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German Pages 196 Year 2004
Llorenç Villalonga und sein Werk Pere Rosselló Bover (Hrsg.)
Uli
institut ramón Hull
Pere Roselló Bover (Hrsg.)
Lloreng Villalonga und sein Werk
Übersetzung ins Deutsche: Heike van Lawick
Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 2004
Gedruckt mit Unterstützung des Institut Ramon Llull
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 2004 ISBN 3-86527-142-1 Depósito Legal: SE-3834-2004 Impresión: Publidisa
Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Michael Ackermann Foto: Lloren? Villalonga, 1967 © Toni Catany Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier gemäß ISO-Norm 9706 Printed in Spain
Inhalt Joaquim Molas Zur Lektüre von Llorenç Villalonga
7
José Carlos Llop Von den Pousse-Café zum Diario de guerra
27
Maria del C. Bosch Llorenç Villalonga: Übersetzungen und Pastiches
35
Carme Arnau Die Universalität des Romans Bearn o la sala de nines
49
Sebastià Alzamora Drama und Tragödie im Phädra-Zyklus von Llorenç Villalonga und Salvador Espriu
65
Vicent Simbor Roig Llorenç Villalonga und die Ichliteratur
77
Joan Oleza Gebiete in Llorenç Villalongas Erzählungen: zu „Julieta Récamier"
107
Jaume Pomar Dhey und seine Konfrontationen
123
Pere Rosselló Bover Die Desbarats innerhalb des Gesamtwerkes von Llorenç Villalonga
139
Josep A. Grimait Religion und Aristokratie in Llorenç Villalongas Werk
165
Biographische Daten (zusammengestellt von Rafel Crespi)
185
Bibliographie WERKE VON LLORENÇ VILLALONGA
191
SEKUNDÄRLITERATUR ÜBER LLORENÇ VILLALONGA (Auswahl)
192
Joaquim Molas Zur Lektüre von Lloren^ Villalonga i. Seit Anfang der Sechzigerjahre gelten Mercè Rodoreda und Lloreng Villalonga immer mehr als die beiden herausragenden Figuren des katalanischen Romans des 20. Jahrhunderts - oder zumindest der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und tatsächlich haben die beiden Autoren einiges gemeinsam. So haben zum Beispiel beide vor 1939 ihren ersten bedeutenden Roman veröffentlicht, Aloma (Aloma)' und Mort de Dama (Tod einer Dame), die trotz ihrer literarischen Qualität nicht die Anerkennung fanden, die sie verdienten. Aus verschiedenen Gründen verstummten dann beide, bis sie sich Anfang der Sechziger] ahre entschieden mit neuen Texten auf dem Markt durchsetzten; zugleich veröffentlichten sie daraufhin auch ältere Texte, die sie teilweise bereits in den Fünfziger- oder in den Vierzigeijahren verfasst hatten. Außerdem erschienen ihre Bücher in demselben Verlagshaus; unter der Leitung von Joan Sales, der selber - wenn auch ideologisch und ästhetisch anders orientierte Romane schrieb, sahen sie so ihre ersten positiven Ergebnisse, zumindest was das Erscheinen ihrer Texte betraf. Und schließlich haben beide eine neue Art des Romans in der katalanischen Literatur eingeführt, der nicht einfach Geschichten erzählt, die sich mehr oder weniger locker um eine Handlung oder um eine Figur drehen, wie traditionell üblich, sondern der einen geschlossenen Text darstellt, der für sich selber spricht. Ich meine hiermit eine Konzeption des Romans, die diesen etwa wie ein Gedicht versteht, ebenso subjektiv wie ein Gedicht und durch eine sehr ähnliche sprachliche Spannung gekennzeichnet. Dieser neuartige Roman konstruiert seine Fabel von individuellen Erlebnissen ausgehend, webt ein dichtes Netz textinterner, persönlicher oder literarischer Bezüge und schafft so im Endeffekt eine Metapher des Lebens. Aber trotz all dieser Gemeinsamkeiten sind wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Autoren zu beobachten. Was den jeweiligen Lebenslauf betrifft, sind diese zu offenkundig und zu offensiv um hier weiter darauf einzugehen. Andererseits ist natürlich auf literarische Unterschiede hinzuweisen. Trotz der Spannung, die ihren Texten eigen sind, erzählt die Rodoreda Geschichten; Villalonga ist da echter, literarischer. Er schreibt über das Leben, aber vor allem schreibt er über Literatur und, noch konkreter, über die eigene Literatur.
Unabhängig davon, ob es eine deutsche Übersetzung der angeführten Werke gibt oder nicht, gebe ich immer die Originalreferenzen an, nach denen zitiert wird. Dabei übersetze ich die jeweiligen Titel in Klammern, allerdings meistens nur bei der ersten Nennung im Text. Dies gilt für jeden einzelnen Artikel neu. (Anm. d. Übers.)
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8 2.
Es ist nicht einfach, die Metapher Villalongas zu rekonstruieren; zumindest nicht, sie ganz und gar zu rekonstruieren. Denn Villalonga unterzieht seine Texte einem ständigen Prozess der Revision, mehr noch, der Neubearbeitung. Und ganz ähnlich wie auch Josep Pia oder J.V. Foix bringt er in jede Revision oder neue Fassung eigene Erlebnisse des Momentes, in dem sie jeweils entstehen, mit ein, d. h. Erlebnisse, die aus einer späteren Zeit stammen als die, die dem Text den ersten Anstoß gaben. Andererseits stimmen über zwanzig, dreißig Jahre hin das Datum dieser Erlebnisse und das des Schreibens nicht immer überein, und noch weniger letzteres mit dem der Veröffentlichung. Nun führt der Autor diese neue Ausarbeitung in doppelter Hinsicht durch, sowohl in sprachlicher als auch in literarischer. Was die sprachliche angeht, müsste man die katalanische Neubearbeitung von ursprünglich in Spanisch verfassten Texten untersuchen; oder auch umgekehrt, um danach die nachfolgenden Revisionen jeder neuen Bearbeitung zu analysieren. Um letztlich jedem Ding seinen Platz zuweisen zu können, müsste man sich genau genommen drei verschiedene Fragen stellen, die alle drei schon mit allzu großer Leidenschaft diskutiert wurden: Wie verhält sich der Schriftsteller der katalanischen Sprache gegenüber? Wie gebraucht er diese und wie die spanische Sprache? Welche Tugenden haben Eigenschaften und Gebrauch dieser beiden Sprachen bei ihm? Villalonga hat jahrelang, praktisch bis in die Siebziger hinein, in Beurteilung und Gebrauch der eigenen Sprache geschwankt; unter den Gründen hierfür sind folgende anzuführen: seine Schulausbildung oder, genauer gesagt, die Gewohnheiten seiner Gesellschaftsklasse, oder zumindest doch die berufliche Atmosphäre seines Vaters; die Vorurteile eines vermeintlichen, wenn nicht gar falsch verstandenen, Kosmopolitismus, die ihn gegen den „Regionalismus" Stellung nehmen ließen, eine Haltung, die er mit seinem Bruder Miguel gemeinsam hatte; seine generelle ideologische Einstellung, von der nicht mit Sicherheit zu sagen ist, wie weit sie durch seinen Bruder beeinflusst gewesen sein mag, d. h. ein unnachgiebiger spanischer Nationalismus, der ihn dementsprechend zum Gegner des Republikanismus und des katalanischen Nationalismus machte; einige Einzelbegebenheiten, wie z. B. die Rezeption seines Romans Mort de Dama' oder die sprachlichen Korrekturen, die der Verlag Selecta2 an diesem vornahm oder, im Gegensatz hierzu, die guten Dienste, die ab etwa 1952 Manuel Sanchis Guarner und mit ihm der Kreis um Moll leistete, sowie die des Joan Sales und des Verlagteams in Edicions 62; und vor
Zur Rezeptionsgeschichte von Mort de Dama, s. Pere ROSSELLÓ BOVER: „La polémica de l'aparició de Mort de dama", Randa, 33 (1993), S. 33-64. S. Jaume POMAR: La rao i el meu drei. Biografía de Lloreng Villalonga, Mallorca (1995), S. 249-250.
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allem das unerbittliche Scheitern seiner in Spanisch verfassten Produktion, im Gegensatz zu dem glänzenden Erfolg, den seine Werke auf Katalanisch hatten; dies ging so weit, dass man gelegentlich bevorzugte, die katalanische Übersetzung der in Spanisch verfassten Texte anzufertigen. Aber all diese Gründe sind, je nach Zeitspanne, mehr oder weniger brauchbar; ganz abgesehen davon, dass sie viele Widersprüche beinhalten, oder Interferenzen. So muss man sich fragen, warum er z. B. 1928, mitten in seinem Antiregionalismusfeldzug und im Gegensatz zu seinem Bruder Miguel, einige Artikel auf Katalanisch publizierte, einen davon in der Zeitschrift La Nostra Terra? und warum er, obwohl diese Zeitschrift einen zweiten Artikel ablehnte, 4 dennoch drei Jahre später Mort de dama auf Katalanisch veröffentlichte. Während der Republik, im darauf folgenden Bürgerkrieg und in der Nachkriegszeit war seine Haltung sehr dogmatisch, wie auch die seines Bruders. 5 Und trotzdem verfasste er seine Desbarats (Unsinnigkeiten) in katalanischer Sprache. Warum? Gab er dem Druck einer Umwelt nach, über und für die er doch fabulierte? Oder war er ganz und gar von einer Diglossie überzeugt, nach der die große Literatur das Spanische vorzieht, während die kleineren literarischen Texte für den täglichen Hausgebrauch auf Katalanisch verfasst werden? Welche Schwankungen lassen sich beobachten, seit das Duo Sanchis-Moll angefangen hat, auf ihn zu wirken, und mit ihnen die jüngeren mallorquinischen Schriftsteller, einschließlich Vidal Aleover und Porcel, bis hin zum Einfluss des Joan Sales? Und wie kann man sie erklären? Wie immer dem auch sei, mit dem Erscheinen von Sales und der Veröffentlichung des ersten und einzigen Bandes seines Gesamtwerkes in Edicions 62 wurde Villaiongas Haltung immer klarer, immer eindeutiger. Und seine „katalanistischen" Äußerungen wurden dementsprechend schlagkräftiger (man sehe z. B. nur seine Falses memdries de Salvador Orlan, [Falsche Memoiren des Salvador Orlan], S. 8-9). Eben wegen dieses ständigen Hin und Her sollte man mit Distanz betrachten, wie groß seine Sprachkompetenz, bzw. wie fließend und wie reich sein Wortschatz und seine Syntax in diesen beiden Sprachen sind, der katalanischen, die er auf der Straße gelernt hat, und der spanischen, die auf der Schule gelehrt wurde. Es wur-
„Petita metafísica de la boxa", La Nostra Terra, I: 4, 1928, S. 123-125. Außerdem veröffentlichte er zwischen 1925 und 1930 vier Artikel auf Katalanisch in El Día. S. M. Carme BOSCH JUAN: „El periodisme de Lloren? i Miquel Villalonga", in Als Villalonga de Bearn (Homenatge de Bunyola a Llorenf i Miquel Villalonga), Palma de Mallorca (1988), S. 112, Anmerkung 2; M. Carme BOSCH JUAN & Jordi LARIOS AZNAR: „Bibliografía de Lloren? Villalonga (19141980)", Randa, 33 (1993), S.131-175 (Nr. 121, 227, 228, 283). Dieser wurde dann unter dem Titel „¡-'ambivalencia deis sentiments" fragmentiert in verschiedenen Ausgaben des Dia veröffentlicht (am 19. und 26. Oktober und am 9. November 1930). Dennoch publizierte er zu Republikzeiten zwei weitere katalanische Artikel in El Dia, einen davon zweisprachig, und außerdem ein Gedicht in Brisas.
Op. eil., Nr. 337, 359 und 481).
(S. BOSCH JUAN - LARIOS AZNAR:
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de auch ausführlich - und oft eher im negativen Sinn - über die Qualitäten der katalanischen Sprache debattiert, aber, soviel mir bekannt ist, hat bis jetzt noch niemand die der spanischen in Frage gestellt. Und obwohl man größtenteils über die „Originalfassungen" in den beiden Sprachen verfugt, kam bis jetzt noch niemand auf die Idee, diese jeweils mit der anderssprachigen Version zu vergleichen. Aber um dies zu tun, dürfte man sich nicht damit begnügen, die veröffentlichten Werke zu untersuchen, sondern man müsste auf die Papiere zurückgreifen, welche die Sprache in ihrem reinen Zustand enthalten, d. h. vor der - oft nicht gerade respektvollen - Intervention der Verlagskorrektoren, die ihre eigenen fixen Ideen haben; auf die Arbeitshefte, zum Beispiel, oder auf die Briefe oder ganz besonders auf die erhaltenen Roman- oder Theatermanuskripte. Auch die ersten Fassungen von Artikeln oder Gedichten bieten sich hier an. Was seine literarischen Neubearbeitungen betrifft, sollte man vor allem zwei Punkte berücksichtigen: sein peinlich genaues Schriftstellerbewusstsein und der Druck, dem er ausgesetzt war. So überarbeitete er seinen ersten Roman, Mort de Dama, immer wieder neu, darum bemüht, einerseits sein Arbeitsmaterial ganz und gar auszunutzen und andererseits das Gleichgewicht zwischen den beiden großen Handlungssträngen nicht zu verlieren, von denen der eine Dona Obdülia Montcada in den Mittelpunkt stellt, während sich der andere um ihre Gegenspielerin, die Dichterin Aina Cohen, dreht. Aus diesem Grund ist es oft sehr kompliziert, der Entstehungsgeschichte seiner Texte zu folgen. So veröffentlichte er z. B. 1932 in Spanisch eine mehr oder weniger neuklassizistische Tragödie, Fedra (Phädra), die vor allem Racine zum Vorbild hat. Vier Jahre danach, mitten im Gemetzel des Bürgerkrieges, hat Salvador Espriu das Stück in katalanischer Sprache und in einer Version, die auch die Verse berücksichtigte, aufgearbeitet, aber aus historischen Gründen kam sie erst 1955 an das Licht der Öffentlichkeit. Anscheinend versuchte sich Villalonga in den Jahren, die zwischen den beiden Daten liegen - gegen 1940 - , an einer eigenen katalanischen Fassung des Stückes, von der nur noch ein korrigiertes Exemplar erhalten ist, heute in Besitz von Jaume Pomar.6 1954 veröffentlichte er eine zweite Version, welche die inzwischen von Espriu erschienene Fedra mit berücksichtigt. Im ersten Band seines Gesamtwerkes publizierte er schließlich 1966 die endgültige Fassung des Stückes, dieses Mal auf Katalanisch. Andererseits war die Gesamtheit von Villaiongas Werk zumindest bis Mitte der Sechzigeijahre allen möglichen Streichungen ausgesetzt, und auch der Zensur. Im Folgenden zwei Beispiele: Von Bearn o la sala de nines (Bearn oder das Puppenkabinett),11 zweifellos dem sinnbildlichsten seiner Werke, sind
6 11
Jaume POMAR: Op. cit., S. 250. Eine Übersetzung ins Deutsche erschien 1991 unter dem Titel Das Puppenkabinett
des
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zwei Texttraditionen auf dem katalanischsprachigen Markt zu finden. Einerseits gibt es die von Sales in der Reihe „Club dels Novel listes" veröffentlichte Ausgabe, bei der ein Teil des Titels gestrichen wurde, bei der außerdem, aus mir nicht weiter bekannten Gründen, Esprius Verse, die dem Stück als Motto vorangestellt sind, fehlen, und in der aus ideologischen Gründen auf das Nachwort verzichtet wurde (genauer gesagt wird dieses Nachwort reduziert und abgeändert in Kapitelform wiedergegeben, ohne die letzten drei Absätze, welche die harmlosesten sind). Weiterhin gibt es die von Edicions 62 herausgebrachte Version, die, abgesehen von den einzelnen sprachlichen Unterschieden, die Espriuverse und das Nachwort in seiner ganzen Länge mit aufnimmt, wie schon die spanische Ausgabe aus dem Jahr 1956, und somit dem Willen des Autors entspricht. Im zweiten Fall handelt es sich um Mme. Dillon o L'hereva de dona Obdülia (Mme. Dillon oder Dona Obdülias Erbin), wohl einer der bedeutendsten Fälle der angesprochenen Textmanipulation. Die ersten, in Spanisch verfassten Romankapitel publizierte Villalonga im Juni-Juli 1936 in der Zeitschrift Brisas. Nachdem das Erscheinen der Zeitschrift durch den Bürgerkrieg unterbrochen wurde, ließ der Autor sie ein Jahr später in einer persönlichen Ausgabe ganz und in spanischer Sprache drucken. Dieser Abdruck kam aber nie in die Buchhandlungen, wobei mir nicht bekannt ist, ob der Grund hierfür in einer direkten Regierungszensur zu suchen ist, in moralischen Skrupeln seiner Frau, oder in der Voraussicht des Schriftstellers selbst.7 Wie dem auch sei, Maria Josepa Gallofré hat festgestellt, dass Villalonga versuchte, den Roman abgeändert und, trotz aller Vorsicht, erfolglos zwischen 1942 und 1954 zu veröffentlichen. Den ersten Versuch machte er bei dem Madrider Verlag Editorial Nacional, mit grundlegenden Änderungen und mit einem neuen Titel: Alicia. Abgesehen von den Korrekturen fügte er dem Text zwei weitere Kapitel hinzu. 1943 versuchte er es ein zweites Mal, jetzt bei einem anderen, ihm wohlgesinnten Verlag, dem von Félix Ross geführten Tartessos. Dabei bat er Don Juan Aparicio um Unterstützung, einem eifrigen Würdeträger des herrschenden Regimes und engen Freund seines Bruders Miguel, der aber zu spät kam. Dabei ist die das Exemplar begleitende Anmerkung doch zumindest überraschend: „Der Pater Vicens könnte [zuerst geschrieben ,kann'] sich in einen normalen Weltlichen verwandeln, sollte die Zensur dies für zweckmäßig halten". Das dritte Mal versuchte er es 1954 bei Joan Canals i Antic, wobei er
1
Senyor Bearn in München. Die Seitenangaben beziehen sich hier aber immer auf die vom Verfasser dieses Artikels benutzte Ausgabe (Anm. d. Übers.). S. Lloren? VILLALONGA: Diario de guerra, herausgegeben und mit einem Vorwort von José Carlos LLOP, Valencia (1997), S. 36 und 61. Bereits 1938 hatte der Autor die Idee, eine Fortsetzung zu Morl de Dama zu schreiben und diese mit Mme. Dillon zusammen in einem Band herauszugeben (Diario, S. 95-96). Ich bin mir nicht sicher, ob diese beiden Romane, zusammen mit einem dritten über B.R., den er, soviel mir bekannt ist, nie schrieb, die Trilogie Libido bilden sollten (Diario, S. 83, 96-97 und 107).
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auf den Originaltitel zurückgriff.8 1961, sieben Jahre nach diesem Kampf mit der Zensur, bezog sich Villalonga in einer Umfrage der Zeitschrift Serra d'Or auf einen Roman mit dem Titel Boires (Nebel), an dem er angeblich gerade schrieb und der, nach dem zu urteilen, was er dazu äußerte, nichts anderes als die katalanische Fassung von Mme. Dillon war.9 Im Jahr 1964, nach mehr als einem Vierteljahrhundert, erschien schließlich die katalanische Version des Romans im „Club dels Novel listes", allerdings nicht unter dem Titel Mme. Dillon oder Boires sondern, auf Anweisung des Verlegers, der den Erfolg von Mort de Dama ausnutzen wollte, unter einem neuen Titel: L'hereva de donya [sie] Obdülia (Dona Obdülias Erbin). Um diesen zu rechtfertigen, sah sich der Autor gezwungen, einen neuen Handlungsstrang einzufügen, dessen Zentralfigur die im Titel angesprochene Erbin ist.10 Die endgültige Version enthält also zwei sehr unterschiedliche Handlungen, die der Mme. Dillon und die der ehemaligen Violeta de Palma, die der Titel nicht direkt wiedergibt. Daher ist es erklärbar, dass der Autor bei der Vorbereitung des ersten Bandes der Gesamtausgabe seines Werkes nach einem neuen Titel suchte, der diese beiden Handlungen zumindest theoretisch vereinbarte. Und er wählte Les temptacions (Die Versuchungen). 1970 beschloss das Ministerium, den Roman L'hereva... mit einem Preis zu krönen, und zwar mit dem Premi Nacional de Literatura Catalana „Narcis Oller". Um nun die Titelduplizität zu lösen, die den des ministerialen Preises dem eigenen, endlich ohne Druck gewählten gegenüberstellte, sah sich Villalonga gezwungen, sie nach vielem Hin und Her in einem weiteren zu verschmelzen: L'hereva de dona Obdülia o Les temptacions (Dona Obdülias Erbin oder Die Versuchungen).
3. Abgesehen von den Problemen, die dieser ständige Revisions- und Neubearbeitungsprozess für die korrekte Rekonstruktion bedeutet, die bis hin zur
M. Josepa GALLOFRÉ VIRGILI: „,Mme. Dillon' / .Alicia'. Documents sobre algunes provatures dels anys quaranta i cinquanta", Randa, 34 (1994), S. 19-33. In einem im Baleares veröffentlichten Interview (21.12.54), erklärt der Autor, dass Mme. Dillon demnächst veröffentlicht werde (s. POMAR, op.cit., S. 250, Fußnote 90). „Enquestaalsescriptorscatalans. Narradors II",Serrad'Or, 2a. època, any III,nüm. 8 (1961), S. 14. Damià FERRÀ-PONC: „Notes autobiogràfiques de Lloren? Villalonga", in Escrits sobre Hörem; Villalonga, Barcelona (1997), S. 134-136. In einem Brief vom 5.7.61 erklärt er Joan Sales, er habe diese Erweiterung in drei Tagen geschrieben. In einem weiteren Brief vom 4.3.63 kündigt er ihm an, er habe die „entsprechenden Änderungen" vorgenommen und bereits geschickt. S. Pilar PUIGDEMON i MONCLÜS: „La correspondència entre Lloren? Villalonga i Joan Sales", Randa, 34 (1994), S. 137 und 145.
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Intervention von außen reichen und die, wie wir soeben dargestellt haben, Titelduplizitäten nach sich ziehen (außer dem Fall der Mme. Dillon müsste man ferner noch die folgenden erwähnen: Rosa i gris/Un estiu a Mallorca [Rosa und Grau/Ein Sommer auf Mallorca]; La novel la de Palmira/Les ruines de Palmira [Der Roman der Palmira/Palmiras Verfall]; L'ängel rebel/Flo la Vigne [Der rebellische Engel/Flo la Vigne])," stimmt in den Jahren von 1937 bis 1967 in den meisten Fällen das Datum der Erfahrung, die der Autor verarbeitet, nicht mit dem der Niederschrift überein, und dieses wiederum deckt sich nicht mit dem der Veröffentlichung. Bis zum Anfang des Bürgerkrieges ist dagegen eine perfekte Korrelation zwischen Erlebnis, Niederschrift und Veröffentlichung zu beobachten. Daher ist die Produktion dieser Jahre sehr kohärent, wenn schon nicht aus sprachlicher, so doch aus literarischer Sicht, d. h., was Stoff und Sinn betrifft. Einerseits verarbeitet Villalonga seinen eigenen familiären Hintergrund oder auch seine heftigen Jugendabenteuer. Andererseits zeichnet er, teilweise karikaturartig, die tief greifenden Veränderungen nach, die in der derzeitigen mallorquinischen Gesellschaft stattfanden, und ganz besonders die Spannungen zwischen einer lokalen, starren und verschlossenen Welt, der eine andere, freiere und dynamischere Welt gegenüberstand, nämlich die der Ausländersiedlung, die sich nach und nach, wenn auch oft nur vorübergehend, auf der Insel niedergelassen hatte. Dazu gehörten die Geschwister Peñaranda, Jacinto Grau oder Enriqueta Albéniz, die mit einem einheimischen Prominenten verheiratet war; Keyserling, Bernanos, Werner Schulz oder Andrea Gaspar und schließlich Emilia Bernal, Eva Tay oder die Baronin Sybille von Kaskel. So stellt z. B. der Roman Mort de Dama, der 1931 veröffentlicht und zwischen 1924 und 1930, bzw. sehr wahrscheinlich um die Jahre 1927-1929,12 geschrieben wurde, eine Art Radierung seiner eigenen Familienumgebung und generell der Dekadenz bereits verbrauchter Strukturen dar. Sein Bruder Miguel meint dazu: „Als er den Tod von Dona Obdülia Monteada beschrieb, wollte er eine unerhebliche - andere bezeichneten sie als respektlose - Grabrede der alten, im Sterben begriffenen Welt halten".13 Dagegen sind die anderen drei Werke, die Villalonga in diesen für ihn sehr aufregenden Jahren, in denen er in einem Zustand fast provinzieller Faszination lebte, schrieb und veröffentlichte, die Folge seiner mehr oder weniger intimen Beziehungen mit einer Angehörigen der Ausländersiedlung, und zwar mit der kubanischen Dichterin Emilia Bernat, die vom 6.10.1931 bis zum August 1932 in Palma lebte. Er verarbeitet also die Beziehungen zwischen einer reifen, zurückhaltenden und spirituellen, oder auch ganz im Gegenteil gesprächigen und
11 12 13
Der Kohärenz wegen zitiere ich Titel und Seitenangabe immer nach der Erstausgabe. Zur Entstehungsgeschichte von Mort de dama s. Anhang. Autobiografia (Autobiographie), Barcelona (1947), S. 191 im Originaltext; aus Versehen schreibt er organizaba (organisierten) statt agonizaba (im Sterben begriffenen).
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geistreichen Dame mit einem naiven und ungestümen Jungen. Fedra, die zwar ohne Datum aber zweifellos Ende 1932 erschien, ist nichts anderes als eine für einen bestimmten Bereich der französischen Nachkriegsliteratur sehr typische Verlagerung ins Mythologische dieser Geschichte, die aber dennoch ihre eigene Geographie und Chronologie beibehält. Silvia Ocampo und Mme. Dillon, die 1935-1936 in der Zeitschrift Brisas veröffentlicht wurden {Mme. Dillon allerdings nur fragmentarisch), behandeln denselben Stoff eher den Regeln des Realismus folgend, wobei Silvia Ocampo die Form eines aus vier Akten bestehenden Dramas wählt, während es sich bei Mme. Dillon um einen Roman handelt. Verschiedene Ereignisse wirkten stark auf Villalonga ein. Dazu gehören der Zusammenbruch der Welt seiner Jugendzeit;'4 die Verwandlung, die seine Ehe mit Teresa Gelabert für sein Leben bedeutete und, in einem anderen Sinn, die Krankheit und der darauf folgende Tod seines Bruders; außerdem eine gewisse Enttäuschung, die jene doppelte Nachkriegszeit - die des spanischen Bürgerkrieges und die des Weltkrieges - , die er erleben musste, in ihm hervorrief, wobei die Enttäuschung über den Bürgerkrieg bereits im letzten Eintrag seines Diario de Guerra (Kriegstagebuch) zum Ausruck kommt; dies alles und wohl auch die mehrmals gescheiterten Versuche, seine Mme. Dillon zu veröffentlichen, hatten zur Folge, dass sich Villalonga um 1937-40 in sich selbst zurückzog. Und damit wurde die bis dahin perfekte Korrelation zwischen Erlebnis, Niederschrift und Veröffentlichung zerstört. So schuf er in den Vierzigern und Anfang der Fünfziger zwei literarische Paare mit einem stark autobiographischen Hintergrund, Minos-Amaranta und Tonet-Maria Antonia, die bei allem Unterschied gemeinsam haben, dass es sich um reife und etablierte Menschen handelt, die, vor allem im Fall von Minos und Amaranta, eher die Zuschauer als die Protagonisten ihres Lebens sind. Andererseits begann der Autor, über das Leben als solches nachzudenken und seine eigene Vergangenheit, die wirkliche oder auch die imaginäre, zu revidieren und schließlich zu verklären. Tatsächlich sind Minos und Amaranta schon in einer Reihe von Desbarats (Unsinnigkeiten) oder volkstümlichen Stücken zu finden, die anscheinend in den Vierzigeijahren öffentlich vorgetragen wurden aber erst viel später -1965 - veröffentlicht wurden, zusammen mit ein paar eher dem absurden Theater zugehörigen Stücken.15 Im Mittelpunkt dieser Stücke des mallorquinischen Costumismo steht eine untergehende Welt in Miniatur, die im Grunde genommen genau dieselbe ist wie die des Romans Mort de Dama, dessen Heldin hier allerdings eine lebendige Marquise mit einem
S. „Conmociones románticas. Crisis", El Español, 72 (1944), S. 5; Aquells Avantguardismes..., in Raixa. Miscel länia de literatura catalana, Mallorca (1953), S. 25-27. Zwei dieser Desbarats waren allerdings schon 1955 und 1956 erschienen (s. BOSCH JUAN / LARIOS AZNAR: Op. cit.,
Nr. 1 0 u n d 1 1 ) .
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wirklichen Adelstitel ist, nämlich die des Hauses Ferrandell, und die ohne elegische Konnotationen, mit einer gewissen Mischung aus Zärtlichkeit und Karikatur dargestellt wird. Das zweite Paar, Tonet und Maria Antonia, das nicht von der Abstammung her sondern ganz einfach dank ihrer geographischen Herkunft zu Bearn gehört, taucht in La novella de Palmira auf, der gegen 1951-52 geschrieben und, laut Schlussbemerkung, im Juli 1952 gedruckt wurde, und der in vielerlei Hinsicht, wenn auch nur in groben Zügen, den ganzen späteren Villalonga, einschließlich des „Futuristen", vorwegnimmt. In diesem Roman rekonstruiert Tonet-Villalonga Stück für Stück die Biographie einer Cousine und ruft zugleich die Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre auf Bearn oder auch in Binissalem wach. Andererseits benutzte er Anfang der Fünfzigeijahre einzelne, literarisch gelegentlich bereits verwendete Jugenderinnerungen als Stoff. So arbeitete er 1954 erneut Fedra auf, um das Stück dann zu publizieren; mit den Materialien von Silvia Ocampo schrieb er einen Roman, der 1954 den stendhalschen Titel Rosa y negro (Rosa und Schwarz) trug und später, in einem Manuskript von 1967, das ich besitze, Rosa i gris (Rosa und Grau) hieß, während er schließlich 1975 unter dem wahrscheinlich von Joan Sales vorgeschlagenen Titel Un estiu a Mallorca (Ein Sommer auf Mallorca) erschien. Diesen Kern sehr nahe stehender und direkter Erinnerungen erweiterte Villalonga nach und nach mit anderen Erinnerungen, zu denen er einen größeren Abstand hatte, wie z. B. die an seine Studentenzeit in Zaragoza, die in seinen Roman El misantrop (Der Misanthrop) eingingen, an dem er zumindest seit 1957 schrieb und von dem er 1960 Fragmente auf Spanisch unter dem Titel Papeles de Son Armadans (Schriften aus Son Armadans) und 1966 auf Katalanisch in Serra d'Or veröffentlichte. Ganz erschien der Roman erst 1972. Villalonga hat diesen Prozess der Reflexion, Revision und Wiedererinnerung in einem seiner großen Romane zusammengefasst, in Bearn o la sala de nines, den er nach eigenen Angaben im Sommer 1945 schrieb, der aber, wie Jaume Pomar bewiesen hat, Anfang der Fünfzigeijahre16 entstand und in spanischer Fassung 1956 erschien. Bearn mythologisiert einerseits das autobiographische Paar Tonet, hier Don Toni, und Maria Antonia de Bearn, die nun mit besonderer Abstammung und Besitztümern ausgestattet sind; andererseits verklärt der Roman seinen Familienumkreis und damit seine eigene Reflexion über das Leben als solches, indem er eine mächtige Stilisierungs- und Abstraktionsbewegung ausfuhrt, die er nicht zwischen Gegenwart und Zukunft ansiedelt wie in La novel la de Palmira, sondern die auf eine mehr oder weniger weit zurückliegende Vergangenheit verweist, genauer gesagt, auf den Moment, den historisch Goethes Faust darstellt, zumindest Riba zufolge, d. h. jenen
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Über die Datierung des Bearn, s. POMAR: Op. cit., S. 225 und 229-235.
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Moment, in dem die Harmonie der Gegensätze zerbricht, wie sie vor Jahrhunderten Dante formuliert hatte. Gegen Ende der Fünfzigeijahre und während der Sechziger und Siebziger begann Villalonga ganz langsam, sich aus seiner Zurückgezogenheit wieder herauszuwagen, wozu ihn gleichzeitig der progressive Verfall des herrschenden Regimes, die jungen, gegen die Schuldisziplin aufbegehrenden mallorquinischen Schriftsteller und die schnelle Einführung der neuen Konsumgesellschaft bewegten. Er nahm also, wie in der Dreißiger] ahren, seine Beziehungen zu einer Alltagswelt auf, die er, wie schon damals, als eine Welt in Krise darstellte. Ab 1961, auch dank seiner durch die katalanische Version von Bearn gestiegenen Selbstachtung, stellte er langsam, unter Umständen auch ruckweise, die Korrelation zwischen Erlebnis, Niederschrift und Veröffentlichung seiner Werke wieder her, die dann um 1967 endgültig funktionierte. So geht es z. B. im Roman Desenllag a Montlleö (Ende in Montlleo), für dessen spanische Fassung er 1957 einen Literaturpreis erhielt und der ein Jahr danach veröffentlicht wurde, um den Kampf zwischen der Vernunft und ihren - oft bösen - Geistern. Im L'ängel rebel (Der rebellische Engel) (1961) beginnt er ein Gespräch mit der neuen Generation, für die Flo la Vigne steht - oder auch Baltasar Porcel. Mit anderen Worten, es geht hier um die Auseinandersetzung zwischen dem alten Humanismus rationalistischer Ausprägung und dem neuen, vitalistischen und letzten Endes irrationalen Existentialismus, kurz, zwischen Gide und Sartre. Villalongas Produktion folgt also seit 1957-61 zwei (oder drei) große Linien, einer, die ihr Material weiterhin in der eigenen Vergangenheit sucht, und einer anderen, die sich im Gegensatz hierzu kritisch mit der Umwelt auseinandersetzt; oder auch eine, die mit den Möglichkeiten der Zukunft spielt. Les fures (Die Frettchen) ein Roman, der trotz aller Unterschiede - einschließlich der ideologischen - dem El Misantrop vergleichbar ist, wurde Anfang der Sechzigeijahre geschrieben und 1967 veröffentlicht, und ist nichts anderes als die nostalgische Beschwörung des Kindheitsparadieses Bunyola, das der Fluss der Jahre und der technische Fortschritt zerstört haben. In den Falses memdries de Salvador Orlan, 1966 geschrieben und 1967 veröffentlicht, macht er nicht nur einzelne Episoden, sondern sein ganzes Leben zum Gegenstand des freien Fabulierens, wobei er bei seiner Geburt anfangt und mit einem allgemeinen Überblick über die zeitgenössische Literatur auf der spanischen Halbinsel endet. Deshalb schreibt er in seinem Vorwort: „Der Held dieser falschen und erfundenen Memoiren, Salvador Orlan, ist nur Lloreng Villalonga in dem Sinn, in dem Flaubert Madame Bovary war" (S. 14 im Originaltext). Andererseits fand er in den Dokumenten des Toflesarchivs, das ihm dank der Entscheidung eines entfernten Verwandten in die Hände fiel, als die letzten Besitztümer der Familie verkauft wurden, den Stoff, der es ihm ermöglichte, eine Art Familienchronik zu schreiben, La Virreyna (Die Vizekönigin), die er 1968 beendete und die umgehend erschien.
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Aber im Gegensatz zu dieser eher nostalgischen Tendenz öffnete sich Villalonga, nachdem er einmal sein Einsiedlerleben wieder verlassen hatte, auch seiner gegenwärtigen Umwelt, die er durch Technologie und Konsum zerrüttet sah. Durch Flo la Vigne und seine Partnerin schuf er vor allem in seinen letzten Jahren, wohl weil seine eigenen Erinnerungen erschöpft waren, oft sehr bittere Satiren auf den Konsum nur des Konsums wegen, auf die willkürliche Macht der Werbung, auf die katholische Kirche nach dem letzten Konzil und vor allem auf Teilhard de Chardin, den er gleichsetzt mit Georges Ohnet, mit der abstrakten Kunst, ganz besonders mit Joan Miro, der realistischen oder „exkrementbeladenen" Literatur usw.: La gran batuda (Die große Treibjagd) (1968), La Lulü o La princesa que somreia a totes les conjuntures (Lulü oder die in allen Umständen lächelnde Prinzessin) (1970) und Lulü regina (Königin Lulü) (1972), chronologisch sein letzter Roman. In Andrea Victrix schließlich (die er gegen Ende der Fünfziger in spanischer Fassung geschrieben hatte, 1967 auf Katalanisch beendete und 1974 veröffentlichte) ersann er, wie Huxley, eine Zukunftgesellschaft, deren Ausgangspunkt im Grunde genommen die seiner Umwelt ist und die er dann im Zyklus Flo la Vigne-Lulü weiterentwickelt hat.
4. Alles in allem könnte man Villaiongas Werk, das trotz der Diskrepanzen, die der Gebrauch zweier Sprachen, sein ständiges Aufarbeiten und die unterschiedlichen Daten der Veröffentlichung hervorriefen, sehr kohärent ist, in wenigen Worten zusammenfassen, z. B. den folgenden, die von ihm selber stammen: „Ich fühle die Nostalgie der Vergangenheit, die Inexistenz der Gegenwart und die Neugier auf die Zukunft" (Falses memöries, S. 8 im Originaltext). Und genau genommen stellt dieses Werk ganz außerordentliche Memoiren dar, die voller Ideologie und Fantasie sind. Tatsächlich ist für Villalonga von Anfang an die Literatur eine Rekonstruktion der Erinnerung; oder zumindest eine Art Verteidigung der Erinnerung, sei es auch nur der unmittelbaren und skizzenhaft. Und ausdrücklich oder auch nicht, verurteilt er vor allem in den letzten Jahren die Realität, die ihn umgibt. „Alle Bücher, die ich geschrieben habe", schreibt er in seinen eigentlichen Memoiren, welche die „Falschen" des Salvador Orlan sind, „müssten in diesen Memoiren enthalten sein, da ich sie mehr oder weniger gelebt habe; nun ja, ich habe Tatsachen ausgesucht oder weggelassen, manche Anekdoten verfälscht und die Zeitabfolge etwas durcheinander gebracht" (S. 100 im Originaltext). Deshalb erklärt er auch in einem am 21.12.54 in der Baleares erschienenen Interview etwas zweideutig, dass es unter seinen noch unveröffentlichten Büchern eines von Memoiren gäbe, „die nicht fertig gestellt sein werden bis deren Autor sein Erinnerungsvermögen nicht verliert; auf keinen Fall aber werden sie vor 1987 veröffentlicht.'"7 Und
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hier liegt auch der Grund, weshalb mitten in seiner Zurückgezogenheit zwei seiner Figuren, beide seine eigenen Pendants, nämlich Tonet in La novel la de Palmira und Don Toni in Bearn, sich aus vollkommen unterschiedlichen Gründen dem Verfassen ihrer Memoiren widmen, sehr im Gegensatz zu ihren eher gedächtnisschwachen Frauen. „In unserer städtischen Abgeschiedenheit gingen wir nie aus", gesteht Tonet, „und während Maria-Antönia betete, schrieb ich an so etwas wie meinen Memoiren, in denen es nicht um mich ging, sondern um andere, die übrigens nicht besonders gut wegkommen". Und er fugt hinzu: „Es war aber eine Autobiographie, denn wir stellen uns doch letztlich selber dar, indem wir die anderen darstellen" (S. 124 im Originaltext). Don Toni, der wie Tonet und der Autor selbst kinderlos ist, findet seinerseits beim Schreiben seiner Erinnerungen die Möglichkeit, seinen Überlebenswillen zu befriedigen. So sagt er zum vermeintlichen Erzähler des Romans: „Denk daran, dass ich weder Gelehrter noch Schriftsteller im eigentlichen Sinn bin, sondern ein kinderloser Mann, [...] der gern eine Zeit lang sich selbst überleben würde, indem er all das, was er je geliebt hat, verewigt" (S. 275 im Originaltext). Deshalb, so unterstreicht der Erzähler, „fangen die Memoiren den Teil an Unsterblichkeit ein, der ihm zukommt; in ihnen hat er Erinnerungen und Umstände festgehalten; ihnen hat er, unter vielen anderen Dingen, den Pinienwald [el pinar de Sa Cova] geopfert, den er so sehr liebte" (S. 75 im Originaltext). Eben deshalb verarbeitet Villalonga den Stoff, den er aus seinem eigenen Erfahrungsbereich oder allenfalls aus dem seiner Familie nimmt; gelegentlich hat er selbst diesen Stoff mehr oder weniger genau identifiziert, z. B. in seinen von Damiá Pong gesammelt herausgegebenen autobiographischen Aufzeichnungen (op. cit., S. 99-157). Allerdings ging er auf sehr unterschiedliche Weise mit dem Material um. Ich führe hier drei verschiedene Fälle an. 1) Die Hauptpersonen, denen bestimmte Funktionen zu eigen sind und die er, je nach Bedarf, fallen lässt und mit Abweichungen oder auch nicht wieder aufnimmt, haben ihre jeweilige Entsprechung im wirklichen Leben:18 Rosa Ribera-Obdulia Monteada, Emilia Bernal-Fedra, Silvia Ocampo-Mme. Dillon, Marquise de Can Ferrandell-Marquise de Pax, Baltasar Porcel-Flo la Vigne usw. Das gilt auch für die jeweiligen Paare: das eher realistische Paar MinosAmaranta und die etwas komplexeren Tonet/Don Toni-Maria Antonia de Bearn. 2) Die Landschaft: Die Figuren bewegen sich alle in einem kleinen Dreieck,
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Zitiert nach BOSCH JUAN: Op. cit., S. 126, Fußnote 37. In La gran batuda erklärt er z. B.: „Ich möchte hier noch einmal unterstreichen, dass ich mit meinen fiktiven Figuren nie konkrete Personen darzustellen versuche, obwohl ich für viele von ihnen Einzelheiten von Menschen aus Fleisch und Blut genutzt habe, die ich im Lauf meines langen Lebens kennen gelernt habe" (S. 25 im Originaltext).
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das aus Villalongas Geburtsstadt Palma de Mallorca, in der er auch den größten Teil seines Lebens verbracht hat, und zwei ganz konkreten Dörfern besteht, und zwar dem mit seiner Kindheit verbundenen Bunyola und Binissalem, mit dem er im reiferen Alter mehr zu tun hatte. Beide kommen mit ihrem wirklichen Namen in einigen Werken vor. In Les Fures und in den Falses memdries heißt Bunyola Fontnova. Binissalem dagegen ist in El lledoner de la clastra (Der Zürgelbaum im Innenhof) und in La gran batuda das Dorf Robines. Bearn - das nach Angaben Miguels {Autobiografia, S. 13 und 106), die LlorenQ selbst bestätigt (Diario de guerra, S. 41), am Anfang Bunyola mit Umkreis entspricht - vereint im Lauf der Zeit beide Arkadien, Bunyola und Binissalem, in sich. Bereits 1959 machte ein Dichter aus Binissalem, der mit Villalongas Frau verwandt war, Lloreng Moyä, darauf aufmerksam: „Auch wenn die Landschaft des Romans Bunyola ist, so kommt doch das menschliche Material aus Binissalem"." 3) Die Reisen, die seine Figuren unternehmen, sind die einzigen, die Villalonga selbst, als Student oder als Tourist, außerhalb von Mallorca unternommen hat, allerdings etwas verherrlicht und in einer anderen Reihenfolge: nach Barcelona und Zaragoza, aber vor allem nach Paris, Rom, Lissabon und Lourdes.
5. Villalonga ist kein reiner Memoirenschreiber, sondern er entwickelt in seinen Werken, oft auf polemische Art und Weise, eine bestimmte Weltanschauung, die in der französischen Aufklärung, d. h. in Voltaire und der Enzyklopädie, wurzelt und in deren Mittelpunkt der Mensch mit seiner Vernunft steht; es ist also eine relativistische und leicht aristokratische Denkweise, die, trotz eines im Alter hinzugekommenen christlichen Bestandteiles, doch eher moralisch oder kulturell als strikt religiös geprägt ist. Ihm zufolge hat „die Hochzeit des Menschen mit der Vernunft", die mitten in der Renaissance stattfand, „eine Blendung erzeugt, die bis ins 18. Jahrhundert hineinreicht". Und er fügt noch hinzu: „Dieses in der Gegenwartsgeschichte grundlegende Jahrhundert nannte sich selbst ,das Jahrhundert des Lichtes'" (Falses memdries, S. 226). Seit dem Bruch, den die Französische Revolution mit ihrem Motto von Freiheit und Gleichheit und die Romantik mit ihrem sentimentalen und literarischen Durcheinander bewirkt hatten, begann nun aber der Humanismus, sich aufzulösen, indem er „sowohl künstlerische als auch moralische Werte verfälschte"
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S. Pomar: Op. cit., S. 229. Da er zu der zeitlosen Welt der Mythen gehört, ist dieser Rahmen allerdings nicht immer sicher: "Bunyola, que jo de vegades anomen Bearn, de vegades Fontnova i de vegades fins i tot Robines" (Falses memdries, S. 209).
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{Falses memöries, S. 228). Daher der Kampf, den seitdem die Mächte der Vernunft gegen die des Absurden, die der Ordnung gegen die des Chaos, die der Natur gegen die des technologischen Fortschrittes führen müssen, und der fatalerweise zum Scheitern verurteilt ist. Am 10.8.1967 schrieb er mir: „Es ist schon richtig, dass ich viel Zeit daran verwendet habe, den Niedergang einer Gesellschaftsklasse darzustellen, wie Sie selbst es im ersten Band [der gesammelten Werke] festgehalten haben"; im zweiten Band allerdings, dessen Erscheinen wir damals erwarteten, der aber nie herauskam, „handelt es sich nicht um den Niedergang einer einzelnen Klasse, sondern um den der ganzen Gesellschaft". Nachdem er dann, einen nach dem anderen, die sechs Romane, die in diesen Band aufgenommen werden sollten, durchging, von denen er einen besonders hervorhob, nämlich Andrea Victrix, der seines Erachtens „am besten meine aktuelle Denkweise zusammenfasst, weil er den Untergang von allem darstellt, die Apokalypse", schrieb er mir folgende Worte, die er dann im Großen und Ganzen im Vorwort von La gran batuda, datiert am 28.12.1967, wiederholte: Ich glaube, Spengler und Frank waren Propheten. (Viel eher als der arme Bourgeois Victor Hugo, der wie Flauberts Homais an den unendlichen Fortschritt glaubte.) Mit der Reformation begann die westliche Welt, ihre moralische Einheit zu verlieren und wird nicht mehr lang überleben. (25 Jahre? 100?) Die heutige Welt wird ganz und gar vernichtet werden, vielleicht durch die Atombombe der Chinesen. Ich muss zugeben, dass die Beatniks und die Provokanten und auch die Exkrement-realistischen Schriftsteller, die mir so unsympathisch sind, in gewisser Weise „Recht haben". „Was wollen denn diese Jungs?", fragte die holländische Königin. Und keiner wusste ihr zu antworten. Sie wollen das Nichts. Sie wollen die ganz große Vereinfachung, nämlich alles zerstören, um dann neu anzufangen.
Diese - ich weiß nicht, ob ich sagen soll „sterbende" - Version des Humanismus müsste man genauer untersuchen; wenn ich mich nicht täusche, entspricht sie ziemlich genau den Vorstellungen des konservativen Liberalismus des 19. Jahrhunderts in Frankreich, obwohl sie zugleich ein recht modernes Realitätsbild gibt, zumindest im literarischen Bereich. Wahrscheinlich sollte man hier drei Punkte unterstreichen: 1) ihren Subjektivismus und damit ihren ironischen, ja sogar humoristischen Abstand und ihre Vorliebe für das Paradox oder den Kontrast zwischen verbaler Formulierung und Inhalt; 2) ihre Verteidigung der Ordnung, oder zumindest einer ganz bestimmten Ordnung, und damit das Ablehnen des rhetorischen Vervielfachens und des direkten, nackten Geständnisses (eben daher weist er, wie z. B. auch Eugeni d'Ors, die russische Romankunst zurück; vgl. Falses memöries, S. 203); 3) die Zwiespältigkeit, wenn nicht gar die Zweideutigkeit, nicht nur der von den Sinnen erfassten Realität, sondern auch der inneren oder psychologischen.
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Auf diese Art und Weise widersetzt sich Villalonga jedem sentimentalen Ausdruck: „Wenn sich die Gefühlssprache nicht an die Vernunft richtet, so enthält sie auch keine exakte und vermittelbare Bedeutung, d. h., sie ist nicht intelligent; deshalb verabscheue ich sie, und zwar erst recht, weil ich ein Gefühlsmensch bin. Die Klassiker hatten ganz Recht, dass sie keine Ausrufezeichen benutzten, denn sie führen zu nichts". Und er schließt: „Der Leser wird schon bemerkt haben, dass ich versuche, sie nicht zu benutzen; im Notfall ersetze ich sie durch Auslassungspunkte" (Falses memöries, S. 92). Andererseits meint er, dass es „das, was man gemeinhin als objektive Wahrheit bezeichnet, gar nicht [gibt]" {Falses memöries, S. 13). Kurz und gut: „Ich schreibe eine Lüge nach der anderen - nennt es Phantasien, wenn ihr besonders nett zu mir sein wollt - , weil ich davon überzeugt bin, dass es keine objektive Realität gibt" (Falses memöries, S. 41). Im Grunde genommen ist das, was wir Realität nennen, nichts anderes als ein Traum: „Die Realität ist nichts als ein Traum: der Stoff des Condillac, den man gerade noch anfassen konnte, hat sich verflüchtigt; es ist nur noch ein Schwingen übrig geblieben" (Falses memöries, S. 101). Dasselbe gilt für die Zeit. „Die Zeit ist ein Traum", schreibt er in den Falses memöries (S. 112). Daher kommt es, dass das Werk Villalongas als Ganzes gesehen das Ergebnis einer Doppelbewegung ist: Einerseits tendiert es zum Mythologisieren, das manchmal elegische Töne annimmt und andere Male ganz einfach Nostalgie ausdrückt, Nostalgie nach einer paradiesischen Vergangenheit, die er mit Vernunft und Kultur, letztlich und endlich mit einer vorindustriellen Gesellschaftsform gleichsetzt. Im Gegensatz hierzu steht seine Tendenz zur Anklage oder Kritik, mehr noch, zur Satire, die er auf die Gegenwart anwendet und die schließlich ins Prophetische abschweift und mit Vermassung und Konsum gleichgesetzt wird.
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Erinnerungen und Ideologie also, aber Villalonga verwandelt sie in Literatur, in große Literatur. Er schafft eine fiktive, selbstständige und in sich geschlossene Welt, die ihren eigenen Gesetzen folgt. Das erste dieser Gesetze ist das der eigenmächtigen Auswahl und Wiederverarbeitung der unmittelbaren Realität, ganz egal ob diese nun biographisch ist oder nicht. „Es ist natürlich unmöglich, alle Bestandteile einer Tatsache festzuhalten, egal ob es sich nun um eine so genannte objektive oder um eine psychologische Tatsache handelt", erklärt er zu seinen Falses memöries und, im weiteren Sinn, zu seinem Gesamtwerk. Deshalb bedeutet schreiben auch sich erinnern, um dann „ein paar dieser Bestandteile auszuwählen, und dabei geht jeder nach seinem eigenen Dünken und Geschmack zu Werke" (Falses memöries, S. 13). An einer anderen Stelle schreibt er erneut: „Unter den unzählbaren Faktoren, die zusammenspielen, um das Allereinfachste darzustellen, wählt jeder die aus, die ihm am
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besten gefallen, um damit die so genannte Realität oder Wahrheit zu bilden" (Falses memöries, S. 41). Allerdings unterzieht er das ausgewählte Material einer ganzen Reihe von Operationen der Verschmelzung und Konzentration, der Typisierung und Verallgemeinerung und, letzten Endes, des Mythologisierens. Hier drei Beispiele: Maria Antonia de Bearn ist in Mort de Dama die Mutter und stellt, in gewisser Weise, die Idealfigur der mallorquinischen Aristokratie dar. In La novella de Palmira ist sie dann die Frau. In Bearn schließlich ist sie die mythische Synthese aller beiden, also das Paradigma der Lebensharmonie, das dem der reinen Vernunft (Don Toni) und dem der Leidenschaft (Dona Xima) gegenübersteht. Aina Cohen, eine Figur, die sich aus Einzelheiten verschiedener Dichter der Insel zusammensetzt, von Maria Antonia Salvä über Joan Aleover bis hin zu Guillem Colon, ist das Paradigma einer ganzen Schule, der so genannten Mallorquinische Dichterschule (Escola Mallorquina). Fedra-Silvia Ocampo-Mme. Dillon, deren Vorbild, wie schon gesagt, eine kubanische Dichterin ist, repräsentiert, mit allen möglichen Varianten, das Paradigma der reifen Frau, das in groben Zügen vom klassischen Mythos bis hin zur männermordenden Georges Sand, der Musset und Chopin zum Opfer fielen, reicht. Das zweite Gesetz ist das eines gewissen Bruches der herkömmlichen Konventionen der Erzählrede. Um einerseits die Zwiespältigkeit oder die Zweideutigkeit der Tatsachen zu unterstreichen und andererseits die Suggestionsfähigkeit zu steigern, führt Villalonga eine Reihe von Filtern ein, die er zwischen den Leser und die erzählten Tatsachen stellt, deren Klarheit er auf diese Art verwischt, was eine ständige Anstrengung erzwingt, das Erzählte neu zu erfassen. So schieben sich in Bearn zwei die Tatsachen interpretierende Hände zwischen Stoff und Leser: die des Don Toni und seiner Memoiren und die des Joan Mayol und seines Briefes, der voller Vermutungen und Lücken steckt. In seinem L'ängel rebel erzählt der Autor, dass weder er noch ihr Held der Verfasser der Geschichte ist, sondern eine mysteriöse Figur X: Zuzu, „eine kleine schwarze Französin, die im Posa-Poga tanzte", bringt das Manuskript zu Don Maria und dieser, verwandt mir dem Helden oder möglicherweise sogar dessen Vater, finanziert dann die Veröffentlichung. Deshalb werden die Figuren nicht auf einmal vorgestellt, sondern fragmentarisch, annäherungsweise, durch das Beschreiben erster Eindrücke, die sich dann ergänzen und korrigieren, bis sie schließlich in einen vagen Bereich gerückt sind, in eine Art Sein und nicht Sein, das dennoch sein könnte. In diesem Sinne ist La novel la de Palmira wohl eines der besten Beispiele: Das Paar Tonet-Maria Antonia rekonstruiert aus einzelnen Erinnerungen und Nachrichten die Heldin des Romans, eine Verwandte, die in Barcelona lebt und die sie zwei oder drei Mal gesehen haben. Das dritte Gesetzt ist das der Freiheit, die sich der Autor nicht nur beim Bearbeiten seines Romanstoffes sondern auch bei der Behandlung seines angelesenen Kapitals nimmt. In einem Spiel, das Hommage, Humor und Provo-
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kation gleichermaßen ist, benutzt Villalonga den Stoff anderer Autoren, den er dann in der Form von Postiches bearbeitet, z. B. Voltaire und Proust in El lledoner de la clastra. Es können auch Plagiate werden, wie etwa der Schluss von Alta i Benemèrita Senyora (Hohe und verdienstvolle Dame) und Sartres Huis clos.10 Er gesteht es auch ohne jeden Umschweif. „Da ich dazu entschlossen bin, mir ihr Werk anzueignen", schreibt er in einer Art Brief-Vorwort und Rechtfertigung an Mercè Rodoreda, „gestehe ich es gleich ohne Umschweif. Niemand wird mich anklagen, wenn ich mich selbst anklage. Es ist eine Eigenheit edler Geister, sich so zu verhalten, edler Geister wie Diego Montes, der tapfere Räuber" {La Lulti, S. 14). Und unter dem Titel „plagia" berichtet Sales in seinem Vorwort, wie er mit einem der Romane dieser Autorin umgegangen ist, nämlich mit El carrer de les camèlies. Andererseits benutzt Villalonga die sichtlichsten Klischees der mythologischen Literatur; so verzichtet er z. B. auf die zeitlichen Konventionen und verlagert, wie schon gesagt, Tonet/Don Toni und Maria Antonia in La novel la de Palmira in die Gegenwart und, von einem bestimmten Zeitpunkt an, in die Zukunft, während sie in Bearn einer mehr oder weniger weit entfernten Vergangenheit angehören. Gleichzeitig benutzt er die Klischees des Feuilletons aus dem 18. Jahrhundert, u. a. die Namensänderungen oder verschieden gestorbene Tode mit ihren Auferstehungen. So bringt sich Fio de la Vigne in L'àngel rebel um, er aufersteht und stirbt erneut in La gran batuda, um in den Lulü-Romanen wieder zum Leben zu erwachen. Der Autor rechtfertigt dies ohne weitere Bedenken: „Ich täuschte mich in meiner Vermutung, die ich hatte, als ich L'àngel rebel schrieb, dass nämlich Fio la Vigne jener Louis Salève gewesen sei, der sich 1960 umbrachte, um so den Erfolg einer großartigen Tragödie sicherzustellen. Selbstverständlich dürfte Fio la Vigne auch nicht Fio la Vigne gewesen sein, da dies der Name war, den er annahm, als er mit siebzehn Jahren von zu Hause weglief und nicht gefunden werden wollte; aber er war damals schon klug genug, sich nicht umzubringen und damit irgendjemandem Grund zum Lachen oder zum Weinen zu geben". Und Villalonga fügt noch hinzu: „Nachdem er aus dem Hotel geflohen war, in dem er bei mir gewohnt hatte, um mir ein paar Arbeiten mit der Schreibmaschine zu tippen, zog er zu seinem Freund Bob, einem schwachsinnigen Dichter; da nannte er sich Carles Martel, zweifellos wegen seiner großen Vorliebe für den französischen Cognac" {La gran batuda, S. 25). So stellt, dank der Anhäufung von Begegnungen und Übertragungen, die Gesamtheit von Villalongas Werken eine geschlossene Welt dar, die sich als
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In dem Band der Reihe Raixa, der Alta i Benemèrita Senyora und Aquilles o l'impossible enthält und den er mir gleich nach dessen Veröffentlichung voller Randnotizen schickte, wies er mich auf dieses Plagiat hin, wie auch auf mehrere Passagen des Aquil les, die aus der llias stammen, oder auch aus La guerre de Troie n 'aura pas lieu, von Giradoux.
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solche selbst hält, eben aufgrund ihrer eigenen Tugenden; es bildet also eine perfekte Einheit. La gran batuda, meiner Meinung nach sein letzter großer Roman, oder zumindest sein freiester, ist ein Art humorvolle Summe und Zusammenfassung, der letzte Tanz des Schriftstellers; in dieser, fast möchte ich sagen, entschiedenen Bestätigung seines Willens, Literatur zu schreiben, nichts als Literatur, in der er die sich selbst auferlegten Gesetze als Autor unterstreicht, die nicht von denen der Realität abhängen, „objektiviert" er noch einmal all seine Figuren, einschließlich seiner literarischen Adoptivkinder, von denen einige, wie z. B. Toni und Maria Antonia, bereits gestorben und auferstanden waren: „Der Autor dieser Geschichte will als Erstes die Anwesenheit der Marquise de Pax und des Don Toni de Bearn sowie seiner Frau festhalten, von denen die letzten beiden wohl schon vor vielen Jahren gestorben, aber jetzt natürlich wieder auferstanden sind" (S. 142).
7. Lloreng Villalongas Werk ist vielfaltig und komplex. Es ist ein perfekter Mechanismus, in dem jedes Element für sich selbst und zugleich fiir das Ganze steht. Daher kommt es, dass es manchmal fast etwas unzugänglich erscheint. Und eben daher kommt es auch, dass es den Leser dazu einlädt, direkt an seinem Spiel teilzunehmen; dialektisch oder imaginär, das tut hier nichts zur Sache. Ist das nicht eine großartige Faszination? JOAQUIM M O L A S
Universität de Barcelona
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Anhang Daten zur Entstehungsgeschichte von Mort de dama Lloren? Villalonga gab zwei verschiedene Daten für die Niederschrift dieses Romans an: 191721 und 1921.22 Andererseits erklärt Miguel, der Roman sei 1931 veröffentlicht worden, aber sein Bruder habe ihn „mehrere Jahre vorher geschrieben";23 auf alle Fälle sollte man berücksichtigen, dass Lloreng angeblich seinem Bruder Miguel, als dessen Krankheit bereits sehr weit fortgeschritten war, dabei half, mehrere Artikel und einige Kapitel der Autobiografia zu verfassen, ein Gerücht, das er mir selber, wenn auch ungern, bestätigte; diese und ähnliche Informationen sind also zumindest mit Vorsicht zu genießen. Pomar ist in seinem La raö i el meu drei (S. 38) auch sehr vorsichtig in dieser Hinsicht, obwohl er selbst keinen Alternativvorschlag macht. Ich glaube, es lohnt sich, der Sache genauer auf den Grund zu gehen. Hier also ein paar Anmerkungen, die dabei nützlich sein könnten: 1) Um 1917-1918 gehört die Tante Rosa Ribera zum engeren Familienkreis, ein raffgieriger, gefürchteter und pittoresker Mensch, der sehr früh das „literarische" Interesse des Neffen Lloreng weckte;24 2) am 19.11.1923 stirbt sein Vater (die Baronin von Bearn des Romans, deren Figur ihm hauptsächlich seine Mutter inspiriert hat,25 ist Witwe); 3) am 8.7.1924 stirbt Rosa Ribera, d. h. Obdülia Montcada (der Titel beweist ganz klar, dass dieser Tod der Zentralpunkt ist, um den herum sich die Erzählung entwickelt); 4) 1924, möglicherweise gegen Ende des Jahres, liest und entdeckt Villalonga die mallorquinischen Autoren des Costumisme.16 So publiziert er z. B. am 24.9.1924 in El Dia einen Artikel über „Salvador Galmes", in dem er seinen „Vorbehalt" der Regionalliteratur gegenüber gesteht und dagegen den Autor der Negrures außerordentlich lobt, und mit ihm, wenn auch etwas abgeschwächt, Gabriel Maura. In einem weiteren, am 10.12.1924 veröffentlichten Artikel ist er erneut sehr hart mit einem Regionalismus, der seiner Meinung nach aus intellektueller Sicht weder der Prosa von Quadrado
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S. Vorwort zur 4. Ausgabe im Club dels Novellistes, Barcelona (1965), S. 8.
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FERRA-PONC: Op. cit.,
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Autobiografia, S. 191. S. z. B. die beiden Briefe, vor allem den zweiten, die er während dieser Zeit an einen Verwandten in Menorca adressierte und die Jaume POMAR in Cartes i Articles. Temps de preguerra [1914-1936], Mallorca (1998), S. 33-34 und 40 herausgegeben hat. S. Autobiografia, S. 181; FERRÄ-PONC: Op. cit., S. 133. Im Vorwort der Erstausgabe, S. 8, unterstreicht Alomar, dass es sich bei diesem Roman nicht um eine „parodistische Herabsetzung" der Linie Stendhal-Proust handelt, sondern um das „Übertreffen des traditionell und regional üblichen Sittenbildes".
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S. 41 und 131.
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noch der von Maura standhält;27 5) 1927 erklärt Villalonga aus Anlass einer bestimmten Geschichte, dass diese „kurz nach meiner Rückkehr nach Mallorca, nach sieben Jahren Abwesenheit" stattgefunden hätte;28 6) 1928 wird unter heftigen Diskussionen der Kulturverein Ateneo/Ateneu gegründet, 29 und diese Gründung finden wir auf den Seiten 117-126 des Romans wieder, wie auch das Erscheinen der Zeitschrift La Nostra Terra, die sich da Be Hem Dinat nennt; 7) zwischen 1925 und 1930, und besonders 1928, publiziert er sechs Artikel auf Katalanisch; 30 8) in den Jahren zwischen 1928 und 1930 zeigt er sein Interesse für die Lehren Bleulers; 3 ' 9) am 13.4.1929 stirbt seine Mutter; 10) 1929 erscheint Cambös Les Dictaduresf 11) am 28.1.1930 tritt Primo de Rivera zurück, was den Marquis von Collera zwingt, sein politisches Schweigen zu brechen, das er unter der Diktatur bewahrt hatte;33 12) die Jahresangabe 1931 erscheint hier34 als mehr oder weniger konventioneller Hinweis. Insgesamt kann man von dem hier Dargestellten wenigstens provisorisch ableiten, dass Mort de Dama von der Ausgangsbasis verschiedener jugendlicher Erfahrungen und gelegentlicher Notizen aus geschrieben wurde, die der Autor aneinander gereiht und mit einigen Nachträgen versehen hat, und zwar zwischen 1924 und 1929/30, noch genauer wahrscheinlich gegen 1927-29.
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Beide Artikel sind zu finden in dem von Pomar herausgegebenen Cortes i articles..., S. 120123 und 133-136; ich danke hiermit Jaume Pomar, der so freundlich war, mir eine Kopie der Briefe und auch der Artikel vor Erscheinen des Buches zur Verfügung stellte. S. 146; er bezieht sich also auf die sieben Jahre, die zwischen dem 20.10.1920, an dem ersieh an der Universität von Barcelona einschrieb, und dem 4.4.1927, dem Tag, an dem er mit abgeschlossenem Studium dem Ärztekollegium der Balearen beitrat, liegen.
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FERRÀ-PONC: opc.
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S. obiger Artikel, Fußnoten 3-4. S. 151 und 178; s. obiger Artikel, Fußnote 4. S. 44; hier ist zu unterstreichen, dass Villalonga dem „mallorquinischen Regionalismus" die Vitalität Kataloniens gegenüberstellt, die er mit der Zeitung La Publicitat, Cambós Buch und einem weiteren, nicht identifizierten Titel, La Unitat Ibèrica, symbolisiert. S. 131. S. 97.
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33 34
cit.,
S. 1 1 6 - 1 1 7 u n d 132.
José Carlos Llop Von den Pousse-Café zum Diario de guerra Villalongas Name beginnt mit v wie das Wort vicio (Sucht). In der Tat: Villalonga macht süchtig. Es ist eine Sucht wie jene, die Mallorca für die Mallorquiner darstellt. Und dieser Vergleich ist nicht aus der Luft gegriffen. Nicht etwa weil Villalonga der erste fiktionale Schriftsteller war, der Mallorca erfand, und zwar von der Elegie, der fiktiven Erinnerung, der Mythenbildung ausgehend. Eine der charakteristischen Eigenschaften der narkotischen und süchtig machenden Substanz namens Lloren«; Villalonga ist die der Darstellung. Was meine ich damit? Villalonga war nicht nur Einer, sondern Viele: Darin folgte er den Versen Borges', auch wenn er sie nicht gekannt haben mochte: „Yo, que tantos hombres he sido, / jamás fui aquél en cuyos brazos desfalleciera Matilde Urbach" (Ich, der doch so viele Männer war, / war niemals der, in dessen Armen Matilde Urbach sterben sollte). Villalonga wollte polyedrisch sein; unter jenem nicht steinernen sondern hageren Gesicht, das er am Ende hatte, schien er es erreicht zu haben. Denn es gibt neben dem snobistischen und modernen Villalonga, auch den sarkastischen Villalonga; dann ist Villalonga der Konservative, der Antikatalanist, der Philofaschist, der Elegiker, der Katholik, der Schwarzmaler und sogar der Katalanist. Ich setze diese Liste nicht fort, weil ich niemanden langweilen möchte und weil, im Grunde genommen, alle ein und derselbe sind. Aber es geht noch weiter. Als handle es sich um einen vielförmigen und manchmal ausschließenden Zusatz zu diesen Formen, kommt noch jene Vielfalt der Villalongas hinzu, die das Ergebnis seiner Kritiker und seiner Hagiographen sind, und deren Bilder höchst selten Gemeinsamkeiten aufweisen. Andererseits glauben sie, wie letzten Endes wir alle sehr oft, dass sie in Besitz der aufschlussreichsten Wahrheit des Menschen Villalonga sind. Eines Menschen, der, hätte er nicht geschrieben, nichts als Anekdote wäre, wie alle Menschen dieser Erde in ihrem Leben und erst recht nach ihrem Tod: Katafalke, die man nur ein Mal benutzt und dann wegwirft, wer weiß, wem zugunsten. Das pflegen die Süchte so mit sich zu bringen: Wir können deren Anfänge mit anderen teilen, aber dann werden sie schnell etwas sehr Privates, eine Art geheimes Totem, das den anderen ein Tabu ist, da natürlich keiner so perfekt seine eigenen Süchte erleben kann wie eben er selbst. Und das pflegt so auf Mallorca zu sein, wie auf jedem anderen Stückchen Erde auch: Der andere irrt immer, nur wir selbst kennen wirklich Ursprung und Hintergrund ganz egal welchen Themas. Die vollständige Liste der Betroffenen dieses Syndroms wäre auch in diesem Fall sehr lang. Hier ist niemand von Sünden frei, niemand darf den ersten Stein werfen. Es ist eben die Sucht, das Laster, das villalongische Morphium. Dieses Morphium besteht u. a. darin, dass es uns den besten Spiegel geschaffen hat, in dem wir uns betrachten können, ohne dass uns dabei sofort das Schamrot ins Gesicht schießt. Aber dieser
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Spiegel hat auch seine Falle, nämlich seine hypnotische Kraft, seine Fähigkeit, den, der sich darin betrachtet, nie mehr loszulassen, mehr noch, ihn für immer dazu zwingt, Mallorca durch diesen Spiegel zu sehen. Vor wenig mehr als einem Jahr erschien ein Roman von mir, in dem einer der Helden - nur anfanglich - auf Villalongas Figur basiert. Sein Name war ganz einfach „El Escritor" (Der Schriftsteller). Im Folgenden werde ich zwei Seiten aus dem Roman zitieren, in denen diese Figur noch Villalonga sein könnte, d. h., bevor ich sie nach und nach mit dem Fortgang des Romans in eine andere verwandelt habe. Es handelt sich hier um Fiktion, also auch um Darstellung. Die Reise des Schriftstellers war die Reise eines Menschen, der das Gefühl hatte, einem unerträglichen Betrug zum Opfer gefallen zu sein. Einem Betrug, der auf einem Verrat beruht. Das Spiel dieses Betrugs ist zyklisch wie die Regenzeiten: Der Verrat seiner Geburtsstadt ist der Startschuss, der den Spielanfang anzeigt, den Moment, die Reise anzutreten. Der Verrat einer Stadt ist auch ihre Wandlung, denn beides ist letzten Endes immer Leugnung, und in dieser Leugnung lebt nur das Vergessen. Die Amnesie der Stadt wurde dem Schriftsteller zum Angriff: Eine Stadt des Vergessens stand einem Menschen gegenüber, für den die Erinnerung seinen Lebensinhalt darstellt. Die Stadt dagegen braucht das Vergessen, um weiter existieren zu können. Der Schriftsteller lebte nicht mehr in der Stadt, die da war, sondern in der, die er sich vorstellte: eine Stadt, in der die Erinnerung durch die Erfindung verformt wird, um schließlich eine Wahrheit zu sein, die man Literatur nennt. Das war die Rache des Schriftstellers für den Verrat: Er ersetzte sie, verwandelte sich in sie, erklärte all das nichtig, was nicht seinem eigenen Bild einer Stadt entsprach, die es nicht einmal gab, und die es noch nie gegeben hatte, es sei denn in den genau berechneten Seiten seines Buches. Berechnet wie eine besonders komplizierte Inszenierung. Der Schriftsteller machte aus der Stadt eine Legende, vor der es keine Flucht mehr gab. Er sperrte sie in die Züge, mit denen er sie ausgestattet hatte, ein. Er schenkte ihr einen eigenhändig gefertigten Spiegel, nicht ohne vorher alle anderen zu zerstören, die er nur finden konnte. Bis es keinen anderen mehr gab als seinen eigenen und allen, die nach ihm kamen, nichts anderes übrig blieb, als sich in des Schriftstellers Spiegel zu betrachten. Außerdem war darin ein Fluch mit einbegriffen: Demjenigen, der sich nicht in diesem Spiegel betrachten wollte, würden Vergangenheit und Erinnerung fehlen. Er wäre dazu verurteilt, im Limbus umherzuirren, ohne seinen eigenen Namen zu kennen; dazu, wie ein Roboter durch die Straßen und Alleen seiner Stadt zu irren, ohne zu wissen, wo er sich gerade befand und wer er war. Das meine ich, wenn ich von der hypnotischen Kraft dieses Spiegels spreche. Und das meinen wir alle, wenn wir uns bewusst oder unbewusst unserem eigenen Bild von Villalonga stellen: seinen eigenen Sieg über uns alle, einen Sieg, der aus seiner persönlichen Niederlage entsteht, der Niederlage nicht mehr Mensch zu sein, um sich dann in einen Schriftsteller zu verwandeln. Was meine ich damit genau? Ein oft zitierter Satz aus Thomas Manns Tonio Krö-
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ger sagt „dass man gestorben sein muss, um ganz ein Schaffender zu sein".' Wie sollte also Villalonga kein Elegiker sein, wenn er doch tot war? Ich gehöre nun zu denen, die meinen, dass dieser Tod sich nach den Pousse Cafè gleichzusetzen mit den Frivolitäten der gehobenen Gesellschaft - und nach dem Diario de Guerra (Kriegstagebuch) - was in der Tragödie des Bürgerkrieges seine Entsprechung hätte - einstellt. Rufen wir uns noch einmal die Worte von Teresa Gilabert in Erinnerung, als sie ihre beide Gatten vergleicht: „Der Eine war ein Fastnachtsdienstag und der Andere ein Karfreitag". Offensichtlich war Lloreng Villalonga der Karfreitag. Und wie sollte er es auch nicht sein in seiner Lage? Da ich nun zufälligerweise das erste Mal über Villalonga aufgrund der Herausgabe seiner Pousse-cafè vor zwölf Jahren schrieb - übrigens ein einmaliges und ziemlich unbekanntes Werk - und das letzte Mal, das ich mich mit ihm beschäftigte, über sein bis heute noch unveröffentlichtes Diario de Guerra schrieb, will ich nun versuchen, eine kurze Skizze jenes Mannes anzufertigen, der im Leben starb, „um ganz ein Schaffender zu sein", wie Tonio Kröger sagt. Das Wörtchen „ganz" ist hier entscheidend, denn dank seiner Aufopferung hat Mallorca jetzt eine Erinnerung, die Mallorquiner eine große Literatur und wir, die hier versammelt sind, eine Sucht namens Lloreng Villalonga. Während ich diesen Artikel schreibe, höre ich gerade das Deutsche Requiem von Brahms. Sicherlich sollte ich eher einen Foxtrott hören, denn der Villalonga der Zwischenkriegszeit - der Villalonga, der Schriftsteller sein wollte und noch lebendig war - war wie einer jener nächtlichen Cocktails, die man im „Trocadero", in den Dreißigeijahren dem Tanzlokal par excellence in Palma, zu trinken pflegte. Villalonga war von der französischen Literatur der Jahrhundertwende ebenso beeinflusst wie von der einen oder anderen literarischen Theorie seines Verwandten Gabriel Alomar und von der Atmosphäre, die in der Ausländersiedlung von El Terreno, Son Armadans oder Genua herrschte; deshalb wollte er ein moderner Romanautor sein. Er wollte eine neue Linie in der mallorquinischen Romankunst einfuhren, ohne noch zu wissen, ob er eines Tages ernsthaft ein Romanautor sein oder einfach von der Psychiatrie und dem Geld seiner künftigen Frau leben würde, denn Eines war ihm völlig klar: Diese Frau musste Geld haben. Und in der Tat ist Villalonga, dank Mort de Dama (Tod einer Dame), der erste moderne Romanautor Mallorcas, wie seinerseits Rosselló-Pòrcel der erste moderne Lyriker der Insel ist. Allerdings mit dem Unterschied, das Rosselló-Pòrcel sozusagen eine Gruppe zur Verfugung stand, in die er sich über Paul Valéry eingliedern konnte, die so genannte 27iger Generation; Villalonga dagegen nicht. In jener Generation entstand kein Roman, unter ihnen bildete sich keine Gruppe, die sich der Prosa gewidmet hätte. So begann Villalonga seine Karriere also allein, und er beendete sie erst
Zitiert nach dem deutschen Originaltext, Berlin (1922/1972), S. 27. (Anm. d. Übers.)
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in dem Moment nach dem Krieg, in dem er beschloss, sich lebendig begraben zu lassen, ein nicht bestehendes Leben - hier muss man gewiss unterstreichen, dass das Leben in der Nachkriegszeit völlig erstarrte - gegen ein Leben in Büchern einzutauschen, das sein eigenes Leben so widerspiegelte, wie er es sich erfunden hatte, ein Leben, das er für sich wünschte. In jenen Jahren nannte man einen Kühlschrank einen frigidaire,11 und eine Frau war fashionable. Welch großer Unterschied gegenüber der danach entstandenen Welt von Bearn und jenen literarischen Doppelgängerinnen Teresa Gelabert und Maria Antonia de Bearn! Villalonga, der Bergson gründlich gelesen hatte, nähert sich jetzt Freud und der rationalistischen Architektur. Hierbei handelt es sich um eine momentane, aber doch bedeutende Abweichung, denn er zeigt immer noch einen Menschen, der noch nicht beschlossen hat, sich von allem Gegenwärtigen fern zu halten. Zu dem Zeitpunkt ist Villalonga ein Snob, der Dinge wie etwa Folgendes schreibt: „Es ist nicht ratsam, in einem Raum, in dem Blumen stehen, von deren Duft ohnmächtig zu werden, ohne sich zuvor versichert zu haben, dass sie nicht künstlich sind". Das Vorbild seiner leichtlebigen Gesellschaft könnte sehr gut die der Cöte d'Azur sein. Die Gesellschaftsstruktur der Provinzstadt reicht ihm nicht aus, wahrscheinlich weil er nicht weiß, wie er sich in sie eingliedern soll, und weil er etwas Besseres erwartet. Er ist jung, unverheiratet, und er hat Freunde, die selbst nicht schreiben. Er liebt die Polemik; die Provokation erheitert ihn ebenso wie das gesellschaftliche Ärgernis, sofern es die allgemein gültigen Regeln nicht allzu sehr verletzt. Sicherlich wäre er gern wie eine der Romanfiguren von Cocteau oder Colette, aber da erwartet er wohl zu viel. Er verachtet alles Katalanische und bewundert das Französische, als ob das Eine das Andere ausschließen müsste. Als er aber nach einem Modell für seine Zeitschrift Brisas sucht, kopiert er skrupellos die Form einer modernen katalanischen Zeitschrift: D'Aci i d'allä, in der u. a. Sebastiä Gasch, Joan Mirö und Josep Vicen? Foix mitwirken. Dieser moderne Geck steckt immer noch voller Widersprüche, und aus diesem Widerspruch wird er später seine literarischer Formel machen, indem er ihn ins Paradox, seine ganz eigene Art von Koketterie, sublimiert. „Ich wollte ein ganz schickes Magazin herausgeben", schrieb er, „das sich an eine snobistische, elegante und leichtlebige Leserschaft richtete". Ja, guter Mann: Wo hätte es denn eine solche Leserschaft in den Dreißiger]ahren auf Mallorca geben sollen? Wenn man die Namensliste jener Zeit durchgeht, wird man bald sehen, wie wenig natürlich Verbündete Villalonga haben konnte. Alles Moderne wurde generell verflucht oder als Kitsch abgetan. Der Großteil der Literatur, die damals geschrieben wurde, stand noch völlig unter dem Einfluss der Renaixenga.
Französische Kühlschrankmarke, die dann im französischen Sprachraum mit Kühlschrank synonym gebraucht wurde. (Anm. d. Übers.)
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Nur Jacobo Sureda, Dethorey, unter Umständen Colomar und vor allem Rossellô-Pèrcel waren in der Lage, Villaiongas Absichten zu verstehen; sein Bruder Miguel akzeptierte sie, aber er teilte sie nicht. Mit Jacobo Sureda war er befreundet, mit den anderen nicht. Aber unter den Werken dieser anderen gibt es nur ein einziges, das man mit Mort de Dama vergleichen könnte: das Gedicht Auca (Bilderbogen) von Rossellô-Pôrcel. Ich glaube, dass beide gleichermaßen, das Gedicht und der Roman, wirklich mit dem Geist ihrer Zeit in Einklang stehen und mit der aufoktroyierten Tradition brechen, d. h., dass es sich hier weder um Fälschungen noch um Epigonen handelt. In seinen Pousse-Caß zeigt sich Villalonga von der Seite eines Sentenzenund Aphorismenautors, der Oscar Wilde ebenso viel schuldet wie den französischen Aphoristikern des 18. Jahrhunderts; und dennoch steckt in diesen Sprüchen ein Streben nach Modernität, das entfernt an den Kubismus, an Ramôn Gômez de la Sema oder an das Kino erinnert. Es sind Scherze, die man als Jugendsünden betrachten könnte, aber wenn Villalonga diesen Weg verfolgt hätte, so wäre sehr wahrscheinlich statt eines Schriftstellers im Dienst der Erinnerung ein moderner Schriftsteller aus ihm geworden. Zum Beispiel, wenn der Bürgerkrieg nicht ausgebrochen wäre. Denn dieser literarisch so moderne Mensch ist ideologisch ein Reaktionär, wohl des alten Geistes dieses Stückes Erde wegen. Villaiongas kulturelles und gesellschaftliches Bild hat seinen Ursprung im aufgeklärten Despotismus. Er ist kein Anhänger der Regeneration, sondern ein Fatalist, der sich mit dem Verlangen nach einer anderen Gesellschaft als die, die er kennt, tarnt. Aber er wollte nur eine ein wenig andere Gesellschaft. Und dieses nur „ein wenig" kommt aus seinem tiefen Misstrauen der spanischen Geschichte gegenüber. Villalonga verbindet Fortschritt mit Ressentiment; er zieht die von oben kommenden Reformen denen, die Initiative des Volkes sind, vor, denn für ihn ist das Volk jeglicher Besserungsvorschläge unfähig. Vor seinen Augen ist das Volk die verschlechterte Fortführung jenes bürgerlichen Geistes, der das Anden Régime gestürzt hatte. In seinem ständigen Widerspruch verknüpft er seinen Modernitätsbegriff mit einer Art höfischem Spiel im Versailles des Sonnenkönigs. Dabei weiß er, dass Spanien nicht viel für derart Spiele taugt und sieht in der Republik das Vorspiel des Chaos. Um es in seinen Worten zu sagen: In der Republik liegt der Keim des Chaos. Die Zeit wird ihm in gewisser Weise Recht geben, allerdings aus anderen Gründen als den seinen. Trotz des mürrischen Gesichtes, das er bereits hat, hat dieser Villalonga noch Glaube, ist er noch nicht zum unbeirrbaren Skeptiker geworden. Die Texte, die er in Brisas veröffentlicht, offenbaren eine exterritoriale Oase, bringen das Verhalten eines Salonlöwen ohne Salon zum Vorschein. Gleichzeitig publiziert er die Artikel, die er später in Centro sammeln wird; in ihnen zeigt sich bereits der Fatalist, der Anhänger Spenglers, der Präfalangist, aber selbst hier ist er - dem klassischen Konservativismus seines Bruders Miguel gegenüber - immer noch ein moderner Mensch. Die Modernität und die Avantgar-
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den der Zwanziger- und Dreißigerjahre wurden mit der Zeit zum politischen Kampf, sie radikalisierten ihre politischen Einstellungen. Auch der Kommunismus und der Faschismus waren Modeerscheinungen. Mit dem Ausbruch des Krieges tritt Villalonga, wie die Mehrheit seines Gesellschaftskreises, der Falange bei. Aber im Ursprung dieses Beitrittes ist bereits der Villalonga, den wir alle kennen, anzutreffen, der Elegiker, der in einer nicht mehr bestehenden Welt leben will, in einer Welt, die sich aufgelöst hat; und in einer gewissen Weise gelingt ihm das auch. Villalonga sieht in der Falange eine politische Struktur, die dazu bestimmt ist, die ewigen Klassenwerte zu retten. Er glaubt - oder will glauben - , dass er in dieser Partei die Rettung einer aristokratischen Lebensweise finden wird, die gar nichts mehr mit der bürgerlichen Demokratie zu tun hat. Es ist Krieg, und in seinem Falangentum ist ein Kompromiss ästhetischen Ursprungs zu erkennen, den man wohl mit dem von Foix in Katalonien vergleichen kann; ganz deutlich wird er in seinem Diario de Guerra, und im Lauf der Zeit wird er zum endgültigen politischen Skeptizismus. Wenn ich nun von Ästhetik spreche, will ich natürlich nichts beschönigen, ganz und gar nicht! Villalonga glaubt an die Falange, aber, wie fast immer bei ihm, glaubt er an seine eigene Interpretation der falangistischen Doktrin: spartanisch in Krisenzeiten, attisch in ihrem Blick auf die Zukunft. Als die Wirklichkeit sich nicht seinem Wunsch anpasst, beginnt Villalonga, nüchtern zu werden und sich zu entscheiden. Wahrscheinlich sind es die letzten Reste seiner Frivolität, die diese schnelle Ernüchterung bewirken; möglicherweise ist es auch in Unfähigkeit, an irgendetwas anderes zu glauben als an sich selbst, an seinen eigenen Willen, die Welt so zu gestalten, wie er sie nicht jetzt wollte, sondern wie er sie früher gewollt hätte. Beim Lesen seines Diario kann man diese Entwicklung verfolgen; ebenso findet man dort das Bildnis eines kalten und distanzierten Menschen bei Gegenlicht oder den Ursprung der späteren Legende von Bearn in einen sehr einfachen Satz gefasst: „Teresa mag die Berge von Bearn". Die öffentlichen Angelegenheiten bieten keine Rettung, scheint Villalonga hier zu sagen; der Schriftsteller, der allein anfing, wird auch weiter allein bleiben bei seinem Unternehmen, sich eine eigene Welt, fern von der Wirklichkeit, zu bauen, eine Welt, die aus Erinnerung, idealisierter Nostalgie und Erfindung besteht. Er ist gezwungen, sich diese Welt zu erfinden, denn wenn er um sich sieht, merkt er, dass es diese Welt nicht gibt, und dass er überall nichts als ein Deklassierter ist. Dem Krieg gegenüber geht er kalt und förmlich auf Abstand, wie schon gesagt. Selbst am Tag seiner Hochzeit - er heiratet im Krieg, und im Krieg wird er sich für immer von der Welt zurückziehen - beschließt er, dass die Bomben der republikanischen Flieger Salven zu Ehren seiner Ehe sind. Die Verwandlung hat angefangen. Sein gesellschaftlicher Tod, der eines modernen Menschen, ebenso. Er ist im Begriff, sich für immer in die Literatur zu flüchten, und in diesem Sinn ordnet er sein Leben. Schluss mit den Liebesabenteuern mit modernen Fotografinnen und obszönen Tänzerinnen: Er
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nimmt sich eine besonnene Frau, die Geld hat, die über ihn lachen kann und die zugleich ein Symbol des Landes - seines Landes - ist, auf dem er eine Legende errichten will, die ihn überleben soll. Eine Legende, die seinen eigenen symbolischen Tod überleben wird, und welche die Folge eben dieses Todes sein wird. Alles andere hat er schon versucht und war in allem gescheitert. Nun beginnt das Leben des wahren Romanschreibers, des Villalonga, dessen hundertjährigen Geburtstag wir feiern: eines Mannes, der ein molltonartiger Proust sein wollte und dem dies gelang, indem er etwas anderes war. Eines Mannes, der auf Spanisch schreiben wollte, aber dem es die Umstände nicht erlaubten - die zogen den Behaviorismus, den Tremendismo eines Cela oder die geschwätzige Apparatur eines Romans wie Sánchez Ferlosios El Jarama'" vor - und eines Mannes, der sich ins Katalanische flüchtet wie jemand, der sich für immer zu Hause versteckt. Eines Mannes voller Widersprüche, der dazu neigt, das Bild einer Sphinx zu geben. Eines Rationalisten. Aber vor allem eines eleganten Mannes, des elegantesten der katalanischen Literatur des 20. Jahrhunderts, würde ich sagen, gemeinsam mit Marià Manent: gebildet, skeptisch, ironisch, vornehm und scharfsinnig, allerdings nicht unbedingt gütig. Er liebte, was es nicht gab, verachtete, was er gerade vor sich hatte. Zieht man all das in Erwägung, so kann es einen nicht wundern, dass sich dieser Mann lebendig begraben musste. Es war klar, dass er im Leben gestorben war, um ganz ein Schaffender zu sein. Aber zuerst versuchte er es einmal, und zwar auf eine Art und Weise, die vielen nicht gefallen mag und die ihn tatsächlich wie ein Schatten verfolgt hat. Ich meine den skandalösen Schriftstellerlehrling des Romans Mort de Dama - den Schriftsteller, der wie kein anderer die lokale Aristokratie und Intelligenz, die beiden Tabus des Stammes, ironisierte - , den snobistischen Kavalier, dem es lieber gewesen wäre, wären „El Círculo" ein englischer Club und „El Terreno" eine Zweigstelle des Montmartre gewesen; den Arzt, welcher der Falange beitritt und das Radio dazu benutzt, seine persönlichen Dämonen zu radikalisieren; den Mann, der tausend verschiedene Masken hat und doch nur noch ein einziger ist, und der ist nur in seinen eigenen Büchern zu finden, sonst nirgends. Sie sind seine Biographie. Sie sind sein Sieg. Auch wenn es - im In- und Ausland - viele gibt, die das noch nicht wissen. Wenn sie es einmal entdecken, ist es durchaus möglich, dass auch sie der Sucht nach Villalonga verfallen. JOSÉ CARLOS LLOP
Übersetzt von Helmut Frielinghaus unter dem Titel Am Jarama, Wiesbaden (1960). (Anm. d. Übers.)
Maria del C. Bosch Llorenç Villalonga: Übersetzungen und Pastiches' „Der Ausruf 'zut alors' des jungen Proust angesichts des Schauspieles einer Wolke, die sich in der Vivonne spiegelte, enthielt seinen ganz eigenen lyrischen Reichtum. Aber 'un écrivain n 'a pas, dans le sens courant, à inventer un livre, (puisque il existe déjà en lui) mais à le traduir '. Le devoir et la tâche d'un écrivain sont ceux d'un traducteur." Diese Worte stammen aus einem noch unveröffentlichten Brief, den Llorenç Villalonga am 12. August 19531 an Jaume Vidal Aleover richtete. Wieder einmal ist Proust der Bezugspunkt. Wenn also demnach die Aufgabe eines Schriftstellers darin besteht, das zu übersetzen, was er in seinem Inneren trägt, so darf es uns nicht überraschen, wenn er diese Aufgabe im weiteren Sinn dahingehend versteht, dass er das interpretiert, was andere Autoren geschrieben haben. Genau das aber hat Villalonga oft getan.
Villalongas Übersetzungen Im Jahr 1934 übersetzte Lloren? Villalonga Vicente Huidobros „Le Moulin" ins Spanische und veröffentlichte diese Übersetzung unter dem Titel „Caligrama" in Nummer 9 der Zeitschrift Brisas, in der er gewöhnlich fast alles publizierte. Der Chilene Huidobro führte 1918 jene poetische Ruhelosigkeit in Spanien ein, die sich dann in den Ultraísmo umsetzte. Vier Jahre später stellte er seine poémes-peints im Pariser Theater Édouard VII vor. Diese Gedichte mussten Villalonga zwangsläufig gefallen, da er eine Zeit lang mit Begeisterung die Neuigkeiten der Avantgarden verfolgte, wie seine Cuentos sintéticos (Synthetische Märchen) (1926-1927) und Cuentos blancos (Weiße Märchen) (1928) beweisen. Natürlich ist dem Mallorquiner der politische Aktivismus seines lateinamerikanischen Kollegen 2 und dessen aktive Unterstützung der
Ich behalte diesen Gallizismus im Sinn von .literarischer Text, der die Schreibweise eines Autors nachahmt' (Hachette) bei, da die Autorin des Artikels Pastiche und Imitation nicht als exakte Synonyme behandelt. (Anm. d. Obers.) Dieser Briefaustausch befindet sich im Archiv von Josep Lluis Aleover. Hier möchte ich ihm sowie Joan Alegret und Manuela Alcover für ihre Unterstützung danken. Alles, was Vicente HUIDOBRO (1893-1948) in den Dreißigetjahren veröffentlicht, verfolgt ein politisches Ziel: der Roman Lapröxima (1934) hat einen drohend bevorstehenden Krieg zum Thema, En la luna (1934) macht sich über die Diktaturen lustig, verschiedene Gedichte sind der UdSSR und dem spanischen Bürgerkrieg gewidmet usw. Bei Ausbruch dieses Bürgerkriegs mobilisiert er die Intellektuellen seines Landes zur Solidarität mit der Republik und 1937 befand er sich bereits in Spanien, zuerst bei Listers Truppen an der Front Aragoniens und später als Teilnehmer an den Schriftstellerkongressen, die in Madrid und in Valencia ge-
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spanischen Republik nicht bekannt, sonst hätte er das Gedicht wohl nicht weiter beachtet, auch wenn es ihn noch so verlockt hätte. Die Freiheit, die er sich bei dieser Übersetzung nimmt, ist ganz offensichtlich. Und es ist ja auch keineswegs ein leichtes Unternehmen, wie er selbst Jahre später in einem Interview gesteht: „Es ist unmöglich, ein Gedicht zu übersetzen. Es kann besser oder schlechter als sein Original aber nie gleich sein. Das Wort hat in jeder Sprache so etwas wie seine eigene Zauberkraft". 3 Die Prosa dagegen ist nicht so schwer zu handhaben. Im Jahr 1936 war Salvador Esprius ursprünglich auf Katalanisch verfasste „Psyché" 4 an der Reihe, dessen Übersetzung sehr wörtlich ist. Aber die Dichtung fasziniert ihn weiterhin, und so übersetzt er Jahre später, wahrscheinlich rein zum Vergnügen, „Le mot" von Catulle Mendès 5 und Jacques Préverts „No tengueu por" (Habt keine Angst) und „El baptisme de l'aire" (Die Taufe der Luft) (1952), 6 die bis dahin nicht veröffentlicht worden waren und in denen er bereits die fehlende Interpunktion des Originals außer Acht lässt, Verse hinzufugt und andere übersieht und mit dem Text in jeder Hinsicht macht, was er will. Von 1956 stammt die spanische Übersetzung des Briefwechsels zwischen Léon Bloy und Ricardo Vines7 und Roger Muniers „Contra la imagen" 8 (Gegen das Bildnis). Im letzten Fall ist seine Fassung übrigens ziemlich wörtlich, sozusagen als Auftakt zu seiner Übersetzung par excellence, Lampedusas II Gattopardo (Der Leopard) aus dem Jahr 1962. Dies ist sein erster und einziger Übergriff ins Italienische, den er wahrscheinlich auf Herausforderung seines Verlegers Joan Sales in Angriff nahm, der zwar diskutierte aber ganz unzweifelhafte Parallelismen zwischen diesem Roman und Villalongas Bearn
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halten wurden. Nach seiner Rückkehr nach Chile nimmt er sich vor, sein Buch Salud (von „Salud, camarada") zu veröffentlichen, das u. a. seine Berichte über die Pasionaria, die republikanischen Truppenffihrer Miaja, Lister, El Campesino und die in den internationalen Brigaden kämpfenden Schriftsteller enthält. J. Serra de GAYETA: „Les nostres lletres. Llorenç Villalonga: mite fet realitat", Cort, 721 (15. April 1975), S. 2 8 - 3 0 .
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Brisas, 24 (April 1936). Seine Autorenschaft erscheint nur im Inhaltsverzeichnis. Es war mir nicht möglich, die Originalfassung dieses Gedichts ausfindig zu machen. Catulle Mendès (1841-1909) schrieb sehr viel, sowohl Gedichte wie auch Romane und Dramen, was die Meinung Antonio Larios', des Helden Villalongas Epistolario intimo de Madame Erard, zu bestätigen scheint, wenn dieser am 3. November 1894 an seine Geliebte schreibt: „Ich werde aus der Mode kommen, wie auch Catulle Mendès". Das Datum der Übersetzung ist mir nicht bekannt. Jacques PRÉVERT (1900-1977) ist Autor vieler mit Musik versehener Gedichte, deren Inhalt frei und ziemlich nonkonformistisch ist. Wahrscheinlich war es vor allem dessen beißende Ironie, die Villalonga anzog. Die Gedichte „Le baptême de l'aire" und „Rien à craindre" sind in Histoires et d'autres histoires, Paris (1963), S. 818 und 826-827, enthalten. Veröffentlicht in Papeles de Son Armadans, 3 (Juni 1956), S. 348-370. Es war mir nicht möglich, die Übersetzung mit dem Originaltext zu vergleichen. In Papeles de Son Armadans, 7 (Oktober 1956), S. 23-33 veröffentlicht.
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sah. Es handelt sich also um einen etwas frivolen Auftrag. Zunächst versucht Villalonga, sich zu drücken, indem er erklärt, er verstehe zwar Italienisch, aber er spräche es sehr schlecht. Nach diesem wohl gerechtfertigten Domine, non sunt dignus gab er dann aber sein entschiedenes und endgültiges Ja.9 Ein knappes Jahr danach hat er den Auftrag erledigt. In seinem Vorwort10 erläutert er die Probleme, die er, angefangen beim Titel, beim Übersetzen hatte, rechtfertigt die Mallorquinismen, die er benutzt, um die Sizilianismen des Originaltextes wiederzugeben und gesteht schließlich, dass er seine Fassung mit der spanischen und mit der französischen verglichen hat. Die erste kritisiert er, weil er sie zu wörtlich findet; er verteidigt die sinngetreue Wiedergabe der wortgetreuen gegenüber. Die Grundsatzerklärung, die er hierzu abgibt, wäre großartig, würde er selbst sie respektieren: „Ein Übersetzer muss sein wie ein Kristall: Er muss sich selbst annullieren und dadurch durchsichtig machen", aber in seinem Fall besteht diese Durchsichtigkeit aus Zusätzen, Änderungen, Auslassungen und Interpretationen des Originaltextes, während das vermeintliche Kristall eher seine sehr eigene Ausdrucksweise und BegrifFswelt widerspiegelt. Leistet er nun zu viel oder zu wenig, sei es aus fehlender Sensibilität oder aus Nachlässigkeit, Villalonga ist weit davon entfernt, die Normen der aktuell gültigen Übersetzungsphilosophie zu respektieren. Es wäre ja noch schöner, sich durch Vorschriften einengen zu lassen! Das Ergebnis ist, dass seine Version des II Gattopardo heutzutage, nach über dreißig Jahren, keiner gewissenhaften Untersuchung standhält. Ich halte eine neue Übersetzung für unumgänglich, eine Fassung, die den Stil, die Feinheiten und die Poesie dieses bedeutenden Werkes der italienischen Literatur respektiert."
Die Pastiches „Alles war falsch", schreibt er, diennes pompejischer Stil, seine Imitation und Pastiche sind also der Autor seine Intelligenz und
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„imitiert, Pastiche, eine Stümperei wie BarSphinxe und Bronzeskulpturen". 12 Fälschung, für Villalonga eine Art Synonyme, mit denen Geschicklichkeit erneut unter Beweis stellt.
S. P. PUIMEDON I MONCLÚS: „La correspondencia entre Lloren? Villalonga i Joan Sales", Randa, 34 (1994), besonders den Brief vom 27. April 1961, S. 143-144. S. das Vorwort „Pröleg del traductor catalá" in Tomasi di Lampedusa: El Guepard, Barcelona (1962), S. 7-17. Diese Übersetzung verdient eine eigene Untersuchung. S. M. C. BOSCH: „El Guepard. Traducció de Villalonga o en nom de Villalonga?", Randa, 44 (2000), S. 99-111. LI. VILLALONGA: Les novel les del mite de Bearn, Barcelona (1980), S. 361. Erneut benutzt er dieses Wort in L'ängel rebel, Palma de Mallorca (1961), S. 46: „Meinst Du nicht, dass der Held des El vell i el mar dem Kino aus La Perla verdächtig ähnelt, und dass beide Werke etwas - ich würde sagen .gewollt', fast wie ein Pastiche - an Homer erinnern?"
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Pastiche, dieses aus dem Italienischen stammende Wort gehört in den Bereich der Schönen Künste. Es handelt sich hierbei um Bilder, die weder Originale noch Kopien sind, sondern um so gelungene Nachahmungen des Stiles eines anderen Malers, dass sie selbst einen Experten täuschen könnten. In seinem in Éléments de littérature (1787) erschienenen Artikel pastiche" definiert Jean François Marmontel den Begriff als „eine affektierte Imitation der Arbeitsweise und des Stiles eines großen Künstlers", denn während die Imitation die Größe eines Künstlers assimiliert, beschränkt sich das Pastiche darauf, das wiederzugeben, was die Imitation verschmäht. Der von ihm so bewunderte M. Proust hatte bei seiner Behandlung der Affäre Lemoine in Pastiche et Mélanges die Arbeitsweise und den Stil von Balzac, Flaubert, Henri de Régnier, Renan, Saint Simon und den Brüdern Goncourt imitiert. Bei ihm handelt es sich hier um ein Mittel, nicht um das Ziel; es ist ein Lernprozess in der Schule der großen Meister, der im eigenen Werk seinen Niederschlag finden soll. Er, der so sehr auf die Feinheiten achtet, spricht hier vom „Flair, das beim Lied eines jeden Autors unterschiedlich ist", und das er wahrnimmt, weil er „ein sehr feines Gehör hat". Das gelungene Pastiche ist für ihn nicht das Zeugnis eines guten Schriftstellers, sondern das eines gerechten Lesers. In seinen Augen handelt es sich hierbei um eine besonders geeignete Form de Kritik, und so schreibt er statt Literaturkritik eben Pastiches, d. h. eine Art Divertimenti der Literaturkritik in Aktion.13 Sicherlich könnte man auch beide Theorien auf Vi-llalonga anwenden. Dann gehörten Piaton, Voltaire, Valle-Inclän oder Proust zu den imitierten Autoren, während alle anderen eher Kandidaten für ein Pastiche wären.
A) Die griechischen Klassiker Villalonga las Piaton in seiner Jugend. „Ich bin kein Gelehrter. In meiner Jugend las ich ein wenig Piaton." Seine „Diálogos socráticos" (Sokratische Dialoge) erschienen zwischen dem 27. September und dem 22. November 1931 in sieben einzelnen Ausgaben in El Dia. Etwas später wird er sie ins Katalanische übersetzen und überarbeiten. Diese Dialoge und „La Xantipa"14 (Die Xanthippe) sind ein großartiges Beispiel des sokratischen Pastiches, in denen die Iro-
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S. Grand Diccionnaire des Lettres. Littératures, vol. 2, Paris (1989), S. 1210-1211. Wie Villalonga hat auch Ernesto Sábato 1950, nachdem er Prousts Pastiches gelesen hatte, diese Taktik angewandt, indem er „Calias o la cobardía (A la manera de Platón)", „Las tribulaciones de míster G.B. Shaw (A la manera de Chesterton)", „Tatarescu es invitado a comer en casa de Marcel (A la manera de Proust)" und "El doble tetrágono de Lisandro Medina (A la manera de José Luis Borges)" schrieb. S. El País (4. März 1995). Veröffentlicht in La dama de l'harem, Palma de Mallorca (1974), S. 15-46 und 75-94.
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nie und Lebhaftigkeit des Griechen bestens nachgeahmt sind, und die trotz der vielen Zitate Villaiongas persönlichen Federstrich erkennen lassen. In seiner Bibliothek befindet sich übrigens eine Ausgabe des Fedro und eine des Protägoras, aus denen er so viel Nutzen zog.
B) Katalanische Autoren Obwohl die Theoriker zwischen Pastiche und Parodie unterscheiden, treten sie doch gelegentlich gemischt auf, daher ist es wohl angebracht, hier die Gedichte der Aina Cohen in Morí de Dama (Tod einer Dame) anzusprechen, mit denen der Autor die Lyriker generell und ganz besonders eine Vertreterin der so genannten Mallorquinische Dichterschule {Escola Mallorquína) parodierte.15 Miquel Ferrá Alanís empörte sich deswegen folgendermaßen: „Verglichen mit den Gedichten, die sie lächerlich machen wollen, sind die geistlosen Parodien, mit denen das Buch endet, wie Nacktschnecken, die über eine Rose herfallen. Der Autor von Mort de Dama hat den Sinn der Dichtung so wenig verstanden wie ein Tauber die Musik Mozarts verstehen kann".' 6 Dass der Autor schwor, er hätte nicht beabsichtigt, sich über M. Antonia Salvá lustig zu machen, tut hier nichts zur Sache. Unter den zehn Jahre nach seinem Tod veröffentlichten Gedichten befindet sich eines, das Bände spricht; es handelt sich um eine Parodie des Gedichtes „L'Estiu" (Der Sommer) eben dieser Dichterin aus Llucmajor, in dem sie ein Volksthema bearbeitet: „Lai Lai farem un ventai / Lai Lai de plometa fina":17 Ofelia La lai, la castedat! Ofelia desventurada a dins el Uac aufegada, deis peixos joves picada mes no de l'enamorat. La lai, la castedat!1811
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Da mir in vielen Fällen das Kompositionsdatum der Pastiches unbekannt ist, werde ich die imitierten Autoren in alphabetischer Reihenfolge besprechen. ALANÌS: "AL marge de fets i llibres", El Dia (14. Mai 1931). S. „L'Estiu", in Antologia poètica, Barcelona (1957), S. 57. Die Volksweise ist wie folgt: „Lai lai farem un ventai / lai lai de plometa fina / [lai lai per ventar sa nina] / lai lai de pelleta fina / que no tenga calor mai". LI. VILLALONGA: Proses rimades, Valencia (1995), S. 99. Die Interlinearversion lautet etwa so: „La lai, diese Keuschheit! / unglückliche Ofelia / bist im See ertrunken / von jungen Fischen beknabbert / doch nicht vom Geliebten. / La lai, diese Keuschheit!" (Anm. d. Übers.)
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Miguel und Llorenç Villalonga bewundern Salvador Espriu. Llorenç hat dessen Ariadna al laberint grotesc (Ariadne im grotesken Labyrinth) immer auf seinem Nachttisch liegen. Jeden Abend liest er ein paar Seiten, fast immer dieselben. „Da er auf Katalanisch geschrieben war, irritierte mich der schöne Band Esprius", meinte dagegen Miguel," etwas sektiererisch. 1950 erscheint ein weiterer Band, in dem auch die Erzählung „Fedra" enthalten ist, einer „alten, hier neu präsentierten Legende", mit ein paar Versen seines Pseudonyms Dhey.20 Dessen Theaterstück war der Grund einer langen Auseinandersetzung mit dem katalanischen Autor.21 Ein bis jetzt noch unveröffentlichter Text fasst Esprius Novelle sehr gut zusammen und gibt auch „la cançô" (Das Lied) des Verfassers der La pell de brau (Die Stierhaut) wieder. Ein Plagiat entnimmt einem Werk einen Teil oder das Ganze, im Geist oder im Wort, ohne dies anzugeben. Villalonga ist sich dessen sehr bewusst, als er am 15. Juni 1969 Folgendes an Joan Sales schreibt: „Sollte ich ihn überhaupt schreiben, wird mein nächster Roman in gewisser Weise eine Hommage auf Mercè Rodoreda. Ein Plagiat vielleicht? Aber diese macht man doch heimlich, sozusagen mit Dämpfer, ich dagegen würde es ganz offen machen. Er könnte den Titel Lulû o la princesa que somriu a totes les conjuntures (Lulu oder die in allen Umständen lächelnde Prinzessin) tragen. Dabei wäre es die Zwillingsschwester der Heldin des Carrer de les Camèlies (Die Straße der Kamelien), den ich für einen wesentlich besseren Roman halte als La Plaga del Diamant (Auf der Plaça del Diamant); allerdings nicht im tragischen Ton, sondern eher im Gegenteil. Der schwarze Engel braucht als Ergänzung einen weißen".22 Und so fügt er leicht erkennbare Fragmente aus La plaça del Diamant in seine La Lulû ein.23
C) Spanische Autoren In diesem Punkt ist es überraschend, welche Autoren er imitiert. Man könnte meinen, Villalonga hätte eine volkstümliche und demokratische Ader entdeckt, die es im eigenen Werk nie gab, als ob er sagen wollte: „Auch das kann ich schreiben", und mit der spielerischen Vorstellung, die er von der Literatur hat, beginnt er auch gleich, dies zu beweisen. Als Beispiel könnte man Ramon de Campoamor zitieren, eine seiner „Jugendlieben". Wieder ist es sein Bruder
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M. VILLALONGA: Autobiografia,
20
S. S. ESPRIU: Obres
21
S. J. VIDAL ALCOVER: „Petita historia de Fedra i les seves versions", in Llorenf Villalonga i la seva obra, Barcelona (1980), S. 122-133.
Completes/4.
Madrid (1983), S. 358. Narrativa/2,
Barcelona ( 1 9 8 9 ) , S. 3 5 - 6 4 .
22
S. P. PUIMEDON i MONCLÚS: „La correspondència...", op. cit., S. 1 5 1 - 1 5 2 .
23
LI. VILLALONGA: La Lulú o la princesa que somriu a totes les conjuntures, Barcelona (1970), Kapitel 6. „Un amor de la Lulú", S. 64, 66-68.
Lloren? Villalonga: Übersetzungen und Pastiches
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Miguel, der uns das mitteilt. Dona Catalina, eine Dame, die bei den Villalongas verkehrte, hatte diesen Dichter kennen gelernt, konnte dessen „El tren expreso" (Der Eilzug) und „Los amores de una santa" (Die Lieben einer Heiligen) auswendig und schenkte den Brüdern ein Exemplar der Los pequeños poemas24 (Die kleinen Gedichte). Lloren? hat immer die narrative Dichtung Campoamors verteidigt; ihr gegenüber erschien ihm die so genannte „pure Lyrik" eine Narretei. So schreibt er ganz bewusst ein totales Pastiche auf das Gedicht „La noria"25 (Das Wasserrad) und auf „Mallorca-Santa Elena o el juego del chanelo"26 (Mallorca-Santa Elena oder das Dominospiel). In denselben Bereich gehört auch der Esperpento-Titel „Ejemplaridad del asesinato de Ventura Luis Vega" (Beispielhaftigkeit des Mordes an Ventura Luis Vega), ein unveröffentlichtes und unvollendetes aber doch vortreffliches Pastiche zu Camilo José Celas Roman La Colmena (Der Bienenstock): V.L. V. elgran escritor tremendista de la postguerra (VL.V, der große schockierende Schriftsteller der Nachkriegszeit), in dem dieselben Figuren auftreten, nämlich doña Rosa, señorita Elvira, el cerillero (der Streichholzverkäufer), Martin Marco, doña Matilde, doña Asunción, Julián Suárez Sobrón, la fotografa (die Photographin), Don Ibrahim Ostolaza und als Originalbeitrag das Porträt des VL.V, ohne den dieser kleine „Bienenstock" Villalongas unvollständig bliebe.27 Ebenso zur Linie Celas, allerdings mit einem weniger volkstümlichen Themenkreis, gehört die Erzählung „La señorita que no debía llegar a París (casi un cuento tremendista)" (Das Fräulein, das nicht in Paris ankommen sollte [fast ein schockierendes Märchen]), die in katalanischer Fassung unter dem Titel „Un capell de Paris"28 (Ein Pariser Hut) veröffentlicht und in den Band La gran batuda (Die große Treibjagd) aufgenommen wurde. Manuela Aleover hat das ästhetische Gedankengut Villalongas untersucht und dessen Klassizismus bewiesen.29 Wenn wir aber seinen Hang zur Imitation berücksichtigen, lässt sich diese Theorie nicht anwenden. „Canto al mantón" (Lied auf das Umschlagtuch) ist ein Pastiche auf Luis Fernández Ardavins Rosa de Madrid50 (Die Rose aus Madrid) mit Elementen aus „El relicario" (Der
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M . VILLALONGA: Autobiografía,
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„La noria" wurde im Santanyi, am 5. Dezember 1959 veröffentlicht. „Mallorca-Santa Elena o el juego del chanelo" ist bis jetzt unveröffentlicht. Das Manuskript besteht aus 27 handgeschriebenen Blättern. Die Beziehungen zwischen Villalonga und Cela waren nicht spannungsfrei. S. hierzu J. VIDAL ALCOVER in seinem „Pröleg a les Obres Completes", in Llorenf Villalonga i la seva obra, op. cit., S. 40. S. auch J. Pomar:
26 27
op. cit., S. 8 3 - 8 4 .
La rao i el meu dret, Mallorca (1995), S. 269-275. 28
Serra d'Or, 11 (November 1960), S. 31-32. S. LL. VILLALONGA: La gran batuda, Barcelona
25
M. ALCOVER: Llorenf Villalonga i les belies arts. Un ideal estétic noucentista, Palma de Ma-
( 1 9 6 8 ) , S. 1 1 - 1 6 .
llorca (1996). 30
L. FERNANDEZ ARDAVÍN (1891-1962) schrieb zahlreiche Zarzuelas, Dramen in Prosa und in Vers, Komödien, Erzählungen und Übersetzungen. Er gehörte zu den romantischen Schrift-
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Reliquiar). Zu demselben Bereich der Imitationen zweitrangiger Literatur, die deswegen nicht weniger gelungen sein müssen, könnte man auch „El síncope de la condesa" (Die Synkope der Gräfin), eine Nachahmung des Humoristen Tono, rechnen.31 Soviel mir bekannt ist, hat Villalonga nie seine Bewunderung für Manuel Machado geäußert. Dennoch ist es unbestreitbar, dass er ihn gelesen, im eigenen Werk zitiert und auch nachgeahmt hat. So wiederholt er in seinem Gedicht „Helena de Esparta" (Helene aus Sparta) die aus „Adelfos" (Oleander)32 stammenden Verse „No se ganan se heredan / Elegancia y Blasón" (Nicht gewonnen sondern geerbt werden / Eleganz und Wappen); andererseits erinnert die Formulierung „en que aromaba el nardo / moria la azucena" (in der die Narde duftete / die Lilie starb) an eben diese Blume, die der sevillanische Dichter mehrmals benutzt hatte.33 Die Gedichte politischen Inhalts „Falange", „AI rey Abdallah, señor de poderosa majestad" (Dem König Abdallah, mächtiger Herrscher und Majestät) und „La democracia" (Die Demokratie)34 könnten ihre Vorbilder in Machados „Oración a José Antonio" (Gebet an José Antonio), „Francisco Franco", „Tradición" (Tradition), „Toledo, blasón de España" (Toledo, Spaniens Ruhm), „¡Emilio Mola! ¡Presente!" (Emilio Mola! Hier!), „¡Bienvenido, capitán!" (Willkommen, Kapitän!) und „Tarifa-Toledo. Ayer y hoy" (Tarifa-Toledo. Gestern und heute) haben." Andererseits könnte „Mal llamp, Abel!" (Donnerwetter, Abel!) sich in „Abel"36 inspirieren, „Doña Maria de Padilla" in den Porträts Philipp IV oder des Alvar-Fáñez, von Don Miguel
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stellern und war in der Theaterszene ebenso bekannt wie Marquina und Permán. 1950 waren über 70 Stücke von ihm aufgeführt worden. Rosa de Madrid wurde am 27. November 1925 in Bilbaos Theater Arriaga uraufgeführt und 1954 in Madrid veröffentlicht. Antonio DE LARA (1896-1978) war ein Humorist, der in Journalismus, Theater und Kino tätig war. Er war Mitarbeiter der Zeitschriften La Esfera, Nuevo Mundo, Mundo Gráfico, Buen Humor, La Codorniz und La Ametralladora. Zusammen mit M. Mihura, J. López Rubio und J. Poncela gründete er die humoristische Zeitschrift Gutiérrez. Es ist etwas überraschend, dass Villalonga versucht, diesen Autor zu imitieren; in seiner Bibliothek besaß er ein Exemplar seines Diario de un niño tonto (Tagebuch eines dummen Jungen), Barcelona (1948), dessen letzte Seiten er nicht einmal geöffnet hatte. LI. VILLALONGA: Proses rimades, op. cit., S. 66-73. S. M.C. BOSCH: „Notes a l'entorn d'Helena d'Esparta de Lloren? Villalonga", Estudis Baleärics, 40 (Juli 1991), S. 13-20. S. folgende Zitate aus M. MACHADO: Antología poética, Barcelona (1982): „Tengo el alma de nardo del árabe español" (,Adelfos", aus Alma [1898-1900], S. 83); „Y en la mata de nardos / la poesía" („Mis amores", aus Tristes y alegres [1894], S. 73); „...y de su pelo / al besarla cayéronse los nardos" („¡Ya no!", aus Tristes y alegres, S. 70); „De sedas cubierto / sin armas al cinto, / con alma de nardo, / con talle de lirio." („Gerineldos, el paje", aus Alma, S. 101). Ll. VILLALONGA: Proses rimades, op. cit., S. 47, 74 und 136 „Oración a José Antonio" ist in Horas de Oro (1938) zu finden, alle anderen im Anhang oder Apéndice der Antología poética, op. cit., S. 368-369 und 386-389. LI. VILLALONGA: Proses rimades, op. cit., S. 152. S. M. Machado: „Abel", in Caprichos (1900-1905), veröffentlicht in der Antología poética, op. cit., S. 127.
Lloren? Villalonga: Übersetzungen und Pastiches
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de Mañara oder aus „Un hidalgo" 37 , und schließlich „Una virgen de Sandro Boticcelli" (Eine Jungfrau von Sandro Boticcelli) in „Sandro Boticcelli. La Primavera" (Sandro Boticcelli. Der Frühling).38 Diese Gedichte bilden eine Trilogie zusammen mit „Principe de Medievo" (Prinz des Mittelalters) und „Poderoso arquitecto"" (Mächtiger Architekt), mit dem Vermerk „(En la lira de otro)" (Auf der Lyra eines anderen).39 Villalonga verwirrt seinen Leser, indem er auf die Angabe des Originaltitels und der von Machado zitierten italienischen Quelle verzichtet. Das Ergebnis ist nun beinah ein Plagiat: Era grande, atleta y artista, poderoso, operante y arquitecto! En pintarlo gladiando, desnudo, ilustró su pincel Tintoretto. Viejos folios nos narran su historia de asesino elegante y discreto. La traición lo mató, mas en vano: dejó un cuadro, un puñal y un soneto.40 UI Manuel Machados Fassung des „Oliveretto de Fermo. Del tiempo de los Médicis" (Oliveretto de Fermo. Aus der Zeit der Medici) ist wie folgt: Fue valiente, fue hermoso, fue artista, inspiró amor, terror y respeto. En pintarle gladiando desnudo ilustró su pincel Tintoretto. Machiavelli nos narra su historia de asesino elegante y discreto.
M.C. BOSCH: „La dona a la poesía de Lloren? Villalonga", en Paraula de Dona. Actes del Colloqui Dones, Literatura i Mitjans de Comunicació, Tarragona (1997), S. 305. S. M. Machado: „Museo" aus Alma und „Museo. Primitivos" (1910) aus Antología poética, op. cit., S. 95, 174 und 179. LI. VILLALONGA: Proses rímades, op. cit. S. 75. S. M. Machado: „Apolo. Teatro pictórico" (1910), in Antología poética, op. cit., S. 186. „Amb la lira d'altri" ist der Ausdruck, den LI. RIBER vor seine „Les Fades", „Booz adormit" und „La llegenda de Santa Casilda" in Sol ixent stellt. S. Obres completes, Barcelona (1949), S. 78-89. LI. VILLALONGA: Proses rimades, op. cit., S. 76. In der heutigen Fassung sind einige kleinere Varianten gegenüber des im zitierten Buch veröffentlichten Text zu beobachten. Interlinearversion: „Er war groß, Athlet und Künstler, / ein mächtig wirkender Architekt! / Nackt im Zirkus kämpfend / malte ihn Tintoretto und machte so seinen Pinsel berühmt. / Vergilbte Blätter erzählen uns seine Geschichte, / die eines eleganten und diskreten Mörders. / Ihn tötete der Verrat, doch umsonst: / hinterließ er doch ein Bild, einen Dolch und ein Sonett." (Anm. d. Übers.)
Maria del C. Bosch
44 César Borgia le ahorcó en Sinigaglia... Dejó un cuadro, un puñal y un soneto."' "
In „Ay de mí" (Oh, ich Armer!) 42 parodiert Villalonga schließlich das titellose Haikai von Machado, dessen Anfang identisch ist, und stellt so unter Beweis, wie gut er die Kunst der Imitation beherrscht, ganz egal welchen Stils oder welcher Art. Villaiongas Werk bewegt sich sehr oft in der Nähe des Esperpento. Tatsächlich befinden sich in seiner Bibliothek sehr viele Titel von Ramon del Valle-Inclán, deren Seiten unterstrichen und mit Randbemerkungen versehen sind, was die Genauigkeit, mit der er sie las, ganz offensichtlich macht. So bewegt sich „Fray Servando", ein unveröffentlichtes Gedicht, ganz in der lyrischen Linie des galicischen Autors.43 Abgesehen von ganz konkreten Zitaten44 ahmt Villalonga die ansteckende und leicht erkennbare Lyrik, mit der Valle-Inclán sein Werk überfüllt: És mes de setembre l'any 49; hi va haver gran cock-tail: no hi hagué renou. Tres-centes persones -que molt prest es diuconvisqueren sense sa Guàrdia Civil. No es romperen copes, i ses cueretes foren respectades, com ses senyoretes.
M. MACHADO: „Alma", en Antología poética, op. cit., S. 96. Machiavell erzählt Oliveretto di Fermos Mord im Kapitel VII seines II Principe. Interlinearversion: „Er war tapfer, war schön, war Künstler. / Er inspirierte Liebe, Terror und Respekt. // Nackt im Zirkus kämpfend / malte ihn Tintoretto und machte so seinen Pinsel berühmt. // Machiavell erzählt uns seine Geschichte, / die eines eleganten und diskreten Mörders. // Cesar Borgia henkte ihn in Sinigaglia... / Er hinterließ ein Bild, einen Dolch und ein Sonett." (Anm. d. Übers.) S. M. MACHADO: „Madrigales", in Antología poética, op. cit., S. 363. Es erinnert an Nummer VII „Prosas de dos ermitaños" und VIII „Ave Serafín", die zu „Aromas de leyenda" der Claves Líricas gehören. „Solana ya no es Solana / que es segundo Guasintón! / Tié 'Recreo' i toa la hostia / de una culta población!", aus El Ruedo ibérico 11, Viva mi dueño, Buch 5 („Cartel de ferias"), wird im 5. Kapitel („Feredat") des Titels Les Fures und im „Desbarat" A través de la Manxa el 1945 zitiert.
Llorenç Villalonga: Übersetzungen und
Pastiches
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Fou a can Serralta dat per Polignac cock-tail sense escàndol no es 'via vist mai. (Potser, si bé es mira, això és lo immoral.)45 v
D) Französische Autoren Die Faszination, die das französische 18. Jahrhundert auf Villalonga ausübte, ist allgemein bekannt. So bewunderte er Prévost, die Memoiren der Marquise de la Tour du Pin, Molière und dessen Celimène und Voltaire, den er als „einen großen Mann unter dem Anschein der Leichtigkeit"46 bezeichnete, oder auch als einen „unfrommen Schriftsteller, der mich entsetzt und anzieht wie ein Abgrund".47 In einem Interview mit Baltasar Porcel beantwortete er dessen Kommentar „... Sie waren ein Anhänger Voltaires" so: „Voltaire fasziniert mich seit meiner Jugend wegen seiner Katzenartigkeit und weil er, wenn schon kein guter Katholik, so doch Deist war. Und zwar ein intelligenterer Deist als jene atheistische Marquise und Anhängerin Diderots, die beim Erwähnen des Namens Voltaire zu sagen pflegte: 'Lasst mich mit diesem Betbruder in Ruhe'."48 Diese Faszination fur L.M. Arouet, der wie er selbst Übersetzer und Imitator war, offenbart sich erneut im Pastiche. In seinem Gedicht „Lisboa.
45
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46
47 48
LI. VILLALONGA: „Cock-tail a un vei palau", in Desbarats, Palma de Mallorca (1965), S. 173. Es erinnert z. B. an die Vierzeiler der La marquesa Rosalinda: „El marqués d'Olbray / viejo repintado, / aparece como / si fuese evocado. // Surge Colombina / como una muñeca, / toda vana y hueca, pintada de harina" usw. Vgl. mit denen des La Corte de los milagros, die thematisch den Kompositionen mit dem Titel „Superación y plagio de don Ramón del Valle-Inclán" seines Bruders Miguel näher stehen, deren berühmte und schwarze Voraussage Lloren? populär machte: „Se teme y se espera / salte un general": „A la Isabelona, / el padre Claret / le trajo de Roma / polvos de rapé! // ¡Isabel y Marfori! / ¡Patrocinio y Claret! / ¡Para formar un banco / vaya cuatro pies!" usw. Interlinearversion: „Es ist September / im Jahre 49; / da gab es eine große Cocktailparty:/ ohne jeden Zwischenfall. // Dreihundert Personen / - das ist schnell gesagt - / waren da zusammen ohne / die Guardia Civil. // Keine Gläser gingen kaputt, / und die Löffelchen / wurden geschont, / wie auch die Fräuleins. // Das war im Hause Serralta / und es gab sie Polignac / eine Party ohne Skandal / das hatt' man noch nie gesehn. // (Vielleicht, nimmt man's genau, / ist eben das die Unmoral)." (Anm. d. Übers.) J. CRUSET: „Lloren? Villalonga, nostálgico cronista de un mundo desaparecido", La Vanguardia Española (27. April 1967). LI. VILLALONGA: Falses memöries de Salvador Orlan, Barcelona (1967), S. 57. „Lloren? Villalonga com el IIUQ", in B. PORCEL: Grans catalans d'ara, Barcelona (1972), S. 221.
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Resurgida del terremoto de 1775" (Lissabon, auferstanden nach dem Erdbeben)49 hat man die Spuren des „Poème sur le désastre de Lisbonne" gesehen, und das „Epître à L. V"50 von Madame Erard könnte ein Widerhall der rund hundert Épîtres, die der Franzose auf verschiedene Damen verfasst hat, sein. In seinem Prosaband La dama de l'harem (Die Haremsdame), die der Autor als ein „fast voltairisches Pastiche" bezeichnet, erinnert Villalonga an Zadig, ou La destinée, das er möglicherweise in der Übersetzung von Marchena, die sich in seiner Bibliothek befand, gelesen hatte. Jaume Vidal Aleover lobt seine Absichten und seine ironische Qualitäten folgendermaßen: „Selbst der Autor des Zadig würde nicht zögern, diese kurze Erzählung zu unterzeichnen, das die besten Eigenschaften des Genres in sich vereint: Anmut, Leichtigkeit und das, was die Franzosen seit dem 18. Jahrhundert esprit nennen. Wie in Voltaires Märchen spielt die Handlung der Erzählung Villaiongas in einem imaginären Land im Osten, und der Autor verteidigt eine These, deren Unsinnigkeit er mit Ironie unter Beweis stellt".5' Història d'un negret (Die Geschichte eines kleinen Negers) ist durch und durch ein Pastiche auf Voltaire, nicht nur „fast". Hinter diesem bis jetzt unveröffentlichten Märchen sieht man Voltaires Memnon, da es dieselbe ironische Haltung den guten Vorsätzen und der Gutgläubigkeit seiner Hauptfigur gegenüber einnimmt, die wie eine Marionette von der rauen Wirklichkeit geschüttelt und geschlagen wird. Der „Diàleg de l'ànima que es desdobla davant el llibre per escriure (a la manera de Prévert)" (Dialog mit der Seele, die sich vor dem zu schreibenden Buch zweiteilt [auf die Art und Weise des Prévert]), zum ersten Mal am 24. April 1953 in Baleares veröffentlicht,52 beweist, dass Villalonga den Franzosen nicht nur übersetzt (1952),53 sondern zugleich auch dessen Imitation in Angriff nimmt. Die Quelle ist hier „Page d'écriture" aus Paroles, in der Prévert eine Vorlesung elementarer Arithmetik hält, die Villalonga in eine Einführung in die Syntax verwandelt.54 Die bekanntesten Pastiches Villalongas mögen die auf M. Proust sein: „Charlus a Bearn" (Charlus in Bearn) und „Marcel Proust intenta vendre un De Dion-Bouton" (Marcel Proust versucht, einen De Dion-Bouton zu verkaufen).55 Kürzlich wurde die Trilogie vervollständigt mit dem pastiche de Marcel Proust"56 (Pastiche des Marcel Proust), am 2. August 1952 in La Semana
49
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LI. VILLALONGA: Proses rimades, op. cit., S. 60. Vgl. Oeuvres complètes de Voltaire, Paris (1843), vol. II, S. 508-512. LI. VILLALONGA: Proses rimades, op. cit., S. 90. S. VIDAL: „LOS .pastiches' de Lorenzo Villalonga", Baleares (2. Oktober 1958). Später veröffentlicht in den Proses rimades, op. cit., S. 108. Vgl. Fußnote 6. „Page d'écriture" aus Paroles ist zu finden in Oeuvres complètes, I, Paris (1992), S. 100-102. Veröffentlicht in El lledoner de la clastra, Palma de Mallorca (1958), S. 39-73 und 75-101. S. M. C. BOSCH: „Llorenç Villalonga, un senyor que coneix Proust", in Llorenç Villalonga.
Llorenç Villalonga: Übersetzungen und
Pastiches
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en Mallorca veröffentlicht, und zwar in Form eines langen Briefes im reinsten proustschen Stil, der in den Epistolario intimo de Madame Erard (Der private Briefwechel der Madame Erard) gehört, der seinerseits einen kurzen Brief Prousts an den Held Antonio Larios enthält, eine perfekte Replik der proustschen Neurose." Nach J. Vidal Aleover besteht der Unterschied zwischen Proust und Villalonga vor allem darin, dass Proust es Ernst meint, während Villalonga ihn ironisiert. Er hält „Charlus a Bearn" für besser, obwohl es Proust weniger nahe steht, und er unterstreicht, wie gut der proustsche Geist und Stil in „Marcel Proust intenta vendre un De Dion-Bouton" gelungen ist.58 Im Jahr 1954 feiern die Dichter der Escola Mallorquina den doppelten hundertsten Geburtstag von Miquel Costa i Llobera und Joan Aleover.59 Da schlägt J. Vidal Aleover, ein enfant terrible, der die Mitglieder dieser Schule gern angriff,60 vor, den hundertsten Geburtstag des poète maudit Rimbaud zu feiern und organisiert eine dementsprechende Veranstaltung im Circulo. Ergebnis dieser Erinnerungsfeier sind seine eigenen Übersetzungen und die von LI. Moyà Gilabert, J.M. Llompart, G. Efak und G. Colom, der gleichzeitig auf beiden Seiten dieses „Wettkampfs" teilnahm. Möglicherweise wagte Villalonga es nicht, mit diesen authentischen Dichtern auf dem Feld der Übersetzung zu wetteifern, auf dem er doch selbst sehr großzügig und wenig respektvoll ist. Anscheinend entschied er sich für das Pastiche. Und tatsächlich stammt aus diesem Jahr „La peripatètica" (Die Peripatetikerin), die den Untertitel „Pastiche de Rimbaud" trägt.6' 1957 schreibt er das unveröffentlichte Gedicht „Madrigal",62 das den „Caprices. I Femme et chatte" P. Verlaines Poèmes saturniens sehr nahe steht. Vor über dreißig Jahren (1923) hatte er das lange Gedicht „Histoire d'un gifle (D'après Lucien Létinois par Verlaine)"63 geschrieben, in dem er Corbeta in
57
Camins creuats, IV, Lleida (1997), S. 185-187. Vgl. LI. Villalonga: Epistolario intimo de Madame Erard, Palma de Mallorca (1997), S. 145-148. Es gibt auch noch ein sechseitiges, unveröffentlichtes Manuskript Villaiongas auf Katalanisch. LI. VILLALONGA: Epistolario intimo de Madame Erard, op. cit., S. 161.
58
J. VIDAL: „LOS 'pastiches' d e Lorenzo Villallonga", op. cit.
59
S. A. Nadal i M. Pons: „1854-1954: un homenatge a Rimbaud", Estudis Baleàrics, 44-45 (1992-1993), S. 67-98. S. J. VIDAL ALCOVER: „Nota epilogal i sonets deuterocanônics", in Sonets alexandrins, Manacor (1981), S. 86. Der Autor erklärt dort Folgendes: „Les esplugadores ist nichts anderes als eine Paraphrase Rimbauds Les chercheuses de poux der genauen Übersetzung, die Josep Maria Llompart von diesem Text verfertigte, als wir 1954 eine Hommage auf diesen Poeten aus Charleville veranstalteten, mit der wir friedlich, aber doch auch etwas frech, auf die offizielle Doppelhommage reagieren wollten, die im selben Jahr zum hundertsten Geburtstag von Costa i Llobera und Joan Alcover gefeiert wurde".
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LI. VILLALONGA: Proses rimades,
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S. P. VERLAINE: Antoiogia poética, op. cit. Anthologie poétique, Barcelona (1984), S. 108-109. S. Oeuvres poétiques complètes de Verlaine, Paris (1962), Bd. 47, S. 443-463.
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op. cit., S. 110-111.
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ähnlichen Tönen besingt, wie Verlaine die Geliebte in seinem „Lucien Létinois" en Amours, einem epischen Gedicht aus 25 Strophen. Und erneut schließt sich der Kreis.
Schlussfolgerungen Seit seiner Jugend, genauer gesagt, jeweils seit 1923 und 1934, widmet sich Villalonga dem Pastiche und der Übersetzung. Es ist also nicht allzu überraschend, dass seine Übersetzungen nicht besonders treu und glaubwürdig sind, vor allem in Anbetracht der Respektlosigkeit, die er schon dem eigenen Werk gegenüber an den Tag legt. Andererseits entspricht das Pastiche vor allem dem verspielten Wesen, das für seine Literatur charakteristisch ist,64 und auch der Kunstfertigkeit, mit der er die unterschiedlichsten Stilformen und Themen von Autoren, die ihn als Leser anziehen, in sich aufnimmt. Es ist wohl nicht übertrieben, zu behaupten, dass die Pastiches besonders gelungene farbige und formenreiche Gebilde innerhalb des Kaleidoskops seines Gesamtwerkes darstellen. M A R I A DEL C . BOSCH
Universität de les Illes Balears
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Ein Brief, den Villalonga am 12. August 1953 an J. Vidal Aleover schrieb, scheint diese Behauptung zu bestätigen: „Da dieser Brief (vielleicht) etwas dogmatisch ausgefallen ist, lege ich Dir ,E1 Pare del Teix' bei, einem Gedicht ,in der Manier von...' Ohne die letzten vier Verse, die von mir stammen, könnte es sehr wohl von irgendeinem unserer erhabenen Poeten sein. Du glaubst mir nicht? Wenn ich Dir versichern würde, es ist von Juan Pons, Blai Bonet, B. Vidal oder J. Vidal: würdest Du daran zweifeln? Nun, es ist von Lorenzo Moyà. Und, Scherz beiseite, das Gedicht ist nicht schlecht. Moyà - der Dich grüßen lässt - hat in ein-zwei Jahren viel dazugelernt". Es handelt sich um folgendes Gedicht: „Piscina de marbré, / foc, mirali i sol. / L'abella és en l'aigua / i el peix en la fior. // Nina, nina, nina, / la rosa se'n vola. / La tarda s'aprima / i el sol s'esmicola. // La rosa dins l'aigua / la imatge assegura. / Piscina de marbré / abella que sura. // Lluita en primavera / (l'aigua és un caliu), / Tabella primera / i el peix que se'n riu. // El peix i Tabella, / no hi ha compostura: / la rosa vermella / Tabella que sura. / / 1 axi, jugant la primavera, / jugant l'incendi del pare a baix del Teix / el peix va concretar la seva ànsia postrera / i Tabella picà al peix."
Carme Arnau Die Universalität des Romans Bearn o la sala de nines Ohne jeden Zweifel muss man Lloreng Villalonga zu unseren modernen Klassikern rechnen. Aus seiner Produktion ragt der Roman Bearn o la sala de nines (Bearn oder das Puppenkabinett)1 hervor, der einhellig als sein bestes Werk gilt; es ist auch sein universalstes, ein Aspekt, den der Autor selbst unterstrich, als er meinte, dass es das Werk war, „das ich am liebsten geschrieben habe. Es hat gefallen". Allerdings behandelt Villalonga hier Themen, die für sein ganzes Schaffen bezeichnend sind, vor allem aber eines: die Dekadenz oder, besser gesagt, das Verschwinden einer sozialen Klasse, einer Welt, die auch und vor allem die Werte beinhaltete, auf welche diese Klasse sich stützte. Aber der Autor pflegt auch mit einer Figur zu spielen, die sich von den Grenzen, von den Abgründen angezogen fühlt, eine Attraktion, die sich durch die ganze Literatur der Moderne zieht und die sich, im Fall unseren Autors, in stark zweideutigen Beziehungen und im Spiel mit Drogen äußert. Bereits in Villalongas Falses memöries de Salvador Orlan (Falsche Memoiren des Salvador Orlan) einer Art Memoiren, deren Titel schon auf die Attraktion, die das Spiel und die Paradoxe auf deren Schöpfer ausüben - bereitete sich der Erzähler seit seiner Kindheit „darauf vor, alle möglichen verbotenen Dinge zu machen, wobei Gott mir nur lästig war".1 Wenn wir also diese sich in seinem ganzen Schaffen wiederholenden Merkmale berücksichtigen, warum ist dann Bearn, sein wohl gelungenstes Werk, auch das universalste? Eben das will ich in der Folge untersuchen. Goethe betonte, dass jede Literatur frischen Wind aus dem Ausland braucht, wenn sie nicht muffig werden will. So sagte er auch zu Eckermann: „Ich sehe mich daher gerne bei fremden Nationen um und rate jedem, es auch seinerseits zu tun. Nationalliteratur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Weltliteratur ist an der Zeit, und jeder muss jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen"." Villalongas Literatur ist tief in der mallorquinischen Wirklichkeit verankert, d. h. in einem konkreten Raum, den der Autor sehr gut kennt - wobei man von einem Regionalismus sprechen kann, der zur Quelle von Universalität wird, wie Josep Pia meint, um einen im selben Jahr wie Vi-
1
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Eine Übersetzung ins Deutsche erschien 1991 unter dem Titel Das Puppenkabinett des Senyor Bearn in München. (Anm. d. Übers.) LI. VILLALONGA: Falses memöries de Salvador Orlan, Barcelona (1967), S. 32. Aus dem Original zitiert nach der elektronischen Ausgabe von Eckermanns Gesprächen mit Goethe im Projekt Gutenberg http://www.gutenberg2000.de//eckerman/gesprche/, Gespräch vom 31. Januar 1827. (Anm. d. Übers).
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llalonga geborenen Autor anzuführen - , und sie bekommt sozusagen frischen Wind durch das aktive Mitwirken von ausländischer Seite her in Bearn-, so erreicht sie, ohne sich selbst untreu zu werden, eine unbestreitbare Universalität. Diese wird zunächst einmal durch die erneute Aktualisierung der Faustsage die Villalonga bereits in seinem Bühnenstück Faust zum Thema machte - erreicht, einer Sage, die biographisch zu sein pflegt und für die sich schon viele und bedeutende Schriftsteller interessiert haben; es handelt sich dabei um eine Maske, hinter der Villalonga sich überzeugend tarnt; in seinen Falses memòries de Salvador Orlan hatte er den biographischen Sinn seines ganzen Schaffens bereits angesprochen: Alle Bücher, die ich geschrieben habe, müssten in diesen Memoiren enthalten sein, da ich sie mehr oder weniger gelebt habe; nun ja, ich habe Tatsachen ausgesucht oder weggelassen, manche Anekdoten verfälscht und die Zeitabfolge etwas durcheinander gebracht.2 In einer Arbeit, die den ganzen Weg der Faustsage, von seinem Ursprung bis in die Aktualität hinein, verfolgt, wird unter den Autoren und Werken, die dieses Thema behandelt haben, eine ,fine comédie du catalan LI. Villalonga, en 1956, encore, montreront à quel point le public fasciné s'identifié à Faust et Marguerite", erwähnt, eine Komödie, die äußerst irrtümlicher Weise als romantisch qualifiziert wird.3 Andererseits stützt sich die Universalität förmlich und ideologisch auf den Einfluss der französischen Literatur des 18. Jahrhunderts generell - ein Einfluss, der die Erzählung leichter fließen lässt - und ganz besonders auf Voltaire und La Fontaine, die in Bearn auch erwähnt werden. Übrigens fühlte sich - wohl gerade wegen dessen Hang zum Dunklen und Dämonischen, wie Villalonga - auch Gide besonders zu La Fontaine hingezogen, laut ihm nur aufgrund verschiedener Themen oder Aspekte, oder auch weil er sich bereits von der romantischen Beharrlichkeit entfernt.4 Aber der Einfluss, den die französische Literatur auf Villalonga ausübt, beschränkt sich nicht auf das 18. Jahrhundert, sondern er bezieht auch ganz besonders die maîtres à penser, die Anfang des 20. Jahrhunderts ihr Werk schrieben, mit ein. Auf den Einfluss, den Anatole France auf sein Schaffen ausübt, wurde bereits hingewiesen, aber wohl weniger auf den Paul Valérys, den Damià Ferrà-Ponç anspricht, oder auf den eben erwähnten von André Gide. Dieser gründete zu-
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LI. VILLALONGA: Falses memòries, S. 100. A. DABEZIES: Le mythe de Faust, Paris (1972), S. 137 und 240. David-Raül MARTÍNEZ GILÍ in „Gide: Anàlisi comparativa de L'Angel rebel i Eis falsifìcadors de la moneda" betont das Interesse, das Villalonga diesem französischen Autor entgegenbrachte, seit er 1929 Paris besucht hatte. Actes del Desè Col loqui Internacional de Llengua i Literatura Catalanes (Frankfurt am Main, 8. - 25. September 1994), Bd. II, Barcelona (1996), S. 115-127.
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sammen mit Copeau und Schlumberger die seit 1912-13 sehr einflussreiche Zeitschrift La Nouvelle Revue française, auf deren Seiten sie eine Art modernen Klassizismus vertraten, mit dem sie zu den alten griechischen und römischen Mythen zurückkehren wollten, auf die ja generell in Krisenzeiten zurückgegriffen wird; eben diese literarischen Absichten, denen Villalonga sehr nahe stand, finden sich auch ganz besonders in Bearn. Die Literatur dieses mallorquinischen Schriftstellers, die sich vom Seelenanalyse betreibenden Roman abwendet und geradezu im Gegensatz zu einem dessen größten Vertreter, nämlich den von Villalonga ausdrücklich abgelehnten Dostojevskij, steht, hat als erstes Ziel den Leser zum Denken zu bewegen, wie er selbst in einem Interview mit Baltasar Porcel bemerkte: Ich beabsichtigte meine Ideen auszudrücken, zu sagen, was ich denke, um dies dann in jeder erdenklichen Sprache zu veröffentlichen... 5
Auch Gide und Valéry drückten dieselbe Absicht aus, die sich durch ihr ganzes Werk zieht; in diesem Sinn meinte Valéry, dass Je but d'un ouvrage - honnête - est simple et clair: faire penser. Faire penser, malgré lui le lecteur".6 Schon Goethe, den Valéry sehr schätzte, hatte erklärt, dass die Kunst in gleicher Weise eine geistige Beschäftigung sei wie die Wissenschaft, zu der er sich ja immer hingezogen gefühlt hatte und der er sich ebenso widmete. Vicent Simbor hat den Abstand, den Villalonga dem psychologischen Roman gegenüber wahrte, hervorgehoben, indem er beobachtete, dass in seinen Werken „nicht der Reichtum an innerem Leben das Entscheidende war, sondern ihr ideologischer Unterbau, die Weltanschauung, die sie vorschlagen".7 In Bearn muss man, was die Rückgewinnung der Vergangenheit und vor allem deren Mythologisierung angeht, auch noch den Einfluss Prousts hinzurechnen. In diesem Roman bemerkt der Erzähler, dass der Herr Bearns in den Memòries „nicht so sehr bezweckte, eine Doktrin zu verteidigen, sondern vor allem das Denken zum Arbeiten zu bewegen, etwa so als ob es sich um eine Art Gymnastik handeln würde; auf diese Art wollte er alle Erinnerungen, die er erlebt, und alle Menschen, die er geliebt hatte, verewigen" (S. 58).® Bei der Lektüre der Autoren, die hinter der Zeitschrift La Nouvelle Revue française steckten, besonders aber des Romans Le lion devenu vieux von Jean Schlumberger - der zu diesem Kreis gehörte und mit Gide gut befreundet war
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Baltasar PORCEL: „Lloren? Villalonga, com el IIUQ", in Grans catalans d'ara. Obres Completes, vol. 6, Barcelona (1994). Zitiert nach Daniel OSTER: Monsieur Valéry, Paris (1981), S. 148. Vicent SIMBOR: „Novel la psicológica / novel-la d'idees", in Actes del Desé Col loqui Internacional de Llengua i Literatura Catalanes. (Frankfurt am Main, 8.-25. September 1994), Bd. I, Barcelona (1995), S. 319-335. Ich zitiere hier nach der Ausgabe des Bearn in der Reihe MOLC, Barcelona (1980).
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- findet Villalonga die Erzählstruktur, die er für die geeignete hielt, um die Geschichte darzustellen, deren Stoff er bereits in seinem Theaterstück Faust behandelt hatte, wie schon erwähnt. Laut Villalonga gehört „Jean Schlummberger zweifellos zu den Autoren, die über Guillem oder Miguel ins Haus gelangt sind. Sein Roman Le lion devenu vieux war mir beim Aufbau der erzählerischen Handlung von Bearn sehr nützlich [...] Die Ausgabe des Le lion..., die ich aufbewahre, ist aus dem Jahre 1924, aber ich habe sie erst sehr viel später gelesen, wohl erst kurz bevor ich anfing an Bearn zu schreiben".' Aus literarischer Sicht bewährte sich Villalongas Wahl der Briefform, mit der er die zeitliche Perspektive aus der Gegenwart des Theaterstückes in die Vergangenheit des Romans verlegt, gut. Und wie er selber sagt, kommt ihm die Idee, einen Briefroman zu schreiben, bei der Lektüre des Le lion devenu vieux, unter einem Titel, der die Entwicklung des Don Toni de Bearn, den Leitfaden des Romans, treffend resümiert; in Schlumbergers Roman erzählt tatsächlich ein Diener des Kardinals von Retz das Leben dieser Persönlichkeit, und zwar in einem Brief. Dementsprechend ist Bearn der lange Brief, den Joan Mayol im Jahre 1890 an seinen Freund Miquel Gilabert, Sekretär des Kardinals und Primat der Hispanität, richtet und in dem er die Figur seines kürzlich verstorbenen Herrn - und wahrscheinlichen Vaters - evoziert. Auf diese Weise versteckt sich Villalonga vollständiger als in seinen anderen Romanen, wobei er Flauberts Idee über das Verschwinden des Erzählers - einem Erzähler, der hier allerdings schwer vom Autor zu trennen ist - folgt, um so der Fiktion mehr Autonomie zu geben, eine vollkommene Autonomie, die ausschlaggebend für das Gelingen des Romans Bearn ist, und die bereits Goethe für die literarische Schöpfung verteidigt hatte. Beide Werke versuchen das Leben zweier Figuren zu verstehen, die viele Schatten- und Lichtseiten haben und die außerdem ihre Memoiren hinterlassen haben. ,ßntre ces fanatismes affrontés que deviendra l'image véridique de notre maître?", fragt sich der Erzähler in Schlumbergers Text, der mit einem großen Fragezeichen beginnt, ähnlich wie auch der Villalongas; denn Bearns Protagonist ist widerspruchsvoll, wie er mit seinem überzeugenden Auftreten in Franziskanerhabit und mit einer Perücke aus der Zeit Ludwigs des XV unter Beweis stellt, während hinter ihm die Flammen eines Feuers seine Figur beunruhigend erscheinen lässt, geheimnisvoll und auch bedrohlich. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass Villalonga seine Bilder äußerst geschickt gestaltet; es sind symbolische oder repräsentative Bilder, womit der Autor sich vom Herausformen komplexer Charaktere, wie sie den psychologischen Roman kennzeichnen, abwendet. Als Beispiel kann man Mort de dama (Tod einer Dame) anführen, in dem die in Bauernkleidung auftretende Aina Cohen die mallorquinische Dichterschule (Escola Mallorquina) ins Lächerliche zieht.
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Zitiert nach Damià FERRÀ-PONÇ, Escrits sobre Llorenç
Villalonga,
Barcelona (1997), S. 234.
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Im Briefroman Bearn entsteht der Protagonist und seine Umwelt - einer Welt, die ihrem Ende zugeht - aber auch durch die aus einer gewissen Distanz angestellten Beobachtungen des Priesters, die also eher wenig Wahrheitsgarantie bieten. Die andere Informationsquelle sind die Fragmente der Memoiren des Herrn, die dieser ihm zu ihrer Veröffentlichung anvertraut hatte. Aber die Geschichte wird auch durch die Unterhaltungen, die unter den beiden stattfinden, gefiltert; sie vertreten dort völlig gegensätzliche Lebensauffassungen, wie auch ihre Figuren den Gegensatz schon verkörpern: Sie sind Gut und Böse, da der eine sich als Geistlicher dem Leben und der Liebe versagt, während der andere eine Mensch ist, der alle Genüsse, die das Dasein ihm nur anbieten kann, auskosten will. Durch diese Darstellung in einer Art geschicktem Puzzle bekommt der Leser die Geschichte nur stückchenweise, fragmentarisch vorgesetzt. In diesem Sinn des Fragmentarischen und der Geheimnis einschließenden Leere, ist Bearn ein sehr moderner Roman. Andererseits entsteht die Geschichte aus einer Vergangenheitsperspektive heraus, die eine besondere Stimmung hervorruft; und die Stimmung ist eben genau das, was Villalonga am meisten schätzt an einem Werk. Der Autor scheint eine Art Ästhetik der Ferne, der Unschärfe, des Halbdunkels zu suchen, wie schon der im Roman erwähnte Leonardo da Vinci. In Les fures (Die Frettchen), zum Beispiel, in dem Villalonga das Bearn seiner Kindheit evozieren will, meint der Erzähler: „Jener Reisende aber, der nach dem Lesen dieser Erzählung meinen Geburtsort kennen lernen will, wird dort nichts von all dem hier Beschriebenen vorfinden, denn ihm fehlt die Ferne, der Abstand jener Jahre, über die hinweg ich das mit Kinderaugen Erlebte ausgearbeitet habe. Bearn ist das Bild des Verlorenen Paradieses, das nur dadurch so wertvoll wird, dass es nicht mehr existiert".10 So ähnlich verhält es sich auch mit jener Unterredung, die Don Toni in Bearn mit einer sehr wichtigen Persönlichkeit liberalen Rufes, Papst Leo XIII., hat, und dabei eine jener bezeichnenden Leerstellen in der Geschichte entstehen, da wir nie wissen werden, über was sie sich unterhalten haben, welche Themen angesprochen wurden, trotz der logischerweise angenommenen Transzendenz, die diese Unterredung hat. Obendrein hält der Herr von Bearn sie nicht sofort danach fest, sondern er lässt zunächst die Zeit etwas verfließen: „Während der Monate, während denen er das Gespräch ausarbeitete, erfreute sich der Herr so sehr des künstlerischen Schaffens, dass er die dargestellten Begriffe wohl stark überarbeiten musste oder doch wenigstens deren .Stimmung', ihren Ton, bis er schließlich besten Willens etwas völlig anderes daraus gemacht hatte" (S. 185). Villalonga spricht sich deutlich gegen den Realismus in der Kunst aus;" im Gegensatz hierzu und
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Llorenç VILLALONGA: Les fures,
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So ist in den Falses memàries de Salvador Orlan (op. cit.) zu lesen: ,ja que en allô que en diuen veritat objectiva no hi crec des de l'adveniment de Descartes [...] La realitat no és més
Barcelona (1967), S. 70-71.
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ebenso sehr dem Geist seiner Zeit entsprechend, pflegt er in seinen Romanen über das literarische Schaffen nachzudenken, wie zum Beispiel in der Darstellung dessen, was der Priester davon hält: „Inwieweit lassen sich Form und Inhalt trennen?" Diese Frage interessierte auch Valéry, der sich ebenso seine Gedanken darüber gemacht hat. Andererseits, und um weitere Fragen anzusprechen, die der Roman offen lässt, kann sich der Leser natürlich fragen, was er da tatsächlich liest, denn hier - im Unterschied zu anderen Werken, die ihre Veröffentlichung durch ein zufälliges Auffinden des Manuskriptes oder durch einen erhaltenen Auftrag rechtfertigen - 1 2 stößt er ohne jede weitere Erklärung auf Fußnoten, die zum Beispiel gewisse, schwer verständliche Wörter erklären; es gibt sogar eine zu Valéry, zweifellos ein moderner Autor, mit dessen Ideen der Protagonist des Romans allerdings sehr übereinstimmt, wie bereits erwähnt. Wenn also Don Toni schreibt: „Es gibt keine einzige Idee, die nicht ihre eigene Widerlegung in sich trüge", so ist in der entsprechenden Fußnote zu lesen: „Dieselbe Feststellung ist modernerweise auch bei einem französischen Schriftsteller anfangs des 20. Jahrhunderts zu finden, nämlich Paul Valéry" (S. 161). Noch seltsamer scheint mir die Erwähnung von einigen Versen des mallorquinischen Dichters Jaume Vidal Aleover zu sein, mit denen Villalonga beweist, dass er hier nicht die Glaubwürdigkeit sucht. Möglicherweise ist der Roman nur das Vorwort zu den Memòries, von denen wir nach der Lektüre nicht wissen, ob sie veröffentlicht wurden oder nicht; wahrscheinlicher ist allerdings, dass es sich ganz einfach um die Herausgabe des langen Briefes des Joan Mayol handelt. Wie schon gesagt, das Geheimnisvolle, die offen gelassene Frage ist eine der Konstanten dieses Romans. Einer der klarsten Beweise dieser Fragen ist in der Figur zu sehen, die letztlich als die wichtigste des Romans erscheint, die des Felip de Bearn - der mit dem Puppenkabinett, der „sala de nines", im Zusammenhang zu sehen ist und damit sogar den Untertitel zum Roman beisteuert - , von dem wir eigentlich sehr wenig wissen. Hier ist hinzuzufügen, dass diese unbeantworteten Fragen, mit denen man gewöhnlich die durch die Vielschichtigkeit und Subjektivität der Wirklichkeit hervorgerufenen Unsicherheiten dieses Jahrhunderts ausdrücken will, in der gegenwärtigen Literatur generell sehr oft zu finden sind.
que un somni: la matèria de Condillac, que es toeava amb les mans, se'ns ha volatilitzat i convertii en vibració" (S. 101), also „an das, was man so ,objektive Realität' nennt, glaube ich schon seit der Existenz des Descartes nicht mehr [...] Die Realität ist nichts als ein Traum: der Stoff des Condillac, den man gerade noch anfassen konnte, hat sich verflüchtigt; es ist nur noch ein Schwingen übrig geblieben". Zu dieser Art Rechtfertigung greift z. B. Mercè Rodoreda gerade in ihrer Erzählung „La sala de nines", die eine Hommage an Lloren? Villalongas Bearn ist.
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Abgesehen von seiner Struktur verdient der Roman besondere Achtung aufgrund seines Ausgangsstoffes, der in der Faustsage zu suchen ist. Hiermit wird eine unbestreitbare Universalität erreicht. Wie schon Goethe betonte, muss die Literatur versuchen, das Gemeingut der Menschheit hinter dem Benehmen jedes Einzelnen aufzudecken, das so nur in einer anderen Sprache Ausdruck findet und dennoch gleich ist. Seit der Veröffentlichung von Goethes Faust hat dieses Werk einen ständigen Erfolg und viele neue Verarbeitungen und Fortsetzungen gefunden, die bis in die Gegenwart hinein reichen, eben weil es Themen behandelt, die immer auf Interesse stoßen und ständig aktuell sind: die Angst des Menschen seiner eigenen begrenzten, flüchtigen, mit dem Tod endenden Existenz gegenüber. In der Romantik wurde der Faustmythos u. a. dank Gounods Oper weit verbreitet, die allerdings nicht die Tiefe Goethes besitzt. Deren Popularität war so groß, dass sogar gesagt wurde, dass jeder, der im 19. Jahrhundert lesen und schreiben konnte, diese Oper kannte, die auch ganz besonders Toni de Bearn anzieht, der sogar nach Paris reist, um sie zu hören. Aber jede Zeit hat ihr eigenes Faustbild, und für die Romantiker ist Faust der wissensbegierige Mensch, der sich seinen eigenen Grenzen und dem Universum widersetzt. Deshalb betonten die Romantiker die Handlungsund Eroberungsbereitschaft dieser Figur, die auch mit der des Don Juan in Verbindung gebracht wurde, die ebenso in Villaiongas Roman erwähnt wird, in welchem sie von der Figur der Dona Xima verkörpert wird. Tatsächlich sahen die Romantiker in beiden Figuren dasselbe Streben nach Unendlichkeit, die eine im Bereich des Wissens, die andere in der Liebe. So konnten sie Folgendes feststellen: „Les deux héros ont été pourvus, dès avant leur encontre, du complément mythique correspondant à l'autre, Don Juan est intelligent, épris de clair savoir, il a un tête faustienne; Faust est voluptueux, désireux d'amour, il a des sens et un coeur donjuanesque Aber Faust wurde erneut aktuell durch Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes, dessen zwei Bände 1918 und 1922 erschienen, in einem Moment, in dem die westliche Gesellschaft - die gerade einen dramatischen Krieg hinter sich hatte - sich untergraben und in einer tiefen Krise stecken sah, die der nächste Krieg bestätigen und noch intensivieren sollte. Tatsächlich interessierte Villalonga sich sehr für Spengler, und er zitiert ihn in mehreren Schriften. In Untergang des Abendlandes wird Faust allerdings eine Art Übermensch in Nietzsches Sinn, der voll Dynamik und Unternehmungsgeist steckt, den Fortschritt und damit die Zivilisation weiterbringt, womit er allerdings nicht mehr jene geängstigte Figur, die auf der Suche nach dem Glück ist, wie Goethe sie geschaffen hatte. Für Spengler waren Don Quijote, Werther und Julien Sorel Darstellungen einer Epoche, Faust dagegen die einer Kultur. Die-
l e mythe de Faust, op. cit., S. 280.
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se verschiedenen Faustbilder, diese Verwandlungen des Mythos, zu denen noch Valerys Mon Faust - in dem Faust zum Schriftsteller wird, was er noch nie zuvor gewesen war - hinzuzufügen ist, sind wichtige Vorlagen, nach denen die Hauptfigur des Bearn geformt wird: Don Toni-Faust. Aber auch hier bringt Villalonga seine persönliche Ansicht mit ein, wie jeder schaffende Geist. Tatsächlich besteht Villalongas Roman aus zwei Teilen, wie auch Goethes Werk und wie sein eigenes Theaterstück: Der erste hat den unverhüllten Titel „Sota la influencia de Faust" (Unter Fausts Einfluss), der zweite heißt „La pau regna a Bearn" (Es herrscht Frieden auf Bearn). Als erstes findet der Leser ein für Goethe ziemlich bezeichnendes Element: die Verfuhrung. Mit 48 Jahren wird ausgerechnet Don Toni von seiner achtzehnjährigen Nichte in Versuchung gefuhrt. Vorwand ist dabei die Uraufführung Gounods Faust in Paris im Jahre 1859, als es auch tatsächlich uraufgeführt wurde. Wie er schon seiner Frau Maria Antonia gestanden hat, lässt Don Toni sich verfuhren, weil „ich schon 48 Jahre alt bin, Maria Antonia, und du bist auch kein junges Ding mehr. Wir sollten das Geheimnis des Jungwerdens jenes deutschen Doktors entdecken" (S. 28). Don Toni verallgemeinert seine ganz persönliche Lebensauffassung, als er seinem Beichtvater vertraut: „Wir waren alle versucht, unsere Seele dem Teufel zu verkaufen, ganz besonders wir, die wir die Jugend verloren hatten" (S. 65). Dies ist der Gesichtspunkt des faustischen Mannes, der - sehr in der Linie Gides - seinen eigenen Teufel akzeptiert. Aber in den Augen des Geistlichen ist Faust, von einer romantisch-spenglerischen Perspektive ausgehend, „das Symbol einer gefangenen und gewalttätigen Rasse, die sich nicht mit der Idee einer anderen Welt zufrieden gibt, sondern die den Himmel schon in diesem Leben will, wenn sie deshalb auch einen Pakt mit dem Teufel schließen muss" (S. 28). Um die Parallele zu Goethes Faust zu Ende zu fuhren, taucht in Bearn nach dem Scheitern des Pariser Abenteuers ein unschuldiges Mädchen auf, die Fausts Margarethe ähnlich ist - und eher im Gegensatz zu Dona Xima steht - und sogar denselben Namen trägt: „Es war ein blondes Püppchen mit himmelblauen Augen, genau wie sie auch die wirkliche Margarethe in Goethes Faust haben musste. In Faust bekommt die betrogene Margarethe ein Kind und tötet es. Die Margarethe in Bearn musste niemanden töten. Sie starb noch bevor ein Jahr verstrichen war, seit sie im Haus wohnte" (S. 73). Die Funktion dieser Figur im Roman ist ziemlich zweideutig; im Theaterstück dagegen ist sie tatsächlich die von Joan-Toni verführte Unschuld. Ebenso im Theaterstück und in Bezug auf seine Nichte Xima spielt der Onkel auch entschieden die Rolle des Verfuhrers, desjenigen der sie ins Verderben stürzt,14 während im Roman die Nichte die Verführerin ist, wobei sie sogar mit
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"Vossa Mercè, que havia tengut força per dur pel carni del mal una neboda que sols comptava devuit anys [...]" (Eure Gnaden, die Ihr Kraft genug gehabt habt, eine nur achtzehnjährige Nichte auf den Weg des Bösen zu bringen [...]), Obra Completa. Bd. I El mite de Faust, Barcelona (1966), S. 790.
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einer Schlange verglichen wird, um dies zu unterstreichen. In Bearn kommt Don Toni weniger Schuld zu, ist er gütiger. Aber es gibt einen sehr grundlegenden Unterschied zwischen Bearn und Goethes Faust und auch moderneren Faust- Versionen: In Villaiongas Fassung gibt es keinen Mephisto, keinen Teufel, der das Böse rechtfertigt. Dadurch wird Villalongas Menschenbild wesentlich negativer als das Goethes, denn wie schon Valéry in Mon Faust - in dem die Figur des Mephisto sehr ironisch dargestellt ist - bemerkte, trägt dieser Mensch das Böse schon in sich, so dass er keiner anderen äußerlichen Darstellung bedarf, die seine Anwesenheit rechtfertigen müsste. Don Toni erklärt das ganz ausdrücklich, wenn er, von Rousseaus Anschauungen abweichend, glaubt, dass der Mensch „von Natur aus eine gute Dosis Grausamkeit in sich trägt, die sich entweder sadistisch gegen die anderen richtet oder aber gegen sich selbst, wobei sie zum Masochismus wird" (S. 74). Sowohl Don Toni als auch Dona Xima verstehen sich selbst also als Träger des Bösen, das sie allerdings sogar schätzen. So fühlt Xima, eine ebenso schöne Figur wie Luzifer, sich geschmeichelt, wenn man ihr die Macht des Bösen zuschreibt: „Manchmal ist die Kunst wie ein Rausch. Die Versuchungen des Heiligen Antonius stecken voller Schönheit; Luzifer war wunderschön" (S. 91). Andererseits ist Ximas Figur deshalb kennzeichnend für diesen Roman, weil sie ganz klar eine Einheit der Gegensätze bildet, also das Böse und das Gute zugleich darstellt, Dämon für die einen, Engel für die anderen. Selbst Don Toni versucht, den Erzähler zu belehren, damit er „im Alter, wenn er einmal mein Leben untersucht, verstehen möge, dass ein einziger Bestandteil daran gefehlt hätte - fast wie eine scharfe Sauce - , nämlich der Teufel. Das waren Angelegenheiten des Herrn, die er nicht aussprach, damit man die ernst nähme" (S. 17). Don Toni hält die aktive Rolle des Teufels in der menschlichen Existenz für wichtig, weil ohne ihn nichts möglich zu sein scheint, und so folgt er Gide oder, besser gesagt, er geht ihm voraus; und wie er verteidigt er auch den Genuss, das Vergnügen im Leben, und ganz besonders im Leben der Bauern der Umgebung. Aber man braucht das Glück nicht nur für ein ausgeglichenes Leben, sondern auch beim literarischen Schaffen; um dies zu unterstreichen, wünscht Don Toni sich ein Motto von La Fontaine, das seine Memoiren einleiten soll: „A beaucoup de plaisir je mêle un peu de gloire". Tatsächlich trifft man in diesem Roman zweierlei Figuren an: die, die einen Pakt mit dem Teufel schließen, die ihn akzeptieren und sogar schätzen, wie Don Toni oder Dona Xima, und die, die ihn ablehnen, wie der Erzähler - obwohl auch er die Versuchung des bösen Geistes erlebt - oder noch klarer Dona Maria Antonia; also gut und böse verkörpert im Menschen, ganz dem schon erwähnten Darstellungswillen dieses Autors aus Mallorca folgend. Eben deshalb sind Don Toni und Dona Xima das perfekte Paar, denn ihre Perfektion entsteht durch diese Vereinigung von gut und böse, die im Roman die so genannte Wirklichkeit kennzeichnet. Allerdings sind selbst aus der Perspektive
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des Priesters und Erzählers die höchstgeschätzten Figuren die faustischen wie Don Toni, weil sie Risiken eingehen und daher zu den unheilvollsten oder glorreichsten Ergebnissen kommen können, während die Frau „immer bekannten Wegen gefolgt ist, weshalb es ebenso unmöglich war, dass sie sich verliefe, wie auch, dass sie ein besonders ruhmreiches Ziel erreiche. Im Gegensatz hierzu wollte er immer wieder neue Gebiete, unbekannte Lehren entdecken. Genau so waren einige Heilige und ziemlich viel Ketzer" (S. 196). Nach dem Scheitern des Pariser Abenteuers aber - ein Scheitern, mit dem das Wiedererlangen der Jugend durch die leibliche Liebe einhergeht - , und erneut in Bearn, wird die Figur des Don Toni immer zwielichtiger und doppelt faustisch. So umgibt Don Toni einerseits ein esoterischer Hauch, der auch für Goethes Faust und die Atmosphäre, in der er entstand, sehr bezeichnend war, wie allgemein anerkannt; hierzu gehört, dass Don Toni, wie die im Roman erwähnten Rosenkreuzer, immer ein Licht in seinem Kämmerchen brennen hat und erklärt, dass Alles Eins ist, wie verschiedene esoterische Lehren behaupten, ganz besonders aber der Manichäismus; außerdem besitzt Don Toni, als wäre er eine Art moderner Alchimist, ein kleines Labor, in dem er „Untersuchungen anstellte und Säfte destillierte" (S. 76). Andererseits aber, und in offensichtlichem Widerspruch hierzu - einer der vielen Widersprüche, die den Roman charakterisieren - ist er der spenglerische Fausttyp, draufgängerisch und vom Fortschritt angezogen, an dem er auch aktiv Teil nimmt. Don Toni interessiert sich sehr für Maschinen, für Erfindungen aller Art, und ist außerdem sehr geschickt in mechanischen Angelegenheiten. Er ist der Erste, der in Spanien einen Siphon hat, schenkt den Post- und Telefonverbindungen Beachtung, zeigt selbst für Nähmaschinen ein Interesse, steigt in einem Ballon in die Luft und prophezeit - als wäre er ein Zauberer des Erzählers selbst - , dass wir in der Zukunft durch die Luft reisen werden. Vor allem aber ist er der Mensch, der sich selbst ein ganz einfaches Automobil baut, „mit so etwas wie einem Brenner und mit Eisenrohren, die den Dampf einfingen und zu den Rädern leiteten", mit dem er es sogar schafft, eine Runde in seinem Hof zu fahren. Don Toni ist also fähig, Bewegung zu schaffen, was so viel heißt wie Leben zu schaffen, und das ist die Aspiration eines jeden Alchimisten, wie auch die der Wissenschaft. Allerdings handelt es sich u m das Automobil, in dem er und seine Frau am Ende des ersten Teiles des Romans verunglücken. Dieser Schluss scheint sehr bildhaft darzustellen, dass der Fortschritt positiv und negativ zugleich sein kann, vor allem aber gefährlich, wie dieses elektrische Automobil, das in Bearn zwei Schafe getötet hat. Ein Fortschritt, der, jetzt ohne alle Ironie, zur Folge hatte, dass die Kriege ganz besonders grausam wurden, wie es das Feuer zu verstehen zu geben scheint, das bei Don Tonis Autounfall entsteht. Andererseits ist es ein Fortschritt, der uns - so die Meinung Villaiongas, die auch der Valerys nicht allzu fern ist - zu einer Massengesellschaft macht, zu einer sozialistischen Gesellschaft, die in seinen Augen sehr wenige Werte birgt, in der es keinen Platz für große Individuen gibt.
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Nach diesem symbolischen Ende, und nachdem Don Toni zehn Jahre später eine erneute Versuchung Dona Ximas zurückgewiesen hat - wieder wird Gounods Oper in Paris aufgeführt findet der Protagonist eine andere Art, die Zeit zum Stehen zu bringen, sie zu verewigen: das Schreiben. So will er eine Welt schaffen, und zwar nicht mit Hilfe der Magie oder der Technik, sondern durch das Wort. Tatsächlich war für Goethe, der darin Herder folgte, der Künstler nur darin Gott ähnlich, dass er in seinen Werken ganze Welten schuf. Deshalb ist Don Toni im zweiten Teil des Romans Bearn nicht mehr der romantische Faust, „der dämonische Faust, der dem Meer Land abgewinnen und die Mädchen erobern will, sondern der Dichter, der sich der Erinnerung widmet" (S. 82). Allerdings entfernt Don Toni nicht das Böse aus seiner Erinnerung, wie der Pfarrer es gewollt hatte, denn das wäre so viel wie auf sich selbst verzichten; und er vergisst auch nicht, wie seine Frau es sich gewünscht hatte. So stellt der Priester fest: Die letzte Geliebte des Herrn, die Treuste, die ihn in seiner Einsamkeit begleitet hat, war seine Erinnerung, und so hat er auch seinen Memoiren alles geopfert: Geld, Ansehen und sogar Dona Ximas Schönheit. (S. 110) In dem mit „La pau regna a Bearn" (Es herrscht Frieden in Bearn) betitelten Teil wird Don Toni-Faust also zum Schriftsteller, wie der Protagonist in Valerys' Mon Faust ein Werk, sein endgültiges Werk schreiben will. Es lohnt sich sicherlich, die Haltungen Valerys' und Villalongas etwas zu vergleichen. Der Franzose fühlte sich in den Vierzigeqahren zur Faustsage hingezogen, d. h. in einer besonders dramatischen Zeit, die in ihm bewirkte, dass er die romantischen Themen in Goethes Faust mit Ironie betrachtete. In den Zwanzigeijahren hatte er bereits betont, dass die Zivilisationen ebenso sterblich seien wie der Mensch selbst. Und mit der letzten Option Don Tonis, der des Schreibens, wird unterstrichen, was die einzige wirklich große Macht des modernen Menschen ausmacht, nämlich die, die aus dem Wort entsteht. Hierin liegt Don Tonis letzter und leidenschaftlichster Einsatz, und auch der Villalongas. Es ist auch der persönlichste. Ist die Ewigkeit nicht durch die aktive Teilnahme am Leben zu erreichen, einer Teilnahme, die Gefahr und Scheitern mit sich bringt, so ist wohl das Schreiben die geeignetste Art, sie zu erlangen. Wenn wir genauer hinsehen, gibt es tatsächlich mehrere Romanfiguren, die schreiben. Das Hauptziel des Briefromans des Joan Mayol ist - abgesehen einmal von seiner didaktischen, reflexiven Absicht - dasselbe wie das seines Herrn, nämlich der Genuss, der darin liegt,, jene vertraute und bewunderte Figur wieder zum Leben zu erwecken, die ich soeben verloren habe. Mit ihr verschwindet eine ganze Welt, angefangen mit all diesem Land..." (S. 17-18). Was nun die Memöries angeht, so betont ihr Erzähler, dass sie eben ,jenen Teil an Unsterblichkeit [einfangen], der ihm zukommt; in ihnen hat er Erinnerungen und Umstände festgehalten; ihnen hat er, unter vielen anderen Dingen, den Pinienwald [el pinar de Sa Cova] geopfert..." (S. 60). Und wenn von Dona Maria Antonia nur
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noch Staub geblieben ist, so lebt sie doch dank dieser Schriften fort: [ . . . ] Das Kind, das schmollend durch die Gärten Bearns streift, und die Lippen mit dem schönsten Lächeln Europas gibt es nur noch in jenem Manuskript des Herrn. Wäre seine Schuld wirklich so groß, wenn er sie, um ihr noch einen Schatten Leben schenken zu können, ein paar finanzielle Engpässe zu durchstehen zwang? (S. 62)
Um das Interesse, das alle am Schreiben hatten, noch einmal zu unterstreichen, ist zu erwähnen, dass damals sogar eine berühmte Persönlichkeit wie la Rigolboche ihre Memoiren schreibt. Ist einmal ihr Ruhm vergangen, so scheint auch das Wort sie zu begraben, genauer gesagt, „ein paar Zeilen im Larousse". Bei dieser Lebensauffassung, nach der das Leben Schreiben oder das Schreiben Leben ist, überrascht es natürlich nicht, dass das größte Gewicht in Bearn auf dem Wort liegt. Im Unterschied zum jungen Goethe, für den am Anfang die Tat stand, ist für Don Toni-Villalonga, ähnlich wie im Johannisevangelium, das Allererste das Wort. „[...] die Wirklichkeit", ist im Roman zu lesen, „wurzelt einzig in uns selbst und verdankt, letzten Endes, ihr ganzes Fortbestehen so etwas Magischem und zugleich Konventionellem wie dem Namen. Gott, wie wir wissen, schuf die Welt durch das Wort" (S.18). Alles in Bearn scheint diesen Wert, diese Bedeutsamkeit zu bestätigen: Joan Mayol verursachte den Tod eines kränklichen Jungen - Jaume, der übrigens ein weiterer Sohn des Herrn zu sein scheint - durch ein Wort, das ihn so tief verletzte, dass er den Tod zur Folge hatte; die Königsfamilie heilte mit dem Wort; die fünf Buchstaben von Bearn bewirkten, dass Don Toni eben das verziehen wurde, was man sonst niemandem je verziehen hätte... Daher versteht der Herr Bearns schließlich, allerdings nach einem langen und erfüllten Leben, dass man, anders als in Goethes Werk, „die Ewigkeit nicht erreicht, indem man seine Seele dem Teufel verkauft, sondern indem man die Zeit anhält, sie festhält. Die Ewigkeit, die er ersehnte (eine weltliche Ewigkeit, denn er war zu ungläubig, an eine andere zu denken), die musste er sich selber erschaffen. Es war zu spät zum Wiederholen, aber nicht dazu, sich zu erinnern" (S. 102-103). Mit dieser Wahl ist Don Toni weiterhin Faust, denn, wie Boris Pasternak bei seiner Besprechung einer anderen Adaptation der Faustsage betonte - in diesem Fall die des russischen Schriftstellers Bulgakov El mestre i Margarida (Der Meister und Margarethe) - , „ist der Schriftsteller der Faust der modernen Gesellschaft, der einzige Individualist, der in dieser Zeit der Massenzivilisation überlebt". Genau das scheint auch auf Don Toni zuzutreffen, der sich auf seine Besitztümer zurückgezogen hat und sich in der Einsamkeit und dem Frieden des Landlebens der Schriftstellerei widmet, während seine Frau an einer Bettdecke webt, also eine weibliche Form der Ewigkeit sucht. Aber im Gegensatz zum Frieden, den er mit der ruhigen Liebe seiner Frau erlangt - das
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Paar, das Don Toni mit ihr bildet, stellt den Mythos von Philemon und Baucis dar, der ebenso im zweiten Teil des goetheschen Faust erwähnt wird - stellen sich das Böse und der Tod ein - und hier liegt die Ironie des Titels, der den zweiten Romanteil einleitet weil Faust einfach eine Tragödie sein muss, und zwar trotz des Willens aller, dem Drama auszuweichen. Dona Xima, nun endgültig eine dämonische Erscheinung, ist diejenige, die - in ihrem dritten und letzten Auftritt - das Böse einführt; das wird wohl auch durch ihren Wahnsinn hervorgehoben, da dieser ja häufig mit dem Teufel in Zusammenhang gebracht wird. Vergiftete Pralinen verursachen den unfreiwilligen Tod der Frau und auch den wohl eher gewollten Tod des Mannes; hinter der süßen Aufmachung der Pralinen versteckt sich der Tod, das Böse. Nachdem seine Frau verstorben ist und er seine Memoiren beendet hat, fehlt dem Leben des Don Toni auch tatsächlich der Sinn. Und so kommt es, dass - wie schon bei Goethe und vom Standpunkt des Erzählers aus gesehen - in Bearn eine Frage offen bleibt, die, wie alle anderen, ohne jede mögliche Antwort bleibt: Ist für den Herrn eine Rettung möglich? Aber der Tod dieses Ehepaars ohne Nachkommen - was ein anderer Weg in die Ewigkeit gewesen wäre - ist nicht nur ein individueller Tod, sondern er steht auch für das Verschwinden einer ganzen Welt, nämlich das jenes Inseladels, der durch die freien Berufe ersetzt wurde, was allerdings nur noch ein ohnmächtiges Lächeln bei Don Toni auslöst; dieses Lächeln verbirgt oft seine tiefste Traurigkeit, die er aber des guten Tones wegen nicht zeigen, ja nicht einmal andeuten darf. Im Gegensatz zu der ironischen und leichten Schreibweise, die für den Roman kennzeichnend ist, findet man in Bearn auch tief gehende Überlegungen zu verschiedenen wichtigen Themen wie die Liebe, den Wissensdrang, das Verfolgen irgendeiner Art von Unsterblichkeit... Aber ebenso trifft man auf grundlegende Betrachtungen zu immer aktuellen Themen wie dem Bösen: dem Bösen im Menschen und dem Bösen auf der Welt. Denn auch wenn es ohne jede Dramatisierung geschieht, so ist das Böse doch allgegenwärtig im Roman, da es sich selbst in der Natur findet, womit der Pessimismus des Theaterstückes hervorgehoben wird. Andererseits wird ein grundlegender Unterschied zu Goethes Faust herausgestellt, in dem Mephistopheles seinem Titelheld eine Möglichkeit gibt, die Zeit anzuhalten, nämlich das Leben auf dem Land, ein zurückgezogenes Leben. Denn für Goethe liegt die Natur jenseits von gut und böse, während es sich in Bearn ganz anders verhält: Auf einer Steineiche saß ein Vogel und stimmte wollüstige Töne an. Von weitem, von einem anderen Baum, bekam er Antwort. Blumen, Bienen und Vögel, alles war rhythmisch und harmonisch aufeinander abgestimmt. Unter dieser scheinbaren Harmonie aber braute sich das schlimmste Unheil zusammen: Die Vögel vernichteten die Insekten, die Schafe fraßen die Blumen auf [...] Inmitten der unvermeidlichen Zerstörung lächelte die Natur weiterhin. Sie verlachte den Angreifer und sie verlachte das Opfer, bis ihr das Leben in einem Entsetzensschrei zu Bruch ging. (S. 232)
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Das Böse regiert also, wie es Bearn zu entnehmen ist, die Welt, denn es kommt nicht nur spontan zum Vorschein, immer dann wenn wir am wenigsten darauf vorbereitet sind - „und wir sind alle seinen Angriffen ausgesetzt", heißt es im Roman" - , sondern der Mensch ist auch oft selbst der Urheber des Bösen, sein wichtigster Antrieb, denn wie es im Roman heißt, „geschähe es nicht von selber, so würden wir die Tragödie schon inszenieren. Und in welcher Form sollte uns das Unheil erreichen? Krankheiten, Zwietracht, Kriege, endgültiger Untergang? Das Damoklesschwert bedroht nicht nur die Tyrannen: Die ganze Menschheit lebt in der Angst vor dem Bösen, das wir anscheinend benötigen, um das Gute, d. h. die ewige Erlösung, wahrzunehmen" (S. 211-212). Deshalb muss Don Toni letzten Endes das Böse als Bestandteil der Welt akzeptieren, was schon Voltaire in seinem - ebenso im Roman erwähnten - Candide dargestellt hatte, in dem er eine Behauptung Leibnitz' ironisierte, nach der diese die bestmögliche Welt ist. So ist in Bearn auch zu lesen, dass das 19. Jahrhundert wohl das Jahrhundert der großen Erfindungen, aber nicht weniger eines der Bruderkriege war. Natürlich können wir hier statt dem 19. das 20. Jahrhundert lesen, eine der dramatischsten Zeitspannen der Geschichte der Menschheit, über die Llorenç Villalonga nachzudenken scheint, und zwar in der Figur des Don Toni, der sich wahrscheinlich für das verbrochene Übel verantwortlich fühlt: „Du kannst das, was du selber in Gang gebracht hast, nicht anhalten. Luzifer wird niemals in den Himmel zurückkehren, weil niemand auf der ganzen Welt das ungeschehen machen kann, was geschehen ist" (S. 119). Möglicherweise wurde Villalongas Interesse für die Faustfigur durch die Lektüre von La Nouvelle française angeregt, der Vorbilder, die diese Zeitschrift verfochten hatte und der Autoren, die hinter ihr steckten und die ihn tatsächlich stark beeinflusst zu haben scheinen. So hob Gide seine Vorliebe für eine ganze Reihe von Schriftstellern hervor, die dann auch in Bearn zitiert werden, wie z. B. Voltaire, La Fontaine, Sokrates, die lateinischen Klassiker und sogar Heredia, ein Dichter der dem Franzosen besonders gut gefiel und von dem er die Sonettsammlung Trophées veröffentlichte, und zwar im Jahr 1893, weshalb dessen Erwähnung in Bearn einen weiteren Anachronismus darstellen könnte. Gide fühlte sich auch stark zu Goethe - einem Meister für viele Generationen - hingezogen, von dem er verschiedene Fragmente übersetzte und 1932 zu seinem mit großer Begeisterung gefeierten hundertsten Jahrestag in La Nouvelle française publizierte; außerdem schrieb er das Vorwort der Ausgabe von Goethes Theaterstücken in der Klassikerreihe Pléiade. Der mit Gide befreundete Valéry, der auch in der Zeitschrift mitarbeitete, interessierte sich für den Faust inmitten einer historischen Krisenzeit, die auch mit einer persönlichen Krise zusammenfiel, wie bereits erwähnt. So ist auch der 1946 verfasste Mon Faust eines seiner letzten Werke. Was nun Villalonga angeht, so hat der Bürgerkrieg wahrscheinlich seine Enttäuschung dem Menschen und der Welt gegenüber nur noch verstärkt und ihn so dem Schreiben
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näher gebracht; in der erneut aktuellen Faustfigur fand er die angemessene Art und Weise, die seinem Gedankengut einen unbestreitbaren Aufschwung, eine entschiedene Universalität gab. Sicherlich lohnt es sich hier auch noch einmal Valéry und Villalonga nebeneinander zu betrachten; die letzte und, wie alle, unbeantwortete Frage in Bearn ist nämlich genau diese: Wer wird je die Wahrheit kennen? Dementsprechend wird im Roman mehrmals erwähnt und bewiesen, dass alles unbeständig und obendrein relativ ist: Der alte Heraklit lehrt uns, dass wir keinen Fluss zweimal sehen können, weil das Wasser, das er führt, nie dasselbe ist. Alles ist unbeständig und vergänglich. Wer kann sicher sein, die endgültige Ausgabe der Dinge zu besitzen? (S. 182) Die Entdeckung des relativen Charakters der Wahrheiten wurde als der Grundstein der zeitgenössischen Ideengeschichte bezeichnet. Auf diese Idee, die bei Hegel ihren Ausgangspunkt hat, trifft man bei Valéry häufig, und so betont er auch selber, dass „rien n 'existe, ou que l'existence n 'est qu 'un simple devenir. La chose, le fait n 'est qu 'une réalité fugitive, une réalité qui consiste en leur disparition, une réalité qui se produit pour être niée aussitôt qu 'affirmée. Tout n'est que relatif disions nous tout à l'heure: Il faut ajouter maintenant: tout n 'est que relation".1S Im Gegensatz zu oder auch als Resultat dieser Feststellung ist in Bearn eine Ich-Mythologisierung zu beobachten, denn selbstverständlich besteht die Außenwelt nur dank des Ichs, das ihr Form und Bestehen gibt. Von diesem Standpunkt aus gesehen, ist es verständlich, dass Don Toni, eine Art alter ego von Villalonga selbst, sich der Schriftstellerei, und ganz besonders seinen Memoiren widmet. Erinnern wir uns noch einmal an die anfangs zitierte Behauptung des Mallorquiners, nach der seine ganze Produktion im Grunde genommen nichts weiter als seine weit greifenden Memoiren seien. Und erinnern wir uns hier auch daran, dass Faust ein biographischer Mythos zu sein pflegt. Natürlich wird die Faustfigur in Villalongas Händen mediterran und insular, wohnt in einer engen, endogamischen Welt, wie schon die Tatsache beweist, dass das Protagonistendreieck zu ein und derselben Familie gehört. Zudem aber ist in dieser Welt Villalongas eine sehr persönliche Betrachtungsart festzustellen, denn alles ist sich ähnlich, alles ist Eins - „die Welt ist eine Harmonie der Gegensätze", behauptet Don Toni - und das wird auch im Roman reflektiert: Xima sieht Don Joan ähnlich, Don Toni ähnelt Maria Antonia und der Herr von Bearn hat genau dasselbe Lächeln wie Papst Leo XIII., ein Lächeln, das auch das des von Houdon dargestellten Voltaire, Villalongas Ideal, ist. Dieses Lächeln steht auch für die von Villalonga geschaffene Welt und hat dennoch für jede einzelne Figur einen anderen Sinn - bei Don Toni drückt es Im-
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F.E. SUTCLIFFE: La pensée de Paul Valéry, Paris (1955), S. 27.
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potenz aus, bei Maria Antonia ist es Verstellung, Prinzipienlosigkeit bei Xima... - , weil es trotz aller Uniformität die Vielschichtigkeit ist, die diesen Roman charakterisiert. Wenn, wie Gide meint, „toute notre vie s 'emploie ä tracer de nous un portrait", so ist wohl das beste, nuancenreichste, vielschichtigste und natürlich universellste Porträt, das Villalonga uns von sich selbst hinterlassen hat, das des Don Toni-Faust, des enttäuscht lächelnden Schriftstellers, der dennoch fähig ist, mit seinen Worten Welten entstehen zu lassen. Welten, die so der Ewigkeit angehören. CARME A R N A U
Sebastiä Alzamora Drama und Tragödie im Phädra-Zyklus von Llorenc Villalonga und Salvador Espriu Das Material, aus dem der von mir so genannte „Phädra-Zyklus" besteht, ist eine lustige, verschiedenartige und lange Schreiberfahrung, die Lloren? Villalonga und Salvador Espriu (natürlich vom Phädra-Mythos ausgehend) vierhändig teilten; den Anfang machte der Mallorquiner mit einem ersten Beitrag in Form eines in Spanisch verfassten Dramas mit dem Titel Fedra (Phädra)', das er 1932 schrieb und in einer sehr kleinen Auflage von hundert Stück veröffentlichte, die der Autor selbst dem Publikum unzugänglich machte, da er mit dem Resultat gar nicht zufrieden war. Trotzdem gab er sie Salvador Espriu (einem der wenigen katalanischen Schriftsteller, für die Villalonga sich zu begeistern in der Lage war) zu lesen, nachdem er ihn 1936, kurz vor Kriegsbeginn, persönlich kennen gelernt hatte. Noch im selben Jahr schrieb Espriu eine katalanische Version dieser ersten Fedra Villalongas, in der er, obwohl es sich im Grunde um eine Übersetzung handelte, einige Änderungen einführte, welche die eigentliche Originalfassung erheblich verbesserten. Andererseits interessierte ihn das Thema so sehr, dass er, während er an der Übersetzung arbeitete, gleichzeitig eine erzählerische Fassung schrieb, deren Resultat eine ebenso mit Fedra überschriebene, hoch literarische Kurzgeschichte einer ganz außerordentlichen lyrischen Spannung war. Villalonga war sowohl von der Übersetzung als auch von der Erzählung so begeistert, dass ihn dies wohl auf die Idee brachte, sein Originalstück von 1932 zu überarbeiten und verbessern. Er versuchte es 1940 mit Korrekturen, die er handschriftlich in einem jener hundert Exemplare von 1932 eintrug, allerdings ohne den erwarteten Erfolg, denn statt die Mängel in Komposition und Stil des Stückes zu beheben, verschlimmerte er sie noch. Dieses Exemplar mit den handschriftlichen Korrekturen gelang in die Hände von Jaume Pomar - selbst Schriftsteller und Villalongas Biograph - , dank dem ich es für mein Studium dieses Abschnittes von Villalongas Schaffen heranziehen konnte. Aber die Geschichte endet nicht hier. 1954 bringt die Druckerei Atlante aus Palma ein neues Theaterstück des Mallorquiners mit dem Titel Fedra heraus, weiterhin auf Spanisch, wobei es sich hier wirklich um eine neue und wesentlich gelungenere Fassung als jene aus dem Jahre 1932 handelt; wahrscheinlich hat Esprius treffende Behandlung des Themas das seine dazu beigetragen. Und 1966 veröffentlicht Llorenp Vi-
Ich behalte hier die Schreibweise des Originaltextes bei, wenn vom Stück die Rede ist, verwende aber die deutschen Formen der Namen, die der klassischen Mythologie angehören, auch wenn es sich um Figuren in Villalongas Stück handelt. So sind Phädra und Hippolytos also Figuren in Villalongas Stück Fedra. (Anm. d. Übers.).
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llalonga im ersten Band seiner gesammelten Werke die katalanische Fassung dieser letzten Fedra, wobei er im Großen und Ganzen der sprachlichen und stilistischen Ausdrucksweise folgt, die Espriu ihm mit seiner Übersetzung von 1936 vorgegeben hatte, mit nur ganz wenigen, vor allem dialektalen Abweichungen. Diese 1954 veröffentlichte, revidierte Fedra, die Villalonga als Vorlage für seine katalanische Fassung aus dem Jahre 1966 nahm, ist zweifellos eine Überarbeitung des tragischen Mythos in Euripides' Tradition, allerdings mit einer ganzen Reihe von Eigenheiten, die Villalongas Stück von der klassischen Tragödie im eigentlichen Sinne wegrücken: Die Modernisierung von Raum und Zeit, in der die Handlung abläuft, und die Frivolität, mit der Phädras Geschichte, deren sich wiederholenden Grundelemente und der Charakter ihrer Hauptdarsteller behandelt wird, stellen die wichtigsten Unterschiede dar, die dieses Stück seinen klassischen und neuklassizistischen Vorbildern gegenüber aufweist. Diese Unterschiede fuhren schließlich zur wichtigsten Eigenart des Stückes was seine dramatische Verarbeitung betrifft: das Abweichen seines Gedankenganges von der Dialektik der eigentlichen Tragödie hin zur Dialektik des modernen Dramas und die Interferenz, die zwischen diesen beiden Arten der Dialektik entsteht. Durch das Beobachten der Merkmale, die eine Reihe von repräsentativen Stücken gemeinsam kennzeichneten, hat der ungarische Kritiker Peter Szondi den Begriff des modernen Dramas und dessen wichtigste Eigenschaften bestimmt. Außerdem führte er ein ähnliches - und, meines Erachtens, nicht weniger gewissenhaftes und wichtiges - Studium über die klassische Tragödie durch. Hier wird von den Schlussfolgerungen Szondis ausgegangen, um die Situation Villalongas Fedra hinsichtlich der dramatischen und tragischen Dialektik zu untersuchen. Die Gattung des Dramas, so wie wir es heute verstehen, ist nach Szondi eine kulturelle Errungenschaft des Renaissancemenschen, der so auf den Zusammenbruch der theozentrischen Weltanschauung des Mittelalters reagiert und sich gegen sie zur Wehr setzt. So erscheint das Drama von seinen Anfängen an als ein in doppelter Hinsicht literarisches Phänomen: einerseits aus historischen Gründen (insofern es das Produkt einer bestimmten Geschichtsentwicklung der westlichen Gesellschaften ist) und andererseits aus philosophischen (da es auf einem bestimmten Gedankengut beruht, nämlich dem der Renaissance). Aber, obwohl man es oft so gesehen hat, kann man das Drama nicht als etwas Systematisches bezeichnen, d. h., es ist nicht etwa das Ergebnis irgendeiner literarischen Vorschrift, noch ist es assimilierbar an irgendwelche hypothetischen Normen über den korrekten Aufbau, dem ein Drama folgen sollte. Dennoch lässt es sich aufgrund von folgenden grundlegenden, bei seiner Ausführung (also bei seiner szenischen Darstellung) zu beobachtenden Eigenschaften definieren:
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1. Sein absolutes Wesen. Mit „absolut" meine ich hier zugleich „ursprünglich". Das Drama ist in Bezug auf verschiedene Elemente als „absolut" zu bezeichnen: - In Bezug auf seinen Autor. Im Drama führen immer die Figuren das Wort, nie der Autor. Es realisiert sich selbst und nicht als ästhetischer Ausdruck des Gedankengutes seines Autors, wie es z. B. in einem Gedicht oder in einer Erzählung der Fall ist. Das Drama stellt sich selber dar, während sein Autor, der von ihm selbst eingerichteten Konvention zufolge, davon ausgeschlossen bleibt. - In Bezug auf den Darsteller und auf den Zuschauer: Der darstellende Schauspieler darf sich unter keinem Umstand von der Konvention der von ihm dargestellten Figur trennen, ohne das Drama als System zu sabotieren; der Darstellende und der Dargestellte müssen jederzeit eine einzige Einheit bilden. Andererseits muss sich der Zuschauer emotional und intellektuell in das System des Dramas einfügen, dies soll jedoch von einer absolut äußeren Stellung aus geschehen, nie durch ein Handeln oder ein aktives Eingreifen des Zuschauers im Drama. - In Bezug auf Raum und Zeit: Das Drama muss sich zwei gegensätzliche Räume schaffen, die das Entstehen einer eigenen, ausschließlichen Athmospäre für seine Realisierung garantiert, und zwar einerseits die Bühne und andererseits den Zuschauerraum. In diesem Sinn ist die Verteilung der aus Italien stammenden Guckkastenbühne, so wie sie normalerweise in den europäischen Theatern zu finden ist, die geeigneteste, denn sie bestimmt die Lage des Raumes der außerhalb der Fiktion situierten Zuschauer, da es sich um ein geschlossenes Zimmer handelt, dessen Vorderwand entfernt wurde. Andererseits muss innerhalb des dramatischen Raumes auch die Zeit absolut sein: Nur die Gegenwart und die Folge gegenwärtiger Momente sind dort erlaubt. Dieser absolute Charakter der dramatischen Zeit steht in engem Zusammenhang mit dem zweiten großen Merkmal der Gattung Drama: 2. Sein dialektischer Charakter. Die der dramatischen Sprache innewohnende Dialektik ist die der zwischenmenschlichen Beziehungen. Deshalb ist der Dialog die dramatische Form schlechthin, weshalb die Renaissance auch Prolog, Epilog und die Figur des Chores streicht: Die Beseitigung dieser Elemente hat zur Folge, dass das ganze Gewicht von Text und Handlung vom Dialog zu tragen ist; dieser kann in jedem erdenklichen Versmaß oder in Prosa und in unendlich vielen Stilarten zum Ausdruck kommen. Diese beiden wären also die grundlegenden Merkmale der Gattung Drama. Natürlich hat die moderne dramatische Literatur seit Ende des 19. Jahrhunderts diese definitorischen Voraussetzungen immer wieder untergraben, bis sie schließlich gegen Anfang des 20. Jahrhunderts die ästhetische Krise des Dramas ausgelöst hat (wobei der Begriff „Krise" in seinem etymologischen Sinn als ,Änderungsprozess' verstanden werden muss), die dann zu neuen Aus-
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drucksformen und zum Aufarbeiten des traditionellen Dramas geführt hat; und im Zusammenhang mit dieser Krisenzeit muss man auch den „Phädra-Zyklus" sehen, der hier untersucht wird. Nun ist Phädra natürlich kein dramatisches Thema, sondern ein tragischer Mythos, und insofern sind auch die Quellen, auf die Lloren? Villalonga beim Bearbeiten des Stoffes zurückgreift, tragisch, wie auch die Art der Dialektik, die dieses Stück belebt, tragisch ist. Bei seinem Vorhaben, das Phänomen der Tragik zu definieren, durchgeht Peter Szondi noch einmal sämtliche Definitionen der Tragödie der wichtigsten Denker der deutschen Moderne, vom Idealismus des 18. Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart. Von all diesen Einzelperspektiven ausgehend, versucht Szondi, die Grundelemente, die zur Tragik gehören, festzustellen, und die wir wie folgt zusammenfassen können: Die tragische Dialektik zeichnet sich durch eine zirkuläre Umsetzung aus, so dass die zwei möglichen Lösungen eines bestimmten Konflikts antithetisch und dabei zugleich jeweils die eine die Konsequenz der anderen werden; dies führt unweigerlich zur Vernichtung des Subjektes, d. h. des Helden, der seinerseits Objekt dieser Dialektik ist. In der Tragödie bringt die Erlösung die Vernichtung mit sich. Oder, um es mit einem ziemlich villalongischen Bild zu sagen, die Realität (und vor allem die tragische Realität) ist ein Fisch, der sich in den eigenen Schwanz beißt. Die dramatische Dialektik ist offen, die tragische Dialektik dagegen ist geschlossen. Von den Autoren, die Szondi untersucht, lohnt es sich, Friedrich Nietzsches Geburt der Tragödie etwas genauer anzusehen, und zwar nicht nur, weil sich Nietzsches Darstellungsweise der Tragik besonders für das Studium Villalongas Fedra eignet, sondern auch, weil es sich um einen Autor handelt, der zeitlebens ein besonders großes Gewicht in Villalongas Gedankengut gespielt hatte und der ihn wohl ganz speziell in seiner Jugend beeinflusst haben muss: Es ist noch nicht untersucht worden, inwieweit Nietzsches Theorien in Villalongas dunkelster Zeit, in der er den Faschismus unterstützte, als möglicher Hintergrund gedient haben mögen. Nietzsche also geht von der Idee aus, dass das Tragische darin besteht, „schauen zu müssen und zugleich über das Schauen hinaus sich zu sehnen". Er wendet diese allgemeine Definition der Tragödie auf den künstlerischen Bereich an, indem er feststellt: „Man übertrage sich nun dieses Phänomen des aesthetischen Zuschauers in einen analogen Prozess im tragischen Künstler, und man wird die Genesis des tragischen Mythus verstanden haben." Dann entwickelt Nietzsche diese Idee in seiner eigenen kritischen Terminologie weiter: „Er [der tragische Mythus] theilt mit der apollinischen Kunstsphäre die volle Lust am Schein und am Schauen und zugleich verneint er diese Lust und hat eine noch höhere Befriedigung an der Vernichtung der sichtbaren Scheinweit"." Aus dem Original zitiert nach der elektronischen Ausgabe im Projekt Gutenberg. (Anm. d. Übers.)
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Die beiden absoluten Begriffe (mit ihren Parallelwerten zu Leben und Tod), die für Nietzsche hier in Widerspruch treten, sind Dionysos und Apollo, bzw. dionysisch und apollinisch. Das Dionysische stellt das allgemeine, abstrakte Prinzip dar, das alle Dinge in einer einzigen Begriffswelt definiert und das daher die Individualität verneint. Das Apollinische seinerseits ist gekennzeichnet als ein Wert der Individuation, als das konkrete Prinzip, das alle Dinge und alle Geschöpfe formt und bestimmt. Hiervon ausgehend, erklärt sich für Nietzsche die tragische Dialektik durch diese dionysisch-apollinische Ambivalenz, indem derselbe Diskurs beide Begriffe beinhaltet, die sich grundsätzlich widersprechen und doch gegenseitig erklären: So sehen wir erneut den sich schließenden Kreis, den Fisch, der sich in den eigenen Schwanz beißt und die Idee, dass das Tragische aus seiner eigenen Natur heraus unlösbar ist, und nicht aufgrund eines von außen kommenden Einflusses irgendeines höheren Wesens. Daher liegt für Nietzsche die tragische Problematik in der Tatsache, dass der tragische Künstler „schauen" muss (d. h., dass er sich genötigt fühlt, sich für die Individuation und für deren ästhetischen Wert, für ihre sichtbare Erscheinung zu interessieren, also zum Apollinischen hinzuneigen), aber zugleich sich „über das Schauen hinaus" sehnt, d. h., dass er weiter vordringen, mehr wissen will, als das, was seine Augen wahrnehmen können (ich verstehe hier, dass er, von dem Wissen ausgehend, das ihm das apollinische Schauen vermittelt, das Verlangen hat, dieses Wissen mit einem transzendierten und abstrakten, d. h. dionysischen Wissen zu verbinden). Um dieses dionysische Transzendenzverlangen zu erfüllen, muss er also die Lust am Schauen verneinen (rufen wir uns hier nur kurz in Erinnerung, dass Ödipus sich die Augen ausreißt, als er das Verbrechen entdeckt, das ihn als den tragischen Helden definiert, der er ist) und die sichtbare Erscheinung auslöschen: Kurz, der tragische Künstler muss die ästhetische Individualität (den tragischen Helden) vernichten, um in seinem Werk die Sphäre des Transzendenten mit einzuschließen. Ohne das Apollinische kann man nicht zum Dionysischen gelangen; ist dieser Weg aber einmal gegangen, so kann das Apollinische unmöglich überleben, denn es lässt sich nicht im Dionysischen integrieren, da es sich um sich gegenseitig ausschließende Begriffe handelt. Die Verbindungen dieser Theorie mit Ideen wie metaphysisches Verlangen, geistige Leere, Versuchung des Abgrundes oder Betrachtung und Übergang der unteren in die oberen Existenzbereiche - wie sie der deutsche Idealismus, die europäischen Romantiker und die französischen Symbolisten und Postsymbolisten verfochten - , sowie mit dem platonischen und neuplatonischen Hintergrund, den alle diese Richtungen ästhetischen Denkens gemeinsam haben, sind ebenso vielfaltig wie offensichtlich, obwohl ich hier nur darauf hinweisen möchte, ohne im Einzelnen darauf einzugehen, da das nicht Gegenstand dieses Beitrages ist. Zurück also zur Fedra von Lloreng Villalonga. Das ganze Theoriegebäude Nietzsches, das ich soeben hinsichtlich des tragischen Helden zusammenge-
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fasst habe, findet sich in der Heldin dieses Stücks reflektiert, und zwar von Anfang an, schon im Prolog. Bevor also das eigentliche Stück anfangt, erscheint Phädra auf der Bühne und trägt einen Monolog vor, der völlig außerhalb von Handlung und Argument liegt, aber der dennoch den letzten Sinn der ganzen Tragik dieser Figur zusammengefasst vorausschickt. Untersuchen wir hier die beiden wichtigsten Fragmente daraus: Ich, die ich vom Baum der Erkenntnis gegessen habe, bin schuldig in meinem Stolz und verdiene keine Gnade, noch könnte ich sie annehmen. Alles, was ich ertragen habe, besagt nichts weiter als, dass ich empfunden und gelebt habe. Für mich war die Existenz Erbeben, Begreifen...
Und etwas später: In unserem Streit, lieber Hippolytos, ist meiner der bessere Teil. Du warst das ganze Leben, ich aber bin die Kunst: All das, was du gewesen bist oder verwirklicht hast, Besteht doch nur, weil ich es betrachtet habe. Ich werde dein Antlitz, jede Einzelne deiner Gesten bewahren. Hab keine Angst, es wird sich keine verlieren. Um sie alle festzuhalten, habe ich mich ins Labyrinth begeben.
Phädra bekennt von Anfang an ihre Schuld, und wie gesehen, ist die Schuld die nötige Voraussetzung dafür, dass sich die geschlossene Dialektik zwischen Erlösung und Vernichtung ergeben kann, wie wir sie weiter oben dargestellt haben: Alle tragischen Helden tragen irgendeine Schuld (Ödipus wird schon allein durch seine Existenz schuldig, da das Orakel ihn als künftige Gefahr für seinen Vater und für sein Land angekündigt hatte; Othello wird aus Eifersucht und Zweifel schuldig, Phädra aus Liebe), und zwar weil es in ihrer Natur liegt, weil das ihnen innewohnende Schicksal es so vorsieht. Welche Schuld aber trägt Phädra bei Villalonga? Meine Behauptung, Phädra sei aus Liebe schuldig, ist bereits im klassischen Mythos bei Eurípides und Seneca, aber auch in Racines neuer Gestaltung des Stoffes nachweisbar (auch wenn bei Racine bereits politische Betrachtungen mit einfließen), aber in Villalongas Sicht gewinnt diese schuldige Liebe eine andere, sehr wichtige Nuance: Phädra ist schuldig - sie sagt es selber ganz klar - aus Stolz; und dieser Stolz hat seinen Ursprung im Wissensdurst der Figur: Sie ist stolz, weil sie „vom Baum der Erkenntnis gegessen" hat und weil für sie die „Existenz Erbeben, Begreifen..." war. So ist es möglich, vorauszuschicken, dass die tragische Dialektik dieser Figur sich wie folgt gestalten wird: Eben das Streben nach Kenntnis, das für sie bezeichnend ist und das sie erlösen kann, indem es ihr hilft, ihre Unlust und ihr mangelndes Kommunikationsvermögen zu überwinden, wird sie letzten Endes vernichten, indem es sie zu einem unzulässigen Gefühl führt, das we-
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der von der Moralität ihrer Umgebung noch - und das ist hier das Wichtigste - von ihrem eigenen Sittenbegriff toleriert werden kann, und zwar aufgrund ihrer eigenen und charakteristischen Rationalität. Erlösung und Vernichtung gehen so, durch den intellektuellen Stolz dieser Figur, Hand in Hand und zeichnen einen Weg, der nur im Kreis führt und aus dem es keinen Ausweg gibt. Was nun im Inneren Phädras mit sich selbst in Konflikt tritt und so ihre Schuld bestimmt, ist die Vernunft selbst: jene Rationalität eben, die letzten Endes ihre Persönlichkeit bestimmt. Das zweite oben zitierte Fragment aus dem Prolog gibt uns sozusagen Auskunft über die philosophische Herkunft der Figur, über das ästhetische Vorbild, dem sie folgt, und dieses Vorbild ist kein anderes als das Nietzsches. Die Bestandteile sind leicht festzustellen: Phädra selbst lässt uns wissen, dass sie in dem Konflikt, der zwischen ihr und Hippolytos ausgetragen wird (und hier ist sie einseitig, da Hippolytos nie von den Gefühlen seiner Mutter wissen wird), sie selbst die Kunst (also das Apollinische) darstellt, während Hippolytos die Rolle des „ganzen Lebens" spielt, also das Dionysische ist (und hier ist dieser Begriff nicht nur metaphorisch gemeint, denn Villalongas Hippolytos ist ein junger Mann, der sich mit Leib und Seele der Ausschweifung und dem ständigen Feiern des Lebens verschreibt und keine andere Moral als seine eigene anerkennt). Von diesem Moment an entwickelt sich die Beziehung zwischen diesen beiden Figuren ganz nach dem von Nietzsche entworfenen Schema: Zuerst treffen wir auf die künstlerische Notwendigkeit des Schauens und auf die schöpferische Potenz, die diesem Schauen innewohnt. So erklärt Phädra, dass alles, was Hippolytos (das Leben) geleistet hat oder gewesen ist, nur dadurch geschehen ist, dass sie, Phädra (die Kunst), es betrachtet („geschaut") hat. Aber als direkte Konsequenz der Notwendigkeit des Schauens entsteht auch der Wunsch, weiterzugehen, zu verstehen, in diesem Fall durch die Liebe. Zugleich ist diese Konsequenz aber auch Antithese, denn wenn der Prozess des Schauens eine schöpferische Potenz in sich trug, so beinhaltet der Wunsch des Verstehens ein Vernichtungspotenzial. Phädra selbst drückt es mit den folgenden Worten aus: „Ich werde dein Antlitz, jede Einzelne deiner Gesten bewahren. /[...] Um sie alle festzuhalten, habe ich mich ins Labyrinth begeben." Das heißt also, dass Phädra, um verstehen zu können (sie spricht von „bewahren", womit sie die Idee der Erkenntnis als Kraft gegen das Vergehen der Zeit entwirft), bewusst das Risiko der eigenen Vernichtung (das „Labyrinth") eingeht. Sie nimmt also die Rolle des mythologischen Helden auf sich (wobei es recht interessant ist, zu sehen, wie Villalonga das Labyrinthmotiv von Theseus auf Phädra verlagert), allerdings mit dem Unterschied, dass sie keine Heldin der Sage sondern eine tragische Heldin ist, und deshalb die Probe nicht bestehen wird, sondern durch dieselbe Macht (die Rationalität und das Erkenntnisvermögen) vernichtet wird, auf die sie sich stützt, um der Gefahr, die sie sich selbst auferlegt hat, ins Auge zu blicken.
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So wird also in derselben Phädra und in ihrem „schuldigen Stolz" der Erkenntnis das Fatum mit eingeschlossen, das sie zum unausweichlichen Schicksal der Erlösung (durch das Schauen) und der Vernichtung (durch das Verstehen) führen wird; in der tragischen Dialektik, die dieses Schicksal bestimmt, nimmt Phädra als Subjekt (sie ist das aktive Apollinische) teil, während Hippolytos (der das passive Dionysische darstellt) es als Objekt tut. Auf seinem Weg zum Verstehen des Objektes zerstört also das Subjekt sich selbst; in dieser Selbstzerstörung wird jedoch zugleich das Objekt mit vernichtet: Das „Antlitz" und die „Gesten" (letzten Endes also das Bild), die Phädra von Hippolytos gesammelt hatte, um sie vor dem Vergehen der Zeit zu bewahren, werden sich für immer in jenem „Labyrinth" verlieren, in dem Phädra gefangen bleiben wird. Erneut sind Erlösung und Vernichtung die zwei Kehrseiten derselben Medaille, jetzt für Hippolytos: Das, was ihn retten sollte, nämlich Phädras Vernunft, wird ihn für immer ins Vergessen verdammen, da sie restlos ausgelöscht wird. In Übereinstimmung mit den Rollen, die sie innerhalb der tragischen Dialektik angenommen haben, vernichtet Phädra sich selbst aktiv, während Hippolytos passiv vernichtet wird. Vom Standpunkt des dialektischen Konfliktes aus, der zwischen den beiden entsteht, sind die eine wie der andere schließlich zwei Figuren, die perfekt in die Typologie des tragischen Helden passen, wie ich sie weiter oben dargestellt habe. In diesem Sinn kann man Villalongas Stück als moderne Tragödie bezeichnen, der keines der für sie charakteristischen Merkmale abgehen. Aber ich habe ja bereits angedeutet, dass ich diese Fedra als eine Art Kreuzung zwischen Tragödie und Drama betrachte, was sich auf Anhieb anhand der Figuren von Phädra und Hippolytos feststellen lässt. Ich habe hervorgehoben, dass es sich hier nur insofern um zwei völlig tragische Figuren handelt, als sie vom Konflikt aus betrachtet werden, der ausschließlich zwischen ihnen beiden besteht. Wenn sie dagegen mit den anderen Figuren des Stückes in Verbindung treten, verhalten sich beide wie ausgesprochen dramatische Figuren. Nehmen wir zum Beispiel das Verhältnis zwischen Phädra und ihrem Mann, Theseus Orfila. Aus dem Verhalten Phädras ihrem Mann gegenüber ergibt sich ein grundlegendes Merkmal, das uns über den Charakter der Heldin informiert: die Lebensunlust, an der sie leidet und die den Ausschlag für diese etwas verzweifelte Suche nach Erkenntnis gibt. Andererseits kennen wir seit seinem ersten Auftritt (ja sogar schon vorher, indem Phädra sich in ihren ersten Sätzen auf ihn als einen zu duldsamen und nachlässigen Vater bezieht) die Eigenart, die Theseus definiert, nämlich die Dekadenz, ein sehr wichtiger Begriff für das Verständnis des ideologischen Gehaltes des Stückes. Phädra ihrerseits geht mit den anderen Figuren des Stückes typisch dramatische zwischenmenschliche Beziehungen ein. Dabei ist eine der bedeutendsten die, die sie mit Carolina Tour de Motigny hat, eine alte und enge Freundin der Protagonistin, die eine der hervorragendsten Beiträge Villalongas zu Phädras Geschichte darstellt, den Salvador Espriu glänzend in der Aus-
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arbeitung seiner nouvelle benutzen wird. Die Rolle, die Carolina Tour Phädra gegenüber spielt, ist dabei nicht ganz so typisch für die dramatische Dialektik im strengsten Sinn, so wie sie Peter Szondi als einen der wichtigsten Punkte für das Verständnis der Krise des modernen Dramas bezeichnet: Das Einfuhren von Figuren, welche, im Widerspruch zum Prinzip der im Drama ständig vorhandenen Zeitmessung, die Hauptaufgabe haben, diejenigen Geschehnisse aus der Vergangenheit zu vergegenwärtigen und zu erzählen, die für das vollständige Verständnis der aktuellen Konflikte nötig sind. Über Carolina werden wir also über Phädras glänzende familiäre Herkunft (die, im Gegensatz dazu, den dekadenten Aspekt ihrer gegenwärtigen Situation unterstreicht) und auch über den Verlauf ihres persönlichen Charakters informiert, der sich schon von klein auf durch eine raue Rationalität und einen ausgeprägten Wissensdurst auszeichnete. Andererseits vertritt Carolina Tour einen Adel, der es verstand die Modernität zu assimilieren, der sich durch gebildete und snobistische Schnörkel, die alle aus dem von Villalonga so sehr bewunderten Land der lumières kommen, auszeichnet und dem Inseladel gegenübersteht, der ebenso abgeschmackt wie auch so weit verantwortlich ist für den Ostrazismus und die Unlust, an denen Phädra leidet, dass er ausschlaggebend für ihr Handeln ist. Und schließlich hat Carolina Tour eine typisch dramatische Beziehung zu Hippolytos, indem sie einen positiven Vitalismus vertritt, der im Gegensatz zum negativen Vitalismus des jungen Mannes steht: Während Carolina Tour ihrer Einsamkeit bewusst ist, und sie mit Hilfe jener Mittel des Genießens zu bekämpfen weiß, die ihr das Leben selbst zur Verfügung stellt (z. B. durch die mutmaßliche lesbische Beziehung, die sie mit ihrer Begleitdame Lili Degrain, einer eher ornamentalen Figur, hat), will Hippolytos dieser Einsamkeit entfliehen, indem er sie mit allen Mitteln zu leugnen versucht und dabei den Weg der Selbstzerstörung geht (daher seine Beziehung zum Taxifahrer, dem Dealer, der ihm die Drogen besorgt, oder zum Gouverneur, der eine von ihm begangene Unterschlagung öffentlicher Gelder verdeckt, wie er nur kann), der seinen Höhepunkt in seinem Mitwirken bei dem verrückten Abenteuer von Allan Bent hat (dabei geht es darum, den Atlantik in einem zerbrechlichen Ruderboot zu überqueren), das zu seinem physischen Tod führt (hier möchte ich unterstreichen, dass Hippolytos so zwei Tode stirbt, nämlich einen moralischen, der das Resultat seiner tragischen Beziehung zu Phädra ist, und einen physischen, welcher als Folge seines dramatischen Verhaltens zu verstehen ist). So klammert sich also Carolina Tour an das Leben und versteht es, zu leben, während Hippolytos sich so verbissen und unbewusst daran festklammert, dass er es sich selbst verneint: Dies sind die beiden Kehrseiten derselben Medaille des Existenzvitalismus, „der Fisch, der sich in den eigenen Schwanz beißt", wie Villalonga gern zu wiederholen pflegte. Daher ist es auch nur logisch, dass diese beiden Figuren sich in einem bestimmten Moment gegenseitig anziehen, wobei im Hintergrund dieser Anziehungskraft die Unmöglichkeit steht, diese tatsächlich in die Praxis umzusetzen.
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Die dritte und letzte Figur, mit der Phädra eine interessante dramatische Beziehung aufnimmt, ist das Dienstmädchen Enone, eine Figur, die Racine in seine Phädrafassung aufgenommen hatte und die sowohl Villalonga als auch Espriu in ihren jeweiligen Ausarbeitungen beibehalten haben. Bei Villalonga ist die alte Enone ein Element, das zwei ausschlaggebende Umstände in Phädras Erscheinen und Verhalten hervorhebt: den Prunk der Vergangenheit und die Dekadenz der Gegenwart. Enone verkörpert diese beiden Handikaps, denn wenn sie in der Vergangenheit ein vorbildliches und tüchtiges Kinder- und Dienstmädchen war, so ist sie jetzt wenig mehr als eine vorzeitig senile und unnütze Alte, die dank ihrer Untauglichkeit schließlich aktiv an Phädras Tod teilnimmt. Das Einzige, was Enone Phädra momentan noch anbieten kann, ist ein gewisses Mitleid, das in einer vollständigen sentimentalen Identifikation zum Ausdruck kommt. Enone handelt also sozusagen wie Phädras Schatten, was die bedeutendsten Aspekte in Phädras Komposition als dramatische Figur hervorhebt, weshalb sie auch zu keiner der anderen Personen Beziehungen hat. Man könnte also sagen, dass Villalonga hier etwas nachlässig ist, da er das Ende dieser Figur offen lässt, wo doch die enge Verbindung, die sie zu Phädra hat, eigentlich einen parallelen Ausgang zu deren Tod erwarten ließe, wie auch ihre Lebenswege parallel verlaufen sind, und mehr noch, wo Racine genau diese Lösung vorgibt. In seiner nouvelle über Phädra löst Espriu Villaiongas „Nachlässigkeit", indem er Enone (die hier direkt den Beinamen Phädras „Schatten" erhalten hat) aus Kummer über den Tod ihrer Herrin sterben lässt. Dadurch schafft Espriu einen Unterschied Racine gegenüber, dessen Enone, vom schlechten Gewissen geplagt, Selbstmord begeht, während die des katalanischen Autors ganz einfach an der Identifikation mit dem Missgeschick ihrer Herrin und Freundin stirbt. Auf diese Art nimmt Espriu das Thema des „guten Dienstmädchens" auf und entfernt sich so von Racine, um sich wahrscheinlich Petronius zu nähern, der dieses Thema in seiner Erzählung der Witwe von Ephesus behandelt. Übrigens bearbeitete im selben Jahr, in dem Espriu an seiner nouvelle schrieb (1936), Jean Cocteau dasselbe Thema (von der erwähnten Erzählung Petronius' ausgehend) in seiner einaktigen Komödie L'école des veuves. Es ist auch zu erwähnen, dass die Rolle, die Enone in Racines Stück spielt (in welchem sie Phädra dazu ermutigt, ihr Verbrechen auszuführen, indem sie ihr Rechtfertigungen sucht und sie falsche Hoffnungen schöpfen lässt), in Villalongas Fassung teilweise von Carolina Tour übernommen wird, die am Ende des zweiten Aktes Phädra darüber informiert, dass sie von deren Leidenschaft für Hippolytos weiß, um ihr daraufhin ihr Verständnis und eine gewisse Hoffnung zu bieten, indem sie ihr in Erinnerung ruft, dass Hippolytos letzten Endes nicht ihr leiblicher Sohn ist. Auf alle Fälle scheint es mir nicht allzu weit hergeholt, einen gewissen Zusammenhang zwischen Villalongas und Esprius Fedra-Zyklus und jenen Überarbeitungen der neoklassizistischen Tragödie zu vermuten, die in denselben Jahren verschiedene französische Autoren wie Jean Anouihl oder der bereits erwähnte Cocteau vornehmen.
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Was nun Hippolytos angeht, so beschränken sich seine Beziehungen in der dramatischen Dialektik Villalongas Stück nicht auf Carolina Tour de Montigny, den Taxifahrer, den Gouverneur und Allan Bent, sondern er nimmt auch dramatische Verbindungen zu den Figuren seines Vaters Theseus und seiner Freundin Arikia auf. Seinem Vater gegenüber handelt Hippolytos aus Widerstand und aus Verweigerung: Der extreme und selbstzerstörerische Vitalismus des Jungen steht im Widerspruch zum dekadenten und selbstgefälligen Verhalten seines Vaters. Wenn nun andererseits Theseus danach streben könnte, in gewisser Weise von dieser ihn bestimmenden Dekadenz erlöst zu werden, indem er wohl eine hypothetische Seite des guten Vaters in sich entdeckte, so nimmt ihm Hippolytos diese Möglichkeit durch seine völlig unkommunikative und gleichgültige Haltung, die sofort beim sorglosen Theseus Widerhall findet. So charakterisieren sich die beiden Figuren nicht nur gegenseitig durch Widerspruch und Kontrast, sondern diese Gegenüberstellung hebt die bedeutendsten Grundmerkmale der beiden noch hervor. Was Arikia betrifft (die, wie Enone, von Jean Racine dem Phädra-Mythos hinzugefugt und dann sowohl von Villalonga als auch von Espriu in ihren jeweiligen Fassungen beibehalten wurde), so scheint sie die undeutlichste und oberflächlichste der Figuren in Villalongas Stück zu sein, da ihr auch kein wirklicher Sinn im Fortschreiten der Handlung zukommt. Ihr Auftreten ist rein episodisch (sie erscheint nur im zweiten Akt) und völlig irrelevant, was so weit geht, dass sie nicht einmal mit auch nur einem Wort auf das unheilvolle Ende ihres geliebten Hippolytos reagiert. Ihre Rolle im Stück beschränkt sich darauf, eine seiner vielen Eroberungen zu sein. Dementsprechend misst er ihr auch keine größere Bedeutung bei als die eines Abenteuers, das ihn nicht weiter interessiert; Phädra ihrerseits verachtet sie, nicht so sehr aus Eifersucht - wie bei Racine - als aus intellektuellem Hochmut. Zu den restlichen Figuren hat sie überhaupt keine Beziehung. Es handelt sich also um eine sehr zweitrangige, eher überflüssige Figur, die Villalonga sicherlich zu Ehren seines bewunderten Racine beibehalten hat. Allerdings hatte Arikia in dessen Phädra sehr wohl eine relevante Funktion. Das liegt sicherlich daran, dass anscheinend die Tatsache, dass ein junger Mann wie Hippolytos die Liebe einer schönen und noch jungen (wenn auch erfahrenen) Frau wie Phädra ablehnte, für die Mentalität der höfischen Kreise im Frankreich des 17. Jahrhunderts ganz klar ein Zeichen von Homosexualität gewesen wäre. Daher brauchte Racine eine zweite Liebe für Hippolytos, die dessen Absage an Phädra glaubhafter machen und verstärken sollte, und eben diese Liebe war Arikia, die so der Problematik Phädras Leidenschaft ein weiteres tragisches Element wie die Eifersucht hinzufügte (rufen wir uns hier noch einmal kurz in Erinnerung, dass das Paradigma der Eifersucht in Shakespeares Othello zu finden ist). In Villalongas Stück aber, ohne den sozialen Hintergrund, der Racine gewiss veranlasst hatte Arikia zu schaffen, und ohne irgendeine Handlung, die das Einbeziehen dieser Figur rechtfertigen würde, ist diese Geliebte Hippolytos' nichts weiter als überflüssige Zierde, die dem szenischen Erzählfluss des Stückes Abbruch tut.
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Wir haben also gesehen, wie die tragischen und die dramatischen Elemente sich in dieser Fedra Vilalongas kreuzen, koexistieren und vermischen und so den Weg des ganzen Zyklus vorgeben, den er zusammen mit Salvador Espriu schreibt. Wie Carolina Tour im dritten Akt einmal meint, während sie mit Phädra über die Attraktion spricht, die diese Hippolytos gegenüber fühlt, „gibt es keinen Grund zur Tragödie". Trotzdem bleibt die Tragödie (oder, besser gesagt, der dialektische Mechanismus, der die Tragödie ausmacht) in der Gestaltung und den Beweggründen der beiden Hauptpersonen, Phädra und Hippolytos, bestehen. Aber sie bleibt auch ein wesentlicher Bestandteil der doppelten Natur, auf die ich hingewiesen habe und die das bedeutendste Merkmal dieses Stückes ausmacht, nämlich die, die zugleich Tragödie und Drama einschließt. Und es ist das Drama, was Villalonga ermöglicht, jene Elemente in sein Stück aufzunehmen, die das Mythos modernisieren und frivoler erscheinen lassen, wie ich am Anfang angedeutet habe. SEBASTIÄ A L Z A M O R A
Vicent Simbor Roig Lloren^ Villalonga und die Ichliteratur Der autobiographische Raum im Werk Llorenf Villalongas Eines der am häufigsten erwähnten Merkmale des literarischen Schaffens Lloren? Villalongas ist die persönliche, autobiographische Ausgangsbasis seiner fiktionalen Welten. Im Vorwort zum ersten Band der Gesammelten Werke LlorenQ Villalongas (1966) bemerkte Joaquim Molas, dass es sich hier „wie bei André Gide oder Albert Camus um einen Schriftsteller mit eher wenig Vorstellungskraft handelt, der also mit Lektüren, Ideen und persönlichen Erfahrungen arbeitet". Und er fugte noch hinzu: „Statt Argumente und Figuren zu schaffen, entnimmt er sie aus seiner persönlichen und familiären Umgebung". Etwas weiter unten schließlich heißt es: „Insgesamt ist das Werk Lloreng Villalongas, und zwar das vor 39 geschriebene wie auch das danach entstandene, nichts weiter als eine sehr breit angelegte Sammlung persönlicher, zugleich aber auch kollektiver Memoiren. Hierbei handelt es sich nicht einfach um eine literarische Etikette, sondern um wirkliche Memoiren. Und um sehr eindeutige".' Die Entgegnung, die Jaume Vidal Aleover hierauf schrieb, widerlegt dieses Kriterium gewiss nur scheinbar, da sie sich eher gegen das Urteil der fehlenden Vorstellungskraft richtet als gegen die autobiographische Ausgangsbasis von Villalongas Schriften: „Sie meinen, dass Lloreng Villalonga nichts aus seinem eigenen Kopf holt, dass er sich ganz einfach hinsetzt und das zu Papier bringt, was er vor seinen Augen hat. [...] Es ist nicht einfach, diese Idee mit dem Bild eines Lloren? Villalonga, der immerhin in der Lage war eine ganze Sage zu schaffen - die Sage von Bearn - , zu vereinbaren". Bezeichnenderweise fahrt er dann fort wie folgt: „Die Literatur geht immer von der Realität aus, und ganz besonders die Literatur Villalongas, die alles in allem seine Artikel, Konferenzen, Witze, Kurzgeschichten und langen Romane - eine einzige, immense Satire ist".2 Nachdem also der Begriff der Vorstellungskraft so etwas genauer bestimmt ist, sehe ich keinen Grund, weshalb die, sagen wir einmal, stark autobiographische Realität, die Villalongas Werk zugrunde liegt, weiter in Frage gestellt werden sollte. Ich glaube auch nicht, dass irgendjemand sie bezweifeln könnte. Hierbei ist nicht zu vergessen, dass der erzählende Protagonist (den man mit der entsprechenden Vorsicht mit Villalonga gleichsetzen kann) der Falses memòries de Salvador Orlan (Falsche Memoiren des Salvador Orlan), in größter Einstimmigkeit mit Joaquim Molas,
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Joaquim MOLAS: „El mite de Bearn en l'obra de Villalonga", in Lloreng VILLALONGA: Obres Completes, Bd. I, Barcelona (1966), S. 9.
2
Jaume VIDAL ALCOVER: Llorenf
Villalonga i la seva obra, Barcelona (1980), S. 14-15.
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behauptet, „alle Bücher, die ich geschrieben habe, müssten in diesen Memoiren enthalten sein, da ich sie mehr oder weniger gelebt habe".3 Wenn ich nun von einem bedeutenden autobiographischen Gehalt, der dem literarischen Schaffen Villalongas eigen ist, spreche, meine ich natürlich nicht, dass deshalb sein ganzes Werk eine einzige, große Autobiographie im eigentliche Sinne ist. Tatsächlich gehört nur ein sehr kleiner Teil seiner Produktion zu dieser Gattung, die eher als faktisch zu bezeichnen wäre; dagegen ist der absolut größte Teil ohne jeden Zweifel auf dem Gebiet der Fiktion anzusiedeln, auch wenn der Autor hier und da ausreichend autobiographische Elemente in seine Erzählwelt einstreut, um diese in die nächste Nähe der Sorgen und Umstände seines wirklichen Lebens zu rücken. Es muss bei einem Schriftsteller, dessen Schaffen so stark an seine Umgebung gebunden ist, eher überraschen, dass er für sein einziges autobiographisches Projekt, das der Falses memöries de Salvador Orlan, keinen „echten" autobiographischen Pakt zum Lesen vorschlägt, wie wir gleich sehen werden, sondern darauf verzichtet, dem Leser einen gebundenen Bezugspunkt darin zu geben. Es handelt sich hierbei um ein regelrechtes Paradox, das ich versuchen werden zu erklären. Allem Anschein nach, war dieser freizügige Schriftsteller, der so dazu neigte, Elemente seiner ganz persönlichen Realität in seine erzählte Welt aufzunehmen, besonders darauf bedacht, diese Realität in der Fiktion zu filtern, d. h. sie zu vertuschen. Dabei glaube ich nicht, dass er hier ausschließlich auf die schöpferische Freiheit setzt, die einzig und allein der eigenen Vorstellungskraft Folge leisten würde und der sich daher auch die der faktischen Realität entnommenen Elemente unterordnen müssten. Der Eifer, mit dem er die Eigennamen historischer Personen, die sich in seinen Memöries falses de Salvador Orlan finden, verhüllt, wie auch das Verbergen oder Verkleiden einiger historischer Tatsachen, kann nur Folge von Villalongas Scham sein, die er fühlt, wenn er sich zu direkt auf die Intimsphäre bezieht, sei es nun die eigene oder die anderer. In diesem Zusammenhang möchte ich folgende interessante Worte von Xavier Pia zitieren, die von einer Interpretation Carles Ribas ausgehen und sich auf eine ähnliche Haltung seitens Josep Pias beziehen: „Pia ist ein Schriftsteller, der ständig ein tiefes Misstrauen all dem gegenüber auszudrücken scheint, was zum Innenleben gehört oder, im weiteren Sinn, dem gegenüber, was sich auf den Ausdruck der Intimsphäre bezieht". Den Grund hierfür müsste man in wohl verwickelten Ursachen suchen, die man grob wie „eine Art Antiromantik"4 zusammenfassen könnte. Ich glaube, dass es eben diese „Antiromantik" - bei Villalonga zur regelrechten Phobie gesteigert - ist, in der man den Grund zu suchen hat, weshalb er sich so hartnäckig weigert, seine innersten Gefühle und Werte zu gestehen. Natürlich muss die Kunst im-
3 4
Lloren? VILLALONGA: Falses memöries de Salvador Orlan, Barcelona ([1967] 1982), S. 100. Xavier PLA: Josep Pla.ßcciö autobiogräflca i Verität literäria, Barcelona (1997), S. 215.
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mer einen Abstand bewahren, was in diesem Fall einen wenn auch noch so kleinen, fiktionalen Filter bedeuten würde. Das muss allerdings ein Werk belasten, das sich gerade auf die vorgegebene Offenheit - ich meine hier Wahrhaftigkeit - des Bekenntnisses gründet. Wie wir sehen, zeichnet sich der Vorstoß des Ichbereiches in die literarische Tätigkeit Villalongas durch Eigenheiten aus, die es uns aus methodologischen Gründen ratsam erscheinen lassen, bei ihrer Behandlung das reine autobiographische Bekenntnis von der fiktionalen Bearbeitung aus dem persönlichen Bereich stammender Elemente zu unterscheiden. Dabei ist vorauszuschicken, dass diese beiden Ausdrucksmöglichkeiten weit davon entfernt sind, sich klar voneinander abzugrenzen; in ihrem Nebeneinander ergeben sich erschütternde Kontakte.
Das autobiographische Bekenntnis Unter diesem Punkt sind folgende Werke zu betrachten: Falses memòries de Salvador Orlan (Falsche Memoiren des Salvador Orlan) (Barcelona, 1978); „Notes sobre el mallorquinisme i les lectures d'autors francesos" (Aufzeichnungen über den Mallorquinismus und zur Lektüre französischer Autoren) [dieser Text wurde von Damià Ferrà-Ponp in die Einleitung Villalongas Erzählbandes Narracions (1924-1973) (Barcelona, 1974) aufgenommen und danach in dem Buch von Damià Ferra Ponp Escrits sobre Lloreng Villalonga (Barcelona, 1997, S. 215-236) erneut gedruckt]; „Notes autobiogràfiques de Lloren? Villalonga" (Autobiographische Aufzeichnungen von Lloren? Villalonga) (postum von Damià Ferrà-Ponp in der Zeitschrift Randa, 15 [1983, S. 131-168], veröffentlicht); die beiden von Jaume Pomar herausgegebenen Briefbände Prìmera aproximació a l'espistolari de Lloren$ Villalonga (Erste Annäherung an die Briefsammlung von Llorenp Villalonga) (Privatausgabe, Palma de Mallorca 1984) und „Segona aportació a l'epistolari de Lloreng Villalonga" (Zweiter Beitrag zur Briefsammlung von Lloren? Villalonga) (Randa, 22, 1987, S. 129-137); die Briefe „La correspondència entre Lloren? Villalonga i Joan Sales" (Der Briefwechsel zwischen Lloren? Villalonga und Joan Sales), bearbeitet und herausgegeben von Pilar Puimedon i Monclüs {Randa, 34, 1994, S. 131-159); die drei an Baltasar Porcel gerichteten Briefe, die dieser am 1. März 1997 in der Zeitung La Vanguardia veröffentlichte, und schließlich sein letztes veröffentlichtes Werk, Diario de guerra, herausgegeben und mit Vorwort von José Carlos Llop (València, 1997). Es gibt also ein breites Spektrum autobiographischer Untergattungen, die Villalonga gepflegt hat und die uns - neben einzelnen Daten, die er uns in verschiedenen Artikeln vermittelt - direkte Information über seine persönliche, intime Welt geben, ohne die in den fiktiven Werken vorgenommenen Verzerrungen, zumindest im Prinzip. Allerdings entspricht dieser Vielfalt leider kei-
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ne große Menge, denn es findet sich nur ein Werk mit einer gewissen, aber auch nicht gerade übertriebenen Länge darunter, und zwar Les falses memöries de Salvador Orlan. Dabei handelt es sich ausgerechnet um das Werk, in dem der Autor dem Leser den irreführendsten Pakt anbietet, der somit letzten Endes auch der zweideutigste im autobiographischen Sinn ist. Die beiden anderen autobiographischen Proben sind lediglich ein paar kurze Skizzen oder Aufzeichnungen, wie schon deren Titel ankündigt, und auch das Tagebuch und die zwei Briefsammlungen sind sehr kurz. Zweifellos ist der erste der interessanteste und literarisch reichhaltigste Beitrag, weshalb ich ihn besonders genau untersuchen möchte. Bei dem Titel stoßen wir bereits auf die ersten Schwierigkeiten. Handelt es sich hier jetzt tatsächlich um Memoiren oder um eine Autobiographie? Obwohl sie zugeben, dass es nicht immer leicht ist, sie klar voneinander abzugrenzen, so sind doch die meisten Theoretiker der Autobiographie der Meinung, dass ein Unterschied zwischen dieser und den Memoiren besteht. Für Karl J. Weintraub ist es im ersten Fall „der Schriftsteller selbst, welcher über den Erfahrungsbereich seines eigenen Innenlebens nachzudenken versucht", während in den Memoiren „sich das äußere Geschehen in eine bewusste Erfahrung umsetzt, und so richtet der Blick des Schriftstellers sich mehr auf den äußeren Tatsachenbereich als auf den inneren".5 1 In der Autobiographie bemüht sich der Autor also darum, das Porträt seines Innenlebens wiederzugeben, während er in den Memoiren vor allem daran interessiert ist, seinen persönlichen Eindruck der Außenwelt zu vermitteln. Gehen wir, unter Berücksichtigung dieser Unterteilung, vom Inhalt Villaiongas Werks aus, so sollte man wohl eher von einer Autobiographie als von Memoiren sprechen, denn er behandelt dort viel mehr seine innere Realität, als dass er über die Ereignisse seiner Zeit Bericht erstattet. Aber es gibt da noch eine zweite Schwierigkeit, und die ist wesentlich wichtiger: Der Autor bezeichnet sein Werk als „falsche" (falses) Memoiren. Dass es sich hierbei um eine äußerst bedeutende Eigenschaft handeln muss, scheint klar zu sein. Warum sind es „falsche"? Wenn der Autor selbst bekennt, dass sie falsch sind, welche Glaubwürdigkeit haben sie dann für den Leser? Und wenn ihr Bezugssystem nicht glaubwürdig ist, wie können es dann Memoiren sein? Denn wenn Villalonga sich vom erzählenden Protagonisten der Geschichte distanzieren wollte, dann hätte er es beim ausgetauschten Namen - Salvador Orlan - belassen können, denn in dem Moment, in dem der Autor über das Leben einer Figur anderen Namens schreibt, erwartet der Leser so-
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1
Karl J. Weintraub: „Autobiografía y conciencia histórica", Anthropos. Suplementos, 29: La autobiografía y sus problemas teóricos (Dezember 1991), S. 19. Der Originaltext ist zu finden in Critica! Inquiry, 1 (1975), S. 821-848. Aus der spanischen Fassung ins Deutsche übersetzt. (Anm. d. Übers.)
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wieso keine Autobiographie. Der Zusatz „falsche" kann nur als ein klarer Beweis der Skrupel Villalongas verstanden werden, der sich mit der Maske des anderen Namens, mit der er seine Hauptfigur verkleidete, nicht zufrieden gibt, sondern zusätzlich noch den distanzierenden Filter der fehlenden Glaubwürdigkeit braucht. Welchen Pakt schlägt er also seinem Leser vor? Um dies zu klären, nimmt der Autor zwei verschiedene Vorreden zur Hilfe: „Carta de l'autor a l'editor" (Brief des Autors an den Verleger) und „Introducciö" (Einleitung). Die beiden Vorreden sollen dem Autor helfen, den Pakt, den er dem Leser vorschlagen will, erweitert zu konkretisieren. Zunächst folgt er dem in der Autobiographie üblichen Modell: dem Bekenntnis. Dieses Bekenntnis richtet sich an einen Zuhörer, an eine Art Beichtvater, der hier letzten Endes nur der Leser sein kann; ihm wird der Autor seinen Lebensweg erklären, und ihn muss er überzeugen und verführen, um so seine Zustimmung oder sein Vergeben zu gewinnen. Jede Autobiographie, die in Form eines Bekenntnisses vorgestellt wird - das hat Gisèle Mathieu-Castellani 6 glänzend bewiesen - , wird wie eine Gerichtsverhandlung in Szene gesetzt, bei der weder der Angeklagte - der zugleich auch Ankläger ist - , noch die Richter, Anwälte und Zeugen fehlen. Es ist ein Prozess, weil das, was den Autor im Endeffekt anspornt, seine Autobiographie zu verfassen, sein tiefes Schuldbewusstsein ist und daher auch die Notwendigkeit, sich davor zu verteidigen. Der autobiographische Diskurs ist dem des Gerichtsverfahrens sehr ähnlich. In dieser Hinsicht kann das Incipit von Rousseaus Confessions, einem der Gründungswerke der Gattung, gar nicht deutlicher sein: Je veux montrer à mes semblants un homme dans toute la vérité de la nature; et cet homme ce sera moi. [-] Que la trompette du Jugement dernier sonne quand elle voudra, je viendrai, ce livre à la main, me présenter devant le souverain juge. Je dirai hautement: „Voilà ce que j'ai fait, ce que j'ai pensé, ce que je fus. J'ai dit le bien et le mal avec la même franchise. Je n'ai rien tu de mauvais, rien ajouté de bon, et s'il m'est arrivé d'employer quelque ornement indifférent, ce n'a jamais été que pour remplir un vide occsionné par mon défaut de mémoire; j'ai pu supposer vrai ce que je savais avoir pu l'être, jamais ce que je savais être faux. Je me suis montré tel que je fus; méprisable et vil quan je l'ai été, bon, généreux, sublime, quand je l'ai été: j'ai dévolé mon intérieur tel que tu l'as vu toi-même".7 Auch Villalonga verspricht ein Bekenntnis. Allerdings ein „Bekenntnis, das, im Gegensatz zu dem Rousseaus, für falsch gehalten werden will" (S. 7 im
6 7
Gisèle MATHIEU-CASTELLANI: La scène judiciaire de l'autobiographie, Jean-Jacques ROUSSEAU: Confessions, Bd. I, Paris (1970), S. 21-22.
Paris
(1996).
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Originaltext), „für falsch und apokryph" (S. 7 im Originaltext). Mehr noch, es stört ihn wenig, den Leser davor zu warnen, dass er lügt: „Einige der Lügen, die ich in diesen falschen Memoiren erzähle - oder die Salvador Orlan erzählt - werden wohl den einen oder anderen überraschen" (S. 8 im Originaltext), „meine Memoiren, die ich Salvador Orlan zuschreibe, sind also wie alle etwas kapriziös" (S. 13 im Originaltext), „ich werde nicht auf meine Vorstellungskraft verzichten" (S. 13 im Originaltext). Wenn nun der Autor sich ganz und gar nicht scheut, das völlige Fehlen von Glaubwürdigkeit seines Werks aufzuzeigen, so steht ihm der Erzähler allerdings auch nicht nach: „Ich schreibe eine Lüge nach der anderen - nennt es Phantasien, wenn ihr besonders nett zu mir sein wollt - , weil ich davon überzeugt bin, dass es keine objektive Realität gibt" (S. 41 im Originaltext), „es ist nicht zu bestreiten, dass alle Memoiren falsch zu sein pflegen" (S. 110 im Originaltext). „Ich sehe, dass ich ständig wiederholen werden muss, was schon der Titel dieser Memoiren vorwegnimmt: dass ich nicht nur ein Relativist, sondern auch noch willkürlich bin" (S. 111 im Originaltext). Andere Male versteckt er angeblich wichtige Informationen: „Später musste ich dann Dinge durchstehen, die ich in diesen Memoiren nicht erwähnen werde" (S. 40 im Originaltext). Wie eben festgestellt, können die paratextuellen und die textuellen Angaben das Bekenntnisvorbild Rousseaus gar nicht mehr untergraben. Die oben erwähnte Antiromantik und der Relativismus, dessen sich Autor und Erzähler rühmen, scheinen nicht allzu viel Raum für einen Pakt der Wahrhaftigkeit zu lassen. „Was ist die Wahrheit?" (S. 7 im Originaltext), fragt er und antwortet sich selbst: „Das, was man gemeinhin als objektive Wahrheit bezeichnet, gibt es gar nicht" (S. 13 im Originaltext). Soeben haben wir auch gesehen, dass der Autor sich als „Relativist" und als „willkürlich" bezeichnet. Das trügerische Vertrauen, mit dem Autor und Leser im 18. Jahrhundert einen Pakt der Wahrhaftigkeit schließen konnten, ist in der Gegenwart nicht mehr möglich, denn sowohl der Autor als auch der Leser kennen jetzt die „Kunstgriffe" des autobiographischen Paktes und des angeblichen Bekenntnisses der authentischen intimen Wahrheit. Die psychoanalytische Revolution, und ganz besonders die Theorien Lacans, sowie die Dekonstruktionsverfahren haben das Bild eines massiven Ichs gesprengt, jenes Ichs, auf das der Individualismus als Frucht der Renaissance und der protestantischen Reformbewegung baute und das die Romantiker verfestigten: ein autonomes Ich, fest und standhaft, das ein Vertrauen auf eine authentische Analyse ermöglicht und somit auch das Erkennen und Bekennen des authentischen Intimbereiches, mit einem Wort, die Autobiographie, denn nicht umsonst ist sie ein genuines Produkt der westlichen Gesellschaft. Die hochmütige Verkündigung Rousseaus, die den Anspruch auf „vérité" und „franchise" erhebt, kann vom heutigen, weniger naiven Leser nicht in gleicher Weise verstanden werden. Die Vorstellung des Ichs als einer magmatischen, vernebelten Welt, die in ständigem Wechsel lebt, bietet nicht allzu viel Gewissheit, wenn man versucht, es zu beschreiben. Mit welchem gerecht-
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fertigten Vertrauen können wir also behaupten, dass es sich um das authentische Ich handelt? Villalonga, der sich selbst der Psychiatrie gewidmet hatte, konnte die Komplexität der Innenwelt und die Schwierigkeiten, über welche die angebliche Objektivität einer Autobiographie stolpern musste, nicht ignorieren: „Andererseits gibt es, psychologisch gesehen, keine Lügen. [...] Wäre es sehr paradox, zu behaupten, dass wir nie aus unserer eigenen Haut herauskönnen und dass wir, selbst wenn wir lügen, dazu verdammt sind, wir selbst zu sein, unsere Wahrheit zu kundzutun?" (S. 14 im Originaltext). Es darf uns also nicht wundern, wenn er wie folgt schließt: „Das, was man gemeinhin als objektive Wahrheit bezeichnet, gibt es gar nicht. Uns Memoirenschreiber, das stellte Heine schon in seinen eigenen fest, wird immer vorgeworfen werden, dass wir die Realität verfalschen. Es ist natürlich unmöglich, alle Bestandteile einer Tatsache festzuhalten, egal ob es sich nun um eine so genannte objektive oder um eine psychologische Tatsache handelt. Schreiben, sich erinnern, bedeutet ein paar dieser Bestandteile auszuwählen, und dabei geht jeder nach seinem eigenen Dünken und Geschmack zu Werke" (S. 13 im Originaltext). Dieses völlige Fehlen jedes Enthusiasmus für die Möglichkeit, Rousseaus „vérité", das einzige wirkliche Ich, zu reproduzieren, macht aus Villalonga einen Schriftsteller der Moderne. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts wird auch schon von sehr vielen Autoren und Forschern der Autobiographie die immense Komplexität und Verschiedenartigkeit des Ichs akzeptiert, denn, wie Gisèle Mathieu-Castellani 8 feststellt, ist im Ich eine doppelte Spaltung zu erkennen: eine zeitliche, da das sprechende Ich von dem spricht, das es einmal war, aber nicht mehr ist, und eine der Identität, da deijenige, der spricht, ein anderer ist als der, über den er spricht. Es lohnt sich also, hier noch einmal daran zu erinnern, dass das erzählende Ich einer Autobiographie sich grundlegend von dem Ich ihres Protagonisten unterscheidet, denn es ruft sich, von seiner Gegenwart des Schreibens und von seiner aktuellen Identität ausgehend, die anderen Ichs der Vergangenheit in Erinnerung, d. h., dass es die Ereignisse und das eigene Handeln von seiner aktuellen Persönlichkeit aus untersucht, und nicht aus der Perspektive, die sein Protagonist vor vierzig oder fünfzig Jahren hatte. Das heißt natürlich nicht, dass alle Autobiographen der Gegenwart diese Auffassung teilen: Es finden sich auch heute noch solche, die vertraut weiter auf die Einheit des Ichs und seine Transparenz bauen, wie es andererseits schon in vorigen Jahrhunderten Schriftsteller gab, die dem misstrauten. Wie wir sehen, bestehen momentan zwei Modelle nebeneinander. Das eine bilden die Autoren, die eine globale Einheit des Subjektes und die klare Transparenz des schreibenden und des beschriebenen Ichs verteidigen, die also die Möglichkeit einer Lebensgeschichte, einer ununterbrochenen Kontinuität anerkennen. Das
S. G i s è l e MATHIEU-CASTELLANI: Op. cit., S. 6 1 .
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sind die Autobiographen, für die der Zusammenhang des Lebensweges, des Schicksals, vorrangig ist. Das andere Modell vertreten die Autoren, welche die Identität des schreibenden Ichs in Frage stellen, indem sie den Tod der sich folgenden Ichs akzeptieren. Diese geben dem Vagabundieren und dem Irrweg Vorrecht, ziehen den Schatten, die Widersprüche vor.9 Können wir Villalonga also zu jenen Autobiographen rechnen, die der Möglichkeit, die Vergangenheit eines harmonischen Ichs zurückzugewinnen, misstrauen? Ich würde sagen, ganz und gar nicht. Eine Sache ist es, eine Art Schutzfilter vorwegzuschicken (den Relativismus, die Willkür, die Unmöglichkeit jeder Objektivität, die absichtlichen Auslassungen, die Schutzmasken der Intimsphäre usw.), wie er es macht und gleichzeitig daraufhinweist, dass dies schließlich alle tun; oder auch, zweifellos aus einer sehr modernen Haltung heraus, die Karten des autobiographischen Spieles aufzudecken und es von seinem hohen Ross der rousseauschen Objektivität herunterzuholen. Etwas ganz anderes und viel Radikaleres aber ist es, die harmonische Einheit des Ichbegriffes in die Luft zu sprengen und damit auch die Möglichkeit, das dementsprechende authentische Bild zu zimmern. Diese Frage zwingt uns nun, einen der zentralen Punkte der theoretischen Autobiographieproblematik zu untersuchen, und zwar den der Referentialität. In der Meinung einiger Forscher ist das Ausarbeiten des autobiographischen Subjektes reine Erfindung, womit die Referentialität ein Traum wäre. Für sie ist alles Fiktion. Hier mag es sich lohnen die Überlegungen, die Lejeune zu Barthes berühmter Behauptung anstellte, in Erinnerung zu rufen: Je crois à la transparence du langage, et en l'existence d'un sujet plein qui s'exprime à travers lui; je crois que mon nom propre garantit mon autonomie et ma singularité (quoique j'aie déjà croisé dans ma vie plusieurs Philippe Lejeune...); je crois que quand je dis "je" c'est moi qui parle. [...] Mais bien sûr il m'arrive aussi de croire le contraire, ou du moins de le prétendre. D'où la fascination qu'a exercé sur moi Roland Barthes par Roland Barthes (1975), qui semble être l'anti-Pacte par excellence. [...] "Dans le champ du sujet, il n'y a pas de réfèrent..." [Barthes] À un moindre degré, et plus candidement, bien des autobiographes ont esquissé des stratégies analogues. On sait bien tout cela, on n'est pas si bête, mais, une fois cette précaution prise, on fait comme si on ne le savait pas. Dire la vérité sur soi, se constituer comme sujet plein -c'est un imaginaire. L'autobiographie a beau être impossible, ça ne l'empêche nullement d'exister.'0 Mit diesen Worten drückt Lejeune in Kürze die ganze Komplexität der Autobiographie aus: tatsächliche Unmöglichkeit der Referentialität, aber Beibehal-
9 10
S. Gisèle MATHIEU-CASTELLANI: Op. cit., S. 195-196. Philippe LEJEUNE: Moi aussi, Paris (1986), S. 30-31.
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ten der Illusion deren Durchführbarkeit, das Fingieren von Autor und Leser. Die Modernität Villalongas Haltung liegt im Ausdruck seines Misstrauens den Möglichkeiten gegenüber, die biographische Wahrheit zu berichten, denn man muss ja immer mit dem Filter und der Verzerrung rechnen, die das erzählende Autor-Ich in dem Moment vornimmt, in dem es seinen Lebensweg nachzeichnet. Man darf sich hier nicht täuschen lassen: Es handelt sich um einen psychologischen Imperativ, der nicht zu ignorieren oder zu verbergen ist, vor allem nicht Ende des 20. Jahrhunderts. Aber Villalonga greift nicht wirklich die rein ikonoklastischen Haltungen an, wie eben gesehen, denn seine Revolte macht eigentlich bei der Einschränkung des Paktes zwischen Autor und Leser Halt und dringt nicht weiter in das Entstehen des von der Figur vermittelten Bildes vor, einer geradlinigen, chronologischen und zusammenhängenden Vermittlung. Villalonga verstößt vor allem gegen den Schwur der Wahrhaftigkeit, ein Schwur, der grundlegend in der Gattungsgeschichte ist. Die erste oder wohl einzige Regel, an die der Autobiograph sich gezwungenermaßen halten sollte, ist eben dieser Schwur der Wahrhaftigkeit: Ich schwöre, die ganze Wahrheit zu sagen, oder wenigstens nicht mehr als die Wahrheit zu sagen. Es versteht sich von selbst, dass dies für das Funktionieren des autobiographischen Paktes unumgänglich ist. Dabei pflegen generell zwei Einschränkungen die Erklärung abzutönen: Ich kann nicht die ganze Wahrheit sagen, aber wenigstens wird all das, was ich sagen werde, Wahrheit sein; die Auslassungen oder Irrtümer, auf die der Leser möglicherweise stößt, sind entweder unfreiwillig, also Gedächtnislücken zuzuschreiben, oder sie folgen dem notwendigen Takt Dritten gegenüber. Diese beiden Vorbehalte sind nun aber weit davon entfernt, der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu schaden; im Gegenteil, sie unterstützen ihn noch, da sie seinen „guten Willen" bezeugen." Wie aber, wenn dieses ganze Spiel, das den autobiographischen Pakt entmythologisieren will, letzten Endes nichts weiter als eine einfache Strategie wäre, eingesetzt, um das Interesse und Vertrauen des Lesers zu gewinnen? Wäre es dann nicht die Taktik einer paradoxen Captatio Benevolentiael Wollen dieser Regelverstoß und diese scheinbare Frivolität nicht vielleicht einfach und paradoxerweise den Leser durch die Originalität des erzählerischen Paktes verführen? 12 Meiner Meinung nach verfolgt das Vertragsspiel, das Villalonga dem Leser im Paratext vorschlägt, um es dann noch einmal im Text selbst durch den Erzähler zu unterstreichen, zwei Ziele: Einerseits schützt es ihn gegen eventuelle Kritiken, die ihn wegen fehlender referenziellen Wahrheit treffen könnten, und andererseits gewinnt es den Leser, wie eben dargestellt.
" 12
Gisèle MATHIEU-CASTELLANI: op.cit., S. 44. Über die Anwendung dieses Begriffs, wenn auch unter anderen Voraussetzungen, s. Gisèle MATHIEU-CASTELLANI: Op.
cit.,
S. 6 4 .
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Aber die Schwierigkeiten des Paktes, den er dem Leser vorschlägt, hören hier noch nicht auf. Zu den etwas verwirrenden, bereits im Titel angekündigten Warn Worten der zwei Vorspanne kommt jetzt noch der Gattungsvorschlag „Roman" (novella), der auf der Titelseite zu lesen ist. Bis jetzt haben wir uns im Grenzbereich zwischen Autobiographie und Roman bewegt, d. h. zwischen faktischer und fiktionaler Literatur, da, trotz des vom Autor bewirkten Abstandes (Autor und erzählender Protagonist haben verschiedene Namen, außerdem fehlt der Schwur de Wahrhaftigkeit), die Lektüre als Autobiographie, bei aller Vorsicht, doch immer noch möglich war; die zusätzliche Information aber, anscheinend vom Verleger eingefugt, vermehrt die Schwierigkeiten eines formellen autobiographischen Paktes so weit, dass er ihn praktisch unmöglich macht. Wenn wir hier von der Definition, die Lejeune vorschlägt ausgehen - bis jetzt, mit dem entsprechenden Vorbehalt, wohl die überzeugendste und operativste, über die wir verfügen - , dann ist die unumgängliche Bedingung, die jede Autobiographie erfüllen muss, die der Identität des Autors mit dem Erzähler und mit dem Protagonisten.13 Schematisch könnten wir es also in der folgenden Formel ausdrücken: A = E = P. Es ist ganz offensichtlich, dass diese Grundbedingung in den Falses memöries de Salvador Orlan nicht erfüllt wird, was auch aus der angewandten Formel hervorgeht: A # E = P. Da der Name des Autors nicht mit dem des erzählenden Protagonisten identisch ist, wird in diesem Fall der autobiographische Pakt unmöglich. Der Name des Protagonisten, Salvador Orlan, ist auch nicht ohne reichhaltige Kasuistik. Wenn wir Lejeune folgen, könnten wir sagen, dass es sich hier um einen „ersetzten Namen" handelt: „Un nom que je perçois comme inventé, mais dont ou bien sais (quand l'auteur, ou l'éditeur, avertissent que certains noms ont été par souci de discrétion changés), ou bien je suppose (d'après le paratexte, la rumeur publique ou le contexte), qu'il désigne une personne réelle qui porte un autre nom".'4 Aber im Fall des Salvador Orlan ist es absolut sicher, dass dieser Name eine wirkliche Person bezeichnet, und zwar den Autor selbst, unter anderem weil er selbst es uns im Vorwort gesteht. Allerdings akzeptiert er diese Identität nur halb; es ist nur eine Teilidentifikation: „Ich bin Salvador Orlan und bin's doch wieder nicht. Ich möchte, dass das ganz klar ist. Der Leser soll zunächst einmal dies wissen: Der Held dieser falschen und erfundenen Memoiren, Salvador Orlan, ist nur Llorenç Villalonga in dem Sinn, in dem Flaubert Madame Bovary war" (S. 14 im Originaltext). Natürlich ist diese nicht vollständige Identifikation hier wesentlich, denn wenn uns der Autor gesteht, er selbst sei Salvador Orlan, dann wird er ganz einfach zum Pseudonym, was den autobiographischen Pakt erheblich erleichtern würde, da man dann letzten Endes lesen könnte A = E = P. Aber hier, das hebt der Autor ganz klar hervor, ist Sal13 14
S. Philippe LEJEUNE: Le pacte autobiographique, Philippe LEJEUNE: Moi aussi, op. cit., S. 70.
Paris (1975), insbesondere S. 14-15.
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vador Orlan eben nicht ganz Llorenç Villalonga. Es bleibt also beim „ersetzten Namen", nicht beim Pseudonym. Daher kann er auch nicht das Spiel des „authentischen Namens" spielen und eindeutig eine wirkliche Person damit bezeichnen. Der Autor weigert sich, dem Leser einen autobiographischen Pakt anzubieten. Ist es also doch ein Roman? Oder einfach Fiktion? Vergessen wir hier nicht, dass nicht zuletzt der ernste Kompromiss des Autors mit der Wahrhaftigkeit der berichteten Tatsachen eine unumgängliche Bedingung der Autobiographie ist. Aber das Wichtige ist dabei nicht die Genauigkeit bei der Beobachtung der äußeren, der referentiellen Welt, die oft gar nicht geprüft werden kann, sondern das Vertrauen, das der Leser dem Erzähler dank dessen Schwur, nur die Wahrheit zu erzählen, entgegenbringt, und dem daraus folgenden Pakt. In Worten von Lejeune: ,Jl est indispensable que le pacte référentiel soit conclu, et qu 'il soit tenu. Mais il n 'estpas nécessaire que le résultat soit de l'ordre de la stricte ressemblance. Le pacte référentiel peut être, d'après les critères du lecteur, mal tenu, sans que la valeur référentielle du texte disparaisse (au contraire).'5 Wie wir aber gesehen haben, weigert sich Villalonga, diesen Pakt vorzuschlagen. Wie können also wir Leser, darauf reagieren? Sehr wahrscheinlich nicht allzu einheitlich, denn bei so eigentümlichen Richtlinien dürfte es nicht zu leicht sein, dass alle Leser derselben Interpretation folgen. So müsste man eigentlich folgern, dass der vorgeschlagene Pakt nicht autobiographisch sondern fiktional ist, dass es sich um eine ganz eigene Art des autobiographischen Romans handelt, wenn wir von Lejeunes Definition ausgehen: J'appellerai ainsi tous les textes de fiction dans lesquels le lecteur peut avoir des raisons de soupçonner, à partir des ressemblances qu 'il croit deviner, qu 'il y a identité de l'auteur et du personnage, alors que l'auteur, lui, a choisi de nier cette identité, ou du moins de ne pas l'affirmer ".16 Das Einzigartige der Falses memàries de Salvador Orlan liegt gerade in der Zweideutigkeit des Bekenntnisses, das uns der Autor macht: Er akzeptiert eindeutig diese Identität, aber er macht sich nicht für die Wahrhaftigkeit des ganzen Protagonisten verantwortlich. Wenn wir nun vom Paratext zum Text übergehen, gewinnt die autobiographische Interpretation an Gewicht, denn der Protagonist, Salvador Orlan, ist mit sozusagen allgemein bekannten Charakterzügen ausgestattet, die einzigen wirklich feststellbaren Bezugspunkte zur äußeren Realität, und die gehören zur realen Person des Llorenç Villalonga: Er ist 1897 geboren (S. 17 im Originaltext), studiert Medizin und Psychiatrie (S. 19 im Originaltext), ist der Autor der Romane Bearn o la sala de les nines (Bearn oder das Puppenkabinett)11 (S. 37 im Originaltext), Les fures (Die Frettchen) (S. 41
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Philippe LEJEUNE; Lepacte..., op.cit., S. 37. Philippe LEJEUNE: Le pacte..., op.cit., S. 25. Eine Übersetzung ins Deutsche erschien 1991 unter dem Titel Das Puppenkabinett Senyor Bearn (München, Piper) (Anm. d. Übers.).
des
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im Originaltext) und Mort de Dama (Tod einer Dame) (S. 47 im Originaltext), verwandt mit Gabriel Alomar (S. 71 im Originaltext) usw. Was bleibt dem Leser also anderes übrig als seine eigene Lesart zu wählen, indem er sie entweder auf einen fiktionalen oder auf einen autobiographischen Pakt hin ausrichtet? An diesem Punkt der Disjunktion angekommen, kann ich selbst nicht anders als mich in einen ganz gewöhnlichen Leser verwandeln und mein eigenes Kriterium anwenden. Im Gegensatz zu dem, was Lejeune in seinem Le pacte autobiographique behauptet, und wie er sich selbst danach in Moi aussi korrigiert, ist eine Autobiographie etwas Abgestuftes: Sie ist nicht entweder alles oder nichts.17 Dieses Werk Villaiongas ist der beste Beweis hierfür. Als Leser kann ich der Versuchung nicht widerstehen, sie als Autobiographie18 zu lesen und nicht als Fiktion, obwohl ich natürlich den Angaben der Bezugspunkte nicht so ganz trauen kann, wie Autor und Erzähler bereits angekündigt haben, aber letzten Endes sind wir doch auch nicht so naiv, um blind zu glauben, dass alle Informationen irgendeiner Autobiographie hundertprozentig der Wirklichkeit entsprechen, nicht einmal, wenn sie den allerstrengsten autobiographischen Pakt vorschlägt. Der Leser ist immer etwas vorsichtig, liest alles wie durch einen leicht misstrauischen Filter. Im Fall Villalongas ist dieser Filter ganz einfach dicker. Deshalb schlage ich vor, die Falses memories de Salvador Orlan als Autobiographie zu lesen, die in etwa der allbekannten Definition Lejeunes folgt: ,Jiécit rétrospectif en prose qu 'une personne réelle fait de sa propre existence, lorsqu 'elle met l'accent sur sa vie individuelle, en particulier sur l'histoire de sa personnalité"Ist also einmal das Hindernis der fehlenden Identität von Autor, Erzähler und Protagonist überwunden, sehe ich keinen Grund, warum man dieses Werk - gewiss mit etwas mehr Vorsicht - nicht als Autobiographie lesen sollte, was uns auch der Autor auch ein paar Jahre später in seinen von ihm selbst als Bekenntnis anerkannten „Notes autobiogràfiques de Llorenç Villalonga" vorschlägt: „Im Sommer 1966 verfasste ich in Binissalem die Falses memories de Salvador Orlan, welche meine wirklichen persönlichen Erinnerungen sind, die ich mir mit derselben Freiheit ins Gedächtnis rief, mit der ich alle meine Schriften zu handhaben pflege" (S. 156). Nachdem wir also der Problematik des Paktes, der dem Leser vorgeschlagen wird, nachgegangen sind, ist wohl der Moment gekommen, uns direkt der erzählten Geschichte bzw. dem Inhalt des Werkes zuzuwenden. Und hierfür steht uns die restliche autobiographische Produktion des Autors zur Verfugung, vor allem die eben erwähnten „Notes biogràfiques", aber natürlich auch
17 18
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S. Philippe LEJEUNE: Le pacte..., op. cit., S. 25 und Moi aussi, op. cit., S. 20-21. Zum selben Schluss kommt auch Patricia Alberola: Halses memories de Salvador Orlan: ser i no ser Llorenç Villalonga", L'Aiguadolç, 23 (1997), S. 23-38. Philippe LEJEUNE: Le pacte..., op. cit., S. 14.
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die Arbeiten, die Leben und Werk des Schriftstellers erforscht haben, wobei die von Jaume Pomar verfasste Biographie, La raö i el meu dret. Biografia de Lloreng Villalonga (Die Vernunft und mein Recht. Biographie von Lloreng Villalonga), besonders hervorzuheben ist. Seine kurzen „Notes sobre el mallorquinisme i les lectures d'autors francesos" sind nützlich beim Verfolgen seines intellektuellen Bildungsweges und auch, um einen gewissen Einblick in seine konfliktive Beziehung zur Nationalfrage hinsichtlich Mallorca und Katalonien zu schaffen. Wesentlich mehr Information über den Raum der Intimsphäre geben dagegen die bereits erwähnten „Notes autobiogräfiques". Diese Schrift hält sich strikt an die Regeln des autobiographischen Paktes, da hier Autor, Erzähler und Protagonist wirklich nur ein und derselbe sind, womit die Formel A = E = P erfüllt ist. Wir sollten ihr also gewiss mehr Glauben schenken. Aber es gibt da noch einen weiteren Aspekt, der sie uns noch interessanter erscheinen lässt: ihre postume Veröffentlichung. Bekanntlich zeichnen sich Bekenntnisse, die für die Schreibtischschublade bestimmt sind - zumindest bis zum Tod ihres Verfassers, für den dann, im Fall der Veröffentlichung, eventuelle Indiskretionen nicht mehr dieselben Folgen haben können - , durch mehr Freiheit und Unerschrockenheit aus. Auf alle Fälle ist ganz offensichtlich, dass Villalonga uns hier eine viel direktere persönliche Information zukommen lässt, da er die wirklichen Personen nicht hinter „Ersatznamen" versteckt, und dass diese Information auch viel vollständiger ist, da sie konfliktgeladene aber für den Lebensweg des Protagonisten wesentliche Ereignisse nicht verschweigt. Wenn wir die Information über einige brisante Einzelheiten der Intimsphäre des Autors, die in des Falses memöries de Salvador Orlan zu finden sind, mit denen der „Notes autobiogräfiques" vergleichen, werden wir die Filter, die Villalonga anwendet, wenn er eine Autobiographie verfasst, die das öffentliche Licht sehen soll, genau feststellen können; in einem seiner Vorworte sagt er nämlich ganz klar, dass es sich bei diesem Werk um einen Auftrag handelt, oder um eine „Anregung": „Sie [der Verleger Joan Sales] waren es, der mir die Idee nahe gelegt hat, dieses Bekenntnis zu schreiben" (S. 7 im Originaltext). Wenn die Autobiographie als solche, sei es nun ausdrücklich oder nicht, die Selbsterkenntnis, die Entdeckung und Forderung des authentischen Ichs zum Ziel hat, und zwar mittels eines Bekenntnisses aus dem Bereich der Intimsphäre vor einem Richter (dem Leser), dann sind die beiden Grundpfeiler dieser Selbsterforschung die Abstammung und die Sexualität.20 Woher kommt Villalonga? Wer ist Villalonga? Diese beiden großen Fragen, über welche der in der Gattung trainierte Leser am Ende seiner Lektüre Aufschluss erwartet, werden in Villaiongas Werk sehr ungleich behandelt, was nicht bedeutungslos ist.
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S. Gisele MATHIEU-CASTELLANI: Op. cit., S. 221-223.
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Falses memdries de Salvador Orlan (in der Folge abgekürzt als F.M. zitiert) beginnt mit einer für die Gattung klassischen Eingangsformel, mit den persönlichen Geburtsdaten, die hier sehr kurz ausfällt: „Ich bin 1897 geboren" (S. 17 im Originaltext); der nicht weniger kurze Hinweis auf seine familiäre Abstammung ist in einen der beiden Vorspanne verlagert worden, in das „Vorwort". Im Gegensatz hierzu wird in den „Notes autobiogräfiques" (in der Folge abgekürzt als N.A. zitiert) die familiäre Vorgeschichte ganz besonders berücksichtigt, und zwar unter den Überschriften „Tofla i eis Villalonga" (Die Tofla und die Villalonga) und „Origens familiars" (Familiäre Herkunft) (N.A., S. 131-134). Gleich eingangs beschreibt der Schriftsteller sein persönliches Verhältnis zum Vater und zur Mutter. Dann folgt ein fast unbestrittenes Leitmotiv: die Angst und die Abneigung dem Vater gegenüber und die Liebe und das Zugehörigkeitsgefühl der Mutter gegenüber. Hier stimmen F.M. und N.A. voll und ganz überein: „Vor meinem Vater, der weit weg und unergründlich für mich war, hatte ich Angst" (F.M., S. 17), „distanziert, kaum zärtlich, kaum gesellig" (N.A., S. 133); „wie sehr bewunderte ich meine Mutter (mumare sagen wir Mallorquiner). Sie war wunderschön, oder wenigstens fanden das alle, obwohl ich glaube, sie wäre mir auch schön erschienen, wenn sie es gar nicht gewesen wäre" (F.M., S. 17), „sie war feminin, aufgewachsen im besten Moment der europäischen Weiblichkeit. Sie war 1865 geboren" (F.M., S. 32); „eine süße, sympathische und gesellige Frau. Meine Mutter las gern und viel, und sie sah mit wohl wollenden Augen, dass wir Kinder die Welt der Bücher liebten, wenn sie auch wusste, dass es Bücher gab, die einer guten Erziehung schaden konnten" (N.A., S. 133); „als ich nach Mallorca zurückkam, ist meine Mutter von einem Tag auf den anderen, ohne zu leiden, gestorben. Da dies das allertraurigste Ereignis meines Lebens ist, ziehe ich es vor, nicht darüber zu sprechen" (F.M., S. 123). Der Gegensatz der jeweiligen Gefühle lässt sich nicht bezweifeln. Auf der einen Seite sehen wir die große Liebe, die er seiner Mutter entgegenbringt, und die an ödipale Liebe grenzt, wie er mehrmals andeutet: „Die Libido konzentrierte sich auf meine Bewunderung für die Mutter" (F.M., S. 17); „ich war eifersüchtig [auf den Vater], das ist die pure Wahrheit. Freud hatte bereits seine Meinung zu Gegenständen dieser Art geäußert" (F.M., S. 18); „verliebt in meine Mutter" (F.M., S. 32). Auf der anderen Seite befindet sich die immer kalte und konfliktgeladene Beziehung zum Vater, wobei Villalonga die Möglichkeit, die ihm die autobiographische Erinnerung bietet, nutzt, um endgültig mit ihm abzurechnen, einer der Grundzüge dieser Gattung, den Villalonga allerdings längst nicht bis zu jener Härte und Bitterkeit führt, die vielen Gattungsvertretern eigen ist; im Gegenteil, er versucht, seinen Vater zu verstehen und sein distanziertes Verhalten zu rechtfertigen: Freud ist mit dem ganzen unglaubhaften Dreck, den er dem kleinen Hans zuschreibt, zu weit gegangen. Ich hätte meinen Vater, den ich bewunderte - Angst und Ferne säen Bewunderung - , nicht töten wollen, wenn ich es auch vorzog,
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ihn nicht in allzu großer Nähe zu haben. Wenn er in unsere Nähe kam, dann wurde unser Gespräch - zusammenhanglos, fantastisch, ironisch und zärtlich wie es zu sein pflegte - plötzlich unterbrochen. Ich reagierte immer mit Kälte auf seine Eiseskälte, was mir nach seinem Tod Gewissensbisse machte. Wir haben uns nie verstanden, vielleicht weil wir uns zu ähnlich waren. Sie aber war mir, was ästhetische Werte und Edelmut betrifft, bei weitem überlegen (EM., S. 18).
Ja, er versucht sogar seine Strenge zu rechtfertigen: Meinem Vater bin ich vielleicht noch etwas Besseres schuldig: den Stoizismus. Ich erkläre hiermit, dass ich nie gewusst habe, ob er mich je lieb hatte. Jahre lang glaubte ich es nicht. Später habe ich dann verstanden, dass er, da er wusste, wie schwach, beeinflussbar und glücklos ich war - die Ölbaumplantage von Sa Coma verschwand kurz nach meiner Rückkehr nach Mallorca, und ich weiß bis heute nicht, warum - , mich gegen die Schicksalsschläge des Lebens abhärten wollte. Dies gelang ihm zum Teil. Im Gegensatz hierzu ist das sexuelle Thema in F.M. überhaupt nicht vorhanden. Die in der eigenen Sexualität verursachten Mängel sind wohl mit das Unangenehmste bei einem Bekenntnis; allerdings ist es schon lange nichts Neues, dass die Sexualität der oder zumindest einer der grundlegenden Faktoren in der Persönlichkeitsentfaltung ist, was Villalonga, der die Forschungsarbeit Freuds gut kannte, nicht entgehen konnte. Dennoch erfahren wir in F.M. nichts über die sexuelle Problematik des Protagonisten, abgesehen von ein paar scheuen Anspielungen auf das Ödipusthema. Und ich meine hier nicht nur seine intimsten Triebe, sondern sogar seine Beziehungen zu Frauen, die in Mallorca seinerzeit allgemein bekannt waren. Anscheinend gibt es mehrere Gründe, die ihn dazu veranlasst haben können, sie zu verschweigen, angefangen bei dem - sicher sehr menschlichen - Vorhaben, die wirkliche Persönlichkeit in ein etwas günstigeres Licht zu rücken, damit sie besser in das Bild passt, das er in dem Moment, in dem er das Werk verfasst, für das Vorteilhafteste hält, bis hin zur Anwendung einer literarischen Norm, die ihn daran hindert, auf die unangenehmsten Aspekte des Lebens einzugehen - einer der wichtigsten Punkte der Auseinandersetzung mit dem so genannten sozialen Realismus der Nachkriegszeit - , wie der Erzähler selbst auch erwähnt: „Wer mich als Erwachsener kennen gelernt und sich dabei nur auf meine Schriften verlassen hat, in denen ich immer vermieden habe, unangenehme Dinge zu erklären wie ich es als Kind gelernt habe - hat Grund zu glauben, ich sein ein problemloser, glücklicher Mensch gewesen" (F.M., S. 32). Diese Richtlinie mag ja nun aus ästhetischer Sicht so annehmbar wie jede andere auch sein, wenn es sich um fiktionale Literatur handelt, ist aber um einiges fraglicher im Bereich der Autobiographie, die von vornherein die größte Anstrengung seitens des Autors und Erzählers voraussetzt, den Protagonis-
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ten so genau wie möglich zu beschreiben. Wenn er sich nun weigert, sich auf das Gebiet des Sexuellen zu begeben, dann kann das der Strategie, mit welcher der Leser verführt werden soll, nur schaden, da dieser den dermaßen klar ausgesprochenen Reserven des Erzählers gegenüber nur misstrauisch reagieren kann. Ich meine jetzt natürlich nicht, dass man gezwungenermaßen irgendeine krankhafte Neugier des Lesers stillen müsste, aber wohl, dass jeder seinen Teil des Paktes erfüllen sollte. Und tatsächlich scheint sich der Erzähler in den N.A. - rufen wir nochmals in Erinnerung, dass diese postum veröffentlicht wurden - weniger einengen zu lassen, denn er gibt dem Leser den Zutritt zu diesem Intimbereich frei, wenn auch nicht ohne Vorkehrungen zu treffen. Von allen Jugendbeziehungen berichtet er in F.M. nur von einem möglichen, aber nicht bestätigten Abenteuer mit einer russischen Studienkollegin in Paris (F.M., S. 113), die auch sein Biograph nicht weiter beachtet, und von seiner Affare mit Coloma Sureda (F.M., S. 123-125), die er allerdings in N.A. verschweigt. Dank der Information, die uns Jaume Pomar in seiner bereits erwähnten biographischen Arbeit vermittelt (in der Folge abgekürzt als P.B. zitiert), kennen wir jetzt recht viele Einzelheiten über die Geschichte dieses Mädchenraubes, der wie eine wahrhaftige Bombe in Palmas ruhige Gesellschaft fallen musste. Hier sollte man wohl hervorheben, dass Villalonga in F.M. nicht schreibt, dass das Mädchen das Downsyndrom hatte, was die Art und den Ausgang dieser Beziehung unter einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Auch sind einige Änderungen, was die Beziehung zum Vater des Mädchens, den Dr. Josep Sureda, betrifft, recht interessant: Im Unterschied zu dem, was der Erzähler in F.M. behauptet, ist nicht Dr. Sureda deijenige, der dem Protagonisten vorschlägt, ihm eine Reise nach Euskadi zu finanzieren, sondern es ist er selbst, der ihn darum bittet; auch fordert ihn Dr. Sureda nicht dazu auf, Beziehungen mit ihr anzuknüpfen, sondern er selbst ist deijenige, der sie aufnimmt (P.B., S. 115-122). Es versteht sich von selbst, dass der Bericht der Tatsachen, so wie sie in F.M. dargestellt sind, das Verhalten des erzählenden Protagonisten in ein besseres Licht rückt, während der kleinliche Vater des Mädchens den schlechteren Teil davonträgt. Von den wichtigsten Liebesbeziehungen finden wir allerdings keine einzige in F.M. Dank N.A. wissen wir von den Beziehungen, die Villalonga zu der kubanischen Dichterin Emilia Bernal und zu der deutsch-belgischen Tänzerin Eva Tay hatte. Beide haben einen tiefen Eindruck in seinem Leben hinterlassen. Emilia Bernal war die Muse für seinen Phädra-Zyklus; von Eva Tatay blieben ihm Momente der Erfülltheit in Erinnerung, wie auch ein intimes Trauma, das er sein ganzes Leben lang mit sich herum geschleppt hat und das mehr oder weniger verdeckt in seinem literarischen Schaffen auftaucht: Eines Tages ging ich sie besuchen und fand sie traurig und deprimiert vor. Sie hatte abgetrieben, und der Fetus war in einem Glas zu sehen. Der Anblick jenes lebendig scheinenden Wesens wie es da in der Flüssigkeit schwamm, mit
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allen Merkmalen eines kleinen Kindes in Miniatur, hat einen fürchterlichen Eindruck in mir hinterlassen. Für mich war es ganz sicher eine Frustration, keine Kinder zu haben. U n d die Erinnerung an jenes Kind, das ich verlor, hat mich immer begleitet. Im Roman L'ängel rebel [Der rebellische Engel] spielt es eine wichtige Rolle. Ich beziehe mich mit etwas rätselhaften Worten darauf: „Mein einziger Sohn war noch nicht einmal fünf Monate alt, und er sollte nie älter werden" (N.A., S.162).
N.A. sagt uns aber auch nicht die ganze Wahrheit. So verschweigt der Autor und Erzähler seine Beziehung zur Malerin und Bildhauerin Pazzis Sureda Montaner, von der man jetzt weiß (P.B., S. 176), oder den Heiratsversuch mit der Nordamerikanerin Eleanor Sackett, Witwe seines Freundes Jacob Sureda. Dieser Heiratsversuch, den Jaume Pomar aufgedeckt hat, während ihn der Autor in seinen autobiographischen Schriften „vergaß", ist hinsichtlich des Spieles zwischen Bekenntnis und vorsätzlichem Verschweigen besonders aufschlussreich, ganz egal, ob jetzt ein - sagen wir einmal partieller - autobiographischer Pakt besteht, wie in F.M., oder ein kanonischer, wie in N.A. Er macht nämlich diesen nachdrücklichen Heiratsantrag zu einem Zeitpunkt, an dem noch nicht einmal fünf Monate seit dem Tod seines Freundes vergangen sind, und er wiederholt ihn nur sieben Monate und ein paar Tage bevor er Teresa Gelabert heiratet. Man muss schon zugeben, dass Eleanors Absage als solche kein besonders günstiges Licht auf das Bild des Autors wirft, und ebenso wenig die wenigen Monate, die er nach dem Tod deren Mann, einerseits, und seinem Anhalten um die Hand einer anderen Frau, Teresa, andererseits, gewartet hatte. Es ist schon überraschend, wie wenig man sowohl in F.M. als auch in N.A. über die sexuellen Neigungen und Wünsche jeder Art eines jungen Snobs erfährt, der zu einer ausgesprochen offenen, normwidrig lebenden, elitären Minderheit der Gesellschaft, zu einem sehr charakteristischen Vorkriegs-Tourismus Mallorcas gehörte. So hat z. B. Pere Rossellö21 in seiner Rezension von P.B. sehr zu Recht sein Befremden über das Fehlen auch nur des geringsten Hinweises auf das Thema Homosexualität geäußert, einem Thema, das Villalonga in vereinzelten Artikeln22 jener Zeit behandelt und das in seinem fiktionalen Schaffen zur regelrechten Obsession wird; man denke nur an Romantitel wie Mort de dama (Tod einer Dame), Bearn o la sala de nines (Bearn oder das Puppenkabinett), L 'ängel rebel (Der rebellische Engel), Flo la Vigne, Andrea Victrix, La gran batuda (Die große Treibjagd), La Lulü oder La bruixa i l'Infant orat (Die Hexe und das irre Kind).
Pere ROSSELLÓ BOVER: „Lloren? Villalonga o la seducció de la intel ligència", Lluc, 792 (MaiJuni, 1996), S. 48. S. die Liste seiner in der Presse veröffentlichten Artikel in Maria BOSCH JuAN-Jordi LARIOS AZNAR: „Bibliografia de Lloreng Villalonga (1914-1918)", Randa, 33 (1993), S. 131-175.
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Zweifellos war die Sexualproblematik den Folgen einer sehr strengen Selbstzensur ausgesetzt, die das Ziel hatten, all das im Intimbereich zu begraben, was dem Persönlichkeitsbild des späteren Villalonga schaden könnte, nämlich dem des Alters, aus dessen Sicht er seine autobiographischen Werke schreibt, dem Bild eines katholischen, monarchischen und vernünftigen Schriftstellers, der herzlich wenig mit dem jungen, aufbegehrenden Snob ohne jegliches Vorurteil der Zwanziger- und dreißigeijahre gemein hat. Mir ist völlig klar, dass man den historischen Moment, in dem F.M. veröffentlicht wurde, also mitten in der Franco-Ära, nicht vergessen darf, aber ich glaube wirklich nicht, dass der lange Arm der Zensur in diesem konkreten Fall die Auslassungen verursacht hat. Diese hätte unter Umständen das Geständnis jener Abtreibung verhindern können, aber nicht die Liebesbeziehungen, die ein Schriftsteller andererseits ja in angemessener Weise darstellen kann. Aber es gibt noch weitere Auslassungen, die auch nicht unbemerkt an uns vorbeigehen sollten, wie z. B. die Ausweisung aus dem Studentenwohnheim in Zaragoza, die in F.M. ganz fehlt und in N.A. kurz erwähnt wird, indem der Autor und Erzähler zu verstehen gibt, dass man ihn grundlos verwiesen hat, aus reiner Willkür des Direktors, der ohne jeden Anlass davon überzeugt war, dass in seinem Zimmer gegen die Diktatur von Primo de Rivera konspiriert wurde (N.A., S. 139). Dank P.B. wissen wir nun, dass dort die Afrikapolitik der Diktatur kritisiert wurde (P.B., S. 76). Schwerwiegender sind allerdings die Auslassungen zweier für den Villalonga der Vorkriegszeit neuralgischer Aspekte. Ich meine hier natürlich seine scharfe Kritik am Nationalismus in Mallorca und Katalonien und seine qualvollen Beziehungen zu den mallorquinischen Nationalisten, wie auch seine nicht weniger erbitterten Auseinandersetzungen mit den Sozialisten. So finden wir z. B. nur ganz beiläufig Bemerkungen über seine scharfe Polemik gegen den Kern des Mallorquinismus, die Ende 1931 durch das Erscheinen seines Romans Mort de dama entfacht wurde: In F.M. stellt er über seine Beziehungen zu den Mallorquiner Nationalisten nur fest, dass es Leute gab, die meinten, diese Art von Dichtung stünde „im Widerspruch zur traditionellen Poesie in der Heimatsprache" (S. 132), und in N.A. heißt es: „Es gab Leute, die waren der Meinung - und dabei lagen sie gar nicht so falsch - , dass ich mich ein wenig lustig machte über unsere Dichtung" (S. 152). Aber die Affäre Mort de dama war nur einer der ersten Schritte in einer Auseinandersetzung, die sich in den nachfolgenden Monaten zuspitzen sollte, denn in der Zeit rückte Villalonga jedes Mal mehr in die Nähe faschistischer und antinationalistischer Positionen, bis er schließlich Mitglied der Falange wurde. Von seiner gesamten aktiven Opposition gegen den Nationalismus, der auch der Prozess der sprachlichen Normalisierung - dementsprechend lächerlich gemacht - nicht entging, wurde nichts durch den Filter gelassen, den sich der Lloren? Villalonga in seiner Rolle als Erzähler der Aktivitäten jenes anderen Ichs, das sich Dehy-Dhey-Lorenzo Villalonga nennen wollte, auferlegt hatte. In ähnlicher Weise wird auch sein anderer großer Konflikt jener Zeit, näm-
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lieh der, den er mit den Mallorquiner Sozialisten austrug und der nicht weniger virulent war, vergessen, indem er ganz einfach aus der Erinnerung des Erzählers von EM. und N.A. verschwindet. Glücklicherweise stehen uns heutzutage die nötigen genauen Untersuchungen zur Verfugung, die uns ermöglichen, das selektive und in keinster Weise unschuldige Spiel von Villalongas Erinnerung festzustellen.23 Eine andere Angelegenheit, über die nicht hinwegzugehen ist, ist die ebenso konfliktgeladene Beziehung Villalongas zum französischen Schriftsteller Georges Bernanos, der zwischen 1934 und 1937 in Mallorca lebte. So finden wir in EM. nur ein sehr kurzes, sehr negatives und distanziertes Bild von diesem Intellektuellen und Schriftsteller. In N.A. wird er nicht einmal erwähnt. Auch für dieses Urteil ist der spätere Villalonga verantwortlich zu machen, nicht aber Dhey, Freund und begeisterter Bewunderer Bernanos, bis dieser nach seiner Rückkehr nach Frankreich Les grands cimetières sous la lune veröffentlichte. Seine Mühe, sich von dem Autor einer der eindrucksvollsten internationalen Anklageschriften gegen die grausame Unterdrückung, die das Franco-Regime - also sein eigenes Lager - in Mallorca ausübte, sicherlich auch die Absicht, sich vor den Auswirkungen dieses Buches, zu dem er selbst wohl mit vertraulichen Mitteilungen24 seinen Teil beigetragen hatte, zu distanzieren, hatte einen äußerst überraschenden Wechsel in der Bewertung dieses berühmten französischen und katholischen Schriftstellers zur Folge. Der Filter der Erinnerung war wieder einmal am Werk. Ich meine, dieser kurze Rückblick auf die recht aufschlussreichen vollständigen oder partiellen Gedächtnislücken hat sich gelohnt. Er hat uns erlaubt, festzustellen, dass die Erinnerung nicht naiv ist, dass sie es gar nicht sein kann, sondern dass sie ganz im Gegenteil sehr darum bemüht ist, die Tatsachen zu vergessen oder zu vertuschen, die nicht in das Realitätsbild passen, welches
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S. z. B. Damià FERRÀ-PONÇ: „Cultura i politica a Mallorca (I)", Randa, 2 (1976), S. 123-150; „Cultura i politica a Mallorca (III)", Randa, 4 (1976), S. 5-52. Die Llorenç Villalonga gewidmeten Seiten sind auch in seinem Buch Escrits sobre Llorenç Villalonga, Barcelona (1997), S. 75-98 enthalten; Josep MASSOT I MUNTANER: Cultura i vida a Mallorca entre la guerra i la postguerra (1930-1950), Barcelona (1978), S. 42-47, 92-107 und 113-115; Antoni NADAL (Hg. und Verfasser des Vorworts): „Eis articles de Llorenç Villalonga en temps de guerra", Randa, 33 (1993), S.65-130; Antoni NADAL-Robert MOSQUERRA: „Llorenç Villalonga i eis socialistes mallorquins: dues polémiques i un interludi", Randa, 22 (1987), S. 115127; F.M., S. 87-96, 101-102, 131-132, 144-145, 161-162 und 181; Pere ROSSELLÔ BOVER: „La polèmica de l'apariciô de Mort de dama", Randa, 33 (1993), S. 33-64. Es lohnt sich hier auch, seine gesammelten in der Presse veröffentlichten Artikel zu lesen, erschienen unter dem Titel Centro, Palma (1934). S. Josep MASSOT I MUNTANER: El primer franquisme a Mallorca, Barcelona (1996), S. 263289 und „Georges Bernanos i Mallorca (1934-1945)", in Claude BENOIT, Ferran CARBÖ, Dolors JIMÉNEZ und Vicent SIMBOR (Hg.) Les literatures catalana ifrancesa al llarg del segle XX.Primer Congrès Internacional de Literatura Comparada, Barcelona (1997), S. 175-207.
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das gegenwärtige, das letzte, das schreibende Ich sich gemacht hat. Die letzte Maske dieses Ichs hat zur Feder gegriffen, um die verschiedenen und manchmal auch widersprüchlichen aufeinander folgenden Masken einer Person, die im Standesamt als ein einziges Ich eingetragen ist, zu evozieren. Wer aber ist dieses einzige Ich? Ist es Dhey, der sich um religiöse Fragen nicht scherte, oder ist es der stockkatholische Villalonga? Ist es der Republikaner, der Falangist, der Franco-Anhänger oder der Monarch? Der Antikatalanist oder der katalanisch schreibende Schriftsteller?... Natürlich ist er all das, wobei das große Problem das ist, dass das schreibende Ich das Letzte ist, das aus der dementsprechenden, interessierten Perspektive schreibt. F.M. und N.A. sind in diesem Sinn keine Ausnahme, denn sie halten sich an die unvermeidlichen Spielregeln. Wie mehr oder weniger jeder andere Autobiograph auch, erinnert sich Villalonga nur an eine Auswahl der in der Vergangenheit vorgefallenen Tatsachen. Handelt er vorsätzlich so? Oder ungewollt? Ich würde sagen, sein Handeln ist menschlich. Im Falle eines Falles, weist es uns in seinem Vorwort auf die psychologische Inexistenz der Lügen hin, wie schon weiter oben erwähnt. Ich rufe hier noch einmal das Fragment in Erinnerung: „Andererseits gibt es, psychologisch gesehen, keine Lügen. [...] Wäre es sehr paradox, zu behaupten, dass wir nie aus unserer eigenen Haut herauskönnen und dass wir, selbst wenn wir lügen, dazu verdammt sind, wir selbst zu sein, unsere Wahrheit zu kundzutun?" (S. 14 i. Originaltext). Andererseits erklärt er in N.A. die Methode, der er beim Schreiben von F.M. folgte: „Ich schrieb ganz einfach über die Dinge, die mir in die Erinnerung kamen. Die Dinge, an die wir uns nicht erinnern, gehören dem Tod an. Und alte Papiere nach Daten zu durchstöbern wäre Gelehrtenarbeit, nicht Erinnerung. Ich kann behaupten, dass ich einem proustschen Schema gefolgt bin, indem ich die Methode der lebendigen Erinnerung anwandte. Es ist übrigens auch Freuds Methode: Wir erinnern uns nur an die Dinge, die uns interessieren" (N.A., S. 157). Nun gut, aber es geht natürlich nicht nur darum, Dokumente zu durchforschen, um so die Gedächtnislücken aufzufüllen. Wesentlich wichtiger ist hier, wie dieses Gedächtnis benutzt oder kontrolliert wird, wie wir soeben an dessen Resultat festgestellt haben, nämlich an der Projektion eben jener Figur Villalongas, die am besten in das Bild passt, das Villalonga gerade von sich selber zusammenstellt: das eines in katalanischer Sprache erfolgreichen Schriftstellers mit geregeltem Eheleben, praktizierender Katholik, der in harmonischer Eintracht mit den achtbaren Bürgern seiner Stadt lebt. Einer der auffallendsten Aspekte in F.M. und N.A. ist die grundlegende Rolle, die den Exkursen zugesprochen wird, d. h. jenen Pausen oder Unterbrechungen im Lebensbericht des Protagonisten, die der Darstellung der Ansichten des Erzählers über irgendeinen Themenbereich dienen. Sowohl die Autobiographien wie auch die Romane pflegen Beschreibungen und Exkurse in den normalen Erzählfluss einzuflechten, die dann je nach Häufigkeit und Länge dem Werk seine besondere Prägung geben. Und so gibt es Romane, die
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von häufigen Exkursen geprägt sind und deren Handlung dementsprechend langsam und fragmentiert abläuft - eines des berühmtesten Beispiele hierfür ist wohl Prousts A la recherche du temps perdu - , wie es andererseits auch Autobiographien gibt, in denen die Exkurse oder Abhandlungen des Erzählers besonders stark ins Gewicht fallen. EM. und N.A. sind ausgezeichnete Beispiele für den letzten Fall. Der Erzähler und Protagonist nutzt in F.M. jede Gelegenheit, dem Leser seine Meinung über jedes nur irgend erdenkliche Thema mitzuteilen. Es versteht sich nur von selbst, dass es sich um den letzten Villalonga handelt, der hier seine Reden hält, also von dem Standpunkt ausgehend, den er im Moment des Schreibens vertritt. Skeptizismus, Stoizismus, Relativismus, Ordnung, Rationalismus, Nationalismus, Religion, Kunst, Literatur, Politik, Fortschritt usw., alles findet hier seinen Moment der Aufmerksamkeit. Sein Eifer, zu allem seine Meinung sagen zu müssen, bringt ihn sogar dazu, mit einem Nachwort zu enden; von der Pflicht, über die Ereignisse Bericht erstatten zu müssen, einmal befreit, kann er sich nun ohne weitere erzählerische Störungen der Darstellung seiner ideologischen Welt im weiteren Sinn widmen. Es ist eine Art Schlussbilanz oder intellektuelle Gewissenserforschung, das in die folgenden Abschnitte unterteilt ist: „Religiö-metafisica" (Religion-Metaphysik), „Democràcia" (Demokratie), „Lletres i Belles Arts" (Kunst und Literatur), „Baix Nivell Social" (Niedriges Gesellschaftsniveau [dabei geht es um den Aufstieg der Massen und die Spezialisierung]), „Indüstria i Agriculture" (Industrie und Landwirtschaft) und „Urbanisme actual. Le Corbusier" (Aktuelle Stadtplanung. Le Corbusier). Er schließt diesen Durchgang der allgemeinen Weltprobleme - sowie des eigenen Werkes - mit dem Geständnis eines gesteigerten Pessimismus den tatsächlichen Lösungsmöglichkeiten unserer Gesellschaft gegenüber. Diese fatalistische Geschichtsauffassung ist charakteristisch für den letzten, den reifen Villalonga und rückt ihn in die Nähe des von ihm so bewunderten Anatole France - ich denke hier vor allem an L'île des pingouins (1908) und La révolte des anges (1914) - . Es ist ein entsetzlich hoffnungsloser Prophet: „Wenn man die Ideen, die ich vorschlage, in Wirklichkeit umsetzen würde und die Welt in Ordnung käme, so wäre wahrscheinlich nicht allzu viel damit erreicht, denn wenn wir keine Probleme hätten, würden wir sie erfinden" (F.M., S. 234). Ich möchte hier eben diesen Willen des Belehrens unterstreichen, da dieser für die typischen Pausen der Exkurse verantwortlich ist, die den Darstellungsfluss der biographischen Ereignisse fragmentieren und die Villalonga dazu veranlassen, das Nachwort zu verfassen. Wenn ich hierauf etwas näher eingehe, dann um aufzuzeigen, dass Villalonga in F.M. lediglich das für ihn so charakteristische Kompositionsmodell, mit dem er seine Romane aufbaut, reproduziert. Ich meine in ein paar anderen Arbeiten25 bewiesen zu haben, dass .Lloren? Villalonga: novel la psicològica / novel la d'idees", in Actes del Desè Col loqui
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die Vorlage, der Villalonga beim größten Teil seiner Schriften in erster Linie folgt, nicht so sehr die des psychologischen Romans ist, wie einige Theoretiker vertreten, sondern viel mehr die des Ideenromans. Als moralistischer Schriftsteller - er selbst bezeichnet sich als Prophet - 26 ist es die Notwendigkeit, den Leser zu belehren, was ihn dazu veranlasst, so viele Exkurse einzuflechten, die er dann entweder seinen Figuren, in den dementsprechenden Dialogen und Szenen, oder dem Erzähler selbst in den Mund legt. Im ersten Fall ist der Eindruck der Unterbrechung, des Vergessens des Erzählers, dass seine Hauptfunktion eigentlich die ist, eine Geschichte zu erzählen, nicht so groß. Aber im zweiten Fall hat der Leser keinen Zweifel daran, dass er es hier mit einem belehrenden Diskurs des Erzählers zu tun hat, weshalb er ihn auch unabhängig vom Fluss der Erzählung liest. Bearti o la sala de nines wäre ein gutes Beispiel der ersten Gruppe, da wir dort überall in den Dialogen Don Tonis Erläuterungen finden; Fio la Vigne könnte für die zweite Gruppe stehen, denn dort ist es der Erzähler, der frei seine Weltanschauung, bzw. die des Autors, darstellt. Aber mit zunehmendem Alter wird Villalonga jedes Mal pessimistischer, alarmierter, was ihn dazu veranlasst, seine Ideen dringender darzustellen. Dies ist meiner Meinung nach der Grund, weshalb nun der Erzähler klar die Überhand gewinnt, diese Art ideologisches alter ego des Schriftstellers, das die Aufgabe hat, seine Ideologie, seine Weltanschauung direkt zu äußern, ohne sie vorher in die diegetische Welt einzuflechten und durch die einzelnen Figuren verkörpern zu lassen. Diesem Muster folgt auch F.M. Sehen wir uns den Anfang des Nachwortes etwas genauer an: Hier enden meine Lebenserinnerungen, d. h. die Beschreibung der Dinge, die man sehen und anfassen kann. [...] Vielleicht kann ich mit diesem Nachwort noch rechtzeitig etwas den Behaviorismus neutralisieren, den mein Bericht ganz sicher enthält, einer Mode, der so viele Schriftsteller der Nachkriegszeit, bis hin zu Camilo José Cela, anheim gefallen sind. Es interessiert natürlich immer weniger, was ein Mensch getan hat, als das, was er gedacht haben mag. (F.M., S. 226.) Villalonga sieht am Ende der Memoiren, dass ihm das entgleitet, was ihn am meisten interessiert: die Ideen, „das, was er gedacht haben mag". Allerdings kann jeder Leser des Buches feststellen, dass das, was der Schriftsteller im zi-
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Internacional de Llengua i Literatura Catalanes (Frankfurt am Main, 18.-25. September 1994), Bd. 1, Barcelona (1995), S. 319-335; „Lloren? Villalonga entre Anatole France i Marcel Proust", in Actes del Primer Congrés Internacional de Literatura Comparada. Les literatures catalana i francesa al llarg del segle XX (Valéncia, 15.-18. April 1997), Barcelona (1997), S. 317-353. S. das Interview, das ihm Baltasar Porcel machte: „Lloren? Villalonga, profeta apocalíptic", Destino (7-X-1967), das auch in dessen Buch Eis meus inédits de Lloreng Villalonga abgedruckt ist, Barcelona (1987), S. 208.
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tierten Fragment bemängelt, nicht so recht stimmt, denn der Erzähler hat in F.M. keineswegs darauf verzichtet, alles nur Denkbare zu erörtern, sondern eher im Gegenteil. Es ist also nicht richtig, dass er seine Ideen nicht dargestellt hätte. Genauer wäre es, daraus zu schließen, dass Villalonga noch mehr Freiheit braucht, um ohne erzählerische Hindernisse all das erklären zu können, worüber er den Leser belehren will. Aber die Gemeinsamkeiten, die F.M. mit Villalongas Romanen hat, hören hier noch nicht auf. Der Diskurs oder die verschiedenen erzählerischen Techniken, die der Schriftsteller anwendet, lassen weitere gemeinsame Punkte erkennen. Villalongas Erzähltechnik ist, um es kurz und treffend zu sagen, im Wesentlichen traditionell. Es ist dieselbe, die wir auch in F.M. finden. Eine der wirklichen Erneuerungen der Technik der Autobiographie betrifft die Zeit des Diskurses, insbesondere die Anordnung. Der Abstand zwischen der Gegenwart, in welcher der Text verfasst wird, und den vorangegangenen Perioden, zwischen der Kenntnis und Persönlichkeit des gegenwärtigen Ichs und den verschiedenen und unterschiedlichen Ichs der Vergangenheit, wird von manchen Autobiographen künstlerisch ausgenutzt: Um in unserer literarischen Welt und bei einem zeitgenössischen Autor ähnlicher historischer Erfahrungen zu bleiben, können wir hier z. B. Avel li Artis-Gener zitieren, in dessen hervorragendem Viure i veure (Leben und Sehen) die Zeit des Bürgerkrieges zum zeitlichen Mittelpunkt wird, um den sich das ganze Leben des Erzählers dreht. Dieser Krieg hat den Lebensweg des Autors und Protagonisten tief gezeichnet, deshalb hebt der Erzähler es künstlerisch hervor. Das Werk stützt sich auf ein reichhaltiges Spiel mit den Zeiten, die unaufhörlich ein Netz analeptischer und proleptischer Beziehungen weben, das den Inhalt, die Geschichte selbst stärkt. Im Gegenteil hierzu hat Villalonga es vorgezogen, in der Makrostruktur eine strenge Anordnung beizubehalten: Geburt, Kindheit, Jugend usw. Wie auch bei seinen fiktionalen Pendants, ist die attraktivste Seite in F.M. die der Geschichte (mit ihren Figuren und mit ihrer feinen distanzierenden Ironie usw.) und nicht die des Diskurses, der traditionell bleibt, ohne auch nur die geringste Notiz von jener großen Revolution zu nehmen, die im 20. Jahrhundert in der Welt des Romans stattfindet. - So berücksichtigt er z. B. keinen einzigen der enormen technischen Beiträge, die sein vergötterter Proust hierzu leistet, und zwar sowohl auf dem Gebiet der Gestaltung von zeitlicher Anordnung, Dauer und Häufigkeit wie auch auf dem der Form, oder der neuen Beschreibungstechnik, oder der subtilen und komplexen Behandlung der Psychologie der Figuren... nichts von alle dem wurde von Villalonga aufgenommen. - F.M. ist auch in Komposition und Technik traditionell. Im Gegensatz hierzu haben wir Villalongas Modernität in seinen Paratexten entdeckt, in denen er verspielt und ironisch dem Leser einen einzigartigen Pakt vorschlägt und sich über die erzählerischen Konventionen heiter hinwegsetzt. Seine anderen in der Ichform verfassten Werke sind, trotz ihres urkundlichen und sprachlichen Wertes, eher kurz und, im Vergleich zu F.M., litera-
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risch zweitrangig. Sein Diario de guerra und die vier Briefsammlungen gehören zu zwei sehr nahe stehenden Arten autobiographischer Literatur: dem Tagebuch und dem Brief. Beide sind überwiegend in der Gegenwart geschrieben, wobei allerdings zu beobachten ist, dass der Brief eine grundsätzliche Ausrichtung auf die Zukunft hin besitzt, wie von Enric Bou festgestellt wurde: „Ein Brief ähnelt einem privaten Tagebuch, weil er von der Gegenwart aus geschrieben ist, er hat diese Unmittelbarkeit, die auch das Tagebuch kennzeichnet, von dem er sich aber auch stark unterscheidet, weil der Brief ausschließlich auf die Zukunft ausgerichtet ist, weshalb die Verabredungen der Briefpartner sehr bedeutend sind".27 Diario de guerra wendet dieselbe Strategie des zweideutigen Paktes an, die wir schon in F.M. gesehen haben, d. h., dass der Pakt der Wahrhaftigkeit bis zur Grenze des Glaubhaften geführt wird: „Ich schwöre, kein unangenehmes oder furchtbares Gefühl in diesem Tagebuch festzuhalten. Ich schwöre, nie die Wahrheit zu sagen, es sei denn, sie tut meinem Stil keinen Abbruch" (S. 31). Auch das Endergebnis dieser Strategie ist dasselbe, nämlich absolute Handlungsfreiheit und eine seltsame Verfuhrung, die eine der Konsequenzen jener paradoxen Captatio Benevolentiae ist, die weiter oben bereits angesprochen wurde. Inhaltlich ist das Tagebuch kurz, denn es enthält nur 114 Einträge, die generell nicht besonders lang sind - manche gehen nicht über eine Zeile - und deren Zeitspanne auch nicht sehr weit reicht, nämlich vom 19. Juli 1937 bis Ende Mai 1939. Da andere Forscher Villalongas das Diario schon vor seiner Veröffentlichung für ihre Arbeiten verwendet haben, sind hier weiter keine großartigen Entdeckungen zu erwarten, aber die vollständige Lektüre dieser Aufzeichnungen in ihrer chronologischen Abfolge ermöglicht uns einen direkten Einblick in die Erlebnisse und die Ideologie Villalongas in einem der bedeutendsten Momente seines Lebens wie auch der Gegenwartsgeschichte des spanischen Staates. Sein Aristokratentraum, seine Verachtung der Bourgeoisie und sein Misstrauen der Demokratie gegenüber, welches zur Folge hat, dass er auf autoritäre Herrschaftsformen baut; der Antiklerikalismus; seine Distanzierung von der willkürlichen Unterdrückung und der Einschränkung der Freiheit der eigenen Bräuche... all das erlaubt uns, seine Zeit in der Falange und die Reichweite seines selbst proklamierten Liberalismus viel besser zu verstehen: „Ich habe die Falange sehr geliebt. [...] Kann aber andererseits ein ironischer Geist auch ein guter Falangist sein?" (S. 51). Auch der reife Lloreng Villalonga der Nachkriegszeit wird uns eher verständlich, z. B. im folgenden unschätzbaren Eintrag vom September 1937: „Versuchen wir also,
Enric Bou: Papers privats: Assaigs sobre les formes literäries autobiogräfiques, (1993), S. 150.
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dass diese Typen uns zu ihren Erben machen. Und wenn wir denn schon Angehörige der Bourgeoisie sein sollen, lasst es uns richtig sein, mit etwas Kunstfertigkeit und ohne allzu großes Geschrei zu machen oder Gemeinplätze ohne Ende von uns zu geben" (S. 51). Literarisch gesehen ist das Diario zweitrangig innerhalb von Villalongas bedeutendem Gesamtwerk. Insgesamt haben Jaume Pomar, Pilar Puimedon und Baltasar Porcel nur 61 Briefe ausgegraben, davon sind 34 an Pomar gerichtet, 4 an Eleanor Sackett, 20 an Joan Sales und 3 an Baltasar Porcel; es handelt sich also um einen winzigen Teil der ganzen Briefsammlung Villalongas, denn dieser richtete 345 Briefe nur an das Ehepaar Sales-Folch (287 an ihn, 58 an Nüria Folch), von den an Baltasar Porcel geschriebenen sind 360 erhalten.28 Da man aber, zumindest wenn man ein optimales Studium der Briefsammlung durchführen will, jeden einzelnen Brief im Zusammenhang mit der ganzen Monologreihe, die zu einem Briefwechsel gehört,29 sehen muss, ist es sehr schwer, gründlicher auf die persönlichen Eigenheiten dieser Art Ichliteratur einzugehen, solange uns keine vollständigere Ausgabe der Briefe zur Verfügung steht, die uns erlauben würde, die von den Herausgebern geleistete Arbeit30 zu vertiefen.
Die fiktionale Wiedergabe der biographischen Welt Weiter oben habe ich die Antiromantik und den Relativismus als Vertreter einer gewissen philosophischen und ästhetischen Anschauung angeführt, die Villalonga das Verfassen autobiographischer Schriften erschwerte, da er Dinge aus seiner Intimsphäre gar nicht gern unmittelbar, direkt darstellte und der Möglichkeit, die Realität erkennen zu können sehr skeptisch gegenüber stand, denn „die Objektivität ist ein Phantom".31 Aber ich habe auch auf die grundlegende Bedeutung, die das biographische Umfeld für sein literarisches Schaffen hat, hingewiesen. Vergessen wir hier nicht das Geständnis des Autors selbst: „Letzten Endes habe ich nur aus Lust am Erinnern geschrieben, am Erinnern der Dinge, die ich mag. Indem ich schreibe, erinnere ich mich an Erlebtes, an Ereignisse, an Menschen, die in meiner Erinnerung fortleben" (N.A., S. 151).
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S . P i l a r PUIMEDON I MONCLÚS: loe. cit.,
29
S. Linda S. KAUFMANN: Discourses of Desire: Gender, Genre and Epistolary Fictions, Cornell-New York (1986), S. 43. Bei Enric Bou: op,cit., S. 142. S. auch Jaume POMAR: „Aportació a l'epistolari de Lloren? Villalonga", Revista de Catalunya, 12 (Oktober 1987), S. 141-155. Lloren? VILLALONGA: „Introducción a la novela", erster Artikel der Reihe „Las Tardes silenciosas", die 1975 in Destino und danach in Baltasar PORCEL, op.cit., S. 79 veröffentlicht wurde.
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S . 1 3 3 u n d B a l t a s a r PORCEL: loe. cit.,
S. 7.
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Schließlich enden die persönlichen Erlebnisse des Autors in der fiktionalen Literatur, in der sie sich auflösen und künstlerisch wandeln, so dass viele dieser Werke ständige autobiographische Hinweise enthalten, allerdings dementsprechend fiktionalisiert. Diese Feststellung darf uns nicht überraschen, vor allem wenn wir bedenken, dass - wie heutzutage allgemein bekannt ist - der Roman hinter der Maske der Fiktion oft mehr autobiographische Wahrheit zu verbergen pflegt als die Autobiographie selbst. Denken wir nur an folgende Worte Gides: „Les Mémoires en sont jamais qu 'à demi sincères, si grand que soit le souci de vérité: tout est toujours plus compliqué qu 'on en le dit. Peutêtre même approche-t-on de plus près la vérité dans le roman"?2 Oder auch an die von François Mauriac ausgesprochenen: ,Jt4ais c 'est chercher bien haut des excuses, pour m'en être tenu à un seul chapitre de mes mémoires. La vraie raison de ma paresse n 'est-elle pas que nos romans experiment l'essentiel de nous-mêmes? Seule la fiction ne ment pas; elle entrouve sur la vie d'un homme une porte dérobée, par où se glisse, en dehors de tout contrôle, son âme inconnue."" Oder die Sartres: ,Jl serait temps que je dise enfin la vérité. Mais je ne pourrai la dire que dans un oeuvre de fiction",34 Oder, um einen jüngeren Romancier zu nennen, die von Robbe-Grillet: „Le biais de la fiction est, en fin de compte, beaucoup plus personnel que le prétendue sincérité de l'aveu",35 Wir mögen also damit einverstanden sein oder auch nicht, es besteht kein Zweifel, dass viele Schriftsteller schwören, viel mehr von sich selbst in ihre Romane einfließen zu lassen als in die Autobiographien. Warum sollten wir ihnen keinen Glauben schenken? Ich jedenfalls werde sie nicht Lügen strafen, obwohl ich natürlich auf der Hut sein werde, denn wie jeder Gewohnheitsleser weiß ich nur allzu gut, dass nichts in der Kunst unschuldig ist: Kein Strafgericht wird über die Verführung des Lesers richten. Wenn der Autor auf dem autobiographischen Gehalt seiner der Fiktion angehörenden Werke besteht, so hat das zum Ziel, einen eigenen oder indirekten Pakt zum Lesen mit einem autobiographischem Schlüssel anzuregen. Lejeune zufolge handelt es sich hier um den „gespensterhaften Pakt": ,JLe lecteur est ainsi invité a lire les romans non seulement comme des fictions renvoyant à une vérité de la , nature humaine', mais aussi comme des fantasmes révélateurs d'un individu. J'appellerai cette forme indirecte du pacte autobiographique le pacte fantasmatique".36 32
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André GIDE: Si le grain en meurt, Paris (1972), S. 278. Bei Philippe LEJEUNE: Le pacte..., op.cit., S. 41 und Gisèle MATHIEUR-CASTELLANI: op.cit., S. 166. François MAURIAC: Commencements d'une vie in: Écrits intimes, Genf-Paris (1953), S. 14. Bei Philippe LEJEUNE: Le pacte..., op.cit. Jean-Paul SARTRE: Interview mit Michel Contât. Le Nouvel Observateur (23. Juni 1975). Bei Philippe LEJEUNE: Le pacte..., op.cit., S. 43. Alain ROBBE-GRILLET: Le Miroir qui revient, Paris (1984). Bei Gisèle MATHIEU-CASTELLANI: op.cit., S. 166. Philippe LEJEUNE: Le pacte..., op.cit., S. 42.
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Lejeune zögert keinen Moment, diese Erklärungen als Taktiken zu bezeichnen, die bewusst oder unbewusst eingesetzt werden mögen aber zweifellos sehr wirksam sind: „ort échappe aux accusations de vanité et d'égocentrisme quand on se montre si lucide sur les limites et les insuffisances de son autobiographie; et personne ne s'aperçoit que, par le même mouvement, on étend au contraire le pacte autobiographique, sous une forme indirecte, à l'ensemble de ce qu 'on a écrit. Coup double"?1 Die letzte Konsequenz dieses Vorgehens ist das Entstehen im Leser eines weiten „autobiographischen Raums", in dem er sowohl die Werke einschließt, die vom Autor selbst als autobiographisch bezeichnet werden, als auch jene, die äußerlich dem Muster der Fiktion folgen.38 So betrachtet werden Villalongas schon erwähnten Erklärungen zu diesem Thema noch interessanter. Ich wiederhole sie hier noch einmal: „Alle Bücher, die ich geschrieben habe, müssten in diesen Memoiren enthalten sein, da ich sie mehr oder weniger gelebt habe" und „Indem ich schreibe, erinnere ich mich an Erlebtes, an Ereignisse, an Menschen, die in meiner Erinnerung fortleben". Fordert er uns hier nicht auf, den erwähnten „gespensterhaften" oder indirekten autobiographischen Pakt zu schließen? Schlägt er uns hier nicht einen autobiographischen Raum vor, in dem die Leser sowohl F.M. und N.A. als auch die Romane unterbringen könnten? Dieses attraktive Spiel bringt einen doppelten Nutzen: Die Autobiographie gewinnt an Zweideutigkeit und Komplexität, also an Eigenschaften, die dem Bereich der Fiktion zugeordnet sind; der fiktionale Roman nimmt die Wahrheit, die Genauigkeit auf.39 In diesem Sinn ist sein Vorwort zum El misantrop mustergültig, denn dort ist das Spiel des Autors schwer zu überbieten: „Da ich hier nicht vorhabe, meine Memoiren zu schreiben, sondern eher von meinen Erinnerungen ausgehend einen Roman zu verfassen...". Und ein paar Zeilen weiter unten besteht er darauf: „Da dieses Schreiben letzten Endes eher ein Roman ist als Memoiren".40 Villalonga gesteht in seinen Werken (vor allem in N.A.) und Interviews ohne weiteres die faktischen Ausleihen (von Personen und Ereignissen aus dem täglichen Leben) und deren nachfolgende fiktionale Verwandlung. Diese unschätzbaren Informationen und die Forschungsergebnisse, über die wir bereits verfügen, erlauben uns, zu sehen, wie richtig die Autobiographieforderung im weiteren Sinne für sein ganzes literarisches Schaffen ist; mit anderen Worten, wie Villalonga dem Leser einen autobiographischen Raum anbietet, um ihn so zum Lesen anzuregen und darin zu führen. Aber wir verfügen noch über ein weiteres Element bei unserer Forschung, das uns sehr hilfreich dabei sein kann, diesen autobiographischen Raum Villa37 38 39 40
S. Philippe LEJEUNE: Le pacte..., op.cit. S. Philippe LEJEUNE: Le pacte..., op.cit. S. Philippe LEJEUNE: Le pacte..., op.cit. Llorenç VILLALONGA: El misantrop, Barcelona (1972), S. 7 und 9.
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longas zu verstehen. Ich meine die Häufigkeit, mit der Villalonga einen homodiegetischen Erzähler in der Ichform benutzt. Von insgesamt 15 veröffentlichten Romanen - hier berücksichtige ich natürlich nicht F.M., das ich als Autobiographie bezeichnet habe - finden wir in fast der Hälfte (6) einen homodiegetischen Erzähler in der Ichform, in 8 einen heterodiegetischen Erzähler in der dritten Person und in 1 (El Misantrop, 1972) einen recht eigentümlichen Erzähler: Eingangs wird er als homodiegetischer Erzähler und Zeuge vorgestellt, aber seine offenkundigen und ständigen Übertretungen in der Fokalisierung machen ihn tatsächlich zu einem Erzähler, dem die Fokalisierung eines heterodiegetischen Erzählers zur Verfügung steht. Den Erzähler in der Ichform finden wir in La novel la de Palmira (Der Roman der Palmira) (1952), Bearn o la sala de nines (1956), L'ängel rebel (Der rebellische Engel) (1961) / Flo la Vigne (Flo la Vigne) (1974), Les fures (1967), Andrea Victrix (1974) und in der postumen und unvollendeten La bruixa i l'infant orat (1992). In all diesen Romanen schließt der Autor sich selbst als mehr oder weniger fiktionalisierte Figur mit ein; seine Züge sind zu erkennen in En Tonet, dem erzählenden Protagonisten der La novel la der Palmira; in Don Toni, der Hauptperson in Bearn o la sala de nines; im Erzähler und Protagonisten von L 'ängel rebel /Flo la Vigne; im Kind, das der Erzähler und Protagonist der Les fures ist; im erzählenden Protagonisten der Andrea Victrix, und im erzählenden Kind, das halb Hauptperson und halb Zeuge in La bruixa i l Infant orat ist. In ihrer bereits klassischen Arbeit Die Logik der Dichtung (1957, 1977), schlägt Käte Hamburger die folgende grundlegende Unterscheidung zwischen der Erzählung in der dritten Person (Fiktion) und der Erzählung in der Ichform (fingierte Darstellung der Wirklichkeit) vor. Um ihrer Theorie besser folgen zu können, sollte uns der Unterschied zwischen zwei ihrer Grundbegriffe klar sein: „Der Begriff des Fingierten bedeutet ein Vorgegebenes, Uneigentliches, Imitiertes, Unechtes, der des Fiktiven dagegen die Seinsweise dessen, was nicht wirklich ist: der Illusion, des Scheines, des Traumes, des Spieles".41 Die Erzählung in der Ichform ist durch das Merkmal gekennzeichnet, dass es sich dabei um eine fingierte Realitätsdarstellung handelt, die sich also sowohl von der Fiktion als auch von der Lyrik unterscheidet, die beiden, sagen wir, „reinen" Gattungen. Die fingierte Realitätsdarstellung zwingt dazu, dem Muster der Realitätsdarstellung zu folgen, d. h. zwischen Subjekt und Objekt der Darstellung eine Beziehung herzustellen, die sich dadurch auszeichnet, dass dieses Subjekt bzw. der Erzähler von den anderen Personen nur als von Objekten sprechen kann. In wenigen Worten, er bringt gezwungenermaßen die Annahme eines ganz bestimmten Gesichtspunktes oder Fokalisierung mit sich, denn es ist einzig und allein das erzählende Ich, welches die anderen Personen sieht,
41
Käte HAMBURGER: Logik der Dichtung, Stuttgart (1994; 4. Auflage), S. 247.
Lloren? Villalonga und die Ichliteratur
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beobachtet und beschreibt. Deshalb haben dort auch einige der für die Grundform der Fiktionsexposition bezeichnenden Stilmittel nichts zu suchen: Die Verben seelischer Tätigkeiten (wie die des Fühlens und Denkens), die in der dritten Person, d. h. ohne notwendige Rechtfertigung durch den Erzähler, benutzt werden; die freie indirekte Rede; der innere Monolog oder jedes andere Element, welches die Subjektivität der Figuren ausdrücken könnte. Käte Hamburgers wichtigste Entdeckung ist dieses Konzept des fingierten Charakters des in der Ichform geschriebenen Romans, wenn es auch noch so fraglich sein mag, dass man ihn allein deshalb aus dem Bereich der Fiktion ausschließen könnte, worauf Genette treffend hingewiesen hat.42 Was uns hier besonders interessiert, ist die enge Verbindung, die Hamburger zwischen den autobiographischen Schriften und dem Ichroman sieht. Die Autobiographien, Memoiren, Tagebücher usw. teilen mit dem Roman ein ganz bestimmtes Muster, das genau diese beiden großen Gattungen bestimmt. Man darf hier nicht vergessen, dass das Fingierte Abstufungen zulässt, im Gegensatz zur Fiktion. So sind wir auf einem anderen, nämlich auf dem von Käte Hamburger vorgezeichneten Weg zum selben Ort zurückgekehrt, zum autobiographischen Raum, wobei wir jetzt über mehr theoretische Stützen verfügen. Ich glaube, wir können zu dem Schluss kommen, dass Villalonga, wie viele anderen Autoren, die ihre Umwelt in ihre Schöpfung einfließen lassen, das ganze Spektrum an Möglichkeiten oder Abstufungen, die ihm die erzählerische Ichform - sei sie nun strikt autobiographisch oder nicht - anbietet, ausnutzt, um seine eigene persönliche Welt literarisch nachzugestalten. Dies ist die Option, die ihm das spielerische „Salvador Orlan / Lloreng Villalonga sein oder nicht sein" erlaubt. Natürlich kann er seine Lebenserfahrungen auch in die in der dritten Person geschriebene Werken aufnehmen, indem er sie dort in der diegetischen Welt auflöst, aber das Spiel mit dem Leser wird dann ein ganz anderes. VlCENT SlMBOR ROIG Universität de Valencia
S. Gerard GENETTE: Fictions... op.cit., S. 90.
Joan Oleza Gebiete in Lloren^ Villalongas Erzählungen: zu ..Julieta Récamier" Die Tragik am Roman - so schrieb Villalonga - ist, dass man darin das Leben fest- und zurückhalten will, das doch Bewegung und Veränderung ist. Generell ist dies die Tragik des Denkens, hätte ihm Zarathustra geantwortet: Es ist der Wille zur Macht, was uns dazu veranlasst, das Leben, das grenzenlos fließt, festzuhalten, um es dann kontrollieren zu können. Deshalb bewunderte Villalonga auch Marcel Proust so sehr, weil er der Schriftsteller war, der am besten den Widerspruch zwischen dem Streben nach Immobilität, das allem Schreiben eigen ist, und dem unaufhaltsamen Fluss der Psychen gelöst hat. Villalongas Erzählungen und Romane folgten demselben Spiel Marcels und Albertines wechselnder Beziehungen, und zwar während seiner ganzen Schaffenszeit, so dass die Chronologie, jener geordnete Katalog der Werke eines Künstlers, an den uns die Museen so gewöhnt haben, davon außer Kraft gesetzt wird. Die Neubearbeitungen von Stücken wie „Julieta Récamier", die späten Übersetzungen aus dem Spanischen ins Katalanische der ersten Schriften in Prosa, die Veröffentlichung in Sammelbänden wie De fora Mallorca (Außerhalb Mallorcas) (1966) von Erzählungen aus so verschiedenen Zeiten wie „Sol al mirador" (Allein im Erker) (1934) oder „Un capell de Paris" (Ein Pariser Hut) (1960), zwischen denen über 25 Jahre Abstand liegen, abgesehen von einem weiteren Ausgangsunterschied, nämlich dem der Sprache, all dies stellt erneut Verstöße gegen die Chronologie, gegen die geschlossene und lineare Ordnung eines Katalogs dar. Ein weiterer Verstoß ist Villalongas starrköpfiges Festhalten an seinen Werken, die er nie für abgeschlossen hält, sondern durch aufeinander folgende Verwandlungen fortbestehen lässt; eine Starrköpfigkeit, die Mallarmé in die Dichtung der Moderne eingeführt hat und die seitdem zu einem ihrer beständigsten Identitätszeichen geworden ist, die Manie des Werkes ohne Schlusspunkt, deren Fluss eher der einer textuellen Übung als der eines geschlossenen Textes ist und die Schriftsteller wie Juan Ramón Jiménez, Salvador Espriu, Jorge Guillén oder Max Aub so weit brachten, sich selber ständig neu zu erfinden. Wie könnte man hier vergessen, dass Villalongas Drama Fedra (Phädra) - das er 1932 ursprünglich auf Spanisch verfasst und in dem er Motive aus dem Roman Mori de dama (Tod einer Dame) sowie aus der Erzählung „Julieta Récamier", beide aus dem Jahr 1931, wieder verwendet hatte- 1936 von Salvador Espriu ins Katalanische übersetzt wurde, 1954 erneut von Villalonga in Spanische und 1966 wieder in Katalanische übertragen wurde, nicht ohne währenddessen seinen Konflikt auf ein anderes Drama zu übertragen, nämlich auf Silvia Ocampo, dessen erste Fassung seinerseits 1935 auf Spanisch entstand, 1966 ins Katalanische übersetzt wurde, um sich dann 1975 in einen Roman mit dem Titel Un estiu a Mallorca (Ein
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Sommer auf Mallorca) zu verwandeln? Oder dass er dessen Themen auf einen weiteren Roman projizierte, nämlich Mme. Dillon (1936), der dann so lange wuchs, bis er sich 1964 in L'hereva de Dona Obdulia (Dona Obdulias Erbin) und dann 1966 in Les temptacions (Die Versuchungen) verwandelt hatte? Wie könnte man hier vergessen, dass dieser so genannte Phädra-Zyklus über vierzig Jahre lang aktiv bleibt, wobei er die unterschiedlichsten literarischen Genres, wie Drama, Roman oder Erzählung, durchläuft? Bestimmt hätte Lloren? Villalonga die Anweisung eines anderen seiner literarischen Vorbilder, des Galiciers Ramón del Valle Inclán, akzeptiert, die uns dieser in seiner La lámpara maravillosa (Die Zauberlampe) hinterließ: „Die Sinne vermitteln uns eine falsche Vorstellung über uns selber [...] die täuschende Vorstellung, die jedes chronologische Wissen kennzeichnet". So neigt also der Leser und Kritiker, wenn er einem Werk wie dem Villalongas gegenübersteht, eher dazu, es kartographisch und nicht chronologisch zu erforschen, es wie eine Landkarte möglicher Wege zu lesen, nicht wie eine endgültig zurückgelegte Strecke. Und dies ist der Weg, den ich hier einschlagen möchte, um zwei klar differenzierte und ziemlich gegensätzliche Gebiete innerhalb der kürzeren Erzählungen Villalongas zu besuchen.
1. Verdecken und Entdecken der Wirklichkeit1 Die weitläufigste Gegend der erzählerischen Geographie Villalongas zeichnet sich durch einen zweideutigen Realismus aus, der die äußere Wirklichkeit abwechselnd verdeckt und entdeckt, der den - allerdings anachronistischen - Verismus, mit dem er seine Umgebung darstellt, mit der schiefwinkligen Untersuchung der Psyche seiner Figuren kombiniert, also eine Art psychologischer und idealisierender Realismus, der stilisiert und leicht symbolisiert: die ganz eigene Art der Welt von Bearn. Ich bezweifle sehr, dass Lloreng Villalonga akzeptiert hätte, das Wort „Realismus" auf seine Art zu schreiben anzuwenden, aber aus meiner Sicht ist dies nicht zu vermeiden, denn es handelt sich hier um Realismus; es ist ein Realismus, der in keiner Weise naturalistisch aber sehr neoklassizistisch - und daher idealisierend - ist, kaum spürbar, den Heldenkonflikt ebenso schmähend wie die „barocke" Ausdrucksweise; ein Realismus, der die Wirklichkeit der Gegenwartsstadt vermeidet und mehr Gefallen an Bräuchen und Lebensweisen gewisser Minderheiten (des Landadels, der Bauern, der Kleriker...) findet
Hier werden Ideen wieder verarbeitet, die bereits im Vorwort meiner Ausgabe der Relats von Lloren? Villalonga, Alzira (1995) dargestellt wurden. Im nächsten Abschnitt („Die Kunst des Pastiches und die literarische Parodie") wird diese Untersuchung anhand von neuem Material fortgesetzt.
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als am Kapitalismus der gegenwärtigen Großstadt, und dessen Figuren ebenso Minderheiten angehören (die gealterte Kokotte; die intellektuelle Dame; der junge Verbrecher; der Herr, der Voltaireanhänger und zugleich katholisch sein wollte...); oder ein Realismus, der die bereits geschaffene Welt von Bearn erneut aufsucht und den Lieblingslektüren des Autors nachgeht (Platon-Sokrates, Mme. De Lafayette, A. France, M. Proust...), denen er Figuren und Situationen entleiht: Diese ganze Art vorzugehen entfaltet und verbreitet sich im gesamten Werk Villaiongas. Wir finden sie schon in sehr frühen Erzählungen wie „Biografía fantástica" (Phantastische Biographie) (1924) oder „Etopeia", sie ist bezeichnend für den Großteil seiner wichtigsten Schaffenszeit, in Erzählungen wie „Crisi" (Krise) (1944), „Un capell de Paris" (Ein Pariser Hut) (1966), „L'encobridor" (Der Hehler) (1968) oder „El llumi" (Das Streichholz) (1968), und schließlich schleicht sie sich, wenn auch leicht abgeschwächt, in die thesenartigen Erzählungen der letzten Jahre ein, deren Thema die Hekatombe ist, die drohend bevorstehende Katastrophe, wie im Fall von „L'illa engolida" (Die verschlungene Insel) (1970). Zu den Geschichten, welche die Poetik des psychologischen Realismus vertreten, gehört eine ganz bestimmte Gruppe von Erzählungen, die den Abschied des Schriftstellers von seiner Welt vor dem Krieg, von den euphorischen Zwanzigerjahren und seinem Flirt mit der Avantgarde bezeugen. Es handelt sich um Erzählungen, die ursprünglich 1944 in El Español auf Spanisch veröffentlicht wurden, wie „Noces de primavera" (Frühjahrshochzeit) und „Crisi", oder die 1966 in die Sammlung De fora Mallorca aufgenommen wurden, wie „Aquells avantguardismes" (Jene Avantgarden). Die erste dieser Erzählungen, die auf einem obskuren persönlichen Erlebnis beruht, welches einen erheblichen Skandal in Palma de Mallorca auslöste, 2 enthält einige Elemente, die Villalongas Erzählwelt fremd sind und eher aus Hollywoods Kriminalfilmen zu stammen scheinen: das Auflauern, Abfangen und Entführen eines Mädchens durch ihren Verlobten und einem Freund und die nachfolgende Flucht der drei in einem Auto, „in einer Apotheose wie im Kino". Die Erzählung ist repräsentativ für eine Etappe des Experimentierens, in welcher der Schriftsteller sehr ungewöhnliche Techniken ausprobiert. Ebenso sind dort jene Motive zu finden, die seine Erzählungen avantgardistischen Einflusses aus der ersten Zeit kennzeichnen: der Sportwagen (ein Bugatti), die reichen, vorurteilslosen und sportlichen Jungen, die Aufputschmittel, der Plattenspieler, das Sommerhaus am Meer... Dennoch taucht dort auch ein neuer Faktor auf, der stark in der Darstellung eingreift, und zwar der psychologische Faktor, der seinen Ausdruck im tief gehenden Erzählen der weit schweifenden Gedanken, der Eindrücke und der unbewussten Anregungen des Protagonisten
S. J. POMAR: La rao i el meu dret. Biografia de Lloren^ Villalonga, Palmade Mallorca (1995).
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findet, wie auch in der starken Symbolik des Konfliktes, der typisch für die erste Schaffenszeit ist und der von den „modernen" Jungen gegen den konservativen Geist der guten Gesellschaft auf der Insel ausgeht, mit etwas dazugehörigem Generationskonflikt. Die Auseinandersetzung erreicht ihren Höhepunkt in dem Moment, in dem die moderne Maschine, der mächtige Bugatti, in die gewundene Dunkelheit der Gassen und alten Herrenhäuser der Altstadt eindringt, als wollte er sie deflorieren, und ihr das Mädchen raubt. Aber Villalongas psychologischer Realismus nährt sich oft mehr von literarischem als von autobiographischem oder zumindest direkt autobiographischem Material. Ein großer Teil dieser Art von Erzählungen besuchen erneut Bearn, wie z. B. „Crisi" oder vor allem die im El lledoner de la clasta (Der Zürgelbaum im Innenhof) (1958) gesammelten Erzählungen. El lledoner de la clasta, eine Sammlung von Erzählungen, die länger als üblich ausfallen, ist wahrscheinlich das kohärenteste - nicht umsonst hatte der Autor es, im Unterschied zu den meisten anderen Erzählungen, als einheitliches Buch geschrieben - und auf alle Fälle das reichhaltigste der Geschichtenbücher Villalongas. Seine fünf Erzählungen werden eingeleitet durch ein „Vorwort", das eine ganze Poetik darstellt, auch wenn es das nicht ausdrücklich zugibt. Der Erzähler und Autor richtet sich an seinen Leser von der Bibliothek in Robines aus, deren einziges Fenster auf den Iraienhof geht, „in dem ein alter Zürgelbaum weit über das Dach hinaus ragt". Diese Bibliothek scheint von der aktuellen Zeit unberührt geblieben zu sein. Die Bücher, die sie in ihrem Halbdunkel aufbewahrt, sind seit langem nicht durch neuere ersetzt worden. Was sich dagegen sehr wohl erneuert, ist das Außenleben, das im Innenhof stattfindet, als wäre es ein kleiner Platz aus dem Mittelalter: „Die letzten Neuigkeiten der Stadt werden dort mit einer gewissen Nonchalance von ihrer Hülse befreit, ohne Gift oder Leidenschaft". Dieser Rahmen passt nun ganz genau zu seiner Poetik jener Jahre: Im Halbdunkel der Bibliothek widmet der Autor seine Aufmerksamkeit teilweise der zeitlosen Lektüre (Thaies von Milet, Voltaire, Chateaubriand...) und teilweise den Neuigkeiten des Landlebens, denen er vom Fenster aus nachspioniert, versteckt hinter Jalousien und ausgestattet mit dem Vorsatz eines Voyeurs und der Distanz eines Herrn („denn bereits Marie Antoinette sagte, dass man das Volk von einem Gitter aus lieben sollte [...] Man kann es lieben und küssen, sogar auf den Mund; aber es empfiehlt sich nicht, ihm die Hand zu geben"). Eine Poetik, an der das Leben, das (seit 1939) aus der Distanz eines ironischen und zugleich elegischen Beobachters wahrgenommen wird, die literarischen Vorbilder (Voltaire, Proust) und die Neubearbeitung des eigenen Werkes mit seiner sagenhaften Geografie (Bearn, Robines, Montlleö...) und mit seinen typischen Figuren (Don Toni und Dona Maria Antonia, Don Joan, die Boten...) teilhaben. Ich würde nun gern etwas näher auf eine dieser Erzählungen eingehen; es handelt sich um „El llumi" (Das Streichholz), die in die Anthologie El llumi i altres narracions (1968) (Das Streichholz und andere Erzählungen) aufge-
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nommen wurde. „El llumi" ist eine der bezeichnendsten Erzählungen der Welt Villalongas. Sie hat ihren Ursprung in einem mallorquinischen Märchen (das des blauen Lichtchens in der Ferne, das, je näher wir ihm kommen, desto weiter in die Ferne rückt) und hängt auch mit dem Bearn-Zyklus zusammen, allerdings nicht mit dem so betitelten Roman, sondern mit einer vorigen Phase, die mit der Novel la de Palmira in Verbindung steht, in welcher die Figuren von Don Toni und Maria Antonia Zeitgenossen des Autors sind. Wenn Don Toni hier von sich selbst spricht, dann meint er nicht jenen Don Toni mit Perücke aus dem 17. Jahrhundert und im Franziskanerhabit; was hier spricht, ist ein dualistisches Ich, das sowohl dem Bereich des Romans angehört als auch dem der Autobiographie; es ist Don Toni de Bearn und zugleich Don Lloreng Villalonga de Tofla oder, wenn man will, Don Toni Villalonga de Tofla de Bearn und de Robines, eine perfekte Kreuzung. Die Erzählung stellt die Träume, aus denen die Sage von Bearn entstand, in der Praxis auf die Probe. Aufgrund von einer (Villalonga zugestoßenen) biographischen Begebenheit, die der Autor beschließt, einer literarischen (aber kaum fiktionalen) Behandlung zu unterziehen, setzt sich der Erzähler mit dem „Trugbild der Genealogien" auseinander: Ein letzter Verwandter hat vor seinem Tod den Stammbesitz eines ganzen Geschlechtes, dem der Villalonga, einschließlich des dazugehörenden Landes oder was nach Jahrhunderte langen Aufteilungen noch von ihm verblieben war, verkauft. Früher war Tofla riesengroß. Hier, auf jenem „wilden Gelände, in vierhundert Meter Höhe, zwischen Abgründen und Wölken", verstrichen viereinhalb Jahrhunderte einer edlen und grausamen Geschichte, denn wenn das Geschlecht der Villalonga die Herrschaft über dieses Land behielt, so ging das auf Kosten der Beschneidung der zweitrangigen Verzweigungen, die eine Generation nach der anderen vorgenommen wurde, einer Beschneidung, die den größten Teil dieses dicht belaubten Stammes ausschloss, so dass es nicht selten vorkam, dass „Abkommen dieser Zweige, die Tofla einst als Herren verlassen hatten, als Pächter oder ganz einfache Tagelöhner wieder dorthin zurückkamen, ohne dass sich irgendjemand daran erinnern würde, dass in ihren Adern dasselbe Blut floss". Eines Tages besucht Don Toni / Don Lloreng, einer jener Ausgeschlossenen, bei einem Ausflug die Ländereien, die heute nicht mehr die geringste Verbindung mit seinem Geschlecht haben, und steigt mühsam zu den Häusern hoch, die den Ursprung von allem darstellten, Ca'n See de Tofla. Dort trifft er auf einen alten Bauern, der möglicherweise „zu Zeiten der Herrschaft" den Besitz bearbeitet und dann die Hälfte davon gekauft hatte (die andere Hälfte gehört einem Ausländer), ein uraltes Gebäude, ohne Möbel oder auch nur den geringsten Komfort, aber das seine bäuerlichen Wurzeln vertritt, die ebenso in Gefahr sind wie die der Herrschaft, denn er hat keine Hoffnung, dass sie durch seine Nachkommen fortbestehen könnten: „Ich habe einen verheirateten Sohn, aber der mag die Berge nicht, und seine Frau sagt, das Haus da sei zu groß, um es sauber zu halten [...] was ihnen ganz sicher gefallen würde, ist eine gute Vil-
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la mit Bad und Radio und Fernseher [...] Das ist es, was die Jugend heute will". Von nahem hatte Ca'n See de Tofla „am ehesten mit einem Kuhstall oder mit einem großen Haufen Steinen Ähnlichkeit [...] Wie es so zu sein pflegt, verflog die Poesie in dem Moment, in dem man sie mit den Händen berührte". Aber wie schon der Marquis von Bradomin, der im Rausch seiner Kindheitserinnerungen das Haus zu einer uneinnehmbaren, prächtigen Burg machte, bringt Don Toni / Don Lloreng das blaue Lichtlein der Ferne dorthin. Als er nach seinem Ausflug nachts wieder in Robines ist, kann er nicht schlafen. Erneut brennt das blaue Lichtlein, der Traum Bearns. Von dort oben ruft er sich in die Erinnerung zurück: „Das Schauspiel der Natur ist göttlich [...] Und außerdem gab es da ja noch die Geschichte. Meine Vorfahren haben im Lauf von fünfhundert Jahren ein Haus gegründet". Die Natur, die Geschichte haben bereits ihren Platz in dieser Schimäre, fehlt noch die Idee, die Ideologie, die Überzeugungen, und bald haben sie ihren Weg in den schlaflosen Geist gefunden: „Aus ganz ähnlichen Häusern, ohne große Heldentaten aber selbstständig, ging auch nach dem Jahre 1229 unsere Zivilisation hervor". Eine Zivilisation fern von der Zivilisation, von Monarchen, Päpsten, Universitäten, Parlamenten, aber nah an der Natur, die Jahrhunderte lang darum gekämpft hat, eine relativ reiche Landwirtschaft auf diesem armen Land, das weder über Wasser noch über Industrie verfugte, aufzubauen, und all das dank einer Klasse von ländlichen Herren, von „strengen, spontan zum Vorschein gekommenen Führern mit ausreichend moralischer Fähigkeit, um Gehorsam zu bieten und Respekt einzuflößen". 3 Tofla verkörpert all das, es ist das blaue Lichtchen, das in der Ferne leuchtet. Langsam entwickelt Don Toni eine Idee, die ihm dort oben, zwischen den Felsen von Ca'n See, gekommen war. Sie könnten Ca'n See zurückgewinnen. Es wäre alles nur eine Frage eines ganz einfachen Austausches, der im Bereich des Möglichen liegt. Maria Antonia hört ihm zu, lacht etwas über ihn und überlässt ihm die Entscheidung. „Sie war ein ganz schöner Schlingel! Denn sie wusste, dass ihre Zustimmung zu meinen Vorhaben die sicherste Art und Weise waren, Zweifel in mir hervorzurufen." Und die Zweifel ließen nicht lange auf sich warten: Der Plan ist nicht sehr praktisch, er weist große Probleme auf; so müsste man bauen, fließendes Wasser und Strom installieren, außerdem war das Haus nicht mit Auto zu erreichen, es wäre unmöglich, einen Pfarrer für die Kapelle zu finden, und man weiß ja, dass Dona Maria Antonia täglich zur Messe geht... In diesem Moment begreift Don Toni / Don Lloreng,
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Wie sehr ähnelt die ideologische und selbst die ästhetische Haltung dieses Villalonga der des Valle-Inclân, der die Sonatas geschrieben hatte, trotz des riesigen Abstandes, den man zwischen dem Stil des einen und des anderen, oder zwischen dem galicischen und dem mallorquinischen Land, oder zwischen Mallorcas Adel und dem Galiciens, beobachten kann!
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dass „das Lichtchen, um so fern und so blau sein zu können, mit jedem Schritt, mit dem wir uns ihm nähern, weiter zurückweichen muss", und dass „die Ferne immer mein allerhöchstes Ziel war". Tofla soll in der Distanz bleiben, es soll Bearn sein, ein Traum, ein blaues Lichtchen, denn „genau genommen gehört es nicht zu dieser Welt". Der Weg in die Sublimierung, und der in die Literatur, steht offen. Der realistischen Poetik wohl am nächsten stehen zwei Erzählbände mit Texten, die in einer Lebenserfahrung wurzeln und schon sehr früh erschienen („Biografia fantästica" [1924] und „Etopeia" [1926]), die bereits damals auf die entmenschlichende Maske der Gegenwartsgeschichten verzichten, oder etwas später Erzählungen, die eine Biographie oder eine Episode dramatisieren („Un capell en Paris", „Pitjor que un sopar de pa i aigua", „L'encobridor"), alles in allem Berichte persönlicher Erfahrungen, zivile, private, gewöhnliche, ganz normale Biographien... Die Tatsache, dass Villalonga in einem Zeitraum, der immerhin von 1924 bis 1968 reicht, bei dieser Art von Erzählung bleibt, beweist, wie treu er der Poetik war, auf die sie sich stützen. „Biografia fantästica" (erschienen in El Dia, 1924) ist die einzige der Erzählungen der ersten Etappe, die auf eine persönliche Erfahrung eingeht, um so zur Dramatisierung zu gelangen. Sie scheint auf einer tatsächlichen Begebenheit des Nachtlebens Barcelonas zu beruhen, an der Bernat Calvet - mit dem er seit der Kindheit und dann auch später, zur Zeit des Medizinstudiums und der Ausschweifungen in Kataloniens Hauptstadt, befreundet war - und Lloren*; Villalonga selber beteiligt waren, möglicherweise als die Studenten, die für deren Ausgang verantwortlich waren. Dort erscheint einer der von ihm bevorzugten Archetypen: die Luxuskokotte, die heruntergekommene, gealterte femme fatale früherer Zeiten, die nun der moralischen Unruhe der Dekadenz ausgesetzt ist. Dieser Archetyp wird durch Dona Xima in Bearn unsterblich gemacht. Hier sind wir Zuschauer ihrer Toilette, die unter großartiger Beleuchtung beginnt, die uns „ein bleiches verwelktes Gesicht, zusammengepresste und fürchterlich blutende Lippen, ausdruckslose Augen mit zyanotischen Lidern, die an einen verwesenden Kadaver erinnerten", zeigt. Hier scheut Villalonga es einmal nicht, zu Flauberts Skalpell, zur naturalistischen Lupe zu greifen. „Erschrocken wandte sie den Blick ab und drehte am Lichtschalter". In der Magie des Dämmers kehrt die Illusion zurück, und sie fühlt sich „unbegrenzt, interessant, geheimnisvoll", und wir Leser dürfen zusehen, mit welch exquisiter Aufmerksamkeit sie eine Nacht vorbereitet, von der sie Begleitung und viel Zärtlichkeit erwartet. Ein paar Minuten lang und trotz der Worte eines Erzählers, der sich darauf versteift, grausam jede der von Ivonne geschaffenen Vorspiegelungen Lügen zu strafen, lassen wir uns von jener subtilen Eleganz der Abweisungen überzeugen, an die selbst der Erzähler glaubt: „Alt, einsam und krank bewahrte diese Frau dennoch die Eleganz, jenes gewisse Etwas, das - geheimnisvoll wie eine Beschwörung - ihr weder die Zeit noch der Zufall rauben konnte". In einem schwierigen Gleichgewichtsspiel
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zwischen Fokussierung und analytischer Distanz greift der Erzähler, während er sie auf der Straße begleitet, auf ihre Vergangenheit zurück, in der sie als Luxushetäre lebte, um dann noch weiter, bis in die elende Kindheit zurückzugehen, in der ihre Mutter vorzeitig im Krankenhaus stirbt und sie im Stich lässt. Ohne jeden Übergang wird der feuilletonistische Stil dieser Erinnerung zur naturalistischen Beschreibung am Ende: Die Waise, die zum Krankenhaus eilt, in dem man ihr gesagt hatte, dass ihre Mutter interniert worden war, kommt in dem Moment in den Sektionssaal, in dem „zwei vornehme und reinliche Jungen, die sich über Sport und Frauen unterhielten, sorgfaltig den Schädel ihrer Mutter zersägten"... Selten ist die Grausamkeit so direkt in Villaiongas heile Welt der gewahrten Formen vorgedrungen. Jetzt kehrt die Erzählung in die Gegenwart zurück, zu den Händen der Hauptfigur, deren größtes Juwel sie sind, heute schöner denn je, und zum Salö Dore, der Bühne, auf der Ivonne jede Nacht Begleitung und Unterhalt sucht. Nun haben wir also die Hauptdarstellerin, die Situation und die Bühne, fehlen nur noch die Gegenspieler, die sich auch prompt einstellen, und jetzt wie in der Vergangenheit sind es „zwei vornehme und reinliche Jungen, die sich über Sport und Frauen unterhielten". Die Mutter wurde in einem Amphitheater seziert, Ivonne wird es in einer anderen Art von Theater, einem Theater, das überquillt von Lärm, Rauch, Foxtrott, grellen Farben... und unerbittlichem Licht, das sie bloßstellt. Der überraschende Endeffekt, jener Funke, der zwischen der Frivolität und dem Schmerz, den Jungen und der Alten, den feinen Herren und der Hure hin und her springt, erinnert an die klassische Tragödie, an rituelle Hinrichtung, an ein lang angekündigtes Opfer; diese Härte wäre eines Zola würdig.
2. Die Kunst des Pastiches und die literarische Parodie Aber Villaiongas Poetik ist nicht einseitig, und wenn ein guter Teil seiner Erzählungen einer realistischen Strategie zuzuordnen sind, so zeigen andere dagegen einen vom Modernismus, Symbolismus und Noucentisme ausgehenden Einfluss. Als wäre Villalonga zwischen Realismus und Irrealismus, zwei völlig gegensätzlichen Trieben, hin- und hergerissen, und zwar obendrein noch genau zur selben Zeit, gegen Ende der Fünfzigeijahre, steht der Gruppe veristischer Erzählungen, die wir eben besprochen haben, eine nicht unbedeutendere Gruppe von Geschichten, die von dem Glauben ausgehen, dass erzählen gleichzusetzen ist mit parodieren; es sind Pastiches - erneut ist es M. Proust, der ihm mit seinen Pastiches et melanges den Weg weist - , die zwischen dem „klassischen" Wunsch, sich den Stil des Modells anzueignen, und jenem anderen, eher postmodernen Wunsch schwanken, der dahin zielt, die Stile von Vergangenheit und Gegenwart wahllos auszubeuten und zu vermischen, ganz wie die Gebäude, die minoische Säulen mit neoklassizistischen Friesen, mo-
Gebiete in Llorenç Villalongas Erzählungen: zu „Julieta Récamier"
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zarabische Bögen mit modernistischen Kaminen kombinieren, allerdings unter Hinzufugung einer gehörigen Dosis Ironie. Die Art von Erzählungen, die ich hier anspreche, sind bereits in den ersten spanischen Fassungen der „Contes blancs" (Weiße Märchen) (1928) oder „Julieta Récamier" (1931) zu finden, sind dann verstärkt im Buch El lledoner de la clasta (1958) vertreten, in dem wir zwei der besten Gattungsvertreter finden, nämlich „La dama de l'harem" (Die Haremsdame) und „Marcel Proust intenta vendre un De Dion-Bouton" (Marcel Proust versucht, einen De DionBouton zu verkaufen), abgesehen von der interessanten Geschichte des „Charlus a Bearn" (Charlus in Bearn), und tauchen erneut in Joan Alegrets Anthologie El llumi i altres narracions (1968) mit einer Erzählung wie „La Xantipa" (Die Xanthippe) auf. Ich würde mich nun gern etwas länger bei einer der subtilsten Erzählungen des jungen Villalonga aufhalten, die man diesem Bereich der metaliterarischen Übungen zuordnen könnte. „Julieta Récamier" erschien ursprünglich auf Spanisch, in sieben Teilen, die zwischen Februar und September 1931 auf den Seiten des El Dia gedruckt wurden. Diese Geschichte wird zwar schon dreizehn Jahre vor dem Buch, das Llorenç und Miguel gemeinsam unter dem Titel Chateaubriand, el vizconde romàntico (Chateaubriand, der romantische Vicomte) (1944) schrieben, veröffentlicht, aber sie steht dennoch in engem Zusammenhang mit ihm. Die Erzählung beginnt mit einem Zitat aus den Mémoires d'Outretombe, Llorenç Villalongas Lieblingsbuch des bretonischen Vicomtes, in dem er das erste Mal, das er Mme. Récamier sah, und zwar beim Spiegeltisch der Mme. Staël, evoziert. Dieses Zitat gibt dem Erzähler Grund, sich selbst zu fragen: „Warum bringe ich diese Linien des Autors von Atala in Verbindung mit meiner ersten Erinnerung an Mme. Tassin?" Der Erzähler bleibt die Antwort schuldig, aber auf diese Art und Weise wird erreicht, dass die Geschichte der Mme. Tassin und ihrer inzestuösen Liebesbeziehung zu einem neunjährigen Jungen, der später zum Erzähler wird, von Anfang an die Geschichte von Juliette Récamier überlagert, einer Frau, die hundertzwanzig Jahre zuvor von Chateaubriand geliebt wurde, und auch von Bonaparte und von einem Zwanzigjährigen namens Ampère, der ihr treuer Begleiter blieb, als sie weit über vierzig war. Aber die Erzählung hält nicht nur dieser intertextuellen Herausforderung der Memoiren des Vicomtes oder der Erinnerungen der Mme. Lenormand an ihre Tante, Juliette Récamier, stand, sondern sie nimmt auch Anspielungen und Zitate mit auf, die dem mallorquinischen Schriftsteller sehr wichtig waren: Es konnte natürlich ebenso wenig Proust - es gibt ganze Passagen, die an seinen Stil erinnern - oder die Herzogin von Guermantes fehlen, wie natürlich auch Anatole France und die Pardo Bazân anzutreffen sind und ferner Molière und Racine erwähnt werden, auf einen anderen Romantiker - Zorrilla - angespielt wird, Anklänge an Clarin, Valle-Inclân und sogar - wahrscheinlich - Garcia Lorca zu finden sind; der Erzähler macht sich auch über die Brüder Alvarez
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Quintero lustig und findet an der psychologischen Analyse in der Art von Mme. de Lafayette oder von Stendhal Gefallen, und da jede Geschichte fordert, ihre Lektüre mit einem Bild zu teilen, finden wir hier das der wunderbaren Juliette Recamier, die David zurückgelehnt auf dem Sofa gemalt hatte. Es wäre unmöglich, auf so wenig Seiten mehr kulturalistische Dichte, eine beharrlichere Berufung zum Pastiche zu erwarten. Selbst der immer latent vorhandene Kontext Villaiongas eigenen Werkes wird aktiviert, da der stärkste Konflikt, der auch der am meisten verbalisierte ist, eine Abwandlung des tragischen Phädra-Konfliktes darstellt, an dem Villalonga sich so oft versucht hat und dessen erste Fassung, das Drama Fedra, kurz nach dieser Erzählung, um 1932, von Villalonga in Palma de Mallorca herausgegeben wurde. Wenn es um den Phädra-Zyklus geht, pflegen die Kritiker die Liebeserfahrung des nicht mehr allzu jungen Villalonga - er war knapp über dreißig - mit der reifen kubanischen Dichterin Emilia Bernal - die weit über vierzig war während deren Aufenthalt auf Mallorca zwischen Oktober 1931 und August 1932 zu nennen, die als Ausgangserlebnis dem ganzen Zyklus, und ganz direkt dem Drama Silvia Ocampo (1935), zugrunde liegen. Villalonga selbst gestand es in einem Brief vom 31. Januar 1936 an Eleanor Sackett: „Wie du sehen wirst, sind Phädra und Silvia Ocampo ein und dasselbe, Variationen über dasselbe Thema: der Kampf zwischen Instinkt und Bewusstsein, zwischen dem Biologischen und dem Kulturellen".4 Aber es ist nicht nur sehr einfach festzustellen, dass die Erzählung vor diesem Mal lorcabesuch liegt, sondern auch, dass es kaum eine der Emilia Bernal gegensätzlichere Figur geben könnte als Julieta Tassin. Wenn Emilia eine Frau mit brauner Haut und tiefschwarzen Haaren war, wenn sie ,jene übertriebene Leidenschaft der Leute aus den Tropen"5 besaß, wenn sie Sinnlichkeit ausströmte, wenn sie ihrem ganzen Wesen nach impulsiv, überschwänglich, autoritär war, so dass sie im Allgemeinen sehr schnell Feindschaft säte, so ist Mme. Tassin genau das Gegenteil, sie will eher dem Muster der Juliette Recamier folgen: Sie ist blond, subtil, unantastbar und wie ihr Vorbild behält sie über vierzig Jahre lang dasselbe Kinderlächeln bei. Wenn sich die Recamier an den europäischen Höfen des Momentes bewegte, so öffnete die Tassin ihre Augen in einem Saal der Tuilerien, in Gegenwart der Kaiserin Eugenie, die sie in ihre Arme nahm; die Herzogin von Guisa pflegte sich mit der Anrede „meine liebe Cousine" an sie zu richten. War die Recamier ,jene Berühmtheit, die nie gearbeitet, geliebt oder geschrieben hatte", eine Fee, die von einer Aura der Bewunderung und der Zustimmung umgeben war, für die sie absolut gar nichts unternahm - denn sie war eine Dame, deren Tugend grundlos und an-
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geboren war so heißt es über die Tassin, dass „sie ihrem Naturell nach ungestraft gut (oder böse, aber das war einfacher) sein konnte". Für sie gelten weder Gesetze noch Verordnungen, denn ihre Perfektion machte sie überflüssig, ja nicht einmal die Kultur scheint erworben sondern schon immer ein Teil von ihr zu sein. Die Recamier und die Tassin befinden sich jenseits aller Gewöhnlichkeit, bleiben unberührt inmitten der Prosa des gesellschaftlichen Daseins, machen die Intelligenz zur schweigenden Ergänzung ihrer Schönheit, denn Göttinnen haben es nicht nötig, ihre Intelligenz zur Schau zu stellen, sie sind die Intelligenz selbst. Alle zwei sind verheiratet, aber keiner ihrer beiden Männer hinterlässt irgendeine Spur in ihnen, sie sind von Natur aus keusch. Die Brüder Villalonga zeigen sich rührend überzeugt davon, dass niemand, nicht einmal der Vicomte Chateaubriand, Juliette je besitzen konnte: „Es ist schon war, dass es uns heute enttäuschen würde, zu entdecken, dass Juliette Recamier einen Geliebten gehabt haben konnte. Leda können wir uns ohne den Schwan gar nicht vorstellen". 6 Und was nun Julieta Tassin angeht, dem Anschein nach - aber auch nur dem Anschein nach, denn der Erzähler selbst wird halbwegs wahrnehmen, was er nicht akzeptieren wollte - so keusch wie die Recamier, und genau so dem überschwänglichen Rumesco entgegengesetzt, so konnte sie - wie Leda - von einem Schwan oder von einer Biene geliebt werden, aber nicht von einem gewöhnlichen Mann, und schon gar nicht von einem Sportler. Schließlich ist die reinste Tugend der Recamier ihr ausgesuchter Takt, während der Erzähler über die Tassin nur lapidar meint, sie hätte es geschafft, „zur Güte zu gelangen, indem sie die Höflichkeit stilisierte. Diese Formel war ganz Mme. Tassin".7 Abgesehen davon, was das Bild beider Heldinnen an Spekulation des männlichen Verlangens enthält - was Luce Irigaray nicht einen Moment lang zweifeln würde zu diagnostizieren - , an sublimierter Quintessenz der Weiblichkeit, so wie sie die Männer sich Jahrhunderte lang erfinden mussten, präsentiert der Erzähler die Tassin wie die Göttin eines modernistischen Kultes. Ein feines Parfüm sagenhaft geheimnisvoller Formel geht ihr voraus, ihre Ohrringe haben dieselbe Farbe wie ihre Wangen, ihre Bewunderer bilden einen sehr kleinen, auserlesenen Klan, fast einen Geheimbund. Sie richtet sich in einer Wohnung ein, „die sie wie ein Kästchen tapezierte", und wie Huysmans Des Esseintes verdammt sie alle Fenster, so dass „die Kammern ihres Intimbereiches - das neoklassizistische Schlafzimmer und das pompejische Bad nur zenitales Licht hatten, das durch eine doppelte Abschirmung matten Kristalls gefiltert wurde. Und so konnte man auf einer etwas afrikanisch anmutenden Insel die Atmosphäre der Ufer der Seine erneut aufleben lassen, die dem L. VILLALONGA/M. VILLALONGA: Chateaubriand, et Vizconde romàntico, Barcelona (1944), S. 109. Im Original zitiert nach der Ausgabe in Tots els contes, II, Barcelona (1986).
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Studium und den Träumereien günstig war". In dieser dekadenten Atmosphäre, in der die Natur der Kultur untergeordnet wird, war Julieta „wie Gott selbst unbeschreibbar. Man kam ihr durch eine bebende Gemütsbewegung näher", man verstand sie „durch direkte Intuition", nicht durch den Gebrauch der Urteilskraft. Nichts könnte dem von Dekadenzdichtern und Symbolisten gepflegten Schönheitsideal näher kommen. Das Einzige, was Julieta Tassin und Emilia Bernal gemeinsam zu haben scheinen, und was alle beide von Julieta Récamier unterscheidet, ist das Unverständnis der mallorquinischen Gesellschaft, mit der sie unweigerlich in Konflikt geraten, und die Empörung der „ehrbaren Einheimischen, welche die Vorstellung schockierte, dass Julieta genau die Episoden lebte, die sie selbst gern ausprobiert hätten" hervorrufen. Es handelt sich hier schließlich um das Mallorca des Romans Mort de dama und des Phädra-Zyklus, um das Mallorca von Aina Cohen und dem uns so fremden Tourismus extravaganter Millionäre und Abenteurer, von Künstlern, die nach einem goldenen Exil suchten und die, wie Jaume Pomar schrieb, „eine nicht immer akzeptierte Last unbefriedigender Erlebnisse und Neurosen mit auf die Insel brachten". Diese Julieta Tassin nun erweckt, wie die Récamier im jungen Ampère, eine „fast inzestuöse Leidenschaft". Während aber Ampère zwanzig Jahre alt war, ist der Protagonist der Erzählung gerade erst neun geworden. In diesem zarten Alter war er davon überzeugt - oder zumindest erzählt er es uns so viele Jahre später - , dass ein so außergewöhnliches Wesen wie Julieta Tassin ihren Mann nicht betrügen konnte „wie eine gemeine Verheiratete. Wenn dies aber denkbar wäre, dann wäre es mit uns Neunjährigen - sie selbst hatte keine Kinder - , mit wem sie, wenn sie ganz ehrlich wäre, Ehebruch begehen müsste, welcher dann fast wie ein Inzest wäre [...] Sie wusste ganz genau, dass sie, trotz der außerordentlichen Verehrung, die man ihr in gewissen Kreisen entgegenzubringen pflegte, nur von einem geliebt, wirklich geliebt und verstanden worden war, und zwar von mir, einem kleinen Ungeheuer, das mit neun Jahren schon der romantischen Gefühle, Tugenden und Verbrechen fähig war". Daher rührte auch der Hass, welcher der Protagonist den beiden jungen Männern, Pau und Priam, entgegenbringt, die schön wie Epheben und athletisch wie Bodyguards sind und Julieta ständig begleiten, und die der Held der Erzählung beinahe für Idioten hält, unfähig selbst zu denken. Die gute Gesellschaft Mallorcas klatscht zwar über diese „ a f f a i r e à trois" zwischen der ausländischen Dame und den beiden Gymnastikern, aber der Protagonist versucht, sich selbst davon zu überzeugen, dass „die Tatsache, dass Mme. Tassin bezahlte, was die boys verzehrten, nicht mehr Bedeutung hatte, als etwa Rennpferde, eine Yacht oder ein Schloss zu unterhalten. So etwas konnte man auf Mallorca nicht verstehen [...], aber so war es". So ganz überzeugt muss er allerdings nicht davon gewesen sein, denn eines Tages, während des Essens, bei dem eine bezaubernde Julieta, „ganz in weiß, ein Glas Mandelmilch in der Hand hielt", beobachtete der Protagonist
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beunruhigt, wie einer der Epheben, Pau, der mit Starrsinn ziemlich viel getrunken hatte, zweimal die Muse streifte, bis sie es wahrnahm, „aufstand und ihn am Arm mit sich nahm". Das Kind folgte ihnen durch einen dunklen Korridor, eine Flasche Kümmel in der Hand, bebend vor Angst, Wut und Eifersucht. Dann „hörte man einen Kuss im Finstern" und auch Julietas süße Stimme, als sie bat: „Sein Sie doch vernünftig, Pau. Legen Sie sich hin". Irgendetwas Seltsames musste passiert sein, denn alle beide rollten über die Erde. „Tastend ergriff ich Pau bei den Haaren und zerschlug die Flasche an seiner Stirn. Was für ein Schreck - und was für ein Genuss - war es, das dampfende Blut über meine Kinderhände laufen zu spüren". Es ist bewundernswert, mit wie viel Takt Julieta sich aus der Schlinge zu ziehen weiß und dabei unversehrt bleibt, indem sie über den aufeinander geprallten Leidenschaften und den Scherben schwebt, ohne sie auch nur zu berühren, geliebter denn je - wenn das noch möglich war - von beiden. „Mein armer Dodo... Wie kam es denn, dass du über den Pau gestolpert bist? Hast du dir wehgetan?" Ihre Stimme zitterte ein wenig. „Ich bin schuld daran, weil ich auf den Fliesen ausgerutscht bin. Mon amour... Wo wolltest du denn hin mit der Flasche da? Weißt du denn nicht, dass ich es nicht mag, dass du Likör trinkst?" Und als sie in meinen Augen einen bösen Funken sah, den ich von meinem Banditengroßvater geerbt habe, stieß sie ein kleines, französisches Lachen aus, ein höfisches Lachen, farbig wie ein Vers von Molière: „Da, schau dir den armen Pau an... Du musst dich sofort bei ihm entschuldigen. Deinetwegen ist er jetzt zwei Wochen lang hässlich. Regarde, mon amour... Du musst ihn sehr lieb haben, weil ich ihn auch lieb habe". Und als sie sah, dass der böse Funke nicht ganz verschwand, schob sie mich vom Bett und streichelte mir traurig die Haare: „Du Kindskopf! Auch du wirst einmal erwachsen sein und abscheuliche Dinge tun".
Siebzig Jahre später meint der Erzähler dazu: So sublimierten sich die Güte und die Lebenserfahrung in Julieta Tassin bis sie zu ihrem Stil wurden.
Nun, in jenes Alter gekommen, in dem „die Tage, die man noch lebt, eine Gnade sind", und nachdem er wirklich jene „abscheulichen Dinge" verbrochen hat, die Julieta ihm vorausgesagt hatte - u. a. einen Mord, weshalb er im Gefängnis ist, von wo aus er die Memoiren schreibt, die ihn vor den Augen der Nachkommen zumindest rechtfertigen, wenn schon nicht erlösen sollen - , denkt der Erzähler über das tragische Schicksal nach, das alle, die dem Kult der Julieta anhingen, ereilte: Ich habe schon auf die Fatalität hingewiesen, die auf dieser fatal vorbestimmten Frau lag und die später auch all die erreichte, die sie umgaben. Zerfall, Selbstmord, Krankheit und Verbrechen sollten in kurzer Zeit den ganzen Klan
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ausrotten. Nicht ein einziger der Menschen, die Julieta zu verstehen und bewundern wussten, konnte dem Schicksal entkommen. Die Überlegungen des Erzählers, der gesteht, von ganzem Herzen Katholik zu sein, gehen weiter auf diese Tragik ein: „Ich wollte, ich könnte alle Eltern der Welt dazu anhalten, diese Wahrheit nie zu vergessen: Keine menschliche Faszination ist statthaft, alle werden früher oder später gesühnt. Meine Familie wusste nicht zu sehen, dass meine Beziehungen mit Mme. Tassin heidnisch waren und dass ich, um mich davon rein zu waschen, wenn ich nicht wie ein Heide sterben wollte, eine starke moralische Erschütterung bräuchte, irgendetwas Beschämendes - in meinem Fall war es der Mord an jenem ehrwürdigen Prälaten - das mich zum Reagieren zwingen, mir die Augen öffnen würde, um so das Licht der Wahrheit zu sehen. Ich schreibe diese Worte ängstlich, meine Hand zaudert dabei... Sie sprechen schuldig, allerdings nicht Julieta Récamier, wohl aber die Gefühle, die sie in den Herzen wachrief. Es gibt nur einen Gott, aber noch jetzt bezeichne ich Julieta vielleicht in Gedanken als Göttin. Es ist die Macht der blonden Haare, die in Locken über eine Mandelhaut fielen. Poesie des eleganten Parfüms, des duftenden Cocktails, des märchenhaften Geheimrezeptes! Rosaroter, süßer Mund, den nie je ein Mann geküsst hat!" Es gäbe keine Schönheit ohne malheur, hatte Baudelaire, selbst ein Bewunderer der verfluchten Schönheit, geschrieben, und für Barbey d'Aurevilly war der Sadismus „der Bastard des Katholizismus", eine Perversion, die ohne Frömmelei nicht möglich ist, denn die Lust an der Entwürdigung fordert den Glauben an das Heilige und den Gefallen an den Gewissensbissen. Huysmans hatte d'Aurevilly in A rebours Beifall gezollt und Valle-Inclán hatte ihn in Sonata de Otoño ironisch imitiert. Aber jenseits dieser dekadenzdichterischen, für die Jahrhundertwende sehr bezeichnenden Regungen, suchen die Gedanken des Erzählers eher in der Welle des Noucentisme den heißen - aber kalt erwogenen - Kern eines klassischen Mythos: Es war wirklich ein ungesundes und symbolisches Schauspiel, zu sehen, wie sich eine so gut situierte Dame wie Julieta allen Launen eines Kindes beugte. Das stellte die Ordnung der Dinge auf den Kopf. Im Grunde des Prozesses schmachtete da so etwas wie eine müßige Tragödie. Konnten sich die Kunst und die Schönheit, die Mme. Récamier symbolisierte, meiner Spontaneität unterordnen? Bei Eurípides erliegt Phädra, die Tochter von Minos und Pasiphae - einer Enkelin der Sonne - jämmerlich der Vitalität eines Skythen, Sohn einer Amazone, der über nichts anderes zu sprechen versteht als über Pferde [...] Wenn solche Sachen geschehen, zittern selbst die Sphären, und Phädra zieht Hippolytos in ihrem Fall fatalerweise mit sich hinab [...] Aus heutiger Sicht spielt vielleicht die Erotik gar nicht die wichtigste Rolle in Eurípides' Tragödie: Im Grunde genommen handelt es sich hier eher um einen Rassenzusammenstoß, um ein Problem des Verstehens - oder des nicht Verstehens - als um ein Thema der Liebe. Hippolytos hat ungewollt - aber was bedeutet das schon der Kultur einen Fußtritt versetzt.
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Julieta war zwar die Schönheit, aber eine gebildete, zivilisierte, kosmopolitische Schönheit. Der Erzähler dagegen war die Natur, das Blut, die Biologie, das wilde Tier, der Nomade. Neben Julieta, einer blonden Venus, konnte ich Eros, Sohn und Gatte zugleich sein. Jetzt verstehe ich meine Beharrlichkeit, mit der ich darauf bestand, mir die Haare dunkler zu färben, und den Gefallen, den ich empfand, wenn ich feststellte, dass ich wilde und schwarze Augen hatte - Zigeuneraugen, die ich direkt von einem Schmuggler aus Albaicin geerbt habe. Ein Zigeuner-Eros also, Enkel von Banditen, ein kleines Ungeheuer, fähig zur Unschuld ebenso wie z u m Verbrechen. Hier handelt es sich nicht u m einen Konflikt der Liebe, sondern u m die nicht zu zügelnde, gefährliche Attraktion zwischen Barbarei und Kultur. Mme. Tassin, geborene Herzogin von Etampes, besaß Urkunden mit lateinischen Inschriften. Ich besaß Blindenlieder voller Ausbesserungen und Farben, die man für fünf Groschen auf jedem Platz kaufen kann [...] Eine meiner Vorfahrinnen war Hexe und stellte Zaubersalben aus Kinderleber her [...] Manchmal starrte Julieta, in bescheidenes Dunkel gekleidet, wie eine Dame, die nicht auffallen will, auf die Leute, die sich unter den Torbögen der Plaga Major um den umherziehenden Blinden versammelten. Danach sah sie mich an. Ein anderer meiner Großväter, mit Spitznamen El Camborio,1 schwor, dass er sich das Herz eines Polizisten einverleiben wollte, der seine Frau und zwei Kinder getötet hatte. Daher also: „Vielleicht war es gar keine wirkliche Liebe zu mir, sondern eine dunkle Notwendigkeit, ihr eigenes psychisches Gleichgewicht wieder herzustellen, weshalb sie es genoss, sich meinem Willen zu beugen. Phädra empfand ihre Leidenschaft nicht etwa, weil Hippolytos j u n g und schön oder weil er gut gewesen wäre, wie es Racine lieber ist, sondern weil er der Sohn eines Skythen war und über nichts anderes zu reden wusste als über Pferde. Hier liegt der Ursprung der klassischen Tragödie; es ist ein Problem der Kultur, und wer irgendetwas anderes daraus machen will - ein sentimentales Stück im Stil der Brüder Älvarez Quintero, z u m Beispiel - , verliert nur die Zeit". „Julieta Recamier" vereint in sich viele der charakteristischsten Züge des besten Villalonga, das Erbe der Symbolisten und Modernisten, die raffinierte Perversität der Dekadenzdichter, den Reichtum kultureller Anspielungen, die so seltsame wie persönliche Mischung aus modernistischer Romantik und Klassizismus-Noucentisme, den Hintergrund der mallorquinischen Gesell-
Antonio El Camborio ist die Hauptfigur (ein Zigeuner) zweier Romanzen aus der Sammlung Romancero Gitano des spanischen Dichters Federico Garcia Lorca. (Anm. d. Übers.)
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schaft der Zwanzigeijahre betrachtet aus dem Blickwinkel des Konfliktes zwischen lokalem Konservativismus und einem snobistischen und modernen Tourismus, die Anziehungskraft des verbrecherischen Denkens, die Feinheiten der psychologischen Analyse, den Gefallen an ungleichen und inzestuösen Leidenschaften, aber der Villalonga der „Julieta Recamier" ist nur einer der möglichen Villalongas: der unrealistischste von allen. JOAN OLEZA
Universität de Valencia
Jaume Pomar Dhey und seine Konfrontationen Ursprünglich hatte ich vor, zu beweisen, dass Villalonga immer - in seinen Büchern wie in der Presse - den Erwartungen seiner Umgebung entgegengesetzt handelte. Es ist ganz klar zu beweisen, dass die Polemik und die Kontroverse den langen Weg seines Lebens und seiner Literatur pflasterten. Aus Platzmangel sah ich mich aber gezwungen, diesen Artikel auf die vor dem Bürgerkrieg liegenden Jahre zu beschränken. Die erste Etappe seiner Veröffentlichungen in der Presse ist die beste innerhalb seiner umfangreichen literarischen Produktion, die sich auf über tausendfiinfhundert Artikel erstreckt, aber ich werde einige der Polemiken der Nachkriegsjahre außer Acht lassen müssen. Ohne nun einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, werde ich folgende Auseinandersetzungen zitieren: die mit Blai Bonet 1953, nach Veröffentlichung seines Romans La novel la de Palmira (Der Roman der Palmira); die, die er 1965 mit Pater J.M. Vallespir über das 2. Vatikanische Konzil und den Fall Galilei hatte; die Debatte, die er 1970 über die Problematik des Bilinguismus und gegen die Mitglieder der so genannten „arabistischen Gruppe" (grup arabista) unter Leitung von Miquel Barceló austrug, und schließlich zwei Polemiken, die er gegen den großen Journalisten und Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán führte, und zwar 1971 über Ökologie und 1972 über mallorquinische Arabismen.1 Die ersten journalistischen Versuche - unter dem Pseudonym „Juan Antonio Cascabeles", unter dem von den Brüdern Lloren? und Miguel Villalonga gemeinsam verfasste Artikel erschienen - stammen aus dem Jahr 1914. Schon diese frühen Texte beabsichtigen, sich an einer Polemik zu beteiligen; in diesem Fall ging es um das Zuschütten oder Beibehalten des Torrent de Sóller. Sie stellen sich hier auf die Seite der Erhaltungsbefurworter wie den argentinischen Maler Francisco Bernareggi oder den Dichter Miquel Ferra. Das Interesse dieser Artikel ist rein anekdotisch, erwähnenswert nur, weil sie beweisen, dass Lloren? Villalongas Aktivität immer mit der Kontroverse verbunden ist. 1924 fängt Lloren? Villalonga an, Beiträge für die Zeitung El Dia aus Palma de Mallorca zu schreiben. Sein fünfter Artikel, eine Lobrede auf den Schriftsteller Salvador Galmes,2 verursacht den ersten Zusammenstoß mit den Anhängern des mallorquinischen Regionalismus, da er dort die katalanische Sprache und Mallorcas Katalanen verachtet: „Ich muss zugeben, dass ich ge-
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Alle diese Auseinandersetzungen sind zu finden in meinem Buch La raö i el meu dret. Biografla de Llorenf Villalonga, Mallorca (1995). „Salvador Galmes", El Dia (24.9.1924).
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gen die Regionalliteratur voreingenommen bin. Meiner Meinung nach suchen gewisse Autoren, angesichts der Unmöglichkeit in Kastilien erfolgreich zu sein, in einer zweitrangigen Literatur Zuflucht, welche sie zur Kategorie der Lokalgenies erhebt. Außerdem ist das Mallorquinische nicht dazu geeignet, Subtilitäten oder ganz einfach Immaterielles auszudrücken". Die Antwort stammt von Elvir Sans, erster Vorsitzender der Associaciö per la Cultura de Mallorca (Verein zur Erhaltung der Kultur Mallorcas) und erscheint in den Monatsheften dieses Vereins, Quaderns mensuals de l'Associaciö (September und Oktober 1924). Sans ruft Villalonga in Erinnerung, dass Boshafitigkeit oder Ignoranz die einzig mögliche Erklärung für seine Worte wären, und er weist darauf hin, dass er mit seiner Formulierung „sowohl uns als auch die Person, die Gegenstand seiner Kritik war, ganz klar beleidigt" habe. Salvador Galmes war damals eine bedeutende Persönlichkeit innerhalb regionalistischer Kreise. Villalonga war es wichtig, eher für einen Gegner des Lokalpatriotismus als für einen Antikatalanisten gehalten zu werden, zumindest am Anfang. Zu der Zeit frönte er einem gewissen Snobismus, der u. a. in seiner Erzählung „Un milagro" (Ein Wunder) festzustellen ist: Sie versicherten ihnen, dass das Heilige Bildnis ihrem gelähmten Arm die Beweglichkeit zurückgeben werde, und die Frau war sehr gläubig... Was bringt der Glaube nicht alles fertig! Die Frau trat bebend in die geheimnisvolle Kapelle und, als sie das Heilige Bildnis erblickte, war sie so sehr ergriffen, dass sie für immer verstummte. Der Arm heilte nicht, denn er war unheilbar.3 Diese Geschichte wurde in einer dermaßen klerikalen Stadt wie Palma sehr schlecht aufgenommen. Dieses veranlasste Villalonga, zu jenen Waffen des Polemikers zu greifen, die dann bezeichnend für ihn werden sollten. Seine Antwort war ein Artikel, der gezielt die religiösen Vorurteile derer, die sich im Besitz der absoluten Wahrheit glaubten, verletzte: 4 „Jede Religion bildet denen gegenüber, die ihr nicht folgen, eine Minderheit. In dem Moment aber, in dem wir uns ins Zentrum des Weltgeschehens stellen, bringen wir es leicht so weit, all das, was wir selbst nicht sind, zu verachten oder nicht wahrzunehmen. Die Welt ist dann nicht unterschiedlich, sondern gleichförmig. In diesem Fall fühlen wir uns grundsätzlich von allem betroffen". Und er fügt noch genauer hinzu: „Die Katholiken, die von der Religion sprechen, drücken sich falsch aus. Es gibt nicht nur eine, sondern viele Religionen. Dass wir sie für falsch halten, ist kein Grund, ihre Existenz zu verneinen; außerdem erfüllen sie ihre Mission in den Völkern".
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El Dia (29.11.1924).
„El ombligo del mundo", El Día (10.12.1924).
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Trotz des Anscheines, will er allerdings nicht auf der Seite des Antiklerikalismus linker Tradition gesehen werden. Seine Rolle ist die eines Snobs, der auf dem Feld der Konservativen spielt, die Gedanken auf das gerichtet, was Anatole France in Paris darstellt. Vor allen Dingen aber will er sich von seiner kulturellen Abstammung Mallorcas absetzen: „Die Insel ist wunderschön, sie hat meinen Augen alles geboten, was sie nur konnte. Mein Geist aber schuldet ihr gar nichts. Meine Neugier für das Leben lässt sich weder durch die Prosa eines Quadrado noch durch die mediterrane Ironie - weich und undynamisch, ganz wie die Fische unserer Bucht - von Gabriel Maura befriedigen". Die Rolle des enfant terrible steht ihm recht gut. Sollte er eines Tages auf die jugendliche Neugier, die er jetzt besitzt, verzichten, so sieht er sich schon breit und bequem in den Polstersesseln des Círculo Mallorquín dösen, die er jetzt so sehr schmäht. Allerdings wurde er mit der Zeit angenommen, und dann verbrachte er noch viele Stunden in den Sesseln jenes provinziellen Klublokals. Ob dies nun aus freier Entscheidung innerhalb eines Anpassungsprozesses geschah oder als Niederlage vor einem unbeweglichen Stand der Dinge zu verstehen ist, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich trifft beides zu. In der Zwischenzeit fahrt Dhey aber mit seiner Offensive fort, die von den Angriffen auf den Lokalpatriotismus zum Antikatalanimus übergehen. Es handelt sich um eine irrationale Haltung, die eine ganze Reihe von Konfrontationen zur Folge hatte. Eine der Aufsehen erregendsten hatte ihren Ursprung in einer harten Erwiderung, die er von Josep Artigues Riera erhielt, der sich selbst als „Katalane und Weltbürger" bezeichnete. Artigues war der Verfasser einiger in der Zeitung El Dia veröffentlichten Gedichte. Etwas schroff wendet er sich plötzlich gegen verschiedene kritische Äußerungen, die Dhey über Xénius, Gaudi, Margarita Xirgu, die Sardana und die Karsamstagsgesänge, gemacht hatte, also all der Symbole der katalanischen Kultur, die er wohl gerade zur Hand hatte. In diesem Moment befindet Villalonga sich in Barcelona, und die Angelegenheit taucht auch in seinem Briefwechsel mit Ernest Maria Dethorey auf.5 Er besucht das von Miquel Ferra geleitete Studentenheim und hat eine lange Unterhaltung mit dem Verfasser des Gedichtes „A mig cami" (Auf halbem Weg) und mit dem Architekten Josep Francesc Ráfols, der auch Gaudis Biograph war. Dennoch beherrschte die Höflichkeit die Atmosphäre offener Uneinigkeit. So konnte Dhey schreiben: „Diese lieben Feinde haben mich mit einer wirklich europäischen Zuvorkommenheit empfangen. Über die Ideen gestellt beherrschten die Triebe der Höflichkeit, der psychischen Neuheit das Gespräch. Es ist immer erfreulich, jemanden zu haben, der einem widerspricht, vor allem wenn er zum Beispiel Miquel Ferra heißt".6
S. Lloren? VILLALONGA: Caries i anieles. Temps de preguerra (1917-1936), hg. von Jaume POMAR, Palma (1998). „Divagaciones. En la Residencia de Estudiantes", El Día (22.12.1927).
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Was den Angriff von Artigues Riera betrifft, so antwortete Villalonga ihm schließlich mit einem distanzierten und eleganten Schreiben, in dem er kaum auf den Inhalt der Auseinandersetzung eingeht, um dann darauf hinzuweisen, dass es gegen schlechte Manieren zunächst einmal das Duell gab - das dann von Rousseau verurteilt wurde und dann den Gerichtshof, aber es würde noch eine Zeit kommen, in welcher derartige Dinge jeden Kommentar überflüssig machen.7 In dieser ersten Zeitspanne journalistischer Tätigkeit hat Villalonga auch flüchtige Kontakte mit der katalanischen Sprache. In El Dia veröffentlicht er neun Artikel in einem stark dialektalen Katalanisch mit vielen Rechtschreibfehlern. Auch in La Nostra Terra erscheint ein Essay von ihm, das den Sport zum Thema hat.8 Später weigert sich diese Zeitschrift der Regionalisten, eine Arbeit von ihm über Bleuler und die Ambivalenzen zu publizieren. Andere vermuten, dass diese Weigerung einen Artikel über Gides Corydon betraf. In beiden Fällen meinen die Regionalisten, dass Schriften eines solchen Inhaltes die Empfindlichkeit ihrer Leser verletzen könnten, was zu einem Verlust von Abonnenten führen würde. Villalonga hält dies für typisch kleinbürgerliche, dem Konventionalismus entspringende Vorurteile, was seinen Abstand zu Mallorcas Katalanen noch vergrößert. Andererseits konnte er sowohl den Text über Bleuler als auch den über den Corydon ohne weitere Probleme in El Dia veröffentlichen. In diesem Zusammenhang beschwert sich Villalonga über die Umstände. Die kulturelle Lage seiner Umgebung zwingt ihn, zwischen Liberalismus und Konservativismus zu schwanken, wobei er sich dessen bewusst ist, dass „in dem Milieu alles Lebendige schrill klingen musste".9 Er bezieht sich hiermit auf Palma und berichtet im Anschluss daran noch von den Schwierigkeiten, die er hatte, gewissen Aspekten der Wirklichkeit auf den Grund zu gehen: „Die Schwierigkeiten fingen damit an, dass unser Freund ein ernsteres und tieferes Konzept vom Leben hatte. Nur die Gemeinplätze bergen keine Gefahr. So kann also dieser gut erzogene, unscheinbare und dumme Junge, der das Rot eines Mundes oder vielleicht einen Sonnenuntergang in einem Sonett besungen haben mag, mit der nachsichtigen Gleichgültigkeit aller rechnen". In dieser ironischen Sichtweise ist ohne jeden Zweifel bereits eine pessimistische Überzeugung zu finden, was seine Landsleute betrifft: „Vor allem soll er allem Lebendigen aus dem Weg gehen. Und keine religiöse, politische, moralische, sexuelle o. ä. Themen ansprechen. Eine gleichgültige Gesellschaft mit engstirnigen Kriterien irritiert es, wenn man sie zum Denken bringen will". Im sel-
,Divagando. Alusiones personales", El Día (13.12.1927). .Petita metafísica de la boxa", La Nostra Terra, 4 (April 1928). .Historia de un cronista .liberal' y .conservador'", El Día (27.5.1928).
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ben Artikel, aus dem Jahr 1928, definiert er sich auch als apolitisch, was zumeist auf ihn zutrifft. Er schlüpft in die Rolle des Einzelgängers, obwohl er sieht, dass er sich so rechts wie links Feinde macht: „Die Rechte", schreibt er und bezieht dabei sich selbst mit ein, „würde ihm nie seinen Dynamismus, nie seine Überzeugung verzeihen, dass der Geist veränderlich und die Moral kontingent ist. Die Linke sah seinen Hang zu Ordnung und Disziplin, seine Liebe zu den Kategorien nicht mit guten Augen, denn das widersprach dem Grundsatz der égalité als der einzig möglichen Quelle des Fortschrittes". Damals - zur Zeit der Diktatur unter Primo de Rivera - klagt Dhey über eine doppelte Zensur: die der Provinzverwaltung und die der Zeitung selbst, deren Eigentümer Joan March Ordinas war. Dabei war die innere Zensur wohl eher gesellschaftlich als politisch, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass es nicht die günstigste Zeit war, um sich selbst als den „Liberalsten aller gängigen Liberalen und konservativer als alle Konservative" zu bezeichnen, wobei auch hier das Zugeständnis an die Zweideutigkeit zu finden ist, wie sie ihn immer charakterisiert hat. Diese Zweideutigkeit oder gewollte Ambivalenz - Josep M. Llompart spricht von einem gleichzeitigen „voler i doldre" (wollen und bedauern) in Bezug auf diese ständige Grundhaltung Villalongas - 10 hat seine erste Auseinandersetzung mit den mallorquinischen Sozialisten wegen der Gründung des Ateneu Literari (literarischer Kulturverein) zur Folge." Damals, im Juni 1928, richtet sich Villalonga gegen die von den Sozialisten gestellte Forderung eines Ateneu Populär (populärer Kulturverein). Bei der Verteidigung seines Gesichtspunktes spart Dhey nicht an hochmütigen, unsolidarischen Worten. Hier ein kleines Beispiel: „Der Verein kann nicht Leute ohne jede soziale Solvenz aufnehmen, auch wenn sie noch so würdig und ehrbar sein mögen. Das Geld ist heutzutage ein sehr grobes Maß dieser Solvenz, aber es gibt dennoch kein anderes. Ich glaube nicht, dass der Verein Mitglieder aufnehmen sollte, die einen Beitrag von drei Peseten leisten". Diese Worte erinnern übrigens ein wenig an den berühmten Unsinn, den die unbeschreibliche Obdülia Montcada in Mort de Dama (Tod einer Dame) von sich gibt, als sie schimpft: „Heutzutage vermischt sich alles, es gibt nichts Rechtes mehr. Und zum Verein geht nur noch Gesindel, ihr wisst nicht mehr, was Klassen sind. Der Pfarrer sagte mir neulich, dass ein Dienstmädchen genauso viel wert sein kann wie eine Dame. Ich sag ja nicht, dass wir nicht alle in den Himmel kommen können, das werden wir ja noch sehen; aber im Verein sollte man nur anständige Leute zulassen".
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Vorwort zu Aquil les o l'impossible, Palma (1964). Zu Villalongas Auseinandersetzungen mit den Sozialisten s. Antoni NADAL & Roberto MOSQUERA, „Llorenç Villalonga i eis socialistes mallorquins: dues polémiques i un interludi", Randa, 22(1987), S. 116-127.
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Seine Haltung hatte eine Erwiderung und ein paar satirische Verse zur Folge, die in der Zeitung El Obrero Balear erschienen. Andererseits wird die Debatte über den künftigen Namen des Kulturvereins, dementsprechend abgeändert und ins Lächerliche gezogen, im Roman Mort de Dama eingebaut, wo sie in Form der Auseinandersetzung zwischen José Maria Eyaralar, Anhänger der kastilischen Kultur, und Emili Darder oder Miquel Ferra, die dem Verein einen katalanischen Namen geben wollen, wieder erscheint. Mort de Dama erreicht die Buchhandlungen in Palma am 4. April 1931 und stellt einen Höhepunkt in Dheys Karriere der Auseinandersetzungen dar. Im Lauf der Zeit haben die Brüder Lloren? und Miguel Villalonga die damit verbundenen Vorfalle verherrlicht, indem sie darauf hinwiesen, dass ein Exemplar dieses Romans symbolisch ins Meer geworfen wurde. Sie behaupteten auch, man hätte davon gesprochen, deren Autor in Meer zu werfen. Dies alles ist aber weiter nichts als eine etwas heitere Mythomanie, die mit der Wirklichkeit eher wenig zu tun hatte. Was wohl stimmt, ist, dass der Roman eine Polemik innerhalb der trüben Wasser eines Mallorcas, das hypersensibel auf gewisse Satiren reagierte, auslöste.12 Dheys bissige Prosa richtete sich vor allem gegen drei Stände der bürgerlichen Gesellschaft: den Adel, dargestellt durch Obdülia Montcada und die Baronin von Bearn - grotesk im ersten Fall, sehr elegant im zweiten - , die Berufspolitiker, verkörpert durch den Marquis Jacob Collera, und den insularen Katalanismus, in der Figur der Aina Cohen. Weder Mallorcas Hidalgos noch die Politiker nahmen das Buch zur Kenntnis, denn man pflegt auf der Insel keine Romane zu lesen. Aber die Mitglieder der mallorquinischen Dichterschule nahmen natürlich den Angriff wahr, der sich in der Figur der geplagten Aina Cohen und im Clan der Wochenzeitschrift Bé hem dinat, literarisches Pendant zur Monatszeitschrift La Nostra Terra, gegen sie richtete. Es erschienen negative Kritiken von Manuel Andreu Fontirroig, Antoni Salvà Ripoll und Miquel Ferrà Juan. Der Letztere, wohl der pessimistischste von allen, der seine Kritik unter dem bekannten Pseudonym Alanis veröffentlichte, ging so weit, Villalonga davon abzuraten, sich weiter der Literatur zu widmen. In seiner erwähnten Arbeit beobachtet Pere Rosselló hierzu treffend: „Obwohl sie gegen oder für das polemische Buch Stellung nahm, beschäftigte sich die damalige mallorquinische Gesellschaft eher mit etwas ernsteren und weitreichenderen Fragen: Soeben wurde die Zweite Republik ausgerufen, womit die Möglichkeit entstand, eine Autonomieverfassung zu erhalten; gleichzeitig war das Klima stark antiklerikal, was u. a. zur Brandstiftung verschiedener
12
S. Pere ROSELLÓ BOVER: „La polèmica de ,Mort de Dama'", Randa, 33 (1993); s. auch den Eintrag zu „Mort de Dama" in der Gran Enciclopédia de Mallorca, der von mir selber stammt. Vor relativ kurzer Zeit erschien auch ein Vorwort von mir zur vom Cercle de Lectors veröffentlichten Ausgabe des Romans Mort de Dama (1997).
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Klöster in Madrid führte. Selbst jene Sektoren, die am direktesten von den Beschreibungen in Mort de Dama betroffen sind, hatten allen Grund, diesen Ereignissen der Aktualität Aufmerksamkeit zu schenken, statt sich um die schriftstellerischen Anwandlungen eines Neulings zu kümmern, der seine Ansichten bereits ausgiebig in seinen in der Presse publizierten Artikeln kundgetan hatte". Die Polemik machte den Abstand zwischen Dhey und den Regionalisten noch größer. Die gegenseitigen Anspielungen häufen sich und, von einem bestimmten Zeitpunkt an, wird der rein literarische Streit zum Frontalangriff Villalongas gegen die katalanische Autonomieverfassung und den entsprechenden balearischen Vorentwurf, der in Mallorca ausgearbeitet wurde. Viele dieser Artikel sind in der Sammlung Centro (1934) zu finden, einer wahrhaftigen Anthologie des Antikatalanismus des Schriftstellers in der Vorkriegszeit. Hinter dieser Grundhaltung stecken nun sehr verschiedene Seiten des Antikatalanismus. Ich möchte hier kurz auf einen offenen Brief an Gabriel Alomar13 eingehen, in dem Villalonga Dinge äußert, die in ihrer Pathetik schon lustig sind. Alomar, der aus den verfassunggebenden Wahlen im Juni 1931 als Abgeordneter hervorgegangen war, machte von seinem persönlichen Stimmrecht Gebrauch, um gegen den 13. Artikel der Verfassung, die das Bündnis von autonomen Regionen verbot, Stellung zu nehmen. Er setzte alles daran, die Türe für eine mögliche Föderation von den Balearen mit Katalonien und dem Land Valencia offen zu halten. Daraufhin wurde er in Mallorca auf den Seiten des El Dia, aber auch in La Nostra Terra, als Autonomiegegner abgestempelt. In seiner öffentlichen Verteidigung zeigte sich der Autor von La columna de foc1 gegenüber der möglichen Autonomie der Balearen skeptisch, und zwar aufgrund von fehlender Kohäsion und Reife. Er behauptete, dass der Zusammenschluss mit Katalonien die einzige Möglichkeit sei, das trügerische Autonomiestreben und die falschen Hoffnungen auf eine eigene Verfassung Mallorcas zunichte zu machen. Außerdem erinnerte er daran, dass die Autonomie auf der Insel nur als eine Dezentralisation auf Verwaltungsebene betrachtet wurde. Niemand hatte förmlich die politische Autonomie verlangt, nicht einmal „ein paar Elemente, die immer einen wesentlich geistreicheren und lauteren Katalanismus verfechtet haben als den, den sie jetzt hätten zeigen können".14 Die Anspielung, die sich gegen die Scheu der mallorquinischen Katalanisten richtete, ermutigte Dhey dazu, sich einzumischen. Der offene Brief, den er
13 1
14
„Mallorca y Cataluña. Carta abierta a Gabriel Alomar", El Dia (15.10.1931). Unter dem Titel La columna de foc (Die Feuersäule) veröffentlichte Gabriel Alomar 1911 seine gesammelten Gedichte. (Anm. d. Übers.) Gabriel ALOMAR in El Dia (10.10.1931). Zitiert nach Gregori MIRA in seinen beiden Ausgaben des El mallorquinisme politic (1975 und 1990).
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an seinen Meister Gabriel Alomar schrieb, ist ein Konzentrat mittelmäßiger Ideologie. Die balearische Autonomie oder die katalanische Frage interessierten ihn gar nicht; hätte er Kinder, so wollte er, sie dächten in Französisch; er hält das Katalanische lediglich für einen Dialekt; die Sardana sei nichts weiter als ein in sich selbst geschlossener Kreis, der mit dem Rücken zur Welt lebte und so weiter. Bis zuletzt der Moment der Rache gekommen ist. Jene Elemente, die aus Angst oder Scheu geschwiegen haben, werden jetzt elliptisch identifiziert als Miquel Ferra, Antoni Salvä und Andreu Fontirroig. Gegen sie richtet sich der vergiftete Pfeil, wobei Villalonga Alomar auch ins Gedächtnis ruft, dass sie vor ein paar Monaten „über Sie äußerten, dass Sie es in ihrem Vorwort zu Mort de Dama allen recht machen wollten. Und Sie wissen ja, dass es ein psychoanalytisches Gesetz gibt, nach dem wir systematisch von uns selbst auf unsere Mitmenschen schließen". Wahrscheinlich ist es hier angebracht, die Chronologie der Ereignisse außer Acht zu lassen und daran zu erinnern, dass Lloreng Villalonga 1947 einen wunderschönen Nachruf auf den verstorbenen Miquel Ferra schrieb. Der Artikel enthält eine respektvolle Berichtigung seinem bewunderten Freund gegenüber. Er ruft das Essen in dem Studentenheim in Erinnerung, bei dem er gesteht, von Ferra dichterisch und kulturell Dinge gelernt zu haben, die ihn sein Leben lang begleitet haben. Und er umgeht auch nicht das folgende Geständnis: „Einige Jahre später musste der so höfliche Mensch mich öffentlich einen Stümper nennen und mir in einem Artikel, der ein einziger Wutanfall war, raten, ich möge darauf verzichten, mich ,der Literatur zu widmen'. Mich verletzte das damals nicht, aber ich spürte, dass ich ihn verletzt hatte". Das war nach dem Krieg, in einer Zeit der Versöhnungen. Aber vorher sollten sich noch weitere Auseinandersetzungen zwischen dem Schriftsteller und seiner Umwelt ergeben. Als er 1934 Centro veröffentlicht, kam es zu einer zweiten Reibung mit El Obrero Balear, welche dieses Mal um einiges heftiger ausfiel. Nachdem er sich in der Einleitung gefragt hat, ob dies nun ein Buch der Rechten oder der Linken sei, schreibt Villalonga: „Der Autor, der vielleicht einmal einen gewissen revolutionären Ruf hatte, hat sich bei seinem dreißigsten Geburtstag entschlossen, nun in die entgegengesetzte Richtung, zur Tradition und zur Ordnung hin zu gehen. Während der letzten Jahren der Monarchie publizierte El Obrero Balear bereits ein paar Verse gegen mich, den sie für stockkonservativ hielten, während eine sehr fromme Cousine drauf und dran war, nicht mehr mit mir zu reden, weil ich ihr zu fortschrittlich war. Dies wird in bestimmten Medien immer die Aufgabe des unabhängigen Schriftstellers sein, der dazu berufen ist, die einen wie die anderen zu irritieren". Es ist ganz offensichtlich, dass er dabei mit kalter Wut an die Verse dachte, die Anton Ardenüs - der mit Arderas unterzeichnete - ihm 1928, aufgrund der Affäre um das Ateneu widmete:
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131 Y con esa grey del senor Dehy fina y selecta lo de populär es del muladar algo que infecta.1'
Ein paar Tage vor dem Erscheinen des Buches Centro hatte Villalonga einen Artikel von Josep Pia über die sozialistische Revolte in Österreich, die von Kanzler Engelbert Dollfuß erstickt wurde, besprochen. Nun glaubt er, der Sozialismus sei tot und würde im Faschismus wieder geboren. Außerdem kritisiert er den Sozialismus der spanischen Regierung. Diesmal ist die Reaktion des El Obrero Balear wesentlich schlagkräftiger. Die Erwiderung erscheint ohne Unterschrift und geht bis zur Beleidigung und Drohung. In einem nicht gerade höflichen Stil wird dort von „einer erneuten geistigen Masturbation des Autors von Mort de Dama" gesprochen, von einer „zweiten Geburt dieses Übermenschen", dessen Extravaganzen als „krankhaft und gemeingefährlich" qualifiziert werden. Sie erinnert ihn daran, in welcher Zeit er lebt, in der Zwangsarbeitslose einen Lebensstandard gleich Null haben, die Mittelschichten zum Proletariat werden und die Massen der Arbeiter der Verzweiflung immer näher sind. Die Verfasser kommen zu dem Schluss, dass Dhey nicht die geringste Idee weder vom Faschismus noch vom Sozialismus hat, woraufhin eine ernste Warnung an ihn ausgesprochen wird: „Wir lassen uns ins Konzentrationslager stecken, ins Gefängnis, an den Galgen oder wo sonst die Horden des Herrn Doktor Dhey uns hin bringen mögen. Natürlich erst wenn deren große Stunde gekommen ist. Sollte es aber die unsere sein, dann muss er uns schon gestatten, irgendeinen Gegenstand, der unseren Sieg offenkundig widerspiegelt, in den einen oder anderen Baum Mallorcas zu hängen". In seiner erneuten Replik erhebt Villalonga Anspruch auf den nicht faschistischen sondern regierungstreuen Charakter seines Schreibens. Er glaubt, dass seine Gegner ihn nicht verstehen, wie auch Ortega und Unamuno ihnen unverständlich sind, und er spricht sich gegen die autoritäre Gefahr, die in Europa - seiner Meinung nach - Lenin, Mussolini und Hitler verkörpern. In diesen drei Namen sieht Villalonga die ganze Gefahr, die den Liberalismus bedroht. Andererseits lässt er sich nicht von der Heftigkeit seiner Widersacher anstecken, sondern er sucht Zuflucht beim guten Ton, der Korrektheit und der Höflichkeit. So erklärt er, er würde, sollte seine Ideologie den Sieg davon tragen, seine Gegner nicht hängen, sondern versuchen, sie in einen Raum zu füh-
Die Interlinearversion ist etwa wie folgt: „Und mit dieser Herde / des Herrn Dehy / die sehr fein und erlesen / gehört das Populäre / doch auf den Müll / denn es infiziert". (Anm. d.
Übers.)
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ren, in dem „eine sportliche Atmosphäre von Menschlichkeit, Verständnis und gutem Ton herrschte und in dem - ganz nebenbei - alle politischen Auffassungen Platz hätten". Aber die Sache geht noch weiter. El Obrem Balear wärmt die ganze Geschichte noch einmal auf, um den Gegenspieler des Elitismus zu bezichtigen. Die Spannung ist in dem Moment sehr groß; eine gewisse Auserlesenheit des Intellektes gibt Anlass zu verschiedenen faschistoiden Äußerungen. So ist aus folgendem nicht gezeichneten Artikel ganz klar die Verachtung zu lesen: „Unamuno, Ortega, Villalonga befinden sich in den höchsten Regionen des Denkens, in einer anderen Welt als der unseren. Sie wohnen auf dem Gipfel der Berge; wir leben in der tiefsten Natur, ganz unten am Hang. Es ist ganz natürlich, dass wir ihre bedeutungsvollen Ideen nicht erfassen können". Villalonga setzt den Schlusspunkt unter die Debatte, indem er meint, dass ihn der Einbezug von Ortega und Unamuno sehr beruhigt. Es ist doch wesentlich liebenswürdiger, ihn mit den beiden größten Schriftstellern Spaniens zu vergleichen, als davon zu reden, ihn zu hängen. Und erneut besteht er darauf, kein Faschist zu sein. Er glaubt, es ganz einfach verdient zu haben, dass ihm Recht widerfahre, und „das Recht ermächtigt niemanden zu behaupten, ich sei Faschist, den ich bin ganz und gar davon überzeugt, dass heutzutage jeder Spanier die Pflicht hat, der Regierung treu zu sein". Die während des Bürgerkrieges publizierten Propagandaschriften stellen den heikelsten Moment in dieser langen Reihe von Auseinandersetzungen dar. Der Konflikt, der anfanglich kulturell und literarisch bedingt war, wird nun politisch. Lloren? Villalonga wird Mitglied der Falange Española und, auf Anweisung von Alfonso de Zayas i Bobadilla, Vorsitzender der Falange auf Mallorca, schreibt er einige Artikel in El Dia und hält Konferenzen in Radio Mallorca, die danach in El Dia und/oder in La Última Hora veröffentlicht wurden. Schließlich ist noch ein einziger Beitrag in der Tageszeitung Falange - die 1939 mit El Dia zur Tageszeitung Baleares verschmolz - und ein merkwürdiges Gedicht ebenso mit dem Titel „Falange" zu erwähnen. Diese Apologetik des Faschismus beginnt am 7. August 1936 und endet am 14. November 1937. Sie ist im Zusammenhang mit einigen vorangehenden Schriften und mit seiner kurzen Mitarbeit in Acción Española, der mit dem Faschismus liebäugelnden Zeitschrift von Ramiro de Maeztu, zu sehen. Während des Krieges gehören hierzu insgesamt neunzehn Artikel, sechs Radiokonferenzen, das erwähnte Gedicht „Falange" und ein Vortrag über die Psychiatrie der Irrenanstalten, die in einem Heftchen unter dem Titel Establecimientos completos para psicóticos. Algunas orientaciones para la Clínica Mental de Jesús (1938) (Komplette Anstalten für Geisteskranke. Ein paar Richtlinien für die Anstalt Clínica Mental de Jesús) herausgegeben wurde. Diese relativ spärliche Aktivität wird im Diario de guerra (Kriegstagebuch) erklärt, in dem unter einem Eintrag vom Juli 1938 zu lesen ist: „Kriege sind nicht intellektuell, die Federn schwiegen wohl am besten. (Ich selbst schreibe sehr wenig und äußerst schlecht)".
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Mit seinen im Krieg veröffentlichten Artikeln zog Villalonga für immer die Feindschaft von Mallorcas Katalanisten auf sich. Grund genug hatte er ihnen gegeben, vor allem seit dem Schreck, der ihnen die Haltung der Brüder Villalonga in der Angelegenheit des Manifest einjagte. Die Unterzeichner der Resposta (Erwiderung) auf die Missatge (Mitteilung) der Katalanen sahen sich plötzlich von einer Atmosphäre der Verdächtigungen umgeben, die äußerst gefährlich zu Kriegszeiten war. Dennoch stimmt es auch, dass Llorenç Villalonga seine Gegner dem Oberst Ricardo Fernández de Tamarit gegenüber verteidigte. Aber der Schaden war bereits angerichtet seit folgenden Worten, die seinem Artikel „Mi manifiesto" (Mein Manifest)15 entstammen: Mein Bruder Miguel und ich können mit Stolz sagen, dass wir immer den Widerstand gegen den Katalanismus in Mallorca vertreten haben. Als die Intellektuellen Mallorcas vor zwei Monaten ein Manifest verschickten, das vor leerem Gerede über die Nachbarregion nur so strotzte, waren unsere beiden Namen die einzigen, die fehlten. Ich befand mich gerade in Barcelona, und fand es sehr traurig, einmal mehr feststellen zu müssen, dass die Mallorquiner sich wie Kleinstädter von den Klischees und Abgeschmacktheiten verwirrter Pseudointellektueller irreführen lassen.
Der Schaden war bereits angerichtet und hatte eine lange Feindschaft zur Folge. Dennoch ist hier festzuhalten, dass das Gebiet, das sowohl Villalonga als auch seine Gegner zu erobern versuchten, das literarische war. So waren Miquel Ferrà, Joan Pons i Marqués oder die Brüder Miquel und Bartomeu Forteza - um ein paar der bedeutendsten Mitglieder der Mallorquinische Dichterschule (Escola Mallorquína) zu nennen - Schriftsteller wie unser Romancier. Außerdem bewegten sie sich alle in denselben bürgerlichen Kreisen, die für qualifizierte Beamten bezeichnend waren, und zwar vor und auch nach dem Bürgerkrieg. Sie waren auch alle 1936 alt genug, um ihre wichtigsten Werke schon geschrieben zu haben: Miquel Ferrà war 51 Jahre alt, Miquel Forteza war 48, Bartomeu Forteza und Joan Pons waren 42. Mit seinen 39 war Villalonga etwas jünger als die anderen. Es wird wohl immer ein Rätsel der Literaturgeschichte bleiben, warum ausgerechnet der Umstrittenste, der Unbeliebteste, der schlechteste und hitzköpfigste Mitbruder dieser misshandelten Bruderschaft der einzige seiner Generation war, der weltweit bekannt werden sollte. Von Bearn gibt es selbst eine chinesische und eine vietnamesische Fassung. Was aber weiß man heutzutage außerhalb von der Insel schon von Mallorcas Anhängern des Noucentismel
15
El Dia (7.8.1936).
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Alles in allem waren die Mitglieder der Escola Mallorquína auf ihre Art redliche Republikanhänger. Die Ereignisse im Oktober 1934 hatten sie mit Schrecken erfüllt, wie Villalonga selbst. Aber im Unterschied zu Villalonga ließen sie sich - vor allem die oben erwähnten - nicht vom Flitter des Faschismus blenden. Der Fall Lloren? Villalonga lässt sich in dieser Hinsicht wohl in die Reihe der verschiedenen berühmten Schriftsteller eingliedern, die hier leider eine oder mehrere schwarze Seiten in ihrem Lebenslauf aufzuweisen haben: Ezra Pound, Ferdinand Céline, Luis Rosales, Dionisio Ridruejo, Antonio Tovar, Pedro Lain Entralgo, Marinetti und die italienischen Futuristen usw. Im Lauf der Jahre weist Villalonga außerdem reaktionäre und katholisch fundamentalistische Seiten auf. All dies hat aber nichts mit den besten Seiten seiner Literatur zu tun, die aus einer gewaltigen Gedächtnisleistung heraus entsteht und vermisste Dinge und geliebte Menschen unsterblich machen will. Die literarische Moral Villalongas lässt sich meines Erachtens ausreichend untermauern. Allerdings wirkte er selbst im Kreis der Republikgegner Mallorcas heterodox. Die seine schroffe Laufbahn bezeichnenden Uneinigkeiten und Auseinandersetzungen gingen weiter. Zwei nicht veröffentlichte Vorträge aus der Kriegszeit' 6 führten einen überlieferten und publizierten Text weiter: „Los culpables de la guerra civil"17 (Die am Bürgerkrieg Schuldigen). Es macht den Eindruck, als wären sie der Zensur oder Selbstzensur zum Opfer gefallen. Die veröffentlichte Schrift macht die Konservativen für den Bürgerkrieg verantwortlich. In den beiden unveröffentlichten Texten bezog diese Verantwortung auch die Intellektuellen und die vermittelnde Gewalt, also die Krone, mit ein. Die Manuskripte tragen die entsprechenden Zensurstempel der balearischen Kommandantur, was nicht immer einem nihil obstat gleichkam. Ein Eintrag in seinem Diari de guerra vom August 1937, in dem er auf die beiden Radiovorträge Bezug nimmt, weist eindeutig skeptische Züge auf: Alle Leute sagen, meine Vorträge in RADIO MALLORCA seien der Falange treuer als alle anderen Beiträge, und ich glaube, das stimmt. Umso schlechter für mich: Den lokalen Führern werde ich antipathisch sein - sie werden um ihre kleinen Posten in Presse und Propaganda usw. bangen - und die „gute Gesellschaft" wird mich verachten. Je me 'n flehe. In einem Eintrag aus dem Jahr 1945 fugte er noch hinzu: „Ich schreibe auf Bestellung - im Auftrag von Zayas".
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17
Jaume POMAR: „DOS articles de Villalonga del temps de guerra", Revista de Catalunya, 123 (November 1997), S. 77-91. El Día (31.1.1937).
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Diese Vorträge nun wollten didaktisch sein. Sie lehrten die faschistische Doktrin von ihren verschiedenen Seiten her: Der psychologischen, der kulturellen, der sozialen, der moralischen usw. Die beiden unveröffentlichten zeigen, was Villalonga von der Schuld des Bürgerkrieges hielt. Als elitärer Ortega-Anhänger klagt er die bürgerliche Rechte an, keine „gerechtere Gesellschaftsordnung" entworfen zu haben, d. h., er glaubt, dass die führenden Gesellschaftsklassen der Situation nicht gewachsen waren. In seinen Augen trugen die Intellektuellen und die Krone dieselbe Verantwortung am Krieg, ein Urteil, das er zuvor schon auf den bürgerlichen Konservativismus angewandt hatte. Er beobachtet, dass die Intellektuellen sich nicht als geistige Führer der bürgerlichen Gesellschaftsschicht bewiesen haben. Und er stellt sich selber auf die schlimmste Weise bloß, indem er zunächst einmal die französische Kultur so schlecht macht, dass die Worte nicht von ihm zu stammen scheinen, um dann die Intellektuellen anzugreifen, weil sie „die offensichtliche Überlegenheit Italiens oder Deutschlands" nicht verstanden hätten. Dann fügt er noch hinzu: „Derartige Essayisten kamen dem Auftrag nach, unsere Bourgeoisie irrezuführen und einzuschläfern. Einer von ihnen war Herr Azana, der größte Wirrkopf der gegenwärtigen Geister, der konfuse Mann schlechthin, der die Anarchie forderte und zugleich die Bevölkerung von Casas Viejas mit dem Maschinengewehr unter Beschuss nahm". Ich will mich nicht damit aufhalten, Falschheiten zu widerlegen. Villalongas Diskurs, und darum geht es hier, neigt dazu, zu beweisen, dass die republikanischen Intellektuellen mittelmäßig und stümperhaft waren. Im zweiten unveröffentlichten Artikel behauptet er, dass dies zum großen Teil darauf zurückzuführen ist, dass der Adel und die Krone ein erhebliches Ressentiment in ihnen gefördert haben. Das hat ihm die Feindschaft der Monarchisten eingebracht und war sehr wahrscheinlich einer der Gründe, weshalb er seine Vorträge für den Sender Ràdio Mallorca einstellen musste. Wieder tritt Ortegas Elitismus auf, allerdings neu interpretiert nach Villalonga: „In den Monarchien gibt es einen rätselhaften Einfluss, der von der Person des Königs ausgeht und der durch die Vermittlung des Blutadels oder durch direkten Kontakt an die Intellektuellen weitergegeben wird, die ihn ihrerseits dem Volk überbringen werden". Er stellt aber fest, dass diese Übermittlung in Spanien nicht möglich war, und zwar, wie er glaubt, aufgrund der schlechten Erziehung, die Alfons XIII genossen hatte. Eine bekannte Anekdote über diesen Bourbonen illustriert den volkstümlichen und oberflächlichen Stil, der ihn charakterisierte: Als ihm Ortega und Gasset vorgestellt wurde, teilte man ihm mit, dass der Philosoph gerade aus Deutschland zurückgekommen sei, wo er metaphysische Studien betrieben habe. Daraufhin meinte der König auf seine populistische Art, die eigentlich witzig sein sollte: „Mann, das muss aber sehr kompliziert sein!".
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Diese Anekdote wird von verschiedenen Biographen so vermittelt, wie ich sie wiedergegeben habe. Betrachten wir nun die versüßte Version Villalongas - der allerdings trotzdem nicht vermeiden konnte, damit die Monarchisten zu beleidigen: Es wird erzählt (und ich bin nicht für die Anekdote verantwortlich), dass sich jemand in allerhöchsten Kreisen vor einer Gruppe von Aristokraten über Ortega Gasset lustig gemacht habe. Als er erfuhr, dass Ortega sich der Metaphysik gewidmet hatte und gerade aus Deutschland kam, wo er Kant studiert hatte, soll diese hohe Persönlichkeit mit dreister Geringschätzung ausgerufen haben: „Mann, das muss aber sehr kompliziert sein!". Angeblich wurde um ihn herum gelacht. Wie gesagt, ich bin nicht für die Wahrhaftigheit dieser Anekdote verantwortlich. Wahr ist allerdings, dass die Vermittelnde Gewalt Ortega nicht für sich zu gewinnen vermochte, sondern ihn zum Feind machte.
Ich wurde oft darum gebeten, eine konkrete Erklärung zu Villalongas ideologischer Reise zu geben. Es ist immer noch ein Rätsel - wie es das intimste Verhalten des Menschen zu sein pflegt - , aus welchem Grund ein durch und durch Liberaler, ein Schriftsteller, der sich innerhalb der Parameter der französischen Revolution gebildet hatte, akzeptieren konnte, zu einem vulgären Propagandisten des Faschismus zu werden. Sein anfängliches Auflehnen gegen den Vater rechtfertigt den Schritt hin zu Haltungen, die sich vom Leben und vom Geist her von der Familienumgebung entfernen. Um die dreißig allerdings, also nach dem Tod seines Vaters, neigt Villalonga eindeutig zu Ordnung und Konservativismus. Nun, im Jahr 1928, lehnt er die Avantgarden ab und kehrt zur Ästhetik des Neoklassizismus zurück. Bei dieser neuen Entwicklung ist die Lektüre von Proust nicht ohne Bedeutung. Schwieriger zu verstehen ist da die vorübergehende Faszination, die der Faschismus auf ihn ausübte. Wir haben in ihm eine Art angeborenen Elitismus beobachtet, der ihn oft dazu verleitet, sich seiner Umwelt gegenüber überlegen zu fühlen. Die Krise des Liberalismus veranlasst ihn außerdem dazu, eine pessimistische Haltung der Demokratie gegenüber anzunehmen, ein Misstrauen diesem „statistischen Trugbild" gegenüber, von dem Borges sprach. Auf alle Fälle ist die Art, in der Villalonga zum Falangist wird, sehr persönlich. Er besingt weder die Vorzüglichkeiten der Hispanität, noch verteidigt er lautstark das Privateigentum. Auch der Kommunismus ist in seiner Prosa kein Sündenbock und nicht das erste Ziel seiner Angriffe. Die richten sich in diesen zwei Dutzend Artikeln in erster Linie gegen Republikaner und Katalanisten. Was den hochtrabenden Ton dieser Schriften und gewisse Ungereimtheiten mit demagogischer Absicht angeht, so glaube ich, ehrlich gesagt, dass sie im Zusammenhang mit der Angst zu sehen sind, die zu jener Zeit des Wahnsinnes überall vorherrschte. Beim Ausgang des Krieges ist die Sage von Bearn bereits im Entstehen. Fast anderthalb Jahre vorher hat sich Villalonga aus der Welt der Veröffentlichungen zurückgezogen. In seinem Blick stehen Trauer, Sehnsucht
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und Enttäuschung dem Kriegsende gegenüber. Auch diese Gefühle hält er fest, indem er im April 1939 folgenden Eintrag in sein Tagebuch macht, mit dem ich meinen Beitrag schließen möchte: „Der Krieg ist zu Ende. , Wir hatten seit mehr als einem Jahrhundert keinen derart überwältigenden Sieg wie diesen'. Einverstanden. Aber die Besiegten sind wir selber, denn wer wird die Sache nun ausbaden?". JAUME POMAR
Pere Rosselló Bover Die Desbarats innerhalb des Gesamtwerkes von Lloren^ Villalonga1 1. Definition Im Jahr 1965 weihte der Verlag Daedalus seine von Jaume Vidal Aleover geleitete literarische Reihe „Europa" mit der Veröffentlichung eines Bandes von Lloren? Villalonga ein, der den Titel Desbarats (Unsinnigkeiten) trug. Die Idee dieses Titels stammte wohl von Jaume Vidal, aber der Autor akzeptierte ihn voll und ganz.2 Schon bald sollte der Begriff „Desbarat"1 nicht nur auf dieses eine Buch, sondern ganz allgemein auf eine bestimmte Textart angewandt werden, auf eine „Gattung", die Villalonga somit erfunden hatte und die also nur ihm zuzuschreiben ist. Im Prinzip scheint der Ausdruck „Desbarat" 3 eher auf die Stücke des ersten Teiles des Buches zuzutreffen, vor allem ihres Humors wegen, als auf die des zweiten Teiles. Zwischen der Zwecklosigkeit des „doi" 4 einerseits und der
Die Seiten werden in Klammern, nach dem jeweiligen Zitat aus dem Band, angeben: Llorenp VILLALONGA: Desbarats, Palma (1965). Vidal Aleover schreibt sich auch das Adelsgeschlecht der Pax zu, dem Villalonga die Familie, die hier im Mittelpunkt steht, zuordnet: „Ich glaube ich war derjenige, der dieses Geschlecht für die Marquise der Desbarats vorschlug. Es handelt sich um ein altes Geschlecht Mallorcas und meine Idee war etwa dieselbe, die Miguel Villalonga bewog, seine Hauptdarsteller dem Haus der Berard oder Pinós zuzuschreiben, oder auch die von Lloren? selbst, als er die Adelssippen von Montcada und Bearn für seine Figuren wählte. [In einer Fußnote weist JVA dar a u f h i n , dass es Bearn nie als Geschlecht gegeben habe, und dass die Montcada keine Adelsfamilie seien.] Etymologisch kommt dieser Name wahrscheinlich vom Lateinischen pagus, was .Landgut' oder .Besitz' (im klassischen Latein .Weiler' oder .Häuschen') bedeutete; das Beibehalten des vom Nominativ stammenden ,-s' könnte auf seinen okzitanischen Ursprung zurückzuführen sein" (S. 198). Er erklärt, er habe die latinisierte Form Pax vorgezogen, also mit ,x', während die geläufige Form Pachs sei. Dies führt zu einer Zweideutigkeit, die Lloren? Villalonga in seinem Cock-tail a un nou palau zwischen den Familien Pachs und Bachs ausnützt. Er weist auch darauf hin, dass Salas in dem Geschlecht Pax einen Symbolismus sieht, den Vidal aber abstreitet, denn „die Marquise scheint alles andere als friedfertig". Jaume VIDAL ALVOCER: „Eis disbarats d',El Club dels Novel listes'", in Lloreng Villalonga i la seva obra, Barcelona (1980), S. 199. Desbarats (in Kursivschrift) bezieht sich immer auf das unter diesem Titel veröffentlichte Buch. Spricht der Autor des Artikels von dem Begriff als solchen, so erscheint er unter Anfuhrungszeichen: „Desbarats". Ansonsten wird hier der Desbarat (ohne weitere Kennzeichnung) wie andere eingedeutschte Gattungsformen (Komödie, Musical usw.) auch gebraucht. (Anm. d. Übers.) ,Acciò o dita absurda, completamentfora de propòsit, contrària a la raó" (Widersinnige, völlig unangebrachte Handlung oder Äußerung), Diccionari Català Valencià Balear, Bd. 4, S. 463. ,J)isbarat, dita o fet irracionat (Unsinn, vernunftwidrige Handlung oder Äußerung), Diccionari Català Valencià Balear, Bd. 4, S. 529.
Pere Rosselló Bover
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Abstraktion oder dem Symbolismus, die das Wort „absurd" (.widersinnig', ,absurd') kennzeichnen, andererseits, ist der Begriff „Desbarat" ein besonders glücklicher Fund. Jaume Vidal meint dazu: „Der ,Desbarat' ist nicht genau dasselbe wie das Absurde, denn der ,Desbarat' ist möglich, das Absurde dagegen nicht, zumindest aus philosophischer Sicht. Die Marquise de Pax ist ,desbaratada' (unvernünftig, unsinnig), aber sie ist nicht absurd". 5 Wenn nun auch generell diese Unterscheidung als Ausgangspunkt akzeptiert werden kann, so muss doch auch gesagt werden, dass nicht alles möglich ist, was in den Desbarats, deren Zentralfigur die Marquise de Pax ist, so passiert. Der Erfolg dieses Ausdruckes führte dazu, dass fast alle kürzeren Texte Villaiongas, deren Struktur dramatisch ist und die irgendein die Vernunft verzerrendes Element enthalten, zu den Desbarats gerechnet wurden. Aber die Kürze und die dramatische Form sind nicht die einzigen Elemente, welche die Desbarats bestimmen. Villalonga hat auch andere kürzere Theaterstücke geschrieben, z. B. Escola de neurosi (Schule der Neurose) (1979) oder Eis camins (Die Wege) (1958), die nicht dazu gehören. Dem Desbarat ist vor allem ein bestimmter Humor zuzuschreiben, der das jeweilige Stück von konventionelleren Vorbildern trennt, wenn auch einige seiner Züge dem volkstümlichen Sittenstück nahe stehen. Mit dem Esperpento-Drama teilt der Desbarat die verzerrte und karikaturartige Darstellung der Figuren oder der Wirklichkeit. Dagegen besitzt er nicht dessen tragisches und transzendentes Element, das hier durch einen einfachen Humor ersetzt wird, der mit der volkstümlichen Tradition der „décimes desbaratades"" in Zusammenhang gebracht werden kann, die im Gegensatz zur Besonnenheit und zu dem Maß steht, die herkömmlicherweise unsere kulturelle Gemeinschaft kennzeichnen. Indem man aber den Begriff „Desbarat" auf diese kurzen dramatischen Stücke angewandt hat, wurde zu demselben Verfahren gegriffen, das Valle-Inclán benutzt hatte, als er seinen Stücken den Namen „Esperpentos" gab. Jaume Vidal Aleover sieht die Desbarats auch im Zusammenhang mit Villalongas Neigung zum Pastiche, d. h. zur Imitation, zum Gefallen, den er daran fand, „die Leute so gründlich wie möglich, also bis ins kleinste Detail hinein, zu verspotten".6 Diese Tendenz sei schon in seinen ersten Texten zu beobachten, z. B. in Mort de dama (Tod einer Dame), von denen viele seiner Desbarats noch nicht allzu weit entfernt seien. Außerdem halten sich die Desbarats nicht „an die Prämissen des herkömmlichen Theaters", denn sie folgen im Aufbau nicht „dem Crescendo ei-
5
J a u m e VIDAL ALCOVER: Op. cit.,
11
Bezeichnung, die auf Mallorca auf eine dichterische Komposition von zehn Versen widersinnigen Inhaltes mit humoristischer Absicht angewandt wird. (Anm. d. Übers.)
6
J a u m e VIDAL ALCOVER: Op.
cit.,
S. 197.
S. 2 0 4 .
Die Desbarats innerhalb des Gesamtwerkes von Lloren? Villalonga
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nes Bühnenwerkes, sondern eher dem einer Erzählung oder Geschichte", 7 und hierin stimmen sie mit dem fortschrittlichsten Theater ihrer Zeit überein. Aufgrund dieser Merkmale und auch wegen ihres Ursprunges könnte man sie als „im Dialog geführte Erzählungen" bezeichnen, wie Molas bereits 1966 andeutete. 8
2. Entstehung Die Desbarats entstanden, um bei den Weihnachtsfeierlichkeiten, die Dona Maria Coli Roca (1891-1971), Witwe des Marquis de Can Ferrandell, jedes Jahr organisierte und denen Lloreng Villalonga und seine Frau beizuwohnen pflegten, zur Unterhaltung beizutragen. Die Freundschaft zwischen Llorens Villalonga und der Marquise war enger geworden, seit diese in ihrem Palast der Straße de Sant Jaume - heute befindet sich dort das Hostal Born - die Treffen des Schriftstellers mit Maria Teresa Gelabert ermöglicht hatte, die dann 1936 mit deren Hochzeit enden sollten. In seinen Falses memdries de Salvador Orlan (Falsche Memoiren des Salvador Orlan) bekennt Villalonga, dass seine Frau ohne „die etwas romanhafte Revolution oder den Optimismus der Catalina [der Marquise de Pax] sich niemals dazu entschlossen hätte, mich zu heiraten". 9 Etwa in den Vierzigeijahren pflegten Lloreng: Villalonga und seine Frau also, den Heiligen Abend mit Dona Maria Coli und ihrer Familie zu verbringen: Die Messe fand in der Hauskapelle statt - wie es in Hiferen ben aprop (Sie waren nah daran) festgehalten wird - , dann ging man in die Kirche Sant Jaume, um dort den Cant de la Sibilla (Gesang der Sybille)"1 zu hören, zwischen 1 und 2 Uhr morgens wurde gegessen und danach las der Schriftsteller den Desbarat vor, den er für das Fest geschrieben hatte. Es handelte sich also um einen „Dialog, der sich um irgendeine Tatsache drehte, die während des letzten Jahres besonders bedeutend oder lustig war und daher Stoff zur Unterhaltung bot".' 0 Dieser Ursprung weist daraufhin, dass die Stücke nicht so sehr als Bühnenstücke entstanden, sondern eher eine Art Erzählungen in Dialogform waren, die dann in einem kleineren Kreis vorgelesen wurden. Das macht auch die Tatsache verständlicher, dass einige der Textanweisungen vor
7
Josep M. BENET I JORNET: „Notes sobre el teatre de Lloreng Villalonga", Lluc, 629 (Septemb e r 1973), S. 9.
8 9 111
10
Joaquim MOLAS: Literatura catalana de la postguerra, Barcelona (1966), S. 47. Lloren? VILLALONGA: Falses memöries de Salvador Orlan, Barcelona (1982), S. 147. Der Cant de la Sibil la wird auf Mallorca noch heute in der Weihnachtsnacht gesungen. Diese mittelalterliche Tradition besingt in katalanischer Sprache das Jüngste Gericht und die Ankunft Christi, deren Nachricht einer Sibylle in den Mund gelegt wird. (Anm. d. Übers.) Jaume Vidal Aleover: Op. cit., S. 195.
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allem die vorgetragene Lektüre zu betreffen scheinen. So heißt es z. B. in der ersten Anweisung des Desbarats Viatge a Lisboa en 1945 (Reise nach Lissabon 1945), dass der Schauplatz der Handlung J e n e r Ort in der Mancha, der Madrid genannt wird", sei (S. 61); die einleitende Angabe zu Bromes a la Manxa (Scherze in der Mancha) vesetzt uns in das Jahr 1943, wobei im Anschluss auf Folgendes hingewiesen wird: „Nicht zu verwechseln mit 1843" (S. 113); in A través de la Manxa (Quer durch die Mancha) erfahren wir, dass in einer bestimmten Szene „Minos an Garcilaso de la Vega denkt" (S. 133), eine Information, die den Dialog auf keine Weise beeinflusst und daher in einem Text, der gespielt werden sollte, überflüssig wäre. Schließlich könnte man noch die recht ungewöhnlichen Situationen erwähnen, in denen sich zwei Autos, ein Krug, zwei Pistolen, zwei Schwalben, zwei Mücken oder eine Eule in den Dialog einmischen." Es ist auch offensichtlich, dass diese Desbarats Anspielungen und Anekdoten enthalten, die deren Adressaten sofort interpretieren sollten, die aber für andere Leser oder Zuschauer nicht in gleicher Weise verständlich sind. Es handelt sich hier um einen ziemlich repräsentativen Fall jener Komplexität, welche die Beziehungen zwischen Literatur und Wirklichkeit oft kennzeichnet. Villalongas Vorhaben war „die leichte und antikatastrophische Atmosphäre jenes Freundeskreises wiederzugeben". 12 Die Stücke gingen, wie gesagt, von einer bedeutenden Begebenheit des Jahres aus, z. B. von einer Reise oder von der Renovierung eines Hauses, wobei die Figuren wirklich existierenden Personen entsprachen. Can Ferrandell wird in der Fiktion zu Can Serralta.13 Wie bereits erwähnt, hat die Marquise de Pax die Dona Maria Coli, deren einzigartige Persönlichkeit oft die der fiktiven Figur zu übertreffen schien, zur Vorlage.14 Minos und Amaranta entsprechen, wie allgemein bekannt, dem Paar des
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Obwohl auch Villalongas Theaterstücke den Irregularitäten unseres Theaters ausgesetzt war, führte 1969 das Ensemble von Ntiria Espert unter der Regie von José Monleón sein Stück La Tuta i la Ramoneta (Die Dirne und Ramoneta), als Teil des Schauspiels Amics i coneguts (Freunde und Bekannte), auf. Anlässlich der Besprechung dieser Auffuhrung veröffentlicht die Zeitschrift Primer Ado drei spanische Übersetzungen von Villalongas Desbarats - Estuvieron muy juntos, Cock-tail en un viejo Palacio und La Tuta i la Ramoneta - , zusammen mit anderen Schriften von und über diesen Autor. S. Primer Acto, 110 (Juli 1969), S. 6-55. [Ich danke hiermit meinem Freund Antoni Nadal, der mir ein Exemplar dieser Zeitschriftnummer vermittelt hat.] 1970 führte Josep A. Codina vier Desbarats im Teatre Romea (Barcelona) auf: Sa Marquesa se disposa a anar-se'n al teatro, Hiferen ben aprop, Festa Major und Alta i Benemèrita Senyora. 1997 brachte der Fernsehsender Canal 33 eine Vorstellung von La Tuta i la Ramoneta. Jaume VIDAL ALCOVER: „Proleg", in: Lloren? VILLALONGA, Desbarats, op. cit., S. 9. In der Erstausgabe von Cock-tail a un veli palau (1955) heißt es Can Hohenstaufen. Jaume Pomar, der von Informationen der Familie Maroto-Coll ausgeht, meint hierzu: „Die ganz persönliche Beziehung, die Dona Maria Coli zur Wirtschaft hatte, könnte vielen Anekdoten Nährung geben, die nicht in den Desbarats zu finden sind. Ihre Art und Weise, über ei-
Die Desbarats innerhalb des Gesamtwerkes von Lloren? Villalonga
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Schriftstellers selbst und seiner Frau, die sich bereits Don Toni und Dona Maria Antonia de Bearn späterer Werke nähern, ohne ihnen hier jedoch völlig zu entsprechen. Im Fall von Minos ist die Identifikation besonders klar, da der Autor ihm eigene Werke und biographische Begebenheiten zuschreibt. In seinem La rao i el meu drei (Die Vernunft und mein Recht) identifiziert Jaume Pomar den Paco Garellano aus Viatge a Lisboa en 1945 als „Antonio Ochoa, Ingenieur des Hafens von Palma und Erbauer Barcelonas Pöble Espanyol".15 In Viatge a París en 1947 (Reise nach Paris 1947) - und in L'esfinx (Die Sphinx) - wird der Dr. Jaume Escales (1893-1979) erwähnt, der damals Leiter der Irrenanstalt in Palma war, eine Anspielung, die heute wie damals kaum jedem verständlich war, die aber ganz sicher innerhalb des engen Kreises, der jedes Jahr zu Weihnachten Villaiongas Vorlesung zuhörte, verstanden wurde. Bezeichnend für die enge Verbindung, die zwischen diesen Texten und der Wirklichkeit bestand, ist die Anekdote über P. Pere A. Rullan, der sich beim Erscheinen der Desbarats ärgerte, da er, genau wie der groteske P. Florejat16 des Desbarats Hiferen ben aprop, Autor eines kleinen Werkes über den selig gesprochenen Giuseppe M. Tomassi-Caro war. In der zweiten Ausgabe änderte Villalonga den Namen des Selig Gesprochenen, um dem Missverständnis aus dem Weg zu gehen.17 Es ist kein Wunder, dass sich einige Mitglieder der Familie Maroto-Coll beim Erscheinen der Desbarats „verärgert und gekränkt" zeigten, denn sie waren der Meinung, „dass die Lektüre im engsten Kreis von Anekdoten, die allen Anwesenden bekannt waren, eines war; etwas ganz anderes aber war das Ausposaunen von Ereignissen und Situationen einer Familie ,in der Absicht, damit Geld zu verdienen'." 18 Im Kapitel VI des dritten Teiles seiner Falses memöries... weist Villalonga erneut auf den eigenartigen Charakter der Gastgeberfamilie hin, indem er von der Verlobung einer der Töchter der Marquise mit einem italienischen Soldaten berichtet.
15 16
ne Hypothek, den Raub verschiedener Gegenstände des Hauses oder die Notwendigkeit, B e quemlichkeit zu kaufen', übertrifft einige der Seiten Villaiongas". Jaume POMAR: La rao i el meu dret. Biografía de Lloreng Villalonga, Mallorca (1995), S. 215, Anmerkung 66. Jaume POMAR: Op. cit., S. 214, Anmerkung 66. Lloren? Villalonga hält bereits in seinem Diario de guerra fest, auf welche reale Person sich die Figur des P. Florejat stützt: „Ich habe einen neuen Pfarrer endeckt, rotbackig und feminin, Bewunderer des Pérez y Pérez", heißt es in einem Eintrag vom September 1937 in Galatzó, einem Landgut, das dem Marquis von Can Ferrandell gehörte. S. Lorenzo VILLALONGA: Diario de guerra, Valencia (1997), S. 52. Josep Massot i Muntaner hat mir die Übereinstimmung des P. Florejat mit dem Theatinerpater Pere A. Rullan bestätigt; dieser war drauf und dran, aufgrund der Veröffentlichung der Desbarats Klage gegen Lloren? Villalonga zu erheben. Auf den Rat des Richters nahm er schließlich davon Abstand.
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J a u m e POMAR. Op. cit., S. 2 1 4 .
18
J a u m e POMAR. Op. cit., S. 2 1 5 .
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144 3. Wirkungsbereich und Klassifikation
Als 1965 das Buch Desbarats erschien, waren drei der darin enthaltenen Stücke bereits vorher veröffentlicht worden. Cock-tail a un veli palau (Cocktailparty in einem alten Palast) war, noch unter dem Pseudonym Dhey, 1955 in Form eines kleinen Büchleins in der Reihe „La Font de les Tortugues" herausgekommen, gedruckt in der Druckerei Atlante. Ein Jahr später erschien Viatge a París de Minos i Amaranta en 1947 - dessen Titel danach in Viatge a París en 1947 abgeändert wurde - zusammen mit dem Drama Faust in einem Band des Verlages Editorial Moll. Gleichzeitig ergänzte Alta i benemèrita Senyora (Hohe und verdienstvolle Dame) die Ausgabe des Aquilles o l'impossible (Aquilles oder das Unmögliche), die Moll 1964 herausbrachte. Desbarats bestand aus dreizehn kurzen Stücken dramatischer Struktur, die der Verleger in zwei Teile gegliedert hatte. Der erste Teil umfasste neun Stücke, die, wie Jaume Vidal Aleover im Vorwort feststellt, „zu einem bestimmten Bereich der mallorquinischen Gesellschaft gehören - nämlich zu jenem Stand, in dem der Adel und das Bürgertum ganz nah zusammen gerückt sind - und ganz besonders zu einer bestimmten Familie, nämlich der der verwitweten Marquise de Pax aus dem Hause Can Serralta, mitsamt ihren zahlreichen Freundschaften und Beziehungen".19 Die Desbarats, die zu diesem Teil gehören, haben folgende Titel, die ihrer Anordnung nach zitiert werden: Sa Marquesa se disposa a anar a-n 'es teatro (Die Marquise schickt sich an, ins Theater zu gehen), Sa venguda de s'Infanta (Die Ankunft der Infantin), Economia en 1940 (Wirtschaft 1940), Viatge a Lisboa en 1945 (Reise nach Lissabon 1945), Viatge a París en 1947 (Reise nach Paris 1947), Bromes a la Manxa (Scherze in der Mancha), A través de la Manxa (Quer durch die Mancha), Hiferen ben aprop und Cock-tail a un vei palau (Cocktailparty in einem alten Palast). Zur zweiten Gruppe gehören dagegen nur vier Stücke, die einen eher literarischen Charakter haben, „eher außerhalb einer bestimmten Zeit, eines bestimmten Raumes und Bereiches" angesiedelt sind.20 Sie haben folgende Titel: L'esfinx (Die Sphinx), La Tuta i la Ramoneta (Die Dirne und Ramoneta), Festa Major (Jahresfest) und Alta i benemèrita Senyora (Hohe und verdienstvolle Dame). Laut Jaume Vidal Aleover kann man diese vier Desbarats, im Gegensatz zu denen des ersten Teiles, mit dem absurden Theater verbinden, „allerdings eines Absurden, das einer Behandlung Lloren^ Villalongas rationalistischen Geistes unterzogen wurde".21 Die Unterteilung dieser kurzen Stücke in zwei Gruppen ist also vor allem aufgrund der Unterschiede bezüglich ihrer Art und ihrer Absichten vorgenommen worden.
19
J a u m e VIDAL ALCOVER: „ P r ó l e g " , op. cil.,
S. 12.
20
J a u m e VIDAL ALCOVER: „ P r ó l e g " , op. cit.,
S. 12.
21
Jaume VIDAL ALCOVER: „Els disbarats d"El Club deis Novel-listes'", op. cit., S. 196.
D i e Desbarats
innerhalb des Gesamtwerkes von Lloreng Villalonga
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Zehn Jahre später, also 1975, veröffentlichte Joan Sales einen Band in Club Editor mit dem Titel La Marquesa de Pax i altres disbarats (Die Marquise de Pax und weitere Disbarats). Dieses Buch enthält zwei weitere Texte, Na Bàrbara Titana i el general (Barbara, die Titanin, und der General) und Cock-tail en un nou palau (Cocktailparty in einem neuen Palast), die in dem Band von 1965 nicht enthalten waren und die zu der fiktiven Welt der Desbarats der ersten Gruppe der vorigen Ausgabe gehören. So waren also inzwischen 15 Desbarats veröffentlicht worden. Aber die beiden neuen Titel waren nicht die wichtigste Neuigkeit dieser Ausgabe, die wieder in zwei Gruppen unterteilt ist und eine neue Anordnung der Stücke vornimmt. In der ersten Gruppe befinden sich jene Texte, deren Hauptperson - mit Ausnahme von Economia en 1940 - Catalina ist, die verwitwete Marquise de Pax, bekannt auch unter dem Namen „Mumare". Nun aber werden sie als ein einziges, in neun Akte aufgeteiltes Theaterstück vorgestellt. Aus diesem Grund verlegt Sales - möglicherweise auch Lloreng Villalonga - die Stücke Viatge a Lisboa en 1945 und Vi:a Ige a París en 1947 in den zweiten Teil des Buches, obwohl deren Protagonisten Minos22 und Amaranta sind, die im ersten Teil der Ausgabe von 1965 ebenso ein besonderes Gewicht haben. Aber die grundlegendste Änderung in La Marquesa de Pax i altres disbarats betrifft die Sprache, die von Jaume Vidal Aleover scharf kritisiert wird. Die Aufgliederung der Desbarats (1965) in zwei Teile hatte ihren Grund. Aus dem Gebrauch der ersten Person Plural im Vorwort, wo behauptet wird, dass „wir das Buch [in zwei Teile] aufgegliedert haben",23 ist abzuleiten, dass Jaume Vidal Aleover dabei entscheidend mitgewirkt haben muss. Dieser Umstand erklärt auch perfekt seine Irritation, als Joan Sales La Marquesa de Pax i altres disbarats veröffentlicht. Vidal kommt zu dem Schluss, dass diese Ausgabe „ein ausgesprochenes Vergehen" sei, da die Desbarats dort „misshandelt, zerlegt, vollkommen zerstört erschienen sind, wenn man sie mit der vorhergehenden Ausgabe und mit der Form, die der Autor ihnen, wenn schon nicht mit der Feder, so doch in Gedanken, gegeben hat, vergleicht. Es ist ein Jammer".24 Diese Worte lassen ein ziemlich direktes Eingreifen vermuten, vor allem von
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23 24
Minos war der Sohn von Zeus und Europa. Er war König von Kreta. Poseidon zürnte ihm, weil er ihm nicht einen Stier opfern wollte, in den seine Frau Parsifae sich verliebt hatte und dem sie ein Ungeheuer gebar, den Minotaur. Minos verließ seine Frau und hatte verschiedene Liebesabenteuer. Die Zeit seiner Herrschaft als König war durch den Mord seines Sohnes Androgeu gezeichnet. Zur Rache forderte er von den Athenern die Übergabe von sieben Jungen und sieben Mädchen, die vom Minotaur verschlungen wurden. Theseus besiegte den Minotaur. Im Altertum wurde Minos, aufgrund seines Gerechtigkeitssinnes, als weiser König und großer Gesetzgeber betrachtet. Jaume VIDAL ALCOVER: „Pröleg", op. cit., S. 12. Die Kursivschrift stammt von mir. (P.R.B.) Jaume VIDAL ALVOCER: „Eis disbarats d"El Club deis Novel-listes'", op. cit., S. 205. Die Kursivschrift stammt von mir. (P.R.B.)
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dem Moment an, in dem er sagt, er interpretiere die Gedanken und Absichten, die Lloren? Villalonga nicht formuliert habe. Nicht weniger aufschlussreich ist der folgende Kommentar, den er 1985, also zehn Jahre später, über La Marquesa de Pax i altres disbarats macht, und zwar in der Bibliographie des Vorwortes zur spanischen Version des Romans Bearn, den der Verlag Cátedra vorbereitete: „Es handelt sich um eine von J. Sales, dem Verleger von CN, herausgebrachte Ausgabe, mit der dieser die dumme Absicht hatte, mich zu verbessern, und in welcher die Sprache, was ihre schwierigen dialektalen Redewendungen und familiären Ausdrücke angeht, die zweckmäßig von mir festgelegt worden war, abgeändert und gelegentlich um weitere „Ungereimtheiten" erweitert wurde, die den Text um nichts bereichern; außerdem veränderte er die Anordnung, in der ich die Stücke veröffentlichte, womit er beweist, dass er sie ungenügend und falsch verstanden hat".25 Natürlich ist der Gesichtspunkt der Sprache wesentlich, aber auch die Anordnung und die Art ihrer Einteilung haben ihre Wichtigkeit. Alle Wissenschaftler, welche die Theaterstücke von Lloren? Villalonga studiert haben, weisen auf die Unterschiede zwischen den neun Desbarats des ersten Teiles und den vier anderen, die im zweiten Teil des von Daedalus veröffentlichten Bandes zu finden waren, hin. Joaquim Molas,26 Josep M. Benet i Jornet,27 Jaume Pomar,28 Vicent Simbor29 und Enríe Gallén30 u. a. sind sich darin einig, dass den neun Desbarats des ersten Teiles eine volkstümliche Ausgangsbasis gemein ist, die sich vor allem durch den Willen, eine ganz bestimmte Gesellschaftsschicht darzustellen, durch den humoristischen Ton und durch den für diesen Kreis typischen Dialekt auszeichnet. Andererseits entfernt sich Villalonga von der Tradition des Sittenbildes, und ganz besonders vom „Regionaltheater" jener Zeit, indem er diesen Stücken eine neue persönliche Note gibt, die sich durch eine leicht groteske Distorsión und etwas Irrationalität auszeichnet.31 Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass Mort de dama ziemlich
25
Jaume VIDAL ALCOVER: „Introducción", in: Lorenzo VILLALONGA, Bearn o la sala de las muñecas, Madrid (1985), S. 39. Die Kursivschrift stammt von mir. (P.R.B.)
26
J o a q u i m MOLAS: Op. cit.,
27
J o s e p M . BENET I JORNET: Op. cit.,
28
Jaume POMAR: „Prólogo" in: Despropósitos, Bd. 2, Madrid (1974), S. 7-19. Erneut veröffentlicht unter dem Titel „Lloreng Villalonga o la crisi de la raó" in: Jaume POMAR: El meu Lloreng Villalonga, Mallorca (1995), S. 101-113. Vicent SIMBOR: „L'obra teatral de Lloren? Villalonga", Caplletra, 14 (Frühjahr 1993), S. 143-
29
30 31
S. 4 7 . S. 9 - 1 2 .
161.
E n d e GALLEN: „Estudi introduetori" in: Sis peces de teatre breu, Barcelona (1993), S. 9-16. In den Worten von Benet i Jornet, „innerhalb ihres gewollt niedrigeren Tones - hier liegt ihr volkstümlicher Ausgangspunkt - bilden die Stücke des ersten Teiles eine ganz besondere, stark persönliche Einheit, die den Vergleich mit anderen Autoren dieser Gattung erschweren. Im Grunde genommen schafft und erschöpft Villalonga eine neue Gattung, die wir, indem wie die überlieferte Bezeichnung beibehalten, .Desbarat' nennen können". Josep M. BENET I JORNET: Op. cit., S. 9.
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viele Gemeinsamkeiten mit dem volkstümlichen Sittenbild aufweist; auch ist es bezeichnend, dass die erste Ausgabe des Desbarats Cock-tail a un veipalau (1955) noch unter dem Pseudonym Dhey erschien. Man muss die Nähe, die zwischen der Welt des Dhey und jener der Desbarats des ersten Teiles besteht, berücksichtigen, um den Sinn ihres Humors und ihres Adelsbildes zu verstehen. Die Desbarats des zweiten Teiles zeichnen sich dagegen dadurch aus, dass sie vieles mit dem neuesten Theater jener Zeit gemeinsam hatte, dem absurden Theater, das philosophische Absichten allegorischen Ansatzes verfolgte. Vidal Aleover weist daraufhin, dass La Tuta i la Ramoneta, Festa Major und Alta i benemèrita Senyora eher Ionesco32 als Beckett nahe stehen; er unterstreicht auch die deutliche Anspielung auf Sartres Huis clos (1945), die am Ende des Stückes Alta i benemèrita Senyora zu beobachten ist. Man kann wohl gewisse gemeinsame Züge zwischen diesen Stücken und Villalongas ersten Desbarats finden; aber es ist schon etwas schwieriger festzustellen, ob die letzten, eher avantgardistischen Stücke das Ergebnis einer weiterentwickelten Distorsion von Logik und Wirklichkeit sind, so wie sie bereits in den ersten Stücken zu finden ist. Außerdem ist das plötzliche Auftauchen von absurd gefärbten Theaterstücken in einem Autor, der sich so oft gegen die Avantgarden, den Existentialismus und die Modeerscheinungen schlechthin ausgesprochen hat, eher überraschend. Josep M. Benet i Jornet fragt sich, ob Villalonga mit diesen Stücken im Grunde genommen nicht die neue Art des Theaters parodieren will. „Auf alle Fälle", so schließt er, „ist es schwierig zwischen Villalongas eigenem Spott und jenem, der für die Gattung charakteristisch ist, zu unterscheiden".33 Dem ist hinzuzufügen, dass der Gebrauch dialektaler Formen in diesen Texten, die im Zusammenhang mit dem modernsten und intellektuellsten Theater Europas zu sehen sind, widersprüchlich ist, wenn dies wohl auch eher Jaume Vidal Aleover als Villalonga selbst zuzuschreiben ist. Andererseits wurde bis jetzt nicht ausreichend unterstrichen, dass die vier kurzen Stücke wesentlich unabhängiger sind als der Rest dieser Werke Villalongas. Während einige der Desbarats des ersten Teiles sich in Kapitel verschiedener Romane verwandeln ließen, wie noch gezeigt werden wird, ist dies bei den anderen vier Stücken, ihrer Selbstständigkeit wegen, gar nicht möglich. 1974, ein Jahr vor Erscheinen des Buches La Marquesa de Pax i altres disbarats, hatte Damià Ferrà-Pong einen weiteren Text in Dialogform und mit dramatischer Struktur, deren Hauptpersonen Minos und Amaranta waren und
32
Enric Gallen meint hierzu: „Lloren? Villalonga eignet sich wohl das Sittenstück an, aber er zeigt auch in einigen Desbarats der Fünfzigerjahre Anklänge und Einzelheiten des neuen französischen Theaters jenes Momentes, ganz konkret des Theaters Ionescos". Enric GALLEN: Op. cit., S. 9.
33
J o s e p M . B E N E T I J O R N E T : Op.
cit.,
S. 9.
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der den Titel El Desconcili (Das Deskonzil) trug, in die Sammlung Narracions (Erzählungen) mit eingeschlossen. Jaume Vidal Aleover stellt dazu klar, dass dieser Desbarat nicht in seiner Ausgabe aufgenommen wurde, weil es damals lediglich einen von Villalonga nicht weiter ausgearbeiteten Entwurf davon gab. Mir ist nicht bekannt, warum auch Joan Sales ihn nicht in seine Ausgabe mit hineingenommen hatte, obwohl ich annehme, es lag wohl daran, dass er nicht im Einklang mit den anderen Stücken des Bandes steht: El Desconcili gehört weder in die Welt der Marquise de Pax, noch hat es den frischen und spontanen Humor, der den ersten Teil der Desbarats kennzeichnet, noch ist dem Stück die symbolische oder allegorische Dimension, die in den anderen vier Desbarats vorherrschend ist, zu eigen. Es handelt sich auf alle Fälle um einen Dialog mit kritischer Absicht über das Zweite Vatikanische Konzil, das Lioreni; Villalonga so viel Kopfzerbrechen bereitete. In seinem Artikel „Eis disbarats d"El Club dels Novel listes'", den er anlässlich des Erscheinens von La Marquesa de Pax i altres disbarats verfasst und später in Lloreng Villalonga i la seva obra (1980) erneut veröffentlicht hatte, weist Jaume Vidal Aleover noch auf das Vorhandensein eines weiteren Desbarats mit dem Titel Amor a l'Era Atòmica (Liebe im Atomzeitalter) hin, der auf Entscheidung des Schriftstellers selbst unveröffentlicht blieb.34 Ich danke hier Herrn Dr. Magi Sunyer, der so nett war, für mich das Archiv von Jaume Vidal Aleover, das sich in der Universität Rovira i Virgili befindet, nach diesem Desbarat zu durchsuchen, wenn auch das Ergebnis negativ war: Der Text von Amor a l'Era Atòmica befand sich nicht unter den Papieren dieses Professors und Schriftstellers aus Manacor; allerdings lässt die Tatsache, dass die bis jetzt durchgeführte Bestandsaufnahme unvollständig ist, noch eine Hoffnung auf ein künftiges Auftauchen des Stückes bestehen. Andererseits ist Herr Sunyer bei seiner Suche auf Texte gestoßen, von deren Existenz mir bisher nichts bekannt war. Der erste dieser jetzt gefundenen Texte ist ein sehr kurzes Theaterstück eine einzige Seite - mit dem Titel Nit de noces a l'any 2000 (Hochzeitsnacht im Jahre 2000), von Jaume Vidal Aleover übertragen und mit einem Kommentar versehen, der allem Anschein nach anlässlich der Veröffentlichung des Stückes geschrieben worden ist. Bei dem zweiten Text handelt es sich um ein
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„Ich bewahre noch ein paar Manuskriptblätter mit einem Desbarat auf, den wir, wahrscheinlich auf Villaiongas Entscheidung hin, nicht in meine Ausgabe mit eingeschlossen haben, und zwar einen Desbarat, der in der Zukunft angesiedelt ist und der den Titel Amor a l'Era Atòmica hat." Jaume VIDAL ALCOVER: „Eis disbarats d"El Club dels NoveHistes'", op. cit., S. 199. In seinem Vorwort zu Lloreng Villalonga i la seva obra erwähnt Vidal Alcover einen eigenen unveröffentlichten Text, den er anscheinend anlässlich einer Auffuhrung unter der Regie von Josep A. Codina geschrieben hatte: Lloreng Vilalonga i el „nonsense". Weiteres ist mir über diese Arbeit nicht bekannt.
Die Desbarats innerhalb des Gesamtwerkes von Llorenç Villalonga
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dialogiertes Vorwort zu den Desbarats, zusammen mit zwei weiteren kurzen Dialogen, deren Funktion zu sein scheint, die verschiedenen Desbarats miteinander zu verbinden.35 Es ist nicht schwer zu folgern, dass der Autor dieses Vorwortes und dieser kurzen Fragmente, welche die einzelnen Stücke einleiten oder verbinden sollten, Jaume Vidal Aleover ist (und nicht Llorenç Villalonga). Wahrscheinlich handelt es sich um Material für eine mögliche Aufführung. Dieses Vorwort wird von zwei Putzfrauen eröffnet, die auf der Bühne erscheinen, um in einem dialektfreien Katalanisch zu erklären, sie seien das Vorwort. Aber der Intendant weist sie hinaus und erklärt, was die Desbarats von Llorenç Villalonga sind. Er setzt sie u. a. mit den „décimes desbaratades" in Verbindung, von denen er eben die zwei Beispiele nennt, die Jaume Vidal Aleover in seinem Vorwort von 1965 angeführt hatte. Die Erste lautet wie folgt: Un dia, anant no sé on vaig encontrar no sé qui; jo li vaig dir no sé què, i eli no sé què em va dir.IV Hier die zweite „dècima desbaratada": Sa madona de can Costa dins sa sala hi té un mirali; com més va, més s'hi acosta i a davant hi fa un badali." Was nun das Stück Nit de noces a l 'any 2000 angeht, so gibt uns Jaume Vidal Aleover etwas Information in den Anmerkungen, die er seiner Übertragung beifugt. Darin gibt er darüber Auskunft, dass Llorenç Villalonga ihm diesen Text gegen 1964 oder 1965 gegeben habe, als er gerade die Veröffentlichung der Desbarats vorbereitete. Er sieht ihn im Zusammenhang mit Andrea Victrix und mit L'Esfìnx, weshalb er glaubt, er müsse aus derselben Zeit stammen wie der letzte dieser beiden Texte, also aus den Jahren zwischen 1962 und 1964.
D. h., es wird einerseits Sa Marquesa se disposa a anar a-n 'es teatro (Die Marquise schickt sich an, ins Theater zu gehen), dem Sa venguda de s 'Infanta (Die Ankunft der Infantin) folgt, und andererseits Festa Major vorgestellt. Es kann sich also nicht um die Inszenierung von Josep A. Codina aus dem Jahr 1970 handeln. Die Interlinearversion lautet etwa wie folgt: „Eines Tages ging ich, ich weiss nicht mehr, wohin / und traf, ich weiss nicht mehr, wen; / ich sagte ihm, ich weiss nicht mehr, was / und er, ich weiss nicht mehr, was er mir sagte". Zu den décimes desbaratades, s. Anm. d. Übersetzerin I. (Anm. d. Übers.) „Die Herrin des Hauses Costa / hat im Wohnzimmer einen Spiegel; / sie kommt ihm jedes Mal näher / und wenn sie davor steht, kommt ihr das Gähnen." (Anm. d. Übers.)
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Allerdings erklärt er nicht, warum er nicht veröffentlicht wurde. Im Rest seiner Anmerkungen geht es um sprachliche Aspekte des Textes, den er angeblich so übertragen hat, wie Villalonga ihn verfasst hatte. Das Thema der Verunmenschlichung der Zukunftsgesellschaft könnte vermuten lassen, dass es sich hier um eine anders betitelte Version des unveröffentlichten Desbarats Amor a l'Era Atömica handelt. Auf alle Fälle können wir das, während wir nicht über mehr Information verfugen, weder bestätigen noch bestreiten. Wenn Jaume Vidal Aleover ihn auch mit L'Esfinx in Zusammenhang bringt, so ist es meines Erachtens nicht klar, dass Nit de noces a 1 'any 2000 und El Desconcili in den Kreis der ersten Desbarats, deren Protagonistin die Marquise de Pax ist, gehören; ebenso wenig stehen sie im Einklang mit der zweiten Gruppe, die man mit dem absurden Theater verbunden hat.36 Auf alle Fälle handelt es sich um eine dritte Modalität, die der Autor dann nicht weiter entwickelt hat, und die eine Obsession um die Zukunft der modernen Gesellschaft ausdrückt, wie sie auch in einem großen Teil seines erzählerischen Werkes zu finden ist.
4. Datierung und Kontext Die allerersten Desbarats der ersten Gruppe wurden direkt nach Ausgang des Bürgerkrieges geschrieben, also in den Vierzigeijahren und Anfang der Fünfzigeijahre. Jaume Pomar hat einige Einzelheiten zur Datierung von drei dieser Stücke beigetragen. Er klärt auf, dass das Manuskript von Viatge a Lisboa en 1945 auf das Jahr 1950 datiert ist und sich auf die Reise, die Lloreng Villalonga und Teresa Gelabert zusammen nach Portugal unternahmen, stützt. Schenken wir den Falses memdries... Glauben, in denen es heißt, sie hätten auf der Rückreise von Fatima das Landstück Briones besucht - das Dona Maria Coli gekauft hatte - , dann können auch Bromes a la Manxa und A través de la Manxa nicht vor 1945 verfasst worden sein.37 Viatge a París en 1947 muss,
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In seinem The Theatre of the Absurd (1961) versucht Martin Esslin, den Begriff des „absurden Theaters" dem „existenzialistischen Theater" und der „poetischen Avantgarde" gegenüber abzugrenzen. Demnach unterscheidet sich das absurde Theater vom existenzialistischen darin, dass es keine eigentliche Handlung wie das herkömmliche Theater besitzt. Man findet dort nur aneinander gereihte Bilder, mit denen der Autor lediglich suggerieren will, ohne aber irgendeine eindeutige Mitteilung zu machen. Der Unterschied zwischen dem absurden und dem existenzialistischen Theater besteht nicht so sehr im Thema als in der Form, in welcher die Irrationalität des menschlichen Daseins behandelt wird. Die Ablehnung der diskursiven Sprache, der moralischen oder politischen Belehrung, die Einführung des Unverständlichen von einer absurden Ausgangssituation ausgehend, die kreisförmige Struktur des Dramas, der Gebrauch einer Sprache voller Wiederholungen und Doppeldeutigkeiten, die anonyme Gestaltung der Figuren, die sich auf das Wesentliche beschränkt, all das sind charakteristische Züge des absurden Theaters, das die existenzialistische Thematik mit aufgreift.
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A través de la Manxa ist auf 1945 datiert, und zwar in Klammern nach dem Titel, wahr-
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aufgrund eines Hinweises in einem Brief an Bernat Calbet, aus dem August 1949 stammen, was bestätigt, dass das Stück von der Reise in die französische Hauptstadt Ende Juni desselben Jahres ausgeht. Jaume Pomar weist auch darauf hin, dass Hiferen ben a prop 1953 datiert ist. Wie schon gesagt, wurde Cock-tail a un veipalau 1955 veröffentlicht. Also müssen die Desbarats, welche die erste Gruppe des 1965 erschienenen Bandes bilden, während der härtesten Jahre der Nachkriegszeit geschrieben worden sein. Trotz ihres spielerischen und unkomplizierten Charakters, enthalten die ersten Desbarats viele Anspielungen auf die Welt der Nachkriegszeit - und auf den Franco-Putsch - und zeigen sogar eine ziemlich kritische Haltung den etablierten Machtpositionen gegenüber. 1965 führte die Zensur noch einige Streichungen durch, die für sich selber sprechen, bevor das Buch die Erlaubnis zur Veröffentlichung erhielt.38 Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass Villalonga mit diesen Stücken lediglich einen Kreis von Freunden unterhalten wollte, was ihm erlaubte, seine Ideen frei auszudrücken. Die kritischen Anspielungen auf das Franco-Regime und die Gesellschaft der Vierzigeijahre beweisen, dass Villalonga sich damals nicht gerade mit den Vertretern der Macht identifizierte. Er hatte während des Krieges von der Falange Abstand genommen, als er die Verbürgerlichung der neuen Machthaber und die Korrumpierung der ursprünglichen Ideale durch jene, die nur danach strebten, eine gesellschaftlich privilegierte Stellung zu erreichen, feststellte.39 In diesen ersten Desbarats fin-
scheinlich um anzugeben, dass das Stück auf Tatsachen fußt, die in diesem Jahr passiert waren. „Die Zensur führte einige Streichungen auf den Seiten 50, 99, 113, 126 und 194 des Manuskriptes des Buches Desbarats durch. Diese Streichungen betreffen die Stücke A Lisboa en 1945 (,Es ist genau wie in Spanien. Anscheinend sind sich diese totalitären Regierungen alle ähnlich'); Bromes a la Manxa (,du denkst wie [Carrero] Blanco'); A través de la Manxa (1945) (zwei blasphemische Ausdrücke: ,y toa la hostia' und ,per l'esperii sant'), und zwei Paragraphen des Stückes L'esßnx: eine Ironie über .Josefina Vilaseca, die spanische Goretti' und eine weitere über Kinder, die Erwachsenen gehorchen, welche sich irren; beide Anspielungen sind der Figur des .Romanciers' in den Mund gelegt." Jaume POMAR: La rao i el meu dret, op. cit., S. 316. In Villalongas Diario de guerra ist zu lesen: „Die Falange verbürgerlicht sich - zumindest auf Mallorca. Sie verbürgerlicht sich selbst in ihrer Haltung. Schon sieht man Falangisten mit Bauch, was den eleganten Anzug entehrt. Und wenn ihre Figur schon nicht mehr jung ist (viele dieser Falangisten haben Läden und essen zweimal zu Abend), wie muss dann erst ihr Geist sein? Sie haben in der Falange Zuflucht gesucht wie Jahre zuvor in dem datismo [Stilmittel, das auf der nicht motivierten Wiederholung von Synonymen beruht; Anm. d. Übers.] und dann im demokratischen Spanien unter Alcalá Zamora. Sie haben nicht ein Wort von José Antonio verstanden, den sie nur als den Abwesenden achten. Ich kann mich noch an die ersten Falangisten Mallorcas erinnern. Damals dachte ich an nichts anderes als an meine Heirat. Und dennoch spürte ich jenen mystischen Hauch, der sich jetzt zu verlieren scheint. Wenn ich Nachtdienst hatte, hörte ich sie vom Irrenhaus aus auf die Roten schießen. In kürzester Zeit herrschte wieder Frieden auf Mallorca. Sie waren schlank, anonym und dunkel, eines leuchtenden Dunkels. Sie waren schweigsam und dynamisch." Lorenzo VILLALONGA: Diario de guerra, op. cit., S. 53-54.
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det man leicht Anspielungen auf das Thema der Monarchie, die von der Republik vertrieben wurde und nach Francos Sieg immer noch im Exil war. Das ist auch völlig verständlich, wenn man bedenkt, dass deren Hauptpersonen zum Adel gehören. In Viatge a Lisboa en 1945 sehnen sich die Figuren danach, den König zu treffen, der in Estoril sein Exil verbringt. Wahrscheinlich will Villalonga ja nur zeigen, wie sehr sich der Adel um den Untergang seiner Welt grämt.40 Es ist ganz offensichtlich, dass der Snob Lloren? Villalonga der Dreißigerjahre sich in der unzugänglichen Gesellschaft, die das Produkt der Nachkriegszeit war, nicht wohl fühlen konnte. Sa Marquesa se disposa a anar an 'es teatre enthält eine starke Brise Kritik am Nationalkatholizismus: Die Debatte über die Amoralität des Don Juan Tenorio verspottet den übertriebenen Moralismus der Zeit. Auch in Sa venguda de s 'Infanta sind ähnliche Stellungnahmen zu finden.41 Mehr noch als die moralische Engstirnigkeit jenes Momentes musste Villalonga allerdings die gesellschaftliche Veränderung, die der Bürgerkrieg mit sich gebracht hatte, bekümmern. Auch in Sa venguda de s'Infanta finden wir eine klare Verspottung der siegessicheren Slogans des Franco-Regimes: Gasparot, der Diener, kündigt an, dass sie gegen den Willen der Marquise de Pax der Infantin keine Schokolade anbieten können, und auch keine „Münzen, keinen Zucker, gar nichts. Da sollen sie noch einmal sagen, in keinem Haus soll das Brot fehlen..." (S. 42). Kurz danach, nachdem es dunkel geworden ist, fügt er noch hinzu: „Jetzt können wie schon sagen: Weder Brot noch Licht" (S. 43). Dann fahrt Gasparot mit Sehnsucht fort, die Kuchen und die Schokolade „von früher", „aus jener Zeit", zu preisen (S. 43).42 Die Not der Zeit wird noch deutlicher in Economia en 1940 widergespie-
Vilallongas Wunsch, die aristokratischen Ideale in der Welt der Falange zu finden, lässt sich einem Eintrag in sein Diario de guerra entnehmen: „Für viele ist der Nationalsyndikalismus eine rechte Bewegung. Eine Rückkehr zur alten Aristokratie. Wenn dies so wäre, hätten sie wohl meinen Beifall. Aber ich furchte, die von Herrn L.Z. jetzt verteidigten Werte haben weniger mit adligem Sonderrecht als mit den gehobenen Anreden des Bürgertums zu tun". Lorenzo VILLALONGA: Diario de guerra, op. cit., S. 39. Z. B. als die Schreiner, die im Palast von Can Serralta arbeiten und dabei ein paar Spiegel mit in Relief dargestellten Engeln verkehrt herum aufhängen und Felip, der Sohn der Marquise de Pax, dies respektlos findet; die Marquise allerdings macht das Ganze noch besser, indem sie dem Schreiner, der kein Katalanisch spricht, erklärt, er solle „die Köpfe der Tierchen nach oben hin hängen" (S. 34) [Verwechslung des spanischen „angelitos", Engelchen, mit „animalitos", Tierchen: Anm. d. Übers.] In einem im Dezember 1946 im Mundo Obrero erschienenen Artikel wird ebenso die Verlogenheit des Franco-Mottos in einer Situation fehlender Ernährungsmittel angeprangert. Siehe: David GINARD: La resistencia antifranquista a Mallorca (1939-1948), Palma (1991), S. 113. Von Josep Massot i Muntaner wurde mir mitgeteilt, dass der Konsul Hillgarth auf einen Slogan der Oposition hinweist, der,Menos Franco y más pan blanco", also „weniger Franco und mehr Weißbrot" forderte.
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gelt: fehlendes Papier, Wirtschaftskrise, ausfallender Tourismus, Schwarzhandel, Hungerlöhne usw. Aber in diesem Desbarat geht es vor allem um den Gegensatz zwischen der traditionellen mallorquinischen Gesellschaft, verkörpert durch den Baron wie auch durch die Köchin, und den neuen Regierenden, die nach dem Bürgerkrieg an die Macht gelangt sind und die durch die beiden spanisch sprechenden Beamten vertreten sind, die in den Palast gekommen sind, um die Steuern festzusetzen. Es handelt sich hier um eines der großen Themen, das im ganzen Werk Villalongas zu finden ist: das Thema einer Gesellschaft, die der Vergangenheit angehört und die durch eine neue ersetzt wird, welcher aber die Wurzeln fehlen. Es drückt auch die Furcht vor einer gleichmacherischen Welt aus, die Villalonga „Sozialismus" nennt und in der, neben den Unterschieden, auch die Feinheiten und die Formen verloren gegangen sein werden. Folgendes Dialogfragment zwischen der Baronin und der Köchin ist recht bezeichnend für Villalongas Haltung den Neuankömmlingen gegenüber, die sich ohne jede Tradition, auf die sie sich stützen könnten, dank Francos Putsch an Machtpositionen gekommen sind: Euer Gnaden sind zu gut. Gut oder einfältig, was vielleicht auf dasselbe heraus kommt. Kannst du dir vorstellen, dass mir die Kerle noch Leid getan haben? Sie machen doch alles nur weil sie ihre Prozente dafür bekommen. Sie selbst haben mir gesagt, sie kämen aus einer armen Familie (sie waren sehr stolz darauf) und erst die Franco-Bewegung habe ihnen den Aufstieg ermöglicht. KÖCHIN: Aber sehen Sie denn nicht, dass es Neureiche sind? Und Euer Gnaden geben ihnen noch heiße Schokolade! BARONIN: Weil sie um fünf gekommen und um neun gegangen sind... Natürlich habe ich sie nach der Schokolade allein gelassen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich zur Novene ginge, dass ich für meinen Teil fertig war. Sie haben die Hand zum Gruß gehoben und haben nur „Es lebe Franco!" gesagt. KÖCHIN: Das haben sie gesagt? Und das, wo wir hier so monarchisch sind! BARONIN: Jesus Maria... Meinst du vielleicht, die achten auf so etwas? Sie haben ja das Königsbild genau gesehen. Noch dicker ist aber, dass sie mir gesagt haben, wir wüssten uns nicht zu verwalten. Da die Leute selber kein Haus haben... Als sie in der Bewegung anfingen, das haben sie mir ja selber gesagt, da haben sie doch im Schweinestall geschlafen, im Krieg. (S.
KÖCHIN:
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Dennoch könnten die Schlussworte dieses Stückes nicht deutlicher sein. Vertreterin einer im Aussterben begriffenen Klasse, erklärt die Baronin schließlich, sie verstehe nicht „warum die Revolutionsregierungen es so eilig haben, die vier großen Häuser, die es noch gibt, zu ruinieren. Als ob sie sich nicht allein ruinieren könnten" (S. 58). Lloren? Villalonga ironisiert wieder einmal alle, ohne dabei selbst klar Stellung zu nehmen, er ist zweideutig wie immer. Die Schwierigkeiten, die die Behörden unter Franco zu machen pflegten, um die Ausreise der Spanier zu vermeiden, stellen ein Motiv dar, das in Viat-
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ge a Lisboa en 1945 und vor allem in Viatge a París en 1947 zu finden ist. Das Geschäft der Einflüsse, die Privilegien der Geistlichen - verkörpert in der grotesken Gestalt des P. Florejat - die Vernachlässigung der Herrenhäuser, die üblen Nachreden der Leute usw. gehen ebenso in den ersten Teil der Desbarats ein. Zweifellos sind in Viatge a Paris en 1947 einige der immer wiederkehrenden Themen in Villaiongas Werken zu finden: die Relativität des Adels, die Entmenschlichung der modernen Welt, die sich anziehenden Gegensätze, das Absurde, zu dem die Vernunft fuhren kann, der Sport, die Homosexualität, die Wichtigkeit der Formen, die Möglichkeit eines erneuten Erlebens dank der Erinnerung und der Träume, die Unmöglichkeit der absoluten Wahrheit usw. Es handelt sich um eines der interessantesten Stücke des Bandes, in dem bereits der ganze Reichtum der literarischen Welt von Bearn vorhanden ist. Die Veröffentlichung dieses Desbarats 1956 zusammen mit Faust zeigt, dass Villalonga sich dessen bewusst war, dass er zu dem Material gehörte, das später die Sage um Bearn bilden sollte, das reichhaltigste und persönlichste seines ganzen Schaffens. In dem Stück Bromes a la Manxa geht es um die Widerstandsgruppen, die es auf der spanischen Halbinsel in den Jahren nach dem Bürgerkrieg gab. Erneut stehen wir vor einem Stück, welches das Aufeinanderprallen zweier entgegengesetzter Gesellschaftsgruppen widerspiegelt: Auf der einen Seite befindet sich der Adel, verkörpert durch die Marquise mit ihrem Familien- und Freundeskreis, auf der anderen das Widerstandskommando, welches das Gut Briones angegriffen hat. Allerdings bewirken hier, im Unterschied zu Economía 1940, die Erziehung und die guten Formen - also das, was wirklich die Aristokratie auszeichnet dass der Konflikt in einer Übereinkunft endet, die sich dann sogar in gegenseitige Sympathie umsetzt. Die Rückständigkeit und die Armut des Spaniens der Nachkriegszeit erscheint auch in A través de la Manxa, z. B. durch die Autos mit Gasgenerator, die Angst vor Überfällen, die schwierigen Reiseverbindungen usw. Dennoch kündigen sich hier schon einige der wichtigsten Themen der späteren Werke von Lloreng Villalonga an, z. B. die Relativität von Begriffen wie Adel, Mut oder Freiheit. In Hi feren ben aprop ist die Kritik am Klerikalismus besonders ausgeprägt, vor allem in der Figur des P. Florejat, eines „lächelnden, parfümierten, sauberen" Geistlichen „mit Goldzähnen", der in Begleitung von „zwei kleinen Teufelchen", rot und nicht größer als ein Käfer, erscheint. Villalonga macht sich über die Bürokratisierung der Kirche lustig. Im Hause der Familie de Pax wird jedes Jahr der Standort der Kapelle gewechselt, ohne den Bischof um Erlaubnis dafür zu bitten, weshalb die Messe, die sie am Heiligen Abend dort feiern, keine Gültigkeit besitzt. Als das Haus einstürzt und alle dabei umkommen, sind seine Bewohner im Begriff, in die Hölle zu kommen, wo sie auf Gregorio Marañón, Ortega y Gasset, Einstein, Sartre und die Existenzialisten usw. treffen. Schließlich vergibt der Heilige Petrus ihnen allen, nur der P. Flo-
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rejat wird in den Limbus geschickt, weil „ihm Haare auf der Tonsur wachsen" (S. 170). In Hiferen ben aprop sind Themen wie die Relativität von Gut und Böse und, in gewisser Weise, die Unnötigkeit der Strafe zu finden. Wie später auch im Fall der Dona Xima in Bearn, sind die Protagonisten nicht schuldig, weil sie „in erster Linie aus Einfalt gesündigt haben" (S. 169). Der P. Florejat glaubt, dass die Marquise ihre Seele retten wird, denn Gott wird nicht erlauben, „dass sie im letzten Moment nicht doch eine Geste der Reue zeigen wird" (S. 166); wie Dona Maria Antonia de Bearn meint auch er, dass „Gott die Dinge gut einrichtet und macht, dass wir im Alter gut werden, um so unsere Seele retten zu können".43 Und wie Don Toni de Bearn, führte der Selige Tomassi, von dem der P. Florejat eine Biographie verfasst hat, „in seiner Jugend ein ausschweifendes Leben" (S. 158), um dann im Alter ganz anders zu leben. In Cock-tail a un vei palau dagegen ist der gesellschaftliche Hintergrund bei einem späteren, den Fünfzigeijahren näher stehenden Zeitpunkt, zu suchen.44 Die Eingangsverse - bei denen es sich eigentlich um ein Pastiche handelt - siedeln die Handlung „Anfang September, / im Jahre neunundvierzig" (S. 173) an. Man findet dort Anspielungen auf die vorgesehene Eröffnung der Allee namens Avinguda Jaume III (1956), die Atomenergie oder die Ankunft der italienischen Flotte im Hafen von Palma; auch kann man die einsetzende Rückkehr des Tourismus zwischen den Zeilen lesen. Hauptthema ist das Ersetzen der alten Bräuche durch neue, die von außen hereingetragen worden sind. Die beiden in der Ausgabe des Verlages Club Editor hinzugefügten Desbarats, Na Bàrbara Titana i el general und Cock-tail en un nou palau, geben ebenso einen später angesiedelten gesellschaftlichen Hintergrund wieder, der eher in die Fünfziger- oder sogar in die Sechzigeijahre passt, also nachdem der Fortschritt die Unruhe auf die Insel gebracht hatte. Beide müssen nach der Ausgabe von 1965 geschrieben worden sein, denn Jaume Vidal Aleover hätte sie in seinen kritischen Anmerkungen zumindest erwähnt, wenn sie nicht in den Band aufgenommen wären. In Na Bàrbara Titana i el general behandelt Villalonga erneut das Thema der überflüssigen Strafe, das auch einige seiner Erzählungen, wie Mitja hora tard (Eine halbe Stunde zu spät), Charlus a Bearn (Charlus in Bearn) oder L'encobridor (Der Hehler) zum Gegenstand haben. Cock-tail a un nou palau ist wieder eine Satire auf die neu eingeführten Moden und Sitten, welche die eigenen Bräuche der mallorquinischen Gesellschaft ersetzen.
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Lloren? VILLALONGA: Obres Completes, II. Novel la, 2, Barcelona (1993), S. 207. Im Diario de guerra wird eine Cocktailparty erwähnt, die 1937 auf dem Gut Galatzö, Eigentum des Hauses Can Ferrandell, gefeiert wurde, auf dem Villalonga und seine Frau ein paar Urlaubstage verbrachten. Diese Cocktailparty scheint aber nicht jene gewesen zu sein, die den Stoff für den Desbarat geliefert hat.
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Es wurde darauf hingewiesen, dass die Sprache dieser Desbarats, mit ihrem ständigen Hin-und-her-Springen zwischen Spanisch und Katalanisch abgesehen von anderen Sprachen - und mit ihren lexikalischen Lehnbildungen, die soziolinguistische Lage der Unterordnung des Katalanischen unter das Spanische widerspiegelt.45 Der volkstümliche Hintergrund dieser Desbarats erleichtert das Einsetzen einer Sprache, die auf ihre Korrektheit verzichtet, um die lebendige Sprache treuer nachzuahmen. In diesem Sinn muss dem Eingreifen der Herausgeber, vor allem der Hand von Jaume Vidal Aleover, mit großer Skepsis begegnet werden. Es ist ganz klar, dass viele der Inkohärenzen und der Gebrauch von auf Mallorca nicht gängigen Formen und Ausdrücken (wie „ noltres ", „ voltres "), die in der Ausgabe des Verlages Club Editor zu finden sind, nicht Lloren? Villalonga zuzuschreiben sind; auf alle Fälle muss Joan Sales hier zur Verantwortung gezogen werden. In anderer Weise scheint Jaume Vidal Aleover sehr direkt auf die Sprache der Desbarats mitgewirkt zu haben, denen er einen Zusammenhang gegeben hat, den sie zuvor wohl nicht hatten.46 Dieser eher für einen Philologen sprechende Zusammenhang steht im Widerspruch zu dem, was er über Villalonga sagt; dieser benutzt wohl aufgrund seiner Herkunft und Erziehung „keine vollkommen korrekte Sprache", aber er „reagiert instinktiv einem falschen Wort gegenüber".47 Dieses Argument scheint mir reichlich ungenügend. Aber der Artikel „Eis disbarats d',El Club deis Novel-listes'" macht einen noch argwöhnischer, wenn man dort liest, wie Vidal Aleover von seinen Nachfragen, die er bei dem Romancier über den Gebrauch eines Wortes oder einer bestimmten Form machte, berichtet. Gleichzeitig behauptet er, die höchstmögliche Treue anzustreben, und zwar „nicht nur dem gegenüber, was er [Lloren? Villalonga] geschrieben hatte [...], sondern dem gegenüber, was er gedacht und oft nicht zu Papier gebracht hatte, weil ihm dazu die dementsprechenden Kenntnisse der katalanischen Sprache fehlten".48
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„In den Stücken des ersten Teiles entspricht der Sprachwechsel der Figuren ins Spanische einem ganz bestimmten historischen Moment. Er spiegelt die Stimmung der direkt auf den Krieg folgenden Jahre, also der Vierzigeijahre, wieder, und zeigt einen der Faktoren auf, der die kollektiven Identitätsmerkmale einiger Volksgruppen auf offizielle Anordnung hin auflöste und atomisierte." Jaume POMAR: El meu Lloreng Villalonga, op. cit., S. 106. Außerdem ist es sehr einfach, gewisse, in den Desbarats benutzte, grammatikalische Formen - wie die schwachen Pronomen „eise" oder „elsi" - in Schriften von Jaume Vidal Aleover wiederzufinden, ja sogar in einigen seiner Essays, wo das Argument, in den Dialogen zu Dialektalismen zu greifen um dadurch mehr Realismus und Glaubhaftigkeit zu erreichen, nicht anwendbar ist. Jaume VIDAL ALCOVER: „Pröleg" in: Desbarats, op. cit., S. 14. Jaume VIDAL ALCOVER: „Eis disbarats d',El Club dels Novel listes'", op. cit., S. 204. Die Hervorhebung durch Kursivschrift stammt von mir. (P.R.B.)
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Wie bereits erwähnt, die vier kurzen Texte des zweiten Teiles der Desbarats sind von denen des ersten Teiles ziemlich verschieden. Sie müssen zwischen die zweite Hälfte der Fünfzigeijahre (1956-57) und Anfang der Sechzigeijahre (1963) datiert werden. Also müssen sie im Anschluss an die letzten Stücke der anderen Reihe von Desbarats verfasst worden sein. Diese Tatsache lässt uns vermuten, dass das ursprüngliche Ziel, das in der Linie des Sittenbildes anzusiedeln ist, sich dem Einfluss des europäischen Theaters jener Zeit ausgesetzt sah, wobei wahrscheinlich der Wechsel des Publikums, an das der Autor sich jetzt richtete, einiges beigetragen haben muss. Wenn also 1956 der erste Desbarat, Cockt-tail a un veipalau, veröffentlicht wird, dann beginnt Villalonga kurz danach, möglicherweise noch in demselben Jahr, die Stücke des zweiten Teiles zu schreiben. Sicherlich merkt der Autor, dass er ihnen, wenn er sie außerhalb des Familienkreises der Coll-Maroto auffuhren will, eine solidere, intellektuell anspruchsvollere Grundlage geben muss, vor allem um sich vom mallorquinischen „Regionaltheater" zu distanzieren. Josep M. Llompart machte schon 1964 auf den Widerspruch aufmerksam, der für Villalonga daraus entstand, sich künstlerische Voraussetzungen aneignen zu müssen, an die er eigentlich gar nicht glaubte. Deshalb sah Llompart diese Stücke mit den vorangegangenen in folgendem Zusammenhang: Früher schrieb Villalonga zum Vergnügen Stücke „eines gewissen absurden Theaters avant la lettre, für den Hausgebrauch und mit lokalpatriotischer Färbung. Jetzt hat er ihnen einen transzendenten Inhalt gegeben [...], ohne dabei aber die Atmosphäre der Leichtigkeit, ja sogar einer Art weltlichen Frivolität, an der er so viel Gefallen findet, zu verlassen".49 Vicent Simbor hat darauf hingewiesen, dass dieser kurze Abstecher in das absurde Theater auch dem Einfluss von Baltasar Porcel zuzuschreiben sein könnte. Nach dessen eigener Auskunft, schlug er Villalonga die Handlung und ein paar Bühnentechniken für Alta i benemèrita Senyora vor; außerdem hat die Hauptfigur eine Freundin von ihm aus Vallvidriera zum Vorbild. Ein von Porcel zitierter Brief lässt zu, die Idee für dieses Stück gegen April 1961 zu datieren.50 Es behandelt das Thema des Todes, der in der Figur der Senyora symbolisiert ist, während die Figur der Kellnerin das Schicksal darstellt. Der Einfluss des Existenzialismus, mit seinem ausdrücklichen Hinweis auf Sartres Huis clos, ist in diesem Stück klar erkennbar. Benet i Jornet sieht darin auch einige Gemeinsamkeiten mit Tècnica de cambra von Manuel de Pedrolo. Die Symbolhaftigkeit von Alta i benemèrita Senyora vermeidet Hinweise auf soziale und historische Zusammenhänge des Momentes, wenn auch die Figuren
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Josep M. LLOMPART: „Dues tragédies de Llorenç Villalonga" in: Llorenç Villalonga, Aquilles o l'impossible. Alta i Benemèrita Senyora, Palma de Mallorca (1990), S. 14. Baltasar PORCEL: Els meus inédits de Llorenç Villalonga, Barcelona (1987), S. 11.
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des Generals und der Arbeiter als Hinweis auf die Situation unter Francos Regime verstanden werden können. Ebenso ist festzuhalten, dass die erste Veröffentlichung dieses Desbarats, der zusammen mit Aquilles o l'impossible in einem Band des Verlaghauses Moll erschien, in genormtem Katalanisch geschrieben war. Die Ausgabe von Viatge a Paris de Minos i Amaranto, en 1947, die zusammen mit Faust ebenfalls bei Moll erschien, benutzt dagegen eine dialektale Variante. Zweifellos ist der Gebrauch einer Sprache, welche die alltägliche Umgangssprache wiedergeben will, in der ersten Gruppe der Desbarats sinnvoll, aber sie passt nicht zu den Ansprüchen der Stücke des zweiten Teiles. L'Esflnx stellt ein in Villalongas Werk sehr stark vertretenes Thema vor: die Inexistenz der absoluten Wahrheit. Die Tatsache, dass die Handlung des Stückes in der Zukunft angesiedelt ist, hat ermöglicht, es im Zusammenhang mit Andrea Victrix zu sehen, obwohl es wahrscheinlich aus der Erinnerung an eine 1929 nach Paris unternommene Reise heraus entstand.51 Aber die Anwesenheit der Figuren von Tomeu und Xima, wie auch das Thema des faustischen Wissensdranges, bringen es mit der Welt von Bearn in Verbindung. Die Hinweise auf den politischen Hintergrund sind ziemlich bedeutend: Das Land wird hier von einem Präsident-Inquisitor gelenkt, der „das Gift verloren hat und sich allem anpasst" (S. 207); das Volk ist der Lage müde, aber das Land lebt in Wirklichkeit vom Tourismus und hängt von der „Europäisch-Amerikanischen Gemeinschaft" (S. 190) ab. Das Bühnenbild von La Tuta i la Ramoneta rechtfertigt den Gebrauch eines Dialekts - dieses Mal ist es die in Barcelona gesprochene Mundart - , und der Titel des Stückes bezieht sich auf eine beliebte Redewendung.52 Das Stück kritisiert das Wertesystem der bürgerlichen Gesellschaft, das die Wirklichkeit kostümiert und seine Grausamkeit nicht wahrnimmt. Enric Gallén hat darauf hingewiesen, dass das Verhalten der Figuren Tuta und Ramoneta „bestimmten gegensätzlichen Konflikten entspricht, die im Gesamtwerk des Autors zu fin-
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In den Falses Memdries ist eine Erinnerung an die Reise 1929 nach Paris zu finden, die der Ausgangspunkt für diesen Desbarat sein könnte: Villalonga evoziert dort „eine junge, schlanke, parfümierte Frau", die in einem Restaurant saß und sowohl „Damenschneiderin als auch Herzogin", Liebhaberin oder Lehrerin hätte sein können, weshalb er sie ,,L'Enigma" (Das Rätsel) nennt. „Hätte ich es vermocht, ich hätte daraus einen Roman gemacht", meint er dazu. Lloren? VILLALONGA: Falses memöries..., op. eil., S. 114. Dieselbe Erinnerung ist auch in Viatge a Paris en 1947 und im Kapitel IX von La gran batuda (Die große Treibjagd) zu finden. In L'Esflnx spielt die Handlung auf einer Terrasse eines eleganten Cafés einer fast griechisch anmutenden Mittelmeerinsel. In Falses memöries... und in Viatge a Paris spielt sie dagegen in der französischen Hauptstadt. In La gran batuda findet sie schließlich in einem Lokal von Formentor de Palma statt. „Fer la puta ramoneta" (,jmdn. mit Liebenswürdigkeiten und Schmeicheleien täuschen'); „fer la puta i la ramoneta" (,ein doppeltes Spiel treiben, doppelzüngig handeln').
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den sind, wie z. B. dem Konflikt zwischen Vernunft und Wahnsinn oder zwischen Intelligenz und Einfalt".53 Deshalb wurde dieser Desbarat auch im Zusammenhang mit La novella de Palmira (Der Roman der Palmira) gesehen, in der Villalonga ebenso die Dualität im Verhalten der Hauptfigur beschreibt; es wäre aber auch denkbar, dass er damit dem Roman La gran batuda (Die große Treibjagd) vorgreift, in dem die Schwestern Lili und Nüria die beiden Gegensätze verkörpern. Das Stück scheint von den antagonistischen psychologischen Prozessen von Unterdrückung und Enthemmung auszugehen.54 Das Theater innerhalb des Theaters ermöglicht es Lloren? Villalonga, den Gegensatz zwischen innerer und äußerer Wahrheit, zwischen Unterbewusstsein und Bewusstsein darzustellen. Tutas Ermordung durch ihre Mutter, mit der Komplizenschaft der Ramoneta, wird dem Publikum, dem lediglich ein harmloses „Sittenbild in einer Familie wie jeder anderen auch" (S. 225) vorgestellt werden soll, verheimlicht. Seltsamerweise ist dies der einzige der vier Desbarats der zweiten Gruppe, der nicht den Untertitel „Tragödie" trägt. In den Augen von Enric Gallen macht Villalonga sich hier über eine Theatergattung lustig, die er parodiert, nämlich das Sittenbild oder das „Regionaltheater"; gleichzeitig prangert er die falsche Moral unserer Gesellschaft an.55 Das Bühnenbild und die Figuren in Festa Major56 rücken dieses Stück in die Nähe der Desbarats des ersten Teiles. Es spiegelt die Dekadenz der mallorquinischen Aristokratie - die gegen Geld den Fremden ihre Paläste vorfuhrt oder sie in Tanzsäle verwandelt - und den Zusammenprall ihrer engstirnigen Moral mit den neuen Sitten wider. Die Tatsache, dass niemand außer dem Hausherrn an der Hintertüre vorbeigehen kann, fuhrt allerdings zu einer absurden Lage, die an die Filme eines Bunuel erinnert. Hiermit will Villalonga die willkürliche Grenze einer Moralität und einer Lebensart symbolisieren, die im Verschwinden begriffen sind, wie es der Einfall der Decke in der
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Enric GALLÉN: Op. cit., S. 12.
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Enric Gallén weist daraufhin, dass Josep M. Sagarra in La Llücia i la Ramoneta (1928) bereits das Thema der zwei Schwestern mit gegensätzlichen Haltungen und Eigenschaften (Passivität/Aktivität, Resignation/Energie) behandelt hatte. Es ist aber nicht anzunehmen, dass Villalonga, der die katalanische Literatur nicht besonders gut kannte, Sagarras Stück gelesen oder gesehen hat. „Indem Villalonga in La Tuta i la Ramoneta die kulturelle Funktion einer bestimmten Theatergattung und einer bestimmten Gesellschaft, die sich dem Absurden nähert, hinterfragt, nachahmt und vielleicht anprangert, nimmt er eine ähnliche Haltung an wie z. B. Ionesco bei der Uraufführung seiner La chantrice chauve, in welcher dieser Schriftsteller rumänischen Ursprunges eine Parodie der Mechanismen des naturalistischen Theaters in der Form eines Antistückes vorstellt." Enric Gallén: Op. cit., S. 15. Der Titel Festa major stimmt mit einer Erzählung überein, die Miguel Villalonga in Fantasia (Madrid 1946), S. 1-6 veöffentlicht hat. Maria del C. BOSCH: „Àlgebra bibliogràfica", Affar,
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Schlussszene zu bestätigen scheint. Man muss Festa Major daher in Verbindung mit Economia en 1940 und Filemö i Baucis (Philemon und Baucis) sehen; letzere ist die dramatische Fassung des zweiten Teiles des Romans Beam o la sala de nines (Beam oder das Puppenkabinett).
5. Intertextualität Der Zusammenhang zwischen Lloren? Villaiongas Theaterstücken und Romanen ist schon vielfach hervorgehoben worden. Manchmal waren die Dialoge der Ausgangspunkt für das Weiterverarbeiten des Materials in den Romanen. Andere Male dagegen entstanden die Theaterversionen nach den ihnen entsprechenden Romanen. Vicent Simbor meint, das Gewicht des Dialoges im Werk dieses Schriftstellers sei die Folge seines Romanverständnisses, da dort „die Figuren sich durch sich selbst definieren müssen", statt von dem Wissen ihres Autors abzuhängen. Da er weder den inneren Monolog noch die freie indirekte Rede o. Ä. verwendet, muss Villalonga zum Dialog greifen, „um die Persönlichkeit seiner fiktionalen Geschöpfe zeichnen zu können".57 Die enge Beziehung, die zwischen seinen Erzählungen und den Theaterstücken besteht, erlaubt Villalonga, einige der Desbarats in Romankapitel oder in fragmentarische Romankapitel - zu verwandeln. So findet Viatge a Lisboa en 1945, stark verdichtet und ziemlich verändert, in die ersten Seiten des zweiten Kapitels (mit dem Titel „Maria Antonia, cosina de Palmira", also „Maria Antonia, Palmiras Cousine") des Romans La Novel la de Palmira (1952) Eingang. Aus der Reise nach Portugal ist die Hochzeitsreise von Tonet und Maria Antonia geworden, und der Pater ist der Pfarrer von Bearn. Genau gesehen nimmt der Roman nur noch die Anekdote eines Marquis auf, der die mallorquinische Pilgergruppe mit ihrem Geistlichen zusammen geführt hat, abgesehen von einer Anspielung auf die Gegenwart der exilierten Monarchen in Estoril und einigen Überlegungen über das 18. Jahrhundert und den rationalistischen Geist der Aufklärer. Die Ausgabe dieses Romans im Jahr 1972 unter dem Titel Les ruines de Palmira (Palmiras Verfall) nimmt zwei weitere Desbarats auf: Bromes a la Manxa, das zum neunten Kapitel („Devesa de Briones", „Das Gut Briones") wird, und Cock-tail a un vei palau, das seinen Titel beibehält („Cock-tail en un vell palau") und zum zehnten Romankapitel wird. „Devesa de Briones" führt einige Hinweise auf die Strecke ein, die das Taxi von Alacant bis zum Grundstück der de Pax in der Meseta zurücklegt, was an das Leitmotiv des Desbarats A través de la Manxa erinnert. Ansonsten folgt das Einfügen des „Desbarats" in den Roman ziemlich nahe dem Origi-
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V i c e n t SIMBOR: Op. cit., S. 145.
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naltext, mit ein paar Abänderungen. Dagegen ist das zehnte Kapitel, „Cocktail a un veli palau" grundlegend verändert, und Villalonga verwendet das Stück nur teilweise. Carme Bosch hat daraufhingewiesen, dass das vierte Kapitel („La Palmira a París?", „Palmira in Paris?") „allerdings reichlich entfernt an das Theaterstück Viatge a París en 1947™ erinnert", obwohl hier die Ähnlichkeiten vor allem daraus entstehen dürften, dass beide Texte von der 1949 wirklich unternommenen Reise ausgehen. Auf die Verbindung von La Tuta i la Ramoneta mit La novel la de Palmira und La gran batuda, die das Thema der Dualität der Titelgestalt gemeinsam haben, und ebenso mit L'Esfinx und Andrea Victrix, ihres zukunftsgerichteten Inhaltes wegen, der auch in einigen der kürzeren Erzählungen zu finden ist, habe ich bereits hingewiesen. Eigentlich kann man die Desbarats mit beinahe allen Werken Villalongas in Zusammenhang bringen, des ständig präsenten Themas des Kampfes zwischen Vernunft und Irrsinn wegen, das in vielen seiner Romane erscheint, vor allem aber im Zyklus „la raó i eis seus esperits", „die Vernunft und ihre Geister".59 Die Gegenwart verschiedener Helden aus Villalongas erzählerischem Werk in den Desbarats stärkt die Einheit von Villalongas Welt. So wurde die Figur der Marquise de Pax mit Dona Obdúlia in Zusammenhang gebracht, obwohl hier die Muttergestalt positivere und familiärere Züge trägt als die Heldin von Mort de Dama. Minos und Amaranta nehmen Don Toni und Dona Maria Antonia de Bearn vorweg, wie schon gesagt. Andere Figuren aus dem Roman Bearn o la sala de les nines (1956) - wie z. B. Xima, Tomeu und Catalineta oder Bàrbara Titana - erscheinen erst in späteren Desbarats.60 Vor allem aber ist hier darauf hinzuweisen, dass es die Familie de Pax der Desbarats ist, die, wohl durch den Einfluss von Joan Sales, in verschiedenen Romanen und späteren Bearbeitungen Eingang findet. So nimmt die Neuaus-
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Maria C. BOSCH: Op. cit. S. 63. Dieser Zyklus läuft auch unter dem Namen „De la raó i eis seus dimonis", „die Vernunft und ihre Dämonen". Dazuzurechnen sind die Romane Desenllaf a Montlìeó (Ende in Montlleó), L'àngel rebel (Der rebellische Engel) (oder Fio la Vigne), Les Fures (Die Frettchen), La gran batuda (Die große Treibjagd), La Lulü (Luluj Lulü regina (Königin Lulü) und Andrea Victrix, sowie, abgesehen von den Desbarats, das Theaterstück Aquilles o l 'impossible (Aquilles oder das Unmögliche). Ebenso könnte man den unvollendeten Roman La bruixa i l'infant orat (Die Hexe und das irre Kind) dazuzählen. Andererseits bringt der Schluss von Mort de Dama, La novel la de Palmira, Desenllaf a Montlleó und Bearn o la sala de nines den Sieg der Un-Vernunft, des Irrsinns und des Absurden mit sich. Wie Jaume Vidal meint, trägt die Vernunft (oder die Zivilität) nur in den Werken des Phädra-Zyklus, also in Fedra (Phädra), L'hereva de dona Obdülia (Dona Obdülias Erbin), Silvia Ocampo und Un estiu a Mallorca (Ein Sommer auf Mallorca) den Sieg davon. Bàrbara Titana ist in Cock-tail a un vei palau und in Bàrbara Titana i el general wiederzufinden; das Paar Tomeu und Catalineta und vor allem Xima, die eine sehr bedeutende Rolle spielt, erscheinen auch in L'esßnx, obwohl ihre Züge große Unterschiede aufweisen.
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Pere Rosselló Bover
gäbe von L'àngel rebel (Der rebellische Engel) (1961), Fio la Vigne (1974), drei neue Kapitel auf (IV, VII und XLII), um das Liebesabenteuer von Madame Dormand und dem Sohn der Marquise, Felip de Pax, zu schildern. Dabei handelt es sich um einen Zusatz, der eigentlich die Einheit des Romans zerstört. Auch im dritten Teil der Falses memòries de Salvador Orlan (Falsche Memoiren des Salvador Orlan) - dem einzigen Werk, in dem die Einfuhrung der Marquise und ihrer Familie gerechtfertigt ist - werden ein paar Anekdoten in Verbindung mit den Pax erzählt (Kapitel III, VI und VII), aber nur die, die sich auf die Reise nach Fatima bezieht (Kapitel VIII) steht in einem direkten Zusammenhang mit einem der Desbarats, nämlich Viatge a Lisboa en 1945. Und schließlich konnte die Marquise de Pax auch nicht in La gran batuda fehlen, einem Roman, in dem die repräsentativsten Gestalten aus Villalongas Erzählwelt auftreten. Aus all dem Dargestellten könnten wir die Frage ableiten, warum wir nicht auch diese in den Romanen auftauchenden, erzählerischen Fragmente als Desbarats betrachten. Natürlich ist dies eine theoretische Frage, welche die Flexibilität dieser „Gattung" nur unterstreicht. Villalonga beschließt also - wahrscheinlich auf Bitte des Joan Sales hin - neue Desbarats in Form von „Kapiteln" zu schreiben, die er in vorher verfasste und veröffentlichte Romane einfugt, um diese zu verlängern oder um dort die besonders gelungene Figur der Marquise de Pax einzuführen. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, dieses Material in eine neue Reihe von Desbarats, mit erzählerischer oder szenischer Struktur zu verwandeln, denn diese Zusätze schaden der Einheit des Romans, mit dem sie gar nichts zu tun haben.
6. Schlussfolgerungen Zusammenfassend kann man sagen, dass die Desbarats, obwohl sie unabhängig vom Restwerk Villalongas entstanden sind, doch eng damit verbunden sind, was die vielseitigen Beziehungen erklärt, die zwischen diesen Texten und ein paar seiner Romane gesehen wurden. Nach all dem, was ich dargestellt habe, ist der Begriff „Desbarat" meines Erachtens eher für die Stücke, die in der Ausgabe von 1965 in den ersten Teil aufgenommen wurden, zutreffend. Die des zweiten Teiles dagegen haben ihre Entsprechung in den Grundzügen des fortschrittlichsten Theaters, das in den Fünfziger- und Sechzigeijahren auf den europäischen Bühnen gespielt wurde. Eben deshalb ist der Gebrauch einer mundartlich oder umgangssprachlich gefärbten Sprache nur in den ersten Desbarats und in La Tuta i la Ramoneta sinnvoll, da der Autor dort ganz bestimmte Figuren und Milieus darstellen will. Dagegen wäre die Verwendung eines der Norm folgenden Katalanisch passender für den allegorischen und universalistischen Ansatz der anderen Stücke (L'Esfinx, Festa Major und Alta i Benemèrita Senyora).
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Schließlich bringen die Desbarats Lloreng Villalongas kritische Haltung der neuen, im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg entstandenen Gesellschaftsklasse gegenüber zum Ausdruck. Vor allem aber machen sie das Verdrängen von Gesellschaftsgruppen und Lebensweisen, die im Verschwinden begriffen sind und die durch neue ersetzt werden, die nicht denselben Reichtum an Tradition und Geschichte besitzen, offensichtlich. PERE ROSSELLÖ BOVER
Universität de les Illes Balears
Josep A. Grimalt
Religion und Aristokratie in Lloreng Villalongas Werk Dieser Artikel beruht inhaltlich auf der Konferenz, die ich in Binissalem am 22. November 1997 innerhalb des Programms „Col-loqui Lloren? Villalonga" gehalten habe, das eben an dem Tag endete. Diese Konferenz war unter dem Titel „La religio a l'obra de Lloren? Villalonga" (Die Religion in Lloren? Villalongas Werk) angekündigt worden. Ich bemerkte aber bald, dass es mir innerhalb der Zeit, die eine Konferenz besser nicht überschreiten sollte, nicht möglich sein würde die Fragen, die ich behandeln müsste, um dem Titel gerecht zu werden, auch nur annähernd darzustellen. So beschloss ich also, mich auf nur eine dieser Fragen zu konzentrieren, und zwar auf die Konfrontation zwischen zwei Grundwerten der im Werk Villalongas dargestellten Welt: Aristokratie und Religion. Meine Erfahrung als Leser seiner Schriften sagt mir, dass dort beide Themen eine Schlüsselrolle spielen und daher eine ausfuhrlichere Untersuchung beanspruchen als die hier durchgeführte, die lediglich ein paar Grundlinien aufzeigt. Wenn ich mich hier auf zwei Romane beschränke, auf Mort de dama (Tod einer Dame) und Bearn o la sala de les nines (Bearn oder das Puppenkabinett), so stelle ich fests, dass in der Werteskala, die diesen Romanen zu Grunde liegt, die Aristokratie der Religion gegenüber eine Vorrangstellung einnimmt; möglicherweise wäre das auf das Gesamtwerk Villalongas anwendbar, das ich grundsätzlich für sehr homogen in diesem Sinne halten würde. Dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass eine Untersuchung der Romane, die zu dem so genannten „Lulü-Zyklus" gehören, neue Fakten beisteuern könnte; sofern dies mich nicht zwingt, die Schlussfolgerungen zu ändern, ist es daher angebracht, Villalongas Werk, was die Religion angeht, in zwei Phasen zu unterscheiden: eine prä- und eine postkonziliare. Dass der Autor gegen das Zweite Vatikanische Konzil und seinen Anreger, Papst Johannes XXIII., eingestellt war, ist ja allgemein bekannt. Bis hierher habe ich das Wort „Aristokratie" (aristocräciä) verwendet. Es wäre wohl eher angebracht gewesen, von „Adel" (noblesa) zu reden, oder sogar von „Herrschaft" (senyoriu) in dem Sinne, den dieses Wort in der Umgangssprache der Mallorquiner eines gewissen Alters hat. Dies ist aber nicht der geeignete Ort, die genaue Bedeutung jedes einzelnen dieser Begriffe herauszuarbeiten, um zu entscheiden, welcher für mein Vorhaben der angebrachteste ist. Ich werde sie also einstweilig als Synonyme betrachten und es dem Leser überlassen, sie so auszutauschen, wie er es für passend hält. Wenn ich nun von Villalonga als Autor spreche, dann meine ich generell nicht den „wirklichen" Autor, sondern den „impliziten" 1 , und ich bitte den Leser eindringlich, dies grundsätzlich so zu verstehen, es sei denn der Kontext
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oder ein ausdrücklicher Hinweis drücken das Gegenteil hierzu aus. Ich hatte das große Glück, persönlich Umgang mit ihm zu pflegen, und ich wäre sehr vorsichtig, etwa das Interesse an der Arbeit seiner biographischen Aspekte zu leugnen; meine Aufmerksamkeit richtet sich nun allerdings ausschließlich auf sein Werk und darauf, was sich davon ableiten lässt.
Allgemeine Aspekte Akzeptieren wir die Unterscheidung, welche die Spezialisten zwischen einem offenen und einem geschlossenen Werk machen, was keinen privativen sondern einen graduellen Gegensatz darstellt, so kommt man leicht zu dem Schluss, dass Villalongas Werk zu den offenen gehört. Ein guter Beweis hierfür sind die vielen verschiedenen Interpretationen, die es erfahren hat, von denen einige in einem starken Widerspruch zueinander stehen. Eine marxistisch orientierte Schule hat es eine Zeit lang in die Nähe des kritischen Realismus gerückt, da sie es als ein Werk ansah, das die Dekadenz einer Gesellschaftsklasse darstellt. Ohne so klar Stellung zu beziehen, haben andere Forscher und Kritiker in Villalonga den Schriftsteller als Zeitzeugen gesehen. In Übereinstimmung mit Jaume Vidal Aleover, kann ich Villalongas Schriften nicht als sein Zeugnis betrachten, und ich glaube auch nicht, dass dies seine Absicht war; ich sehe ihn eher als einen Ideenschriftsteller, der auf eine Welt, die ihm nicht gefallt, mit der Satire reagiert.2 Die Grundlage seiner Werke - und ich denke hier vor allem an sein schöpferisches Werk - ist eine Weltanschauung, die er wesentlich besser in seinen Erzählungen und ihren Figuren als in den Essays oder Presseartikeln zum Ausdruck brachte. Eben deshalb können ihn seine Leser bewundern, die, wenn sie auch nicht seine Meinung teilen oder sie sogar verurteilen würden, sich von jenen Situationen, Dialogen, Bühnenbildern und vor allem von den Figuren verführen lassen, die so perfekt gezeichnet sind, dass man meint, man hätte sie gekannt, so dass man den Eindruck hat, erraten zu können, wie jede von ihnen in bestimmten Umständen reagieren würde.
Die Literaturwissenschaftler pflegen diese Unterscheidung zu machen, wobei sie den impliziten Autor als „das zweite Ich" ( s e i f ) des Autors bezeichnen; eine Art Maske oder Person, die vom Text aus rekonstruiert wird. Es handelt sich um das Bild eines Autors, das sich aus dem Text ergibt, und das der Leser sich hinter den Szenen stehend vorstellt; dieses „zweite Ich" ist verantwortlich für die kulturellen Normen, denen das Werk folgt. Der implizite Autor darf also nicht mit dem wirklichen Autor (einem Individuum mit eigenem Namen, Herkunft, Wohnsitz und Ausweisnummer) verwechselt werden. Der Begriff des impliziten Autors stammt von Wayne C. BOOTH, der ihn in seinem Buch The Rhetoric of Fiction, Chicago (1961) darstellt. S. VIDAL ALCOVER: Llorenf Villalonga i la seva obra, Barcelona (1980), vor allem das erste Kapitel.
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Die Kraft und die Plastizität der Welt, die Villalongas Werk schafft und darstellt, ist so groß, dass sie, obwohl sie einer bestimmten Ideenwelt entspricht, dies so weit verbirgt, dass sie den Leser darüber hinweg täuschen kann, es sei denn, er liest mit außerordentlicher Aufmerksamkeit und Scharfsinn. Wahrscheinlich hat das mit zu jener Vielfalt der Interpretationen geführt, die ich eben angesprochen habe. Trotz allem meine ich, dass man zumindest provisorisch die allgemeinen Linien von Villalongas Gedankengebäude in Sachen Religion darlegen kann. Auch in diesem Punkt stimme ich mit Jaume Vidal Aleover überein, wenn er erklärt, dass es Villalonga viel mehr um die Moral als um das Dogma geht,3 das er auf einige wenige Prinzipien reduziert. Er ist Deist in der Art von Voltaire. Gott ist für ihn weniger Gegenstand der Tugend des Glaubens als ein Element, das für den Aufbau eines rationalen Weltbildes unersetzlich ist. Erinnern wir uns an jenen von ihm so gern zitierten Ausspruch Voltaires: „Si Dieu n 'existait pas il faudrait l'inventer". Der Teufel ist die notwendige Ergänzung Gottes, „Gut und Böse, zwei Aspekte eines einzigen Prinzips, eines Höheren Wesens".4 Ihn interessiert also nicht der Gott in seinem Verhältnis zum Menschen, der Gott der Mystiker, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der biblische Gott,5 letzten Endes der Gott der Offenbarung. Gelegentlich wurde von Villalongas Agnostizismus gesprochen. Genauer wäre es, von seinem Unglauben zu sprechen. Wenn wir unter einem Agnostiker einen Menschen verstehen, der den Zugang zur übersinnlichen Welt auf einem strikt rationalen Weg für unmöglich hält, dann können wir nicht behaup-
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VIDAL ALCOVER: Op. cit., erstes Kapitel, besonders S. 48. Dies würde auch meine These untermauern, wie wir noch sehen werden. Das Dogma gehört in die religiöse Welt; im profanen Bereich kann es sicherlich keine Moral im engeren Sinn geben, wohl aber Verhaltensregeln, die weltlichen Prinzipien entsprechen. Bearn o la sala de les nines, I, 13, S. 77. Sofern ich nichts anderes angebe, zitiere ich hier die Texte Villalongas nach der zweiten Ausgabe seines Gesamtwerkes, seinen Obres Completes, erschienen bei Edicions 62 in Barcelona. Mort de dama befindet sich im ersten Band (1988), Bearn o la sala de les nines im zweiten (1993). Bei den Angaben des ersteren zeigt die romanische Zahl das Kapitel an, die arabische, die Seite. Bei den Angaben von Bearn verweisen die romanischen Ziffern auf den ersten oder zweiten Teil des Romans, während die arabische das Kapitel anzeigt. Dennoch möchte ich auf eine Erwähnung der Bibel in Mort de dama hinweisen: „Jene Herren lebten davon, sich gegenseitig unangebrachte Adjektive und unerträgliche Namen Shakespeare, Dante, die Bibel - ins Gesicht zu schleudern, deren reine Erwähnung schon einen doppelten Angriff auf den Takt und den guten Geschmack darstellt. [... ] Indem sie so den Jungen empfahlen, den Quijote oder die Bibel zu lesen, vermiesten sie ihnen für immer die Literatur" (XV 80). Die Unlust der Bibel gegenüber hat hier keinen religiösen Grund, sondern richtet sich gegen ihre Stellung als „heilige Kuh" in der Literatur. Allerdings kommt es hier zu einer Gegenüberstellung - und das muss auch festgehalten werden - zwischen Takt und gutem Geschmack als weltlichen Tugenden einerseits und den Bibelzitaten andererseits.
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ten, Villalonga sei ein Agnostiker, zumindest hinsichtlich der Existenz Gottes; ganz im Gegenteil, wie bereits gesagt, ist Gott für ihn eine rationale Notwendigkeit. Er ist ungläubig, weil er keinen Zugang zu Gott über den Weg des Glaubens hat. Wir könnten ihn als Agnostiker - oder wohl besser als Ungläubigen - den anderen Dogmen jeder Religion gegenüber bezeichnen. Aber er braucht einen Gott als Stütze der Ordnung, die er sich im weltlichen Bereich wünscht. Wie wir noch sehen werden, wenden sich zwei seiner Figuren (die Baronin de Bearn und Don Joan Mayol) an Gott statt an die Autoritäten der sichtbaren Kirche, wenn diese ihnen nicht gewogen sind. Die Unterscheidung zwischen dem Gott der Philosophen und dem Gott der Gläubigen ist in folgender Passage von Bearn dargestellt, in der klar zu sehen ist, auf welche Seite der Autor sich stellt. Die Herrschaften von Bearn und Don Joan unterhalten sich über die geeigneteste Art, sich auf den unmittelbar bevorstehenden Besuch des Papstes Leo XIII. vorzubereiten. Der Pfarrer Don Joan schlägt geistliche Übungen zur inneren Einkehr vor, um so besser auf den päpstlichen Segen eingestellt zu sein. Angesichts einer gewissen Zurückhaltung des Don Toni fragt Dona Maria Antonia ihn, was an einem Papst interessieren könne, wenn nicht sein Segen. Don Tonis Antwort gibt auch die Auffassung des Autors wieder: [ . . . ] Ich habe nicht behauptet, dass der päpstliche Segen nicht der wichtigste oder auch der einzige Grund für die Reise des Don Joan und auch für deine wäre. Aber Leo XIII. ist nicht nur Papst, sondern auch ein erlauchter Mann und ein gewandter Politiker. Ich muss über diese Figur, die den Gelehrten der Welt die Türen zum Geheimarchiv des Vatikans geöffnet hat, schreiben. Ich möchte ihn persönlich kennen lernen und, da er uns nicht allzu viel Stunden widmen können wird, muss ich mir gut überlegen, was ich ihn fragen will. Deshalb habe ich dir gesagt, liebe Maria Antonia, dass die innere Einkehr, die Don Joan uns vorschlägt, nicht von uns allen gleich verstanden wird. Euch ist vor allem das Beten nützlich, denn euer Kredo entspringt eher der Magie, während meines, wenn es sich auch noch innerhalb des Orthodoxen hält - hierbei sah ich meinem Herrn in die Augen, der meinem Blick standhielt - , doch rationaler ist. (II, 11; S. 164-165).
Halten wir also den Gegensatz fest: Papst / erlauchter Mann; beten / Fragen überlegen; magisches Kredo / rationales Kredo. Ich glaube nicht, das Villalongas Agnostizismus - wenn wir den Begriff, mit den oben gemachten Präzisierungen, beibehalten möchten - und eine gewisse reaktionäre Haltung seiner letzten Etappe inkompatibel sind; ich würde im Gegenteil eher sagen, dass diese Haltung im größten Einklang mit seiner Gedankenwelt steht. Wenn die von der Kirche aufgrund des Zweiten Vatikanischen Konzils eingeführten Änderungen Villalonga ärgern, dann deshalb, weil die Ordnung ein äußerst wichtiger Wert innerhalb seiner Werteskala ist, und die Innovationen, die das Konzil gerade vornahm, die bestehende Ordnung, so
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wie sie bis dahin von der präkonziliaren Kirche verteidigt worden war, in Gefahr brachten; außerdem hätten jene Reformen zu einem Aufleben der essenziellen Werte des Christentums führen können, und eben diese interessieren den Schriftsteller ganz und gar nicht.6 Natürlich verabscheute Villalonga äußerliche Bekundungen der Religiosität, und zwar umso mehr als sie sichtbarer, materieller, nahe stehender und alltäglicher waren: Wunder, Erscheinungen, Ekstase, Devotion oder Frömmeleien sind mit seinem Rationalismus nicht verträglich. Man muss nun allerdings nicht glauben, dass er den Formen einer inneren und daher reineren Religiosität gegenüber toleranter wäre. Er greift sie nur deshalb nicht an, weil sie sich nicht so leicht satirisieren lassen. Ich habe mich etwas dabei aufgehalten, um die allgemeinen Ideen des Autors (des impliziten Autors, was nie zu vergessen ist) zum Thema Religion grob darzustellen. Nun müsste ich dasselbe in Sachen Aristokratie unternehmen, aber dazu müsste ich zu weit ausholen und, abgesehen davon, scheinen mir hier die Dinge nicht ganz so klar zu liegen. Auf alle Fälle wird dieses Unterlassen nicht dem Verständnis des Artikels schaden.
Mort de dama Bevor ich jetzt auf den Roman Mort de dama (Tod einer Dame) eingehe, muss ich daran erinnern, dass es sich um eines der Werke Villalongas handelt, das mehr den Wechselfallen des Schicksals ausgesetzt war als alle anderen: Seit seiner ersten Ausgabe von 1931 bis hin zur letzten, die noch zu Lebzeiten des Schriftstellers erschien, ist der Roman um sieben Kapitel gewachsen; hinzukommen die Änderungen die er an den ersten Kapiteln vorgenommen hat, die große Bedeutung für den Gesamtsinn des Romans erhalten können, wie wir noch sehen werden. Untersuchen wir also die Haltung der verschiedenen Figuren in Fragen der Religion. Ich werde hierbei mit der untersten gesellschaftlichen und menschlichen Stufe beginnen, um dann mit der höchsten aufzuhören. In dieser Reihenfolge macht Na Remei Huguet den Anfang, eine Freundin von Dona Obdülia, in deren Haus sie sich installiert, um sich die Gunst der Herrin zu erobern, damit diese ihr das Vermögen vermacht. Wie äußert sich Na Remei über das der todkranken Frau zu spendende Sakrament?
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Diese Abneigung könnte zum Teil auch ästhetische Gründe haben. So waren die liturgischen Reformen, die aufgrund des Konzils durchgeführt wurden, ästhetisch nicht besonders geglückt. Ich kann hier nicht weiter auf diesen Punkt eingehen, er ist aber bei einer ausführlicheren Arbeit über das Thema zu berücksichtigen.
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Angesichts des kritischen Zustandes von Dona Obdülia, der einen unmittelbar eintretenden Tod voraussehen lässt, trifft Na Remei die nötigen Vorkehrungen: Das Hausmädchen wollte dem Arzt und dem Beichtvater Bescheid geben, aber Na Remei bremste sie. Ja, natürlich musste man das tun, aber alles zu seiner Zeit und ohne den darüber Kopf zu verlieren. „Wir werden noch so viel vorbereiten müssen... In dem runden Saal gibt es z. B. weder Vorhänge noch Teppiche. Wie soll man in einem Saal ohne Vorhänge Besuch empfangen? Zuerst kommt das Wichtigste. Ganz ohne Zweifel muss man ihr das Sakrament spenden, aber wo ist denn das Abendmahlsgerät? Jetzt sag mir nicht, das Dona Obdülia das nicht hat! Auch müssen wir Kerzenhalter und eine Waschschüssel bereitstellen. Was sagst du? Sie hat auch kein Handwaschbecken aus Silber? Das kann doch nicht wahr sein!" (II, 25).
Und etwas weiter vorn; Im Zimmer hatten sie einen kleinen Altar improvisiert, den sie mit einem der liturgischsten Röcke der Kranken bedeckt hatte. Na Remei stellte das Abendmahlsgerät (vier Kerzenhalter, einen Handleuchter, eine Waschschüssel und ein kleines Becken für das Weihwasser, alles aus Silber) darauf. Auch einen Ölzweig stellte sie dazu, der wohl aus dem Garten Gethsemane hätte kommen können. Es fehlte nur noch das Weihwasser: Na Remei goss Wasser aus der Zisterne hinein. (V, 39)
Wie wir sehen, ist diese Handlung für Remei (und durch sie wohl auch für den Autor) ein Schauspiel, in dem nur das Äußere zählt: Wichtiger als das Sakrament sind Teppiche und Vorhänge; das Wichtigste der Kommunion sind Abendmahlsgerät, Kerzenhalter und Becken aus Silber... Nun sehen wir uns die Hauptfigur des Romans an: Dona Obdülia Montcada. Ich will hier mit ihren moralischen Prinzipien beginnen. Der Erzähler vermittelt uns Information, die uns hierbei etwas orientiert: Nach dem Scheitern ihres ersten und letzten Liebesabenteuers mit einem Hilfssoldaten ihres Mannes, wird Dona Obdülia, „nachdem sie endgültig ihr Herz begraben hatte, hart und pervers, wie eine Äbtissin aus dem Mittelalter" (XVII, 98). Die Äußerungen, welche die Dame selber über die Moral macht, beschränken sich auf das Sexuelle. Was Prostituierte angeht, zeigt sie sich sehr unnachgiebig: „Diese Weiber, diese Hexen sollten sie alle verbrennen. Einen großen Scheiterhaufen sollte man machen... Oh nein, ich bin nicht wie Na Teodora, der alles egal ist... Wer sich die Suppe eingebrockt, der muss sie auch auslöffeln" (XII, 67). Ihr Eifer, die Sünden des Fleisches zu strafen, bringt sie so weit, dass sie sich über die ewige Verdammnis des Marquis de Collera freut. Als man ihr erzählt, dass er plötzlich in einem Bordell gestorben sei, meint sie dazu: „Dieser Jakob war schon immer ein Tier. Wem fallt es schon ein, an so einem Ort zu sterben! Natürlich bin ich es zufrieden. Sehr sogar. In der Hölle wird er
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wohl meutern" (ibidem). Indem sie sich über die ewige Verdammnis einer Seele freut, begeht sie eine der schwersten Sünden gegen den Heiligen Geist, wahrscheinlich unbewusst, da sie gewisse Lakunen im Katechismus haben musste. Es ist fraglich, ob das Morphium, das man ihr gab, dabei als mildernder Umstand gelten könnte. Aber gehen wir über zu dem Thema, das uns hier in erster Linie interessiert, eine ganz eigene Werteskala: Die Aristokratie stellt einen Wert dar, der über allen anderen steht, so dass der Verein (El Circulo), also die Gesellschaft, die Dona Obdülia - und generell die Herrschaften - frequentierte, selektiver vorgehen musste als der Himmel selbst: „Der Pfarrer sagte mir neulich, dass ein Dienstmädchen genauso viel wert sein kann wie eine Dame. Ich sag ja nicht, dass wir nicht alle in den Himmel kommen können, das werden wir ja noch sehen; aber im Verein sollte man nur anständige Leute zulassen" (VII, 48). Dona Obdülia wendet diesen Maßstab auch auf das Gebiet des Geistlichen an. Obwohl der Erzähler Derartiges als Aberglauben bezeichnet, legt er ihr doch folgende Worte in den Mund: „Der Selige aus dem Hause Montcada zählt mehr als jeder Heilige, weil es ein Montcada ist. Da lach ich doch über die heilige Katharina Thomas. Wer war das schon, die heilige Katharina? Eine plumpe Bäuerin. Der Selige dagegen stammt aus einem Fürstengeschlecht" (XXV, 116). Diese Abstammung, die Dona Obdülia dem Seligen zuspricht, beruht aber auf einem Irrtum, der vom Erzähler erklärt wird: „Da sie im Buch über das Leben des Seligen gelesen hatte, dass dieser dort ein ,Kirchenfürst' genannt wird, nahm sie das wörtlich" (ibidem). Der Erzähler berichtet auch, dass Dona Obdülia „wusste, dass die Häuser mit engem Eingang Häuser von Emporkömmlingen sind, dass der Adel aus Palma der wichtigste der Welt ist, und dass die Familie Montcada über allen anderen Familien Mallorcas steht" (I, 22). Den eigenen Prinzipien folgend ist es auch keine Frage für sie, dass ihr Adel ihr die ewige Seligkeit garantiert, für die sie also weiter keine Verdienste zu machen braucht. Deshalb bestimmt sie in ihrem Testament: „Ich will keine Messen: Der Selige hat gesagt, dass kein Montcada in die Hölle kommen kann. Ein gutes Begräbnis, das reicht völlig" (XXV, 117). Auch dürfen wir die Ironie nicht übersehen, die der folgende Satz aus dem Testament enthält: „Der Remei, dieser Scheinheiligen, überlasse ich gar nichts, und auch nicht der Maria Antonia Bearn. Sie sollen aber wissen, dass Dona Obdülia sie zu schätzen weiß und dass sie im Jenseits für sie beten wird" (ibidem). Was hier suggeriert werden soll, ist natürlich nichts anderes, als dass die Vorspräche eines Seligen vor Gott kaum einen Trostpreis wert ist. Untersuchen wir nun das Thema von einer anderen Figur ausgehend, von Dona Maria Antonia, Baronin de Bearn. Dabei ist zu bemerken, dass der Erzähler Dona Obdülia als eine groteske, manchmal vorsätzlich ins Lächerliche gezogene Figur darstellt; die Baronin dagegen wird mit der höchsten Achtung
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behandelt. Sie ist ohne jeden Zweifel, und zwar mit vollster Absicht, die am meisten idealisierte Figur in Villalongas gesamtem Werk.7 Ich habe bereits erwähnt, dass Mort de dama einer von Villalongas Romanen ist, an dem die meisten Änderungen und Zusätze vorgenommen wurden. Die Änderung, die ich gleich ansprechen werde, steht in engstem Zusammenhang mit dem Thema, das uns hier beschäftigt, und insbesondere mit dem Verhalten der Baronin. Deshalb scheint es mir angebracht, uns hiermit eine Weile aufzuhalten. In dem Kapitel, das den Titel „La baronessa es confessa" (Die Baronin beichtet) trägt, wird erzählt, wie die Baronin versucht, den Pfarrer Don Volenti, der auch Dona Obdülias Beichtvater ist, zu bestechen, indem sie ihm verspricht, all ihren Einfluss ins Spiel zu bringen, damit ihm ein Kanonikat zugesprochen werde. Als Gegenleistung sollte der Geistliche Dona Obdülia unter Druck setzen, damit sie ihr Testament zugunsten der Baronin mache. Der Pakt wird natürlich in den subtilsten Andeutungen ausgehandelt, indem Gründe und Argumente angeführt werden, die ihn würdigen und die all das neutralisieren, was nur das rein niedrige Interesse enthalten könnte. Nun gut: In der ersten Ausgabe des Romans kommt dieser Pakt zwischen Dona Maria Antonia und dem Geistlichen zum Abschluss, weil der Hauch von Herrschaft, der von der Baronin ausgeht, mächtig genug ist, um die Skrupel und den Argwohn, die auf dem Gewissen des Pfarrers liegen, zu beseitigen: Die Baronin lächelte ruhig und wischte sich eine Träne ab, die aus ihren hellen Augen geflossen war. „Wie gut tut doch ein reines Gewissen, Pater!" Diese einfachen Worte oder, besser gesagt, der Ton, in dem sie ausgesprochen wurden, löschten den letzten Rest von Argwohn Herzen des Beichtvaters. „Auf Wiedersehen, Frau Baronin." Er segnete sie. Dona Maria Antonia beeilte sich zu gehen. Es war schon zwei Stunden her, dass sie aus dem Haus ihrer Tante Dona Obdülia verschwunden war, und bevor sie dorthin zurückkehrte, wollte sie noch persönlich bei Don Lluis Salvä, dem Notar der Kranken, vorsprechen, um ihm einige sehr wichtige Dinge zu erklären und ihn zu warnen, damit er vorbereitet wäre, „falls die Tante Obdülia ihn rufen ließ" (erste Ausgabe, S. 76-77).
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Es gibt ausreichend Stellen, die das beweisen können. Man sehe sich hierzu z. B. ganz besonders das Kapitel XXI in Mort de Dama an. Diese Dona Maria Antonia, Baronin de Bearn, eine Witwe, die Kinder hat, in der Stadt Palma de Mallorca lebt und in die Romane Mort de Dama und L'hereva de Dona Obdülia o Les temptacions gehört, ist nicht zu verwechseln mit jener anderen Dona Antonia de Bearn, die mit ihrem Cousin Tonet verheiratet und kinderlos ist, und die als Figur in Bearn o la sala de les nines, in La novel-la de Palmira und in noch ein paar anderen Schriften Villalongas zu finden ist. Sie sind völlig unterschiedliche Charaktere, und es gibt keinen Grund, sie als Variationen oder Metamorphosen einer einzigen Figur zu verstehen. Man sehe hierüber J. Vidal Aleover: op.cit., S. 163.
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Die Szene endet in den Ausgaben, die der zweiten Edition folgen, völlig anders, denn dort reagiert Don Valenti auf das Angebot der Baronin, indem er ihr erkärt: „Gnädige Frau, ich kann sie nicht lossprechen" (XI, 64). Der Pakt scheitert also. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Änderung der Zensur oder dem Wunsch, den Roman zu verbessern, zuzuschreiben ist. Mir persönlich gefällt die zweite Version viel besser, da dort beide Figuren moralisch höher stehen;8 andererseits kommt dort die Grundidee, die diese Teile des Romans kennzeichnen, verstärkt zum Ausdruck, wie wir noch sehen werden. Betrachten wir nun, wie die Szene in der letzten Fassung abläuft, und auch die Folgen, die sich davon ableiten lassen. Die Baronin wird dort wie folgt beschrieben: „Ihr Gesicht war sehr verdeckt von ihrem Schleier aus Krepon, und sie duftete unaufdringlich nach Kölnischwasser und feiner Seife. In ihrer Trauerkleidung und mit ihrem perfekten Profil schien die Baronin das Ebenbild der Würde selbst. Es verstand sich von selbst, dass diese Büßerin nur ganz erlesene Sünden begehen konnte, dass ihre Korrektheit fast wie eine Tugend waren" (XI, 61-62). Gemäß ihrer Bedingung als Sünderin, die allen Büßern gemein ist, müsste die Dame eine dem Beichtvater untergeordnete Rolle spielen, da dieser als solcher als Richter handelt; in diesem Fall aber wird diese Rangordnung nicht eingehalten, weil die Würde der Dame so groß ist, dass sie die Fähigkeit besitzt, die eigenen Sünden zu veredeln. In der Szene ist die Dame diejenige, die in der Rangordnung über dem Priester steht, da dieser letztlich nur ein Bauer ist. Der Erzähler stellt es so dar: Wie beinahe immer, leitete Dona Maria Antonia die Entscheidungen jenes gutherzigen Bauern, der sich dieser erlauchten Herrin gegenüber instinktiv in sich selbst zurückzog [...] In dem dunklen Beichtstuhl der Kathedrale kniete Dona Maria Antonia, ganz in schwarz, zu Füßen eines armen Bauers, weil dieser Bauer zum Priester geweiht worden und ihr Beichtvater war; aber die Geschichte, die man nicht einfach in einer Minute aus dem Raum schaffen kann, widersetzte sich angesichts dieses ungewöhnlichen Schauspieles und vertauschte die Rollen, indem sie die Büßerin zur Leiterin und den Beichvater zum Geleiteten machte; auf diese Weise war die Harmonie der Dinge wiederhergestellt und die Weisheit Gottes wieder einmal bewiesen (S. 61-62). Diese wiederhergestellte Ordnung (in der die Dame dem Bauern übergeordnet ist, obwohl dieser Priester ist) wird erneut umgekehrt, als Don Valenti das Angebot der Baronin ablehnt und ihr die Absolution verweigert: 8
Ab der dritten Ausgabe verschwinden auch einige Einzelheiten, die dahin tendieren, die Figur des Pfarrers zu erniedrigen, z. B., wenn es vorher hieß, er rieche nach Knoblauch und hätte schwarze Fingernägel, wieder einmal im Gegensatz zu Dona Maria Antonia, die „unaufdringlich nach Kölnischwasser und feiner Seife" duftete (XA, 61).
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Josep A. Grimalt Entschlossen stand die Baronin auf. „Seit vielen Jahrhunderten der Herrschaft waren die Herren de Bearn daran gewöhnt, sich durchzusetzen". [...] Sie schien gelassen, als sie das Gotteshaus verließ, aber sie wusste, dass sie besiegt worden war. Gott in seiner Güte verzeiht alles. Die Baronin war überzeugt davon, dass sie nicht verdammt werden würde, denn alle Sünden haben Vergebung. Das Leben im Jenseits machte ihr keine Angst. Eigentlich machte ihr gar nichts Angst. Jener Bauer aber hatte ihr eine (moralische oder gesellschaftliche, das war für sie kein Unterschied) Lektion erteilt, ihr, die doch die älteste Baronie Europas repräsentierte (S. 64).
Schwerer als die Sünde und die Gefahr, deshalb verdammt zu werden, lastet diese Lektion (sei sie nun moralisch oder gesellschaftlich), die ihr der Bauer gegeben hatte, auf ihr, und natürlich die dementsprechende Erniedrigung. Aber diese Niederlage ist nicht endgültig. Die Baronin findet die Art und Weise, die momentan zerstörte Ordnung wiederherzustellen: In der 4. Ausgabe des Romans taucht ein neues Kapitel mit dem Titel „ N ' A i n a Cohen va a veure Dona Obdülia" (N'Aina Cohen besucht Dona Obdülia) auf, das dem Kapitel XVIII der aktuellen Ausgabe entspricht. Die Baronin sitzt darin in ihrem „roten Saal", der neben dem Zimmer der Kranken liegt, und wartet auf die Besucher, die nach und nach kommen werden. Währenddessen denkt sie über die gescheiterte Einigung mit dem Geistlichen nach. Es lohnt sich, hier die Passage zu zitieren: Nachdenklich schloss Dona Maria Antonia ihre Augen und erinnerte sich daran, wie in ihrer Kindheit die Hausdame ihrer geehrten Großmutter die Kinder vorführte, damit diese sie segnete, bevor sie schlafen gingen. „Die Frau Baronin möge ihnen eine gute und geheiligte Nacht wünschen" (S. 89). Hier ist zunächst zu beachten, dass die Großmutter diejenige ist, die darum gebeten wird, die Kinder zu segnen. 9 Es ist ihre Eigenschaft als Adlige, die es ihr ermöglicht, eine Funktion auszuüben, die eher einem religiösen als einem weltlichen Rang entspräche.
9
Im Kapitel VIII der Falses memdries de Salvador Orlan (Dritter Teil) ist eine Parallele zu dieser Szene zu finden; in der entsprechenden Szene dort „führte eine der Frauen, die auf dem Gut arbeiteten, ihre zwei Kinder vor Na Catalina, ,damit die Frau Marquise sie segnen möge'" (Band III der neuen Ausgabe der Obres Completes, 1998, S. 403). Die Marquise stellt sie zufrieden, indem sie das Kreuzzeichen macht, was der Hauspfarrer mit Misstrauen beobachtet; seine Argumentation bringt ihn so weit, die Marquise mit Martin Luther zu vergleichen. Ein ganz einfacher, leise ausgesprochener Satz der Marquise macht den Geistlichen ein wenig lächerlich vor dem Leser.
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Das war gut vierzig Jahre her. Und jetzt hatte ein junger Pfarrer, der eines jener Kinder hätte sein können, ihr die Absolution verweigert, obwohl er doch wusste, dass ihr Anspruch darauf gerecht war. "Natürlich habe ich ihn geängstigt mit dem Kanonikat, das ich ihm angeboten habe", dachte sie. "Ich habe es sehr vorsichtig gemacht, aber so etwas hat einen Namen, ich glaube es heißt Simonie", dessen war sie sich nun gar nicht sicher, „und solche Leute haben Angst vor Wörtern". Sie selbst hatte keine. Don Valenti hatte ihr keine Angst gemacht, sie aber erniedrigt. Der Arme, was für eine Art, mit Herrschaften umzugehen! Und dabei ersehnte er nichts mehr, als dass man ihn zum Kanoniker machen möge. Eben deshalb muss es ihm vorgekommen sein wie eine Sünde, und deshalb hat er so unwirsch geantwortet. Nun gut, er würde es dennoch werden. Jacob Collera war schon tot, aber sie wusste wohl, an wen sie sich wenden musste. „Und wir werden noch sehen", dachte sie, „nachdem ich ihm ein Kanonikat geschenkt habe, während er mir nicht helfen wollte, wer dann besser dasteht vor den Augen Gottes" (S. 89). Man beachte, auf welche Weise die Werteskala hier verdreht wurde. Die Reaktion von Don Valenti dem moralisch ein wenig fragwürdigen Angebot der Baronin gegenüber ließe sich zunächst einmal wie ein Integritätsbeweis seitens des Priesters interpretieren; aber dank einer sehr geschickten Darstellungstechnik kann dieser auch in den Augen des Lesers einfach zu einer „unwirschen" Antwort werden. Nun müsste der Leser dieses Urteil Maria Antonias nicht unbedingt teilen. Aber hier kommt die Geschicktheit des Erzählers ins Spiel. Im ganzen Roman ist es völlig klar, dass die Sympathie des impliziten Erzählers an allererster Stelle der Baronin gilt, und so bestätigt die Autorität des glaubwürdigen Erzählers das Kriterium seiner Figur. Außerdem beschreibt der Paragraph, in dem der Satz „und deshalb hat er so unwirsch geantwortet" erscheint, wie auch die ganze Passage, zu der er gehört, die Gedanken der Dame, die ganz allein in der Nähe des Zimmers der Sterbenden sitzt und dort ihre Lage überdenkt. Durch Benutzung der freien indirekten Rede entsprechen einige Sätze sowohl den Gedanken der Figur wie auch den Worten des Erzählers selbst, also des impliziten Autors. Dessen Gedanken und die der Figur der Baronin verflechten sich, und dadurch wird das Urteil der Baronin, bestätigt durch die Autorität des Erzählers, zur These des Stückes. Schließlich findet Dona Maria Antonia den Weg, der ihr die momentan verlorene Überlegenheit wieder zurückgibt: Sie benutzt ihre Beziehungen, um Don Valenti zum Kanonikat zum verhelfen. Das erlaubt ihr, zu beweisen, dass sie ihm desinteressiert dieses Amt angeboten hatte. Dadurch wird auch die Bezichtigung der Simonie entkräftet, und es ist ziemlich sicher, dass sie selbst vor den Augen Gottes besser dastehen wird.
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Bearn o la sala de les nines Untersuchen wir nun, wie dieses Thema im Hauptwerk Villalongas behandelt wird, in seinem Roman Bearn o la sala de les nines (Bearn oder das Puppenkabinett).1 In diesem Roman ist die Erzähltechnik besser ausgearbeitet. Zwischen dem impliziten Autor und dem Leser steht ein vermittelnder Erzähler, der zudem ein Geistlicher ist: Don Joan Mayol, der Hauspfarrer. Aber es muss noch ein weiteres, oft vernachlässigtes Element hinzugefügt werden, das des Narrataire: Die Erzählung richtet sich an Don Miquel Gilabert, dem Sekretär des Herrn Kardinals Primat der Spanien,10 mit dem der Erzähler ,jene wunderbare Kriteriengemeinsamkeit, welche die höchste Gnade darstellt, die der Herrgott zwei Männern erweisen kann" teilt; der Erzähler erinnert auch daran, dass der alte Rektor des Seminars Vergils Ausdruck,¿Ircades ambo", ,die beiden aus Arkadien', auf die beiden Freunde anwandte, was bedeutet, dass zwei Personen in Ideen und Geschmack übereinstimmen (Introducciö, S. 16). Diese Affinität zwischen Erzähler und Narrataire verhindert, dass dieser einen unmittelbaren Einfluss auf die Erzählung nimmt. Der Erzähler ist aber nicht nur eine Figur, die zur Erzählung gehört, sondern er ist eine zentrale Figur. Ich möchte hier nicht näher auf die Frage eingehen, wer nun der tatsächliche Protagonist des Romans ist, Don Toni oder Don Joan. Jaume Pomar meinte dazu: „Die Gegenüberstellung der Charaktere von Don Toni und Don Joan beinhaltet die eigene Aufspaltung, die der Schriftsteller selbst vorgenommen hat, indem er diese Figuren schuf'." Für die Zwecke dieser Arbeit ist es nicht weiter nötig, zu untersuchen, welche der beiden im Mittelpunkt der Erzählung steht. Noch weniger bzw. gar nicht interessiert mich hier, in welchem Zusammenhang die Figuren mit dem Leben des (nun realen) Autors stehen, denn von Anfang an habe ich mir vorgenommen, alle Fragen bezüglich des Entstehens des Romans beiseite zu lassen.12 In meiner
'
10
11 12
Eine Übersetzung ins Deutsche erschien 1991 unter dem Titel Das Puppenkabinett des Senyor Bearn (Piper, München). Die Seitenangaben beziehen sich hier aber immer auf die Originalfassung (Anm. d. Übers.). Ein nicht sehr aufmerksamer Leser wird diese Tatsache wahrscheinlich nicht genügend berücksichtigen, während er der Erzählung folgt, obwohl er sie am Anfang des Romans findet und der Erzähler ihn auch hin und wieder daran erinnert, indem er in der zweiten Person den Narrataire in Erinnerung ruft. Jaume Pomar: Lloreng Villalonga i el seu mön, Binissalem (1998), S.108. Abgesehen von Einzelfallen kennt der Leser den Ursprung des Stoffes, aus dem das Werk entstand, nicht. Eben deshalb ist er für dessen Lektüre oder Rezeption nicht ausschlaggebend. Das beinahe obsessive Interesse, das die Forscher Villalongas Werke für die außerliterarischen Elemente zeigen, die am Entstehen seiner Texte beteiligt waren, ist schon bemerkenswert, wie auch ihre Bemühungen, diese Elemente zu identifizieren. Ob nun die Gegenfigur der Aina Cohen die Dichterin Maria Antonia Salvä ist oder nicht, oder ob Flo de la Vigne Baltasar Por-
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Rolle als Leser stelle ich einen großen Unterschied zwischen den beiden Figuren fest, der in vielerlei Hinsicht zum Ausdruck kommt. Ohne diese Asymmetrie gäbe es einen der Wege, auf dem sich die Gegenüberstellung von Religion und Aristokratie manifestiert, die ich hier darzustellen versuche, nicht. Don Joan Mayol zeigt ein Gefühl der Bewunderung, fast würde ich sagen der Hochachtung dem Herrn von Bearn gegenüber, den er hin und wieder „meinen Beschützer" nennt. Manchmal hat man den Eindruck, dass seine Persönlichkeit in einigen Aspekten sehr stark von Don Toni beeinflusst ist. Dies reicht bis hin zu den Versuchungen des Fleisches: Gerade die obsessivste von allen muss natürlich von Na Xima ausgehen, die den größten Fehltritt des Herrn von Bearn verursacht hatte.13 In Don Joan streiten zwei entgegengesetzte Kräfte: das Gewicht der in der Schule und im Seminar erhaltenen Erziehung einerseits und der Einfluss des Don Toni andererseits. Er selbst drückt es wie folgt aus: Ich habe seine Lehren mit Vorsicht genossen, aber nicht immer konnte ich mich seiner Anziehungskraft entziehen. Wie hätte es auch anders sein können? Die Schule, in die ich mit sieben Jahren geschickt wurde, war geistlos; der Unterricht war rudimentär, pedantisch; die Formen, plump. Wenn ich dann nach Bearn zurückkam, fühlte ich mich von der freien und höflichen Atmosphäre, die meinen Herrn umgab, bezaubert. (I, 1, S. 24.) Er brachte mir Französisch bei und führte mich in Racine und Molière ein; dank ihm wird ein armer Dorfpfarrer, der nie sein Gelübde brechen wollte, nicht sterben, ohne vorher zu wissen, wie Phädra geliebt oder wie Célimène gelächelt hatte. (I, 1, S. 24-25.) Man müsste die Wirkung, die dadurch, dass Don Joan zugleich zum Erzähler und zur Figur gemacht wird, genauer untersuchen. Was den Erzähler anbe-
cel entspricht oder nicht, das sind Gemeinplätze, die in den Artikeln, Konferenzen und Kongressen über Villalonga mehr als ausreichend wiederholt werden. Das Ziel dieser Arbeit beschränkt sich ausschließlich auf die literarische Analyse; sie verzichtet daher auf Fragen, die wohl anderen Wissensbereichen wie der Soziologie, der Psychologie, der Geschichte oder auch dem Klatsch zuzuordnen ist. Ein anderes Thema wäre das des Zusammenhanges der Werke Villalongas mit den Werken anderer Schriftsteller, das für sich ein eigenes literarisches Forschungsfeld darstellen kann: Eines der Kapitel der aktuellen Theorie der Literatur ist eben die so genannte „Intertextualität". Diejenigen, die gerne dem inoffensiven Zeitvertreib folgen, literarische Figuren zu psychoanalysieren, mögen über diese Geschmackskoinzidenz spekulieren. Wenn Don Joan sich so sehr von Na Xima in Versuchung geführt fühlte, war dies ihren persönlichen Reizen zuzuschreiben oder eher nur der Tatsache, dass sie es geschafft hatte, den Herrn des Hauses zu verfuhren?
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langt, so drückt er sich oft auf eine Art und Weise aus, die der Figur des Don Toni angemessener wäre als Don Joan, so wie wir ihn in der Erzählung handeln sehen; es macht den Eindruck, es wäre Don Toni, der sich durch die Feder des Don Joan ausdrücken würde. Die Klarsicht, die ihn gelegentlich als Erzähler auszeichnet, steht im Gegensatz zu der Naivität, die in seiner Rolle als Romanfigur zu beobachten ist.14 Aus den vorangegangenen Absätzen ist die Gegenüberstellung von den (durch die Schule verkörperten) Werten der Religion und denen der (durch Don Toni verkörperten) Aristokratie festzuhalten; beide Wertesysteme stehen Don Joan zur Verfugung, wobei die letzteren ganz klar im Vorteil sind. Die Überlegenheit des Don Toni, der die aristokratischen Werte und die weltlichen und gesellschaftlichen Tugenden vertritt, über Don Joan, der hier die religiösen Werte und Tugenden vertritt, kommt an mehreren Stellen der Erzählung zum Ausdruck. Sehen wir uns ein paar von ihnen genauer an: In Kapitel 12 des zweiten Teiles wird die Unterredung, die der Herrn von Bearn und der Geistliche mit Paps Leon XIII. haben, wiedergegeben; die Dame des Hauses ist nicht dabei, was dazu führt, dass der Papst sich für sie und für den Grund ihrer Abwesenheit interessiert. Es lohnt sich, die ganze Szene zu zitieren: Als ob er sie kennen würde, fragte er gleich, warum er denn nicht das Vergnügen habe, die Herrin von Bearn zu sehen. Auf diese Frage waren sie nicht vorbereitet, und der Herr redete sich damit aus, dass sie sich nicht wohl fühlte. So waren also die ersten Worte, die er an Papst Leon XIII. richtete, eine Lüge. Meine Aufgabe zwang mich dazu, ihn mehrmals daran zu erinnern. „Wie wäre es aber möglich gewesen, ihm ganz kurz einen so komplizierten Vorgang, der ihn ohnedies nicht interessierte, zu erklären?" „Ich geben schon zu, dass es schwierig ist, aber ich glaube nicht, dass irgendetwas die Lüge rechtfertigt. Wir hätten ihm sagen können, dass es sich um komplizierte Gründe handelt." „Aber dann", argumentierte der Herr dagegen, „hätte Papst Leon XIII. gedacht, meine Frau wollte ihn nicht sehen, oder sie sei eine schlechte Katholikin, was eine noch größere Lüge gewesen wäre als meine Ausrede". „Vielleicht hätte er gedacht, sie sei etwas wirr." „Nun, und ich habe ihm gesagt, sie sei krank. (II, 12; S. 168.)1!
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T. Todorov hat nicht Unrecht, wenn er schreibt: „Dès que le sujet de l'énonciation devient sujet de l'énoncé, ce n'est plus le même sujet qui énonce. Parler de soi-même signifie no plus être le même .soi-même'". In Qu'est-ce que le structuralisme? Poétique, Paris (1968), S. 65. Es muss dennoch darauf hingewiesen werden, dass der zeitliche Abstand, der zwischen den erzählten Tatsachen und dem Moment, in dem sie erzählt werden, liegt, über diesen Gegensatz etwas hinweghelfen kann. Nach ein paar Jahren fragt Dona Maria Antonia ihren Mann einmal: „Wieso bin ich damals nicht mit euch mitgereist, den Papst zu sehen?"
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Don Joan muss zugeben, dass „die Argumentation meines Herrn ohne jeden Tadel" war. Ihre Diskussion geht noch weiter, um mit einer Lektion über weltliche Sitten zu enden, die der Pfarrer über sich ergehen lassen muss. Während der Unterredung mit dem Papst wiederholt sich die Situation: Der Papst fragt nach der Bedeutung des Wortes Collera, dem Geschlecht und Adelstitel, den die Vorfahren des Marquis desselben Namens, der ihnen auch die Unterredung mir dem Papst ermöglicht hatte, irrtümlicherweise erhalten hatten, als sie sich bei Königin Maria Christina um das Marquisat bewarben. Der Herr von Bearn, der nicht sagen will, dass es sich dabei um ein Stück des Geschirres, das den Tieren angelegt wird, handelt, beantwortet die päpstliche Frage so: „Es ist ein altes Adelsgeschlecht", was den Papst zufrieden stellt (ibidem, S. 169). Don Toni behandelt den Pfarrer immer wie seinen Untertan, und er verzichtet auch nicht darauf physische Gewalt anzuwenden, wenn Don Joan sich zu weit über die von ihm tolerierbaren Grenzen hinwegsetzt. Dies passiert bei zwei Gelegenheiten: Das erste Mal ist es genau an dem Tag, an dem der Pfarrer die Primiz hält. Während der kleinen Nachmittagsmahlzeit flüstert der Herr des Hauses ihm ins Ohr, dass der Unterschied zwischen Gott und Teufel nichts weiter als ein Missverständnis sei. Empört erhebt sich Don Joan vom Tisch und zieht sich zurück. Als Don Toni schließlich erreicht, dass der Pfarrer zum Tisch zurückkehrt, nachdem er ihn um Verzeihung gebeten hat, gibt er ihm vor allen zwei Nackenschläge. Aus Gründen des Platzmangels verzichte ich darauf, diese Passage wiederzugeben, aber es lohnt sich, sie zu lesen (I, 18; S. 101-102). Das zweite Mal passiert es in Rom, während des Aufenthaltes zwecks des Papstbesuches. Don Toni spricht den Wunsch aus, sich mit dem Papst allein zu unterreden: D i e letzten Worte holten mich aus meiner Schläfrigkeit. Ich sagte ihm, ich verzichte auf die päpstliche Audienz und warte in der Peterskirche auf ihn. Er gab mir einen Schlag in den Nacken, der mich fassungslos machte, denn unsere Kutsche war offen. (II, 1, S. 167.)
Sicherlich ohne es selbst zu furchten, hat Don Joan sein ganzes Leben auf den Herrn von Bearn ausgerichtet. Er kommt nicht einen Augenblick lang auf die Idee, sich von ihm unabhängig zu machen, obwohl er mehrmals ausreichend Grund dazu hätte, wie wir gesehen haben. Nach dem Tod der Herrschaften scheint er zu glauben, sein Leben hätte keinen weiteren Sinn mehr, als den, die
„Weil du erkältet warst", erwiderte ihr ruhig der Herr. .Jetzt erinnere ich mich daran. Es war schade". (11,18, S. 194.) Dieselbe Lüge, die als Antwort auf eine konventionelle Frage des Papstes gedient hatte, beweist später, wie passend sie war, da sie die Hausherrin zufrieden stellt, die doch diejenige ist, die am ehesten Grund hatte, diese Lüge anzuprangern.
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Memoiren des Don Toni zu veröffentlichen. Ein Leser, der sich genügend vom Text distanzieren kann, könnte nun denken, ein junger Mann mit so vielen intellektuellen Fähigkeiten wie er könne Ansprüche auf ein Amt oder eine Stelle eines höheren Niveaus haben, ohne deshalb auf seine Eigenschaft als Geistlicher zu verzichten: etwa als Lehrer eines Priesterseminars, als Rektor einer Gemeinde oder sogar als Kanoniker oder Sekretär eines hohen kirchlichen Würdeträgers, wie sein Kollege Miquel Gilabert; auch könnte er sich der Forschung oder dem Schreiben widmen und, alles in allem, der Kirche große Dienste erweisen. Nichts von alledem kommt ihm in den Sinn. Wir werden noch sehen, dass ihm, falls ihm die Möglichkeit jene Memoiren zu veröffentlichen verweigert würde, als einziger Ausweg diese Art unblutiger Selbstmord einfällt, den der Rückzug in ein abgelegenes Kloster bedeutet. Eine ähnliche Gegenüberstellung finden wir zwischen Don Toni und dem Vikar der Ortschaft, Don Andreu. Hier treten vor allem zwei Szenen mit den entsprechenden Dialogen hervor. In der ersten Szene besucht Don Andreu den Don Toni, um die Frage des Karnevalballes zu besprechen, eine Szene, die sich laut dem Erzähler jedes Jahr wiederholt. Im Dialog kommen die religiösen Ideen des Herrn von Bearn zum Ausdruck. 16 Der Kontrast zwischen dem Herrn des Hauses und dem Vikar ist in gewissen Momenten derselbe wie der zwischen dem ersten und Don Joan. Don Andreu zeugt von einer derartigen Naivität, dass sie dem Herrn von Bearn die Möglichkeit gibt, seine Überlegenheit unter Beweis zu stellen. Der Erzähler unterstreicht das noch: Ich weiß nicht, ob Don Andreu die Gewandtheit seines Gesprächspartners bemerkte, der im Begriff war, Schirmherr eines Festes zu sein, das er nicht genehmigte, und es obendrein noch verstand, seinen Ungehorsam als einen Unterwerfungsakt darzustellen. Don Andreu war ganz und gar nicht auf den Kopf gefallen, obwohl er es manchmal in seiner Bescheidenheit zuließ, den gegenteiligen Eindruck zu erwecken. „Ich danke Ihnen sehr...", murmelte er. Triumphierend machte Don Toni weitere Zugeständnisse. (I, 6; S. 47)
16
Hier ein Auszug: „Stellen Sie sich nur vor, Herr Vikar", sagte [der Herr von Bearn] (und das war typisch für ihn), „wir würden gleichzeitig mit dem Karneval auch die heilige Fastenzeit abschaffen". „Die heilige Fastenzeit bedeutet Buße, und nicht nur aufgrund des Karnevals, sondern auch jeder anderen Sünde." „Die Art der Sünde hat nichts zu sagen", argumentierte subtil der Herr, „aber es muss doch auf jeden Fall eine Sünde geben, damit es auch die heilige Fastenzeit geben kann" (1,6; S. 45). Hier muss hinzugefügt werden, dass, obwohl Don Joan der ganzen Szene beiwohnt, er fast nicht am Gespräch teilnimmt, wohl aufgrund der erzählerischen Logik: Da er der Erzähler ist, könnte er sie nicht erzählen, wenn er nicht anwesend gewesen wäre.
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Der andere Dialog zwischen den beiden findet während eines weiteren Besuches statt, der die Kapitel 13 und 14 des ersten Teiles des Romans ausfüllt. Don Andreu, der weiß, dass Na Xima zurückgekommen ist, versucht, die Gefahr einer erneuten Flucht des Don Toni mit ihr nach Paris zu bannen. Während des Gespräches stellt Don Toni seine Kunst in der Dialektik heraus, die natürlich der des Vikars bei weitem überlegen ist. Sie verfügen über unterschiedliche Waffen: Der Vikar muss sich den Einschränkungen fügen, die ihm seine Rolle als Verteidiger der Rechtgläubigkeit auferlegt; dank seines freien Geistes und seiner Skrupellosigkeit kennt Don Toni keine intellektuellen und moralischen Hindernisse; und wir dürfen auch nicht den Respekt vergessen, den er all denen, die ihn umgeben, einflößt und in gewisser Weise aufzwingt, und Don Andreu ist hier keine Ausnahme. Wo aber diese Überlegenheit der aristokratischen den religiösen Werten gegenüber am deutlichsten zum Ausdruck kommt, ist in der erwähnten Passage des dritten Kapitels im Zweiten Teil des Romans. Nach dem Tod des Vikars von Bearn, Don Andreu, folgt ihm ein junger Pfarrer fortschrittlicher Einstellung. Sehen wir nun, wie das erzählt wird: Zum Jahresfest der Herrschaften sprach er von Anfang an von einer „frommen Familie" statt von einer „adligen Familie". „Wie ich sehe, Don Francesc", sagte der Hausherr lächelnd, „haben Sie unseren Adel beseitigt". Er entschuldigte sich mit Argumenten demokratischer Art. „All dieses Zeug um die Herrschaften", sagte Don Toni, „ist überholt und dazu verurteilt zu verschwinden. Im 20. Jahrhundert wird sich niemand mehr darum kümmern. Der Sozialismus wird sich durchsetzen". Don Francesc wünschte ihm, er bleibe im Recht, aber nicht allzu sehr, und war dabei etwas verwirrt. Dona Maria Antonia lächelte. „Mein Mann, Joan", sagte sie leise zu ihm, „ist sich dessen sehr sicher, was im 20. Jahrhundert passieren wird". „Bedenken Sie, Don Toni", meinte der Vikar, indem er einen kleinen Rückzug antrat, „dass mit der Triumph der sozialistischen Doktrin auch das Chaos käme. Ich habe das mit der .adligen Familie' gerade deshalb nicht gesagt, weil ich vermeiden wollte..." „Sie haben vollkommen richtig gehandelt, Herr Vikar. Wir sind doch dieselben, egal ob man uns ,adlig' oder nur ,fromm' nennt." Der Vikar schenkte jenem „nur", das mir so erbärmlich vorkam, keine Aufmerksamkeit. Dona Maria Antonia sah auf. „Du hast ganz Recht, Tonet. So oder so werden wir doch dieselben bleiben." (II, 3; S. 122-123.)
Was nun indirekt hinter diesem „nur" steckt, ist leicht zu erraten: Um adlig zu sein reicht der Wille nicht aus; fromm sein dagegen kann jeder, der es sich nur vornimmt.
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Sicherlich sind sich nicht alle Leser des Wandels bewusst, den der Tod der Herrschaften in Don Joan bewirkt. Im Epilog verhält er sich wie ein bemerkenswert gewandter Mann, der in der Lage ist, die schlauen Besucher, die versuchen ihn zu bestechen, zu täuschen; diese Gewandtheit steht allerdings im Gegensatz zu der fehlenden Selbstkontrolle, die er während seines Aufenthalts in Paris gezeigt hatte. Es scheint fast, als ob die Abwesenheit des Hausherrn ihm Entscheidungsfahigkeit gäbe, während sie zugleich seine Verantwortung steigert, denn nun ist er derjenige, der über alles verfügt, und sei es auch nur dank der Vollmacht und des Vertrauens, die der Herr von Bearn ihm, dank einer Fügung des Schicksals, noch nach seinem Tod durch die Besucher vermitteln kann. Einer dieser Besucher liest ihm nämlich ein Fragment des letzten Briefes vor, den Don Toni an die preußischen Rosenkreuzer gerichtet hatte, als er von der Freimaurerloge Abstand nahm: [...] Wegen der Geheimnisse, die mir anvertraut wurden brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Noch heute kommen sie unter Verschluss in das Puppenkabinett, in Begleitung der Sammlungen und der Korrespondenz des perversen und diabolischen Don Felip, dessen Seele sehr wahrscheinlich im Limbus ist. Wie man in Katalonien zu sagen pflegt, ,jilenci pel que no entenem", es herrsche Schweigen über das, was wir nicht verstehen. Solange ich lebe, wird den Raum kein Mensch mehr betreten; dennoch kann ich mich nicht dazu entschließen, Dokumente zu zerstören, die morgen vielleicht mit zur Geschichte gehören, wenn es dann nicht dringendere Probleme zu lösen gilt. Ich habe kein Recht, über die Zukunft zu verfügen. Ich bin mir sicher, dass nach meinem Tod Don Joan Mayol, der jetzt Seminarist ist und im Laufe der Zeit, wenn es Gott gefällt, unser Hauspfarrer werden wird, wissen wird, was zu tun ist. (Epilog, S. 228.) Zunächst ist Don Toni perplex, doch dann fällt er die große Entscheidung: Zusammen mit dem Boten dieser Nachricht, En Tomeu, verbrennt er den ganzen Inhalt des Puppenkabinetts und verzichtet auf das Angebot, zeit seines Lebens der Verwalter der Finca von Bearn zu sein. „Nachdem das Opfer vollzogen war, war ich ruhig inmitten meiner völligen Blöße, in der Gewissheit, die Wünsche meines Protektors interpretiert zu haben" (Epilog, S. 232). Einmal von der Gegenwart des Herrn von Bearn befreit, ist er ihm treuer denn je. Während der Erzählung hat er mehrmals seine Bedenken Don Toni gegenüber geäußert, die ihm vor allem aufgrund seiner Rolle als Geistlicher auferlegt war, welche ihn dazu zwang, die Grundsätze der Kirche zu verteidigen. Nach dem Tod des Hausherrn wird Don Joan sich in dem möglichen Konflikt zwischen Don Toni - verkörpert in seinen Memoiren, die das höchste Ziel seines Lebens darstellten - und der Kirche auf die Seite des Herrn von Bearn stellen. Dies kommt ganz klar in den letzten Zeilen des Romans zum Ausdruck:
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[...] Und du wirst eine Kopie der Memoiren erhalten, um sie zu überprüfen und dann dem Herrn Kardinal zum Begutachten zu übergeben, unter der Voraussetzung dass ich, wenn sich das Urteil seiner Eminenz gegen den letzten Willen des Verstorbenen richtet, von meinem Recht Gebrauch machen werde, in Rom dagegen zu appellieren. Sollte auch dort meine Stimme nicht angehört werden, so bleibt mir niemand mehr, an den ich mich auf der Erde wenden könnte, und ich würde mich in irgendein abgelegenes Kloster zurückziehen, um dort den Tod zu erwarten. „Adhuc sub iudice Iis est", schrieb Horaz in seiner Ars Poetica. Nach dem Verlust dieser Ländereien von Bearn, mit seinen lustigen und schrecklichen Geheimnissen, nach der Beerdigung des Geistes, den mein Protektor uns mit seinem Werk hinterlassen wollte, bliebe mir immer noch der Trost, eines Tages auf die höchste Gerechtigkeit Gottes vertrauen zu können. (S. 234) Zuvor haben wir gesehen, wie die Baronin von Bearn in ihrer Auseinandersetzung mit Don Valenti, Dona Obdülias Beichtvater, darauf vertraut, dass sie, trotz ihrer momentanen Niederlage, letzten Endes besser vor den Augen Gottes dastehen wird. Jetzt ist der Vertreter des Herrn von Bearn derjenige, der dem negativen Urteil der höchsten kirchlichen Autorität gegenüber hofft, ein positives Urteil von der allerhöchsten und definitiven Instanz zu erhalten. Noch einmal bestätigt sich hier die Überlegenheit der Werte, die Don Toni verkörpert, jenen Werten gegenüber, welche die sichtbare Kirche, selbst auf absoluter Ebene, vertritt, vor den Augen Gottes. JOSEP A . GRIMALT
Universität de les Illes Balears
Biographische Daten (zusammengestellt von Rafel Crespi)
1897 1901 1904
19061909 1912
1913
1914-
1916 1918 1919 1920
1923
1924
In Palma de Mallorca geboren. Eltern: Miquel Villalonga i Muntaner, Berufssoldat, und Joana Pons Marques. Wohnt in Maó und La Coruña, wo er lesen lernt. Rückkehr nach Palma. Hat Llobera als Lehrer. Bei Mme. Alcántara - der Mme. Albarat der Falses Memöries - lernt er Französisch. Erholungsaufenthalte in Bunyola. Freundschaft mit dem dortigen Schmied, der ihm Schwimmen und Reiten beibringt. Besuch des Gymnasiums. Besucht weiter als freier Schüler das Gymnasium. Entdeckt A. France und sein Le Lys rouge. Verfasst erste, in Zusammenarbeit mit seinem Bruder Miguel geschriebene Artikel, die in der mallorquinischen Zeitung Última Hora erscheinen. Unterbricht den Gymnasialunterricht, um die Aufnahmeprüfung in die Militärakademie von Toledo vorzubereiten, die er aber dann doch nicht macht. Auch die von der Familie unternommenen Versuche, ihn Rechtsanwalt oder Pfarrer werden zu lassen, scheitern. Jahre der Unentschlossenheit. Er bricht seine Ausbildung ab. Lektüre von Autoren wie Galmés, Costa i Llobera, Aleover, Oliver. Nimmt die Ausbildung wieder auf. Entdeckt Voltaire. Deutschkurs. Entschließt sich, Medizin zu studieren. Abitur und Absolvierung des Einfuhrungskurses in Medizin in Murcia. Er immatrikuliert sich in Barcelona, wo er zwei Jahre lang studiert; es sind die fruchtbarsten in seiner medizinischen Ausbildung. Vom Katalanismus fühlt er sich nicht angezogen. Zusammen mit anderen Kollegen entdeckt er Barcelonas frivoles Nachtleben. Er liest Balmes und Ortega y Gasset. Im Sommer 1921 verfasst er einen Entwurf zu Mort de Dama. Häufige Theaterbesuche. Zum Zeitvertreib beginnt er zu schreiben. Studium in Madrid. Er verkehrt im dortigen bekannten Studentenheim, wo er Vorträge von Marañón und Ortega hört. Tod seines Vaters. Freundschaft mit Jacinto Grau. Tod seiner Tante Rosa Ribera der Dona Obdülia seiner Werke - . Veröffentlichungen literarischer Arbeiten, politischer Kommentare und Essays in der mallorquinischen Zeitung El Dia; erster Zusammenstoß mit dem mallorquinischen Lokalpatriotismus. Verbringt eine Zeit als Student in Zaragoza, wo er im Studentenheim wohnt, dessen Atmo-
186
1925-26
1927
1928
1929
1930-31
1932
1933 1934
1935
1936
Biographische Daten Sphäre in El Misantrop und in den Falses Memòries evoziert wird. Er liest Proust und veröffentlicht Essays über A. France, Ortega y Gasset, Valle-Inclán. El Día veröffentlicht La catástrofe del hotel, sein erster Romanversuch. Als Arzt in der Klinik der Familie Peñaranda und in seiner Privatpraxis tätig. Reise nach Barcelona, um dort Vorträge zu hören. Während seines Aufenthalts versucht M. Ferrà, ihn für den Katalanismus zu gewinnen. Veröffentlichungen in Última Hora, Revista Mèdica Balear, La Nostra Terra, El Día, La Libertad. Er bricht mit der Gruppe um La Nostra Terra. Verteidigung der architektonischen Forderungen von Le Corbusier. Medizinvorlesungen in Paris. Auf der Rückreise fährt er über Madrid, wo er Pérez de Ayala kennen lernt. Arbeit in der psychiatrischen Anstalt in Palma. Tod seiner Mutter. In seinen Presseartikeln betont er die Notwendigkeit einer sozialisierten Medizin und die Verteidigung einer funktionalen Architektur; auch seine Angriffe auf die Escola Mallorquína häufen sich. Veröffentlichungen in Ciutadania. Im April 1931 erscheint der Roman Mort de Dama, der von La Nostra Terra aus angegriffen und von G. Alomar und M. Verdaguer verteidigt wird. Er verkündet seine Skepsis der 2. spanischen Republik gegenüber. El Dia veröffentlicht seine Erzählung Julieta Recamier und die Diálogos Socráticos: de la muerte. Die Dichterin Emilia Bernal (Silvia Ocampo) kommt nach Mallorca. Fedra erscheint auf Spanisch. Artikel in El Dia, in denen er sich gegen den politischen Gebrauch wissenschaftlicher Fragen wendet; er zeigt Interesse an der Politik und erklärt sich als Gegner sowohl der Demagogie der Linken als auch des Immobilismus der Rechten. Intime Freundschaft mit Eva Tay. Von El Dia aus greift er die Nou Poemes von R. Pòrcel an. Erscheinen von Centro, einer Sammlung von in der Presse veröffentlichten Artikeln. Er publiziert die erste Nummer der Zeitschrift Brisas, die das Wochenblatt D 'aci i d 'allá zum Vorbild hat. Er schreibt dort Gedichte, Erzählungen und Artikel. Er wählt Lerroux. Reise nach Madrid und Barcelona. Freundschaft mit S. Espriu. In Brisas erscheint die spanische Fassung von Mort de Dama, das Theaterstück Silvia Ocampo und weitere Erzählungen und Gedichte. Er fangt an, Mme. Dillon in Brisas zu veröffentlichen. Bei Kriegsbeginn stellt er sich auf die Seite der Aufständischen; den-
Biographische Daten
1937
1938 1940-50
1950-55
1956
1958-60
1961
1962 1963 1964
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noch verteidigt er öffentlich die katalanistischen Intellektuellen. Er heiratet Maria Teresa Gelabert. Er produziert Radiosendungen faschistischen Inhaltes, die er unterbrechen muss, da sie nicht sehr orthodox sind. Die Zensur verbietet ihm die Veröffentlichung von Mme. Dillon. Er lebt in Binissalem, wo er das Gedicht Falange schreibt. Von den Eingriffen der Zensur ermüdet, stellt er seine Mitarbeit in der Presse ein. Da ihm die Zensur zur Last fällt, veröffentlicht er wenig. Er hilft seinem bereits kranken Bruder Miguel bei seinen Artikeln und schreibt für El Español. 1944 veröffentlichen Lloren? und Miguel Villalonga die Biographie Chateaubriand, el vizconde romántico. 1945 reist er nach Santiago und Lissabon, eine Reise, die er in einem Desbarat erzählt. Möglicherweise verfasst er Bearn. 1947 stirbt sein Bruder Miguel. 1949 reist er nach Paris. In diesem Jahrzehnt fangt er an, für die Zeitung Baleares zu schreiben und verfasst wahrscheinlich die im ersten Teil der Daedalus-Ausgabe enthaltenen Desbarats. Literarischer Stammtisch in Riskal. 1952 erscheint im Verlag Moll der Roman Novel-la de Palmira. Reise in die Schweiz und nach Frankreich. 1954 erscheint im Verlag Selecta die zweite Ausgabe von Mort de Dama mit einem Vorwort von S. Espriu; die Zeitschrift Raixa veröffentlicht Esprius katalanische Version von Fedra, während im Verlag Atlante eine neue spanische Fassung dieses Werkes erscheint. Atlante veröffentlicht die spanische Version des Romans Bearn. In der Zeitschrift Raixa erscheinen Faust und der Desbarat Viatge a París de Minos i Amaranta el 1947. 1958 erscheint die Sammlung von Erzählungen El lledoner de la clastra und der Roman Desenlace en Montlleó, der den Literaturpreis „Ciutat de Palma" erhält. Arbeiten am zweiten Teil der Desbarats. Veröffentlichung der ersten katalanischen Ausgabe von Bearn („Club deis Novel-listes") und des Romans L'Àngel rebel (1974 unter dem Titel Fio la Vigne veröffentlicht). Im Dezember führt die Agrupado Dramática de Barcelona Villalongas Faust auf. Veröffentlichung von Desenllag a Montlleó. Auf die Bitte eines katalanischen Verlegers hin überarbeitet er den Roman Mme. Dillon, der unter dem Titel L'hereva de Donya Obdulia (in den gesammelten Werken unter dem Titel Les Temptacions) erscheint. Veröffentlichung von zwei Theaterstücken: A quii-les o l'impossible und Alta i benemèrita senyora.
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Biographische Daten Herausgegeben von Jaume Vidal Aleover, erscheinen die Desbarats im Daedalus Verlag. Veröffentlichung des ersten und bis jetzt einzigen Bandes des Gesamtwerkes (Obres Completes), in dem zum ersten Mal die vollständige Fassung des Romans Bearn o la sala de les nines erscheint. Er verfasst die Falses Memöries de Salvador Orlan, die im folgenden Jahr herauskommen. Er tritt als stellvertretender Leiter der psychiatrischen Anstalt zurück. Von jetzt an schreibt und veröffentlicht er regelmäßig jedes Jahr einen Roman. Veröffentlichung von Les Fures. Er wirkt als Lehrer und Meister Mallorcas junger Schriftsteller. Verfassen des Romans La gran batuda, in dem er die ihm lästigen Dinge der modernen Gesellschaft karikiert. Veröffentlichung des Romans La gran batuda. Er erbt das Familienarchiv in Tofla. Von einer dort aufgefundenen Anekdote ausgehend, schreibt er La Virreyna. Veröffentlichung von El llumí i altres narracions. Veröffentlichung von La Virreyna, El Angel Rebeide und Bearn (spanische Version bei Seix Barrai). Unter dem endgültigen Titel erscheint nun der Roman L'Hereva de dona Obdulia o les temptacions, der den nationalen Literaturpreis „Narcis Oller" erhält. Erscheinen von La Lulú, womit er die Ehrerbietung seitens M. Rodoreda erwidert. J. Pomar übersetzt Les temptacions ins Spanische. Ricard Salvat führt das Theaterstück Mort de Dama auf. Veröffentlichung von Dos pastiches proustianos (Anagrama) und von drei Gedichten in der Zeitschrift Bajari. Veröffentlichung von El Misantrop, wo er seine Studentenzeit in Zaragoza schildert. Es erscheinen auch Lulú Regina und eine spanische Fassung von Mort de Dama. Er erhält den Literaturpreis „Josep Pia" für seinen Roman Andrea Victrix, den er wahrscheinlich Anfang der Sechzigeijahre geschrieben hat. Veröffentlichung von Fio la Vigne, Andrea Victrix, einer spanischen Fassung von El Misantrop, den Erzählungen La Dama de l 'Harem, Despropósitos (spanische Fassung der Desbarats) und dem Buch Narracions 1924-74. Erscheinen von La Marquesa de Pax, die Ausgabe der Desbarats im „Club deis Novel-listes". Veröffentlichung des Romans Un estiu a Mallorca, den er gegen 1934 unter dem Titel Rosa i Gris verfasst hatte, und dem das Theaterstück Silvia Ocampo zugrunde liegt. An einer fortschreitenden Krankheit leidend, stellt er die literarische Tätigkeit ein.
Biographische Daten 1979 1980
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Die Zeitschrift Eis Marges veröffentlicht das Theaterstück Escola de Neurosi. Er stirbt in Palma.
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Es werden nur die Ausgaben angegeben, die dem Leser gut zugänglich sind.
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