Dramatisches Universum - Band 1 [1]

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Vorbemerkung des Übersetzers J.G. Bennett (1897-1974) ist einer der bedeutendsten Exponenten der Lehre von der möglichen Evolution des Menschen, die von dem armenischen Mystiker G.I. Gurdjieff zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Westen gebracht wurde. Zu Leben und Werk siehe https://de.wikipedia.org/wiki/John_G._Bennett. Die Übersetzung umfasst das erste Buch des ersten Bandes seines Hauptwerkes „The Dramatic Universe“, an dem Bennett viele Jahre arbeitete und das seine eigene Vision einer allumfassenden Kosmologie darstellt, wie sie von G.I. Gurdjieff in allegorischer Form in seinem Werk „Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel“ dargelegt wurde. Bennett war Naturwissenschaftler und sein zentrales Anliegen in diesem Teil besteht darin, eine Brücke zu bauen zwischen zeitgenössischem, wissenschaftlichem und dem hermetischen Denken. Bei diesem Versöhnungsprojekt ist er nicht der Erste und nicht der Letzte gewesen. Bereits die Schule des deutschen Idealismus verfolgte mit Goethe, Leipniz, Schelling und anderen ein ähnliches Anliegen. Unter den zeitgenössischen Denkern ist es insbesondere Ken Wilber mit seinem integralen Theorieansatz, der einmal mehr eine Theorie von All und Allem vorgestellt hat. Der Leser, der mit Wilbers ontologischen und epistemologischen Ansätzen vertraut ist, wird unschwer erkennen, dass Bennett viele von Wilders Ansätzen in einer Klarheit vorweggenommen hat, die fast den Eindruck des Plagiats aufkommen lässt, denn Wilber hat sich an keiner Stelle seines Werks auf J.G. Bennett bezogen, obwohl er sonst großen Wert auf umfangreiche Quellenzitation legt. Die Übersetzung des vorliegenden Teils des ersten Bandes stellte aus verschiedenen Gründen eine erhebliche Herausforderung dar. Zunächst hat Bennett zur Veranschaulichung seiner Überlegungen eine ganze Reihe eigener Neologismen entwickelt. Zum anderen hat er bestimmte Begriffe in einer sehr dezidierten Form verwendet, die über den gewohnten Sprachgebrauch hinausgeht. Zum dritten gleicht die Perspektive, aus der Bennett geschrieben hat, einem Ort „zwischen allen Stühlen“. Man hat oft den Eindruck, dass er sich nicht entscheiden konnte, ob er mit seinen Ausführungen vor allem die wissenschaftliche Gemeinde seiner Zeit erreichen wollte oder für den kleinen Kreis der mit Gurdjieffs Lehre vertrauten Eingeweihten schrieb, zu denen er gehörte, oder ob es ihm doch eher um die Allgemeinheit ging. Diese Unschärfe erleichtert die Lektüre nicht gerade und sie ist bei aller Brillanz und Präzision bei seinen Gedankengängen erkennbar. Die vorliegende Übersetzung ist eine Arbeitsfassung und erhebt keinen Anspruch auf vollständige Richtigkeit. Es fand kein Lektorat und Gegenlesen statt. Insofern ist der Text wahrscheinlich auch nicht fehlerfrei. Ich habe mich bemüht, so nah an Bennetts Sprache wie möglich zu bleiben und gleichzeitig auch eine gewisse Lesbarkeit herzustellen. Das Inhaltsverzeichnis und die Begriffserklärung beziehen sich auf den gesamten Band. Über jedwede Rückmeldungen zur Leseerfahrung freue ich mich. Dirk Böhm, im Juni 2018 [email protected]

Das Dramatische Universum J.G. Bennett Band 1 Die Grundlagen der Naturphilosophie

𝛑ῶ𝛓 𝛄𝛆𝛎ό𝛍𝛈𝛎; 𝛑ό𝛉𝛆𝛎 𝛆ί𝛍ί; 𝛕ί𝛎𝛐𝛓 𝛘ά𝛒𝛊𝛎 ἧ𝛌𝛉𝛐𝛎; ἀ𝛑𝛆𝛌𝛉𝛆ῖ𝛎. 𝛑ῶ𝛓 𝛅ύ𝛎𝛂𝛍𝛂ί 𝛕𝛊 𝛍𝛂𝛉𝛆ῖ𝛎 𝛍𝛈𝛅ὲ𝛎 ἐ𝛑𝛊𝛔𝛕ά𝛍𝛆𝛎𝛐𝛓.

Wie kam ich ins Sein? Wo komme ich her? Welchem Zweck dient mein Dasein? Um wieder zu verschwinden! Wie kann ich etwas lernen – nichts wissend?

Vorwort

Es besteht kein Zweifel, dass wir Menschen Teil der natürlichen Ordnung sind, aber wir können und müssen uns fragen, ob auch unsere Früchte derselben Ordnung entstammen. Die Frage, ob menschliches Dasein und das Dasein des Universums einander entsprechen, oder ob wir nur zufällige Gäste auf der kosmischen Bühne sind, muss jeden Menschen berühren – denn von der Antwort hängt die Entscheidung ab, welche Werte unser Leben bestimmen. Eine vollkommene Frage erfordert eine vollkommene Antwort, und diese kann nur unter Einbeziehung der gesamten menschlichen Erfahrung gegeben werden – unter Einbezug all dessen, was der Mensch in vergangenen Jahrhunderten über sich und das Universum gelernt hat. Ein solches Unterfangen ist offensichtlich unmöglich zu realisieren, solange nicht jede mögliche Erfahrung in ein schlüssiges System eingebracht werden kann, welches der menschliche Geist, dieses begrenzte und kapriziöse Instrument, in der Lage ist zu begreifen. Die Universalwissenschaften1 haben sich als Irrlicht erwiesen, die viele große Geister in den Morast bloßer Spekulation führten. Seit dem Scheitern von Hegels Kosmosophie2 , Comtes Panhylismus3 , Fechners Panenthismus 4 und Bergsons Panpsychismus5 – um nur vier beachtenswerte Versuche eines allumfassenden Entwurfs zu nennen – hat sich die Philosophie von der Frage der Fragen abgewandt, um nunmehr dem herrschenden Kult der Spezialisierung zu folgen, in der Hoffnung, dass sich die Präzision bezüglich des Gegenstands gegenüber der Unbestimmtheit des Universalen als sicherer erweisen möge. Mittlerweile wurden die Grenzen menschlichen Wissens in alle Richtungen verschoben – Geschichte, Vorgeschichte und Paläontologie; Ethnologie und vergleichende Religionswissenschaften; Psychologie und Physiologie; Biochemie, Embryologie und Genetik; Physik, Astronomie und Mathematik – jede hat ihr Quentchen gutgesicherter Fakten beigetragen, die gemeinsam eine Situation geschaffen haben, wie es sie vielleicht nie zuvor in der langen Geschichte menschlicher Kultur gab. Wir müssen über viele Dinge nicht länger spekulieren, die unsere Vorfahren der Metaphysik oder Theologie zugeordnet haben, und es ist auch nicht mehr zulässig, das zu tun. Die Wissenschaften haben die alte spekulative Philosophie vernichtet, aber nichts an ihren Platz gestellt. Nun verfügen wir über all das Material für eine neue Synthese; aber es ist so gewaltig in seinen Ausmaßen und so verwirrend in seiner Vielfalt, dass kein einzelner menschlicher Geist auch nur den hundertsten Teil davon erfassen könnte. Kein moderner Pico della Mirandola könnte die gelehrte Welt herausfordern, über jeden bekannten Gegenstand zu sprechen. Kein moderner Descartes würde sich trauen zu behaupten, er habe alle Wissenschaften gemeistert.

1 Im Original: systema universi. (Anm. d. Übers.) 2 Der Begriff existiert nicht als philosophischer Begriff. Kosmos (gr. κόσµος kósmos ‚(Welt-) Ordnung‘, auch ‚Schmuck, Glanz,

Ehre, militärische Ordnung, staatliche Ordnung‘), Sophia, gr. Weisheit. Etwa allumfassende Wahrheit. (Anm. d. Übers.) 3 Panhylismus (gr. πᾶν „alles“ und griechisch ὕλη, hylē ‚Stoff, Materie‘). Hyle taucht als philosophischer Begriff unter anderem

im Kontext der aristotelischen Physik und Metaphysik auf, wo er innerhalb des Begriffspaares ‚Form‘ und ‚Stoff‘ verwendet wird. Hyle ist dort das erste Zugrundeliegende bar aller Bestimmung. (Anm. d. Übers.) 4 Panentheismus (gr. 𝛑ᾶ𝛎 („alles“) und ἐν θεῷ „in Gott“) ist ein 1828 von Karl Christian Friedrich Krause geprägter Terminus,

der die Auffassung bezeichnet, dass das Eine in sich und durch sich auch das All sei. Bei späteren Autoren wird der Terminus als Bezeichnung für eine Auffassung gebraucht, nach der „Gott der Welt immanent und zugleich zu ihr transzendent ist, insofern die Welt ihrerseits Gott immanent, in Gott, von Gott umfasst ist“. (Anm. d. Übers.) 5 Panpsychismus (gr. 𝛑ᾶν pan „alles“ und ψυχή psyche „Geist, Seele“) ist eine metaphysische Theorie, der zufolge alle

existenten (und nicht auf anderes reduzierbaren) Objekte geistige Eigenschaften besitzen. (Anm. d. Übers.)

Und doch ist eine Synthese notwendig; denn solange nicht alles Wissen in ein schlüssiges System gebracht werden kann, müssen wir entweder die Hoffnung begraben, den Platz des Menschen im Universum zu finden oder anderenfalls in frommer Ergebung Dogmen akzeptieren, die die Erkenntnisse der Naturwissenschaften außer Acht lassen und uns der dauerhaften Trennung von Fakten und Werten fügen, die die Hauptursache unserer gegenwärtigen Verwirrung sind. Mehr als 35 Jahre sind vergangen, seit ich im Frühjahr 1929 zu der Überzeugung gelangt bin, dass viele hartnäckige Probleme gelöst würden, wenn wir das Hindernis überwinden könnten, Ereignisse lediglich in Form von Raum und Zeit zu denken und wenn wir unseren Horizont weiten würden, um die unsichtbare und unerforschte Dimension der Ewigkeit einzubeziehen. Ich nahm mir vor, die Dilemmata von Wissenschaft und Philosophie zu studieren – etwa das Äther-Paradox oder den Widerspruch von freiem Willen und universellem Gebot – um herauszufinden, ob das Material zur Erkenntnis der Ewigkeit nicht unbemerkt direkt vor unseren Augen läge. Bald darauf traf ich Gurdjieff, der mich sehen ließ, dass es nicht genügt, mehr zu wissen und dass es notwendig ist, mehr zu sein, wenn wir den Schleier von Raum und Zeit durchdringen wollen. In den darauffolgenden Jahren lernte ich bei ihm die Elemente einer umfassenden Kosmologie kennen, die versprach, die Welten des Faktischen und der Werte zu versöhnen und die Grundlagen einer neuen Weltanschauung zu legen. Gurdjieffs Kosmologie war, wiewohl großartig in ihrem kühnen Entwurf, weit davon entfernt, die Erkenntnisse der modernen Wissenschaften hinreichend zu würdigen. Viele Jahre kämpfte ich mit dem Problem, diese beiden Dimensionen zu vereinen. 1940 beschloss ich schließlich, einen neuen Anlauf zu nehmen und begann, das vorliegende Buch zu schreiben. Nach und nach sah ich, wie die Fragmente sich zusammenfügten und erkannte, dass die Systematisierung der gesamten menschlichen Erfahrung mehr als eine entfernte Möglichkeit bildete. Die Aufgabe lag völlig jenseits meiner eigenen Kräfte und konnte noch nicht einmal versuchsweise ohne die Zusammenarbeit mit Spezialisten in Angriff genommen werden, die mir bei der Lösung des Problems halfen, das ich für entscheidend hielt – zu zeigen, dass die mathematischen und physikalischen Wissenschaften einen ausgedehnteren dimensionalen Rahmen als den von Raum und Zeit benötigten, selbst in der in den Arbeiten Minkowskis und Einsteins verallgemeinerten Form. Das Vorhaben nahm Fahrt auf und es wurde deutlich, dass die zwei großen Probleme, die Systematisierung aller Gegebenheiten und die Versöhnung aller Werte nur gelöst würden, wenn wir für immer den engen Erdenbezug ablegen könnten, der ein so seltsames Relikt des Mittelalters ist und immer noch alle Diskussionen um die menschliche Bestimmung beherrscht. Der vorliegende Band beschäftigt sich lediglich mit der Welt der Gegebenheiten; er entstand parallel zum zweiten Band, den ich, wie ich hoffe, in ein oder zwei Jahren zur Veröffentlichung vorbereiten werde. Nur zusammen gelesen kann die Bedeutung des Werks für die Frage nach dem Platz des Menschen im Universum sichtbar werden. Zwischenzeitlich möchte ich klarstellen, dass dieses Buch keine Präsentation von Gurdjieffs Kosmologie darstellt. Es ist meine eigene Abhandlung, und vieles in ihr stammt aus Quellen, die mit Gurdjieffs Lehre sind nur wenig im Sinn haben. Sie zielt auf eine Präsentation, die nicht nur Berufsphilosophen zugänglich ist, sondern jedem Leser, der sich nicht scheut, das nicht unerhebliche Risiko des Versuchs auf sich zu nehmen, die Grundlagen zu meistern und sich mit der speziellen Terminologie vertraut zu machen, die zur Vermeidung von irreführenden Assoziationen notwendig ist. Nichtsdestotrotz hätte sie ohne die Stimulation durch Gurdjieffs inspirierte Einsicht in den kosmischen Plan nicht geschrieben werden können und auch nicht

ohne Erdung in seinen Methoden, die ich das Glück hatte, von ihm persönlich und von seinem großen Schüler und Exponenten Ouspensky zu empfangen. Nicht lange vor Gurdjieffs Tod im Oktober 1949 sprach ich mit ihm über diese Arbeit und erzählte von der Richtung, in die ich mich bewegte. Er bewies durch seine Kommentare, dass er ihre Schlussfolgerungen vollständig begriff, leugnete aber jedes persönliche Interesse, indem er sagte: „Das ist Ihre Arbeit, nicht meine – macht nichts, wird gute Werbung sein für Beelzebub“, sich dabei auf sein eigenes Buch beziehend, All und Alles, das 1950 posthum veröffentlicht wurde. Ich akzeptierte seine Einschätzung. Gurdjieffs All und Alles enthält Einsichten, die weit über jene hinausreichen, zu denen ich selber kommen konnte, und jedem Leser, der nicht bloß eine neue Weltsicht, sondern eine neue Lebensweise zu finden hofft, ist geraten, Gurdjieffs Werk zu studieren, wie ich es getan habe. Nach vielleicht dreißig sorgfältigen Lektüren entdecke ich in ihm immer noch neue Bedeutungsebenen und – wie ich mich freue zu sagen - neue Belege, dass die Hauptannahmen meines Werks mit der direkten Intuition eines Genies übereinstimmen, dass ich mich nicht scheue übermenschlich zu nennen. Unter den vielen `Krümeln´ von der Ideentafel Gurdjieffs, die mein Denken bereichert haben, ist die Lehre von der gegenseitigen Erhaltung am wichtigsten, nach der jede erkennbare Entität in jeder Form von Existenz am universellen Austausch von Energie teilhat – im eigenen Dasein erhalten und das Dasein anderer erhaltend. Die Idee der gegenseitigen Erhaltung bildet insofern den Eckstein von Gurdjieffs Lehre, als sie beides erleuchtet, Gegebenheit und Wert, aber sie ist nur eine seiner vielen kühnen und originellen Vorstellungen. Er ließ weder ein geordnetes Denksystem zurück, noch schien er an einer systematischen Darstellung interessiert zu sein – er überließ es seinen Nachfolgern, die Ernte der Ideen einzubringen, die er gesät hatte. Eine Reihe von Büchern ist erschienen, die sich mit dem einen oder anderen Aspekt von Gurdjieffs Lehre und Methoden befassen, und Andere wurden durch seine Ideen inspiriert, ohne ihre Quelle zu erwähnen. Für nichts, was ich geschrieben habe, möchte ich Gurdjieffs Autorität in Anspruch nehmen, auch nicht für die Interpretationen, die auf seinem eigenen geschriebenen Wort beruhen; aber ich habe den Wusch, die Inspiration seiner Lehre zu würdigen und vielleicht noch mehr den Einfluss, den seine Individualität auf mein Leben hatte. Die Form des Buches selber ist integraler Teil der Darlegung, denn ich bleibe dabei, dass die Systematisierung des Materials die Systematisierung der Darstellung erfordert. Die Teilung in zwei Teile entspricht dem Dualismus von Rationalismus und Empirie, den das Buch in der korrelativen Triade von Sein, Funktion und Willen sowie hyponomen6 , autonomen und hypernomen7 Formen des Daseins zu versöhnen sucht. Auf diese Weise fortfahrend sind das Rationale und das Empirische auf jeder Stufe auf`s Neue dazu gezwungen, einander zu bewältigen. Eine solche Methode wäre vor auch nur fünfzig Jahren schwerlich zu bewältigen gewesen, denn unser empirisches Wissen war damals noch ohne Zweifel umfassend genug, um das Gefäß der rationalen Spekulation zu füllen. Nun ist der Spieß umgedreht worden und die waghalsigste Spekulation wird überrollt von der Lawine empirischer Befunde. Das Werk ist notwendigerweise holprig – bei einigen Gegenständen kann ich mich auf die Gewissheit des Spezialisten berufen – aber ich habe mir vorgenommen, die Balance zwischen den Wissenschaftsbereichen ohne Rücksicht auf meine eigenen besonderen Studien zu wahren. Ein solches Werk muss notwendigerweise nur so von Irrtümern, Auslassungen, falscher 6 Zur Unterordnung tendierend. (Anm. d. Übers.) 7 Zur Überordnung tendierend. (Anm. d. Übers.)

Beweisführung und ungenauer Zusammenfassung strotzen. Es war nicht mein Ziel, ein Kompendium der Wissenschaften oder eine systema naturae im Geist des siebzehnten Jahrhunderts zu schaffen. Ich wage mich an die weit riskantere Aufgabe, zu zeigen, dass die Erfahrung selbst es ist, die uns, wenn geduldig befragt, ihre eigene Lektion erteilen und die Frage beantworten wird, ob oder ob nicht der Mensch in seiner Gesamtheit und das Universum in seiner Gesamtheit Manifestationen derselben Gesetze sind und auf denselben Mustern beruhen. Ich wünschte zutiefst, ich könnte eine Sprache benutzen, der jeder ernsthafte Leser sofort in der Lage wäre zu folgen. Unglücklicherweise ist der Gegenstand so gewaltig, dass die Benutzung spezieller Zeichen zur Bestimmung wiederkehrender komplexer Begriffe unvermeidlich war. In den meisten Fällen haben sprachliche Zeichen genügt, aber in den Kapiteln 13-16 wäre die Vermeidung mathematischer Zeichen nur um den Preis erheblich ausgedehnter Erklärungen zu haben gewesen. Das Buch enthält jedenfalls nur wenig Mathematik – viele hundert Seiten mathematischer Analyse wurden ausgelassen oder in den drei Anhängen verdichtet – und ich habe nur selten versucht, auch nur eine Auswahl der Beweise aufzustellen und zu präsentieren, die manche der vorgebrachten Behauptungen unterstützen. In Konsequenz dieser Beschränkungen praktischer Natur erscheinen viele Passagen als unbegründete Spekulation oder schlimmer noch als unausgewogene Auswahl anschaulichen Materials. Ich kann nur hoffen, dass jene, die realisieren, dass wir um jeden Preis eine Möglichkeit finden müssen, all das, was die Naturwissenschaften in den letzten Jahrhunderten entdeckt haben, in eine kohärente Ganzheit zu bringen, eher bereit sind, der Methode eine Chance zu geben; und dass sie, falls kundig im einen oder anderen der behandelten Gegenstände, eher bereit sind, die Lücken zu füllen und die Fehler zu korrigieren, als das ganze Unternehmen zu verdammen. Ich habe bereits meine elementare und vorrangige Verpflichtung Gurdjieff gegenüber erwähnt. Ich möchte meine dankbare Wertschätzung auch jenen gegenüber zum Ausdruck bringen, die mich bei dem Vorhaben unterstützten. Der erste ist Mr. (nun Professor) M.W. Thring der hunderte von Stunden mit der Suche nach einer Möglichkeit verbrachte, meine Auffassungen von Zeit und Ewigkeit in mathematischen Begriffen zu interpretieren. Ohne seine brillante Arbeit hätten die zentralen Kapitel dieses Buches nicht geschrieben werden können. Nach ihm wurde die Aufgabe von Mr. R.I. Brown übernommen, mit dem ich die sechsdimensionale Geometrie in Kapitel 15 ausgearbeitet habe und für mich selbst die überaus wichtige, bis dahin nie vorgenommene Unterscheidung der drei inneren Dimensionen von Zeit, Ewigkeit und Hyparxis klärte. Der letztere Begriff wurde eingeführt, um den zeit-ähnlichen bestimmenden Zustand zu bezeichnen, durch den Kopplung, Interaktion und die Entstehung von Bewusstsein möglich werden. In Kapitel 4 über die Sprache wurde mir sehr durch den Rat und die Kritik von Boys geholfen, in den Kapiteln zur Biologie von Dr. Isobel Turnadge. Dr. Maurice Vernet half mir sowohl durch seine Bücher als auch durch viele fruchtbare Diskussionen und es hat mich sehr ermutigt zu sehen, dass wir von verschiedenen Ausgangspunkten zu ähnlichen Schlussfolgerungen bezüglich der Natur und Rolle des Lebens gelangten. Mr. Anthony Pierie hat das gesamte Werk korrekturgelesen. Meine Schüler im Institut für Vergleichende Studien in Geschichte, Philosophie und den Wissenschaften dienten mir durch ihre Reaktionen während der Lektüre in Studiengruppen und Sommerkursen als Prüfstein. Im Verlauf der fünfzehn Jahre, seit ich mit dem Schreiben des Buches begonnen habe, wurde es mindestens ein Dutzend Mal geändert und vollständig neu geschrieben. Die beschwerliche Aufgabe, mein gesprochenes und geschriebenes Wort zu deuten, fiel in den

ersten neun Jahres Miss Cathleen Murphy zu und in den letzten fünf Jahren Mrs. Joan Cox. Mrs. E. Sawrey Cookson hat zwei Jahre an der Verbesserung der Darstellung gearbeitet. Diesen drei Damen und vielen anderen, die mir geholfen haben, bin ich auf eine Weise verpflichtet, die nur schwer wieder gutzumachen ist. Meine Verleger und insbesondere Mr. Paul Hodder-Williams stimulierten und ermutigten mich in diesem Vorhaben; es ist etwa zehn Jahre her, seit wir beschlossen, dass das Buch veröffentlicht werden sollte. Auch als Jahr um Jahr verstrich und die Arbeit unvollendet blieb, ist ihr geduldiges Vertrauen, dass die Aufgabe bewältigt werden sollte und würde, nie ins Schwanken geraten. Ich bin ihnen wirklich dankbar. Trotz all der Hilfe, die mir zu Teil wurde, ist mir sehr bewusst, wie sehr das Buch unter dem Anspruch eines Hartmann oder Lotze bleibt. Die einzige Rechtfertigung für seine Veröffentlichung liegt in der Überzeugung, dass das Vorhaben einer Systematisierung allen menschlichen Wissens nicht länger aufgeschoben werden kann und iim Wissen, dass jene, die als Spezialisten (inklusive der Berufsphilosophen) besser dazu geeignet wären, sich scheuen würden, einen so riskanten Pfad zu beschreiten. Die verbleibenden und zu bewältigenden Aufgaben sind zweifacher Natur. Wir müssen zunächst nach einem schlüssigen und adäquaten System von Werten suchen, die uns helfen zu verstehen, warum wir als Menschen existieren und wie wir leben müssen, um unserer Existenz gerecht zu werden. Die moderne Welt lehnt es hartnäckig und berechtigterweise ab, die Gewänder alter Systeme und Theologien zu tragen, die weder stichhaltig in ihrer Kosmologie sind, noch der Erfahrung entsprechen. Fortan werden wir weder akzeptieren, was wir fühlen, aber nicht verstehen, noch einen `kategorischen Imperativ´ befolgen, dem es nicht gelingt, die Billigung durch unsere Empfindungen zu erreichen. Die menschliche Spezies – die als individualisiertes Sein zu betrachten ist – bewegt sich von der Kindheit zur Pubertät. Wir können uns nicht länger mit den naiven Glaubenssätzen und Spekulationen zufriedengeben, die unser Verhalten in den Tagen der Kindheit prägten. So wie unser Erfahrungsschatz zunimmt, muss er mehr und mehr seinen Platz als Hauptquelle unserer Urteile einnehmen – aber durch subjektive Erfahrung entdeckte Werte können nur zufriedenstellen, wenn ausreichend bewiesen ist, dass sie auch auf der kosmischen Skala gültig und bedeutsam sind. Wir sollten vor allem jedem System misstrauen, das nur auf das menschliche Leben auf der Erde anwendbar ist oder auf irgendein phantasievolles Bild von ähnlichem Leben auf anderen Welten, hier oder `jenseits´. Im vorliegenden Band habe ich die Gleichwertigkeit von Gegebenheiten jeden Maßstabs und auf allen Ebenen betont. Das, was man `kosmische Intuition´ nennen könnte, zwingt uns, dieselbe Gleichwertigkeit für jedes akzeptable System von Werten zu fordern. Dies erfordert unter anderem eine umfassende Versöhnung von Wert und Gegebenheit, die nur in einem dritten Prinzip gefunden werden kann, das in der Lage ist, jede mögliche Erfahrung zu harmonisieren und jeder möglichen Existenz Bedeutung zu verleihen. Das Bestreben, die Natur dieses universal versöhnenden Prinzips zu formulieren bildet die zweite Aufgabe, die zu bewältigen ist. Es trifft sich gerade – und dies mag auch als Beweis dienen, dass unsere Bestimmung durch eine höhere Macht geleitet oder zumindest beeinflusst wird, - dass unser Wissen vom Universum - das Wissen um die menschliche Natur und die Geschichte inbegriffen - immens gewachsen ist. Es gibt jeden Grund zu der Annahme, dass dieser Fortschritt sich fortsetzen und der Menschheit größere Handlungsmacht geben wird als jemals zuvor. Die zerstörerischen und selbstzerstörerischen Handlungen der menschlichen Rasse haben eine erschreckende Eigenbewegung entwickelt. Obwohl es Anzeichen von Gegenbewegung gibt, ist die Menschheit weit davon entfernt, zu begreifen, in welchem Ausmaß Werte neu

bewertet werden müssen, wenn wir überleben wollen. Glücklicherweise gibt es Gründe zur Hoffnung, dass das Wachstum des Wissens den Weg für ein besseres Verständnis der wahren Bedeutung des Lebens auf der Erde und in der universalen Ordnung bereitet. Indem wir uns zunehmend der Gesetze bewusst werden, welche die universalen Transformationen von Energie regieren, werden wir auch unsere Haltung unseren Wertesystemen gegenüber ändern. Ein wichtiges Element dieser Neubewertung muss in der Überwindung menschlicher Ästhetik und erdgebundener Theologien liegen. Alles, was existiert, Groß und Klein, ist von der Suche nach Werten betroffen, und wir Menschen müssen die Tatsache akzeptieren, dass unser kleines Klassenzimmer, die Erde, nicht das Zentrum des Universums ist. Wir können jedenfalls nicht zufrieden sein mit der bloßen Negation des Geozentrismus. Wenn unsere Werte sowohl universal als auch positiv sein sollen, müssen wir einen Schlüssel finden, um sowohl das `Warum` als auch das `Was` des kosmischen Prozesses zu verstehen. Das Postulat von der Gleichartigkeit von Gegebenheit und Wert wird sich als Instrument unbegrenzter Macht erweisen und kann uns, wenn auf die Erhellung der Doktrin des Gegenseitigen Erhaltens angewendet, eine schlüssige Antwort auf die fundamentalen Fragen unserer Existenz geben. Ich kann hier nicht mehr hoffen, als darauf, das wenige, was ich von Anderen gelernt habe, auszudrücken und mich selber im kosmischen Plan zu verstehen. J.G. Bennett Coombe Springs, Juni 1956

Inhalt Vorwort Einführung

ERSTES BUCH: DIE GRUNDLAGEN TEIL EINS: METAPHYSIK Kapitel 1: Ausgangspunkte 1.1.1. Erste und letzte Fragen Nachdem die rationale Suche nach finalen Erklärungsprinzipien gescheitert ist, müssen wir uns einem kompromisslosen Relativismus zuwenden. Unsere Grundsätze müssen empirisch und empfänglich für Ausarbeitung und Verfeinerung sein.

1.1.2. Das Drama der Ungewissheit Ungewissheit und Risiko unbezweifelbar Elemente all unserer menschlichen Erfahrung – wir sollten deshalb die Annahme prüfen, dass alles Existierende dem Risiko unterliegt – das würde bedeuten, dass das Universum dramatisch ist.

1.1.3. Die Grenzen menschlicher Wahrnehmung Wir müssen die Grenzen der Sinneswahrnehmung und der intellektuellen Fähigkeiten des Menschen akzeptieren und anerkennen – die kurze Dauer des menschlichen Lebens und die Mangelhaftigkeit der Aufzeichnungen haben den Verlust des größten Teils der in einer Epoche erworbenen Erfahrung zur Folge.

1.1.4. Formen des Denkens

Drei Arten des Denkens, (a) assoziativ, (b) logisch inklusive der Dialektik und (c) supralogisch – ungeachtet seiner extremen Seltenheit ist supra-logisches Denken für alle wichtigen Fortschritte in Wissenschaften und Künsten verantwortlich.

1.1.5. Die Bedeutung der Zahl

Die Wichtigkeit multiperspektivischer Systeme in jeder Erfahrung gibt der Zahl eine Bedeutung jenseits der Arithmetik – Zahlen sowohl qualitativ als auch quantitativ.

1.1.6. Konkrete Formen und Magie Die konkrete Bedeutung der Zahl entsteht direkt in der Erfahrung – der alte Glaube, dass die Einsicht in Zahlen magische Kräfte verleiht heute in Verruf geraten – der Glaube an Magie herrscht immer noch in verschleierten Formen, nicht weniger naiv als die früheren – die wahre Bedeutung konkreter Formen.

1.1.7. Der schrittweise Zugang Wir werden einer Methode allmählicher Annäherung folgen – weder induktiv noch deduktiv – Versöhnung von Empirismus und Rationalismus.

Kapitel 2. Die Entwicklung der Kategorien 1.2.1. Kategorien und Prinzipien Der Unterschied zwischen konkreten und abstrakten Aussagen – Abstraktion ist unvermeidbar, aber Ziel ist es, größtmögliche Konkretheit zu erreichen – Kategorien sind konkrete Formen, die in der Erfahrung erkannt werden – ursächliche Aussagen über Kategorien sind Prinzipien – Erklärung der Natur unserer Kategorien – Unterschiede zu denen von Aristoteles, Kant, Whitehead.

1.2.2. Die numerische Serie der Kategorien

Kategorien bilden eine geordnete Abfolge – jede ist mit einer Zahl verbunden, die die Anzahl von Termen definiert, die für ihre Verwirklichung notwendig sind – Festsetzung der ersten zwölf Kategorien – Unterschied zu Hegels Entwicklung der Vorstellung.

1.2.3. Ganzheit Ganzheit ist allgegenwärtig, aber relativ – die Relativität von Ganzheit impliziert verschiedene Grade an Zusammengehörigkeit – Ganzheit als Eigenschaft man selbst zu sein.

1.2.4. Polarität Polarität als Dyade von Verbindung und Trennung – jedes Paar bildet eine Triade, aber die meisten Triaden sind banal – Polarität lässt Kraft entstehen.

1.2.5. Verbundenheit Alle Beziehungen sind reduzierbar auf drei unabhängige Terme – bejahende, verneinende und versöhnende Elemente – komplexe vielgestaltige Beziehungen sind immer auf die drei Elemente reduzierbar.

1.2.6. Dasein Dasein als einfache Identität – entsteht durch existenzielle Begrenzung innerhalb einer Struktur.

1.2.7. Möglichkeit Möglichkeit als komplexe Identität – entsteht durch Überlagerung von Triaden – erfordert nicht weniger als fünf Terme – Möglichkeit verbunden mit Sensitivität und daher mit dem Leben.

1.2.8. Wiederholung Wiederholung als Kombination von Unterschied, Identität und Bezogen Sein – erfordert zumindest sechs Terme - Wiederholen ist Rhythmik – auch die Bedingung für Wissen.

1.2.9. Struktur Struktur als organisierte Ganzheit – erlaubt Selbstregulation – erfordert sieben Terme – die Suche nach der universalen Form aller Formen – illustriert durch das Wachstum einer Eichel zum Baum.

1.2.10.Individualität Die Fähigkeit ein freies Agens zu sein – Selbstheiten – Macht der Wahl – organisierten Strukturen wohnt Initiative inne – erfordert acht Terme.

1.2.11.Muster Passives Muster als Ergebnis eines geordneten Prozesses – aktives Muster als Quelle der Ordnung – Muster ist universal – erfordert neun Terme.

1.2.12.Kreativität Die Macht, Muster hervorzurufen – der Charakter von Kreativität ist polar – 10 Terme erforderlich.

1.2.13 Herrschaft Die Macht Ordnung und Unordnung zu versöhnen – Herrschaft partizipiert nicht – Verbundenheit universaler Formen – Herrschaft, Bedürfnis und Notwendigkeit – Voraussetzung für Kreativität – erfordert elf Terme.

1.2.14 Selbstbeherrschung Gebündelte Macht – Selbstbeherrschung ist `sich selbst Gesetz´ - letzte Kategorie der natürlichen Ordnung – aber nur Vorbote der Kategorien der Werte – Quelle der methodologischen Regel der universellen Ähnlichkeit.

Kapitel 3. Elemente der Erfahrung 1.3.1. Hylē Erfahrung als gegebene Totalität - `Realität´ bleibt undefiniert - Erfahrung ist notwendigerweise unvollständig und inkonsistent - Spezialisierung muss, wenn auch in den Naturwissenschaften erlaubt in der Philosophie aufgegeben werden – die Verbreitung dualistischer Theorien aufgrund der Beschränktheit des menschlichen Denkens – Verstehen ist nur möglich, wenn alle Erfahrung aus einem Stoff besteht – Einführung des Begriffs Hylē, um das materielle Substrat der Existenz zu bezeichnen.

1.3.2. Die Triade der Erfahrung Erfahrung nicht gleichgestaltig – Funktion, Sein und Wille als essentiell unterschiedliche Elemente – alle drei sind grundlegend – Ouspenskys Analogie von Sein und Funktion.

1.3.3. Prozess und Funktion

Prozess ist der erkennbare Aspekt der Erfahrung – Wissen ist auf Funktion begrenzt – Funktionen sind das Verhalten von Ganzheiten – Funktionen sind die Verwirklichung von Realität – jede Beschreibung ist notwendigerweise funktional.

1.3.4. Sein als Zusammenhang Sein ist das unerkennbare Element der Erfahrung – bestimmte Zustände der Erfahrung – nicht verwirklicht – Hegel und Schopenhauer.

1.3.5. Willen als aktives Element Fragen nach dem `wie´ und `warum´ nur in Begriffen des Willens beantwortbar – Wille bestimmt die Werte, aber es spielen auch Gesetze ihre Rolle – Wille kann nicht erkannt aber durch Verstehen erfahren werden – Schopenhauer, Hartmann und Wittgenstein – kosmische Bedeutung des Willens muss über Gesetze studiert werden.

1.3.6. Die Aspekte der Triade der Erfahrung Funktion, Sein und Willen: Grundlegende Triade der Erfahrung in drei Aspekten – kosmisch, subjektiv, objektiv – der universale Prozess – (a) der kosmische Aspekt der Funktion – Wissen als subjektiver, Verhalten als objektiver Aspekt – (b) Bewusstsein der subjektive Aspekt des Seins - Stofflichkeit ist objektiv – das Sein selbst ist kosmisch – daher ist Bewusstsein universell, aber nicht im Sinne von Panpsychismus – (c) Autoritismus 8 der kosmische Aspekt des Willens – objektiver Aspekt als Gesetz, subjektiver Aspekt als Verstehen – drittrangige und ferner abgeleitete Kombinationen der ursprünglichen Triade bilden die Vielfalt der Erfahrung.

1.3.7. Die primären und sekundären Formen der Triade Jeder Aspekt ist eine Triade – Vergleich mit Spinozas Ethik – die Vielfalt von Erfahrungsinhalt.

TEIL ZWEI: EPISTEMOLOGIE Kapitel 4. Sprache 2.4.1. Kommunikation Die Isolation von Bewusstseinszentren ist für den Menschen normal aber nicht unbedingt universell – Kommunikation ein charakteristisch menschliches Problem – abhängig von Funktion – Abstufungen der Sprache – Zeichen – Symbol – Geste – das linguistische Element.

2.4.2. Bedeutung Sprache: die Kommunikation von Bedeutungen – Bedeutung: Erkennen eines wiederkehrenden Elements in der von Kategorien abgeleiteten Erfahrung – Inhalt und Kontext – Stabilität des Kontextes Voraussetzung für Kommunikation – Konzeptionelle Zeichen und ausdrückende Zeichen – sieben Qualitäten der Sprache – Odgen und Richards.

2.4.3. Fiktionale und authentische Sprachen Defekte in der Sprache – universale Bedeutungen – Sprache ist abhängig von Referenz – vier Arten authentischer Sprache – gemischte Sprache – die Zeichensprache der Philosophie – symbolische Sprache bezieht sich auf das Sein – gestische Sprache ist Kommunikation des Willens.

2.4.4. Unechte Sprache Untersuchung der Defekte der unechten Sprache – beseitigt durch Tonfall und Gesten – abhängig von persönlicher Beziehung.

2.4.5. Authentische aber gemischte Sprache

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Im Original ein Neologismus: authorizmos (Anm. d. Übers.)

Gemischte Sprache leistet gute Dienste, aber ihr Spielraum ist beschränkt – authentische Sprache unabhängig vom Gegenstand-Stoff – erfordert stabilen Kontext – Methoden technischer Referenz und logischer Abstraktion.

2.4.6. Zeichen-Sprache Die Sprache philosophischer Zeichen erfordert einen Kontext gemeinsamer Erfahrung – Bedeutung von Zeichen – Kategorien als grundlegende linguistische Elemente – Klarstellung von Zeichen erfordert reflexive Aufmerksamkeit – philosophische Zeichen formen Gruppen, die so zahlreich sind wie es eindeutige stabile Kontexte gibt – jede Disziplin stattet ihren eigenen Kontext aus –`ein Zeichen-eine Bedeutung´.

2.4.7. Symbolische Sprache Zeichen sind für den Ausdruck der Relativität von Ganzheit ungeeignet – Sprache des Seins erfordert Symbolismus – Intuitionen von Bedeutung ohne Abstraktion – Intuitionen sind das Rohmaterial für die Konstruktion von Seins-Sprache – Zeichen sind Instrumente des Wissens, während Symbole Bewusstseinszustände erzeugen, die befreit von Funktion sind – Symbole sind synthetisch. 2.4.8.

Gestische Sprache Die Geste als Sprache des Willens – gemeinsame Aktion kein Beweis gemeinsamen Verstehens – Unterscheidung linguistischer Elemente – Einmaligkeit von Gesten – Mischung von Sprache, Kunst und Magie – historische Gesten.

Kapitel 5. Wissen 2.5.1. Die Bedeutung des Wissens Wissen als Verbindung von Gleichheit und Verschiedenheit – Subjektivität des Wissens hindert es, seinen eigenen Inhalt zu überprüfen – die Fehler des Objektivismus – des Subjektivismus -`gewusst wie ´ - operationale Wissenstheorie – Pseudowissen und Information – Wissen muss beides umfassen, `gewusst was´ und `gewusst wie´.

2.5.2. Wissen als Ordnung in Funktion Übereinstimmungen – Descartes, Hegel, Dewey, Russell – nicht-menschliches Wissen – Tiere und Maschinen – Wissenserwerb und ordnender Prozess – Wissen als Ordnung in Funktion – Beziehung des Einen zum Vielen.

2.5.3. Ununterschiedenes Wissen Abstufungen des Wissens – Beispiele ununterschiedenen Wissens, das dem Instinkt ähnelt – Lloyd Morgan und Norbert Wiener – Kybernetik – Wissenspräsenz in anorganischen Ganzheiten wie Kristallen.

2.5.4. Polares oder unterschiedenes Wissen Selektive Anpassung als verschieden von passiver Anpassung – tierisches Wissen ist polar – das Komische und das Tragische – polarem Wissen mangelt es an objektivem Bezug.

2.5.5. Relationales Wissen Relationales Wissen ist der Vorbote des Verstehens – überwindet die Grenze zwischen subjektiver und objektiver Erfahrung – mitteilbar – Schwebe des Urteils – Auflösung der Widersprüche.

2.5.6. Subjektives und objektives Wissen Reaktion, Unterscheidung und Beziehung als drei Formen subjektiven Wissens – Bedarf nach einer systematischen Epistemologie – neunundvierzig verschiedene Formen des Wissens – die Abfolge objektiven Wissens.

2.5.7. Auskömmliches Wissen oder Wertewissen Konkretes Wissen als dem abstrakten Wissen entgegengesetzt – Erkennen der Existenz beinhaltet Selbstbewusstsein – als Bedingung für Wertewissen.

2.5.8. Mögliches oder gültiges Wissen Das Wissen um Potentiale ist für die Sinneserfahrung allein unzugänglich – ohne dieses Wissen ist effektive Aktion unmöglich – trotzdem ist gültiges Wissen bei Individuen selten, aber erkennbar in biologischen Spezies.

2.5.9. Zyklisches oder Transzendentales Wissen Das Wissen um Zyklen ist in der gewöhnlichen Erfahrung nicht gegeben – in diesem Sinne transzendental – erfordert direkte Teilhabe – stammt von gemeinsamem Muster ab.

2.5.10 Strukturelles oder wahres Wissen Objektives Wissen der Struktur ist direkt selbstbestätigend – wahres Wissen ist weder absolut noch final aber vollständig in sich selbst.

2.5.11 Offenbartes Wissen Offenbartes Wissen nicht beschränkt auf religiöse Erfahrung – zugänglich nur für bewusste Individualität – kommt in wissenschaftlichen Entdeckungen vor.

TEIL DREI: METHODOLOGIE Kapitel 6. Die Methode der Naturphilosophie 3.6.1. Die Methode der fortschreitenden Annäherung Theorien und Naturgesetze – Wissenschaft und Technologie – die Methode der Spezialisation – wissenschaftliche Kosmologie – Spezialisierung für die Kosmologie nutzlos – die Methode fortschreitender Annäherung ist nicht heuristisch – die Aufklärung von Bedeutungen.

3.6.2. Die Abgrenzung von Bedeutung Das Faktische als Erfahrung funktionaler Ordnung – atomare Faktoren – Faktum ist nicht notwendigerweise wirklich – noch direkt in der Sinneserfahrung gegeben – trotzdem sind alle Faktoren derselben Art – Faktoren sind relativ bezüglich vergangener Erfahrung . Faktoren haben keinen Wertegehalt – Werte können nicht gewusst werden – die Bedeutung von `sollte´ - Faktum und Wert sind in der Erfahrung untrennbar, können aber zu Studienzwecken getrennt werden – Faktoren tragen keine Bedeutung – Bedeutung sowohl von Faktum als auch Wert verschieden – Bedeutung als Eigenschaft des Willens.

3.6.3. Phänomene als elementare Daten Das Phänomen stellt eine Erfahrung der funktionalen Perspektive dar – Faktum ergibt sich aus der Reduktion von Phänomenen auf Wissen – der Gehalt des Wissens ist geringer als der Gehalt der Phänomene – Phänomene beziehen sich auf die normale Erfahrung des Menschen.

3.6.4. Der Platz der Werte in der Naturphilosophie Naturwissenschaft befasst sich mit Faktoren – versucht, die Unterschiede des Bewusstseins zu eliminieren – die Methode statistischer Reduktion – Werteurteile sind unvermeidlich, müssen aber erkannt und zugelassen werden.

3.6.5. Die Homogenität des Faktums als grundsätzliches Postulat Postulat der Homogenität des Faktums – die Wissenschaft verbessert ständig die Mittel, um Phänomene auf Faktoren zu reduzieren – die Rolle der Hypothese – die vorläufige Natur wissenschaftlicher Verallgemeinerung.

3.6.6. Das Postulat universeller Ähnlichkeit Alles Wissen setzt Entsprechung voraus – ohne universelle Ähnlichkeit gäbe es keinen Übergang von atomischen zu totalen Faktoren – Beobachtung und Beobachter – Intuition universeller Ähnlichkeit kennzeichnet das wissenschaftliche Genie.

3.6.7. Das Postulat der existenzialen Schichtung Ebenen der Existenz – die universelle Skala des Seins – die Beziehung zwischen den Schichten – gegenseitige statistische Unzugänglichkeit – Ebenen der Organisation.

3.6.8. Das Postulat der Komplementarität Die dynamischen und statischen Aspekte der Existenz – gerade und ungerade Kategorien – Konzentration und Expansion – die Vielfalt der Prozesse – Fantappies entropische und syntropische

Tendenzen – das Sichtbare und das Unsichtbare – Zyklizität – Konzentration und Expansion werden durch Zyklizität versöhnt.

3.6.9. Das Postulat der universellen Gültigkeit von Rahmengesetzen Die Suche nach universellen Gesetzen – anwendbar nur auf die Unterscheidung von möglichen und unmöglichen Situationen – Rahmen als die Form des Phänomens – determinierende Bedingungen – Ewigkeit, Zeit, Hyparxis und Raum – Rahmenbegriff illustriert durch das Schachspiel – Mechanismus, Rahmen und Schichtung.

Kapitel 7. Möglichkeit und Unmöglichkeit 3.7.1. Die Bedeutung von `Unmöglichkeit´ Logische und physikalische Unmöglichkeit – Unmöglichkeit und Unwahrscheinlichkeit – Unterschied von Möglichkeit und Potential.

3.7.2. Situationen, Gelegenheiten und Aktualisierungen Situation als abstraktes Faktum – Gelegenheit als mögliche Situation – Aktualisierung als phänomenologisch festgelegte Gelegenheit – Regelmäßigkeiten der Funktion unterschieden von Bedingungen der Erscheinung – von der Grass fressenden Kuh – die Existenz des runden Vierecks – die entscheidenden Bedingungen, die im Übergang von Phänomen zu Faktum entdeckt werden – Natur als Totalität der Phänomene – Rahmen als Gesetzmäßigkeit der Natur – logische Konsistenz ist unanwendbar auf Faktoren – Unterscheidung von Regeln und Gesetzen.

3.7.3. Die Suche nach universellen Gesetzen Behauptungen über Unmöglichkeit setzten universelle Gesetze voraus – Klassifikation von Phänomenen – Kant, Husserl – Abfolge als ein Beispiel für Struktur.

3.7.4. Universelle Gesetze beherrschen die Möglichkeit Formulierung von Rahmengesetzen als erste Aufgabe der Naturphilosophie – ihr Status – Beispiel aus der Wahrscheinlichkeitstheorie.

3.7.5. Rahmen als Bedingung für Möglichkeit Rahmen als die Gesamtheit von universellen Bedingungen, die bestimmen, ob eine Situation möglich oder unmöglich ist - die Rahmengesetze sind relativ zur Form des Bewusstseins – stammen vom Willen.

3.7.6. Die vier bestimmenden Bedingungen des Rahmens Die vier bestimmenden Bedingungen – bezogen auf Existenz und Verhalten – Hyparxis und die Gesetze des Willens – Klassifikation und Logik – die Eindeutigkeit von Rahmengesetzen ist nur auf der Ebene unbewusster Stofflichkeit vollständig gegeben – Bedingungen werden weder gewusst noch erfahren – Rahmen als Unwillkürlichkeit des phänomenalen Universums – Rahmenregeln – innere und äußere determinierende Bedingungen.

Kapitel 8. Die Rahmengesetze 3.8.1. Rahmen als Selbstbeschränkung des Willens Die determinierenden Bedingungen sind nur im Studium der Phänomene relativ zu einem gegebenen Bewusstseinszustand zu finden.

3.8.2. Zeit als Zustand der Aktualisierung Aktualisierung als Festlegung durch Auswahl – Aktualisierung ist fortschreitend, bewahrend und unumkehrbar – Charakteristik der Zeit.

3.8.3. Ewigkeit als Zustand der Potenzialität Tatsächliche und potentielle Existenz sind nicht konvertierbar – Ewigkeit als Vorratslager von Potentialitäten – illustriert durch die Existenz eines Baums – Ewigkeit ist mehrdeutig, synchron, umkehrbar und unzerstörbar – die Umkehr der Gesetze der Thermodynamik – Definition des Vorteils als negative Entropie – Definition der Apokrise als Intervall in der Ewigkeit – illustriert durch die Analogie der Papierblätter - drei Typen des Bewusstseins – Charakteristik der Ewigkeit.

3.8.4. Raum als Zustand der Gegenwart Definition von Gegenwart – Platon, Poincarè, Whitehead, Alexander, Wittgenstein – Ausdehnung und Position leiten sich von Gegenwart ab – ungetrübte Gegenwart – Intervall – Konfiguration – Oberfläche – Punkt.

3.8.5. Hyparxis als Zustand der periodischen Wiederkehr Hyparxis als versöhnender Zustand – Hyparxis und Wille – Hyparxis und Bedeutung – Hyparxis und Wiederkehr – die natürlichen Zahlen – Zyklizität von Hyparxis – Fähigkeit-zu-sein – der hyparxische Intervall.

3.8.6. Die universellen Gesetze der Phänomene Klassifikation der Strukturgesetze – Statistik – Bewahrung – Unumkehrbarkeit – Koexistenz – Klassifikation – Entsprechung – die universelle Anwendbarkeit von Strukturgesetzen.

TEIL VIER: SYSTEMATIX Kapitel 9. Existentiale Hypothesen 4.9.1. Das Feld wissenschaftlicher Erkundung Die Aufgabe der Naturphilosophie – beschreibbare Gruppen von Phänomenen – Phänomene relativ zum Bewusstsein – Wissen um Faktoren niemals mehr als annähernd – offenbartes Wissen und Faktenwissen nie auf einen irgendeinen gemeinsamen Nenner reduzierbar – MacTaggarts Unterscheidung von intensiven und extensiven Faktoren.

4.9.2. Die Relativität von Existenz Seinsebenen kommen bei Mechanisten und Vitalisten vor – Aristoteles, J.S. Haldane, J. Huxley, J.B.S. Haldane, J. Needham, J.H. Woodger – die Morphologie von G. St. Hilaire – S. Alexanders Existenzebenen – die Beziehung von Mehr und Weniger – Zusammengehörigkeit als einzelwertige intensive Größe.

4.9.3. Die Skala des Seins Die transzendentalen Morphologisten – Buffon und Goethe – Aristoteles und Cuvier – Existenz und Ganzheit – die Skala des Seins muss eindimensional sein.

4.9.4. Potenz als Kriterium der Ebene Unabhängigkeit von der Umgebung – Inwiefern ist eine Entität identisch mit sich selbst? – Individuation – der dreifältige Charakter der Existenz, hypernom, autonom und hyponom – Potenz als maximales Ausmaß der Individuation für die Mitglieder einer Klasse – Erfahrung wird durch eine Beziehung zur Potenz geschichtet – Verhaltensmuster und die Bildung von Hypothesen.

4.9.5. Funktionierende Hypothesen Unterscheidung zwischen Hypothesen, philosophischen Systemen und zusammenfassenden Behauptungen – Phänomenologie von Husserl – Beispiele: Kepler und Kopernikus – Faraday und Clerk Maxwell – Bell und Green – Balmer und Bohr – Mendel und Weismann – van Beneden und Platner – jede funktionierende Hypothese ist sowohl auf die Existenz als auch mechanistisch bezogen.

4.9.6. Hypothesen und determinierende Bedingungen Margenaus Erfordernisse einer wissenschaftlichen Hypothese – Karl Pearsons `Konstrukt´ - das Muster des Potentials – Henri Poincarè – Hypothesenbildung und Willen.

4.9.7. Die existentialen Hypothesen Systematische Klassifikation der Wissenschaften – existentiale Hypothesen sind die machtvollsten Instrumente wissenschaftlicher Untersuchung.

4.9.8. Die grundlegenden Hypothesen Drei grundlegende Verfahren – zwölf Ebenen des Potentials – hyponomische Dominanz oder physische Existenz – hypernomische Dominanz oder universelle Existenz – Übergangshypothesen.

Kapitel 10. Die Klassifikation der Wissenschaften A. Unbelebte Existenz – Hyponomische Entitäten 4.10.1.Der Charakter Hyponomischer Existenz Die physikalische Welt passiv in all ihren Aktualisierungen – ein passives Element ist auch in Entitäten höherer Potenz gegenwärtig – Hylē im unbestimmten Grundzustand – Bestimmtheit der Dinglichkeit.

4.10.2.Die Hypothese Existentialer Indifferenz Unipotente Entitäten – Strukturgesetze sind unabhängig von der existenzialen Natur – verallgemeinerte Geometrie, Dynamik, Statistik, Semantik, Logik – gemeinsamer Charakter der Strukturwissenschaften – Wissen um Strukturgesetze älter als die Geschichte – einfach und primitiv.

4.10.3.Die Hypothese des Unveränderlichen Seins Entitäten sind ohne gemeinsame Aktivität und selbstidentisch – Bipotenz – polare Existenz und Kräfte – Feldtheorien.

4.10.4.Die Hypothese der Identischen Wiederkehr Das perpetuum mobile – tripotente Entitäten können nicht beobachtet werden, aber Annäherungen sind in der Natur zu finden – elektromagnetische Strahlung – statistische Mechanik und Quantentheorie.

4.10.5.Die Hypothese der Zusammengesetzten Ganzheit Veränderung und Dauer – zusammengesetzte Ganzheit abhängig vom Vorrat an Potentialitäten – Quadropotenz – der Überfluss an Mitteln zur Erreichung von Zielen – Dingheit.

4.10.6.Die Übergangshypothese der Aktiven Oberfläche Die Bedeutung der begrenzten Oberfläche – Austausch an Hylē – Oswalds Welt der unbeachteten Größen – der colloide Zustand – potentielle Energiegradienten.

4.10.7.Die Verzweigungen der Existenz Die Richtung funktionaler Ausdehnung – von Seins-Intensität.

Kapitel 11. Die Klassifikation der Wissenschaften B. Belebte Existenz – autonome Entitäten 4.11.1.Der Charakter Autonomischer Existenz Leben ist die Versöhnung vom Bejahung und Verneinung – Leben und Tod – Fähigkeit, die Umwelt zu nutzen – Selbsterhaltung.

4.11.2.Die Hypothese der Selbsterneuernden Ganzheit Organisierte Potenz – Selbsterneuerung und Quintpotenz – nichtreproduktive Selbsterneuerung.

4.11.3. Die Hypothese Reproduktiver Ganzheit Sextpotenz – Reproduktion – Wachstum und Regeneration – Zellen – die Stabilität von Zellmustern – die Zelle als Atom des Lebens.

4.11.4.Die Hypothese der Selbstregulierenden Ganzheit Erhaltung und Regulation funktionaler Balance – der septempotente Organismus – Individuation beginnt mit Selbstregulation – sexuelle Reproduktion – die siebenfältige Struktur des Organismus.

4.11.5.Die Hypothese der Selbstausrichtenden Ganzheit Die Macht der Wahl – bewusste Selbstausrichtung – Oktopotenz und Individualität – die Rolle der bewussten Versöhnung.

4.11.6.Die Übergangshypothese der Biosphärischen Ganzheit

H.R. Mill, Süss, Vernadsky – die Biosphäre – das gesamte organische Leben als Ganzheit – Biosphären wahrscheinlich nicht auf die Erde beschränkt – biologische Ordnungen und die biosphärische Zeitskala – die achtfältige Struktur der Biosphäre.

Kapitel 12. Die Klassifikation der Wissenschaften C. Suprabelebte Existenz – Hypernomische Entitäten 4.12.1. Der Charakter Hypernomischer Existenz Existenz jenseits des Lebens – die kosmische Bejahung – Hardings Hierarchie von Himmel und Erde – hypernomische Existenz verbunden mit supra-individuellem Bewusstsein.

4.12.2.Die Hypothese der Subkreativen Ganzheit `Mutter Erde´ - Novempotenz und Muster – Leben und Sterben als Begrenzung der Existenz.

4.12.3.Die Hypothese der Kreativen Ganzheit Die Sterne als Atome des Universums – Kreativität und Dezempotenz – die Unabhängigkeit der Sterne.

4.12.4.Die Hypothese Suprakreativer Ganzheit Die Galaxien – Undezempotenz und Herrschaft – Bezogenheit und Transzendenz.

4.12.5.Die Hypothese Autokratischer Ganzheit Das erkennbare Universum – Duodezimpotenz – Autokratie als ultimates Faktum.

4.12.6.Die Universale Systematik der Naturphilosophie Die Tafel der Klassifikation der Wissenschaften (a) Hyponomische Herrschaft – die physische Welt – Dinge (b) Autonomische Herrschaft – die belebte Welt – Leben (c) Hypernomische Herrschaft – die suprabelebte Welt – himmlische Existenz.

ZWEITES BUCH: DIE NATURWISSENSCHAFTEN TEIL FÜNF: DIE DYNAMISCHE WELT Kapitel 13. Die Darstellung der Naturordnung 5.13.1.Die Natürliche Ordnung Die Bejahung einer natürlichen Ordnung als fundamentales Axiom – und doch ist Ordnung nicht absolut – ohne Unordnung ist Freiheit unmöglich – bestimmende Bedingungen unterliegen der Relativität der Existenz.

5.13.2.Die Unerschöpflichkeit der Phänomene Die falsche Dichotomie von Erscheinung und Realität – grafische Darstellung der Erfahrung von Einheit, Funktion, Sein und Willen – das menschliche Denken ist auf Paare aus diesen vier beschränkt – die Naturphilosophie befasst sich hauptsächlich mit der Funktion – Einheit als Selbsterhaltung der natürlichen Ordnung – Struktur als Allgegenwart universeller Gesetze – die existenziale Schichtung.

5.13.3.Mathematik Mathematik als abstrakte Sprache des Willens – das Paradox der Universalität von Mathematik und der nicht-mathematischen Sinneserfahrung – die gestische Qualität der Mathematik – mathematische Operatoren – Mathematik als charakteristische Sprache der Naturordnung.

5.13.4. Die Mannigfache Erscheinung Wille und die Triade – Mathematik und dreitermige Beziehungen - Mittel der Beschreibung – Erscheinung als Akt des Willens, der Verhalten mit Struktur koppelt – die mannigfache Erscheinung.

5.13.5.Die Geometrischen Symbole

Geometrie – Dimensionen – Ganzheit und Punkte – Polarität und Intervalle – Beziehung und Vektoren – Eigenbedarf und Bündelung – [N]-fältige.

5.13.6.Geometrie Die Darstellung von Struktur ohne existentialen Bezug – Zeit, Ewigkeit und Hyparxis als innerlich bestimmende Zustände – Raum als äußerlich bestimmender Zustand.

5.13.7.Ewigkeit als fünfte Dimension Einstein und Minkowski – Nullintervalle – Kosmodäte – Nullvektoren und Nullwinkel – herkömmliche Verfahren erfordern fünfdimensionale Mannigfaltigkeit – Winkelmomentum und sechste Dimension. (Siehe Anhang zu Kapitel 13, Fünfdimensionale Physik.)

5.13.8.Der existentiale Strang und die Kosmodäte Alle möglichen konversativen inneren Zustände sind im existentialen Strang darstellbar – unbegrenzte Aktualisierungen und Kosmodäte – Darstellung ist nur auf Tatsachen und nicht auf Phänomene direkt anwendbar.

5.13.9.Ewigkeitsblindheit Menschliche Sinneswahrnehmungen sind auf Aktualisierungen beschränkt – Potentialitäten in der Ewigkeit ausgedehnt – werden nicht wahrgenommen – können trotzdem gestört werden.

5.13.10.Der Universelle Beobachter Q Messungen im existentialen Strang - die Darstellung ist das Mannigfache von Q – Q`s Richtung der Ewigkeit einzigartig – Q`s Mannigfaches ist kurvenfrei.

Kapitel 14. Bewegung 5.14.1.Nicht interagierende Bezüglichkeit Vereinfachung der Darstellung bei invariantem Sein möglich – Interaktion wird in der Dynamik nicht berücksichtigt – Annäherung an ein perpetuum mobile – Konsistente und nichtkonsistente Bezüglichkeit – kinematische Bezüglichkeit – Wellenformen – rigide Verbundenheit und ideale Plastizität.

5.14.2.Relative Rigidität und Quasi-Rigidität Entitäten und Instrumente der dynamischen Wissenschaft – Regler und Uhren – die Bedeutung von `Rigidität´ - kongruente Transformationen – Relativität der Messungen – quasi-rigide Körper.

5.14.3.Die Gegenstände der dynamischen Wissenschaft Die Beobachtungen von O und Q – Verbindung zwischen inneren und äußeren bestimmenden Zuständen – Triangulation – potentielle Energie und apokritischer Intervall – Das Universum U – der universelle Beobachter Q – der menschliche Beobachter O – das massive, ausgedehnte rigide Objekt M – das Messsystem – der Beobachtungsgegenstand P.

5.14.4.Die Bewegungsgesetze Das grundlegende dynamische Experiment – die zwei fundamentalen Richtungen von Zeit und Ewigkeit – die Tatsache der Ewigkeitsblindheit – unbeobachtbare Bedingungen – Beschleunigung als Verlagerung in der Ewigkeit – einheitliche Feldtheorie in fünf Dimensionen. (Siehe auch Anhang zu Kapitel 14, `Einheitliche Feldtheorie – vereinfachte mathematische Abhandlung.´

TEIL 6: DIE WELT DER ENERGIE Kapitel 15. Die Universale Geometrie 6.15.1.Die Erscheinung der Bezogenheit Die Erscheinung der Kopplung erfordert Größen, die von Masse und Ladung zu unterscheiden sind – Geometrie der umkehrbaren Interaktion Arten der Interaktion.

6.15.2.Typen der Bezogenheit

Einfache und zusammengesetzte Entitäten – Beziehungen – innerlich und äußerlich – verbindend und trennend – äußere und bindende Beziehungen werden von Hyparxis beherrscht.

6.15.3.Die N-dimensionale Geometrie N-dimensionale Geometrie – Postulat der Gleichartigkeit aller hyponomischen Ereignisse – Teilung des N-dimensionalen Mannigfachen in zwei unabhängige Sub-Mannigfache K und J – vier Arten des Intervalls erforderlich.

6.15.4.Schräger Parallismus Schräger Parallismus – Erweiterung von Minkowskis vierdimensionaler Geometrie – Definition der Bündelung schräger Parallelen – Lenkungsvektoren und Nullvektoren.

6.15.5.Bündelung Schräger Parallelen Die Tripotenz schräger Parallelen – transitive und intransitive Formen – Grade der Freiheit – (a) die Aphabündelung – (b) die Betabündelung – (c) die Gammabündelung – (d) die Deltabündelung.

6.15.6.Die vier Typen der Bündelung und die vier Bestimmenden Zustände Die Alphabündelung und Ewigkeit – Die Betabündelung und Zeit – die transitiven Gamma- und Aphabündelungen entsprechen Raum und Ewigkeit – Deltabündelung und Hyparxis – der einfache harmonische Oszillator – der rotationale und deshalb wiederkehrende Charakter von Deltabündelung – Quantifizierung von Hyparxis.

6.15.7.Charakteristik der universellen Geometrie Unterscheidung zwischen einer konventionellen und einer konkreten Geometrie – dreizehn charakteristische Anforderungen an eine universelle Geometrie.

6.15.8.Die Sechsdimensionalität der hyponomischen Welt Alle Eigenschaften hyponomischer Entitäten und ihrer Anlässe müssen der Darstellung in der [6]Geometrie zugänglich sein.

Kapitel 16. Einfache Anlässe 6.16.1. Einfache Interaktionen Einfache Ereignisse – Anlässe ohne Veränderung – ein Universum zweier identischer elastischer Sphären.

6.16.2.Umkehrbarkeit Diskussion des zweisphärigen Universums – Darstellung, wie Potentialitäten eine Energiereserve bilden.

6.16.3.Das Wirkungsquantum Die Bedeutung der Wirkung – Maupertuis, Hamilton und Helmholtz – geringste und variierende Wirkung – exakte Erfordernisse des Deltabündels zur Darstellung von Wirkung – Wirkung und Kopplung – Wirkung und Fähigkeit-zu-sein – Plancks Wirkungsquantum als Einheit hyparchischer Größen.

6.16.4.Elektromagnetische Strahlung Entsprechungen in der Ewigkeit als Projektion hyparchischer Rekursion – Eigenschaften elektromagnetischer Strahlung – Projektion von Hyparxis über die Ewigkeit in die Raumzeit – Energie und der Impuls des Lichts.

6.16.5.Geometrische Mechanik Kaluza, de Broglie, Rosenfeldt und Podalanski – Quantelung unseres Bezugssystems ist dem rotationalen Charakter des Deltabündels inhärent – Schrödingers und Borns Wellenfunktion.

6.16.6. Das Konzept der Virtualität Definition von Virtualität als Zustand des Hylē wo Entitäten ohne Bestimmtheit existieren – virtueller Zustand ist nicht beobachtbar – der existenziale Speicher – Konservierung von Potentialitäten – der korpuskulare Zustand und die bestimmenden Bedingungen.

6.16.7.Die Virtualitätsfunktion

Die rotationale Eigenschaft des Deltabündels überträgt sich in der Ewigkeit in eine Welle – Wellenfunktion als Maßstab von Virtualität – Beschreibung des Deltabündels – der Kreis in der Ewigkeit (ikl, ilm, k cos Ө, k sin Ө, Ө) – die materiellen Wellengleichungen.

6.16.8.Das einsame Elektron im Hylēfeld Potentielles Energiefeld unendlicher Intensität wird Hylēfeld genannt – Eddingtons Universum einsamer Elektronen – Relativierung de Broglies Gleichung der Materiewelle.

6.16.9.Die potentielle Energiebarriere Experiment der Elektronenbrechung – Erklärung in Begriffen des hyparchischen Oszillators.

TEIL SIEBEN: DIE WELT DER DINGE Kapitel 17. Korpuskel und Teilchen 7.17.1. Unipotenz-Die Emergenz der Materialität Äquipotentiale Lagen als bestimmende Ebenen in der Ewigkeit – vier Abstufungen der hyponomischen Welt – weitere Diskussion von Hylē – Relativität der Stofflichkeit – Illustration durch Ozean, Sprühnebel und Dunst.

7.17.2.Der korpuskulare Zustand – Bipotenz Definition des Teilchens als auf das Hylē festgelegt aber nicht individuiert – Korpuskulare Ereignisse umkehrbar und nicht identifizierbar – Teilchen sind bipotent – ohne Identität – die vier Teilchen-Typen: (a) das Neutrino – (b) das Elektron und Positron – (c) das Photon – (d) die leichten Mesonen – deren Charakteristik bezogen auf die bestimmenden Bedingungen – der korpuskulare Zustand ist universal.

7.17.3.Der Partikulare Zustand – Tripotenz Tripotenz – das Teilchen als einfache tripotente Entität die keine Teile hat – Teilchen sind bezogen – Teilchen sind massiv – aber nicht selbsterhaltend – Protonen, Neutronen, Nukleonen und schwere Mesonen.

7.17.4.Spin und Statistik Elektronenspin und Quantenzahlen – halbintegraler Spin und Fermistatistik – Null und integraler Spin und Bose-Einstein-Statistik – die Komponenten des Alphabündels in Zeit, Ewigkeit und Hyparxis . Identifikationen der Fermionen und Bosonen mit der Zeit – und Ewigkeitsähnliche Orientierung – Diskussion von Pionen und Myonen – Gravitation und Lichtgeschwindigkeit.

7.17.5.Der Dreifältige Charakter der Zeit Die Anwesenheit existierender Entitäten verbindet die bestimmenden Zustände – wobei jedes etwas von der Charakteristik des Verbleibenden erwirbt – zeitähnliche Zeit tatsächlich und fortlaufend – ewigkeitsähnliche Zeit virtuell und konservativ – hyparxis-ähnliche Zeit wiederkehrend und unumkehrbar.

7.17.6.Das regenerative Verhältnis Unumkehrbarkeit als universelle Eigenschaft – die Universelle Zerfallskonstante – nicht degenerative Entitäten besitzen ein perfektes regeneratives Verhältnis von Potenzialität und Aktualität – Definition des exakten regenerativen Verhältnisses Ṝ - die Hypothese temporaler Entsprechung – das Verhältnis zwischen dynamischen und thermodynamischen Zeitmaßen – Untersuchung von Ṝ - enthüllt die Verbindung mit der feinen Strukturkonstante atomarer Spektren - Ṝ als Maßstab für Fähigkeit-zu-Sein – Eddingtons Deduktion von α.

Kapitel 18. Zusammengesetzte Ganzheit 7.18.1.Quadripotente Entitäten Bedeutungen des Wortes `Ding´ - Teil und Ganzes – Definition zusammengesetzter Ganzheit – Veränderung ohne Identitätsverlust – das Muster der Potentialitäten und die Lebensgeschichte – der dreifältige Aspekt zusammengesetzter Ganzheit.

7.18.2.Intensive, Extensive und Koppelnde Größen Koppelnde Größen sind mit Hyparxis assoziiert – werden in der Experimentalphysik angetroffen – Hitzegehalt und magnetische Energie – Kopplungstheorem für zusammengesetzte Ganzheit – die Beziehung zwischen tripotenten und quadripotenten Entitäten.

7.18.3. Die Kopplung Periodischer Wiederkehr Der Transfer von Potentialitäten von Ewigkeit zu Hyparxis – die Kopplungsenergie – Projektion in die Raumzeit – Unterscheidung zwischen intern koppelnden zusammengesetzten Ganzheiten, den Atomkernen und extern gekoppelten, die alle räumlich ausgedehnten Objekte umfassen – Atomkerne als degenerierte quadripotente9 Entitäten.

7.18.4. Die Stabilität Zusammengesetzter Ganzheiten Kopplungsenergien des Atomkerns – Beryllium und Helium – Stabilitätsentscheidende Faktoren – Masseverteilung unter verschiedenen hyponomischen Entitäten, Korpuskeln, Partikeln und schweren Kernen – seltene stabile zusammengesetzte Ganzheiten sind komplexer als Alphapartikel.

7.18.5.Der Atomkern Faktoren, die die Stabilität von Kernen vorgeben – Modelle des Kerns – Antinomie von Tropfen- und Schalenmodellen – versöhnt durch die Unterscheidung zwischen ewigen und hyparchischen Elementen – Hauptcharakteristiken des Kerns begründet durch unser Modell – stabile Kerne und die magischen Zahlen – Beispiel des Zirkoniums – nukleare Isomerie.

7.18.6.Die Masse der Nukliden Allgemeine Formel für die Stabilität von Nukliden – die Massendefektformel – Masse der schwersten stabilen Kerne wird durch regeneratives Verhältnis vorausgesagt.

7.18.7.Das Neutrale Atom Das Atom und die Lösung des Problems des nichtemittierenden Elektrons in Begriffen identischer Wiederkehr – der einfache Charakter der atomaren Erhaltung.

7.18.8. Die Chemische Bindung Polare und nichtpolare Kopplungen – Heitler-London-Modell – Steigerung der Potentialität beim Übergang von atomaren zu molekularen Arten.

7.18.9.Hitze Der hyparchische Charakter spezifischer Hitze – die Bedeutung von `Temperatur´.

7.18.10.Materielle Objekte Die Struktur der hyponomischen Welt – die Eigenschaften materieller Objekte sind unter atomaren Gesichtspunkten nicht gänzlich vorhersagbar – die van-der-Wall-Kräfte – Oberflächenkräfte und passive Dauer.

7.18.11.Die höheren Grade der Dingheit Die Beziehung von Ganzem und Teil – passiv adaptierte quadripotente Entitäten – Beispiel des Kiesels – Dinge besitzen ein erkennbares Muster – Dinge autonomischen Ursprungs – Universeller Charakter der Quadripotenz.

TEIL ACHT: LEBEN Kapitel 19. Die Grundlagen des Lebens 8.19.1.Autonomische Existenz Leben als Versöhnung von Kreativität und Mechanität – Unterstützung des Bewusstseins – durchdringende Rolle des Lebens – Leben ist beispielhaft für Potentialität – Leben ist durch funktionale Begriffe alleine nicht beschreibbar – Sensitivität ist allem Leben gemeinsam.

8.19.2.Sensitivität 9

Im Original Druckfehler: quod - tripotent (Anm. d. Übers.)

Sensitivität gehört zu Hyparxis und ist nicht gleichbedeutend mit Panpsychismus – Sensitivität mit Kopplung verbunden aber nur im Leben organisiert – organisierte Sensitivität ist das erste Gesetz der Biologie.

8.19.3.Rhythmus Rhythmus ist die Organisation der Wiederholung – assoziiert mit Hyparxis – zweites Gesetz der Biologie – Rhythmus ist die zweite Bedingung des Lebens.

8.19.4.Muster Muster als organisierte Struktur – Muster ist eine Bejahung der höheren Ordnung – das Wechselspiel von Organisation und Desorganisation – drittes Gesetz der Biologie – das Muster interagierender Potentialitäten ist die dritte Bedingung des Lebens – Maurice Vernet und die grundsätzliche Erregbarkeit.

8.19.5.Individualisation Das Individuum als selbstausrichtend – die vollendete Manifestation der autonomischen Welt – Individualität und Bewusstsein.

8.19.6.Die Schwelle des Lebens Die vier automonischen existenzialen Hypothesen – Charakteristiken des Lebens - Erregbarkeit, Spezialisierung, Flexibilität und Stabilität – die Bedeutung von Oberflächen.

8.19.7. Der Kolloidale Zustand Oberflächen und Oberflächenschichten – die freie Oberflächenenergie von Kolloiden – das potentielle Energiegefälle – Sensitivität von Kolloiden – die Hypothese der aktiven Oberfläche.

8.19.8.Die Bedeutung des Proteins Komplexität des Lebensmusters – die innewohnende Variabilität von Proteinen – Unzugänglichkeit von Proteinformen – Leathes und Görtner – Protein-Isomerie – Struktur von Proteinen und organisierendes Muster.

8.19.9.Die Enzyme Enzyme als autonomische Agenten – ihre Verbindung mit anorganischen Katalysatoren – autokatalytische Nukleinsäuren – Proteinsynthese.

Kapitel 20. Lebewesen 8.20.1. Die Triade des Lebens Physisch-chemische Gesetze und die Gerichtetheit organischer Aktivität – J.S. Haldane und E.S. Russell – Vitalismus und Mechanismus – keines der Konzepte angemessen – Leben und der sensitive Zustand des Hylē – weder aktiv noch passiv – polymorphe Sensitivität.

8.20.2.Quintpotenz – Viren Analogie von Viren und Korpuskeln – hängen von Zellen ab – kolloidaler Charakter – Besonderheit viraler Proteine – vier Abstufungen von Quintpotenzen: Proteine, Enzyme, kristallisierbare Viren und zellformende Viren – Komplexität viraler Struktur – Verhalten bei Strahlung – Basis allen Lebens – der Virus als degenerative autonomische Existenz – dimorphische Sensitivität.

8.20.3.Sextpotenz – die Zellen Definition der Zelle als reproduzierende Einheit – sechs Charakteristika des Zelllebens – von diesen ist nur die Reproduktion spezifisch – Protoplasma als Grundzustand des Lebens – Mitose und Meiose – Virchow, Sherrington und Woodger – die Zelle ist nicht individualisiert – Sensitivität von Zellen – Reproduktion als Versöhnung von Ewigkeit und Zeit.

8.20.4.Septempotenz Die organische Struktur – ewiges Muster – zeitliche Geschichte – hyparchische Selbstregulierung – pflanzliche und tierische Morphologie – St. Hilaire und Richard Owen – Struktur ist eher physiologisch denn anatomisch – ist auch entwicklungsbezogen – Embryologie: (a) das Muster der Potentialitäten – (b) Differenzierung – (c) Bestimmtheit – (d) Selbstregulation.

8.20.5. Der Hyparchische Regulator Driesch und die experimentelle Morphogenetik – die Struktur der Sensitivität – Befruchtung – Gastrulation – Neurulation – die Hypothese des hyparchischen Regulators – Tabelle zur Struktur einer septempotenten Entität – genetische Charakteristik und das ewige Muster – erworbene Charakteristik und der hyparchische Regulator.

8.20.6.Der Zyklus von Leben und Nahrung Der Lebenszyklus vollzieht sich von der Befruchtung bis zum Tod – die Dauer des Lebens – Vorteilsregeneration und Tod – Tabelle, die die Zustände des Hylē in septempotenten Entitäten zeigt. autotrophische Vegetation – gegenseitige Erhaltung – die für das Leben essentiellen chemischen Elemente – der Existenzkampf – die Gefährdungen des Lebens die für seine autonomische Rolle notwendig sind – Gefährdung alleine macht es einer Entität möglich, sie selbst zu sein.

8.20.7.Die Gefährdungen des Lebens Die physiologische Variabilität – die pathologischen Grenzen der Existenz – der epigenetische Faktor als übergeordneter Regulator – ewiges Muster als letzte Quelle – Lebensbedingungen sind sensitiv gegenüber den regulativen Mechanismen – organische Sensitivität und nicht adaptive Eigenschaften – die drei hyparchischen Faktoren – Regulator, epigenetischer Faktor und organische Sensitivität – organische Sensitivität als der Sitz des Bewusstseins.

Kapitel 21. Die Einheit des Lebens 8.21.1.Oktopotenz – Vollständige Individualität Leben ist für die Existenz zwischen hypernomischen und hyponomischen Welten erforderlich – Bewusstsein als der versöhnende Faktor in allen existentialen Konflikten – Individualität mehr als Sensitivität – sowohl historisch als auch nicht-historisch – Individuum ist keine Maschine – Selbstbestimmung beinhaltet die Macht der Wahl – Tiere sind lediglich sensitiv, nicht individualisiert.

8.21.2. Die Bedingungen der Wahlmöglichkeit Zartheit und Zähigkeit des lebenden Organismus – Komplexität des regulierenden Mechanismus – im epigenetischen Faktor verankertes Bewusstsein ermöglicht die Erfahrung des Wahl – Seltenheit und sporadischer Charakter freiwilligen Handelns – eine statistische Analyse freiwilligen und unfreiwilligen Handelns – menschliche Akte der Wahl sind zumeist trivial.

8.21.3. Die Abstufungen der Individualität Vornahme der Unterscheidung von Individuation und Individualisation – wahre Individualität beinhaltet die Fähigkeit, Prozesse zu initialisieren – hängt vom Bewusstsein des epigenetischen Faktors ab – der Mensch als degeneriertes Individuum – drei Abstufungen wahrer Individualität – (a) Bewusstsein der genetischen Konstitution – (b) Bewusstheit des Musters der Spezies – (c) Bewusstheit der universalen kosmischen Rolle des Lebens.

8.21.4. Organismus und Spezies Genetische Konstitution und sexuelle Reproduktion – die Teilung der Geschlechter erlaubt die Trennung von inneren und äußeren Welten – nicht einzelne Organismen sondern ganze Spezies bilden die wahren Individuen – die Beständigkeit der Spezies und ihre Kohärenz – zoologische und botanische Ausprägung – Stabilität des ewigen Musters – illustriert durch Beispiele aus der Genetik.

8.21.5.Die Einheit der Arten Der septempotente Organismus als `atom´ der Spezies – Spezies und Umwelt – Ouspensky, Thompson, Coleridge und Dobzhansky – Einheit und Integrität der Spezies – Vernets Formulierung – die Ausprägung der sensitiven Erregbarkeit des Organismus – charakteristische Rhythmen der Spezies – die Norm oder das spezifische Muster – die Spezies dominiert den Typ – Stabilität der Arten nicht endgültig – Gattungen, Familien und Ordnungen.

8.21.6.Der Ursprung der Arten Verteilung der Varianten – unbewiesen, dass das neue ewige Muster durch Mutation und Selektion entstehen kann – die beobachtete Variabilität wird dem hyparchischen Regulator zugeschrieben – die Spezies als ein bewusstes Individuum – Diskussion der Einwände – Klassifizierung und die Muster des organischen Lebens – Unzulänglichkeit gewöhnlicher Mutationen – Goldschmidt, Haldane und Fischer – Ursprung der Arten weder kausal noch zielgerichtet sondern regulativ – Klassifizierungskriterien – der

hyparchische Regulator der Biossphäre als wahrer Ursprung der ökologischen Ordnung – organische Erregbarkeit – die Entstehung der Spezies illustriert durch den Weißdorn – der Mechanismus der Artenentstehung und die Bildung neuer Gattungen – Synthese der Spezies des gemeinen Hohlzahns – drei Faktoren.

8.21.7.Die Biosphäre Leben auf der Erde bildet eine periodische Serie biosphärischer Existenzen – die Biosphäre als höhere Stufe wahrer Individualität – veranschaulicht die dreigestaltige Oktopotenz – Orthogenese als biosphärischem Gegenstück zur Epigenese im Organismus. Das ewige Muster getrennter Arten abgeleitet vom allgemeinen Muster der Biosphäre – Süss, Vernadsky, Goldschmidt und Vinogradov – Analogie von Biosphäre und Kolloiden – beide sind zweidimensional – die Biosphäre als Übergang von autonomischer zu hypernomischer Existenz – Rolle der Biosphäre in der Erdgeschichte – die Konzentration der Elemente – Energietransformationen – die Biosphäre in Bezug zu Sonne und Mond – die Zeitzyklen der Biosphäre – die dominanten Lebensformen in jedem biosphärischen Zyklus – das Bewusstsein des orthogenetischen Faktors.

8.21.8.Die hypernomische Rolle der Biosphäre Das Muster, dem sich die Existenz der Biosphäre anpasst – das Muster entstammt dem Planeten – Kreativität der Sonne wird mit dem irdischen Muster versöhnt – Individualität der Biosphäre – Transformation von Energie erforderlich für höhere Existenzformen – spezieller Charakter biosphärischer Energien.

TEIL NEUN: DIE KOSMISCHE ORDNUNG Kapitel 22. Existenz Jenseits des Lebens 9.22.1. Die Vier Hypernomischen Grade Unsterblichkeit ein Zustand jenseits des Lebens – organisierende Kraft, die die Existenz reguliert, ohne an ihr teilzuhaben – Diskussion der `Existenz jenseits des Lebens´ - F. Schiller – Plato – die hypernomische Geste – das Universum ist weder mechanisches Spielzeug noch spiritueller Traum.

9.22.2.Der Universale Charakter Suprabelebter Ganzheit Die organisierende Macht als übergeordnetes Muster – die Beziehung von Planet und Biosphäre als universal angenommen – ähnlich die Beziehung des Planeten zu dezempotenter Sonne – die Bedeutung von `Existenz-jenseits-des-Lebens´.

9.22.3.Die Transfinite Triade Transfinite Größen sind nicht undenkbar – Georg Cantor – Panhylismus und Panpsychismus gleichermaßen unbefriedigend - die Vorstellung einer transfiniten Triade – Sein jenseits der Existenz – präexistenter Zustand geht dem Hylē voraus - alle Existenz als versöhnender Faktor.

9.22.4.Die Endliche Kosmische Triade Die Beziehung von Involution und Evolution – diese bejahenden und verneinenden Richtungen werden durch Fähigkeit-zu-sein versöhnt.

9.22.5.Die Beziehungen des Raums Die Winzigkeit von Atomen und Molekülen und die Riesigkeit des Universums sind Tatsachen von elementarer Bedeutung für die Kosmologie – Berechnung, dass die biosphärische Masse das geometrische Mittel zwischen Korpuskel-Masse und Universum darstellt – die menschliche Wahrnehmung bestimmt scheinbar die oberen und unteren Grenzen des Universums sowohl im Raum als auch in der Zeit.

9.22.6.Die Dramatische Signifikanz des Universums Der Kampf von Involution und Evolution, die sich nur deshalb erhalten können, weil sie einander entgegengesetzt sind – Ergebnis schon an sich unvorhersehbar, da die Aktualisation einen verschwindend kleinen Teil der Potentialitäten bilden muss – Bejahung als organisierender Druck – das historische und nicht-historische Universum – Interpretation des dynamischen und thermodynamischen Zeitalters als bejahende und verneinende Charakteristika

Kapitel 23. Das Sonnensystem

9.23.1.Kreativität und Sub-Kreativität Unser Wissen vom Sonnensystem – die Beziehung zwischen Sonne und Planteten – Muster als degenerative Kreativität – die hypernomische Welt ist frei von Gegensätzen wie eines-viele, etc. – freie Schöpfung charakterisiert dezempotente Sonnen.

9.23.2.Die Erde Die polysphärische Struktur der Erde – ihre Rolle als Mustermacher – Existenz der Erde dem Leben übergeordnet – das Alter der Erde – ihre Individualität.

9.23.3.Die Planeten Die den Planeten innewohnende begrenzte kreative Macht – vier Abstufungen der Novempotenz – der Ursprung des Sonnensystems – die Rolle der magnetischen Kräfte.

9.23.4.Die Gestalt des Sonnensystems Seine dynamische Stabilität – Bodes Gesetz – das Intervall zwischen Mars und Jupiter – die wahren Planeten – Klassifikation subplanetarischer Körper – Struktur des Sonnensystems.

9.23.5. Die Wahren Planeten Bedingungen für die Existenz von Planeten – (a) Venus – (b) Erde – (c) Mars – (d) der Übergangsbereich – € Jupiter – (f) Saturn – (g) die äußeren Planeten.

9.23.6.Die Kleineren Komponenten Satelliten, Asteroiden, Kometen, planetarischer Staub und Gase als passive Komponenten des Sonnensystems.

Kapitel 24. Die Kosmische Ordnung 9.24.1. Die kreative Triade Die höheren Kategorien – die Stufen der Involution – Autokratie als Trennung von Unmöglichem und Möglichem – Dominanz als universales Bewusstsein – schöpferische Funktion der Sterne – das virtuelle Universum – Potentialitäten und Wiederholungen – Ausdehnung unmessbar – Gehalt der Existenz – Plan des Universums – die chemische Konstitution und der physikalische Zustand der Sterne – Eddington und seine Nachfolger.

9.24.2.Die Sonne – Dezempotenz – Kreativität Die beobachtbaren Charakteristiken der Sonne – die Strahlung der Sonne entgeht der Absorption durch die Materie fast gänzlich – Problem der Nichtrealisation des universalen Musters – Bestimmung der Strahlungsenergie – Isolation der Sonne von anderen kosmischen Körpern – die Sonne und die planetarische Welt – Kreativität ohne Teilhabe – jeder Stern ist ein verschwindend kleiner Teil des kosmischen Plans.

9.24.3.Die Galaxie – Undezimpotenz – Herrschaft Die Form der Galaxie – ihre dreifältige Struktur – die Hauptreihensterne und Klasse 2 Sterne – Klasse 1 als der autonomische Körper – Kugelhaufen und Wandersterne – elliptische Galaxien – Doppelsterne und multiple Sterne – verschiedene Existenzebenen der Galaxien – ewige Sterne und vergängliche Sterne – das Problem des Drehimpulses – charakterisiert Hyparxis und ist endgültig wie Masse und Ladung – Galaxiensysteme.

9.24.4.Das Universum – Duodezimpotenz – Autokratie Nur der funktionale Aspekt des Universums erkennbar – der Irrtum, dem Universum einen zeitlichen Ursprung zuzuschreiben – die Nichttemporale Trennung von Möglichem und Unmöglichem – Autokratie ist universell, aber nicht transzendent – Charakter des erkennbaren Universums ist relativ zu menschlicher Erfahrung – das Schicksal des Universums – das potentielle Universum – ewige Potentialität und hyparchische Wiederkehr des Universums geben nur einen Teil des Bildes wieder – die ultimative Bestimmung der elektromagnetische Strahlung – Rückkehr in den Grundzustand Hylē – der große universale Zyklus zwischen Existenz und Nichtexistenz – die vorliegende Studie ist nur auf Fakten beschränkt – das Studium der Werte ist dem nächsten Band vorbehalten.

Anhang 1 zu Kapitel 13

Fünfdimensionale Physik

Anhang 2 zu Kapitel 14 Einheitliche Feldtheorie

Anhang 3 zu Kapitel 15 Die geometrische Darstellung von Identität und Vielfalt

Glossar mit Begriffen, sowohl von Neologismen als auch von bestehenden Begriffen mit spezieller Bedeutung. Index –Namen- und Autorenverzeichnis Index – Sachverzeichnis

Einführung Da sein bedeutet zu sein, was man ist. Es bedeutet auch, man selbst zu sein in einer Umgebung, die nicht identisch mit einem selbst ist. Die Grenze zwischen Selbst und Nichtselbst ist die Bedingung der Existenz, aber auch ihre Begrenzung. Um existieren zu können, muss sich jede Entität den Ansprüchen ihrer Umwelt gegenüber behaupten. Existenz kann in Form eines Gleichgewichts von Dauer und Vergänglichkeit betrachtet werden. Leben und Sterben sind Schuss und Kette all unserer Erfahrung. Insofern sie gegensätzlich sind, nimmt jede Entität teil an einer Vermittlung zwischen den eigenen Bedürfnissen und dem Druck ihrer Umgebung. Voraussetzung einer solchen Anpassung ist die Sensitivität. Je größer die Sensitivität, umso größer das Ausmaß der Anpassung, die möglich ist. Diese Sensitivität kann als ausgleichender Faktor zwischen den Kräften von Dauer und Vergänglichkeit betrachtet werden. Bewusstsein besteht aus der Wahrnehmung, welche die Sensitivität begleitet. Wir können also die Abstufung von Sein durch das Maß der Sensitivität einer Entität gegenüber den Kräften, die auf sie wirken, bemessen. Bewusstsein kann dann definiert werden als der Zustand unabhängiger Existenz. Bewusstsein hat eine unermessliche Variationsbreite, und wir menschliche Wesen können in direkter Weise nur einen schmalen Bereich innerhalb dieser Bandbreite erfahren. Hier wird eine Analogie zur elektro-magnetischen Strahlung sichtbar, die eine immense Bandbreite an Intensität besitzt, von der wir aber unmittelbar nur einen schmalen Bereich als sichtbares Licht wahrnehmen können. Indem wir die Analogie weiterführen, können wir den Beginn dieser Sichtbarkeit mit der Stufe in der Bewusstseinsentwicklung vergleichen, auf der uns die Notwendigkeit bewusst wird, uns selbst zu verstehen und ebenso die Welt, in der wir leben. Diese doppelte Notwendigkeit - die in Wirklichkeit ein und dieselbe ist - ist für uns sogar noch wichtiger als der Existenzkampf. Der Existenzkampf ist lediglich ein Aspekt der Anpassung. Er mag als aktive Selbstbehauptung erscheinen, gleicht aber in Wirklichkeit eher einer passiven, automatischen Reaktion auf die Stimuli der Umwelt. Die Suche nach Erkenntnis ist mehr als Überlebenskampf. Sie ergibt sich aus dem Bestreben, fruchtbar zu leben und dem Zweck und Ziel der Existenz zu entsprechen. Der Übergang vom individuellen Überlebenskampf zum Streben nach harmonischer Koexistenz erfordert sowohl ein Bewusstsein der Umwelt als auch ein Selbst-Bewusstsein. Es ist offensichtlich, dass „Bewusstsein der Umwelt“ eine Phrase ist, die sehr verschiedene Bedeutungen haben kann. Zum Einen kann sie als Fähigkeit verstanden werden, in der Umwelt die Mittel zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse zu erkennen. In einem anderen Sinne verdeutlicht sie die Erkenntnis eines höheren Zwecks, dem die eigene Existenz dient. Zwischen diesen beiden Bedeutungen gibt es eine tiefe Kluft, die sich in zwei verschiedenen Haltungen den Naturwissenschaften gegenüber widerspiegelt. Im Sinne der ersten studiert der Mensch die Natur lediglich, um seine Umwelt zu beherrschen und um sich und seinen Nachkommen Sicherheit zu verschaffen. In der anderen Sichtweise - die heute nur selten in Betracht gezogen wird - bemüht sich der Mensch um ein Verständnis der natürlichen Ordnung, um den Zweck seiner Existenz besser erkennen und erfüllen zu können. Die zweite Interpretation stellt ziemlich andere Ansprüche und verspricht andere Erfüllungen als die, die wir erwarten können, wenn wir lediglich nach Mitteln suchen, um unsere eigene Gestaltungsmacht auszubauen. In beiden Perspektiven werden die Naturwissenschaften als Mittel zur Erlangung menschlicher Ziele betrachtet. Nichtsdestotrotz könnte man von beiden sagen, dass ihre jeweilige Bedeutung von den Absichten abhängt, auf welche sie gerichtet ist. Eine ziemlich andere Haltung steckt hinter der Ansicht, die wissenschaftliche Methode sei vollständig und endgültig, bilde deshalb die einzige verlässliche Quelle für wahres Wissen und sei der beste Garant für gelingende menschliche Existenz. Diese Ansicht ist so weit verbreitet, dass wir beginnen sollten, die Behauptung der Naturwissenschaften näher zu betrachten, die beste und letzte Errungenschaft des menschlichen Geistes zu sein. Diese Behauptung wird üblicherweise durch die Betonung gerechtfertigt, wie erfolgreich die

Naturwissenschaften bei der Befreiung des Menschen von abergläubischen Ängsten waren, indem sie ihm die Möglichkeit gaben, zukünftige Ereignisse genau vorherzusagen und dass sie ihn in die Lage versetzten, natürliche Materie umzuwandeln und Energien auf eine Weise verfügbar zu machen, die ihm zu mehr Freizeit und größeren Möglichkeiten verhalf, als es jemals in der Vergangenheit der Fall gewesen war. Manche dieser Behauptungen sind von zweifelhafter Gültigkeit. Zwar ist der Mensch der Moderne freier von abergläubischen Ängsten, als seine Vorfahren es waren: die Angst vor Dämonen wurde jedoch lediglich ersetzt durch die Angst vor Krankheit, vor Armut und vor Kriegen, die sich die Menschen früherer Zeiten nicht hätten vorstellen können. Auf der anderen Seite ist es zweifellos wahr, dass die Naturwissenschaften bestimmte zukünftige Ereignisse zuverlässig vorhersagen können, wie etwa das Ergebnis eines sorgfältig durchgeführten Experiments. Diese Fähigkeit hat in erheblichem Maße zur Entwicklung moderner Technologien beigetragen, durch die das menschliche Dasein bereichert wurde. Der technische Fortschritt macht dem Menschen Materialien und Energien zugänglich, die seine Bedürfnisse mit immer weniger Aufwand eigener Kräfte und eigener Zeit befriedigen. Seit ewigen Zeiten war Muße in der Form einer Befreiung von Mühsal untrennbar verbunden mit der menschlichen Vorstellung vom Paradis. Es ist deshalb schwerlich überraschend, wenn Menschen hofften und immer noch hoffen, das Zeitalter der Wissenschaft möge zum Zeitalter endlosen und unverbrüchlichen Segens für alle zukünftigen Generationen werden. Wir müssen allerdings erkennen, dass die Fähigkeit, zukünftige Ereignisse vorherzusagen lediglich bei der Befriedigung der materiellen Bedürfnisse des Menschen erfolgreich angewendet worden ist. Ihre größten Triumphe hat sie in den physikalischen und chemischen Wissenschaften gefeiert; gleichwohl sind auch Biologie und Ökonomie nicht ohne wachsende Erfolge in der Vorhersage von Ereignissen, die bis vor kurzem als unvorhersehbar galten. Seit Anbeginn der Zeit hat der Mensch sich bemüht, die Zukunft zu kennen, um sein eigenes Wohlergehen zu sichern, und wann immer er zu solchem Wissen gelangte, hat er es in der stillschweigenden Annahme genutzt, seine eigenen Bedürfnisse seien von überragender Bedeutung und gäben ihm das Recht, die Konsequenzen zu ignorieren, die ihre Befriedigung für seine Umwelt haben würde. Der Mensch war immer bereit, natürliche Ordnungen bis hin zu ihrer Vernichtung zu stören, um zu befriedigen, was er für deine Bedürfnisse hält und in dieser Hinsicht hat es offenbar keinen Wandel seiner Haltung seit der frühen Steinzeit vor 100 000 Jahren gegeben. Dieser Wunsch, die Zukunft zu kennen, entspringt also eher dem Überlebensinstinkt als einem Impuls zu dienen. Der Mensch misstraut der Zukunft, weil er nicht versteht, was Zeit ist und insbesondere deshalb, weil er es als gegeben betrachtet, dass er lediglich in einer einzigen Zeit lebt und somit nur eine einzige Zukunft hat, die all seine Hoffnungen und Ängste in sich birgt. Wir übersehen für gewöhnlich die offensichtliche Tatsache, dass jede vorhersagbare Zukunft bereits festgelegt und unveränderlich ist. Dies ist die Zukunft der physikalischen Welt und zweifellos existiert sie als solche; denn sie wurde auf vielfältigste Weise zuverlässig vorgesagt und wir haben keinen Zweifel, dass zukünftig ähnliche Vorhersagen gleichermaßen verlässlich sein werden. Allerdings existieren neben der vorhersehbaren Zukunft viele unvorhersehbare Zukünfte, als Ergebnis bewussten oder auch sensitiven Eingreifens in die physikalische Welt. Solche Zukünfte betreffen vor allem die Beziehungen zwischen empfindungsfähigen Wesen und ihrer Umwelt.
 
 Die vorhersehbare Zukunft ist gewiss, aber sie ist bar jeder Hoffnung. Daneben gibt es jedoch unvorhersehbare Zukünfte; die Hoffnungen, die jene in sich tragen, sind proportional zu ihrer Ungewissheit. Diese Behauptungen können nicht als selbstverständlich betrachtet werden und eines der sekundären Themen des vorliegenden Buches besteht in der Diskussion von Zeit, Raum und Ewigkeit als strukturellem Rahmen von Ereignissen. Wir

werden sehen, dass Vorhersagbarkeit kein unveränderliches Charakteristikum von Zeit ist. Trotzdem müssen wir anerkennen, dass das Bedürfnis nach Sicherheit nur auf Kosten der Freiheit befriedigt werden kann. Indem der Mensch hinter die Sicherheit blickt und nach einer Beziehung zum Ungewissen sucht, entdeckt er, dass die bisherigen naturwissenschaftlichen Konzeptionen ungenügend sind. Die Forderung nach Vorhersehbarkeit führt unweigerlich zur Ablehnung des Unvorhersehbaren. Die Annahme, Wissenschaft sei ausschließlich mit dem befasst, was man wissen kann, entmutigt die Suche nach dem, was nicht gewusst werden kann. Und doch offenbart die Wissenschaft selbst dauernd die Bedeutung des ungewissen und unvorhersehbaren Elements in den Naturphänomenen. Dies ist so offensichtlich, dass im gegenwärtigen Jahrhundert nahezu alle Wissenschaftsbereiche dahin geführt wurden, gänzlich unvorhersehbare Ereignisse als notwendigen Teil der Naturprozesse zu postulieren - so wie etwa Quantensprünge in der Physik und genetische Mutationen in der Biologie. Die Zeit scheint deshalb reif für eine weitereichende Überprüfung der Prinzipien der Naturphilosophie. Deren Überbau ist weit über die Grundlagen hinausgewachsen und die überaus große Bedeutung eines Verständnisses des menschlichen Daseins im Universum ist aus dem Blickfeld geraten angesichts einer verblüffenden Ansammlung von Fakten, die zum größten Teil lediglich hinsichtlich ihrer technischen Verwertbarkeit von Interesse sind. Es besteht die Gefahr, zu vergessen, dass die Forderungen, die wir an das Universum hinsichtlich der Befriedigung unserer eigenen Bedürfnisse richten, wahrscheinlich auf eine nicht weniger zwingende Forderung des Universums an uns trifft, dem Zweck zu entsprechen, für den wir in die Existenz gekommen sind. Die unausweichlichen Konsequenzen dieses Ungleichgewichts sind in der gegenwärtigen Zeit nur allzu offensichtlich. Der Mensch muss über seine Sicherheitsbedürfnisse hinausblicken, um eine Beziehung zum Unvorhersehbaren und Unerkennbaren zu finden; dafür jedoch haben sich die Verfahren, die er bisher angewendet hat, als unbrauchbar erwiesen. Eines dieser Verfahren besteht darin, das Unerkennbare als unendlich und daher als unbegreiflich zu akzeptieren und einen Bezug dazu zu suchen, ohne den Versuch, es zu verstehen. Dies ist der Weg der Offenbarungsreligion und in vergangenen Zeiten haben die religiösen Vorstellungen eine beherrschende Rolle in der Bestimmung des menschlichen Lebens gespielt. Eine erhebliche Schwierigkeit des religiösen Weges besteht in der Notwendigkeit von Kommunikation, sobald mehr als ein Individuum involviert ist. Nun besteht Kommunikation üblicherweise aus Worten, und Worte sind der Ausdruck von Gedanken. Religion benötigt deshalb zum Ausdruck ihrer Beziehung zum Unerkennbaren irgendeine Form von Sprache, und dies erfordert bestimmte Annahmen hinsichtlich des objektiven Bezugs ihrer subjektiven Erfahrung. Diese Annahmen werden dann zur Grundlage der Kommunikation und gemeinschaftlichen Handlung und da sie hypothetisch nicht überprüft werden können, verwandeln sie sich in Dogmen, die als gültig anerkannt werden müssen. So scheint der religiöse Weg notwendigerweise die Formulierung von Glaubensbekenntnissen einzuschließen. Dies ist ein riskantes Unterfangen, das aber durch seine Ergebnisse gerechtfertigt worden ist. Gerade so wie die Naturwissenschaften ihre Rechtfertigung in der erfolgreichen Vorhersage von Ereignisabläufen finden, so findet die Religion ihre Rechtfertigung darin, dass sie dem Menschen ein Gefühl moralischer Sicherheit vermittelt und auch in der Vorhersage seiner Bewusstseinszustände. In der Vergangenheit hat sie dem Menschen erfolgreich die Ängste vor dem Unbekannten und Unbegreiflichen genommen und war so ein machtvoller Faktor für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. So gesehen würden die Ziele und Errungenschaften von Wissenschaft und Religion komplementär erscheinen, insofern die Erste erfolgreich Probleme des Menschen im Umgang mit seiner materiellen Existenz gelöst hat und die Zweite erfolgreich war im Arrangement seiner Beziehung zum unerkennbaren und unvorhersehbaren Element aller

Erfahrung. In früheren Generationen glaubten viele, dass sich diese komplementären Rollen nicht im Konflikt befänden und dass der Mensch aus ganzem Herzen eine wissenschaftliche Haltung den Tatsachen gegenüber und eine religiöse Haltung den Werten gegenüber einnehmen könne. Andere, darunter vielleicht die meisten der Wissenschaftler, verneinten diesen Kompromiss und haben die Überlegenheit von Beobachtung und Experiment gegenüber allen anderen Erkenntnismethoden behauptet. Religiöse Menschen befanden sich in einer schwierigeren Position, da Kommunikation sie zum Gebrauch der Sprache nötigt, die eigentlich in den Bereich des Wissens gehört. So wurden sie in all ihren Äußerungen genötigt, Behauptungen aufzustellen, die sich scheinbar auf Tatsachen beziehen, in Wirklichkeit jedoch den verbalen Ausdruck einer unkommunizierbaren Erfahrung darstellen. So stellen sich alle Versuche, in Worten die Intuition des Göttlichen auszudrücken oder die Probleme von moralischen Werten unter Nutzung von Worten wie dem „Guten, Wahren und Schönen“ zu diskutieren bei näherer Betrachtung als vage und nicht überprüfbar heraus. Reduziert auf ihre einfachsten und wesentlichsten Begriffe besteht Wissenschaft in der Vorhersage der erkennbaren Zukunft und Religion in der Adaption der unerkennbaren Gegenwart. Wenn jedes diese Ziele unter Ausschluss des jeweils anderen oder auch nur in Abgrenzung dazu verfolgt wird, stellen sich beide als unrealisierbar heraus. Sie wären auch dann unvereinbar, wenn die Naturwissenschaften behaupteten, dass alle menschliche Erfahrung innerhalb eines Schemas energetischer Transformation abgebildet werden könne und die Hoffnung vermittelten, damit alle zukünftigen Ereignisse vorhersagen zu können. Solche eine Behauptung würde implizieren, dass der wissenschaftliche Fortschritt den Menschen in ein irdisches Paradies führen könne und die wissenschaftliche Methode der einzige Führer und Schiedsrichter der menschlichen Bestimmung sei. Wenn in ähnlicher Weise die Religion behauptete, alle menschliche Erfahrung könne in Begriffen offenbarter Wahrheit beschrieben werden und wenn sie darüber hinaus erfolgreich behaupten könnte, dass die erkennbare, vorhersagbare Welt der Physik lediglich den Widerschein einer weiträumigeren Sicht darstelle, in der das Unbekannte und Unvorhersehbare die einzig wahre Realität wären, dann würde die Religion zukünftig wieder den Platz einnehmen, den sie im Mittelalter einnahm, als einzige Quelle für alles, was die menschliche Existenz benötigt. Heute finden sich Vertreter beider Sichtweisen aber sie bilden eine verschwindende Minderheit, da die meisten Denker, egal ob wissenschaftlich oder religiös, überzeugt sind, dass es notwendig ist, die Grenzen jeder Disziplin zu transzendieren und eine einheitliche Theorie zu entwickeln, die es dem Menschen erlauben wird, in eine neue Welt aufzubrechen, in der Erkenntnismöglichkeit und das Unerkennbare gleichermaßen zugänglich sind. Es ist nicht länger möglich, nach der Befriedigung der grundlegenden menschlichen Bedürfnisse durch das Wissen oder den Glauben zu suchen, denn beide Wege wurden in der Vergangenheit begangen. Ein neues Daseinsprinzip muss eine Intuition der Wirklichkeit ausdrücken, die nicht lediglich einen Kompromiss zwischen Tatsache und Glaube darstellt und auch eine Kombination aus beidem. Es muss zeigen, dass das, was wir wissen und was wir glauben im Grunde dasselbe ist. Welche Erfordernisse wären nun an ein solches Prinzip zu richten? Zuallererst muss es uns neue Kategorien zur Verfügung stellen, die an Stelle der misslichen und bemitleidenswert unbrauchbaren Formen treten, die wir von Aristoteles und der deutschen Transzendentalphilosophie geerbt haben. Wenn diese Kategorien formuliert worden wären, hätten die Naturwissenschaften in den letzten beiden Jahrhunderten keine so zwiespältigen Fortschritte erzielt. Die Naturwissenschaften müssen so lange beschränkt in ihren Ausdrucksmöglichkeiten bleiben, so lange sie fast ausschließlich mit Vorhersagbarkeit befasst sind. Wenn die Wissenschaft ihre Grenzen auslösen will, muss sie sie zunächst

erkennen. Nur dann wird es möglich sein, aus den engen Formen des Denkens herauszutreten, auf die sich die wissenschaftliche Intuition heute beschränkt. Es muss möglich sein, auf neue Weise sowohl über Quantität als auch über Qualität zu sprechen. Fast dasselbe kann über die religiöse Erfahrung gesagt werden, die über Jahrhunderte begrenzt war auf enge, anthropomorphe Aussagen zur Natur Gottes und des Menschen. Das Universum, so wie wir es heute kennen, muss ein Gefühl der Ehrfurcht und Ehrerbietung hervorrufen, die tiefer und unentrinnbarer ist als jene, die durch Gotteskonzepte hervorgerufen wurde,, wie wir sie im Alten Testament, der griechischen Mythologie und selbst in den indischen Veden finden. Heutzutage scheinen religiöse Menschen nicht das Bedürfnis zu verspüren, ihre Konzepte des Göttlichen auszudehnen, vergleichbar der Not der Wissenschaft, ihre Formen des Denkens zu reformieren. Trotzdem befindet sich der religiöse Mensch im Nachteil, wenn er versucht, seine Vorstellungen gegen den Einwand zu verteidigen, sie befänden sich gefährlich nahe an Stammesvorstellungen, die er als überholten Aberglauben zurückweisen würde. Der anthropomorphe religiöse Glaube lässt sich nicht länger aufrechterhalten aber der Mensch folgt überholten Überzeugungen, selbst wenn es offensichtlich ist, dass ihre Wirksamkeit verschwunden ist. Es ist notwendig, einen mutigen Schritt zu wagen, der umso riskanter ist, da wir auf unserer Suche nach einem Verständnis des Unerkennbaren und Unvorhersehbaren doch den Kontakt nicht verlieren dürfen mit dem, was gesehen und berührt, gewogen und gemessen werden kann. Dabei werden wir gleich zu Beginn durch die Unfähigkeit des menschlichen Geistes behindert, in einem Streich des Geistes eine große Anzahl unterschiedlicher und unabhängiger Vorstellungen zu begreifen. So können wir zum Beispiel nicht auf eine der machtvollsten Instrumente wissenschaftlicher Forschung zurückgreifen, nämlich auf die Spezialisierung. Spezialisierung besteht darin, ein Phänomen aus der Gesamtheit der Erfahrung auf solche Weise zu isolieren, dass seine spezifischen Gesetze gefunden und für den Zweck der Vorhersage und Kontrolle genutzt werden können. Wir können in Teilen wissen, verstehen können wir aber nur das Ganze. Wir hindern uns deshalb gleich zu Beginn an der eigentlichen Möglichkeit zu verstehen, wenn wir versuchen, unsere Aufgabe zu vereinfachen, wenn wir lediglich das Gebiet untersuchen, in dem wir über spezielles Wissen verfügen. Unsere Suche nach unserem Platz im Universum wird nicht erfolgreich sein, wenn wir nur die Sterne beobachten oder die Atome studieren. Wir werden ihn weder ausschließlich in den Gesetzen der Biologie noch ausschließlich in den Erkenntnissen psychologischer und historischer Forschung finden. Hier begegnen wir nun einer scharfen Trennung in der Formulierung der Ziele der Naturwissenschaft, die ausgedrückt werden kann als „wissen, wie“ und „wissen, was“. Der durchschnittliche Wissenschaftler verzichtet darauf, zu wissen „was“, wenn er wissen kann „wie“. Er sucht nach reproduzierbaren und deshalb vorhersagbaren Prozessen, die dann anschließend für existentiale Bedürfnisse genutzt werden können. Die Art und Weise, in der solche Prozesse beschreiben werden, spielt solange keine Rolle, solange es eine erfolgreiche Vermittlung der dafür notwendigen Operationen gibt. In diesem Sinne stellt eine gute Patentbeschreibung die ideale Formulierung eines wissenschaftlichen Gesetzes dar, da sie alle Theorie und Erklärung meidet und lediglich bestrebt ist, dem Techniker zu sagen, was er zu tun hat. Die Vertreter solcher Konzepte der Rolle von Naturwissenschaften werden gewöhnlich als „Operationalisten" bezeichnet. Sie lehnen den Gebrauch von Modellen ab die man im 19. Jahrhundert für so wichtig hielt - und sie halten die Frage nach den Entitäten und den Beziehungen, die an einem Prozess beteiligt sind, für überflüssig. Elektrizität wird üblicherweise als Beispiel für „etwas“ angeführt, über dessen Natur wir so gut wie gar nichts wissen und mit dessen Nutzung wir trotzdem gründlich vertraut sind. Es gibt viele Spielarten der operationalen Sichtweise, aber ihnen allen ist die Behauptung gemein, wir könnten auf die Frage nach dem „Was?“ verzichten, vorausgesetzt, wir wissen „Wie?“.

Wer sich mit dem zweiten Ziel befasst, sucht nach einem Verstehen der menschlichen Erfahrung selbst, in all ihren möglichen Formen und Manifestationen. Er folgt dem Bedürfnis, zu wissen, was wir sind, was die Welt ist, in der wir leben und was unser Platz in ihr ist. Da unser Verhalten auf lange Sicht dadurch bestimmt wird, was wir sind, scheint es umso bedeutender zu sein, die zweite Frage zu durchdringen, anstatt beim Studium der äußerlichen Manifestationen zu verweilen, die der ersten Frage entsprechen. Das Interesse am Sein der Dinge ist uralt, aber seine Wichtigkeit wird heute durch die weit verbreitete Haltung verschleiert, es sei „egal, was es ist, Hauptsache es funktioniert“. Der Mangel an Interesse am Sein ist durchaus verbunden mit der vorher getroffenen Unterscheidung zwischen Erkennbarem und Unerkennbaren, da wir lediglich wissen, was Dinge bewirken, niemals jedoch was sie sind. Man nimmt üblicherweise an, dass ein Satz nur dann Bedeutung hat, wenn er auf ein Set an Operationen reduziert werden kann, das der Empfänger für sich selbst reproduzieren kann. Das würde anscheinend alle Versuche, über Sein zu sprechen, bedeutungslos machen, oder man würde dabei, allgemeiner gesagt, in Bereiche vorstossen, die nicht in Begriffen des Verhaltens beschreiben werden können. Hierin liegt ein Irrtum, der im Übersehen der Tatsache besteht, dass verhaltensbezogene Beschreibungen ihrerseits selbst von der Akzeptanz eines allgemeinen Sets von Kategorien abhängen. Die Unfähigkeit, eine Erfahrung zu beschreiben ist nicht notwendigerweise ein Beweis für Verwirrung, aber vielleicht ein Hinweis darauf, dass die genutzten Kategorien unbrauchbar sind und der Überprüfung bedürfen. Wenn wir die gegenwärtige Haltung der Naturwissenschaften genauer betrachten, müssen wir erkennen, dass in vielen Feldern neue und erstaunliche Entdeckungen in Begriffen überkommener Kategorien beschrieben werden. Dies ist einer der Hauptgründe dafür, warum der wissenschaftliche Fortschritt unsere äußeren Lebensbedingungen so stark, aber unsere Art zu denken so wenig verändert hat. Es gibt kaum einen Bereich, in dem die Kategorien von Inhärenz und Erhaltung, von Kausalität und Abhängigkeit, von Notwendigkeit und Eventualität und so fort nicht zusammengebrochen wären. Das Denken, das Kant und seine Nachfolger als natürlich für die menschliche Vernunft betrachteten, hat sich großenteils als historischer Zufall erwiesen. Mittlerweile wird weithin anerkannt, dass die ausschließlich mechanistischen Erklärungen der Naturordnung, wie sie sich im 18. und 19. Jahrhundert durchgesetzt hatten, nicht länger haltbar sind. Inzwischen wurden viele Bücher geschrieben, um zu zeigen, dass eine wissenschaftliche Sichtweise mit religiösen Überzeugungen kompatibel ist. Viele Wissenschaftler sind nun bereit zu glauben, dass die Daten psychischer Forschung und sogar religiösen Mystizismus bei jedem Versuch, ein einheitliches Weltbild zu konstruieren, mit einbezogen werden müssen. Trotzdem werden gerade diese Daten üblicherweise in Begriffen beschrieben und diskutiert, die ins Mittelalter gehören und der modernen Wissenschaftsphilosophie fremd sind. Nur Wenige bezweifeln, dass das Universum weitaus interessanter und mysteriöser ist, als es etwa August Comte oder Herbert Spencer erschienen sein mag, aber es wird immer noch in denselben Begriffen darüber gesprochen. Im vorliegenden Buch werden wir uns weniger damit befassen, Tatsachen neu zu ordnen oder zu interpretieren, sondern vor allem mit der Notwendigkeit, Sprache auf eine Weise zu rekonstruieren, dass über jede menschliche Erfahrung, welcher Natur auch immer, in konsistenten und kohärenten Begriffen gesprochen werden kann. Dafür wird zuallererst eine weitreichende Rekonstruktion der Kategorien des Denkens benötigt. Anstelle der beliebigen Entwürfe, die von Philosophen, von Aristoteles, Kant und Hegel bis zu Alexander und Whitehead vorgeschlagen wurden, werden wir in der Erfahrung selbst nach Kategorien und Prinzipien suchen, die in der Lage sind, sich mit dem Fortschritt der Wissenschaft weiter zu entwickeln. Die statischen Systeme, die in der Vergangenheit ein für allemal durch die Natur der menschlichen Vernunft festgelegt schienen, müssen durch ein dynamisches System ersetzt werden, das unserem Denken und unseren Sprachweisen eine neue Dimension hinzufügt.

Das Anliegen dieses Buches besteht jedoch nicht ausschließlich darin, Sprache zu rekonstruieren, sondern zu zeigen, dass es möglich ist, jenseits der Unterscheidung in das „was“ und das „wie“ der Dinge zum Sosein aller Erfahrung zu gelangen. Selbst wenn es möglich wäre, würde es nicht genügen, Antworten auf Fragen zu finden wie etwa: „Was sind wir und die Welt?“ oder „Wie funktionieren wir, wie funktioniert die Welt?“ Vielmehr müssen wir die Beziehung zwischen dem „Was?“ und dem „Wie?“ verstehen lernen, denn von dieser Beziehung hängt es ab, wie wir unseren Lebensweg ordnen und gestalten und vielleicht die Zukunft unserer Welt beeinflussen können. Das Sosein der Dinge ist notwendigerweise flüchtig. Unsere Suche danach kann schnell entmutigend sein und wir wenden uns dann der einfacheren Aufgabe zu, herauszufinden, wie die Dinge funktionieren und wie wir sie vorhersehen und brauchbar machen können. Das Sosein der Dinge besteht sowohl aus dem Unvorhersagbaren als auch aus dem Vorhersagbaren. Solange wir uns nur mit dem letzteren befassen, muss sich unsere Erfahrung unausweichlich entlang der Linien der Kausalität bewegen. Es mag so scheinen, als könnten wir den Gang der Ereignisse beeinflussen, aber das können wir nur in dem Sinne, in dem Seife entsteht, wenn Base dem Fett hinzugefügt wird und Säure dasselbe Fett wieder auslöst. Jede authentische Veränderung ist schöpferisch und nur möglich im Bereich des Unvorhersehbaren und Unerkennbaren. Ungeachtet ihrer Leugnung jedweden Interesses an diesen Bereichen haben die Naturwissenschaften all ihre Fortschritte ausschließlich jenseits der Linien der Kausalität und in der Konfrontation mit dem Unvorhersehbaren erzielt. Der Glaube allein, das Bekannte und das Unbekannte seien Manifestationen ein und derselben Realität allein ist nicht ausreichend. Wir müssen beides in Beziehung zu unserer eigenen Erfahrung setzen. Dies ist nur erreichbar, wenn Probleme nicht für späteres Studium zur Seite gelegt und die authentischen Elemente der Erfahrung nicht ignoriert werden. Es gibt als Ergebnis zahlloser Versuche reichlich Belege dafür, dass eine einheitliche Weltsicht nicht in Begriffen unseres gegenwärtigen Denkens erreichbar ist. Wir müssen die Konsequenzen akzeptieren und uns darauf vorbereiten, auf neue Weise zu denken, egal wie seltsam und sogar abstoßend diese unseren liebgewonnenen Überzeugungen erscheinen mag. So ist zum Beispiel nahezu jeder Wissenschaftler davon überzeugt, dass Spezialisierung unvermeidlich ist, und dass jeder Versuch, die Naturordnung als einheitliches Ganzes zu denken lediglich zu vagen Verallgemeinerungen führen muss. Im vorliegenden Buch werden wir zu dem Ergebnis kommen, dass alle natürlichen Phänomene in Begriffen einer kleinen Anzahl - genau gesagt eines Dutzends - von Kategorien und Prinzipien gedacht werden können. Wir werden auf der anderen Seite erkennen müssen, dass die gegenwärtigen Vorstellungen von Raum und Zeit einen ungenügenden Rahmen bilden, und dass es notwendig ist, zwei weitere, exakt definierte Dimensionen hinzuzufügen. Es gibt gute Gründe für einen solchen Schritt einer besseren Darstellung, der durch die neuen Erkenntnisse der dynamischen und physikalischen Wissenschaften erst möglich wird; aber es ist überaus schwierig, sich auf die Vorstellung einzulassen, es gäbe verschiedene Arten von Zeit und Raum. Das Anliegen, die Kategorien des Denkens auf die neuen Erkenntnisse der Wissenschaft auszudehnen, ist ermüdend und materiell wenig einträglich. Der heuristische Wert einer guten Arbeitshypothese findet sich in einer verbesserten Denkungsart nicht wieder und doch ist es die letztere, die uns auf lange Sicht in die Lage versetzen wird, uns an neue Erfahrungen zu gewöhnen, die die wissenschaftlichen Entdeckungen nahelegen, uns, den Wissenschaftlern und den Nicht-Wissenschaftlern, den Religiösen und den Irreligiösen, den Denkenden und den Nichtdenkenden gleichermaßen. Die Leinwand, auf die das zukünftige Bild Gottes, des Menschen und des Universums geworfen werden wird, muss erheblich größer sein, als das, welches der menschliche Geist sich bisher vorstellen kann. Wenn wir versuchen, sie dem gegenwärtigen Rahmen unserer Kategorien und Formen des Denkens überzustreifen, wird sie weiterhin durchhängen. In den

folgenden Kapiteln wollen wir nicht etwa versuchen, das Bild zu malen oder auch nur die Leinwand zu spannen, sondern wir wollen lediglich zeigen, dass ein solches Vorhaben eines Tages möglich sein mag. Die gegenwärtige Unmöglichkeit, eine Aufgabe zu erfüllen, kann keine Entschuldigung dafür sein, sich zu weigern, einen Schritt zu ihrer zukünftigen Realisierung zu machen.

1. BUCH





Die Grundlagen

TEIL 1

METAPHYSIK

KAPITEL 1

AUSGANGSPUNKTE 1.1.1. ERSTE UND LETZTE FRAGEN Die für die Menschheit wirklich entscheidenden Fragen wurden schon vor langer Zeit gestellt und sie sind noch immer ohne Antwort. Kein Mythos so primitiv und keine Legende so alt, dass sie nicht das Bedürfnis des Menschen zum Thema hätten, seine Bestimmung und seine Beziehung zu Gott und dessen Schöpfung zu verstehen. So alt sind diese Fragen, dass bereits die frühesten Zeugnisse menschlicher Spekulation - wie das Epos des Gilgamesh und die Rig Veda - mit der Frage auch gleich den Zweifel formulieren, ob eine Antwort jemals gefunden werden kann. So finden wir gleich zu Beginn die unbezweifelbare Tatsache vor, bestätigt in 5000 Jahren der Forschung, in denen alle Ressourcen der Beobachtung, des Experiments, der Inspiration und der Vernunft zum Einsatz kamen, dass unsere letzten Fragen niemals beantwortet wurden und wir heute von Antworten genauso weit entfernt sind wie eh und je. Unsere Suche gilt nach wie vor dem Geheimnis der menschlichen Bestimmung. Es ist eine Reise ins Unbekannte; aber da jede Reise einen Anfang hat, kann als Ausgangspunkt die Erkenntnis dienen, dass unser Ziel in der Tat unbekannt ist; dass wir weder wissen, wo und wie die Menschheit entstand und wohin wir gehen, noch was wir tun sollten. Der Mensch war bezüglich seiner Bestimmung immer unwissend. Er ist es heute weder mehr noch weniger, als er es vor tausend oder fünftausend Jahren war. Mit dieser Erkenntnis müssen wir uns auch von der Idee verabschieden, dass es im Wissen des Menschen über die Gründe seiner Existenz auf Erden irgendeinen Fortschritt gäbe und uns vielleicht sogar mit der Aussicht begnügen, dass wir für immer im Bereich des Relativen und Ungewissen bleiben werden. Die allgemeine Relativitätstheorie hat uns gelehrt, dass wir darauf vorbereitet sein müssen, auf jede Erwartung präziser und letztgültiger Antworten zu verzichten. Wir sind gezwungen, anzuerkennen, dass Präzision und Verallgemeinerung nur auf Kosten des jeweils anderen zu haben sind. Der Wissenschaftler und der Philosoph haben gleichermaßen versucht, Begriffe wie „eher“, „irgendwie“ und „vielleicht“ aus ihrem Wortschatz zu streichen und alle relativierenden Adjektive zu meiden. Sie werden nichts dagegen haben, zu sagen, dass eine Farbe rötlich ist, aber Ausdrücke wie die „Wahrlichkeit“ eines Theorems , oder ein „irgendwie wahr“ oder „eher wahr“ nicht tolerieren können. Und doch sind es gerade solche Begriffe, die unsere Aufmerksamkeit auf die Ungewissheit und Relativität all unseres möglichen Wissens lenken und sie sind unvermeidlich, wenn wir uns nicht selber etwas vormachen und andere mit dem, was wir sagen, in die Irre führen wollen. In den vergangenen 2500 Jahren ist die spirituelle Geschichte der Menschheit eine Suche nach dem Absoluten gewesen. Die universalen Werte - Wahrheit, Schönheit und so fort wurden in absoluten Begriffen verfolgt. Die Philosophie hat von ihren Lehrsätzen absolute Folgerichtigkeit, Vollständigkeit und Angemessenheit erwartet. Die Wissenschaft hat nach finalen Erklärungsprinzipien und strengen, universale Gültigkeit besitzenden Naturgesetzen gesucht. Die Gläubigen konnten nicht an einen Gott glauben, den sie nicht für absolut unnahbar und doch absolut gut hielten - absolut mächtig und doch absolut vergebend. Die Kunst hat nach dem Ideal absoluter Schönheit gesucht und nach Formen, die ewig gültig und unzerstörbar sein sollten. Im politischen und sozialen Leben haben Menschen um die idealen Formen einer Gesellschaft gerungen, in der absolute Gerechtigkeit sich mit perfekter Gleichheit und vollständiger Freiheit verbinden sollte. Der Glaube an die Möglichkeit, absolute Werte zu finden, war das Leitprinzip nicht nur für die griechisch-römische

Zivilisation und ihre Nachfolger, sondern auch für die islamischen, hinduistischen und fernöstlichen Zivilisationen. Dieses Leitprinzip wurde während der gesamten megalanthropischen Epoche10 als Dogma akzeptiert. Das Motiv hinter der unbezweifelbaren Akzeptanz dieses Dogmas war der Wunsch nach Aufrechterhaltung der Illusion, der Mensch stünde im Zentrum einer Welt, die er kennen und meistern könne. Dieses Dogma hat sich auf wirklich jedem Feld als unhaltbar erwiesen und wurde im vorletzten Jahrhundert überall aufgegeben, entweder stillschweigend oder öffentlich. Die Epoche des Absoluten endete und die des Relativen hat begonnen. Trotzdem sind wir immer noch sehr weit davon entfernt, die Implikationen unserer neuen Weltanschauung zu begreifen und wir befinden uns deshalb nahezu überall in der unbequemen Situation, zwischen zwei Stühlen zu sitzen - unfähig, unsere Absolutheitsansprüche aufzugeben, aber doch noch nicht in der Lage, uns die Denkweisen anzueignen, die zu der neuen Epoche gehören. Wir müssen die alte Suche nach dem Absoluten aufgeben - nicht als Suche, die sich jenseits unserer Möglichkeiten befände, sondern eher als eine, die uns gründlich in die Irre geführt hat. Wir müssen weniger unser Scheitern eingestehen, als vielmehr zugeben, dass das, was wir versucht haben, niemals hätte versucht werden sollen. Auf jeden Fall gibt es nichts zu verlieren; der Absolutismus des Denkens ist seit hundert Jahren tot und von jenen, die absoluten Vorstellungen treu bleiben - ob in der Religion, der Wissenschaft oder der Politik - haben sich nur wenige den Glauben an ihr Fach und die Hoffnung in dessen Ausübung bewahrt. Wenn es uns unmöglich ist, letztgültige oder absolute Urteile über irgendeinen Gegenstand abzugeben - auch über die Denkweisen und logischen Systeme, die wir uns als Bedeutsamkeitsprüfungen angeeignet haben - dann muss alles als unsicher betrachtet werden, auch die Ungewissheit selbst.11 Wenn Ungewissheit als ein Kanon des Denkens übernommen wird, kann sie wiederum nicht als letztgültig betrachtet werden. Trotzdem kommen wir nicht weiter, wenn wir nicht Vermutungen über das anstellen, was sich jenseits der gegenwärtigen Erfahrung befindet. Die einfachste und plausibelste Vermutung, die uns möglich ist, besteht in der Annahme, dass wir Menschen mit unserer Ausstattung zur Wahrnehmung der Welt ein typisches Beispiel für die Welt darstellen, die wir fassen wollen. Indem wir entdecken, dass Zufall und Ungewissheit in unserer eigenen Wahrnehmung niemals abwesend sind, können wir vernünftigerweise annehmen, dass sie überall und in allem anwesend sind.12

1.1.2. DAS DRAMA DER UNGEWISSHEIT Zuzugeben, dass alle Existenz unsicher und deshalb gefährdet ist, mag als Verleugnung von allem erscheinen, wofür die Menschheit in den letzten zweieinhalbtausend Jahren gekämpft hat. Man hält den griechischen Philosophen zugute, dass sie, indem sie den Menschen in das Zeitalter der Vernunft führten, die mysteriösen Ängste für immer verbannten, von denen man annahm, dass sie den primitiven Menschen beherrschten. Alle - von Thales bis zu Aristoteles - suchten nach einer endgültigen Lösung für das große menschliche Problem der 10 Die Bezeichnung verweist auf die übertriebene Bedeutung, die dem Menschen und seinen kognitiven und gestalterischen

Fähigkeiten zugeschrieben wird. Siehe J.G. Bennett, The crisis in human affairs, S. 27ff 11 Siehe A.N. Whitehead, Process and Reality, S. 4: „Philosophen können letztlich niemals hoffen, diese metaphysischen

ersten Prinzipien formulieren zu können. Mangelnde Einsicht und unzureichende Sprache stehen unverrückbar im Wege. Wörter und Phrasen müssen gedehnt werden, um einer Allgemeingültigkeit entsprechen zu können, die ihrem üblichen Gebrauch fremd ist; und wie auch immer solche sprachlichen Elemente als Termini Technici stabilisiert werden mögen, sie bleiben sprachlose Metaphern für den imaginativen Sprung. 12 Betrand Russen, Human Knowledge, Its scope and Limits, S. 527: „Alles menschliche Wissen ist unsicher, ungenau und

partiell. Für diese Doktrin haben wir nirgendwo eine Einschränkung gefunden.“

Bedeutung der Existenz. Selbst Anaximander mit seinen Prinzipien des Gestaltlosen und des Kampfes der aus ihm hervorgehenden Qualitäten glaubte, das Mysteriöse und Zufällige einem Gesetz der universalen und ultimativen Gültigkeit unterordnen zu müssen, das für die Gestaltung menschlicher Angelegenheiten gekannt und eingesetzt werden konnte. Jene, die wie Heraklit glaubten, dass die Bedeutung der Existenz in dem Satz zu finden sei: „Alles vergeht und nichts besteht“ betrachteten es ebenso als gegeben, dass es jenseits der andauernden Bewegung etwas Stabiles geben müsse - Das Eine und das Viele: `Aus Allem, das Eine; Aus dem Einen, Alles.`13 In Indien entwickelte Gautama Buddha, ein Zeitgenossene der frühen griechischen Philosophen, seine Lehre von der universellen Kausalität; er versicherte damit seinen Anhängern, dass die obskuren Ängste, die sie quälten, illusorisch waren und behauptete, dass der Mensch für seine eigene Erlösung auf sich selber angewiesen sei. In China lehrte Konfuzius die Verlässlichkeit der menschlichen Vernunft und riet den Menschen, ihre Ängste vor dem Unbekannten hinter sich zu lassen. Seitdem sind hundert Generationen geboren worden und gestorben, und die Verbannung mystischer Furcht ist so erfolgreich gelungen, dass sich der moderne Mensch vom Unsichtbaren nicht länger ängstigen lässt. Stattdessen findet er sich konfrontiert mit den sichtbaren Schrecken seiner eigenen Schöpfungen und sieht sich wieder der Ungewissheit der Geschichte ausgeliefert, von der er glaubte, dass er bereits von ihr erlöst sei oder es bald sein werde. Der Glaube an universelle Gesetzmäßigkeit ist auf den Menschen zurückgefallen und anstelle der Ungewissheit sieht er sich nun zu der Schlussfolgerung genötigt, dass eine erbarmungslose Kausalität die Zukunft bis ins kleinste Detail bestimmt. Da diese Schlussfolgerung für unsere menschliche Natur grundsätzlich inakzeptabel ist, sehen wir uns einem Dilemma gegenüber, dem wir nicht entkommen können, solange wir irgendeinem Glauben an absolute Gesetze oder letzte Antworten anhängen. Da dies so ist, sind wir gezwungen zuzugeben, dass der Rationalismus uns nicht mehr als eine falsche Zuversicht vermittelt, die sich in der Praxis nicht bewährt und dass es notwendig ist, genauer hinzuschauen und anzuerkennen, dass Ungewissheit und Gefährdung immer mit einbezogen werden müssen. Sobald dieser entscheidende Schritt getan ist, entdecken wir, dass wir einen großen Teil der Schwierigkeiten hinter uns lassen, von denen der menschliche Geist besessen war in dem Versuch, die menschliche Erfahrung mit dem Glauben an universelle Ordnung und göttliche Vorhersehung zu versöhnen. Wenn alles, was existiert ungewiss ist, dann ist es nicht überraschend, dass unser menschliches Leben gleichfalls ungewiss ist. Wenn Ungewissheit sogar die Operationen des göttlichen Willens beherrscht, dann können wir uns auch mit dem Spektakel des menschlichen Leidens aussöhnen, gegen das wir solange revoltieren müssen, solange wir es als negative Oase in einer Wüste der Perfektion betrachten. Überdies stellt die Erkenntnis der Ungewissheit und der Gefährdung in der Funktion der universellen Gesetze die Bedeutung unseres menschlichen Strebens erst wieder her. Wenn der Mensch kein Bauer in den Händen eines allmächtigen und allwissenden Schachspielers ist, dann ist er vielleicht etwas viel Bedeutenderes, nämlich ein Wesen, auf dem echte Verantwortung ruht für seine eigene Rolle im kosmischen Drama. Die bewusste Erfahrung der Gefährdung entspricht einem Zustand der Bedürftigkeit und eine Bedürftigkeit, die sich der Gefährdung hinsichtlich ihrer Befriedigung gegenübersieht, ist dramatisch. Deshalb möchten wir von einem dramatischen Universum sprechen und dadurch die Aufmerksamkeit auf das Wesen einer Existenz lenken, die sich durch die Allgegenwart von Relativität und Ungewissheit auszeichnet, kombiniert mit Bewusstsein und der Möglichkeit von Freiheit. Wo es kein Drama - keine Schwebe - gibt, da gibt es keine tiefe Bedeutung. Es ist unecht und widersprüchlich, anzunehmen, dass es das Drama der Ungewissheit und der Schwebe im menschlichen Leben geben könne, aber dass das große

13

Siehe C. Bailey, The greek atomists and Epicurus, S. 19.

Universum frei davon sei.14 Um die volle Bedeutung der Macht zu würdigen, die in der Idee eines dramatischen Universums schlummert, muss das Bewusstsein wieder in jenen wirksamen Zustand versetzt werden, aus dem es durch die Atomisten und ihren modernen Nachfolger, die logischen Positivisten vertrieben wurde; denn Ungewissheit, die sich im Erkennen eines wirksamen Bewusstseins spiegelt, ist nicht länger blinder Zufall. Wir können hier die Morgenröte eines neuen Lichts erkennen, das kosmologische Probleme auf eine Weise beleuchtet, die uns die höchste Ungewissheit in der Ordnung des Universums enthüllt - einer Ungewissheit, die ihre größte Intensität in der Göttlichen Natur auf dem einen und in der atomaren Struktur auf dem anderen Pol erreichen muss. Wir müssen unsere Haltung gegenüber unserer menschlichen Kapazität, die Wirklichkeit zu verstehen, auf grundlegende Weise verändern; denn wir müssen nicht nur die universelle Ungewissheit in Betracht ziehen, sondern auch unsere Unfähigkeit, selbst jenen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit zu verstehen, der durch die Sinneswahrnehmung in unsere Erfahrung tritt.

1.1.3. DIE GRENZEN DER MENSCHLICHEN WAHRNEHMUNG Der Grund dafür, dass wir die Antworten auf unsere tiefsten Fragen nicht finden, liegt wahrscheinlich darin, dass uns die dafür benötigten Instrumente nicht zur Verfügung stehen. Unsere Wahrnehmungen sind begrenzt und unser Denken unterliegt Beschränkungen, die kein gewöhnlicher Mensch überwinden kann. Unsere Urteile haben die Form von `ja´ und `nein´- sie sind mehr oder weniger qualifiziert und mehr oder weniger klar. Wo wir komplexen Fragestellungen gegenüberstehen, sind wir gezwungen, zu künstlichen Vereinfachungen Zuflucht zu nehmen, die es uns, soviel ist richtig, ermöglichen, endgültige Antworten zu geben; aber durch den Prozess der Vereinfachung kommt uns unausweichlich der wichtigste Faktor abhanden - nämlich die Greifbarkeit der Situation selbst. Im Bereich der Ideen kann der Mensch bis Zwei zählen und in unter besonders glücklichen Umständen bis Drei. Er kann nicht erkennen, was notwendig wäre, um komplexere Kombinationen zu erreichen. Diese Beschränkung betrifft nicht nur den menschlichen Intellekt, sondern auch die Gefühle und instinktiven Prozesse des Menschen. Seine emotionalen Urteile sind zumeist auf die Wahl von Mögen und nicht Mögen, Anziehung und Abstossung, Interesse und Gleichgültigkeit begrenzt. Seine instinktiven Reaktionen unterliegen dem immer gleichen Dualismus von Genuss und Schmerz, Aktivität und Ruhe, von Stimulus und Hemmung. Eng verbunden mit dem Kult um das Absolute ist die sich aus der Struktur unseres menschlichen Organismus und seiner psychischen Funktionen ergebende Annahme, dass Beschränkungen zu jener größeren Welt gehören, von der wir Menschen ein solch kleiner Teil sind. Wir erfahren uns selbst und die Welt für gewöhnlich als Folge von Momenten, die sich in zeitlicher Folge ergeben und betrachten diese zeitliche Aktualisierung als einzige Realität. Es gibt jedoch gute Gründe für die Schlussfolgerung, dass die zeitliche Abfolge, die wir durch unsere Sinneswahrnehmung und unser Bewusstsein rezipieren keinesfalls einzigartig ist; sondern dass es ganz im Gegenteil viele verschiedene Zeitlinien gibt, die sich parallel zueinander aktualisieren. Es scheint darüber hinaus, dass diese verschiedenen Zeitlinien miteinander auf eine Weise reagieren, die unsere Sinne nicht wahrnehmen können. Falls diese Folgerung zutrifft, bedeutet das, dass der größere Teil der in jedem gegebenen Moment aktualisierten Realität für unsere Wahrnehmung nicht zugänglich ist.

Wenn wir uns fragen, ob wir hier etwas aussagen was nicht bereits enthalten wäre in den Schriften von Leukipp und Demokrit können wir vielleicht mit dem Satz antworten, der Thales von Aristoteles zugeschrieben wurde: „Alle Dinge sind voll von Gott.“ Siehe Aristoteles, Of the soul, A.5.411, auch H. Diele, Die Fragmente der Vorsokratiker, S. 22 14

Wir sprechen von der Vergangenheit als vergangen und von der Zukunft als noch nicht existent, denn mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln können wir in die Vergangenheit nicht zurückkehren und vermuten entsprechend, dass eine Bewegung in diese Richtung unmöglich sei. Weil wir den Gang der Dinge nicht überholen und in die Zukunft eintreten können, bevor sie angekommen ist, vermuten wir, dass jede Existenz derselben Beschränkung unterliegt. In der immer gleichen unberechtigten Annahme, unsere Sinne seien adäquate Instrumente zur Wahrnehmung all dessen was „wirklich“ existiert, versuchen wir, uns unser Leben und unsere Beziehung zu einer höheren Macht ausschließlich dadurch zu erklären, was wir sehen und berühren können. Solche Annahmen sind einigermaßen naiv und wir können ohne Schwierigkeiten den Nachweis erbringen, dass unsere Sinne, weit davon entfernt uns vollständige und effektive Mittel zur Wahrnehmung der Wirklichkeit zur Verfügung stellen zu können, alle Informationen, die uns aus der Außenwelt erreichen auf charakteristische Weise verfälschen und uns ein verkürztes und unvollständiges Bild präsentieren, durch das wir ständig in die Irre geführt werden. Wir Menschen existieren auf Erden nur für sehr kurze Zeit. Der Zeitraum von vierzig oder fünfzig Jahren, in dem wir effektiv nach der Bedeutung unserer Existenz suchen und unsere Aufgabe auf Erden erfüllen können, müsste zehnmal so groß sein, wenn wir darauf hoffen wollten, all das zu erreichen, was für den Menschen möglich sein sollte. Bis zu einem gewissen Grad wird die Kürze unseres persönlichen Lebens durch das kollektive Gedächtnis der Menschheit kompensiert, das in Büchern, Kunstwerken und anderen Aufzeichnungen gespeichert ist. Aber wir vergessen oft, wie unzureichend der Mensch seine Erfahrungen durch das geschriebene Wort vermitteln kann. Er kann Gefühle hervorrufen und er kann abstraktes Wissen weitergeben und in gewissem Maße kann er Anderen auch die Art und Weise vermitteln, wie diese Gefühle und Gedanken erfahren wurden, so dass jene seinen eigenen Prozess nachvollziehen können, wenn sie dies wünschen. Aber das tiefere Verstehen, das so wesentlich ist, wenn das menschliche Dasein in eine neue Epoche eintreten soll, kann nicht weitergegeben oder auch nur geteilt werden; denn es entstammt ausschließlich der einzigartigen Erfahrung eines Menschen. Da er nicht realisiert, wie wenig sich die subjektive Erfahrung durch Bücher oder Kunstwerke weitergeben lässt, vertraut der Mensch in übertriebener Weise auf das gesprochene oder geschriebene Wort und beraubt sich so selbst der Möglichkeit, das kurze Leben, das ihm gegeben ist, weise zu nutzen und für sich selbst die Antworten auf seine Fragen zu finden. Die Erfahrung des Durchschnittsmenschen ist ebenso eng beschränkt und ortsbezogen. Er weiss wenig über das, was jenseits des kleinen Fleckens Erde existiert, auf dem er zufällig lebt. All seine Erfahrung bezieht sich auf einen Körper bestimmter Größe, während sich doch in diesem und um ihn herum Ereignisse in Größenordnungen vollziehen, millionenfach oder sogar milliardenfach kleiner oder größer als sein eigenes trügerisches „Hier und Jetzt“. Wenn er auch durch wissenschaftliche Forschung um die Existenz solcher Ereignisse weiss, ist er doch ziemlich unfähig, sie zur Bedeutung seiner eigenen Existenz in Beziehung zu setzen. Dass dies so ist, kann sich leicht jeder beweisen, der sich etwa die Mühe macht, die Frage zu beantworten, ob er in der Lage ist, seine Handlungen als beeinflusst durch die Bedürfnisse oder die Erfahrungen einer einzelnen Zelle seines Organismus zu betrachten oder ob er sich sich selbst als von Bedeutung für die Existenz eines Sterns vorstellen kann.

1.1.4. FORMEN DES DENKENS Wenn wir unter dem Begriff des Denkens die bewusste Richtung eines mentalen Prozesses hin auf ein bestimmtes Ziel verstehen, sind wir gezwungen, festzustellen, dass nur wenige Menschen überhaupt „denken“. Die extreme Seltenheit eines bewusst gerichteten Gedankens kann in scharfem Kontrast mit der allgemeinen Mechanität all unserer menschlichen Funktionen betrachtet werden. Eigeninitiierte, zweckgerichtete Handlungen,

die bis zu einem effektiven Abschluss durchgehalten werden, spielen fast keine Rolle in irgendeiner Phase des menschlichen Lebens. Die Unterschiede, die wir zwischen zwei Personen wahrnehmen, bestehen nicht in verschiedenen Graden bewusster Kontrolle, sondern in lediglich in Unterschieden des Spielraums und der Wirksamkeit des Mechanismus für automatische Assoziation und Reaktion. Selbst das sogenannte „absichtliche Denken“ und die „gerichtete Aufmerksamkeit“ sind zum größten Teil lediglich Reaktionen, wobei zwei Regionen im zentralen Nervensystem gleichzeitig auf einen gegebenen Stimulus reagieren.

(a) Assoziatives Denken Die meisten von uns erleben den Strom von Assoziationen und mentalen Bildern, die uns durch die automatische Tätigkeit unseres Nervensystems präsentiert werden in passiver Weise. Die Phänomene von `Interesse´ und `Konzentration´etwa können auf chemische Reaktionen im Blut zurückgeführt werden, die die Aktivität des vegetativen Nervensystems dort intensivieren, wo dieses auf die Tätigkeit des thalamo-kortikalen Mechanismus trifft. In solchen automatischen Prozessen, in denen eine große Zahl Reaktanten eine Rolle spielen, hängen die resultierenden Kombinationen gewissermaßen von Gelegenheit und Zufall ab, und in Anbetracht dessen können wir durchaus schlußfolgern, dass die großen Entdeckungen der Wissenschaft nichts weiter als ungewöhnliche Kombinationen sind, deren Auftreten in solchen Fällen einer endlichen Wahrscheinlichkeit unterliegt. Es gibt jedoch im speziellen menschlichen Nervensystem einen Auswahlmechanismus, der die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Denken und Fühlen durch automatische Assoziation zu einem interessanten oder nützlichen Ergebnis führen. Auch unter Berücksichtigung dieses Mechanismus wird uns ein gründliches Studium der menschlichen Errungenschaften überzeugen, dass sich, wie selten auch immer, manchmal authentisches kreatives Denken und Fühlen im Menschen ereignet, und dass alles, was interessant und bedeutend im menschlichen Leben ist, durch diese gelegentlichen Phänomene verursacht wurde. Wenn wir nun weiter nachforschen und nach dem Umstand suchen, der es dem Menschen innerhalb seines Mechanismus der automatischen Assoziation ermöglicht, von Zeit zu Zeit Momente authentischer Freiheit zu erleben, dann entdecken wir, dass dieser Umstand eng mit der mysteriösen Eigenschaft des Selbstbewusstseins verbunden ist - einer Eigenschaft, die den Menschen von jeder Maschine unterscheidet, die er konstruieren kann. Wenn wir die Rolle des Selbstbewusstseins untersuchen, erkennen wir, dass die Qualität des Denkens von einer Anzahl unabhängiger Gedanken abhängt, die in ihrer vollen Bedeutung innerhalb des Bereichs eines einzelnen bewussten Zustands umfasst werden können. Nahezu jede menschliche Denkfähigkeit besteht, wie wir gesehen haben, in der automatischen Assoziation als Ergebnis aufeinanderfolgender Vorstellungen von Ideen, die sich ihrerseits aus dem Material vergangener Sinneswahrnehmungen zusammensetzen. Auf diesen Prozess können die Gesetze der Wahrscheinlichkeit angewendet werden, um zu erklären, wie es dazu kommt, dass nur ein einzelner mentaler Zustand aus vielen Milliarden Zuständen die Entstehung einer neuen oder bedeutenden Kombination von Ideen ermöglichen kann. Es erscheint offensichtlich, dass wir die Möglichkeiten erforschen müssen, die durch Kombinationen jenseits des üblichen assoziativen Denkens entstehen, wenn es darum geht, dem Geist neue Wege zu erschließen.

(b) Logisches Denken Sobald eine gewisse Disziplin in den assoziativen Prozess eingeführt wird, tendiert das Denken zur Logik. Seit alten Zeiten wurde die Logik mit den Regeln in Verbindung gebracht, anhand derer wir Urteile, etwa zur Bestätigung oder Falsifizierung von Annahmen fällen.

Diese sind die verbalen Ausdrucksformen, mit denen Ideen paarweise gegenübergestellt werden, wohingegen es in gewöhnlichem assoziativem Denken keine wirksame Konfrontation gibt. Logisches Denken stellt deshalb einen wichtigen Fortschritt gegenüber automatischer Assoziation dar. Es erfordert eine besondere Anstrengung, ausgelöst entweder durch einen ungewöhnlichen Stimulus oder lange Übung, bevor der Mensch in der Lage ist, zwei vollständig unabhängige Ideen in Betracht zu ziehen und ihren gegenseitigen Bezug zu erkennen. Das Ergebnis reicht jenseits des Gegenstands der Ideen, so wie sie unmittelbar dargestellt sind und kann als polares Denken bezeichnet werden. Zwei Ideen, die unabhängig sind und sich gegenseitig ausschließen, bilden einen Dipol mit eigenem Kraftfeld. Durch die Fähigkeit, dieses Kraftfeld zu erfahren, ist der geschulte Logiker in der Lage, innerhalb der Grenzen der Ideen, die er formulieren kann, synthetische Urteile zu fällen. Der Unterschied zwischen synthetischen Urteilen und automatischer Assoziation besteht im Vorhandensein polarer Erfahrung. Die Worte `Sein´und `Nichtsein´zum Beispiel stehen für zwei unabhängige Konzepte, die sich im Rahmen eines einzigen Bewusstseinsakts plötzlich zugleich kompatibel und inkompatibel erscheinen. Der mentale Prozess, durch den die beiden Begriffe zu einer dritten Idee führen, die sie harmonisiert, ohne ihre jeweilige Bedeutung zu zerstören wird als dialektisch bezeichnet. Hegel etwa sieht im `Werden´ einen Begriff, der `Sein´und `Nichtsein´ versöhnt.15 Jedes Paar unabhängiger Ideen kann als polare Dyade behandelt werden. So können `Königtum´und `Freiheit´durch die Idee der Verantwortung versöhnt werden, die auf Beides angewendet werden kann und sich doch von Beidem unterscheidet. Dialektisches Denken entstammt sicherlich einer anderen Ordnung als der der automatischen Assoziation und des Vergleichs von Ideen. Obwohl schwierig zu praktizieren ist diese Form des Denkens gleichwohl extrem beschränkt in ihrem Spielraum. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sie zur Lösung praktischer Lebensprobleme unbrauchbar ist und die großen Vertreter der Dialektik, von Plato bis zu Hegel und Marx, haben sich als schlechte Ratgeber sowohl des privaten als auch des öffentlichen Lebens erwiesen. Die Dialektik führt überdies zu einer fehlerhaften linguistischen Form. Unsere gewöhnliche Sprache, obwohl voller Inkonsistenzen und Zweideutigkeiten, kann auf die Beschreibung von zweiwertigen Systemen angewendet werden. Wenn die Bedeutung von Worten und Sätzen mit besonderer Sorgfalt definiert wird, entsteht eine Logik, die sich als Gesetz zweiwertiger Systeme erweist. Der Vorgang, durch den die Sprache an diese Regeln angepasst wird, führt jedoch zu einer unausweichlichen Verarmung. Die Zweideutigkeiten und Inkonsistenzen unserer gewöhnlichen Sprache sind kein Defekt und ihr Erkennen erinnert uns daran, dass Erfahrung mehr Dimensionen als die Logik hat. Analytische und skeptische Philosophen haben im Verlauf von hundert Generationen die Dürftigkeit zweiwertigen Denkens entlarvt und es ist notwenig, die den höheren Denkformen innewohnenden Möglichkeiten zu untersuchen. Bei der Suche nach Formen jenseits der Logik laufen wir Gefahr, von ernsthafter Nachforschung in fantastische Spekulation zu geraten; aber es ist erfolgsversprechender, den Versuch zu unternehmen, als zu der Sterilität verdammt zu bleiben, welche die Philosophie durch Formen des Denkens überwältigt hat, die gänzlich außerstande sind, irgendetwas Neues hervorzubringen.

(c) Supralogisches Denken Supralogisches Denken ist sowohl relativ als auch transzendental. Es benötigt deshalb mehr Kategorien als das einfache `Ja´und `Nein´der Logik. Die Notwendigkeit, jenseits der `Gegensatzpaare´ zu gelangen ist ein wiederkehrendes Thema östlicher Weisheit. P.D. Ouspensky bezeichnete supralogisches Denken in seinem bemerkenswerten Buch `Terium Organum´ als den `dritten Kanon des Denkens´, der in der nächsten Epoche den logischen

15 Siehe Hegel, Logic, übersetzt v. Wm. Wallace (Oxford, 1892), pp- 158-64

Dualismus des vorangegangenen Zeitalters ersetzen würde. Die Dialektik ist im besten Falle ein Zwischending auf dem Weg zum kreativen Denken, für das zumindest drei unabhängige Ideen in Betracht gezogen werden müssen. Ein solch triadisches Denken ist jedoch jenseits der gewöhnlichen Fähigkeiten der Instrumente, mit denen der Mensch durch die Natur ausgestattet wurde.16 Die Betrachtung der Triade besteht nicht nur in der Erkenntnis einer dritten Idee als Versöhnung zweier Gegensätze, sondern eher darin, in der Einheit von drei Ideen eine Veranschaulichung des fundamentalen Bezogen-seins zu sehen, durch das alle Erfahrung regiert wird. Solange lediglich der primitive Assoziationsmechanismus am Werk ist, macht es wenig Sinn, von der `Einheit der Triade´ zu sprechen. Um diese Einheit wahrnehmen zu können, bedarf es einer Aufmerksamkeit, die nur aus einer Bewusstseinsveränderung entstehen kann. Solch eine Veränderung ereignet sich so selten und in so wenigen Menschen, dass sie in den üblichen Studien zur menschlichen Natur keine Berücksichtigung findet. Wo die extreme Seltenheit oder die außergewöhnliche Macht triadischen Denkens nicht erkannt wird, können die üblichen Erzählungen über das menschliche Denken die authentischen Innovationen nicht erklären, die sich von Zeit zu Zeit im menschlichen Verstehen der universellen Ordnung ereignen.

1.1.5. DIE BEDEUTUNG DER ZAHL Auch befreit von den Beschränkungen der Logik erstreckt sich das Denken nicht über die Triade hinaus; doch zweifellos müssen vierwertige, fünfwertige und noch höhere Begriffe bedeutsam sein. Ein authentisches vierwertiges System etwa unterscheidet sich erheblich von einer Triade und wir können nicht darauf hoffen, ein solches System alleine im Bereich des Denkens erfassen zu können. Vielwertige Systeme zwingen uns deshalb, die Bedeutung der Zahl als Faktor aller Erfahrung in Betracht zu ziehen; und dafür müssen wir nach einem umfassenderen Verstehen suchen, als es durch die Gesetze der Logik alleine gegeben ist. Die logische Interpretation von Zahlen ergibt sich aus der Bildung von Klassen und ist dem Wesen nach polar oder dualistisch; das heisst, sie besteht in der Zuweisung eines Objekts zu einer bestimmten Klasse in Begriffen der einfachen Unterscheidung von `ja, gehört dazu´ oder `nein, gehört nicht dazu´. Diese Vorgehensweise führt zu einer Sicht auf die Zahl, nach der es nichts zu wissen gibt außer den Gesetzen der Arithmetik. Diese Gesetze gehören jedoch zu einer eher primitiven Form des logischen Denkens. Es gibt verschiedene andere Möglichkeiten, über Zahlen nachzudenken. Wir können zum Beispiel verschiedene Gruppen von Objekten nehmen und, indem wir sie zu Paaren gruppieren, herausfinden, ob oder ob sich nicht eine 1zu1 Korrespondenz ergibt, so dass kein Objekt in irgendeiner der Gruppen getrennt bleibt17. Indem wir auf diese Weise fortfahren, können wir feststellen, dass alle Gruppen dieselbe Anzahl haben, unabhängig davon, welches die Objekte sind, aus denen sie bestehen. So können wir von einer Sammlung von 12 Äpfeln, 12 Menschen, oder einfach 12 Objekten sprechen. Zahlen, die auf diese Weise erreicht werden, nennt man kardinale Zahlen und ihre Eigenschaften können alle aus den einfachen Regeln des Zusammenstellens zu Paaren gewonnen werden. Um es anders zu sagen, kardinale Zahlen gehen nie über die Bedeutung der Zahl 2 hinaus. Wenn

16 Siehe Russel über Higher Relationships, in Contemporary British Philosophy, First Series. Siehe auch Human Knowledge,

pp. 271-3 17 Anmerkung d. Übersetzers:

Man spricht von einer Eins-zu-Eins-Zuordnung, wenn jedem Element genau ein anderes Element, genau ein Zahlwort zugeordnet wird. Das bedeutet, dass keines der Elemente doppelt gezählt und keines der Elemente vergessen werden darf.

wir einmal wissen, wie die Operation der Zuordnung von Paaren vorzunehmen ist, und wenn wir sicherstellen, dass es kein Überbleibsel gibt, müssen wir keine andere Berechnung vornehmen um von 2 zu 12 oder zu 200 oder jeder anderen Zahl zu gelangen. Eine andere Methode der Konstruktion einer Zahl besteht in Wiederholung. Durch die Wiederholung einer Aktion, die durch die Worte `und dies´ausgedrückt werden kann, entdecken wir, dass das bedeutet, eine geordnete Serie ordinaler Zahlen zu bilden, indem wir die Worte `erstens´, `zweitens´, `drittens´ und so weiter verwenden. Wir kombinieren die beiden Methoden, um zu einer Zahl zu gelangen, üblicherweise auf eher vage und inkonsistente Art. Zählen und paarweise Anordnung sind Operationen, die in ihrer Bedeutung ziemlich unterschiedlich sind, aber wir fragen uns erst gar nicht, worin der Unterschied liegt oder was die Ergebnisse gemeinsam haben. Es gibt eine Art und Weise, auf Zahlen zu blicken, für die es keinen allgemeinen Begriff gibt, die wir aber als `arithmetische Qualität´ bezeichnen können. Das betrifft die inneren Beziehungen in einer Gruppe und umfasst Eigenschaften wie die Unterscheidung zwischen den Prim- und den Kompositzahlen. So sind zum Beispiel die Zahlen Elf, Zwölf und Dreizehn sehr verschieden voneinander. Die Zahl 12, die durch die Multiplikation von 2, 2 und 3 zustande kommt, ist reich an inneren Kombinationen. Die Zahlen 11 und 13 sind beides Primzahlen, aber unterscheiden sich erheblich in der Art und Weise, auf die sie in größere Kombinationen eintreten. Man erkennt auf einen Blick, ob irgendeine Zahl durch 11 teilbar ist, während die Zahl 13 verborgen bleibt. Wenn wir die duodezimale Schreibweise verwenden, wird der scheinbare Charakter der zwei Zahlen umgekehrt. Für den Arithmetiker, der die Eigenschaften solcher Zahlen studiert, hat jede ihre eigene intrinsische Qualität, die interessanter und bedeutsamer ist, als die abstrakten Eigenschaften, die man erreicht, wenn Zahlen lediglich durch Paarung oder Wiederholung zustandekommen.

1.1.6. KONKRETE FORMEN UND MAGIE Auch mit dem Zählen, dem Paaren und dem Erkennen der Qualität ist die volle Bedeutung der Zahl bei weitem noch nicht erschöpft. Zahlen haben ihre eigene Bedeutung. Die Zahl Zwei symbolisiert nicht nur Dualität; `Zweiheit´ hängt ab und definiert die Trennung von Gegensätzen. Die Zahl Drei ist unauflöslich mit der Idee des Bezogen-seins verbunden. Die Drei als ein Klassenbegriff ist eine Abstraktion der Erfahrung - die Drei als Beziehung ist ein integraler Teil der Erfahrung selbst. Dies führt uns dazu, nach einer Eigenschaft zu suchen, die als konkrete Bedeutung der Zahl definiert werden könnte. Obwohl wir überzeugt sein mögen, dass eine solche Eigenschaft wirklich existiert, sind wir doch gezwungen zuzugeben, dass sie sich unseren Versuchen der Klassifikation entzieht. Wir sind deswegen jedoch nicht angehalten, konkrete Zahlen als illusorisch abzutun und noch weniger dazu, sie für unbedeutend zu erklären. Wenn wir uns jemals von den Beschränkungen des logischen Denkens befreien wollen, müssen wir in der Zahl eine neue Bedeutung finden; denn Zahl und Logik, so wie wir sie heute kennen, sind untrennbar. Es heisst, dass die Griechen dazu tendierten, den statischen Aspekt von Zahlen übermäßig zu betonen.18 Plato scheint jedenfalls in Zahlen wenig mehr als ihre arithmetische Bedeutung gesehen zu haben.19 Es ist jedoch bemerkenswert, dass Pythagoras die Tetrade für fundamentaler als die Triade hielt. Anaxagoras mit seinen `vier Substanzen´ teilt diese Sichtwiese grundsätzlich. Trotzdem kannten Pythagoras und die frühen griechischen Philosophen die ägyptische Tradition, für die Zahlen der Schlüssel zum Verständnis der

18

Siehe A.N. Whitehead, Modes of Thought, p. 11

19

Siehe Theätus, pp. 204-205

Wirklichkeit waren. Aristoteles argumentierte ziemlich im gleichen Sinne des vorliegenden Werks, soweit es um die Bedeutung der Zahlen Eins, Zwei und Drei geht.20 Die Suche nach der konkreten Bedeutung der Zahl ist schon sehr alt. Sie war es bereits im vordynastischen Ägypten - vor mehr als 5000 Jahren. Schon in einer unbekannten Periode vor den ersten schriftlichen Aufzeichnungen waren Menschen von dieser konkreten Bedeutung überzeugt und müssen deshalb erkannt haben, wie eine Zahl unmittelbarer Teil einer Erfahrung werden kann. Wenn wir `Konkretheit´ als die Eigenschaft einer Form bezeichnen, in unsere direkte Erfahrung einzutreten, können wir die seit uralter Zeit bestehende enge Verbindung zwischen Zahl und Magie erkennen. Magie ist die Kunst, durch die der Mensch versucht, Ereignisse zu beeinflussen. Es ist deshalb zu erwarten, dass der Glaube an die Konkretheit von Zahlen Hand in Hand gehen sollte mit dem Glauben an Magie und dass die Ablehnung des einen unausweichlich zur Verneinung des anderen führen müsste. Das Studium der menschlichen Ursprünge zeigt, dass Magie immer eine Rolle in der Bildung des menschlichen Charakters und der menschlichen Institutionen gespielt hat. Wir können deshalb die Magie bei unserer Sicht nach einem Verständnis der Bestimmung des Menschen nicht ausser acht lassen. Gegenwärtig gibt es gegenüber der Magie zwei Haltungen. Die eine könnte man als die offizielle Haltung von Wissenschaft, Philosophie und Religion bezeichnen. Diese Disziplinen weisen Magie als primitiven Aberglauben zurück, der nur soweit anthropologisch und historisch interessant sei, als er zeige, welch große Fortschritte der Mensch seit den ersten tastenden Versuchen seiner Suche nach Wahrheit gemacht habe. Die zweite Haltung ist die einer unkritischen Akzeptanz der Magie, entweder unter ihrem eigenen Namen oder unter anderen Etiketten, die auf verschiedene Weise den zugrundeliegenden Glauben verheimlichen, dass supernatürliche Kräfte direkt auf das Leben des Menschen einwirken. Die Akzeptanz von Magie reicht jedoch weit über naiven Aberglauben hinaus. Wir glauben immer noch an Magie, auch wenn wir ihr andere Namen geben. Der Glaube, dass Technologie oder irgendeine Form sozialer Revolution den Menschen von der Notwendigkeit zu arbeiten und zu leiden befreien könnten, ist vom Wesen her ununterscheidbar von den seltsamsten Glaubensvorstellungen bezüglich der Wirksamkeit von Magie. Es geschieht häufig - vielleicht fast immer - dass die Zurückweisung von Magie der einen Form und blinder Glaube an eine Magie der anderen Form sich Seit an Seit in derselben Person oder derselben Zivilisation wiederfinden. Wenn wir uns nun also der vor uns liegenden Aufgabe auf richtige Weise nähern wollen, müssen wir die Notwendigkeit erkennen, einen Kurs einzuschlagen zwischen naiver Akzeptanz und gleichermaßen naiver Zurückweisung der Realität konkreter Formen. Dieser mittlere Kurs besteht darin, einzuräumen, dass konkrete Formen sicherlich existieren müssen, dass aber der Mensch, so wie er ist, nicht über die Mittel verfügt, tief in ihr Wesen einzudringen.

1.1.7. EINE SCHRITTWEISE ANNÄHERUNG Whitehead hat uns daran erinnert, dass Beschränktheit in der Auswahl von Beweisen der Fluch der Philosophie sei. Jedes System kann dazu gebracht werden, plausibel zu erscheinen, solange wir jene Elemente der Erfahrung zurückweisen und ignorieren, die keinen Platz darin haben. Wenn wir uns jedoch die Aufgabe stellen, jede Erfahrung gleichermaßen zu respektieren - sei sie nun rational oder irrational, wissenschaftlich oder unwissenschaftlich, kommunizierbar oder unkommunizierbar - sind wir sehr schnell überfordert. Da jedes rationale Argument zumindest eine rationale Prämisse enthalten muss,

20Siehe

Physics, I, vi.

werden die Grenzen der menschlichen Vernunft zweifellos schnell erreicht. Die wissenschaftlichen Methoden der Beobachtung und des Experiments können das Unwiederholbare und das Außergewöhnliche, das in unserer ästhetischen Erfahrung einen so wichtigen Platz einnimmt, nicht berücksichtigen. Darüber hinaus gibt es Gesetzmäßigkeiten, die sich der Kommunikation widersetzen, weil sie Gesetzmäßigkeiten des Verstehens und nicht des Wissens und doch nicht weniger wichtig und nicht weniger universell sind als solche, die in Worten und Symbolen ausgedrückt werden können. Qualität ist ein authentisches Element jeder Erfahrung, aber sie kann nicht in derselben Weise erkannt werden wie die Quantität. Unsere Intuitionen von Qualität sind anders als jene der Quantitäten und sie können nicht in derselben Sprache ausgedrückt werden, und doch ist alle Erfahrung, gleich welcher Natur, ein Erkennen von Qualität. Kein Denksystem kann Qualität ignorieren, ohne das Risiko einer Sterilität auf sich zu nehmen, die um so tödlicher wirkt, als sie häufig selbstgenügsam und blind gegenüber ihrer eigenen Beschränkung ist. Nichtsdestotrotz liegt die Aufgabe, jeder möglichen Erfahrung zu begegnen, nicht in der Macht des Menschen; und es wäre dumm von uns, damit zu beginnen, solange wir nicht darauf vorbereitet sind, langsam vorzugehen und Elemente der Erfahrung zu suchen, die sowohl einfach als auch universell sind und wir sollten auch erwarten, ihre volle Bedeutung begreifen zu können. Wir können dann darauf hoffen, schrittweise ein Weltbild aufzubauen, zunächst nur in Umrissen, das wir dann danach mit Details füllen, wo es uns möglich erscheint. Dies kann als `Methode der fortschreitenden Annäherung´ bezeichnet werden und wird in einem späteren Kapitel diskutiert. Ihre hauptsächliche Eigenschaft ist, dass sie von einem umfassenden Konzept ausgeht, dass notwendigerweise vage und fehlerhaft ist, eher als von einem Konzept, das, obwohl vielleicht präzise und überzeugend, notwendigerweise abstrakt und unvollständig bleibt. Wir werden mit der totalen Gegebenheit aller Erfahrung beginnen und ohne die Grenzen unserer Wahrnehmungsfähigkeiten und unseres Denkens zu vergessen, versuchen, das Ganze als solches zu sehen. Wir werden in ihm nicht nach Vereinfachung oder Klarheit suchen. Wir sollten nicht erwarten, in der Lage zu sein, unsere Einsichten in einer angemessenen Sprache ausdrücken oder sie anders als sehr unzureichend kommunizieren zu können. Wir müssen vielmehr die Unausweichlichkeit des Irrtums akzeptieren. Die Unmittelbarkeit der Sinneswahrnehmung und die Verlässlichkeit logischer Deduktion spielen nur eine untergeordnete Rolle beim Versuch, jene Erfahrungsformen zu durchdringen, die im echten Sinne metaphysisch, das heisst, jenseits der Sinne und nicht den Beschränkungen des Denkens unterworfen sind. Die konkrete Form, nach der wir suchen, ist dem Empiriker Anlass zum Spott - aber sie ist auch ein Stein des Anstosses für den Rationalisten. Darüber hinaus beginnen wir mit unserer Aufgabe unter der Annahme, das sie letztlich nie vollbracht werden kann. Trotzdem ist es die Suche, die zählt, denn sie ist die Manifestation unserer wahren menschlichen Natur - ihrer Bedeutung und ihres Platzes - die wir zu verstehen versuchen.

KAPITEL 2

DIE ABFOLGE DER KATEGORIEN 1.2.1. KATEGORIEN UND PRINZIPIEN Wir sollten an diesem Punkt zunächst einmal innehalten um die Bedeutung bestimmter Ausdrücke zu definieren, die wir bereits verwendet haben und in Zukunft noch verwenden werden. Zunächst ist der Unterschied zwischen den Begriffen `abstrakt´ und `konkret´ zu klären. Als konkrete Aussage wird der direkte Ausdruck des gesamten Inhalts einer gegebenen Erfahrung bezeichnet; eine abstrakte Aussage ist eine Aussage, in der manche Elemente der Erfahrung ausgespart wurden, um so die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte der Situation unter Ausschluss von anderen Aspekten zu lenken. Abstraktion ist üblicherweise unvermeidlich, denn sie kompensiert die Grenzen unserer menschlichen Möglichkeiten der Erfahrung und des Denkens. Weiterhin müssen wir bestimmte Stufen unserer Erfahrung unterscheiden, beginnend mit undifferenzierter Empfindung, über Wahrnehmung und Bildgebung bis zu höheren kognitiven Formen - mit dem letztlichen Ziel Objektiver Vernunft. Diese Stufen haben einige der Eigenschaften eines spiralförmigen Pfades, der auf einen Berg hinaufführt und immer wieder dasselbe Panorama zeigt, aber auf verschiedener Höhe und mit jeweils anderer Perspektive. Ursprüngliche Empfindung ist konkret und höhere Erkenntnis ist auch konkret, aber der Aufstieg vom Einen zum Anderen kann schwerlich geschehen, ohne eine gewisse Unmittelbarkeit opfern zu müssen, das heisst, ohne ein gewisses Ausmaß an Abstraktion. Der erste Schritt von Empfindung zu Wahrnehmung geschieht durch einen geordneten Prozess, der von der Anwesenheit bestimmter anfänglicher Daten in unserer Erfahrung abhängig ist. Als Kategorien werden wir solche Elemente unserer Erfahrung bezeichnen, die zum Einen unmittelbar gegeben sind und zum Anderen einen allgemeinen oder universellen Charakter zu haben scheinen. Auf diese Weise verwendet, entspricht der Begriff der `Kategorie´ den aristotelischen `Vorstellungen verschiedener Art, entsprechend verschiedenen Formen´.21 Die Kategorien sind die Mittel, durch die wir beginnen, aus unserer unmittelbaren Erfahrung eine geordnete Vorstellung der Welt zu konstruieren. Sie bilden so gleichzeitig die Vollendung der Wahrnehmung und den Beginn der Vernunft. Indem wir beginnen, Urteile zu fällen, fixieren wir unsere Aufmerksamkeit auf die Kategorien und suchen mittels Worten oder Symbolen nach einem Ausdruck der Bedeutungen, die sie für uns haben. Die auf diese Weise zustande kommenden Formen können als Prinzipien bezeichnet werden. Die Kategorien sind als unmittelbare und deshalb unbezweifelbare Elemente unserer Erfahrung konkret, während die Prinzipien als Ausdruck unseres Verstehens dieser Elemente abstrakt und deshalb unseren eigenen Ungewissheiten und Beschränkungen unterworfen bleiben. Die Kategorien tauchen aus unserer Erfahrung durch einen Prozess des Erkennens auf. Selbst wenn keine Kategorien bezeichnet oder Prinzipien formuliert wurden, werden die Elemente der Erfahrung trotzdem erkannt. Zudem ereignet sich ihr Auftauchen aus dem Strom unmittelbarer Vorstellungen in eindeutiger Abfolge. Somit bilden die Kategorien selber eine geordnete Serie und können durch jenes Minimum an Begriffen definiert werden, die ein System benötigt, um sie zu veranschaulichen. Die erste Kategorie ist die der Ganzheit, 21 Die zehn ursprünglichen Kategorien - Substanz, Quantität, Qualität, Relation, Ort, Zeit, Anordnung, Besitz, Aktivität und

Passivität - bilden keine Steigerung noch sind sie, wie Kant bemerkte, mehr als inspirierte Vermutungen. Trotzdem wurde Kant von Hegel richtigerweise für das Versäumnis kritisiert, nicht erkannt zu haben, dass es irgendein Prinzip der Interpretation geben muss, dass auf die Kategorien selbst anwendbar ist.

die lediglich einen einzigen Begriff benötigt, genauer gesagt, ein Element der Erfahrung, das in unserem Bewusstsein als gegenwärtig und dauernd herausragt. Wenn wir weiter gehen und feststellen, dass dieses Element identisch mit sich selbst und nicht etwas Anderes ist, haben wir bereits einen Schritt hin zu einem zweiwertigen System und der Kategorie der Polarität gemacht. Polarität ergibt sich also als unvermeidbare Konsequenz aus der Erkenntnis von Ganzheit, als ein Element der Erfahrung, das nicht nur auf sich selbst verweist. Die Antithese von `dieses und nicht jenes´ stellt uns vor zwei bloße oder unverbundene Begriffe. Wir entdecken jedoch, dass die Elemente unserer Erfahrung immer verbunden sind; und so erkennen wir das Erscheinen der dritten Kategorie des Bezogenseins, die mindestens drei Begriffe zu ihrer Veranschaulichung benötigt. Ein Bezogensein wiederum ist solange unvollständig, bis wir es zurück in die unmittelbare Erfahrung des `an und für sich´ bringen. Da wir immer gezwungen sind, unsere Erfahrung als `an und für sich seiend´ zu nehmen, müssen wir die vierte Kategorie der Subsistenz einräumen. Um alles, was sein mag, aber gegenwärtig nicht ist, in Betracht ziehen zu können, ist es notwendig über das `an und für sich Seiende´ hinauszugehen. Dieses zusätzliche Element unserer Erfahrung bildet die Kategorie der Potentialität, die zu ihrer Veranschaulichung fünf unabhängige Begriffe benötigt. Auf sie folgen die Kategorien der Wiederholung (erfordert sechs Begriffe) und der Struktur (erfordert sieben Begriffe). Diese Abfolge muss fortgesetzt werden, bis soviel Begriffe einbezogen wurden, wie notwendig sind, um das Maß an Konkretheit zu erreichen, das wir zu fassen in der Lage sind. Der naive Realismus begnügt sich mit einem monobegrifflichen Schema, in dem es keine Unterscheidungen des Vorhandenseins gibt. Naiver Dualismus geht nicht über Polarität hinaus. So finden wir auf jeder Stufe der fortschreitenden Kategorien eine größere `Verfeinerung´ vor. Die Abfolge ist endlos, begrenzt nur durch unser eigenes Verständnis. Bei der Untersuchung der Kategorien stellen wir fest, dass jede ein Feld von Bedeutsamkeit bildet, das an die gesamte Erfahrung angrenzt. Trotzdem können die Kategorien niemals die Erfahrung ausschöpfen, denn es verbleibt, egal, welche Anzahl wir erreichen mögen, ein gewisses Maß an Abstraktion und die Notwendigkeit, ein zusätzliches Element hinzuzufügen, um eine größere Konkretheit zu erreichen. Wir müssen deshalb die Kategorien als endlose Abfolge verstehen, in der auf jeder Stufe ein entsprechendes Prinzip existiert, durch das wir feststellen, inwieweit wir die Kategorie verstehen können. So benötigt der Zuwachs an Verständnis zum einen die Entdeckung der Kategorien und zum anderen eine Vertiefung unserer Anerkenntnis ihrer Bedeutung. Wir müssen davor auf der Hut sein, anzunehmen, dass die Prinzipien uns irgendetwas mitteilen könnten, das wir nicht bereits in unserer Erfahrung vorgefunden hätten. Es gibt einen schwerwiegenden Missbrauch der Sprache, der darin besteht, dass wir unsere Wünsche, Glaubensvorstellungen oder Fantasien ausdrücken und sie als `wissenschaftliche Prinzipien´ bezeichnen.22 Die Prinzipien sind nicht mehr als ein Behelf, um solche Elemente der Erfahrung in unserer Erinnerung zu behalten, die wir gleichermaßen als unmittelbar und universell erkennen, aber Prinzipien sind aufgrund ihrer angenommen Universalität mehr als Tatsachenbehauptungen. Sie entsprechen einer bestimmten Stufe im Übergang von Empfindung zu Vernunft.

22 Siehe Professor Herbert Dingle, Präsidentiale Rede an die königlich-astronomische Vereinigung, 13.2 1954, in Nature, Vol.

173, pp.175-6: „…wenn es geschieht, dass wir im Namen der Wissenschaft so genannte `Prinzipien´ veröffentlicht haben, wonach alle Himmelskörper unveränderlich und ihre Bewegungen immer kreisförmig seien, wird es zu meiner Pflicht, darauf hinzuweisen, dass dies genau die Art von Denken ist, das zu ersetzen die Wissenschaft entstanden ist….In der Kosmologie sehen wir uns wieder einmal wie die Philosophen des Mittelalters einer gänzlich unbekannten Welt gegenüber.“

1.2.2. DIE NUMERISCHE ABFOLGE DER KATEGORIEN Unsere Kategorien sollen den Platz der Kant`schen Kategorien einnehmen, von denen manche - wie zum Beispiel Ganzheit und Dasein - mit demselben Namen bezeichnet und von ihm als Konzepte definiert werden, durch die alleine irgendetwas aus der mannigfaltigen Intuition heraus verstanden werden kann.23 Die Kant`schen Kategorien gehen nicht weit genug, weil sie innerhalb des logischen oder dualistischen Bezugsrahmens bleiben. Aristoteles mit seinen Prädikamenten und Postprädikamenten wusste, dass es eine feinere Intuition gibt, die aus vertiefter Erfahrung entsteht, aber sowohl Aristoteles als auch Kant vernachlässigten die Bedeutung der objektiven Zahl. Die ganzen Zahlen, die jeder Kategorie zugeteilt werden, sind nicht lediglich Symbole, sondern bezeichnen eine Mindestanzahl an Begriffen, die in einem gegeben System vorhanden sein müssen, damit die entsprechende Kategorie vollständig veranschaulicht werden kann. Wir können die Natur von Beziehungen zum Beispiel nicht lediglich durch zwei Begriffe darstellen. Denn wir können nicht, wie Plato erkannte, zwei unabhängige Ideen in unserem Denken halten, ohne eine dritte, die sie versöhnt.24 Ähnlicherweise erfordert Potentialität fünf Begriffe, weil es sowohl notwendig ist, zwischen dem, was ist und dem, was sein mag zu unterscheiden, als auch all die Beziehungen zu berücksichtigen, die ein gegebenes System eingehen kann. Es ist anzumerken, dass die Prinzipien jene Unterscheidung von Physik und Metaphysik überschreiten, die eher zufällig mit dem Namen des Aristoteles verbunden ist, der deutlicher als seine Schüler erkannte, dass das wahre Problem der Philosophen nicht darin besteht, über die Erfahrung hinaus zu gelangen, sondern sie zu verstehen. Im selben Sinne `ist jeder Mensch ein Philosoph´; denn unsere Fähigkeit, Antworten nicht nur auf unsere tiefsten Fragen, sondern auch auf unsere unmittelbaren praktischen Probleme zu finden, hängt vom intuitiven oder bewussten Verständnis ab, das wir von den Prinzipien und ihrer Tätigkeit haben. Es ist in diesem Sinne gemeint, wenn Gurdjieff nachdrücklich darauf hinwies, dass es eine der fundamentalen Bestrebungen des Menschen sein muss, `mehr und mehr bezüglich der Gesetze der Welterschaffung und Welterhaltung zu wissen´.25 Ob wir es erkennen oder nicht, unsere Fähigkeit, unser Leben zu ordnen und auszurichten, hängt von dem Maß ab, in dem wir die Tätigkeit der Prinzipien begreifen und insbesondere jene, die aktiven Charakter haben, also jene, die ungeraden Zahlen entsprechen. Man kann sagen, dass die Prinzipien der Ganzheit, des Bezogenseins, der Potentialität und der Struktur dynamisch, d.h. selbsttranszendent sind, während die von geraden Zahlen begleiteten Prinzipien der Polarität, der Subsistenz und Wiederholung, statisch oder geschlossen, d.h. selbstgenügsam sind. Es erscheint zweckmäßig, die ersten 12 Angehörigen der Kategorieserie wie folgt aufzuführen: Dynamische Kategorien Statische Kategorien 1 Ganzheit. Einwertig. 3 Bezogensein. Dreiwertig. 5 Potentialität. Fünfwertig. 7 Struktur. Siebenwertig. 9. Muster. Neunwertig. 11. Herrschaft. Elfwertig. 23

2 Polarität. Zweiwertig. 4 Subsistenz. Vierwertig. 6 Wiederholung. Sechswertig. 8 Individualität. Achtwertig. 10 Kreativität. Zehnwertig. 12 Autokratie. Zwölfwertig.

Siehe Kant, Critique of Pure Reason, 2nd end., pp.105-123

24Siehe

Plato, Timæus, 31: „Nur zwei Bestandteile aber ohne einen dritten wohl zu verbinden, ist nicht möglich; denn inmitten beider muss ein Beide verknüpfendes Band entstehen. Das schönste aller Bänder ist nun das, welches das Verbundene und sich selbst soviel wie möglich zu einem macht; das aber vermag seiner Natur nach am besten ein gegenseitiges Verhältnis zu bewirken.“

25

Siehe Gurdjieff, All and Everything, p. 386.

Hier muss betont werden, dass die Zahl Zwölf kein letztgültiger Bezugspunkt ist, sondern eher ein günstiger Ruheplatz. Die Prinzipien setzen sich mit den Kategorien fort und die Serie hat kein bestimmbares Ziel. So ist zum Beispiel das zehnte Prinzip der Kreativität bedeutsam für jedes Studium des Universums, aber aufgrund unzureichender Einsicht in die wahre Unterscheidung der Zahlen von acht bis zwölf werden wir nicht versuchen, es in einer sprachlichen Formel auszudrücken. Bevor wir damit fortfahren, die Kategorien im Einzelnen zu betrachten, müssen wir nochmals feststellen, dass sie nicht lediglich durch Hinzufügung eines neuen Wertes abgeleitet werden. Polarität entsteht nicht lediglich durch die Gegenüberstellung zweier Ganzheiten, sondern durch die Bildung eines Dipols. Beziehung entsteht nicht lediglich aus der Versöhnung von Gegensätzen, sondern aus der Gesamtheit eines Systems, in dem sich drei unabhängige Faktoren zu einem Ganzen verbinden. Subsistenz besteht weder aus einem Paar von Dipolen noch noch aus Ganzheit plus Beziehung, obwohl es diese beiden mit einschließt. Es bringt in das vierwertige System auch die Eigenschaft der Einzigartigkeit ein, die Hegel das `an und für sich Seiende´ genannt hat. Potentialität kann in Form zweier Triaden dargestellt werden, die einen Dipol bilden, aber sie verfügt über ihre eigene besondere Qualität, die keine der früheren Kategorien vermitteln kann. Wiederholung wiederum bringt uns einen Schritt weiter zu jener Konkretheit von Erfahrung, in der etwas zu kennen bedeutet, es wieder zu erkennen. Struktur ist nicht lediglich Wiederholung plus Ganzheit (6+1), Potentialität plus Polarität (5+2) oder Subsistenz plus Bezogenheit (4+3), sondern all das mit der Eigenschaft der Unabhängigkeit, das heisst, der Fähigkeit, in einem Teil den Charakter des Ganzen zu reproduzieren.26 Die Kategorien dienen lediglich als Mittel, bestimmte Eigenschaften unserer Erfahrung zu erkennen und sie sowohl für sich als auch in ihrer gegenseitigen Relevanz zu studieren. Darüber hinaus haben die Kategorien keinen Endpunkt, den wir uns selbst gedanklich vorstellen können, sondern sie erscheinen wieder und wieder, während unsere Lebenserfahrung dem Verstehen entgegen wächst.27

1.2.3. GANZHEIT Ganzheit ist allgegenwärtig, aber relativ. Wenn wir unsere Erfahrung und das Verhalten sowohl lebender Organismen als auch unbelebter Objekte betrachten, können wir ein Muster von Energie-Austauschen feststellen, auf das wir den Begriff `Resonanz´ anwenden können. Es gibt verschiedene Abstufungen der Resonanz, die wir durch Worte wie `Reaktion´ - `Empfindung´- `Wahrnehmung´`Unterscheidung´ - `Verständnis´ ausdrücken. Die Begriffe dieser Abfolge sind weder exakt definiert, noch können wir ohne weitere Untersuchung feststellen, ob eine Form der Resonanz von einer anderen abhängig ist.Trotzdem können wir einen `Maßstab der Resonanz´ erkennen, der alles umfasst, was wir wissen. Wenn wir nun das Wort `Ganzheit´ einfügen, müssen wir einräumen, dass seine Bedeutung sich relativ zu dem Maß an Resonanz verhält, zu dem das fragliche Objekt in der Lage ist. Unbelebte Objekte können schwerlich andere Ganzheiten erkennen. Ein Kristall zum Beispiel kann Material aus einer Lösung für das eigene Wachstum aufnehmen, aber nicht auf einen anderen Kristall, ähnlich oder unähnlich wie er reagieren. Wir können selektive Resonanzen in Mechanismen wie Automaten erkennen, die wir selber konstruiert haben, aber ihre Fähigkeit, selektiv auf spezifische Ganzheiten wie Münzen zu reagieren, stammt aus der menschlichen Erfahrung. Die scheinbare Ähnlichkeit der Serie von Kategorien mit Hegels Entwicklung der Vernunft sollte uns nicht dazu verführen, anzunehmen, dass wir zur `Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins´ zurückgekehrt seien, von der Hegel behauptete, dass jenes zuletzt, „wenn es seine eigene Natur erkenne, die Natur des absoluten Wissens selbst kennzeichne.“ Siehe G.W.F. Hegel, Phenomenology of the mind, trans. J.B. Baillie, Vol. I, p. 89 26

Hegels Entwicklungsbegriff ist absolut aber endlich, während die hier vorgestellte Serie von Prinzipien relativ aber unendlich ist. 27

Pflanzen scheinen eine gewisse Fähigkeit zu haben, andere Objekte als Ganzheiten zu erkennen und darauf zu reagieren.28 Tiere - selbst die primitivsten - zeigen ein höheres Maß an Resonanz. Die Resonanz auf Ganzheiten ist unverkennbar vorhanden in Tieren, die mit einem Nervensystem ausgestattet sind; aber es handelt sich dabei eher um Empfindung als um Wahrnehmung. Die Urteilsfähigkeit bezogen auf Ganzheiten ist beim Menschen geringer ausgeprägt, als wir vielleicht vermuten. Unsere Sprache legt nahe, dass die Namen, die wir benutzen, Ganzheiten sind, aber wir überprüfen nur selten die Bedeutungen, die wir übermitteln wollen. Es gibt jedoch überzeugende Belege dafür, dass Menschen in einem höheren Bewusstseinszustand eine direkte Wahrnehmung von Ganzheiten möglich ist, die weit über Namen und Formen hinausgeht und auf irgendeine Weise ins innerste Wesen des wahrgenommen Objekts eindringt. Solche Überlegungen führen uns zu einer Vorstellung von Ganzheit als einer Eigenschaft, die in aller Erfahrung enthalten ist, die Abstufungen zulässt und deshalb relativ ist. Der Umstand, dass unsere gewöhnliche Sprache die Relativität von Ganzheit nicht berücksichtigt, macht eine Rekonstruktion notwendig. Lassen Sie uns zum Beispiel eine Gruppe von Worten betrachten, die verschiedene Aspekte von Ganzheit illustrieren wie etwa `Einheit´, `Kohärenz´, ´Zusammenhang´, `Vollständigkeit´, `Ordnung´, `Organisation´, `Organismus´, `Selbst´, `Individualität´. Die Bedeutungen dieser Worte zeigen insofern eine gewisse Abstufung, als wir uns von einer mehr abstrakten zu einer mehr konkreten Vorstellung von Ganzheit bewegen. Wörter wie etwa `Organismus´ implizieren jedoch Subsistenz und Struktur, die über die bloße Ganzheit hinaus reichen. Wenn wir uns dann also fragen, worin die Abstufungen von Ganzheit bestehen, sehen wir, dass sie durch das Ausmaß oder den Grad bestimmt werden, in dem ein gegebenes Objekt identisch mit sich ist und nicht in etwas aufgeht, das nicht identisch mit ihm ist. Wir müssen an diesem Punkt eine wichtige Verallgemeinerung vornehmen, nämlich, dass die Frage inwieweit ein Objekt identisch mit sich ist, immer von Bedeutung ist. Wir bemerken, dass nicht alle Objekte im selben Ausmaß geeint sind - manche sind kohärenter als andere. So besitzt ein lebender Organismus ein höheres Grad an Ganzheit als eine Sammlung abgetrennter Glieder und Organe auf einem Sektionstisch. Um die Eigenschaft eines Objekts zu bestimmen, die den Grad seiner Ganzheit ausmacht, können wir den Begriff des `Zusammenhangs´ verwenden, und da es wünschenswert ist, zu betonen, dass Ganzheit dem Objekt selber innewohnt und nicht der Art und Weise, in der es wahrgenommen wird, können wir jeder Ganzheit einen präzisen Index zuschreiben, nämlich `das Ausmaß, in dem ein Ganzes unabhängig existiert und von seiner unmittelbaren Umwelt unterscheidbar ist.´ Das Prinzip der Ganzheit stellt fest, dass die Eigenschaft, es selbst zu sein universell und allgegenwärtig und doch relativ ist.29

1.2.4. POLARITÄT Die Feststellung, dass zwei Objekte verbunden sind, bedeutet, dass sie auch in gewissem Maße getrennt sind. Solche Worte wie `Gegenteil´, `Widersprüchlich´, `Trennung´, `Ausschluss´ beinhalten alle eine Ungebundenheit, die bedeutungslos wäre, wenn es keine Verbundenheit gäbe. Wir können die Formulierung Dyade in einem speziellen Sinne nutzen, um jedes mögliche Paar mit Begriffen zu beschreiben, zwischen denen sowohl Verbindung als auch Trennung erkennbar ist. `Mann´ und `Frau´ bilden eine Dyade und andere naheliegende Beispiele sind `Hitze und Kälte´, `anwesend und abwesend´, `innen und außen 28

Siehe J.C. Bose, Response in the Living and the Non-Living.

Siehe J.C. Smuts, Holism and Evolution, London, 1924, p. 98: „Ganzheiten sind grundlegend für den Charakter des Universums.“ 29

´, `mögen und nicht mögen, `größer und kleiner`, `wahr und falsch´. Paare wie `Holz und Papier´, `Tee und Kaffee´, `gestern und morgen´, `vielleicht und eher´ sind ebenfalls Dyaden, da wir in jedem Begriffspaar eine gemeinsame Eigenschaft erkennen können, die dem jeweiligen Gegenteil Bedeutung verleiht. Die beiden Begriffe einer Dyade benötigen jedoch keine wesentliche gemeinsame Eigenschaft. Die Verbindung mag in der Tat aus nicht mehr als der Tatsache zu bestehen, dass sie durch irgendeine zufällige Ideenassoziation zusammengebracht wurden. So können zum Beispiel die Paare `kochen und gestern morgen´ oder `größer als und Kupfer´ jeweils auf eine Weise zusammengebracht werden, durch die zwei Ideen als in Opposition zueinander und doch in spezifischer Weise miteinander verbunden dargestellt werden. Mit diesen Erklärungen können wir feststellen, dass jedes Paar von Ganzheiten, existent oder nicht existent, als Dyade im oben angedeuteten Sinne betrachtet werden kann. Obwohl alle Paare Dyaden sind, ist die große Mehrzahl von ihnen insofern trivial, als dass zwei Begriffe zueinander nur in einer schwachen Gegensätzlichkeit und in einer unbedeutenden Verbindung stehen. Selbst da, wo die polare Gegensätzlichkeit am größten ist, verbleibt in jeder Dyade ein gegensatzloses Element, dass beiden Gliedern des Paares gemeinsam ist. So sind zum Beispiel Hitze und Kälte nicht gänzlich einander ausschließende Begriffe, weil es selbst im kältesten Objekt noch etwas Hitze gibt. Wahrheit und Falschheit können für eine dyadische Aussage niemals absolut festgestellt werden. Das Prinzip der Polarität kann bündig formuliert werden: Polarität führt zu Kraft. Wir müssen vorsichtig sein, nicht den Fehler zu machen, anzunehmen, dass eine Kraft dasselbe sei wie eine Beziehung. Positive und negative elektrische Ladungen können nicht zusammen existieren und können deshalb auch nicht als aufeinander bezogen bezeichnet werden, obwohl sie durch ihre Gegenüberstellung eine Kraft produzieren. Durch Polarität befindet sich alles, was existiert, in einem Zustand der Spannung, den die Polarität selber nicht erleichtern kann. Deshalb kann Polarität niemals ein letztes Erklärungsmodell sein.30 Als Ausdruck ist Ganzheit zu bequem, um befriedigend zu sein und Polarität zu unbequem, um ertragen zu werden. Die Dyade ist immer eine Quelle der Störung, die uns herausfordert, tiefer in den fraglichen Gegenstand einzudringen. Ohne Kraft kann sich nichts bewegen, aber es ist nicht Kraft alleine, die Bewegung möglich macht. Die Welt als System von Dyaden würde aus verbundenen, aber beziehungslosen Ganzheiten bestehen, aus Gegensätzen, die Versöhnung suchen, aber nicht finden können. Die Zahl Zwei kann nicht über sich selbst hinausreichen. Die Dyade ist geschlossen, aber ihre Geschlossenheit ist keine Vollendung. Durch die Polarität finden wir überall in unserer Erfahrung Gegensätze von Ordnung und Chaos, von Gut und Böse, von Wahrheit und Lüge vor; aber Polarität kann uns weder zeigen, wie diese Gegensätze entstehen, noch wie sie gelöst werden können.

1.2.5. BEZOGENSEIN Alle echten Beziehungen sind auf die Kombination dreier unabhängiger Elemente reduzierbar, die aufeinander als bejahende, vereinende und versöhnende Einflüsse bezogen sind.

30 Siehe Roubiczek, Thinking in Opposites; auch die Betonung in der Hinduliteratur auf die Notwendigkeit, `die Paare der

Gegensätze zu transzendieren.´

Eine Beziehung ist selber keine Ganzheit, noch ist sie eine Eigenschaft der Ganzheiten, auf die sie sich bezieht. Deshalb kann Bezogensein prinzipiell nicht lediglich durch die Kombination von Ganzheit und Polarität erreicht werden. Da die Logik auf diesen beiden letzteren Prinzipien beruht, reicht das Bezogensein über die Logik hinaus. So kommt es, dass der Versuch, das Bezogensein über die Dyade `Begriff und Beziehung´ zu begreifen, nicht erfolgreich ist.31 Wenn Beziehung nicht alleine aus zwei Begriffen entstehen kann und auch nicht aus etwas, das aus einem von ihnen abgeleitet wurde, benötigt sie zumindest drei Begriffe; und wir entdecken, dass dies die eigentliche Eigenschaft ist, die durch die Triade in die Erfahrung eintritt. Der wichtigste und in gewisser Hinsicht schwierigste Gedanke besteht darin, dass eine relationale Triade sich nur in dem Maße konstituiert, in dem die drei vorhandenen Begriffe unabhängig voneinander sind. Wenn einer der beiden Begriffe von den beiden anderen abgeleitet werden kann, haben wir es nicht mit einer Beziehung, sondern mit einer Ganzheit oder einer Polarität zu tun. So bilden zum Beispiel Hitze - Kälte - Eisen keine Beziehung, denn Hitze und Kälte sind keine unabhängigen Faktoren. Wenn wir jedoch Feuer - Hitze - Eisen nehmen, deuten wir eine Beziehung an, in der Feuer und Eisen durch Hitze verbunden sind, Hitze und Eisen durch Feuer und Hitze und Feuer durch Eisen. Im ersteren Fall haben wir lediglich eine Vorstellung von der Kraft von Hitze und Kälte, die sich in einem Stück Eisen gegenüberstehen, aber nicht von einer Beziehung. Die Voraussetzung der Unabhängigkeit bringt ein Element der Ordnung ein, das wir in den Prinzipien der Ganzheit und der Polarität nicht finden. Eine Beziehung wird nicht nur durch die bloße Tatsache charakterisiert, dass drei Begriffe anwesend sind, denn es ist auch notwendig, die Art einzubeziehen, wie sie zusammengesetzt ist. Die Triade Kind - Mutter - Vater zum Beispiel, die für die beschwörende Macht des Kindes über die Beziehung zwischen Mann und Frau steht, ist ziemlich verschieden von der Triade Vater - Mutter - Kind, die die zeugende Aktivität des männlichen Prinzips darstellt, das dem weiblichen gegenübersteht. Es muss weiterhin bemerkt werden, dass jeder der drei Begriffe einer Triade seinen eigenen Beitrag zum Charakter der Beziehung liefert. Einer der Begriffe wird immer den Charakter der Affirmation oder Aktivität besitzen; der zweite den der Verneinung, während der Dritte weder als aktiv oder passiv erscheint, sondern als Versöhnung der anderen beiden. Wir mögen es schwierig finden, diese Eigenschaften in jeder Situation zu erkennen, aufgrund der vielen verschiedenen Formen, in denen sie sich manifestieren kann. Affirmation ist immer positiv und aktiv, aber sie kann viele verschiedene Nuancen haben; Verneinung kann von massivem Widerstand bis zu Trägheit und Passivität reichen; und innerhalb dieser Spanne kann es Merkmale wie Empfänglichkeit, Reaktion und Kooperation geben. Der dritte Begriff mag nicht mehr als das Ergebnis des Aufeinandertreffens von aktiver und passiver Kraft sein oder er mag als ein Akt der Freiheit erscheinen, der eine Situation in die Existenz bringt, die ohne ihn gar nicht aufgetaucht wäre. Die zwei bereits diskutierten Triaden unterscheiden sich in der Bedeutung des Kindes als drittem Begriff. In der ersten Triade verkörpert das Kind reine Potentialität - das heisst Freiheit - während es in der zweiten als zeitliche Aktualisierung erscheint, dass heisst als Ergebnis. Aufgrund all der verschiedenen Abstufungen an Bedeutung, die von den drei ursprünglichen Begriffen angenommen werden können, können Beziehungen eine endlose Bandbreite besitzen, aber sie können alle auf Triaden reduziert werden. Eine scheinbare Beziehung wie

31 Siehe Roubiczek, Erscheinung und Realität, S. 32-34: “Beziehungen sind nicht intellegibel, weder mit ihren Qualitäten noch

ohne sie. Zuallererst erscheint eine Beziehung ohne Begriffe als bloßes Geschwätz; und Begriffe erscheinen deshalb als etwas jenseits ihrer Beziehung…Die Schlussfolgerung, zu der ich gelange ist, dass eine bezogene Form des Denkens - dass heisst, eine Form des Denkens, die sich durch die Maschinerie von Begriffen und Beziehungen bewegt - lediglich zur Erscheinung und nicht zur Wahrheit führt.“

A kaufte B von C für D Euro32 besteht in Wirklichkeit aus zwei Triaden - einer `Erwerbstriade´ und einer `Preistriade´. Ausserdem ist es keine wirkliche Tetrade; denn die Begriffe B und D sind nicht unabhängig, da der Preis D bedeutungslos ist ohne Bezug auf das Objekt B. Ähnlich besteht Russells pentadische Beziehung - A beachtet B`s Liebe zu C mehr als D`s Hass auf E - aus vier Triaden mit den Beziehungen `Liebe´, `Hass´, `Beachtung´ und `mehr als´.

1.2.6. SUBSISTENZ Subsistenz ist die Begrenzung der Existenz innerhalb einer Struktur, die für ihre D e fi n i t i o n nicht weniger als vier unabhängige Begriffe benötigt. Wir gelangen vom Bezogensein zur Subsistenz durch die Erkenntnis, dass sich Existenz uns immer als ein `an und für sich Seiendes´ zeigt. Dies benötigt ein System mit vier Begriffen. Die Tetrade besteht in einem offensichtlichen Sinne aus Beziehungen und den Objekten, die bezogen sind und steht deshalb für eine Situation, die konkreter ist als die Triade alleine.33 Um ein Ereignis zu präzisieren, benötigen wir vier unabhängige Begriffe. Üblicherweise werden diese Begriffe als drei räumliche und ein zeitlicher Parameter verstanden, aber wir sollten nicht den Fehler machen, anzunehmen, eine Tetrade setze sich aus zwei verschiedenen Arten von Begriffen zusammen. Subsistenz bedeutet für uns zeitliche Beständigkeit und räumliche Ausdehnung, aber diese beiden Dimensionen sind praktisch nicht zu trennen. Was wir tatsächlich beobachten, ist Veränderung, die als System von Körpern in relativer Bewegung dargestellt werden kann. Der Punkt, auf den es hier ankommt ist, dass sich Subsistenz auf bestimmte Situationen bezieht. Jede Tetrade ist einzigartig, aber der Preis, den sie für ihre Einzigartigkeit zahlt, besteht darin, dass sie nichts anderes als sie selbst werden kann. Deshalb ist das Prinzip der Subsistenz im wesentlichen statisch. Es ist weiterhin festzuhalten, dass eine vielfältige Struktur nicht notwendigerweise der Sinneserfahrung in der Raumzeit entspricht. Wir könnten uns ein Muster als fortdauernd innerhalb einer zeitlosen Struktur vorstellen, kombiniert mit der Fähigkeit der Erneuerung. Es ist auch möglich, dass es Daseinsformen gibt, die in einer unsichtbaren Welt des Raums und der Potentialität existieren. Deshalb ist es notwendig, ein Prinzip ohne den expliziten Bezug auf Raum und Zeit zu formulieren. Subsistenz vollendet den ersten Zyklus der Kategorien, die man als `Kategorien der bloßen Existenz´ bezeichnen kann. Mit dem zweiten Zyklus führen wir die Folge fort, aber wiederholen sie auch, um zu einer tieferen und konkreteren Erfahrung von Subsistenz und Individualität zu gelangen.

1.2.7. POTENTIALITÄT Potentialität oder multiple Subsistenz erscheint, wenn sich zumindest zwei ähnliche Triaden einen gemeinsamen Aspekt in der initiierenden Position teilen. Sie benötigt deshalb nicht weniger als 5 unabhängige Begriffe. Die Gleichsetzung von Wissen und Sinneswahrnehmung zwingt uns zu der Aussage, dass das, was wir wahrnehmen, existiert und dass das, was wir nicht wahrnehmen können, nicht 32 Siehe Betrand Russel, Human knowledge, Its Scope and Limits, p. 277 33 Wenn Plato die Formulierung `viereckig aufrecht´ benutzt, begeht er Verrat an der Intuition, dass ein System aus drei

Begriffen irgendwie unvollständig und instabil ist. (Die Bedeutung des Vermerks ist unklar. Eigentlich unterstützt Plato diese Intuition. Aristoteles nennt in seiner Ethik den glücklichen, gegen all Wechselfälle des Schicksal beständigen Mann viereckig. Und Plato im Theaitetos: Protagoras: „Schwierig ist`s ein guter Mann zu werden, an Hand und Fuss viereckig.“ Anm. d. Übers.)

existiert. Trotzdem kann der Zustand des Tatsächlichen und des Potentiellen nicht auf die einfache Gegenüberstellung von Existenz und Nichtexistenz reduziert werden. Existenz als ein Feld möglicher Aktualisierungen ist nicht identisch mit Hegels `bloßer Existenz´, die `absoluter Indifferenz´ entspricht, sondern eher mit `bestimmtem Sein´. Zu behaupten, B und C existierten potentiell in A bedeutet, dass es zwei Triaden gibt, ApB und AqC, beide gleichermaßen wirklich sind, wenn p und q Ereignisse bilden, mit A als ihrem initialen Moment.

Bezogen auf unsere gewöhnliche Vorstellung von Raum und Zeit ist die Kombination von ApB und AqC unmöglich, denn die beiden Ereignisse B und C müssten dann den gleichen Platz in der Raumzeit einnehmen. Wenn also die Aussage `B und C sind beide potentiell in A vorhanden´ eine Bedeutung haben soll, muss sich diese Bedeutung auf eine ausgedehntere Struktur als die der Raumzeit alleine beziehen. Ausgehend von solchen Überlegungen gelangen wir zu einem fünfdimensionalen Darstellungsbereich und auch zu der Schlussfolgerung, dass Potentialität ein Minimum von fünf unabhängigen Begriffen benötigt. Unsere Sinneswahrnehmung ist auf tatsächliche Darstellungen begrenzt. Das mag zum Beispiel die Triade ApB sein. Die nicht aktualisierte Möglichkeit, gegeben durch die Triade AqC bleibt unbeachtet und wird entsprechend der üblichen Sichtweise als nicht existent betrachtet. Ein auf der Annahme basierendes Denken, das Potentielle sei nicht existent, führt jedoch zu schwerwiegenden Irrtümern. Auf lange Sicht zwingt es uns zu der Annahme, dass all unsere Erfahrung unerklärbar sei. Die simple Überlegung, dass nicht aktualisierte Potentialitäten sich in jedem Moment aktualisieren können, sollte ausreichend sein, um uns davon zu überzeugen, dass sie nicht als nonexistent betrachtet werden können. Das Prinzip der Energieerhaltung kann nur gelten, wenn potentielle Energie in ihrem existenten Zustand als vollkommen gleichwertig mit Bewegungsenergie betrachtet wird. Insofern sie die erste Bedingung der Unabhängigkeit bildet, ermöglicht Potentialität eine Erfahrung, die in den vorangegangenen Kategorien fehlt. Die beiden Beziehungen ApB und AqC können, aber müssen für A nicht eine Situation der Wahl bedeuten, wobei die eine oder die andere durch den Wert dessen, was A ist und nicht als Ergebnis vorhergehender Ursachen aktualisiert wird. Somit ist offensichtlich, dass nicht weniger als fünf Begriffe benötigt werden, um der Vorstellung von Unabhängigkeit Sinn zu verleihen. Potentialität ist immer mehr als Subsistenz. Alles, was existiert hat Potential für Aktualisierung, das über die Beziehungen, die in jeder konkreten Situation unterhalten werden können, hinausreicht. Dies gilt sowohl für unbelebte Objekte als auch für Lebewesen. Die gesamte Existenz drückt sich beispielhaft im Samen aus, der in seinem genetischen Muster das Potential für eine Vielfalt trägt, die niemals vollständig realisiert werden kann. Bradleys Kritik am `Tanz der blutleeren Kategorien´ könnte sich, richtig verstanden, niemals gegen Potentialität richten, denn in dieser fliesst der Blutstrom der Existenz, der immer wieder die Quelle auffüllt, aus der der zeitliche Prozess schöpft. Potentialität ist das ewige Element aller Erfahrung.

1.2.8. WIEDERHOLUNG Wiederholung ist die Eigenschaft, durch die Identität, Differenz und Bezogensein in einem einzelnen System kombiniert werden, und dafür wird ein Minimum von sechs Begriffen benötigt. Die Erfahrung lehrt uns, dass die Worte `gleich´ und `anders´ von einander insofern abhängig sind, als das wir vom Einen nicht sprechen können, ohne etwas von der Bedeutung des Anderen hinzunehmen. In den ersten fünf Prinzipien gibt es nichts, was erfordern würde, dass `gleich´ und `anders´ auf diese Weise verbunden sein sollten und deshalb müssen wir unserer Erfahrung ein neues Merkmal hinzufügen. Wenn wir über das System A B C D E F nachdenken, können wir sehen, dass es in Form zweier unabhängiger Triaden betrachtet werden kann, A B C und D E F oder in Form zweier Tetraden A B C D und C D E F, die sich die Hälfte ihrer Begriffe teilen. Ein solches System ermöglicht die Kombination von gleich und anders um geschaffen zu werden und kann deshalb als Wiederholung bezeichnet werden. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass das Prinzip der Wiederholung die Grundlage der Erkenntnistheorie bildet, denn ohne dies gäbe es keine Erkenntnis und damit weder Wissen noch Verstehen. Wenn wir nach der minimalen Anzahl suchen, die ein System benötigt, um das Prinzip der Wiederholung zu veranschaulichen, können wir sehen, dass es nicht ausreichend ist, eine Unterscheidung zwischen dem Tatsächlichen und dem Potentiellen vorzunehmen, denn diese Unterscheidung könnte nur in einem statischen System vorkommen, in dem sich nichts ereignet. Potentielle Energie kann in unendlichem Maß gespeichert werden, aber sie kann sich nicht selbst erneuern. Wiederholung benötigt die zweifältige Aktion einer störenden und einer widerstehenden Kraft - so entsteht Vibration. Daraus folgt, dass sechs unabhängige Elemente in einer Situation gegeben sein müssen um von Potentialität zu Wiederholung zu gelangen, denn störende und wiederherstellende Kräfte sind Konzeptionen, die in den Begriffen der ersten fünf Prinzipien keine Bedeutung haben. Wir können einen Aspekt des sechsten Prinzips verstehen wenn wir uns daran erinnern, dass jedes präzise Wissen, jede Messung lediglich durch die Beobachtung repetitiver Prozesse möglich ist. Die Messung von Zeit, die Bestimmung von Länge, die Entdeckung von Proportionen - alle benötigen repetitive Instrumente so wie Uhren und Maßstäbe und die Erkenntnis von Ähnlichkeiten und Unterschieden in dem, was wir beobachten. Ungeachtet dessen ist die erkenntnistheoretische Bedeutung der Wiederholung lediglich eine sekundäre Eigenschaft. Wiederholung ermöglicht uns nicht nur Wissen, sondern macht uns zu dem, was wir sind. Wir könnten nichts verstehen und nichts tun, wenn das Leben sich nicht wiederholen würde. Potentiale mögen wirklich existieren, aber ohne Wiederholung könnten wir nichts aus ihnen machen. Die Alten akzeptierten Zyklizität als unumstösslich und waren sich zu sicher, ihre Bedeutung zu kennen. Gianbattista Vico war vielleicht der letzte Philosoph, der in der Wiederholung ein kosmisches Erklärungsprinzip erkannte. Seit seiner Zeit hat der Säkularismus oder der Glaube, dass sich Ereignisse in einer bestimmten Richtung fortentwickeln, das Konzept des Rückflusses verdrängt. Und doch bleibt seine Deutung bestehen, aber eben nicht als einzigartiges und letztendliches Prinzip, sondern eher als eine der Kategorien, ohne die kein gültiges Denken möglich ist.34

34 Siehe P.D. Ouspensky, Ein neues Modell des Universums, Kap. 10 und Rodney Collin, The theory of celestial Influences, für

eine Veranschaulichung der Breite der Vision, die durch eine tiergehende Akzeptanz des Prinzips der Wiederholung möglich wird. Ouspensky insbesondere erkennt Wiederholung als System aus sechs Begriffen.

1.2.9. STRUKTUR Eine Struktur ist ein selbstregulierendes System, das zu relativ unabhängiger der Lage ist. Dafür werden sieben Begriffe benötigt.

Existenz in

Das Wort `Struktur´ wird in diesem Kontext in allgemeinster Weise verwendet. Es gibt eine Serie von Worten, die organisierte Ganzheit bezeichnen, wie etwa `Atom´,`Molekül´,`Zelle ´,`Lebewesen´, `Organismus´,`Selbst´,`Welt´,`System´,`Kosmos´ und die sich hauptsächlich durch den strukturellen Aspekt unterscheiden, den sie betonen sollen. Das Wort `Atom´, das normalerweise zur Bezeichnung eines sehr kleinen Teilchens verwendet wird, bezeichnet eigentlich `die kleinste Ganzheit, in welcher eine gegebene Struktur vollständig abgebildet wird.´ `Zelle´, `Lebewesen´ und `Organismus´ beziehen sich auf autonome Ganzheiten, die die Eigenschaft der Selbsterhaltung besitzen. `Welt´ und `System´ implizieren Konkretheit und Selbstgenügsamkeit. Struktur muss gleichermaßen anwendbar sein auf Umrisse und Proportionen von Strukturen im Raum, auf die Kombination von Rhythmen und Zyklen in der Zeit und im weitesten Sinne auf alles, das als mehr oder weniger unabhängiges System am universellen Prozess teilnimmt. Es ist auf keinen Fall offensichtlich, das das Prinzip der Struktur lediglich in einem System mit zumindest sieben Begriffen dargestellt werden kann, und so es ist notwenig, hier unsere konkrete Erfahrung anzusprechen. Trotzdem könnten viele Beispiele für die Siebenfälligkeit unabhängiger Strukturen genannt werden. Astronomen benötigen sieben unabhängige Größen - die große Halbachse, die Abweichung und den Neigungswinkel, den Längengrad des aufsteigenden Knotens und das Perihel, den Zeitpunkt und die Umlaufzeit - um exakt die Umlaufbahn und die Position eines Planeten zu definieren. Ingenieure benötigen sieben Druckpunkte, um einen massiven Körper starr zu fixieren. Solche Beobachtungen unterstreichen den alten Glauben an die besondere Bedeutung der Zahl Sieben.35 Aber es ist nicht ausreichend, dass Siebenfälligkeit häufig beobachtet werden kann, denn das Prinzip erfordert, dass sie in erster Linie mit selbstregulierenden Strukturen in Verbindung gebracht werden sollte. Selbstregulation ist eine Eigenschaft, die aus einer Untersuchung der ersten sechs Prinzipien alleine nicht voraussehbar gewesen wäre. Sie ist auf jene angewiesen, transzendiert und transformiert sie jedoch gleichermaßen. Die Art der Transformation kann in der folgenden Übersicht veranschaulicht werden, die die beteiligten Kategorien Seite an Seite mit den entsprechenden Elementen im Prinzip der Struktur setzt.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Kategorie Ganzheit Polarität Bezogensein Subsitenz Potenzialität Wiederholung Struktur

Element Identität Richtung Interaktion Erhaltung Bedeutung Erneuerung Dauerhaftigkeit

Eine gründliche Untersuchung würde über das hinausreichen, was an dieser Stelle notwendig oder möglich ist, und so muss uns ein einfaches Beispiel aus unserer Beobachtung des Wachstums einer Eichel zu eine Eiche genügen. Wenn wir diesen Prozess 35

Für zahlreiche Beispiele siehe Richard Samuel, Seven, the sacred number, London, 1887

im Detail untersuchen, können wir sehen, dass er ohne sieben unabhängige Schritte nicht vollständig oder erkennbar wäre:

(i) Befruchtung (ii) Innere Differenzierung (iii) Keimung (iv) Der Setzling

(v) Der Schössling (vi) Der Baum (vii) Das Ende des Lebens

Der Prozess beginnt in dem Moment, in dem der Fruchtkörper der Eichenblüte befruchtet wird. Vor diesem Ereignis gab es keine singuläre Ganzheit, in der all die Möglichkeiten der zukünftigen Eiche gegenwärtig gewesen wären. Im Augenblick der Befruchtung befindet sich die zukünftige Eiche mit der gesamten Struktur ihrer Existenz in einem Zustand reiner Potentialität - innerhalb der Grenzen ihrer genetischen Bestimmung ist alles Eichenähnliche potentiell vorhanden, aber nichts davon ist bereits aktualisiert. Danach schreitet die Aktualisierung gleichmäßig fort, aber in verschiedenen Übergängen, in denen jeweils eine Grenze zu überwinden ist und ein neues gelobtes Land erreicht wird. Die Blüte stirbt - die Eichel bildet sich - die Eichel reift und fällt zu Boden. Hier ist der Moment der Krise erreicht, denn jedes Jahr wachsen Millionen Eicheln heran, aber nur wenige keimen, denn um das zu tun, muss die Eichel in einen Bereich günstiger Bedingungen fallen, so wie in geeignete Druckverhältnisse und auf ein Stück fruchtbaren Bodens mit der benötigten Feuchtigkeit. Aus der Keimung entsteht der Setzling. Einmal mehr gibt es hier einen klar markierten Übergang und indem Nährstoffe aus dem Boden aufgenommen werden, wird die Schale der Eichel abgeworfen. Auf der nächsten Stufe - vom Setzling zum Schössling - kämpft die Pflanze um Licht und Luft. Wenn sie einen Platz an der Sonne findet, wird der Schössling zum Baum und wächst heran, solange er nicht Krankheiten, einem Feuer oder der Axt des Holzfällers zum Opfer fällt. Dann beginnt er zu altern und wenn seine Kraft zum Schluss erschöpft ist, ist der Lebenszyklus vollendet und er stirbt. Dies ist die Struktur seines Lebens. Diese Struktur stellt etwas mehr dar als die Ganzheit einer Eiche; sie reicht über die Beziehungen und Wechselwirkungen mit seiner Umwelt hinaus; sie bildet einen Zyklus, einen Rhythmus, der aus kleineren Zyklen von Nacht und Nacht, Winter und Sommer, Wachstum und Verfall besteht. Durch eine solche Illustration können wir das universelle Prinzip der Struktur veranschaulichen. Was für die Eiche zutrifft, das trifft auch auf unser eigenes Leben zu; es ist wahr für jeden vollendeten Zyklus einer menschlichen Unternehmung, und es ist wahr für den Eiskristall und auch für die Galaxie. Jede vollendete Struktur entspricht diesem einen universellen Muster. Im ersten Moment ist alles potentiell und nicht davon ist tatsächlich, im letzten Moment wurde alles tatsächlich und alle Potentialitäten sind erschöpft. Aus Sicht des Waldes sind die verschiedenen Lebenszyklen der Bäume wiederkehrende Prozesse, durch die seine Existenz erhalten wird. Das Leben des Waldes ist selber eine wiederkehrende Struktur mit ihren verflochtenen Rhythmen, ihren täglichen und jahreszeitlichen Perioden und ihrer Selbsterneuerung durch das Leben und Sterben der einzelnen Bäume. Eine ähnliche Analyse, auf jede vollständige Struktur angewendet, würde dieselbe Abfolge von sieben Schritten sichtbar machen. Der Unterschied zwischen dem Prinzip der Struktur und den vorangegangenen Prinzipien ist offensichtlich. Unabhängigkeit entsteht nur dann, wenn ein Austausch mit der Umwelt möglich ist, durch den die Selbsterhaltung sich selber reguliert.

1.2.10. INDIVIDUALITÄT Die achte Kategorie bringt uns zum Erkennen eines Elements der Erfahrung, das nicht ohne Weiteres kommuniziert werden kann. Es ist die Eigenschaft, ein freier Agent zu sein, d.h. ein Selbst. Individualität wird in der ersten Kategorie der Ganzheit angedeutet und der Weg zu ihr wird durch die siebte Kategorie der Struktur eröffnet. Der Zyklus von sieben Kategorien erschöpft all jene Existenzmerkmale, denen die Eigenschaft des Selbstwerts fehlt. Ein Individuum ist ein Selbst, sowohl als einzigartige Quelle subjektiver Erfahrung als auch als Quelle der Initiative. In wahrer Individualität wohnt die Macht freier Entscheidung und so die Fähigkeit, den Gang der Dinge zu lenken und zu bestimmen. Wir finden keine Individualität, wo es nicht bereits Struktur gibt, aber nicht jede Struktur ist eo ipso eine Individualität. Das, wodurch eine Struktur individualisiert wird, kann als besondere Form des Bewusstsein begriffen werden, aber wir können die wahre Natur und Bedeutung der Individualität nicht durchdringen, solange wir sie nicht in anderen Existenzformen als unseren eigenen erkennen. Trotzdem besitzt Individualität für uns besondere Bedeutung, da sie die hervorstechende menschliche Eigenschaft bildet, durch die sich Menschen sowohl von Tieren als auch von höheren Existenzebenen unterscheiden. Dies sollte nicht so verstanden werden, als ob alle Menschen oder auch nur die Meisten Beispiele für die Kategorie der Individualität wären; denn es gibt potentielle Individualität, die sich niemals aktualisiert, so wie ein Same eine Pflanze darstellt, die niemals das Licht der Sonne erblicken mag. Das Prinzip der Individualität kann wie folgt definiert werden: Individualität ist die Quelle an Initiative in organisierten Strukturen. Sie mag aktualisiert werden oder potentiell bleiben. In jedem Falle benötigt sie acht unabhängige Begriffe für ihre Darstellung.

1.2.11. MUSTER Das Wort `Muster´ kann in einer passiven Bedeutung als das beobachtete Ergebnis eines geordneten Prozesses verstanden werden. So sprechen wir vom `Muster´ eines Teppichs. Es kann ebenso in einem mehr aktiven Sinne verstanden werden, als das, was dazu dient, den Prozess selbst zu steuern und zu ordnen. Auf diese Weise sprechen wir von einem Teppich, der aus einem Muster hergestellt wurde. Die Ordnung, die wir im Teppich erkennen ist das Muster und ist ebenso abgeleitet aus dem Muster. Der Begriff `Gesetzmäßigkeit´ vermittelt etwas vom zweifältigen transitiven und intransitiven Charakter der `Musterhaftigkeit ´. Die universelle Bedeutung des Musters ist überall und in allen Dingen verbunden mit der Möglichkeit einer Affirmation von Ordnung in der Mitte des Chaos. Wir können deshalb solange nicht zur vollen Bedeutung des Musters als eines Elements der Erfahrung durchdringen, solange wir nicht erkennen, dass Erfahrung jeden Zusammenhalt verlieren würde, wenn es nicht immer und überall aktive Quellen der Ordnung gäbe. In diesem Sinne konstituiert Muster die neunte Kategorie der Erfahrung. Sie kann ohne die Passage durch eine Individualitätserfahrung nicht entdeckt werden, und dieses Merkmal legt ihren Platz in der Abfolge der Kategorien fest. Das Prinzip des Musters kann nun formuliert werden: Alle Erfahrung ist durchdrungen vom Einfluss der aktiven Quellen der Ordnung, die Mustern von organisierten Strukturen innewohnt. Muster benötigen nicht weniger als neun unabhängige Begriffe.

1.2.12. KREATIVITÄT Der Begriff `Muster´ weist auf den Hersteller des Musters hin. Unsere Betrachtung der Erfahrung kann nicht bei der Erkenntnis stehen bleiben, dass es eine Quelle der Ordnung gibt, da Ordnung nicht letztgültig ist. Das, was Ordnung von Unordnung trennen kann, ist die Macht, Muster zu erschaffen. Wir können diese Macht nicht direkt wahrnehmen außer in unserem eigenen Bewusstsein; aber wir können durch unsere Beobachtung der natürlichen Ordnung auf ihre Anwesenheit rückschließen. Kreativität kann nicht die ultimate Kategorie bilden, wie Berdyaev richtig bemerkte: „Nur die Anerkennung des erschaffenen Seins erlaubt einen ursprünglichen, kreativen Akt im Seienden, ein Werk, das etwas Neues und noch nie da gewesenes produziert. Wenn alles Seiende nicht erschaffen worden, sondern schon immer existiert hätte, hätte bereits der Gedanke des Schöpferischen nicht in die Welt kommen können.“ „Jedem kreativen Akt liegt eine absolute Steigerung zugrunde, etwas Zusätzliches.“36 Das Wort `absolut´ verfälscht das Bild etwas, aber ungeachtet dessen müssen wir verstehen, das in der Kreativität eine authentische Ergänzung zur Gesamtsumme der Erfahrung liegt; dies muss jedoch Gegenstand eines Seinszustandes als mögliche Ergänzung bleiben. Dieser Zustand ist durch die Kategorie des Musters sicher gestellt, das sich zur Kreativität verhält wie die Potentialität zur Wiederholung. Wir werden deshalb als unsere zehnte Kategorie der Erfahrung das Element der Kreativität übernehmen, das jenseits aller Muster liegt. Das Prinzip der Kreativität lautet: In aller Erfahrung gibt es Anzeichen einer schöpferischen Aktivität, die nicht nur die Quelle der Ordnung sondern auch das Vehikel der Unordnung ist. Der polare Charakter der Kreativität verlangt für ihre Manifestation nach einem System mit nicht weniger als 10 Begriffen.37

1.2.13. HERRSCHAFT Herrschaft ist die Macht, die Ordnung und Unordnung versöhnt, ohne an dem einen oder anderen teilzuhaben. Sie entspricht der dritten Kategorie des Bezogenseins, übertragen auf die Ebene universaler Prozesse. Die elfte Kategorie erscheint in der Erfahrung als das Notwendige. Sie kann in Spinozas Diktum `Natur verabscheut das Vakuum´ erkannt werden oder in Richard Franks Aussage `Notwendigkeit ist die Mutter der Erfindung´. Alle Spannungen im existierenden Universum werden durch die Gemeinsamkeit der Bedürfnisse versöhnt. Die Notwendigkeit als Gesetz, das kein Gesetz kennt, weist auf eine Kategorie hin, die die Macht besitzt, ihr eigenes Gegenteil zu erzeugen. Dies ist die Herrschaft, die nicht gefunden werden kann, solange wir nicht über die Kreativität hinaus gelangt sind, denn Notwendigkeit geht, wie die Griechen sagen, der Schöpfung voraus. Als Prinzip der Herrschaft können wir formulieren: Herrschaft ist die Macht, die Ordnung und Unordnung durch die Wirkung der Kreativität versöhnt. Sie ist die höchste Form der Verbundenheit und benötigt elf unabhängige Begriffe.

1.2.14. SELBSTHERRSCHAFT Die zwölfte Kategorie vollendet den Zyklus der ursprünglichen Erfahrung. Alle abgeleiteten Mächte erfordern eine Macht, die nicht abgeleitet ist. Da Erfahrung die Anwesenheit von Gesetzen enthüllt, muss es da also auch ein Element geben, das `sich selbst Gesetz´ ist. Wir sollten hier gut die subtile, aber unbestreitbare Unterscheidung zwischen dem `Gesetz, das 36

N. Berdyaev, Die Bedeutung des kreativen Akts, London, pp.128-9

Beispielsweise die achtfältige Individualität zusammen mit der polaren Kraft von Ordnung-Unordnung, die die Quelle des Musters ist. Wir werden später sehen, dass Kreativität nicht den Ursprung einer neuen Realität bilden kann. 37

kein Gesetz kennt´ und dem `Gesetz, das sich selbst Gesetz ist´ kennzeichnen. Das Erstere ist bezogen und das Zweitere ist von Dauer. Wir treffen in all unserer Erfahrung auf die Beweise für ein Element jenseits der Notwendigkeit, das handelt, ohne zu herrschen, das will, ohne zu erschaffen und das alle Möglichkeiten vereint. Dieses Element ist die autokratische Macht der primären Affirmation. Trotzdem sollten wir die zwölfte Kategorie nicht für den Abschluss der Serie halten und glauben, in ihr erschöpfe sich alle Erfahrung. Die ersten zwölf Kategorien können `Kategorien des Tatsächlichen´ genannt und von den `Kategorien der Werte´ unterschieden werden. Die letzteren können nicht in die Erfahrung eintreten, außer über einen neuen Zyklus, der die vorhergehenden benötigt oder impliziert und doch von diesen nicht gefolgert oder abgeleitet werden können. Autokratie bildet so die letzte Kategorie der natürlichen Ordnung, aber sie ist auch der Vorbote der Kategorien der moralischen Ordnung. Die ersten zwölf Kategorien sind für das Studium der Naturphilosophie ausreichend, um das es im vorliegenden Band geht. Im nächsten Band werden wir uns dem zweiten duodezimalen Zyklus widmen, um ein System der Werte zu begründen. Bevor wir die zwölfte Kategorie verlassen, sollten wir festhalten, dass wir im Erkennen der einen autokratischen Macht als Quelle aller Phänomene auch die große methodologische Regel der universellen Ähnlichkeit finden, nach der alles, was wir aus irgendeinem Element der Erfahrung lernen auch Bedeutung für alle anderen Elemente haben sollte. Obwohl Kreativität selber frei ist, unterliegt sie einem Masterplan, der alle untergeordneten Muster benötigt, um sich umzusetzen. Dies ist das zwölfte Prinzip: Autokratie ist die primäre Affirmation, durch die alle mögliche Erfahrung in die Existenz gebracht wird, egal ob als potentielles Muster oder als tatsächlicher Prozess des Universums.

KAPITEL 3

DIE ELEMENTE DER ERFAHRUNG 1.3.1. HYLĒ Erfahrung ist die gegebene Gesamtheit. Von ihr alleine können wir lernen und wir müssen darauf hören, was sie uns zu sagen hat. Indem wir beschreiben, was wir entdecken, gewöhnen wir uns daran, Worte wie `Ich´, `Wir´, `Du´ und `Welt´ zu benutzen, aber wir sollten durch diese Gewohnheit nicht dem Irrtum verfallen, anzunehmen, dass es da unmittelbare Erfahrungswerte geben müsse, denen diese Worte entsprechen. Bei näherer Betrachtung mögen sie sich als Konventionen erweisen, an denen wir festhalten, ohne uns fragen, ob und welche Bedeutung sie für uns haben. Wenn wir ernsthaft darüber nachdenken, entdecken wir in der Tat, dass `Ich´, `Wir´, `Du´ und `Welt´ in unserer Erfahrung im Grunde nicht direkt gegeben sind. Das Kind, das die Worte `Ich´ und `Du´ nicht benutzt und nichts von der Welt kennt außer seiner eigenen authentischen Erfahrung, ist näher an der Realität als wir es sind.38 Das zentrale Problem der Metaphysik - nämlich das Sein und seine Erkenntnis - stellt ein echtes Problem dar, aber es ist nicht so wichtig oder so weitreichend, wie häufig angenommen wird. Es besteht vor allem in der Konsequenz des Unterschieds zwischen den Kategorien der Ganzheit und der Polarität.39 Dies führt zu einer Trennung von Subjekt und Objekt und zu der Unterscheidung, die wir gerne zwischen Selbst und Nichtselbst treffen40. Diese Trennungen und Unterscheidungen entsprechen weder der gesamten Erfahrung, noch sind sie auch nur primäre Aspekte davon. Indem wir dies erkennen, werden wir von vielen Fragen befreit, die die Philosophie für wichtig gehalten hat. Die Obsession bezüglich eines Aspekts der Erfahrung auf Kosten von anderen ist der Hauptgrund für Meinungsunterschiede zwischen Philosophen. Aus Gründen der Polarität muss es immer einen Aspekt der Erfahrung geben, in dem jene als unvollständig und inkonsistent erscheint. Konsequenterweise kann kein philosophisches System jemals erschaffen werden, dass sowohl angemessen als auch frei von Widersprüchen wäre.3 Die Kategorien können nicht wegerklärt werden. Die sogenannten nichtmetaphysischen Systeme, die von Philosophen aller Zeitalter befürwortet wurden, verschleiern die Wahrheit, dass Erfahrung paradox ist. Die Naturwissenschaften mögen nichtmetaphysisch erscheinen, aber nur deshalb, weil ihre Methode darin besteht, Gruppen von Phänomenen auf solche Weise zu isolieren, dass Widersprüche vermieden oder ihre Auswirkungen auf jeden Fall minimiert werden können.41 So gibt es beispielsweise einen fundamentalen Widerspruch zwischen Physik und Biologie - das heisst, zwischen den Gesetzen der Materie und den Gesetzen des Lebens; aber das bereitet den Forschern beider Bereiche nicht sonderlich 38 Der Leser ist gebeten, eine kontinuierliche Verschwommenheit im Gebrauch des Wortes `Realität´ zu tolerieren. Erfahrung

ist das Gegebene und noch haben wir keine Möglichkeiten, um zu entscheiden, ob oder ob nicht etwas jenseits des Gegebenen da sein mag. Mit `Realität´ meinen wir deshalb vielleicht nichts weiteres als authentische Erfahrung in der Opposition zu fiktiver Erfahrung oder auch sehr viel mehr. Für den Moment müssen wir es dabei belassen. 39 Es ist an diesem Punkt notwendig auf eine einfache Falle hinzuweisen, in die wir schnell geraten. Das Seiende Sein ist ein

wirkliches Problem und Erkenntnis ist ein wirkliches Problem, aber die beiden sind nicht dasselbe, denn, wie wir aus der Erfahrung lernen können, kann Sein nicht erkannt werden. 40Der Anspruch an Konsistenz und Widerspruchsfreiheit ist der Fluch der abendländischen Philosophie. Er hat selbst

Philosophen beeinflusst, die, wie etwa A.N. Whitehead in ihrer Haltung den zentralen Lebensfragen gegenüber bereits vom Geist der neuen Epoche berührt worden waren. Siehe A.N. Whitehead, Prozess und Realität, S. 3: „Somit sollte der philosophische Entwurf kohärent, logisch und hinsichtlich seiner Interpretation anwendbar und angemessen sein.“ 41 Siehe H. Levy, Eine Philosophie für den modernen Menschen, Kap. 2: `Wie eine Qualität verändert wird.´

Kopfschmerzen, da sie durch die Natur ihrer Professionen berufen sind, sich zu spezialisieren. Wenn wir jedoch das Ziel verfolgen, alle Erfahrung verstehen zu wollen, können wir es uns nicht leisten, vorzugehen wie jene, die auf der begrenzten Suche nach spezialisiertem Wissen sind.42 Wir können die alte Frage `aus welchem Stoff besteht die Wirklichkeit?´aufgreifen indem wir fragen `aus welchen Stoff besteht die Erfahrung?´ Üblicherweise neigen wir zu der Annahme, dass es da zwei Arten von Stoff geben müsse, die der Unterscheidung in Subjekt und Objekt entsprechen. Wenn wir beispielsweise einen Tisch betrachten, erscheint es uns, als wären zwei verschiedene Arten von Stoff beteiligt, zum einen der `innere´ Stoff unseres Bewusstseins, zum anderen der Stoff, aus dem der Tisch besteht und der irgendwie `aussen ´ ist. Das beutetet, das wir der Cartesianischen Trennung in `denkende Substanz´ und `ausgedehnte Substanz´ folgen. Das ist so, als wenn wir sagten, nur weil ein Stock zwei Enden habe, müsse er aus zwei verschiedenen Materialien bestehen, während die Enden doch nur Aspekte des Stocks sind und ohne ihn keine `Existenz´ haben. Was existiert ist die Erfahrung selber. Dies zu bejahen heisst nicht, die Polarität zu leugnen, sondern ihren rechtmäßigen Status als binären Aspekt der Erfahrung wiederherzustellen. Das Ereignis das Betrachten des Tisches - ist das Ganze, dessen Zusammenhalt aus unserer Erfahrung erwächst. Es ist auch eine Beziehung, in der unser Interesse oder unsere Anteilnahme unsere Sinnesorgane befähigt, auf die Eindrücke von `Tisch´ zu antworten, indem wir sie von der Gesamtheit der in einem gegebenen Moment vorhandenen Sinneseindrücke trennen. Aus diesem Grunde haben die Wörter `Ich´ und `Tisch´ lediglich innerhalb der Kategorie der Polarität ihre gewohnte Bedeutung. Es ist notwendig, diese Unterschiede zu betonen, denn wir haben die stark ausgeprägte Gewohnheit, in dualistischen Begriffen zu denken, d.h., dass wir uns auf die Aspekte der Polarität beziehen, unter Ausschluss der anderen Elemente der Erfahrung. Aufgrund dieser Denkgewohnheit tauchen alle möglichen fiktionalen Fragen auf, und hier haben die Philosophen wiederum viel Zeit und Energie verschwendet, indem sie sie behandelten, als ob sie real wären. Für die westliche Philosophie ist das klassische Beispiel Descartes in seinem Beharren darauf, dass seine Erkenntnis von den Dingen etwas anderes sei als die Erkenntnis seiner selbst.43 Die Unterscheidung von Attribut und Substanz ist ein weiteres Beispiel dieses Irrtums.44 Es wird im Allgemeinen angenommen, dass wir nur die Attribute kennen und nicht die Substanz und dass die Attribute, die wir in der Erfahrung vorfinden, `bloße Erscheinungen´ sind, während es eigentlich eine `echte´ Substanz geben muss, die sie unterhält. Bei näherer Betrachtung ist es nicht schwierig, einzusehen, dass wir keine isolierte Kenntnis von Attributen wie Gelblichkeit, Rundheit oder Schwerfälligkeit und so weiter haben. Alles, was wir wissen ist, dass Ganzheiten sich uns mit bestimmten 42 Siehe Husserl, Philosophie als strenge Wissenschaft. „Daher kennt wahre Wissenschaft, sofern sie abgrenzbare Doktrin

wurde, keine Tiefe. Jede Wissenschaft oder jeder Teil einer Wissenschaft, die Letztgültigkeit erreicht hat, bildet ein geschlossenes System vernünftiger Operationen, von denen jede unmittelbar verständlich und also überhaupt nicht tiefgründig ist.; das Anliegen der Weisheit ist Tiefgründigkeit, das der methodischen Theorie besteht in konzeptueller Klarheit und Deutlichkeit. Die Neuordnung und Verwandlung der Tiefgründigkeit in eindeutige und vernünftige Annahmen bildet den wesentlichen Akt in der methodischen Gründung einer neuen Wissenschaft.“ Siehe auch Philosophische und phänomenologische Untersuchungen, Band X, S.197 für Ludwigs Diskussion von Husserls Metaphysik, zu den Grenzen eines phänomenologischen Versuchs, der die Kategorien ignoriert. 43 Siehe Renè Descartes, Abhandlung über die Methode, richtig zu denken: „Je mehr ich zweifle des mehr denke ich und um

so sicherer bin ich meiner eigenen Existenz. Aber es darf niemals in Vergessenheit geraten, dass ich meiner Existenz nur als denkendes Wesen sicher bin, nicht als körperliches Wesen. Ich bin mir meiner selbst bewusst als einer, dessen gesamte Existenz ausschließlich im Denken besteht.“ E erscheint heute unverständlich dass Descartes nicht gesehen haben sollte, dass sich die Gewissheit nicht auf seine eigene Existenz sondern auf die gegebene Erfahrung bezieht. 44 Descartes definiert Substanz als das, was ohne die Hilfe von irgendetwas anderem existieren und gedacht werden kann.

Siehe vierte Meditation. Obwohl Descartes in der Praxis Dualist war, der die Wirklichkeit in denkende Substanz und ausgedehnte Substanz unterschied, erkannte er, dass dies auf lange Sicht kein praktikables Vorgehen war Und wirklich stellte er fest: „Im strengen Sinne gibt es nur eine Substanz, und das ist Gott.“ Prinzipia Philosophica (1644) I, p. 51

wiederkehrenden Eigenschaften präsentieren, die es möglich machen, die eine vom der anderen zu unterscheiden. Ganzheiten, die in der Erfahrung gegeben sind, sind weder bloße Substanz noch bloßes Attribut und deshalb ist das Prinzip der Ganzheit unvereinbar mit irgendeiner solchen Unterscheidung. Dasselbe trifft auch auf einen anderen Irrtum zu, nämlich auf die Objektivierung der Unterscheidung von `Materie´ und `Geist´. Wenn wir mit `Materie´ und `Geist´ zwei sich gegenseitig ausschließende Bestandteile der Wirklichkeit meinen - einer bewusst und aktiv und der andere unbewusst und passiv - dann wären Ganzheiten weder geistig noch materiell. Keine dieser Unterscheidungen ist vereinbar mit dem Prinzip der Ganzheit. Das ist aber noch nicht alles, denn sie sind darüber hinaus gleichermaßen unvereinbar mit den Prinzipien der Bezogenheit und der Subsistenz. Sie gleichen einer wild gewordenen Polarität - ein Dualismus, der sich eine Position aneignet, die ihm nicht zukommt. Bei der Beanstandung der verschiedenen Entwürfe - von Substanz und Attribut, Geist und Materie, Idealismus und Realismus - ist nicht so entscheidend, dass sie zu Widersprüchen führen, sondern dass sie vielmehr zu nichts Konkretem führen. Es ist nicht erwiesen, dass irgendjemand besser oder schlechter gelebt hat, weil er ein bestimmtes metaphysisches System einem anderen gegenüber bevorzugt hätte.45 Wir wollen verstehen und dies gelingt uns durch die Weitung und Harmonisierung unserer Erfahrung. Wenn wir die Unterscheidung von Erfahrung und Nicht-Erfahrung als das Überschreiten der Genzen unseres Gegenstands ausser acht lassen, kommen wir zu der Schlussfolgerung, dass es da nur einen Stoff gibt, aus dem alles gemacht ist. Daraus folgt aber nicht, dass alles Material dasselbe wäre. So gibt es etwa einen Stoff, der Wolle genannt wird, aber das bedeutet nicht, dass alle Wolle gleich wäre; es gibt nur einen Stoff, der Wasser genannt wird, aber das bedeutet nicht, dass Eis, Wasser und Dampf dasselbe wären. Wenn wir die Erfahrung betrachten, finden wir, dass die Unterschiede deutlicher sind als die Ähnlichkeiten. Wenn Erfahrung nur aus einem Stoff besteht, dann muss dieser Stoff sehr wandlungsfähig sein; denn er muss all die Eigenschaften der Materie und der Energie berücksichtigen und deshalb in den Begriffen von beobachtbaren und messbaren Einheiten auszudrücken sein, wie zum Beispiel den drei unabhängigen physikalischen Größen von Masse, Länge und Zeit. Der Stoff der Erfahrung muss überdies kombinationsfähig sein, denn Ganzheiten sind zusammengesetzt und anschlussfähig, sie sind nicht unveränderlich, sondern interagieren ständig miteinander. Im Verlauf all dieser Interaktionen und Transformationen muss der einzelne Stoff verschiedene Grade an Resonanz zeigen, jene des Lebens und der bewussten Erfahrung inbegriffen. Darüber hinaus muss er durch all diese verschiedenen Manifestationen hindurch der Stoff der Erfahrung bleiben. Der allgegenwärtige Charakter dieses Stoffes wird gut in den Worten des Anaxagoras ausgedrückt: „Ein Teil von Allem ist in Allem.“46 Anaximander erkannte und schlug sich in seiner Doktrin vom `Unergründlichen´ mit vielen Problemen einer Einzelstofftheorie der Relativität herum - und sie wurde von Plato vorläufig als die unbestimmte Dyade formuliert, der Aristoteles später seinen Segen gab. Spätere Philosophen hingen derselben Vorstellung vom Stoff der Erfahrung an. P.D. Ouspensky zitiert Gurdjieff, der sagte, dass Alles materiell sei, aber dass „der Begriff 45 Dies bezieht sich lediglich auf metaphysische Systeme im strengen Sinn; das heisst auf solche, die sich mit der Frage

befassen, was Sein ist und wie wir es wissen können. Da, wo Philosophen absichtlich oder zufällig auf die Prinzipien der Bezogenheit und der Struktur stiessen, war ihr Einfluss beachtlich. Hegel hat die Geschichte nicht aufgrund seiner ontologischen Spekulationen beeinflusst, sondern er führt - in seinem Fortschritt des Denkens - eine unausgeglichene Version der Triade ein. Descartes und Leibniz taten viel dafür, religiöse Vorstellungen zu zerstören, aber nicht durch eine falsche Metaphysik, sondern indem sie die Aufmerksamkeit von der Relativität von Ganzheit ablenkten, die frühere Denker wie Thomas von Aquin richtig verstanden hatten. 46

Siehe C. Bailey, The Greek Atomists and Epicurus, Oxford, 1928, p. 36

`Stofflichkeit´ ebenso relativ ist wie alles andere.“ 47 Die Definition von Ganzheit als allgegenwärtig aber relativ enthält den Schlüssel zum Verständnis dieser Maxime. Wenn wir nach dem Band suchen, das unsere zusammengesetzte Erfahrung zusammenhält, erkennen wir, dass der Zusammenhalt in unserer Erfahrung selbst gegeben ist. Darüber hinaus finden wir keinerlei Beleg dafür, dass der Stoff, der sich selbst als Stoff unserer Erfahrung ausgibt, seine Natur von einem zum anderen Moment ändern würde. Diese Entdeckung muss näher betrachtet werden, denn es wird oft als gesichert angenommen, dass wir in der Tat verschiedenen Stoffen begegnen - einem, aus dem Gedanken und einem, aus dem Dinge gemacht sind - einem innerhalb und einem ausserhalb unseres `Bewusstseins´. Wenn wir genauer hinschauen, erkennen wir jedoch, dass all diese Unterschiede zusammenbrechen. Wenn ich versuche, Gedanken und Dinge in zwei Arten von Erfahrung aufzuteilen, erscheinen meine Gedanken als vollkommen innerhalb meiner selbst befindlich und Dinge als vollständig ausserhalb. Ein Stuhl oder ein Tisch ist das klassische Beispiel eines `Dings´. In gewissem Sinne ist mein Körper auch ein solches Ding, aber die Tatsache, dass ich die einschränkende Formulierung `in gewissem Sinne´ benutzt habe, zeigt, dass ich ihn nicht immer als solches betrachte, wenn ich zum Beispiel zwischen Dingen als unbelebten Objekten und tierischen Körpern als belebten Dingen unterscheide. Wenn mein Gehirn ein Ding ist, sind meine Gedanken Dinge oder sind sie `ich selbst´?48 Zudem mag ich in der Lage sein, zwischen meinen Gedanken und deren Wahrnehmung zu unterscheiden, aber das führt mich dann weiter zu der Frage, ob meine Wahrnehmung selber ein Ding ist oder ob es da ein vollkommenes oder transzendentes Selbst - einen Geist - gibt, der hinter meiner Wahrnehmung steckt. Gibt es da hinter allem, was dingähnlich ist, einen spirituellen Stoff oder Geist, der nicht dingähnlich ist? Die eigentliche Tatsache, dass ich daran zweifle, ob eine Trennung vorgenommen werden kann - oder sogar ob die Trennung nicht lediglich eine Sache der Gewohnheit ist - reicht aus, um jeden Glauben daran zu zerstören, dass die Unterscheidung selbstverständlich sei.49 Es mag als irgendwie künstlich und unangemessen erscheinen, eine solche Diskussion mit Dingen wie Tischen und Stühlen zu beginnen. Manche Philosophen werden argumentieren, dass Tische und Stühle mentale Konstrukte sind und dass wir deshalb mit unseren Fragen bei den Gedanken beginnen und uns von ihnen zu der Welt, die ihr Objekt darstellt bewegen müssen. Der Dualismus von Subjekt und Objekt erscheint dann ziemlich klar und einfach `Ich´als ein Teil der Dyade gegenüber dem `Stuhl´ als dem anderen Teil; `ich´ bin nicht wie der `Stuhl´ und der `Stuhl´ ist nicht wie `ich´. Deshalb wird angenommen, es gäbe zwei Arten von Stoff. Aber was können wir über unsere unbewussten Reflexe sagen? Sind sie Subjekt oder Objekt? Ich kann unmöglich behaupten, dass meine Empfindungen von einer anderen Art Stoff sind als meine Gedanken; aber das Studium der Physiologie zeigt mir, dass es eine ständige Übertragung von den Empfindungen, die ich wahrnehme zu den physiologischen Prozessen gibt, die mir niemals bewusst sind. Aus der biochemischen Forschung wissen wir, dass es da keinen bestimmten Schritt von physiologischen Prozessen zu chemischen, elektrischen und physikalischen Veränderungen gibt. Bilder, Klänge und Gerüche führen alle in die physikalische Umwelt und einmal mehr können wir nicht sagen, wo wir anhalten und bestätigen müssen, dass wir den Punkt erreicht haben, wo der geistige Stoff endet, jenseits dessen es bloß empfindungslose Materie gibt. 47 Siehe P.D. Ouspensky, Auf der Suche nach dem Wunderbaren, S. 124 48 Descartes dachte bis dahin, aber in der Vermutung, er habe nun eine neue Art von Wirklichkeit erreicht übersah er die

psychologische Tatsache, dass Gedanken und deren Wahrnehmung in unserer Erfahrung getrennt werden können. 49 Siehe J. Dunne, The Serial Universe, (London 1928). Dunne behauptete, dass ein unendlicher Rückschritt von

Wahrnehmungsebenen der eigentlichen Natur der Wirklichkeit entspricht und er folgerte, dass Geist und Materie nur relative Begriffe seien. Er machte so die wichtige Entdeckung, dass unsere Erfahrung uns die Relativität von Ganzheit zeigt, aber seine Theorie führt zu scheinbaren Widersprüchen, die nur aufgelöst werden können, wenn auch die Prinzipien des Bezogenseins und der Struktur berücksichtigt werden.

Jede gründliche Untersuchung der Erfahrung muss uns davon überzeugen, dass es nur den einen Stoff gibt, aus dem alles gemacht ist. Wir können Aristoteles Begriff hylē übernehmen, um das zu bezeichnen, was Gurdjieff den `allgegenwärtigen Weltstoff´ nennt. Hylē ist nicht der formlose Grund - 𝞽ó ã𝛑𝛆𝛊𝛒𝛐𝛖 - der frühen Philosophen, sondern Substanz, die in in der Lage ist, Form und Charakter anzunehmen.50 Diese Substanz ist weder Geist noch Materie, und es ist noch nicht einmal zutreffend, sie als Geist-Materie zu bezeichnen - das heisst, als zweifältigen Kontext von Erfahrung, denn damit wird der Aspekt der Polarität überbetont, eine Tendenz, vor der wir uns immer hüten müssen. Gemäß unserer Auffassung von der Homogenität aller möglichen Erfahrung, ist hylē das, was tatsächlich wahrgenommen wird und deshalb selber phänomenal. Somit ist es nicht dasselbe wie Aristoteles 𝜺𝝂έ𝝆𝛾𝜀𝜄𝛼`(Energie) oder 𝜀𝜈𝜏𝜀𝜆έ𝜒𝜀𝜄𝛼 (Hylemorphismus; Verwandlung der Materie vom Potential in die Form) welche die angenommene Realität bilden, die allen Phänomenen unterliegt. Wir erkennen hylē durch seine Manifestationen und diese bilden in ihrer Gesamtheit alles, was wir erkennen können.51

1.3.2. DIE TRIADE DER ERFAHRUNG Hier wird es notwendig, Reichweite und Zweck der in diesem Kapitel vorgenommenen Analyse zu betrachten. Wir begannen mit der Erfahrung als dem Gegebenen und haben ihren Gehalt untersucht. Dabei sind wir weit über die Grenzen der menschlichen Ratio hinausgegangen und haben das Konzept der `Erfahrung´ derart ausgedehnt, dass es ähnlich umfassend ist, wie die Begriffe `Universum´ oder sogar `Realität´. Es wäre jedoch unangebracht, ohne weitere Überlegung anzunehmen, dass dass zu sein letzten Endes bedeutet, wahrgenommen zu werden - esse est percipi - und dass es keine Realität jenseits der Erfahrung geben kann. Wir müssen uns damit zufriedengeben, festzustellen dass es für für uns für immer davon ausgeschlossen sein wird, wahrzunehmen, was per definitionem umwahrnehmbar ist und damit fortfahren, die uns zur Verfügung stehenden Data zu untersuchen. Erfahrung selber ist nicht gleichförmig: sie enthält Elemente, die sich in ihrer essentiellen Natur unterscheiden - namentlich die Elemente von Funktion, von Sein und von Wille. Jegliche Form von Erfahrung muss alle drei Elemente enthalten und da sie selbst auch ohne Bezug auf irgendeine bestimmte Form oder einen Erfahrungsschwerpunkt beschreibbar sind, können sie als primär bezeichnet werden. Eine Analogie, die von Ouspensky stammt, illustriert die Beziehung von Funktion, Sein und Wille. Er vergleicht den Menschen mit einem Raum, in dem sich verschiedene Objekte befinden. Eines mag eine Schreibmaschine sein, eines eine Nähmaschine, ein weiteres ein Bett, das vierte ein Musikinstrument, das fünfte ein Mikroskop, das sechste ein Teleskop usw. Wenn sich der Raum in Dunkelheit befindet, kann das Bett benutzt werden, aber die Apparate höchstens mit sehr ungewissem Ergebnis, und manche können gar nicht benutzt werden. Wenn in diesem Raum nun eine Kerze angezündet wird, werden die Apparate besser funktionieren. Wenn an Stelle der Kerze eine helle Lampe brennt, können sogar alle Apparate gleichermaßen genutzt werden, außer dem Teleskop, für das es innerhalb des Raums keine Verwendung gibt. Das Mikroskop kann sich bezahlt machen, denn es kann nun 50 Siehe Aristoteles, der ὓ𝝀𝜼 (Materie) definiert als `𝝉ό ὑ𝝆𝝄𝝒𝜺ί𝝁𝜺𝝂𝝄𝝂 𝜸𝜺𝝂έ𝛔𝝴𝞈𝞁 𝛋𝝰ὶ 𝞿𝝷𝝾𝞎ᾶ𝞁 𝝳𝝴𝛋𝞃𝝸𝞆ό𝞾´ (das was Geburt und

Vergänglichkeit unterliegt) und auch als `𝞃ὸ ἐ𝝃 𝝾ὑ 𝜰ἱ𝜰𝝼𝝴𝞃𝝰𝝸 𝝴ΐ𝞋𝝾𝞁´ (das, aus dem alle Dinge geboren werden).

51 Einzelstofftheorien haben üblicherweise entweder die Form eines Panpsychismus - die Annahme, das alles Bewusstsein ist

oder eines Panhylismus - d.h. einer universalen Materialität. W.K. Clifford schlug vor, dass es einen einzigen Geiststoff gebe, dessen Kombinationen die unbelebten, belebten und bewussten Formen der Existenz entstehen lassen. Siehe Lectures and Essays, auch William James Kritik in Principles of Psychology, Chap. 5

ausreichend Licht fokussieren, um feine Einzelheiten zu enthüllen. Wir mögen uns vorstellen, dass mit seiner Hilfe neue Erkenntnisse erzielt werden können, die keine der anderen Maschinen erzeugen und dass damit deren Funktion sogar verbessert werden kann. Schliesslich können wir annehmen, dass die Fensterläden aufgestossen werden und das Tageslicht hereinströmt und das nun alle Apparate uneingeschränkt funktionieren. Das Teleskop entfaltet Möglichkeiten, an die noch nicht einmal zu denken war, solange seine Tätigkeit auf vier Wände beschränkt war. In der Analogie entsprechen die Apparate der Funktion und die Bedeutung dem Sein. Da die Apparate sich nicht nicht selber bedienen können, fragen wir: `Wer nutzt sie?´ Es ist der Wille, der dies mehr oder weniger effektiv vollbringt. Der Zweck, dem die Apparate dienen, hängt von der Funktion ab, die Qualität ihrer Arbeit vom Sein. Die Situation als Ganzes ist das Ergebnis aller drei Faktoren und jeder von diesen durchdringt sie durch und durch. Bis hinab zum kleinsten Detail ist der Prozess - das heisst die Funktion - gegenwärtig, überall gibt es Licht - das heisst Sein - obwohl nicht notwendigerweise überall in derselben Helligkeit; und überall gibt es einen antreibenden Faktor - das ist der Wille - mag er nun eine direkte Absicht oder lediglich die automatische Tätigkeit äußerer Einflüsse verkörpern.

1.3.3. PROZESS UND FUNKTION Wann immer wir unser Augenmerk auf etwas richten, sehen wir etwas geschehen und darüber hinaus geschieht es auf mehr oder weniger geordnete und erkennbare Weise, und diese Regelmäßigkeiten - das heisst, die beobachtbaren Eigenschaften - bilden den tatsächlichen oder potentiellen Gegenstand unseres Wissens. Was wir auf diese Weise wissen, kann als Prozess bezeichnet werden. Die Schlussfolgerungen, zu denen wir nun hinsichtlich des beliebigen und irreführenden Charakters aller Versuche der Trennung von Subjekt und Objekt oder Geist und Materie gelangt sind, können gut zusammengefasst werden, indem wir feststellen, dass Prozess keine Grenzen hat. Und wirklich ist Prozess so universell und unausweichlich dass wir versucht sein mögen zu sagen, er sein der Gehalt aller möglichen Erfahrung oder so weit gehen können, ihn mit `Realität´ oder der Gesamtheit von allem, gleich zu setzen.52 Das Konzept des Prozesses scheint selbst der Kritik in Begriffen der Kategorien stand zu halten, denn wann immer er sich in unserer Erfahrung zeigt, finden wir in ihm Ganzheiten, polare Gegensätze, Beziehungen und Strukturen. Obwohl wir als Prozess den gesamten Gehalt unseres Wissens definiert haben, verbleiben trotzdem Elemente unberücksichtigt. Soweit es den Prozess betrifft, sehen wir, dass der Gehalt eines Traums derselbe wie der eines Wachzustands sein mag. So mögen wir träumen, aus einem bestimmten Fenster zu schauen und denselben Baum zu sehen, den wir im Wachzustand sehen würden und wir empfinden vielleicht sogar dieselben emotionalen Reaktionen. Es ist offensichtlich, dass der überaus wichtige Unterschied zwischen dem Traumereignis und dem Wachereignis nicht ausschließlich in Begriffen des Prozesses betrachtet werden kann - viele andere Auswirkungen von Täuschung und Illusion müssen gleichfalls berücksichtigt werden. Der Anhänger spiritistischer Phänomene etwa macht dieselben Erfahrungen, egal ob die Stimmen, die er hört, durch Betrug zustande kamen oder durch eine übernatürliche Instanz. Darüber hinaus spielt die Sinneswahrnehmung selber uns Streiche. Wenn wir die Technik der cinematographischen Projektion nicht kennen würden, würden wir die Wahrnehmung akzeptieren, dass die Bewegungen der Figuren auf der Leinwand kontinuierlich sind und nicht aus einer Abfolge aneinandergereihter Bilder

52 Der Titel von Whiteheads Prozess und Realität mag den Eindruck vermitteln, das Prozess und Realität dasselbe seien,

während seine `ewige Idee´ ausserhalb des Prozesses steht.

bestehen. Es gibt noch weitere und subtilere Unterschiede. So mag es zum Beispiel sein, dass wir im Frühling in melancholischer Stimmung spazieren gehen und dieser Zustand plötzlich der Freude Platz macht, die Vögel singen zu hören und den Geruch der Erde in der Nase zu haben: die Gerüche und Blicke sind dieselben wie die vor einem Moment, aber unsere Erfahrung hat eine neue Dimension dazu gewonnen. Wir können den Prozess auch hinsichtlich des Verhaltens betrachten; wir können uns die einfache Frage stellen: ist ein Mensch identisch mit seinem Verhalten? Wenn wir nicht etwas Essentielles aus unserer Erfahrung aussparen wollen, müssen wir sagen: Nein, tausendmal Nein! Eine solche Antwort ruft weitere Fragezeichen hervor: Kennen wir den hypothetischen Mann hinter seiner sichtbaren Maske, ihn, der leidet und genießt, hofft und fürchtet? Wir werden wahrscheinlich antworten, dass wir ihn nicht kennen, aber dass er sich selber kennt. Solchen Gedanken zu folgen, ist gefährlich, denn sie mögen uns in die Falle des Dualismus von zwei Arten des `Erkennbaren´ führen - die eine das objektiv erkennbare Verhalten und die andere die des Mannes, der sich subjektiv kennt. Dieser Dualismus würde, falls akzeptiert, die Schlussfolgerung unterlaufen, dass es nur einen Stoff gibt und uns so wieder all den Widersprüchen und Verwirrungen aussetzen, die wir bereits hinter uns gelassen glaubten. Glücklicherweise kann uns die Erfahrung selber aus dieser Zwickmühle befreien; sie sagt uns, dass sich dieser Mann selbst nicht besser kennt als wir ihn kennen. Er kann sich selbst nicht erkennen, denn was er ist, ist kein Prozess und deshalb per Definition ausserhalb seines Wissens. Alles was wir wissen, ist das, was geschieht und in dieser Hinsicht macht es keinen Unterschied, ob der stattfindende Prozess sich innerhalb oder außerhalb von uns abspielt. Unsere tief verwurzelte Gewohnheit, Formeln ohne Kritik zu akzeptieren, hat uns zu der Überzeugung verleitet, die ehrwürdige Phrase `erkenne Dich selbst´ bedeute, was sie zu bedeuten scheint. Sie unterliegt dann jedoch einer unangebrachten Konkretheit, wenn sie unterstellt, dass es da ein Selbst gäbe, das in den Bereich der Erkenntnis gebracht werden könnte. Wenn das Wort `Selbst´ irgendeine Bedeutung hat, kann es sich nicht auf die Prozesse beziehen, die uns als Gehalt der Erkenntnis gegeben sind.53 Wir können den Begriff der Funktion als `das erkennbare Element der Erfahrung´ definieren. Dies bedeutet, dass Funktion verschiedene Differenzierungen aufweist, die nicht in dem Wort `Prozess´ enthalten sind. Funktionen sind das Verhalten von Ganzheiten. Ganzheiten sind aufeinander bezogen, und wir kennen sie, weil wir funktionale Strukturen oder Muster erkennen können. Der Schritt von der Erfahrung des Prozesses zur Erkenntnis der Funktion erfolgt über den Weg der Kategorien. Um über unsere Erfahrung nachdenken zu können, müssen wir die Kategorien nutzen. Sie ermöglichen uns den Schritt von der Wahrnehmung des Prozesses zu einem Wissen um die funktionalen Regelmäßigkeiten. Da ist der universelle Prozess, der sich ständig selbst aktualisiert. Durch unsere Selbstwahrnehmung erfahren wir diesen Prozess von innen und durch unsere Sinneswahrnehmung erfahren wir ihn von aussen. Alles, was wir auf diese Weise erkennen, ist Funktion. Funktion hat immer denselben Charakter, wo auch immer und wann auch immer wir auf sie stoßen. Es mag die Funktion meines Geistes sein, durch den Gedanken fliessen, oder es mag die Tätigkeit einer Uhr sein, die das Verstreichen der Zeit aufzeichnet. Funktionen sind jedenfalls etwas mehr als bloße Aktivität. Sie entsprechen dem Verhalten eines tätigen Mechanismus. Eine Uhr ist ein Mechanismus, und ihre Funktion besteht darin, die Zeit anzuzeigen. Der Geist ist ein Mechanismus, und seine Funktion ist es, zu denken. Das gesamte sensorische und motorische Nervensystem unseres Organismus - mit seinen spinalen und zerebralen 53 Indem er sich auf das Auge bezieht, das aus sich heraus schauen muss, um zu sehen, präsentiert der Autor des ersten

Alcibiades ein Argument, dass zu der Schlussfolgerung führen sollte, dass das Selbst nicht erkannt werden kann. Nichtsdestotrotz hat er durch die Verwechslung dessen, was ist mit dem, was geschieht viel dazu beigetragen, im Geist des Menschen eine fehlerhafte Interpretation dieses oft zitierten Spruchs zu verwurzeln.

Nervenknoten - stellt einen Mechanismus dar, dessen Funktion in der Lenkung und Koordination unserer Organe in der Reaktion auf Stimuli aus der Umgebung besteht. Man kann feststellen, dass hinsichtlich der Funktion eingeräumt werden muss, dass sie sich darauf bezieht, was in Raum und Zeit geschieht. Es ist der Funktion eigen, sich zu aktualisieren und so können wir jenseits der Grenzen unserer menschlichen Erfahrung eine erweiterte Definition formulieren als die gesamte Realität, die sich selbst durch ihre verschiedenen Teile aktualisiert. Jede Beschreibung, welcher Art auch immer, ist notwendigerweise funktional. Eine Ganzheit kann in Begriffen der Funktion bis hinab ins kleinste Detail vollständig beschrieben werden. Das Leben eines Menschen zum Beispiel könnte während eines bestimmten Zeitraums mit jedem gewünschten Grad an Genauigkeit vollständig aufgelistet werden, indem aufgezählt würde, was in seinen Gedanken und Gefühlen, seinen Bewegungen, Empfindungen, Organen, in seinem Gewebe, usw. vor sich geht, Obwohl die Bestandsaufnahme in diesen Begriffen vollständig sein mag, wird sie nicht zeigen, wie all diese Vorgänge in seinem Bewusstsein vereint werden. Zu jedem Zeitpunkt werden sich in ihm mentale Assoziationen, emotionale Fluktuationen, instinktive Prozesse und Bewegungen ereignen. Er mag die eine oder andere dieser funktionalen Aktivitäten bemerken oder möglicherweise auch keine von ihnen. Sie mögen Teil ein und derselben Erfahrung sein oder zu zwei oder mehr Erfahrungen gehören oder sich gänzlich ausserhalb `seiner´ Erfahrung befinden. Wie auch immer jedoch ihre Beziehung zur Welt seiner privaten Erfahrung beschaffen sein mag, sind all diese Aktivitäten doch von derselben Art. Sie sind vom Wesen her gleichförmig und ihre Gleichförmigkeit überwindet die Grenzen des Selbst und die des Hier und Jetzt. So können wir schlußfolgern, dass Funktion als das erkennbare Element des universalen Prozesses überall und in allem vorhanden ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass Funktion mit der gegebenen Totalität, das heisst mit der Erfahrung gleichzusetzen wäre. Es gibt nichtfunktionale Elemente in der Erfahrung, gleichermaßen allgegenwärtig und bedeutsam, und um ihre Natur zu entdecken, müssen wir unsere Untersuchung nun ausdehnen,.

1.3.4. SEIN ALS ZUSAMMENGEHÖRIGKEIT Sein als das zweite Element in aller Erfahrung ist gleichermaßen allgegenwärtig wie Funktion, unterscheidet sich von dieser jedoch grundlegend. Um die Rolle des Seins zu würdigen, mögen wir Erfahrung mit Wasser vergleichen, das aus Wasserstoff und Sauerstoff zusammengesetzt ist. Ebenso wie aus Wasserstoff erst durch die Kombination mit Sauerstoff Wasser entstehen kann, so kann aus Sein keine Erfahrung entstehen, solange es nicht mit Funktion vereinigt wird. So wie Wasser unter bestimmten Bedingungen in seine einzelnen Bestandteile aufgelöst werden kann54, so kann auch die Erfahrung teilweise aufgespalten werden in ein Sein, das nicht vollkommen mit der Funktion verschmolzen ist. Eine große Schwierigkeit der thematischen Darlegung im vorliegenden Buch besteht in der Tatsache, dass unsere gewöhnliche Sprache fast ausschließlich auf Unterschiede in der Funktion anwendbar ist, während wir doch Aussagen über das Sein und auch den Willen machen müssen. Für das unerkennbare Element aller Erfahrung haben wir den Begriff `Sein´ gewählt, aber es ist unabdingbar, sehr genau die Bedeutung zu untersuchen, die dieses Wort transportieren soll. Das Sein ist in unserer Erfahrung nicht weniger unmittelbar gegeben als die Funktion, aber es ist auf andere Weise gegeben. Sein betrifft den Status unserer Erfahrung. Der Unterschied zwischen dem Traumzustand und dem Wachzustand zum Beispiel ist eher ein Unterschied des Seins als einer der Funktion. Sein fügt die Konkretheit hinzu, die Erfahrung nicht-illusorisch macht. Die wichtigste Eigenschaft des Seins besteht

54 Zum Beispiel durch das Hinzufügen von Salzen, die einige der Wassermoleküle ionisieren und in Wasserstoff und

Hydroxylionen aufspalten, oder durch die Einwirkung von Hitze.

darin, dass es relativ ist - je mehr Sein, desto umfassender und konkreter die Erfahrung, je weniger Sein, umso weniger konkret und illusionslos ist die Erfahrung. Sein ist nicht verwirklicht. Es ist kein Prozess, aber das bedeutet nicht, dass es keine Verbindung mit der Zeit hätte. Da gibt es zum Beispiel die Fluktuation des inneren Zusammenhalts, die im Unterschied der Träume und der Wachzustände typisiert werden kann. Sein ist nicht im Werden, aber das bedeutet nicht, dass das Werden vom Sein unabhängig wäre, denn jedes Ganze wird im Maße seines inneren Zusammenhalts verwirklicht. Eine Ganzheit mit geringem inneren Zusammenhalt wird als Teil des allgemeinen Prozesses verwirklicht, in dem es sich befindet. Die Luft in diesem Raum beispielsweise besteht aus Molekülen in zufälliger Bewegung und befindet sich nah an der untersten Ebene des inneren Zusammenhalts. Sie hat so gut wie keine Geschichte, abgesehen davon , dass sie ein Teil all dessen ist, was in diesem Haus geschieht. Höher in der Skala befindet sich der Künstler, der in einem Moment intensiver, inspirierter Erfahrung einer neuen Version von Wirklichkeit einen inneren Zusammenhalt besitzt, der fast vollkommen unabhängig von seiner Umwelt ist. Solch ein Moment bildet den `Kreuzungspunkt des Zeitlosen und der Zeit´ - eine Verschmelzung von Sein und Funktion. Ähnlich mag ein Wissenschaftler einen einmaligen Moment der Vereinigung erleben, in dem Ideen, die getrennt voneinander und scheinbar unvereinbar waren, in einer Synthese vereinigt werden, aus der eine neue Hypothese formuliert werden kann. Wann auch immer wir einen solchen Moment untersuchen finden wir in ihm diese Eigenschaft eines gesteigerten inneren Zusammenhalts, ein Zusammenbrechen der Grenzen, eine Vereinigung des Getrennten. Die Tatsachen bleiben unverändert, erlangen aber eine neue Realität.

1.3.5. WILLE ALS AKTIVES ELEMENT `Wie?´ und `Warum?´ sind Fragen, die nur in Begriffen des Willens beantwortet werden können. Alle anderen Fragen können mit einem `Was?´ eröffnet werden. Wir müssen beachten, dass das Wort `Was?´ mehrdeutig ist, da die Frage `Was ist das?´ gänzlich verschieden ist von der Frage `Was tut es?´ Korrekterweise sollten wir unterschiedliche Worte benutzen, um Fragen nach dem Sein und nach der Funktion zu stellen, aber hier ist es zweckmäßig, alle Fragen des `Was?´ zu bündeln, um dann die Überbleibsel zu präzisieren, die nicht in dieser Form erfragt werden können. Wittgenstein sagt, „nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist.“Und er fügt hinzu, „die Anschauung der Welt sub specie aeterni ist ihre Anschauung als begrenztes Ganzes.“55 Er erkennt, dass Fragen des Seins nicht in funktionaler Sprache beantwortet werden können, aber er unterscheidet nicht die zwei Arten, in denen jede funktionale Darstellung unvollständig ist. Er erkennt, dass Gesetze keine Funktion beschreiben, aber er formuliert Bedingungen, unter denen Aussagen über Funktion wahr sein mögen oder falsch sein mögen. Daraus sollte folgen, dass es allein Gesetze sind, die die Frage nach dem `Wie?´ beantworten, während alle funktionalen Aussagen uns lediglich sagen, was vorgeht. Auf der anderen Seite sagt Wittgenstein „vom Willen als dem Träger des Ethischen kann nicht gesprochen werden.“56 Hier haben wir abermals zu unterscheiden zwischen dem Sein, von dem die ethischen - und in der Tat alle anderen - Werte abhängen und der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Beziehung zwischen verschiedenen Ebenen. Mit anderen Worten, wir müssen unterscheiden zwischen Ebenen des Seins und Gesetzen des Seins, gerade so, wie wir unterscheiden müssen zwischen dem, was vorgeht und den Gesetzen, die beschreiben, was vorgehen kann. In jedem Falle sind die Gesetze Manifestationen des 55

Wittgenstein, Traktatus Logico-philosophicus, 6.44, 6.45

56

Tractatus, 6.4.23

Willens. Wir haben weiterhin die Bedeutung der Frage nach dem `Warum´ zu berücksichtigen. Diese Frage kann in der Form gestellt werden, `Von welchem letztgültigen Gesetz hängen alle darauffolgenden Gesetze ab?´ Die Frage nach dem `Warum?´ erfordert eine Ebene des Seins, auf der man sich ausruhen und sich mit der Antwort zufrieden geben kann, dass keine Antwort benötigt wird.57 Was jedoch bleibt, ist die Frage, wie diese Ebene auf andere Ebenen bezogen werden kann, und hier wiederum begegnen wir dem Problem des Willens. Es ist nun offensichtlich, dass sich die Fragen `Warum?´ und `Wie?´ nur insofern unterscheiden, als dass die erstere letztgültig und die zweite annähernd ist. Wenn wir genug über das `Wie?´ wissen könnten, sollten wir dann sehen können `Warum?´. Die Möglichkeit, das `Warum?´ und das `Wie?´ als eine und dieselbe Frage sehen zu können, ist das, was wir Verstehen nennen. Diese Möglichkeit wird niemals vollständig realisiert, aber mit jedem Mal, wenn wir mit unserer Erfahrung erfolgreich ringen und auf unseren Fragen bestehen, können wir darauf hoffen, dem Verstehen einen Schritt näher zu kommen. Verstehen ist der Wille zum vollkommenen Leben innerhalb der Grenzen unserer authentischen Erfahrung. Es wird nun klar, warum sich Gurdjieff auf den Willen als `allgegenwärtiges aktives Element´ bezieht, das in jeder Situation in drei Teile auseinander fällt. In seinem universalen Aspekt bleibt der Wille getrennt von dem einzelnen Ereignis, das wir zu erklären suchen. Das unergründliche Wesen des Willens als der allem innewohnende Drang zur SelbstRealisierung muss von jeder Philosophie zugestanden werden. Es bildet den gemeinsamen Nenner des Realismus und des Idealismus, des Spiritualismus und des Materialismus. Die Welt dreht sich und es muss etwas geben, das sie zum Rotieren bringt. Vorzugeben wir wüssten, was die Welt sich bewegen lässt, ist Unsinn, denn wir können niemals ausserhalb des Prozesses treten. Es ist etwas ganz anderes, wenn wir die Frage stellen `Wie dreht sich dieses eine bestimmte Teil der Welt?´, denn dann können wir in Begriffen von Gesetzen antworten. Das allgegenwärtige aktive Element zeigt sich dann selbst unter seinen drei Aspekten, der Gesetze der Funktion, der Gesetze des Seins und der Gesetze des Willens. Aus dem einem Blickwinkel erscheinen die Gesetze als Beschränkung, die die funktionale Willkürlichkeit eingrenzt; aus dem entgegengesetzten Blickwinkel zeigen sie jedoch, dass jedes kleine `wie ´ in einem größeren `wie´ aufgehen kann. Deshalb erkennen wir, dass die Gesetze nicht passiv oder negativ, sondern aktiv und affirmativ sind. Ein Mensch ist das, was er ist und tut, was er tut. Es scheint, als würde diese Tatsache ihn zu einem Individuum machen, aber das ist nur solange der Fall, solange wir nicht darüber nachdenken, dass dasselbe auf alles Existierende zutrifft - selbst auf vollständig ungeordnete Energie in der Form von Hitze. Die allerwichtigste Frage für den Menschen ist, ob es ihm möglich ist, ein Individuum zu sein, dass heisst, ob er zu einer unabhängigen Quelle der Initiative werden kann. Eine solche Frage gehört per Definition zum Willen, denn die Antwort darauf bestimmt die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer gegebenen Situation also der Gesetze, die sie regieren - und zeigt auch, wie sie entstand und letztlich, warum sie ist wie sie ist. Wille muss deshalb nicht nur als universales aktives Element betrachtet werden, sondern auch als das besondere aktive Element in jeder erkennbaren Ganzheit. Weder das Sein noch die Funktion ist einzigartig, aber Wille ist immer einzigartig. Er besteht in der Affirmation des ICH BIN. Dessen Bedeutung kann jedoch nur verstanden werden als ein `es ist möglich für mich so und so und unmöglich für mich anders zu sein´ Die wesentliche Eigenschaft des Willens ist, dass er seinen eigenen Gesetzen unterliegt und nicht der blinde Drang ist, für den Schopenhauer und seine Nachfolger ihn hielten. Indem wir

57

Traktatus 6.521 und 6.522

seine Gesetzmäßigkeiten ignorieren, verlieren wir die kosmische Bedeutung des Willens aus den Augen und vergessen, dass es unmöglich ist, irgendetwas zu erklären, ohne ihn zu berücksichtigen.

1.3.6. DIE ASPEKTE DER TRIADE DER ERFAHRUNG Wir haben die Gleichartigkeit der Erfahrung besonders betont, um der Auffassung entgegenzutreten, es gäbe verschiedene Substanzen, dass heisst, verschiedene Arten von Wirklichkeit. Die Behauptung, dass die Erfahrung aus einem einzelnen Stoff bestünde, zieht jedoch nicht die Abwesenheit von Unterscheidungen oder Festlegungen nach sich. Die sekundären Aspekte der Triade mögen in der folgenden Episode angedeutet werden: Es ist Sommer und ich mache einen Spaziergang auf dem Land. Meine Aufmerksamkeit ist darauf gerichtet, einen Vortrag vorzubereiten, den ich morgen halten will, als ich in der Ferne Kirchenglocken läuten höre. In diesem Moment schaue ich über die Felder und bemerke einige Kühe, die zum Melken zusammengetrieben werden, und mir kommt mir Grays Elegie in den Sinn. Sofort fällt mir dazu J.F. Millets Gemälde `Das Angelusläuten´ ein.

Diese Trivialitäten ärgern mich und ich empfinde, dass mein instinktives Erleben des Friedens der Landschaft gestört ist. All dies hat höchstens ein paar Sekunden in Anspruch genommen, und die Begebenheit kann in Raum und Zeit ziemlich genau lokalisiert werden: dies ist mir so widerfahren, an einem Abend in diesem Juni, hier und jetzt. Die Bestandteile des Ereignisses - die Landschaft, die Kirchenglocken, das Gedicht, das Gemälde - sind Allgemeingut und selbst meine Gedanken, die mit der Planung einer zukünftigen Handlung beschäftigt waren, verweisen auf eine sehr typische und wohlbekannte menschliche Situation.

(a) Die drei Aspekte der Funktion Die funktionale Beschreibung dieses Ereignisses kann auf drei verschiedenen Wegen erfolgen. Der erste besteht darin, es als Fragment des gesamten Prozesses zu betrachten, der die Existenz des Universums bildet. Das Ereignis ist genau so und nicht anders verlaufen und hat seinen Anteil zur Selbst- Aktualisierung des Ganzen beigetragen. Durch mich hindurch fand eine Transformation von Energie statt. Sinneseindrücke und Erinnerungen vereinigten sich - gemeinsam mit dem Momentum meiner inneren Funktionen, Gedanken, Gefühlen und ähnlichem - um eine neue Kombination zu bilden, die zum Teil in der Vergangenheit festgelegt worden war und zum Teil als Set von Möglichkeiten in die Zukunft übertragen wurde. Wenn der Begriff in einem solchen Kontext verwendet wird, sprechen wir von Funktion in ihrem kosmischen Aspekt.

Die zweite Möglichkeit, dieses Ereignis zu beschreiben, besteht darin, es ausschließlich auf meine eigene Erfahrung zu beziehen. Ich kann die vorausgegangen Ereignisse genau zurückverfolgen, die mich an diesem Nachmittag an diesen Ort geführt hatten und auch jene, die in meiner Erinnerung die `Elegie´ und das `Angelusläuten´ verankert und die Assoziationen ermöglicht hatten, die durch sie hervorgerufen wurden. Die gesamte Beschreibung hängt von mir - meiner Geschichte und den Mechanismen meiner körperlichen und psychischen Funktionen - ab. Ich bin so, wie ich bin, und die Ereignisse entstanden entsprechend. Ganzheit, Bezogenheit und Struktur kommen alle noch hinzu, aber das eigentliche Merkmal besteht in meinem eigenen Denkvorgang. Um diese besondere Eigenschaft auszudrücken, können wir von Wissen als subjektivem Aspekt von Funktion sprechen. Diese Definition des Wissens muss im weitesten Sinne genutzt werden, die nicht nur die intellektuelle Erkenntnis, sondern auch emotionale und instinktive Haltungen, körperliche Gewohnheiten usw. umfasst, die sich bei näherer Betrachtung alle als gleichwertig mit intellektuellem Wissen erweisen. Wir können noch weiter gehen und behaupten, dass, wenn Funktion universal ist, auch Wissen universal sein muss. Dazu prägte Gurdjieff den Aphorismus `zu wissen bedeutet, alles zu wissen´. Die dritte Methode der Beschreibung könnte als die des objektiven Beobachters bezeichnet werden. Er sieht einen Mann von der und der Erscheinungsform, der offensichtlich in Gedanken versunken über die Hügelkuppe schreitet. Dieser Mann scheint das Läuten der Kirchenglocken zu hören, denn er hebt den Kopf and schaut über die Felder. Seine Augen ruhen für einige Sekunden auf einer Herde Kühe. Dann wandert sein Blick von ihnen auf das Getreidefeld. Ein leichtes Zusammenziehen seiner Gesichtsmuskulatur weist auf einen ärgerlichen Gedanken hin. Der Beobachter geht hin, um mit ihm zu sprechen und der Mann berichtet von seiner Erfahrung. Dieser Bericht bekräftigt und vertieft die Schlussfolgerungen, die in Folge der Beobachtung des Mannes entstanden waren. Diese dritte Methode der Beschreibung zeigt den objektiven Charakter eines Ereignisses und führt zur Definition von Verhalten als dem objektiven Aspekt von Funktion. Die drei Beschreibungen werden möglich, weil es drei verschiedene Perspektiven gibt und nicht deshalb, weil es sich um drei verschiedene Ereignisse handelt. Darüber hinaus beziehen sich diese drei Beschreibungen ausschließlich auf Funktion. Sie können jedes Ausmaß an Genauigkeit und Detail aufweisen, aber nur so lange wir uns auf den wahrgenommenen Prozess beschränken, der in Begriffen der Kategorien interpretiert wird.

(b) Die drei Aspekte des Seins Wenn wir nun versuchen, eine ähnliche Analyse in Begriffen des Seins vorzunehmen, erkennen wir, dass wir dafür keine geeignete Sprache haben. Wir verfügung gegenwärtig über keinen Maßstab des Seins, der unabhängig von der subjektiven Erfahrung wäre. Das beschriebene Ereignis verfügt über eine gewisse Kraft des inneren Zusammenhalts sicherlich geringer als durch eine deutlichere Erfahrung, sicherlich mehr als in einem Zustand des halbbewussten Tagtraums. Aber selbst aus subjektiver Sicht können wir die Qualität des vorhandenen Bewusstseins nicht bewerten. Für den außenstehenden Beobachter sind nicht mehr als sehr ungewisse Rückschlüsse möglich, die sich aus der Stimmigkeit und Folgerichtigkeit des sichtbaren äußeren Verhaltens ergeben. Diese enttäuschenden Resultate sollten uns nicht zu der Schlussfolgerung führen, dass das Sein notwendigerweise undeutlich sei. Sein kann per Definition erfahren, aber nicht gewusst werden. Wenn wir es nur verschwommen erfahren können, liegt das daran, dass wir nicht geübt sind darin, die Art von Unterscheidungen zu entdecken, die zu erkennen wir in unseren Beobachtungen der Funktion gelernt haben. Dazu bedarf es einer Fähigkeit zur Selbstbeobachtung, die üblicherweise nur durch ein besonderes Training erreicht werden

kann und die notwendig ist, um die Fluktuationen des Zusammenhalts erkennen zu können, die sich dauernd in den Schlaf- und Wachzuständen des Menschen ereignen - lose als Unbewusstes und Bewusstsein bezeichnet - und um sie den entsprechenden Abstufungen des Seins zuweisen zu können. Trotzdem muss die Verbindung zwischen verschiedenen Bewusstseinszuständen und das Maß des Zusammenhalts unserer inneren Welt auch ohne die genannte Fähigkeit jedem Menschen einleuchten, der seine Erfahrung im Wachzustand von Zeit zu Zeit überprüft. Darauf bezieht sich die Analogie, in der Sein als das Ausmaß an Beleuchtung im Raum dargestellt wird. So kommen wir zu dem Ergebnis, dass Bewusstsein den subjektiven Aspekt des Seins bildet und so dem Wissen entspricht, das seinerseits den subjektiven Aspekt von Funktion bildet. Wenn wir uns nun fragen, ob es irgendetwas am Sein gibt, das dem Verhalten entspricht, machen wir eine sehr interessante Entdeckung. Sein hat in der Tat einen externen Aspekt und dieser ist erkennbar in der Ansammlung des hylē. Die Relativität der Materie gibt uns den beobachtbaren Maßstab des Seins. Je dichter oder undurchdringlicher die Ansammlung des hylē, umso niedriger die Stufe des Seins. Je feiner oder durchlässiger der Zustand des hylē, umso höher die Stufe des Seins. Zudem entsprechen die Worte `höher´ und `niedriger´ hier des Intensität des inneren Zusammenhalts eines gegebenen Ganzen. Der beobachtbare Aspekt des Wasser-Seins zum Beispiel besteht im Grad der Ansammlung seiner Moleküle, durch den wir Eis von Wasser und Wasser von Dampf unterscheiden können. Wo immer es eine solche Unterscheidungsmöglichkeit hinsichtlich des Maßes an Ansammlung im Stoff der Erfahrung gibt, verfügen wir über ein Mittel, um objektive Einschätzungen des Seins vorzunehmen. Offensichtlich ist das Beispiel des Wassers nur eine Analogie, denn was wir dort beobachten sind funktionale Veränderungen, und wie immer begegnen wir der Schwierigkeit, dass Sein nicht `gewusst´ werden kann. Deshalb muss die objektive Bewertung des Seins in Begriffen von sichtbaren Veränderungen der Funktion erfolgen, welche die unsichtbaren Transformationen des Seins begleiten. Es ist jedoch für die meisten von uns eine Sache der unmittelbaren Erfahrung, dass wir in anderen Menschen auf eine größere oder geringere Durchlässigkeit treffen. Diese ist häufig ziemlich unabhängig von den funktionalen Manifestationen und mag in der größten Intensität dann gefunden werden, wenn die funktionale Aktivität am schwächsten ist. Funktion ist einwertig, während Sein mehrwertig ist. Wir können für die Erhellung der Natur des Seins nun einige der zuvor erreichten Schlussfolgerungen geltend machen; d.h., zunächst die Relativität von Ganzheit; zweitens die Definition von Sein als Intensität des Zusammenhalts jedes gegebenen Ganzen; und drittens die Aussage, dass es nur einen Stoff der Erfahrung geben kann - das ist das hylē dessen Differenzierungen in verschiedenen Zuständen und Graden der Ansammlung und der Kombination von Ansammlungen bestehen müssen. Der in einem gegebenen Ganzen anwesende Zustand der Ansammlung des hylē - oder des ursprünglichen Stoffs der Erfahrung - kann als seine `Stofflichkeit´ bezeichnet werden. Je höher die Seineebene, umso geringer ist er verstofflicht, und je niedriger die Seinsebene, umso mehr ist er verstofflicht. Überdies bildet dieses Maß an Verstofflichung den einzigen Aspekt der Seins, der sich nach außen zeigt. So gelangen wir zu der Definition von Materialität als objektivem Aspekt des Seins. Sein ist und muss immer unzugänglich für das Wissen bleiben. Trotzdem können wir, indem wir lernen, dem Maß an Stofflichkeit in einem gegebenen Ganzen gegenüber empfindsam zu werden, einen Hinweis zur Würdigung des Seins finden.58 Hier ist es notwendig, einige Überlegungen zur Universalität von Bewusstsein zwischenzuschalten. Wir benutzen das Wort `Bewusstsein´ üblicherweise als `eine Form der Erkenntnis, identisch mit oder analog zu dem im Menschen Vorhandenen.´ Es ist jedoch nur eine Konvention, wenn wir die Bedeutung von Worten auf einen anthropomorphen Kontext

58

Siehe Chhandogya Upanishad, VI, 1.2.

beschränken. Der Begriff `Bewusstsein` kann auch bedeuten `die Form der Erkenntnis, die dem Zustand des inneren Zusammenhalts jeder Ganzheit entspricht, ungeachtet ihrer Natur, i h r e r Ve r f a s s u n g , i h r e s M a ß s t a b s o d e r i h r e r D a u e r. ´ M i t e i n e r s o l c h e n Bedeutungserweiterung erwirbt das Wort universale Signifikanz und wir müssen uns nicht aus der Schwierigkeit herauswinden, Bewusstsein in Bezug auf Funktion zu definieren. Sein kann dann definiert werden als kosmischer Aspekt seiner selbst. Der Fortgang der Diskussion vom menschlichem Bewusstsein zum universalem Bewusstsein führt nicht zu Panpsychismus, vorausgesetzt wir berücksichtigen die Relativität des Seins. Diese These ist sehr alt und war Plato und Aristoteles bekannt. In einer prägnanten Formulierung spricht Cicero: „vom Empfindungsvermögen und der Vitalität im Individuum zu einem a priori Empfindungsvermögen im Universum“. Der Vorrang eines universalen Empfindungsvermögens gegenüber individuellem Empfindungsvermögen stand für die Neoplatonisten wie Plotinus und Proclus unumstösslich fest.

(c) Die drei Aspekte des Willens Zum Schluss muss noch die dritte Komponente der fundamentalen Triade betrachtet werden, der Wille. Wille in seinem kosmischen Aspekt ist universal. Wir können uns nicht eine Vielzahl von Antriebskräften vorstellen, jede vollkommen unabhängig von jeder anderen. Dies wäre in der Tat ein hoffnungsloses Chaos, denn es gäbe keine übergeordnete Autorität, durch die die unabhängigen Willenskräfte jemals harmonisiert werden könnten. Die Tatsache allein, dass wir in unserer eigenen Erfahrung Kohärenz vorfinden, muss uns überzeugen, dass es da keinen ultimativen Konflikt zwischen getrennten Willen geben kann; und doch lehrt uns die Erfahrung auch, dass der Wille der Beschränkung unterliegt, denn prinzipielle Offenheit und Ungewissheit sind in unserer Erfahrung nicht weniger gegeben als Regularität und Ordnung. Wir finden ein Muster59 unvollständig realisiert vor - etwas davon ist vorhersehbar und etwas ist unvorhersehbar. Trotzdem gibt uns eine gewisse Einsicht in die universale Ordnung die Gewissheit, dass wir bei unserer Betrachtung des Universums nicht Zeugen eines bedeutungslosen Spiels von unverbundenen Willen sind, vergleichbar dem blinden Zufall, der treibt, wohin er will. Hier treffen wir auf den unermesslichen Widerspruch aller Widersprüche - den zwischen Einheit und Vielfalt. Der Widerspruch ist so scharf umrissen, dass es uns unmöglich ist, bei einem der Extreme zu verweilen. Im Bereich des Willens sind Einheit und Vielfalt gleichermaßen inakzeptable Begriffe. Die Unzulänglichkeit der gewöhnlichen Sprache zwingt uns zu Ausdrucksformen, die zu Widersprüchen führen müssen. Wenn wir den Begriff `der Wille´ benutzen, ist das die Sprachform, die eine einzelne Zahl ausdrückt; aber es muss uns gelingen, ihn mit einer tieferen Bedeutung zu schmücken, aus der alle Unterschiede des Einen und des Vielen ausgeschlossen sind. Die Eigenschaft, durch die sich ein einziger, unbeschränkter Wille als mannigfach und begrenzt manifestiert, nennen wir Autorismos, oder die Akzeptanz selbst auferlegter Beschränkungen. Aus dieser Eigenschaft gewinnt der Wille seinen objektiven Charakter als Gesetz. Gesetz ist die Form eines jeden Prozesses, und da alle Erfahrung aus Prozess besteht, ist Gesetz universal. Angewendet auf eine einzelne Ganzheit bildet Gesetz die Form all seiner möglichen Manifestationen. So gehört zu jeder Ganzheit in jeder Größenordnung ein eigenes Gesetz. Da Ganzheit ausserdem relativ ist, muss auch das Gesetz relativ sein. Wir benötigen einen Begriff, um die Bedeutung des Willens in seinem subjektiven Aspekt auszudrücken. Letzterer muss von den beiden anderen Begriffsformen unterschieden Siehe Whitehead, Modes of Thought, Lecture V, pp. 117-42: „Es gibt ein erhebliches Element des Zufalls in einem einzigen Satz eines Vortrags….Besondere Formen der Ordnung sind aus welchem Grund auch immer letztlich nicht notwendig. Es gibt keine scharfe Trennung. Es gibt immer Formen der Ordnung, die teilweise beherrschend sind und teilweise vereitelt werden. Ordnung ist niemals vollständig.; ihre Vereitelung ist niemals vollständig….Das Universum ist kein Museum, mit Ausstellungsstücken unter Glas. Das Universum ist auch kein perfekt abgerichtetes Regiment, das in ungestörtem Gleichschritt marschiert. Solche Annahmen gehören zu den Fabeln der modernen Wissenschaft…Das Universum ist mehr als ein Prozess.“ 59

werden, nämlich dem Wissen um die Funktion und dem Bewusstsein von Sein. Wille ist weder etwas noch tut er irgendetwas, und wir können uns seiner deshalb weder bewusst sein, noch können wir ihn kennen. Nichtsdestotrotz besitzt er seine eigenen Unterscheidungen, aber diese betreffen eher die Form als die Funktion und eher die Art und Weise als den Inhalt von Ereignissen. Wir erfassen Form durch Teilhabe und unser Verstehen entspricht der Qualität oder dem Ausmaß dieser Teilhabe. Verstehen ist der innere Zustand, durch den wir uns der Tätigkeit des Willens bewusst werden. Jede Situation konfrontiert uns mit ihrem eigenen spezifischen `warum´, `solcherart´ und `wie´ und unsere Fähigkeit, den intrinsischen Charakter jeder Situation zu begreifen, entstammt gänzlich dem Verstehen, das den subjektiven Aspekt des Willens bildet. Der affirmative Charakter des Willens rechtfertigt seine Beschreibung als `das, was die Funktionen unter den durch das Bewusstsein geschaffenen Bedingungen nutzt´. Das kann uns jedoch nicht zu dem Irrtum verführen, der Wille würde irgendetwas `tun´. Es ist die Affirmation einer Form oder eines Musters, dem sich die Ereignisse anpassen müssen. So sehen wir, dass der objektive Aspekt des Willens im Gesetz besteht. Es gibt keine Gesetze der Funktion, sondern eher Regelmäßigkeiten des Verhaltens. Es gibt nicht wirklich Gesetze des Seins, da das Sein keine Unterscheidungen kennt. Deshalb muss sich das Gesetz im objektiven Sinne des Begriffs ausschließlich aus der Allgegenwart des Willens ergeben. Wille ist das, was überall dasselbe ist und doch überall einzigartig und die Rolle des Verstehens besteht darin, Einsicht in dieses aktive, allgegenwärtige Element jeder Erfahrung zu erlangen und sichtbar zu machen, was benötigt wird, um seinen Forderungen begegnen zu können.

1.3.7. DIE PRIMÄREN UND SEKUNDÄREN FORMEN DER TRIADE Die soweit erreichten Ergebnisse können in Form eines Schemas zusammengefasst werden, in dem die primäre Form der Triade, Funktion - Sein - Wille in die drei sekundären Formen jeder Komponente dieser Triade aufgelöst wird, entsprechend den kosmischen, objektiven und subjektiven Aspekten jeder Erfahrung.

Die Grundlegende Triade der Erfahrung Komponenten Aspekte Kosmisch Objektiv Subjektiv

Funktion

Sein

Wille

Funktion Verhalten Wissen

Sein Materialität Bewusstsein

Wille Gesetz Verstehen

Man wird bemerken, dass die Begriffe Funktion, Sein und Wille sowohl in den primären als auch in den sekundären Formen der Triade erscheinen. Man mag einwenden, dass ein Element universaler Erfahrung, das hypothetisch allgegenwärtig und deshalb unabhängig von jeder bestimmten Existenzform ist, nicht als Aspekt der beschränkten Erfahrung eines gegebenen Ganzen behandelt werden sollte. Es erscheint jedoch wünschenswert, eher diese Darstellung zu übernehmen als neue Begriffe einzuführen, wie etwa zum Beispiel `Prozess´ für die `Funktion eines gegebenen Ganzen´ oder `Existenz´ für `das Sein eines gegebenen Ganzen´, da solch ein Vorgehen die Bedeutung der primären Elemente als Faktoren verschleiern würde, die in jede mögliche Erfahrung eintreten. Darüber hinaus können wir sehen, dass die drei Aspekte jeder primären Komponente selber eine Triade bilden.

Wissen ist das, was das Verhalten des Einzelwesens mit der universellen Funktion versöhnt.60 Bewusstsein ist das, was die materielle Präsenz einen Individuums befähigt, in Harmonie mit dem universalen Sein zu existieren. Verstehen ist das, was ein Individuum befähigt, seine Rolle in der Selbstverwirklichung des kosmischen Willens zu spielen, ohne seine eigene Identität aufzugeben. So finden die kosmischen und objektiven Aspekte der Ganzheit in jedem Falle ihre Versöhnung innerhalb der Subjektivität der Ganzheit selber. Schlussendlich können wir jede der neun Komponenten der sekundären Triade als unabhängige Faktoren betrachten, aus denen sich unaufhörlich neue Triaden bilden, die so die Diversivität all der universellen und singulären Ereignisse verursachen.

60 Das entspricht der Sichtweise vieler philosophischer Schulen, besonders der von Spinoza, deren Vorstellung von der

Beziehung zwischen Wissen und Funktion viel mit der hier formulierten gemeinsam hat. (Siehe Ethik, 25. bis 42. Lehrsatz) Für Spinoza ist essentielles Wissen nichts anderes als die direkte Intuition der ewigen Prinzipien, die über die Essenz der Dinge walten. Teilweises oder unvollständiges Wissen ist „der einzige Grund der Falschheit….Wissen des Ganzen erfordert eine Reinigung des Intellekts.“ (Ethics, trans. Boyle, pp.69, 241-63) Für Spinoza bezieht sich Wissen sowohl auf die Gefühle und Instinkte als auch auf die Denkfunktionen und ist in seiner höchsten Form dasselbe wie unser `Verstehen´ und insofern gar kein Wissen.

TEIL 2

EPISTEMOLOGIE

KAPITEL 4

SPRACHFORMEN

2.4.1. KOMMUNIKATION Die Isolation jedes menschlichen Erfahrungszentrums oder `Geistes´ von anderen `Geistern` gehört zu den grundlegendsten Erfahrungen. Es kann eine mehr oder weniger effektive gegenseitige Durchdringung funktionaler Aktivität geben, aber keine oder lediglich eine geringe gegenseitige Durchdringung des Bewusstseins. Wahrscheinlich ist diese Einsamkeit des Bewusstseins charakteristisch für unsere menschliche Situation und nicht für das Bewusstsein als einer kosmischen Realität. Das Sein ist in seiner Relativität mit Bewusstseinsformen kompatibel, die sehr verschieden von unseren sind - so ist es zum Beispiel möglich, dass Wesen existieren, die, obwohl sie sich in ihrer Natur unterscheiden, trotzdem durch eine Vereinigung des Bewusstseins kommunizieren können, ohne Beteiligung irgendeiner funktionalen Aktivität so wie wir sie kennen. Auch in der menschlichen Erfahrung gibt es seltene Momente, in denen eine solche Vereinigung möglich erscheint. Der normalste Zustand des menschlichen Bewusstseins herrscht dann, wenn der Mensch gleichermaßen seine funktionale Aktivität und die Anwesenheit einer Aufmerksamkeit erkennt durch die sie geleitet wird. Ein solches Gewahrsein mag auch in höheren Tieren möglich, muss dort aber noch seltener sein. Für die niedrigeren Lebewesen und die unbelebten Objekte können wir das Vorhandensein eines Erkennens, das mit dem aufmerksamen Bewusstsein vergleichbar wäre mit Sicherheit ausschließen. Kommunikation kann deshalb als typisch menschliches Problem betrachtet werden - eher als ein psychologisches als ein metaphysisches Problem. Ob es möglich oder unmöglich ist, zu wissen, was in einem anderen Geist vorgeht, ist eine faktische Frage und sie muss wie andere faktische Fragen geklärt werden, nämlich durch Beobachtung, Experiment und Analyse. Es gibt keinen Zweifel, dass wir mit anderen Bewusstseinsformen kommunizieren können und dies auch tun, und darüber hinaus wissen wir, dass Kommunikation manchmal angemessen und verlässlich ist, während sie in anderen Momenten vollständig zusammenbricht und sich der Erfahrungsaustausch als unmöglich erweist. Da Kommunikation in jeder Situation notwendig ist, in der zwei oder mehr Menschen sich auf gemeinsames Handeln verständigen wollen, entspricht das Studium der Bedingungen für gelingende Kommunikation einem allgemeinen menschlichen Bedürfnis. Gemäß des dritten Prinzips benötigt jede Beziehung drei Begriffe und Kommunikation als der dritte Begriff ermöglicht eine Beziehung zwischen zwei Zentren der Seinserfahrung oder zwischen zwei `Geistern´. Im Diskurs etwa sind der Sprecher und der Zuhörer durch das gesprochene Wort verbunden. Soweit es die körperlichen Funktionen betrifft, kann eine Geste anstelle von Worten verwendet werden. Kommunikation ereignet sich hier durch die Nachahmung, durch die Entstehung eines gemeinsamen Gefühls und auch durch direkte Handlung, etwa, wenn ein Mann den Arm eines anderen ergreift, um seine Aufmerksamkeit zu erhalten. Die Kommunikationsform, die für die Naturphilosophie von Bedeutung ist, verwendet die Sprache. Sprache umfasst alle Formen der Kommunikation, in der ein Zeichen, ein Symbol oder eine Geste für ein entsprechendes Objekt steht und der Bezug von allen Beteiligten erkannt werden kann. Die folgenden Definitionen sollen die beabsichtigten Unterscheidungen erklären:

Sprachakt: Kommunikation zwischen Geist und Geist durch das Medium einer funktionalen Aktivität, wie Sprache, Schrift, mathematischer und philosophischer Kurzschrift, Gesten,Tonfall, Rhythmus oder Pantomime. Zeichen: Ein Laut mit oder ohne ideographische Kennzeichnung, der in zwei oder mehr Menschen die Erinnerung einer einfachen erkennbaren Erfahrung hervorruft. Deshalb die Regel `ein Referent - ein Zeichen´. Symbol: Ein Zeichen, das in zwei oder mehr Personen die Erinnerung an eine Gruppe bestimmter Erfahrungen hervorruft, die sich nicht nur dem funktionalen Inhalt nach, sondern auch in den entsprechenden Bewusstseinszuständen unterscheiden. Deshalb die Regel `Symbole sind mehrwertig´. Geste: Eine Manifestation, die in zwei oder mehr Personen die direkte Erfahrung der Gesamtheit aller für die gegebene Situation relevanter Erinnerungen hervorruft und eine Reaktion des Willens produziert. Linguistisches Element: Ein Zeichen, ein Symbol oder eine Geste ist ein linguistisches Element und Sprache ist die Kunst, linguistische Elemente zur Kommunikation von Erfahrung zu kombinieren.

Der Sprachakt als die Kommunikation muss von Erfahrung von Kunst und Magie unterschieden werden, die ebenso als Mittel der wechselseitigen Aktivität zwischen Menschen dienen. Auch in der Kunst gibt es linguistische Elemente, aber diese stehen nicht ausschließlich für Erfahrung, denn sie sind Teil und manchmal auch vollkommen identisch mit der Erfahrung, die sie repräsentieren. Durch die Kunst können Bewusstseinszustände mitgeteilt werden; dabei ist der Seinsgehalt primär und der funktionale Gehalt ist sekundär. Auch in der Magie gibt es linguistische Elemente, aber diese werden als Mittel des Handelns genutzt. Magie ist ein Akt des Willens und sowohl der funktionale Gehalt als auch der Seinsgehalt sind in der Magie dem Gehalt des Willens untergeordnet. Um die Rolle des Sprachakts deutlicher zu machen, müssen wir zwischen direkter und indirekter Kommunikation unterscheiden. In jedem Sprachakt, welche Form auch immer er haben mag, ist die Kommunikation indirekt; ein Zeichen, ein Symbol oder eine Geste sind weder identisch mit dem Objekt, auf das sie sich beziehen, noch haben sie Anteil an seinem Wesen. Dies kann annähernd ausgedrückt werden, wenn wir sagen, dass der Sprachakt die Kommunikation über etwas bildet; über alles, zu dem ein Bezug durch ein Zeichen hergestellt werden kann, kann auch `gesprochen´ werden. Es ist jedoch wichtig im Kopf zu behalten, dass, da der Sprachakt gleichbedeutend mit Funktion ist, sein Bezug nur insofern überprüft werden kann, als der diskursive Gegenstand funktional ist. Konsequenterweise werden für jede der drei Komponenten der fundamentalen Erfahrungstriade verschiedene Formen des Sprachakts benötigt. Es muss betont werden, dass dieses Schema nichts mit `Linguistik´ zu tun hat, wie sie üblicherweise verstanden wird, sondern mit der Multidimensionalität, die sich der Sprachakt aneignen muss, um alle drei Aspekte der Erfahrung umfassen zu können.

2.4.2. BEDEUTUNG Die wichtigste Funktion des Sprachakts besteht in der Übermittlung von Bedeutung. Ogden und Richards61 haben gezeigt, wie viele wichtige Probleme übersehen werden und ebenso, wie viele unnötige Probleme geschaffen werden, wenn das Wort `Bedeutung´ unterschiedslos verwendet wird, um auf vollkommen verschiedene Elemente unserer 61 Siehe C.K. Ogden und I.A. Richards, The Meaning of Meaning, 8th end. (Cambridge, 1946) Diese außerordentlich wertvolle

Sprachkritik bildet gemeinsam mit L. Wittensteins Traktatus Logico-Philosophicus, 2. ein (London, 1937) eine bewundernswerte Einführung in das Thema des vorliegenden Kapitels.

Erfahrung zu verweisen. Wir sollten das Wort `Bedeutung´ deshalb so sorgfältig wie möglich definieren und danach trachten, es lediglich innerhalb der Grenzen dieser Definition zu verwenden. Da Sprachakte sich auf Bedeutungen beziehen, können wir Sprachakte nicht der Bedeutung selber zuschreiben. Vielmehr besteht der indirekte Charakter, den wir der linguistischen Kommunikation beigeben, in der Tatsache, dass Worte keine intrinsische Bedeutung besitzen. Ein linguistisches Element besitzt nur Bedeutung durch den Bezug auf eine Erfahrung, die mitgeteilt werden kann. Darüber hinaus muss die Erfahrung wiederkehrend und deshalb erkennbar sein. Die Definition von Bedeutung, die wir übernehmen werden kann also entsprechend folgendermaßen formuliert werden: Eine Bedeutung besteht im Erkennen eines wiederkehrendes Elements in der Erfahrung und ein linguistisches Element besitzt nur insoweit Bedeutung, als es sich auf ein wiederkehrendes Element der Erfahrung bezieht, das von denen erkannt wird, die es benutzen. Das Konzept der Bedeutung kann zu den Kategorien in Form einer versuchsweisen Abfolge von Regeln oder eines Kanons linguistischen Brauchs in Beziehung gesetzt werden, die in der folgenden Übersicht aufgeführt wird. (ii) Ganzheit: Jedes Zeichen, jedes Symbol oder jede Geste, die im Sprachakt verwendet wird bildet hinsichtlich der Bedeutung ein erkennbares Ganzes. (iii) Polarität: Bedeutungen entstehen sowohl durch Exklusion als auch durch Inklusion. Das heisst, sie besitzen sowohl Kontext als auch als auch Inhalt. (iv) Bezogenheit: Jede Bedeutung dient dazu, eine Erfahrung mit einer Referenz zu verbinden; der Inhalt ist relativ. (v) Subsistenz: Ein Akt der Kommunikation umfasst vier Elemente: die Kommunikanten P und Q, das Referenzobjekt O und das linguistische Element S das für O `steht´. (vi) Potentialität: Jedes linguistische Element verfügt über mehr Bedeutung als in irgendeine tatsächliche Kommunikation einfliessen kann. (vii)Wiederholung: Eine Bedeutung besteht im Erkennen einer sich wiederkehrenden Situation. Sie wird artikuliert sobald sie mit einem linguistischen Element verbunden wird. (viii)Struktur: Der Sprachakt hat eine siebenfältige Struktur. Diese Übersicht muss etwas erläutert werden. Die allgemeine Regel `ein linguistisches Element - eine Bedeutung´ ist nur gültig, wenn sie auf Zeichen angewendet wird. Indem wir die Relativität von Ganzheit berücksichtigen, können wir sehen, wie sich die Bedeutung eines gegebenen Konzepts relativ zur Fülle der Erfahrung verhält, aus der es abgeleitet wird. Eine Bedeutung, die auf dem zwei- oder dreimaligen Wiederauftreten einer gegebenen Erfahrung beruht, kann nicht so vollständig sein, als wenn sie auf vielen hundert wiederkehrenden Erfahrungen beruhte, von denen jede ihr eigenes Quantum zum Gehalt der Bedeutung beigetragen hat. Die Unterscheidung zwischen Gehalt und Kontext dreht sich um die Wiedererkennbarkeit. Ein Kontext besteht aus einem wiederkehrenden Set von aufeinander bezogenen Entitäten, innerhalb dessen wir ein oder mehr Elemente erkennen können. Was wir auf diese Weise erkennen, entwickelt sich durch Wiederholung in die `Bedeutung´ der Erfahrung. Die Bedeutung hat so zwei entgegengesetzte Komponenten, eine, die sie bejaht und eine, die sie verneint. Der negative Bestandteil ist der Kontext, gegen den oder aus dem heraus wir

die positive Bedeutung übernehmen. Der Kontext ist so für die Bedeutung nicht weniger notwendig als der Inhalt und bildet zum Zwecke der Kommunikation den gemeinsamen Grund. Wir werden den Begriff `stabiler Kontext´ verwenden, um ein Set von Erfahrungen zu bezeichnen, die von verschiedenen Menschen geteilt und als wiederkehrend erkannt werden. Innerhalb dieses Kontexts können spezifische Elemente, die eine gemeinsame Bedeutung haben, diskutiert, geklärt und abgegrenzt werden. Durch diese Prozess erwirbt der kommunikative Vorgang Subsistenz - Leute beginnen `einander zu verstehen´. Die Kategorie der Potentialität ist sehr wichtig, um Kommunikation verstehen zu können. Es ist eine sofort überprüfbare Konstante der Erfahrung, dass wir niemals alles sagen können, was wir meinen und auch nicht alles meinen können, was wir sagen. Die sechste und siebte Kategorie hilft uns dabei, den wahren Zustand des Sprachaktes festzustellen und zu zeigen, dass er der Stufe organisierter Existenz entspricht; denn die Kategorien der Wiederkehr und der Struktur gelten unmittelbar nur für vollständig organisierte Ganzheiten und wo der Sprachakt dem Maßstab der Struktur nicht entspricht, muss Kommunikation irgendwie zusammenbrechen. Von den eher allgemeinen Überlegungen können wir nun dazu übergehen, einige besondere Beispiele für Bedeutung zu betrachten. Die Bedeutung des Wortes `Tisch´ umfasst die Erkenntnis einer Gruppe von Sinneseindrücken, deren allgemeines Muster im Wiederkehren besteht und die von allen menschlichen Beobachtern in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die es gewohnt sind, in eingerichteten Häusern zu leben, auf dieselbe Weise erkannt wird. Man wird bemerken, dass wir nicht behaupten, dass Bedeutung sich aus der Wiederkehr ergibt oder auch aus dem Erkennen der Wiederkehr; denn unserer Definition entsprechend ist die Bedeutung identisch mit dem Erkennen und das Erkennen identisch mit der Bedeutung. Wir können nicht meinen, was wir nicht erkennen können und wir können nicht erkennen, was wir nicht meinen. Überdies wäre eine vom Kontext des Wiederholung ausgeschlossene Erfahrung bedeutungslos. Das Wort `Tisch´ ist selber ein konzeptionelles Zeichen; das heisst, sein Begriffsinhalt wird auf dem Wege der Interpretation erreicht. Der Prozess der Interpretation mag für verschiedene Leute verschieden vor sich gehen und deshalb kann die Bedeutung von `Tisch´ auch variieren. Ein Bewohner Persiens oder Turkestans versteht darunter ein niedriges Objekt, um das herum Menschen auf dem Boden knien oder sitzen, während ein Europäer darunter etwas verstehen wird, an dem man auf Stühlen sitzt. Daher ist offensichtlich, dass die potentielle Bedeutung der konzeptionellen Beschreibung immer voller ist und auch sein muss, als in jedem tatsächlichen Moment ihrer Nutzung. Wenn wir nun den Klang nehmen, den man `Bäh´ schreibt und diesen als Wort behandeln, können wir von einem expressiven Zeichen sprechen. Seiner Bedeutung auch wenn sie sich von dem eines Tisches wesentlich unterscheidet - liegt ebenfalls ein Wiedererkennen zugrunde, nämlich das Wiederkennen eines emotionalen Zustands des Missbehagens oder Abscheus, dessen Erfahrung in verschiedenen Kontexten wiederkehrt und geteilt werden kann. Der Übergang von Wiederholung zu Struktur führt uns von der Grammatik zur Syntax, d.h., zu der Betrachtung der Bedeutung von Sätzen und der Kommunikation durch linguistische Formen als unterschieden von einzelnen Zeichen. Während die Angemessenheit eines Zeichens unter Bezug auf die Kategorien geprüft werden kann, besitzt ein Satz einen Gehalt jenseits der Adäquanz, namentlich den von Wahrheit und Falschheit. Der Gehalt eines wahren Satzes ist Wissen; aber nicht alles Wissen kann in Sätzen ausgedrückt werden, noch drücken alle Sätze Wissen aus. Vielmehr sollte ein vollständiger Sprachakt, entsprechend dem Prinzip der Struktur sieben verschiedene Qualitäten einschließen, von denen nur zwei die Angemessenheit des Bezugs und den Ausdruck von echtem Wissen betreffen. Es gibt im Sprachakt ebenso die Eigenschaften von Gefühl, Tonfall und Absicht, die Richards denen des Bezugs und der Wahrheit hinzufügt. Von jenen abgesehen sind da die Qualitäten von

Form und Rhythmus, die alle einen Teil zum Ausdruck und der Kommunikation von Bedeutung beitragen. Zuletzt ist da noch der Charakter des Kontexts, nämlich der Aspekt der Erfahrung, auf den eine bestimmte Form des Sprachakts zutrifft. In diesem Sinne können wir Sprachformen unterscheiden, die den verschiedenen funktionalen Aktivitäten des Menschen entsprechen intellektuelle Sprache, Gefühlssprache und instinktive Sprache. Dies sind die subjektiven Gegenstücke zu den objektiven Unterscheidungen zwischen einer Sprache der Funktion, einer Sprache des Seins und einer Sprache des Willens.

2.4.3. FIKTIONALE UND AUTHENTISCHE SPRACHAKTE Die zwei hauptsächlichen Defekte in Sprachakten bestehen in einem Mangel an Disziplin und übertriebener Spezialisierung. Unsere gesprochene Sprache verfügt aufgrund der Bedeutungsschattierungen, die jeder gesprochene Satz durch stimmlichen Tonfall, Rhythmus und körperlichen Ausdruck erwirbt über einen gewissen Reichtum in ihrem Gehalt. Trotzdem sind dies undisziplinierte Sprachakte und deshalb sind sie unbrauchbar für den Zweck, ein gegenseitiges Verstehen der tieferen Formen der Erfahrung zu ermöglichen, abgesehen von den seltenen Fällen, in denen Bedeutungen durch anschauliche Definitionen geklärt werden können. Unsere gewöhnliche Sprache steckt voller erkannter Wiederholungen und so auch voller Bedeutung, aber sie ist unbestimmt und verworren. Auf der anderen Seite erreichen spezialisierte Sprachakte, die jedoch wohl einer strengen Disziplin bedürfen, fast immer Genauigkeit auf Kosten des Gehalts und opfern so die eigentliche Bedeutung, die sie zu übermitteln suchen. In funktionalen Sprachakten werden linguistische Elemente benutzt, die größtenteils nicht durch die Erfahrung verifiziert wurden. Der Bezug bricht weg und wieder geht Bedeutung verloren. Das Problem angemessener Kommunikation stellt sich in akuter Form, wenn es darum geht, Wissen um nicht-funktionale Erfahrung zu teilen. Was wir wissen, ist funktional und hier gibt es kein innewohnendes Hindernis bei der Mitteilung. Dieses Wissen wird durch Beobachtung erworben - und wir können uns selbst auf eine Weise beobachten, die sich nicht grundsätzlich davon unterscheidet, wie wir andere beobachten - aber das führt uns nicht zur Erkenntnis des menschlichen Bewusstseins, das niemals beobachtet werden kann, weder in uns selbst noch in anderen. Sprachakte können die Kluft, die Funktion und Sein voneinander trennt, niemals vollständig überwinden, die Kommunikation über Bewusstseinszustände und Willensakte ist jedoch trotzdem möglich. Ein ungenaues Verständnis der verschiedenen Qualitäten von Sprachakten ist für die Tendenz verantwortlich, den Sprachakt für etwas Mysteriöses zu halten. Die Wahrheit ist, dass der Sprachakt ungeachtet seiner verschiedenen Ressourcen immer auf Bezug angewiesen ist. Wir können über das Sein sprechen, aber für können Sein nicht übertragen. Wir können über Willensakte sprechen, aber wir können sie selbst nicht mitteilen. Auf der anderen Seite können wir in unserer Rede durchaus über Funktion sprechen und sie auch mitteilen. Denn Rede ist Verhalten, und wenn sie zur Mitteilung verwendet wird, dann entsteht eine Korrespondenz zwischen den Verhaltensmustern des Sprechers und des Zuhörers. Dasselbe trifft auf den Schriftsteller und den Leser des geschriebenen Wortes zu und auf alle anderen Sprachakte. Jede Sprachkritik sollte mit dem Hinweis auf die Verschwommenheit und Ungenauigkeit des gewöhnlichen Gebrauchs beginnen. Es muss jedoch eine konstruktive Kritik sein, in dem Sinne, dass dadurch eine vollständigere Form der Kommunikation möglich wird, die auf alle Formen und Abstufungen der Bedeutung anwendbar ist. Das Ziel muss es sein, eine

authentische Sprache zu schaffen, die über eine ausreichende Vielfalt an Formen verfügt, um alle möglichen Bedeutungen kommunizieren zu können. Wo immer Kommunikation wirksam ist, findet ein authentischer Sprachakt statt. Der authentische Sprachakt muss nicht spezialisiert sein. Viele der Sprachformen des üblichen menschlichen Diskurses sind insofern authentisch, als sie sich auf materielle Objekte und ihre Funktionen beziehen. Das häusliche und das wirtschaftliche Leben verläuft mehr oder weniger angemessen durch Kommunikationen, in denen eine Kritik der verwendeten Sprache nicht nötig erscheint. Angemessenheit wird hier durch die Erfordernisse der Situation selbst erreicht. Diese bringen die benutzten Worte in eine direkte Beziehung mit den wiederkehrenden Elementen der Erfahrung, aus denen sie ihre Bedeutungen ableiten. Angemessene Kommunikation wird ebenso in wissenschaftlichen und technischen Diskussionen und Texten erreicht. Hier werden Worte zum größten Teil dazu verwendet, ein Muster funktionalen Verhaltens zu bestimmen. Nach Bedeutung hinsichtlich des Seins der Entitäten, auf die sie sich beziehen, wird weder gesucht noch wird sie erreicht. So verwenden wir zum Beispiel das Wort `Elektrizität´ wenn wir `dieses Unbekannte etwas, das an der wiederkehrenden Erfahrung elektrischer Ereignisse teilnimmt´ meinen. Obwohl in ihren Bedeutungen beschränkt, können die in einem solchen Sprachakt benutzten Zeichen wirkungsvoll sein, weil die Erfahrungen, auf die sie sich beziehen, wiederkehren und sogar zum größten Teil absichtlich reproduziert werden können. Der Zusammenbruch des gewöhnlichen Sprachakts beginnt, wenn wir das praktische Leben zugunsten der Diskussion abstrakter oder philosophischer Fragen hinter uns lassen. Die Fiktionen, die für die Kommunikation über das, was ist, gut geeignet sind, werden zu Quellen sowohl des Betrugs als auch des Selbstbetrugs, wenn wir sie unkritisch auf die Existenz selber anwenden. Wir sehen jedoch, dass wir mit entsprechender Vorsicht und indem wir die Methode der fortschreitenden Annäherung nutzen, Worte und Sätze finden können, durch die wir unsere Erkenntnis der Kategorien der Erfahrung ausdrücken und mitteilen können. Die Rekonstruktion des Sprachakts ist im Bereich der Funktion eine relativ einfache Aufgabe, die mit Hilfe der Kategorien und der Prinzipien der Erfahrung umgesetzt werden kann. Die Entstehung von Sprachakten für Kommunikationen über Sein und Wille ist eine andere Aufgabe. Wir können das Problem des Sprachakts deshalb in fünf Abschnitten diskutieren, von denen sich der erste mit der Untersuchung der Mängel aller unechten Sprachakte und linguistischen Konstruktionen befasst, in denen keine effektive Kommunikation möglich ist. Im Weiteren ist zu ermitteln, warum gewöhnliche Sprachakte manchmal erfolgreich verwendet werden können. in den nächsten vier Abschnitten werden die Erfordernisse der authentischen Sprachakte von Funktion, Sein und Wille studiert. Die vier Formen authentischer Sprachakte können wir folgt beschrieben werden: (i)

Gemischte Sprachakte: Worte und Sätze, die im gewöhnlichen menschlichen Austausch ohne Unterschiede in der Bedeutung eingesetzt werden und nur in einem stabilen Kontext erfolgreich sind.

(ii)

Zeichensprache: Die Sprache der Philosophie, in der die effektive Kommunikation einfacher Bedeutungen ohne Nuancen von Seins-Bedeutsamkeit stattfindet.

(iii)

Symbolische Sprache: Theoretische Sprache, in der Symbole mit gebührender Achtung vor der Relativität von Bedeutung genutzt werden und effektive Kommunikation hinsichtlich von Seins-Unterscheidungen ermöglichen.

(iv)

Gestische Sprache: Praktische Sprache, in der durch die Kombination aller drei Arten linguistischer Elemente eine effektive Kommunikation in allen Bereichen von Funktion, Sein und Wille möglich ist.

2.4.4. UNECHTE SPRACHE Bevor wir mit dem Studium der vier Typen authentischer Sprachakte beginnen, sollten wir einige der Defekte der unechten Sprachakte und der Konsequenzen ihres Gebrauchs untersuchen. Unechte Sprachakte bestehen in Worten und Sätzen, die aus einem stabilen Kontext gerissen und ohne Prüfung ihrer Bedeutung benutzt werden. Nahezu jeder Diskurs, bei dem es um religiöse, philosophische, politische und historische Fragestellungen geht, ist von den Defekten unechter Sprachakte betroffen. Die Diskursteilnehmer versuchen, ohne die notwendige Prüfung der Bedeutung der linguistischen Elemente, die sie benutzen zu kommunizieren und meistens ohne Beachtung irgendeines Kanons der Grammatik oder Sprache. Die Missverständnisse, die sich dauernd in der menschlichen Begegnung ergeben, sind hauptsächlich der Missachtung von Bedeutungen geschuldet. Es wird kein ernsthafter Versuch unternommen, linguistische Elemente auf irgendeine unmittelbare Erfahrung zu beziehen oder Kenntnis von der Tatsache zu nehmen, dass Bedeutungen nur erkannt werden können, wenn es eine Wiederkehr allgemeiner Erfahrung innerhalb eines anerkannten Kontextes gibt. Durch die Missachtung der Kategorien oder irgendeiner auch nur annähernd vergleichbaren Disziplin den Denkens und der Sprache werden viele unechte Zeichen und bedeutungslose Sätze verwendet ohne ihre Gültigkeit in Frage zu stellen. So wird ein Zeichen, das ein erkennbar wiederkehrendes Ganzes bezeichnen sollte, benutzt, um auf Situationen zu verweisen, die nur in der Einbildung existieren. Im gewöhnlichen Sprachakt werden Worte selten korrekt verwendet außer im Bezug auf materielle Objekte und deren durch die Sinne wahrnehmbaren funktionalen Transformationen. Für alle innere, das menschliche Bewusstsein betreffende Erfahrung und für die Beschreibung von Prozessen, die nicht direkt in der Sinneswahrnehmung gegeben sind, sind Worte zum großen Teil Zeichen für nichtexistente oder sehr dubiose Ganzheiten. So benutzen Menschen zum Beispiel Worte wie `Christentum´, `Demokratie´ oder `Bolschewismus´, auch wenn es in der Erfahrung kein Element gibt, für das diese Worte ein Zeichen sein könnten. Wie haben bereits angemerkt, wie das Wort `Bedeutung´ selbst ein unechtes Wort werden kann, mit der Wirkung, die Illusion herbeizuführen, etwas sei gesagt worden, bloss weil wir uns nicht fragen, was `Bedeutung´ bedeutet. Die Unfähigkeit, notwendige qualitative Unterscheidungen zu treffen ist eine weitere Ursache für die Entwertung der Sprache. Die Psychologie ist das Beispiel eines Diskursbereichs, in dem authentische Kommunikation geradezu unmöglich ist, weil Autoren und Redner die Unterscheidung zwischen funktionaler Aktivität, Bewusstseinszustand und Willensakt fast ausnahmslos missachten. Die Verwirrung ist umso größer, als die benutzten Sätze vorgeben, gerade die Unterscheidungen vorzunehmen, die sie ignorieren.

2.4.5. AUTHENTISCHE ABER GEMISCHTE SPRACHAKTE Die Fehler unechter Sprachakte, die darin bestehen, die Unterschiede von Sein und Funktion nicht zu berücksichtigen, werden im gewöhnlichen Diskurs durch die Modulation

gesprochener Worte und Sätze mit Hilfe tonaler Beugungen, durch Rhythmus und Kadenz, Gesten und Haltungen behoben. All diese Mittel zur Verstärkung verbaler Kommunikation können insofern als persönlich und subjektiv klassifiziert werden, als sie außerhalb einer persönlichen Beziehung wirkungslos sind. Wir haben daher das Bedürfnis, die Unzulänglichkeiten des bloßen Zeichens zu ergänzen, aber im Ergebnis entsteht keine authentische Sprache sondern eher eine gemischte Form, die nur vor dem Hintergrund eines stabilen Kontextes wirkungsvoll sein kann. Die Gesten und der Tonfall der Stimme, die für einen Chinesen oder Tibeter auf eine wiederkehrende Signifikanz und so auf Bedeutungsunterschiede hinweisen, werden für einen Franzosen oder einen Deutschen eine ganz andere Bedeutung haben. Selbst zwischen zwei Personen, die dieselbe Sprache sprechen und sich auf denselben Gegenstand beziehen, kann ein gewisses Maß an gemeinsamer Einsicht in abstrakten Fragen nur dann entstehen, nachdem häufige wiederholte Versuche einen gemeinsamen Kontext etabliert haben. Hier sollte festgehalten werden, dass authentische Sprache nicht von der Wichtigkeit ihres Gegenstands abhängt. Authentische objektive Sprachakte beginnen da, wo Bedeutungen die fällige Aufmerksamkeit gewidmet wird. Eine solche Sprachform kann nicht auf die Disziplin verzichten, durch die ein gemeinsamer stabiler Kontext entsteht, aber in diesem Fall ist die Disziplin absichtsvoll und ihr Zweck wird von den Teilnehmern mehr oder weniger verstanden.62 So besteht die erste Voraussetzung für jede authentische Sprache darin, dass sich jene, die sie benutzen, an ihrer Erschaffung beteiligen müssen, d.h. an der Etablierung eines stabilen gemeinsamen Kontexts. Darüber hinaus kann der Prozess nicht ausschließlich durch Zeichen umgesetzt werden, da die Zeichen selber der Überprüfung bedürfen und es ist notwendig, emotionale, instinktive und andere Faktoren mit einzubeziehen, die die Wahrnehmung der Beteiligten beeinflussen. Lassen Sie uns zum Beispiel annehmen, eine Gruppe von Menschen hat den Wunsch, eine gemeinsame, authentische Sprache zu begründen, um die Elemente eines Sonnenuntergangs zu beschreiben. Sie mögen sich unter vielen verschiedenen Bedingungen zur Beobachtung des Sonnenuntergangs treffen, um die wiederkehrenden Elemente erkennen zu können, durch die die Bedeutung der Erfahrung gedeutet werden kann. Wenn sich jedoch die betreffenden Personen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten zu emotionalen und instinktiven Reaktionen voneinander unterscheiden und auch durch das Maß in dem ihre Wahrnehmungskapazitäten geschult wurden, werden die Bedeutungen, die sie erkennen verschieden sein und es wird den übernommenen Zeichen nicht gelingen, eine authentische Kommunikation herzustellen. Im Allgemeinen kann ein stabiler Kontext auf zwei Arten hergestellt werden, entweder durch eine Methode, die als technische Referenz bezeichnet werden kann oder durch logische Abstraktion. Eine technische Referenz ist gegeben, wenn eine funktionale Aktivität, die von den Beteiligten des Diskurses geteilt wird, einen gemeinsamen stabilen Kontext herstellt. Die dann verwendeten Worte und Sätze erhalten ihre Bedeutung aus der vorangegangenen Anerkennung der wiederkehrenden Eigenschaften einer Situation. Technische Referenz ist jedoch nur wirksam, soweit es um funktionale Aktivität einer mechanischen Form geht; auf den anderen Seite kann sich herausstellen, dass selbst eine technische Diskussion wie: `Was ist mit Motor des Fahrzeugs schiefgegangen?´, oder `Warum wurde das Soufflé verdorben?´ durch das Verschwinden eines gemeinsamen Kontexts, an dem die Diskurspartner teilhaben können, zusammenbrechen kann. Sprachakte, die durch technische Referenz wirksam werden, sind für den größten Teil der menschlichen Kooperation in den funktionalen Aktivitäten des Lebens verantwortlich. Trotzdem sehen wir, dass selbst die einfache und offensichtliche Methode, die Bedeutung von Zeichen aus dem Erkennen einer gemeinsamen wiederkehrenden Erfahrung abzuleiten,

62

Siehe Gurwitsch, Philosophical and Phenomenological Research (1947), p. 653

in den meisten Konversationen übersehen wird. Ein besonderer Fehler, der in technischer Sprache verbreitet auftritt, besteht darin, die Relativität von Ganzheit zu ignorieren und alle Dinge zu behandeln, als ob sie den gleichen existenziallen Status hätten. In Situationen, die im allgemein akzeptierten Sinne technisch oder wissenschaftlich sind, wird einiges an Mühe darauf verwandt, Zeichen und Symbole auszusuchen, die sich auf den Gegenstand der Kommunikation beziehen. In der allgemeinen Sprache haben die benutzten Worte jedoch eine lange Geschichte, während der sie auf Situationen angewendet wurden, die sich veränderten oder sogar aufgehört haben zu existieren. Im Ergebnis bleiben solche Bedeutungen, wie Worte sie transportieren können, hinter der Verwandlung der Entitäten zurück, auf die sie sich beziehen. Die Methode der logischen Abstraktion verläuft durch die Zuschreibung konventioneller Bedeutungen und durch die Konstruktion von Sätzen, durch die Bedeutungsbeziehungen ausgedrückt und kommuniziert werden können. Durch diese Prozedur wird die Schwierigkeit, einen stabilen Kontext zu finden, reduziert und der Effekt historischer Fluktuationen wird minimiert. Die Konstruktion abstrakter Sprachformen ist jedoch ein fast gänzlich negativer Vorgang, denn bis an die Grenzen getrieben, wird sie lediglich zur Kommunikation von konventionellen Bedeutungen, die von der Erfahrung geschieden sind. Wenn zum anderen Sprachformen rekonstruiert werden, um Zeichen hervorzubringen, die sich lediglich auf materielle Objekte und die Verhaltensmuster von Lebewesen - Männern und Frauen eingeschlossen - beziehen, dann erhalten wir eines dieser Systeme - von denen die Semiotik ein Beispiel ist - in denen nicht nur die Unterscheidungen von Sein und Wille ausgeklammert werden, sondern auch jene funktionalen Elemente, die zu den emotionalen, instinktiven oder zu anderen nicht intellektuellen Aspekten funktionaler Erfahrung gehören. Um gemeinsame Bedeutungen entdecken zu können, bedarf es eines Prozesses der Kommunikation und der vereinten Überprüfung und nur damit wird der Übergang von gemischter Sprachform zur authentischen Sprache der philosophischen Zeichen möglich gemacht.

2.4.6. ZEICHEN-SPRACHE Eine der wichtigsten Aufgaben der Philosophie besteht darin, einen stabilen Kontext zu schaffen, für die Diskussion all jener Fragen, die für den Menschen von allgemeinem Interesse sind. Zu diesem Zweck muss sie bestimmten Elementen der Erfahrung Bedeutungen zuschreiben, die in der Sinneswahrnehmung nicht direkt gegeben sind, sondern aus einem manchmal langwierigen und komplizierten Interpretationsprozess abgeleitet werden. Eine vollständige philosophische Sprache entsteht nur dann, wenn jene, die sie nutzen wollen einen Kontext an Erfahrung etabliert haben, in dem alle notwendigen Bedeutungen erkannt werden können. Wir haben es mit menschlicher Kommunikation zu tun; das heisst, mit der Übertragung von Bedeutungen von einem Geist oder einem Bewusstseinszentrum auf ein anderes durch das Verhalten. Aufgrund der Isolation jedes Bewusstseinszentrums ist es nicht möglich, dass auch nur zwei von ihnen über genau dieselben Erfahrungselemente verfügen, und deshalb können Bedeutungen niemals vollständig und in jeder Hinsicht übereinstimmen. Wenn wir nun deshalb die Forderung erheben, dass jedes Zeichen eine einzelne Bedeutung haben sollte, müssen wir feststellen, dass der Erkenntnis- und Interpretationsprozess lediglich annähernden Charakter hat. Der gemeinsame stabile Kontext des Diskurses entsteht schrittweise durch einen wiederkehrenden Prozess des systematischen Ausprobierens, dass heisst, durch Experiment und Prüfung. Verglichen mit der gemischten Sprache des gewöhnlichen

Diskurses kann die wahre philosophische Sprache sowohl angemessen als auch frei von Mehrdeutigkeit sein. Die Konstruktion eines Systems eindeutiger Zeichen ist jedoch keine Aufgabe, die als Vorbereitung einer philosophischen Sprache zu verstehen wäre; ganz im Gegenteil, es geschieht im Prozess der Kommunikation und der Überprüfung selbst, dass Zeichen eine eindeutige und definitive Beziehung zu Bedeutungen gewinnen. Trotzdem ist diese Aufgabe ein unverzichtbares Vorhaben für eine effektive Kommunikation jenseits der Grenzen technischer Referenz und erst im Zuge ihrer Bewältigung wird effektive Kommunikation hinsichtlich abstrakter Gegenstände möglich. Trotzdem bleibt die Kommunikation vom Wesen her funktional und geht nicht über das Teilen von Wissen hinaus. Durch ein Zeichen kann die Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Gruppe ähnlicher Erfahrungen gelenkt werden, und es ist nur dann wirksam, wenn es eine eins-zu-eins Beziehung zwischen dem Zeichen und den wiederkehrenden Elementen der Erfahrung gibt. Das ist leicht nachvollziehbar, wenn es um materielle Objekte wir Tische oder Stühle geht, aber nur mit großen Schwierigkeiten kann die Bedeutung von Erfahrungen überprüft werden, für die wir Worte wie `Aufmerksamkeit´, `Erinnerung´, `Sehnsucht´, `Hoffnung´ verwenden. All jene Worte implizieren in der gemischten Sprachform der gewöhnlichen Rede zufällige Vermutungen und unüberprüfte Annahmen, die unausweichlich zu Missverständnissen führen. Die Beseitigung überflüssiger Elemente aus der Bedeutung eines Zeichens sollte nicht auf Kosten einer Allgemeingültigkeit erfolgen, die im philosophischen Diskurs benötigt wird. Wir leiten aus unserer Erfahrung nicht das Wissen ab, das möglich wäre, weil wir nicht auswerten; dass heisst, dass es uns nicht gelingt, in unserem Denken wiederkehrende Elemente der Erfahrung zusammen zu bringen, die in Wirklichkeit verbunden sind. Wenn wir zum Beispiel unser eigenes Verhalten betrachten, finden wir in ihm eine Anzahl von Bedeutungen des Satzes `der Mensch ist eine Maschine´, aber die übergeordnete Bedeutung erschließt sich uns nicht. Wir erleben Verhaltensmuster, und zwar immer wieder, die aus automatischen Reaktionen bestehen, in denen uns weder eine Initiative noch eine Wahl bleibt, aber wir erkennen die totale Signifikanz dieser Beobachtungen nicht und deshalb verwenden wir das Zeichen `Mensch´, um etwas zu bezeichnen, das es so gar nicht gibt. Eine Konsequenz, die sich aus der Nichterkenntnis der Bedeutung, die die menschliche Erfahrung ausmacht, ergibt, besteht darin, dass so gut wie alle Diskussionen über den Menschen und seinen Platz in der natürlichen Ordnung nirgendwohin führen. Die Art von Wissen, die benötigt wird, um den genutzten Zeichen eine angemessene Bedeutungstiefe beizugeben, kann nicht ohne Anstrengung und Disziplin erworben werden und ist im allgemeinen ein Werk, das mit anderen geteilt werden muss. Die Erkenntnis funktionaler Wiederkehr kann nur durch die Kategorien in gültiges Wissen verwandelt werden. Nichtsdestotrotz sind die Kategorien nur in so fern wirksam, als wir ihre Bedeutung in unserer eigenen Erfahrung wiederfinden und diese Bedeutung in einem gemeinsamen Kontext mit anderen teilen können. Sie sind die primären Zeichen, durch die die Bedeutung anderer Zeichen ausgedrückt werden kann. Folglich benötigen der Erfordernisse eines stabilen Kontexts eine kleinere Anzahl an unabhängigen Bedeutungen als erschienen sein mögen. Unser Wissen um die Kategorien ist zunächst dürftig und unzuverlässig. Es kann nur durch die Untersuchung der Erfahrung wachsen und durch die Kommunikation der Ergebnisse zwischen jenen, die eine gemeinsame Sprache schaffen möchten. Die Kategorien sind die grundlegenden linguistischen Elemente. Jede von ihnen kann als Zeichen, als Symbol oder als Geste dienen, entsprechend der Fülle an Bedeutung, die wir in unserer Erfahrung erkennen können. Hauptsächlich besteht ihre Anwendung in der Bildung eines gültigen und zusammenhängenden Systems philosophischer Zeichen. Sie können

diesem Zweck dienen, weil sie der Grundregel der philosophischen Sprache genügen, dass jeweils ein Zeichen eine einzelne Bedeutung haben muss. Hier ist jedoch zu bemerken, dass unser Wissen von den Kategorien, wenn wir uns ihnen auf diese Weise nähern, funktional bleibt. Insofern sie sich auf Sein und Wille beziehen, können wir lediglich etwas `über´ sie wissen. Zeichen ermöglichen uns weder Bewusstsein noch Verstehen. Auf der anderen Seite betrachten wir Funktion als inhaltsgleich mit aller Existenz und deshalb müssen funktionale Zeichen für jede mögliche Referenz nutzbar sein. Mit der Hilfe einer angemessenen philosophischen Sprache können wir uns auf alle Seinsebenen und alle Willensmanifestationen beziehen.63 Die Möglichkeiten, aber auch die Begrenzungen der philosophischen Sprache erwachsen aus dem Gebrauch eindeutiger Zeichen. In unseren gewöhnlichen, gemischten Sprachformen nutzen wir Zeichen häufig, als wären sie Symbole und Symbole, als wären sie Zeichen. Dies verleiht der literarischen Sprache Leichtigkeit und Flexibilität; aber diese Vorzüge gehen zu Lasten von Klarheit und Zusammenhang. Wenn ein Zeichen zur philosophischen Sprache zugelassen wird, dann muss es von jeder symbolischen Assoziation abgeschnitten und dazu gebracht worden sein, einem definitiven Konzept zu entsprechen. Letzteres wird durch die Interpretation von Erfahrung erreicht, insbesondere durch den Prozess, in dem ein wiederkehrendes Element erkannt und aus seinem Kontext herausgelöst wird. Deshalb ist der Prozess, durch den ein Konzept entsteht, zur selben Zeit einer, durch den ein Zeichen eine Bedeutung erlangt. In psychologischen Begriffen erfordert die Klärung eines Zeichens und seiner Bedeutung reflexive Aufmerksamkeit, durch die es ständig zurück auf den Kontext bezogen werden kann, von dem es seine Bedeutung ableitet. Wenn wir über Worte wie `Erinnerung´, `Hoffnung´ oder `Bemühung´ nachdenken, können wir sehen, dass sie in der gewöhnlichen Sprache als linguistische Elemente genutzt werden, die auf eine ungeklärte Ansammlung von Erfahrung verweisen. Die Reduktion solcher Elemente zu Zeichen erfordert eine strenge Disziplin, zu der ein Mensch im Allgemeinen nur in der Einsamkeit in der Lage ist. So schwierig diese Disziplin ist, zur Kommunikation sie ist augenscheinlich unzulänglich, solange die Diskurspartner nicht festlegen können, dass jeder von Ihnen eine ähnliche Prozedur bewältigt und dieselbe wiederkehrenden Elemente in der Erfahrung identifiziert hat, aus der die Bedeutung eines gegebenen Zeichen abgeleitet wird. Für einen erfolgreichen Austausch ist es weiterhin erforderlich, dass im Verlauf der Kommunikation eine reflektierte Aufmerksamkeit aufrechterhalten wird, um sicherzustellen, dass die benutzten Sätze die beabsichtigten Bedeutungen tragen. Wenn das geschriebene Wort zwischen die Diskursteilnehmer gestellt wird, entsteht die zusätzliche Schwierigkeit, dass die Sätze leicht den Charakter von Symbolen annehmen und Assoziationen hervorrufen, die der beabsichtigten Bedeutung nicht entsprechen. Es gibt jedoch in dem menschlichen Natur keine angeborenen Defekte, welche die Entstehung einer philosophischen Sprache verhindern würden, in der jedes wichtige Zeichen, ob geschrieben oder mündlich mitgeteilt, eine einzigartige Bedeutung hat. Dass es eine solche Sprache gegenwärtig nicht gibt, ist hauptsächlich auf die Tatsache zurückzuführen, dass sich die weltweit praktizierten Erziehungssysteme mit technischen Bezügen zufriedengeben und den Bedeutungen gegenüber gleichgültig sind. Aufgrund dieser Gleichgültigkeit empfinden gebildete Menschen wenig oder kein Unbehagen, wenn sie Worte benutzen, ohne den wiederkehrenden Erfahrungen, auf die sich jene vermutlich beziehen, irgendeine Aufmerksamkeit zu schenken und ohne sicherzustellen, dass der Zuhörer dem, was er hört, eine ähnliche oder überhaupt irgendeine Bedeutung zuspricht. Es ist offensichtlich, dass eine rationale Erziehung die Entwicklung eines unzweideutigen Systems von Zeichen und einer klaren literarischen Form benötigt.

63 Es mag auffallen, dass die Diskussion viele Aspekte mit dem Denken Spinozas gemein hat, das - insbesondere in der Ethik -

drei Stufen der Sprache definiert, von denen nur die Dritte authentisch ist, da sie sich direkt auf die letztgültigen Prinzipien bezieht.

Es muss deutlich gemacht werden, dass die Bildung einer authentischen Zeichen-Sprache eine äußerst mühsame Angelegenheit ist. Sie erfordert von jenen, die sich damit befassen, ein unbeirrbares Zielbewusstsein, um effektive Kommunikation zu erreichen. Ebenso muss sich eine Aufmerksamkeit entwickeln, durch die die wiederkehrenden Elemente der Erfahrung erkannt und als Bedeutungen der genutzten Zeichen interpretiert werden können. Schließlich muss im Sprachgebrauch eine gewisse Disziplin herrschen; die Integrität der Zeichen muss erhalten bleiben und dies kann nur durch den Preis ständiger Wachsamkeit geschehen. Es kann philosophische Sprachformen geben, die für die Psychologie, die Geschichts- und Naturwissenschaft, für die Kunst, die Politik und die Religion geeignet sind und selbst für spezifische Handlungen in diesen Bereichen. Es ist nicht der Gegenstand, der die philosophische Sprache auszeichnet, sondern dass sie ein adäquates System von Zeichen besitzt, die auf einen gemeinsamen Erfahrungskontext bezogen sind. Daraus folgt, dass jede philosophische Schule für die besonderen Aufgaben, die sie sich stellt ihre eigene Sprache entwickeln muss. Deshalb kann philosophische Sprache auch verschiedene, ihrer Herkunft entsprechende Formen annehmen. Trotzdem ist es zwischen zwei oder mehr authentischen Zeichen-Sprachen möglich, von einer in die andere zu übersetzen, denn sie wurden alle durch denselben Deutungsprozess der wiederkehrenden Elemente in der allgemeinen Menschheitserfahrung abgeleitet. Wir haben zum Beispiel die Kategorien entsprechend unserer eigenen Entdeckungen von Bedeutungen aller möglichen Arten der Erfahrung formuliert. Ein so konstruiertes System ist nicht abgeschlossen gegen andere Systeme und durch die Disziplin reflexiver Aufmerksamkeit wird eine Korrelation der Bedeutungen möglich. Auf diese Weise kann jede authentische philosophische Sprache in ein einziges Schema unzweideutiger Zeichen gebracht werden. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Zeichen, die durch eine philosophische Disziplin etabliert wurden, Bedeutungen tragen, die durch den Klang, die Form, die etymologische Herkunft oder den allgemeinen Sprachgebrauch erkannt werden können. Zeichen tragen ihre Bedeutung nicht auf der Zunge, eigentlich tragen sie überhaupt keine Bedeutung, außer für jene, die diese Bedeutungen in gemeinsamer Bemühung geschaffen haben und einen stabilen Erfahrungskontext zu etablieren. Wer mittels der Zeichen-Sprache kommunizieren möchte, muss eine funktionale Koordination erwerben, die klare und eindeutige Rede ermöglicht. Jedes erkennbare Element der Erfahrung ist die Quelle einer Bedeutung, und jede Bedeutung kann durch ein Zeichen dargestellt werden. Die Sprache der Zeichen kann so idealerweise für Kommunikationen passend gemacht werden, in denen die Bedeutung aller möglichen Erfahrungsformen respektiert wird. Die Beziehung zwischen Bedeutungen kann durch Sätze ausgedrückt werden; ein gut konstruiertes System von Sätzen ist philosophischer Diskurs. Wo auch immer wir in unserer Erfahrung wiederholte und deshalb erkennbar Elemente finden, haben wir die Möglichkeit dazu.

2.4.7. SYMBOLISCHE SPRACHE Von unserer Untersuchung der Kategorien wissen wir, dass die Relativität von Ganzheit eine Dimension hinzufügt, der kein Zeichensystem adäquat entsprechen kann. Schon das Wort `Ganzheit´ kann, wenn es als Zeichen verwendet wird, nicht all die Bedeutungen von Ganzheit übertragen, denen wir in unserer Erfahrung begegnen. Das wird schon deutlich, wenn wir den Satz untersuchen `ein Mensch ist eine Ganzheit´. Solch ein Satz hat offensichtlich verschiedene Bedeutungen, je nachdem, ob wir den Menschen aus einer physiologischen, psychologischen, sozialen, philosophischen, historischen, religiösen oder irgendeiner anderen Perspektive betrachten. Der Satz hat darüber hinaus Bedeutungen, die

sich nicht nur dem Inhalt nach, sondern in ihrer innersten Natur voneinander unterscheiden, je nachdem ob wir das Wort `Mensch´ als gültig für Funktion, Sein oder Wille betrachten. Der Übergang von der Sprache der Funktion zur Sprache des Seins findet statt, wenn Zeichen durch Symbole ersetzt werden. Der Unterschied liegt in der Art, wie Erfahrung aufgefasst wird. Die Konstruktion eines Zeichens geschieht entsprechend der Interpretation einer Erfahrung, das heißt, durch Klärung und Abgrenzung der Bedeutung , die in einer wiederkehrenden Situation erkannt wird. Das Zeichen hebt die Bedeutung aus ihrem Kontext heraus und gibt ihr einen eigenen Status. In diesem Prozess wird die Integrität der Erfahrung geopfert, so wie wenn wir zum Beispiel die Zeichen `Gehirn´ und `Geist´ erschaffen, um die Bedeutung zu klären, die wir in den physiologischen und psychologischen Annäherungen an den Denkvorgang finden. Wir können den Begriff Intuition verwenden, um den Prozess zu bezeichnen, durch den Bedeutungen ohne Interpretation erkannt werden, also ohne sie aus dem Kontext der Erfahrung herauszulösen. Intuitionen können durch die Verwendung von Zeichen niemals angemessen ausgedrückt oder übermittelt werden, weil sie sowohl die Bedeutung des Kontexts als auch die Bedeutung des verwendeten Symbols erkennen. Wenn wir zum Beispiel das Wort `Gedanke´ als ein Symbol verwenden, müssen wir darauf vorbereitet sein, auf Klarheit und Definition zu verzichten und es in seinem Bezug auf die Beziehung eines endlichen Bewusstseinszentrums mit dem in diesem Zentrum vorhanden Bewusstseinsstrom zu akzeptieren. Obwohl es möglich ist, mit Worten auf den Platz zu verweisen, den das Wort `Gedanke´ im Kontext der Erfahrung einnimmt, gibt es weder eine Klärung noch eine Abgrenzung, das dem Wort `Gedanke´ den Rang als Zeichen einräumen würde. Auf der anderen Seite ist es mehr als ein Zeichen, weil es alle Bedeutungen umfasst, die wir mit Worten wie `Wahrnehmung´, `Erkenntnis´, `Assoziation´, `Aufmerksamkeit´ und auch `Geist´ und `Gehirn´ assoziieren. Intuitionen sind der Rohstoff der Seinssprache so wie Sinneseindrücke der Rohstoff der Funktionssprache sind. Jedes Wort, das sich auf das Sein bezieht, muss eine Bedeutungsflexibilität besitzen, die die Tatsache würdigt, dass jede Ganzheit relativ und jeder Kontext unbegrenzt ist. Um eine Seinssprache zu erschaffen, benötigen wir ein Set von Symbolen, in dem jedes Symbol für eine Gruppe verwandter Intuitionen steht. Die Sprache des Seins muss um eine Dimension reicher sein als die Sprache der Funktion und somit müssen Symbole vielwertig sein, wo Zeichen einwertig sein dürfen. Die Macht eines Symbols besteht in der Fähigkeit, verschiedene Stufen der Ganzheit zu verbinden. Zeichen können nicht dazu verwendet werden, sowohl den Gehalt verschiedener Ebenen als auch deren Beziehung zueinander auszudrücken. So stiftet es zum Beispiel nur Verwirrung, wenn das Wort `Oberfläche´ genutzt wird, als ob es dieselbe Bedeutung in der Anwendung auf ein Atom oder einen Tisch besäße. Das Wort `Oberfläche´ sollte deshalb eigentlich als Symbol für unsere Intuition von der Eigenschaft der Ganzheit genutzt werden, wobei jedes Ganze A das Dasein in einen Teil scheidet, der A ist und einen Teil, der nicht A ist. Die Intuition hat keine festgelegte Bedeutung, die durch ein Zeichen bestimmt werden könnte. Wenn es nicht verschiedene Seinsebenen gäbe, könnte eine Zeichensprache geschaffen werden, die geeignet wäre, alle möglichen Bedeutungen zu bezeichnen. Da es aber verschiedene Ebenen gibt, kann eine gegebene Situation mehr als eine Bedeutung haben, und diese Bedeutungen müssen auseinander gehalten werden. Dafür braucht es den Symbolismus. Es ist indes nicht die Wahrnehmung verschiedener Ebenen, die irgendwie mehr symbolisch wäre, als dass das Erkennen von Bedeutungen selber ein Zeichen ist. In einem sehr weiten Sinne können wir jede Wahrnehmung des gleichzeitigen Vorhandenseins verschiedener Ebenen als `mystische Erfahrung´ bezeichnen. Mystische Erfahrung kann entweder als Intuition belassen oder interpretiert werden, um eine Religion zu gründen. Im zweiten Falle macht der Mystiker Gebrauch von Zeichen und behandelt seine Erfahrung so, als ob eine unmissverständliche Bedeutung entdeckt worden sei und ausgedrückt würde.

Anderenfalls mag er danach trachten, die Mehrdeutigkeit der Erfahrung zu erhalten und wenn dies so ist, dann sind seine Äußerungen symbolischer Natur. Im Falle der meisten mystischen Äußerungen werden Zeichen und Symbole verwechselt und die Kommunikation ist unwirksam.64 Die Verwirrung ist dann am größten, wenn der Mystiker gewöhnliche Worte mit einer Bedeutung verwendet, die für ihn die Kraft eines Symbols hat, aber vom Leser nur als ein Zeichen behandelt wird. Wenn der Leser die beabsichtigte Bedeutung des Textes entdecken möchte, muss er sich ständig daran erinnern, dass Worte, die als Zeichen genommen werden, der Dimension des Bewusstseins mangeln, das für den Mystiker das wichtigste Element in seiner Erfahrung ist. Die Bedeutung eines Symbols kann niemals vollständig erkannt werden. Da bleibt immer etwas, das Funktion transzendiert und undeutlich auf das Bewusstsein vom Sein verweist. Wenn wir einem Symbol begegnen, müssen wir deshalb in unserer eigenen Erfahrung suchen, um zu entdecken, was dort reflektiert wird. Wir sehen, dass wir selbst im Symbol anwesend sind, und das Symbol in uns, denn es ist kein abstraktes Zeichen, das außerhalb der lebendigen Erfahrung existieren könnte.65 In den funktionalen Sprache können Zeichen an externe Bedeutungen gebunden werden, aber in der Sprache des Seins werfen uns die Symbole zurück in die Erfahrung und können so dazu dienen, eine Erfahrung mit einer anderen zu verbinden. Das Zeichen ist ein Instrument des Wissens, während das Symbol einen Bewusstseinszustand erweckt. Es mag zur Klärung der Unterscheidung der ersten drei Sprachformen hilfreich sein, wenn wir als Beispiel wiederum das Wort `Mensch´ verwenden. In einer gemischten Sprache wird das Wort `Mensch´ ohne Bezug auf irgendeinen stabilen Kontext verwendet. In einer einzigen Konversation mag das Wort mit verschiedenen Bedeutungen verwendet werden, und die Bedeutung, die auf einer Erfahrungsebene gültig ist, wird eher häufig als selten zur Interpretation auf einer Ebene verwendet, wo das Wort als Zeichen für eine Maschine oder bestenfalls für ein Tier verwendet werden sollte. In der Sprache der Funktion kann das Wort `Mensch´ in Bezug auf die Kategorien verwendet werden. Auf diese Weise kann ein eindeutiges Set von Zeichen-Wörtern abgegrenzt werden, von denen sich jedes auf ein erkennbares, wiederkehrendes Element der menschlichen Erfahrung bezieht. Alles was gewusst werden kann über den Manschen, kann ausgedrückt und kommuniziert werden, vorausgesetzt, die Diskursteilnehmer haben ihre eigenen Erfahrungen gemacht, auf die sich die Bedeutungen der Zeichen beziehen. Nachdem sie sich der Disziplin der Selbstbeobachtung und der gegenseitigen Befragung unterzogen haben, können die Mitglieder einer philosophischen Schule, die sich für das Studium des Menschen interessieren, miteinander kommunizieren, ohne Täuschung oder Verwirrung fürchten zu müssen. Ungeachtet der Angemessenheit der Kommunikation ist sie dennoch unvollständig. Was es heisst, ein Mensch zu sein, kann nicht durch Zeichen vermittelt werden. Um Menschsein auszudrücken, müssen wir in alle Menschheitserfahrungen eindringen und an den verschiedenen Erfahrungsstufen und Seinsebenen teilnehmen, die das Mensch-sein ausmachen. Da ist nicht länger ein stabiler Kontext, sondern eine Hierarchie von Kontexten, die so verschieden voneinander sind, dass die Bedeutung, die sich auf einer Ebene findet, der Bedeutung auf einer anderen Ebene widersprechen mag. Der Kontext der einen Diskursebene kann nicht mit dem Kontext einer anderen verschmolzen werden. Die Siehe N. Beryaev, Spirit and Reality, p. 146: „Aus der Art und Weise, wie viele Mystiker ihre Erfahrungen beschreiben, liesse sich schließen, sie seien Vertreter eines Monismus, Pantheismus, Anti-Personalismus, Anti-Humanismus oder einer Haltung, die menschliche Freiheit und Liebe verleugnet. Aber wie wir bereits gesehen haben, ist das Idiom der Mystik unübersetzbar in theologische und metaphysische Begriffe. Aber das von den Mystikern aufgeworfene Problem bleibt immer noch ungelöst und beunruhigend.“ 64

65 Siehe L.A. Reis, Aesthetic Meaning, Proc. Wrist. Soc. 1955, Vol. LV, p.227: „In der ästhetischen Erfahrung bewegen sich

Symbol und Bedeutung andauernd, was Bedeutung war, wird zum Symbol weiterer Bedeutung.“

Menschheit ist eine siebenfältige Struktur und jede der sieben Qualitäten oder Abstufungen bildet einen unabhängigen Bedeutungskontext. Obwohl die Unterscheidung von Stufen nicht zum Gegenstand begrifflicher Zeichen gemacht werden kann, ist eine Intuition ihrer Beziehung trotzdem erreichbar. Das Wort `Mensch´ wird dort im wahren Sinne zu einem Symbol, wo es benötigt wird, um die ganze Bandbreite von Bedeutungen auszudrücken, die sich in der menschlichen Erfahrung finden lässt. Die Macht des Symbolismus kann nicht in funktionalen Begriffen erfasst werden. Symbole müssen mit den Intuitionen des Seins geschmückt werden, bevor sie als Instrumente für die zweite oder theoretische Sprache dienen können. In der gemischten Form der gewöhnlichen Sprache werden Worte unterschiedslos als Zeichen und als Symbole verwendet. Wenn dies geschieht, entsteht eine unechte Signifikanz, eine trügerische Bedeutung, die den Kontakt mit der Erfahrung verloren hat. Man kann im Allgemeinen sagen, dass ein Symbol keinen Inhalt hat außer der Erfahrung, für die es steht und dass der Gebrauch von Symbolen für die Kommunikation deshalb eine besondere Disziplin erfordert, die sich vom Wesen her sehr von jener unterscheidet, die für die philosophische Sprache der Zeichen benötigt wird. Der Kontext der ZeichenBedeutungen ist funktional, aber jener der Symbol-Bedeutungen ist bewusst. Es wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass Bewusstseinszustände weder gewusst noch kommuniziert werden können und dass deshalb Symbolismus im gerade formulierten Sinne unmöglich erscheinen würde. Nichtsdestotrotz kann eine authentische Symbolsprache von einer Gruppe von Menschen erschaffen werden, die irgendwelche gemeinsamen Anstrengungen im Feld des Bewusstseins unternehmen. Die Kreation einer theoretischen Seins-Sprache ist also das Werk von Schulen, aber von Schulen einer anderen Ordnung und unter einer anderen Disziplin und anderen Anforderungen als es in Schulen erforderlich ist, die sich auf der Ebene abstrakter philosophischer Sprache befinden. Die Sprache des Seins ist ein Instrument, durch das Bedeutungen nicht durch Interpretation entdeckt, sondern durch Bemühung erschaffen werden. Die, die den Gebrauch der Symbolsprache erlangt haben, sind selber durch jene innere Transformation gegangen, die das Bewusstsein von Funktion befreit. In solchen Menschen werden verschiedene Ebenen des Seins bewusst unterschieden; deshalb können verschiedene oder sogar widersprüchliche Bedeutungen innerhalb einer einzelnen Intuition erfahren werden. Nur solcherart transformierte Menschen sind in der Lage, am Seins-Diskurs teilzunehmen.
 
 Symbolismus beruht auf den Kategorien der Erfahrung, aber er giesst sie in eine reichere Einheit. Symbolismus ist nicht analytisch sondern synthetisch. Das Problem der Kommunikation trifft hier auf ein Hindernis, das in der funktionalen Sprache nicht existiert, wo ein einzelner stabiler Kontext entdeckt und geteilt werden kann. Die Bedeutung der Symbole wird nicht gefunden sondern erschaffen; Kommunikation hängt vom gegenseitigen Erkennen der Stufen ab, durch die die Bedeutung des Symbols erreicht wurde. Nicht jeder, der es wünscht, kann in den Besitz der symbolischen Sprache gelangen. Man weiss vielleicht, was getan werden muss, aber man hat nicht die Kraft, es auch zu tun.

2.4.8. GESTISCHE SPRACHE Die Kommunikation von Verstehen kann weder durch Zeichen noch durch Symbole erreicht werden. Wenn Sein durch Intuition begriffen wird, dann kann Wille nur durch Beteiligung verstanden werden. Indem sie sich jenseits der Kommunikation von Bedeutungen begibt, erreicht die Sprache des Willens eine gemeinsame Affirmation - einen Akt des Willens, an dem die Beteiligten partizipieren. Bevor wir uns dem Studium des Willenssprache widmen, müssen wir ein weiterverbreitetes Missverständnis aus dem Wege räumen, das die

Möglichkeit betrifft, Verstehen zu kommunizieren. Beides, Verstehen und seine Mitteilung sind unmöglich ohne einen gemeinsamen stabilen Kontext von Wissen, Sein und Willen. Im gewöhnlichen Leben kann der Mensch einen anderen nur dann verstehen, wenn die häuslichen oder ökonomischen Kräfte eine Beziehung des Seins und eine Gemeinschaft des Handelns erzwingen; doch durch eine seltsame, aber nicht ungewöhnliche Abweichung stellen Menschen gar nicht erst in Frage, dass sie die ultimativen Wirklichkeiten verstehen können, die sich aber eigentlich vollkommen ausserhalb ihrer Reichweite befinden. Güte, Wahrheit, Gerechtigkeit und andere Manifestationen des bewussten Willens, die kein gewöhnlicher Mensch auch nur beginnen kann zu begreifen, werden in der gemischten Sprache von Zeichen und Symbol diskutiert, in der die benutzten Worte keine anerkannte Bedeutung haben. Es ist überdies anzumerken, dass ein erfolgreiches, gemeinschaftliches Handeln keinen Beweis für ein gemeinsames Verständnis darstellt. Es ist der technische Bezugsrahmen und nicht das Verstehen der Teilnehmer, der eine Einheit des Handelns zuwege bringt. So bildet zum Beispiel ein Kricketspiel einen solchen Bezugsrahmen, der erworbene Techniken ins Spiel bringt und durch seine Regeln und Gebräuche eine Abfolge gemeinschaftlicher Aktion von Spielern und Zuschauern gewährleistet. Die Abfolge umfasst nicht nur die körperlichen Aktivitäten sondern auch die mentalen Erfahrungen der Neugier, der Erwartung, das Wachrufen von Erinnerungen und die emotionale Befriedigung bei Erfolg und Niederlage. Wir können in diesem Kontext ein wiederkehrendes Element beobachten, das wir mit dem Zeichen-Wort `Teamgeist´ ausdrücken und die Bedeutung des Zeichens ist bei allen anerkannt, die über das Spiel sprechen. Die Bedeutung von Teamgeist ist jedoch nicht dieselbe wie die Bedeutung von `gemeinsames Verstehen´. Das erstere ist äußerlich; es wird durch den technischen Bezug gebildet und wenn der technische Bezug verschwindet - d.h., wenn das Spiel beendet wird - mag ein anderer technischer Bezug, etwa ein ökonomischer Disput zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern eine ganz andere Bedeutung an die Stelle dessen setzen, für das das Wort `Teamgeist´ während des Spiels stand. Obwohl Verstehen fälschlicherweise vielen menschlichen Situationen zugeschrieben wird, kann es trotzdem wo immer es eine authentische Beziehung des Willens gibt, in einem Keimzustand vorgefunden werden,. Da die Beziehung des Willens im tun besteht, werden wir den Begriff der Geste verwenden, um jene Ausdrucksform zu bezeichnen, durch die die Sprache des Willens geschaffen wird. Um die Bedeutung der Geste zu begreifen, sollten wir die drei Formen des Ausdrucks vergleichen: Zeichen: Jedes echte Zeichen hat eine einzelne Bedeutung, aber die Bedeutung ist die Erkenntnis eines wiederkehrenden Elements, das sich wie ein Faden durch den Erfahrungskontext zieht. Viele Erfahrungen werden benötigt, um eine einzige Bedeutung zu begründen. Es gibt jedoch eine Eins-zu-Eins-Korrespondenz zwischen Zeichen und Bedeutung. Symbole: Ein Symbol hat so viele Bedeutungen als es Seinsstufen gibt, auf die es sich bezieht. Das Symbol hat nicht nur Bedeutung, sondern es verkörpert auch eine direkte Erfahrung des Seins. Die Macht eines Symbols kann nicht durch Interpretation entdeckt werden sondern nur durch Intuition. Weil ein Symbol trotzdem viele Bedeutungen haben und auf viele Situationen angewendet werden kann, muss es notwendigerweise in Hinsicht auf die Konkretheit versagen. Es kann die Erfahrung nicht vollkommen auf ihren Kontext beziehen. Gesten: Jede Geste ist einmalig. Indem sie ihre eigene Bedeutung in sich trägt, benötigt sie weder Interpretation noch Intuition. Verschiedene Gesten mögen sich ähneln und ähnliche Gesten mögen wiederholt werden, aber die Einmaligkeit der Geste bleibt ihre beherrschende Eigenschaft. Die Geste ist nicht aus dem Kontext herausgenommen, sondern ereignet sich innerhalb des Kontextes.

Zum Besseren oder zum Schlechteren - jede Geste ist ein Akt, der den zukünftigen Verlauf der Geschichte bestimmt. Sein Maßstab mag sehr variieren. Manchmal wird er sehr klein und seine Folgen werden schwerlich erkennbar sein. Ein anderes Mal wird er so groß sein, dass alle menschliche Erfahrung durch ihn verändert wird. Eine Geste ist ewig - das heisst, zeitlos - und doch hallt sie wider, sowohl im Raum als auch in der Zeit. Sie wird niemals wiederholt und doch kehrt sie wieder. Die Einmaligkeit von Gesten entspricht der Einmaligkeit des Verstehens. Das Verstehen einer Situation kann nicht auf eine andere übertragen werden. Verstehen ist immer neu, denn es ist immer ein Willensakt und die Sprache des Verstehens muss selber ein Akt des Verstehens sein. In der Sprache der Geste bedeutet kein Wort und kein Akt jemals zweimal dasselbe. Es ist die Sprache des ganzheitlichen Menschen und sie kann nur von einem Menschen gesprochen werden, der selber eine vollständige, strukturelle Ganzheit ist. Die `Gesten´ der gewöhnlichen Menschen sind nicht mehr als der Automatismus ihrer Funktionen. Die Bedeutung solcher Gesten gehört nicht zu denen, die sie machen, sondern zum universalen Prozess, mit dem sie verflochten sind. Wir sollten deshalb nicht durch den Umstand in die Irre geführt werden, dass eine Geste manchmal ein Zeichen oder ein Symbol ist. Ein weiterer Punkt, der hier erwähnt werden muss ist, dass die Zuschreibung der Geste zur höchsten Ordnung der Sprache nicht verwechselt werden sollte mit der Sprachtheorie, die den Ursprung der Sprache in der Pantomime sieht.66 Der Glaube, Worte seien gestischen Ursprungs, mag zutreffend sein, wurde aber in jenen Theorien falsch ausgelegt, die die Auffassung vertreten, die Sprache habe sich aus den automatischen Gesten der Urmenschen entwickelt. Wir müssen auch noch einmal auf den Unterschied zwischen Sprache, Kunst und Magie zurückkommen, um den es am Beginn des Kapitels ging. Weder Kunst noch Magie sind genau genommen Sprache obwohl sie sowohl Symbol als auch Geste nutzen. Auch in der höchsten Sprache steht die Geste für das Verstehen. Sie ist keine Form der Handlung. Trotzdem verschmelzen Sprache, Kunst und Magie auf der höchsten Ebene nicht. Erfahrung, Kommunikation und Handlung sind nur dann getrennt, wenn es einen geteilten Willen gibt. Mit der Einheit des Willens bricht die gestische Sprache durch die Trennung von Funktion und Sein. Wo das Verstehen vervollkommnet wird, wird Geste zur universalen Sprachform. Wer auch immer die Geste des vollkommenen Individuums wahrnimmt, versteht sie entsprechend seiner eigenen Kapazität, aber sie lässt ihn nicht unberührt. Es ist diese Aktivität, die die gestische Sprache in intime Beziehung mit Kunst und Magie bringt. Gestische Kommunikation hat verschiedene Ebenen an Vollkommenheit. Auf der Niedrigsten hängt sie von einem gemeinsamen Kontext ab, der durch gemeine Unternehmung geschaffen wurde, aber auf der Höchsten bildet der Kontext der Geste die Gesamtheit der menschlichen Erfahrung ab. Ein Individuum, das in der Lage ist, eine solche Geste zu vollbringen, ist selbst eine schöpferische Kraft. Denn die Geste tut mehr, als den Kontext zu produzieren. Sie ist selber der Kontext ihres eigenen Ausdrucks. Wir befinden uns nun notwendigerweise im Bereich der Spekulation, wenn wir uns bemühen, unsere Untersuchung der Sprache jenseits des Kontexts unserer eigenen Erfahrung zu bringen. Allerdings begegnen uns in der Geschichte der Menschheit Beispiele von Gesten,

66 Siehe Sir Richard Paget, Human Speech, p. 174: „Die menschliche Sprache entstand aus einer im allgemeinen

unbewussten pantomimischen Gestensprache - vollführt von den Gliedmaßen und Gesichtszügen als Einheit (inklusive der Zunge und der Lippen - die sich in dem Maße auf Gesten der Sprechorgane spezialisierte, in dem sich die menschlichen Hände (und Augen) ständig mit dem Gebrauch von Werkzeugen befassten.“

die immer noch weiter schwingen und die uns davon überzeugen, dass es sich bei dieser Sprache tatsächlich um die allerhöchste Kommunikation handelt.

KAPITEL 5

WISSEN

2.5.1. DIE BEDEUTUNG DES WISSENS Wissen bildet offensichtlich eine Art Verbindung oder Brücke zwischen Gleichheit und Differenz. In einer perfekt einheitlichen Situation gäbe es nichts zu wissen, aber gegenüber einer vollständigen Heterogenität wäre Wissen unmöglich. Trotzdem kann die vermittelnde Rolle des Wissens nicht ohne weiteres in einer Formel ausgedrückt werden. Lassen Sie uns deshalb verschiedene Situationen untersuchen, in denen Wissen ein Faktor ist. Wenn wir zu spät zu einer Verabredung kommen, mögen wir uns mit dem Satz entschuldigen: `Ich wusste nicht, wie spät es schon ist´ oder wir mögen sagen:`Ich habe nicht bemerkt, wie spät es schon ist´. Da diese beiden Sätze ungefähr dieselbe Bedeutung haben, scheint es, dass wir wissen, was wir bemerken und dass wir das, was wir nicht bemerken auch nicht wissen. Die Erfahrung lehrt uns, dass etwas zu merken üblicherweise bedeutet, Unterschiede wahrzunehmen. Wir `bemerken´ das, was unsere Aufmerksamkeit durch etwas Unerwartetes fesselt, indem es sich von seiner Umgebung abhebt, durch seine `Verschiedenartigkeit´. Wir hören sehr bald auf damit, ein Objekt zu bemerken, dass immer dasselbe bleibt, entweder in Beziehung zu uns selbst oder zu seiner Umwelt. Dass das, was immer dasselbe bleibt, aus unserer Wahrnehmung und deshalb aus unserem unmittelbaren Wissen verschwindet, ist nicht nur eine wichtige psychologische Tatsache, sondern auch ein Hinweis auf die Begrenzungen des Wissens selber. Was wir zu wissen scheinen, ist immer der Übergang vom Selben zum Anderen. Es wäre jedoch genauer zu sagen, dass wir nicht wissen können, was die Dinge sind, sondern nur was sie tun. Wenn wir sprechen, scheinen wir uns häufig darauf zu beziehen, was die Dinge sind; aber mit dieser Gewissheit täuschen wir uns. Nahezu alle unsere Konversationen drehen sich um das Wissen - darum, was wir wissen oder zu wissen meinen. Eines unserer Handikaps besteht darin, nicht zu bemerken, was wir nicht bereits wissen und daher mangelt es unserem Wissen an der Möglichkeit, seine eigenen Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Wissen ist subjektiv und kann sich nicht außerhalb seiner selbst begeben, um seine eigenen Begrenzungen in Bezug auf einen objektiven Standard zu prüfen. Es gibt einen falschen Objektivismus, der den Kontakt mit der Erfahrung verliert und jene notwendige Praxis als `Psychologisierung´ verächtlich macht, die Bedeutungen untersucht, indem die Frage gestellt wird, ob wir sie in unserer Erfahrung vorfinden können oder nicht. Descartes cogito ergo sum kann solange nicht objektiv diskutiert werden, bis wir uns darüber klargeworden sind, ob auch nur ein einziges Wort in diesen beiden Phrasen irgendeine klare Bedeutung für uns hat. Der Satz `ich denke, also bin ich´ scheint eine Tatsachenbehauptung zu sein, aber er ist eigentlich eine Erklärung des Seins, denn er bestätigt, dass es im Menschen ein `Ich´ gibt, dass sich seines Denkens bewusst sein kann.67 Es gibt einen gleichermaßen falschen Subjektivismus, der, ohne die Anhaltspunkte abzuwägen unterstellt, dass die Gesetze des Universums in unseren eigenen Denkgewohnheiten entdeckt werden können. Plato erkannte, dass es da irgendeine Übereinstimmung zwischen dem Wissenden und dem Gewussten geben müsse, aber diese Schlussfolgerung unterscheidet sich gänzlich von der Sichtweise, die ein Philosoph von der Natur der Substanz haben mag. Wenn Wissender und Bewusstes aus verschiedenem Stoffe 67 Siehe G. Ryle, The Concept of Mind (London, 1949). Seine Diskussion des `Geistes in der Maschine´ (p 16) ist eine der

Neuesten in einer langen Reine von kritischen Untersuchungen, die seit der Zeit Gautama Buddhas stattfanden und die zu dem Ergebnis geführt haben, dass Begriffe wie `Ich´, `mich´ und `Seele´ nichts entsprechen, was wir in unserer Erfahrung vorfinden.

bestünden, könnte es zwischen Beidem keine direkte Beziehung geben, Wissen müsste dann als eine Art hybrider Substanz betrachtet werden, fähig, an der Natur sowohl des Subjektes als auch des Objektes teilzuhaben. Es erscheint deshalb klar, dass die richtige Weise, sich dem Studium des Wissens zu nähern, darin besteht, die Rolle zu studieren, die es im menschlichen Leben spielt. Es spielt eine Rolle, weil es mit Überzeugungen verbunden ist. Im Großen und Ganzen prägen unsere Überzeugungen unsere Verhaltensweisen, nicht absolut bestimmend, aber immer maßgeblich. Wir müssen deshalb zwischen der Art von Überzeugungen unterscheiden, die das Wissen begründen und solchen, die es nicht tun. Wir neigen dazu, Wissen mit Wahrheit und Irrtümlichkeiten mit Überzeugungen zu verbinden. Darüber hinaus betrachten wir es als selbstverständlich, dass Überzeugungen in verbalen Begriffen als Aussagen formuliert werden können, das heisst, als Sätze. Wenn eine solchermaßen formulierte Überzeugung sich in der Erfahrung als wahr erweist, wird sie als Wissen betrachtet; aber wenn sie sich als falsch erweist, wird sie als Illusion oder Irrtum gebrandmarkt.68 Ein solcher Prozess von Versuch und Irrtum ist zu eingeschränkt, zum Teil deswegen, weil es niemals eine scharfe Trennung zwischen Überzeugungen geben kann, die gänzlich wahr und solchen, die gänzlich falsch sind. Das ist jedoch nicht der alleinige Grund; denn es gibt einen großen Bereich von Überzeugungen, die niemals in verbaler Form ausgedrückt werden und in der Tat so auch niemals ausgedrückt werden könnten. Solche Überzeugungen beziehen sich meistens auf das `gewusst wie´. Ein Chirurg mag wissen, wie ein schwierige Operation auszuführen ist, oder ein Sänger mag wissen, wie ein bestimmter Klang produziert werden kann, aber sie könnten ihr Wissen niemals in Worten oder Sätzen kommunizieren, die dem Laien die Bedeutung ihrer Erfahrung vermitteln würde. Selbst zwischen zwei Experten kommt es zu dem Moment, in dem die verbale Kommunikation zusammenbricht; dabei ist die Präsenz des Wissens in Phrasen erkennbar wie etwa: „Ja, ich sehe, wie Sie es machen.“ Bei der Anwendung dieser - operationalistischen - Wissenstheorie werden einige Mängel in der Kommunikation vermieden. Wissen, das betrachtet wird als die Anpassung von Verhalten an die Funktion entspricht dem, was wir in unserer Erfahrung finden und verwickelt uns nicht heikle Fragen wie etwa nach dem Sinn der Wahrheit. Solche Fragen tauchen auf, wenn Wissen in Begriffen der Triade Glaube - Wahrheit - Wissen definiert wird, wo Glaube ein subjektiver Zustand ist.69 Die operationalistische Wissenstheorie ist deshalb ein Schritt in die richtige Richtung; aber um sie passend zu machen, müssen wir erkennen, dass intellektuelles oder verbales Wissen nur einen Bruchteil des möglichen Wissens darstellt.70 Wir müssen jenes Pseudowissen vermeiden, das in automatischen Phrasen oder Sätzen besteht, wie `Julius Cäsar überquerte den Rubikon im Jahr 40 c. Chr.´ oder `der Begleiter von Sirius ist ein weisser Zwerg´. Solche Sätze bleiben bloße `Mitteilungen´ solange wir sie nicht direkt oder auch indirekt auf unser eigenes Leben und unsere eigene Erfahrung beziehen können und sie haben nichts mit unseren gegenwärtigen Problemen zu tun. Wir werden das Wort `Wissen´ in einem Sinne benutzen, der über bloße `Information´ 68 Siehe Betrand Russen, Human Knowledge, P. 270 69 Siehe Bertrand Russell, Human Knowledge, p. 161: „Eine Überzeugung ist ein Zustand des Geistes oder des Körpers oder

von beidem - Wahrheit ist eine Beziehung der Übereinstimmung.“ P. 170: „Jede Überzeugung ist wahr, wenn es eine Tatsache gibt, die dem Bild auf eine Weise ähnelt, wie es der Prototyp bezogen auf eine Vorstellung tut.“ 70 Die operationalistische Beschreibung des Wissens geht auf Newtons `hypotheses non fingo´ zurück. Diese erhielten frische

Bedeutung von Mach und wurden durch Bridgman zur Basis wissenschaftlicher Erklärung gemacht. Siehe P.W. Bridgman, The Nature of Some of our Physical Concepts´, Brit. Journ. for the Phil. of. Sc. Vol. I, No. 4 p.257. J.O. Eisdom in Fundation of Inference in Natural Science (London, 1952, Chat. 9, diskutiert den Operationalismus und zeigt, warum es notwendig ist, jenseits der sprachlichen Formeln zu gehen.

hinausgeht und der unterstellt, dass es ein Faktor ist, der das Verhalten bestimmt. Auf der anderen Seite müssen wir die Unterscheidung im Kopf behalten, die bereits zwischen Wissen und Verstehen getroffen wurde, das erste lediglich als Aspekt von Funktion und das zweite als Aspekt von Willen. Der Gebrauch des Wortes `Wissen´ wird in dieser Erörterung weiterhin auf die funktionale Entsprechung zwischen verschiedenen Elementen der Erfahrung beschränkt sein. Die Überzeugung, dass alle Erfahrung aus ein und demselben Stoff besteht, verpflichtet uns durchaus auch, das Wort `Wissen´ auf eine Weise zu verwenden, die es auf alle Ganzheiten anwendbar macht. Darüber hinaus müssen wir dieses Wort auf solche Weise verwenden, dass es gleichermaßen auf die Frage des `gewusst was´ als auch des `Wissen wie´ angewendet werden kann. Solcherart ist der Unterschied zwischen dem Erkennen eines Kraftfahrzeugs und dem Wissen, wie man es fährt; aber wir müssen es vermeiden, das Wort auf eine Weise zu nutzen, als ob es da um zwei verschiedene Arten von Erfahrung ginge. Wenn wir genau schauen, erkennen wir, dass in Wirklichkeit alles Wissen ein `Wissen wie´ ist; dass das Erkennen eines Kraftfahrzeugs bedeutet zu wissen, wie es von einem Fahrrad oder von einem Flugzeug zu unterscheiden ist, oder von jeder anderen Ganzheit, die sich unserer Erfahrung darbietet.

2.5.2. WISSEN ALS ORDNUNG IN FUNKTION Lassen Sie uns sagen, dass den Worten `der Schlüssel weiss um sein eigenes Loch71 ´ irgendwie Bedeutung zugeschrieben werden kann. Sie haben etwas gemeinsam mit einem Satz wie `ich weiss um meine eigene Haustür´. Wenn wir das Wort `wissen´ in einem solchen Kontext nutzen, ist die Idee der Übereinstimmung nicht weit von der Oberfläche unseres Denkens entfernt. Im ersten Satz ist die Übereinstimmung zwischen dem Muster des Schlüssels und dem Formblech des Schlosses das einzige vorhandene Element des Wissens. Der Zweite ist komplexer, aber wir beziehen uns hier sicherlich auf den Zusammenhang zwischen einem Muster aus Erinnerungen und Gewohnheiten sowie der Zusammensetzung der Häuser und der Strasse, in der wir leben. Wenn wir einen neuen Schlüssel herstellen, nehmen wir einen Rohling und feilen ihn solange, bis das benötigte Muster aktualisiert ist. Aus der wahllosen Vielzahl von Möglichkeiten, die dem Rohling innewohnen, haben wir eine ausgewählt und die verbleibenden ausgeschlossen. Ähnlich ist es, wenn wir die verschiedenen Formen des Wissens in unserer Erfahrung untersuchen: wir können dann sehen, dass es da immer einen Prozess der Auswahl und der Anordnung gibt, um eine Übereinstimmung zwischen zwei verschiedenen Ganzheiten zu bewirken. Und so kommen wir auf die Beziehung von Wissen und Verhalten zurück, die wir bereits erwähnt haben. Im weitesten Sinne können wir sagen, dass das in jeder Ganzheit gegebene Wissen ein Set an Übereinstimmungen zwischen seinen inneren Mustern und denen anderer Ganzheiten bildet, mit denen es reagiert. Wenn es eine solche Verbindung nicht gibt, ist Wissen trivial und belanglos und produziert keine wesentlichen Konsequenzen. Die gegenteilige Aussage - nämlich, dass Wissen in sich selbst der Garant für eine angemessene Reaktion wäre - ist offensichtlich falsch. Wenn Wissen möglicherweise nicht in der Lage ist, eine solche Reaktion hervorzurufen, gibt es dafür drei Gründe. Erstens kann es dabei um seine eigene funktionale Unzulänglichkeit gehen, dass heisst, um die mangelhafte Übereinstimmung zwischen dem Muster des Erkennens und dem Muster der Wahrnehmung. Zweitens mag es sich um einen Mangel an Seins-Intensität handeln, durch den das Wissen aus dem Bewusstsein gleitet und so nutzlos wird. Drittens mag es Defekte des Willens

71 Im Deutschen `kennt´ der Schlüssel sein Loch, aber im Englischen werden beide Verben, `wissen´ und `kennen´ in ähnlichen

Kontexten mit `to know´ ´übersetzt. (Anm. d. Übers.)

geben, welche die erforderliche Prozessform davon abhalten, sich zu aktualisieren. Wissen alleine kann nur zu automatischer Anpassung führen und eine solche ist mitnichten in jeder Situation angemessen. Es gibt keinen qualitativen Unterschied zwischen dem in einem Menschen vorhandenen Wissen und dem in einem Tier oder einem unbelebten Mechanismus. Das dies so ist, können wir erhärten, wenn wir den Prozess untersuchen, durch den Wesenszuwachs sich jenseits der bloßen Ansammlung zufälliger Spuren vergangener Eindrücke vollzieht. Wir können feststellen, dass es in jeder Ganzheit - belebt und unbelebt - eine mehr oder weniger entwickelte Form der Erinnerung gibt. Dies wurde durch J.L. Bose experimentell bewiesen und in der Folge von vielen anderen Forschern bestätigt. In seiner klassische Untersuchung zeigte Bose, dass der Resonanzmechanismus anorganischer Körper fundamentale Eigenschaften mit dem von Pflanzen und Tieren gemeinsam hat. Diese Eigenschaften umfassen Erschöpfung im Zuge dauerhafter Stimulation, Hysterese72 und die Resonanzumkehr unter dem Einfluss von Stimulanzien und Dämpfern.73 In Wirbeltieren - und insbesondere im Menschen - findet die Erfassung und das Ordnen von Sinneseindrücken in der grauen Substanz des Gehirns statt. Es gibt zwei verschiedene Wege, auf denen dies geschehen kann. Im einen Fall können in der neuralen Struktur Eindrücke ausschließlich durch die Wiederholung ähnlicher Eindrücke gesammelt werden. Diese werden im Gedächtnis lediglich durch Assoziation aufgefrischt und haben keinen objektiven Bezug und deshalb keinen Einfluss auf erfolgreiches Verhalten. Der Ordnungsprozess kommt in einem solchen Fall an diesem Punkt zum Ende und es findet keine weitere Entwicklung statt.74 Die empfangenen Eindrücke werden als Information erhalten und nicht mehr als das. Wenn die Eindrücke im anderen Falle mit der zuvor gemachten Erfahrung konfrontiert werden, insbesondere, wenn sie durch einen Akt der Aufmerksamkeit - das heisst durch Reflexion - getestet werden, werden sie zum Teil einer zusammenhängenden Struktur, die geeignet ist, erfolgreiche Tätigkeit zu fördern. In beiden Fällen ist Wissen Ordnung; aber reflexives Wissen hat die besondere Eigenschaft, die innere Ordnung mit der äußeren in Beziehung zu setzen und aus diesem Grunde kann sie effektive - wenn auch automatische - Tätigkeit fördern. So wird ersichtlich, dass der Erwerb von Wissen eine besondere Beziehung beinhaltet, in der die Erfassung von Sinneseindrücken nur ein Bestandteil einer Triade ist. Wir vermuten gewöhnlich gar nicht, welch geringe Rolle die Reflexion bei unseren Handlungen spielt; der Mensch, der reflektiert und sich bemüht, neue Eindrücke auf die Struktur seiner vorangegangenen Erfahrungen zu beziehen, errettet sich jedoch selber aus dem Chaos ungeordneter Information. Selbst instinktives Wissen, das scheinbar ohne Mühen durch das Individuum erworben wurde, ist trotzdem die Frucht der funktionalen Bestrebungen unzählbarer Generationen ferner Vorfahren. Es ist diese Beschaffenheit, die wir zum Ausdruck bringen, wenn wir Wissen als

72Hysterese, („Nachwirkung“ von griech. hysteros „hinterher, später“) tritt bei vielen natürlichen und technischen Vorgängen

auf, insbesondere bei der Magnetisierung eines Magneten und in der Regelungstechnik und der Kybernetik. Sie charakterisiert ein – bezogen auf die Eingangsgröße – variant verzögertes Verhalten einer Ausgangsgröße. Allgemein formuliert handelt es sich um ein Systemverhalten, bei dem die Ausgangsgröße nicht allein von der unabhängig veränderlichen Eingangsgröße, sondern auch von dem vorherigen Zustand der Ausgangsgröße abhängt. Das System kann also – abhängig von der Vorgeschichte – bei gleicher Eingangsgröße einen von mehreren möglichen Zuständen einnehmen. Das System zeigt dabei Pfadabhängigkeit, das heißt, die genaue Stärke der Wirkung hängt nicht nur von der verursachenden Größe ab, sondern auch von der Vorgeschichte. (Anm. d. Übers.) 73

Siehe J.L. Bose, Response of the lIving and the Non-Living (London, 1902)

74 Siehe G.G. Campion und G. Elliot Smith, The Neutral Basis of Thought.

das Ordnen von Funktion bezeichnen. Zufälligkeit - das heisst, Unordnung - entsteht spontan; aber Ordnungen benötigen eine bestimmte Anstrengung oder Leistung.75 Die potentiellen Funktionen eines Menschen reichen sowohl über seine mentalen Assoziationen als auch sein körperliches Verhalten weit hinaus und der Ordnungsvorgang der Funktion als Ganzes kann die Ergebnisse übertreffen, die ein getrenntes Training der Gruppe von Funktionen erzielen könnte. So trainieren wir zum Beispiel unseren Verstand zu klarem und logischem Denken, wir versuchen unsere Gefühlsreaktionen zu disziplinieren und wir trainieren unseren Körper, um seine Kräfte zu entwicklen; aber zumeist übersehen wir, wie wichtig es wäre, eine Harmonie und Balance zwischen den verschiedenen Funktionen herzustellen und sie zu befähigen, als eine Ganzheit zusammenzuwirken. Ohne eine solche Harmonie und Balance kann es kein gültiges Wissen geben. Um die Bedeutung unserer Erfahrung zu kennen, müssen wir denken, was wir fühlen und fühlen, was wir denken. Darüber hinaus müssen Gedanken und Gefühle in Harmonie mit den instinktiven und motorischen Funktionen gebracht werden, bevor wir irgendeine Vollständigkeit des Wissens erreichen können. Es gibt da eine weitere Beschränkung des Wissens, nämlich, dass es die Beziehung vom Einen zum Vielen repräsentiert. Die in einem einzigen Ganzen anwesende Ordnung hat einer immensen Anzahl anderer Ganzheiten zu entsprechen und einer noch größeren Anzahl möglicher Kombinationen aus diesen. Es ist banal zu sagen, dass wir nur einen kleinen Ausschnitt dessen, was gewusst werden kann, wissen können, aber wir müssen daran denken, dass dies auch bedeutet, dass unser Verhalten lediglich einem kleinen Fragment der in unserer Erfahrung gegebenen Situation entsprechen kann. Auch dieses kleine Fragment kann nur unvollkommen genutzt werden, denn es wird aus der begrenzten - und möglicherweise sehr engen - Perspektive unserer eigenen Lokalisierung in Raum und Zeit begriffen. Unser Wissen von dem Fragment mag uns zu Handlungen führen, die sehr verschieden von oder sogar direkt entgegengesetzt zu jenen sein können, die wir als angemessen betrachten würden, wenn wir das Wissen über eine größere Ganzheit besäßen. Wir mögen uns zum Beispiel weigern, eine bittere Medizin zu trinken, weil wir wissen, dass dies eine sofortige unangenehme Empfindung zu Folge hätte, während wir ignorant gegenüber ihrer Notwendigkeit für unser zukünftiges Wohlergehen bleiben. Ein solches Bild steht symbolisch für die gesamte Situation des Menschen. Wir können den Sinn und die Bedeutung unserer eigenen Existenz nicht entdecken, solange wir sie nicht auf einer ausreichend großen Skala betrachten können. Die Frage `Was sollen wir aus unserem Leben machen?´ dreht sich in erster Linie um die Möglichkeit, das Maß an Übereinstimmung zu kennen, das zwischen dem Muster unserer persönlichen Geschichte und dem Muster des großen kosmischen Prozesses besteht, an dem wir beteiligt sind.76

2.5.3. NICHTDISKRIMINATIVES WISSEN Wir haben gesehen, dass Wissen sich nicht selber veräußerlichen kann, um irgendein objektives Kriterium der Wahrheit auf seinen eigenen Gehalt anzulegen. Dies ist genau genommen nur dann der Fall, wenn es auf Wissen als regulierendem Faktor eines automatischen Verhaltens angewendet wird, das heisst, wenn es ohne innere

75 Dieses Argument hier betrifft die Verbindung von Ordnung und Wahrscheinlichkeit. Wie Boltzmann gezeigt hat, ist das Maß

an Ordnung in einem System umgekehrt proportional zum Logarithmus seiner Wahrscheinlichkeit und perfekte Ordnung ist deshalb unendlich unwahrscheinlich. 76 Siehe Karl Jasper, The way to Wisdom, p.15: „Philosophie ist das Prinzip der Konzentration durch das der Mensch in der

Teilhabe an der Realität er selber wird.“ Ihr Ziel ist es, „den Menschen für das Umfassende in seiner ganzen Ausdehnung zu öffnen.“

Unterscheidungen auskommt. Wir müssen diese Aussage einschränken, wenn wir die Relativität des Seins berücksichtigen. Lassen Sie uns einige Beispiele betrachten, die zeigen werden, dass es authentisches Wissen geben kann, wenn auch von primitiver, ununterschiedener Art.
 Ein Mann steigt in sein Auto, um an einen ihm bekannten Ort zu fahren. Er führt für die Dauer von etwa einer halben Stunde eine Reihe komplizierter koordinierter Handlungen aus. Diese umfassen das Starten und Fahren des Autos, die Auswahl und das Befolgen der korrekten Route und eine ganze Reihe von Anpassungen an die Bewegungen von Fussgängern und anderen Fahrzeugen. Lassen Sie uns annehmen, dass der Mann zutiefst mit einer Frage beschäftigt ist, die nichts mit seinem Fahren oder mit der Strasse zu tun hat, der er folgt. Er verschwendet, wie man so sagt keinen Gedanken an seine Fahrweise, trotzdem erreicht er sein Reiseziel pünktlich und ohne Zwischenfälle. Seine sensorischen und motorischen Funktionen haben eine Aufgabe ausgeführt, die sich als immens kompliziert erweisen würde, wenn man sie bezüglich all der verschiedenen Anpassungen zwischen inneren und äußeren Situationen untersuchte. Wenn wir fragen, in welcher Hinsicht sich die Handlungen dieses Mannes von denen eines Mannes unterscheiden, der kein guter Fahrer ist und dieselbe Reise nicht kürzlich unternommen hat, würden wir wahrscheinlich antworten, das der erste Mann `weiss´ wie man fährt und den Weg `kennt´, während der Zweite nicht `weiss´ wie man fährt und nur geringes `Wissen´ von der Route hat. Was ist dann dieses `Wissen´? Wir sehen, dass es fast ausschließlich aus einem Speicher von vorher erfahrenen Sinneseindrücken besteht, die auf bestimmte Weise arrangiert und miteinander verbunden sind; und wir sehen außerdem, dass ein `Wissen´ dieser Art authentisch und gültig ist ohne intellektuelles Bewusstsein von dem Prozess, für den es benötigt oder genutzt wird. Die Betrachtung einer ähnlichen kleinen Episode wird weiteres Material ergeben. Ein Hund, der auf einem Kaminvorleger schläft, wird von einem Floh gebissen und kratzt sich mit seinem Hinterlauf ,ohne aufzuwachen. In einem gewissen Sinne kann man sagen, er `weiss´ dass der Kratzreflex den Juckreiz lindern wird. Dieses `Wissen´ ist nicht in seinem Kopfgehirn eingeschrieben, weil der Reflex noch vorhanden ist, selbst wenn der Hund dezerebriert ist, dass heisst, wenn die Gehirnverbindung oberhalb des Thalamus unterbrochen ist. Wissen dieser primitiven Art hängt nicht von einer Vorerfahrung des betreffenden Organismus ab; es wird durch Vererbung weitergegeben und bildet einen Teil des angeborenen instinktiven Reflexmechanismus. Und es gibt in der Tat noch weit kompliziertere Muster instinktiven Verhaltens, die irgendwie `gewusst´ werden, ohne irgendeine frühere Sinneserfahrung, aus der heraus das `Wissen´ hätte erworben werden können. Einfaches authentisches Wissen, das dem Instinkt ähnlich ist, kann auch durch Erfahrung erworben werden. Lloyd Morgan beschrieb Experimente mit einem neugeborenen Küken, dem ein Futter aus wohlschmeckenden, gesunden Maden angeboten wird, die mit bitteren, giftigen Marienkäfern vermischt sind. Das Küken hört nach ein oder zwei unerfreulichen Erfahrungen auf, die bitteren Marienkäfer zu picken.77 In einer allgemeinen Definition des Wissens müssen wir sagen, dass das Küken nun um den Unterschied zwischen Marienkäfer und Made `weiss´ und so eine Entscheidung trifft, anstatt einfach undifferenziert auf jedes leuchtende Objekts zu reagieren, das auf dem Boden liegt.

77 Das Verhaltensmuster des Kükens, das den Marienkäfern und Maden begegnet ist das Leitmotiv von Lloyd Morgans Gifford

Leitures. Siehe Life, Mind and Spirit, pp. 100-8

Es wäre nicht einfach, Wissen auf ein Weise zu definieren, die die elementare Unterscheidungsfähigkeit des Kükens ausschliesst und doch das komplexe Unterscheidungsvermögen des Fahrers im ersten Beispiel erlaubt. Es ist mitnichten notwendig, dass dieses Wissen von einem Bewusstsein des Selbst oder auch nur diffuser Selbstbewusstheit begleitet wird. Es wäre nicht schwer, eine Rückkopplung zu konstruieren, die dasselbe Verhaltensmuster wie die des Kükens zeigen würde. Ein solcher Mechanismus braucht nicht im Vorfeld entworfen zu werden, um verschieden auf die zwei Arten von Stimuli zu antworten, sondern könnte selber durch wiederholte Erfahrungen von Erfolg und Misserfolg `lernen´ zu unterscheiden. Die neue Wissenschaft der Kybernetik hat gezeigt, dass ein solches Feedback, durch welches dieses Resultat erzielt wird, in der Maschine ziemlich genau dasselbe ist wie in einem lebendigen Organismus.78 Der Rückkopplungsmechanismus besteht im Ausgleich der Spannung, die zwischen einer Ganzheit und ihrer Umgebung entsteht. Außerdem besteht die besondere Eigenschaft des Wissens darin, dass die Erleichterung der Spannung die Möglichkeiten einer komplexeren Aktualisierung in der Zukunft nicht verringert sondern erhöht. Das Küken, das aufhört, von den giftigen Marienkäfern zu naschen, befreit sich nicht nur von gegenwärtigem Unbehagen, sondern sichert sich die Möglichkeit aufzuwachsen, um Eier zu legen oder auf dem Misthaufen zu krähen. Ernst Mach beschrieb, wie ihn die Entdeckung von dem, was ihm als überzeugender Bericht der Sinneserfahrung erschien, vom größten intellektuellen Missbehagen seines Lebens befreite.79 Der ordnende Prozess - die Erleichterung der Anspannung - ist selbst kein Wissen, aber bildet den Mechanismus, durch den Wissen erworben wird. Derselbe Mechanismus ist auf allen Ebenen gegenwärtig und ist das, was uns dazu bringt, danach zu streben - wenn vielleicht auch unbewusst - die Welt zu kennen, in der wir leben. Die Möglichkeit ununterschiedenen Wissens ist nicht auf menschliche oder auch tierische Erfahrung beschränkt. Wir können uns ein gut aufgebautes Karteikartensystem vorstellen das in leicht zugänglicher Form Wissen über jeden Gegenstand enthielte, detaillierter und genauer, als es sich der größte Spezialist rühmen könnte - das theoretisch mit einem Rückkopplungsmechnismus ausgestattet wäre, der es ihm ermöglichen würde, intelligente Antworten auf eine große Vielzahl von Fragen zu finden. Ein letztes Beispiel wird die Art und Weise illustrieren, in der das Wort `Wissen´ so definiert werden kann, dass es universale Bedeutung erhält und auf alles anwendbar ist, das Unbelebte wie auch das Belebte. Im Wachstum eines Kristalls aus einer Lösung ordnen sich die Moleküle der Lösung auf eine bestimmte Weise an der Oberfläche des Kristalls an. Sie tun dies mit Hilfe eines Mechanismus, der zweifellos etwas mit jenem zu tun hat, der für den Kratz-Reflex des Hundes verantwortlich ist, für das erfolgreiche Führen eines Fahrzeugs oder für die Entdeckung des Radiums. In allen Fällen gibt es da in der funktionalen Aktualisierung einen Übergang von Unordnung zu Ordnung. C.N. Hinshelwood erkennt, dass sich der ordnende Prozess sowohl bei der leblosen als auch bei der lebendigen Materie findet, obwohl er nicht leugnet, dass das Leben sich noch durch ein anderes Charakteristikum als die Schaffung von Ordnung auszeichnet. das von lebloser Materie

78 Der Begriff Kybernetik wurde durch Norbert Wiener geprägt nach dem griechischen Ausdruck für einen Ruderer. Die

Hypothese der Kybernetik wurde von J.O. Wisdom diskutiert in British Journal for Philosophy of Science, Vol. II, No. 5, pp. 1-22: „Kybernetik zeigt natürlich nicht, dass Menschen Maschinen sind. Viele Denker würden darauf bestehen, dass sie welche sind, aber die wichtige Frage betrifft die Art der Maschine, der sie ähneln.“ Eisdom schlußfolgert, dass das kybernetische Model ungenügend ist, aber das es möglich ist, noch unentdeckte Mechanismen erfunden werden mögen, die sich der Arbeitsweise des Gehirns stärker annähern als Rückkopplungsmodelle. Siehe auch N. Wiener, The human Use of Human Beings (Chap. 7) für eine Diskussion der philosophischen Implikationen der Kybernetik. 79 Siehe Ernst Mach, The Analysis of Sensation, Vorwort zur vierten Auflage (London, 1914), p. xiii

nicht reproduziert werden kann; und in einem anderen Abschnitt betont er die Abwesenheit von Anpassung.80

2.5.4. POLARES ODER DISKRIMINATIVES WISSEN Nondiskriminatives Wissen bedeutet funktionale Ordnung, die sich nur als automatisches Verhalten zeigen kann. Nur da, wo es eineUnterscheidung von Qualität gibt, kann es Auswahl und Anpassung geben. Das Vermögen, Qualitätsunterschiede zu erkennen, erfordert eine Entmischung des Bewusstseins. Ohne dies kann es keinen Vergleich von zwei funktionalen Ordnungen mit jener Aufhebung des Urteilens geben, die die Voraussetzung für eine Wahl ist Die Stufe des Wissens auf der zwei funktionale Ordnungen begriffen und verglichen werden, kann als polares oder diskriminatives Wissen bezeichnet werden. Dem Prinzip der Polarität entsprechend kann die einfache Teilung in zwei Ordnungen eine Kraft entstehen lassen, aber keine Beziehung. Wenn zwei Ordnungen verglichen werden, wird die eine ein höheres Maß an Ordnung zeigen und sich deshalb zu der anderen verhalten wie Affirmation zu Verneinung. So entsteht ein `ja und nein´ das eines der Elemente der Wahl bildet. Es gibt jedoch erst dann ein wahres `ja und nein´, wenn da ei Unterscheid in der Qualität erkannt und gewürdigt werden kann, in einem einzigen Moment des Bewusstseins. Das ist Urteilsvermögen, durch das Wissen von automatischer Anpassung zu selektiver Reaktion fortschreitet. Da passive Anpassung dem vegetativen Zustand entspricht, können wir für nondiskriminatives Wissen auch den begriff `vegetativ´ verwenden, um es von selektivem oder `animalischem´ Wissen zu unterscheiden. Im allgemeinen ist alle animalische Existenz polar, denn hier gibt es ein Wechselspiel kausaler und zweckmäßiger Faktoren, das sich überall bemerkbar macht.81 Das Tier ist gleichzeitig ein kausal determinierter physikochemischer Mechanismus und ein lebendiges Wesen, das - bewusst oder unbewusst - bestrebt ist ein Ziel oder einen Zweck zu realisieren. Alle wahre animalische Aktivität benötigt die zweite Form des Wissens so sehr wie die erste. Auf den menschlichen Bereich übertragen, ist polares Wissen hauptsächlich mit der Anpassung der Mittel an die Zwecke befasst und bestätigt so Deweys Definition von Wissen als `einer Überzeugung, die Erfolg verspricht´. Trotzdem verbindet polares Wissen seinen Besitzer nicht wirklich mit dem Objekt und es verbleibt sowohl die polare Unterscheidung in Wissenden und Wissen als auch der polare Gegensatz von Bejahung und Verneinung. In dieser Hinsicht ist eine Konsequenz der fehlenden Bezogenheit von polarem Wissen zu erwähnen. Dies ist die Erfahrung des Komischen oder des Tragischen. In unserem menschlichen Leben finden wir Ereignisse, wo sich eine Teilung der Kräfte ohne die Möglichkeit einer angemessenen Reaktion ergibt. Bejahung und Verneinung bleiben dann beide aufgehoben und wir erleben einen Zustand der Anspannung der nur künstlich durch Gelächter oder Tränen erleichtert werden kann. Dies ist eine Form des Verhaltens, die sich als versöhnende Kraft gibt, wenn wir dem kosmischen Gegenteil begegnen, das von uns eine Ablehnung fordert, auf der zu bestehen absurd wäre. Im tragischen Falle auf der

80 Siehe C.N. Hinshelwood, Structure of Physical Chemistry, p. 434: „Das erste zu prüfende Problem auf der physikalischen

Ebene ist die Erschaffung von Ordnung durch lebendige Dinge. Instabile und reaktive Substanzen werden in Reaktionen aufgebaut, die mit einer nicht umbeachtlichen Zunahme freier Energie einhergehen und von Zeit zu Zeit wurde die Frage aufgeworfen, ob etwas sie im Verlauf dieser Ereignisse auf Pfade geführt hat, verschieden von jenen, welche durch das zweite Gesetz der Thermodynamik beschrieben werden. Dies ist jedoch dort nicht mehr der Fall als beim Wachstum eines Kristalls, wo ein regelmäßiges geometrisches Gitter spontan aus einer chaotischen Lösung auftaucht.“ 81 Siehe Hans Drisch zur Unterscheidung von Entelechie und Kausalität in The Science and Philosophy of the Organism, 2.

Auflage (London, 1929) p.250. Siehe auch E.S. Russell, The Directiveness of Organic Activity (Cambridge, 1946), pp. 8 und 175

anderen Seite gibt es ebenso eine Aufhebung der Kräfte, in der sich die Bejahung aufgrund der Abwesenheit eine versöhnlichen oder beziehenden Kraft als unmöglich erweist. In den gewöhnlichen Lebensereignissen kann polares Wissen wirksam sein, weil es dort üblicherweise eine Handlungsweise gibt, welche die gegensätzlichen Kräfte versöhnen kann, so wie wenn wir zum Beispiel zwischen gegenwärtigem Schmerz und zukünftiger Freude entscheiden müssen oder umgekehrt. Trotzdem fehlt es dem polaren Wissen immer an objektivem Bezug, das heisst, an den Mitteln zur Selbstüberprüfung.

2.5.5. RELATIONALES WISSEN Das Auftauchen relationalen Wissens trifft mit der Geburt des Verstehens zusammen. Es kann nur durch eine Erfahrung erscheinen, die es der inneren funktionalen Ordnung ermöglicht, zwei andere entweder äußerlich oder innerlich zu versöhnen. Bei einem Wissen dieser Art können ansonsten unverbundene Fakten in ein kohärentes System verschweisst werden. Außerdem besteht seine Wirkung auf das Verhalten nicht darin, die primitive Anpassung von `ja´ und `nein´ zu vollziehen, sondern in der Möglichkeit einer klugen Wahl. Die triadische Beziehung kann durch die polare Barriere brechen, die die subjektive und objektive Erfahrung des Menschen voneinander trennt. Relationales Wissen steht in der Mitte zwischen dem Wissenden und dem Gewussten und hat am beidem Anteil. Es kann von jenen mitgeteilt werden, die entsprechende Möglichkeiten der Kommunikation in einer der Formen authentischer Sprache besitzen. Nichtdiskriminatives Wissen auf der anderen Seite hat nur wenig gültige Bedeutung außerhalb der besonderen Ganzheit in der es wohnt. Es kann nicht kommuniziert oder geteilt werden. Polares Wissen ist ebenfalls unkommunizierbar, denn es hängt von einer besonderen Gelegenheit ab, um die dritte Kraft hervorbringen zu können. Auch wenn es scheinbar allgemeingütigen Charakter hat, entkommt polares Wissen nicht der unmittelbaren Subjektivität des Wesens, in dem es anwesend ist. Die Verbindung zwischen relationalem Wissen und Verstehen wird erkennbar wenn wir die Art und Weise betrachten, auf die es erworben wird. Während sich die primitiveren Formen des Wissens durch einfache Addition von Erfahrung entwickeln - ob nun Sinneseindrücke oder innere Assoziationen - benötigt relationales Wissen das vorherige Erscheinen der Polarität. Auf diese Weise werden das Neue und das Alte konfrontiert. Es kommt ein Moment der Kritik - oder der aufgeschobenen Wertung - dem es nicht gestattet ist, in automatischer Erwiderung aufzugehen, weil die versöhnende Erfahrung bereits anwesend ist, die ihren eigenen Platz in der Triade behauptet. Konsequenterweise kommt das schwebende Urteil nicht automatisch, sondern bewusst zustande und diese Schwebe zeigt sich nicht nur im Ordnen der Funktion, sondern auch als Akt des Willens. Relationales Wissen sollte für den Menschen, der mit einer dreifältigen Natur ausgestattet ist, in der jeder Teil in der Lage ist, eine der drei Kräfte der Triade zu übertragen, normal sein. Es kann jedoch nicht spontan entstehen, wie es der Fall mit einem Wissen der zweiten Art ist. Deshalb kann es nur in solchen Wesen erscheinen, in denen ein gewisses Maß an Verstehen bereits erworben wurde. Eine Beziehung im wahren Sinne ist wie das Gold der Alchimisten, das nicht gemacht werden kann, ohne das es bereits eine Spur davon gäbe. Der Mensch, der relationales Wissen sucht, muss zwei Regeln beachten: die erste besteht in der Aufhebung des Urteils, und zwar so lange, als es die Möglichkeit des Zweifels gibt; die zweite erfordert, dass ausdauernd nach der Versöhnung von Gegensätzen gestrebt wird, wie schwierig auch immer - oder sogar hoffnungslos - die Aufgabe erscheinen mag.

Die Begrenztheit relationalen Wissens besteht in seiner Subjektivität. Die Triade selber stellt die Existenz der Gelegenheit nicht her. Der Schritt von indirektem zu direktem Wissen kann nur erfolgen, wenn es da die Fähigkeit zur Beteiligung gibt, durch die der Wissende sich nicht nur auf des Gegenstand des Wissens bezieht, sondern mit ihm verschmilzt. Dies führt zur vierten Stufe existentialen Wissens.

2.5.6. SUBJEKTIVES UND OBJEKTIVES WISSEN Dem Prinzip der Struktur entsprechend muss jede vollständige Ganzheit sieben unterscheidbare Qualitäten haben. Der Übergang von der dritten zu vierten Stufe des Wissens entspricht jenem Punkt, an dem die innere Entwicklung eines Prozesses ihren ursprünglichen Impetus erschöpft hat und eine neue Beschaffenheit nur mit Hilfe eines frischen Impulses aus einer externen Quelle erreichen kann. Die ersten drei Stufen des Wissens können als `subjektiv´ bezeichnet werden, weil sich der Gegenstand des Wissens ausserhalb des Wissensaktes selber befindet. Diese drei Stufen können wie folgt angegeben werden: (a) Wissen, das zu Reaktion führt (b) Wissen das zu Unterscheidung führt und (c) Wissen, das zu Beziehung führt. In Begriffen der Triade kann das erste, nondiskriminative Wissen als `Eine-Kraft-Wissen´ betrachtet werden; das Subjekt ist passiv - das aktive Prinzip besteht im äusseren Eindruck oder Impuls und die versöhnende Kraft besteht in den allgemeinen Umweltbedingungen. Auf dieselbe Weise kann polares Wissen als `Zwei-Kräfte-Wissen´ betrachtet werden, denn dann tritt die Trennung von aktiven und passiven Prinzipien in das Subjekt ein. Nur mit der dritten Stufe des Wissens betreten die drei Kräfte der Triade die subjektive Erfahrung des Wissenden. Obwohl wir uns auf die drei Stufen des Wissens beziehen, muss verstanden werden, dass sie nur in zweiter Linie als Stufen betrachtet werden können, die eine nach der anderen im Laufe der Zeit erreicht werden. Jede Wissensstufe hat ihre eigenen inneren Unterschiede und wenn diese nicht erkannt werden, entsteht unausweichlich ein sehr wirres Bild. Reaktives Wissen kann sehr primitiv sein - so wie in der Anordnung von Molekülen auf einem wachsenden Kristall - aber es kann auch das Mittel sein, wodurch ein vollständig entwickeltes Wesen seinen Platz in der universalen Ordnung erkennt und akzeptiert. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es Abstufungen, die den Bewusstseinsebenen entsprechen. Daraus folgt, dass sich das Wachstum des Wissens in zumindest zwei verschiedenen Dimensionen ereignet - in einer, die dem Fortschreiten der Kategorien und in einer anderen, die der Erweiterung des Bewusstseins entspricht. Es gibt jedoch einen dritten Faktor des Wissens, der vom Willen abhängt und als `die Fähigkeit teilzuhaben´ bezeichnet werden kann. Wissen kann auf zwei Wegen wachsen - einer davon besteht in einfacher Anlagerung, so wie bei neuen Einträgen in einer Kartei. Dies führt nicht zu irgendeiner einer Veränderung der Qualität. Der Übergang auf eine andere Stufe ist nur möglich mit einer entsprechenden Veränderung des Bewusstseins und des Verstehens. Deshalb kann das Wachstum des Wissens als unterschieden von seiner bloßen Anhäufung kein unabhängiger Prozess sein. Die Qualität des Wissens hängt vor allem von der Qualität des Wissenden ab, das heisst von seiner Seinsebene und der Form seines Willens. Um die verschiedenen Arten auszudrücken, auf die Wissen erfahren werden kann, nutzen wir üblicherweise Worte wie `Empfindung´, `Wahrnehmung´, `Kenntnis´, `Intuition´, `Inspiration´ und `Erleuchtung´, deren Bedeutung für gewöhnlich nicht näher oder höchstens

bezogen auf eine künstliche Wissenstheorie definiert ist. In solchen Definitionen wird Wissen zwangsläufig mit Elementen verwechselt, die eigentlich zum Bewusstsein und zum Verstehen gehören. Aus diesen und anderen Gründen kann es keine folgerichtige Darstellung der Grenzen und Möglichkeiten des menschlichen Wissens geben, ohne eine genauere Klassifikation einzuführen, die auf Erfahrung beruht und nicht ausschließlich menschlich ist. Die Absurdität eines jeden Versuchs, alles Wissen auf eine - oder auch mehrere - Arten des Denkens zu reduzieren wird deutlich, wenn uns klar wird, dass es sieben Qualitäten des Wissens und dass es innerhalb jeder dieser sieben Qualitäten sieben Ebenen des Bewusstseins geben muss; und auch, dass jede der resultierenden neunundvierzig Kombinationen verschiedene Formen annehmen wird, entsprechend den sieben möglichen Manifestationen des Willens.82 Es ist notwendig, auf diesen Differenzierungen zu bestehen um der Vorstellung entgegenzutreten, die ersten drei Stufen des Wissens wären lediglich für die untersten Ebenen des Existenz charakteristisch. Die Begriffe `vegetatives´, `animalisches´, und `menschliches´ Wissen sind Unterscheidungen, die nur auf einen bestimmten Typ funktionaler Erfahrung anwendbar sind - nämlich den der vielzelligen Organismen, die auf der Oberfläche des Planeten leben - aber sie entsprechen nicht den biologischen Klassen. So ist es zum Beispiel einer Pflanze möglich, Wissen von einer Art zu besitzen, die jedem Tier oder einem menschlichen Wesen unzugänglich bleibt. Es gibt viele Pflanzen, die in der Lage sind, Substanzen aufzubauen, die biochemisch aktiv sind, so wie Vitamine und die Alkaloide - eine Macht, die ein Wissen erfordert, dass kein Tier und das nur sehr wenige Menschen erwerben können.83 Grundsätzlich ist zwischen subjektivem und objektivem Wissen zu unterscheiden. Diese Unterscheidung entsteht, weil dem Prinzip der Struktur entsprechend der Übergang von der dritten zur vierten Stufe nur mit Hilfe einer äußeren Kraft möglich ist. Auf allen Stufen subjektiven Wissens gibt es die Trennung zwischen Wissendem und Gewußtem, während es diese Trennung auf allen Stufen des objektiven Wissens nicht gibt. Trotzdem besitzt das objektive Wissen selbst ziemlich unterschiedliche Qualitäten, den vier Stufen entsprechend, die auf den ersten Intervall oder Punkt der Diskontinuität folgen. Alles Wissen besteht im Ordnen der Funktion; aber während subjektives Wissen ohne Veränderung des Seins erworben werden kann, entsteht objektives Wissen durch eine essentielle Veränderung sowohl des Seins als auch des Willens seines Besitzers. Indem wir die drei Stufen subjektiven Wissens fortführen, können wir fünf weitere Stufen objektiven Wissens wie folgt aufführen: (d) Wertewissen (e) Gültiges Wissen (f) Transzendentales Wissen (g) Wirkliches Wissen und (h) Offenbartes Wissen.84

82 Siehe Kapitel 2, p.45, Siehe auch in dieser Hinsicht Gurdjieff, All and Everything, p. 472 83 Siehe All and Everything, pp. 824-5. Zu behaupten, dass der Chinarindenbaum `weiss wie´ Chinin hergestellt wird ist genau

aussagekräftig und wahr wie zu behaupten, eine Biene wisse, wie eine Honigwabe hergestellt wird oder ein Bieber, wie man einen Baum fällt. 84

Siehe J.G. Bennett, The crisis in human affairs, p. 104.

2.5.7. SUBSISTENZIELLES ODER WERTEWISSEN Subsistenz ist die erste Kategorie der Konkretheit. Subsistenz zu kennen bedeutet deshalb mehr, als Beziehung zu kennen; es ist der Beginn des konkreten Wissens als entgegengesetzt zu abstraktem Wissen. Das Letztere ist das Wissen des Teils, der vom Ganzen getrennt ist und das Erstere das Wissen eines gegebenen Objekts, existent nicht nur in und für sich selbst, sondern auch in einem größeren Ganzen und für ein größeres Ganzes, in dem es seinen Platz und seine Bedeutung findet. Wissen der vierten Stufe benötigt deshalb eine aktive Mitwirkung, die es auf den ersten drei Stufen nicht gibt, selbst nicht in ihren höchsten Manifestationen. Allgemein ausgedrückt wird die Bedeutung subsistenziellen Wissens unterschätzt, weil der Schritt von abstrakter zu konkreter Erfahrung nicht verstanden wird. Es wird häufig angenommen, dass der Übergang vom Abstrakten zum Konkreten derselbe wäre wie vom Universellen zum Besonderen, aber dass dieser Schritt ohne jede Veränderung im Wesen der Erfahrung erfolgen könnte. Dies ist eine ziemlich irrige Annahme; denn Erkenntnis der Existenz ist nur möglich, wenn man selber existiert. Menschen `wissen´ von sich selbst größtenteils auf dieselbe Weise, wie sie `von´ anderen Dingen `wissen´, also ohne den Geschmack davon, was es bedeutet, zu existieren. Es ist möglich, subjektiv zu wissen, ohne zu wissen, dass man weiss; objektives Wissen beginnt erst mit der Selbsterkenntnis. Das Wissen um das Selbst ist nur dann bedeutsam, wenn es zwischen verschiedenen Ebenen der Erfahrung innerhalb desselben Seins unterscheiden kann. Selbsterkenntnis ist deshalb die Vorbedingung für Wertewissen; denn ohne sie kann es keine keine Standards für Vergleiche und deshalb keine Unterscheidung der Werte geben. Die Erkenntnis, dass man so viel wissen kann, wie man möchte, aber das dies nutzlos ist, wenn man nicht weiss, worauf es ankommt, ist der Schock, der das Erscheinen subsistenziellen Wissens möglich macht. Relationales Wissen besitzt die Vollständigkeit, die polarem Wissen fehlt, aber es genügt den Bedürfnissen der Existenz nicht. Subsistenzielles Wissen kann offensichtlich verschiedene Intensitätsgrade besitzen, aber es übermittelt immer ein Gefühl für Werte. Wissen `über´ etwas kann uns unbeteiligt lassen, aber zu wissen, dass ein gegebenes Ganzes ist, was es ist kann niemals diesen Effekt haben. Im subjektiven Zustand des Bewusstseins ist der Mensch gegenüber dem Gegenstand, über den er nachdenkt, verschlossen, sei dieser Teil seiner inneren Welt oder äußeren Welt. Obwohl subsistenzielles Wissen mit dem Sein seines Objektes befasst ist, ist es Wissen im wahren Sinne und nicht etwa Bewusstsein oder Verstehen. Die Macht subsistenziellen Wissens besteht darin, innerhalb der Funktionen eine Ordnung herzustellen, indem intellektuelle und physische Auffassungsgabe mit emotionaler Haltung verbunden werden. Aus dieser Verwindung entsteht der Moment des Wissens, durch den der Erfahrende selber eine funktionale Veränderung durchmacht. Es muss ausserdem beachtet werden, dass sich die zwölf Kategorien aus Kapitel 2 zum Ausdruck von Wertewissen als unzureichend erweisen.

2.5.8. POTENTIELLES ODER GÜLTIGES WISSEN Werte alleine gewährleisten nicht die angemessene Aktivität zur Erreichung dessen, was als Werte besitzend bekannt ist. Für dieses ist es notwendig, sich wieder von der Erfahrung des Wissens zu trennen und sie dem Hintergrund des Nicht-Wissens entgegenzusetzen. Die fünfte Stufe kann entweder als Wissen um die Potentiale oder als gültiges Wissen bezeichnet werden. Es produziert die größte Intensität an Tätigkeit zwischen den funktionalen Zentren. Während der Wissende auf der vierten Stufe die richtige Bewertung

der ihm dargebotenen Data vornehmen kann, bleibt er doch verschlossen für die verborgenen Möglichkeiten. Die fünfte Stufe öffnet ihn für das, was sein mag und ist deshalb verbunden mit Sensitivität. Er beginnt dann das Nichtgegebene genauso zu kennen wie das Gegebene. Diesem Wissen wohnt eine Polarität von Tatsächlichem und Potentiellem inne, die eine Kraft produziert und da es sich um objektives Wissen handelt, ist die resultierende Aktivität gültig. Bis diese Stufe erreicht ist, gibt es in allem Wissen einen blinden Fleck, nämlich die Unfähigkeit, die verborgenen Möglichkeiten zu sehen, und so ist das Subjekt gezwungen, entweder abzuleiten oder zu vermuten. Mit der fünften Stufe werden Möglichkeiten nicht weniger offensichtlich als Aktualitäten. Da es hier eine Wahl geben muss, die Opfer beinhaltet, damit sich aus den vielen Möglichkeiten ein Ereignis aktualisieren kann, ist die fünfte Stufe des Wissens von maximaler Spannung erfüllt.85 Es steht auf halbem Wege zwischen dem ultimativen Wissen, das nur auf dem Wege der Offenbarung zugänglich ist und dem primitiven Wissen, das in jeder Ganzheit vorhanden ist, unabhängig von deren Perfektion oder Imperfektion. Gültiges Handeln zeichnet sich immer durch einen Schritt ins Ungewisse aus, denn all die Potentialitäten können nie gekannt werden. Wo es auf der anderen Seite überhaupt kein Wissen um Potentialitäten gibt, ist alles Handeln blind. In der menschlichen Erfahrung ist authentisches gültiges Wissen sehr selten und doch ist es aufgrund seiner Sensitivität die Bedingung aller Innovation und aller kreativen Tätigkeit. Es muss verstanden werden, dass die natürliche Ordnung es erfordert, dass gültiges Wissen vorhanden ist, wo auch immer eine kosmische Funktion vollzogen werden soll. In der Ernährung und Fortpflanzung gibt es gültiges Wissen um Nahrung und Sex. Beim Essen geht es nicht nur um Beziehung und existentielles Wissen sondern auch um eine funktionale Anpassung, die sowohl die mögliche Transformation von Nahrung als auch die unmittelbare Erfahrung mit einbezieht. So sehen wir, dass es auch auf der fünften Stufe des Wissens verschiedene Ebenen gibt, aber die Qualität der Erfahrung ist durchgängig dieselbe. Es ist der Einsatz einer Kraft, die das Tatsächliche und das Mögliche in einen scharfen Kontrast zueinander bringt und in einen Akt ausfliesst, der sowohl ursächlich als auch zweckbestimmt ist. Eine Untersuchung der für gültige Aktion erforderlichen Bedingungen wird zeigen, dass da immer fünf bestimmte Elemente vorhanden sind, nämlich drei, im eine Beziehung zu schaffen, ein viertes um ein Urteilsvermögen hinsichtlich von Werten und eine Empfindung der Existenz einzuführen und ein fünfter Faktor, der die latenten Möglichkeiten berücksichtigt.

2.5.9. ZYKLISCHES ODER TRANSZENDENTALES WISSEN Die sechste Kategorie bereichert die Erfahrung durch die Macht, Abhängigkeit und Unabhängigkeit zu versöhnen. Jede Ganzheit kehrt zu sich selbst zurück, schließt ihren eigenen Zyklus ab, tritt gleichzeitig und mit denselben Hilfsmitteln in andere Ganzheiten ein, die ihren eigenen Zyklus vollenden und verbindet sich mit ihnen. Beim Übergang von der fünften zur sechsten Stufe transzendiert das Wissen die Trennung von Faktischem und Möglichem, indem es zu Bereichen vordringt, wo Faktisches und Mögliches fortwährend ausgetauscht werden und verwoben sind. Wissen dieser Art muss immer den Begrenzungen jeder bestimmten Erfahrung entkommen, denn der geschlossene Zyklus kann weder sich selbst noch einen Anderen erkennen, außer über den Weg der Selbsttranszendenz. Transzendentales Wissen meint Wissen, das nicht in Daten der Selbsterfahrung alleine gegeben werden kann. Die Sinne nehmen die Rückkehr von Zyklen zu sich selbst nicht wahr. Obwohl gemäß des sechsten Prinzips alles, was existiert, aus Vibrationen bestehen 85 Siehe Gurdjieff, All and Everything, p. 759. Siehe auch F.H. Heinemann, Are there Only Two Kinds of Truth? Philosophical

and Phenomenological Research, xvi, 1956, p. 378: Ein Wissen a priori kann nicht länger auf `Notwendigkeit´ beschränkt sein, es bezieht sich genauso auf `Potentialität´ und auf `Wahrscheinlichkeit´. Kurz gesagt sind die beiden Bereiche des Wissens nicht eingestaltig sondern vielgestaltig.

muss, nehmen die Sinne entweder eine Bewegung wahr, die nicht wiederkehrt - wie die der Sonne über den Himmel, oder eine Qualität, die sich nicht bewegt - wie ein Klang oder eine Farbe. In allem die Rückkehr von Zyklen wahrzunehmen bedeutet, jenseits des gültigen Wissens in einen Bereich vorzustossen, wo die ultimative Wirklichkeit sich bereits bemerkbar macht. Die sechste Stufe des Wissens wird so eher vom Ende als vom Anfang beherrscht; und doch fehlt ihm ein wesentliches Element, durch welches das Wissen selbstverständlich wird und zwar die Beglaubigung. Überall lässt sich transzendentales Wissen in der gegenseitigen Anpassung von Zyklen in jeder Manifestation der universalen Existenz empfinden. Es ist lediglich unser gewöhnliches menschliches Denken - abstrakt und belanglos - das die universalen Rhythmen nicht wahrnimmt. Auch wo solches Wissen scheinbar erlangt wird, bleibt es trotzdem abstrakt und subjektiv, während transzendentales Wissen der direkten Beteiligung an der universalen Wiederkehr entspricht. Es ist die Entdeckung des Selbst in Allem und das Erkennen eines Musters, dass unter all den verschiedenen Phänomenen liegt.

2.5.10. STRUKTURELLES ODER WAHRES WISSEN Wissen auf der Siebten Stufe kann als wahr definiert werden, das heisst, es ist direkt selbstbeglaubigend. Auf dieser Stufe durchdringt das Wissen die eigentliche Struktur der Wirklichkeit und sieht die Tätigkeit der universalen Gesetze. Hier wird die Dualismus von Freiheit und Notwendigkeit harmonisiert. Zu wissen bedeutet alles zu wissen, einschließlich der Position jeden Teils in Beziehung auf das Ganze, seine tatsächliche und potentielle Bestimmung und die Mittel, durch die der kosmische Zweck in jeder gegebenen Gelegenheit erfüllt werden kann. Wahres Wissen ist nicht nur für das bestimmte Ganze gültig ,in dem es sich aufhält, sondern für die Ordnung des universalen Prozesses. Die Besitzer wahren Wissens sind selber sowohl Schöpfer als auch Regulatoren - sie sind in der Lage, alle drei Kräfte bewusst zu übertragen und im Maßstab ihrer eigenen Existenz Strukturen zu balancieren. Wahres Wissen ist nicht absolutes Wissen, noch nicht einmal letztgültiges Wissen, denn es ist auf die Seinsebene und auf die Willensform beschränkt, mit der es verbunden ist. Jede gegebene Ganzheit kann die Grenzen ihrer eigenen Möglichkeiten durch den Gewinn wahren Wissens erreichen; aber insofern sie über die Macht verfügt, ihr eigenes Sein zu transformieren und ihren eigenen Willen zu befreien, kann sie jenseits dieser Grenzen fortschreiten. Es wird manchmal behauptet, dass Widerspruchsfreiheit ein Test für wahres Wissen sei. Diese Sicht führt jedoch zu vielen Schwierigkeiten, insbesondere in den Bereichen der Religion und der Kunst aber zweifellos auch in den Bereichen von Philosophie und Wissenschaft. Wissen kann wahr, selbstverständlich und selbstbeglaubigend sein und doch auf die Grenzen eines gegebenen Ganzen beschränkt bleiben. Wenn es anwesend ist, werden die Funktionen dieser Ganzheit vollständig harmonisiert und geordnet. Es vollzieht sich eine vollständige Anpassung der inneren und äußeren Welten. Das bringt mit sich rechtes Handeln und auch die Macht, Ordnung zu erschaffen und zu verbreiten. Trotzdem bleiben Wissen und Macht relativ, bezogen auf die jeweilige Ganzheit und das entsprechende Wissen eines anderen Ganzen mag inkonsequent sein - und sogar widersprüchlich. Darin liegt der prinzipielle Unterschied zwischen Wissen und Verstehen; denn Wissen, das lediglich eine Ordnung der Funktionen darstellt, ist notwendigerweise durch die Funktionen und ihre Kräfte begrenzt. Verstehen, das eine Eigenschaft des Willens ist kann niemals inkonsequent oder widersprüchlich sein - weder innerhalb eines gegebenen Ganzen, noch zwischen verschiedenen Ganzheiten. Dies wird in Gurdjieff Aphorismus

ausgedrückt: „Zu verstehen heisst zuzustimmen. Wo es keine Zustimmung gibt, da gibt es kein Verstehen.“ Wir möchten diesen Abschnitt angemessenerweise mit dem Zitat von Gurdjieffs Aphorismus zum Wissen beenden, dessen Bedeutung aus der vorangegangenen Diskussion abgelesen werden kann: „Zu wissen bedeutet alles zu wissen. Nicht alles zu wissen bedeutet nichts zu wissen. Es ist möglich alles zu wissen, und in der Tat, um alles zu wissen, ist es notwendig, sehr wenig zu wissen. Aber um dieses wenige zu wissen, ist es zuerst notwendig, ziemlich viel zu wissen.“86

2.5.11. OFFENBARTES WISSEN Dem Prinzip der Struktur entsprechend erfolgt der Schritt von der siebten zur achten Stufe als ein Akt der Vollendung, der einen frischen Schock benötigt. Eine Vollendung ist gleichzeitig ein Akt des Verzichts und die achte Stufe des Wissens wird nur erreicht, wenn alles gewöhnliche Wissen beiseite gelegt und verlassen wird und wenn das Bewusstsein sich dem Licht der Offenbarung öffnet. Offenbartes Wissen ist deshalb nur dem vollendeten Individuum gegeben. Allen niedrigeren Stufen der Existenz mangelt es an der Fähigkeit, die Offenbarung zu erkennen und zu akzeptieren, selbst wenn sie direkte Zeugen ihrer Manifestation sein sollten. Offenbartes Wissen ist nicht auf religiöse Erfahrung beschränkt, sondern mag auch in Situationen des gewöhnlichen Lebens angetroffen werden, wo es zum Einen eine ausreichend erschöpfende Vorbereitung auf dem Wege der funktionalen Anstrengung gegeben hat und zum Anderen die Realisierung besteht, dass das Ziel durch diese Mittel nicht erreicht werden kann. Die wesentliche Eigenschaft offenbartes Wissens besteht darin, dass es nicht irgendeiner funktionalen Aktivität innerhalb der Ganzheit, der es gegeben ist, zugeschrieben werden kann. Im Moment der Offenbarung bricht die Barriere der Trennung zusammen und hierin liegt eine Eigenschaft der achten Kategorie, die sowohl Totalität als auch Einheit verkörpert. Da offenbartes Wissen im menschlichen Geist gewohnheitsmäßig mit religiösen Glaubensvorstellungen assoziiert wird, mag der Verweis darauf in einer Studie zu den Prinzipien der Naturphilosophie nicht am Platze sein. Es ist trotzdem oft beobachtet worden, dass der Fortschritt wissenschaftlichen Denkens von der Empfindsamkeit einem Prozess gegenüber abhängt, der nicht auf Denken oder Empfindung reduziert werden kann.87 Ohne Offenbarung kann es keine Konsistenz in einem Wissen geben, das in den Myriaden Bewusstseinszentren angesammelt und aus ziemlich verschiedenen Sets von Fakten abgeleitet wird, die durch separate funktionale Mechanismen arrangiert und geordnet werden. Wir müssen deshalb schlussfolgern, dass eine vollständige Theorie des Wissens nur begründet werden kann, wenn alle acht der hier diskutierten Stufen mit einbezogen 86

Zitiert durch P.D. Ouspensky in seinen Londoner Vorträgen zu Gurdjieffs Lehre im Jahr 1922.

87 Siehe James R. Newman, Mathematics and the Imagination, und dort die Beschreibungen der Art, in der der französische

Mathematiker Henri Poincaré den Prozess der Hypothesenentstehung formuliert: „Das Unterbewusste selbst ist in keiner Weise dem bewussten Selbst untergeordnet; es ist nicht rein automatisch; es besitzt Urteilsvermögen; es besitzt Takt, Delikatesse; es weiss wie zu wählen, vorauszuahnen. Was sage ich? Es weiss besser vorauszusagen als das bewusste Selbst, da es dort Erfolg hat, wo jenes scheitert. Kurz gesagt, ist nicht das unbewusste Selbst dem bewussten Selbst überlegen? Sie erkennen die voll Bedeutung dieser Frage.“

werden. Es ist ausserdem notwendig, den Einfluss des Bewusstseins auf die Festlegung der Ebene des Wissens zu berücksichtigen und auch der Form des Willens, der jeder funktionalen Ordnung ihre eigene besondere Form der Manifestation auferlegt. Mit all diesen Erfordernissen im Kopf ist es schwerlich überraschend, dass es dem Menschen nicht gelingt, zu einer einfachen, konsistenten Erkenntnistheorie zu gelangen.

TEIL 3

METHODIK

KAPITEL 6

DIE METHODEN DER NATURPHILOSOPHIE 3.6.1. DIE METHODE DER FORTSCHREITENDEN ANNÄHERUNG Je nach Temperament neigen Menschen dazu, an alten Wahrheiten zu klammern und allem Neuen zu misstrauen oder das Neue kultisch zu verehren und das Alte zu verachten. Durch die Unfähigkeit, einen Mittelweg zwischen diese Extremen zu finden, trägt die Menschheit die Last missverstandener Entdeckungen, die zum Aberglauben verkommen sind und hat den Reichtum wesentlichster Werte verloren, die durch die Bemühungen der Vergangenheit errungen worden sind. Die gefährliche Vorstellung, Fortschritt bestünde darin, Falsches´ durch `Wahres´ zu ersetzen, ist eines der hauptsächlichen Hindernisse für wahres Lernen. Die Akzeptanz einer alles durchdringenden Relativität erfordert es, dass wir uns immer wieder daran erinnern, die Wahrheit nur unvollständig kennen zu können, und daran, dass jeder neue Versuch, ein System universeller Gültigkeit zu schaffen, fast immer ins Nichts gebaut ist; das Ergebnis gleicht dem russischen Sprichwort: „Vom Leeren ins Leere gießen“. Da ist eine riesige Menge an menschlicher Erfahrung, die sich über Zehntausende von Jahren erstreckt - große Entdeckungen inbegriffen, die gemacht, missverstanden und vergessen wurden - und doch scheint immer die letzte Errungenschaft nicht nur die Beste sondern auch die Endgültige zu sein. Der Mensch weiss eigentlich genug, um die Fragen beantworten zu können, die vor ihm liegen, aber er kann nicht verstehen, was er weiss und deshalb sein Wissen nicht nutzen. Es ist sehr verführerisch, nach Erklärungen dafür zu suchen; denn es ist meistens möglich, eine zu einer Vielfalt von Beobachtungen passende Sprachregelung oder einen mathematischen Ausdruck zu konstruieren, der dann, als `Theorie´ oder `Naturgesetz´ gewürdigt die Illusion vermittelt, dass eine `Wahrheit´ entdeckt worden sei. Der Wert solcher Theorien und Gesetze bemisst sich üblicherweise an den Möglichkeiten, die sich durch sie ergeben, etwa bei der Vorhersage von experimentellen Ergebnissen oder bei der Ermöglichung quantitativer Einschätzungen des wahrscheinlichen Resultates eines neuen Prozesses. Es heisst von Theorien, sie besäßen heuristischen Wert, wenn sie den Weg zu erfolgreichen Beobachtungen oder Experimenten wiesen. Der Reichtum solcher Theorien - in allen Wissenschaftsbereichen im Überfluss vorhanden - wäre scheinbar der Beweis für eine sehr komfortable Position und ginge es nur um erfolgreiches Experimentieren, so könnten wir davon ausgehen, dass wir auf direktem Weg zu einem Verständnis der wahren Natur des Universums oder zumindest eines großen Teils davon befinden. Wir müssen jedoch unterscheiden zwischen der erfolgreichen Anwendung von Theorien und dem Verständnis ihrer wahren Bedeutung. Das Erste entspricht dem Übergang von Wissenschaft zu Technologie und das Zweite der Suche nach einer gültigen Kosmologie. Wissenschaft und Technologie sind die Blüte der modernen Welt. Sie sind durch die Entdeckung entstanden, dass Menschen durch ihre Aufmerksamkeit bestimmten Elementen der Erfahrung gegenüber und durch die Missachtung anderer Elemente ein Wissen erwerben können, das hinsichtlich einer Steigerung ihrer Anpassung an die Welt effektiv ist. Diese Entdeckung hat zur Methode der Spezialisierung geführt, die sich im wissenschaftlichen Fortschritt als solch machtvoller Faktor erwiesen hat. Die spektakulären Errungenschaften, die man der Wissenschaft zugute halten muss, tendieren dazu, die großen Opfer zu verbergen, die eine solche Spezialisierung mit sich bringt; die tatsächliche Folge ist, dass wir umso weniger verstehen, je mehr wir wissen. Hin und wieder sind wir erstaunt und bestürzt darüber, was aus dem Wissen, das wir aufgetürmt haben, entstehen kann und doch sehen wir nicht, was geschieht, nämlich dass wir passive Anpassung mit aktivem `Tun´ verwechseln und die Versklavung durch unsere Technik für deren Meisterung

halten. Weil wir das Wissen hoch geschätzt und das Verstehen ignoriert haben, haben sich Wissenschaft und Technologie bisher als unnütz erwiesen, jedenfalls soweit es das Erreichen objektiver Ziele zum Wohle der Menschheit betrifft. Trotzdem führt Wissenschaft nicht nur zur Technologie. Sie hat dem Menschen neues Wissen gebracht, das auch für die Kosmologie von entscheidender Bedeutung sein kann und muss; das heisst, für das Ziel, sich selber und seinen Platz im Universum zu verstehen. Dieses Wissen kann seinen Zweck jedoch nur erfüllen, wenn Wissenschaftler bereit sind anzuerkennen, dass ihre Aufgabe nur zur Hälfte vollbracht ist, wenn die bloßen Tatsachen gesichert wurden. Die Trennung von Fakten und Werten ist lediglich ein vorläufiger Behelf, um die erste Stufe der wissenschaftlichen Arbeit zu vereinfachen. Heisenberg, Eddington, Schrödinger, de Broglie und andere große Mathematiker und Physiker des gegenwärtigen Jahrhunderts haben verstanden, dass reine Wissenschaft zu einer Doktrin führt, die der einer Offenbarung sehr ähnlich ist.88 Die selbst auferlegte Aufgabe des Wissenschaftlers besteht darin, das Durcheinander der durch die Sinneswahrnehmung aufgenommen Daten in ein geordnetes System zu bringen. Er tut dies, indem er aus den Erfahrungsinhalten Gruppen von Regelmäßigkeiten auswählt, die einige wichtige Eigenschaften gemeinsam zu haben scheinen und solche Gruppen so behandelt, als könnten sie vom Rest der Erfahrung isoliert werden.89 Die Methode der Isolation und Neuanordnung von Datengruppen ist angemessen und sogar notwendig, aber sie reicht nicht aus, um einen Fortschritt zu tieferem Verstehen sicherzustellen. Dies erfordert eine Evolution der Bedeutungen, nämlich nicht lediglich den Austausch einen Sets von Zeichen durch ein anderes, sondern eine Vertiefung der Signifikanz der genutzten Zeichen und Symbole selbst. Für eine Vertiefung von Bedeutungen müssen wir wieder und wieder zur Erfahrung zurückkehren und dadurch den Gehalt unserer Sprache bereichern. Diese Methode haben wir als fortschreitende Annäherung bezeichnet, denn ihr Ziel ist es eher, die Bedeutung dessen, was bereits gewusst wird, zu entdecken und auszudrücken, als nach neuen Entdeckungen zu suchen. Wer dieser Methode folgt, gibt dem Alten und dem Neuen den gleichen Stellenwert und die Aufgabe des Forschers ist es, auszuwählen, auszusondern oder zu verfeinern, so dass die Bedeutung dessen, was bleibt, Klarheit erhält und verstanden werden kann. Dieser Prozess ist weder analytisch noch synthetisch. Er besteht weder darin, Rückschlüsse aus dem bereits Bekannten zu ziehen noch besteht er in der Suche nach dem Unbekannten, sondern darin, zu erkennen, was bekannt ist. Nur so kann gültiges Wissen erreicht werden, wie es im letzten Kapitel definiert wurde. Diese Methode ist in mancher Hinsicht unseren Denkgewohnheiten entgegengesetzt, durch die wir annehmen, es sei möglich, gleich von Anfang an klar und endgültig alles auszusagen, was überhaupt ausgesagt werden kann. Wir sind daran gewöhnt, Wiederholung für eine Schwäche in der Darlegung zu halten und anzunehmen, ein einmal vorgenommenes Experiment müsse nicht wiederholt werden, solange nicht Zweifel an seiner akkuraten Durchführung bestünden. Gedanklicher Fortschritt scheint uns durch Beobachtung und Deduktion erreicht zu werden, dass heisst, durch die Bewegung vom Bekannten zum Unbekannten. Wir erkennen nicht, dass wir uns nie die Chance geben, irgendetwas zu wissen, wie es gewusst werden sollte, weil wir uns auf der Suche nach neuem Wissen ruhelos von dem, was nur ansatzweise erlangt wurde abwenden. Die Methode der fortdauernden Annäherung besteht darin, wieder

88 Siehe Werner Heisenberg, Philosophical Problems of Nuclear Science, übers. v. F. C. Hayes (Lomdon, 1952, p.71: „Den

Kern der Wissenschaft bilden in meinem Verständnis die reinen Wissenschaften, die nicht mit praktischer Anwendbarkeit befasst sind.“ 89 Siehe H. Levy, A Philosophy for Modern Man (London, 1938), pp. 33-85 für eine einfache Darstellung der Lehre von den

Isolaten, Qualitätsniveaus und dem Unterschied zwischen atomaren und statistischen Isolaten.

und wieder zurückzukehren, um dasselbe Material der Erfahrung zu untersuchen, um neue Tiefen seiner Bedeutung zu finden und um Bedeutungen in Verstehen zu verwandeln.

3.6.2. DIE DIFFERENZIERUNG DES BEDEUTUNGSBEGRIFFS Wir werden den Begriff `Fakt´ benutzen, um den Inhalt des tatsächlichen und potentiellen Wissens zu bezeichnen. Fakt ist deshalb für uns alles, was wir wissen und alles, was wir wissen könnten. Indem wir die Verbindung nutzen, die wir zwischen Wissen und Funktion gefunden haben, hat diese Definition unabhängig von unserer eigenen Erfahrung Bestand. Wenn Wissen im Ordnen der Funktion besteht, dann können wir sagen, dass Fakt in der Erfahrung von funktionaler Ordnung besteht. Der Fakt ist in zweierlei Hinsicht gehaltloser als die Erfahrung. Der Inhalt des Bewusstseins und des Verstehens ist nicht faktual und selbst unsere Erfahrung des Funktionalen ist nur insofern faktual, als sie auf Ordnung reduziert ist und zu Wissen wird. Trotzdem ist der Gehalt allen Wissens in der Welt faktual und was nicht faktisch ist, kann nicht gewusst werden.90 Die Erfahrung lehrt uns, dass wir niemals ein einfaches Faktum kennen. Es ist das Wesen der Funktion, dass sie komplex und zusammengesetzt ist. Das Faktum besteht aus zusammengesetzten Tatsachen, und jede Ordnungserfahrung bildet in jedem Maßstab ein winziges Faktum. Lassen Sie uns das Beispiel eines Vorgangs nutzen bei dem ein Mensch nach dem Zufallsprinzip zwei Bälle aus einem Sack von fünfzig Bällen zieht, die nummeriert und beschriftet sind. Dieser Vorgang umfasst drei Momente und sein aktualer wie potentieller Gehalt kann im folgenden Diagramm dargestellt werden:

Moment 1

Moment 2

Moment 3

Potentiell

Jeder aus 50 mag gezogen werden

Jeder aus 49 mag gezogen werden

Jeder aus 48 mag gezogen werden

Aktual

Korb mit 50 Bällen

Nr. 46 wurde gezogen.

Nummer 17 wurde gezogen

Vergangenheit

Gegenwart

Zukunft

Abb. 6.1. - Potentielle und aktuale Zustände

Lassen Sie uns nun annehmen, unsere Untersuchung beginnt in Moment 2 wenn der erste Ball gezogen wird. Moment 1 ist Vergangenheit und Moment 3 ist Zukunft. Das Ereignis als Ganzes kann als singulärer Fakt betrachtet werden, aber es kann auch in Begriffen von sechs verschiedenen Fakten aufgefasst werden, drei davon aktual und drei potentiell. Vom Gesichtspunkt des Faktums, wie wir es definiert haben, besitzen alle sechs genau denselben Status, obwohl dieser aus Sicht des Menschen, der die Bälle zieht, ganz anders wahrgenommen wird. So bleiben die Potentialitäten für ihn - und wir nehmen an, er ist kein Hellseher - unbemerkt und er nimmt nur wahr, was er sieht und berührt. Das bedeutet jedoch 90 Siehe Wittgenstein, Traktatus, Abschnitt 1.

weder, dass er kennt, was er sieht noch bedeutet es, dass er nicht kennt, was er nicht sehen kann. In beiden Fällen entsteht das Wissen jenes Menschen nicht direkt und unmittelbar, sondern indirekt und vermittelt durch seine Funktionen. Fakten sind niemals direkt in der Sinneswahrnehmung gegeben, denn sie tauchen erst auf, nachdem ein Ordnungsprozess stattgefunden hat. Zudem können wir nicht nur die gegenwärtigen, sondern auch vergangene und zukünftige Fakten kennen; wir können sowohl potentielle Fakten kennen als auch solche, die aktual sind. Die Instrumente durch die wir faktisches Wissen erwerben sind verschieden. Sie umfassen Sinneserfahrung, Introspektion, Erinnerung, Reflexion, Rückschluss, Imagination, Halluzination und Traum. Aber alle Fakten, wie auch immer sie erkannt werden, sind von derselben Art. Ein vergangenes Ereignis ist insofern Fakt, als wir aus der Erinnerung darauf schließen, dass es stattgefunden hat; unsere konkrete Erinnerung an das Ereignis ist ein weiterer Fakt, denn wir konnten es von Ersterem isolieren. In jedem gegebenen Moment gibt es Fakten aus der Vergangenheit, die bereits vollständig aktualisiert sind, Fakten, die sich gerade aktualisieren und Fakten mit dem Potential, sich zukünftig zu aktualisieren. Der Sonnenaufgang von morgen ist ein Fakt, obwohl er noch nicht aktualisiert worden ist und vielleicht auch gar nicht aktualisiert werden wird, sollte die Erde zwischenzeitlich der Zerstörung anheim fallen. Die Fata Morgana in der Wüste ist ein Fakt und so sind es die Traumschlösser unserer Fantasie. Selbst die wildesten Ausgeburten des Deliriums sind Fakt, denn sie können gekannt werden. Dass zwei mal zwei vier ergibt, ist wiederum auch ein Faktum, auch wenn es kein bestimmtes Ereignis geben mag, auf das sich die Aussage bezieht. Im Bereich der Fakten gibt es eine zweifache Mannigfaltigkeit. Es gibt viele Wissende und es gibt viele Fakten, die gewusst werden. Kein einziger Wissender kennt alle Fakten, soviel ist sicher. Es ist ausserdem wahrscheinlich, aber nicht sicher, dass kein einziges Faktum allen Wissenden bekannt ist. Was zudem für den einen Wissenden ein Faktum ist, mag für einen Zweiten entweder ein anderes Faktum sein oder überhaupt keines. Deswegen entsteht mit den Fakten auch immer das Problem der Kommunikation. Drei Bedingungen müssen erfüllt sein, damit sich ein Gegenstand der Erfahrung als Faktum qualifizieren kann: (a) Er muss erfahren werden, (b) er muss funktionaler Art sein und (c) er muss gekannt werden. Die dritte Voraussetzung unterscheidet Faktum von Funktion im generellen Sinne und setzt das Faktische relativ zu einer bestimmten Erfahrung. es ist nicht legitim zu sagen `so und so mag Funktion sein, aber das ist nicht Funktion für mich´; aber es ist legitim zu sagen `so und so mag ein Faktum sein, aber es ist kein Faktum für mich, denn es ist nicht nicht in meine Erfahrung eingetreten und ich kenne es nicht´. Wenn ich jedoch sage `so und so ist das Faktum, aber es ist nicht wichtig´, dann stelle ich eine Behauptung auf, die mehr als faktual ist - ich drücke ein Werturteil aus. `Wichtig´ ist ein wertiger Begriff und seine Bedeutung ist relativ zum Bewusstseinszustand gegeben. Wir können ohne weiteres verifizieren, dass unsere Beurteilung der Wichtigkeit oder Unwichtigkeit eines jeden Elements in der Erfahrung entsprechend unseres Bewusstseinszustands variiert. Sie hat nur wenig mit dem funktionalen Inhalt der Erfahrung selber zu tun. Es mag schwerlich eine funktionale Manifestation geben, die nicht im einen Moment als wichtig und im nächsten als unbedeutend erscheinen würde. Deshalb müssen

wir schlussfolgern, dass Werte nicht gekannt werden können. Dies stimmt damit überein, dass sie dem Element des Bewusstseins in unserer Erfahrung zugeschrieben werden.91 Das Studium der Werte muss in zwei verschiedene Gebiete unterteilt werden. Auf dem einen suchen wir eine Antwort auf die Frage `Was sind Werte?´ und auf dem anderen suchen wir eine Antwort auf die Frage `Was sollte das Wort bedeuten?´ Das entspricht im Großen und Ganzen dem Betrachtungsgegenstand in Kants zwei Kritiken der Urteilskraft beziehungsweise der praktischen Vernunft. Die erste Frage muss in Begriffen des Seins und des Bewusstseins beantwortet werden, die zweite in Begriffen des Verstehens und des Willens. Die erste kann als ästhetisch und die zweite als ethisch bezeichnet werden. Zu behaupten, es könne weder ästhetisches noch ethisches Wissen geben, beendet die Suche nach Werten weder, noch beraubt es das praktische Leben seiner Bedeutung. So lange unsere Wahrnehmung ausschließlich auf die Funktionen gerichtet ist, dürfen wir nicht erwarten, irgendetwas jenseits von Fakten entdecken zu können. Aber obwohl wir sind wie wir sind, fahren wir damit fort, Urteile über Werte abzugeben und uns selbst als Subjekte eines ethischen Anspruchs zu empfinden. Der Standpunkt des logischen Positivismus ist insofern gerechtfertigt, als er behauptet, dass wir weder jemals wissen können, was es wert ist, getan zu werden noch was getan werden sollte.92 Aber wir können ein Bewusstsein von Werten haben und wir können verstehen, was getan werden sollte. Wir können Werte und Fakten niemals auf scharfe, eindeutige Weise trennen, weil weder das reine Faktum noch der reine Wert getrennt voneinander erfahren werden können. Deshalb hat die philosophische Debatte über die Beziehung zwischen Beiden fast unausweichlich einen künstlichen und unbefriedigenden Geschmack. Es ist praktisch, das Sein ohne Bezug zur funktionalen Aktivität studieren zu können, aber das sollte uns nicht zum Irrtum verführen anzunehmen, dass Funktion und Wert ohne das jeweils andere bestehen könnten. Wenn wir auf wertebezogenene Probleme treffen, können wir sie nicht ohne Wissen lösen; aber um sie zu lösen, sind wir gezwungen, über das Wissen hinaus zu gehen. Wenn all unsere Erfahrung in funktionalen Begriffen beschrieben - und deshalb gewusst - werden könnte, würde uns der Fortschritt des Wissens schließlich automatisch zur Beantwortung aller Fragen führen. Aber gerade weil die Fragen, die uns am tiefsten berühren, nicht durch Wissen alleine beantwortet werden können, müssen wir unseren Nachforschungen eine neue Dimension hinzufügen und um diese zu finden müssen wir zur Erfahrung zurückkehren. Das `Wichtige´ ist das, was wir nicht wissen können weil es in seiner innersten Natur unerkennbar ist - es ist der Wert und nicht das Faktum, worauf es wirklich ankommt. Und so vertritt Saurat die extreme Position, dass etwas zu wissen dem Wissen seinen Wert nimmt und dass der Glaube an Gott nur von Bedeutung ist, weil wir nicht in der Lage sind zu `wissen´, dass Er existiert.93

91 Philosophen finden es schwierig zu entscheiden, ob Wertebegriffe mit Wissen oder mit emotionalen oder kognitiven

Zuständen zu tun haben. Jene, die die Vorstellung ablehnen, dass wir wissen können, was wichtig ist sind üblicherweise der Auffassung, dass die Grundlagen der Moralphilosophie oder ethischen Theorie mit dieser Ablehnung vernichtet werden. Eine solche Auffassung enthält verschiedene Irrtümer. Es ist ein Irrtum, Vernunft und Emotion als antithetisch zu betrachten. Denken und Fühlen gehören beide zur Funktion und sind Formen des Wissens, wenn auch Gefühle nicht vollständig als Behauptungen ausgedrückt werden können. Siehe `Moral Theory, Ethical Judgement and Empiricism´ von S. Havel und A. Sesonske in Mind (1952), Vol. LXI, p. 543. Der Disput zwischen kognitiven und nicht-kognitiven Theorien sowie bezüglich des Charakters von Werturteilen zeigt, dass wir es weder mit reiner Erfahrung noch mit reinem Wissen zu tun haben, sondern mit dem unbestimmten Gebiet, das zwischen Erfahrung und Faktum liegt. 92 Siehe H. Reichenbach, The Rise of Scientific Philosophy, p.77 93

Siehe D. Saurat, Death and the Dreamer und The Three Conventions

Werte sind mit Interesse verbunden und Interesse hängt ab von Potentialität und der Fähigkeit, das Aktuale und das Potentielle aneinander anzupassen. Wenn ein Ereignis eine vorweggenommene Schlussfolgerung bildet, hört es auf, interessant zu sein. Eine Situation, in der es nur eine Potentialität gäbe, wäre frei von Werten. Umgekehrt können wir sagen, dass je größer der in irgendeinem Erfahrungselement vorhandene Reichtum an Potentialitäten, um so mehr spüren wir die Notwendigkeit eines Werturteils. In einer ersten Annäherung stellen wir fest, dass wir in der Erfahrung, wenn sie vom Standpunkt ihres tatsächlichen Gehalts gesehen wird, Fakten entdecken und Werte, wenn wir sie aus der Perspektive ihres potentiellen Gehalts betrachten. Fakten stellen an uns keine Forderungen und Werte stellen Forderungen, zu deren Erfüllung uns die Macht fehlt, denn es liegt im Wesen der Werte, dass die Realisierung des Einen die Aufgabe des Anderen bedingt. Werte und Fakten können als bejahende und verneinende Elemente betrachtet werden, die lediglich die polare Kraft der Frustration und Unzufriedenheit hervorrufen, solange sie nicht versöhnt werden. Wir können nun das Wort Bedeutung verwenden, um das zu bezeichnen, was Wert und Faktum versöhnt, vorausgesetzt, wir erinnern uns, dass eine solche Verwendung es erfordert, dass Bedeutungen eher mit Willen als mit Bewusstsein oder Funktion assoziiert werden. Wir müssen auch erkennen, dass diese Interpretation des Begriffs `Bedeutung´ die völlige Bedeutungslosigkeit von Werten impliziert, die nicht von Fakten begleitet werden. Eine Welt reiner Werte muss in einen Traum unerfüllter Potentialitäten kollabieren, ebenso wie eine Welt bezugsloser Fakten nur eine tote Welt wäre. Es gibt immer und in allem ein Bedürfnis, nicht nur Faktum und Wert, sonder auch eine Werteebene mit einer anderen zu versöhnen. Das Gebiet der Fakten ist unzusammenhängend; auf dem der Werte gibt es einen Konflikt der Loyalitäten. Die Entdeckung von Bedeutungen in jedem Maßstab und auf jeder Ebene das ist die Aufgabe der Verstehens. Der momentane Gebrauch der Wortes `Bedeutung ´stimmt mit jenem in Abschnitt 2.4.2 verwendeten überein, der dort als Erkenntnis eines wiederkehrenden Elements in der Erfahrung definiert wurde, denn Wiederkehr ist, wie wir später sehen werden charakteristisch für das versöhnende Element und Erkenntnis hängt von der kombinierten Aktivität von Wert und Faktum ab. Eine Bedeutung ist von Natur aus etwas anderes als ein Faktum oder ein Wert. Wir kennen Bedeutungen nicht und wir können sie nicht bewusst erleben. Das ist der Grund, aus dem, wie wir in der Untersuchung über die Sprachformen gesehen haben, die Kommunikation von Bedeutung selbst eine Triade bildet, in der das Zeichen, das Symbol oder die Geste dazu dienen, den Akt des Willens zu vermitteln. In der Evolution der Sprache ist die Kommunikation von Wissen der Ausgangspunkt; aber das Ziel der Sprache ist es, eine Übertragung von Bedeutungen zu erreichen. In der inneren Erfahrung des Individuums gibt es eine ähnliche Transformation, die mit der gegenseitigen Befreiung von Bewusstsein und Funktion beginnt, aber zum Verstehen der Bedeutung von Erfahrung führt. Wir gebrauchen solche Begriffe wie `natürlich´, `authentisch´ oder sogar `wirklich´ um darauf hinzuweisen, dass wir in einer gegebenen Erfahrung eine Bedeutung erkennen und wir nutzen Worte wie `unecht´ oder `illusorisch´ um darauf hinzuweisen, dass ein gegebener Ausdruck nicht meint, was er zu meinen vorgibt. Ebenso nutzen wir Worte wie `wahr´, `falsch´, `schön´ und `hässlich´ als Versuch, um Bedeutungen zu transportieren. Wenn wir darüber nachdenken, werden wir jedoch feststellen, dass die Bedeutung von was auch immer darin besteht, zu sein, was es ist. Umso mehr die betreffende Entität in der Lage ist, sie selbst zu sein, umso mehr Bedeutung erwirbt sie. `Hässlich´, `schön´, `wahr´, `falsch´ sind Begriffe, die nur dann Bedeutung tragen, wenn sie in einem stabilen Kontext anerkannter Fakten verwendet werden. Trotzdem sind sie Begriffe des Werts und deshalb dem Sein verwandt. Wahrheit ist weder als Kriterium des Wissens noch als Qualität der Erfahrung signifikant, sondern als etwas, das beides miteinander versöhnt. Schönheit mag ein `reiner Wert´ sein - wir werden dies später untersuchen - aber die Bedeutung des Worts kann nicht ausserhalb eines faktischen Kontexts gefunden werden.

3.6.3. PHÄNOMENE ALS ELEMENTARE DATEN `Reines´ Wissen, geschieden von Sein und Willen bildet eine Abstraktion, die keinen Platz in irgendeiner möglichen Erfahrung hat. Die Entsprechung eines solchen `reinen Wissens´kann mit einem gut geordneten Karteikartensystem verglichen werden, das in eine Schrank geschlossen und von seinem Besitzer vergessen wurde. In jeder konkreten Erfahrung verschmelzen Funktion, Sein und Wille; und wenn wir aus irgendeinem Grunde Eines von diesen separat untersuchen müssen, so können wir das am besten, wenn wir uns auf einen Standpunkt begeben, aus dem sich die Bedeutung der beiden anderen auf ein Minimum reduzieren lässt. Wenn wir uns zum Beispiel mit dem Problem des Wissens befassen, sind wir fast gezwungen, einen Kompromiss zu schließen, der in der Abgrenzung des funktionalen Elements in unserer Erfahrung besteht und es so zu behandeln als ob es für sich selbst existieren könnte. Für die Betrachtung einer Erfahrung aus einer Perspektive, welche die Unterscheidung zwischen Sein und Wille minimiert, werden wir den Begriff Phänomen94 benutzen. Das Faktum kann dann als Ergebnis der Reduktion von Phänomenen zu Wissen betrachtet werden. Es ist dann, grob gesagt, alles was wir wissen können und das Phänomen ist alles, was in einem gegebenen Bewusstseinszustand vorhanden ist. Um zu `wissen´, was vorhanden ist - das Faktum - ist es notwendig, aus den Phänomenen alle nichtfunktionalen Elemente auszuschließen. Daraus folgt entsprechend, dass der Gehalt des Wissens geringer ausfallen muss als der Gehalt von Phänomenen.95 Die Reduktion von Phänomenen zu Fakten ist ein Beispiel jener Methode der fortschreitenden Annäherung, welche alleine mit der Beibehaltung von Bedeutungen im Einklang steht. Phänomene sind das Rohmaterial des Wissens. Sie umfassen sowohl innere als auch äußere Erfahrung, Erinnerungen, mentale Assoziationen und die Wahrnehmung von Gefühlen und organischen Empfindungen. Das Unbeobachtbare, das wir lediglich aus der Sinneswahrnehmung ableiten können, ist nicht weniger phänomenal als die Anblicke, Klänge und anderen Eindrücke, die uns mit materiellen Objekten ausserhalb unserer eigenen Körper verbinden. Wir haben Erfahrung als die Gesamtheit des in jedwedem bestimmten Bewusstseinszentrum oder Bewusstseinszustand Gegebenen, Unabhängigen definiert. Phänomene bestehen aus Erfahrung, bezogen auf einen besonderen Bewusstseinszustand, nämlich den eines menschlichen Wesens. Die phänomenale Welt ist die Welt, wie sie sich einem gewöhnlichen Menschen in seinem gewohnten Bewusstseinszustand darbietet, vor allen Unterscheidungen von Faktum und Wert. Mit `normal´ implizieren wir, dass wir Halluzinationen und Fantasien ausschließen, die der Überprüfung durch Beobachtung oder Experiment nicht zugänglich sind. Ein `normaler Zustand´ ist einer, der reproduziert und studiert und wenn nötig gemessen und in quantitativen Begriffen ausgedrückt werden kann.

94

Kants Unterscheidung von Phänomen und Noumenon bezieht sich auf sinnliche und nichtsinnliche Anschauung. Dies führt zu einem Dualismus, der schwerlich versöhnt werden kann, denn `entweder sinnlich oder nichtsinnlich´scheint alle mittleren Begriffe auszuschließen. Trotzdem erkannte Kant, dass der Begriff `Noumenon´ auf verschiedene Weise verwendet werden könnte. Nachfolgende Interpretationen haben sich hauptsächlich mit seiner Lehre vom Gegenstand befasst „sofern er kein Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist.“ Er sagt jedoch, „aber wenn wir unter ihm ein Objekt der nichtsinnlichen Anschauung verstehen, setzen wir dadurch eine besondere Form der Anschauung, nämlich den Intellekt voraus, der nicht etwas ist, was wir besitzen und von dem wir auch nicht nur seine Möglichkeit erfassen können. Dies wäre das `Noumenon´ im negativen Sinne des Begriffs.“ Critique of Pure Reason, p. 268 95 Die mundus sensibilis, die Sinnenwelt - wenn wir darunter die in der unmittelbaren Erfahrung gegebene Gesamtheit

verstehen - ist reicher als die mundus intelligibilis, die übersinnliche Welt - wenn wir damit das meinen, was coram intuitu intellectuali, durch die intellektuelle Anschauung gegeben ist, denn unsere intellektuelle Anschauung ist im Kant´schen Sinne Gegenstand der Kategorien. Auf der anderen Seite ist das Noumenon, in dem Sinne, den Kant als positiv bezeichnet, mehr als das, was in der unmittelbaren Erfahrung gegeben ist, denn es unterliegt nicht den Beschränkungen der jeweiligen Bewusstseinsform, die anwesend ist.

3.6.4. DER PLATZ DER WERTE IN DER NATURPHILOSOPHIE Sobald wir uns dem Studium der Fakten widmen, neigen wir dazu anzunehmen, es sei nicht legitim, Antworten auf Fragen nach dem `Woher´, `Wohin´, und `Warum´ zu suchen. Dieses Ausschlussverfahren erscheint uns angemessen und ausreichend; aber wir müssen uns gegen den Irrtum wappnen, anzunehmen, dass eine echte Schlussfolgerung eine gültige Prämisse voraussetzt. Fiktive oder konventionelle Unterscheidungen können als Instrumente nützlich sein, aber ihr Gebrauch ist nur solange legitim, solange wir uns von Situationen fernhaften, in denen sie selber Teil unseres Untersuchungsgegenstands werden. Die Aufgabe der Naturwissenschaft ist es, mit Fakten umzugehen und sie ist berechtigt, Fragen der Werte außer Acht zu lassen; aber dies rechtfertigt nicht die Behauptung, diese Werte seien ohne Bedeutung. Wir müssen jedoch misstrauisch sein, wenn wir daran gehen, unser Untersuchungsfeld einzugrenzen. Wenn es uns nicht gelingt, die möglichen Defekte der Sprache zu berücksichtigen, könnten wir wichtige Unterscheidungen übersehen und so unsere Ergebnisse entwerten. Es mag leicht sein, Fakten zu beschreiben, denn sie sind der Klassifikation in Begriffen beobachteter Regelmäßigkeiten geschuldet, aber die überwältigende Allgemeinheit unserer Schlussfolgerungen ist trügerisch und wir müssen verstehen, warum dies so ist. Die Methoden, die wir im Umgang mit Fakten üblicherweise anwenden, sind kompliziert, aber insgesamt betrachtet erfolgreich. Sie haben alle eine Eigenschaft gemeinsam und zwar beginnen sie damit, Unterscheidungen auszuschließen, die auf dem Wege des Bewusstseins entstehen. Ein solcher Ausschluss ist notwendig, denn ohne ihn würden wir in Widersprüche geraten, da in unserer Erfahrung gleichzeitig zwei verschiedene Bewusstseinszustände anwesend sein können, von denen jeder ein scheinbar verschiedenes Set an Fakten wahrnimmt. Die resultierenden Widersprüche mögen die Form einer Nachlässigkeit annehmen, in der wir nicht bemerken, dass wir nicht tun, was wir berechtigterweise tun sollten. Wenn eine solche Situation im Laufe eines wissenschaftlichen Experiments entsteht, betrachten wir es als Fehlschlag und beginnen von vorn. Wissenschaftliche Beobachtung und wissenschaftliches Experiment, durch die wir unser faktisches Wissen zu erweitern suchen, basieren auf der Annahme, dass alles getan wurde, um alle Auswirkungen zu minimieren, die aufgrund von Bewusstseinsveränderungen des Beobachters entstanden sein könnten. Selbst die positive Haltung dem Bewusstsein als Urteilsfaktor gegenüber wird von den meisten Wissenschaftlern mit Misstrauen behandelt.96 Auch wo subjektive Urteile unvermeidbar sind, wird der Einfluss des Bewusstseins so weit wie möglich beschränkt, indem Beobachtungen vervielfältigt werden und durch die Nutzung statistischer Reduktion. Wen wir nun von der allgemeinen Bewertung von wissenschaftlichen Daten - das heisst von Fakten - zur tatsächlichen Durchführung eines Experiments übergehen, sehen wir, dass auch die Beobachtung von Phänomenen ohne Werturteile unmöglich ist. Ein Wissenschaftler möchte Fakten schaffen und behauptet oft, er tue dies ohne jedes Werturteil. Das ist jedoch Selbsttäuschung, da der Erfolg wissenschaftlicher Untersuchung von der Wahl eines Untersuchungsfeldes abhängt, das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit interessante und `wertvolle´ Ergebnisse verspricht. Auch wenn das Experiment festgelegt ist und genaue Beobachtung zum prinzipiellen Ziel des Forschers wird, ist die Trennung von Faktum und 96 Siehe R. G. Hopkinson, `Factors Affecting Choice and Judgement´, in Nature (1952), p. 556: „Die Haltung des gewöhnlichen

Wissenschaftsabsolventen gegenüber Experimenten, die subjektive Urteile beinhalten, ist, wenn auch verständlicherweise, merkwürdig und unlogisch. Er lernt während seines Studiums zu glauben, die Dinge, welche er im Verlauf seiner `praktischen Tätigkeit´ misst, seien Tatsachen, unveränderlich und wahr. Sein Glaube an sie überschreitet den religiösen Eifer. Darüber hinaus hängt er Kelvins Dogma an, wonach wir messen müssen, um zu verstehen. Es gelingt ihm nur selten, das Prinzip der Unschärfe in physikalischen Messungen zu begreifen und es mögen viele Jahre vergehen, bevor ihm klar wird, dass alle Messungen ein Urteil bezüglich des Kompromisses zwischen Genauigkeit und Zweckmäßigkeit erfordern. Im Ergebnis verwirft er alle Experimente, die ein direktes subjektives Urteilen erfordern, als `vage und ungenau´. Diese starre Haltung ist kommt nicht nur bei jungen Absolventen vor.“

Wert immer noch unmöglich - auch im eigentlichen Vorgang, der versucht sie herbeizuführen. Indem er unschlüssige Beobachtungen, die man der Unachtsamkeit oder schlechter experimenteller Durchführung zuschreiben kann, bemerkt und aussondert, fällt er Werturteile und nicht faktische Urteile. Auch in diesem negativen Sinne wird Wert als Interesse, Neugier, Wunsch usw. erfahren. Diese Impulse machen sich durch ihren Einfluss auf unsere Aufmerksamkeit selbst bemerkbar. Wir wenden uns dem zu, was uns interessiert und in dieser Zuwendung verändert sich der Zustand unseres Bewusstseins. In einem weiteren Sinne werden Werte entdeckt, wenn wir ausserhalb der Daten unmittelbarer Sinneserfahrung bleiben und die ganze Szene im Gegenlicht vergangener und zukünftiger Ereignisse überblicken. Im allerhöchsten Sinne wird Wert als sub specie aeternitatis, unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit erfahren. Auf einer solchen Bewusstseinsstufe gibt es keine Trennung von Wissen, Urteil und Entscheidung und deshalb entspricht sie der Erlangung objektiver Vernunft. Unser gewöhnliches Bewusstsein kann Faktum und Wert lediglich im Maße seiner beschränkten Fähigkeiten auseinanderhalten; es sieht nur die phänomenale Welt und auch diese nur unvollständig. Ganzheit ist relativ. In unseren begrenzten Erfahrungen finden wir niemals Ganzheiten, die perfekt integriert sind. Ganzheiten sind auch Strukturen und wir finden sie niemals vollständig vor. Aufgrund von Imperfektion und Unvollständigkeit herrscht immer auch ein Element der Fassungslosigkeit in unseren Versuchen, aus der Welt um uns herum Sinn zu machen. Diese Fassungslosigkeit wird zu Ehrfurcht und Bewunderung, wenn wir jenseits der unmittelbaren Verwirrung die Umrisse des universalen Musters wahrnehmen. Die Fassungslosigkeit und die Ehrfurcht sind gleichermaßen gültige Elemente in unserer Erfahrung; sie sind wie die Pole eines Magnets, der uns auf das Verstehen ausrichten soll. Aus unserer Erfahrung von Chaos und Kosmos müssen wir die Instrumente formen, durch die wir uns selbst zu einer Perspektive der objektiven Vernunft erheben können. An solchen Methoden ist nichts verbindlich; für manche Vorhaben und unter manchen Bedingungen mag die eine Methode angemessener erscheinen als die andere. Es zeigt sich dann auch, dass jene Methoden, die für den Umgang mit Fakten brauchbar sind, insgesamt betrachtet für den Umgang mit Werteproblemen ungeeignet sind. Die Auswahl von Methoden kann manchmal subjektiv und sogar ziemlich zufällig sein, so dass was für den einen Menschen funktioniert für einen anderen nicht passend ist. Obwohl wir also Methoden beschreiben, die sich für unsere zukünftigen Nachforschungen als nützlich erweisen werden, sollten diese weder als umfassend noch als für alle Zwecke sinnvoll betrachtet werden.

3.6.5. DIE HOMOGENITÄT DES FAKTUMS ALS GRUNDSÄTZLICHES POSTULAT Unreflektierte Sinneserfahrung, die auf Ordnung reduziert wird, lässt nur sehr begrenzte Formen des Wissens zu. Die Möglichkeit eines Übergangs zu einem Wissen, das universal gültig und anwendbar ist hängt von der - reflexiven - Entdeckung der Kategorien ab. Unser Wissen um die Kategorien ist faktisch, aber auf eine sehr spezielle Weise, nämlich in Harmonie mit Wert und Bedeutung. Das Erreichen einer solchen Harmonie ist das Ziel der fortschreitenden Annäherung. Bereits in einer frühen Stufe dieser Arbeit kommen wir zu der Überzeugung, dass das Faktische System hat. Diese Überzeugung ermöglicht es uns, das grundsätzliche Postulat von der Homogenität des Faktums zu formulieren. Damit können wir eine solide Basis für unsere Überlegungen schaffen und das Faktische als einen zusammenhängenden Bereich betrachten, in dem jeder Teil mittels Operationen erreicht werden kann, wie wir sie bereits auszuführen gelernt haben. Es ist eine der grundsätzlichen Angaben der Naturphilosophie, die Implikationen dieses Postulats zu untersuchen und es auf die Erweiterung unseres Wissens jenseits der Begrenzungen unserer unmittelbaren Wahrnehmung anzuwenden. Dieses Vorhaben kann nicht alleine durch die Beachtung von Fakten durchgeführt werden, denn es erfordert eine ständige Einbeziehung von Bedeutung,

um aus den endlosen Manifestationen der Erfahrung jene Phänomene auszuwählen, die unser Wissen am ehesten bereichern können. Der Fortschritt der Wissenschaft besteht darin, bessere Mittel zu finden, um von Phänomenen zu Tatsachen zu gelangen. Diese Verbesserungen sind manchmal trügerisch; denn Phänomene gehen mit Daten schwanger - durch eine gute Hypothese in Bewegung versetzt - die geordnet und kontrolliert werden müssen. So ist die Formulierung einer wissenschaftlichen Theorie mit der Öffnung einer überfüllten Schafhürde vergleichbar. Zuerst wagen sich zwei mutige Mutterschafe zögernd heraus; andere folgen und am Ende wird der Exodus zu einem Gedränge und der Schäfer und sein Hund müssen die Herde kontrollieren. Die Versuchung, faktisches Wissen zu vervielfältigen, wird durch das Ziel verstärkt, `praktische Ergebnisse´ zu erzielen. Wir bemerken nicht, dass faktisches Wissen unser Verständnis der Phänomene nicht vertieft sondern lediglich dazu dient, unsere Anpassungsleistung an die Welt, in der wir leben zu erhöhen. Diese Anpassungsleitung nenne wir gerne `Beherrschung der Natur´und bemerken nicht, dass sie gleichermaßen als `Herrschaft der Natur´ beschreiben werden kann. Wissen setzt uns in Bewegung, aber es macht uns nicht frei. Die mit dem Wechsel von Phänomenen zu Tatsachen verbundenen Probleme sind der Gegenstand der Naturphilosophie, deren Aufgabe darin besteht, sicherzustellen, dass wir die Wichtigkeit des Übergangs von Erfahrung zu Wissen erkennen. Auch mit der Vereinfachung, die wir erreichen, wenn wir unsere Aufmerksamkeit den Erfahrungen des gewöhnlichen Bewusstseins widmen, wird die Aufgabe, die Daten der Naturwissenschaft in ein einzelnes Schema zu fassen von Jahr zu Jahr schwieriger. Es gibt eine enorme, ständige Zunahme der Menge an Informationen, die unser faktisches Wissen konstituieren. Dies ist zum Teil der systematischen Erfassung von Sinneserfahrungen geschuldet und zum Teil dem Gebrauch von so etwas wie einem Apparat, der dazu dient, Beobachtungen weit über das hinaus auszudehnen, was die menschlichen Sinnesorgane unmittelbar zur Verfügung stellen. Und wirklich sind Quantität und Bandbreite der entdeckten Fakten so groß, dass im gegenwärtigen Jahrhundert kaum ein Versuch unternommen wurde, aus ihnen eine einfache Struktur zu konstruieren, die man als `Wissen von der phänomenalen Welt´ bezeichnen könnte. Vor dem Hintergrund dieses Versäumnisses wurde Ordnung innerhalb verschiedener begrenzter Felder gesucht. Diese Prozedur funktioniert insofern bemerkenswert gut, als wir uns mit Spezialisierungen zufrieden geben, aber sie tendiert dazu, unsere Aufmerksamkeit von Phänomenen abzulenken und uns glauben zu machen, dass Fakten in unserer Erfahrung irgendwie direkt gegeben seien. Jede Andeutung bezüglich des Vorhandenseins einer singulären Struktur, in der alles Wissen seinen Platz finden könnte, erweckt das Misstrauen der Wissenschaft, die sich noch zu gut an das Versagen der `System-Erbauer´ der vergangenen zwei Jahrhunderte erinnert, an die Diskreditierung der spekulativen Philosophie und sich auf die beherrschende Position besinnt, die die kritische Analyse neuerdings einnimmt - alles Situationen, die hauptsächlich auf eine fast unbemerkt eingeführte Begrenzung im Übergang von Phänomenen zu Fakten zurückzuführen sind. Diese Begrenzung besteht in der Annahme, dass Ursache und Zweck irgendwie in unserer Sinneserfahrung entdeckt werden könnten. Fakten werden üblicherweise in Begriffen von zeitlichen Prozessen beschrieben und diese Beschreibungen können es schwerlich vermeiden, eine Sprache von Ursache und Zweck zu benutzen. Und wirklich sind diese Vorstellungen so tief in unsere gewöhnliche Sprache eingebettet, dass es schwierig ist, uns auszudrücken oder auch nur zu denken, ohne auf sie zurückzugreifen Im zwanzigsten Jahrhundert haben die Naturwissenschaften - durch das bloße Momentum ihrer Entdeckungen - den Glauben an vieles geschwächt, das vorher als solide gesicherte Wahrheit galt. Neue Entdeckungen haben zwei Linien philosophischer Forschung eröffnet. Eine folgt der alten Methode der spezialisierten Hypothese, die es ermöglicht, Phänomene zu beschreiben und als Fakten zu behandeln und diese umgekehrt zum Zwecke

technologischen Fortschritts zu nutzen; die andere erforscht das ungewisse Niemandsland, das zwischen Phänomenen und Fakten liegt. Letztere ist vermintes Gelände für jene Theoretiker, die glauben, dass man ausschließlich durch die Methoden der Beobachtung und Analyse auf der sicheren Seite bleiben könne. Der experimentelle Forscher muss jedoch in der Gefahrenzone bleiben; denn es ist dort, wo sich die Phänomene selber enthüllen. So entsteht das wiederkehrende Missverständnis zwischen theoretischen und experimentellen Wissenschaftlern, obwohl es in einigen Wissenschaftsbereichen bereits für notwendig erachtet wird, neue Fakten zuzulassen, die den alten Regeln der Logik nicht entsprechen und noch nicht einmal angemessen in Worte gefasst werden können. In der Vergangenheit haben Wissenschaftler - als Konsequenz der unkritischen Übernahme gewisser lose formulierter Annahmen - die Gewohnheit entwickelt, die Entdeckung spezieller Regularien in einem begrenzten Feld für irgendwie bedeutsamer und respektabler zu halten als die Anerkennung allgemeiner Prinzipien - die sie als `metaphysisch´ abtun - und der sie die direkte Beachtung von dem vorzuziehen, was sie als `Verallgemeinerungen´ aus Beobachtung und Experiment bezeichnen. Da Verallgemeinerung in jeder Form bedeutet, jenseits der unmittelbaren Erfahrung zu gehen, kann die Legitimität eines solchen Vorgehens nur als selbstverständlich betrachtet werden. Erst kürzlich haben Wissenschaftler jedoch erkannt, dass eine unkritische Haltung allgemeinen Prinzipien gegenüber nicht nur schlechte Philosophie, sondern auch schlechte Wissenschaft ist. Sie haben begriffen, dass sich viele universelle Prinzipien, denen früher universelle Gültigkeit zugesprochen wurde, mittlerweile als unvereinbar mit beobachteten Fakten erwiesen haben. So haben beispielsweise die Wissenschaftler des 19.Jahrhunderts das Prinzip der Kontinuität in keiner Weise in Frage gestellt - natura in operationibus suis non facit saltum97 - das durch die Arbeiten von Joule und Kelvin für immer experimentell bewiesen schien. Der vielleicht größte Schock für die Selbstgefälligkeit der Physiker ereignete sich, als Planck zeigte, das es im atomaren Maßstab Diskontinuitäten gibt - Natur vollzieht sich in der Tat in Sprüngen. Das Prinzip der Gleichförmigkeit - das im 19. Jahrhundert als ebenso unumstösslich galt - führte zu der fruchtlosen Unternehmung, alle Phänomene, jene des Lebens und des Bewusstseins eingeschlossen, als mechanistisch zu erklären, ein Vorhaben, dessen mittlerweile sowohl Physiker als auch Biologen überdrüssig geworden sind.98

3.6.6. DAS POSTULAT UNIVERSALER ÄHNLICHKEIT Dem Prinzip der Struktur entsprechend liegt der gesamten Vielfalt an Phänomenen ein einzelnes Muster zugrunde. Wir können dieses Prinzip weder verstehen noch seine Bedeutung zur Gänze erfassen. Indem wir uns an die Methode der fortschreitenden Annäherung halten, können wir es jedoch riskieren, ein auf dieser Vorstellung basierendes Postulat zu formulieren, selbst bevor wir sie verstehen oder anwenden können, weil wir eine Intuition ihrer Wahrheit besitzen, die tiefer reicht als die Widersprüche unserer mehr oberflächlichen Wahrnehmung der Phänomene. Dies können wir als Postulat der universalen Ähnlichkeit bezeichnen. Wir können das Postulat praktischerweise als Regel nutzen, die auf die Reduktion von Phänomenen zu Fakten anwendbar ist. Es entspricht diesem Postulat, wenn wir die Vermutung aufstellen, dass die Entsprechungen, die wir bemerken, alle partielle Manifestationen eines universalen Musters darstellen. Wir müssen deshalb versuchen, tiefer einzudringen, als es für die Entdeckung und Klärung von 97

Johann Amos Comenius (1592-1671): Die Natur macht in ihren Abläufen keinen

Sprung. (Anm. d. Übers.)

98 Siehe The International Encyclopedia of Unifies Science (1938) Einheitliche Wissenschaft ,so wie sie von Neurath und

anderen vertreten wird, möchte alle Erklärungen auf eine einzige Existenzebene reduzieren. Margenau bemerkt dazu: „Die Vertreter der einheitlichen Wissenschaftsbewegung stellen Wissenschaft üblicherweise als Oberfläche dar, als eine zweidimensionale Struktur. Sie bezeichnen es gerne als Mosaik, als Puzzle, in das die fehlenden Teile geschickt eingefügt werden müssen.“ Er kommentiert sehr zutreffend: „Es wird niemals ausreichen, Wissenschaft als zweidimensionale Struktur darzustellen; indem wir ihre Tiefe ignorieren, verfälschen wir ihre Natur.“

Universalien notwendig ist. Und wir erkennen dann bald, dass unterschiedsloses Wissen, wie es in den allgemeinen Sprachformen ausgedrückt wird, immer eine universale Ähnlichkeit impliziert, auch wenn das üblicherweise nicht so wahrgenommen wird. Die Naturwissenschaften müssen grundsätzliche, dass heisst metaphysische Vermutungen über ihren Gegenstand aufstellen, aber sie versuchen diese Vermutungen zu rechtfertigen, indem sie an die Erfahrung appellieren. Es bleibt jedoch wahr, dass uns die Sinneserfahrung nicht einfach von der Gleichförmigkeit und Universalität der Phänomene überzeugt. Ganz im Gegenteil, was wir erleben, ist ein heterogener und diskontinuierlicher Strom an Eindrücken. Ebenso finden wir in unserer inneren Welt einen gleichermaßen heterogenen und nicht weniger diskontinuierlichen Strom an automatischen Assoziationen vor. Wir sind durch lange Gewohnheit darauf eingestellt, unsere Sinneseindrücke als materielle Objekte mit ihrem Verhalten zu behandeln und unsere Assoziationen als Gedanken und Denkvorgänge. Aber hinter diesen Interpretationen liegt eine Vermutung bezüglich der Struktur des einen wie des anderen, die einen Glaubensakt voraussetzt. Wir glauben, dass die Natur uns keine Streiche spielt und auch, dass unsere automatischen Assoziationen zum größten Teil auf unsere Sinneseindrücke bezogen sind. Ebenso müssen wir vermuten, dass die Erinnerung mehr oder weniger verlässlich ist. Indem wir solche Einschätzungen unkritisch übernehmen, übersehen wir leicht die Unordnung und Komplexität unserer unmittelbaren Erfahrung.99 Trotzdem lagen die Wissenschaftler der 18. und 19. Jahrhunderts mit den Prozeduren, denen sie folgten, nicht vollkommen falsch. Ihr Irrtum bestand im fehlgeleiteten Glauben an die Angemessenheit ihrer Methoden und die Letztgültigkeit ihrer Argumente. Die Suche nach universalen Gesetzen basierte auf der Annahme, dass sich diese als einfach und als in Begriffen des menschlichen Wissens formulierbar erweisen würden. Newtons Bewegungsgesetze wurden als Vorgeschmack auf noch einfachere und weitreichendere Gesetze betrachtet. Es gab in diesen Jahrhunderten eine seltsame Missachtung dem Phänomen der Kontingenz gegenüber und eine standhafte Weigerung, Ungewissheit als faktisches Element zu akzeptieren. Der Umstand, dass die Wissenschaften auch ungeachtet dieser Weigerung große Fortschritte erzielt haben, beruht auf einem unbewussten Vertrauen in die Regel der universellen Ähnlichkeit. Der Lehrsatz von Lord Kelvin dass Messungen die einzige Quelle verlässlichen Wissens seien, kann nicht kritiklos hingenommen werden, aber er hat trotzdem eine solide Grundlage im Prinzip der universellen Ähnlichkeit. Wenn wir die Vermutung anstellen, dass ein Messstab derselbe bleibt, egal ob wir ihn benutzen, um eine Wand oder eine Länge Tuch zu messen, rufen wir dieses Prinzip auf. Und in der Tat entbehrt die wissenschaftliche Induktion100 der Grundlage, abgesehen von unserer Erfahrung, dass ähnliche Situationen sich wiederholen. Diese Beispiele genügen, um zu zeigen, wie weit die Eigenschaft der universalen Ähnlichkeit ihr Netz spannt und wie sie dazu dienen kann, viele solcher Annahmen zu verknüpfen, ohne die die Naturwissenschaften nicht funktionieren würden. Angewandt mit der gebotenen Sorgfalt - mit Achtung vor dem, was wir in unserer Erfahrung vorfinden - können das Postulat der Homogenität des Faktums und die Regel der universellen Ähnlichkeit eine solide Basis für die Vereinheitlichung der Wissenschaften bieten. Es ist zunehmend offensichtlich geworden, dass Beobachtung nicht vom Beobachter getrennt werden kann. Diese Erkenntnis resultierte in einer Wiederkehr des 99 Siehe H.H. Price, The Symposium of the Aristotelian Society on the Causal Argument for Physical Objects (1945), p. 92.

Price kritisiert den Appell an die unmittelbare Erfahrung den er als `Sensibilismus´ bezeichnet und sagt: „Ich denke, er (Dr. Ewing) unterschätzt die Komplexität und Unaufgeräumtheit der sensibilistischen Welten“ und fügt hinzu, „Umso komplexer die Natur, umso lieber ist sie mir.“ 100 Ableitung einer allgemeinen Regel aus einzelnen Fällen (Anm. d. Übers.)

Phänomenalismus in Opposition zum Objektivismus in der Wissenschaft. Aber die wahre Bedeutung dieser veränderten Haltung wurde bis jetzt noch nicht allgemein verstanden. Wir greifen auf den Phänomenalismus zurück, weil wir erkennen, dass wir nicht in der Lage sind, die Elemente des Seins und des Willens zu ignorieren, die in jedem Moment der Erfahrung vorhanden sind und dass diese Entdeckung die Richtung weist, in der die Vereinheitlichung der Wissenschaften zu suchen ist. Es ist offensichtlich, dass wir, soweit es um aufmerksame Beobachtung geht, die Rolle, die das Bewusstsein bei der Wahrnehmung spielt, mit einbeziehen müssen. Der Unterschied zwischen einem Wissenschaftler und dem anderen liegt größtenteils in der Fähigkeit, die Phänomene zu `sehen´, die sie beobachten. Phänomene sind haben keine Geschichte; sie sind für die Erfahrung da und sind es immer gewesen. Fakten sind haben Geschichte; sie bilden das gesammelte Ergebnis der menschlichen Reduktion von Phänomenen auf den Status des Wissens. Jeder bedeutende Schritt in der Geschichte des Faktums erfolgt durch das Erkennen eines Widerspruchs. Der mittelmäßige Wissenschaftler sieht lediglich immer dieselben Fakten, denn er ist an diese Beschränkung durch sein Wissen darüber gebunden, was das Experiment, das er durchführt, ergeben sollte und dies macht ihn blind dafür, was tatsächlich vorhanden ist. Der geniale Wissenschaftler sieht das, was den vorhandenen Tatsachen widerspricht, da heisst, das Phänomen selber. Dies ist jedoch nicht alles, worauf es bei der direkten Wahrnehmung von Phänomenen ankommt; auch die Form des im Beobachter anwesenden Willens muss berücksichtigt werden. Die Erfahrung lehrt uns, dass zwei Wissenschaftler in derselben Situation nicht nur verschiedene und scheinbar widersprüchliche Faktoren erkennen, sondern basierend auf diesen gegensätzlichen Sichtweisen auch verschiedene Versuche durchführen mögen, um hinter das Phänomen blicken zu können. Die Größe des Wissenschaftlers bemisst sich nicht im Wissen um die Fakten, sondern im Willen, sie zu verändern Dies ist wahres Experimentieren und es wird sehr selten erreicht. Auch der geniale Wissenschaftler wählt seine Experimente jedoch aus `wie er muss´, dass heisst entsprechend der Form des Willens, die in ihm anwesend ist und die er selbst nicht verändern kann. Er wird bewusst oder unbewusst immer durch sein Gefühl für universale Ähnlichkeit geleitet.

3.6.7. DAS POSTULAT DER EXISTENTIALEN SCHICHTUNG Im Verlauf der Reduktion von Phänomenen zu Fakten eine Wahl treffen zu müssen wäre ein unlösbares Problem, wenn wir nicht über Mittel verfügen würden, um Klassen von Phänomenen zu unterscheiden, die derselben existentialen Abstufung oder Ebene zugeordnet werden können.101 Das Postulat der existentialen Schichtung bietet ein solches Mittel. Durch das Prinzip, dass Ganzheit eine einwertige Eigenschaft ist, kann alle Existenz in Schichten geteilt werden, die zwischen den verschiedenen Intensitätsebenen des inneren Zusammenhalts liegen und jeder Schicht mag ein numerischer Wert zugeordnet werden, der sich auf einen einzigen Maßstab

101 Die Doktrin von Existenzebenen ist Teil des europäischen Denkens, seit Aristoteles die erste Skala des Seins konstruiert

hat. MacTaggart verdeutlichte die Idee in The Nature of Existence. Er schrieb: „Wenn es zwei Arten des Denkens gibt, von denen die eine höher und umfassender ist als die andere, wird es für die niedrigere und engere Art naturgegeben unmöglich sein, sich dessen bewusst zu sein, dass die Höhere gültig ist. Aufgrund des einfachen Umstands, dass der höheren Art Denkformen zu eigen sind, die von der niedrigeren nicht akzeptiert werden, muss sie der Letzteren als ungültig erscheinen, die zur Akzeptanz nur durch externen und indirekten Wahrheitsbeweis gezwungen werden kann.“ Auch Needham hat sich für die Idee von Organisationsebenen eingesetzt. (Siehe Time the Refreshing River). Der entscheidende Punkt in all jenen Konzepten besteht darin, dass in einer Serie von Existentialien eine Ordnung erkannt werden kann, die sich von einem geringeren zu einem größeren Maß an Integration erstreckt.

bezieht - nämlich auf die universale Größenordnung des Seins.102 Dieses Prinzip alleine würde nicht ausreichen, um uns die Entscheidung zu ermöglichen, ob eine gegebene Entität der einen oder anderen Schicht zugeordnet werden sollte, wenn es nicht auch ein Prinzip der Trennung gäbe, das sich aus dem der Polarität ergibt. Darüber hinaus müssen die Schichten aufeinander bezogen sein, da wir anderenfalls Existenz als eine Serie geschlossener und deshalb unbegreiflicher Systeme betrachten müssten. Die existentiale Schichtung hat jedoch die besondere Eigenschaft, dass jede Schicht, obwohl getrennt von den anderen nur relativ getrennt ist. Die Geschlossenheit der Schicht kann als statistische Unzugänglichkeit bezeichnet werden - statistisch in dem Sinne, dass es nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit gibt, dass eine Entität, die auf einer Ebene existiert und dort verbleibt, in die Existenz auf einer anderen Ebene übertragen wird. Diese Situation kann in einem Zusatz zum unserem Postulat ausgedrückt werden, wonach jede kosmische Schicht für alle anderen Schichten statistisch unzugänglich ist.103 Die existentiale Schichtung ermöglicht das Studium von Phänomenen hinsichtlich bestimmter Formen der Ordnung, ohne die allgemeine Unordnung oder die Anwesenheit anderer Ordnungsformen berücksichtigen zu müssen. Auf diese Weise entstehen die verschiedenen Wissenschaftsbereiche, von denen jeder seinen Gegenstand in einer bestimmten existentialen Schicht vorfindet. Bislang haben die Naturwissenschaften sich nicht sehr ernsthaft mit den Problemen befasst, die sich aus den Beziehungen zwischen verschiedenen Schichten ergeben, sondern ihre Bemühungen darauf beschränkt, die tatsächlichen Gesetze zu erklären, die auf jeder Ebene gelten.104 Die Gesetze, welche die Beziehung zwischen Schichten regieren, sind nicht gänzlich faktual, sondern beinhalten Beziehungen zwischen Werten. Durch die Methode der fortschreitenden Annäherung wird es jedoch möglich, zunächst einen allgemeinen Maßstab zu schaffen und dann später die Beziehungen zwischen den Ebenen zu klären. Eine solche Klärung ist dann hauptsächlich mit Bedeutungen befasst und reicht deshalb über die klar umrissene Aufgabe hinaus, Phänomene auf Fakten zu reduzieren.

3.6.8. DAS POSTULAT DER KOMPLEMENTARITÄT Die Verbindung zwischen den mit geraden und ungeraden Zahlen bezeichneten Prinzipien zeigt uns, dass keine der beiden Serien ohne Bezug auf die jeweils andere verstanden

102 Das Konzept einer Skala des Seins kann bis zur chaldäischen Kosmologie zurück verfolgt werden, und es gelangte von

dort durch Anaximander und Anaxagoras in den Westen. Seine Geschichte erstreckt sich über Plato, Aristoteles und Alberts Magnus bis zu Lamarch und Geoffrey. Obwohl es nun in Verruf geraten ist, wurde es durch Bergson, Alexander und Lloyd Morgan in neuer Form belebt. Für eine sehr gute Zusammenfassung siehe E.S. Russell, Form and Function (London, 1916). Siehe auch Gurdjieff, All and Everything, p. 757. 103 Siehe J.W. Gibbs, Elementary Principles in Statistical Mathematica. `Statistische Unzugänglichkeit´ ist ein Konzept das

Gibbs Behandlung der Energieverteilung in Systemen entliehen wurde, die über eine große Anzahl von Komponenten verfügen. Die anerkannte Verteilung C = A0 - E/0 erscheint, wenn verschiedene Ebenen, aber nur in sehr geringem Umfang, interagieren. 104 Siehe J. Needham, loc. cit., Lecture XX, vi. `Levels of Organisation´: „ Was jedoch noch nicht geschehen ist, ist die Art und

Weise zu klären, auf die jede der neuen großen Organisationsebenen entstanden ist. Man muss sich immer daran erinnern, dass wir, obwohl wir die auf einer gegebenen hohen Organisationsebene geltenden Gesetze ziemlich vollständig erfassen können, doch niemals erwarten dürfen zu verstehen, wie sie sich in das Gesamtbild der natürlichen Ordnung fügen, dass heisst, wir sie sich mit den nächsthöheren und niedrigeren Ebenen verbinden.“ Kastler zitiert dieses Abschnitt, wenn er behauptet, Needham schreibe mit „unbewusster Ironie“, denn das, was nicht erfolgt wäre, sei doch das primäre Ziel wissenschaftlicher Erklärung. Beide liegen insofern falsch, als dass legitime Abstraktion zwar die Grundlage der Naturwissenschaft bildet, aber Naturwissenschaft selbst lediglich eine abstrakte Disziplin bildet und ihre scheinbare Konkretheit fiktiv ist.


werden kann.105 Wir haben das beispielhaft gesehen, wenn sowohl Ganzheit als auch Polarität in Rechnung gebracht werden müssen um das Postulat der existentialen Schichtung formulieren zu können. Universelle Ähnlichkeit kann im Prinzip der Struktur erkannt, aber auch andere Prinzipien müssen berücksichtigt werden. Die alte Aussage von Demokrit, „Der Weg hinauf ist der Weg hinab“ kann als Postulat der Komplementarität neu formuliert werden, nach dem es in allen Dingen notwendig ist, gegensätzliche Sichtweisen zu konfrontieren, um zu Bedeutungen zu gelangen. Wir haben dies bereits in der Beziehung von Fakt und Wert gesehen, und es erscheint im Bereich der Fakten in der Gegensätzlichkeit der dynamischen und statischen Aspekte der Erfahrung, wie sie in den geraden und ungeraden Kategorien formuliert werden. Es ist eine sehr schwierige, aber zur selben Zeit notwendige Disziplin, jede Situation gleichzeitig als Bejahung und Verneinung, jede Bewegung sowohl als Aufstieg als auch als Fall und jeden Prozess sowohl als Konzentration als auch als Ausdehnung aufzufassen. Es ist dieser letztere Gegensatz, der hier unsere besondere Aufmerksamkeit erfordert und wir können ihn am besten in Bezug zum Prinzip der Struktur betrachten. Strukturen treten auf verschiedene Weise in unsere Erfahrung ein, entsprechend der Perspektive von Raum und Zeit. Eine Struktur im Raum - so wie ein ausgewachsener Baum - wird als eine Ganzheit wahrgenommen und sein Muster besteht im Arrangement und der Verbindung der verschiedenen Teile: Wurzeln, Stamm, Äste, Blätter usw. Ein Ereignis - so wie das Wachstum von der Eichel zur Eiche - wird als fortschreitend in der Zeit wahrgenommen und wir müssen über die unmittelbare Sinneserfahrung hinausgehen, um das Ereignis als eine Einheit wahrzunehmen. Es gibt auch vereinheitlichte Strukturen, die nicht in Zeit und Raum erfahren werden, so wie zum Beispiel ein System der Klassifikation oder Organisation. Die Periodentafel der Elemente und die diatonische Tonleiter sind Beispiele vereinheitlichter Strukturen, die weder von irgendeiner Anordnung im Raum noch von einer zeitlichen Aufeinanderfolge abhängen. Auch gibt es Strukturen, die wir zwar erfahren, aber die wir weder auf Raum und Zeit beziehen noch in irgendein abstraktes Schema bringen können. Die essentielle Natur des Menschen mir ihren inhärenten Potentialen ist eine solche ewige Struktur. Struktur ist in der Tat so fundamental, dass sie in unserer Erfahrung selbst der Raumzeit vorausgeht. Diese Erkenntnis ist notwendig, wenn wir nicht durch die großen Unterschiede in die Irre geführt werden wollen, die in Strukturen sichtbar sind, wenn sie aus der Perspektive zeitlicher Aktualisierung betrachtet werden. Ereignisse in der Zeit haben verschiedene erkennbare Eigenschaften. So sind es zum Beispiel konservative Ereignisse, so wie die Haltbarkeit eines materiellen Objekt oder zyklische Ereignisse, so wie das Schwingen eines Pendels. Es gibt Bewegungen der Ausdehnung, so wie das Wachstum einer Eichel zu einem Baum und es gibt Bewegungen der Konzentration so wie die Windungen einer Feder. In jedem dieser Beispiele wird dasselbe fundamentale Prinzip der Struktur veranschaulicht, aber auf verschiedene Weise. Die Bewegungen von Ausdehnung und Konzentration erfordern aufgrund ihrer Bedeutung für jegliches Verstehen der Komplementarität besondere Aufmerksamkeit. Konzentration ist ein Prozess, durch den ein gegebenes Ganzes einen höheren Energiezustand wählt und niedrigere Zustände zurückweist. Es ist das essentielle Muster des Lebens selbst, aber es ist auch überall da anwesend, wo sich potentielle Energie in organischer oder anorganischer Materie aufbaut. Wenn wir zum Beispiel der Eichel zurückkehren, die zu einem Baum heranwächst, können wir erkennen, dass der Bewegung der Ausdehnung eine Bewegung der Konzentration voranging, durch welche die genetischen Faktoren der Eltern im Samen gespeichert wurden. In diesem Prozess liegt der Unterschied zwischen Potentialität und Aktualität. Was aktual und wahrnehmbar geworden ist, hat dementsprechend seine verborgenen potentiellen

105 Siehe Abschnitt 1.2.2.

Möglichkeiten erschöpft. Ausdehnung ist deshalb eine Bewegung vom Unsichtbaren zum Sichtbaren, während Konzentration eine Rückkehr zu den verborgenen Potentialitäten bildet, die umkorrumpiert in der ewigen Quelle schlummern. Ein einfaches Beispiel dieses Wechsels von unsichtbarem Potential zu sichtbarer Aktualisierung und umgekehrt besteht im Schwingen eines Pendels. In Begriffen der Bobachtbarkeit formuliert können wir sagen, dass alle Energie im Moment der maximalen Geschwindigkeit am unteren Ende seines Schwungs beobachtbar ist, also im Zustand der sichtbaren Energie. Im Moment der Ruhe an der Spitze seines Schwungs gibt es keine sichtbare Bewegung, kein durch die Kraft der Einwirkung auf einen anderen Körper messbares Momentum - die Energie ist unsichtbar, nur latent vorhanden aber wirkmächtig. Wenn der Prozess zyklisch ist, besteht das reine Ergebnis darin, dass die Dinge bleiben, wie sie sind. Zyklizität alleine enthüllt jedoch nicht die volle Bedeutung des Wechselspiels von Konzentration und Ausdehnung. Wir müssen deshalb nach Situationen suchen, in denen die beiden Bewegungen getrennt werden können. Diese Trennung kann im Aufbau eines Potentials betrachtet werden, wie etwa in einer Handlung, wenn ein Findling auf die Spitze eines Hügels gehievt wird. Das in dem Findling aufgebaute oder konzentrierte Potential kann unendlich lange gespeichert werden, bis er sich aufgrund einer äusseren Einwirkung löst und hinunterrollt. In diesem Falle werden die beiden Prozesse der Konzentration und Expansion zeitlich voneinander getrennt. Es gibt keine zyklische Erneuerung wie bei demPendel, denn alle Bewegungsenergie hat sich in der Reibung erschöpft und in Vibrationen von Hitze und Klang aufgelöst. Das Hinausrollen des Findlings auf den Hügel ist ein Ereignis mit seiner eigenen Struktur in der Zeit. Dieselbe Struktur wird in umgekehrter Richtung reproduziert, wenn der Findling rollt, aber mit dem wesentlichen Unterschied, dass der zweite Prozess lediglich begonnen werden muss und sich danach durch den Schwung vollzieht, während der erste nur andauert, solange harte und unaufhörliche Arbeit investiert wird. Dies kann ausgedrückt werden, wenn wir sagen, dass der Aufwärtsprozess umkehrbar aber der Abwärtsprozess unumkehrbar ist. Auf den ersten Blick scheint sich nicht jeder Prozess der Konzentration aus einem Muster `harter, unermüdlicher Arbeit´ zu ergeben. Bei näherer Betrachtung können wir jedoch erkennen, dass Konzentration immer auf Kosten der Umwelt verwirklicht wird. Wenn die Eiche einen Samen produziert, sondern sich biochemische Komplexe hoher Potenz aus dem Pflanzenhaft und dem umliegenden Gewebe ab und diese wiederum sind auf die Gewinnung von Nahrung aus Luft, Wasser und Erde angewiesen.106 Im Prozess der Ausdehnung überwiegen kausale und statistische Gesetze. DasSystem bewegt sich in Richtung seines wahrscheinlichsten - dass heisst bestimmtesten und deshalb stabilsten - Zustands. In diesem statischen Zustand hat es das kleinste Potential und deshalb die geringste Möglichkeit irgendeine höhere Form von Ordnung zuzulassen. Konzentration auf der anderen Seite ist eine Bewegung hin zu einem unwahrscheinlichen Zustand - der deshalb ein hohes Potential besitzt - in dem ein unvorhersehbares Element in die Situation eintritt. Konzentration ist potent, weil sie gegen den Strom der Expansion oder der Wahrscheinlichkeit tendiert und so `irgendwohin kommen´ kann. Entsprechend des Komplementaritätsprinzips kann es keine unausgeglichenen kosmischen Dyaden - dass heisst Gegensatzpaare mit universalem Charakter - geben. Expansion und Konzentration sind ein typisches Paar, das nur verstanden werden kann, wenn seine beiden 106 Viele Autoren haben die Beziehung zwischen dem Leben und dem zweiten Gesetz der Thermodynamik diskutiert.

Schrödinger beschrieb in seinem Buch `Was ist Leben?´ wie der lebendige Organismus „negative Entropie aus seiner Umgebung saugt“. Professor Luigi Fantappie unterscheidet in seinem Werk `Prinzipien einer einheitlichen biologischen und physikalischen Welttheorie´ (Rom, 1945) zwischen syntropischen und entropischen Prozessen und versucht zu zeigen, dass sie sowohl im Lebendigen als auch im Nicht-Lebendigen gefunden werden können. Er erkennt, dass die zwei Prozesse nicht immer aufeinander folgen und Zyklen analog zur Bewegung des Pendels produzieren, sondern dass jeder der beiden Prozesse zu Ende gehen kann, ohne dass der jeweils andere beginnen müsste.

Aspekte in allen Prozessen balanciert werden. Die besondere Eigenschaft der Komplementarität besteht darin, dass sie weder als Prozess beobachtbar noch als Potentialität unbeobachtbar ist. Dyaden wie der Teilchen- und Wellen-Dualismus von Protonen und Elektronen illustrieren diese Besonderheit. Komplementarität ist die Quelle des Zusammenhalts, in welchem die Balance der Existenz erhalten wird. Um diese Eigenschaft auszudrücken werden wir den Begriff `Hyparxis´ verwenden, der üblicherweise übersetzt wird als `Dasein´ oder `Existenz´, der aber in seiner ursprünglichen Bedeutung die `Fähigkeit-zu-sein´ bezeichnet.107

3.6.9. DAS POSTULAT DER UNIVERSELLEN GÜLTIGKEIT VON RAHMENGESETZEN108 Das übergeordnete Ziel des Naturphilosophen besteht im Tatsachenwissen, aber sein letztliches Anliegen muss im Verstehen von Bedeutungen liegen. Um aber Bedeutungen wahrzunehmen und zu kommunizieren ist es notwendig, auf eine Weise zu verallgemeinern, die für die Sicherstellung von Tatsachen unangebracht ist. Um zu verallgemeinern müssen wir verschiedene Regeln anwenden, mit denen wir uns vom Bekannten zum Unbekannten bewegen können. Wenn solche Regeln wirksam sein sollen, müssen sie universelle Gültigkeit besitzen. Solche Regeln können insgesamt als Rahmengesetze bezeichnet werden, und sie müssen vor allem mit dem Begriff des Willens verbunden sein, da sie der Ermittlung und Kommunikation von Bedeutungen dienen. Obwohl Wille nicht gekannt werden kann, tritt er in jedes Phänomen ein, in Form von Gesetzen, die über dessen mögliche und unmögliche Aktualisationen entscheiden. Phänomene entsprechen jenen Seinsebenen, auf denen es nur ein geringes Maß an Unabhängigkeit von der Umwelt gibt. Konsequenterweise beziehen sich die Gesetze, durch die sie regiert werden, zum größten Teil nicht auf individuelles Verhalten, sondern auf Regelmäßigkeiten, wie sie in großen Mengen oder zyklischen Situationen beobachtet werden können und die zusammengenommen die Naturgesetze konstituieren. Ebenso wie Funktion am einfachsten untersucht werden kann, wenn Seinsunterschiede so weit wie möglich ausgeschlossen werden, so können wir Ordnungen des Willens am besten entdecken, wenn wir auf der niedrigen Ebene des Seins beginnen, wo der innere Zusammenhalt von Ganzheit keine oder nur eine geringe Rolle spielt. Auf diese Weise werden Gesetzmäßigkeiten gefunden, die unabhängig von Grad der Ganzheit sind und deshalb im gesamten Bereich der Fakten anwendbar sein müssen. Diese Gesetze unterscheiden sich von wissenschaftlichen Verallgemeinerungen durch ihren allgegenwärtigen Charakter, der durch das Postulat von der universellen Gültigkeit von Rahmengesetzen ausgedrückt werden kann. Der Rahmen bildet die Form, in der wir Phänomene erfahren. Phänomene sind räumlich angeordnet und folgen zeitlich aufeinander. Raum und Zeit sind Rahmeneigenschaften; sie sind weder Verhalten noch existent, bilden aber Regelmäßigkeiten, die nicht bloße Anordnung und Aufeinanderfolge darstellen. Die Zeit selber ist auch konservativ und unumkehrbar. Der Raum besitzt Eigenschaften der Größe und Richtung. Diese sind nicht die einzigen Arten von universeller Bestimmtheit, der alle Phänomene unterliegen. Welcher Art jedoch die Beschränkungen auch sein mögen, sie 107 Aristoteles führte den Begriff ὑ𝞹ά𝛠𝛘𝞮𝞲𝞶 ein, um die Macht zu existieren zu bezeichnen, als unterschieden von 𝞸ὐ𝞼ί𝞪, der

Existenz selber. Organon IV, 96a, 33, ἕ𝟆𝞪𝞼𝞽𝞸𝞶 𝞵έ𝞶 ἐ𝞹ὶ 𝞹𝞴έ𝞸𝞶 ὑ𝞹ά𝟈𝞷𝞮𝞲. Auch in der Metaphysik, siehe Edn. W. D. Ross (Oxford 1924), p. 215, 1040a, 9-15 wo klar wird, dass ὓ𝞹𝞪𝟈𝞷𝞲𝞻 für Aristoteles die Fähigkeit eines bestimmten Tieres bezeichnet, das ideale Dasein seiner Spezies zu verwirklichen. Die Neuplatoniker - insbesondere Proklus - scheinen den Begriff in Verbindung mit einer Bedeutung benutzt zu haben, die wir dem zwischenliegend bestimmenden Zustand zuschreiben möchten. Siehe Taylors Kommentare zu Proklus: „Alles besteht in seiner eigenen Ordnung der Hyparxis entsprechend.“ 108 Der von Bennett verwendete Begriff „framework law“ wäre eleganter als Strukturgesetz zu übersetzen. Da aber der Begriff

Struktur bereits zur Bezeichnung einer der 12 Kategorien verwendet wird, musste hier ein anderes Synonym genutzt werden. (Anm d. Übers.)

können alle entsprechend ihrer Eigenschaften in Klassen gruppiert werden; wenn sie aber auf solche Weise gruppiert werden, sehen wir, dass bestimmte Regeln beachtet werden müssen, wenn wir Aussagen machen wollen, die der Erfahrung entsprechen. Dies sind die Regeln der Logik, die ungeachtet der Arten von Ganzheiten gelten, auf die sie angewendet werden. Schließlich gibt es noch Regularien, die sich auf die Koexistenz von Potentialitäten beziehen, zum Beispiel, dass die höhere Potentialität die niedrigere bedingt aber nicht umgekehrt.109 Alle Regularien mit universellem Charakter die nicht von irgendeiner gegebenen Stufe von Ganzheit abhängen können als `rahmendeterminierende Bedingungen´ bezeichnet werden. Die Haupteigenschaft dieser Bedingungen besteht darin, dass die Erfahrung immer mit ihnen übereinstimmt - in jedem Falle auf der phänomenalen Ebene, die unserem gewöhnlichen Bewusstsein zugänglich ist. Rahmendeterminierende Bedingungen sind deshalb verschieden von wissenschaftlichen Verallgemeinerungen - die innerhalb einer gegebenen existentialen Schicht nur begrenzte Gültigkeit besitzen; sie entsprechen auch nicht den Regularien der Existenz - die lediglich die Gruppierung von Ganzheiten entsprechend der Intensität ihres inneren Zusammenhalts bilden. Die vier rahmendeterminierenden werden mit ihren hauptsächlichen Eigenschaften in folgender Tabelle aufgeführt:

Rahmendeterminierende Bedingung Ewigkeit Zeit Hyparxis Raum

Phänomenale Eigenschaft Potentialität und Intensität des Seins Aktualisation und Unumkehrbarkeit Fähigkeit-zu-sein und Zyklizität Gegenwärtigkeit und Koexistenz

Im Verlauf von tausenden von Jahren hat die Menschheit eine allgemeine Haltung gegenüber Phänomenen entwickelt, in denen die Unterscheidungen von Verhalten, Existenz und Rahmen implizit übernommen aber nicht explizit zu Kenntnis genommen werden. Wissenschaftliche Forschung und philosophische Kritik tun nicht mehr als eine gewisse Präzision in der alpgemeingültigen Interpretation von Erfahrung zu ermöglichen und manchmal wird diese Präzision auf Kosten der Anwendbarkeit erreicht. Wir sind dermaßen an die übliche Weltsicht gewöhnt, dass wir nicht sofort die Schritte erkennen können, die zu ihr geführt haben. Es mag uns deshalb helfen, wenn wir den Stufen auf eine Weise folgen, in der ein intelligenter Beobachter das Schachspiel lernen würde, ohne vorangehende Kenntnis des Spiels und ausschließlich durch das Studium der phänomenalen Regeln. Lassen Sie und annehmen,, dass ein sehr intelligenten Wesen, dass nichts über das menschliche Leben weiss, bemerkt, dass zwei Menschen häufig ein kariertes Brett zwischen sich stellen, mit zweiunddreissig schwarzen und zweiunddreissig weissen Rechtecken und einer Schachtel, die zweiunddreissig Stücke aus Holz enthält, zur einen Hälfte schwarz und zu anderen weiss gefärbt. Nachdem die Stücke auf dem Brett in einer bestimmten Weise angeordnet wurden, bewegen die Menschen diese in unregelmäßigen Intervallen von einem Rechteck in ein anderes. Wenn ein Beobachter nun eine ausreichend große Anzahl von Spielen beobachtet hat, mag er bezüglich der Bedeutung der Vorgänge bestimmte Schlussfolgerungen ziehen. Er findet bestimmte Regularien. Die erste findet er gleich zu Beginn, nämlich, dass die Ereignisse mit einem Brett mit vierundsechzig Rechtecken und Holzstücken in Verbindung stehen, die sich, obwohl unterschiedlich in Farbe, Größe und Form in sechs bestimmte Klassen unterteilen, erkennbar durch Ähnlichkeiten der Form und auch durch die Art, wie sie auf dem Brett platziert und bewegt werden. Der Beobachter ist sich der fundamentalen Eigenschaften aller Erfahrung bewusst - nämlich Ganzheit,

109 Siehe Mac Taggarts `A-B-C-D-Serie´ die in The Nature of Existence ausgearbeitet wurde.

Bezogenheit, Struktur, usw. Aus diesem Grunde wird ihn sein Studium der Phänomene in die Lage versetzen, weitere Regularien zu unterscheiden - denen, die im Verhalten der Schachspieler beobachtet werden können. Eines von ihnen ist die Abfolge der Ereignisse; die Spieler setzen sich, stellen die Figuren auf das Brett, entscheiden sich für eine Farbe, machen die Eröffnungszüge, bewegen sich durch das Mittelspiel und erreichen einen Endpunkt, wo ein Spieler schachmatt gesetzt wird oder seinen König umwirft. Es ist ein vollständiger Prozess, in dem das Prinzip der Struktur erkannt werden kann. Auch wenn der Zyklus oft nicht abgeschlossen werden kann, weil das Spiel unentschieden ist oder mit einem Patt endet, kann doch das zugrundeliegende Muster immer erkannt werden. Dies ist der sichtbare Aspekt des Prozesses, der erkannt und in Begriffen von funktionalen Regularien interpretiert werden kann. Die andere Form der Regelmäßigkeit ist als Prozess nicht sichtbar. Sie wird erst durch eine große Anzahl von Spielen erkannt. Die auf diese Weise entdeckten Gesetze des Schachs können vollständig festgestellt werden, aber der Beobachter - der über keine Möglichkeit zur Kommunikation mit den Spielern verfügt - kann niemals sicher sein, die Gesamtheit aller Gesetze erkannt zu haben. Er mag zum Beispiel tausende Spiele beobachten, ohne auf eine bestimmte Situation zu treffen, auf die eine bestimmte Regel zutrifft. Trotzdem, sobald er die Natur eines Spiels, das nach Regeln gespielt wird, begriffen hat, wird er verstehen, dass sie den Rahmen bilden, in dem jedes Spiel gespielt werden muss um den Namen Schach zu verdienen. Deshalb gibt es eine fast unbegrenzte Vielfalt möglicher Situationen, aber es gibt in ihnen einen unveränderlichen Faktor, nämlich die Spielregeln. Wenn der Beobachter nun auf diese Weise die Gesetze des Schachs herausgefunden hat, wird er vielleicht bemerken, dass die Spiele in Begriffen eines Faktors klassifiziert werden können, der nichts mit der Abfolge der Ereignisse noch mit den Regeln des Spiels zu tun hat. Das wird ihn zur Entdeckung noch weiterer Regularien einer ziemlich neuen Art führen, nämlich zu solchen, die sich aus dem Können und der Konzentration der Spieler ergeben. Um diese Regularien richtig interpretieren zu können, müsste er die Eigenschaften von Aufmerksamkeit, Erinnerung und kombinatorischer Fähigkeiten verstehen können, die sich nicht im äußeren Verhalten der Spieler zeigen. Er würde jedoch feststellen, dass die Stufe der Spielstärke eine einzige geordnete Serie bilden - vom Anfänger zum Weltmeister - in der wahrscheinlich ein Spieler einer bestimmten Klasse die Spieler einer niedrigeren Klasse besiegt und gegen Spieler einer höheren Klasse verliert. Das Studium des Schachs würde diesen sehr intelligenten Beobachter zur Erkenntnis von dreierlei Arten von Regularien geführt haben: die erste, die dem Verhalten entspricht, bildet das allgemeine Aktivitätsmuster von jemanden, der am Schach interessiert ist; das zweite, dass dem Rahmen entspricht, bildet die Gesetze des Schachs, mit denen jedes Spiel übereinstimmen muss; und das dritte, das der existentialen Schichtung entspricht bildet die Einordnung von Spielern entsprechend ihrer spielerischen Stärke. Die Analogie ist unvollkommen, aber sie soll zeigen, wie Phänomene die Unterschiede von Subjekt und Objekt transzendieren. Die Rahmengesetze durchschneiden solche Trennungen, aber sie sind vollkommen nur auf der niedrigsten Seinestufe veranschaulicht, wo Bewusstseinsunterschiede für die Gründung der Grundlagen von Naturwissenschaft nur geringe Bedeutung haben. Wir können die Regularien der Mechanität, der Existenz und des Rahmens unabhängig voneinander untersuchen, aber wenn wir die Ergebnisse auf Phänomene anwenden - also auf die tatsächliche Erfahrung - müssen wir die Perspektive wieder herstellen, auch um den Preis eines entstellten Bildes.

KAPITEL 7

MÖGLICHKEIT UND UNMÖGLICHKEIT 3.7.1. DIE BEDEUTUNG VON `UNMÖGLICHKEIT´ Wir benutzen den Begriff `unmöglich´ auf verschiedene Weise. In der logischen Verwendung bezieht es sich auf die eine oder andere Konvention zur Bedeutung von Wörtern. Wir können zum Beispiel sagen `es ist unmöglich für eine Tür, gleichzeitig offen und geschlossen zu sein ´. Diese Aussage ist nur dann wahr, wenn wir übereinkommen, aus unseren Überlegungen Aussagen wie `diese Tür ist angelehnt´ ausschließen oder vereinbaren, dem Wort `angelehnt ´ eine der beiden Bedeutungen `offen´und `geschlossen´ zuzuweisen. Deshalb hängt eine logische Unmöglichkeit ausschließlich von der Weise ab, wie wir die Bedeutung von Worten definieren. Dies trifft auch auf solche Paradoxien wie Zenos Diktum zu, `es ist unmöglich, seinen Fuss zweimal in denselben Fluss zu setzen´. Wir mögen zugeben, dass das Studium von Paradoxien wie dieser als Übung für den richtigen Gebrauch von Sprache nützlich ist, aber wir empfinden nicht, dass sie uns dabei helfen, unsere Erfahrung besser zu verstehen. Wenn wir sagen, `es ist unmöglich, dass zwei plus zwei fünf ergibt´, bestätigen wir etwas, das über die Bedeutung der Worte `zwei´ und `fünf´ hinausgeht. Um die Wahrheit dieser Behauptung sehen zu können, müssen wir eine angemessene Vorstellung von der Bedeutung von Zahlen haben, aber sie hängt nicht ausschließlich von der Definition ab, wie es der Fall im vorhergehenden Beispiel war, denn sie sagt uns auch etwas über die Beziehung von Klassen die über den Bereich der Sprache hinausreichen. Wenn wir wiederum sagen, es sei unmöglich, dass Wasser bergauf fliesst, stellen wir eine Behauptung auf, deren Bedeutung sich nur mit erheblichen Kenntnissen der physikalischen Welt erschliesst; wenn diese Bedeutung jedoch verstanden wird, dann kann sie uns etwas von fundamentaler Wichtigkeit über die Natur von Zeit und Existenz mitteilen. Nichtsdestotrotz ist eine Aussage weder bedeutungsvoll noch wahr, solange sie nicht in den richtigen Kontext gestellt wird. Zum Beispiel wird Wasser in einem Ansaugrohr bergauf fliessen - aber nur bis zu einer Höhe von etwa 6 Metern - während Wasser, das von einer kraftvollen Pumpe in eine Pipeline gedrückt wird, bis zu sehr größer Höhe hinauf fliessen wird. Soweit unsere Kenntnisse der physikalischen Welt reichen, können wir die Bedeutung dieser Aussagen erkennen und auch die Grenzen, innerhalb derer sie wahr oder falsch sind. Trotzdem benutzen wir richtigerweise den Begriff `unmöglich´ in Aussagen wie `es ist auf Erden unmöglich, Wasser mithilfe einer Saugpumpe auf mehr als 10 Meter steigen zu lassen`.110 Wir sind es gewohnt, eine Unterscheidung zwischen `logischer´ und `physikalischer´ Unmöglichkeit vorzunehmen. Es wird oft behauptet, dass physikalische Unmöglichkeit eine Unwahrscheinlichkeit bezeichne, so groß, dass das Auftreten des Ereignisses in den endlichen Zeit nicht beobachtet werden wird. So hat man etwa aus den Gesetzen der Hitzeübertragung gelernt, dass, sobald ein heisser und ein kalter Körper verbunden werden, die Hitze unausweichlich vom kalten zum heissen Körper fliesst. Da dieser Fluss jedoch von zufälligen molekularen Bewegungen abhängt, ist es für ein hochenergetisches Molekül immer möglich, aus einem kalten Bereich in einen heissen zu wechseln. Ein positiver Hitzefluss gegen den Temperaturverlauf ist deshalb `möglich´, auch wenn er in großen Systemen nie beobachtet wird. Deshalb könnte man meinen, dass der Begriff `unmöglich´ bei der Formulierung des Gesetzes der Hitzeübertragung falsch verwendet wird. Trotzdem ist die Bedeutung klar und unzweideutig, wenn wir behaupten dass es `für das Unwahrscheinliche unmöglich ist, wahrscheinlich zu sein´, in welchem Falle `unmöglich´ immer die logische Bedeutung hätte, dass es für beides, das Wahrscheinliche und das 110Theoretisch maximal erreichbare geodätische Saughöhe (Anm. d. Übers.)

Unwahrscheinliche unmöglich ist, wahr zu sein. Die Behauptung über die Hitzeübertragung kann deshalb formuliert werden als `es ist unmöglich, dass es wahr ist, dass A sowohl ein wahrscheinliches Ereignis als auch ein unwahrscheinliches Ereignis ist´. Der wahre Wert einer Aussage kann nicht beurteilt werden, solange wir nicht wissen, was die Aussage bedeutet und deshalb werden alle Aussagen über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Bedeutungen bestimmt und diese wiederum entstehen aus der Erkenntnis wiederkehrender Elemente der Erfahrung. Um alle Zweifel an der Legitimität auszuräumen, die bei der Nutzung des Begriffs `unmöglich´ entstehen können, wenn er die Tatsache bezeichnet, dass die Erfahrung bestimmte Ereignisse ausschließt, können wir die Behauptung prüfen, `es ist unmöglich, dass der Sonnenaufgang von gestern sich morgen ereignen wird`. Entsprechend der natürlichen Bedeutung der Worte `gestern´ und `morgen´ kann diese Behauptung als logische Unmöglichkeit bezeichnet werden, aber wir behandeln sie - und zwar richtigerweise - als eine erfahrungsbezogene Behauptung, die uns etwas sehr wichtiges über zeitliche Aktualisierung mitteilt. Wenn der Schuljunge in einem ähnlichen Fall sagt `fünf wird nicht in vier gehen´ behauptet er etwas, was nicht nur logisch, das heisst tautologisch wahr ist, sondern auch physikalisch, was er herausfindet, wenn er versucht, fünf Murmeln unter vier Freunden zu verteilen. Wir werden den Begriff `unmöglich´ in dieser Diskussion deshalb verwenden, um das `von der Erfahrung ausgeschlossene´ zu bezeichnen. An dieser Stelle müssen wir auf die ebenso notwendige Unterscheidung zwischen `möglich´ und `potentiell´ hinweisen. Das was potentiell ist, existiert nicht weniger als das, was aktual ist. So sprechen wir zum Beispiel von potentieller und kinetischer Energie und indem wir dies tun, implizieren wir sowohl die Existenz als auch die Möglichkeit der Aktualisation. Wenn wir aber von einem möglichen Ereignis sprechen, unterstellen wir nicht notwendigerweise, dass der für die nachfolgende Aktualisierung erforderliche potentielle Gehalt anwesend ist. Wir können sagen `es ist möglich, Heu zu machen, während die Sonne scheint´, aber dies sagt dem Zuhörer nicht, ob die für das Heumachen notwendigen Wetterbedingungen vorhanden sind oder nicht. Wenn wir auf der anderen Seite sagen `die mögliche Heuproduktion von England beträgt drei Millionen Tonnen´, dann beziehen wir uns auf etwas, das existiert, auch wenn niemand es jemals gesehen oder berührt hat. So zeigt uns der Begriff `möglich´ dass universelle Gesetze - wie die der Logik und der Physik - nicht verletzt werden, während der Begriff `potentiell´ uns zeigt, dass etwas in einer nichtaktualisierten Form existiert. Darüber hinaus können wir bereits erkennen, dass das, was potentiell ist, möglich sein muss, aber dass das Mögliche nicht notwendigerweise potentiell ist.

3.7.2. SITUATIONEN, GEGEBENHEITEN UND AKTUALISATIONEN Alles, was gewusst werden kann ist faktisch. Nicht alle Fakten sind möglich. So bildet zum Beispiel das Giessen eines Liters Flüssigkeit aus einer Halbliterflasche ein unmögliches Faktum. Wir können drei Aussagen machen, (a) der Mount Everest befindet sich in diesem Raum, (b) eine rote Kuh befindet sich in dem Raum oder (c) ein Stuhl befindet sich in diesem Raum. Die erste ist unmöglich, die zweite ist möglich aber nicht aktual, die dritte ist sowohl möglich als auch aktual. Um zwischen diesen und ähnlichen Fällen zu unterscheiden, werden wir die folgenden Definitionen nutzen: (i) (ii) (iii)

Eine Situation ist ein Faktum ohne Bezug auf seine tatsächliche oder mögliche Entstehung. Eine Gelegenheit ist eine potentiell oder aktual gegebene Situation. Eine Aktualisation ist eine Gelegenheit, die der Sinneswahrnehmung zugänglich ist.

Jede Aktualisation besetzt ein bestimmtes Segment in der raumzeitlichen Welt unserer Sinneserfahrung, und alle Phänomene sind auf irgendein Bewusstseinszentrum bezogen. Eine Gelegenheit, die aktual für das eine Bewusstsein ist, mag es für ein anderes nicht sein. So mag zum Beispiel der morgige Sonnenaufgang für mein gegenwärtiges Bewusstsein nicht aktual sein, aber er wird es für ein Bewusstsein sein, das ihn morgen beobachtet. Der Begriff bestimmende Bedingung bezeichnet den Faktor, durch den mögliche Situationen von unmöglichen unterschieden werden können. Bestimmende Bedingungen sind von der Aktualisation unabhängig und müssen deshalb universelle Gültigkeit besitzen. Auf der anderen Seite können sie keine absolute Gültigkeit in Anspruch nehmen, da sie vom relativen Wesen des Seins abhängen. Hätten die bestimmenden Bedingungen absoluten Charakter, dann wären faktische Aussagen entweder vollkommen wahr oder vollkommen falsch; die Erfahrung lehrt uns jedoch, das dies nicht der Fall und dass es immer notwendig ist, Qualifikationen einzuführen, die jedem Faktum die Eigenschaft verleihen, `mehr oder weniger wahr´ zu sein. Viele faktischen Aussagen können so annähernd wahr sein, dass ein `Mehr oder Weniger´ ausser Acht gelassen werden kann, etwa beim Beispiel des Übergangs von Hitze von einem kalten zu einem heissen Körper. Diese dichte Annäherung an die Wahrheit hat eine wichtige historische Konsequenz, denn sie bedeutet, das die Suche nach absoluter Wahrheit in den frühen Phasen wissenschaftlicher Entdeckungen oft sowohl möglich als auch legitim erschien. Deshalb bestand das Ziel der Wissenschaft im 17. und 18. Jahrhundert darin, universelle Gesetze zu entdecken, die absolut wahr und auf alle möglichen Situationen anwendbar sein sollten. Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts begann die Verfeinerung der wissenschaftlichen Methoden eine weitreichende Veränderung der Zugänge zu bewirken, mit dem Ergebnis, dass die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts die Suche nach `absoluten Naturgesetzen´ fast vollständig aufgegeben hat. Einmal mehr drängt jedoch die Relativität des Seins, sogar dort, wo unsere Aufmerksamkeit nun ausschließlich dem funktionalen Element der Wirklichkeit gilt. Dies ist jedoch nicht das einzige Hindernis, auf das wir bei unserem Vorhaben treffen, die Wichtigkeit von Regeln zu formulieren, die für Phänomene gelten können. Das Problem bleibt solange obskur, solange wir zwar die Relativität des Seins berücksichtigen, aber nicht zwischen Funktion und Willen unterscheiden. Es muss nämlich betont werden, dass die Regularien der Funktion einen anderen Charakter haben als solche Regularien, die die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines bestimmten Ereignismusters festlegen. Lassen Sie uns nun die Aussage betrachten `die Kuh auf der Wiese frisst Gras´. In einem offensichtlichen Sinne ist sie entweder wahr oder falsch, je nachdem, ob die Kuh innerhalb der phänomenologischen Situation `existiert´, die sich unserer gewöhnlichen Erkenntnis darbietet. Hier beziehen sich sowohl Wahrheit als auch Falschheit und Möglichkeit wie Unmöglichkeit auf ein Objekt, das unserem Gebrauch des Wortes `Kuh´ entspricht. Zusätzlich gibt es eine notwendige Qualifikation, die mit der Existenz verbunden ist. Wenn wir diese Aussage machen, dann unterstellen wir, dass wir uns auf eine `echte´ Kuh beziehen. Sie wäre nicht möglich oder wahr, wenn es da zwar eine Kuh, aber nur eine tote Kuh gäbe oder wenn es eine Kuh aus Porzellan wäre, die im Regal steht. Wenn der Satz die beabsichtigte Bedeutung haben soll, muss die Kuh als Lebewesen existieren. Wenn wir sagen würden: `Dies ist ein rechtwinkliges Dreieck, dessen Seiten ein Verhältnis von 3:4:5 ´bilden´111, würde jeder, der sich mit den Gesetzen der Geometrie auskennt zustimmen, dass sich dies nicht nur auf eine mögliche Situation bezieht, sondern auch eine wahre Aussage ist. In jeder Diskussion dieser Aussage würden Wahrheit und Falschheit und Möglichkeiten und Unmöglichkeit eine andere Bedeutung haben, als jene, die auf die Aussage `die Kuh auf der Wiese isst Grass´ zutrifft.

111

Der Satz des Phytagoras 32+42=52 ergibt ein rechtwinkliges Dreieck. (Anm. d. Übers.)

Lassen Sie uns die Aussage betrachten: `Dies ist ein rundes Rechteck´. Hier hängt der Satz nicht von irgendeinem bestimmten Phänomen ab, denn es wird nicht gesagt, wo oder wann das runde Rechteck vorkommt. wir wären geneigt zu behaupten, dass die Aussage falsch und unmöglich, weil widersprüchlich ist. Es ist jedoch trotzdem möglich, eine flache Figur wie folgt zu beschreiben: (a) Sie hat ein Zentrum (b) Sie hat vier gerade Seiten, paarweise gleich und rechtwinklig (c) Jeder Punkt in der Figur befindet sich in gleicher Entfernung - dem Radius - vom Zentrum. Eine solche Figur würde in der Tat ein rundes Rechteck bilden, und diese Definition enthält nicht nur keinen logischen Widerspruch sondern könnte im euklidischen Raum auch existieren, vorausgesetzt, dass der Radius unendlich wäre. Wenn wir nun versuchen, die Aussage experimentell zu beweisen, indem wir die Figur mit Lineal und Zirkel konstruieren, müssen wir scheitern, da es keine unendlichen Phänomene gibt. Wir kommen deshalb zu der Schlussfolgerung, dass die Aussage `dies ist ein rundes Rechteck´ niemals irgendeinem Faktum entsprechen kann und wir erkennen, dass die Unmöglichkeit eines runden Rechtecks nichts mit dessen Existenz zu tun hat, sondern lediglich mit den Rahmenbedingungen.112 Es muss ferner festgehalten werden, dass eine rahmenspezifische Unmöglichkeit logische Unmöglichkeit beinhaltet, darüber aber hinausgeht. Die Aussage `die gestrige Sonne wird morgen aufgehen´ kann durch die Definition von gestern und morgen als falsch ausgelegt werden, aber ihre Zurückweisung hat andere Gründe als einen logischen Widerspruch. Sie ist lediglich relativ zu unserem Bewusstseinszustand unmöglich. Es ist nichts logisch Unmögliches an einem Bewusstseinszustand, der in der Lage wäre, den morgigen Sonnenaufgang in genau derselben Weise zu erleben, wie den von gestern. Die Diskussion dieser Beispiele zeigt, dass der Rahmen, obwohl er in der Erfahrung gegeben ist, weder darstellt was Dinge tun noch was sie sind, sondern die Form, in der sie wobei sie sind, was sie sind - tun, was sie tun. Dass Kant mit der Annahme irrte, unsere Intuitionen von Raum und Zeit seien a priori gegeben, wurde durch die Entwicklung der nicht-euklidischen Geometrie offensichtlich. Raum, Zeit, Ewigkeit und Hyparxis sind nicht transzendental - dass heisst, den Phänomenen vorausgesetzt - sondern entstehen im Niemandsland zwischen Phänomen und Faktum. Obwohl sie den Fakten vorausgehen, sind sie aus den Phänomenen abgeleitet und wir finden in der Erfahrung die universalen Formen aller möglichen Phänomene vor. Der Begriff `Natur´ bezeichnet in der üblichen Verwendung die Welt der Phänomene und deshalb umfasst der Rahmen alles, was wir von den `Gesetzen der Natur´ wissen können.113 Im 20. Jahrhundert hat die Philosophie erkannt, dass die Naturgesetze nicht a priori formuliert werden können, sondern durch Beobachtung und Überlegung andauernd entdeckt werden. Logische Folgerichtigkeit, die von den Philosophen des 18. Jahrhunderts als ein

112 Siehe Marvin Farber, The Foundations of Phenomenology, p. 232: „Zu sagen, Bezeichnungen wie `rundes Rechteck´ seien

sinnlos, verwechselt Bedeutungslosigkeit mit der grundsätzlichen Unmöglichkeit von erfüllter Bedeutung.“ Husserls Unterscheidung zwischen `erfüllender Bedeutung´ und `Gehalt als Objekt´kann als Unterscheidung zwischen Rahmenbedingungen und existentialer Behauptung verstanden werden. 113 Siehe A.N. Whitehead, The Concept of Nature, Cambridge, 1920, p. 187: „Wir nehmen Natur als ausgedehnt in einer

unmittelbaren Gegenwart wahr, die gleichzeitig aber nicht augenblicklich ist und deshalb bildet das Ganze, das als aufeinander bezogenes System unmittelbar erkannt oder bezeichnet wird, eine Schichtung der Natur, die eine physikalische Tatsache darstellt.“

Test der Wahrheit betrachtet wurde, erweist sich bezüglich des Tatsächlichen als überhaupt nicht brauchbar. Es ist immer möglich, alternative Regelwerke zu konstruieren, von denen jedes mehr oder weniger geeignet ist, um Phänomene auf Fakten zu reduzieren und doch mögen sie ziemlich inkompatibel miteinander sein. Reichenbachs Entwurf einer Philosophie der Quantenphysik illustriert diesen Aspekt. Er formuliert eine Reihe von Regeln um die Wahrheitsgehalte von Aussagen über die Existenz von Wellen und Teilchen und über den Mechanismus der Beugung sowie der Emission und Absorption von Quanten einzuschätzen, die von denen der gewöhnlichen Logik abweichen, indem sie die Gültigkeit des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten einschränken.114 Auf diese Weise kamen er und andere Wissenschaftsphilosophen nahe an die Erkenntnis vom Charakter der Bedingungen, unter denen mögliche Situationen unterschieden und bestimmt werden können.115 Es ist hier sinnvoll, eine sprachliche Unterscheidung vorzunehmen, die auch praktischen Wert besitzt, zwischen Regeln die wir für uns selbst im Lichte unseres momentanen Verstehens der Gesetze aufstellen, nach denen wir suchen. Regeln sind nicht mehr als Formeln, deren Wert lediglich in Begriffen ihrer pragmatischen Wirksamkeit eingeschätzt werden kann. Gesetze sind Aussagen objektiver Regularien, die als unabhängig von unserer Suche oder deren Erfolg oder Misserfolgs vorausgesetzt werden. Die Rahmengesetze beschreiben die allgemeinen Bedingungen, die es Situationen ermöglichen, in die Erfahrung einzutreten. Regeln sagen uns, ob eine Situation als gegeben betrachtet werden kann.

3.7.3. DIE SUCHE NACH UNIVERSELLEN GESETZEN Ein Gesetz kann nur dann als universelles Gesetz bezeichnet werden, wenn wir niemals daran scheitern, es in jeder Situation beispielhaft veranschaulicht zu sehen, für die es gelten könnte. Wir beobachten nur aktuale Situationen, aber wir benötigen einen Wahrscheinlichkeitstest, der auf Gelegenheiten angewendet werden kann, die sich nicht aktualisieren. So sieht sich beispielsweise der Physiker genötigt, die Existenz nichtstrahlender Elektronen in einem Atom für zulässig zu halten. In diesem Zustand wird das Elektron nicht aktual und es kann noch nicht mal als in der Raumzeit vorhanden behauptet werden. Wir sollten ungeachtet dessen auf der Unmöglichkeit bestehen, dass es insgesamt verschwindet, da wir sein Vorhandensein aus der neutralen Ladung des Atoms und möglicherweise auch aus seiner Masse ableiten können. Auf diese Weise sind wir in der Lage, zuverlässige Aussagen über eine Gegebenheit zu machen, die in der Raumzeit nicht lokalisiert werden kann. Wir tun dies, weil wir die Gesetze der Konservierung von Energie, Bewegungsenergie und elektrischer Ladung als universal gültig betrachten, egal, ob wir sie in einer bestimmten Gelegenheit überprüfen können oder nicht. Phänomene sind nicht identisch mit Ereignissen in der Raumzeit. Sie bilden aber einen Zusammenhang, wenn wir sie aus der Perspektive der universellen Ähnlichkeit betrachten. Diese Ähnlichkeit betrifft die verschiedenen Arten, in die Phänomene klassifiziert werden können und auch die Verbindung zwischen den verschiedenen Klassen. Die Gesetze, die 114Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten (lateinisch tertium non datur wörtlich „ein Drittes ist nicht gegeben“ oder „ein Drittes

gibt es nicht“; englisch Law of the Excluded Middle) oder Prinzip des zwischen zwei kontradiktorischen Gegensätzen stehenden ausgeschlossenen Mittleren (lat. principium exclusi tertii sive medii inter duo contradictoria[1]) ist ein logisches Grundprinzip bzw. Axiom, das besagt, dass für eine beliebige Aussage nur die Aussage selbst oder ihr Gegenteil gelten kann: Eine dritte Möglichkeit, also dass lediglich etwas Mittleres gilt, das weder die Aussage ist, noch ihr Gegenteil, sondern irgendwo dazwischen, kann es nicht geben. (Anm. d. Übers.)

115 Siehe H. Reichenbach, The Philosophic Fundations of Quantum Mechanics und H. Poincaré, La Valeur de la Science, pp.

124-33

solche Vorgänge begleiten, besitzen dieselbe Art von Bedeutung wie solche, die erlaubte und unerlaubte Anordnungen im Raum und in zeitlichen Abfolgen festlegen. Sie wurden auf logische und arithmetische Weise formuliert. In der Vergangenheit betrachtete man Logik als Regeln des Denkens, die a priori - dass heisst in der Form des Denkens im Allgemeinen gegeben waren, aber heute wird sie mit einer bestimmten Form von Faktum verbunden, aus dem die Existenz ausgemerzt wurde.116 Es gibt einen Bereich der Logik, in dem es um den richtigen Gebrauch der Sprache geht, aber selbst hier muss sie zu ihrer Rechtfertigung die Erfahrung ansprechen. Wahre Logik besteht aus der Suche nach Gesetzen, die die Form von Phänomenen bestimmen, ohne Bezug auf ihre Aktualisierung in der Raumzeit und ohne zwischen Aktualem und Potentialem zu unterscheiden. Die Gesetze der Arithmetik besitzen dieselbe Bedeutung wie die der Geometrie und der Dynamik. Alle bestehen aus Aussagen, die für Phänomene universale Gültigkeit haben und deshalb in alle faktischen Aussagen einbezogen sind. Die Aufgabe des Logikers und des Mathematikers besteht darin, Klarheit und Zusammenhang in die Entdeckungen zu bringen, die wir bezüglich des Rahmens, der Formen aller möglichen Situationen machen, selbst wenn wir sie nicht bemerken.117 In dieser Hinsicht weichen die rahmengebenden Bedingungen von der Verallgemeinerung der Naturwissenschaften ab. Die letzteren nehmen für sich weder universale Gültigkeit noch permanente Bedeutung in Anspruch. Sie sind provisorische Aussagen über Regularien, die aus den Mechanismen abgeleitet werden, welche in den verschiedenen existentialen Schichten am Werk sind. Für die Entdeckung und Formulierung solcher Regularien bedarf es großer Erfindungsgabe. Sie müssen aus der brodelnden Masse von Ereignissen extrahiert werden, die auf vielen verschiedenen Ebenen geschehen. Folglich können Zusammenhalt und Zusammenhang nur auf Kosten von Reichweite und Präzision erreicht werden. Daher bieten diese Verallgemeinerungen ein sich fortwährend veränderndes Bild - machmal zunehmend an Weite und mit weniger Präzision; manchmal näher im Fokus, aber nur innerhalb eines begrenzten Bereichs.

3.7.4. UNIVERSALE GESETZE ALS BEHERRSCHER DER MÖGLICHKEIT Unser Verständnis der bestimmenden Bedingungen entwickelt sich auf ziemlich andere Weise. Wir verstehen sie leichter, als wir sie kennen können. Sie sind offensichtlich und doch so grundlegend, dass wir ihre Bedeutung niemals erschöpfend behandeln können. Sie durchdringen alle Erfahrung und formen sie unausweichlich entsprechend ihrer eigenen Gesetze. Kant betrachtete richtigerweise Zeit als die Form, durch die unser innerer Zustand intuitiv erkannt wird; aber er hielt die Streiche für irrelevant, die die Zeit uns durch unsere Erfahrung spielt, indem sie unseren Bewusstseinszustand verändert. Wir unterliegen sowohl Illusionen als auch Halluzinationen, aber diese betreffen eher die Existenz als unsere Form der Erfahrung. Ein Trugbild in der Wüste wird auf dieselbe Weise in der Zeit aktualisiert wie die Wahrnehmung einer echten Oase. Die psychologische Erfahrung der Zeitlosigkeit der Bewegungslosigkeit im gegenwärtigen Moment - kann als authentisch erkannt werden, obwohl sie nicht mit einer Uhr gemessen werden kann. Die Teilung der Aufmerksamkeit, in der wir unsere eigenen Funktionen beobachten können, bildet ebenso eine authentische Veränderung in unserm Verhältnis zur Zeit. Solche Überlegungen bestätigen die Auffassung, 116 Siehe Kant, Critique of Pure Reason, p.95; „Allgemeine Logik betrachtet lediglich die logische Form in der Beziehung jeden

Wissens zu jedem anderen Wissen; das heisst, sie handelt von der Form des Denkens im allgemeinen.“ 117 Husserl kam der Erkenntnis des Charakters der determinierenden Bedingungen sehr nah aber er versuchte sie alle auf

reine Logik zu reduzieren. Farben (The Fundation of Phänomenology, p. 144-145) schreibt: „Raum, der als Ordnungsform der Erscheinungswelt wahrgenommen wird, ist verschieden vom Raum im Sinne eines formal definierten Vielfachen…Wenn mit Raum die kategorische Form des Welt-Raums gemeint ist, dann fällt er unter die Gattung des reinen, kategorisch bestimmten Vielfachen.

dass wir die Anwendung der bestimmenden Bedingungen über alltägliche Phänomene hinaus ausdehnen können, aber sie bilden auch eine Warnung, dass ihre Bedeutung nicht konstant bleibt, wenn sie von einer Ebene zur anderen wechseln. Unsere Intuition des universalen Rahmens befindet sich deutlichem Kontrast zur Instabilität funktionaler Verallgemeinerung. Die bloße Form unserer Sprache, deren Ursprünge sich in der fernen Vergangenheit verlieren, drückt die Rahmengesetze bereits aus. Wir denken und wir sprechen auf eine Weise, die unsere eigenen Intuitionen von Raum und Zeit uns vorschreiben und es ist nicht überraschend, dass manche Philosophen daraus geschlossen haben, dass uns diese Intuitionen bereits gegeben sind, bevor wir zu denken beginnen. Strenggenommen ist dies wahr - wenn wir unter `Denken´ den Prozess verstehen, durch denn Phänomene auf Fakten bezogen werden, aber wir sollten nicht den Fehler machen, den Gedanken an die Phänomene mit den Phänomenen selbst zu verwechseln. Es sind die letzteren, in denen sich Rahmengesetze veranschaulichen und deshalb sind diese Gesetze auch wenn sie nicht eigens formuliert wurden - Teil des gemeinsamen Erbes der Menschheit. Sie bilden die Konsequenz unserer Wahrnehmung der Wirklichkeit aus einer bestimmten Schicht des Bewusstseins heraus. Die erste Aufgabe für den Naturphilosophen sollte es sein, die Rahmengesetze so klar und verständlich wie möglich zu formulieren. Wenn ihm dies nicht gelingt und er sich direkt auf die darauffolgenden Stufen der Suche stürzt, errichtet er eine fast unüberwindliches Barriere vor der Möglichkeit, diese sekundären Regularien in eine zusammenhängende und vollständige Struktur zu überführen. Wir können uns aus der Disziplin der Aufklärung nicht lösen, aber wir werden unser Ziel nicht erreichen, wenn wir Klarheit nur auf Kosten der Anwendbarkeit gewinnen. Das geschieht zum Beispiel dann, wenn formale Logik mittels der Trennung des Studiums der Formen vom Studium der Phänomene systematisiert wird. Wahre Logik muss das Element der Unklarheit einbeziehen, das in unserer Erfahrung immer vorhanden ist.118 Wir müssen deshalb den Status solch unbestimmter Aussagen wie `der Fleck war mehr oder weniger gelb´ untersuchen. Wir können sehen, dass in diesem Fall die Regel von der ausgeschlossenen Mitte nicht anwendbar ist, da die Aussage lediglich mehr oder weniger wahr sein kann. Die Regel der ausgeschlossenen Mitte gilt nur für Aussagen über Ganzheiten und trägt dabei zu einer Konvention bei, nach der jede Ganzheit, sobald sie bezeichnet wurde, als Individuum behandelt wird. Wenn wir tiefer in unsere Erfahrung eindringen, treffen wir schliesslich auf komplexe Strukturen mit all ihrer Ungewissheit und Unvollständigkeit. Wir können deshalb die Frage `gibt es alternative Logiken´ beantworten, beantworten, indem wir sagen, dass es ebensoviele soviel Logiken gibt wie fundamentale Kategorien unserer Erfahrung. Es gibt die zweifältige Logik von Ganzheit und Polarität, die dreifältige Logik der Triade und so fort. Aussagen entkommen der Regel von der ausgeschlossenen Mitte nicht nur aufgrund ihrer Unbestimmtheit sondern auch, wenn sie sich auf unaktualisierte Gegebenheiten beziehen. Wenn ich sage: `Heute wird es regnen´, werden Wahrheit und Falschheit des Satzes in die Zukunft projiziert. Heute Nacht wird der Satz: `Heute hat es geregnet´ zu einer Aussage über eine Aktualisation geworden und deshalb entweder wahr oder falsch sein. Alles was im ersten Fall ausgesagt werden kann ist, dass es eine größere oder geringere Wahrscheinlichkeit gibt, dass die zweite Aussage wahr oder falsch sein wird. Wenn wir annehmen, und das müssen wir, dass zukünftige Gegebenheiten nicht weniger Teil unserer Erfahrung sind als gegenwärtige oder vergangene Gegebenheiten, dann müssen wir die 118 Siehe F. Waisman, `Are there Alternative Logics?´in Proc. Aris. Soc. (1946), XLVI, p.103. Waisman schreibt von vagen

Aussagen und bemerkt, sie klängen „als ob die Realität darüber entscheiden könnte, welche Logik gültig sei, als ob die Struktur der Logik den Rahmen des Seins widerspiegeln würde.“ Obwohl Whisman diese Schlussfolgerung zurückweist, ist sie die richtige, wenn die Begriffe `Wirklichkeit´ und `Sein´ als auf denn Gehalt der Erfahrung bezogen gemeint sein sollen.

Wahrscheinlichkeit als Teil des phänomenologischen Bezugssystems anerkennen. Wir erreichen so auch die Versöhnung der referentiellen und der vertrauensbasierten Wahrscheinlichkeitstheorien.119 Lassen Sie uns nun annehmen, ich hätte gerade 100 Münzen hochgeworfen und 51 seien Kopf oben gelandet. Jetzt werfe ich ein zweites Mal 100 Münzen hoch und erreiche wieder eine annähernde Gleichheit. Nun habe ich die Absicht, eine drittes Mal 100 Münzen hochzuwerfen und ich erwarte, das aus der Gesamtheit der 300 Münzen annähernd die Hälfte mit dem Kopf nach oben gelandet sein wird. Regularien dieser Art haben nichts mit Verhalten und Existenz zu tun. Man könnte eine Vielzahl von Experimenten erdenken, in denen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit auf ähnliche Weise veranschaulicht würden. In solchen Experimenten könnte fast jede Schichtung der Existenz erforscht und fast jede funktionale Aktivität genutzt werden. Die einzige Bedingung, die zu erfüllen wäre, bestünde darin, dass ein bestimmtes Muster der Wahrscheinlichkeit wirken sollte - eines, das sich weder im Raum noch in der Zeit befindet, weil es unabhängig von Aktualisation und NichtAktualisation ist. Dieses Muster enthüllt zwei Sets von Bedingungen: das eine Set legt die Potentialitäten der Situation fest, und das andere die Frequenz fest, in der die besondere Potentialität aktualisiert werden wird. Diese zwei Sets an Bedingungen sind sowohl von Existenz als auch Verhalten unabhängig und doch sind beide universelle Sets; denn keine Situation wird vollständig bestimmt ohne Bezug auf ihre Potentialitäten und auf die Wahrscheinlichkeit ihres Vorkommens.

3.7.5. DER RAHMEN ALS DIE BEDINGUNG FÜR WAHRSCHEINLICHKEIT Nach dieser vorläufigen Untersuchung können wir nun Rahmens vornehmen:

eine provisorische Definition des

Der Rahmen ist die Gesamtheit der universellen Bedingungen, die für jede Situation bestimmen, ob sie möglich oder unmöglich ist. Der Begriff `möglich´ wird in dieser Definition auf die bereits diskutierte Weise als `nicht gegen die Regeln´ definiert und der Begriff `unmöglich´ als den Regeln entgegengesetzt. So ist es zum Beispiel im euklidischen Raum aus demselben Grunde unmöglich, ein Dreieck zu konstruieren, dessen Winkelsumme weniger als 180o beträgt, aus dem es unmöglich ist, ein Schachspiel zu beginnen, indem man die Dame bewegt. Wenn wir uns jedoch entschließen, die Regeln zu verändern und sagen, dass wir einen Riemann`schen Raum statt eines euklidischen Raums nutzen - oder ein Märchenschach anstelle eines gewöhnlichen Schachspiels - sind die unmöglichen Situationen nicht länger unmöglich. Wenn die rahmengebenden Bedingungen eine Anordnung universaler Gesetze bilden, auf deren Grundlage die phänomenale Welt lebt, sich bewegt und ihr Sein hat, dann entsteht naturgemäß die Frage, wer diese Gesetze macht. Gibt es da einen Gesetzgeber, der sie auferlegt oder wohnen sie der Natur der Realität inne? Wenn wir die Schritte sorgfältig betrachten, durch die wir die Vorstellung des Rahmens erreichen, sehen wir, dass es weder das eine noch das andere ist. Die Gesetze sind die Begrenzungen, die der Zufälligkeit der Phänomene durch die Form unseres menschlichen Bewusstseins auferlegt ist. Wir sind jedoch nicht berechtigt, aus dieser Behauptung zu schliessen, dass Zeit, Raum, Logik, Wahrscheinlichkeit und so fort lediglich subjektive Formen des Willens darstellen. Letztlich müssen alle Formen Manifestationen ein und desselben Willens sein und deshalb bildet der Rahmen nicht mehr als die Konsequenz der Selbstbeschränkung dieses Willens auf einer

119 Im Original: DU I, S.148 „We thus find how to reconcile the fiducial and confidence theories of probability“. Bedeutung

unklar, Anm. d. Übers.

gegebenen Seinsebene. Selbst für ein Bewusstsein, dass von den Begrenzungen unserer Alltagserfahrung befreit ist, muss es immer noch eine Unterscheidung möglicher und unmöglicher Situationen und deshalb Rahmengesetze geben. Auf niedrigeren Seinsebenen wird die Unterscheidung zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit in die Richtung noch größerer Beschränkungen verschoben als solcher, die unserem menschlichen Bewusstsein entsprechen. Deshalb müssen alle möglichen Situationen - nicht-menschliche, menschliche und übermenschliche - ihren Platz im Großen Ganzen einnehmen und die Frage `Ist diese Situation möglich oder unmöglich´ muss immer eine Bedeutung haben. In beiden Fällen setzt sich die Relativität des Seins bis weit jenseits der Grenzen unserer menschlichen Erfahrung durch. Wir dürfen nicht vergessen, dass dies so ist, auch wenn wir unsere Nachforschungen aus gegebenem Grunde auf diese Genzen beschränken. Soweit sie auf Phänomene angewendet werden, sind die rahmengebenden Bedingungen ziemlich eindeutig, aber aufgrund der Relativität des Seins muss ihr Vorkommen variieren; was auf einer Ebene wahr ist, mag es auf einer anderen nicht sein und umgekehrt.

3.7.6. DIE VIER BESTIMMENDEN BEDINGUNGEN DES RAHMENS Die Klarstellung der Rolle der rahmengebenden Bedingungen kann erreicht werden, wenn Phänomene aus vier Aspekten betrachtet werden, die sich hinsichtlich der Bedeutung unterscheiden, die der Existenz und deren Mechanismen dabei eingeräumt wird. Wir können Phänomene mit spezieller Referenz auf die Existenz studieren und insbesondere auf die verschiedenen Ebenen der Existenz, die wir in unserer Erfahrung vorfinden. Die bestimmende Bedingung die für eine solche Untersuchung von besonderer Bedeutung ist, können wir als Ewigkeit bezeichnen. Wenn wir Existenz und Verhalten gemeinsam betrachten, können wir von Zeit als bestimmender Bedingung sprechen, die Existenz vor den Hintergrund des Verhaltens stellt und von Raum als das, was Verhalten vor den Hintergrund der Existenz stellt. Die Verbindung zwischen dieser Interpretation und der von Kant wird deutlich, wenn wir uns erinnern, dass Existenz als Bewusstsein erfahren wird dass heisst als `innere Intuition´ und Verhalten als Wissen - das heisst als `äussere Intuition´. Gesetze, aus denen sowohl Verhalten als auch Existenz abstrahiert werden können, sind Gesetze des reinen Willens. Sie entsprechen den Bedingungen, die bereits mit dem Begriff `Hyparxis´ bezeichnet wurden. Die Gesetze von Hyparxis schließen solche abstrakten Formen wir Klassifikation und Logik ein, aber auch die Bestimmung der `Fähigkeit-zu-sein´, die zum Willen gehört. Die Verteilung der Rahmengesetze unter die vier Oberbegriffe Ewigkeit, Zeit, Raum und Hyparxis ist nur für Phänomene angemessen. Auf höheren Bewusstseinsebenen verschmelzen Zeit, Hyparxis und Ewigkeit und die räumlichen Unterteilungen nehmen auch einen ziemlich anderen Charakter an, als es in unserer gewöhnlichen Erfahrung der Fall ist. Konsequenterweise ist die Unterteilung in vier Gruppen von Gesetzen nur im Bereich der unbelebten Objekte so deutlich. Wir können deshalb das Wesen der Gesetze am Besten durch das Studium der Physik und der Dynamik entdecken. Es ist in dieser Hinsicht anzumerken dass die Begriffe `Ewigkeit´, `Zeit´, `Raum´ und `Hyparxis´ nicht auf dieselbe Art bezeichnend sind, wie die meisten Wörter unserer Sprache. Alle `Sprachanteile´ stehen für Dinge und Attribute und Prozesse. Seltener und üblicherweise ohne es vollkommen zu erkennen nutzen wir Worte, um Ebenen des Seins zu bezeichnen. Im Englischen beziehen sich Endungen wie -heit, -keit, -sein oft irgendwie auf das Seiende, etwa wenn wir von `Dinghaftigkeit´, `Menschheit´, `Tierhaftigkeit´, `Göttlichkeit´, `Fröhlichkeit´, `Bewusstsein, und so weiter sprechen. `Raum´und `Hyparxis´sind nicht Begriffe dieser Art, denn sie bezeichnen

weder, was etwas etwas ist noch was es tut. 120 Der erstere bezeichnet den äußeren und der letztere den inneren Zustand eines `es ist, was es ist´. Die Rahmengebenden Bedingungen werden nicht auf dieselbe Weise erkannt wie wir Funktion erkennen, und wir sind uns ihrer nie auf dieselbe Weise bewusst, in der wir das Seiende erfahren. Trotzdem durchdringen sie all unsere Erfahrung; ihr essentieller Charakter ist dem Ungebildeten oder dem Idioten genauso vertraut wie dem Wissenschaftler oder dem Philosophen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Letztere versuchen, ihre diesbezüglichen Intuitionen in Worte zu fassen. Indem wir den Begriff `bestimmende Bedingungen´verwenden, verweisen wir auf das, was den Rahmen ausmacht; aber eine vollständigere und definitivere Beschreibung erreichen wir, wenn wir den Rahmen als die Selbstbegrenzung des Willens hinsichtlich der Unwillkürlichkeit des existierenden Universums beschreiben. Die Gleichwertigkeit dieser Definition mit der vom Beginn des Abschnitts kann nicht als Faktum gelten, aber sie spielt eine wichtige Rolle in unserer Intuition von Werten. Die vier Sets der bestimmenden Bedingungen sind unzertrennlich. Wir können Zeit nicht unabhängig von Raum denken. Beide können mit mathematischen Symbolen getrennt dargestellt werden, aber sie können in jeder möglichen Erfahrung nicht als unterscheidbare Bestandteile gefunden werden. Dasselbe gilt für Hyparxis. Hyparxis ist periodisch; es gibt keine nicht wiederkehrenden Gelegenheiten, und wir können auch keine Aufzählungen vornehmen, ausser in Begriffen wiederkehrender Situationen. Ebenso können wir festhalten, dass in jedes Phänomen die Ewigkeit als Quelle seines Potentials involviert ist. Es ist lediglich unserer speziellen Bewusstseinsform geschuldet, dass die bestimmenden Bedingungen getrennt voneinander zu sein scheinen. Da wir uns hier jedoch mit Phänomenen befassen - das heisst, mit dem Gehalt von Erfahrung auf unser gewöhnlichen Bewusstseinsebene - können :die vier bestimmenden Bedingungen mit der Hilfe von Regeln dargelegt werden, die zusammengefasst und mehr oder weniger unabhängig voneinander wir folgt dargestellt werden können (i) (ii) (iii)

(iv)

Raum: Regeln, die Verhalten gegen den existentialen Hintergrund stellen, also den äußeren Aspekt von Ganzheiten bestimmen. Zeit: Regeln, die Existenz gegen den Hintergrund des Verhaltens stellen, also den inneren Aspekt von Ganzheiten bestimmen. Ewigkeit: Regeln mit existentialem Bezug und insbesondere Regeln, die sich auf die verschiedenen Bewusstseinsebenen beziehen, die wir in unserer Erfahrung vorfinden. Deshalb haben sie im Wesentlichen mit Bewusstsein zu tun. Hyparxis: Regeln, aus denen sowohl Verhalten als auch Existenz abstrahiert werden kann - also Regeln, welche die in einer gegebenen Situation möglichen Manifestationen des Willens bestimmen.

Der Spruch des heiligen des St. Augustinus hinsichtlich der Zeit- si non rogas intelligo121 trifft auf alle vier bestimmenden Bedingungen zu. Die rahmengebenden Bedingungen befinden sich, soweit sie auf die universale Existenz angewandt werden, jenseits unseres Verstehens. Wir können sie nur insofern studieren, als sie für begrenzte Ganzheiten gelten uns selbst eingeschlossen. Wir betreten Situationen immer mit der Unterscheidung von Innen und Aussen - von subjektiver Erfahrung und objektiver Erfahrung. Die Kenntnis der bestimmenden Bedingungen ermöglicht es uns, vorzuschreiben, was in solchen Situationen 120 Siehe A.N. Whitehead, The Concept of Nature, Kap. 2 und 3. Siehe auch M.F. Clough, Time and Whiteheads Vorstellung

des `Erfassens´ in Prozess und Realität. 121 Augustinus, Konfessionen, Buch XI, Kap. 4: „Aber was erwähnen wir vertrauter und wissender als die Zeit? Und wir

verstehen sie, wenn wir von ihr sprechen; wir verstehen sie auch, wenn wir jemand anderen über sie sprechen hören. Was also ist Zeit? - Wenn niemand mich fragt, weiss ich es; wenn ich es jemanden erklären möchte, der fragt, weiss ich es nicht.“

möglich und unmöglich ist und das heisst, dass es für unsere Erfahrung immer eine Unterscheidung von Innen und Aussen geben muss, dem unterschiedlichen Charakter der Triaden Zeit - Ewigkeit - Hyparxis und Länge - Weite - Tiefe entsprechend. Die Erste bezieht sich auf die Bedingtheit der innerlichen Möglichkeit und die Zweite auf die äußerliche Möglichkeit einer gegebenen Aktualisation. Zeit, Ewigkeit und Hyparxis sind Bedingungen dafür, zu sein was man ist, während Raum die Bedingung dafür ist, nicht zu sein, was man nicht ist. Die ersten Drei sind innere Bedingungen und sie gleichen einander insofern als sie nicht bezogen sind. Raum ist eine äußere Bedingung und ihre Haupteigenschaft besteht im Bezogensein.

KAPITEL 8

DIE RAHMENGESETZE 3.8.1. DER RAHMEN ALS SELBSTBESCHRÄNKUNG DES WILLENS Wir haben uns dem Studium der bestimmenden Bedingungen genähert, indem wir nach Unterscheidungen zwischen möglichen und unmöglichen Situationen gesucht und die Versuchsanordnungen überprüft haben, die wir in der Praxis verwenden, um den Status von Fakten herauszufinden. Obwohl dieser Appell an die Erfahrung eine notwendige Absicherung bildet, kann der allgemeine Charakter der bestimmenden Bedingungen am besten durch den Bezug auf die fundamentale Triade festgestellt werden. Der Rahmen besteht aus nicht mehr und aus nicht weniger als der Selbstbeschränkung des Willens. Das kosmische Spiel dauert an und wir erkennen, dass der unbekannte Spieler sich treu an die Regeln hält, die er selbst aufgestellt hat. Deshalb ermöglicht uns die Suche nach diesen Regeln dem Spiel zu folgen, aber sie können uns vielleicht sogar etwas über den Spieler verraten. Unsere nächstliegende Aufgabe ist aber bescheidener: sie besteht darin, in den Phänomenen den universalen Charakter der bestimmenden Bedingungen zu entdecken. Wir mögen sie als Naturgesetze oder Rahmengesetze bezeichnen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass sie immer relativ zu einem Bewusstseinszustand bleiben und dass diese Relativität selber der Beleg dafür ist, dass es eine Seinsebene geben muss, auf der sich jene Unterscheidungen, die jetzt als unversöhnlich erscheinen, in einer einzigen Manifestation des Willens vereinigen, die sowohl direkt als auch universal ist. Da wir ein Verständnis der Gesetze in ihrer ultimativen Objektivität niemals erreichen können, sind wir gezwungen, unsere eigenen subjektiven Regeln aufzustellen, um mit den auftauchenden Phänomenen umgehen zu können.

3.8.2. ZEIT ALS BEDINGUNG DER AKTUALISATION Jede gegebene Aktualisation unterliegt Beschränkungen, die nicht nur für die vollständige Situation gelten, aus der sie sich ergibt. Diese Beschränkungen bilden zusammengenommen die bestimmende Bedingung der Zeit.122 Aktualisation oder Fixierung durch Auswahl ist der Schlüssel zum Verstehen von Zeit. Der Satz etwa `Es sieht nach Regen aus´ bezieht sich auf die gegenwärtige Gegebenheit als Träger unbestimmter Potentialitäten der Zukunft. In etwa eine Stunde sage ich vielleicht `Der Himmel hat aufgeklart und es wird nicht regnen´. Eine Stunde später wiederum sage ich vielleicht `Ah, nun ist der Regen doch gekommen´. Die verschiedenen Potentialitäten, die der ersten Gegebenheit innewohnten, haben einen Auswahlprozess durchlaufen und letztlich hat sich der Regen aktualisiert. Wir sind nicht berechtigt zu sagen, dass das gute Wetter, dass um 10.00 Uhr noch potentiell war, sich aber nicht materialisierte, weniger wirklich wäre als der Regen, der tatsächlich fällt. Das nicht aktualisierte gute Wetter ist ebenso wahrhaftig Teil unserer Erfahrung wie der aktualisierte Regen. Für einen anderen Bewusstseinszustand mag die Sonne gerade in diesem Moment scheinen, und der Himmel mag klar sein. Ich kann zum Beispiel an Sonnenschein denken und könnte mit etwas Übung in mir selbst absichtlich all jene Empfindungen hervorrufen, die dem Sonnenschein entsprechen und daher in der Lage sein, in meiner Erfahrung Sonnenschein anstelle von Regen zu aktualisieren. In einem weiteren Bewusstseinszustand könnten zwei unvereinbare Ereignisse beide gleichzeitig in meiner Wahrnehmung vorhanden sein. Aktualisation ist deshalb eine Eigenschaft von Phänomenen, die selbst aus einer gegebenen Realität - das heisst aus der Erfahrung - ausgewählt werden, durch die Form des Bewusstseins, in dem sie vorhanden sind. Phänomene wohnen der Erfahrung auf ziemlich 122

Für die Definitionen siehe Abschnitt 3.7.6.

dieselbe Weise inne wire Oberflächen materiellen Objekten innewohnen. Wir sagen `diese Schale ist grün´, wenn wir meinen, dass unsere Sinneseindrücke uns vermitteln, dass das Licht, das von der Oberfläche reflektiert wird, eine grüne Farbe hat. Entsprechend können wir sagen `es regnet tatsächlich´, wenn wir in Wirklichkeit meinen, dass wir angesichts verschiedner möglicher meteorologischer Phänomene in diesem Moment Sinneseindrücke empfangen, die dem Regen entsprechen. Hier zeigt der Begriff `Sinneseindrücke´ die Verbindung zwischen der Aktualisation des Regens und der Farbe der Oberfläche. Solche Überlegungen führen uns zu der Schlussfolgerung, dass Aktualisation die bestimmende Bedingung von Phänomenen ist. Sie bildet eine - gewöhnlich unabsichtliche - Auswahl, die aus den vielen in einen gegebenen Moment anwesenden Potentialitäten eine auswählt, um in das Feld unserer Wahrnehmung einzutreten. Wir können diese Auswahl in gewissem Maße durch die Macht beeinflussen, die wir über unsere Wahrnehmung haben; und deshalb müssen wir Aktualisation als eine Festlegung betrachten, die lediglich relativen Charakter hat. Hier ist Ouspenskys Überlegung erwähnenswert, dass es möglich sei, die Vergangenheit zu verändern - ein Vorgang, der unmöglich wäre, wenn es sich bei der Aktualisation um eine absolute Bedingung handeln würde, die keine Relativität zulässt.123 Zeit verläuft sukzessive, aber sie tut es nur zum Teil; eine fortlaufende Zeit im absoluten Sinne würde bedeuten, dass nur der gegenwärtige Moment existierte. Unsere Erfahrung zeigt uns aber, dass das zeitliche Fortschreiten immer mit Erneuerung oder Wiederkehr zu tun hat. Wir könnten die Zeit nicht messen, wenn es keine zyklischen Ereignisse gäbe; wir könnten keinen Zusammenhalt finden, wenn es kein Erkennen dieser Ereignisse gäbe. Erkennen besteht in der Wahrnehmung von Wiederholung124 und Aufeinanderfolge und Wiederholung sind konsequenterweise gleichermaßen von Bedeutung für die Aktualisierung in der Zeit und treten so in ihre bestimmenden Bedingungen ein. Aufgrund der Sukkzesivität bildet der temporale Prozess eine geordnete Serie von Momenten - ein Moment verschwindet, um dem Nächsten Platz zu machen. Locke spricht richtigerweise von den „flüchtigen und andauernd untergehenden Teilen der Abfolge, die wir als dauernd bezeichnen“. Er bemerkt auch, dass das Maß der Dauer von der Periodizität abhängt.125 Wiederholung ist nicht nur für die Messung der Zeit von Bedeutung, sondern sie ermöglicht es uns auch, Phänomene auf Fakten zu reduzieren, da Phänomene selbst sich niemals wiederholen und nur die Fakten wiederkehren. Wenn ich sitze und auf einen Punkt an der Wand schaue und nach einigen Minuten sage `Nichts bewegt sich´, meine ich, dass ich einen visuellen Sinneseindruck habe, der ähnlich dem Sinneseindruck einige Minuten vorher ist. Wenn auf der anderen Seite der Punkt plötzlich verschwindet, während ich auf ihn schaue und ich sage `Er ist nicht länger da´, hat die Aussage nur deshalb eine Bedeutung, weil das Wort `da´ in den sich ständig wiederholenden Sinneseindrücken der umgebenden Bereiche der Wand verankert ist. Wiederholung, die in dem Satz `Es ist noch immer da´ ausgedrückt werden kann, kann als `konservativ´ bezeichnet werden. Konservierung ist deshalb eine Begrenzung der Beliebigkeit von Aktualisierung. Allgemein gesagt sind Ganzheiten von Bewusstseinszuständen unabhängig - manche mehr, manche weniger. Sie sind auch mehr oder weniger unabhängig von anderen Ganzheiten. Daraus ergibt sich der konservative Charakter ihrer Aktualisation. Auf der anderen Seite ist die Unabhängigkeit niemals Siehe P.D. Ouspensky, A New Model of the Universe, p. 479. Die Idee der vollständigen Fixierung der Vergangenheit ist genauso unbefriedigend wie die vollständige Bestimmtheit der Zukunft. 123

Siehe H. Poincarè, ebda., S. 133: „Es ist die Wiederholung, die dem Raum seine essentielle Charakteristik verleiht, aber Wiederholung setzt Zeit voraus.“ 124

Siehe John Locke, Essay Concerning Human Understanding, Book 2, Chap. 14, pars. 2 und 31: „Durch die Empfindung bestimmter Beobachtungen in bestimmten und scheinbar gleichmäßigen Perioden entstehen in uns Ideen von bestimmten Längen oder Maßeinheiten der Dauer.“ Und weiter: „Indem wir irgendeinen Teil unbegrenzter Dauer betrachten, so wie er durch periodische Maße festgelegt ist, erreichen wir die Idee von dem, was wir im allgemeinen Sinne als Zeit bezeichnen.“ 125

vollständig gegeben und es gibt deshalb immer ein nicht konservatives Element in der Erfahrung. Dies gibt der Zeit den irreversiblen Charakter, durch den sich die Vergangenheit niemals genauso wiederholt. Die Eigenschaften der Konservierung und Unumkehrbarkeit werden, angewandt auf physikalische Systeme, durch die beiden Gesetze der Thermodynamik ausgedrückt. Das erste dieser Gesetze sagt aus, dass die Veränderungen in einem unabhängigen System sich ohne Gewinn oder Verlust des Energiebetrags ereignen. Das Zweite sagt aus, dass die Veränderungen, die sich spontan ergeben, in die Richtung höherer Wahrscheinlichkeit tendieren. Wir sind nun soweit, eine provisorische Aussage zu den Gesetzen zeitlicher Aktualisation zu machen. Obwohl sie als `Gesetze´ bezeichnet werden, dienen die folgenden Aussagen auch dazu, die Bedeutung von bestimmten, mit der Zeit verbundenen Begriffen zu definieren. Sie können vielleicht eher als aphoristische Sätze beschrieben werden, denn als Aussagen zu universalen Gesetzen. Trotzdem werden sie unserem gegenwärtigen Zweck dienlich sein, der darin besteht uns selbst klarzumachen, was wir unter der Aktualisation von Zeit verstehen. (i) (ii) (iii) (iv) (v) (vi) (vii) (viii)

Zeit ist die Bedingung für Aktualisation. Aktualisation besteht in geordneter Abfolge. Die Aktualisation von Ganzheiten ist ein Charakteristikum aller Phänomene. Aktualisation ist konservativ und unumkehrbar. Jede Ganzheit wird im Maße ihrer Vollendung konservativ aktualisiert. Jede Ganzheit wird im Maße ihrer Unvollständigkeit unumkehrbar aktualisiert. Jede Ganzheit unterliegt der Bestimmung ihres eigenen richtigen Zeitpunkts. Die zeitliche Ordnung bildet die Richtung zunehmender Wahrscheinlichkeit.

Man wird bemerken, dass die hier übernommene Vorstellung der Zeit zwischen dem Platonismus - für den das Aktuale lediglich eine Kopie der durch die Idee gegebenen ewigen Wirklichkeit ist - und dem Thomismus - für den das Aktuale vollständig wirklich ist, weil es eine Manifestation des göttlichen Willens darstellt - steht; sie entspricht wahrscheinlich den Vorstellungen beider Philosophen. Die Eigenschaften der Zeit können als Aufeinanderfolge, Dauer, Kontinuität, Erhaltung und Unumkehrbarkeit zusammengefasst werden.

3.8.3. EWIGKEIT ALS BEDINGUNG DER POTENTIALITÄT Wir definieren Ewigkeit als Kondition der Potentialität. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass beide, potentielle Existenz und aktuale Existenz, Formen des Seins sind. Dies kann bereits im Falle von mechanischer Energie gesehen werden, für die das Gesetz der Erhaltung feststellt, dass die Energiesumme von potentiellen und kinetischen Energien in einem System von Körpern, die sich ohne Widerstand bewegen, konstant bleibt. Die Formel hat, obwohl sie bekannt ist weitreichende Konsequenzen, denn sie hat nur dann Bedeutung, wenn potentieller und kinetischer Energie derselbe existentiale Status zugesprochen wird. Im einem Pendel existiert die Energie an der Spitze des Schwungs in potentieller Form - am unteren Punkt existiert sie gänzlich in kinetischer Form. Zwischen diesen zwei Extremen wird sie unter beiden verteilt. Nur wenige Menschen bezweifeln heute, dass Energie existiert und dass `sichtbare Materie´ nur eine ihrer Manifestationen darstellt. Man muss deshalb nicht zögern, die Sichtweise zu akzeptieren, dass potentiale und aktuale Existenz gleichwertig und austauschbar sind. Diese Sichtweise führt uns zu der Frage `Gibt es dann auch Gesetze der potentialen Energie, die den Gesetzen der aktualen Energie entsprechen?´ Mit der Definition von

Ewigkeit als Potentialität können wir sagen, dass die Gesetze der Ewigkeit auf irgendeine Weise den Gesetzen der Zeit entsprechen sollten, so dass beide die Bedingungen der Existenz festlegen. Wenn dann Aktualisation in der Abtrennung ausgewählter Gelegenheiten besteht, sollten wir erwarten, dass Potentialität in der Koexistenz nicht ausgewählter Gelegenheiten besteht. Daraus folgt, dass Potentialität vielwertig sein kann, da alle Gelegenheiten, die in einer Situation potentiell gegeben sind, nebeneinander existieren können, dass aber nur eine aktualisiert werden kann. Wir können nun bereits einräumen, dass verschiedene Gelegenheiten in ihrer Potentialität variieren können und dass diese Variationsbreite den Grad an Freiheit bestimmt, den die Situation erlaubt. Es ist ebenso offensichtlich, dass einwertige Potentialität deterministisch ist. Wir werden hier eine Analogie nutzen, welche die verschiedenen Eigenschaften der bestimmenden Bedingung der Ewigkeit nutzt. Sie stammt aus der Wahrscheinlichkeitstheorie und besteht in der Annahme, wir hätten eine Tasche voller Bälle, die nacheinander gezogen werden. Die Bälle in der Tasche sind unsichtbar und werden zufällig gezogen. Das Ergebnis des Ziehens eines Balls aus einer Tasche mit exakt ähnlichen weissen Bällen kann mit Sicherheit vorausgesagt werden; es steht fest, egal, ob wir einen oder zwanzig Bälle aus der Tasche ziehen. In jedem Falle ist das Ergebnis eindeutig bestimmt, durch die Tatsache, dass alle Bälle identisch und von weisser Farbe sind. Wenn sich andererseits die Bälle in Farbe und Form voneinander unterscheiden würden, dann könnte beim zufälligen Ziehen eine erhebliche Vielzahl von Kombinationen entstehen. Im letzteren Falle ist die Potentialität vielwertig und die Aktualisation ist hochgradig selektiv. Aus vielen Millionen potentieller Kombinationen wird diese eine als Aktualisation festgelegt. Trotzdem sind die nicht aktualisierten Potentialitäten genauso Teil der Gesamtsituation wie die Aktualisation selbst. Es ist diese Totalität, die den Ewigkeitsaspekt einer Situation konstituiert, und in diesem Sinne kann Ewigkeit richtigerweise als `Speicher der Potentialitäten´ bezeichnet werden. Die Analogie von der Tasche mit den Bällen bringt jene zwei Existenzformen in den Fokus, die wir als Potentialität und Aktualisation bezeichnet haben. Sie repräsentiert die Erfahrung aber nicht auf angemessene Weise, da sie keine Entsprechungen für die Eigenschaften von Form, Größe und räumlicher Ausdehnung enthält, auf die wir in unserer Erfahrung treffen könnten. Lassen Sie uns deshalb einen Typus der Gelegenheit betrachten, der wir in unserer Erfahrung begegnen könnten. Dafür benötigen wir eine Ganzheit, die sich selbst der Sinneserfahrung als bereits gegenwärtig darbietet. Dies könnte die Eiche sein, die auf der Wiese vor dem Fenster wächst. Ich betrachte es als sicher, dass der Baum bereits vor einigen Minuten existiert hat, und gestern und letztes Jahr und wahrscheinlich auch morgen und in vielen kommenden Jahren existieren wird. Ich erwarte, dass ich den Baum, wann immer ich ihn bemerke, mehr oder weniger am selben Platz vorfinden werde, auch wenn sein Erscheinungsbild sich mit den Jahreszeiten und dem Wetter ändert. Der tatsächliche Baum löst sich also in eine Serie von Bäumen auf, nacheinander beobachtbar. Diese zeitliche Serie ist jener Teil der Existenz des Baumes, der zeitlich aufeinanderfolgend aktualisiert wird. Sie hat bestimmte Merkmale gemeinsam mit unzählbaren anderen solchen Serien, auf die wir in unserer Erfahrung treffen. Wir können in solchen Erfahrungen die Haupteigenschaften der Zeit erkennen: Aufeinanderfolge, Dauer, Kontinuität, Erhaltung und Unumkehrbarkeit. Die zeitliche Serie umfasst alles, was wir beobachten, aber sie ist nicht das ganze Bild, denn sie umschliesst nicht die noch unaktualisierten Potentiale, die jeder aufeinanderfolgenden Gelegenheit innewohnen. Der Baum, den wir im Moment gerade sehen, ist eigentlich Teil einer zweiten Serie, die all seine Potentialitäten umfasst. So wird der Baum zum Beispiel Eicheln produzieren und einige von ihnen mögen zu Bäumen werden, oder der Baum mag an einer Krankheit zugrundegehen. Alle Potentialitäten sind in diesem Moment gegenwärtig und sie können, als Ganzes genommen in einer Serie gefasst werden, die zeigt, ob die essentielle Natur des Baumes mehr oder weniger vollständig realisiert wurde. Obwohl wir diese

Potentialitäten nicht sehen, können wir etwas von ihrem Wesen und Ausmaß durch unser Wissen um biologische Gesetze, um die Gewohnheiten von Eichen und die besondere Geschichte des Baumes herleiten. Der Unterschied zwischen den beiden Serien und ihre Symmetrie kann gesehen werden, wenn ihre wesentlichen Eigenschaften in zwei Spalten wie folgt abgebildet werden: Zeit Einwertig Aufeinanderfolgend Unumkehrbar Richtung wachsender Wahrscheinlichkeit Bewahrend hinsichtlich Masse, Energie und Eigendynamik Zeitliche Objekte sind von Dauer, aber gehen zugrunde

Ewigkeit Vielwertig Synchron Umkehrbar Richtung wachsender Potentialität Bewahrend hinsichtlich räumlicher Anordnung Ewige Objekte sind unsterblich, aber nicht von Dauer.

Wenn wir die beiden Serien vergleichen, können wir erkennen, dass es möglich ist, sich ohne Veränderung der Entropie von einem Mitglied der Ewigkeitsserie zum anderen zu bewegen. Auf der anderen Seite ist diese Veränderung weder konservativ noch kontinuierlich. So ergibt sich eine Situation, die in jeder Hinsicht das Gegenteil von dem bildet, was wir in zeitlicher Aktualisation vorfinden.126 Die zeitliche Serie ist erhaltend und unumkehrbar. Die ewige Serie ist nicht nicht erhaltend und umkehrbar. Wenn wir die thermodynamischen Gesetze als Ausdruck der Zeit betrachten, müssen wir sie umkehren, um den Charakter der Ewigkeit zu beschreiben. Das Konzept der Wertigkeit ist verwandt mit dem bekannten Konzept der Entropie.127 Wertigkeit kann aus der Entropie abgeleitet werden, indem das Vorzeichen umgekehrt wird und skalierende Faktoren eingeführt werden, wie zum Beispiel

F=

S − S0 S 0 − S1

……………………………(8.1)

wenn S0 die Umgebungsentropie auf absolut Null darstellt und S1 die Entropie, die der größtmöglichen Verfügbarkeit entspricht. Da S in jedem tatsächlichen Prozess von Energieaustausch immer kleiner ist als So und größer als S1, bildet F die positive Quantität, 126 Im Original: „Comparing the two series we can recognize that it is possible to pass from one member of the eternal series to

another without change of entropy. On the other hand, the change is neither conservative nor continuous. We have therefore a condition that is in all respects the reverse of what we find in temporal actualization.“ DU, I, p. 158. Der Sinn bleibt für mich unklar. (Anm. d. Übers.) 127 Der quantitative Ausdruck der Unumkehrbarkeit der Zeit wurde durch einen historischen Zufall von Clausius und Carnot im

Verlauf von Untersuchungen zum Zyklus von Wärme-Kraft-Maschinen entdeckt. Der Begriff der `Wertigkeit´ wurde durch M.W. Thring eingeführt, siehe Fl. Inst. Fuel (April, 1944, `die Wertigkeit der Energie, ihre Bedeutung und praktische Wichtigkeit.´ Wiki: Carnot-Prozess: Der Carnot-Kreisprozess oder -Zyklus ist ein Gedankenexperiment, das zur Realisierung einer reversiblen Wärme-Kraft-Maschine zur Umwandlung von Wärme in Arbeit dient. Der Carnot-Prozess wurde 1824 von Nicolas Léonard Sadi Carnot entworfen, und er legte auch gleichzeitig den Grundstein für die Thermodynamik. Er umfasst einen über einen Kolben verstellbaren Hubraum, der Wärme- und Kältereservoirs ausgesetzt und ansonsten thermisch isoliert ist. Carnot intendierte diesen rein theoretischen Zyklus nicht nur als Beschreibung maschineller Prozesse, sondern übertrug mit ihm das Prinzip der Kausalität auf Phänomene, die mit Wärme im Zusammenhang stehen: Da der Kreisprozess umkehrbar ist, lässt sich jedes Stadium als alleiniger Effekt der anderen darstellen. Damit bot der Carnot-Zyklus eine wichtige Neuerung in einer Zeit, in der die Umwandlung von Wärme und mechanischer Arbeit in einander, wie sie in den aufkommenden Dampfmaschinen stattfand, weder gemessen noch theoretisch dargestellt werden konnte. Mit seiner Hilfe konnten erstmals Phänomene, die mit Wärme in Verbindung standen in die etablierte Theoriesprache der Mechanik übersetzt werden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde der Carnot-Zyklus zu einem Dreh- und Angelpunkt der akademischen Auseinandersetzung um Wärme. Mit seiner Reformulierung durch William Thomson und Rudolf Clausius bildete er die Grundlagen für das Verständnis der Energieerhaltung und der Entropie. (Anm. d. Übers.)

die von Eins bis Null variiert. Ein System mit ganzheitlicher Wertigkeit hat alle seine Potentialitäten intakt; eines mit Nullwertigkeit befindet sich in einem Zustand thermodynamischen Gleichgewichts. Durch diese Definition variiert F zeitlich, für ein gegebenes System in einem gegebenen Moment ist F jedoch auf allen Ebenen der Ewigkeit gleich. Mit dem Verstreichen der Zeit steigert oder verringert sich die Existenz innerhalb einer isolierten Ganzheit quantitativ, verschlechtert sich aber im Allgemeinen qualitativ. In der Richtung der Ewigkeit verschlechtert sich Existenz quantitativ, gewinnt aber qualitativ, dass heisst im Reichtum ihrer Potentialitäten. Am einen Ende der Skala ist Existenz vollständig aktualisiert und hat ihr wahrnehmbares Maximum erreicht. Am anderen Ende der Skala ist Existenz vollständig potentiell und befindet sich deshalb am Minimum, soweit es die Wahrnehmbarkeit betrifft. Auf der niedrigsten Stufe der Ewigkeit mit nur einer Potentialität für Aktualisation ist die Existenz gefesselt, während sie am anderen Ende frei ist und ihr alle Potentialitäten für die Aktualisation zur Verfügung stehen. Aus der Definition der Ewigkeitsserie wird es offensichtlich, dass ein hochentwickeltes Wesen wie eine Eiche über eine größere Vielfalt an Potentialitäten verfügen muss als eine unentwickelte Entität wie etwa ein Steinbrocken. Selbst dieser Brocken verfügt jedoch über eine enorme Bandbreite an Potentialitäten, die in seiner chemischen Zusammensetzung schlummern. Wir können uns eine ideal vereinfachte Existenzform vorstellen, ohne innere Differenzierung und deshalb mit all ihren Potentialitäten auf die einzige Eigenschaft reduziert, zu sein, was sie ist. Die Ewigkeitsserie eines solchen Wesens wäre ganz und gar selbstidentisch, aber seine Potentialitäten müssten zunehmen und das ist nur möglich, wenn sein Energiegehalt verschiedenwertig sein kann. Solche Unterschiede können sich per definitionem nicht aus dem Inneren der betreffenden Ganzheit ergeben und müssen deshalb durch ihre Beziehung mit ihrer Umwelt zustande kommen. So kommen wir zur Vorstellung eines Kraftfeldes und zur Vorstellung von potentieller Energie als ewiger Eigenschaft von Ganzheiten aufgrund einer Beziehung zur Umwelt. Weiter oben auf der existentialen Skala treffen wir auf Wesen, die in gewissem Maße über unabhängiges Bewusstsein verfügen. Um dies zu erklären, müssen wir annehmen, dass verschiedene Potentialitäten gleichzeitig anwesend sind, oder um es anders zu sagen, dass sich ein solches Wesen irgendwie seiner eigenen Ewigkeitsserie bewusst sein kann. Dies entspricht dem, was MacTaggart als „das unmittelbare Bewusstseinsfeld, das in jedem gegebenen Moment enger oder weiter sein kann“ bezeichnet hat.128 Um räumliche oder zeitliche Konnotationen zu vermeiden, können wir den Begriff Apokrise verwenden, um auf die Trennung bestimmter Sets an Potentialitäten in der Ewigkeitsserie hinzuweisen.129 Wir können zum Beispiel sagen, dass die Apokrise eines Atoms im angeregten Zustand aus einer Anzahl von Schritten besteht, durch die es fallen kann, um das Grundlevel an Energie zu erreichen. Es ist die Apokrise, die einen lebendigen Organismus von einem physikalisch-chemischen Mechanismus unterscheidet. Die Apokrise eines bewussten Wesens wird durch die Macht bestimmt, seine eigenen mechanischen Prozesse wahrzunehmen, ohne mit ihnen identifiziert zu sein und so seine eigene Individualität inmitten der Veränderung zu erhalten.

128 Siehe J.E. MacTaggart, The Nature of Existence, (Cambridge, 1927), VOL. II, p.266 129 Dieses Wort entstammt dem griechischen Verb ἀ𝜋𝜊𝜘𝜚ί𝜈𝜔 mit der Bedeutung von Trennung in verschiedene Ebenen, so wie

zwei Helden aus der Reihe der gewöhnlichen Soldaten heraustreten um gemeinsam zu kämpfen. (Siehe Ilias, Vers 12) Das Wort 𝛢𝜋𝜊𝜘𝜚𝜄𝜈𝜃𝛾𝜈𝛼𝜄 wird benutzt, um die Trennung des Feinen vom Groben zu bezeichnen.

Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, dass jede Ganzheit ihre eigene charakteristische Apokrise besitzt und dass dies eine einwertige Eigenschaft ist, die der Bestimmung ihrer innewohnenden Potentialitäten dient. Wir können deshalb von der apokritischen Beziehung als einer Beziehung des `mehr oder weniger´ sprechen. Umso größer die Apokrise, umso größer die Reichweite der Potentialitäten, die in einem gegebenen Ganzen anwesend sind. Das Konzept der apokritischen Verlagerung ist für unsere weiteren Untersuchung von solcher Bedeutung, dass es nützlich sein mag, auf deren Wichtigkeit mit einer Analogie hinzuweisen. Stellen wir uns eine große Anzahl identischer Bögen Papier vor, auf denen eine Geschichte erzählt wird. Die Vollständigkeit der Geschichte variiert von Blatt zu Blatt insofern, dass Worte, Phrasen, Sätze und selbst ganze Zeilen ausgelassen werden. Lassen Sie uns weiter annehmen, dass alle Blätter derart angeordnet sind, dass die Geschichte auf dem einen Blatt am Ende des Stapels vollständig ist, mit jedem Wort und jedem Buchstaben an der richtigen Stelle; das Blatt am anderen Ende ist vollständig leer. Beim Lesen der Blätter können die fehlenden Buchstaben oder Wörter durch die Wahl des Lesers eingefügt werden. Wo nur einige Buchstaben fehlen, besteht fast keine Freiheit, den Sinn der Geschichte zu verändern. Anders ist es, wenn der Leser beginnt, den Inhalt zu erkennen und zu sehen, was verändert werden kann, ohne die Geschichte ihres Sinns zu berauben. Wenn zwei weit genug voneinander entfernte Seiten miteinander verglichen werden, mag es vorkommen, dass eine ganze Begebenheit vollständig verändert werden kann, ohne dem zu widersprechen, was bereits feststeht, nämlich den Worten auf dem Papier. Der gesamte Papierstapel bildet einen graduellen Übergang von vollständigem Determinismus zu vollständiger Freiheit. Am einen Ende ist der Leser passiv; er hat keine Option, ausser der Geschichte Wort für Wort zu folgen, so wie sie geschrieben steht. Am anderen Ende ist er aktiv; er ist selbst der Geschichtenerzähler und der Leser gleichzeitig. Um die Analogie zu vervollständigen, müssen wir anmerken, dass sich die gesamte Serie auf allen Blättern auf dieselbe Zeit und denselben Ort bezieht. Nun lassen Sie uns zwei solcher Serien nehmen, wieder mit identischen räumlichen Koordinaten, aber dieses Mal durch eine sehr kleine zeitliche Veränderung voneinander unterschieden. Wir nehmen an, die beiden Serien könnten dazu gebracht werden, einander zu entsprechen, so dass jedes Blatt der zweiten Serie den nächsten Schritt in der zeitlichen Aktualisierung der Situation auf dem Blatt der ersten Serie darstellt, das dieselbe Nummer hat. Wir können sehen, dass bewusste Erfahrung entweder durch eine notwendige Identität zwischen zwei Punkten oder anders der freien Möglichkeit ermöglicht wird, etwas Neues einzubringen. Die Analogie legt nahe, dass verschiedene Bewusstseinsformen mit verschiednen apokritischen Ebenen assoziiert sind. Auf der ersten Ebene sind die Potentialitäten gänzlich unerkannt; Bewusstsein ist dann auf die unmittelbare Gegenwart beschränkt. Wenn bei einer solchen Bewusstseinsform von `Erfahrung´ gesprochen werden kann, ist der Gehalt der Erfahrung gänzlich in Raum, Zeit und Ewigkeit festgelegt. Vergangene Ereignisse treten lediglich als Spuren in Erscheinung, wie sie sich im physikalisch-chemischen Mechanismus erhalten mögen und die alleine von aussen stammenden Sinneseindrücke haben fast unmittelbare Qualität. Für eine solche Apokrise ist eine Unterscheidung zwischen Notwendigkeit und Eventualität nicht möglich; jedes Ereignis hat den gleich beliebigen Charakter. Beide, die zeitliche und die ewige Serie sind geschlossene Systeme und keines hat irgendeine Bedeutung. Solch ein Bewusstsein mag der Erfahrung niedrigerer Tierarten und auch vielleicht der von Pflanzen entsprechen. Mit einer Apokrise, die in der Lage ist, zwei verschiedene Ebenen der Ewigkeit zu unterscheiden wird ein zweiter Bewusstseinstyp möglich. Hier gibt es lediglich eine

unidirektionale Verbindung in der zeitlichen Serie.130 Potentialitäten werden nicht wahrgenommen, sondern mit Hilfe der Erinnerung abgeleitet. Durch solch eine Apokrise kann die Vergangenheit nicht bloß durch die Wirkung, die sie auf die Gegenwart hat, erkannt werden, sondern als Element der unmittelbaren Erfahrung selbst. Es gibt jedoch kein Bewusstsein von verschiedenen Ebenen der Ewigkeit und deshalb nicht die Möglichkeit einer direkten Erfahrung des Unterschieds zwischen Notwendigkeit und Freiheit. Trotzdem wird eine vollständige Beliebigkeit aus dem zeitlichen Prozess durch die Fähigkeit entfernt, Gleichmäßigkeiten zu beobachten und diese in statistischen Begriffen zu interpretieren. Für eine solche Bewusstseinsform muss die Interpretation von beobachteten Regularitäten eine typische Eigenschaft haben, sie wird nämlich immer gezwungen sein, beliebige Quantitäten einzuführen, um die unterschiedlichen Potentiale auszudrücken, die den zeitlichen Prozess beeinflussen und die daher aus der Sinneswahrnehmung abgeleitet werden können. Die Form des Bewusstseins - die unserem Alltagsbewusstsein entspricht - kann niemals mehr als ein Blatt Papier gleichzeitig erkennen und kann nicht wissen, wann es sich von einer Seite des Buches zu einer anderen bewegt hat. Der Unterschied zwischen Notwendigkeit und Freiheit verkommt zum bloßen Zufall; es wird zu einer Frage des Risikos, ob sich in einem gegebenen Moment etwas ändern kann oder nicht. In der dritten Form des Bewusstseins ist der apokritische Intervall ausreichend, um eine direkte Erfahrung von verschiedenen Ebenen der Ewigkeit zu ermöglichen. In unserer Analogie umfasst sie die Macht, den Text auf mehr als einer Seite zu lesen und die Seiten zu unterscheiden. Auf den niedrigeren Ebenen macht sich der apokritische Intervall nur als Unterschied der potentialen Energie bemerkbar, während er für ein Wesen mit dem drittem Bewusstseinszustand zu einem Muster oder einer Struktur wird, in der der gegenseitige Einfluss der verschiedenen Potentialitäten wahrgenommen werden kann. Nur für diesen dritten Typ des Bewusstseins wird die wahre Verbindung zwischen Zeit und Ewigkeit der direkten Erfahrung zugänglich. Da er einen Maßstab für Potentialität und nicht für Aktualisierung darstellt, ist der apokritische Intervall nicht unmittelbar in der Sinneserfahrung gegeben. Das ist der Sinn der vorher getroffen Aussage `der Mensch ist ewigkeitsblind´.131 Poincarès Untersuchung der Abhängigkeit unserer Intuitionen von Raum und Zeit von der Sinneserfahrung ist hauptsächlich auf den Sehsinn beschränkt.132 Die Sehfähigkeit, die direkt mit elektromagnetischer Strahlung - das heisst mit Ereignissen auf subatomarer Ebene verbunden ist besitzt den kleinstmöglichen apokritischen Intervall; Der Hörsinn hat eine irgendwie größere Ausdehnung, und die tiefensensible Empfindung unserer eigenen physischen Existenz eine noch größere. Gerade durch die Untersuchung von Empfindung können wir uns von der Realität des apokritischen Intervalls überzeugen, denn wir sehen, dass unsere innere Erfahrung organischer Prozesse nicht auf eine einzelne Schicht von Potentialitäten bezogen werden kann. Der apokritische Intervall in der Ewigkeit ist analog zur zeitlichen Dauer. Der charakteristische Intervall einer gegebenen Ganzheit entspricht der Dauer ihres Lebens. Darüber hinaus sind sowohl Zeit als auch Ewigkeit ausgerichtete Serien, die von einer einwertigen transitiven Beziehung regiert werden. Die der Zeit besteht in `Vorher und Nachher´, die der Ewigkeit aus `mehr oder weniger´ Potentialität. Wir wissen nichts über den Ursprung der Zeit, aber wir können eine Nullebene in der Ewigkeit bestimmen, wo es keine 130 Im Original. „Here there is a unidirectional connection in the temporal series only.“ DU, I, S. 161. Der Sinn erschliesst sich

mir nicht. (Anm. d. Übers.) 131 J.G. Bennett, The Crisis in Human Affairs, pp. 167,184,187 132 Siehe H. Poincaré, Der Wert der Wissenschaft, Kap. 3 u.4

alternativen Wege gibt und wo alles einem festgelegten Kurs folgen muss. Trotzdem kann diese Ebene niemals in irgendeiner Erfahrung erreicht werden. In der Annäherung an den absoluten Nullpunkt der Temperatur verringert sich auch die Entropie und deshalb wird die sinkende Energie zunehmend verfügbar. Wir können uns keine Aktualisation vorstellen, die vollständig ohne Ungewissheit auskommt. Ungeachtet seiner Unzugänglichkeit kann der Grundzustand als geschlossenes System diskreter Teilchen in einem thermodynamischen Gleichgewicht betrachtet werden. Ein solches System ist trotz seiner statistischen Bestimmtheit trotzdem vollständig chaotisch in seinen einzelnen Prozessen und deshalb kann nichts darüber gesagt werden, ausser dass nichts sich ändern wird. Wir können den Grundzustand mit dem einer minimalen Aktualisation vergleichen, wo es zwar kein Gleichgewicht gibt, aber einen umumkehrbaren Trend zum Gleichgewicht. Mit unserer Analogie können wir sagen, dass es dort immer möglich ist, die Zukunft vorherzusagen. Aus dem, was in einem gegebenen Moment auf irgendein Blatt geschrieben wird, lässt sich mit wachsender Wahrscheinlichkeit vorhersagen, was auf den folgenden Blättern geschrieben sein wird. Die Geschichte wird sich mit der Zeit verändern, aber sie wird dies in einer bestimmten Richtung tun. Sie wird durch die Beseitigung der Leerstellen zunehmend uninteressant, denn die dramatische Kraft der Geschichte hängt von der Ungewissheit ihres Ausgangs ab. Diese Ungewissheit - und mit ihr alles Interesse verschwindet, wenn es keine Leerstellen mehr gibt, die zu füllen wären. Die Unumkehrbarkeit der Zeit entspricht deshalb der Bedingung, dass ein einmal geschriebenes Wort in allen nachfolgenden Ausgaben des Buches erhalten bleiben muss. Mit diesen einleitenden Überlegungen können Gesetzen der Ewigkeit wie folgt machen: (i) (ii) (iii) (iv) (v)

(vi) (vii)

(viii)

wir nun eine vorläufige Aussage zu den

Ewigkeit ist der Zustand der Koexistenz von Potentialitäten. Jede Gelegenheit hat ihr charakteristisches Muster an Potentialitäten. Apokrise ist die Eigenschaft, durch die Ganzheiten ihre Relativität in der Ewigkeit manifestieren. Der apolitische Intervall bildet den Maßstab für die Spanne der in einer gegebenen Ganzheit befindlichen Potentialitäten. Jede Ganzheit verfügt über ein mehr oder weniger kohärentes ewiges Muster, dass seinen inneren Zusammenhalt bestimmt und somit seine Fähigkeit, sich ohne Zerfall zu aktualisieren. Eine Entität, deren ewiges Muster lediglich eine Ebene in der Ewigkeit belegt, ist in all ihren Aktualisationen bestimmt. Ewigkeitsebenen bilden eine geordnete Abfolge zunehmender apolitischer Intervalle bis zur höchsten Stufe von Potentialität, die in einer gegebenen Gelegenheit vorhanden ist. Ewigkeitsebenen beeinflussen sich gegenseitig insofern, dass die höhere Ebene die tiefere organisiert und die tiefere Ebene die höhere desorganisiert.

3.8.4. RAUM ALS BEDINGUNG FÜR GEGENWÄRTIGKEIT Gegenwärtigkeit kann definiert werden als Kreuzungspunkt der potentiellen und aktualisierten Zustände eines gegebenen Ganzen133 und unterstützt auf diese Weise solche Zustände. Die Intensität der Gegenwärtigkeit entspricht dem Maß des Zusammenhalts einer gegebenen Gelegenheit. 134 Der grundsätzliche Charakter von Gegenwärtigkeit wird manchmal unkorrekt als Eigenschaft beschrieben, durch die Objekte Raum `besetzen´. Dies - der `Schubladenblick´ auf den Raum - entsteht aus unzureichender Einsicht in Gegenwärtigkeit wurde aber seit Plato von Philosophen unkritisch übernommen. Im Timäus wird Raum noch als das Gefäß oder die Mutter von allem behandelt. Diese pythagoräische Intuition wurde durch Aristoteles verworfen und schrittweise wurde die Gegenwärtigkeit zugunsten einer `Belegtheit´ aufgegeben. In der Folge dachte Kant, er könne sich unbelegten Raum vorstellen. Es ist sicher, dass Newtons Entwurf von absolutem Raum und absoluter Zeit einen großen Einfluss auf die Philosophie des 18. und 19. Jahrhunderts hatte. Die östliche Philosophien kommen jedoch mit ihrer Vorstellung von Raum als Gegenwart der Erfahrung viel näher insbesondere der Hinduismus mit seinem Konzept von Akāsha.135 Eine überzeugende Erörterung der Unmöglichkeit, Raum ohne Gegenwärtigkeit wahrzunehmen verdanken wir Poincarè. „Es ist klar, dass wir uns weder einen Raum mit drei noch mit vier Dimensionen vorstellen können, weil wir weder in der Lage sind, uns diese als leer vorzustellen, uns aber auch nicht ein Objekt in einem Raum von vier oder drei Dimensionen vorstellen können.“136 Nichts in unserer Erfahrung entspricht der Wahrnehmung von Raum ohne Objekte. Darüber hinaus ist Gegenwart nicht auf die sichtbare Oberfläche eines ausgedehnten Körpers begrenzt. Jede Ganzheit besitzt Gegenwärtigkeit, aber nicht jede Ganzheit ist ein Objekt im Sinne klar definierter Form und klar definierten Volumens. Selbst solche, die auf eine sichtbare Oberfläche beschränkt sind, sind sowohl innerhalb als auch ausserhalb von ihr gegenwärtig. Jede Ganzheit ist für jede andere Ganzheit präsent, was Whitehead in seinem Konzept des `Begreifens´ erkennt. „Jede tatsächliche Entität begreift jede andere Entität.“137 Dies erfordert, dass jede Ganzheit überall anwesend ist. Es ist jedoch zweckmäßig, diesen öffentlichen Aspekt von Ganzheit von der privaten Gegenwärtigkeit einer gegebenen Ganzheit zu unterscheiden. Der Begriff `echte Gegenwärtigkeit´ kann genutzt werden, um den Bereich an Beziehungen zu bezeichnen, in dem eine gegebene Ganzheit die beherrschende Position einnimmt. Die Gegenwärtigkeit einer gegebenen Ganzheit ist deshalb ihr Kraftfeld. So kann zum Beispiel das Sonnensystem als dünne, tellerförmige Region auf der Ebene der Ekliptik betrachtet werden, mit einem Durchmesser von etwa 13 Milliarden Kilometern. Seine Entfernung zum nächsten Fixstern ist etwa 5000 Mal größer als sein Durchmesser, so dass ein weit ausserhalb der äußersten Planeten ruhender fester Körper beginnen würde, in Richtung Sonne zu fallen. Die echte Gegenwärtigkeit der Sonne umfasst so einen riesigen Bereich, innerhalb dessen ihr Kraftfeld, sowohl das gravitationale als auch das elektromagnetische, den beherrschenden Einfluss bilden. Ein lebender 133 Siehe Whitehead, The Concept of Nature. Dies würde der geometrischen Definition entsprechen in der Raum als stationär

für Zeit und Ewigkeit betrachtet wird. 134 Im Original: „The intensity of presence corresponds to the degree of coherence or a given occasion.“ DU, I, S. 164.

Wahrscheinlich ein Druckfehler. 135 Siehe Taittiriya Upanishad 1-6. Auch Chhandogya Upanishad 7-12 136 Siehe H. Poincarè, La Valeur de la Science, p. 127 137 Siehe Whitehead, Process and reality, p. 309

Organismus verfügt ebenso über eine echte Gegenwärtigkeit, die über die Oberfläche seines eigenen Körpers hinausreicht. Gegenwärtigkeit ist so sehr eine Eigenschaft der Phänomene wie Potentialität und Aktualisation. Bewusstseinszustände sind nicht weniger gegenwärtig als materielle Objekte. Alexander behauptet richtigerweise, dass geistige Objekte der bestimmenden Bedingung des Raums nicht weniger unterliegen als physische: „Indem er sich dem Raum zuwendet, sehen wir den Geist räumlich geniessend oder er ist im selben Sinne ausgedehnt, wie er in der Zeit fortschreitet und in der genossenen Zeit andauert.“138 Wittgenstein erkennt Gegenwärtigkeit in sprachlichen Aussagen.139 „Gegenstände enthalten die Möglichkeit aller Sachlagen….Raum, Zeit und Farbe sind Formen der Gegenstände….“ Es ist klar, dass er sich hier eher auf Gegenwärtigkeit als auf Raum bezieht. Wenn wir die irreführende Vorstellung des belegten Raums durch den Gedanken der Gegenwärtigkeit ersetzen, vermeiden wir die These, dass Raum und Zeit zum Faktischen gehören. Ausdehnung und Position sind faktuale Vorstellungen, die aus der Gegenwärtigkeit abgeleitet sind. Wir kennen die Fakten über den Raum, aber wir erkennen den Raum nicht. Diese Schlussfolgerungen können einmal mehr als Vorbemerkungen einer Darlegung der räumlichen Gesetze wie folgt zusammengefasst werden: (i) Raum ist die bestimmende Bedingung für Gegenwärtigkeit. (ii) Jede Gelegenheit ist gegenwärtig. (iii) Gegenwärtigkeit ist unabhängig von Potentialität und Aktualisation, d.h. von Zeit und Ewigkeit, gegeben. (iv) Jede Ganzheit besitzt `echte Gegenwärtigkeit´, die aus der Summe ihrer äußeren Beziehungen besteht. (v) Alle Ganzheiten sind füreinander gegenwärtig. (vi) Die gemeinsame Gegenwärtigkeit zweier Ganzheiten ist bestimmend für eine besondere Eigenschaft, die als `Intervall´ bezeichnet wird. (vii) Jede echte Gegenwärtigkeit wird durch Größen bestimmt, die in drei unabhängige Sets eingeordnet werden können. Diese werden als `Konfigurationen´ bezeichnet. (viii) Jede echte Gegenwärtigkeit teilt den Raum in drei Teile; ein Teil ist ihr innerlich, ein Teil ist ihr äußerlich. Der dritte Teil, der beiden gemeinsam ist, wird als ihre `Oberfläche´ bezeichnet. (ix) Eine echte Gegenwärtigkeit, die ohne Bezug auf innere Unterschiede betrachtet wird, wird als `Punkt´ bezeichnet. (x) Raum ist die bestimmende Bedingung der Koexistenz aller echten Gegenwärtigkeiten.

3.8.5. HYPARXIS ALS BEDINGUNG FÜR WIEDERKEHR So wie der Raum es äußerlich tut, so dient Hyparxis dazu, die sich gegenseitig ausschließenden Bedingungen von Aktualität und Potentialität innerlich zu versöhnen. Das Aktuale hört auf potentiell zu sein; das was potentiell ist, besitzt keine Aktualität. Es ist richtig, das die Balance der beiden Zustande entsprechend der Relativität des Seins variieren mag, aber Virtualität ist keine Zwischenform der Existenz, sonder eher ein Maßstab des Verhältnisses zwischen den beiden gegensätzlichen Zuständen. Zunächst ist da ein polarer

138 Alexander, Space, Time and Deity, Vol. I, p. 97 139 Wittgenstein, Tractatus Logicus Philosophicus, 2.014, 2.0251

Gegensatz und keine Beziehung. Wir müssen deshalb eine Triade suchen, in der eine dritte unabhängige Kraft die Bildung einer Beziehung ermöglichen wird. In einer Triade müsste Potentialität die affirmative und Aktualisation die verneinende Kraft bilden. Potentialität ist die Affirmation eines Sets möglicher Ereignisse - sie ist ein Muster, das der gegebenen Situation innewohnt - während Aktualisation aus der Zurückweisung von Möglichkeiten besteht - die Verneinung der Bedeutung des Musters als einer Totalität zugunsten der Aktualisierung einer ihrer Facetten. Aktualisation gleicht einem ewigen Untergang und weil Menschen sich dessen immer bewusst waren, haben sie die ultimative Wirklichkeit von Zeit bezweifelt. Auf der anderen Seite kann Potentialität aus sich heraus obwohl sie unzerstörbar ist - nicht die Existenz aufrechterhalten, denn die Ewigkeit ist ein Lagerraum, zu dem niemand Zugang hat, solange die Türen nicht aufgeschlossen werden. Wir müssen deshalb nach der dritten inneren bestimmenden Bedingung suchen, um ein Mittel zu Versöhnung des antithetischen Einflusses der ersten beiden zu erhalten. Die Versöhnung des Potentialen und des Aktualen ergibt sich aus der Eigenschaft der `Fähigkeit-zu-sein´. Das, was nicht in der Lage ist, es selbst zu sein, verliert seine Potentialitäten im Moment der Aktualisation. Je mehr man man selbst ist, umso mehr ist man in der Lage zu aktualisieren ohne den Kontakt mit der Potentialität zu verlieren. In Bezug auf die Triade Wert - Fakt - Bedeutung können wir angemessenerweise Wert in Beziehung zu Ewigkeit, Fakt in Beziehung zur Zeit und Bedeutung in Beziehung zu Hyparxis setzen. Eine wesentliche Eigenschaft der Bedeutung ist, dass sie wiedererkannt werden kann. Ein einmal erfahrener Wert kann nichtsdestotrotz gültig sein, obwohl er nicht auf irgendwelche anderen Werte bezogen ist. Obwohl Fakten klassifiziert und ihre gemeinsamen Eigenschaften zum Gegenstand wissenschaftlicher Verallgemeinerungen gemacht werden können, bleibt es doch wahr, dass jedes Faktum einmalig und umwiederholbar ist. Werte sind ein für allemal was sie sind; sie sterben nicht, aber sie kommen auch nicht wieder. Fakten sterben und auch sie kehren nicht zurück. Deshalb muss die Eigenschaft der Wiederhehr und der Wiedererkennung aus Hyparxis abgeleitet werden. So können wir sagen, dass auf dieselbe Weise, in der Potentialität die Haupteigenschaft der Ewigkeit und Aktualisation die der Zeit ist, Wiederkehr die Haupteigenschaft von Hyparxis ausmacht. Es die Wiederkehr, durch die wir Bedeutungen erkennen. Die Wissenschaft der reinen Bedeutung besteht einer Logik die unabhängig ist von Faktum und Wert. Die Kombination von Identität und Wiederkehr lässt die Reihe natürlicher Zahlen entstehen. Durch den Klassenbegriff wird einem ähnlichen Set von Objekten eine gemeinsame Bedeutung zugeordnet und deshalb ist Arithmetik vom Wesen her hauptsächlich hyparxisch. Durch Hyparxis ist es möglich, analytische Aussagen zu machen, deren Wahrheitsgehalt gesichert ist, obwohl sie durch die Anwendung unseres faktischen Wissens nicht verifiziert werden können. Strawson gibt ein Beispiel, um die Möglichkeit zu illustrieren, ein rein abstraktes System zu konstruieren, in dem die Bedeutungen ohne Bezug zur Existenz definiert werden. In solchen Systemen können logische Aussagen gemacht werden, die nachweislich wahr und doch losgelöst von irgendeiner Interpretation sind.140 Um tiefer in das Wesen von Hyparxis einzudringen müssen wir erkennen, dass Bedeutungen sich der tatsächlichen Erfahrung niemals mehr als annähern können. Das abstrakte Klassenkonzept `fünf´ hat in all seinen Anwendungen genau dieselbe Bedeutung, aber nur solange wir uns selbst auf die bestimmende Bedingung von Hyparxis alleine beschränken. Wenn wir Fakten einbeziehen und von fünf Ereignissen oder fünf Möglichkeiten sprechen müssen, kann es niemals mehr als einen gemeinsamen erkennbaren Faktor vor einem Hintergrund der Differenz geben. Die Möglichkeit, Bedeutungen von Fakten und Werten zu trennen, zeigt uns, dass Hyparxis eine unabhängige bestimmende Bedingung der möglichen

140 Siehe P.E. Strawson, Introduction to Logical Theory, p. 102

Erfahrung ist. Ihr Beitrag besteht in der Bestimmung des Maßes, in dem irgendeine gegebene Ganzheit in der Lage ist, sie selbst zu sein. Eine bloße Aktualisation ist das Ende der Existenz, eine bloße Potentialität ihr Beginn. Zwischen Beidem erreicht die Existenz ein gewisses Maß an Fülle. Die Bildung eines Konzepts ist lediglich beiläufig ein Prozess in der Zeit; in ihrer hauptsächlichen Bedeutung ist sie eine hyparchische Konzentration. Das Konzept eines Baumes wäre sehr prekär, wenn wir nur ein einziges Mal einen tatsächlichen Baum gesehen hätten. Es ist die Wiederholung von Erfahrungen mit gemeinsamem Gehalt vor einem Hintergrund der Differenz, die in uns nach und nach eine wiedererkennbare Ganzheit entstehen lässt, die die Idee des Baumes ist.141 Indem er diesen Prozess der Entstehung von Existenz durch Wiederholung kommentiert, spricht Herbert Spencer vom Übergang von einem Zustand „unbestimmter, zusammenhangsloser Homogenität zu einer definierten, kohärenten Heterogenität.“ Die Beispiele, die er anführt beziehen sich auf die Wiederkehr in der Zeit und tendieren deshalb dazu, das eigentliche Wesen der bestimmenden Bedingung von Hyparxis zu verschleiern. Wir müssen uns nun Nietzsche mit seinem Konzept der ewigen Wiederkehr zuwenden und insbesondere Ouspenskys Entwicklung dieser Auffassung. 142 Ouspensky verstand ganz richtig, dass Wiederholung in der Zeit nur wenig zur Bedeutung von Existenz beiträgt und dass es notwendig ist, die Wiederkehr, nicht etwa eines ähnlichen Ereignisses in der Zukunft, sondern desselben Ereignisses zur selben Zeit zu postulieren. Lassen Sie uns das Bild einer Verlosung von sechs Geldpreisen unter hundert Menschen betrachten. Die Potentialitäten einer solch einfachen Situation belaufen sich auf 1 Billion unterschiedlicher Resultate des Ereignisses. Indem die Ziehung durchgeführt wird, wird eine dieser Potentialitäten aktualisiert und es ist notwendig, die Existenz dieses einmaligen Ereignisses durch die immense Anzahl von Nicht-Ereignissen zu erklären. Nach der Ziehung werden die Lose vernichtet und nichts bleibt in der Zeit zurück. Wir können deshalb bezüglich der Bewahrung von unaktualisierten Potentialitäten weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft blicken. Wir müssen vielmehr zu der Auffassung kommen, dass das Potentiale gleichermaßen wie das Aktuale existiert und dass darüber hinaus Potentialitäten erhalten werden müssen Die Erhaltung von Potentialitäten kann in Ereignissen wie diesem nicht alleine durch die bestimmenden Bedingungen von Zeit und Ewigkeit erklärt werden. In einem gewissen Sinne kann man sagen, dass die Potentialitäten, obwohl verstreut, räumlich angeordnet bleiben. Die Lose, auf denen die Namen der Nichtgewinner stehen, existieren eine Zeitlang weiter. Wenn sie vernichtet werden, bleibt das Material, aus dem sie bestehen, trotzdem erhalten. Die Konsequenzen des Ereignisses hallen wieder nach und beeinflussen alle betroffenen Leben. Obwohl auf diese Weise etwas von dem Ereignis konserviert wird, sind die Potentialitäten selber verschwunden. Die Ziehung kann nie wieder durchgeführt werden. Das Problem erinnert an Zenos Paradox vom gleichen Fluss, in den man nicht zweimal steigen kann. Das Paradox wird üblicherweise einem irrtümlichen Sprachgebrauch zugeschrieben, zum Beispiel der Zuschreibung von `Gleichheit´ für das unmittelbare Ereignis und den kontinuierlichen Prozess. Die Ablehnung des Paradoxons als schlecht begründet beseitigt nicht das zugrundeliegende Problem, die zwei Bedeutungen des Wortes `Gleichheit´ zu

141 Siehe Campion und Elliot Smith, The Neural Basis of Thought, Chap. 2, „Die organische Entstehung eines Konzepts.“, auch

pp. 43-5. 142 Siehe P.D. Ouspensky, Ein neues Modell des Universums, Kap. XI. Es gibt einen unglücklichen Sprachgebrauch des

Begriffs der `ewigen Wiederkehr´, denn dieser vermischt zwei ziemlich verschiedene Elemente der Existenz, nämlich Ewigkeit als Lagerplatz von Potentialitäten und Hyparxis als Feld der Wiederkehr. Letzteres berücksichtigt die Art und Weise, in der die gespeicherten Potentialitäten auf die Aktualisationen verteilt werden. Auch M. Nicole, Living Time, Kap. 7 und 8.

versöhnen. Der Moment existiert mit all seinen Potentialitäten wirklich, aber er ist einmalig und umwiederholbar. Der Prozess verschmilzt mit dem allgemeinen Strom von Ereignissen: er kann nicht eindeutig identifiziert werden. Seine Identität geht im Flux verloren; was wir wiederfinden ist niemals dasselbe. Das Gleiche kann niemals wiedergefunden werden und doch sind `Gleichheit´ und `Wiederkehr´ gleichermaßen gültige Bestandteile unserer Erfahrung. Es ist notwendig, auf diesen Problemen zu beharren und zu realisieren, dass sie im Rahmen von Ewigkeit, Zeit und Raum nicht gelöst werden können wenn wir die Bedeutung von Hyparxis verstehen wollen. Die bestimmende Bedingung von Hyparxis besteht in der Bewahrung der Einmaligkeit von Erfahrung. Die Bedeutung dieses Umstands kann erst dann gewürdigt werden, wenn wir begreifen, dass Einzigartigkeit sowohl von Zeit als auch von Ewigkeit verschlungen wird. In der Zeit geht sie im Fluss der Ereignisse verloren, in dem nichts bleibt, was es ist. In der Ewigkeit sind alle Potentialitäten gleichberechtigt; keine wird für einen einzigartigen Platz ausgesucht. Bevor die Ziehung stattfindet, befinden sich die Preise überall und deshalb nirgends. Alle Besitzer von Losen sind potentielle Gewinner und deshalb ist niemand besser gestellt als die anderen. Im Moment der Ziehung ereignet sich die einmalige Verteilung von sechs Preisen an sechs Personen, aber diese Situation bricht schnell zusammen. Das Geld wird ausgegeben und irgendwann umverteilt und verschwindet, bis alle hundert Teilnehmer einmal mehr ununterscheidbar sind. Ziemlich anderes verhält es sich im Zustand der Hyparxis, wo das Ereignis selbst erhalten bleibt und auf eine Weise wiederholt wird, dass der Moment der Schwebe - wenn die Billion Potentialitäten plötzlich einer Aktualisation Platz machen - wieder und wiederkehrt. Man mag einwenden,dass wir mit der Bewahrung der Einmaligkeit eines Moments durch die Erinnerung vertraut sind, die wir von Ereignissen der Vergangenheit haben, insbesondere wenn sie solch dramatischen Charakter hatten. Dieser Einwand übersieht die Beschränkungen der Erinnerung. Was wir Erinnerung nennen, besteht zum weitaus größten Teil aus der Reproduktion von Erfahrung, die sich in das Nervensystem eingegraben haben und durch Wiederholung verstärkt wird. Es gibt eine andere und seltenere Form der Erinnerung, in der das Ereignis zurückkehrt und wieder betreten wird; wenn aber diese Form der Erinnerung erlebt wird, erkennen wir, dass sie nicht zu jener zeitlichen Aktualisation gehört, an die wir gewöhnt sind. Es muss vielmehr beachtet werden, dass Erinnerung nicht bewahrenden Charakter hat. Unsere Macht, uns zu erinnern verfällt und verliert ihre Präzision. Die Potentialitäten des Moments selbst sind in der Erinnerung nicht anwesend und deshalb können wir seine Aktualisation selbst mit der Unterstützung der stärksten Erinnerungsfähigkeit nicht als ausreichende Gewähr dafür betrachten, dass keine Potentialitäten verloren gehen. Deshalb benötigt die Bewahrung von Potentialitäten die Wiederkehr. Darüber hinaus besteht Hyparxis keineswegs in zeitlich wiederholter Aktualisation; denn als bestimmende Bedingung zwingt die Zeit selbst jeder aufeinanderfolgenden Aktualisation eine Unumkehrbarkeit auf. Aus diesem Grunde können wir nicht zwei mal in denselben Fluss steigen und doch ist es auch wahr, wie Nietzsche und Ouspensky bestätigten, dass sich alles wiederholt und dass wir in bestimmten Momenten die innere Überzeugung haben, dass diese Wiederholung ein Teil unserer totalen Erfahrung ist, nicht weniger authentisch als die unumkehrbare Abfolge von Ereignissen, die sich auf ein Ende zubewegen, von dem es keine Rückkehr gibt. Es ist an dieser Stelle schwierig, auch nur eine erste Annäherung an die Gesetze von Hyparxis vorzunehmen, deren Charakter sich nur offenbaren wird, wenn wir klarer sehen, was an der Versöhnung von Zeit und Ewigkeit beteiligt ist. Für jetzt müssen die folgenden vorläufigen Aussagen genügen:

(i) Hyparxis ist die Bedingung der `Fähigkeit-zu-sein´. (ii) Hyparxis ist zeitlich wiederkehrend, eigenständig und numerisch. (iii) Hyparxis als Rückkehr bildet den versöhnenden Faktor zwischen der Affirmation von Ewigkeit als Potentialität und der Verneinung von Zeit als Aktualisation. (iv) Der Unterschied in der Fähigkeit-zu-sein zwischen zwei Rekursionen derselben Entität wird als `hyparchischer´ Intervall bezeichnet. (v) Fähigkeit-zu-sein hängt von einer Sensitivität ab, die weder virtuell noch aktual ist. (vi) Das Verschwinden des hyparchischen Intervalls ereignet sich dann, wenn alle Rekursionen der gegebenen Entität identisch sind. (vii) Hyparxis ist vor allem mit Bedeutungen assoziiert, eher als mit Werten oder Fakten.

3.8.6. DIE UNIVERSALEN GESETZE DER PHÄNOMENE Die bestimmenden Bedingungen des Rahmens sind direkt in der Erfahrung gegeben. Sie trennen mögliche von unmöglichen Phänomenen und sichern gleichzeitig den allgemeinen Zusammenhalt von Erfahrung Die bestimmende Bedingung von Zeit zum Beispiel ordnet vergangene, gegenwärtige und zukünftige Erfahrung und die bestimmende Bedingung von Raum ordnet die Erfahrung der Anwesenheit verschiedener Ganzheiten. Ewigkeit setzt aktuale Erfahrung mit potentieller Erfahrung in Verbindung und Hyparxis sichert die Konsistenz und Angemessenheit von Erfahrung. Wenn wir uns von Phänomenen zu Fakten bewegen, müssen wir die bestimmenden Bedingungen in universelle Gesetze übersetzen, die zusammen genommen den Rahmen der Fakten bilden Diese Gesetze können hinsichtlich der bestimmenden Bedingungen gruppiert werden. (a) Statistische Gesetze: Diese betreffen die Regeln für Auswahl und Kombination, die die in jeder gegebenen Situation vorhandenen Möglichkeiten begrenzen und sich um den Charakter der bestimmenden Bedingung der Ewigkeit drehen. (b) Erhaltungsgesetze: Es gibt zwei Typen: solche, die mögliche Bewegungen beschreiben und auf Hamiltons Prinzip der variierenden Wirkung reduziert werden können und solche, die Energietransformationen und das erste Gesetz der Thermodynamik sowie die Gesetze der Erhaltung von Schwung, elektrischer Ladung und Spin betreffen. (c) Gesetze der Unumkehrbarkeit: Diese sind mit der Natur der Zeit verbunden und bestimmen die Bedingungen, unter denen sich ein System auf seinen wahrscheinlichsten Zustand hin bewegt. (d) Gesetze der Koexistenz: Diese leiten sich von den bestimmenden Bedingungen des Raums ab. Sie bestimmen Ausmaß und Begrenzung der Anwesenheit verschiedener Arten von Ganzheiten. (e) Gesetze der Klassifikation: Diese sind die Grundlage der Logik und Arithmetik. (f) Gesetze der Entsprechung: Diese betreffen die Verbindung zwischen Glauben, Wissen und Wahrheit. Die gemeinsame Charakteristik all solcher allgemeiner Gesetze liegt in ihrer universalen Anwendbarkeit. Weil sie sich nicht auf Funktion beziehen, sind sie unabhängig von jeder spezifischen Manifestation. Sie sind auf alle Stufen des Seins anwendbar, wenn auch auf verschiedene Weise. Zum Beispiel unterliegt jedes Sein der Aktualisation in der Zeit; aber Aktualisation mag determiniert, freiwillig, vielwertig oder kreativ sein, je nach der Stufe des Seins und somit der Ewigkeitsebene, zu der sie gehört. Ähnlicherweise besitzt jede Ganzheit eine Präsenz, aber die Natur dieser Präsenz hängt von der Stufe des Seins ab.

Unsere Fähigkeit, Fakten zu beschreiben, wird hauptsächlich durch die Schwierigkeit eingeschränkt, Phänomene auf Fakten zu reduzieren, wegen der Defekte, die sowohl unserer Sinneswahrnehmung als auch unseren Sprachformen innewohnen. Die Schwierigkeiten, die bestimmenden Bedingungen zu formulieren sind nicht von derselben Art. Hier entziehen sich Formulierungen hauptsächlich deshalb, weil die Bedingungen zu einfach sind, um in Worten ausgedrückt zu werden, ohne irreführende Komplikationen hinzuzufügen. Es ist wahr, dass der tiefen Überzeugung - die von den meisten Wissenschaftlern und Philosophen geteilt wird - die Natur sei einfach, von der Komplexität des funktionalen Elements in der Erfahrung scheinbar widersprochen wird. Wir sehen, dass die wissenschaftliche Methode, die aus der Vernachlässigung der Differenzierungen des Seins besteht, ein zweischneidiges Schwert ist, das zunächst nützlich ist, aber sich später gegen den Benutzer wendet. All die Schwierigkeiten und Verwirrungen können jedoch in handhabbaren Grenzen gehalten werden, vorausgesetzt, wir behalten die bestimmenden Bedingungen des Rahmens im Blick. Es ist der einfache und ultimative Charakter dieser Bedingungen, der unseren Glauben in die Einheit und Gleichförmigkeit der Natur rechtfertigt. Wenn es uns gelingt, die Rahmengesetze so weit wie irgend möglich ohne Bezug weder auf Funktion noch auf Sein zu formulieren, können wir sie später als Mittel nutzen, um Irrtümer zu vermeiden und auch dazu, die Ergebnisse aus sehr unterschiedlichen Untersuchungsfeldern zu vereinheitlichen. Wenn der Rahmen stimmt, muss jedes Element der möglichen Erfahrung darin seinen Platz finden. Daraus folgt, dass die Angemessenheit und Kohärenz unserer Systematix den Test für die Richtigkeit unserer Formulierung der Rahmengesetze bildet.

KAPITEL 9

EXISTENTIALE HYPOTHESEN 4.9.1. DAS FELD WISSENSCHAFTLICHER UNTERSUCHUNG Der Naturphilosoph hat die Aufgabe, zu zeigen, wie Phänomene mit all ihren verschiedenen Qualitäten auf eine gemeinsame faktische Grundlage reduziert werden können, die für den Ausdruck und die Kommunikation durch Worte und Zeichen empfänglich ist. Der Wissenschaftler, der die Vorgänge zur Kenntnis nimmt, die die jene Reduktion erreicht wird, lässt sich von ihnen bei seiner Suche nach Regelmäßigkeiten leiten, die er umgekehrt als Tatsachen herausstellen wird. Aus Gründen der Bequemlichkeit - vielleicht sogar aus solchen der Notwendigkeit - schränkt der Wissenschaftler das Feld seiner Untersuchungen auf bestimmbare Gruppen von Phänomenen ein. Da sich jedoch Phänomene relativ zu einer bestimmten Form der Bewusstseins verhalten, ist das gesamte Feld, das alle Gruppen umfasst nicht genau definiert und es ist deshalb eine Sache der Konvention, seine Grenzen festzusetzen. Wir sollten dieses so konventionellen wie beliebigen Charakter der Abgrenzung des wissenschaftlichen Untersuchungsfeldes nicht aus den Augen verlieren. Religiöse Erfahrung zum Beispiel wird üblicherweise als Gegenstand betrachtet, der sich für wissenschaftliche Untersuchung nicht eignet. Als Grund dafür wird angegeben, dass sie durch Methoden der kontrollierten Experiments, der Messung, statistischen Analyse und so weiter nicht angegangen werden könne. Der entscheidende Punkt ist, dass religiöse Erfahrung insofern sie authentisch ist nicht jenem engen Sinne `phänomenal´ ist, wie das Wort im vorliegenden Buch verwendet wird. Dieselbe Anmerkung gilt für künstlerische Erfahrung und, allgemeiner, für alle Werte-Urteile. Gleichermaßen müssen wir aus dem Reich der Phänomene die verschiedenen Formen der Halluzination und Psychose ausschließen, die sowohl in subnormalen als auch abnormalen psychologischen Zuständen auftauchen. Phänomene sind daher die Erfahrung des gewöhnlichen Menschen in seinen gewöhnlichen Bewusstseinszuständen. Unter Nutzung der im vorangegangenen Kapitel erreichten Schlussfolgerungen könne wir sagen, dass die phänomenale Welt im Raum gegenwärtig sind, in der Zeit fortschreitend, in der Ewigkeit potentiell und durch ihre hyparchische Wiederkehr zusammengehalten werden. Wir erweitern unser Wissen über diese Welt indem wir Phänomene auf Fakten reduzieren. Indem wir dieses Wissen mit unserer Intuition der existentialen Ebenen und der Formen des Willens kombinieren können wir zu mehr oder weniger adäquaten Vorlagen zur Erforschung unserer gewöhnlichen Erfahrung kommen. Phänomene sind relativ zu unserm gewöhnlichen Bewusstseinszustand und besitzen deshalb keinen festgelegten Status. Ein Landschaftsmaler und ein Meteorologe, die denselben Sonnenuntergang betrachten, empfangen verschiedene Phänomene; ein taxonomischer143 Botaniker und ein Bauer, die dasselbe Feld betrachten werden verschiedene Pflanzen bemerken, die dort wachsen. Im Reich der Phänomene kann Wissen als das Ordnen von Funktion nicht mehr als eine technische Bedeutung haben, im Sinne von mehr oder weniger erfolgreicher Anpassung. Wenn wir jenseits des Wissens gehen und die Welt, in der wir leben verstehen wollen, dann müssen wir den Unterscheidungen des Seins größtes Gewicht einräumen, von denen alle

143 Wiki: Eine Taxonomie (altgriechisch τάξις táxis ,Ordnung’ und νόμος nómos ,Gesetz’) ist ein einheitliches Verfahren oder

Modell (Klassifikationsschema), mit dem Objekte nach bestimmten Kriterien klassifiziert, das heißt in Kategorien oder Klassen (auch Taxa genannt) eingeordnet werden. Naturwissenschaftliche Disziplinen verwenden den Begriff der Taxonomie für eine in der Regel hierarchische Klassifikation (Klassen, Unterklassen usw.). (Anm. d. Übers.)

Werte abhängen. In früheren Jahrhunderten versuchten Menschen, Faktum und Wert zu harmonisieren, indem alles Wissen in ein Muster gezwungen werden sollte, dass mit einer ausgedachten Sicht auf die universale Ordnung übereinstimmte. In Westeuropa glaubte man zum Beispiel mehr als tausend Jahre lang, dass jedes wahre Konzept der Natur vor den Offenbarungen der heiligen christlichen Schrift übereinstimmen müsse. In solch einem Glauben liegt ein zweifacher Irrtum. Auf der einen Seite wird unser Tatsachenwissen durch die Beseitigung der Unterschiede zwischen dem Sein und den Phänomenen erreicht; denn da die Phänomene selber Gegenstand einer subjektiven Erfahrung sind, kann faktisches Wissen niemals mehr als eine annähernde Darstellung unserer gewöhnlichen Erfahrung und muss daher ausserdem Gegenstand von Ungewissheiten sein, die wir nicht auszuräumen hoffen können. Auf der anderen Seite werden uns die Offenbarungen der Schriften - die ihren hypothetischen Ursprung aus der Erfahrung höherer Bewusstseinszustände beziehen - durch das Medium der Sprache übermittelt. Sprache selbst ist jedoch relativ zum Sein und wir haben gesehen, dass die höchsten Wahrheiten nur in der einzigartigen gestischen Sprache ausgedrückt werden können. Wenn diese Wahrheiten nach und nach in das Medium der gewöhnlichen Sprache übersetzt werden, ist es unausweichlich, dass konventionelle und künstliche Ideen dazukommen, die den Effekt haben, die tiefere Bedeutung zu verschleiern. Deshalb ist es nicht möglich, Offenbarung und faktisches Wissen auf irgendeinen gemeinsamen Nenner zu reduzieren, weder in der Erfahrung noch in der Sprache. Wenn also jemals eine harmonische, einheitliche Struktur auftauchen soll, müssen wir uns bemühen, zu der totalen Erfahrung von Funktion, Sein und Willen durchzudringen. Innerhalb dieser gegebenen Totalität können wir uns das Ziel setzen, die Prozeduren der Naturphilosophie und die Natur der Offenbarung mit Hilfe der Kategorien zu untersuchen.144 Wir könne keine der beiden Aufgaben nur in Begriffen der Funktion einer erfolgreichen Lösung zuführen und müssen so die Suche nach einer einheitlichen Interpretation aller Welterfahrung verschieben. Wir werden uns deshalb nun mit einer nochmaligen Überüberprüfung der Grundlagen der Naturphilosophie und universellen Ähnlichkeit befassen und ebenso mit der Schlussfolgerungen zu denen wir bezüglich des Rahmens der phänomenalen Welt gekommen sind. Der erste Schritt besteht darin, nach Mitteln zu suchen, um Ganzheiten entsprechend ihrer Existenzebene, das heisst entsprechend der Intensität ihres inneren Zusammenhalts anzuordnen. Das Konzept der Ewigkeit gibt uns die Möglichkeit, uns die Schichtung der Existenz zu verdeutlichen, in der jede Ebene von verschiedenen Typen von Ganzheiten belegt ist. Innerer Zusammenhalt hat per Definition die einzigartige innere Beziehung eines `mehr oder weniger´; deshalb ist er eine erhebliche Größe. Wir könne vielleicht etwas über ihn lernen, wenn wir die Analogie mit einer der erheblichen Größen der Physik betrachten, wie etwa der Temperatur.145 Durch ihren relativen Charakter und unseren eher intuitiven als beschreibenden Zugang, besitzt `Temperatur´ viele Entsprechungen mit `Existenz´. Dies ist nicht überraschend, da Temperatur und Existenz beide von der Energie abhängen, die in einem gegebenen Ganzen vorhanden ist. Der Unterschied besteht darin, dass Existenz viele unterschiedliche Energieformen umfasst während Temperatur lediglichEine beachtet, nämlich die der Bewegungen im molekularen Maßstab. Der Vergleich zwischen Existenz und Temperatur mag uns helfen zu sehen, was mit der Aussage gemeint ist, die Existenzebene bilde eine erhebliche von Funktion unabhängige Größe. Luft und Wasser mögen dieselbe Temperatur haben obwohl die funktionale Verteilung von Energie in den Molekülen ziemlich unterschiedlich sein mag. Ähnlicherweise mögen sich zwei Ganzheiten auf derselben Existenzebene befinden obwohl ihre Funktionen keine sichtbare Ähnlichkeit aufweisen. 144 Die zwölf Kategorien schließen Werte nicht ein und in Band II werden wir diejenigen untersuchen, die sich jenseits der

Autokratie befinden. 145 Siehe MacTaggart, The Nature of Existence, p. 242

4.9.2. DIE RELATIVITÄT VON EXISTENZ Die Relativität von Existenz ist durch alle Phänomene hindurch beobachtbar. Sie gilt gleichermaßen für das Belebte wie das Unbelebte und ist die gemeinsame Grundlage jeder Interpretation physikalischer oder biologischer Daten. Wissenschaftler, die mechanistische Erklärungen bevorzugen, erkennen verschiedene Ebenen der Existenz nicht weniger als solche, die Leben als nicht reduzierbar auf physikalische-chemische Begriffe betrachten. Die Evolutionslehre, in welcher Form auch immer sie dargeboten wird, bestätigt, dass sich das Leben in der Transformation der Spezies von einer Ebene zu einer anderen bewegt. Die meisten Autoren, die darüber geschrieben haben, stimmen überein, dass im Laufe der Evolution intrinsische Eigenschaften des Organismus verbessert werden und dass er damit ein größeres Maß an Unabhängigkeit von seiner Umwelt gewinnt.146 Dies sind die funktionalen Konsequenzen eines größeren Maßes an innerem Zusammenhalt, das heisst einer Verlagerung von einer Ebene der Ewigkeit zu einer anderen. Wir können es jedoch nicht als gegeben annehmen, dass irgendeine funktionale Beschreibung ausreicht, um uns zu sagen in welcher Richtung der Ewigkeit sich die Verlagerung ereignet. Es ist bekannt, dass es unangepasste Formen gibt, die im Verlauf der geologischen Zeit eher Potentialitäten eingebüsst als gewonnen zu haben scheinen.147 Die Relativität von Existenz ist in der Tat so offensichtlich, dass sie zu allen Zeiten erkannt wurde - obwohl in verschiedenen Formen. Es sind keine evolutionistischen Konzepte nötig, um zu erkennen, dass sich Wesen auf verschiedenen Ebenen befinden.Aristoteles legte die Grundlagen der Naturwissenschaften, so wie wir sie heute kennen, denn er zeigte, dass jede Ebene des Seins ihre eigenen angemessenen Untersuchungsmethoden erfordert. Er erkannte auch, dass es notwendig ist, eine einzige existentiale Skala einzuführen, die mit unbelebten Objekten beginnt und beim Menschen endet. Darüber hinaus verstand er, dass Unterscheidungen von Form und Funktion von zweitrangiger Bedeutung sind. Kurz bevor Darwin die Idee der automatischen Evolution mit seiner Lehre der natürlichen Auslese populär machte, veröffentlichte Geoffrey St. Hilaire ein morphologisches Schema, dass auf der Idee basierte, dass allen unterschiedlichen Formen eine einzige Struktur unterliegt. Die materialistischen Biologen haben versucht, die Existenzebenen lediglich in Begriffen der Funktion zu erklären. Während sich evolutionäre Biologen vor allem mit Problemen von Form und Funktion befasst haben, haben die Philosophen der verschiedenen evolutionären Schulen die tieferen Fragen erkannt, welche durch den schrittweisen Übergang von niedrigeren zu höheren Ebenen der Existenz entstehen. Eine moderne Version der Skala des Seins stammt von S. Alexander, der schreibt: „Grob gesagt bestehen die eher deutlich beschreibbaren Existenzebenen aus Bewegung, physischer Materie, Materie mit sekundären Qualitäten, Leben, Geist.“ Er bezieht sich auch auf die `natürliche Frömmigkeit´ mit der wir die Relativität der Existenz akzeptieren sollten.148 Die Ebenen der Existenz betreffen nicht in erster Linie den funktionalen Mechanismus, das heisst weder die Form seiner Anwesenheit im Raum noch die Geschichte seiner Aktualisation in der Zeit. Die bestimmenden Bedingungen selber bringen die erforderliche

146 Siehe J.S. Haldane, The Philosophical Basis of Biology (1931), p. 122. J. Huxley, Evolution (1942), p. 564. J.B.S. Haldane,

The Causes of Evolution (1932), p. 153. J. Needham, Integrative Levels: A Revaluation of the Idea of Progress (1937). J.H. Woodger, Biological Principles (1920), p. 426. 147

Siehe Huxley, Evolution, Chapter 9, Section 4, `Nicht-adaptive Trends und Orthogenesis´.

148 S. Alexander, Space. Time and Deity (London 1920), Vol. II, p. 52. Alexander erkennt dass „nichts extravagant an dem

Gedanken wäre, anzunehmen dass zum Beispiel Elektrizität oder Licht eine der Materie vorhergehende, ältere Substanz im eigentlichen Sinne bilden.“ Hier und an anderer Stelle nimmt er einige der im vorliegenden ich entwickelten Ideen vorweg.

Beziehung des `mehr oder weniger´ in die Phänomene nicht ein.149 Existenz wird durch die Bedingungen des Rahmens bestimmt, aber diese sind für ihre Abstufungen nicht verantwortlich. Die Beziehung des `mehr oder weniger´ ist sowohl auf ausgedehnte als auch auf intensive Größen anwendbar.150 Wir könne konkret sagen, `auf diesem Haufen befindet sich mehr Kohle als auf dem anderen´, und wir können auch abstrakt sagen, `eine Tonne ist mehr als ein Zentner´. Wir müssen lediglich sicher sein, dass die Vergleiche solcherart sind, dass sie auf faktuale Aussagen reduziert werden können. Wenn wir zum Beispiel sagen würden, ´in diesem Haus befindet sich sehr Geld als Glück´, würden wir eine Form der Sprache verwenden, die nur dann Bedeutung hätte, wenn der Zuhörer die implizite Unterscheidung der Werte erkennt. Die ausgedehnte Relativität der Existenz ist nicht schwer zu interpretieren, da sie bereits in faktischen Begriffen ausgedrückt werden kann und in unserer Sinneserfahrung der bewahrenden Aktualisation gegeben ist. Das intensive Verfahren verursacht jedoch einige Probleme, weil es nicht direkt in unserer Sinneserfahrung gegeben ist. Bei den Überlegungen zum Charakter der Ewigkeit als rahmenbestimmender Bedingung wurde angenommen, dass jedes Wesen eindeutig einer gegebenen Ebene zugeordnet werden könne. Wir müssen diese Annahme nun untersuchen und herausfinden, inwieweit sie durch unsere Erfahrungen gerechtfertigt wird. Die Intensität des inneren Zusammenhalts ist eine ein-wertige Eigenschaft, die einem Wesen auf dieselbe Weise zuschreibbar sein sollte wie Temperatur jedem Körper zuschreibbar ist, ungeachtet seines Zustands oder seiner Zusammensetzung.

4.9.3. DIE SKALA DES SEINS Wenn es da verschiedene Existenzebenen gibt bilden sie entweder eine einzige geordnete Abfolge oder es muss parallele oder sich verzweigende Hierarchien geben. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint die zweite Alternative den Daten der Erfahrung am ehesten zu entsprechen. Trotzdem sind alle Versuche, einen morphologischen èchelle des êtres151 einzuführen, gescheitert. Die transzendentalen Morphologen, angefangen bei Buffon und Goethe kamen dem Prinzip der Struktur recht nahe, aber verwechselten die Einheit der Struktur mit der Einheit der Existenz und bildeten sich deshalb eine falsche Vorstellung von der Skala des Seins - ein Irrtum, der im großen Werk von St. Hilaire klar ersichtlich wird152. Trotzdem würden die Einsichten Goethes seine Nachfolger wohl zu einem neuen Verständnis der Prinzipien von Struktur geführt haben, wäre die Aufmerksamkeit der Biologen nicht durch die Veröffentlichung von Darwin`s Ursprung der Arten von der Morphologie weggelenkt worden. Die Allgegenwärtigkeit von Struktur geriet aus dem Blick und die Vorstellung einer `Form aller Formen´ verschwand langsam aus dem biologischen Denken. Trotzdem ist es gerade die nicht-morphologische oder unsichtbare lebendige

149 Eine solche Aussage widerspricht scheinbar mit dem gewöhnlichen Sprachgebrauch, nach dem wir etwa von `mehr oder

weniger Zeit´ oder `mehr oder weniger Raum´ sprechen, aber dieser ist lediglich nachlässig. Korrekter wäre es, wenn wir von `längerer oder kürzerer Dauer´ und `einem größeren oder kleineren Volumen´ sprechen würden. Genau genommen ist eine Dauer nicht `mehr´ als eine andere, so wie ein Kreis nicht `kreisförmiger´ als ein anderer Kreis ist. 150Die Messung einer Qualität so wie Härte, wo es keinen physikalischen Prozess der Hinzufügung gibt, um durch die

Kombination gegebener Beträge mehr an jener Qualität zu produzieren, wird als intensive Größe bezeichnet. Solche Größen sind das Gegenteil von extensiven Größen (Länge, Volumen) wo dies möglich ist. (Anm. d. Übers.)
 Kant, Logik, (1800) VI.A: „Die Größe der Erkenntnis kann in einem zwiefachen Verstande genommen werden, entweder als extensive oder als intensive Größe. Die erstere bezieht sich auf den Umfang der Erkenntnis und besteht also in der Menge und Mannigfaltigkeit derselben; die letztere bezieht sich auf ihren Gehalt, welcher die Vielgültigkeit oder die logische Wichtigkeit und Fruchtbarkeit einer Erkenntnis betrifft, so fern sie als Grund von vielen und großen Folgen betrachtet wird.“ 151 Franz. Skala des Seins. An dieser Stelle ist darauf zu verweisen, dass Bennett der Begriff der Holarchie noch nicht bekannt

war, der erst 1967 von Artur Kastler in seinem Buch Der Geist in der Maschine geprägt wurde und eines der wesentlichsten Konzepte der von Ken Wilber konzipierten integralen Theorie bildet. (Anm. d. Übers.) 152 Siehe G. de St. Hilaire, Philosophie Anatomique (1818-23)

Einheit, in der die Unterschiede der Ebenen verborgen sind. Wir müssen deshalb die verschiedenen Arten intensiver Größen berücksichtigen, die dazu dienen können, verschiedene Hierarchien der Existenz zu definieren. Wir mögen etwa den Status materieller Objekte in Begriffen von Größe, mechanischer Stärke, Dichte, Temperatur, elektrischen und magnetischen Eigenschaften bewerten. Bei lebenden Organismen sollten wir eher die Lebensdauer und die Stabilität der inneren Umwelt in Betracht ziehen, Größe, Anpassungsfähigkeit und Unabhängigkeit in Bezug auf die äußere Umwelt.153 Menschliche Wesen würden hinsichtlich körperlicher Gesundheit, Intelligenz, Charakter, Erfahrung usw. bewertet werden. Auf den ersten Blick scheinen diese Daten zu ziemlich verschiedenen Hierarchien gehören und sich, auch in einer bestimmten Serie in verschiedene Zweige aufzuteilen, die auseinander klaffen und jede gemeinsame Eigenschaft zu verlieren scheinen, die sie scheinbar zuerst besessen haben. Aristoteles bringt alle Tiere in einer einzelnen Serie unter, von Fischen und Vögeln zu eierlegenden Vierbeinern und lebendgebährenden Säugetieren und zum Menschen. Nach ihm gibt es und er Serie keine Verzweigung: „Die Rasse der Pflanzen folgt unmittelbar auf die der unbelebten Objekte.“ Die Biologen, die auf Aristoteles folgten, haben es zum größten Teil nicht geschafft. zu seinen Intuitionen vom Sein durchzudringen und wurden durch Ähnlichkeiten der Funktion fehlgeleitet. Goethe machte diesen Fehler wahrscheinlich nicht, Cuvier jedoch wandte gegen andere Versuche, eine Skala des Seins einzuführen, richtigerweise ein, dass „die vermeintliche Skala des Seins auf einem falschen Verständnis der Totalität der Schöpfung beruht, dass sich auf Teilbeobachtungen bezieht, die nur dann Gültigkeit besitzen, wenn sie auf den Raum begrenzt bleiben, in dem sie gemacht werden.“154 Wir sehen jedoch, dass alle Kritik an der Skala des Seins für uns neben der Sache liegt, denn Morphologie bildet den funktionalen Aspekt von Struktur, während wir nach der unsichtbaren Eigenschaft suchen, durch die Existenz zusammengehalten wird. Die charakteristischen Verfahren der Existenz solch unterschiedlicher Ganzheiten wie ein Impuls elektromagnetischer Strahlung, ein Stein, das Wasser in einem See, eine lebende Pflanze oder ein Tier, ein Bewusstseinszustand oder eine Erinnerung scheinen voneinander so verschieden zu sein, dass keine einzelne Eigenschaft zu ihrer Bewertung geeignet zu sein scheint. Ungeachtet aller Unterschiede haben diese Ganzheiten die Eigenschaft gemeinsam, mehr oder weniger kohärente Entitäten zu sein, denen wir in einer definierbaren und erkennbaren Beziehung gegenüber stehen.

4.9.4. POTENZ ALS KRITERIUM DER EBENE Wenn wir einen Stein mit einem Tier vergleichen, sehen wir, dass sie beide zeitlich andauern, aber auf sehr verschiedene Weise. Der eine Stein mag härter und widerstandsfähiger als der andere sein; das eine Tier mag anpassungsfähiger und überlebensfähiger als das andere sein. Beide, Steine und Tiere sind in gewissem Sinne unabhängig von der Umwelt, aber der Begriff `unabhängig`hat in beiden Fällen ziemlich unterschiedliche Bedeutung. die Unfähigkeit, solche Bedeutungsschattierungen beim Gebrauch von Begriffen, die sich auf Existenz beziehen zu berücksichtigen war der Grund für viele Verwirrungen, denen Biologen und Physiker zum Opfer gefallen sind. Bei der Betrachtung irgendeiner Ganzheit, können wir ungeachtet ihrer funktionalen Struktur immer die Frage stellen: Inwieweit ist sie sie selbst? Wir können fragen: Inwiefern kann diese

153 Siehe die Diskussion von Größe in J.S. Huxley Problems of Relative Growth (London, 1932) 154 Siehe G. Cuvier, Regne Animal distribué dáprés son organization (Paris, 2nd den., 1829), Vol. I

Ganzheit erkannt werden durch das, was sie an und für sich selbst ist und nicht in Bezug auf die Umwelt in der sie sich befindet? Ein Stein ist durch seine Form, Größe, Farbe usw. erkennbar, aber wenn er gespalten oder aufgesplittert wird, können wir immer noch sagen, es sein derselbe Stein. Wenn er i zwei Teile aufgespalten wird, können wir sagen, dass es nun zwei Steine anstelle eines Steins gibt und das die Individuation des ursprünglichen Steins verloren ist, jedes der Teile wird nun getrennt voneinander individuiert. Darüber hinaus sollte die lange Existenzdauer des Steins nicht die Tatsache vor uns verschleiern, dass er sich wie alle materiellen Objekte langsam und unausweichlich abnutzt. Formfestigkeit und Haltbarkeit geben dem Stein jedoch ein größeres Maß an Individuation als einem Klumpen Lehm oder einem Haufen Sand. Die Individuation eines Tieres ist von einer sehr anderen Ordnung als der eines Dings. Sie kann durch ihre innere Struktur charakterisiert werden, die nicht jenseits bestimmter Grenzen variieren wird, wenn das Tier seinen normalen Existenzzustand beibehalten soll. Wir können seh viel genauer definieren, was es für ein Tier bedeutet, `es selbst´ zu sein, als das für eine Stein der Fall ist. Obwohl wir gezwungen sind, sprachliche Beschreibungen zu verwenden, um auf Unterschiede des Seins zu verweisen - und damit die Aufmerksamkeit von der Existenz zum Verhalten verlagern - verbleibt doch, auch wenn uns dies erlaubt ist, eine nichtsprachliche Intuition die der Aussage entspricht `das Tier existiert vollständiger als der Stein´. Dieses Element in den Phänomenen, dass nicht auf Fakten reduziert werden kann, erweist sich trotzdem als das eigentliche mittel, durch das Fakten entdeckt werden können. Es ist nicht geheimnisvolles an diesem nicht faktualen Element in der Erfahrung. Wir brauchen keine Hilfe von Geologen und Biologen um zu wissen, dass Steine und Tiere unabhängig voneinander und mit verschiedenen Methoden studiert werden sollten. Trotzdem ist der Stein für einen Geologen eine individuierte Ganzheit, so wie eine Pflanze für den Botaniker, ein Tier für den Zoologen oder der Mensch für den Anthropologen. In jedem Falle ist die so individuierte Ganzheit etwas mehr als ihre Funktion und trägt ihre Bedeutung in sich selber.155 Zu existieren bedeutet nicht generell, `zu sein´, aber es bedeutet, ein bestimmter Vertreter einer Spezies zu sein, der sich in einer fremden Umwelt aktualisiert. Existenz hat so einen dreifältigen Charakter - hypernomisch, autonomisch und hyponomisch. Der hypernomische Charakter der Existenz besteht in den Potentialitäten, mit denen jede Ganzheit durch ihre Zugehörigkeit zu einer Spezies ausgestattet ist. So existiert eine Rose als eine Rose, das heisst als ein Mitglied der Gattung rosa. Ihre Potentialitäten sind alle abgeleitet aus dem genetische´n Muster, das allen Pflanzen der Gattung gemeinsam ist. Die Gattung umfasst viele Spezies und eine immens kam plissierte Verteilung erblicher Eigenschaften, sodass das Muster der Potentialitäten sehr abwechslungsreich ist. Wir werden den Begriff Potenz benutzen, um das maximale Maß an Individuation zu bezeichnen, dass den Mitgliedern einer bestimmten Klasse von Ganzheiten zugänglich ist. Potenz bezeichnet die Ansammlung von Potentialitäten innerhalb einer gegebenen Ganzheit. Sie bildet die Grenzen der möglichen Selbst-Realisation, die von einer gegebenen Klasse von Ganzheit festgesetzt sind. Je reicher und bedeutungsvoller das Muster der Potenzialitäten, umso höher die Ebene des Seins, welche die gegebene Ganzheit erreichen kann. Es muss betont werden, dass Potenz nicht verbindlich, sondern tolerant ist. Da ist kein Gesetz, das von einer Ganzheit verlangen würde, ihre Potentiale zu realisieren. Selbstrealisation hängt nicht von der Potenz ab, sondern von der Fähigkeit-zu-sein, also eher von einer hyparchischen als von einer ewigkeitsbezogenen Eigenschaft.

155 Siehe William Blake, Proverbs of Hell: „Alles, was lebt hat Bedeutung und braucht weder gesäugt noch abgestillt zu

werden.“

So kommen wir dazu, Potenz als die wahre Grundlage der Klassifikationen zu betrachten, durch die Entitäten einer bestimmten Existenzebene zugeordnet werden. Potenz darf nicht mit Sein gleichgesetzt werden, sie ist jedoch ein Element des Seins, nämlich jenes, das das Muster der Existenz bestätigt. Sie steht so im Gegensatz zur Aktualität, die, wenn auch als sichtbarer Ausdruck des Musters trotzdem insofern eine Verneinung darstellt, als sie durch die Zurückweisung unerfüllter Potentialitäten entsteht. Die Individualität einer gegebenen Ganzheit hängt von der Art und Weise ab, in der es dieser bestimmten Ganzheit gelingt, den Konflikt von Zeit und Ewigkeit zu versöhnen. Individuation kann nicht als Grundlage der Klassifikation dienen; denn zwei gegebene Ganzheiten - identisch in ihrem grundsätzlichen Muster - mögen ziemlich verschiedene Stufen der Individuation erreichen. So sind alle Eichensamen gleichermaßen potentiell wirksam, aber ihr Ausmaß an Individuation hängt von ihrer Fähigkeit, ihre Bestimmung zu erfüllen und zu einer Eiche heranzuwachsen. So ist Potenz, nicht Individuation, das einzige Kriterium der Ebene und wir werden sie als die Grundlage unserer Systematix verwenden. Es ist die Potenz aus der alle Erfahrung geschichtet wird und Potenz der Phänomene kann durch Abstraktion der nicht-essentiellen Einzelheiten enthüllt werden. Die Methode einer legitimen Abstraktion ist so auf alle Phänomene anwendbar. Das dies so ist bedeutet nicht, dass wir irgendeine direkte Wahrnehmung der Potenz hätten, durch die verschiedene Stufen von Ganzheit charakterisiert werden. Wir beobachten ein bestimmtes Muster an äußerem Verhalten und daraus ziehen wir den Schluß, dass eine entsprechende Ganzheit anwesend sein muss. Die Schlussfolgerung sollte nicht aus dem Wissen des Verhaltens alleine erfolgen sondern erfordert eine gewisse Intuition des Seins. Dies ist keine mystische Intuition, sondern eine Sensitivität der Potenz gegenüber, wie jene, die für einen guten Geologen einen Stein zum Leben erweckt. Wir müssen also nicht nur bestimmte Verhaltensmuster erkennen sondern uns auch bemühen, sie zu unseren eigenen Intuitionen von Sein und Willen in Beziehung zu setzen. Diese Bemühung entspricht dem Prozess der Hypothesenformulierung, durch die der Naturwissenschaftler die Grenzen seines Wissens erweitert.

4.9.5. ARBEITSHYPOTHESEN Die Modelle, die der Wissenschaftler entwickelt um seine Beobachtungen mit seinen allgemeinen Annahmen bezüglich der natürlichen Ordnung in Einklang zu bringen können als `Arbeitshypothesen´ bezeichnet werden. Sie sind im Wesentlichen methodisch und praktisch und unterscheiden sich darin von philosophischen Systemen. Darüber hinaus sind sie im Allgemeinen in ihrer Reichweite auf ein bestimmtes Feld wissenschaftlicher Untersuchung begrenzt. Trotzdem unterscheidet sich die Arbeitshypothese von einer zusammenfassenden Aussage dadurch, dass sie Annahmen bezügliche des Seins trifft.156 Diese Unterscheidung ist keineswegs offensichtlich, denn wir sind es nicht gewohnt, die Potenz zu bemerken, die hinter dem beobachteten Verhalten liegt. Einige Beispiele sollen diesen Punkt verdeutlichen. Keplers Gesetze der Planetenbewegungen fassen eine Serie genauer Beobachtungen und Messungen zusammen, die in dem Glauben erfolgten, das Universum sein entsprechend eines Musters von Periodizitäten konstruiert, die Ereignisse jeden Maßstabs bestimmen. Er glaubte an Astrologie und suchte nach der Musik der Sphären. Die Kopernikanische Wende erbrachte keine unmittelbaren Zusätze zu den vorher beobachteten Regelmäßigkeiten, ließ aber die Intuition von Aristarchus vom Sein des Sonnensystems wiederaufleben. Unsere Anerkennung der Arbeit von Kopernikus beruht eher auf einer neuen Empfindung der 156 Siehe Husserl, Criticism of Marty`s Logical Studies (Second Logical Survey), zitiert von Marvin Faber in Foundation of

Phenomenology, p. 12: „Der Mathematiker stellt keinen universalen Lehrsatz auf ohne vorher die erforderlichen Objekte am Beginn des deduktiven Systems einzusetzen, und zwar durch das Mittel existentieller Annahmen.“

qualitativen Potenz, die wir nun dank ihm haben, wenn wir uns das Universum vorstellen als auf seinen quantitativen Interpretationen der planetarischen Bewegungen. Dieses neue Bewusstsein kann in den Zugängen von Galileo und Newton gefunden werden, die beide erkannten, dass die kopernikanischen Gesetze mehr waren als faktische Verallgemeinerungen und deshalb nach der Potenz suchten, aus der sie abgeleitet waren. 1845 beobachtete Faraday, dass ein Magnetfeld die Polarisationsebene eines Lichtstrahls drehte, aber es dauerte bis 1873, dass diese und viele andere folgende Beobachtungen der experimentellen Physik durch Clerk Maxwells Hypothese einen existentiellen Status erhielten, wonach Strahlung aus elektromagnetischen Wellen besteht. Seine berühmte Vorhersage von Strahlung ausserhalb des sichtbaren Spektrums führte zu Hertz Entdeckung der Radiowellen. Eine weitere Ableitung dieser Entdeckung - die Existenz von Strahlungsdruck wurde experimentell erst 1933 durch die Arbeiten von Bell und Green bestätigt. Diese beiden späteren Entdeckungen wurden aufgrund des existenziellen Charakters von Clerk Maxwells Hypothese möglich, die zum ersten Ma würdigte, dass Licht und Elektromagnetismus gleichpotent sind. Dies ist wahr, ungeachtet der Zweifel die durch nachfolgende Experimente zur `Existenz´ des lichterleugnenden Äthers aufkamen, von dessen Vibrationen man annahm, sie erzeugten die elektromagnetischen Wellen. Die Theoriegeschichte der elektromagnetischen Strahlung ist für unser gegenwärtiges Thema von großer Bedeutung, insofern sie dazu dient, die `Unerkennbarkeit des Seins´ zu veranschaulichen und auch die Wahrheit, dass die Intuition des Seins nicht in Worten ausgedrückt werden kann. Das führt uns zu der Erkenntnis, dass der Wissenschaftler, der eine Entdeckung gemacht hat nach eine funktionalen Interpretation sucht und so sich und andere in die Irre führt. Trotzdem bleibt jede fruchtbare Hypothese, auch wenn ihre Form irgendwann verändert werden mag, insoweit gültig, als sie auf eine Potenzebene hinweist. 1855 beobachtete Balmer, dass dasSpektrum von Wasserstoff Linien enthielt, die durch eine numerische Formel ausgedrückt werden konnten, deren Bedeutung zu dieser Zeit niemand vermutete. Das war dreissig Jahre bevor Niels Bohr seine Arbeitshypothese von der atomaren Struktur formulierte und die rein empirische Formel durch eine Intuition des Seins erweiterte.157 Seit den Arbeiten von Bohr und Rutherford hat der innere Zusammenhalt´ des Atoms eine Bedeutung erlangt, die die beobachteten Regelmäßigkeiten des Spektrums niemals hervorgerufen hätten, wären sie nur in der Form empirischer Verallgemeinerungen verblieben. Bohrs Hypothese führte zu weitreichenden Fortschritten wie der Theorie der elektrischen Ladungszahl. Die Kraft von Bohrs Theorie lag in der existentialen Hypothese die ein Atom behandelte als sei es ein verkleinertes Sonnensystem. Obwohl diese Vorstellung wieder aufgegeben wurde, legte sie trotzdem die Grundlage der modernen Atomtheorie und führte zu Rutherford Konzept des Atomkerns mit all seinen erstaunlichen Konsequenzen für das Menschliche Leben. Im Feld der Biologie wurden Mendel Beobachtungen der Vererbung in seinen zwei Gesetzen zusammengefasst - dem Uniformitätsgesetz und dem Spaltungsgesetz.158 Obwohl diese beiden Gesetze eine exakte Darstellung der Übertragung von erblichen Eigenschaften darstellte, begann die Bedeutung des Seins einer reproduktiven Zelle erst im Lichte von

157

Siehe Phil. Mag. 1913, 26 und folgende Papiere

1581. Mendelsche Regel: Kreuzt man zwei Individuen einer Art, die in einem Merkmal unterschiedlich, aber jeweils reinerbig

sind, so sind die Nachkommen in der 1. Tochtergeneration ( -Generation) in diesem Merkmal alle gleich (Uniformitätsgesetz). Das gilt auch bei umgekehrter (reziproker) Kreuzung. 2. Mendelsche Regel: Kreuzt man die Individuen der -Generation miteinander, so spalten sich die Nachkommen in der Generation in Bezug auf die Merkmale der Eltern nach festen Zahlenverhältnissen auf. Beim dominant-rezessiven Erbgang erfolgt die Aufspaltung im Verhältnis 3 : 1 (Spaltungsgesetz). (Anm. d. Übers.)

Weismanns genetischen Hypothesen begriffen zu werden.159 Es ist diese Hypothese geschuldet, dass wir nun eine Intuition vom inneren Zusammenhalt der sexuellen Zellen haben, die weit über den funktionalen Mechanismus hinausreichen, wie er in Mendels Regeln aufgezeigt wurde. Die genetische Theorie ist hervorragend geeignet, Potenz als aktives Prinzip zu begründen, das das Muster der Entwicklung bestimmt. Eine Hypothese kann also nicht ausschließlich und noch nicht einmal vorwiegend als beschreibend betrachtet werden. Da sie eine Intuition des Seins beinhaltet, bezieht sie sich direkt auf die Phänomene und kann deshalb zur Quelle neuer Fakten werden. In jeden der oben zitierten Beispiele führte die Formulierung einer neuen Hypothese zu neuen Beobachtungen. Eine weitere Illustration dieser Eigenschaft kann in der Entdeckung der Meiose160 , oder der Verkleinerung und Reifeteilung von Chromosomen gesehen werden, die 1887 an den weiblichen Zellen der Spulwürmer von Van Beenden und Boveri gemacht wurde und an der männlichen Zellen von Planer etwa zwei Jahre später161 - Phänomene die bereits von Weismann in seinen Hypothesen vorausgesagt worden waren. Ähnlicherweise beweisen die Entdeckungen, die Rutherford und andere nach der Formulierung der Hypothese bezüglich der Existenz des Atomkerns voraussagten - und anschließend machten - dass etwas mehr als funktionale Regelmäßigkeiten beteiligt waren. Entsprechend der Erklärung, die wir hier gegeben haben, bezieht sich jede Arbeitshypothese sowohl auf die Existenz als auch auf den Mechanismus. Als bloßer Katalog von Phänomenen ist sie wertlos und ihre wahr Bedeutung liegt darin, unsere Aufmerksamkeit auf ein spezifisches Muster der Potenz zu lenken.

4.9.6. HYPOTHESEN UND BESTIMMENDE BEDINGUNGEN Es ist zu beachten, dass eine Hypothese mit den rahmengebenden Bedingungen übereinstimmen muss um von Wert z sein. Aufgrund der rahmengebenden Bedingungen wird die Hypothese mit der Notwendigkeit konfrontiert den fundamentalen Naturgesetzen zu entsprechen. So brachte etwa die Entdeckung des Strahlendrucks Maxwells Hypothese in Übereinstimmung mit dem ersten Gesetz der Thermodynamik. Darüber hinaus setzen die rahmengebenden Bedingungen die Notwendigkeit einer logischen Konsistenz fest, der jede brauchbare Hypothese genügen muss. Henry Margenau beschreibt sich Erfordernisse, die eine wissenschaftliche Hypothese erfüllen muss und sowohl für die Wissenschaft als auch für den gesunden Menschenverstand akzeptabel zu sein. Diese werden wir folgt aufgelistet: (a) Fruchtbarkeit (b) Multiple Verbindungen (c) Haltbarkeit und Stabilität (d) Erweiterungsfähigkeit des Konstrukts (e) Kausalität und (f) Einfachheit und Eleganz.

159Wiki: Friedrich Leopold August Weismann (* 17. Januar 1834 in Frankfurt am Main; † 5. November 1914 in Freiburg im

Breisgau) war ein deutscher Arzt, Histologe und Zoologe. Ernst Mayr stuft ihn als den bedeutendsten Evolutionstheoretiker des 19. Jahrhunderts nach Charles Darwin ein. Er gilt als Begründer des Neodarwinismus. (Anm. d. Übers.) 160 Wiki: Als Meiose (von griechisch μείωσις meiosis 'Verminderung', 'Verkleinerung') oder Reifeteilung wird eine besondere

Art der Kernteilung eukaryotischer Zellen bezeichnet, bei der in zwei Schritten – Meiose I und Meiose II – die Anzahl der Chromosomen halbiert wird und genetisch voneinander verschiedene Zellkerne entstehen. (Anm. d. Übers.) 161 Siehe E.B. Wilson, The Cell in Development and Inheritance (1900), Chap. 5

Margenau nennt diese Erfordernisse metaphysisch, aber sie sind vom Wesen her sehr unterschiedlich.162 Auch andere, nicht weniger überzeugende Kriterien wurden formuliert und Philosophen streiten immer noch darüber, ob Hypothesen wichtiger oder weniger wichtig sind als faktische Aussagen. Die eine Schule behauptet, dass Hypothesen nicht mehr sind als eine bequeme Weise, eine Reihe von Tatsachen zu beschreiben, während andere sie als Aussagen über die Wirklichkeit selbst verstehen. Der Begriff `Konstrukt´ wurde von Karl Pearson163 eingeführt und wird in diese Hinsicht oft mit derselben Absicht verwendet, in der wir den Begriff des `Faktums´ benutzt haben. Die Bedeutung eines Faktums liegt in der Operation, durch die es ermittelt wird, dass heisst, in den Schritten, mit denen wir uns von Phänomenen zu geordnetem Wissen bewegen. Über diesen Übergang von Phänomenen zu Fakten schreibt Margenau:…Erfahrung bewegt sich, wo sie vollständig und integriert wird, vom Sensorischen und Spontanen zum Rationalen und Reflexiven. Durch diesen Übergang nehmen die Elemente des Gegebenen geordnete Züge an und erlauben der Vernunft, auf sie zuzugreifen. Eine der Merkwürdigkeiten der bloßen Sinneserfahrung besteht in einer gewissen logischen Vernebelung, einer verworrenen Verbindung, die der Klassifikation bloßer Einzeldaten trotzt. Aus diesem Grunde ist es nicht möglich, eine auf Daten beruhende Erfahrung auf eine andere Weise als bezeichnend oder ausführlich zu definieren. Der Übergang zu geordnetem Wissen schließt das Postulat von Konstrukten ein, die die rationalen Elemente bilden, denen die datenbelogene Erfahrung angepasst wird. Ein äußeres Objekt ist das einfachste Konstrukt, dass wir aus Gewohnheit über die meisten Formen sensorischen Bewusstseins setzen.“164 Margenau gibt denn auch Regeln vor, um zu entscheiden, ob ein Konstrukt „nur wissenschaftlich akzeptabel, oder one es Teil der Wirklichkeit ist.“ Damit entsteht gleich zu Beginn Verwirrung, denn Konstrukte sind zugegebenermaßen abstrakt. Er sagt auf der einen Seite, dass „Abstraktion eine elementare Form der Konstruktion“ sei und auf der anderen, sie sei „sowohl eine kreativere als auch eine synthetische Handlung.“165 Nirgendwo berücksichtigt er den eindeutigen Status einer Arbeitshypothese, die in seiner Sprache ein `Kreatives Konstrukt´ is. Das kreative Konstrukt ist in unserer Terminologie ein Zeichen für ein `Potenzmuster´. Das Verdienst von Fakten ist, dass sie gekannt werden können, ihr Mangel besteht darin, dass sie nicht vollständige Erfahrung sind, denn ihnen fehlen die Elemente sowohl des Seins als auch des Willens. Die Arbeitshypothese ist näher an der Erfahrung als das Faktum weil sie zumindest einen gewissen Bezug zum Element des Seins hat. In einer Hypothese gibt es immer ein intuitives Element, dass in einer bloßen Aufzählung von Fakten fehlt. Darüber hinaus sagt eine Hypothese etwas über die Form von Ereignissen, und bezieht sich so nicht nur auf die bestimmenden Bedingungen des Rahmens sondern auch auf Unterscheidungen, die wir mit Willen assoziieren. Man kann deshalb sagen, dass die Formulierung einer Hypothese auf der Ebene unseres gewöhnlichen Bewusstseins einen Vorgeschmack auf die Arbeit der objektiven Vernunft darstellt, da sie eine Kombination von Wissen, Bewusstsein und Verstehe erfordert.166 162 Siehe Margenau, The Nature of Physical Reality (New York, 1950), Chap. 5 163 Siehe Karl Pearson, The Grammar of Science (3rd edn.), p.41 164 Siehe Margenau, ebenda, p. 72 165 Siehe Margenau, ebenda, p. 71 166 Siehe Henri Poincarè, La Science et l´Hypothese und La Valeur de la Science

Hypothesenformulierung ist ein Moment des Bewusstseins, in das neues Verstehen eintritt, um Wissen zu transformieren. Der Wissenschaftler begreift etwas, das die Fakten alleine nicht enthüllen können. Jeder Zweifel an diesem Punkt muss durch die vielen Berichte der Wissenschaftler selbst zerstreut werden, über die qualvolle Periode, in der der Konflikt zwischen den neuen Fakten und den alten Hypothesen nicht beigelegt werden kann und über die Erleichterung, wenn die neue Hypothese sich selbst enthüllt.167 Hypothesenbildung ist nicht nur von dem Wissenserwerb zu unterscheiden, sondern sie ist auch unterschiedlich durch die Form ihrer Kommunikation. Das `Verständnis´ einer neuen Hypothese erfordert im allgemeinen eine andere Art von Aufmerksamkeit - und deshalb einen anderen Bewusstseinszustand - als die, die ausreicht, um eine Gruppe von Fakten zu erkennen, auch wenn letztere eher kompliziert sein sollte. Um empfindsam der Erfahrung gegenüber zu sein, muss man sich nicht ganz in Fakten verlieren.

4.9.7. DIE EXISTENZIALEN HYPOTHESEN Arbeitshypothesen sind generell vom Wesen her vorläufiger Natur und können verändert oder sogar aufgegeben werden ohne die allgemeine wissenschaftliche Aktivität innerhalb eines bestimmten Feldes zu stören. Es gibt jedoch eine Klasse von Hypothesen, welche das Feld selber definiert - nämlich solche, die Entitäten eines bestimmten Potenzbereichs eine Existenzebene zuweisen. Diese können als existentiale Hypothesen bezeichnet werden und sie bilden die Grundlage einer systematischen Klassifikation der Wissenschaften.168 In diesem Zusammenhang werden wir das Wort Entität verwenden um eine bestimmte Ganzheit in Bezug auf eine bestimmte Potenz zu bezeichnen. Eine Entität wird so als Mitglied eine Klasse von Ganzheiten betrachtet, die einer existentialen Hypothese genügen. Die existentialen Hypothesen sind die machtvollsten Instrumente wissenschaftlicher Untersuchung, denn sie ermöglichen es, jede Ebene der Wissenschaft präzise zu definieren und dienen zu selben Zeit dazu, die verschiedenen Arbeitshypothesen zu vereinheitlichen und ihre Gültigkeit zu testen. Nur wenn er eine klare Vorstellung von der Ebene der Entitäten hat, die r studiert, kann der wissenschaftliche Forscher seine Beobachtungen und Experimente in fruchtbare Bahnen lenken. So ist, wie wir gesehen haben, eine fehlerhafte existentiale Hypothese besser als gar keine.

4.9.8. DIE GRUNDLEGENDEN HYPOTHESEN Wir können damit beginnen, unsere Schlussfolgerungen zusammenzufassen indem wir die Existenz in die drei Bereiche der unbelebten , der belebten und der suprabelebten Existenz unterteilen. Wir könne in jeder von diesen nach einer Serie von Entitäten suchen, die eine gleichpotente Struktur haben. Das Ergebnis dieser Suche besteht darin, zu zeigen , dass es 12 prinzipielle Ebenen der Existenz gibt, jede von ihnen charakterisiert durch einen bestimmten Bezug auf die drei grundsätzlichen Modi. Die systematische Klassifikation, die wir hier einführen, benutzt Worte, die aus dem Griechischen abgeleitet wurden für die grundsätzlichen Modi - hypernomisch, autonomisch 167 Eine aufschlussreiche Beschreibung dieses Prozesses stammt aus einer Sendung mit Sir Lawrence Bragg aus dem Jahr

1946. Siehe auch J.G. Bennett, Nature (1944), Vol. 153, p.130. 168 Wir sollten hier anmerken, dass Levy in seiner Lehre von den Isolaten erkennt, dass es die innere Potenz ist und nicht die

äussere Form die eine Ebene von einer anderen unterscheidet. Er schreibt: „Ein Isolat hat gleichzeitig eine innere Struktur mit inneren Beziehungen zwischen den Elementen, aus denen es zusammengesetzt ist, und es hat äußere Beziehungen gemäß der Tatsache, dass es selber ein Element von einem größeren Isolat ist.“ (p. 35). (A Philosophy for a modern man, pp. 34-42).
 Anm. d. Übers.: Der Begriff des Isolas wird hier ähnlich verwendet wie der Begriff des Holons bei Kastler und Wilber.

und hyponomisch - und Worte lateinischen Ursprungs für die zwölf Ebenen, von Unipotenz bis zu Duodezipotenz. Innerhalb jeder dieser zwölf Ebenen gibt es Abstufungen, unterschieden durch das Ausmaß von Vollendung in der sich die charakteristischen Eigenschaften des Ebene zeigen. Die primäre Unterteilung wendet sich gegen die jeweilige Herrschaft eines der drei Modi gegenüber den anderen. A.

HYPNONOMISCHE DOMINANTE DIE GRUNDLEGENDE HYPOTHESE DER PHYSISCHEN EXISTENZ Es gibt eine Klasse von Entitäten, die durch den hypnotischen Modus dominiert werden und deshalb sowohl in ihren inneren als auch ihren äußeren Beziehungen essentiell passiv sind.

B.

AUTONOMISCHE DOMINANTE DIE GRUNDLEGENDE HYPOTHESE DER BELEBTEN EXISTENZ Es gibt eine Klasse von Entitäten, die vom autonomischen Modus beherrscht werden und deshalb in der Lage sind, eine Balance der Versöhnung zwischen ihren inneren und äußeren Beziehungen aufrecht zu erhalten.

C.

HYPERNOMISCHE DOMINANTE DIE GRUNDLEGENDE HYPOTHESE DER KOSMISCHEN EXISTENZ Es gibt eine Klasse von Entitäten, die durch den hypernomische Modus dominiert werden und deshalb in der Lage sind, als ursächliche, aktive Quellen für äußere Beziehungen zu agieren.

Innerhalb der drei grundlegenden Unterteilungen gibt es vier Familien, unterschieden durch die Ebene hyparchischer Existenz, die ihnen möglich ist. Jede Ebene ist gleichpotent. A 1. A 2. A 3. A 4.

Unipotente Entitäten Bipotente Entitäten Tripotente Entitäten Quadripotente Entitäten

Existentiale Indifferenz Unveränderliches Sein Identische Wiederkehr Zusammengesetzte Ganzheit

Erste Übergangshypothese B 5. B 6. B 7. B 8.

Quintpotente Existenz Sextpotente Existenz Septempotente Existenz Oktopotente Existenz

Selbsterneuernde Ganzheit Reproduktive Ganzheit Selbstregulierende Ganzheit Selbstlenkende Ganzheit

Zweite Übergangshypothese C 9. C 10. C 11. C 12.

Novempotente Existenz Dezempotente Existenz Undezimpotente Existenz Duodezimpotente Existenz

Aktive Oberfläche

Biosphärische Ganzheit Subkreative Ganzheit Kreative Ganzheit Superkreative Ganzheit Autokratische Ganzheit

Wir haben nun eine formale Systematik für alle Bereiche der Naturphilosophie geschaffen, und unsere Aufgabe im vorliegenden Band besteht letztlich darin, dieses formale Schema auf die Daten der Beobachtung und des Experiments zu beziehen.

KAPITEL 10

DIE KLASSIFIKATION DER WISSENSCHAFTEN A. UNBELEBTE EXISTENZ - HYPONOMISCHE ENTITÄTEN 4.10.1. DER CHARAKTER HYPONOMISCHER EXISTENZ Entsprechend dem Prinzip des Bezogenseins muss jedes Ereignis das Resultat dreier unabhängiger Kräfte bilden. Wir sollten deshalb erwarten können, dass alle Existenz drei unabhängige Komponenten enthüllt, die zueinander als bejahende, verneinende und versöhnende Elemente einer Triade stehen. Wir finden sie in den hypernomischen, autonomischen und hyponomischen Welten. Hyponomischer Existenz ist die Verneinung oder Passivität gemeinsam, mit vielen Schattierungen und Abstufungen. Wir beobachten in unserer Erfahrung Entitäten, die weder die Macht haben, Aktivität zu initiieren, noch die Mittel, sie zu regulieren. Sie bleiben so in all ihren Aktualisationen passiv. Hyponomische Existenz umfasst nicht nur Entitäten, die im eigentlichen Sinne passiv sind, sondern auch die passiven Elemente in Entitäten, die das Potential für eine versöhnende oder aktive Rolle besitzen. Im folgenden Kapitel werden wir nur solche Entitäten betrachten, deren Natur der grundlegenden Hypothese autonomischer Existenz entspricht, also Entitäten, die in ihrer Natur durch und durch passiv sind. Diese können ihrem Potential zur Individuation entsprechend in vier Klassen eingeteilt werden und zwar in dem Maße, in dem sie ein intrinsisches oder natürliches Muster besitzen. Die primitivste Form der Existenz - die unipotente Entität - kann niemals mehr als der Spiegel ihrer Umgebung sein, der sie nichts hinzufügt ausser der Tatsache ihrer bloßen Anwesenheit. Selbst diese Anwesenheit ist irrelevant, denn jede andere Entität würde ungeachtet ihrer Natur genau demselben Zweck dienen. Bipotente und tripotente Entitäten sind gleichfalls hyponomisch, können aber trotzdem durch Kraftausübung und Bezogenheit an ihrer Umwelt teilhaben; aber nur die quadripotente Entität veranschaulicht vollständig die Natur der physikalischen Welt. Diese Natur ist „dinghaft“ und jede Entität, egal zu welchen Grad an Potentialität sie aufsteigen mag bleibt aufgrund der hyponomischen Elemente ihres Bestands weiter ein Teil der universalen „Ding-heit“. Die Systematik der physikalischen Wissenschaften dreht sich um die Stufen, auf denen bestimmbare Dinglichkeit aus dem unbestimmten Urzustand heraus entsteht. Die erste Stufe entspricht dem Eintritt des Hylē in die Existenz durch seine Verbindung mit den rahmengebenden Bedingungen. Die ursprünglichen Wissenschaften sind deshalb jene, in denen die Gesetze des Rahmens ohne Bezug auf irgendwelche Unterschiede des Seins studiert werden. Wir werden nun die verschiedenen existentialen Hypothesen ohne jeden Anspruch auf eine gründliche Darstellung untersuchen. Ihre Bedeutung wird im Detail in den Studien deutlich werden, die dem zweiten Band vorbehalten sind.

4.10.2. DIE HYPOTHESE DER EXISTENTIALEN INDIFFERENZ Die drastischste Vereinfachung des Problems der Existenz besteht darin, es vollständig beiseite zu tun und Situationen lediglich in ihrem Bezug auf unbestimmte Entitäten zu studieren, die eine unipotente Existenz besitzen. Indem wir so vorgehen, abstrahieren wir von den Phänomenen alle Unterscheidungen der Existenz und auch alle Differenzierungen der Funktion und stehen so ausschließlich den unreduzierbaren rahmengebenden Bedingungen gegenüber. Indem wir diesem Vorgehen Gültigkeit unterstellen, können wir die Hypothese der existentialen Indifferenz wie folgt formulieren:

Es gibt ein Klasse Ereignissen, deren Gesetze unabhängig sind von den Existenzgrößen, die sich in ihnen befinden. Nur Entitäten aus der ersten oder unipotenten Ebene können an ihnen teilnehmen. Ein Studium der Phänomene ohne jeden Bezug auf existentiale Unterscheidungen ermöglicht es uns, die Rahmengesetze in ihrer allgemeinsten Form zu formulieren. Die entsprechenden Wissenschaften entstehen durch all die Regularien, die in Phänomenen entdeckt werden, welche unabhängig von der Existenz irgendeiner bestimmten Ganzheit sind. Einige Beispiele sollen die Gegenstände solcher Wissenschaften veranschaulichen. (a) Die Wissenschaften der allgemeinen Geometrie legen die Bedingungen aller möglichen Beziehungen von räumlichen Objekten fest, ohne Beschränkung etwa bezüglich der Weise, auf die die Objekte erfahren werden. Metrische Geometrie ist dabei ausgenommen, obwohl diese die Existenz fester Körper erfordert, auf die die Hypothese der existentialen Indifferenz nicht angewendet werden kann. Diese Wissenschaften beziehen sich hauptsächlich auf Raum. (b)

Die Wissenschaften der klassischen Dynamik und reinen - oder Gibbs`schen Thermodynamik sind ebenso Rahmenwissenschaften, insofern der Energieverteilung in den untersuchten Systemen keine Beschränkungen auferlegt sind und sie beziehen sich vor allem auf Zeit.

(c)

Die statistischen Wissenschaften sind mit der Wahrscheinlichkeitstheorie und der allgemeinen Feldtheorie Rahmenwissenschaften, die sich auf Ewigkeit beziehen.

(d)

Semantische Analytik, Arithmetik, Logik und die Theorie der Zyklizität sind Rahmenwissenschaften, die sich hauptsächlich auf Hyparxis beziehen.

Die gemeinsame Charakteristik der Rahmengesetze besteht darin, dass sie auf alle Ebenen der Existenz und auf jede Klasse von Ganzheiten angewendet werden können, aber das bedeutet nicht, dass sie ohne die Erfahrung von Phänomenen entdeckt werden könnten. Sie befassen sich nicht im Kant`schen Sinne mit voraussetzbarem synthetischem Wissen. Existentiale Indifferenz bedeutet nicht die Abwesenheit von Existenz und die Rahmenwissenschaften müssen ebenso wie alle anderen aus den Daten der Erfahrung abgeleitet werden. Sie werden entdeckt, indem jene Elemente von den Phänomenen abgesondert werden, die unipotent und deshalb für jede Differenzierung unzugänglich sind. Diese unipotenten Erfahrungselemente können durch Experiment, Beobachtung und Analyse auf Fakten reduziert werden. Die Untersuchung von auf solche Weise gewonnen Fakten führt zur Formulierung der Rahmengesetze. Die Regeln der Rahmengesetze können streng genommen nur auf unipotente Entitäten angewendet werden. Aus diesem Grunde ist ihre Anwendbarkeit in den niedrigen existentialen Schichten am größten. Die frühesten Belege dafür, dass der Mensch Einsicht in die Form der Rahmengesetze gewann sind älter als die Geschichte. Menschen hatten gelernt zu zählen und zu messen noch bevor sie die Fähigkeit erwarben zu schreiben. Die vordynastischen ägyptischen und die frühesten Andenzivilisationen besaßen eine beachtliche mathematische Ausstattung und beide beobachteten die Sterne und schufen Kalendarien. Ägyptische Architekten nutzten bereits vor mindestens viertausend Jahren die Methode der Triangulation auf Grundlage der 3-4-5Regel und es ist wahrscheinlich, dass sie bereits den „pythagoreischen“ Lehrsatz kannten,

auf dem diese Regel beruht.169 Die chaldäischen Mathematiker der zweiten Jahrhunderts v. Chr. haben dieses Theorem mit Sicherheit ebenfalls gekannt und führten ihre eigene Form des Beweises. Die alten Sumerer spielten Zufallsspiele und entdeckten die Gesetze der Wahrscheinlichkeit. Die Rahmengesetze der Wahrscheinlichkeit, die auf diesen beruhen, nahmen schrittweise mit den Arbeiten von Laplace und Hayes bis zu Pearson, Jeffreys und Keynes endgültige Gestalt an. Obwohl der Status der Wahrscheinlichkeitstheorie als Rahmengesetz auch heute noch nicht vollständig erkannt wird, wird sie doch durch ihre Indifferenz dem Material gegenüber, auf das sie Anwendung findet als unterschiedlich zu anderen Disziplinen betrachtet. Die Rahmengesetze sind einfach und primitiv. Sie fußen auf Verallgemeinerungen des gesunden Menschenverstands, welche die Menschheit im Prozess der Reduktion von Phänomenen auf Wissen immer vorgenommen hat. Ein oft zitiertes Beispiel findet sich in der Thermodynamik, die uns, wie Eddington bemerkte, die Natur der Zeit zeigt. Diese Gesetze der Erhaltung und Unumkehrbarkeit entsprechen unserer allgemeinen Erfahrung in der Form von Dauer und Verfall. Jede erkennbare Ganzheit zeigt der Welt vor dem Hintergrund des „anderen“ eine bestimmte „Selbstheit“. Diese Selbstheit muss bestehen und ermöglicht es uns durch ihr Bestehen, das Wesen der Phänomene zu unterscheiden. Dauer oder das zeitliche Bestehen wird so als übergreifende Bedingung betrachtet, die jeder Aktualisation innewohnt und ohne die überhaupt kein Ereignis erkannt werden könnte. Jedoch versichert uns unsere Erfahrung nicht weniger, dass alles was dauert, ebenso vergeht und stirbt. Die genauen Messungen und Beobachtungen der physikalischen Wissenschaften haben uns eine immense Anzahl an Fakten geschenkt, die Dauer und Verfall betreffen, welche in Begriffen der zyklischen Phänomene dargestellt werden können. Universale Periodizität, die wir in mathematischen Begriffen einer Differentialgleichung zweiter Ordnung ausdrücken, ist ebenso eine Rahmeneigenschaft, die alle Phänomene kennzeichnet. Es sollte ebenso deutlich sein, dass statistische Gesetze auf Phänomene nur anwendbar sind, wenn sie auf unipotente Begriffe reduziert werden.

4.10.3. DIE HYPOTHESE DES UNVERÄNDERLICHEN SEINS Ohne die Relativität der Existenz vernachlässigen zu wollen, kann die einfachste existentiale Hypothese mit der Annahme gebildet werden, dass alle Ganzheiten bipotent sind. Da Bipotenz einer Existenz des entweder-oder entspricht, frei von inneren Unterscheidungen, würde dies als gleichbedeutend mit der Annahme erscheinen, dass jede Ganzheit als Ding behandelt werden könnte. Diese Sicht birgt jedoch ernste Möglichkeiten des Irrtums in sich. Dinge überdauern nur eine gewisse Zeit; ihr Dasein verändert sich mit dem Übergang vom inneren zum äußeren ihrer Begrenzung; sie besitzen verschiedene Zustände der Verdichtung und deshalb unterschiedliche Grade an Festigkeit; ihre innere Energie variiert und deshalb befinden sie sich auf verschiedenen Stufen der Existenz. Um Irrtümer zu vermeiden und den Blick auf Ganzheiten ohne Bezug auf solche Unterschiede konsistent zu

Wiki: „In der Zahlentheorie wird ein pythagoreisches Tripel oder pythagoreisches Zahlentripel von drei natürlichen Zahlen gebildet, die als Längen der Seiten eines rechtwinkeligen Dreiecks vorkommen können. Sie finden sich bereits auf babylonischen Tontafeln, die in die Zeit der Hammurabi-Dynastie datiert werden (1829 bis 1530 v.  Chr). Die Keilschrifttafel Plimpton 322 enthält 15 verschiedene pythagoreische Tripel, was darauf schließen lässt, dass bereits vor mehr als 3500 Jahren ein Verfahren zur Berechnung solcher Tripel bekannt gewesen sein muss. Für Ägypten ist die explizite Erwähnung von pythagoräischen Tripeln nur aus einem demotischen Papyrus des 3. Jahrhunderts v. Chr. bekannt, doch wurde auch die Verwendung insbesondere der Tripel für Böschungswinkel bei einigen Pyramiden aus einer Zeit rund zweitausend Jahre vor dem erwähnten Papyrus diskutiert. Das indische Baudhayana-Sulbasutra aus dem 6. Jahrhundert vor Christus enthält fünf pythagoreische Tripel. Pythagoreische Tripel wurden bei den Griechen von Euklid, nach dem Kommentar von Proklos zu Euklids Elementen von Pythagoras und Platon behandelt und später von Diophant. Wegen des pythagoreischen Lehrsatzes sind sie genau die positiven ganzzahligen Lösungen der diophantischen Gleichung x2+y2=z2“(Anm. d. Übers.) 169

halten, stellen wir unsere zweite Hypothese vom unveränderlichen Sein auf. Diese kann folgendermaßen formuliert werden: Es gibt eine Klasse von Gelegenheiten bei denen sich Entitäten verhalten, als wären sie frei von Interaktion und selbstidentisch sowie unveränderlich im Hinblick auf die vier rahmengebenden Bedingungen. Diese Formulierung legt nahe, dass es da eine Existenzebene gäbe, auf der alle Ganzheiten behandelt werden könnten als ob sie im gesamten Raum gegenwärtig, für alle Zeit aktualisiert und auf jeder Ebene in Ewigkeit selbstidentisch wären. Für sie besteht die Relativität von Ganzheit darin, entweder zu existieren oder nicht zu existieren. Jede solche Ganzheit muss in der Lage sein zu existieren, ohne Begrenzungen zu unterliegen oder auf die Anwesenheit anderer Ganzheiten überzugreifen. In dieser Form scheint die Hypothese vom unveränderlichen Sein vollkommen verschieden von unserer Erfahrung der Phänomene zu sein. Weder begegnen wir ihm und wir können ihn uns auch nicht vorstellen - einen endlich ausgedehnten Körper, der allen Raum einnehmen könnte, noch könnten sich zwei solcher Körper im selben Raum befinden. Diese Einwand jedoch ergibt sich aus der irrigen Vorstellung von Raum als einem „Gefäss“, eine Vorstellung, die wir durch das Studium der bestimmenden Bedingungen hinter uns gelassen haben. Raum ist eine Form des Bezogenseins und es gibt keinen Grund dafür, etwa nicht die Existenz von Ganzheiten anzunehmen, die einwertig bezogen und deshalb im Raum allgegenwärtig sind. Dasselbe trifft auf die Vorstellung von unveränderlicher zeitlicher Aktualisation zu. In unserer Erfahrung beobachten wir keine Objekte, die von zeitlicher Veränderung ausgenommen wären, aber wenn wir den Gegenstand der dynamischen Theorie untersuchen, bemerken wir, dass die Körper, deren Bewegungen studiert werden, als in ihrer gesamten Aktualisation selbstidentisch betrachtet werden. Die Disziplin der Dynamik geht davon aus, dass Messungen nur dann möglich sind, wenn Lineale und Uhren selbstidentisch bleiben, wo auch immer sie benutzt werden - eine Annahme, die für Entitäten mit unveränderlichem Sein gültig ist. Obwohl wir erkennen, dass die Annahme niemals in absoluten Größen präzisiert werden kann, können wir der Unveränderlichkeit durch geeignete experimentelle Vorkehrungen so nahe kommen, wie wir es wünschen.170 Die Hypothese rechtfertigt sich dadurch, dass die dynamischen Wissenschaften mit der Annahme, ihre Gegenstände seien durch und durch selbstidentisch, ein beachtliches Maß an Vollständigkeit, Konsistenz und Präzision erreicht hat. Viele scheinbare Schwierigkeiten der Interpretation dynamischer Daten entstehen durch die nicht vorhandene Anerkennung einer grundlegenden Annahme, durch die der Spielraum der dynamischen Wissenschaft definiert ist. So gibt es zum Beispiel unterschiedliche Auffassungen zwischen jenen, die glauben, dass alle Wirkung erst durch Kontakt entsteht und denen, die annehmen, es könne Wirkung aus der Distanz geben. Ganzheiten mit unveränderlichem Sein sind überall anwesend und deshalb immer im Kontakt. Auf der anderen Seite kann ihr Kontakt niemals interne Veränderungen bewirken, weil sie aufgrund der Hypothese kein Veränderungspotential besitzen. Unveränderliche Entitäten sind unter allen Rahmengesetzen selbstidentisch. Sie sind konsequenterweise unempfindlich für die Richtung zeitlicher Aktualisation. Aus diesem Grunde sehen wir, dass die Bewegungsgesetze ihre Form nicht ändern, wenn die zeitlichen Vorzeichen umgekehrt werden. Bei sorgfältiger Betrachtung stellt sich heraus, dass das

170 Siehe Henri Poincarè, La Valeur de la Science. Kap. 2 und 3. Siehe auch Le Mesure du Temps und La Notion de l`Espace

`Gesetz der kleinsten Wirkung´171 gleichbedeutend mit der Hypothese vom unveränderlichen Sein ist. Wir können deshalb sagen, dass alle Phänomene, auf die die Gesetze der klassischen Dynamik und des Elektromagnetismus zutreffen, zur jener bipotenten Existenzebene gehören, die durch diese Hypothese definiert wird. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass eine so eingeschränkte Existenzform einer solch bedeutenden Gruppe von Phänomenen entspricht wie den Bewegungen der Himmelskörper und dem klassischen Elektromagnetismus. Entitäten unveränderlichen Seins können aufeinander nicht einwirken. Ihr innerer Zustand ist überall und immer selbstidentisch und sie können an keinem wie auch immer gearteten Austauschprozesse beteiligt sein. Trotzdem scheinen sie aufgrund ihrer gegenseitigen Anwesenheit Kraft auszuüben - ein Zustand, der in unseren Untersuchungen der planetarischen Bewegungen vermutet wird. Wir wissen, dass die Sonne und die Planeten an einem intensiven und komplexen Energieaustausch teilnehmen; die Tatsache der Beobachtung alleine erfordert einen Austausch an Energie durch Lichtsignale. Und doch ist der Betrag an Masse für die Dauer unserer Beobachtung vernachlässigbar klein und aus diesem Grunde verhalten sie sich, als ob der Hypothese vom unveränderlichen Sein entsprochen würde. Bipotenz kann also auch als `polare Existenz´ bezeichnet werden und bildet deshalb die Ebene, die auf direkteste Weise mit der Unterleitung von Energie - potentiell und aktual - in Verbindung gebracht wird. Die Wissenschaften des unveränderlichen Seins befassen sich hauptsächlich mit dem Verhalten von Körpern in einem Kraftfeld.

4.10.4. DIE HYPOTHESE DER IDENTISCHEN WIEDERKEHR Wenn wir das Feld unserer Untersuchungen weiter ausdehnen, um Phänomene räumlicher Positionierung und zeitlicher Veränderung einzubeziehen, müssen wir eine dritte existentiale Hypothese einführen, nämlich die der identischen Wiederkehr, in der die Beschränkungen der Unveränderlichkeit aufgehoben werden. Die kann wie folgt formuliert werden: Es gibt eine Klasse von Ereignissen, in der sich Entitäten verhalten als wären sie frei von allen Interaktionen außer solchen, die umkehrbar sind und als wären sie lediglich zyklischen Veränderungen ihrer eigen Zustands unterworfen. Wir können die Existenz von Entitäten vermuten, die sich nicht verändern aber innerhalb eines Bezugssystems, das durch andere Körper bestimmt wird, anwesend oder abwesend sein können. Solch eine Existenz ist nur dann möglich, wenn die bestimmenden Bedingungen von Zeit und Ewigkeit auf eine solche Weise im Gleichgewicht sind, dass es dem Potential in der Ewigkeit möglich ist, den Fortgang des zeitlichen Verfalls zu kompensieren oder zu annullieren. Eine solche Entität ist ein perpetuum mobile, das sich selbst erneuert und zwar in der Lage ist, vernichtet zu werden, aber nicht dazu, im normalen Verlauf des Verfalls umzukommen. Die Existenz solcher Ganzheiten kann in allgemeinen Begriffen verstanden werden, wenn wir uns die Zeit als Konsumentin von Potentialitäten denken und die Ewigkeit als ihre Schöpferin. Wenn sich diese beiden Tendenzen für eine 171Gemeint ist wohl das Hamiltonsche Prinzip: Wiki: Das Hamiltonsche Prinzip der Theoretischen Mechanik ist ein

Extremalprinzip. Physikalische Felder und Teilchen nehmen danach für eine bestimmte Größe einen extremalen (d. h. größten oder kleinsten) Wert an. Diese Bewertung nennt man Wirkung, mathematisch ist die Wirkung ein Funktional, daher auch die Bezeichnung Wirkungsfunktional. Die Wirkung erweist sich in vielen Fällen nicht als minimal, sondern nur als „stationär“ (d. h. extremal). Deshalb wird das Prinzip von manchen Lehrbuchautoren auch das Prinzip der stationären Wirkung genannt. Manche Autoren nennen das Hamiltonsche Prinzip auch Prinzip der kleinsten Wirkung, was jedoch – wie oben ausgeführt – nicht präzise ist. Ein Beispiel ist das Fermatsche Prinzip, nach dem ein Lichtstrahl in einem Medium von allen denkbaren Wegen vom Anfangspunkt zum Endpunkt den Weg mit der geringsten Laufzeit durchläuft. (Anm. d. Übers.)

gegebene Entität exakt in der Balance befänden, würde Letztere in den zwei Richtungen von Zeit und Ewigkeit unendlich wiederkehren. Die Kräfte, die auf sie von innen wirken, würden sich genau im Gleichgewicht mit denen aus der Umwelt befinden, so dass sie von allen Belastungen frei wäre. Wir sollten mit anderen Worten ein ideales, geschlossenes System vorfinden, das seine eigene innere Struktur besitzt, aber so, dass nichts in seine Präsenz eindringen oder sie verlassen könnte. Nun scheinen wir einmal mehr eine Existenzform definiert zu haben, der nichts in unserer phänomenalen Welt entspricht und die deshalb nicht beobachtbar ist.172 So kommt es jedoch, dass wir in der Physik Situationen begegnen, die sich der Hypothese der identischen Wiederkehr stark annähern. Tripotenz entspricht jener Existenzstufe, auf der sich die Elementarteilchen der Physik befinden - die Kerne, aus denen alle aktualisierten Massen des Universums aufgebaut sind. Diese existieren auf eine solche Weise dass es keine Ve r ä n d e r u n g d e s t h e r m o d y n a m i s c h e n G l e i c h g e w i c h t s z w i s c h e n e i n e m Beobachtungsmoment und einem anderen gibt, und dies trifft gleichermaßen auf die Teilchen und den Wellencharakter solcher Entitäten zu. Es ist jedoch nicht so, dass alle Ereignisse in der Welt der kleinsten Teilchen und der elektromagnetischen Strahlung tripotent und durch die Hypothese der identischen Wiederkehr begrenzt wären. Wir beobachten im Gegenteil Prozesse von Energieaustausch und gegenseitiger Umwandlung und ebenso Übergänge von einer Ebene potentieller Energie auf eine andere. Diese sind jedoch Veränderungen von `allem oder nichts´ und sie machen die grundsätzliche Hypothese nicht ungültig, nach der wir gehalten sind, diese Entitäten als befreit von jeglicher allmählicher oder teilweiser Änderung ihrer Natur zu betrachten. Dies wird durch einen Typ von Gegebenheit veranschaulicht, von der man annimmt, sie erscheine in fast allen Zuständen der Materie, nämlich wenn das nichtemittierende Elektron, dass sich auf einer bestimmten Energieebene befindet unendlich wiederkehrt, bis sich ein Vorgang des `alles-oder-nichts´ ereignet, durch den es aus jeder existierenden Aktualisation verschwindet. Identische Wiederkehr entspricht jener Existenzebene, auf der Entitäten ohne Interaktion aufeinander bezogen werden können. In der Theorie von der Bewegung der Gase wird angenommen, die einzelnen Moleküle besässen keinen anderen existentialen Status als den von stabilen schwingenden Systemen und deshalb entsprechen sie der Hypothese. In der statistischen Mechanik und auch in der angewandten Thermodynamik treffen wir auf Situationen, in denen sich die Hypothese der identischen Wiederkehr findet, auch wenn sie nicht als solche erkannt wird. Es gibt also eine Gruppe von Wissenschaften, die Phänomene studieren, die exakt wiederkehren und sich selbst in der Zeit zyklisch wiederholen. Diese Studien umfassen nicht nur die elektromagnetische Theorie des Lichts, sondern auch den überwiegenden Teil der statistischen Mechanik und der Quantentheorie. Die Bedeutung der Tripotenz ergibt sich aus der Tatsache, dass sie charakteristisch für jene Existenzebene ist, auf der wir das allgegenwärtige, wiederkehrende Phänomen der elektromagnetischen Strahlung vorfinden. In die Ewigkeit projiziert nimmt eine Entität der identischen Wiederkehr drei verschiedene Zustände ein: (a) den Zustand, in dem sie alle Potentialitäten enthält (b) den Zustand, der die Linien ihrer Aktualisation enthält und (c) den Zustand, der ihre Wiederkehr enthält.

4.10.5. DIE HYPOTHESE VON DER ZUSAMMENGESETZTEN GANZHEIT

172 Siehe A.S. Eddington, The nature of the Physical World, p. 239. In der Diskussion der Lockerung von Axiomen, so dass

Systeme definiert werden können fragt Eddington: „Aber wie kann eine Theorie stabiler Bedingungen irgendetwas Beobachtbares liefern, um es in den Griff zu bekommen? Jene Einflüsse aus der äusseren Welt die unsere Sinne erreichen, sind der Veränderung und dem Wechsel unterworfen.“

Bisher haben wir den inneren Charakter der Entitäten, die an den von uns betrachteten Gegebenheiten teilhaben vollständig vernachlässigt. Der nächste Schritt wird es uns ermöglichen, Situationen zu beschreiben, in denen die essentiell kompositorische Natur aller Entitäten, denen wir in unserer gewöhnlichen Erfahrung begegnen einbezogen werden kann. Es ist jedoch notwendig, die Hypothese so einzuschränken, dass lediglich die benötigte Eigenschaft einbezogen wird. Diese Eigenschaft entspricht der Anwesenheit der zweifachen Eigenschaft von zeitlicher Dauer und zeitlichem Verfall innerhalb einer einzelnen Ganzheit. Eine solche Eigenschaft kann keiner Ganzheit zugeschrieben werden, die den bisher beschriebenen `alles-oder-nichts´-Charakter hat. Nur eine zusammengesetzte Ganzheit kann sie selbst bleiben, während sie sich gleichzeitig abnutzt und so können wir die vierte existentiale Hypothese der zusammengesetzten Ganzheit wie folgt formulieren: Es gibt eine Klasse von Gegebenheiten, in welcher zeitlich andauernde Entitäten sich verhalten, als wären sie der Interaktion und der Veränderung unterworfen und doch vollständig passiv in ihren inneren und äußeren Beziehungen bleiben. Zusammengesetze Ganzheiten hängen in ihrer Existenz von einem Überfluss and Potentialitäten ab, der es ihnen ermöglicht, Veränderungen durchzumachen, die bezogen auf ihre totale Existenz relativ klein sind. Die Potentialitäten auch der einfachsten Molekularstruktur übersteigen bei weitem die Möglichkeiten der Aktualisierung. Es ist für die zusammengesetzte Ganzheit kennzeichnend, dass sie existiert indem sie große Reserven in Anspruch nimmt, und aus diesem Grunde kann sie auch als `beständige Ganzheit´ bezeichnet werden. Es gibt einen weiten Bereich von Entitäten, die der Hypothese entsprechen. In Beziehung zum Maßstab unserer eigenen Existenz sind zusammengesetzte Ganzheiten die vertrauten `Dinge´ unserer gewöhnlichen Erfahrung. Im Allgemeinen besitzen zusammengesetzte Ganzheiten eine begrenzte Ausdehnung im Raum und eine begrenzte Dauer in der Zeit, aber einen großen Vorrat an Potentialitäten in der Ewigkeit. Infolge der begrenzten Natur ihrer möglichen Aktualisationen können ihre Potentialitäten lediglich durch eine fast identische Wiederkehr in der Hyparxis erhalten bleiben. Da sie quadripotent sind haben sie jedoch trotzdem einen begrenzten Anpassungsspielraum zwischen Ewigkeit und Zeit. Es gibt nichtsdestotrotz einen vermittelnden Wechsel von der dritten zur vierten existentialen Hypothese, der im Eintritt einer Eigenschaft jeder Existenz besteht, nämlich im Überfluss an Mitteln zur Erreichung des Zwecks. Wenn die Komplexität einer Entität zunimmt, vervielfältigen sich die Potentialitäten jenseits jeden Verhältnisses zu ihrer möglichen Aktualisation und dies ermöglicht die paradoxe Kombination von Passivität und Anpassungsfähigkeit, die wir in der physikalischen Welt beobachten. Ein `Ding´ ist kein `Wesen´ und doch besitzt es die unverkennbare Fähigkeit-zu-sein. Diese Fähigkeit-zu-sein ist ziemlich verschieden von der festgelegten Identität eines Elektrons, das sich nicht verändern kann ohne aufzuhören, es selbst zu sein. Zusammengesetzte Ganzheit erstreckt sich vom Heliumkern bis zu den größten kosmischen Strukturen. Atomkerne sind insofern degenerierte quadripotente Entitäten, als es ihnen an räumlicher Gegenwart fehlt. Wahre zusammengesetzte Ganzheiten beginnen mit Molekularkomplexen wie wir sie in der kristallinen oder mizellaren Struktur von Festkörpern vorfinden. Von dieser begrenzten Grundlage breiten sie sich aus und umfassen alle Arten materieller Objekte, insofern diese erstens vom Gesichtspunkt der Stabilität und zweitens vom Gesichtspunkt der Veränderung aus betrachtet werden. Quadripotenz ist der typische Modus hyponomischer Existenz, in dem sich eine Entität durch ihre eigene Beschaffenheit aktualisieren, aber ihre Umwelt nicht in Anspruch nehmen kann, um ihren Zusammenhalt wiederherzustellen. Alle Bereiche der Physik, die sich mit den Eigenschaften von Materie befassen, fallen in die allgemeine Domaine dieser Hypothese.

4.10.6. DIE ÜBERGANGSHYPOTHESE DER AKTIVEN OBERFLÄCHE Im Aufstieg aus dem Hylē wird das Leben durch einen Übergang erreicht, der einen der großem Momente der Existenz kennzeichnet. Es geschieht auf der fünften Ebene der Potentialität, dass Entitäten sich bezogen auf ihre Umwelt aktiv oder versöhnend verhalten können. Die Natur hyponomischer Entitäten ist per definition essentiell und immer inaktiv. Sie können nicht selektiv auf ihre Umwelt reagieren, denn das Ganze ihrer Aktualisation findet innerhalb eines apokritischen Intervalls statt, der keine Auswahl ermöglicht. Lebende Organismen jedoch können selektierend auf ihre Umwelt reagieren und sie tun es auch. Zwischen Innerlichkeit und selektiver Reaktion existiert eine Stufe, die die Verbindung zwischen den nichtlebenden und lebenden Welten bildet. In diesem Bereich begegnen wir Situationen, in denen es einen Austausch des Hylē gibt aber keine freie Potenzialität. Austausch ist etwas mehr die Bewegung des Hylē von einem Bereich in einen anderen; es ist die Übertragung geordneter Gruppen auf eine Weise, in der die Balance von Energie und Entropie zugunsten des einen Bereichs und auf Kosten eines anderen verschoben wird. Damit dies geschehen kann, muss es eine Grenzregion geben, über die hinweg der Austausch stattfinden kann. Wo es solch eine Grenzregion nicht gibt, kann es Veränderung, aber keinen Austausch geben. Da wir auf dieser Stufe einen typischen Modus der Existenz vorfinden, werden wir hier die überleitende existentiale Hypothese der aktiven Oberfläche übernehmen: Es gibt eine Klasse von Gegebenheiten, in der sich Entitäten verhalten, als ob ihre Ganzheit durch ein Muster von Potentialitäten aufrechterhalten würde, das den Austausch von Hylē entlang ihrer begrenzenden Oberfläche ohne Verlust der Identität ermöglicht. Die Hypothese bestätigt die Existenz von Entitäten, deren eigentliche Natur darin besteht, Veränderungen des Hylē ohne Verlust der Identität zu unterliegen. Solche Entitäten sollten eigentlich als besondere Klasse von zusammengesetzten Ganzheiten betrachtet werden, denn sie befinden sich noch nicht auf der fünften Ebene der Potentialität, die einer Entität die Macht gibt, aktiver zu sein als das Medium, das sie umgibt. Der hauptsächliche Unterschied zwischen Entitäten aktiver Oberfläche und der vorherigen Klasse zusammengesetzter Ganzheit liegt im Vorhandensein eines potentiellen Energiegefälles, das im Raum beobachtbar ist. All die materiellen Objekte unserer gewöhnlichen Erfahrung sind streng genommen zweiPhasen-Systeme, denn sie sind unvollkommene Festkörper mit porösen Sprüngen und Rissen an der inneren Oberfläche, wo Gase oder Flüssigkeiten immer vorhanden sind. Das ist jedoch nicht ihre wesentliche Eigenschaft, denn die absorbierten Flüssigkeiten spielen in ihrem Verhalten nur eine untergeordnete Rolle. Die Koexistenz von zwei oder mehr Phasen ist nur dann von Bedeutung, wenn es eine aktive Oberfläche gibt und deshalb ein Energieaustausch stattfindet. Das Vorkommen einer aktiven Oberfläche wird üblicherweise mit dem kolloidalen Zustand in Verbindung gebracht und Kolloide sind Entitäten, die ganz typisch für die Hypothese sind. In einem kolloidalen System sind die Oberflächeneigenschaften von größerer Bedeutung als die Eigenschaft der zusammengesetzten Ganzheit. Die Stabilität des Kolloids hängt von der Struktur des Atomgitters ab. Der Schritt in der existentialen Hierarchie von zusammengesetzter Ganzheit zu aktiver Oberfläche wird von der neuen und gesteigerten Bedeutung der Energie bestimmt, die sie durch ihre Verteilung auf verschiedene konstituierende Teile des Systems erhält. Eine ungleichmäßige Verteilung der Energie ist jedoch für die Beschreibung dieser Gegebenheit nicht ausreichend. So ist zum Beispiel ein Eisenbarren, der an der einen Seite erhitzt und an der anderen Seite gekühlt wird kein System des Austauschs sondern ein Zustand hindurchfliessenden Gleichgewichts, denn für die Entstehung eines Austauschs muss es

eine Oberfläche geben, an der sich eine tatsächliche Unterbrechung in der Energieverteilung ereignet. Ein Kolloid umfasst zwei Phasen - kontinuierlich und auflösend. Es ist ein System, das die Eigenschaft hat, verglichen mit seiner Masse oder seinem Volumen eine enorme innere Oberfläche zu besitzen. Diese Oberfläche ist die Teilung zwischen den zwei Phasen und mag dort sehr groß sein, wo der Zustand der Unterteilung sehr fein ist. Es führt jedoch in die Irre, von `kolloidalen Teilchen´ zu sprechen, denn die bloße Tatsache der Unterteilung macht noch kein Kolloid. Die Kristalliten - erkennbar als Teilchen mit kristalliner Struktur - mögen dieselbe Größenordnung wie kolloidale Eizellen besitzen und bilden doch einen ganz anderen Zustand der Materie. Größe ist von besonderer Bedeutung in einem kolloidalen System. Die Mindestgröße eines unabhängigen kolloiden Systems ist viele hundert Male größer als das kleinste Molekül, das die Hypothese zusammengesetzter Ganzheit rechtfertigt. Der kolloidale Bereich erstreckt sich von Größen von einem millionstel zu einem tausendstel Millimeter, eine Größenordnung, die auf die Teilchengröße der Auflösungsphase zutrifft, und es ist dieser Bereich, der vor 50 Jahren von Ostwald als `die Welt der vernachlässigten Dimensionen´ bezeichnet wurde.173 Die Hypothese der aktiven Oberfläche wird Entitäten wie den Proteinen und Nukleinsäuren gerecht, die ein ewiges Muster haben, das so reich an Potentialitäten ist, dass es ihnen möglich ist, einen organisierenden Einfluss auf ihre Umwelt auszuüben. Obwohl sie nicht lebendig sind, sind solche Entitäten trotzdem gemäß ihrer Natur von den vollkommen passiven zusammengesetzten Ganzheiten zu unterscheiden. Sie sind vom Wesen her unveränderlich kolloidal und veranschaulichen die immense Bedeutung der aktiven Oberfläche im Übergang von der hyponomischen zur autonomischen Welt.

4.10.7. DIE VERZWEIGUNG DER EXISTENZ Die kolloidale Mizelle ist eine existentiale Einheit, die in zwei verschiedene Richtungen erweitert werden kann. Die erste führt zu größerer Weite, Dauer und funktionaler Komplexität und die andere zu größerem innerem Zusammenhalt. Die sichtbare Welt um uns herum ist hauptsächlich aus der Ansammlung kolloidaler Teilchen aufgebaut - kristalline Strukturen sind weit weniger bedeutend als Kolloide. Die komplexen physikalischen und chemischen Reaktionen, von denen das Leben der Natur abhängt - in der anorganischen Welt nicht weniger als in der organischen - werden durch die allgegenwärtige Präsenz von aktiven Oberflächen ermöglicht. Das organische Leben aus der Erde ist in seiner Gesamtheit ein Phänomen aktiver Oberflächen und auch in den Galaxien können wir aktive Oberflächen auf der Ebene der Überschneidung von Sternenansammlungen verschiedener Art beobachten. Die Gesamtheit solcher Manifestationen - welcher Größenordnung und zeitlicher Dauer auch immer - verbleibt in den Grenzen der hyponomischen Existenz. Sie bilden das universale Niemandsland, in dem die aktiven und passiven Kräfte in fruchtbaren Kontakt gebracht werden. Ungeachtet ihrer kosmischen Bedeutung stellen sie keine spezielle Klasse von Entitäten dar, die eine neue existentiale Hypothese benötigen würde. Anders ist es mit dem inneren Weg, wo sich die aktive Oberfläche mit neuen Formen innerer Organisation verbindet, die das Leben möglich machen. Der Übergang von hyponomischer zu autonomischen Existenz geschieht durch die Proteine und Säuren, aus denen Protoplasma entsteht. Die Kombination von Proteinen und Nukleinsäuren, die biochemische Aktivität ermöglicht, führt zu den Enzymen, die an der Schwelle des Lebens stehen. Die Wege, die sich an der ersten großen Verzweigung des Hylē eröffnen, führen in der einen

173 Siehe Wolfgang Ostwald, Die Welt der vernachlässigten Dimensionen (Leipzig, 1900).

Richtung zur universalen hyponomischen Existenz und in der anderen zur universalen autonomischen Existenz.

KAPITEL 11

DIE KLASSIFIKATION DER WISSENSCHAFTEN B. BELEBTE EXISTENZ - AUTONOMISCHE ENTITÄTEN 4.11.1. DAS WESEN AUTONOMISCHER EXISTENZ Alles, was lebt hat Anteil an der Macht Existenz mit Nicht-Existenz zu versöhnen. Diese Macht ist autonomisch: sie ist relativ individuiert und unabhängig. Um zwei beliebige gegensätzliche Impulse zu versöhnen, ist es notwendig an der Natur von Beiden teilzuhaben, ohne einer von beiden zu unterliegen. Durch all seine Manifestationen hindurch hat das Leben diesen zwiefältigen Charakter. Ungeachtet der großen Unterschiede, die die niedrigsten und höchsten Lebensformen voneinander trennen, besitzen alle Formen jene paradoxe Eigenschaft, sie selbst nur mit Hilfe von dem sein zu können, was nicht identisch mit ihnen ist. Ernährung, Fortpflanzung, Selbsterhaltung und andere bekannte Eigenschaften des Lebens hängen von der Fähigkeit ab, aus einer gleichgültigen oder feindlichen Umwelt eben das Material und eben die Bedingungen zu entnehmen, die für eine autonomische Existenz benötigt werden. Es ist die Fähigkeit, die Umwelt zu benutzen, die lebendige von nicht lebendigen Ganzheiten unterscheidet. Autonomische Existenz unterliegt all den physikalischen Gesetzen der hyponomischen Existenz und ist doch in der Lage, sich diesen Gesetzen so anzupassen, dass sie etwas Höherem als sich selber dienen kann. Grünpflanzen etwa binden Kohlendioxid174 aus der Atmosphäre und produzieren so ein Ergebnis, das unter irdischen Bedienungen nicht spontan auftreten würde und indem sie dies tun, tragen sie dazu bei, die Existenz allen Lebens aus der Erde zu erhalten. Die Enzyme, die nahezu all die chemischen Reaktionen von lebendigem Gewebe regulieren, sind selbst hyponomisch, doch im Gegensatz zu den Gesetzen der hyponomischen Existenz können sie die Geschwindigkeit in der Transformation der lebendigen Umwelt so verändern, dass es höherer Potentialität möglich ist, von einer niedrigeren abgeleitet zu werden. Solche Transformationen sind essentiell zu Erhaltung der höheren Formen der Existenz. Diese Macht des Lebendigen, hyponomische Existenz für seine eigenen und höheren Zwecke zu nutzen, beruht auf der Tatsache, das es in den quintpotentialen Bereich hineinreicht, wo die Barriere, die Zeit von Ewigkeit trennt, beginnt überwunden zu werden. Bevor diese Ebene erreicht wird, finden wir keine Entitäten, deren Potential in der Zeit manifestiert werden kann. Keine gewöhnliche zusammengesetzte Ganzheit, das heisst, kein `Ding´ kann die Aktualisationen, die in ihm und um es herum vorgehen durch sein eigenes Muster beeinflussen. Darin besteht seine Passivität. Autonomische Existenz beeinflusst auch auf der niedrigsten Ebene - ihre Umwelt und stört den geordneten Prozess der Energietransformation im Interesse der eigenen Individuation. Wir werden im Verlauf unserer Studien belebter Entitäten immer wieder auf Belege stossen, wonach Potentiale auf der fünften Ebene den Verlauf und die Geschwindigkeit sichtbarer Transformationen verändern.

4.11.2. DIE HYPOTHESE DER SELBSTERNEUERNDEN GANZHEIT Die potentielle Energie kolloidaler Materie ist nicht organisiert. Ein deutlicher Schritt im Auftauchen des Lebens findet statt, wenn verschiedene Schichten in der Ewigkeit beginnen, eine organisierte Interaktion miteinander zu entwickeln. Hier bewegen wir uns von aktiver 174 Im Original Carbon, d.h. Kohlenstoff (Anm. d. Übers.)

Oberfläche zu aktivem Volumen, das heisst zu einer Art von Entität, die in der Lage ist, ihre eigene Identität in einer veränderlichen Umwelt zu erhalten. Die Bedeutung dieses Schritts besteht in der Macht solcher Entitäten ihre Existenz nicht nur vor dem Hintergrund der Umwelt sondern auf deren Kosten zu erhalten. Dies ist die erste unieinfachste Eigenschaft biologischer Ganzheit und wir können die Hypothese der selbsterneuenden Ganzheit wie folgt formulieren: Es gibt eine Klasse von Gegebenheiten, in denen die Dauer der zeitlichen Existenz durch die Erneuerung potentieller Energie auf Kosten der Umwelt verlängert wird. Die selbsterneuernde Entität besitzt eine autonomische Organisation, die ihr Verhalten reguliert. Um diese Eigenschaft zu manifestieren, benötigt die Entität eine minimale Ausdehnung im Raum. Die durchschnittliche Größe die für kolloidale Stabilität ausreichend ist, ist annähernd dieselbe, die sich an der Schwelle zu selbsterneuender Ganzheit findet. Alle Entitäten, die ihre Umwelt benutzen, sind belebt, aber wir müssen uns erinnern, das Leben - als Seins-Eigenschaft - relativ sein muss. Es ist kein einmalig formuliertes Attribut, das in einer gegebenen Aktualisation entweder gänzlich vorhanden oder gänzlich abwesend sein müsste. Wir sprechen von einem `Organismus´ üblicherweise als entweder lebendig oder tot und ein `Ding´ wir dim allgemeinen als unbelebt betrachtet, aber die so geschaffenen Unterscheidung bezieht sich eher auf Funktion als auf Sein. Wir neigen dazu, zu sagen, ein Organismus sei lebendig, wenn er sich auf bestimmte Weise verhält und er sei tot, wenn dieses Verhalten endet. Trotzdem bleibt das Gefühl, dass eine solche Beschreibung etwas Wesentlichen übersieht. Man hat Mechanismen erfunden, die viele der Verhaltensmuster eines lebenden Organismus reproduzieren und wir könnten uns weitere vorstellen, die noch weiter in diese Richtung gehen würden und doch sollten wir nicht glauben, dass selbst die fortschrittlichsten Kybernetischen Mechanismen richtigerweise als lebendig bezeichnet werden können. Diese Bedenken entstehen aus unserer Intuition, wonach das Leben keine Form des Verhaltens ist. Es gibt eine Struktur an Potentialen es muss gemäß dem Prinzip der Struktur im Übergang von einer Qualität zu einer anderen zu Diskontinuitäten kommen. Das erste Erscheinen autonomischer Existenz muss sich an einem solchen Punkt der Diskontinuität ereignen. Man sollte jedoch daraus nicht schließen, dass das Hylē in seinem Aufstieg über eine offene Lücke springen müsste; eher könnte man sagen, dass ein neuer qualitativer Faktor hinzukommt. Es kann keine scharfe Demarkationslinie denen, unterhalb derer alles leblos und oberhalb derer alles lebendig ist. Die Biologie hat in der Tat gezeigt, dass die verschiedenen Eigenschaften eines lebenden Organismus auf unterschiedlichen Ebenen der Organisation erscheinen. Die Hypothese der Selbsterneuerung behauptet, dass es Entitäten gibt, die Energie und Materie mit ihrer Umwelt auf eine Weise austauschen, durch die ihre Potentialität inmitten der Veränderung erhalten bleibt.175 In diesem Sinne ist Leben etwas Einzigartiges, das sich von anderen Formen der Ganzheit abhebt. Da es jedoch niemals eine exakte Übereinstimmung zwischen den inneren Bedürfnissen einer gegebenen Ganzheit und den ihr in der Umwelt zur Verfügung stehenden Ressourcen geben kann, kann Selbsterneuerung als automatischer Prozess nicht unendlich fortschreiten. Die Eigenschaft der Selbsterneuerung ist vom Standpunkt des inneren Zusammenhalts einer Gegebenheit von besonderer Bedeutung. Sie verweist auf ein Potential, das zu mehr in der Lage ist, als die intrinsische Eigenschaft jedes Systems, seinem wahrscheinlichsten Zustand entgegen zu fallen in der Balance zu halten. Der selbsterneuernde Organismus tut mehr, als sein Gleichgewicht mit seiner Umwelt zu erhalten: er kann aktive Komponenten von außen auswählen und passive Komponenten, von innen, von seiner eigenen Oberfläche zurückweisen. Dieser Typus von Austauschprozess beginnt an der Grenze zwischen

175 Siehe E. Schrödinger, What is Life?, p. 72

Proteinchemie und Biochemie. Das Virion176, das diese Eigenschaft zeigt, ist nur wenig größer oder komplexer als das größte Protein-Molekül - oder auch als eine Zwischenform wie das Enzym - und es besitzt auch keine sichtbare Struktur, die auf seine autokatalytischen Fähigkeiten hinweisen würde. Es muss deshalb über einen apokritischen Intervall in der Ewigkeit verfügen, der weitaus größer ist als der irgendeiner der meisten komplexen chemischen Substanzen wie dem Protein und so eine Struktur von fünf äquipotentialen Schichten177 erlaubt, die in der Lage sind zu interagieren und so Selbsterneuerung ermöglichen. Wir sehen hier das fünfte Gesetz der Ewigkeit veranschaulicht, nach dem die höhere Ebene die Niedrigere organisiert aber umgekehrt einem desorganisierenden Einfluss unterliegt. Selbsterneuerung verlängert die Existenz, kann sie aber nicht verewigen, denn früher oder später brechen die Kräfte der Assimilation und der Transformation zusammen und das lebende Gewebe stirbt ab - Erneuerung verzögert den Tod aber überwindet ihn nicht. Die typischen quintpotentialen Entitäten sind die Enzyme und die Viren die eine ganze Reihe von Ebenen bilden und denen doch die Eigenschaft zur Selbsterneuerung gemeinsam ist. Es ist erkennbar, dass Selbsterneuerung eine Art Verbindung zwischen Zeit und Ewigkeit bildet.

4.11.3. DIE HYPOTHESE DER REPRODUKTIVEN GANZHEIT Ein weiterer entscheidender Schritt in der Skala der Existenz erfolgt, wenn wir zu Gegebenheiten kommen in denen Entitäten ihre eigene Existenz ausserhalb ihrer selbst reproduzieren und so die Kontinuität des Lebens selber gewährleisten. Selbstreproduktion wird üblicherweise zusammen mit Ernährung als eine charakteristische Eigenschaft lebendige Organismen betrachtet aber sie ist eine Eigenschaft höherer Ordnung als Ernährung und sie impliziert einen insgesamt höheren Modus an innerem Zusammenhalt in den betreffenden Entitäten. Reproduktion wird mit bestimmten grundlegenden Eigenschaften wie Erregbarkeit, Leitfähigkeit, Aufnahme und Ausscheidung, Atmung und Absonderung in Verbindung gebracht - all diese gehören auch zu primitiveren Ganzheiten, die lediglich zur Reproduktion fähig sind. Die Eigenschaften von Wachstum und Regeneration, die mit Reproduktion assoziiert werden, setzen ein Muster von Potentialitäten höherer Ordnung voraus.. Wir können deshalb als unsere sechste Hypothese die der reproduktiven Ganzheit wie folgt übernehmen: Es gibt eine Klasse von Gegebenheiten in denen selbsterneuernde Entitäten ausserhalb ihrer eigenen Oberfläche ihnen ähnliche Entitäten reproduzieren können. Dies erfordert eine sextpotente Existenz zwischen Reproduktion und der sechsten

und wir könne die Verbindung Kategorie der Wiederkehr erkennen.

Die einfachste lebende Ganzheit die ihre eigene Existenz reproduzieren kann ist die Zelle, denn Viren sind dazu nicht mehr in der Lage, sobald sie von ihrem zellularen Wirt isoliert wurden. Lebende Zellen, die sich entweder als einzelliger Organismus oder als zellularer

176 Wiki:Viren (Singular: das Virus, außerhalb der Fachsprache auch der Virus; lat. virus „Schleim“, „Saft“, „Gift“) sind infektiöse

Partikel, die sich als Virionen außerhalb von Zellen (extrazellulär) durch Übertragung verbreiten, aber als Viren nur innerhalb einer geeigneten Wirtszelle (intrazellulär) vermehren können. Sie selbst bestehen nicht aus einer Zelle. Alle Viren enthalten das Programm (einige Viren auch weitere Hilfskomponenten) zu ihrer Vermehrung und Ausbreitung, besitzen aber weder eine eigenständige Replikation noch einen eigenen Stoffwechsel und sind deshalb auf den Stoffwechsel einer Wirtszelle angewiesen. Daher sind sich Virologen weitgehend darüber einig, Viren nicht zu den Lebewesen zu rechnen. Man kann sie aber zumindest als „dem Leben nahestehend“ betrachten, denn sie besitzen allgemein die Fähigkeit zur Replikation und Evolution. (Anm. d. Übers.) 177Wiki: „Diese Fläche steht stets senkrecht zu den Feldlinien und ist ein Spezialfall von Isoflächen. Der Verlauf des

Potentialfeldes in 2D wird häufig mit Hilfe von Äquipotential-Isolinien dargestellt.

Bestandteil von Pflanzen oder Metazoa178 finden, sind Ganzheiten mit dieser Fähigkeit zur Reproduktion. Es heisst manchmal, die Zelle sei die Grundlage des Lebens, denn die Existenz jeder Form von Leben - auch die der Virionen und Phagen179 - baut auf Zellen auf. Eine Zelle ist eine Ganzheit, die innerhalb einer aktiven Oberfläche enthalten ist. Diese Existenzform erlaubt ein höheres Maß an Organisation als auf einer früheren Ebene, das aber zur Selbstregulation nicht ausreicht. Eines der großen Probleme der Biologie besteht darin, die Entwicklung, Verteilung und Adaptionsfähigkeit des funktionalen Mechanismus einer lebenden Ganzheit zu erklären, ohne irgendeine nicht-materielle Kraft aufzurufen, die sich selbst durch all die dramatischen Veränderungen hindurch erhält, denen ein Organismus unterworfen ist. An diesem Punkt ist es unausweichlich, die Existenz einer unsichtbaren, aber gleichwohl materiellen Struktur einzuräumen. Die lebende Zelle umfasst eine Serie von sechs Schichten, von denen jede sich von der nächsten an einem apokritischen Intervall abhebt, der ausreicht, die potentielle Energie zu erhalten, die benötigt wird, um den störenden Einfluss der Umwelt und die innere Tendenz zur degeneration auszugleichen.m Diese sechs Schichten bilden zusammengenommen die ewige Struktur der Zelle und statten sie nicht mit der Macht aus, ihre eigene Substanz zu erneuern sondern ihre Art zu reproduzieren. Diese Prozess zeigt sich in der Mitose180 wo sich eine Zelle teilt, um zwei neue Einheiten zu produzieren, deren Struktur jeweils fast identisch mit der eigenen ist. Diese übergeordnete Einheit zeigt sich ebenso in der Fusion einzelliger Organismen, durch die das Potential zur Reproduktion wiederhergestellt wird. Die Zelle besitzt nicht nur zweidimensionale Oberflächeneigenschaften, sondern auch eine dreidimensionale innere Struktur, dass heisst, ein aktives Volumen. Die Existenz einer Zelle besitzt ihre eigene komplexe Organisation. Das Zytoplasma besitzt zahlreiche Körnchen verschiedener Art, die in ihm treiben. Die Golgi-Apparate181 und die Mitochondrien sind selbsterneuernde Granulate die zu jener niedrigeren Existenzordnung gehören, welche auch die Viren und Enzyme umfasst. Weiterhin befindet sich die kleinste Zelle nahe an der oberen Größe der subzellularen, selbsterneuernden Strukturen, gerade so wie jene an der oberen Größe der kolloidalen Mizellen beginnen. Allgemein formuliert ist die zellulare Welt der Welt der Organismen untergeordnet. Sowohl in Pflanzen als auch in Tieren hängt die Zelle von der besonderen Umwelt des Gewebes ab, in dem sie sich befindet und ohne das sie ihre charakteristische Aktivität nicht entfalten könnte. Dies würde bedeuten, dass die apokritische Reichweite der Zelle lediglich für ein Potenzial ausreichend ist, das sich selbst in einer Umwelt aufrechterhalten kann, die das entsprechende Nahrungsmaterial vorhält. Eine solche Abhängigkeit ist jedoch nur relativ gegeben, denn in den Protozoen begegnen wir selbstreproduzierenden Entitäten, die nicht von der Unterstützung spezifischen Gewebes abhängen. Aber auch hier kann das Protozoon nur in einer Umgebung existieren, die etwa dieselbe Stabilität besitzt wie die 178 Vielzellige Tiere (Anm. d. Übers.) 179 Bakteriophagen, kurz: Phagen (griechisch: phagein = fressen), sind im biologischen Sinn Viren, die jedoch nur Bakterien

angreifen und auflösen ( fressen, also „Bakterienfresser“). Dieses Auflösen wird auch lysieren genannt. Phagen können sich nicht alleine, sondern ausschließlich in Bakterienzellen vermehren. (Anm. d. Übers. 180 Wiki: „Als Mitose (griech. μίτος mitos ‚Faden‘) oder Karyokinese (griech. κάρυον karyon ‚Kern‘, κίνησις kinesis

‚Bewegung‘), auch indirekte Kernteilung, wird die Teilung des Zellkerns bezeichnet, bei der zwei Tochterkerne mit gleicher genetischer Information entstehen. Sie findet bei Zellen eukaryotischer Lebewesen statt – Prokaryoten haben keinen Zellkern – und geht zumeist einer Teilung der ganzen Zelle voraus, aus der zwei Tochterzellen hervorgehen.“ (Anm. d. Übers.) 181 Wiki: „Der Golgi-Apparat zählt zu den Organellen eukaryotischer Zellen und bildet einen membranumschlossenen

Reaktionsraum innerhalb der Zelle. Er ist an der Sekretbildung und weiteren Aufgaben des Zellstoffwechsels beteiligt und wurde nach dem italienischen Pathologen Camillo Golgi benannt, der ihn 1898 bei histologischen Forschungen am Gehirn entdeckte.“ (Anm d. Übers.)

Körperflüssigkeiten eines Tiers oder einer Pflanze und deshalb gibt es keine Grund anzunehmen, dass das protozoische Tier eine gänzlich andere apokritische Struktur benötigt wie jene von Gewebezellen. Die allen Zellen gemeinsame Eigenschaft besteht in einer Stabilität des Musters, die nicht nur durch Begriffe der physio-chemischen Struktur alleine erklärt werden kann. Dieses Muster des zellularen Lebens transzendiert die Existenz des Individuums und prägt sich unzählbaren Generationen ein. Es ist diese Stabilität, die unmissverständlich auf eine unsichtbare Organisation verweist. Durch das Prinzip der Bezogenheit können auf die Anwesenheit dreier unterschiedlicher Organisationsebenen Schließen. Zwischen dem unveränderlichen Muster und der sich in der Raumzeit aktualisierenden sichtbaren Zelle muss es eine Zwischenebene geben, die als Verbindung oder versöhnender Faktor dient. Die gegenseitige Anpassung diese drei Ebenen besteht in der ewigen Organisation der spezifischen Form der betreffenden Zelle. Der apokritische Intervall zwischen der höchsten und der niedrigsten Ebene muss nicht nur ausreichen, um eine potentielle Energie zu produzieren sondern auch für jener Energie, die zur Regeneration de Ganzheit benötigt wird. Die Zelle kann als `Atom des Lebens´ bezeichnet werden, denn sie hält in der autonomischen Serie eine Position, die grob jener der Atome in der hyponomischen Serie entspricht.

4.11.4. DIE HYPOTHESE DER SELBSTREGULIERENDEN GANZHEIT Selbstregulation benötigt zwei verschiedene Quellen von Ordnung. Eine besteht umbesonderen Plan oder Muster, dem zu entsprechen sich der Organismus in seiner gesamten Existenz bemüht; die andere besteht im unmittelbaren Gleichgewicht, das es ihm ermöglicht, sich selbst an Umweltbedingungen anzupassen. Konsequenterweise muss die selbstregulierende Entität eine apokritische Reichweite haben, inklusive einer zusätzlichen Schicht über die hinaus, die für reproduktive Ganzheit ausreichend sind.Natürlich müssen alle Organismen Erneuerung und Reproduktion zeigen, aber sie zeigen ebenso wesentliche Eigenschaften von Struktur und Verhalten, durch die sie immer von anderen Lebensformen unterscheidbar sind. Das metazoische Tier zeichnet sich durch eine stabile Differenzierung des Gewebes aus, die eine entsprechende funktionale Differenzierung erlaubt, und zwar nicht nur Selbsterneuerung und Reproduktion sondern Selbstregulation. Selbstregulation ist jene Eigenschaft, durch die der Organismus sich essentiell von der Zelle unterscheidet, da dies eine Organisation erfordert, die von höherer Ordnung ist, als jene der Selbsterneuerung und Reproduktion.182 Wir benötigen nun eine Hypothese, die die vollständige siebenfältige Struktur der Toten, die Septempotenz veranschaulicht und werden die Hypothese von der selbstregulierenden Ganzheit wie folgt formulieren: Es gibt eine Klasse von Gegebenheiten, die Entitäten umfasst, welche in der Lage sind, ein funktionales Gleichgewicht innerhalb ihrer geschlossenen Oberfläche oder Haut aufrecht zu erhalten. Jeder lebende Organismus ist ein komplexes kolloidales System, das aus Gas, Flüssigkeit und festen Abschnitten besteht, die innerhalb eines zellularen Komplexes verteilt sind. Die entsprechenden Zellen differenzieren sich in Gruppen in die entsprechenden Gewebe, jedes mit seiner funktionalen Bedeutung für das Leben des Ganzen. Die Funktionen eines lebenden Organismus sind alle dem fundamentalen Zyklus von Geburt, Wachstum, Reife, Vergreisung und Tod unterworfen. Auf keiner niedrigeren Ebene findet sich etwas, das diesem Zyklus vergleichbar wäre. 182 Claude Bernard drückt diese Eigenschaft in seiner Maxime aus: „Die Beständigkeit des inneren Mediums ist die Bedingung

freien Lebens.“ In diesem Zusammenhang hat Maurice Vernet die engen Grenzen der Regulation betont, die jede Spezies aufrecht erhält.

Es ist nicht nötig, diese Argumente hinsichtlich der Angemessenheit der allgemeinen Hypothese selbstregulierender Ganzheiten weiter auszuführen, um eine der Hauptunterteilungen in der existentialen Skala zu kennzeichnen. Wir sollten vielmehr festhalten, das wir durch den Bezug auf die bestimmenden Bedingungen des Rahmens sehen, dass der Organismus eine Präsenz hat, die sich grundsätzlich von niederen Formen der Existenz unterscheidet. Seine Aktualisation ist nicht nur mit seiner eigenen Selbsterneuerung befasst sondern mit einer Wirkung auf die Umwelt, welche die Vergangenheit mit der Zukunft verbindet. Individuation beginnt genau genommen mit Selbstregulation. Selbst das sich frei bewegende Protozoon ist nicht individuiert. Obwohl die Mitglieder oft weit verstreut und durch keine funktionale Organisation verbunden sind, bildet die Spezies trotzdem die Ganzheit, von der das Urtierchen abhängt. Dies kann insbesondere bei der Reproduktionsweise beobachtet werden, der der Mechanismus der Erbteilung fehlt ohne den der einzelne Organismus nicht die einmalige genetische Form annehmen kann, die sowohl Tiere als auch Pflanzen auszeichnet.183 Die Summe all dieser Eigenschaften bestätiget uns darin, die Hypothese von selbstregulierenden Entitäten als eine der fundamentalen Unterteilungen auf der existentialen Skala zu betrachten. Innerhalb dieser Unterteilung gibt es nicht nur getrennte Ebenen sondern auch unterschiedliche Manifestationen der organischen Struktur, so wie das Tier- und Pflanzenreich. Der lebende Organismus besetzt eine zentrale Position in der existentialen Skala und genau hier benötigt die Individuation die Anlage zur Unabhängigkeit, denn ihre Anwesenheit kann insofern als unabhängig von der Umwelt betrachtet werden, als sie in der Lage ist, aus dieser die Substanzen zu entnehmen und zu assimilieren, die sie zur Aufrechterhaltung ihres eigenen inneren Potenzials benötigt, ohne mit jener Umwelt zu verschmelzen. Jeder lebende Organismus besitzt eine Struktur, an der mehrere unterschiedliche Ebenen in der Ewigkeit teilhaben. Die entsprechenden Beiträge der unterschiedlichen Ebenen zur Struktur eine bestimmten Spezies führen zu vagen Klassifikationen, aber wie groß die Unterschiede zwischen einem Organismus und einem anderen auch sein mögen, bilden die Mitglieder eine Spezies eine Gruppe mit charakteristischen Gesetzen, die wir auf niedrigeren oder höheren Ebenen nicht vorfinden. Es ist überaus wichtig hier festzuhalten, dass sexuelle Reproduktion mit der septempotenten Entität beginnt. Die Vollständigkeit ihrer Struktur ermöglicht es ihr nicht nur zu individuieren, sondern auch zu partizipieren. Aufgrund der sexuellen Reproduktion findet eine gemeinsame Nutzung organisierender Potentialität durch die gesamte Spezies hindurch statt. Dies ermöglicht sowohl Stabilität als auch Flexibilität in einem Maße, wie es keiner niedrigeren existentialen Ebene möglich wäre. Obwohl der lebendige Organismus als septempotente Struktur individuieren kann,wird er trotzdem durch die besondere Struktur reguliert, die sich aus der Vererbung und den Umweltbedingungen seiner Zeugung, Geburt und Entwicklung ergeben. Er ist nicht mehr als eine wundervoll abgestimmte Maschine, die sehr häufig in der Lage ist, sich selbst ein ein weites Spektrum von Bedingungen anzupassen, aber er bleibt doch ein Mechanismus ohne

183 Das Argument hier bezieht sich auf drei Ebenen der Existenz, die entsprechend durch die Eigenschaften der

Selbsterneuerung, der Selbstreproduktion und der Selbstregulation charakterisiert sind. Viren, Zellen und Vielzeller sind typische Repräsentanten der drei Ebenen. Sie sind jedoch Ausnahmen. Einige einzellige Organismen zeigen sowohl Selbstbefruchtung als auch Partnerwahl, während es ebenso hoch entwickelte Organismen gibt, die einen eng begrenzten Reproduktionszyklus besitzen.

die Möglichkeit, seinen eigenen Status zu verändern. Er ist unfähig zur Vollständigkeit, da diese eine achtfältige Struktur benötigt, die über die Selbstregulation hinausreicht.

4.11.5. DIE HYPOTHESE DER SELBSTAUSRICHTENDEN GANZHEIT Auf den unbelebten existentialen Ebenen besitzen die bestimmenden Bedingungen eine weitgehend klare und eindeutige Bedeutung. Die zeitähnlichen Eigenschaften der Materie sind ziemlich verschieden von denen, die sich aus ihrer Selbstgetrenntheit in der Ewigkeit ergeben. In lebenden Organismen besteht ein vertrauter und unaufhörlicher Einfluss des ewigen Musters auf die zeitliche Aktualisation. Zeit und Ewigkeit beginnen sich zu vereinigen, aber die typische Beziehung zwischen Zeit und Ewigkeit blieb bisher im Hintergrund bestehen. Auf der achten Stufe erreichen wir nun den entscheidenden Moment, in dem das, was bisher zutiefst mechanisch war, beginnt, die Eigenschaften von Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Freiheit zu erwerben. Diese Qualitäten tauchen auf, wenn Entitäten erscheinen, die die Fähigkeit besitzen, ihrem eigenen Bewusstsein mehr als zwei getrennte Linien der Aktualisation zuzuordnen. Diese Fähigkeit ermöglicht es ihnen, von automatischer Selbstregulation zu bewusster Selbstausrichtung zu gelangen und wir können unsere achte existentiale Hypothese wie folgt formulieren: Es gibt eine Klasse von Gegebenheiten, in denen sich selbst ausrichtende Entitäten anwesend sind, die bewusst zwischen alternativen Aktualisationslinien in der Zeit wählen können. Wir begegnen hier zum erstem Mal der achten Kategorie der Individualität, die uns über die Grenzen struktureller Gesetzmäßigkeiten hinausträgt. In einer oktopotenten Existenz ist eine Ebene bereits von den mechanischen Gesetzen befreit, die die hyponomische Welt regieren. Darin besteht die bereits erwähnte Vereinigung von Zeit und Ewigkeit. Eine selbstausrichtende Entität besitzt eine Gegenwart, die sich von der des einfachen Organismus insbesondere hinsichtlich von Ereignissen in der Vergangenheit und Zukunft unterscheidet. Eine selbstausrichtende Entität kann solche Ereignisse vorhersehen und beeinflussen, während der einfache Organismus sich selbst lediglich an unmittelbar vorhandene Einflüsse anpasst. Selbstausrichtende Existenz umfasst Eigenschaften wie die Erinnerung an die Vergangenheit und Erwartungen hinsichtlich der Zukunft und die Fähigkeit das Verhalten entsprechend anzupassen. Diese Attribute haben einen grundlegenden Effekt auf die Art und Weise der Aktualisation in der Zeit, denn sie ermöglichen es einer gegebenen Entität, die Ebene zu wechseln, auf der ihre eigene Anwesenheit aktualisiert ist. Unsere naturgemäße megalanthropische Voreingenommenheit sollte uns nicht zu dem Irrtum verführen anzunehmen, alle Männer und Frauen seien selbstausrichtende Entitäten im Sinne der vorliegenden Hypothese; ebensowenig sollte Selbstausrichtung mit bewusster Individualität verwechselt werden - letztere befindet sich auf einer weit höheren existentialen Ebene als die empfindungsfähige selbstausrichtende Entität. Ein großer Teil des menschlichen Lebens verläuft mit derselben Mechanität wie das tierische Leben und ohne größere Intensität an Präsenz. Auf der anderen Seite begegnen wir in höheren Tieren - nicht so sehr in ganzen Spezies als eher in Individuen, die bestimmten Umwelteinflüssen ausgesetzt sind - Manifestationen einer selbstausrichtenden Existenz, wenn auch nur von primitiver Art.Es gibt sicherlich verschiedene Ebenen innerhalb der ausgedehnten Bereiche selbstausrichtender Existenz, aber allen ist eine grundlegende Eigenschaft gemeinsam, nämlich die Fähigkeit, zwischen zwei in einem gegebenen Ereignis vorhanden Möglichkeiten zu unterscheiden. Die Möglichkeit, frei zu wählen bildet die höchste Errungenschaft autonomischer Existenz. Es ist diese, die es einem Wesen wie dem Menschen ermöglicht, die Rolle zu verstehen und

zu erfüllen - eine Rolle, die dem gesamten Leben obliegt - die bejahenden und verneinenden Kräfte des Universums zu versöhnen. Mit der achten Stufe der Potentialität erwirbt die Existenz wahre Autonomie und kann sich sowohl von den universalen Kräften der Evolution als auch der Involution befreien. Die oktopotente Entität kann sie selber sein. Wir sollten dabei aber nicht vergessen, dass wir uns immer noch im Bereich des Faktischen bewegen freie Individualität ist kein Wert an und für sich selbst und Oktopotenz ist keine Wertekategorie.

4.11.6. DIE ÜBERGANGSHYPOTHESE DER BIOSPHÄRISCHEN GANZHEIT Das gesamte organische Leben auf der Erde kann als empfindsame Hülle betrachtet werden, bezeichnet als Biosphäre, die die feste Oberfläche umgibt.184 Diese bildet gemeinsam mit der Lithosphäre (der festen Erde), der Hydrosphäre (den Ozeanen) und der Atmosphäre (der Gashülle) eine der vier hauptsächlich unterscheidbaren Bereiche des Planeten. Die Überlegung, die Biosphäre solle lebende Entität betrachtet werden, mit ihrer eigenen Organisationsform und deshalb ihres eigenen inneren Zusammenhalts ist von vielen Biologen und Geologen befördert worden, seit Süss die Theorie formulierte, die dann später von Vernadsky weiterentwickelt wurde.185 Eine solche Sichtwiese stellt eine Herausforderung für unsere Vorstellung von der Existenz als schichtweisem Aufbau zunehmenden Bewusstseins und immer tiefer integriertem inneren Zusammenhalt dar; denn ihr zu folgen würde bedeuten, dass der Mensch nicht die höchste Seineordnung bildet, die unserer Sinneserfahrung zugänglich ist. Wenn die Biosphäre eine lebendige Ganzheit darstellt, dann sind wir Menschen Teile ihres physikalischen Organismus und zwar so kleine Teilchen dass wir uns in einem ähnlichen Größen- und Zahlenverhältnis bewegen, wie es bei der einzelnen Zelle in Bezug auf den lebendigen Körper des Menschen der Fall ist. Wenn wir die Menschheit als die Gehirnzellen der Biosphäre betrachten, ist die mathematische Koinzidenz in der Tat überwältigend. Man schätzt, dass das menschliche Gehirn aus drei Milliarden Zellen besteht, was der erwarteten menschlichen Bevölkerung um 2000 n. Chr. entspricht. Überdies gibt es etwa zehn Billionen gewöhnlicher Zellen im menschlichen Körper, eine Zahl, die einer vernünftigen Schätzung der Anzahl mehrzelliger Tiere auf der Erde entspricht. Es kann schwerlich überraschen, dass in früheren Zeiten sowohl Wissenschaftler als auch Philosophen zögerten, die Biosphäre als lebende Entität zu betrachten, die auf der existentialen Skala höher stünde als der Mensch selbst. Trotzdem nötigt uns unser wachsendes Wissen darüber, wie das organische Leben sich als hochgradig integriertes System des Energieaustausches verhält, dazu, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es ein Beispiel aus einer Klasse von Entitäten darstellt, die eine Hypothese rechtfertigen, die man als Hypothese der biosphärischen Ganzheit bezeichnen kann: Es gibt eine Klasse von Gegebenheiten, in der eine Gesamtheit des Lebendigen mit der aktiven Oberfläche eines Planeten verbunden ist.

184 Der Begriff „Biosphäre scheint von H.R. Mill eingeführt eigeführt worden zu sein, in International Geography (1899), p. 4.

Die Idee wurde von Süss weiter entwickelt, im vierten Teil von Antlitz der Erde - siehe die Übersetzung von H.B.C. Sollas (1909), p. 637. 185 Siehe P. Vernadsky, La biosphere (Paris, 1933) Diese Theorie unterscheidet sich ziemlich von der H. Jaworskys, der in Le

Gèon (Paris 1928) die Überlegung formulierte, die Erde selber sei als lebendiges Wesen zu betrachten - eine Idee, die bereits von Fechner in Über die Seelenfrage (1861) und in Die Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht ausgeführt wurde, zu deren Diskussion siehe William James, Lecture IV, The Pluralistic Universe (London, 1912).

Entsprechend dieser Hypothese wäre das organische Leben auf der Erde nicht mehr als ein Teil der Klasse von Biosphären die mit Planeten im ganzen Universum verbunden sind. Die Annahme der Hypothese würde mit einer Biosphärologie einen neuen Wissenschaftsbereich begründen, der bisher nicht getrennt von Biologie und Astronomie in Betracht gezogen wurde, nämlich eine Wissenschaft die das Leben auf der Erde und auf anderen Planeten als unabhängige Entitäten untersuchen würde. Die direkten Beleg für die Annahme, die biosphärische Hypothese treffe auch auf andere Planeten zu, sind eher mager und umfassen lediglich einige Hinweise auf Leben auf dem Mars. Trotzdem sollten wir uns dadurch nicht abhalten lassen, die Schlussfolgerungen der Hypothese zu akzeptieren, denn einige Erkenntnisse, die uns bei der Betrachtung etwa der selbsterneuenden und selbstreproduzierenden Ganzheit zugute kamen, sind erst kürzlich entstanden. Man hat erst im vergangenen Jahrhundert damit begonnen, die Natur der atomaren und zellularen Welten zu würdigen und vor noch kürzerer Zeit haben uns die Forschungen in der Astrophysik die Mittel an die Hand gegeben, die Bedingungen au den Oberflächen anderer Himmelskörper als der Erde zu bestimmen. Die biosphärische Hypothese muss zunächst in Bezug auf das organische Leben auf der Erde untersucht werden. Sie beginnt mit der Beobachtung, dass die planetare Symbiose für ihre Stabilität von den Beziehungen zwischen den verschiedenen organischen Spezies abhängt, die sich im Großen und Ganzen eher kooperativ als destruktiv verhalten. Die Ökologie zeigt gerne auf, wie positiv die gegenseitigen Beziehungen zwischen Spezies sind und wie Störungen in der Existenz irgendeiner Lebensform das gesamte Leben in einem gegebenen Bereich nachtteilig beeinflussen. Es ist schwerlich irgendein Beispiel zu finden, dass andere Spezies durch die absichtliche oder zufällige Zerstörung einer Spezies profitiert hätten, wie schädlich oder unnütz sie auch immer erscheinen mag. Darüber hinaus gibt es einen unverkennbaren Rhythmus des Lebens, das die ganze Erde durchdringt, das sich manifestiert in den tägliche und jahreszeitlichen Wechseln und den größeren klimatischen Zyklen. Diese Rhythmen sind Beleg für eine zugrundeliegende strukturelle Einheit. Darüber hinaus können wir uns durch unseren Kontakt mit dem organischen Leben einer Präsenz bewusst werden, die weitaus größer ist als die eines einzelnen Organismus oder einer ganzen Spezies.186 Wir sollten bemerken, dass wir mit der biosphärischen Hypothese auf ein neues Problem in der Reduktion von Phänomenen auf Fakten stossen. Aufgrund der geringen Größe unseres eigenen Organismus ist unsere direkte Erfahrung des organischen Lebens auf der Erde notwendigerweise auf sehr kleine Bereiche beschränkt, und die erforderliche intellektuelle Anstrengung, es als Ganzes zu begreifen gleicht eher einer Erweiterung als einer Begrenzung. Trotzdem unterscheidet sich der Prozess in beiden Fällen nicht essentiell. Unsere Aufgabe besteht darin, aus einer immensen Vielzahl von Phänomenen einen einzelnen Fakt zu realisieren, der für andere erkennbar ist. Die Wahrnehmung des Lebens auf der Erde als eine einzige Ganzheit erfordert die Fähigkeit, in anderen zeitlichen Maßstäben zu denken als denen, an die wir gewöhnt sind. Wir messen die Rhythmen der Biosphäre in Tagen und Jahren und die unseres eigenen Organismus in Sekunden und Minuten. Der menschliche Atem pulsiert in einer Frequenz von etwa fünfzehn bis zwanzig Atemzügen pro Minute; das Herz schlägt siebzig bis achtzig Mal in der Minute. Im Vergleich dazu besteht der erste große Rhythmus des organische Lebens im täglichen Wechsel von Tag und Nacht. Dieser Zyklus ist wie der der Gezeiten etwa dreissigtausendmal langsamer als unser Atem und der entsprechende Herzschlag. Die großen biologischen Ordnungen, die die funktionalen Organe der Biosphäre bilden, entwicklen sich, gedeihen und verschwinden in Zeiträumen von Millionen von Jahren. Siehe H. Jaworsky, Le Gèon (Paris 1928):“….die Erde ist eine Zelle und besteht aus einem Kern, einer Kernhülle und einem Protoplasma. Wir sind Teilchen, die sich um den Kern bewegen, der an den großen Rhythmen seines Lebens teilhat. Wir sind die Mitochondrien der Erdzellen.“ Diese Art von Analogie ist riskant und im vorliegenden Fall irreführend, denn sie verwechselt die Biosphäre mit der planetaren Existenz.. 186

Das organische Leben selbst existiert auf Erden nicht weniger als fünfhundert Millionen Jahre. Möglicherweise sind ganze Biosphären entstanden und wieder verschwunden, vielleicht hat sich eine dominante Lebensform auf der Erde für einige Millionen Jahre durchgesetzt um dann von einer anderen abgelöst zu werden. Ouspensky nahm an, dass die Biosphäre eine Lebensdauer von zweieinhalb Millionen Jahren hat, dass heisst, das dreissigtausendfache der menschlichen Lebensdauer.187 Solche Spekulationen sind angesichts der Abwesenheit irgendwelcher direkten Belege solcher längeren Rhythmen riskant. Trotzdem lehren sie uns, zurückhaltend zu sein, in der Interpretation des Lebens der Biosphäre in Begriffen unserer eigenen unmittelbaren Erfahrung. Die Daten der Paläontologie und Paläobotanik legen indes nahe, dass sich das organische Leben in seiner Gesamtheit durch aufeinanderfolgende Perioden von Aktivität und Ruhe und von Degeneration und Wiedergeburt bewegt hat, die an den Lebenszyklus einzelner Organismen erinnern. Die Biosphäre sollte entsprechend unserer Überlegungen eine achtfältige Struktur besitzen und deshalb den Zyklus der Existenz vollenden. Es ist in der Tat der Schlusspunkt des Lebens wie wir es kennen. Trotzdem sind diese Ebenen im Menschen in Gestalt seiner beiden höheren Funktionszentren vorhanden. Konsequenterweise sollte ein vollständig entwickelter Mensch in der Lage sein, am Bewusstsein der Biosphäre teilzuhaben und ihre kosmische Bedeutung zu verstehen.188

Siehe P.D. Ouspensky, Ain Search of the Miraculous und auch Rodney Collin, The Theory of Celestial Influence (Cape Town, 1954) 187

Für eine Beschreibung der höheren Zentren im Menschen siehe P.D. Ouspensky, In Search of the Miraculous (pp. 142, 194-5, 197, 259 und 279) 188

KAPITEL ZWÖLF

DIE KLASSIFIKATION DER WISSENSCHAFTEN C. SUPRABELEBTE EXISTENZ - HYPERNOMISCHE ENTITÄTEN 4.12.1. DAS WESEN HYPERNOMISCHER EXISTENZ Wir bewegen uns nun von der autonomischen zur hypernomischen Existenz, von solchen Entitäten, die, obwohl sie selbstbestimmt sind, noch nicht über ein für wahre Affirmation und Kreativität ausreichendes Maß an Potentialität verfügen, zu solchen, die aufgrund ihrer eigentlichen Natur die erforderliche kosmische Potentialität besitzen. Es gibt zwei ausgewiesene Wege, auf denen sich die Existenz die Skala hinauf bis jenseits des organischen Lebens bewegt. Auf dem einen schwingt das hylē, um innerhalb der autonomischen Existenz die schöpferische Kraft zu produzieren, die zur hypernomischen Welt gehört; auf dem anderen bewegt es sich auf solche Entitäten zu, die von Natur aus hypernomisch und schöpferisch sind. Im vorliegenden Kapitel werden wir uns lediglich mit der Klassifikation von hypernomischen Entitäten der zweiten Art befassen, dass heisst, mit Entitäten, deren hypernomische Existenz auf dem Wege der Involution von oben entsteht.189 Die kosmische Affirmation wird durch Entitäten vermittelt, die ihrer Natur nach hypernomisch, das heisst vorwiegend affirmativ sind. Eine Kosmologie, die Himmelskörper als Durchgänge der Affirmation betrachtet, steht notwendigerweise dem Glauben entgegen, die Geschichte der Sterne könne lediglich aufgrund ihres beobachteten Verhaltens auf angemessene Weise studiert werden. Astronomen haben die Sterne vor allem auf eine Weise studiert, als ob die `Dinge´ seien, die keinen höheren existentialen Status besitzen als die materiellen Objekte unserer Alltagserfahrung. Es gibt sicherlich einen begründbaren Forschungsansatz bei Studium jeder Existenzebene, der alle Ganzheiten als materielle Objekte betrachtet und versucht, ihre Lebensgeschichte ausschließlich in Begriffen des Energieaustauschs zu rekonstruieren. Im Falle lebender Organismen wird dieser Ansatz von der Biophysik verfolgt, aber genauso wie diese zu unserem Wissen vom lebenden Organismus im besten Falle nur eingeschränkt beitragen kann, so muss auch die Astrophysik insgesamt als zu begrenzt in ihrer Reichweite betrachtet werden, als dass sie uns viel über das wahre Wesen der Himmelskörper mitteilen könnte. Wir müssen darüber hinaus wachsam gegenüber der unkritischen Übertragung von Konzepten bezüglich irdischer Organismen auf die astronomische Welt sein. Die Biosphäre muss immer unterschieden werden von dem Planeten, auf dem sie existiert. Sie mag als letzte und höchste Manifestation des organischen Lebens betrachtet werden, bildet aber gleichzeitig den Übergang zu einer höheren Existenzform, die sich gänzlich jenseits des Lebens insgesamt befindet. Wir müssen deshalb versuchen, existentiale Hypothesen zu bilden, die über das Leben, so wie wir es kennen, hinausgehen und die uns helfen, beim Studium der Himmelskörper unterschiedliche Ebenen zu finden, ähnlichen denen, die wir in der physikalischen und organischen Welt gefunden haben. Hier kann uns die Astronomie sicherlich unterstützen, denn im gegenwärtigen Jahrhundert hat sie die zweifellos die Existenz einer Gattung von Entitäten bewiesen, die als `kosmische Gruppe´ bezeichnet werden kann, in Abgrenzung von Das Studium der ersten Art von Entitäten - das heisst von solchen, deren hypernomische Existenz durch die Evolution von unten entsteht - führt zu dem zentralen Problem freier Individuen im Universum. Es ist diese Existenzform, die uns als menschliche Wesen direkt betrifft, aber ihr Studium gehört eher zum Bereich der Werte als zu dem der Fakten und deshalb nicht zum Untersuchungsbereich des vorliegenden Bandes. 189

den physikalischen und organischen Gruppen. Es gibt vier solcher Spezies in der kosmischen Gruppe, welche die Planeten, Sterne, Galaxien und das sichtbare Universum umfassen. Jede dieser Spezies bildet eine Ebene, die genauso eindeutig ist, wie jene, die wir beim Studium niedrigerer Ordnungen gefunden haben. Darüber hinaus können wir durchaus verstehen, dass die auf jeder Ebene anzutreffende Existenzform nach einer gesteigerten Potentialität verlangt. Wir sind bereits mit der Auffassung von der Biosphäre als lebendiger Ganzheit weit über den Bereich jeder individuellen menschlichen Erfahrung hinausgegangen. Die Einheit der planetaren Welt und der größeren kosmischen Einheiten kann zwar durch Reduktion abgeleitet werden, aber sie kann durch das gewöhnliche menschliche Bewusstsein nicht direkt erfahren werden. Deshalb müssen wir uns auf dieser Stufe damit zufriedengeben, auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass es Existenzebenen geben könnte, die in Begriffen des inneren Zusammenhalts der großen astronomischen Systeme definiert werden können. Die beachtlichen Arbeiten von D.E. Harding basieren auf den Annahme, es gäbe eine Hierarchie der Existenz, welche die Menschheit, das Leben, die Erde, die Sonne, die Galaxie und das gesamte Universum umfasse. Er erkennt auch, dass wir beim Nachdenken über die Existenz jenseits der irdischen Lebens eine Perspektive einnehmen müssen, die er als den `fernen Blick´ bezeichnet. Das bedeutet, dass wir die beobachteten Daten nicht reduzieren können, ohne sie mit der Intuition von Ganzheit zu kombinieren. Dies ist der hauptsächliche Grund, aus dem die astronomischen Wissenschaften bis jetzt noch nicht verstanden haben, dass ihre Entdeckungen nicht korrekt interpretiert werden können, ohne die Anwesenheit von Einheiten einzuräumen, die über eine Intensität an innerem Zusammenhalt verfügen, der weitaus höher und bedeutender ist als unsere menschliche Existenz.190 Die höheren existentialen Hypothesen setzen eine Geisteshaltung voraus, die sich sowohl von gegenwärtigen wissenschaftlichen Auffassungen als auch von den theologischen und theosophischen Überlegungen unterscheidet, die in der Vergangenheit maßgeblich waren. Wir stehen vor neuen Fakten, nämlich vor der Anerkennung der Tatsache, dass die Organisation des Universums sich innerhalb einer gewaltigen Skala vollzieht und dass diese Organisation darüber hinaus kein Anzeichen dafür zeigt, lediglich eine bloße Erweiterung des Lebens zu sein, so wie wir es auf unserem Planeten kennen. Die Hypothese der hypernomischen Existenz benötigt deshalb das Konzept suprabelebten Bewusstseins, dass heisst einer Existenzform, die nicht von den zentralen Eigenschaften der Selbsterneuerung, Reproduktion, Selbstregulation oder auch Selbstausrichtung abhängig ist. So wie wir das Leben auf einer höheren Ebene in der existentialen Hierarchie anordnen als die einer bloßen Objekthaftigkeit, so müssen wir darauf vorbereitet sein, kosmischer Existenz ein höheres Maß an Bewusstsein einzuräumen, als jenes, das irgendeiner Lebensform möglich wäre. Wie dürftig die Datengrundlage für ein Studium hypernomischer Existenz auch sein mag, wir sollten uns doch zumindest auf kosmische Hypothese beziehen, anstatt alle astronomischen Fakten auf sächliche Begriffe zu reduzieren.

4.12.2. DIE HYPOTHESE SUBKREATIVER GANZHEIT Der Planet Erde ist im Vergleich mit unseren eigenen Körpern riesig und fast unsterblich. Wir sprechen von `Mutter Erde´ und das ist keine bedeutungslose Phrase, denn sowohl die Stoffe unserer Existenz als auch ihr essentielles Muster stammen von ihr. Autonomische Existenz auf der Erde ist weder selbstgeschaffen noch ist sie das Ergebnis blinden Zufalls; sie ist unter die Aktivität einer affirmativen, schöpferischen Kraft entstanden, die in der Erde selber wohnt. Trotzdem wären weder die Entstehung des organischen Lebens noch seine Erhaltung ohne die vielgestaltigen Energien möglich, die dieses von der Sonne empfängt Die

190 Siehe D.E. Harding, The hierarchy of Heaven and Earth (London, 1952), pp. 75-132

Erde ist deshalb eine subkreative Ganzheit - schöpferisch, aber immer noch abhängig und untergeordnet. Wenn wir versuchen, unsere Beobachtungen vom Wesen der Erde in unser Schema der Klassifikation einzuordnen, so stellen wir fest, dass sie ein Maß an Freiheit jenseits dessen besitzt, was für eine autonomische Existenz erforderlich ist. Sie ist eine novempotente Entität und befindet sich insofern unterhalb der Ebene wahrer schöpferischer Existenz, die zumindest zwei Grade an Potentialität jenseits der Autonomie benötigt. Wir können die Hypothese planetarer Existenz wie folgt formulieren: Es gibt eine Klasse von Gegenseiten, in denen Entitäten eine affirmative Kraft ausüben können, ohne selber unabhängige Ganzheiten zu sein. Planeten besitzen innere Qualitäten der Stabilität und Dauer, die es ihnen ermöglichen, die Transformation der autonomischen Existenz in den Biosphären zu unterstützen. Trotzdem müssen sie umgekehrt durch eine Energie ausserhalb von ihnen unterstützt werden, die von der Sonne und den Sternen stammt. Ebenso benötigt das Drama des Lebens eine immense Zeitspanne, um seine Potentiale zu entfalten und dafür braucht es eine Entität von nicht weniger als der Dauerhaftigkeit eines Planeten. Die Behauptung, die planetare Existenz stünde oberhalb der Ebene des Lebens ist schwierig zu begreifen und nicht ohne weiteres akzeptabel. Wir können Bewusstsein schwerlich anders denken, als im Zusammenhang mit einem lebenden Organismus, der uns ähnlich ist die Annahme, es könnte eine noch größere Intensität an Bewusstsein geben, das mit einem Körper wie der Erde verbunden ist, erscheint uns daher als ziemlich unplausibel. Der existentiale Charakter der Planten wird zusätzlich durch die wohlmeinenden Versuche jener verschleiert, die versucht haben, zu zeigen, dass der Planet ein Lebewesen mit Organen wie denen eines Tieres sei.191 Sehr viel näher an unserer Vorstellung vom planetarem Bewusstsein ist Hardings Auffassung von der Erde als `bewusst tot´. Er fragt, wie es kommt, dass wir einwilligen, die Erde als „traurigen Klumpen“ zu betrachten, als „in den Raum geschleudert“, als einen „Stein, eine rotierende Kugel aus Dreck und Feuer.“ Er erwidert: „Die einfache Antwort ist, dass nur eine Kreatur, niedriger als der Mensch vergessen könnte, dass sie lebendig ist; die wahre Antwort ist, dass nur eine Kreatur, die mehr als menschlich ist, sich daran erinnern kann, dass sie tot ist - geringere Dinge sind geneigt, dies zu übersehen. Vielseitiger Tod ist die Bedingung ihrer (der irdischen) Vitalität.“192 Es ist sehr schwierig, den Gebrauch des Begriffs „Leben“ zu vermeiden, um den Zustand bewusster Erfahrung auszudrücken; aber wir dürfen nicht vergessen, dass Leben und Tod Begrenzungen der Existenz bilden, und dass für eine Existenzform, welche die Trennung von Zeit und Ewigkeit aufhebt, sowohl das Leben als auch der Tod aufhören, irgendeine der Bedeutungen zu haben, die ihnen auf Grundlage unseres menschlichen Wissens zugeschrieben werden. Das apokritische Muster des Plansten muss vollständiger als das der Biosphäre sein und es muss deshalb nicht weniger als neun eigene Ebenen umfassen. Die neunte Kategorie drückt unsere Intuition des universalen Musters aus, aber nicht die Freiheit der Schöpfung. Mit der planetaren Existenz betreten wir eine Welt, die sich jenseits der endlichen Ganzheit befindet und zumindest eine Schicht jenseits des Punktes aufweist, an dem Zeit und Ewigkeit wieder vereinigt sind. Während die Biosphäre den ersten Zyklus vollendet, der in seinem Zenit frei von der Trennung in Raum, Zeit und Ewigkeit ist, beginnt der Planet selbst seinen Aufstieg zu universaler Existenz im Ausgangspunkt des Erscheinens von Werten. Der Vorschlag von Fechner, die Erde sei ein `Engel´ und solche Studien wie Jaworskis Geon - die hauptsächlich auf Analogie basieren - behandeln die Erde, als sei sie ein gigantischen einzelliges Lebewesen. 191

192

Siehe D.E. Harding, ebnda. pp. 98.9

4.12.3. DIE HYPOTHESE KREATIVER GANZHEIT Wir haben eine Analogie zwischen den Atomen und den Zellen gefunden, die jeweils das zweite Glied ihrer entsprechenden Tetrade bilden. Hier haben wir das zweite Glied der hypernomischen Tetrade erreicht und es ist verführerisch, die Analogie auszudehnen und in den Sternen die `Atome des Universums´ zu sehen. Ein weiterer Gedanke zeigt, wie passend die Analogie ist. Die Atome hyponomischer Existenz sind deren kleinste Bestanteile. Die Atome autonomischer Existenz sind die Zellen. Die Atome hypernomischer Existenz sind die Sterne. Die Analogie ist jedoch nur insofern gültig, als jede der drei Arten von `Atomen´ ohne Bezug auf ihre kosmische Rolle betrachtet wird. Die Hypothese vom unveränderlichen Sein kann konsequent nur auf Teilchen angewendet werden, die interaktionsfrei und einigermaßen passiv sind. Ähnlicherweise zeigt die Sonne ihr atomares Wesen nur, wenn wir sie in ihrer Rolle als unabhängige schöpferische Kraft betrachten. Die sichtbare Struktur des Sonnensystems wurde erst nach Jahrhunderten geduldiger Beobachtung und Deduktion entdeckt. Unser gegenwärtiges Bild des Sonnensystems zeigt uns die Sonne, die Planeten, die zahlreichen Satelliten und unzählbare Asteroiden, den interplanetaren Staub, den konstanten Strom von Strahlungs- und Teilchenenergie sowie die gravitationalen und elektromagnetischen Kraftfelder. In dieser höchst komplexen Struktur dominiert die Sonne - 99,85% der gesamten Masse des Sonnensystems findet sich in ihr konzentriert. Nahezu die gesamte freie Wärmeenergie, die für Veränderungen der planetaren Oberflächen zur Verfügung steht, stammt von solarer Strahlung. Darüber hinaus konzentriert sich der überwiegende Teil des geringen Massebereichs, der außerhalb der Sonne liegt, in den zwei Planeten Jupiter und Saturn, die sich soweit vom Zentrum befinden, dass sie nahezu eigene Systeme bilden. Die Abhängigkeit, die wir bei den Planeten bemerkt haben, wird zu Unabhängigkeit und Isolation, wenn wir uns der solaren Existenz zuwenden. Wir begegnen hier zweifellos einer anderen existentialen Stufe und aus der Betrachtung der Sonne ergibt sich eine andere Wissenschaft als aus dem Studium der Planeten. Es ist aber lediglich die Zufälligkeit eines gemeinsamen Untersuchungsinstrumentariums, die sie bisher in der Einzelwissenschaft der Astronomie zusammengeführt hat. Man kann jedoch genauso wenig von einer Astronomie sprechen, wie man von einer Biologie sprechen kann. Wir sollten die Heliologie und die Planetologie ebenso trennen, wie wir Zoologie und Botanik trennen. Da dies nicht geschieht, begegnet uns das ausserordentliche Problem gar nicht erst, mit dem wir uns auseinandersetzen müssten, wenn wir versuchten, eine Seinsebene zu verstehen, auf der das Leben, so wie wir es kennen, keine Rolle spielt und die doch aufgrund ihrer Größe und der Macht, die sie auf unsere und auf alle planetare Existenz ausübt als eine Ebene betrachtet werden muss, die höher ist als unser menschliches Bewusstsein reichen kann. Die Hypothese der kreativen Ganzheit kann wie folgt formuliert werden: Es gibt eine Klasse von Gegebenheiten, in denen Entitäten, die ihrem Wesen nach atomisch sind, innerhalb ihrer eigenen Präsenz eine freie schöpferische Kraft entfalten. Die zehnte Kategorie der Existenz entspricht hier der dezempotenten Struktur der Sonne. Die Sonne muss als die höchste Manifestation individualisierter Existenz und kann zur selben Zeit als ein Atom des Universums betrachtet werden. Die Vereinzelung der Sonne und der Sterne ist eine hervorstechende Eigenschaft, die sie von allen anderen Entitäten, ungeachtet von Größe und existentialer Ebene unterscheidet. Die Entfernung unserer Sonne vom nächsten Fixstern ist so groß, dass ihr gegenseitiger Einfluss hinsichtlich erkennbaren Energieaustauschs unerheblich ist. Die Wahrscheinlichkeit zufälliger Kollisionen von Sternen ist so gering, dass Jeans berechnet hat, dass sich unter den hunderten von Billionen von

Sternen in unserer Galaxie in den letzten Milliarden von Jahren nur einige wenige Zusammenstöße aufgrund zufälliger Bewegungen ereignet haben. Einer solch extremen Unabhängigkeit begegnet man sonst nirgendwo im Universum - von den Atomen bis zu den Galaxien - und sie muss eine tiefe kosmische Bedeutung besitzen. Dies ist die bedeutendste Bezugsgröße die bei jeder Interpretation der Hypothese schöpferischer Existenz berücksichtigt werden muss.

4.12.4. DIE HYPOTHESE KREATIVER GANZHEIT Wir haben eine Analogie zwischen entsprechenden Teilen der drei existentialen Betraten gefunden. Deshalb finden wir vielleicht etwas Hilfe für die ansonsten unmögliche Aufgabe, die Natur galaktischer Existenz zu beschreiben, wenn wir sie mit entsprechenden Ebenen der hyponomischen und autonomischen Existenz vergleichen. In jedem Falle besteht das wesentliche Merkmal in Bezogenheit und Transzendenz: die selbsterneuernde Entität besitzt einen triadischen Aufbau, der es ihr ungeachtet energetischer Veränderungen ermöglicht, sie selbst zu sein. Die reproduktive Entität erneuert ihre Existenz ausserhalb ihrer selbst. Wir sollten erwarten können, in Galaxien ähnliche Möglichkeiten der Bezogenheit und Transzendenz finden zu können. Die Form, in der sich diese Macht manifestiert, muss affirmativ sein und doch nicht unmittelbar schöpferisch. Konsequenterweise übertragen die Galaxien ein kosmisches Muster, das seinen Ausdruck in der schöpferischen Kraft der in ihnen befindlichen Sterne hat. Wir können deshalb von den Galaxien als superkreativ sprechen. Sie sind jenseits der Individualität und jede ist in sich selbst ein Universum, das aus Billionen von Sternen besteht. Trotzdem müssen wir erkennen, dass die Galaxien in Größe und Dauer begrenzt sind und dass sie ihre affirmative Rolle als Einheiten eines größeren Ganzen erfüllen. Die Galaxien besitzen ex hypothesi elf existentiale Ebenen. Dies sollte ihnen auf ihren hypernomischen Ebenen eine intrinsisch triadische Beziehung ermöglichen. Die Galaxie kann als die höchste Manifestation der Triade betrachtet werden, aber sie bleibt in ihrer Existenz abhängig von der hypernomischen Tetrade. Wir können deshalb die Hypothese der superkreativen Ganzheit wir folgt formulieren: Es gibt eine Klasse von Gegebenheiten in denen Entitäten - obwohl selbst nicht autokratisch - Manifestationen der höchsten affirmativen Macht bilden.

4.12.5. DIE HYPOTHESE AUTOKRATISCHER GANZHEIT Bis zu den Grenzen der möglichen Beobachtung erstreckt sich das Universum in mehr oder weniger gleichförmiger Verteilung im Raum. Alle verfügbaren Hinweise scheinen jedoch zu zeigen, dass keine der einzelnen Galaxien seit mehr als einigen Milliarden Jahren existiert, dass heisst ähnlich lange wie die einzelnen Sonnen und selbst die Planeten. Es erscheint deshalb wahrscheinlich, dass wir gegenwärtig nicht über die Mittel verfügen, zum Ursprung der Zeit jenseits eines bestimmten Intervalls vorzudringen, genau so wie es unseren Teleskopen nicht möglich ist, nach Lichtsignalen jenseits einer Grenze zu suchen, hinter der die Lichtabschwächung das Licht daran hindert, jemals die Erde zu erreichen. Wir müssen das Universum deshalb als für uns intrinsisch unfassbar betrachten und dies trifft für die bestimmenden Bedingungen von Ewigkeit und Hyparxis nicht weniger zu als für jene von Raum und Zeit. Das Universum, so wie wir es kennen, kann nicht unendlich sein, aber dies bedeutet nicht, dass es keine Existenz besäße, die sich jenseits jeder erreichbaren Grenze menschlichen Wissens befände. Wir können zum Beispiel weder bestätigen noch leugnen, dass die Zeit einen Anfang hat, aber wir können sagen, dass das Universum, so

wie wir es kennen, in der Vergangenheit sehr verschieden von dem war, was es jetzt ist.193 Wir können deshalb eine Existenzform definieren, die ultimativ ist, soweit es menschliches Erkenntnisvermögen betrifft, aber nicht notwendigerweise für eine Entität, die sich auf einem gänzlich anderen Niveau des Bewusstseins und Verstehens befindet. Der vierte Grad hypernomischer Existenz besteht im allumfassenden Faktum und vollendet die natürliche Ordnung. Ob erkennbar oder nicht, es muss eine Ganzheit der Ganzheiten geben, die hypernomisch für all ihre untergeordneten Teile ist. Diese Ganzheit bildet die universale Affirmation und entspricht der zwölften Kategorie der Autokratie, durch welche die faktualen Kategorien vollendet werden. Sie bildet die Quelle aller involutionären Prozesse, durch die die Affirmation durch die verschiedenen existentialen Ebenen hindurch übertragen wird. Die Potentialität des Großen Ganzen muss als duodecimal betrachtet werden, denn dies ist die Zahl, die der Kombination von Triade und Tetrade entspricht, durch welche Wille und Existenz versöhnt werden. Wir dürfen es jedoch nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass diese Zuschreibungen bis auf weiteres ausschließlich erfolgen, um ein System der Klassifikation zu bilden.

4.12.6. DIE UNIVERSALE SYSTEMATIK DER NATURPHILOSOPHIE Wir haben die erste Stufe unseres Vorhabens vollendet - nämlich alles mögliche Wissen in ein System zu ordnen, das auf den ursprünglichen Daten der Erfahrung beruht. Wir müssen jedoch an den provisorischen Charakter unserer Kategorien erinnern und an die Auffassung, wonach sie eine unendliche Progression bilden, von der nur wenige erste Begriffe menschlichem Verstehen zugänglich sind. Die Behauptung, eine universelle Systematik gebildet zu haben, wird durch die Anerkennung einer grundlegenden Ignoranz den höheren Bedeutungsebenen gegenüber gemildert. Wir wissen im Voraus nichts über den Kampf, den wir führen müssen, um unsere Erfahrung zu verstehen und um unseren Platz im Universum zu finden. Der Weg, den wir gegangen sind, ist nicht der einzig mögliche Weg. Wir haben die Kategorien genutzt, so wie sie bei jedem Schritt geeignet erschienen und andere Interpretationen mögen zu anderen Ergebnissen geführt haben. Trotzdem verfügen wir nun über ein Arbeitsschema, das für unseren Versuch, die Daten der Naturwissenschaft in eine einzige kohärente Struktur zu überführen zumindest heuristischen Wert besitzt. Bevor wir uns nun der nächsten Stufe unseres Vorhabens zuwenden, wird es zweckmäßig sein, die systematische Klassifikation zusammenzufassen, die jene Wissenschaftsbereiche zeigt, welche in jeder der vierzehn existentialen Hypothesen enthalten sind. Die entsprechenden Kategorien befinden sich auf der rechten Seite der Übersicht.

A. HYPONOMISCHE DOMINANTE DIE PHYSIKALISCHE WELT DINGE A.1.

Unipotente Entitäten

Kategorie

Siehe die Essays zu der Frage `Wie ist die logische und wissenschaftliche Lage bezüglich des zeitlichen Ursprungs und Alters des Universums?´, veröffentlicht in The British Journal for the Philosophy of Sciences, Vol. V, No. 19, Nov. 1954. Das Preisessay von Michael Scriven schlussfolgert: „Es kann keine nachprüfbare Aussage darüber gemacht werden, ob das Universum ein endliches Alter beizt oder nicht.“ (ebda. p. 190) 193

Hypothese der existentialen Indifferenz.

Die Rahmenwissenschaften Geometrie. Arithmetik. Logik. Kinetik einförmiger Bewegungen. Vierdimensionale Physik.

A.2.

Ganzheit

Bipotente Entitäten.

Hypothese des unveränderlichen Seins.

Die Polaritätswissenschaften. Kraftfelder. Dynamik. Elektromagnetismus. Korpuskel. Licht. Fünfdimensionale Physik

A.3.

Polarität

Tripotente Entitäten

Hypothese der identischen Wiederkehr

Die physikalische Welt. Verhalten fester und elastischer Körper. Kleinste Teilchen. Sechsdimensionale Physik.

A.4.

Bezogenheit

Quadripotente Entitäten

Hypothese zusammengesetzter Ganzheit

Atomkerne. Eigenschaften der Materie. Austauschprozesse. Chemie und Mechanik. Dingheit.

Dauerhaftigkeit

Der erste Übergang Hypothese der aktiven Oberfläche

Kolloide Wissenschaften. Polyphasensysteme. Interaktion von Ebenen. Proteine und Nukleinsäuren. Enzyme und Katalysatoren.

B. AUTONOMISCHE DOMINANTE DIE BELEBTE WELT - LEBEN B.1. Hypothese der selbsterneuernden Ganzheit B.2. Hypothese der reproduktiven Ganzheit

B.3.

Quintpotente Entitäten Subzellulares Leben. Virologie Biochemie

Potenzialität

Sextpotente Entitäten Die zellulare Welt Cytologie Protozoologie Embryologie Septempotente Entitäten

Wiederholung

Hypothese der selbstregulierenden Ganzheit.

B.4.

Die Metazoen. Biologie. Entwicklung und Wachstum. Doe Phänomene der Geburt und des Todes.

Struktur

Oktopotente Entitäten

Hypothese der selbstausrichtenden Ganzheit.

Individuation. Psychologie. Herdenverhalten. Organische Spezies.

Individualität

Der zweite Übergang Hypothese der biosphärischen Ganzheit.

Die Biosphäre. Ökologie und Genetik. Ursprung der Arten.

C. HYPERNOMISCHE DOMINANTE DIE SUPRABELEBTE WELT - HIMMLISCHE EXISTENZ C.1. Die Hypothese subkreativer Ganzheit. C.2. Die Hypothese kreativer Ganzheit.

C.3. Die Hypothese superkreativer Ganzheit. C.4. Die Hypothese autokratischer Ganzheit.

Novempotente Entitäten Existenz jenseits des Lebens. Die Planeten.

Muster

Dezempotente Entitäten Die Sonne und die Sterne.
 Funktionale Freiheit. Kreativität. Die Sonnensysteme. Kosmische Individualität.

Kreativität

Undezempotente Entitäten Die Galaxien. Die universale Transformation.

Herrschaft

Duodezempotente Entitäten Das beobachtbare Universum. Die universale Ordnung. Kosmologie.

Autokratie.

Bei der Darstellung dieses universalen Schemas dürfen wir nicht vergessen, dass wir in den Grenzen der phänomenalen Welt bleiben. Die drei Existenzformen wurden in faktualen Begriffen definiert, ohne jeden Bezug auf Unterscheidungen von Werten. Beim Fortschreiten von der Ganzheit zur Autokratie sind wir nicht über die Grenzen dessen hinausgegangen, was Existenz umfasst - wir müssen weiter gehen, um Antworten auf die Fragen des `Warum ´ und `Wohin´ zu finden. Im nächsten Buch werden wir die soweit vorliegenden Resultate für eine systematische Erkundung aller Daten der Naturwissenschaft anwenden - dass heisst, auf die Welt der Fakten.

BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN SOWOHL VON NEOLOGISMEN ALS AUCH VON VORHANDENEN BEGRIFFEN MIT BESONDERER BEDEUTUNG

AKTION

Eine der drei grundlegenden Eigenschaften der Existenz, die beiden anderen sind Trägheitsmoment und elektrische Ladung. Assoziiert mit Hyparxis und essentiell wiederkehrend. Bestimmt durch den Richtvektor eines Delta-Bündels.

AKTIVE OBERFLÄCHE Hypothese der

Die Annahme einer Klasse von Ereignissen die durch die Anwesenheit eines potentiellen Energiegradienten charakterisiert ist. Siehe Kolloide (4.10.6.)

AKTUALISIERUNG

Ein Ereignis, das in die Erfahrung als temporäres Phänomen eintritt. (3.7.2.)

ALPHA-BÜNDEL

Eine transitive Familie schräger Parallelen mit singulärem Grad der Freiheit. Benutzt in der Darstellung der Ewigkeit. (6.15.5.)

ANNÄHERUNG Methode der fortschreitenden

Siehe Fortschreitende Annäherung, Methode der

APOKRISE

Die Trennung von zwei Ebenen in der Ewigkeit. Daher das apokritische Intervall als Maßstab einer solchen Trennung. (3.8.3.)

AUSDEHNUNG

Die Aktivität eines bejahenden Einflusses auf eine verneinende Umgebung. Synonym mit Involution. (3.6.8.)

AUTOKRATIE Kategorie der

Die zwölfte Kategorie. Das Element der Erfahrung in der wir eine Bejahung erkennen, die unabhängig von jeder übergeordneten Bejahung ist. (1.2.14.)

AUTONOMISCH

Die Existenzebenen, die durch den versöhnenden Einfluss dominiert werden. (4.9.4.) Existenz, die alle Lebensformen umfasst. (8.19.1.)

AUTORIZMOS

Die Eigenschaft, durch die ein einzelner unbegrenzter Wille sich als mannigfaltig und begrenzt manifestiert. (1.3.6.)

BEDEUTUNG

Die Erkennung eines wiederkehrenden Elements der Erfahrung, das durch Zeichen, Symbol oder Gestik kommunizierbar ist. (2.4.2.)

BEOBACHTUNGSSYSTEM O-M-R

Der menschliche Beobachter O mit seinen Messinstrumenten M, die strikt an den quasi-starren Körper R gebunden sind. (5.14.3.)

BETA-BÜNDEL

Eine intransitive Familie schräger Parallelen, die k+j-2 Freiheitsgrade besitzt. Genutzt zur Darstellung von Zeit. (6.15.5.)

BEWUSSTSEIN

Der subjektive Aspekt des Seins. (1.3.5.b.)

BEZOGENHEIT Kategorie der

Die dritte Kategorie. Das Element der Erfahrung, das im Erkennen besteht, dass zwei unabhängige Terme nur durch einen dritten unabhängigen Term kombiniert werden können. (1.2.5.)

BEZOGENHEIT Prinzip der

Alle wirklichen Beziehungen sind auf drei unabhängige Elemente reduzierbar, die im Wesen bejahend, verneinend und versöhnend sind.

BEZOGENHEIT Typen der

Es gibt vier Typen: innerlich und äußerlich, verbindend und trennend, von denen jeder mit einem der bestimmenden Zustände korrespondiert.

BEZUGSSYSTEM

Die Form, in der wir Phänomene erfahren. (3.6.9.) Die Selbstbegrenzung des Willens in der Festlegung auf mögliche Situationen. (3.7.5.) Die Gesamtheit bestimmender Zustände von Raum, Zeit, Ewigkeit und Hyparxis.

BIOSPHÄRE

Die Gesamtheit autonomischer (s.a.) Existenz auf einem gegebenen Planet. Die Hypothese biosphärischer Ganzheit folgt der Annahme, dass die Biosphäre ein bewusstes Individuum ist. (4.11.6.)

BIPOTENZ

Der korpuskulare Zustand der Existenz. Jenes Element in jeder Ganzheit, das ausschließlich von polaren Kräften bestimmt wird. Existenz entsprechend der Hypothese des unveränderlichen Seins. (4.10.3.)

BÜNDEL

Eine Familie schräger Parallelen, gegeben durch die Beziehung von W=V+ΣØiUi wird als Bündel bezeichnet. V ist der Leitvektor und Ui die Nullvektoren des Bündels und Øi die Abweichungen. (6.15.5.)

BÜNDEL intransitives

Eine Familie schräger Parallelen in der der Leitvektor einzigartig ist. (6.15.5.)

BÜNDEL transitives

Eine Familie schräger Parallelen, in der der Leitvektor identisch mit jedem Mitglied sein kann. (6.15.5.)

DASEIN Kategorie des

Die vierte Kategorie. Das Element der Erfahrung in dem wir erkennen, dass Ereignisse konkreter als Beziehungen sind und vier Terme für ihren Ausdruck benötigen. (1.2.6.)

DASEIN Prinzip des

Die Begrenztheit der Existenz erfordert eine Struktur mit vier Termen. (1.2.6.)

DELTA-BÜNDEL

Eine intransitive Familie schräger Parallelen mit 1 zyklischen Freiheitsgrad. Nützlich für die Darstellung der Hyparxis. (6.15.5.)

DENKEN

Unterschieden in (a) assoziativ, (b) logisch und (c) supralogisch. (1.1.4.) Logisches Denken ist polar.

DEZEMPOTENZ

Die zweite Stufe der hypernomischen Existenz. Sie Sonne und andere Sterne. Existenz entsprechend der Hypothese der Kreativität. (4.12.3.)

DIMENSION

Ein unabhängiges numerisches Set, von dem eines oder mehrere ein Mannigfaches bilden. (5.13.5.)

DRAMATISCH

Die Kombination von Relativität und Ungewissheit mit Bewusstsheit und der Möglichkeit von Freiheit. Deshalb Dramatisches Universum. (1.1.2.)

DUODEZIMPOTENZ

Die höchste Stufe hypernomischer Existenz. Das Universum als autokratische Ganzheit. (4.12.5.)

DYADE

Ein Paar von Ganzheiten, die sich durch mindestens eine Eigenschaft unterscheiden. (1.4.2.)

ENDLICHE KOSMISCHE TRIADE

Die hypernomischen, autonomischen und hyponomischen Existenzarten als ultimates Bezogen-Sein des Universums. (9.22.4.)

EPIGENETISCHER FAKTOR

Der hyparchische Faktor, der die ursprüngliche Entwicklung und folgende Existenz eines Organismus an sein ewiges Muster anpasst. (8.20.5.)

EREIGNIS

Eine mögliche Situation. (3.7.2.)

ERFAHRUNG

Die Gesamtgegebenheit, die jedem Bewusstsein, menschlich, vormenschlich oder übermenschlich möglich ist. Die definitive Form indefinitiver Realität. (1.3.1.)

EWIGKEIT

„Das Lager der Potentialitäten“. (3.8.3.). Eine der vier bestimmenden Zustände zusammen mit Raum, Zeit und Hyparxis. Ewigkeit ist der Maßstab der Intensität des Seins. (3.6.9.) Repräsentiert durch ein Alpha-Bündel. (6.15.6.)

EWIGKEITS-BLINDHEIT

Die Eigenschaft der menschlichen Sinneswahrnehmungen die es ihnen lediglich die Wahrnehmung von Aktualisierungen aber nicht von Potentialitäten gestattet. (5.13.9.)

EXISTENTIALE INDIFFERENZ Hypothese der

Die Annahme, dass es eine Klasse von Ereignissen gibt die unabhängig von jeder existentialen Beschaffenheit sind. Unipotente Ereignisse. (4.10.2.)

EXISTENTIALER BEREICH

Der zweidimensionale Bereich, in dem die Richtungen in Zeit und Ewigkeit einer gegebenen Entität A enthalten sind. Im existentialen Bereich können alle möglichen erhaltenden Zustände von A repräsentiert werden. (5.13.8.)

EXISTENZ

Das Element des Seins in jeder Erfahrung. (Siehe auch Schichtung der Existenz).

FÄHIGKEIT-ZU-SEIN

Die Entitäten innewohnende Kraft, ihre Potentialitäten mit ihrer Aktualisation zu versöhnen. Das innere versöhnende Prinzip jeder existierenden Ganzheit. (3.6.8.), (3.8.5.)

FAKTUM

Erfahrung der funktionalen Ordnung. Gegensätzlich zu Wert. Das Faktum wird durch Reduktion aus der Erfahrung abgeleitet. (3.6.2.) (Siehe auch Homogenität des Faktums)

FORTSCHREITENDE ANNÄHERUNG Methode der

Die Konstruktion von Konzepten, ausgehend von vagen Umrissen mit darauffolgender Anreicherung durch Details. (1.1.7.) Methode, die in der Vertiefung von Bedeutungen anstatt in der Ansammlung von Fakten besteht. (3.6.1.)

FUNKTION

Das erkennbare Element in jeder Erfahrung. Das Universum erlebt als Prozess. Funktion ist ursprünglich und nicht reduzierbar auf irgendein finaleres Konzept. Die verneinende Kraft in der Triade der Erfahrung. (1.3.3.)

GAMMA-BÜNDEL

Die transitive Familie schräger Parallelen mit der Eigenschaft totaler Kopplung, die für die Darstellung des Raums erforderlich ist. (6.15.5.)

GANZHEIT Kategorie der

Die erste Kategorie. Die Eigenschaft, durch die eine Entität als sie selbst erkannt werden kann. Auch der Maßstab der Abstufungen von Empfindsamkeit anderen Entitäten gegenüber. (1.2.3.)

GANZHEIT Prinzip der

Ganzheit ist omnipotent aber relativ. (1.2.3.)

GEGEBENHEIT

Ein Faktum ohne Referenz auf seine tatsächliche oder auch nur mögliche Entstehung. Die Formen aller möglichen und unmöglichen Fakten sind Gegebenheiten. (3.7.2.)

GEGENÜBER

Die totale Existenz eines Korpuskels oder einer anderen Entität in Zeit und Ewigkeit entsprechend einem Zyklus der Wiederkehr in der Hyparxis. (16.6.4.)

GEGENWÄRTIGKEIT

Der Schnittpunkt der potentiellen und tatsächlichen Zustände einer gegebenen Ganzheit. Die Gegenwärtigkeit wird von dem bestimmenden Zustand Raum beherrscht. (3.8.4.)

GEOMETRIE

Die Wissenschaft der Darstellung von Struktur ohne Bezug zur Existenz. (5.13.6.)

GESETZ

Der objektive Aspekt des Willens. (1.3.6.)

GESTI

Kommunikation des Willens. Die höchste Form der Sprache. (2.4.1.)

HERRSCHAFT Kategorie der

Die elfte Kategorie. Der Aspekt der Erfahrung, in dem wir einen Einfluss erkennen, der kreative Aktivität erwecken kann ohne davon selber beeinflusst zu werden. (1.2.13.)

HOMOGENITÄT DES FAKTUMS Postulat der

Die Annahme, dass alle Fakten, bekannt oder unbekannt ein kohärentes System bilden. (3.6.5.)

HYLĒ

Der Grundstoff aller möglichen Erfahrung. Das gemeinsame Element aller Erfahrung. (1.3.1.)

HYPARCHISCHER REGULATOR

Der sensitive Mechanismus durch den der physiologische Organismus an die Umgebungsveränderungen angepasst wird. (8.20.5.)

HYPARXIS

Der Zustand der Fähigkeit-zu-sein. (3.6.8.) Einer der vier bestimmenden Zustände mit Raum, Zeit und Ewigkeit. Repräsentiert durch ein Delta-Bündel. (6.15.6.)

HYPERNOMISCH

Die Existenzebenen die durch den bejahenden Faktor bestimmt werden. (4.9.4.) Existenz jenseits des Lebens. (9.22.1.)

HYPONOMISCH

Die Existenzebenen, die durch den verneinenden Faktor bestimmt werden. (4.9.4.) (4.10.1.). Existenz unterhalb des Lebens. Dingheit. (7.18.1.)

HYPOTHESE existentiale

Die jene Kriterien betreffende Annahme, die eine gegebene Seinsebene abgrenzen. Jede existentiale Hypothese entspricht einem Potenzgrad. (4.9.7.)

HYPOTHESE Arbeits-

Entwurf zur Unterstützung der Ordnung von Fakten. (4.9.5.)

IDENTISCHE WIEDERKEHR Hypothese der

Die Annahme, es gäbe eine Klasse von Ereignissen in der sich Entitäten verhalten, als ob ihre Existenz sich periodisch in jeder der drei inneren Dimensionen Zeit, Ewigkeit und Hyparxis erneuern würde. (4.10.4.)

INDIVIDUALITÄT Kategorie der

Die achte Kategorie. Das Element der Erfahrung durch das wir die Kapazität für unabhängige Initiative erkennen. (1.2.10.)

INHALT

Der positive Aspekt der Dyade der Bedeutung. (Vgl. Kontext) Das, was durch ein sprachliches Element bejaht wird. (2.4.2.)

INTUITION

Das Erkennen von Bedeutung ohne die Intervention vorher gebildeter linguistischer Elemente. Intuition ist das, was im direkten Kontakt mit Erfahrung gegeben ist. Intuitionen sind das Rohmaterial der Symbolik. (2.4.7.)

INVOLUTION

Der Verlauf von Einheit zu Vielfalt. Das passive Element im universalen Prozess. Synonym mit Ausdehnung. (3.6.8.)

KATEGORIE

Ein Element der Erfahrung, das (a) unmittelbar gegeben ist und (b) universalen Charakter besitzt.

KOLLOIDE

Der Zustand der Existenz der zwischen den hyponomischen und autonomischen Formen liegt. Vergl. Hypothese der aktiven Oberfläche. (4.10.6.)

KOMPLIMENTARITÄT Postulat der

Die Annahme, dass wahre Bedeutungen nur durch die Gegenüberstellung der Gegensätze entdeckt werden können. Die damit einhergehende Überzeugung Ausdehnung und Konzentration gegenseitig komplementäre Tendenzen des Universums sind. (3.6.8.)

KONKRETE FORM

Eine Idee, die vollständig in der direkten Erfahrung gegeben ist, im Gegensatz zu einer abstrakten Form, die durch Auswahl der Erfahrung gegeben ist. (1.1.6.)

KONTEXT stabiler

Der negative Aspekt der Dyade der Bedeutung. (Vgl. Inhalt). (4.2.4.)

KONZENTRATION

Die Aktivität eines verneinenden Einflusses auf eine bejahende Umgebung. Synonym mit Evolution. (3.6.8.)

KOPPELNDE GRÖSSEN

Mit der Dimension der Hyparxis verbundene Quantitäten, die der Balance der ewigen und zeitlichen Elemente in zusammengesetzten Ganzheiten dienen.

KORPUSKEL

Der bipotente Zustand des Hylē. Umfasst Elektronen, Positronen, Photonen, Neutrinos und µ-Mesonen. (7.17.2.)

KOSMISCHE GANZHEIT Hypothese der

Die Annahme, dass das Universum als hypernomische Entität mit autokratischer, bejahender Macht betrachtet werden kann. (4.12.5.)

KOSMODÄTE

Eine verallgemeinerte Geodäte in N-Dimensionen. Auch: ein Nullintervall. (5.13.8.)

KREATIVITÄT Kategorie der

Die zehnte Kategorie. Der Aspekt der Erfahrung in dem wir die Macht erkennen, neue Formen in die Existenz zu bringen. (1.2.12.)

KREATIVITÄT Hypothese der

Die Annahme, es gäbe eine Klasse hypernomischer Entitäten, die mit freier, kreativer Macht ausgestattet sind. (4.12.3.)

LEITVEKTOR

Der Null-Null-Vektor in einem Bündel schräger Parallelen. In W=V+ØU, wird V der Leitvektor genannt. (6.15.5.)

LINGUISTISCHE ELEMENTE

Die ursprünglichen Träger von Bedeutung – insbesondere Zeichen, Symbole und Gesten. (2.4.1.)

MAGIE

Die Kunst, durch die der Mensch Ereignisse zu beeinflussen versucht. (1.1.6.)

MANNIGFACHE REPRRÄSENTATION

Die Mittel; um Ereignisse in mathematischen Begriffen zu beschreiben. (5.13.4.) Ein numerisches System, das Phänomene mit Fakten verbindet.

MATERIALITÄT

Der objektive Aspekt von Sein. (1.3.6.b.) Materialität ist relativ und Gegenstand der einwertigen Ordnung von `mehr und weniger´.

MATERIELLES OBJEKT

Im Raum ausgedehnte zusammengesetzte Ganzheit. Quadripotente Entität, die Teile besitzt. (7.18.10.)

MATHEMATIK

Die Sprache der abstrakten Gestik. Die Repräsentation des Wissens, isoliert von Sein und Funktion. (5.13.3.)

NOVEMPOTENZ

Die erste Stufe hypernomische Existenz. Planeten. Existenz entsprechend der Hypothese von der SubKreativität. Die Welt der Muster. (4.12.2.)

NULL-INTERVALL

Die Entfernung zwischen zwei Punkten, die im universalen Bezugssystem zusammenhängen, aber bezüglich der innerlich und äußerlich bestimmenden Zustände einer gegebenen Ganzheit getrennt sind. (5.13.7.)

NULL-VEKTOR

Ein Vektor, dessen Komponenten nicht verschwinden, wenn er auf die inneren und äußeren bestimmenden Zustände bezogen wird, dessen Größe aber Null ist. (5.13.7.)

OKTOPOTENZ

Die höchste Stufe autonomischer Existenz. Bewusste Individualität. Existenz entsprechend der Hypothese der Selbst-ausrichtung. (4.11.5.)

ORGANISMUS

Die septempotente Entität, die gemäß dem Muster einer Spezies existiert. (8.20.4.)

ORTHOGENETISCHER FAKTOR Der hyparchische Regulator, durch den das biosphärische Muster den Ursprung und die Existenz von Spezies und ihre wechselseitigen Beziehungen bestimmt. (8.21.6.) PARTIKEL

Der tripotente Zustand des Hylē. Umfasst Protonen, Neutronen, Nukleonen und schwere Mesonen. (7.17.3.)

PHÄNOMENE

Erfahrung in einer Perspektive, die vorwiegend funktional ist. Phänomene können erkannt werden, und werden wenn erkannt zu Fakten. Phänomene gehen als neues Material auch in Werteurteile ein. (3.6.3.)

POLARITÄT Kategorie der

Die zweite Kategorie. Das Element der Erfahrung das uns ermöglicht Verbindungen und Trennungen zu erkennen. Daher auch Kräfte. (1.2.4.)

POTENTIALITÄT Kategorie der

Die fünfte Kategorie. Das Element der Erfahrung durch das wir erkennen, dass alle Existenz sowohl unaktualisierte als auch aktualisierte Ereignisse umfasst. (1.2.7.)

POTENTIALITÄT Prinzip der

Potentialität multiplen Daseins entsteht durch die Verflechtung von Triaden. Sie benötigt fünf unabhängige Terme. (1.2.7.)

POTENZ

Die Existenzstufen die der Entität einer gegebenen Klasse möglich sind. Die Anzahl der Potenzgrade wird durch lateinische Vorzeichen, d.h. unipotent, bipotent, etc. bis zu duodezimpotent angegeben. (4.9.4.)

PRINZIP

Feststellung zur Erhellung einer Kategorie und Angabe ihrer Anwendung auf die Untersuchung. (1.2.1.)

PROZESS

Die geordnete und erkennbar funktionale Aktivität, durch die wir all unser Wissen beziehen. (1.3.3.)

Q, DER UNIVERSALE BEOBACHTER

Die hypothetische Entität, die frei von Ewigkeitskeitsblindheit und deshalb in der Lage ist, durch direkte Messung ein sechsdimensionales Repräsentationssystem zu bilden. (5.13.10.)

QUADRIPOTENZ

Passive Existenz oder Dingheit. Existenz entsprechend der Hypothese zusammengesetzter Ganzheit. (4.10.5.)

QUASI-STARRHEIT

Die Eigenschaft räumlich ausgedehnter Entitäten (in allgemein zusammengesetzten Ganzheiten) die sie einem ewigkeitsblinden Beobachter als starr erscheinen lässt, er als plastisch für Q. (5.14.2.)

QUINT-POTENZ

Primitives Leben. Viren. Existenz entsprechend der Hypothese der Selbsterneuerung. (4.11.2.)

RAUM

Der bestimmende Zustand für Gegenwärtigkeit. (3.6.9.) Repräsentiert durch drei Gamma-Bündel. (6.15.6.)

REALITÄT

Unbestimmter Begriff zur Bestimmung von allem, was existiert oder existieren kann und auch hypothetisches Sein unterhalb oder jenseits der Existenz. Realität umfasst sowohl phänomenales als auch nicht-phänomenales Sein falls es gegeben ist. (1.3.1.)

REPRÄSENTATION

Ein Akt des Willens, der Verhalten mit Struktur verbindet. (5.13.4.)

REPRODUKTION Hypothese der

Die Annahme, es gäbe eine Klasse von Entitäten, die, obwohl unfähig zur Selbstregulation, in der Lage sind, ihre Art zu reproduzieren. (4.11.3.)

RHYTHMUS

Organisierte Wiederholung als Bedingung autonomischer Existenz. (8.19.3.)

SCHICHTUNG DER EXISTENZ Postulat der

Die Annahme, es gäbe eine Skala des Seins, in der jede Stufe ein kohärentes System bildet. Das isoliert vom Rest studiert werden kann. (3.6.7.)

SCHRÄG-PARALLISMUS

Die Eigenschaft durch die zwei Vektoren, die nicht auseinanderlaufen trotzdem nichtidentische Komponenten besitzen mögen. Siehe Bündel. (6.15.4.)

SEIN

Der Zusammenhang der Erfahrung. (1.3.4.) Sein kann nicht gewusst werden, ist aber in unmittelbarer Erfahrung gegeben. Sein ist die versöhnende Kraft in der Triade der Erfahrung.

SELBETSERNEUERUNG Hypothese der

Die Annahme, es gäbe eine Klasse von Entitäten die obwohl unfähig zu unabhängiger Existenz trotzdem insofern lebendig sind als sie der Degeneration auf Kosten der Umgebung widerstehen können. (4.11.2.)

SELBSTAUSRICHTUNG Hypothese der

Die Annahme, es gäbe eine Klasse von Entitäten, die hinsichtlich ihrer Macht zur Selbstausrichtung Individuen sind. (4.11.5.)

SELBSTERNEUERNDES VERHÄLTNIS

Das Verhältnis von Potentialität und Aktualisation, erforderlich zum konstanten Erhalt des Werts einer Entität. (7.17.6.)

SELBSTREGULATION Hypothese der

Die Annahme, es gäbe eine Klasse von Entitäten, die ihre eigene Existenz durch Selbstregulation aufrechterhalten können, entsprechend einem spezifischen Muster. (4.11.4.) Siehe auch: Organismus.

SENSITIVER ZUSTAND DES HYLĒ

Die Gegensätzlichkeit potentieller und aktualer Zustände wird durch den sensitiven Zustand (Hyparxis) versöhnt. Siehe auch Kopplung und Muster. (8.19.2.)

SEPTEMPOTENZ

Die dritte Stufe des Lebens. Organismen. Existenz entsprechend der Hypothese der Selbstregulation. (4.11.4.)

SEXTPOTENZ

Die zweite Stufe autonomischer Existenz. Zellen. Existenz entsprechend der Hypothese reproduzierender Ganzheit. (4.11.3.)

SOMA

Der Körper eines Organismus, betrachtet als physiochemischer Mechanismus. (8.20.5.)

SPRACHE Typen der

Siehe Zeichen, Symbol, Gestik und Bedeutung. (2.54.1.)

STATISTISCHE UNZUGÄNGLICHKEIT

Die Eigenschaft durch die verschiedene Ebenen der Existenz – abgesehen von seltenen und unwahrscheinlichen Ausnahmen – einander verschlossen sind. (3.6.7.) Siehe auch Schichtung der Existenz.

STRUKTUR Kategorie der

Die siebte Kategorie. Das Element der Erfahrung durch das wir den organischen Charakter von Ganzheit erkennen als unterschieden von bloßer Einheit oder einfachem Dasein. (1.2.9.)

STRUKTUR Prinzip der

Jede zu unabhängiger Existenz fähige organisierte Struktur hat sieben unabhängige Terme. (1.2.9.)

STRUKTURGESETZE Postulat der universellen Gültigkeit der

Die Annahme, dass eine Anzahl von Kriterien gefunden werden kann, um mögliche von unmöglichen Situationen zu unterscheiden und dass diese Kriterien auf allen Existenzebenen gültig sind. (3.6.9.)

SUB-KREATIVITÄT Hypothese der

Die Annahme, es gäbe eine Klasse hypernomischer Entitäten die schöpferisch sind durch das Existenzmuster, das sie halten. (4.12.2.)

SUPERKREATIVITÄT Hypothese der

Die Annahme, es gäbe eine Klasse hypernomischer Entitäten die die schöpferische Aktivität des Universums dominieren, ohne an ihm teilzuhaben. (4.12.4.)

SYMBOL

Klänge oder Zeichen, die gemeinsame Seins-Erfahrung erwecken. Symbole sind vielwertig. (2.4.1.)

TRANSFINITE TRIADE

Sein – Nichtsein und das existierende Universum. (9.22.3.)

TRIADE der ERFAHRUNG

Funktion, Sein und Willen als die ultimativen Formen aller möglichen Erfahrung. In dieser Triade ist der Wille bejahend, die Funktion verneinend und das Sein versöhnend. (1.3.2.)

TRIPOTENZ

Der partikulare Zustand. Jenes Element in jeder Ganzheit das fähig zum Bezogen sein ist. Existenz entsprechend der Hypothese der identischen Wiederkehr. (4.10.4.)

UNDEZIMPOTENZ

Galaktische Existenz. Herrschaft der Kreativität. (4.12.4.)

UNIPOTENZ

Der undifferenzierte Grundzustand des Hylē in dem die einzelne Möglichkeit in die determinierte Existenz eintritt. Existenz entsprechend dem Postulat der existentialen Indifferenz. (4.10.2.)

UNIVERSELLE ÄHNLICHKEIT Postulat der

Die Annahme, dass der Unterschiedlichkeit der Phänomene ein einzelnes Muster zugrunde liegt. (3.6.6.) Universelle Ähnlichkeit wird aus der Kategorie der Autokratie abgeleitet. (1.2.14.)

UNIVERSELLE GEOMETRIE

Sechsfältige Repräsentationsfolie mit drei inneren Dimensionen (Zeit, Ewigkeit und Hyparxis) und drei äußeren Dimensionen (Raum). (6.15.7.)

UNIVERSUM Das

Der Inhalt aller möglichen Erfahrung. Alles, was existiert, ist das Universum. (5.15.3.) (9.24.1.)

UNVERÄNDERLICHES SEIN Hypothese des

Die Annahme. Es gäbe eine Klasse von Ereignissen in der sich Entitäten verhalten, als wären sie ganz und gar selbstidentisch. (4.10.3.) Bipotente Ereignisse. (5.14.3.)

VERHALTEN

Der objektive Aspekt der Funktion. (1.3.6.a)

VERSTEHEN

Die Fähigkeit, `wie´ und `warum´ als eine Frage zu sehen. (1.3.5.) Der subjektive Aspekt des Willens. (1.3.6.c.)

VIRTUALITÄT

Der Zustand des Hylē in dem seine Existenz gänzlich potentiell ist Virtualität ist relativ so dass jedes Verhältnis des Potentiellen zum Tatsächlichen möglich ist. Siehe Wirksamkeit. (6.16.6.)

WERTIGKEIT

Wertigkeit ist das Element der Erfahrung, durch das wir Unterschiede des Interesses erkennen. Sie ist nicht faktual und deshalb unerkennbar. Wertigkeit beinhaltet Risiko und Freiheit. (3.6.2.)

WIEDERHOLUNG Kategorie der

Die sechste Kategorie. Das Element der Erfahrung das im Erkennen besteht, dass Dasselbe und das Andere durch Wiederkehr verbunden sind. (1.2.8.)

WIEDERHOLUNG Prinzip der

Identität, Differenz und Bezogenheit können nur auf dem Wege der Wiederholung Kombiniert werden und dies erfordert ein System von sechs unabhängigen Termen. (1.2.8.)

WIEDERKEHR periodische

Die Eigenschaft durch die die Fähigkeit-zu-Sein jeder gegebenen Ganzheit, ihre Potentialitäten mit ihren Aktualisierungen zu versöhnen. (3.8.5.) Ergibt sich aus der zyklischen Natur von Hyparxis.

WILLE

Der bejahende Gehalt aller Erfahrung. Der Wille ist die Quelle des `wie´ und `warum´ des Universums. (1.3.5.)

WIRKSAMKEIT

Der Maßstab der Potentialität einer Entität oder eines Systems für die Vielfalt der Aktualisation. Sie ist mit Entropie verbunden durch J=S-So/So. So definierte Wirksamkeit variiert zwischen Null und Eins. Eins bezeichnet das Maximum an Potentialität. (3.8.3.)

WISSEN wirksames

Der subjektive Aspekt von Funktion. (1.3.6.a.) Der ordnende Aspekt von Funktion (2.5.1.) Sieben Arten des Wissens (2.5.3.-2.5.11.)

WISSEN nicht unterscheidendes

Auch als `vegetatives Wissen´ bezeichnet. Kann immanent oder erworben sein, besteht aus automatischem Verhaltensmuster das dem gegebenen Kontext entspricht. (2.5.3.)

WISSEN polares

Unterscheidendes oder polares Wissen besteht im Ordnen von Funktion um Zwecke an Mittel anzupassen. Auch bezeichnet als `animalisches Wissen´.

WISSEN relationales

Kenntnis des Systems. Erfordert die Schwebe des Urteils. (2.5.5.)

WISSEN offenbartes

Wissen höherer Kategorien, die der diskursiven Vernunft nicht zugänglich sind. (2.5.11.)

WISSEN auskömmliches

Auch bezeichnet als `Wertewissen´. Wissen um das Konkrete. (2.5.1.)

WISSEN transzendentales

Auch bezeichnet als `zyklisch´. Wissen um das wiederkehrende Element des Willens. Wissen um die wahren Ursachen. (2.5.9.)

WISSEN wahres

Auch bezeichnet als `strukturell´. Wissen das der Selbstverifikation fähig ist. (2.5.10.)

ZAHL, KONKRETE

Siehe Konkrete Formen

ZEICHEN

Klänge oder Zeichen, die in zwei oder mehr Menschen eine erkennbare, einfache Erfahrung auslösen. Daher `ein Referent – ein Zeichen´. (2.4.1.)

ZEIT

Der bestimmende Zustand der Aktualisation. (3.6.9.) Repräsentiert durch ein Beta-Bündel. (6.15.6.)

ZUSAMMENGESETZTE GANZHEIT Hypothese der

Die Annahme einer Klasse von Ereignissen in der sich Ganzheiten passiv aber wie durch miteinander verbundene Teile gebildet verhalten. (4.10.5.)

ZUSAMMENHANG

Die Eigenschaft durch die jede Ganzheit ihre eigenen Potentialitäten und ihre eigene Geschichte umfasst. Zusammenhang ist der Maßstab des Seins. (1.3.4.)