicher Weise ein durchaus originelles Spiel zu schaf­ fen ... Aus diesem heiteren, leicht beschwingten Spiel dringen starke dichterische Töne ... Salzburger Festspiele (Landestheater), 5. 8. 1947: K 133 Wiener Kurier, 6. 8. 1947, S. 3 (Herbert Mühlbauer): . . . Seit eh und je bedeutete die Wahl des zweiten Sprechstückes neben dem traditionellen „Jedermann“ ein Problem der Festspiele... Nun ist das Problem neuerlich gestellt, und die Wahl dieser Komödie Lernet-

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Holenias war von vornherein eine Notlösung, die weniger das Stück als den Autor meinte, dessen ursprünglich vorgesehenes Schauspiel „Alkestis“ aus technischen Gründen nicht aufgeführt werden konnte... Gewiß ist vieles sehr reizvoll an dieser Komödie, ohne daß dies aber auslangte, sie zum Festspiel zu machen. Ihr Gehalt reicht dazu nicht aus und ihr Witz, auf Shawschen Spuren einherwandelnd, streift zu sehr an billige Weisund Wahrheiten. Wohl haben die Salzburger Festspiele schon Gewichts­ loseres in ihrem Programm gesehen, als Max Reinhardt seinerzeit Maug­ hams Farce „Victoria“ inszenierte, aber damals gab eine vollendete, von allen Zaubern des Theaters erfüllte Aufführung den festlichen Charakter. Diesen zu bieten ist der Inszenierung Oskar Wälterlins nicht gelungen, die über ein Durchschnittsmaß nicht hinauskommt. Gusti Wolf spielt die Titelrolle, sie ist keine Frau mit jener erotisierenden Wirkung, die das Stück verlangt, und ihre Begabung und Persönlichkeit können dies nicht wettmachen, zumal ihr auch die dramatische Kraft für die beiden letzten Akte fehlt, was den Reiz, der anfangs von ihr ausgeht, um alle Wirkung bringt. Auch die Würdenträger Otto Schmöles, Paul Horns und Wilhelm Heims scheinen nicht ganz richtig gesehen. Sie sind komische Figuren auf einer zu billigen Ebene, während sich ihrer Komik doch auch die Würde ihrer Stellung hinzufügen müßte. Oskar Werner kann als Joseph neuer­ lich seine starke Begabung zeigen... Auch Curd Jürgens als Potiphar ist ausgezeichnet... Die übrigen Mitwirkenden bleiben farblos... Der Beifall war ziemlich reserviert....

K 134 Wiener Zeitung, 7. 8. 1947, S. 3 (Rudolf Holzer): . . . Lernet-Holenia, Schöpfer feinster, kultiviertester Lyrik ..., ruht sich in der Komödie „Die Frau des Potiphar“ von dem Drängen tieferer, dunklerer Gebilde seines Fühlens . . . aus, etwa wie Grillparzer in „Weh dem, der lügt“. Was die Zeitgenossen ihm übelnahmen; es kann sein, daß man auch den Enkel nicht verstehen will. Indes — eine Komödie im besten, echtesten Sinne wird auf der Bühne dargestellt... Wesen und Sinn alles Komödienhaften stecken in der testamentarischen Episode; daß aus der Bibel übermittelt, ist geradezu ein Beweis ihres Ewigmenschlichen. Lernet hat mit feinsten Sinnen, mit Erkennen des Zeitlosen nachgezeich­ net und exemplifiziert; „modernisiert“ ist die Moral und Nutzanwendung der Hofkomödie aus der Pharaonen-Zeit. Ihr Humor ist Kostümierung; ihr Geist ist Psyche. Seele ist aber bekanntlich unsterblich, unwandelbar: also bleiben im Leben und auf dem Theater die Josephs, . . . Pharaonen und seine Würdenträger, Herr und Frau Potiphar zeitlos-gültig. Im Geiste, im Stile eines philosophischen Märchens zieht spielerisch, ver­ spielt das Stück vorüber. Bühnenbilder vom Salzburger Gallé, Musik Gottfried von Einems, endlich die Regie Oskar Wälterlins rücken die Dichtung mit Sinn und Geschmack aus der Realität. Hofmannsthal, der Dichter von „Ariadne“, „Frau ohne Schatten“, schaute dem Dichter der Potiphar ins Manuskript, auch daß er aus Grillparzers Stamm ist, wird am erotischen Pessimismus oft merkbar ... Merklich ließ sich Wälterlin von malerisch-musikalisch-märchenhaften Elementen tragen. Die eigen-

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artigsten, subjektivsten Wirkungen liegen deshalb in den Episoden .. . : Da ist ein psychologisch fein herausgearbeiteter Potiphar,... bildhaft Curd Jürgens; von schärfster Charakteristik ... die Höflinge. .. Aller Sinn, alle Emotionen gehen von einer Zentralgestalt aus: von Frau Potiphar, einer Rolle, die sich nicht „spielen“ und nicht „gestalten“ läßt; eine Schau­ spielerin „ist“ die Potiphar oder das Stück schwebt im leeren Raum. Fräulein Gusti Wolf ist eine vortreffliche Schauspielerin. Mit hoher intel­ lektueller Energie zeichnet sie Umrisse, aber schon ihre Temperatur ist nicht oberägyptisch, ihr Temperament gravitiert ins deutsche Lustspiel. Das Publikum nahm mit Interesse Dichtung und Darsteller auf, zollte wärmsten Beifall.

Wien (Kammerspiele), 19. 11. 1947:

K 135 Wiener Kurier, 20. 11. 1947, S. 3 (Siegfried Weyr): . . . Alles kommt, so wie es kommen muß, nur stellt sich als literarischer Königsgedanke am Ende heraus, daß der keusche Joseph, nachdem er arri­ viert ist, höchst eindeutige Absichten auf die Frau des Potiphar hat. Die Komödie ist um ein Menschenalter zu spät gekommen. Auf einmal ver­ nimmt man, was 1930 in der Konfektionsliteratur „dernier cri“ war. Daß Joseph in einer geschwollenen Sprache daherredet, die an Joseph den Ernährer aus Manns gewaltigem Buch von fern erinnert, kann den peinlich-enttäuschenden Eindruck nicht abwenden, ebensowenig wie die Tatsache, daß Potiphars Weib eine verniedlichte Lulu aus Wedekindschen Welten ist. Susanne Almässy mimt als Potiphars Weib . . . eine schwer zu ertragende Mischung von Vamp und Flitschen . .. K 136 Wiener Zeitung, 21. 11. 1947, S. 3 (Rudolf Holzer): In einer hübschen, beschwingten Aufführung sah man die Komödie „Die Frau des Potiphar“ . . . wieder, ja, lernte man sie wirklich kennen. Su­ sanne Almässy ist entzückend, hinreißend, charmant, geistreich, ja, sie ist die vom Dichter gemeinte kapriziöse Erotikerin mit Charakter, Willen und Launen. Sehr verführerischen, unwiderstehlichen! Sie darf es wagen, bis an die äußersten Grenzen des Gewagten vorzudringen, -denn ihr Geist federt, ihr Temperament entschuldigt!... Das Publikum war animiert, erlag Potiphars Frau und war damit sehr zufrieden. Viel Beifall.

DAS FINANZAMT Uraufführung Wien (Volkstheater), 28. 9. 1969: (Im Rahmen einer Tournee des Volkstheaters durch die Wiener Außenbezirke.)

K 137 Die Presse, 30. 9. 1969 (Piero Rismondo): Sehr amüsiert hat sich das Publikum bei der Uraufführung • • ■ Das Impromptu eines Dichters, dem als österreichischer Steuerzahler die Galle

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geplatzt ist... Eine satirisch-polemische (Posse)... Aus dem Handgelenk. Die Diktion des Dialogs aber, in ihrer tiradenhaft sich zuspitzenden Polemik, gemahnt dann und wann an die des in Fechterstellung zu­ stoßenden Molière. Dann und wann. Wir wollen, Gott behüte, den Ver­ gleich nicht weitertreiben. Gott behüte! Ein Impromptu, wie gesagt, ein Improvisations-, ein Scherzspiel.. . Die Aufführung unter der Regie Gustav Mankers ... ist trefflich. Sie entwickelt sich aus der Possensituation mit dialogischer Vehemenz. Ser­ viert das Absurde mit sarkastischer Trockenheit. Harry Fuß als ... Nicht­ steuerzahler und Heinz Petters als . . . Steuerreferent stehen im Mittel­ punkt . .., führten diese belustigende Geschichte mit zum Erfolg. Viel Beifall.

K 138 Kurier, 30. 9. 1969 (Rudolf U. Klaus): . . . in Form einer espritreichen Komödie, aber doch so, daß ironischer Charme und echter Grant einander durchaus die Waage halten. . . Und das Theatrum populorum Vindobonense bringt nun diesen Angriff eines Campagnereiters auf den behäbigen Amtsschimmel und sein pandekten­ geschütztes Beharrungsvermögen zur Uraufführung. Recht hat es. . . Unter Gustav Mankers zügiger Regie . . . wird durchwegs vorzüglich ge­ spielt, werden vor allem die Sottisen des kunstvoll modellierten Textes gut zur Geltung gebracht. . . mit viel verständnisinnigem Beifall für alle inklusive des Autors aufgenommen . . .

K 139 Express, 30. 9. 1969 (G. Obzyna): Das Projekt Direktor Mankers, für die Außenbezirke heuer eine rein österreichische Saison zu veranstalten, ist löblich, aber auch tollkühn ... Das Publikum am Stadtrand kommt . . . sogar in den Genuß einer Ur­ aufführung, die es gewiß wirklich genießen wird, denn wenn es gegen die Beamten geht,... ist mit einer Schadenfreude ... zu rechnen. Die Freude wäre aber noch größer, wenn zum allseits interessierenden Thema auch ein allseits interessierendes Stück gehörte. Doch unserem Altmeister des nonchalanten Graf-Bobby-Tons ist bei seinem jahrzehntelangen Amoklauf gegen die Finanzbehörden ... so die Luft ausgegangen, daß ihm nur mehr die Kraft blieb, für die Bühne ein paar steuertechnische Abhandlungen mit ein paar skurril skizzierten Figürchen und Hand­ lungsfetzchen zu dekorieren. Er nennt die Beamtenschaft eine „öffent­ liche Heimsuchung“. Köstlich, köstlich. Wäre nur interessant zu erfahren, was er dazu sagte, wenn man seinen Ausdruck auf jene heimischen Schrift­ steller anwendete, denen man sich aus patriotischen Gründen verpflichtet fühlt, ohne wirklich an die umwerfende Qualität ihrer Werke zu glauben. Gustav Manker hat jedenfalls geschickt den Eindruck zu erwecken ver­ sucht, er glaube an das „Finanzamt“ . .. Maxi Tschunko hüllte die drei.. . Akte dreimal in richtige Atmosphäre. Daß das Ensemble, mit Manker an der Spitze, nach der Sonntag-Première im Haupthaus Meister Lernet zu­ klatschte, war sehr chevaleresk, in der Tat. 197

K 140 Wiener Zeitung, 30. 9. 1969 (Fritz Koselka): . . . die Komödie (würde) vor einem Parkett von Großindustriellen, Großkaufleuten und Großschriftstellern sicher stärkeren Widerhall finden als bei einem Vorstadtpublikum, das sich hauptsächlich aus Lohn- und Gehaltsempfängern . . . zusammensetzt... So bleibt als einigermaßen einigendes Heiterkeitsband in dem Stück eigentlich nur das ein bißchen triviale, aber gerade deshalb seit je so weitverbreitete Vergnügen des Schimpfens auf den Staat... Die Handlung. .. beruht auf (einer) viel­ versprechenden Konstellation, die zwar nicht hält, was sie verspricht, aber, wenn nicht gerade die komplizierte finanzielle Rabulistik allzu stark den Dialog beherrscht, ein ganz amüsantes Pointenspiel ergibt... Bei der Première im „Großen Haus“ . . . konnte zum Schluß mit den Künstlern auch der Autor für viel Beifall danken.

K 141 Kronenzeitung, 30. 9. 1969 (György Sebestyen): . . . Lernet-Holenia entlarvt die Machenschaften der Finanzämter, doch wird auf der muffigen Szenerie noch vieles sichtbar. Ein schlechtbezahltes Beamtentum, zum Beispiel, das sich immer noch als Obrigkeit empfindet, und zwar von Gottes Gnaden; . . . eine tolpatschige Gemütlichkeit als fadenscheinige Hülle der Gleichgültigkeit, der Brutalität . . . die Sprache klingt hohl, gespreizt, förmlich, schwulstig — voilà, die schäbigen Reste eines barocken Staatsapparates, hier sind sie zu sehen ... Gustav Manker hat die Komödie ganz im Geist des Autors inszeniert: als nobles Pamphlet gegen die Überheblichkeit der Ämter, als Satire auf den österreichischen Neobarock der Zweiten Republik, als giftig-gescheites Spiel um eine kleine Rebellion, die freilich auf wienerische Art im allge­ meinen Wohlwollen versandet. In Maxi Tschunkos hoheitsvoll schäbigen, also leider wahrheitsgetreuen Bühnenbildern und Kostümen wird gut, zuweilen sehr gut gespielt... Großartig Peter Hey als tobender Hofrat.. . K 142 Volksblatt, 30. 9. 1969 (Dr. Jürg): Kein Humor, keine Komödie.. . Diese verärgerte Suada, deren Argu­ mentation für ein nicht einschlägig vorgebildetes Publikum unzugänglich ist, macht 95 Prozent des Abends aus, fünf Prozent bleiben für eine leicht skurrile Handlung. .. Sottisen gegen Beamte und gar gegen solche des Finanzamtes garantieren den Erfolg... Aber es ist natürlich schon bei­ nahe unter die dramatischen Erpressungen einzureihen, aus dem Gegen­ stand allgemeiner Abneigung allein den Erfolg abzuleiten. Von den zwölf Mitwirkenden ist einer im Besitz einer Rolle — alle anderen haben nur Texte —, und das ist der Hofrat. . . Die dramaturgischen Mängel haben das Volkstheater veranlaßt, für die Uraufführung . . . die „erste Garnitur“ ins Gefecht zu werfen. Direktor Manker führte selbst Regie und leistete Schwerstarbeit im Auflockern . . .

K 143

Arbeiterzeitung, 30. 9. 1969 (Harald Sterk):

. . . Daß sie (die Raunzereien über das österreichische Finanzwesen) im gegenständlichen Fall in einem umständlichen und weitschweifigen alt-

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vindobonensischen Konversationsstil abgefaßt sind,... wird wahrscheinlich niemand ernstlich stören . . . wer hört nicht gern Ausfälle gegen die Steuerbehörde, und davon bietet Lernet-Holenia eine ganze Menge. So viele, daß dazwischen kaum noch Zeit für den Fortgang der im Untertitel angekündigten Komödie bleibt, was allerdings Gustav Mankers Regie we­ nigstens teilweise wieder wettmacht, die dort, wo es möglich ist, turbu­ lente Schwanksituationen arrangiert: Und es spielt ja auch ein Bomben­ ensemble ... Es gab freundlichen Uraufführungsbeifall...

GELEGENHEIT MACHT LIEBE

Uraufführung Frankfurt a. M. (Schauspielhaus), 3. 11. 1928: K 144 Frankfurter Zeitung, 5. 11. 1928, S. 1 (B. Diebold): Mehreren on dit’s zufolge soll dieser Clemens Neydisser ... ein pseud­ onymes . . . Zwillingspaar aus Österreich bedeuten. Zwillinge? Der eine Illing ist einer, der zu den Reifsten gehört; der andere Illing ist ein mun­ terer Vogel, bei dessen Jugend noch manche bunte Feder nachwachsen kann. Jeder dieser Illinge an sich eine Potenz. Als vereinigte Zwillings­ werke eine ziemlich insolvente Firma. Der erste Akt stellt Wechsel aus, die im zweiten und dritten nicht eingelöst werden ... Eine Fülle von Banalitäten, die man unter Schriftstellern sonst nur bei Geldmangel drucken oder aufführen läßt, verraten den Mangel an Intuition . . . nur für einen Akt reichte der Witz der Dialektik ... Neydisser kann nichts Interessanteres.. . Der Erfolg war bei Onkeln und Tanten hervor­ ragend ... Welch ein Beifall! Wir haben wieder die alten Rollenfächer Salondame, Naive, humoristische Haushälterin, Bonvivant etc. — als wäre nichts geschehen seit 1914 .. . Die gute Aufführung täuschte dem Publikum ein besseres Stüde vor . . . K 145 Berliner Lokal-Anzeiger, 6. 11. 1928: . . . Ein nettes graziöses Lustspielchen mit einem frischen, beschwingten Dialog, aus dem es bisweilen geistreich blitzt und sprüht. Der modernen Jugend mit ihrem Rekordfimmel, ihrem Alles-besser-wissen und der Sucht nach Erleben und Genießen werden mit Deutlichkeit und Beherztheit Wahrheiten gesagt. . .

K 146 Chemnitzer Tageblatt, 8. 11. 1928: . . . Technisch ist die recht dürftige Handlung gut aufgebaut, wobei der Autor die zur Genüge ausgetretenen Pfade beschreitet und manchmal in die Sphären des Schwankes abgleitet.. . Dieser Dialog amüsiert nicht nur, er ist sogar aktuell, allerdings oft travestierend aktuell. Dies erklärt auch den außerordentlichen Publikumserfolg der Frankfurter Aufführung, ob­ wohl die (...) Parodie der Liebe nicht geglückt ist. Im Dialog kann man nur travestieren, zur Parodie bedarf es auch der entsprechenden Hand­ 199

lung. Da diese fehlt, wirken die travestierenden Witze vielfach dumm. Aber das Publikum amüsiert sich ...

Das Theater, 9. Jg., H. 24, Berlin 1928, S. 558 (g.): . . . Wie die Arbeitsteilung der beiden Dichter vonstatten ging, weiß ich nicht, doch ist sicher, daß der eine die häufig fehlende Handlung, der andere die häufig fehlenden Witze gemacht hat. Die Komödie wird nicht weit kommen, obgleich sie ein paar gut sitzende Rollen enthält. Der Einfall ... ist nicht übel. . . Das Ganze ist eine teils ermüdende, teils aphoristisch gewürzte Harmlosigkeit, Erzeugnis gebildeter Männer ... . . . doch geriet der Abend ganz flott. . .

K 147

Wien (Deutsches Volkstheater), 8. 12. 1928: K 148 Neue Freie Presse, 11. 12. 1928, S. 9 (E. L.): . . . ein hübsches, kleines Lustspiel... Es ist in der Hauptsache ein Spiel mit angenehm geistigen Worten. Einige Ironie und Gegenwartssatire hebt die Gelegenheitsmacherei über sich selbst hinaus .. . Nicht ungern würde man... auf die „g’sellschaftlichen“ Affektiertheiten des Dialogs, auf die „Facilitäten“ und das sonstige Blauwelsch verzichten ... Die Aufführung, von Alfred Kunz sehenswert dekoriert, ist reizend. Paula Wesselys geborenes Bühnentemperament kommt aufs anmutigste zur Gel­ tung ... Der Erfolg war lebhaft... K 149 Neues Wiener Journal, 11. 12. 1928, S. 10 (—bs—): Der erste Akt ist witzig, der zweite ist unfertig und der dritte hat vom ersten zu wenig und vom zweiten zuviel... Im Schaufenster steht Clemens Neydisser, im Ladendunkel aber halten sich Lernet-Holenia und Stefan Zweig Hand in Hand und wahren ihre Anonymität. Wer Lust hat, kann den Anteil des einen und des andern an diesem Stück bestimmen. Gewöhn­ lich ist es so, daß der eine keine Idee hat und der andere daraus drei Akte macht. Wenn es ein Erfolg wird, ist alles nur von einem; wenn es ein Miß­ erfolg wird, hat nur der andere schuld . . . Die Verantwortung ist nicht groß .. . Der erste Akt hat beschwingte Lustspiellaune, munteren Dialog, 10 Gramm Satire und einen netten Einfall. Im zweiten Akt geht er ver­ loren, der Dialog schwankt hin und her und die Autoren rutschen aus. So etwas passiert in den besten Schriftstellerfamilien, die sich einmal einen vergnügten Tag machen wollen. Im dritten Akt ziehen sie reuig die Kon­ sequenz, aber es ist schon zu spät. Wer zuletzt lacht, ist nie das Publi­ kum . .. Eine gute Aufführung vermag viel. Sie deckt Schwächen, steigert Wirkun­ gen, schafft Stimmungen und provoziert Beifall. Der Regisseur Homma durfte also vortreten und zwinkernd für Clemens Neydisser danken. Dich­ tung wurde Gestalt.

K 150 Neues Wiener Tagblatt (Wochenausgabe), 15. 12. 1928, S. 6 (Hans Schimmer): . . . Das Stück ist ein sehr heiteres und ansprechendes Lustspiel mit viel 200

Wort- und Situationswitz. Einige störende Schönheitsfehler, die bei der Erstaufführung zum Vorschein kamen, sind leicht zu beseitigen. Über­ raschend schön und gefällig sind die von Alfred Kunz entworfenen Szenen­ bilder. Die Aufführung stand unter einem glücklichen Stern und hatte sehr großen Erfolg. Paula Wessely als Mädchen der versäumten Gelegenheiten zeigte ihre starke künstlerische Individualität. . . Großen Heiterkeitserfolg hatte Hans Thimig . . . Sehr glaubhaft. . . Frau Erika Wagner im Kampf um den letzten Mann . . . Hans Olden benimmt sich wie ein echter Lebe­ mann von heute . . . Das Publikum unterhielt sich sehr gut. . .

K 151

Wiener Zeitung, 11. 12. 1928 (a. fr.):

. . . Schriftsteller von Ruf und Rang .. . konnten unmöglich ihren guten Na­ men einem stark wildelnden Produkt geben, dessen Erotik, wie sie wohl selbst fühlen mußten, nur eine rein animalisch funktionelle Sinnlichkeit ist. . . Pikanterie ohne Geist und Anmut ist keine. Ranzig gewordener Kaviar fürs Volkstheater. Wie behandeln doch feine Franzosen, wie Bahr und Schnitzler, ihre heiklen Themen, wie zart fassen sie sie an . .. Ihr Dia­ log schillert. . . Hier ist alles unzart und will durch eine Kühnheit, die Dreistigkeit ist, bluffen . . . Nur eine geradezu bewundernswert vollkom­ mene, fein abgetönte, wohl abgerundete Darbietung — Spielleitung Hans Homma, alle Achtung! — vermochte über das Peinliche der Angelegenheit hinüberzutäuschen, sogar äußeren Erfolg zu erzwingen . . . „Gelegenheit macht Liebe“ . .. Aber Liebe macht auch bisweilen Ungelegenheiten. Wie Figura zeigt. Hier ist ein wurmstichiger Apfel weit vom Zweig gefallen.

DIE FRAU IN DER WOLKE Uraufführung Wien (Akademietheater), 22. 12. 1928:

K 152 heimer):

Neue Freie Presse, 24. 12. 1928, S. 6 (Raoul Auern-

Der freundliche Brauch, dem lieben Publikum zu Weihnachten vergoldete Nüsse an den Baum zu hängen, erneuert sich. Erfahrungsgemäß nimmt man es im Lichterglanz nicht so genau, und so mag „Die Frau in der Wolke“ .. . immerhin für ein Lustspiel gelten, obwohl sie an allen anderen Tagen des Jahres ein Schwank zu nennen wäre . .. Thaller,... Frau Albach-Retty ..., Frau Wagener . . . sorgen bestens für die Unterhaltung . ..

K 153 Neues Wiener Journal, 25. 12. 1928, S. 30: Das zeitlose Lustspiel. . ., das nur den reinen Amüsierzweck verfolgt, hat besonders im zweiten und dritten Akt sehr gefallen . . . Das Ganze ist ein anspruchsloses Spiel, dem Publikum auf den Leib geschrieben. Aus dem witzigen Dialog spricht Lothar. . . ; wo Lernet-Holenia spricht, ist viel schwerer zu eruieren. Vielleicht aus der Satire auf die Diplomatie? . . . Ge­ spielt wurde ausgezeichnet. Entzückend ist Frau Retty . .. Frau Wagener bietet als Tochter eine ihrer charmantesten Leistungen ... Der Gastregisseur Eugen Schuks-Breiden sorgte für Lustspielrhythmus. 14

201

K 154

Neues Wiener Tagblatt, 25. 12. 1928, S. 13 (e. d.):

... Die hübsche Idee der Komödie wird von einem Dialog überströmt, der leider nicht immer bester Lustspieldialog ist. . . Die Redseligkeit und Poin­ tensucht führt schließlich zu .. . Unwahrscheinlichkeiten . . . Vom zweiten Akt an beginnt die Komödie sich zu heben .. . Das Stück, das zwei gute Frauenrollen bietet, gewänne durch Überarbeitung und Striche . . . Die Aufführung konnte nicht besser sein ... In uns bohrt eine andre leise Enttäuschung nach: Man soll nie zu viel erwarten, weder von einer Frau noch von Autoren.

K 155

Wiener Zeitung, 25. 12. 1928, S. 7 (o. st.):

. . . Diese altmodische Lustspielaffäre wird in einem unerträglich breitspu­ rigen ersten Akt und mit unnötigen abgeschmackten Nebenfiguren exponiert. Im zweiten Akt gibt es eine nette Liebesszene mit Hindernissen ... der dritte Akt vollzieht sich plump. Nicht einmal die unerläßlich rasche, leichte Mache steht den beiden Verfassern zu Gebote, geschweige denn so etwas wie Geist oder Witz ... Was an Würze zugetan ist, an Nebenfiguren und Anspielungen, gehört zum Allergröbsten . .. Erfreulich war aber das Zu­ sammenspiel, womit dieser öde Rahmen lebendig und lustig ausgefüllt worden ist. .. Das Stück wurde nicht gerade begeistert, aber beifällig auf­ genommen. Zum Schluß hörte man Zischen.

K 156 Die schöne Literatur, 30. Jg., H. 2, Leipzig 1929, S. 90 (Fritz Lehner): Dieses Lustspiel ist von jenem Lernet-Holenia, der schon als ein Teil eines Clemens Neydisser (...) nichts mit dem Kleistpreisträger gemeinsam gehabt hat als den ganzen Namen und einen Figurenvorrat an österreichischen Aristokraten, einen Dialog, überstreut mit nonchalantem, schmächtigem Humor, die er nun jeweils an Kompagnons weitergibt; das berückendste Beispiel vom Untergang eines Talents im Kommerz. Das Stück . . . lebt wie alle solche Ware von der guten Aufführung.

K 157 Polgar, Alfred: Ja und nein; hrsg. v. Wolfgang Drews, 1. Aufl., Hamburg 1956, S. 269: . . . eine rohe und reizlose Komödie der Mißverständnisse ... Sage mir, mit wem du umgehst, und ich bin nicht mehr neugierig auf das Manuskript, grobe Finger verderben die beste Schreibmaschine und der Apfel fällt nicht weit vom Mitarbeiter.

TUMULT = MARIAGE Uraufführung München (Residenztheater), 4. 6. 1929: K 158 Münchner Neueste Nachrichten, 6. 6. 1929, S. 3 (Tim Klein): ... Was ist nun aber an dem „Tumult“ Lernet-Holenias komisch? Ich rede 202

nicht von eingestreuten Scherzen oder Witzen. Sondern ich meine: wo steckt die vis comica, die komische Kraft? Sie ist nirgends konzentriert, und also nicht vorhanden. Lernet-Holenia hat sich’s zu leicht gemacht. Er hat ein geschmeidiges Handgelenk. Aber damit ist’s nicht getan... der dritte und letzte Akt... ist überflüssig . . . Schade, Lernet-Holenia kann mehr, als er hier gegeben hat. Der Berichterstatter maßt sich nicht an, Ratschläge zu geben. Er stellt nur fest, daß gerade einem leicht schaffenden Kopf eine gewisse Zeit der Brache gut tut und not ist. Alfons Pape hat aus dem „Tumult“ gemacht, was daraus zu machen war ... Mit Recht wurde der Name Waldau am Schluß durch den Beifall und die Ausdrücke des Mißfallens hindurch laut. In der Tat hat Gustav Waldau seinem Herrn von Fries viele scharfe . .. Einzelzüge gegeben . . ., eine Cha­ raktergestalt, die den Abend trug . ..

K 159 Bayerische Staatszeitung, 6. 6. 1929: . .. Ein Dichter hätte diesen Schwank „Tumult“, namentlich den ganz alber­ nen dritten Akt, auch im Sommer nicht schreiben dürfen, selbst nicht im Ärger darüber, daß ernste und wertvolle Kunst bei vielen Theaterdirekto­ ren weniger beliebt ist. . .

K 160 Rheinisch-Westfälische 'Zeitung (Essen), 7. 6. 1929: Es ist erstaunlich, wie genügsam der heutige Theaterbesucher geworden ist; wahllos und ohne Geschmack begrüßt er alles und steigert seine eigene Be­ geisterung zum Jubel um ein Nichts. Und wenn dann, wie hier geschehen, ein bekümmerter Zischer sich schüchtern hervorwagt, um zu opponieren, wird er von unbelehrbaren Tempelhütern der „Kunst“ des Theaters wie ein Störenfried niedergetrampelt. Dieses Niedertrampeln gestattete gestern dem Autor das Erscheinen vor der Rampe. Warum eigentlich? Wozu sich bloß­ stellen nach einem solchen Stück, das besser ungeschrieben geblieben .. . diese kümmerlichen Ehegatten ... sind nichts als Marionetten . . . Leblos und witzlos, aber desto geschwätziger ... K 161 Berliner Tageblatt, 12. 6. 1929 (W. R.): . . . Lernet-Holenias neues Lustspiel, das ... ist kein starkes, nicht einmal ein übermäßig originelles Stück . . . Der Ablauf ist überdies stellenweise recht löcherig und nur notdürftig mit von außen geholten Episoden ge­ stopft ... Was indessen, wie immer bei ihm, tröstet, ist der Dialog...

K 162 Die Literatur, 31. Jg., Stuttgart — Berlin 1928/29, S. 664 f.: (Joseph Sprengler): . . . Wenn etwas für den Zeitvertreiber Lernet-Holenia . . . bald einzuneh­ men vermag, so ist es seine unbefangene Freude am Witz in Wendung und Szene. So viel Vergnügen hat er an seinen Einfällen, daß er gar nicht merkt, oder zum mindesten nicht beachtet, wie oft sie schon dagewesen sind ... je leichter der Gehalt, desto leichtfüßiger hätte die Form zu sein. Es gibt aber bei Lernet-Holenia schon vom zweiten Akt an Verzögerungen, wo Zwischenspiele zwar die Heiterkeit, aber nicht die Handlung weiter­ führen ... Und der dritte Akt ... ist fast nur mehr Episodik der Chargen, 203

bis sich erst zu allerletzt die Handlung wieder aus sich selber abspinnt. Doch warten wir, ob nicht auch „Tumult“ im Werkganzen des Dichters lediglich Zwischenspiel ist.

K 163 Die schöne Literatur, 30. Jg., H. 8, Leipzig 1929, S. 378 (Alfred Mayerhofer): . . . Der Verfasser bekundet wohl stellenweise die Fähigkeit, seine Freude an einem barocken Verwechslungsspiel durch flüssigen Dialog bühnensicher zu gestalten, verzichtet aber völlig darauf, durch Spannung und drama­ tischen Einfall das lockere Geschehen zu einer notwendigen Einheit zu ver­ dichten. Der letzte Akt ... ist von einer geradezu verblüffenden Hilflosig­ keit. So kommen lediglich Gustav Waldau und Hertha Hagen als Ver­ treter der Hauptrollen . . den Bedürfnissen des Publikums entgegen.

Wien (Deutsches Volkstheater), 11. 1. 1930: (= MARIAGE)

K 164 Neue Freie Presse, 13. 1. 1930, S. 6 (Paul Wertheimer): Lernet-Holenias Lustspiel „Mariage“ hat hier, zumal in den beiden ersten Akten, jene laute Heiterkeit hervorgerufen, die diesen jungen österreichi­ schen Komödiendichter bei den meisten seiner kecken Stücke begleitet.. . Dies alles zusammen ergibt weniger ein Lustspiel als einen französisch gefärbten Faschingsschwank von schlagkräftig burschikosem Dialog . . . Das Lustspiel . . . hatte starken Heiterkeitserfolg . . . K 165 Neues Wiener Journal, 12. 1. 1930, S. 6 (Hermann Menkes): . . . Lernet-Holenia verfügt in diesem possenhaften Lustspiel über seine schon erprobte vis comica. Die komische Wirkung dieser Szenen schwächt sich im Schlußakt ein wenig ab. Die Vorgänge lassen hier keine weitere Steigerung zu. Was übrig bleibt, ist nur noch Arrangement. Gespielt wurde in der Hauptsache mit Temperament und wirksamen humoristischen De­ tails . . . Man hatte sich den ganzen Abend durchgelacht und rief nach dem zweiten Akt den Dichter und seine Darsteller hervor. K 166 Neues Wiener Tagblatt (Wochenausgabe), 18. 1. 1930, S. 17 (Hans Schimmer): . . . Lernet-Holenia hat sich jüngst . . . über die Werke der modernen Dramatiker geäußert und von sich . . . gesagt, das gängige Stück sei Kon­ fektionsware ... Sicher ist, daß die „Mariage“ geschmackvoll zugerichtet ist. Da das heutige Publikum im allgemeinen mit diesen Qualitäten vor­ liebnimmt, können beide Teile zufrieden sein. An dem Erfolg hatte die musterhafte Aufführung stärksten Anteil. Hans Homma führte Regie und spielte auch die Rolle des Fries mit humorvoller Überlegenheit. Tillys Exzentrik kam durch die reizende Hedwig Keller mit . . . Tempo und Temperament zum Ausbruch. Kurt Lessen gab . . . den Ehemann mit un­ widerstehlicher Komik. Elisabeth Markus . . . eine weltgewandte Dame. Luise Ulrich, Hans Olden . . . mit Laune bei der Sache. Es gab viele Her­ vorrufe.

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K 167 Die Stunde, 14. 1. 1930, S. 3 (Siegfried Geyer): Es ist eine wienerische Komödie ... Er will keine Weltanschauung, bloß drei Akte . . . Lernet-Holenia schafft keine neuen Situationen herbei, und nützt alte und älteste weidlich aus . . . Homma, richtig verliebt in seine Rolle, weil er endlich wieder einmal die richtige hat, unterhält sich über sich selber . . . Lessen ist heiter vor den Kopf geschlagen . . . Das Volks­ theater-Publikum machte sich einen lustigen Abend. Mit dem Anlaß: Lernet-Holenia.

DIE ATTRAKTION = EIN OPTIMIST

Uraufführung Kassel (Staatstheater), 28. 5. 1930: K 168 Rheinisch-Westfälische Zeitung (Essen), 30. 5. 1930: . . . Das Ganze war ein . . . schlechtes Lustspiel, kaum der Rede wert. Man hat uns . . . einen österreichischen Olympier versprochen . . . und zum Vorschein kommt jetzt ... als echte Attraktion (daß man die Bude zer­ stückeln möchte) ein . . . Lustspiel-Österreich von Anno Tobak . . . solche „Attraktionen“ gehören ins Sommertheater, Militär und Kinder halbe Preise.. . K 169 Vossische Zeitung, 6. 6. 1930 (W.): . . . Kein Lustspiel, sondern ein Schwank, der an Handlung mager, im Dialog ohne Disziplin, aber dafür mit Situationskomik gemästet ist...

K 170 Die Literatur, 32. Jg., Stuttgart — Berlin 1929/30, S. 597 (Will Scheller): . . . Die Harmlosigkeit dieses Spiels verbietet ein scharfes Gericht, eine literarische Verurteilung. Denn von Literatur ist hier weit und breit nichts zu sehen ... Es handelt sich vielmehr ganz einfach um eine Möglichkeit, flüchtig angelegte Gestalten mit Fleisch und Blut zu füllen — durch die Kunst des Darstellers. Nicht jedes literarisch wertbare Stück bietet solche Möglichkeit. „Attraktion“ läßt sie jedenfalls offen, und es hat sich — bei der Uraufführung — gezeigt, daß und wie aus thematischen Andeutungen, skizzenhaften Charakterisierungen, Farbigkeit des Szenischen, Fülle des Figürlichen aufschimmern kann. Freilich: ein Lustspiel ist das nicht. Eher ein Schwank — geistige Frühgeburt, durch Schauspielkunst zum Leben zu beschwören. Ein Stück, von dessen Inszenierung gilt: hier ist der Spieler alles, der Dichter nichts. K 171 Die schöne Literatur, 31. Jg., H. 7, Leipzig 1930, S. 362 (Will Scheller): . . . ein Schwank, dessen Wirkung nicht von den mehr oder weniger alten Witzen abhängt.. ., sondern von dem, was ein paar Schauspieler aus den ihnen vorgelegten Entwürfen menschlicher Figuren zu machen wissen. Sie machten (...) immerhin genug daraus, um das Publikum zu amüsieren . . . konnte von Seiten des Staatstheaters ein recht hübscher Erfolg verbucht werden. 205

Co-Uraufführung Stuttgart (Schauspielhaus), 31. 5. 1930: K 172 Schwäbischer Merkur, 3. 6. 1930 (H. O. Roecker): . . . Es ist bekannt, daß der Preisgekrönte damals vielfach enttäuschte und nicht die hohen Hoffnungen erfüllte, die auf ihn gesetzt wurden .. . Um es gleich zu sagen, er setzt sich damit (mit „Attraktion“) nicht neben den großen Namen, in dessen Schatten er seinen Preis erhielt, er gibt nur eine verhältnismäßig harmlose, nette Sache, die gefällt und mit der er einen nicht gerade lauten, aber warmen und freundlichen Erfolg errang ... Willy Reichert hat die ganze unterhaltsame Niedlichkeit sehr reizend in Szene gesetzt. Er selbst spielt den Verbrecher. Eine Glanzrolle für ihn! ... seine pseudo-aristokratischen Manieren sind von so vollendeter Talmibril­ lanz, daß sein Spiel allein einen Besuch des Stückes lohnt.. .

Wien (Theater in der Josefstadt), 21. 6. 1937: (= EIN OPTIMIST) K 173 Neue Freie Presse, 23. 6. 1937, S. 9 (L. Hfd.): . . . Sogenannte sichere Zwangs- und Verlegenheitssituationen, von denen die meisten viel Gelächter verursachen, umso mehr, als der Autor mit sorg­ loser Hand Dialogpointen streut,... die bloß ungeniert und deutlich sind. Ein Sommerschwank unterhalb des heutigen Josefstädter Niveaus, von der Regie Hans Thimigs und den Darstellern mit Recht auf die leichte Achsel genommen ... Viel Gelächter und für die Darsteller viel Beifall. Ein Som­ merschwankerfolg, der hoffentlich so lange anhalten wird, bis die richtige Josefstadt wieder ihren Betrieb aufnehmen wird.

K 174 Neues Wiener Journal, 22. 6. 1937, S. 10 (Felix Fischer): . . . Welch angenehmer Zufall daher, daß sich gerade zur rechten Zeit A. Lernet-Holenia mit einem Sommerschwank . . . eingestellt hat, der auf angenehm kultivierte Art unterhält... Es erfreut auch, wieder einmal einen gepflegten Dialog zu hören ... Es gab jedenfalls viel Heiterkeit und zahlreiche Hervorrufe. K 175 Neues Wiener Tagblatt, 23. 6. 1937, S. 9 (—ey—): . . . Lernet-Holenia hätte die Verve und den Witz zu einer boshaften Finanz- und Gesellschaftssatire in sich. Er nimmt auch mehr als einmal einen Anlauf dazu und beginnt den Leuten bissige . . . Sottisen zu sagen ... Aber dann wird er wieder hübsch vorsichtig... Das Ganze ist mit der linken Hand locker hingeworfen. Die Rechte . . . kann andres . . . „Ein Optimist“ war ein ungemein lebhafter Erfolg. Man kann die Ansprüche im Sommer nicht optimistisch genug einschätzen. K 176 Wiener Zeitung, 23. 6. 1937, S. 8 (Rudolf Holzer): Was ist ein richtiger, unerschütterlicher Optimist? Der Schwank, der gestern ungeheuer belacht wurde, stellt ein derartiges Musterexemplar auf die Bühne... Blendend die Fülle der Gestalten ... Hat die Sache auch wenig Niveau, so doch Einfälle ...

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K 177 Die Stunde, 23. 6. 1937, S. 4 (Siegfried Geyer): Ein fröhlich gemeintes Stück. .. Unterhaltung von Lernet-Holenia ist immer Unterhaltung mit Lernet-Holenia ... Er ist also auch diesmal oft hinreißend in seiner Nonchalance . . ., im heiteren Zynismus . . . Nur: drei Akte Zynismus sind ein bißchen viel Zynismus . ..

REMASURI = TOHUWABOHU

Uraufführung Wien (Deutsches Volkstheater), 8. 2. 1939: K 178 Neues Wiener Tagblatt (Neue Freie Presse), 10. 2. 1939, S. 10 (Fritz Stüber): . . . ist reichlich breit ausgesponnen. Die Fülle der komischen Situationen verhindert jedoch glücklicherweise, daß der dünne Faden der Handlung jemals ganz abreißt. Und da der Autor auch für ein paar witzige Charak­ terrollen Sorge trug, ist der Heiterkeitserfolg, den sich das Stüde bei seiner Uraufführung ... zu erringen wußte, nicht unverdient. Die Spielleitung Leon Epps hat das Menschenmöglichste für ein prickelnd­ flüssiges Tempo getan, die karikierenden Bühnenbilder Alfred Kunz’ sind ... einer wahren Faschingslaune entsprungen... Die Darsteller taten ihr Bestes ... : Erhard Siedel. .., Valerie Rückert, Curd Jürgens ..., Paula Pflüger ..., Anny Rosar ..., Karl Skraup ... Das Publikum unterhielt sich sehr und spendete reichen Beifall... K 179 Wiener Zeitung, 10. 2. 1939, S. 7 (Rudolf Holzer): Das Lustspiel ... ist ohne Zweifel ein Gebilde und Erzeugnis für den Fasching, einer Zeit, in der die Vernunft beurlaubt und die Logik auf den Kopf gestellt sein sollen. Dieser Forderung kommen die drei Akte restlos nach ... Die ausgiebige und stürmische Heiterkeit des Publikums erwies den Erfolg. Stück und Darsteller fanden viel Beifall.

Wien (Kammerspiele), 8. 2. 1961: (= TOHUWABOHU) K 180 Die Presse, 10. 2. 1961 (Torberg): . . . eine erfolgreiche Première in den Kammerspielen. Das Publikum lachte oft und viel, und dem Serienerfolg sollte nichts im Wege stehen. Die etwaige Korrektur, daß ihm sehr wohl etwas im Wege stehen sollte, nicht aber wird, weisen wir hiermit als überflüssige Sprachpedanterie zurück ... Da und dort blitzt eine kluge, witzige Formulierung auf... Einigen wir uns viel­ leicht dahingehend, daß solcherlei treffsicheres Tohu von ihm (LernetHolenia) stammt, und wälzen wir das überwiegende Wabohu auf Hans Adler ab ... Es ist Faschingszeit. Das Publikum lachte oft und viel, und dem Serienerfolg sollte nichts im Wege stehen. K 181 Kurier, 9. 2. 1961 (Peter Weiser): Ein bürgerlicher Schwank . . . nennt sich diese literarische Katastrophe.

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Zu Unrecht. Denn wie’s bei den Bürgerlichen zugeht, scheint Hans Adler noch nicht, A. Lernet-Holenia hingegen nicht mehr zu wissen. Und schwankhaft war das Ganze auch nicht. Es war ein in die Länge gezogener SimplSketch. Mehr nicht. . . Aber: wir haben die letzten 15 Minuten lang herz­ lich gelacht. Wir schämen uns dessen nun, aber was tut man nicht alles im Leben . . . Otto Schenk spielt die Hauptrolle . . . sehr komisch, aber er ist fehl­ besetzt . . . Waltraud Haas spielt die Seine . . . Hans Borsody: ein Kirk Douglas der Anspruchslosen . . . Helly Servi: eine Augen- und Ohren­ weide . . . Elfriede Ott: Wir haben über sie schon sehr oft gelacht, aber noch nie so sehr wie diesmal. Sie ist der Clou, sie rettet den Abend . . .

K 182 Weigel):

Illustrierte Kronenzeitung, 10. 2. 1961, S. 13 (Hans

Es kommt alles auf den Standpunkt an. Wenn man an Molnar denkt, ist „Tohuwabohu“ schwach; aber wenn man an Wittlinger oder „Eifersucht unmodern?“ denkt, ist „Tohuwabohu“ ein einsam ragender Gipfel.. . Daß die kleine, unverbindliche . . . Leichtgewichtigkeit zum Unterschied von Legionen gleichartiger Produkte aus den zwanziger und dreißiger Jahren heute überhaupt noch denkbar ist, dankt sie dem Umstand, daß ihr Autor im Hauptberuf klug ist. . . So sei uns . . . „Tohuwabohu“ willkommen, ein „bürgerlicher Schwank" mit Rollen, Situationen, Möglichkeiten, Dialogen und einer, wenn man scharf aufpaßt, Handlung, die viel hergäbe, doch von den generösen Autoren nicht mit der nötigen Unerbittlichkeit verhalten wurde, all das, was in ihr steckt, herzugeben .. . Vergnügen . . . bereiten . . . vor allem . . . Otto Schenk: unübertrefflich im Pointieren, Elfriede Ott und Helly Servi. . . Das Publikum geriet schnell in fidele Stimmung ..., lachte und war sehr froh, froh sein zu können.

K 183 Express, 9. 2. 1961 (G. Obzyna): Ein arges „Tohuwabohu“: Im Fasching soll man . . . lustig sein. Also unter­ halten wir uns zuerst über etwas Lustiges: Über den Otto Schenk zum Beispiel. . ., Elfriede Ott. . . , Helly Servi. .. Aber . . . dieses Stück kann einem . . . die Faschingslaune verderben... Es ist ein schlechter Witz. Ein sehr matter. Mit Bart.

K 184 Wiener Zeitung, 10. 2. 1961 (Rollett): . . . Dem einen seiner Erzeuger, A. Lernet-Holenia, ... ist wohl schon Ori­ ginelleres eingefallen, dem anderen, Hans Adler, . . . vieles zu feinerem Schliff gediehen als diese sorglos fidele Sammlung von Hetz- und Streit­ miseren ... Regisseur Peter Preses jagt sie alle gründlich durcheinander und erzeugt jenen Wirbel, der ja der Lebensatem solcher Stücke sein muß. K 185 Neues Österreich, 10. 2. 1961 (f. 1.): Der hebräische Ausdruck „Tohuwabohu“ besagt soviel wie „wüst und leer“. Nomen est omen . . . läßt sich der ganze Faschingsulk in drei Worte fassen: Anziehen, ausziehen, umziehen.

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. . . Hauptsache . . . heißt Otto Schenk . . . die Seele des Spiels. Grandioses Theater mit urpersönlichen Mitteln... Das Publikum unterhielt sich aus­ gezeichnet . . . und zeichnete die Darsteller durch starken Beifall aus.

K 186 Das Kleine Volksblatt, 10. 2. 1961, S. 11 (Dr. J.): Mit ihren Faschingspremi^ren hat die Josefstadt heuer kein Glück... „To­ huwabohu“ reiht sich würdig der bisher recht tristen Serie im Stammhaus und im Konzerthauskeller an ... K 187 Neue österreichische Tageszeitung, 10. 2. 1961 (Karl Maria Grimme): . . . als Mitarbeiter . . . „Lernet-Holenia“ genannt. An die Identität mit dem ehrenkreuz-geschmückten . . . Dichter . . . Alexander Lernet-Holenia können wir nicht recht glauben, da man diesem . . . Einfälle, Spannung und blendende Technik zuordnet. Wovon hier kaum viel zu gewahren ist. . . Heitere Stimmung, freundlicher Beifall. K 188 Morgen, 10. 2. 1961: . . . ein Faschingsschwank..., der nichts anderes sein will, als dieses. (Wobei man sich bei Lernet-Holenia nie versehen kann, ob er sich mit einem solchen Stüde nicht selbst über das lachende . . . Publikum mehr amüsiert als das nämliche über das Stück selbst.)... K 189 Salzburger Nachrichten, 14. 2. 1961 (o. m. f.): . . . Der literarische Ehrgeiz von Lemet-Holenia ist sehr verschiedenartig, er reicht von traumüberglänzter Lyrik bis zu gepfefferter Polemik, von der gestrengen Novelle bis zum leichten Kriminalroman. Aber daß er auch den Ehrgeiz hat, Compagnon einer Schwankfirma zu sein, überrascht doch etwas. Immerhin will selbst die Schwankfabrikation gelernt sein. Hans Adler und Lernet-Holenia zeigen sich in „Tohuwabohu“ noch als rechte Lehrjungen ihres Metiers . . . Wenn in den Kammerspielen viel gelacht wird, so ist das der von Peter Preses mit wirbliger Faschingslaune inszenierten Aufführung zu danken . . .

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BIBLIOGRAPHIE

I. Primärliteratur:

1. Dramen (verwendete Ausgaben und Bühnenmanuskripte): SAUL — ALKESTIS: Pegasus Verlag, Zürich 1946. ATTRAKTION: Bühnenmanuskript bei Georg Marton Verlag, Wien 1930. DAS FINANZAMT: Bühnenmanuskript bei S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1956. DAS GOLDKABINETT: Bühnenmanuskript bei S. Fischer Verlag, Frank­ furt a. M. 1957. DEMETRIUS. HAUPT- UND STAATSAKTION: S. Fischer Verlag, Berlin 1926. DER TRIUMPH DES TODES: erschienen in: „Die Goldene Horde“ (Gedichte und Szenen von Lernet-Holenia), Paul Zsolnay Verlag, Wien — Hamburg 1964. DIE ABENTEUER DER KASCHA: Bühnenmanuskript bei Gustav Kie­ penheuer Verlag, Berlin-Charlottenburg 1932. DIE FRAU DES POTIPHAR: S. Fischer Verlag, Berlin 1934. DIE FRAU IN DER WOLKE: Bühnenmanuskript bei Felix Bloch Erben, Berlin-Wilmersdorf 1928. DIE HEXE VON ENDOR: Bühnenmanuskript bei Paul Zsolnay Verlag, Wien — Hamburg 1968. DIE LÜTZOWSCHEN REITER. EIN FESTSPIEL: Bühnenmanuskript bei S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1956. DIE NÄCHTLICHE HOCHZEIT: Vorabdruck in: Die Bühne, 5. Jg., H. 208, Wien 1928, S. 38 ff. DIE NÄCHTLICHE HOCHZEIT. HAUPT- UND STAATSAKTION: S. Fischer Verlag, Berlin 1929. DIE SCHWÄGER DES KÖNIGS: Paul Zsolnay Verlag, Wien — Ham­ burg 1958. DIE THRONPRÄTENDENTEN: erschienen in: „Theater“ von Alexander Lernet-Holenia, Paul Zsolnay Verlag, Wien — Hamburg 1965. EROTIK: Bühnenmanuskript bei S. Fischer Verlag, Berlin 1927. FLAGRANTI: Vorabdruck in: Die Bühne, 4. Jg., H. 117, Wien 1927, S. 6 ff. 15*

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GELEGENHEIT MACHT LIEBE: Verlag Felix Bloch Erben, Berlin 1928 (Maschinschriftl. MS. des Theaterverlages Eirich Ges. m. b. H., Wien). GLASTÜREN: erschienen in: „Theater“ von Alexander Lernet-Holenia, Paul Zsolnay Verlag, Wien — Hamburg 1965. KAPRIOLEN (LAUTER ACHTER UND NEUNER): Bühnenmanu­ skript bei Georg Márton Verlag, Wien 1931. KAVALIERE: S. Fischer Verlag, Berlin 1930. LEPANTO: erschienen in: „Die Trophäe“ (Gedichte und Szenen von Alexander Lernet-Holenia), 2. Bd., Paul Zsolnay Verlag, Wien— Hamburg 1956. OLLAPOTRIDA: Erster öffentlicher Abdruck in: „österreichisches Theater des 20. Jahrhunderts“, hrsg. von Joachim Schondorff, Langen-Müller Verlag, München 1961. ÖSTERREICHISCHE KOMÖDIE: S. Fischer Verlag, Berlin 1927. PARFORCE: S. Fischer Verlag, Berlin 1928. RADETZKY: S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1956. SAUL: siehe „ALKESTIS“. SPANISCHE KOMÖDIE: erschienen in: „Theater“ von Alexander Ler­ net-Holenia, Paul Zsolnay Verlag, Wien — Hamburg 1965. SZENE ALS EINLEITUNG ZU EINER TOTENFEIER FÜR RAINER MARIA RILKE: erschienen in: „Die Goldene Horde“ (Gedichte und Szenen von Alexander Lernet-Holenia), Paul Zsolnay Verlag, Wien — Hamburg 1964. TOHUWABOHU (REMASURI): Bühnenmanuskript bei Theater-Verlag Eirich Ges. m. b. H., Wien 1961. TUMULT (MARIAGE): Bühnenmanuskript bei Felix Bloch Erben, BerlinWilmersdorf 1929.

2. Aufsätze und Essays Lernet-Holenias, erschienen in Zeitungen und Zeitschriften: Lernet-Holenia: Adel und Gesellschaft in Österreich (= Der Monat, 9. Jg., H. 101), Berlin 1957, S. 33 ff. Analyse des Publikums (= Die Bühne, 4. Jg., H. 118), Wien 1927, S. 6 ff. Autobiographie (= Masken, 22. Jg., H. 9), Düsseldorf 1928/29, S. 167 f. Autobiographisches; in: Frankfurter Zeitung, 23. 10. 1926, Nr. 790. Das Calatrava-Kreuz (= Die Bühne, 8. Jg., Nr. 309), Wien 1931, S. 22 f. „Da nehme ich ihn lieber wieder zurück . . .“ (Zur Kleist-Preis-Affäre); in: Leipziger Neueste Nachrichten, 12. 9. 1930, S. 2. Ein Beitrag zum Thema „Dichtung und Christentum“ (= OstwartJahrbuch, hrsg. von Viktor Kubcsak), Breslau 1926.

212

Lernet-Holenia: Dramatische Equitation (= Die Bühne, 5. Jg., H. 175), Wien 1928, S. 5. Die Wiener Gesellschaft zu Anfang des Jahrhunderts (= DU, 22. Jg., H. 4), Zürich 1963, S. 63 f. Zwischen Groß- und Kleinbürgertum. Notizen zur österr. Soziologie (= Forum, 8. Jg., H. 96), Wien 1961, S. 446 ff. Hofmannsthal. Die Komödien und Dramen; in: Neue Freie Presse, 7. 12. 1924, S. 31 ff. Hofmannsthals Werk; in: Neue Freie Presse, 23. 3. 1924, S. 31 f. „Ich gebe den Kleistpreis zurück“ (= Die Literatur, 33. Jg., Oktober), Stuttgart — Berlin 1930, S. 58. Das gestohlene Krokodil (= Die Literatur, 32. Jg., September), Stuttgart — Berlin 1930, S. 679 f. Lob des Schauspiels (= Freiburger Theaterblätter, hrsg. von der In­ tendanz des Stadttheaters), Freiburg i. B. 1927/28, S. 215 ff. Nach meiner Première: Bemerkungen zu „Mariage“; in: Neues Wiener Journal, 15. 1. 1930, S. 4. Bemerkungen zur „österreichischen Komödie“ (= Die Scene, 16. Jg.), Berlin 1926, S. 227. Bemerkungen zu „Ollapotrida“; in: Programmheft zur Aufführung in Berlin (Kammerspiele), 14. 12. 1926. Pantarkes (= Die literarische Welt, 2. Jg., Nr. 16), Berlin 1926, S. 3. Première (= Die Bühne, 7. Jg., H. 276), Wien 1930, S. 15. Bemerkungen zu „Saul“ (= Die Theaterwelt, 4. Jg., H. 6), Düssel­ dorf 1928, S. 81 f. Theatralische Thesen (= Die Scene, 16. Jg.), Berlin 1926, S. 256 ff. Die k. u. k. Vergangenheit (= Forum, 10. Jg., H. 109), Wien 1963, S. 31 ff. Über den Wert von Theaterstücken; in: Die Stunde, 12. 1. 1930, S. 7.

3. Andere benützte Werke Lernet-Holenias: Lernet-Holenia: Die vertauschten Briefe (Roman); Wien — Hamburg 1958. Die Geheimnisse des Hauses Habsburg; Zürich 1971. Monologische Kunst? Ein Briefwechsel zwischen Alexander LernetHolenia und Gottfried Benn; Wiesbaden 1953. Beide Sizilien (Roman); Berlin 1942. Die Trophäe, 1. Bd. (Gedichtsammlung). Hamburg — Wien 1966. II. Sekundärliteratur:

Alker, Ernst: Geschichte der deutschen Literatur (2 Bde), 2. Bd., Stutt­ gart 1950. Bahr, Hermann: Liebe der Lebenden (Tagebücher 1921—1923), (2 Bde), Hildesheim 1925.

213

Bahr, Hermann: Die Schauspielkunst, Leipzig 1923. Bahr, Hermann: Der Zauberstab (Tagebücher 1924—1926), Hildesheim (1927). Basil, Otto: Alexander Lernet-Holenia zum 50. Geburtstag; in: Neues Österreich, 26. 10. 1947, S. 3. Basil, Otto: Lernet-Holenia und das Austriakische (Zum 60. Geburtstag des Dichters); in: Neues Österreich, 20. 10. 1957, S. 17 f. Braun, Felix: Junge Dichter: . . . Alexander Lernet-Holenia (= Preußische Jahrbücher, 215. Bd., H. 3), Berlin 1929, S. 306 ff. Briies, Otto: Literatur und Würde (= Der Kunstwart, 44. Jg., H. 1), München 1930, S. 202 ff. Brunkhorst, Ingeborg: Studien zu Alexander Lernet-Holenias Roman „Die Standarte“; Diss. Stockholm 1963. Dabatschek, Heinz: Hugo von Hofmannsthal als Dramatiker; Diss. Wien 1957. Dichtung aus Österreich, Anthologie 1. Bd.: Drama, hrsg. von Heinz Kin­ dermann und Margret Dietrich. Wien — München 1966. Diebold, Bernhard: Begründung der Zuerkennung des Kleist-Preises 1926 (= Die Literatur, 29. Jg.), Stuttgart — Berlin 1926/27, S. 183. Diebold, Bernhard: Attraktion mit Krokodil; in: Frankfurter Zeitung, 14. 8. 1930, S. 12. Diebold, Bernhard: Er will den Kleistpreis zurückgeben. Bedenkliche Be­ trachtung meines Kleistpreisträgers; in: Leipziger Neueste Nachrich­ ten, 30. 8. 1930, S. 2. Dietrich, Margret: Das moderne Drama, 2. überarb. u. erw. Aufl., Stutt­ gart 1963. Enciclopedia dello Spettacolo, Rom 1959. Faschingseder, Alfred: Das zeitgeschichtliche Drama auf den Wiener Büh­ nen von 1918—1938; Diss. Wien 1950. Fechter, Paul: Das europäische Drama (3 Bde), 2. und 3. Bd., Mannheim 1957/58. Fiechtner, Helmut A.: Hugo von Hofmannsthal. Die Gestalt des Dichters im Spiegel der Freunde. Wien 1949. Fontana, Oskar Maurus: Alexander Lernet-Holenia 60 Jahre; in: Die Presse, 20. 10. 1957, S. 8. Gaya, Guido: Das Porträt: Alexander Lernet-Holenia (= Frankfurter Hefte, 8. Jg., H. 10), Frankfurt a. M. 1953, S. 790 ff. Gregor, Joseph: Schauspielführer, 2. Bd., Stuttgart 1954. 7. Bd., Stutt­ gart 1964. Haeusserman, Ernst: Ein Herr der Feder; in: Kurier, 8. 2. 1969, S. 25. Halperin, Josef: Alexander Lernet-Holenia — Zum 50. Geburtstag (= Die neue Rundschau, 58. Jg., H. 1), Stockholm 1947, S. 456. Hebra, Eduard: Alexander Lernet-Holenia (= Wort in der Zeit, 1. Jg., H. 4), Wien 1955, S. 1 ff. Heynen, Walter: Anmerkungen zur Dichtung Lernet-Holenias (= Masken, 22. Jg., H. 9), Düsseldorf 1928/29, S. 168 ff.

214

Hofmannsthal, Hugo von: Prosa, 3. Bd., Frankfurt a. M., 1952. Hofmannsthal, Hugo von: Der Schwierige; Fischer Bücherei, Frank­ furt a. M. 1956. Hördi, Franz: Zwei österreichische Dramatiker: Hans Müller und Alexan­ der Lernet-Holenia (= Radio-Wien, 4. Jg., Nr. 51), Wien 1928, S. 1724 ff. Ihering, Herbert: Von Reinhardt bis Brecht (3 Bde), 2. u. 3. Bd., Berlin 1959 und 1961. Jank, Elfriede: Alexander Lernet-Holenia (Dramen); Diss. Wien 1950. Jank, Ilse: Die österreichische Dramatik seit Hofmannsthals Tod; Diss. Wien 1953. Kaut, Josef: Festspiele in Salzburg. Salzburg 1965. Kindermann, Heinz: Das literarische Antlitz der Gegenwart. Halle (Saale) 1930. Kindermann, Heinz: Meister der Komödie. Wien — München 1952. Kindermann, Heinz: Theatergeschichte Europas, 4. und 8. Bd., Salzburg 1961 und 1968. Knölke, Bärbel D.: Hugo von Hofmannsthals Bühnenschaffen — geprägt und beeinflußt durch Max Reinhardt und sein Theater; Diss. Wien 1967. Langer, Norbert: Dichter aus Österreich. Wien — München 1963. Lennartz, Franz: Dichter und Schriftsteller unserer Zeit, 6. Aufl., Stuttgart 1954. Alexander Lernet-Holenia. Festschrift zum 70. Geburtstag des Dichters. Wien — Hamburg 1967. Melchinger, Siegfried: Drama zwischen Shaw und Brecht, 4. Aufl., Bremen 1961. Melchinger, Siegfried: Poeta Seigneur (= Alexander Lernet-Holenia. Fest­ schrift zum 70. Geburtstag des Dichters), Wien — Hamburg 1967, S. 19 ff. Nadler, Josef: Literaturgeschichte Österreichs, 2. erw. Aufl., Salzburg 1951. Nagl — Zeidler — Castle: Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte, 4. Bd., Wien 1937. Naumann, Hans: Die deutsche Dichtung der Gegenwart (1885—1923). Stuttgart 1923. Österreichisches Theater des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Joachim Schon­ dorff. München 1961. Pirker, Max: Alexander Lernet-Holenia (= Die Bühne, 3. Jg., H. 105), Wien 1926, S. 10. Pirker, Max: Alexander Lernet-Holenia (= Die Horen, 2. Jg., H. 4), Berlin 1926, S. 363 ff. Polgar, Alfred: Ja und Nein; hrsg. von Wolfgang Drews, 1. Aufl., Ham­ burg 1956. Programmheft zur Uraufführung der „Glastüren", Wien, Theater in der Josefstadt, 14. 2. 1939.

215

Programmheft zur Aufführung der „Glastüren“, Wien, Theater in der Josefstadt, 7. 3. 1953. Programmheft zur Uraufführung von „Das Finanzamt“, Wien, Volks­ theater, 28. 9. 1969. Reithhart, Herbert: Der griechische Mythos im modernen deutschen und österreichischen Drama; Diss. Wien 1951. Hermann Reutter. Werk und Wirken (Festschrift); hrsg. von Heinrich Lindlar. Mainz 1965. Rilke, Rainer Maria: Briefe an seinen Verleger (1906—1926), hrsg. von Ruth Sieber-Rilke und Carl Sieber. Leipzig 1934. Rainer Maria Rilke — Katharina Kippenberg: Briefwechsel; hrsg. von Bettina v. Bomhard. Wiesbaden 1954. Rockenbath, Martin: Der Kleistpreisträger Lernet-Holenia (= Der Bühnen­ volksbund, 2. Jg., H. 2), Berlin 1926, S. 28 f. Rockenbach, Martin: Über Alexander Lernet-Holenia (= Orplid, 3. Jg., H. 6), Leipzig 1926, S. 65 ff. Rutra, A. E.: Der Fall Lemet-Holenia (= Der Schriftsteller, 18. Jg., H. 11), Berlin 1931. Schaeder, Hans Heinrich: Alexander Lernet-Holenia (= Neue Schweizer Rundschau, 20. Jg., 32./33. Bd.), Zürich (1927), S. 537 ff. Schmidt, Adalbert: Dichtung und Dichter im 19. und 20. Jahrhundert (2 Bde), 2. Bd., Salzburg — Stuttgart 1964. Schönwiese, Ernst: Einleitung zum Roman „Die nächtliche Hochzeit“ (= Das österreichische Wort, 108. Bd.), Graz — Wien 1962, S. 5 ff. (Über Lernet-Holenia und sein Schaffen). Schorr, Dieter: Die Bühnenwerke Hermann Reutters (= Hermann Reutter. Werk und Wirken; Festschrift; hrsg. v. Heinrich Lindlar), Mainz 1965, S. 45. Schrögendorfer, Konrad: Hugo von Hofmannsthals Dramen des antiken Stoffkreises in theaterwissenschaftlicher Beurteilung; Diss. Wien 1954. Schumann, Otto — Schneider-Facius, Franz: Schauspielbuch. 2. verb. Aufl., Wilhelmshaven 1951. Schwenk, Ernst: Alexander Lernet-Holenia und sein neuer Roman (Die nächtliche Hochzeit) (= Die literarische Welt, 7. Jg., Nr. 11), Berlin 1931, S. 5 f. Sebestyen, György: Vermutungen über Lernet-Holenia (= Alexander Ler­ net-Holenia. Festschrift zum 70. Geburtstag des Dichters), Wien — Hamburg 1967, S. 23 ff. Singer, Herta: Zeit und Gesellschaft im Werk Arthur Schnitzlers; Diss. Wien 1948. Soergel, Albert — Hohoff, Curt: Dichtung und Dichter der Zeit (2 Bde), 2. Bd., Düsseldorf 1963. Spiel, Hilde: Alexander Lernet-Holenia. Zu seinem 60. Geburtstag (= Der Monat, 10. Jg., H. 109), Berlin 1957, S. 65 ff. Sprengler, Joseph: Historien- und Zeitdrama (= Literarischer Handweiser, 64. Jg., H. 5), Freiburg i. B. 1928, S. 333 f.

216

Steinwender, Herbert: Alkestis — Vom Altertum bis zur Gegenwart; Diss. Wien 1951. Stranik, Erwin: Alexander Lernet-Holenia und das Problem der moder­ nen Dichtung (= Die Kultur, 5. Jg., H. 6), Wien — Leipzig 1927, S. 210 ff. Richard Strauss — Hugo von Hofmannsthal: Briefwechsel; hrsg. von Franz und Alice Strauss, bearb. von Willi Schuh (erw. Neuaufl.). Zürich 1954. Richard Strauss — Stefan Zweig: Briefwechsel; hrsg. von Willi Schuh. Frankfurt a. M. 1957. Stürzer, Helene: Acht Jahre Deutsches Volkstheater 1932—1939; Diss. Wien 1941. Thurnher, Eugen: Katholischer Geist in Österreich, Bregenz 1953. Torberg, Friedrich: Ein schwieriger Herr (= Alexander Lernet-Holenia. Festschrift zum 70. Geburtstag des Dichters), Wien — Hamburg 1967, S. 15 ff. Tschulik, Werner: Die österreichische Dichtung im Rahmen der Weltliteratur. Wien 1963. Vogelsang, Hans: österreichische Dramatik des 20. Jahrhunderts. Wien 1963. Waldner, Helmuth: Das Theater in der Josefstadt von Lothar bis Steinboeck (1935—1947); Diss. Wien 1949. Weigel, Hans: Schlechte Stücke gesucht! Die Vernachlässigung des Ge­ brauchstheaters; in: Heute, 25. 2. 1961. Weltmann, Lutz: Zum deutschen Drama: Alexander Lernet-Holenia (= Die Literatur, 31. Jg.), Stuttgart — Berlin 1928/29, S. 322 ff. Zuckmayer, Carl: Als wär’s ein Stück von mir. Frankfurt a. M. 1966. Zuckmayer, Carl: Ritter und Träumer (= Alexander Lernet-Holenia. Fest­ schrift zum 70. Geburtstag des Dichters), Wien — Hamburg 1967, S. 7 ff.

Zeitungsinterviews mit Alexander Lernet-Holenia: Neues Wiener Journal, 27. 1. 1927. Neuer Kurier, 22. 11. 1957, S. 5. Der Morgen, 31. 1. 1927, S. 6. Neues Österreich, 8. 2. 1964, S. 7. Der Tag, 28. 1. 1927. Wochenpresse, 29. 10. 1947, S. 3.

Zeitschriften: Die Bühne (Wien): 3. Jg. (1926) — 5. Jg., 7. und 8. Jg. Der Bühnenvolksbund (Berlin): 2. Jg. (1926).

217

Das deutsche Drama (Berlin): 1.—4. Jg. (1929—1932). DU (Zürich): 22. Jg. (1963). Forum (Wien): 8. Jg. (1961) und 10. Jg. Gral (Münster/Westfalen): 24. Jg. (1930). Literarischer Handweiser (Freiburg i. B.): 64. Jg. (1928). Frankfurter Hefte, 8. Jg. (1953). Heilweg (Essen): 5.—7. Jg. (1925—1927). Die Horen (Berlin): 2. Jg. (1926). Preußische Jahrbücher (Berlin): 215. Bd. (1929). Die Kultur (Wien — Leipzig): 5. Jg. (1927). Der Kunstwart (München): 44. Jg. (1930). Die Literatur (Stuttgart — Berlin): 28.—34. Jg. (1925/26—1931/32). Die schöne Literatur (Leipzig): 27.—32. Jg. (1926—1931). Masken (Düsseldorf): 22. Jg. (1928/29). Der Monat (Berlin): 9.—10. Jg. (1957—1958). Orplid (Leipzig): 3. Jg. (1926). Radio-Wien: 4. Jg. (1928). Die neue Rundschau (Stockholm): 58. Jg. (1947). Neue Schweizer Rundschau (Zürich): 20. Jg. (1927). Die Scene (Berlin): 16. Jg. (1926). Der Schriftsteller (Berlin): 18. Jg. (1931). Das Theater (Berlin): 6. Jg. (1925/26), 8. und 9. Jg. Freiburger Theaterblätter 1927/28. Die Weltbühne, vorm. Schaubühne (Berlin): 23. Jg. (1927). Die literarische Welt (Berlin): 2. Jg. (1926) und 7. Jg. Biochemische Wochenblätter (Leipzig): 8. Jg., Nr. 1 (1931). Wort in der Zeit (Wien): 1. Jg. (1955).

ZEITUNGEN 1. Wiener Zeitungen vor 1939: 6 Uhr Abendblatt Arbeiterzeitung Völkischer Beobachter Extrablatt Neues Wiener Journal Kronenzeitung Wiener Sonn- und Montagszeitung Der Morgen Wiener Morgenzeitung Wiener Neueste Nachrichten Neue Freie Presse

218

Reichspost Rundpost Die Stunde Der Tag Neues Wiener Tagblatt Kleines Volksblatt Volkszeitung Weltblatt Wiener Zeitung Wiener Allgemeine Zeitung

2. Wiener Zeitungen nach 1945: Bildtelegraf = Express Die Furche Heute (Illustrierte) Kronenzeitung (Wiener bzw. Neuer) Kurier Neues Österreich

Die Presse Neue Wiener Tageszeitung = Wiener Tageszeitung = österreichische Neue Tageszeitung Wochenpresse

3. Sonstige österreichische Zeitungen: Salzburger Nachrichten Salzburger Volksblatt

Grazer Tagespost

4. Berliner Zeitungen: B. Z. am Mittag Germania Berliner Lokalanzeiger Berliner Tageblatt

Deutsche Tageszeitung Deutsche Allgemeine Zeitung Vossische Zeitung

5. Andere deutsche bzw. deutschsprachige Zeitungen: Hannoverscher Kurier Schwäbischer Merkur (Stuttgart) Breslauer Neueste Nachrichten Leipziger Neueste Nachrichten Neue Leipziger Nachrichten Münchner Neueste Nachrichten Bayerische Staatszeitung (München) Chemnitzer Tageblatt

Mannheimer Tageblatt Prager Tageblatt Die Zeit (Reichenberg) Frankfurter Zeitung Kölnische Zeitung Rheinisch-Westfälische Zeitung (Essen) Neue Zürcher Zeitung

219

Inhaltsverzeichnis Seite

VORWORT..............................................................................................

V

I. TEIL

Lebenslauf und Persönlichkeit Lernet-Holenias 1. Biographie...................................................................................... 2. Wesenszüge Lernet-Holenias und ihr Niederschlag in seinem Werk..............................................................................................

1

3

II. TEIL 1. Lernet-Holenias Auseinandersetzung mit dem Theater: Theoretische Ansichten und ihre Verwirklichung ................ 2. Lernet-Holenias Auseinandersetzung mit Adel und Gesellschaft

11 24

III. TEIL Das dramatische Werk Lernet-Holenias......................................... A. Tragödien und Schauspiele............................................................. 1. Demetrius. Haupt- und Staatsaktion ..................................... 2. Saul .............................................................................................. 3. Die Hexe von Endor.................................................................. 4. Alkestis.......................................................................................... 5. Die nächtliche Hochzeit.............................................................. 6. Die nächtliche Hochzeit. Haupt-und Staatsaktion.................. 7. Die Lützowschen Reiter.............................................................. 8. Szene als Einleitung zu einer Totenfeier für Rainer Maria Rilke 9. Der Triumph des Todes.............................................................. 10. Lepanto...........................................................................................

31 32 33 45 52 55 68 73 73 79 80 82

B. Lustspieldramatik I.„österreichische“ Komödien ............................................................ 1. Ollapotrida .................................................................................. 2. österreichischeKomödie ............................................................ 3. Flagranti ......................................................................................

83 84 90 97

221

Seite

4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Erotik ........................................................................................... 99 Parforce ....................................................................................... 99 Kavaliere ........................................................................................... 100 Kapriolen (Lauter Achter und Neuner)..................................... 103 Liebesnächte.......................................................................................104 Die Abenteuer der Kascha.............................................................. 105 Glastüren...........................................................................................107 Spanische Komödie.......................................................................... HO

II. Sonstige Komödien (und Schauspiele).................................................. 112

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Die Frau des Potiphar...................................................................... 113 Das Finanzamt.................................................................................. 116 Das Goldkabinett.............................................................................. 117 Radetzky........................................................................................... 118 Die Schwäger des Königs.................................................................. 119 Die Thronprätendenten.................................................................. 121

III. Lustspiele in Zusammenarbeit mit anderenAutoren....................... 122 1. 2. 3. 4. 5.

Gelegenheit macht Liebe .......................................................... 124 Die Frau in der Wolke .................................................................. 125 Tumult (Mariage).............................................................................. 125 Die Attraktion (Die Transaktion bzw. Ein Optimist) .... 126 Remasuri (Tohuwabohu) .......................................................... 128

C. Arbeiten für Film und Fernsehen(Drehbücher)............................... 130 ZUSAMMENFASSUNG.............................................................. 134

BUHNENGESCHICHTE

1. Übersicht der Ur- und Wiederaufführungen (wann und wo?)

. .

137

2. Presse- und Publikumsecho ............................................................... 141 a. Statistische Übersicht derAufführungskritiken ........................... 141 b. Kritische Auseinandersetzung mitAufführungsbesprechungen 148

3. Kritiken Verzeichnis.................................................................................. 152

BIBLIOGRAPHIE.......................................................................... 211

222