Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2009: Vorträge auf den Elften Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 4. bis 6. März 2009 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.] 9783428532780, 9783428132782

Der Band dokumentiert die Vorträge, die auf den 11. Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag

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German Pages 318 Year 2010

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Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2009: Vorträge auf den Elften Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 4. bis 6. März 2009 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.]
 9783428532780, 9783428132782

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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 202

Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungsund Umweltrechts 2009 Vorträge auf den Elften Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 4. bis 6. März 2009 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von

Jan Ziekow

a Duncker & Humblot · Berlin

JAN ZIEKOW (Hg.)

Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungsund Umweltrechts 2009

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 202

Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungsund Umweltrechts 2009 Vorträge auf den Elften Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 4. bis 6. März 2009 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von

Jan Ziekow

a Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 978-3-428-13278-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Der vorliegende Band fasst die Vorträge zusammen, die auf dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag am 4. März 2009 und den Elften Speyerer Planungsrechtstagen vom 4. bis 6. März 2009 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer gehalten wurden. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltungen waren Vertreter aller Ebenen der Verwaltung, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Rechtsanwaltschaft, von Planungsträgern und -büros, der Wirtschaft und der Wissenschaft. Meine Sekretärinnen, Frau Erika Kögel und Frau Ruth Nothnagel, haben sachkundig die Formatierung des Bandes übernommen; hierfür sei ihnen gedankt. Darüber hinaus gebührt Frau Dr. Corinna Sicko und den Herren Dr. Alfred Debus, Dr. Thorsten Siegel und Dr. Alexander Windoffer herzlicher Dank für die Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung. Speyer, im September 2009

Jan Ziekow

Inhaltsverzeichnis Einheitlicher Europäischer Luftraum Von Nikolaus Herrmann, Langen ........................................................................ 9 Nachhaltigkeit im Fluglärmschutz Von Michael Bayr, Potsdam ...............................................................................

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Luftsicherheit in der Praxis – Eigensicherung von Luftfahrtunternehmen und Reglementierten Beauftragten Von Karsten Baumann, Braunschweig ..............................................................

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Die Festlegung von Flugrouten auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung zu § 29 b LuftVG Von Regine Rausch-Gast, Berlin ........................................................................

63

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzeptes. Inhalt und Standpunkte Von Ulrich Hösch, München ..............................................................................

73

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzepts der Bundesregierung. Notwendigkeit und rechtlicher Rahmen einer zentralen Flughafenplanung Von Tobias Lieber, Freiburg i.Br. ...................................................................... 103 Flughafenplanung und Umweltverträglichkeit Von Alexander Jannasch, Leipzig ...................................................................... 113 Ansprüche auf Schallschutzmaßnahmen aus Grundrechtsverletzungen? Von Thomas Seegmüller, Bonn .......................................................................... 137 FFH-Verträglichkeitsprüfung und Abweichungsentscheidung Von Ulrich Storost, Leipzig ................................................................................ 153

Inhaltsverzeichnis

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Eisenbahnrechtliche Aspekte in der Straßenplanfeststellung Von Dirk Herrmann, Karlsruhe .......................................................................... 173 Inhaltliche Abweichungen von bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlüssen Von Annette Guckelberger, Saarbrücken ............................................................ 189 Das neue Raumordnungsgesetz Von Wolfgang Durner, Bonn ............................................................................. 227 Die Regelungen des Umweltschadensgesetzes über Schäden an Arten und natürlichen Lebensräumen und ihre Auswirkungen auf das Planungsrecht Von Hans Walter Louis, Braunschweig .............................................................. 247 Europäischer Gebiets- und Artenschutz. Das Ende der Infrastrukturprojekte – oder bleibt alles beim Alten? Von Bernhard Stüer, Münster ............................................................................ 261 Neue Entwicklungen von Verbandsbeteiligung und -klage nach Naturschutzrecht und Umweltrechtsbehelfsgesetz Von Alexander Schmidt, Bernburg ..................................................................... 283 Das Ökokonto in der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung Von Holger Steenhoff, Offenburg ....................................................................... 301 Verzeichnis der Autoren ........................................................................................... 317

Einheitlicher Europäischer Luftraum Von Nikolaus Herrmann1 Zum Herbst dieses Jahres2 wird aller Voraussicht nach die lange Geschichte der Neuregelung der Flugsicherung zu einem vorläufigen Abschluss kommen, nachdem der Deutsche Bundestag am 28. Mai das „Gesetz zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften“3 beschlossen und der Bundesrat am 10. Juli keinen Einspruch erhoben hat. Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes wird das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung als neue Bundesoberbehörde errichtet. Jeweils gleichzeitig haben Bundestag und Bundesrat ein Gesetz zur Änderung des Art. 87d GG4 und ein „Gesetz zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften“5 beschlossen.

I. BAF als neue Bundesoberbehörde Dass in Deutschland eine neue Behörde gegründet wird, hat nichts mit einem gerne und wohlfeil beklagten Überborden von Bürokratie zu tun. Die Errichtung dieser Behörde folgt vielmehr aus Vorgaben europarechtlicher Vorschriften – Vorschriften, die dem schon seit Langem von den europäischen Rechtsetzungsorganen verfolgten Ansatz folgen, aus den ehemals staatlichen Sektoren sogenannte Dienstleistungen wirtschaftlicher Art herauszulösen und nur die unabdingbar hoheitlichen Aufgaben staatlichen Regulierungsbehörden zuzuweisen. Die nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft bestehenden Aufgaben einer Nationalen Aufsichtsbehörde für Flugsicherung sind bislang durch eine Außenstelle eines Referates des Bundesverkehrsministeriums wahr___________ 1

Der Aufsatz gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder. Die Ausführungen beruhen auf dem Stand der Gesetzgebungsverfahren zum Zeitpunkt des Abschlusses des Manuskripts im Juli 2009. 3 BT-Drs. 16/11608, 16/13213, BR-Drs. 599/09, 599/09(B). 4 BT-Drs. 16/13105, 16/12280, 16/13217, BR-Drs. 561/09, 561/09(B). 5 BT-Drs. 16/12279, 16/13213, BR-Drs. 600/09, 600/09(B). 2

Nikolaus Herrmann

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genommen worden; diese Stelle bildet sozusagen die Keimzelle der neuen Behörde. Die Aufgaben des künftigen Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung sind also keine neue Bürokratie, diese Aufgaben hat es der Sache nach auch in der Vergangenheit gegeben, Aufgabenstrukturen und Formen der Aufgabenwahrnehmung haben sich aber gewandelt und werden sich auch noch weiter wandeln.

II. SES: Regelungsrahmen Künftige Veränderungen sind bereits absehbar. Derzeit befindet sich das zweite Paket zur Regelung des Einheitlichen Europäischen Luftraums im europäischen Rechtsetzungsverfahren.6 Der Rat wird voraussichtlich im Herbst abschließend entscheiden. Dabei ist das erste Paket mit diesem Thema noch gar nicht so alt. Die grundlegenden vier „Single European Sky“- oder „SES“-Verordnungen stammen aus der Mitte des Jahres 20047 – das ist, verglichen mit der gut 50-jährigen Geschichte der Europäischen Union seit den Römischen Verträgen ein recht kurzer Zeitraum. Doch auch diese kurze Zeit zwischen erstem und zweitem Paket war keine Zeit des zögernden Abwartens. Die in diesem Zwischenraum erlassenen europäischen Rechtsnormen, also Richtlinien und im vorliegenden Zusammenhang vor allem Verordnungen, sind inzwischen nur noch dem Eingeweihten überschaubar. Zu nennen sind bis heute eine Richtlinie und zwanzig Verordnungen, und dazu kommen noch eine Entscheidung und vier wesentliche Kommissionsmitteilungen.

___________ 6

Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25. März 2009, P6_TA(2009)0169. 7 Verordnung (EG) Nr. 549/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2004 zur Festlegung des Rahmens für die Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraums („Rahmenverordnung“), ABl. L 96, 1; Verordnung (EG) Nr. 550/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2004 über die Erbringung von Flugsicherungsdiensten im einheitlichen europäischen Luftraum („Flugsicherungsdienste-Verordnung“), ABl. L 96, 10; Verordnung (EG) Nr. 551/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2004 über die Ordnung und Nutzung des Luftraums im einheitlichen europäischen Luftraum („Luftraum-Verordnung“), ABl. L 96, 20; Verordnung (EG) Nr. 552/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2004 über die Interoperabilität des europäischen Flugverkehrsmanagementnetzes („Interoperabilitäts-Verordnung“), ABl. L 96, 26.

Einheitlicher Europäischer Luftraum

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III. SES: Ziele Das Ziel dieses Regelungswerks beschreibt die Kommission in ihrer grundlegenden Mitteilung vom 1.12.1999 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraums8 wie folgt: „Die Gemeinschaft muß ihrer Verantwortung gerecht werden, indem sie das Luftraummanagement mit ihrer wirtschaftlichen und politischen Integration in Einklang bringt. […] Die Gemeinschaft kann nicht im europäischen Luftraum Grenzen aufrecht erhalten, die sie am Boden abgeschafft hat, und muß dafür Sorge tragen, daß der freie Personen-, Warenund Dienstleistungsverkehr über solche Grenzen hinaus funktioniert.“ Allerdings – absperrbare und kontrollierbare Grenzen wie am Boden existieren in der Luft nicht. Ein Einheitlicher Europäischer Luftraum ist außerhalb des Luftverkehrssektors jedenfalls nicht so spektakulär wahrnehmbar wie die Abschaffung der Grenzkontrollen am Boden im Schengen-Raum. Denn die Regeln und Verfahren, nach denen ein Flugzeug über Staatsgrenzen hinweg von Punkt A nach Punkt B geleitet wird, sind in allererster Linie technische Regeln – technische Regeln, deren vorrangiger Zweck es ist, den Luftverkehr sicher abzuwickeln.

IV. Flugsicherung als (teilweise) hoheitliche Aufgabe Worum also geht es bei einem einheitlichen europäischen Luftraum? Zunächst ist der Souveränitätsaspekt zu nennen. Flugverkehrskontrolle findet in sogenannten Kontrollsektoren statt, das sind die kleinsten operationalen Teile des Luftraums – dreidimensionale Luftraumblöcke, für die jeweils einem oder mehreren Flugverkehrslotsen die Verantwortung übertragen ist. Und diese Kontrollsektoren enden und beginnen derzeit in den Grenzregionen in aller Regel an oder – genauer gesagt – über den Staatsgrenzen und nicht dort, wo dies für eine flüssige Verkehrsabwicklung sinnvoller wäre. Das ist kein spezifisch deutsches Problem. Die Lenkung des Luftverkehrs wird nicht nur hier als Ausübung von Hoheitsgewalt begriffen. Insbesondere stellt Erwägungsgrund 5 der Flugsicherungsdienste-Verordnung9 fest, dass „die Erbringung von Flugverkehrsdiensten gemäß dieser Verordnung mit der Ausübung von hoheitlichen Befugnissen zusammen[hängt].“ Allerdings bezieht sich dies nur auf sogenannte Flugverkehrsdienste, nicht aber auf die technischen Unterstützungsdienste. Hierzu heißt es nämlich ebenda in Erwägungs___________ 8 9

KOM/99/0614 endg., S. 5. VO (EG) 550/2004.

Nikolaus Herrmann

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grund 13: „Die Erbringung von Kommunikations-, Navigations- und Überwachungsdiensten sowie von Flugberatungsdiensten sollte unter Berücksichtigung der besonderen Merkmale dieser Dienste und unter Aufrechterhaltung eines hohen Sicherheitsniveaus zu Marktbedingungen organisiert werden.“ Das Europarecht sieht also Flugsicherung nicht schlechthin als hoheitliche Tätigkeit an. Demgegenüber hatte der Bundespräsident in seiner Entscheidung vor zweieinhalb Jahren, als er das seinerzeitige Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung nicht unterzeichnet hatte, die Flugsicherung als Teil der Luftverkehrsverwaltung gesehen. Wörtlich hatte er dazu ausgeführt, „die im Gesetz vorgesehenen Regelungen über die Beaufsichtigung einer privatisierten Flugsicherungsorganisation [würden] nicht der Gewährleistungsverantwortung gerecht, die der Staat für die hoheitliche Aufgabe der Flugsicherung trägt.“10 Noch deutlicher ist die dazu veröffentlichte Presseerklärung, in der es heißt, „die Flugsicherung [sei] eine sonderpolizeiliche Aufgabe und somit hoheitlich wahrzunehmen“.11 Deutsches Verfassungsverständnis und europäische Gesetzgebungsmaterialien verfolgen also bisher abweichende Ansätze. Die nunmehr von Bundestag und Bundesrat beschlossene Grundgesetzänderung trifft keine ausdrückliche Regelung darüber, was der Begriff der Luftverkehrsverwaltung im Einzelnen umfasst. Und auch in der dem Gesetzesbeschluss voraufgegangenen öffentlichen Anhörung vor dem Verkehrsausschuss des Bundestages blieb diese Frage unter den angehörten Experten umstritten.12 Das Gesetz zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften übernimmt aber nunmehr im neu gefassten § 27c LuftVG die im Europarecht angelegte Differenzierung zwischen Flugverkehrsdiensten als weiterhin hoheitliche Aufgabe und technischen Unterstützungsdiensten als nicht hoheitliche Tätigkeit der Flugsicherungsdienstleister.

V. Trennung operativer und regulativer Tätigkeit Flugsicherung ist jedoch nicht nur ein Verfassungsproblem. Auch auf einfachgesetzlicher Ebene und im Gesetzesvollzug ergeben sich eine Reihe durchaus grundsätzlicher Rechtsprobleme. Ansatzpunkt des europäischen Rechtsregimes ist dabei die Trennung von operativen und regulativen Aufgaben. ___________ 10

BT-Drs. 16/3262. Presseerklärung vom 24.10.2006, http://www.bundespraesident.de/Journalistenservice/Pressemitteilungen-,11107.633675/Bundespraesident-Horst-Koehler.htm. 12 86. Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 22. April 2009, Dokumente unter http://www.bundestag.de/ausschuesse/a15/anhoerungen/86_ Deutsche_Flugsicherung/index.html. 11

Einheitlicher Europäischer Luftraum

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Die Deutsche Flugsicherung GmbH war bislang ein in der Rechtsform des Privatrechts geführtes Stück bundeseigener Verwaltung. Nach § 31b LuftVG in Verbindung mit der Verordnung zur Beauftragung eines Flugsicherungsunternehmens nimmt sie die bislang als hoheitlich begriffenen Aufgaben der Flugsicherung wahr, und zwar in dem Umfang, in dem § 27c Abs. 2 LuftVG diese Aufgaben definiert. Künftig gilt dies so nur noch für die Flugverkehrsdienste. Vom Europarecht her betrachtet ist die rechtliche Situation dabei eher einfach. Zur Sicherung der Einheitlichkeit des normativen Rahmens ist das Instrument der EG-Verordnung gewählt worden. EG-Verordnungen sind unmittelbar geltendes Recht. Sie genießen Anwendungsvorrang im Einzelfall. Eine Anpassungs- oder Umsetzungspflicht für die Mitgliedstaaten gibt es nicht. Aber das Fehlen einer Anpassungspflicht heißt nicht, dass das Recht schon a priori passgenau wäre. Insbesondere gilt dies für das bislang geltende Recht. Die Systematik des § 27c Abs. 2 LuftVG und die Systematik der SES-Verordnungen wichen ganz erheblich voneinander ab. Hier schafft die Neufassung des § 27c LuftVG die erforderliche Harmonisierung. Das bisherige deutsche Recht unterscheidet bei der Definition der Aufgaben der Flugsicherung im hier relevanten Zusammenhang zwischen Flugsicherungsbetriebsdiensten und flugsicherungstechnischen Diensten, das Europarecht definiert hingegen „Flugsicherungsdienste“ als Flugverkehrsdienste, Kommunikations-, Navigations- und Überwachungsdienste, Flugwetterdienste sowie Flugberatungsdienste. Dies scheint zunächst so, als seien Europarecht und deutsches Recht bislang nicht kompatibel gewesen. Bei den darunterliegenden Definitionen der Begriffe Flugsicherungsbetriebsdienste einerseits und Flugverkehrsdienste andererseits ergibt sich aber doch ein recht großer begrifflicher Überschneidungsbereich. Diese Überschneidung ist keineswegs verwunderlich, da ja die technischen System und ihre Handhabung international jedenfalls in ihrer grundsätzlichen Funktionsweise weitgehend standardisiert sind. Was also alles zum operativen Geschäft der Flugsicherung gehört, darüber ließ sich auch schon bisher bei allen Definitions- und Abgrenzungsproblemen durchaus Konsens erzielen.

VI. Neugestaltung des untergesetzlichen Regelungsrahmens Die DFS, die Deutsche Flugsicherung GmbH, war und ist zum Teil auch weiterhin – wie bereits dargestellt – Luftverkehrsverwaltung und Flugsicherungsdienstleister in Einem. Eine Trennung zwischen „regulativem“ und „operativem“ Geschäft war in der Vergangenheit daher nicht erforderlich – jedenfalls nicht in der Form und in dem Verständnis, wie dies inzwischen das Europarecht vorgibt.

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Sicher gab und gibt es auch innerhalb der DFS Tätigkeiten, die – in einem ganz umfassenden Sinn – regulativer Natur sind, d.h. das Setzen von Regeln betreffen. Insbesondere existieren einige Regelungswerke der DFS, die auch in dem amtlichen Bekanntmachungsblatt für die Luftfahrt, den „Nachrichten für Luftfahrer“ veröffentlicht worden sind. Diese Regeln sind aber nicht zwingend stets auch alle „Regulierung“ im Sinne der europarechtlichen Vorgaben. Die Begriffe „operativ“ und „regulativ“ selbst führen dabei nicht wirklich weiter. Denn Regelungen müssen auch für die internen betrieblichen Abläufe eines Unternehmens getroffen werden. Auch operatives Geschäft bedarf also des Setzens von Regeln. Erforderlich ist daher eine Abgrenzung, wie viel an Regelung mit hoheitlicher Geltungskraft verbunden sein muss und wie viel der unternehmerischen Verantwortung überlassen bleiben kann. Auch wenn das Europarecht trotz seines sogenannten „Neuen Ansatzes“ mit der Übergabe eines großen Teils der Verantwortung an die Wirtschaft von erstaunlicher Detailtiefe ist, so war eine solche Abgrenzung jedenfalls nie Grundlage des vorhandenen Regelungswerks unterhalb der Verordnungsebene. Die bestehenden Regelwerke müssen folglich überarbeitet werden – was in staatliche Verantwortung gehört, muss auch staatlicherseits geregelt werden. Die neu gefassten Absätze 4 bis 4c der Verordnungsermächtigung des § 32 LuftVG bieten hierfür die erforderliche gesetzliche Grundlage.

VII. Einzelfallentscheidungen bei der Aufsicht Zum sogenannten regulativen Geschäft gehört aber nicht nur das Setzen von Regeln; dazu gehören auch Einzelfallentscheidungen. Insoweit geht es nicht so sehr um die Trennlinie zwischen Behördentätigkeit und Tätigkeit des Dienstleisters, sondern um Fragen, die sich aus der europarechtlichen Überformung des deutschen Verwaltungsrechts ergeben. So gibt das Europarecht den Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten auf, Aufsichtsmaßnahmen, insbesondere sogenannte Audits und Inspektionen durchzuführen. Die Formulierungen des Europarechts sind dabei allerdings keineswegs konsistent. Für „Inspektionen und Überprüfungen“ nach Artikel 6 der VO (EG) 2096/2005 ist vorgesehen, dass diese „im Einklang mit den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in denen sie durchzuführen sind“, erfolgen. Für „Audits der Sicherheitsregelung“ nach der VO (EG) 1315/2007 wird hingegen ein komplexes Verfahren europarechtlich vorgegeben. Artikel 6 Absatz 6 dieser Verordnung ist dabei wie folgt formuliert: „Die Beobachtungen im Audit und festgestellten nichtkonformen Sachverhalte werden dokumentiert. […] Es ist ein Auditbericht zu erstellen, in dem die nichtkonformen Sachverhalte im Einzelnen aufgeführt sind.“

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Auch wenn durchaus umstritten ist, wo bei Überwachungsmaßnahmen die Grenze zwischen bloßem Gesetzesvollzug und dem Erlass von Verwaltungsakten liegt, können auch bloße Feststellungen Verwaltungsakte sein. So heißt es z.B. in einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 2003: „Für einen feststellenden Verwaltungsakt ist kennzeichnend, dass er sich mit seinem verfügenden Teil darauf beschränkt, das Ergebnis eines behördlichen Subsumtionsvorgangs festzuschreiben; einer Festsetzung von Ge- und Verboten in der jeweiligen behördlichen Maßnahme bedarf es jedenfalls nicht, wenn die Rechtsfolgen im Gesetz geregelt und dadurch gleichsam vor die Klammer gezogen worden sind.“13 Letztlich braucht aber nicht weiter vertieft zu werden, ob solche Feststellungen im Rahmen der Sicherheitsaufsicht Regelungen im Sinne der Verwaltungsakt-Definition des § 35 VwVfG oder lediglich Hinweise an den bereits gesetzlich Verpflichteten auf eine nicht gesetzeskonforme Situation sind. Denn die weiteren Regelungen der VO (EG) 1315/2007 sehen durchaus ein Verwaltungshandeln vor, dass Anordnungscharakter trägt, allerdings in einer für den deutschen Sprachgebrauch ungewohnten Form. Artikel 7 lautet nämlich wie folgt: (1) Die nationale Aufsichtsbehörde übermittelt der bewerteten Organisation die Ergebnisse der Audits und fordert sie gleichzeitig zu Abhilfemaßnahmen auf, um […] die festgestellten nichtkonformen Sachverhalte zu beheben. (2) Die bewertete Organisation entscheidet über die Abhilfemaßnahmen, die sie zur Behebung eines nichtkonformen Sachverhalts für erforderlich hält, und legt den Zeitrahmen für die Durchführung dieser Maßnahmen fest. (3) Die nationale Aufsichtsbehörde prüft die von der bewerteten Organisation beschlossenen Abhilfemaßnahmen und deren Durchführung und billigt sie, wenn sie zu dem Schluss kommt, dass sie ausreichen, um die nichtkonformen Sachverhalte zu beheben. (4) Die bewertete Organisation leitet die von der nationalen Aufsichtsbehörde gebilligten Abhilfemaßnahmen ein. Diese Abhilfemaßnahmen und die entsprechenden Folgemaßnahmen sind innerhalb des von der nationalen Aufsichtsbehörde genehmigten Zeitraums abzuschließen. Über die Abhilfemaßnahmen „entscheidet“ danach nicht die Behörde, sondern der Adressat. Verwaltungsakte sind aber nach § 35 VwVfG behördliche Entscheidungen. So völlig ungewöhnlich ist die genannte Verordnungsregelung nun aber doch nicht. Bei Altlasten etwa gibt es die Anordnung nach § 13 BBodSchG, wonach der Verpflichtete einen Sanierungsplan vorzulegen hat. Und auch Zielanordnungen ohne Vorgabe eines konkreten Mittels sind im ___________ 13

BVerwG, Urt. vom 20.11.2003, NVwZ 2004, 349.

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deutschen Recht durchaus anerkannt.14 Die zunächst ungewohnten Formulierungen des Europarechts lassen sich also zumindest teilweise durchaus in deutsches Rechtsverständnis übersetzen. Trotzdem sind die Feststellungen bei Audits und Inspektionen – sofern sie über bloße Überwachungsmaßnahmen hinausgehen – nicht ohne Weiteres Verwaltungsakte. Insbesondere ist im Rahmen von § 35 VwVfG auch die Frage zu beantworten, ob diese Akte auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sind. Denn die nach § 31b Absatz 1 Satz 1 LuftVG beauftragte DFS und die künftig nach § 31f LuftVG n.F. beauftragten Flugverkehrskontrolldienstleister an Regionalflughäfen sind als Beliehene Hoheitsträger. Zwar sind auch zwischen Hoheitsträgern Verwaltungsakte durchaus denkbar. Hier unterstehen die Beliehenen aber der staatlichen Fachaufsicht. Im derzeit geltenden Recht, das an Regionalflughäfen nach § 31b Absatz 1 Satz 2 LuftVG (derzeit noch) einzeln beliehenen Fluglotsen vorsieht, ist die rechtliche Situation eher unübersichtlich. Die Aufsicht nach EU-Recht richtet sich gegen Flugsicherungsorganisationen. An Regionalflughäfen bietet zwar eine Flugsicherungsorganisation aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Flugplatz Flugsicherungsdienste an. Die Flugverkehrskontrolldienste werden aber von Mitarbeitern dieser Organisation – seien es eigene, seien es überlassene Arbeitnehmer – durchgeführt, die als Beliehene selbst Hoheitsträger sind. Eine Feststellung, die sich auf konkrete Fluglotsentätigkeit bezieht, könnte also durchaus Verwaltungsakt gegenüber der Flugsicherungsorganisation sein – die Durchsetzung aber würde nicht mit den gewöhnlichen Mitteln des Verwaltungszwangs erfolgen müssen, sondern wäre eine Frage der Fachaufsicht. Aber auch gegenüber Flugsicherungsorganisationen ergibt sich eine ähnliche Konstellation. Denn selbst wenn das Europarecht, wie dargestellt, die Flugverkehrskontrolldienste dem hoheitlichen Sektor zuordnet und dies auch künftig im deutschen Recht für Flugverkehrskontrolldienste so geregelt sein wird – der hoheitliche Flugsicherungsdienstleister kann sich eines anderen selbst zertifizierungspflichtigen und der Aufsicht unterstehenden Dienstleisters im Bereich der technischen Unterstützungsdienste bedienen. Feststellungen etwa gegenüber einem CNS-Dienstleister – mit Außenwirkung – ließen sich im Wege der Fachaufsicht über den Flugverkehrskontrolldienstleister – ohne Außenwirkung – durchsetzen. Ohne die sich hier stellenden Rechtsfragen abschließend beantworten zu wollen: Ein scheinbar einheitliches europarechtliches Instrumentarium erweist sich auf der Ebene des Rechts der Mitgliedstaaten als durchaus komplex und kompliziert. Und das ist keine Frage der „richtigen“ Umsetzung des Europa___________ 14

Vgl. grundlegend BVerwGE 31, 15.

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rechts und auch keine Frage eventueller und irgendwie typisch deutscher Spitzfindigkeiten. Hoheitliche Dienstleistungen, die „mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes im Zusammenhang stehen“, Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, seien sie wirtschaftlicher, seien sie nicht-wirtschaftlicher Art, und privatwirtschaftliche Dienstleistungen lassen sich, auch wenn dies begrifflich so leicht scheint, eben doch nicht über einen Kamm scheren.

VIII. Internationale Zusammenarbeit Im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit schafft die Änderung des Art. 87b GG die nötige verfassungsrechtliche Klarheit. Das Programm des Gemeinschaftsrechts ist hier sehr anspruchsvoll. Zum einen verpflichtet es bereits jetzt die nationalen Aufsichtsbehörden zu einer engen Zusammenarbeit. Zum zweiten existieren Dienstleister, die ihre Dienste nicht nur in ihrem Herkunftsland anbieten. Und zum Dritten sollen Lufträume auch grenzüberschreitend organisiert werden. Mit dem derzeitigen Instrumentarium der bundeseigenen Verwaltung ist der erste Punkt – die Zusammenarbeit mit den Behörden der Nachbarstaaten – sicherlich kompatibel. Jedenfalls der Informationsaustausch lässt sich handhaben. Zusammenarbeit verlangt darüber hinaus aber auch Kompetenzabgrenzung in Überschneidungsbereichen, verlangt auch, Entscheidungen des Gegenübers anzuerkennen und ihnen Geltungskraft beizumessen. Sofern das EGRecht hier spezifische Regelungen trifft, mag dies auch ohne weitere gesetzliche Voraussetzungen durchaus gut funktionieren. So regelt etwa der Artikel 7 Absatz 8 der Flugsicherungsdienste-Verordnung:15 „Ein Mitgliedstaat erkennt das in einem anderen Mitgliedstaat gemäß diesem Artikel erteilte Zeugnis an.“ Aber das ist noch nicht wirklich „Zusammenarbeit“, wenn EG-rechtlich vorgeschrieben ist, dass bestimmte Entscheidungen der zuständigen Behörden eines jeden Mitgliedstaates überall in der EG gelten. Zwei Konstellationen sind zu betrachten, zum einen die grenzüberschreitende Erbringung von Flugsicherungskontrolldiensten vom Ausland aus, wie etwa bei der Anflugkontrolle für den Flughafen Zürich über deutschem Hoheitsgebiet, zum anderen der Fall, dass ein ausländischer Dienstleister ohne zweiten Sitz im Inland hier seine Dienste erbringt, wie etwa – aber nicht nur – bei der Tätigkeit der Austrocontrol an deutschen Regionalflughäfen. Die SES-Verordnungen verlangen in beiden Fällen eine wirksame Aufsicht und eine Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden, ohne diese Zusammenarbeit selbst zu re___________ 15

VO (EG) 550/2004.

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geln.16 Die Behörde, die vor Ort die Diensteerbringung beaufsichtigt, kann nicht sämtliche möglichen Aufsichtsmaßnahmen selbst treffen, insbesondere kann sie keine Maßnahmen der Zertifizierungsaufsicht nach Artikel 7 der Flugsicherungsdienste-Verordnung treffen, da sie ja das Zertifikat der für den Sitz des Dienstleisters zuständigen Behörde anzuerkennen hat. Die „Sitz-Behörde“ ist aber wiederum mangels Zuständigkeit an Aufsichtsmaßnahmen am (ausländischen) Ort der Erbringung der Dienstleistungen gehindert, insbesondere kann sie keine Inspektionen und Überwachungen im Einklang mit den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in denen sie durchzuführen sind, durchführen. Ohne Zusammenarbeit ist also eine wirksame Aufsicht überhaupt nicht denkbar. Zusammenarbeit verlangt damit zumindest die gegenseitige Abgrenzung der Hoheitsgewalt, soweit sie nicht bereits durch zwingendes EG-Recht abgegrenzt und zugewiesen ist und verlangt auch Koordination mit den Behörden des anderen Staates bei der Ausübung eigener Hoheitsgewalt. Das künftige LuftVG sieht daher auf der Grundlage des geänderten Art. 87d GG vor, dass grenzüberschreitende Diensteerbringung und Erbringung von Flugsicherungsdiensten durch ausländische Organisationen im Inland nur zulässig sind, wenn eine völkerrechtliche Übereinkunft mit dem jeweiligen anderen Staat getroffen wird, die die Wahrnehmung von Aufsichtsmaßnahmen und die Durchführung von Kontroll- und Durchsetzungsbefugnissen regelt. Völkerrechtliche Übereinkünfte in diesem Sinne sind gemäß Art. 59 Abs. 2 GG nicht nur Staatsverträge, sondern auch Regierungs- und Verwaltungsabkommen. Gleiches gilt damit auch für die Aufgaben- und Verantwortungsverteilung in sogenannten Funktionalen Luftraumblöcken.17 Funktionale Luftraumblöcke sind das Instrument, das die nationalen Grenzen für die Luftfahrzeugführer zumindest virtuell verschwinden lässt. Die Lufträume sollen so organisiert werden, dass ein nahtloser Betrieb von Luftfahrzeugen über die Grenzen der Mitgliedstaaten ermöglicht wird, der nur Sicherheits- und Effizienzkriterien folgt. Dies entspricht zum Teil durchaus bereits der gegenwärtigen Praxis, und zwar nicht nur bei der Anflugkontrolle auf Zürich. An fast allen Grenzen in Europa gibt es grenzüberschreitende Sektoren. Für die Errichtung eines „Functional Airspace Block Europe Central (FABEC)“ wird daher gegenwärtig ein Staatsvertrag vorbereitet, der die wesentlichen Fragen der Zusammenarbeit regeln soll. In diesem Rahmen wird es aber weiter einer Fülle praktischer Arrangements bedürfen, um eine der „nahtlosen Diensteerbringung“ in einem Funk___________ 16

S. insb. Art. 2 Abs. 4 VO (EG) 550/2004 und Art. 15 VO (EG) 1315/2007. S. Art. 2 Abs. 25 VO (EG) 549/2004, Art. 5 VO (EG) 551/2004 (derzeitige Fassung), Art. 9a VO (EG) 550/2004 (künftige Fassung). 17

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tionalen Luftraumblock adäquate Organisation der staatlichen Aufsicht sicherzustellen. Zusammenfassend lässt sich daher feststellen: Der Einheitliche Europäische Luftraum ist kein monolithisches Gebilde. Er erweist sich bei näherer Betrachtung als Gebilde bunter Vielfalt. Am Ziel der europäischen Integration bleibt aber auch hier festzuhalten – in vollem Bewusstsein der Vielfalt der unterschiedlichen Rechts- und Verwaltungstraditionen der Mitgliedstaaten. Europäische Integration in diesem Sinne ist in erster Linie eine praktische Aufgabe; eine Aufgabe, die viel Kreativität erfordert, die aber auch bewältigbar ist.

Nachhaltigkeit im Fluglärmschutz Von Michael Bayr Die Verwaltung ist in Ansehung der sich entwickelnden Rechtsprechung im Bereich der Fachplanung sowie auf Anforderung der Politik, der einschlägigen Verbände und engagierter Bürger gefordert, Vorschläge zur Überarbeitung von Regelungen für den Bereich Luftverkehr und Umweltschutz zu erarbeiten, die möglichst eine nachhaltige Verbesserung der Umweltsituation bewirken. Insbesondere durch die aktuelle Rechtsprechung zum Flughafenausbau und die Anwendung des novellierten Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm in der Verwaltungspraxis ist sie mit der Frage konfrontiert, wie kann man in einer Gesellschaft, wo ökologische, ökonomische und soziale Rahmenbedingungen in enger Beziehung stehen, die berechtigte Forderung der Betroffenen nach einem nachhaltigen Fluglärmschutz umsetzen. Umweltschutz und Luftverkehr sind kein Gegensatz. So kommt auch eine große deutsche Luftverkehrsgesellschaft als Lärmverursacher zu der Einsicht: „Nur Unternehmen, die ökonomische Vernunft, soziale Verantwortung und ökologische Weitsicht miteinander in Einklang bringen, haben auf Dauer Erfolg“. Im Folgenden soll deshalb aufgezeigt werden, wie nachhaltig Lösungsansätze im Fluglärmschutz derzeit sind und welche Wege eingeschlagen werden müssten, um Verbesserungen einzuleiten.

I. Nachhaltigkeit in Anlehnung an das Drei-Säulenmodell Die gängige Definition des Drei-Säulen-Modells stammt von der EnqueteKommission des Deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt“: „Nachhaltigkeit ist die Konzeption einer dauerhaft zukunftsfähigen Entwicklung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Dimension menschlicher Existenz. Diese drei Säulen der Nachhaltigkeit stehen miteinander in Wechselwirkung und bedürfen langfristig einer ausgewogenen Koordination.“ Mit diesen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit sind im Wesentlichen gemeint:

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Ökologische Nachhaltigkeit: Sie orientiert sich am stärksten am ursprünglichen Gedanken, keinen Raubbau an der Natur zu betreiben. Ökologisch nachhaltig wäre eine Lebensweise, die die natürlichen Lebensgrundlagen nur in dem Maße beansprucht, wie diese sich regenerieren. Ökonomische Nachhaltigkeit: Eine Gesellschaft sollte wirtschaftlich nicht über ihre Verhältnisse leben, da dies zwangsläufig zu Einbußen der nachkommenden Generationen führen würde. Allgemein gilt eine Wirtschaftsweise dann als nachhaltig, wenn sie dauerhaft betrieben werden kann. Soziale Nachhaltigkeit: Ein Staat oder eine Gesellschaft sollte so organisiert sein, dass sich die sozialen Spannungen in Grenzen halten und Konflikte nicht eskalieren, sondern auf friedlichem und zivilem Wege ausgetragen werden können. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) stellt in seinem Gutachten 2008 fest, dass sich das Drei-Säulen-Modell international durchgesetzt habe und dass dem ehemals „restriktiven Verständnis von Umweltpolitik“ ein integriertes, auf Synergien setzendes Verständnis gewichen sei.1 Das Drei-Säulen-Modell wurde vom Forschungszentrum Karlsruhe im Rahmen einer großen Studie weiterentwickelt.2 Die generellen Nachhaltigkeitsziele im Einzelnen sind dabei „Sicherung der menschlichen Existenz“, „Erhaltung des gesellschaftlichen Produktivpotentials“ und „Bewahrung der Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten“. Auf die Luftfahrt- und Fluglärmbelange umgesetzt bedeutet dies, hinsichtlich der ökologischen Anforderungen auf eine weitgehende Reduzierung der technisch induzierten Geräuschemissionen der Lärmquellen hinzuwirken und dabei mögliche Gesundheitsgefahren und Belästigungen durch Fluglärm sicher auszuschließen. Die ökonomischen Rahmenbedingungen, die dabei Beachtung finden sollen, sind die Sicherung und Entwicklung des Technologiestandorts Deutschland und der Erhalt sowie die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Lebensverhältnisse in Europa. Dabei gilt es die sozialen Herausforderungen zu meistern, das sind die Vermeidung sozialer Spannungen und Beeinträchtigungen in der Gesellschaft und die Entwicklung von Konfliktlösungsstrategien, die ein weitgehendes Gehör der Betroffenen beinhalten und einen Interessenausgleich zwischen Verursacher und Betroffenen bewirken sollen. Ziel all dieser Bemühungen ist die Etablierung einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung der Mobilität in Europa. ___________ 1

Umweltgutachten 2008, Sachverständigenrat für Umweltfragen, Juni 2008, Seite 2. J. Jörissen/J. Kopfmüller/V. Brandl/M. Paetau: Ein integratives Konzept nachhaltiger Entwicklung, Karlsruhe: Forschungszentrum Karlsruhe GmbH, 1999 (Technik und Umwelt, Wissenschaftliche Berichte FZKA 6393). 2

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II. Bedeutung des Luftverkehrs Luftverkehr ist kein Eigenzweck, sondern wird von großen Teilen der Bevölkerung ständig genutzt. Luftverkehr befriedigt die Mobilitätswünsche der Gesellschaft, denn die Nachfrage nach Reisen ist ungebrochen, immer mehr Kurzreisen, immer weitere Ziele werden nachgefragt.3 Im Jahr 2007 haben die Fluggesellschaften weltweit mehr als 4,6 Mrd. Passagiere befördert. Im Luftfrachtverkehr sind 40% des Wertes interregionaler Transportgüter transportiert worden. Ein weiterer Anstieg des Passagierverkehrs um 5% pro Jahr (3,6% in Europa, 5,8% in Asien/Pazifik) in den nächsten 2 Dekaden wird erwartet. Das weltweite Luftverkehrsaufkommen wird sich bis zum Jahr 2025 verdoppeln (im Jahr 2025 sollen es 9,1 Mrd. sein). Der Frachtverkehr soll sogar mit rund 6% pro Jahr wachsen. Auch wenn die Finanz- und Wirtschaftskrise derzeit Einbrüche erwarten lässt, zeigen die „Krisen“ der Vergangenheit, dass sich die Luftverkehrswirtschaft relativ schnell wieder erholt hat. Luftverkehr schafft hochwertige Arbeitsplätze und sichert damit die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft. Weltweit sind 32 Millionen Arbeitsplätze dem Luftverkehr zuzuordnen und es werden 8% des Welt-Bruttosozialprodukts durch ihn erwirtschaftet. In Deutschland trägt der Luftverkehr mit rund 283.000 Arbeitsplätzen zur Beschäftigung bei, pro 1 Mio. Flugpassagiere am Flughafen sind 1.000 direkte und 2.000 indirekte Arbeitsplätze in der Flughafenregion möglich. 25% aller Unternehmensumsätze sind vom Luftverkehr abhängig, und 70% aller Firmen nennen die Bedienung größerer Märkte als einen entscheidenden Vorteil des Luftverkehrs. Zudem fördert das Fliegen die Tourismusbranche. 40% der Touristen, die in andere Länder reisen, steigen dafür ins Flugzeug. Der Luftverkehr kurbelt so Volkswirtschaften an und schafft u. a. auch Arbeitsplätze in wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern. Luftverkehr und Fluglärmschutz sind kein Widerspruch, wenn die bestehenden Regelungen ernst genommen werden und der Einzelne seine Eigenverantwortung ernst nimmt, dann ist ein wirksamer Interessenausgleich möglich. Als Beispiel sei hier auf die luftrechtlichen Planfeststellungsverfahren zum Flughafenausbau verwiesen. Bei Verfahrensdauern von rund 4 Jahren sind durch die Behörden vielfach bis zu 50 DIN A4-Ordner mit Antragsunterlagen und Gutachten zu prüfen, bis zu 2 Jahre dauern die Anhörungen der Betroffenen und der Träger öffentlicher Belange, bis zu 250.000 Einwendungen sind zu erfassen und auszuwerten. Gegen alle Flughafenentscheidungen wird geklagt, bis zu 4.000 Klagen müssen abgearbeitet werden. Im Ergebnis erfolgreicher Planfeststellungen und den Auseinandersetzungen mit den getroffenen Regelungen vor ___________ 3 Wettbewerbsfähigkeit des Luftverkehrsstandortes Deutschland, Initiative „Luftverkehr für Deutschland“, November 2008.

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Gericht stehen umfangreiche Schutzauflagen und Entschädigungsregelungen zu Gunsten der vom Fluglärm betroffenen Menschen. Die deutsche Situation wird durch den Masterplan der „Initiative Luftverkehr für Deutschland“4 beschrieben. Basis für den Masterplan ist eine gesamtdeutsche Luftverkehrsprognose, die sich auf die Methodik der Bundesverkehrswegeplanung stützt. Danach werden für 2020 insgesamt 307 Mio. Fluggäste und 6,78 Mio. Tonnen Luftfracht und Luftpost erwartet. Dies entspricht einer Steigerung von 82% bei den Passagieren und sogar 117% bei Fracht und Post gegenüber dem Referenzjahr 2005 und bedeutet durchschnittliche jährliche Wachstumsraten von 4,1% im Passagierverkehr bzw. 5,3% im Fracht-/ Postverkehr bis 2020.

III. Luftverkehr und Geräuschbelastungen – Vermeidungsstrategien Ein möglicher Lösungsansatz ist die Reduzierung der Geräuschemissionen von Luftfahrzeugen durch technische Maßnahmen. Ein Dezibel Lärmminderung des Einzelereignispegels entspricht dabei einem 20% kleineren „NoiseFoot-print“. Der sogenannte „Lärmteppich“ des maximalen Schalldruckpegels von 85 dB(A) eines landenden Flugzeugs, z.B. eines modernen Airbus A 320, beträgt nur noch 0,4 km² gegenüber dem einer Boeing 727 mit 3,2 km², beim Start sind es sogar 1,6 km² gegenüber 14,3 km². Bild 1 zeigt die Lärmkonturen für den Maximalschallpegel von 80 dB(A) beim Abflug einer älteren Boeing B737 mit 47 t Abfluggewicht und einem dreimal so schweren modernen Airbus A310 mit 140 t Abfluggewicht auf. Der technische Fortschritt könnte nicht besser dokumentiert werden.

___________ 4 Masterplan zur Entwicklung der Flughafeninfrastruktur, Initiative Luftverkehr für Deutschland, Dezember 2006.

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Bild 1

Weitere Fortschritte sind durch Forschung und Industrie angestrebt. Im Forschungsprogramm „Leiser Verkehr“ des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) wurde ein Verbesserungspotential von 10 Dezibel für Triebwerk und Zelle gefunden5, ACARE (Advisory Council for Aeronautic Research in Europe) geht von einer Halbierung des Außenlärmpegels in 20206 durch aktive und passive Maßnahmen bei Antrieb und Flugphysik aus. Ein weiterer Lösungsansatz besteht in der Verschärfung der Muster- bzw. Verkehrs-Zulassungsvorschriften für Strahlflugzeuge bzgl. des zulässigen Fluglärms. Moderne Strahlflugzeuge, die heute für den Passagierverkehr in Dienst gestellt werden, sind in der Regel 20 Dezibel leiser als vergleichbare Flugzeuge vor 30 Jahren. Welche generellen Fortschritte erzielt werden konnten, zeigt Bild 2 für den Lärmpegel querab der Start- und Landebahn.

___________ 5

Abschlussbericht „Leiser Flugverkehr“, DLR, 2004. European Aeronautics: A Vision for 2020, Meeting society’s needs and winning global leadership, ACARE-Report, Europäische Kommission, Januar 2001. 6

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Bild 2

Die internationale Zivilluftfahrtorganisation (International Civil Aviation Organization, ICAO), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, hat bereits 1971 ein Regelwerk zur Begrenzung der Schallabstrahlung ziviler Luftfahrzeuge geschaffen, den Anhang 16 (Environmental Protection), Band I (Aircraft Noise) zum Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt von 1944 (Chikagoer Abkommen). Bei der „Lärmzulassung“ von Luftfahrzeugmustern muss jeweils nachgewiesen werden, dass die im ICAO Anhang 16, Band I festgelegten Lärmgrenzwerte eingehalten werden. Das Lärmzulassungsverfahren sieht für den Startüberflug, die seitliche Lärmabstrahlung und den Landeanflug jeweils einen eigenen Messpunkt vor. Beim Startüberflug befindet sich der Lärm-Messpunkt-Abflug in einer Entfernung von 6.500 m vom Startabrollpunkt auf der verlängerten Mittellinie der Startbahn. Der seitliche Lärmmesspunkt wird dort gewählt, wo während des Starts auf einer Linie im Abstand von 450 m parallel zur Startbahnmittellinie der Lärmpegel des Flugzeugs ein Maximum erreicht. Als Lärm-MesspunktAnflug für die Landung wurde ein Punkt definiert, der 120 m senkrecht unterhalb eines Anflug-Gleitpfades von 3° auf der verlängerten Mittellinie der Landebahn liegt. Bei ebenem Gelände entspricht diese Festlegung einer Entfernung von 2.000 m vor der Landebahnschwelle. Bild 3 verdeutlicht die Lage der Messpunkte. Für jeden Messpunkt sind Lärmgrenzwerte definiert.

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Bild 3

Der Anhang 16 ist seit 1971 mehrfach fortgeschrieben und ergänzt worden. Seit 2006 müssen Strahlflugzeuge bei Neuzulassungen mindestens die in Kapitel 4 des Anhangs 16, Band I festgelegten Lärmgrenzwerte einhalten. D.h., die Messwerte dürfen die Grenzwerte nach Kapitel 3 nicht überschreiten, die Summe aller Differenzen zwischen Messwert und Grenzwert an den drei Messpunkten muss mindestens 10 EPNdB betragen und die Differenzen an zwei beliebigen Messpunkten dürfen nicht unter 2 EPNdB liegen. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist der Verkehr mit Strahlflugzeugen, die lediglich eine Zulassung nach Kapitel 2 aufweisen und eine maximal zulässige Startmasse von 34.000 kg oder darüber besitzen oder deren Baureihe mit Sitzplätzen für mehr als 19 Passagiere zugelassen ist, seit dem 01.04.2002 nur noch mit Sondergenehmigung des Luftfahrt-Bundesamtes gestattet (vgl. § 11c LuftVG). Strahlflugzeuge ohne Lärmzulassung dürfen schon seit Jahren nur noch mit einer besonderen Ausnahmegenehmigung betrieben werden, z.B. wenn ein historisches Interesse besteht. Die Fortschreibung der Lärmzulassungswerte würde ein neues Kapitel 4+ einführen. Das Umweltbundesamt fordert eine Verschärfung der Grenzwerte ab 2015 um kumulativ 22 EPNdB unter den heutigen Grenzwerten nach ICAO Anhang 16, Band I, Kapitel 4.7 Eine weitere Forderung ist die baldmöglichste ___________ 7

Umweltbelastungen durch den Flugverkehr und Überblick über Minderungsmaßnahmen, Dr. Harry Lehmann, Umweltbundesamt, 13.05.2008, Vortrag auf der „Konferenz zur Internalisierung der flughafennahen externen Umweltkosten“.

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Ausmusterung von Strahlflugzeugen, die nur knapp die Grenzwerte nach Kapitel 3 erfüllen. Ein weiterer Lösungsansatz zur Lärmminderung ist die Einführung von Betriebsbeschränkungen und Flugverboten. Dazu gehören die Vermeidung des Überflugs und nahen Vorbeiflugs dicht bewohnter Gebiete bei der Festlegung von Flugrouten, die Vorgabe von lärmmindernden Flugverfahren, die Festlegung von Mindestflughöhen über dicht besiedelten Gebieten, die Einführung von Betriebsverboten, z.B. in der Nachtkernzeit von 0.00 bis 05.00 Uhr und die Einführung von Flugbewegungs- oder Lärmkontingenten zur Vermeidung unkontrollierten Lärmzuwachses. Die in den nächsten Jahren zu erwartende weitere Verringerung der Triebwerksgeräusche und die einsetzenden Erfolge bei der Verringerung der Umströmungsgeräusche werden erst langfristig die Lärmsituation an den Flughäfen verbessern, weil die Verbesserung nur bei neuen Flugzeugmustern wirksam wird und die heute eingesetzten Flugzeuge noch Jahrzehnte in Betrieb bleiben werden. Eine kurzfristig erzielbare Lärmminderung ist dagegen durch Einführung lärmarmer An- und Abflugverfahren erreichbar. Im Rahmen des vierten Luftfahrtforschungsprogramms von 2007 bis 2013 betreibt das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) Forschungs- und Technologieförderung der Luftfahrt am Standort Deutschland. Im dritten Programmaufruf für die Jahre 2010 bis 2013 vom 26. Januar 20098 werden mit dem Bundeshaushalt 2009 weitere Fördermittel in Höhe von circa 150 Mio. € bereitgestellt. Darin enthalten sind Mittel für integrierte Technologieprojekte. Insgesamt sollen mit den Fördermaßnahmen die technologische Basis und die wirtschaftlich-technische Situation der Luftfahrtindustrie und des Luftverkehrs verbessert und deren Innovationsfähigkeit und Kompetenzen am Standort Deutschland gestärkt werden. Die gesellschaftlichen Herausforderungen im Bereich Umwelt erfordern die nachhaltige Begrenzung der Auswirkungen des Luftverkehrs auf die Umwelt. Entscheidend zur Zielerreichung sind innovative Technologien zur Lärm- und Schadstoffreduktion, auch um die ACARE-Vision-2020-Ziele zu erreichen. Durch aktive und passive technologische Maßnahmen bei Antrieben und im Bereich der Flugphysik wird eine Halbierung des Außenlärms angestrebt. Insbesondere im Flughafenumfeld soll dadurch die Lärmbelastung reduziert werden. ___________ 8 Förderung von Forschungs- und Technologievorhaben sowie „Integrierter Technologieprojekte“ im Rahmen des nationalen Luftfahrtforschungsprogramms – Dritter Programmaufruf 2010 bis 2013 – vom 26. Januar 2009, Amtlicher Teil – Bundesanzeiger, Nr. 17, Seite 419 ff., 3. Februar 2009.

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IV. Luftverkehr und Geräuschbelastungen – Verwaltungsstrategien Im Bereich der „Verwaltung“ des Fluglärms sind konventionelle Lösungsansätze die Ausweisung von Schutzzonen, die dann verschiedene Aktionen der Lärmbekämpfung auslösen, z.B. die Siedlungssteuerung durch Bauverbote, die Gewährung baulichen Schallschutzes und die Zahlung finanzieller Entschädigungen für Flughafenanwohner. Ein Ansatz ist das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm, das seit 1971 in Kraft ist. Es wurde im Jahr 2001 durch Artikel 46 der Verordnung vom 29.10.2001 (BGBl. I S. 2785) geändert und zuletzt durch das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen vom 01.06.2007 (BGBl. I S. 2550) den derzeitigen Herausforderungen angepasst.9 Nach dem Gesetz werden für Flugplätze Lärmschutzbereiche ausgewiesen, die je nach Lärmbelastung Bauverbote, baulichen Schallschutz und Entschädigungszahlungen auslösen. Ein weiterer Ansatz ist die EU-Umgebungslärmrichtlinie, nach der Lärmkartierungen und Lärmaktionsplanungen im Umfeld des Flughafens erfolgen. Auch im Bereich der Raumordnung besteht mit der Landesentwicklungsplanung die Möglichkeit, Planungszonen auszuweisen, mit denen Maßnahmen zur Konfliktvermeidung, wie z. B. die Siedlungssteuerung, verbunden sind. Ein heute von allen großen Flughäfen praktizierter Lösungsansatz ist die Schaffung wirtschaftlicher Anreize und die Etablierung eines Konfliktmanagements. So sind die Entgelte, die Luftfahrzeuge für die Nutzung des Flugplatzes zu entrichten haben, nach den Geräuschimmissionen der Luftfahrzeuge gestaffelt (lärmabhängige Landeentgelte). Es wurden in Europa zahlreiche steuerliche Investitionserleichterungen geschaffen, um entsprechende Anreize zu geben. Jeder internationale Verkehrsflughafen stellt ein Programm zur Definition und Einhaltung von Umweltzielen auf (Umwelterklärung). Ebenfalls ist an den Flughäfen in Zusammenarbeit mit den Behörden, der Flugsicherung, dem Fluglärmschutzbeauftragten ein Informations- und Beschwerdemanagement eingerichtet worden.

___________ 9

Bekanntmachung vom 31. Oktober 2007 (BGBl. I S. 2550).

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V. Plädoyer für Nachhaltigkeit im Fluglärmschutz am Beispiel dreier Lösungsansätze Im Folgenden soll am Beispiel dreier Lösungsansätze gezeigt werden, dass Nachhaltigkeit im Fluglärmschutz möglich ist. Als erstes soll der Anreiz zur Lärmvermeidung und zur Ausmusterung älterer Luftfahrzeuge durch Fortschreibung der Lärmzulassungsstandards nach Anhang 16, Band I des Chicagoer Abkommens diskutiert werden. Anschließend wird die Frage gestellt, auf welcher Basis zukünftig die Differenzierung der lärmabhängigen Landeentgelte erfolgen soll, durch Fortschreibung der Bonusliste des BMVBS oder durch das Prinzip der Lärmmessung. Abschließend soll auf die Problematik der Ausweisung von Schutzzonen zur Siedlungssteuerung und zur Regelung von Bauverboten sowie des baulichen Schallschutzes und zur Zahlung von finanziellen Entschädigungen eingegangen werden. 1. Fortschreibung der Lärmzulassungsstandards nach ICAO Die Lärmzulassung nach ICAO Anhang 16, Band I für Luftfahrzeuge definiert seit dem Jahr 1971 Grenzwerte für die zulässige Geräuschimmission bei Start und Landung. Dabei beinhaltete die Regelung für Unterschallstrahlflugzeuge bei Einführung des Kapitels 2 im Jahr 1971 eine kumulative Reduktion gegenüber nichtzugelassenen Luftfahrzeugen von 6 EPNdB. Sechs Jahre später, im Jahr 1977, wurden die Zulassungswerte an den technischen Fortschritt angepasst, es entstanden die Kapitel-3-Standards. Nunmehr war eine kumulative Reduktion von 10 bis 16 EPNdB gegenüber Kapitel-2-Standards (minus 10 EPNdB für 4-motorige, schwere Flugzeuge, minus 16 EPNdB für alle anderen) erreicht. Erst knapp 10 Jahre danach wurden im Jahr 2006 die Kapitel-4Standards, minus 10 EPNdB kumulative Reduktion gegenüber Kapitel-3Standards, eingeführt. Insbesondere ältere Luftfahrzeugmuster, die im Frachtverkehr eingesetzt werden, erfüllen diesen Standard nach Kapitel 4 nicht immer (A300, A310, B737-300/400/500, B747-200, DC-9-82/83 bzw. MD 82/83, L1011, DC-10). Moderne Unterschallstrahlflugzeuge erfüllen bereits heute mit Leichtigkeit die Kapitel-4-Grenzwerte. Ein Beispiel für den Airbus A340-600, mit einer maximalen Abflugmasse von 365.000 kg (MTOM) und mit 4 ZweikreisTurbinen-Luftstrahltriebwerken vom Typ Rolls Royce Trent 556-61 zeigt das Bild 4. Für den Airbus A340 beträgt die Summe der Grenzwertunterschreitungen 24,5 EPNdB.

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Bild 4

Alle neu produzierten Strahlflugzeuge erfüllten im Jahr 2001 zum Zeitpunkt der Ausarbeitung der Kapitel-4-Anforderungen bereits diese Bedingungen. Das Votum der Mitglieder des Committee on Aviation Environmental Protection (CAEP), das für die ICAO Vorschläge zur Neufassung des Anhangs 16 erarbeitet, hinsichtlich der Festlegung der Höhe der Grenzwertunterschreitung fiel auf der CAEP/5-Sitzung 200110 unterschiedlich aus und betrug bei einer Gruppe von Mitgliedern minus 8 EPNdB (Brasilien, Kanada, Russland, Spanien, U.S.A., IATA [International Air Transport Association], ICCAIA [International Coordinating Council of Aerospace Industries Associations] und IBAC [International Business Aviation Council]). Derzeit erfüllen bereits 87% der Flugzeug-Triebwerkskombinationen mit den in der Musterzulassung – nicht zu verwechseln mit den Verkehrszulassungen der einzelnen Luftfahrzeuge – nachgewiesenen Werten diese Anforderung. Der zweite, von Deutschland und Australien, Japan, Niederlande, Polen, Schweden sowie UK gemachte Vorschlag, betrug minus 11 EPNdB. Auch diese Marge wird derzeit von 72% der Musterzulassungen erfüllt. Strengere Werte forderte der internationale Flughafenverband ACI (Airport Council International) mit minus 14 EPNdB und mit mindestens minus 4 EPNdB an jeder Messstelle, er wurde hierbei von der ICSA (International Coalition for Sustainable Aviation, Environmental NGO´s bei CAEP) unterstützt. Derzeit erfüllen 47% der Musterzulassungen diese Anforderung. Im Ergebnis wurde von der ICAO folgende Regelung für das neue Kapitel 4 geschaffen:

___________ 10 Xavier Oh, An airport Perspective on CAEP Process: Symposium on Aviation Noise and Air Quality, März 2008.

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Minus 10 EPNdB kumulativ über alle drei Messpunkte unter Kapitel-3Grenzwerten, Summe zweier Margen (Differenzen der Messwerte zu den Kapitel-3Grenzwerten) an beliebigen Messpunkten nicht unter 2 EPNdB, Einhaltung der Kapitel-3-Grenzwerte an jedem Messpunkt.

Diese Bedingungen werden bereits von 79% der musterzugelassenen Flugzeug-Triebwerkskombination erfüllt. Von 1.258 hier betrachteten FlugzeugTriebwerkskombinationen genügen 264 den Kapitel-4-Anforderungen. Die letzte Anpassung der Lärmzulassungswerte hat neun Jahre gedauert. Mangels kontinuierlicher Fortschreibung wurde vielfach innerhalb der Kapitel3-Zulassungen nach Differenzierungsmöglichkeiten zwischen lauten und weniger lauten Flugzeugen gesucht und dann zwischen den knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeugen und anderen unterschieden. Eine weitere Anpassung der Zulassungsvorschriften sollte möglichst nicht wieder fast zehn Jahre dauern, insbesondere um Impulse für die Weiterentwicklung der Luftfahrzeuge in Richtung Lärmarmut zu befördern. Bereits auf der CAEP/7-Sitzung forderte das ACI eine weitere Reduzierung der Lärmstandards für Unterschallstrahlflugzeuge und wollte das Thema auf der CAEP/8-Sitzung im Jahr 2010 diskutieren. Zurzeit ist fraglich, ob das Thema 2010 überhaupt aufgegriffen wird. Das Umweltbundesamt schlägt vor, ein fortgeschriebenes Kapitel 4 (Kapitel-4+-Standard) so zu gestalten, dass kumulativ ein Wert von 32 EPNdB unter den Kapitel 3 Grenzwerten erreicht wird. Diese Bedingung wird derzeit nur von 10% aller Flugtriebwerk-Flugzeugmuster-Kombination erfüllt. Ein realistischer Kapitel-4+-Standard wäre minus 20 EPNdB kumulative Reduktion gegenüber den Festlegungen in Kapitel 3. Alle modernen Strahlflugzeuge unterschreiten die Kapitel-3-Grenzwerte kumulativ bereits um 18 bis 25 EPNdB (A330, A340, A380, B757, B777). 2. Fortschreibung der Bonusliste? Die Bonusliste des Bundesministeriums für Verkehr (BMV)11 wurde 1994 in Deutschland als eine weitergehende Differenzierungsmöglichkeit bei Lärmzertifizierungen nach ICAO Anhang 16, Band I eingeführt, weil die strengsten Anforderungen der ICAO an den Lärmschutz nach Kapitel 3 durch die technische Entwicklung bereits überholt worden war. Nunmehr konnte innerhalb der Flugzeuggruppe mit Kapitel 3 Lärmzulassung zwischen lauten und weniger lauten differenziert werden. Die Bonusliste enthält diese weniger lauten Flugzeugmuster, wobei zwischen Start und Landung unterschieden wird. Letztmalig ___________ 11

Vgl. Nachrichten für Luftfahrer, NfL I – 83/03.

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wurde sie im Jahr 2003 durch Aufnahme weiterer Flugzeugmuster angepasst, alle Baureihen/-muster mit einer Abflugmasse unter 25.000 kg MTOM und neu auf den Markt kommenden Flugzeugtypen sind automatisch enthalten. 95% der am Flughafen Düsseldorf bzw. 97,5% der am Flughafen Hannover verkehrenden Strahlflugzeuge entsprechen bereits der Bonusliste. Seit Jahren wird deshalb eine Fortschreibung der Bonusliste verlangt, um weiterhin eine sinnvolle Differenzierungsmöglichkeit zwischen lauten und weniger lauten Flugzeugen zu haben. Die Bonusliste stellte also als Empfehlung des BMV zunächst eine anspruchsvollere Lärmklasse dar, die zunächst dazu dienen sollte, die lärmabhängigen Landeentgelte stärker zu differenzieren. Einige Flugplatzgenehmigungsbehörden nutzten sie später als Grundlage für die Einführung nächtlicher Flugbetriebsbeschränkungen, z. B. dürfen nachts am Verkehrsflughafen Nürnberg nur die Strahlflugzeuge verkehren, die in der Bonusliste aufgeführt sind. Sie wird auch als Grundlage für nächtliche Flugbetriebsbeschränkungen in BerlinSchönefeld, Hannover, Köln/Bonn und Münster/Osnabrück genutzt. Rechtlich ist die Bonusliste von den Gerichten dabei als Sachverständigenaussage behandelt worden.12 Bei einer Fortschreibung der Bonusliste besteht an den o. g. Flughäfen – soweit die Genehmigungen auf die jeweils gültige Bonusliste dynamisch verweisen – die Gefahr, dass für den Flughafen und die Region wirtschaftlich wichtige Luftfahrzeuge ausgegrenzt werden (insbesondere für den Frachtverkehr, wo vielfach ältere Kapitel 3 Flugzeuge eingesetzt werden). Im Jahr 2006 hat die ICAO das Kapitel 4 in Anhang 16, Band I für Lärmzertifizierungen eingeführt und damit eine weitergehende Lärmdifferenzierung ermöglicht. Eine Weiterführung der Bonusliste erscheint nur dann gerechtfertigt, wenn dargelegt würde, dass auch das Kapitel 4 der technischen Entwicklung hinterherhinkt und die Bonusliste einen deutlich höheren Standard setzen würde. Mit der Richtlinie 2002/30/EG über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen an Flughäfen der Gemeinschaft ist ein weiteres Instrument vorhanden, um Verbote für laute Strahlflugzeuge zu bewirken. Für die nach § 43a LuftVZO vorgeschriebenen Regelungen der Flughafenentgelte, die grundsätzlich nach kg maximaler Abflugmasse des Luftfahrzeugs bzw. pro Passagier erhoben werden, hat sich im Laufe der Jahre die Differenzierung der Höhe der Landeentgelte proportional nach der jeweiligen Geräuschentwicklung des Luftfahrzeugs bewährt, laute Fluggeräte wurden von den Fluggesellschaften zunehmend durch leisere ersetzt. Zunächst erfolgte die Differenzierung nach den ICAO-Standards der Kapitel 2 und 3, später folgte ___________ 12

Vgl. Entscheidung des BVerwG vom 12.6.1998 (11 B 19.98).

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dann die Nutzung der Bonusliste, die eine weitere Unterteilung der Kapitel-3Flugzeuge ermöglichte. Viele Flughäfen haben mittlerweile jedoch zur Geräuschdifferenzierung lauter und leiser Luftfahrzeuge für die Entgeltregelung auf ein System umgestellt, dass auf Geräuschmessungen beruht. Hier bieten sich zwei Lösungsansätze an, die Verwendung des ACI Aircraft Noise Rating Index, der die Lärmzulassungsmessungen des Anhangs 16 verwendet oder die Verwendung einer flughafenspezifischen Lärmeinteilung der Luftfahrzeuge nach in der Umgebung des Flugplatzes mit Hilfe der Anlagen zur fortlaufend registrierenden Messung der durch die an- und abfliegenden Luftfahrzeuge nach § 19a LuftVG gemessenen Geräusche. Der Vorteil der o. g. Lösungsansätze gegenüber der Bonusliste ist der, dass bei Einführung neuer Flugzeugmuster am Markt keine Fortschreibung von Verwaltungsregeln bzw. Listen notwendig ist. So wurde die letzte Fortschreibung der Bonusliste im Jahr 2003 vorgenommen, seit 2007 wird verstärkt eine weitere Fortschreibung gefordert. So kann der ACI Aircraft Noise Rating Index auch nach Einführung eines neuen Flugzeugs übergangsweise genutzt werden, bevor verlässliche Messungen für dieses Muster vorliegen. Das gleiche gilt bei neuen oder wesentlich ausgebauten Flugplätzen, wenn noch keine Lärmmessungen für Luftfahrzeuge vorliegen, die dort nach Inbetriebnahme erstmals verkehren. a) Lärmentgelte nach ACI Aircraft Noise Rating Index Bereits im Jahr 2002 wurde vom Airports Council International (ACI) der Aircraft Noise Rating Index entwickelt und zur Anwendung freigegeben:13 

 

er verwendet die bekannten Lärmzertifizierungswerte nach ICAO Anhang 16, Band I für die entsprechenden Luftfahrzeug-Triebwerkskom-binationen, er kann genutzt werden, um die Entwicklung und Markteinführung lärmarmer Luftfahrzeuge zu fördern, er ist geeignet, um in die Kommunikation mit Lärmbetroffenen und Gemeinden verständlicher zu gestalten.

Der Aircraft Noise Rating Index stellt die logische Weiterentwicklung der Kapitel-3-Bonusliste des BMVBS dar und wird bereits am Flughafen Narita, Japan (dort Narita Aircraft Noise Rating Index genannt) angewendet.14 ___________ 13

The ACI Aircraft Noise Rating Index, ACI-Update, Nr. 8, Januar 2008. Kenichi Katsuta, Saburo Ogata, Keiichi Oshio, Naoaki Shinohara: New Landing Charge at Narita International Airport: INTER-NOISE 2006, 3-6 Dezember 2006, Honolulu, Hawaii, USA. 14

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Die Kriterien des ACI Aircraft Noise Rating Index und die Index Rating Kategorien stellt Bild 5 dar. Das Grundprinzip ist wieder die kumulative Reduktion der Lärmmesswerte gegenüber den Grenzwerten der ICAO Lärmzulassung nach Anhang 16, Band I, Kapitel 3 an den drei Messpunkten. Ein weiteres Kriterium ist die Unterschreitung des Grenzwerts pro Messstelle. Für das Flugzeugmuster Airbus A340-600 mit einer maximalen Abflugmasse von 365.000 kg (MTOM) und mit 4 Zweikreis-Turbinen-Luftstrahltriebwerken vom Typ Rolls Royce Trent 556-61 (vgl. Bild 4) ergeben sich Unterschreitungen von 12,2 + 7,2 + 5,1 = 24,5 EPNdB. Da die Grenzwertunterschreitungen in der Summe über 20 EPNdB liegt und an jeder Messstelle der Grenzwert um mehr als 4 EPNdB unterschritten wird, ist die Index Rating Kategorie A erfüllt, das Flugzeugmuster wird bei der Landeentgeltberechnung entsprechend eingestuft.

Bild 5

Es besteht jedoch ein Nachteil, Effekte des örtlichen Flugbetriebs und damit flughafentypische Geräuschsituationen gehen in die Betrachtung nicht ein. b) Lärmentgelte auf der Basis von Fluggeräuschmessungen Seit dem 1. Januar 2001 ist eine lärmdifferenzierte Entgeltordnung am Verkehrsflughafen Frankfurt, mit einer Lärmklasseneinteilung auf der Basis eigener gemessener Daten (§19a LuftVG Anlagen zur Messung des Fluglärms), eingeführt. Die Strahlflugzeuge werden zunächst nach Lärmzulassungsstandards unterteilt (Kapitel-2 bzw. Kapitel-3/4 Flugzeuge) und danach sieben Lärmklassen zugewiesen. Von Klasse 1 bis 7 steigen die lärmabhängigen Ent-

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geltzuschläge deutlich an (Aufschlag je nach Zeitscheibe differenziert, bis zu 23.000 € pro Landung). Ziel ist es, durch dieses neue System den Fluggesellschaften verstärkt einen Anreiz zu bieten, das modernste und lärmärmste Fluggerät in Frankfurt einzusetzen. Durch gegenüber dem Tag vergleichsweise höhere Lärmentgelte in der Nacht soll insbesondere in der Nacht der Einsatz lauter Fluggeräte unattraktiv werden. Wenn möglich, sollen Flugbewegungen aus der Nacht in den Tag verlegt werden. Die Zuordnung von Fluggerät in Lärmkategorien erfolgt auf Basis der für die Jahre 2005, 2006 und 2007 nach DIN 45643 ermittelten durchschnittlichen Startlärmpegel der einzeln betrachteten oder als Gruppen zusammengefassten Flugzeugtypen. In den Tabellen nicht aufgeführtes Fluggerät wird auf der Basis vorgelegter Lärmzeugnisse nach billigem Ermessen eingestuft, bis ausreichende Messergebnisse für den Flughafen Frankfurt Main zur Verfügung stehen. Beispiele:15

Kategorie 3: LAZ 75,0 bis 77,9 dB(A) – Airbus A340-600, Zuschlag 72 €, Nachtzuschlag Kernzeit 220 € Kategorie 4: LAZ 78,0 bis 80,9 dB(A) – Boeing B747-400, Zuschlag 265 €, Nachtzuschlag Kernzeit 630 € Kategorie 7: LAZ 87 dB(A)und mehr – Iljuschin IL76, Zuschlag 15.000 €, Nachtzuschlag Kernzeit 37.500 €

Weitere Flughäfen haben mittlerweile die Berechnung der Landeentgelte nach den in der Umgebung des Flughafens gemessenen Geräuschen eingeführt. Aus der Sicht der Nachhaltigkeit ist der Lärmmessung der Vorzug zu geben. 3. Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm Mit dem Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen vom 1. Juni 2007 (BGBl. I S. 986) wurde auch die Neufassung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm (FluglärmG) beschlossen.16 Ziel des FluglärmG ist es, den Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft von Flugplätzen durch bauliche Nutzungsbeschränkungen und baulichen Schallschutz in Verbindung mit Ausweisung von Schutzzonen vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen durch Fluglärm sicherzustellen. ___________ 15 Entgeltordnung für den Verkehrsflughafen Frankfurt Main vom 1. Januar 2009, Fraport. 16 Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Oktober 2007 (BGBl. I S. 2550).

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Verschiedene Nachhaltigkeitsansätze sind im Gesetz enthalten. So erfolgt die Überprüfung der eigentlichen Grenzwerte für die Schutzzonen alle zehn Jahre. Nach § 2 Abs. 3 FluglärmG erstattet die Bundesregierung spätestens im Jahre 2017 und spätestens nach Ablauf von jeweils weiteren zehn Jahren dem Deutschen Bundestag Bericht über die Überprüfung der in § 2 Abs. 2 genannten Werte unter Berücksichtigung des Standes der Lärmwirkungsforschung und der Luftfahrttechnik. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse sind in der Regel jedoch erst dann einer Planungsentscheidung zu Grunde zu legen, wenn sie sich in der wissenschaftlichen Diskussion durchgesetzt und allgemeine Anerkennung gefunden haben. Falls der Bericht der Bundesregierung eine Fortschreibung der Grenzwerte empfiehlt, stellt sich die Frage, wie schnell angesichts der Diskussion der vergangenen Jahre eine Novellierung des Gesetzes erfolgen kann. Die Notwendigkeit der Änderung der Grenzwerte des alten FluglärmG aus dem Jahr 1971 war bereits Anfang der 80er Jahre erkannt worden, die Novellierung des Gesetzes dauerte dann bis zum Jahr 2007. a) Ausweisung von Schutzzonen Lärmschutzbereiche werden für neue und wesentlich baulich erweiterte oder bestehende Flugplätze festgesetzt, soweit sie vom FluglärmG erfasst werden. Die Regelprüfung der Lärmbelastung am Flugplatz erfolgt spätestens zehn Jahre nach Festsetzung (§ 4 Abs. 6 FluglärmG), danach alle zehn Jahre, es sei denn, besondere Umstände sind eingetreten, die eine sofortige Neufestsetzung erforderlich machen. Es ist somit sichergestellt, dass der notwendige Schallschutz bei veränderten Bedingungen am Flugplatz nachgeführt wird. Da die Bewertung der „besonderen Umstände“ und die Ausgestaltung des Prüfverfahrens jedoch den Ländern überlassen bleiben, ist ein einheitlicher Vollzug wahrscheinlich nur bedingt gegeben. Die Notwendigkeit zur Neufestsetzung von Lärmschutzbereichen besteht insbesondere bei unvorhergesehen Änderungen des Flugbetriebs, z. B. bei außergewöhnlichen, unvorhergesehenen Verkehrssteigerungen, Änderungen im Flugzeugmix oder bei veränderten Flugrouten. Im FluglärmG heißt es dazu in § 4 Abs. 5, der Lärmschutzbereich ist neu festzusetzen, wenn eine Änderung in der Anlage oder im Betrieb des Flugplatzes zu einer wesentlichen Veränderung der Lärmbelastung in der Umgebung des Flugplatzes führen wird. Eine Veränderung der Lärmbelastung ist insbesondere dann als wesentlich anzusehen, wenn sich die Höhe des äquivalenten Dauerschallpegels an der Grenze der Tag-Schutzzone 1 oder des äquivalenten Dauerschallpegels an der Grenze der Nacht-Schutzzone um mindestens 2 dB(A) ändert. Das bedeutet, dass bei gleichem Flugzeugmix erst ab einer Verkehrssteigerung um ca. 60% eine Neufestsetzung erfolgt.

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Warum Änderungen der Flugrouten und die Belegung der Routen mit den An- und Abflügen unterschiedlicher Luftfahrzeuge an Bedeutung gewinnen, macht das Bild 6 deutlich. Während nach dem alten FluglärmG mit einem äquivalenten Dauerschallpegel von 75 dB(A) und 67 dB(A) die Schutzzonen in der Fläche relativ wenig ausgedehnt waren (blauer Bereich) und somit wenig empfindlich auf Änderungen des Flugbetriebs reagierten sowie nur in Bereiche ragten, wo die An- und Abflugrouten geradeaus verliefen, ist bei den Werten für den energieäquivalenten Dauerschallpegel des novellierten Gesetzes von 55, 60 und 65 dB(A) für die Tag-Schutzzonen (grüner Bereich) zu erwarten17, dass sich flugbetriebliche Änderungen und Änderungen der Flugroutenverläufe relativ schnell auf den Verlauf der Schutzzonen auswirken werden.

Bild 6

Mit der Regelung nach § 13 FluglärmG kommt es zu einer Vereinheitlichung der Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen, einschließlich der zugrunde liegenden Schallschutzanforderungen und der ___________ 17 Bei rund 202.000 Flugbewegungen in den sechs verkehrsreichsten Monaten entspricht der äquivalente dem energieäquivalenten Dauerschallpegel.

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finanziellen Entschädigung für Beeinträchtigungen des Außenwohnbereichs. Während in der luftrechtlichen Fachplanung bisher die Regelungen verfahrensabhängig und damit projektabhängig waren, führt die Regelung nach § 13 FluglärmG nunmehr zu einer gewissen Gleichbehandlung aller Flugplatzanwohner. Eine Beteiligung der Gemeinden hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen, allerdings ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts mehrfach, auch ohne einfachrechtliche Normierung, ein unmittelbar auf der Grundlage von Art. 28 Nr. 2 GG beruhendes Beteiligungsrecht der Gemeinden bei hoheitlichen Entscheidungen bejaht worden, die durch unmittelbare Einwirkung auf das Gemeindegebiet das kommunale Selbstverwaltungsrecht, insbesondere die gemeindliche Planungshoheit, beeinträchtigen. Die für den angestrebten Nachhaltigkeitsansatz erforderliche Kommunikation ist also sichergestellt. b) Berechnung der Lärmbelastung an Flugplätzen Die Regelung der Berechnungsmethode und Lärmphysik in einer Rechtsverordnung, der 1. FlugLSV vom 27. Dezember 200818 mit der Anleitung zur Berechnung von Lärmschutzbereichen (AzB) und der Anleitung zur Datenerfassung über den Flugbetrieb (AzD)19, führt zu relativ starren Vorgaben. Die alte AzB und das Datenerfassungssystem (DES) aus dem Jahr 1975 konnten als einfache Verwaltungsanweisung im Wege der Bekanntmachung des Bundes jederzeit den Anforderungen angepasst werden. Notwendige Neuregelungen und Ergänzungen der Berechnungsvorschriften sind jetzt nur durch Änderung der Durchführungsverordnung möglich. Bei Einführung neuer Luftfahrzeugmuster in den täglichen Flugbetrieb ist die Definition neuer Flugzeugklassen notwendig. Ferner ist zu erwarten, dass neue Erkenntnisse durch Forschungsarbeiten und Auswertung von FluglärmMessungen eine Anpassung der AzB-Vorgaben von Zeit zu Zeit notwendig machen, z. B. Anpassung der der Richtcharakteristik der Geräuschabstrahlung. Die computergestützten Berechnungsprogramme werden derzeit noch entwickelt und sollen vom Umweltbundesamt auf ihre Tauglichkeit überprüft werden. Nach Durchführung der ersten Berechnungen im Jahr 2009 und der ___________ 18

Erste Durchführungsverordnung zur Durchführung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm (Verordnung über die Datenerfassung und das Berechnungsverfahren für die Festsetzung von Lärmschutzbereichen) (1. FlugLSV) vom 27. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2980). 19 Anleitung zur Berechnung von Lärmschutzbereichen (AzB) und Anleitung zur Datenerfassung über den Flugbetrieb (AzD) vom 19. November 2008 (BAnz. Nr. 195a vom 23. Dezember 2008).

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Sammlung von Erfahrungen ist mit einem Änderungs- und Ergänzungsbedarf der Berechnungsvorschriften zu rechnen. Nach den Berechnungsvorschriften der AzB für zivile Flugplätze werden die Luftfahrzeuge in Gruppen zusammengefasst. Anders im militärischen Bereich, wo die flugtechnischen und akustischen Daten der militärischen Hochleistungsflugzeuge durch Messungen für jedes Luftfahrzeug ermittelt und der Berechnung zugrunde gelegt werden. Die AzB aus dem Jahr 1975 enthielt lediglich neun Luftfahrzeuggruppen mit 20 Klassen. Eine Fortschreibung der AzB gab es letztmalig 1984, es wurden zur Berücksichtigung einer stärkeren Differenzierung der Kapitel 2 Flugzeuge, der Kapitel 3 Flugzeuge und der neuen Großraumflugzeuge fünf weitere Gruppen eingeführt, 13 Gruppen und 28 Klassen insgesamt. Diese grobe Einteilung führte stets dazu, dass in der Tendenz zu große Schutzzonen berechnet wurden. Ein Vergleich mit Fluglärmmessungen erbrachte immer 5 bis 12 dB zu hohe Dauerschallpegel der Berechnung zu Gunsten der Lärmbetroffenen. Im Jahr 1996 sind die Verkehrsflughäfen an das BMV herangetreten und forderten eine feinere Aufteilung der Luftfahrzeuggruppe (jeweils eine Klasse für Abflug und eine für Anflug) nach Geräuschemission und Abflugmasse sowie die Berücksichtigung neuer Muster wie den Airbus A340. Auch die Länder sprachen sich für eine möglichst wirklichkeitsnahe Abbildung der Lärmbelastung aus. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hatte eine Fortschreibung der AzB-Luftfahrzeuggruppen bereits in Angriff genommen. Seit der ersten Fortschreibung der AzB im Jahre 1984 hatten sich gravierende Änderungen im Flugzeugbau ergeben. Diese begannen mit der Einführung der modernen Flugzeugmuster B737-300 und A320 Mitte bis Ende der 80er Jahre, so dass schon zu Beginn der 90er Jahre die in der AzB festgelegten Datensätze überarbeitungsbedürftig waren. Aus diesem Grunde wurde im Jahr 1993 dem Umweltbundesamt von dem DLR ein Vorschlag zur Fortschreibung der AzB vorgelegt. Insbesondere wurden Daten neuerer Flugzeugtypen (B777, A330, A340) eingearbeitet. Dieser Ergänzungsvorschlag, der den aktuellen Kenntnisstand widerspiegelt und auf umfangreichem Messdatenmaterial von mehreren deutschen Verkehrsflughäfen beruht, wurde als „AzB-95“ oder „AzB-DLR“ bezeichnet und zur „AzB-99“ fortentwickelt. Diese wies nun 23 Luftfahrzeuggruppen auf. Mit der AzB der 1. FlugLSV wurde eine weitere Differenzierung der Propellerflugzeug- und Hubschrauberklassen vorgenommen und die Richtcharakteristik der Geräuschemission eingeführt, es stehen nunmehr 28 Luftfahrzeuggruppen mit insgesamt 61 Luftfahrzeugklassen (Start, Landung, Auslastung) zur Verfügung. Die immer feinere Differenzierung führt zu Schutzzonen, die sehr empfindlich gegenüber der Änderung der Belegung von Flugrouten mit den einzelnen Luftfahrzeugklassen sind. Kleinste Veränderungen im Flugzeugmix wirken sich im Schutzzonenverlauf aus.

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Bedauerlich ist, dass die Berechnungsvorschriften zwar den Lärm bei Start, Landung, Rollen der Luftfahrzeuge und des Betriebs des Hilfstriebwerks (APU) auf den Abstellpositionen berücksichtigen, aber nicht den von Triebwerksprobeläufen mit den im Luftfahrzeug eingebauten Flugtriebwerken, den von Flughafenbetriebsstraßen, Fahrzeugen und Geräten auf Vorfeldern und sonstigen Flughafenanlagen. Nach § 2 Abs. 2 BImSchG sind Flugplätze zwar von den Regelungen nach BImSchG ausgenommen. Da bestimmte Lärmquellen vom Gesetzgeber nicht benannt sind, könnten diese zum einen nicht relevant sein, zum anderen dem BImSchG unterliegen. Insbesondere hinsichtlich des Lärms der Triebwerksprobeläufe mit den im Flugzeug eingebauten Flugtriebwerken ist ein entsprechender Kompetenzstreit vorherzusehen. Die Berechnungsverfahren nach AzB können anders als das Integrated Noise Model der FAA20 auch keine besonderen Flugverfahren einzelner Luftfahrzeugmuster berücksichtigen. Diskussionen werden von Lärmbetroffenen immer wieder hinsichtlich des nicht „normgerechten“ Fliegens geführt. Wind und andere Einflüsse können dazu führen, dass Standardflugverfahren nicht eingehalten werden. Durch die Berücksichtigung von Korridorbreiten bei den Flugstrecken, die auf den Erfahrungswerten der Flugsicherung beruhen, und konservative Annahmen im Flugprofil bezüglich des Steigverhaltens der Luftfahrzeuge sowie der Schubeinstellung in der AzB wird versucht, dem zu begegnen. Hinsichtlich des Schallausbreitungsmodells ist anzumerken, dass zwar die Topografie Berücksichtigung findet, aber keine Abschirmung der Geräusche durch Hindernisse im Schallausbreitungsweg. Die Flughafengebäude können insbesondere die Vorfeldgeräusche gegenüber der Flugplatzumgebung sehr gut abschirmen. Die Vernachlässigung führt jedoch zu einer Regelung, die Lärmbetroffene begünstigt. Die Berücksichtigung der Topografie sorgt bei Schutzzonenänderungen in bergigen Regionen für eine Regelung, die ebenfalls Lärmbetroffene gegenüber der bisherigen Vorgehensweise begünstigt. Auf die Berücksichtigung besonderer Wetterverhältnisse wurde richtigerweise zugunsten eines konservativen Schallausbreitungsmodells verzichtet. Die Berechnung der Dauerschallpegel als Lärmdosis und der Maximalpegel als NAT-Werte für die sechs verkehrsreichsten Monate stellt auf Durchschnittswerte ab. Insofern folgt die Berechnungsmethode im Ansatz der luftrechtlichen Fachplanung, wo die Werte für Schutzziele regelmäßig überschritten sein müssen, um die entsprechenden Schallschutzmaßnahmen auszulösen. Um noch mehr Sicherheit in die Berechnung hinsichtlich extremer Wetterlagen zu bringen, bei denen eine bestimmte Windrichtung über einen längeren Zeitraum vorherrscht, wurde die sogenannte „3-Sigma-Regelung“ in das Berech___________ 20 Integrated Noise Model (INM), Federal Aviation Administration (FAA), Office of Environment and Energy, Version 7.0a, September 2008.

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nungsmodell aufgenommen.21 Dadurch wird die Verteilung der Flugbetriebsrichtungen auf den Start- und Landebahnen innerhalb der sechs verkehrsreichsten Monate so berücksichtigt, dass auch die zeitlich stärker ausgeprägte Nutzung einer Bahnrichtung besser widergespiegelt wird. In der Vergangenheit wurde oftmals die Berücksichtigung einer 100-zu-100-Verteilung der Bahnrichtungen gefordert, um alle denkbaren Möglichkeiten der Bahnnutzung abzudecken. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist gegenüber der alten AzB die bessere Berücksichtigung der Bahnnutzungen durch Einführung der „3-Sigma-Regelung“ zu begrüßen. Die Berechnung der Lärmschutzbereiche erfolgt durch die Bundesländer und in den Ländern durch unterschiedliche Fachressorts, wobei eine Auftragsvergabe an private Firmen wohl wahrscheinlich ist. Um einen gewissen einheitlichen Vollzug sicherzustellen, ist eine Qualitätssicherung der Berechnungsprogramme erforderlich. In der Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Novellierung des Fluglärmgesetzes wurde das Umweltbundesamt gebeten, die Bundesländer bei der Qualitätssicherung der Berechnungsprogramme zu unterstützen.22 Das Umweltbundesamt hat deshalb in Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Ministerium für Umwelt und Klimaschutz und dem Deutschen Zentrum für Luftund Raumfahrt (DLR) ein detailliertes Verfahren zur Überprüfung der AzBBerechnungsprogramme erarbeitet.

Bild 7

___________ 21 22

Siehe Anlage zu § 3 FluglärmG, bzw. AzB. Bundestags-Drucksache 16/3813 vom 13. Dezember 2006.

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Nach der 1. FlugLSV werden die Fluglärm-Berechnungsdaten (Flugzeugmix, Flugbewegungen, Flugstrecken) für ein bestimmtes Prognosejahr ermittelt. Das Prognosejahr wird von der zuständigen Behörde festgelegt und bezieht sich auf die sechs verkehrsreichsten Monate (180 Tage) des Prognosejahres. Das Bild 7 zeigt die Schutzzonen für den Fall 10-Jahres-Prognose und 25Jahres-End-ausbau-Prognose als Ergebnis einer Planfeststellung für den energieäquivalenten Dauerschallpegel 62 dB(A). Die Fläche wird nahezu verdoppelt. Ein festes Prognosejahr für die Ermittlung der Lärmbelastungen hat der Gesetzgeber nicht definiert, das Gesetz geht bei der Regelüberprüfung von einem Zeitraum von zehn Jahren aus, was grundsätzlich für einen Prognosehorizont von zehn Jahren spricht. Andererseits liegen den Ausbauprogrammen der Flugplätze klare zeitliche Erwartungen und Flugbetriebsprognosen zugrunde, die in der luftrechtlichen Fachplanung Berücksichtigung finden. Insoweit könnte grundsätzlich auf den Prognose-Zeithorizont der Ausbaumaßnahme abgehoben werden, um den Schallschutz auch langfristig sicherzustellen. Da den luftrechtlichen Fachplanungen meist nur Grobplanungen der Flugsicherung für An- und Abflugverfahren zu Grunde liegen und diese erst endgültig nach mehrjähriger Bauzeit zur Inbetriebnahme des Flughafens bzw. der Ausbaumaßnahme durch das LBA unter Berücksichtigung der Lärmschutzbelange der Flughafenanwohner festgesetzt werden, andererseits das Fluglärmgesetz fordert, dass die Schutzzonen bereits zeitnah mit der Verwaltungsentscheidung zum Neu- oder Ausbau ausgewiesen werden, ist aufgrund der Sensitivität der Berechnungen gegenüber den Eingangsgrößen damit zu rechnen, dass sich die Schutzzonenverläufe mit Betriebsaufnahme noch ändern. Auch die Verkehrsprognosen, die der Antragstellung auf Neu- oder Ausbau zu Grunde liegen und in die Schutzzonenberechnung als Verkehrsdaten eingehen, sind aufgrund der üblichen Verfahrensdauern und Bauzeiten zu Betriebsbeginn zumeist überholt. Abhilfe wäre möglich, wenn die endgültige Festsetzung der Schutzzonen erst mit Betriebsbeginn auf der Grundlage neuer Verkehrsprognosen und endgültiger Flugstrecken erfolgen würde. 4. Zusammenfassung Nachhaltiger Fluglärmschutz ist nur erreichbar, wenn kurzfristig eine Fortschreibung der Lärmzulassungsvorschriften der ICAO im Anhang 16, Band I als Anreiz für Industrie und Luftverkehrswirtschaft (Kapitel 4+ Flugzeuge) erfolgt. Nur so werden die notwendigen Anreize für die technische Entwicklung und den Einsatz lärmarmer Luftfahrzeuge geschaffen. Die Abkehr von der klassischen „Bonusliste“ hin zur Einteilung der Luftfahrzeuge nach Lärmklassen, die auf den Werten der Lärmzulassung nach ICAO Anhang 16 Band I oder nach dem bei Start und Landung im Umfeld des

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Flughafens gemessenen Fluglärm beruhen, ist unerlässlich. Die bestehende Bonusliste ist nicht mehr geeignet, um lärmabhängige Landeentgelte ausreichend zu differenzieren. Auf die Anwendung der Bonusliste im Bereich Flugbetriebsbeschränkungen sollte zu Gunsten einer Regelung auf der Basis der ICAO Lärmzulassungsregelungen verzichtet werden. Da für Lärmbetroffene die am jeweiligen Flugplatz gemessenen Geräusche maßgeblich sind, sollten Bonus/Malus-Systeme im Rahmen der Entgelterhebung für die Flugplatznutzung möglichst auf den Messungen der Fluggeräusche vor Ort basieren. Eine regelmäßige Überprüfung der festgesetzten Lärmgrenzwerte und Berechnungsmethoden in Regelwerken zur Ermittlung der Fluglärmbelastung und Ausweisung von Schutzzonen ist Voraussetzung für eine Fortschreibung des erreichten Schutzniveaus. Die Beibehaltung einer möglichst „groben“ Luftfahrzeuggruppeneinteilung bei der Festlegung von flugbetrieblichen und akustischen Daten sowie konservative Berechnungsannahmen zugunsten der Lärmbetroffenen garantiert Verlässlichkeit für Flughafenanwohner und dem Flugplatzunternehmer. Bei veränderten Rahmenbedingungen des Flugbetriebs ist die konsequente Nachsteuerung von Schutzzonen erforderlich, um die Schallschutzanordnungen nicht ins Leere laufen zu lassen.

Luftsicherheit in der Praxis – Eigensicherung von Luftfahrtunternehmen und Reglementierten Beauftragten Von Karsten Baumann

I. Einleitung Dem Bereich der Luftsicherheit kommt im Luftverkehrsrecht immer noch eine Sonderrolle zu. Die Vorsorge gegenüber nicht unmittelbar mit dem fliegerischen Vorgang im engeren Sinne verbundenen Gefahren wird vielfach als fremd empfunden. Gleichwohl zeigen Ereignisse wie die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001, dass auch die Abwehr nicht betriebsbedingter Gefahren für einen sicheren und verlässlichen Luftverkehr unabdingbar ist. Im Folgenden sollen die Grundlagen der Luftsicherheit sowie die daraus folgenden Anforderungen dargestellt werden. Die Betrachtung beschränkt sich aus Vollzugssicht auf die Eigensicherungspflichten von Luftfahrtunternehmen und Reglementierten Beauftragten sowie die spiegelbildlich dazu bestehenden Zulassungs- und Überwachungsaufgaben des Luftfahrt-Bundesamtes.

II. Begriffsklärung und Ausgangslage Der Begriff der Luftsicherheit wird in § 1 LuftSiG1 eindeutig definiert. Die Vorschrift nennt als Zweck des Luftsicherheitsgesetzes den „Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs, insbesondere vor Flugzeugentführungen, Sabotageakten und terroristischen Anschlägen“. Damit ist offenkundig, dass die Luftsicherheit auf die Abwehr von betriebsfremden Gefahren für den Luftverkehr bezogen ist. Sie unterscheidet sich von der – vorrangig mit den ___________ 1

Luftsicherheitsgesetz vom 11. Januar 2005 (BGBl I, S. 78), zuletzt geändert durch Art. 9 a des Gesetzes zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes vom 5. Januar 2007 (BGBl. I, S. 2).

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Regelwerken des LuftVG2, der LuftVO3 und der LuftVZO4 verfolgten – Luftverkehrssicherheit, die der Abwehr betriebsimmanenter Gefahren dient. Geläufig sind der Begriff der so genannten „Aviation Security“ als Kennzeichen der gegen externe Einwirkungen gerichteten Luftsicherheit sowie der Terminus der „Aviation Safety“ als Bezeichnung für die auf die betriebliche Sicherheit bezogene Luftverkehrssicherheit. Seinen Grund und Anlass hat das heute geltende Luftsicherheitssystem stets in der tatsächlichen Bedrohungslage durch terroristische und sonstige externe Einwirkungen auf den Luftverkehr gefunden. Während die Attentate von New York und Washington im kollektiven Gedächtnis präsent sind, belegt ein früheres Ereignis die Weiterentwicklung von Luftsicherheitsverfahren und -anforderungen als Reaktion auf erkannte Bedrohungspotentiale: Am 21.12.1988 wurde eine Boeing B-747 der seinerzeitigen U.S.-amerikanischen Fluggesellschaft PanAm über dem schottischen Ort Lockerbie zum Absturz gebracht. Das Unglück, das von keinem der Bordinsassen überlebt werden konnte, forderte insgesamt 259 Todesopfer. Grund für den Absturz war die Zündung einer Sprengladung, die sich in einem aufgegebenen unbegleiteten Gepäckstück in einem der Frachträume befand. Vor dem Hintergrund der besonderen Verletzlichkeit des in großer Höhe verkehrenden Luftfahrzeugs reichte bereits eine verhältnismäßig geringe Menge Sprengstoff aus, um das Luftfahrzeug so stark zu beschädigen, dass ein Absturz und eine Tötung aller Personen an Bord unvermeidlich waren. Von den aus diesem Ereignis gewonnenen Erkenntnissen gingen wesentliche Folgerungen für die Optimierung der Luftsicherheitsmaßnahmen aus. Bis zu dem Anschlag von Lockerbie war das Luftsicherheitssystem – soweit es Maßnahmen in Bezug auf Luftfahrtunternehmen bzw. die Passagier- und Gepäckbeförderung betraf – im Kern darauf zugeschnitten, die Verbringung von gefährlichen, potentiell als Nötigungsmittel geeigneten Gegenständen in die Passagierkabine zu unterbinden. Die Möglichkeit etwaiger Manipulationen des aufgegebenen Gepäcks bzw. von Frachtstücken wurde demgegenüber nicht als wahrscheinliches Tatszenario betrachtet, weil sich die bis dahin erfolgten Angriffe auf die Luftsicherheit im Wesentlichen in Flugzeugentführungen er___________ 2

Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 698), zuletzt geändert durch Artikel 9 des Gesetzes vom 11. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2418). 3 Luftverkehrs-Ordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. März 1999 (BGBl. I, S. 580), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 12. September 2008 (BGBl. I S. 1834). 4 Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Juli 2008 (BGBl. I S. 1229), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 28. Januar 2009 (BGBl. I S. 133).

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schöpften, bei denen die Flugroute bzw. der Zielort von Luftfahrzeugen aus erpresserischen Motiven geändert und die Bordinsassen zur Untermauerung der terroristischen Forderungen als Geiseln genommen wurden. Zur Abwehr dieser Begehungsweise reichte die Herstellung weit gehender „Kabinensicherheit“ aus. Aus dem Anschlag von Lockerbie, der im Hinblick auf seine Begehungsweise trauriger Modellfall auch für jüngere – zumeist erfolgreich unterbundene – terroristische Anschläge bzw. Anschlagversuche auf den Luftverkehr geworden ist, lassen sich demgemäß drei Erkenntnisse ableiten, an denen ein modernes Luftsicherheitssystem gemessen werden muss: 1. Terroristische Bedrohungen drohen nicht mehr nur durch Attentäter an Bord von Luftfahrzeugen, die das Luftfahrzeug und seine Insassen in ihre Gewalt bringen. Vielmehr gehen sie auch und insbesondere von manipuliertem Gepäck bzw. manipulierter Luftfracht aus. Gerade die Luftfracht, deren Wesensmerkmal darin besteht, dass sich ihr Versender nicht an Bord des Luftfahrzeuges befindet, eignet sich in besonderem Maße für terroristische Einwirkungen, da der Beförderungspreis vergleichsweise gering ist, die Anonymisierung des Sendungsverlaufs verhältnismäßig gut gelingt und die Anwesenheit eines Täters am eigentlichen Tatort nicht erforderlich ist. 2. Insbesondere bei der Luftfrachtbeförderung ist wegen der Vernetzung der Verkehrsträger eine sichere Lieferkette unabdingbare Voraussetzung für die Abwehr von Anschlägen auf den Luftverkehr. Kaum eine Frachtsendung wird im Zuge ihres Sendungsverlaufs ausschließlich als Luftfracht befördert, sondern vielmehr vor ihrer Verladung in ein Luftfahrzeug von den unterschiedlichsten Verkehrsträgern transportiert. Eine effektive Steigerung des Sicherheitsniveaus ist dann möglich, wenn bereits – beginnend beim Absender einer Ware – der Vorlaufprozess vor der Luftbeförderung so gesichert ist, dass Manipulationen an dem Beförderungsgut ausgeschlossen werden können. Hinzu kommt eine weitere Erwägung: Der Absender einer Ware hat im Rahmen der gesamten Prozesskette – vor allem wenn er Hersteller des Beförderungsgutes ist – von allen Beteiligten die genaueste Kenntnis über das Frachtgut und kann die Manipulationsfreiheit daher am besten beurteilen. Eine belastbare Aussage über den Sicherheitsstatus einer Frachtsendung kann daher besonders gut dadurch erfolgen, dass größtmögliche Gewissheit über das manipulationsfreie Inverkehrbringen einer Ware gewonnen und der dadurch erlangte Sicherheitsstatus durch eine ununterbrochene Kette von Sicherungsmaßnahmen bis zur Beförderung mit einem Luftfahrzeug aufrecht erhalten wird. 3. Die Mehrgliedrigkeit von Prozessketten in der Luftbeförderung – vor allem auf dem Fracht-, aber auch dem Passagiersektor – belegt, dass die Gewährleistung lückenloser Sicherheit nicht gleichsam ausschließlich „extern“ von

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staatlicher Seite an die Prozesse angegliedert werden kann, sondern in die Arbeitsabläufe selbst integriert werden muss. Insbesondere das System der sicheren Lieferketten kann ohne eigene Sicherungsmaßnahmen der an der (Luft-)Frachtverarbeitung beteiligten Stellen nicht funktionieren. Gesetzgeberisch ist diese Erkenntnis dadurch umgesetzt worden, dass der Großteil der Luftsicherheitsmaßnahmen nicht als originäre und ausschließliche Staatsaufgabe, sondern als Eigensicherungspflicht der Luftfahrtunternehmen – und davon abgeleitet – der Reglementierten Beauftragten ausgestaltet worden ist. Hierauf wird zurückzukommen sein.

III. Zuständigkeiten und Rechtsgrundlagen für die Luftsicherheitsgewähr, insbesondere im Hinblick auf die Eigensicherungspflichten Zuvor bedarf es eines Blickes auf die Zuständigkeitsverteilung im Bereich der Luftsicherheit. Gesetzgeberisch ist insoweit eine dreigliedrige Struktur verwirklicht worden, die gemeinhin als das „Drei-Säulen-Modell“ der Luftsicherheit bezeichnet wird. 1. Das „Drei-Säulen-Modell“ der Luftsicherheit Als originäre Staatsangelegenheit sind die Luftsicherheitsaufgaben gemäß § 5 LuftSiG ausgestaltet worden. Sie betreffen im Kern die Überprüfungs-, Kontroll-, Anhalte- und Verweisungsbefugnisse der Luftsicherheitsbehörden. Aufgrund der vom Gesetzgeber gesehenen Grundrechtsrelevanz dieser Tätigkeiten, die gegenüber „unbeteiligten Dritten“, d. h. Passagieren, ggf. Flughafenbesuchern und anderen „Externen“, wahrgenommen werden, ist es nicht als ausreichend gesehen worden, sie aufgrund gesetzlicher Eigensicherungspflichten mit den Mitteln des „Jedermannrechts“ auszuüben. An Flughäfen mit Präsenz der Bundespolizei ist diese für die Durchführung der Luftsicherheitsaufgaben gemäß § 5 LuftSiG verantwortlich. Fallweise sind jedoch auch Landesbehörden mit derartigen luftsicherheitsbehördlichen Aufgaben betraut. Diese Thematik braucht im vorliegenden Kontext nicht vertieft zu werden. Die bauliche, organisatorische und personelle Sicherung der Flughafenanlage als solcher ist gemäß § 8 LuftSiG als Eigensicherungspflicht der Flugplatzbetreiber ausgestaltet. Wesentliche Ausformungen dieser Aufgabe sind etwa technische Maßnahmen zur Verhinderung unbefugten Zugangs zu nicht allgemein zugänglichen Flughafenbereichen, der sichere Gepäcktransport bzw. die sichere Gepäcklagerung sowie die Kontrolle eigener Mitarbeiter sowie von Fremdpersonal vor Betreten der nicht allgemein zugänglichen Flughafenbereiche. Diese Eigensicherungsmaßnahmen bedürfen der behördlichen Zulassung

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und Überwachung. Zuständig sind insoweit gem. § 16 Abs. 2 LuftSiG die Landes-Luftsicherheitsbehörden. Damit knüpft der Gesetzgeber auffällig an die auch im Bereich der betrieblichen Gefahrenabwehr geltende Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern an, wonach den Landesluftfahrtbehörden weit gehend die Zuständigkeit für „Flugplatzangelegenheiten“ – d. h. Zulassung und Überwachung der Anlage und des Betriebs von Flugplätzen – überlassen ist (vgl. § 31 Abs. 2 Nrn. 4 ff. LuftVG). Analog zu den Eigensicherungspflichten der Flughafenbetreiber kodifiziert § 9 LuftSiG Eigensicherungspflichten der Luftfahrtunternehmen. Diese umfassen ebenfalls alle personellen, organisatorischen und ggf. baulichen Maßnahmen, die zur Sicherung des Flugbetriebes – allerdings aus der Perspektive der Luftfahrtunternehmen – erforderlich sind. Hierzu zählen insbesondere die Sicherung der (im Dienst oder außer Dienst befindlichen) Luftfahrzeuge, die Sicherung der Abfertigungsvorgänge von Passagieren, Gepäck und Fracht sowie ggf. die Sicherung der den Luftfahrtunternehmen auf den Verkehrsflughäfen mit einer gewissen Dauerhaftigkeit und Abgrenzbarkeit überlassenen nicht allgemein zugänglichen Bereiche gegen unberechtigten Zugang. Im Einzelnen wird hierauf noch zurückzukommen sein. Zulassungs- und Überwachungsbehörde im Hinblick auf diese Eigensicherungspflichten ist gem. § 16 Abs. 3 S. 1 LuftSiG das Luftfahrt-Bundesamt. Auch insoweit wird im Hinblick auf eine Security-Funktion gesetzgeberisch bereits an die aus der betrieblichen Sicherheitsgewähr bestehende Aufgabenzuweisung angeknüpft, wonach das Luftfahrt-Bundesamt für die Zulassung und die Aufsicht über Luftfahrtunternehmen zuständig ist (vgl. etwa § 2 Abs. 1 Nr. 16 LBAG5). Im Rahmen seiner Kompetenz für die Überwachung der Eigensicherung von Luftfahrtunternehmen ist das Luftfahrt-Bundesamt des Weiteren für die Zulassung und Aufsicht über so genannte Reglementierte Beauftragte zuständig, denen – gleichsam als „verlängerter Arm“ – die Wahrnehmung bestimmter, nach nationalem Recht originär den Luftfahrtunternehmen obliegender Eigensicherungspflichten im Hinblick auf die sichere Frachtabfertigung und -behandlung (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1 LuftSiG) übertragen werden kann. Die Zuständigkeit hierfür folgt aus den erwähnten Aufsichtsbefugnissen des Luftfahrt-Bundesamtes im Hinblick auf Luftfahrtunternehmen.

___________ 5

Gesetz über das Luftfahrt-Bundesamt in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 96-4, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 332 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I, S. 2407).

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2. Eigensicherung als wichtige Säule der Luftsicherheit Mit Blick auf das Vorstehende wird augenfällig, dass ganz wesentliche Bereiche der Luftsicherheitsgewähr nicht als originäre Staatsaufgabe ausgestaltet sind, was zur Folge hat, dass staatliche Körperschaften nur im Aufgabenumgriff des § 5 LuftSiG unmittelbar mit der Herstellung des „Produktes Sicherheit“ befasst sind. In den übrigen weiten Bereichen der Aufgaben gemäß §§ 8 und 9 LuftSiG beschränkt sich der Staat demgegenüber auf normative Rahmensetzung sowie Zulassungs- und Aufsichtsaktivitäten, während die Sicherheitsgewähr als solche obligatorisch Privaten in Erfüllung ihrer Eigensicherungspflichten auferlegt worden ist. Dies gibt Anlass, die Rechtsfigur der Eigensicherung als wichtige Säule (nicht nur) der Luftsicherheit näher zu betrachten. Unter Eigensicherung ist – verkürzt gesprochen – die gesetzliche Verpflichtung des Betreibers einer gefährdeten (aber nicht zwingend auch gefährlichen) Einrichtung zu verstehen, selbst Vorsorge gegen äußere Angriffe zu treffen. Wesentlich ist insoweit der Hinweis, dass es sich dabei nicht um die Absicherung des (einem Anlagenbetreiber unter Umständen aus anderen Rechtsgründen obliegenden) betrieblichen Gefahrenpotentials der Einrichtung, sondern um einen präventiven Selbstschutz im Hinblick auf externe Bedrohungslagen, denen die Einrichtung ihrer Art nach ausgesetzt ist, handelt. Der Betreiber der Einrichtung ist mithin nicht „Täter“, d. h. nicht Verursacher der Gefährdungslage, sondern selbst „Opfer“. Dies hat zur Folge, dass eine Begründung von Eigensicherungspflichten über die polizeirechtliche Störerhaftung zwangsläufig versagen muss, weil der Betreiber einer gefährdeten Einrichtung jedenfalls unter dem Blickwinkel der Abwehr äußerer Eingriffe weder Handlungs- noch Zustandsverantwortlicher ist. Gleichwohl werden ihm im öffentlichen Interesse, das sich regelmäßig aus den besonderen Folgen einer unrechtmäßigen externen Einwirkung auf die Einrichtung erklärt, Schutzmaßnahmen abverlangt. Diese bewirken gleichsam eine Minderung des Gefährdungspotentials auf ein Maß, ab dem staatliche Gefahrenabwehr überhaupt erst ansetzen kann. Neben den erwähnten Eigensicherungspflichten aus dem Luftsicherheitsrecht ist die obligatorische Eigensicherung des Betreibers einer Kernenergieanlage gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG6 Modellfall für diesen Typus der verpflichtenden Einbeziehung Privater in die Abwehr bzw. – exakter – Vorsorge gegenüber (zumeist abstrakten) Gefahren.

___________ 6

Atomgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985 (BGBl. I S. 1565), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29. August 2008 (BGBl. I S. 1793).

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Rechtsdogmatisch handelt es sich bei einer Eigensicherungspflicht um einen Fall der durch Gesetz bewirkten Indienstnahme eines Privaten zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben, was vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen dann zulässig erscheint, wenn nur bzw. vorrangig der Betreiber einer Einrichtung – dem als dem wirtschaftlichen Nutznießer auch die Vorteile seiner Betätigung zuwachsen – für einen lückenlosen, dauerhaften und effektiven Schutz derselben vor äußeren Eingriffen garantieren kann. Die Eigensicherung stellt damit einen Fall staatsentlastenden Privathandelns dar, ohne dass der Eigensicherungspflichtige in Ausübung seiner Sicherungsaufgaben Teil des Staatsapparates wird. Ihm stehen demgemäß keinerlei hoheitliche Befugnisse gegenüber Dritten zu. Vielmehr kann er sein Handeln – sofern es überhaupt Außenrechtsrelevanz entfaltet – ausschließlich auf die „Jedermann-Rechtsordnung“ stützen. Mit dem Vorgenannten ist zugleich eine unverrückbare Grenze der Eigensicherung beschrieben. Sie kommt nur dort in Betracht, wo die Ausübung der Sicherungsmaßnahmen keine (wesentliche) Grundrechtsrelevanz im Verhältnis zu Dritten entfaltet und es demgemäß keiner sonderrechtlichen Kompetenzen des Eigensicherungspflichtigen bedarf. In allen anderen Fällen handelt es sich – jedenfalls dem Grundsatz nach – um Aufgaben, die von staatlichen Körperschaften unter Inanspruchnahme besonderer Befehls- und Zwangsbefugnisse wahrgenommen werden müssen. Freilich ist diese klar erscheinende Grenze in der Praxis weitaus weniger trennscharf zu definieren, als es in der Theorie erscheint. Auf den ersten Blick muss nämlich verwundern, dass die Fluggast- und Gepäckkontrollen gesetzgeberisch wegen ihrer Grundrechtsrelevanz als hoheitliche Maßnahmen ausgestaltet worden sind, während die inhaltlich nahezu deckungsgleichen Personal- und Warenkontrollen an Flugplätzen von den Flughafenbetreibern bzw. – bei überlassenen Bereichen – von den Luftfahrtunternehmen in Ausübung ihrer Eigensicherungspflichten ausschließlich mit den Mitteln des „Jedermannrechts“ durchgeführt werden. Freilich ist allerdings ein mehr als nur gradueller Unterschied darin zu erblicken, dass die Kontrolle (überwiegend) eigenen Personals vertraglichen Gestaltungsoptionen unterliegt, die gegenüber unbeteiligten Dritten nicht bestehen. In Grenzbereichen ist eine genaue Definition, wo Eigensicherung zwingend enden muss und zugleich der Beginn hoheitlicher Gefahrenprävention erforderlich ist, kaum leistbar. 3. Rechtsgrundlagen für die Eigensicherung in der Luftsicherheit Als Rechtsgrundlage für die Eigensicherung von Luftfahrtunternehmen und (mittelbar) von Reglementierten Beauftragten ist oben bereits § 9 LuftSiG erwähnt worden. Der in dieser Rechtsvorschrift kodifizierte Katalog von Sicherungsmaßnahmen bleibt allerdings weit gehend im Allgemeinen und trägt generalklauselartigen Charakter. Wesentlich für die Details und damit sowohl für

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die Ausformung der Eigensicherungspflichten als auch für die entsprechende Vollzugspraxis der Luftsicherheitsbehörden ist das Europäische Gemeinschaftsrecht, dem auf dem Gebiet der Luftsicherheit seit 2002 eindeutige Handlungsvorgaben zu entnehmen sind. Die Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt7 definiert – insbesondere in ihrem Anhang – gemeinsame Grundstandards für die Aviation Security in der Gemeinschaft. Sie wird demnächst durch die Verordnung (EG) Nr. 300/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 20088 abgelöst werden, die zwar bereits am 20. April 2008 in Kraft getreten ist, aber in den für die Vollzugspraxis wesentlichen Teilen mangels Durchführungsbestimmungen noch nicht gilt (vgl. Art. 24 der VO [EG] Nr. 300/2008). Die Festlegungen der grundlegenden Europäischen Luftsicherheitsverordnung werden durch weitere gemeinschaftsrechtliche Verordnungen näher konkretisiert. Bislang war insoweit ein System von Verordnungen mit jeweils vertraulichen, nicht veröffentlichten Anhängen üblich. Mit der derzeitigen Verordnung (EG) Nr. 820/2008 der Kommission vom 08. August 2008 zur Festlegung von Maßnahmen für die Durchführung der gemeinsamen grundlegenden Normen für die Luftsicherheit9 ist dieses System zugunsten einer abschließenden, im Ganzen veröffentlichten Verordnung sowie einer im Ganzen vertraulichen Kommissionsentscheidung aufgegeben worden. Zugleich sind die geheimhaltungsbedürftigen Inhalte bereinigt worden. Die Durchführungsbestimmungen definieren die einzelnen Pflichten und die dabei einzuhaltenden Standards derart genau, dass für die Eigensicherungspflichtigen eine größtmögliche Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Pflichtenstellung sowie für die Aufsichtsbehörden eine eindeutige und einheitliche Vollzugspraxis sichergestellt werden.

IV. Sicherungsmaßnahmen von Luftfahrtunternehmen 1. Umfang der Eigensicherungspflichten Auf die den Luftfahrtunternehmen im Einzelnen obliegenden Sicherungsmaßnahmen soll nur überblickartig eingegangen werden. Sie betreffen – wie bereits dargestellt – sämtliche Bereiche des Flugbetriebes, auf die ein Luft___________ 7 8 9

ABl. L 355 vom 30. Dezember 2002, S. 1. ABl. L 97 vom 09. April 2008, S. 72. ABl. L 211 vom 19. August 2008, S. 8.

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fahrtunternehmen Einfluss hat und die deshalb von ihm gegen unbefugte äußere Eingriffe zu sichern sind. Hierzu sind im Wesentlichen zu zählen: x Abfertigung von Fluggästen, x Behandlung von Post, Gepäck, Fracht und Versorgungsgütern (unter Ausnahme der hoheitlich durchgeführten Fluggast- und Gepäckkontrollen), x Zugangssicherung zu überlassenen Bereichen, x Luftsicherheitsschulungen für das Sicherheitspersonal, Bodenpersonal und Flugbesatzungen, x Sicherung von Luftfahrzeugen (z. B. Versiegelung, Bewachung), x Mitwirkung an der Verbringung von Luftfahrzeugen auf Sicherheitspositionen bei Bedrohungen, x Mitwirkung an der Zuverlässigkeitsüberprüfung gemäß § 7 LuftSiG. Die auf das jeweilige Luftfahrtunternehmen nach der Art seiner Betätigung anwendbaren Sicherungsmaßnahmen sind in einem Luftsicherheitsplan darzustellen (Art. 5 Abs. 4 VO [EG] Nr. 2320/2002; § 9 Abs. 1 S. 2 LuftSiG). Der Luftsicherheitsplan ist dem Luftfahrt-Bundesamt zur Zulassung vorzulegen. Die Rechtsnatur bzw. rechtliche Selbständigkeit der Zulassung von Luftsicherheitsplänen divergiert zwischen der Situation im Hinblick auf deutsche und auf ausländische Luftfahrtunternehmen. Bei deutschen Luftfahrtunternehmen wird die Zulassung des Luftsicherheitsplans im Rahmen der Betriebsgenehmigung des Luftfahrtunternehmens (Air Operator Certificate – AOC) erteilt. Dieser Anknüpfungspunkt scheidet bei ausländischen Luftfahrtunternehmen aus. Hier erfolgt die Zulassung des Luftsicherheitsplans als selbständiger Genehmigungsakt. Auslöser der Genehmigungspflicht ist die Nutzung deutscher Verkehrsflughäfen durch das jeweilige ausländische Luftfahrtunternehmen. Ohne einen zugelassenen Luftsicherheitsplan darf von einem eigensicherungspflichtigen Luftfahrtunternehmen kein Luftverkehr von und nach deutschen Verkehrsflughäfen aufgenommen werden. Bliebe es uneingeschränkt bei den vorstehenden Festlegungen, würde jedes Luftfahrtunternehmen ohne Ansehung seines Gefährdungspotentials – das nicht unwesentlich von der Bedeutung und Größe des Luftfahrtunternehmens sowie seiner Rolle im Luftverkehr mitbestimmt wird – uneingeschränkt eigensicherungspflichtig sein. Dies hätte insbesondere für Kleinunternehmen, die ausschließlich mit Leichtflugzeugen lokale Flugdienste – zum Beispiel im Seebäderverkehr – anbieten, unbillige Folgen und stünde außer Verhältnis zum erstrebten Zweck. Derartige Unternehmen stehen vor dem Hintergrund des mit terroristischen Einwirkungen verfolgten Symbolwerts aufgrund ihrer Größe, ihrer (internationalen) Bekanntheit und der geringen Zahl potentieller Opfer regelmäßig nicht im Fokus von Attentatsplänen. Ihr Betrieb würde auf der ande-

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ren Seite unbillig erschwert bzw. sogar unmöglich gemacht, wenn sie den gleichen Sicherungspflichten wie global operierende Großflugzeugbetreiber unterworfen wären. Diese Diskrepanz ist vom nationalen Gesetzgeber erkannt worden. Ihr wird in der Vorschrift des § 9 Abs. 1 S. 1 LuftSiG mit einer Relevanzschwelle begegnet, wonach die Eigensicherungspflichten prinzipiell erst ausgelöst werden, wenn ein Luftfahrtunternehmen mindestens ein Luftfahrzeug mit einem (zulässigen) Höchstgewicht von mehr als 5,7 Tonnen betreibt. Unterhalb dieser Grenze sind Luftfahrtunternehmen gemäß § 9 Abs. 4 LuftSiG lediglich infolge einer Einzelanordnung des Luftfahrt-Bundesamtes zur Eigensicherung verpflichtet. Eine solche Verpflichtung kommt nach dem Wortlaut des Gesetzes nur in Betracht, soweit sie zur Sicherung des Flugbetriebes erforderlich ist. Dies ist lediglich in eng umgrenzten Ausnahmefällen denkbar, beispielsweise wenn ein Luftfahrtunternehmen mit kleinem Fluggerät Fluggäste von einem Flugplatz ohne Sicherheitsbereich und entsprechende Kontrollen zu einem Verkehrsflughafen transportiert, von wo aus die Passagiere im Transfer ohne Weiteres auf Anschlussflüge umsteigen können sollen. In einem solchen Fall entstünde ohne Sicherungsmaßnahmen auch des „Kleinflugzeugbetriebes“ eine Sicherheitslücke, die es rechtfertigt, dem Luftfahrtunternehmen unter Inanspruchnahme der Ermächtigung des § 9 Abs. 4 LuftSiG Eigensicherungsmaßnahmen im Einzelfall aufzuerlegen. Ob die 5,7 Tonnen-Grenze als Auslöseschwelle für die Eigensicherungspflichten korrekt verortet ist, soll in diesem Zusammenhang nicht hinterfragt werden. Anzumerken ist lediglich, dass sie an eine Kennzeichengrenze bei Luftfahrzeugen anknüpft und damit unter vollzugspraktischen Gesichtspunkten – jedenfalls bei in Deutschland registrierten Luftfahrzeugen – eine schnelle Feststellung dahingehend ermöglicht, ob sich das Höchstgewicht eines Luftfahrzeuges oberhalb oder unterhalb dieser Grenze befindet. 2. Aufsichtsbehördliche Zulassungs- und Kontrollaufgaben Die Zulassungs- und Kontrollaufgaben des Luftfahrt-Bundesamtes stellen das aufsichtliche Spiegelbild zu den Eigensicherungspflichten der Luftfahrtunternehmen dar. Im Wesentlichen sind diesbezügliche folgende Funktionen von Bedeutung: x Zulassung von Luftsicherheitsplänen deutscher und ausländischer Luftfahrtunternehmen, x Überwachung der Eigensicherungsmaßnahmen der Luftfahrtunternehmen anhand des Gemeinschaftsrechts und des nationalen Rechts sowie unter Zugrundelegung der in den zugelassenen Luftsicherheitsplänen beschriebenen Verfahren,

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x Prüfung von Schulungsprogrammen der Luftfahrtunternehmen (als Anhang zum jeweiligen Luftsicherheitsplan), x Prüfung von Luftsicherheitskontrollkräften, Ausstellen von Befähigungszeugnissen, x Zulassung von Ausbildern für Luftsicherheitsschulungen, Aufsicht über die regelmäßigen Fortbildungsunterweisungen für Ausbilder, x Teilnahme an Sicherheitsaudits. In zunehmendem Maße entwickelt sich der Bereich der Luftsicherheitsschulungen und -prüfungen aufgrund der umfassenden Schulungspflicht gem. § 9 Abs. 1 Nr. 3 LuftSiG i. V. m. der Luftsicherheits-Schulungsverordnung vom 02. April 200810 zu einer quantitativen Herausforderung für die Luftsicherheitsbehörden. Im Sachgebiet Eigensicherung Luftfahrtunternehmen des Referats Luftsicherheit im Luftfahrt-Bundesamt werden mittlerweile erhebliche personelle Ressourcen ausschließlich für die Erfüllung dieser Aufgabe verwendet.

V. Sicherungsmaßnahmen von Reglementierten Beauftragten 1. Die Rechtsfigur des Reglementierten Beauftragten und ihre Rechtsgrundlagen Wie bereits ausgeführt worden ist, sind die Luftfahrtunternehmen unter dem Gesichtspunkt der Eigensicherung zur sicheren Behandlung von Luftfracht verpflichtet. Diese Aufgabe umfasst prinzipiell gemäß Kapitel 6.3 des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 das Erfordernis, jede Frachtsendung vor ihrer Verladung in ein Luftfahrzeug Sicherheitskontrollen (z. B. Röntgenkontrollen, händische oder physische Kontrollen) zu unterziehen. Würde es ausnahmslos bei dieser Grundregel bleiben und jede einzelne Frachtsendung erst nach Anlieferung beim Luftfahrtunternehmen – d. h. in der Regel am Flughafen – einer Sicherheitskontrolle unterzogen werden müssen, ergäbe sich hieraus ein „Flaschenhals“, der in einer Exportnation wie der Bundesrepublik Deutschland die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft ernsthaft in Frage stellen würde. Bereits auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene ist daher die Notwendigkeit, Sicherheitskontrollen so weit wie möglich in das Vorfeld der Luftbeförderung von Fracht und Post zu verlagern, erkannt worden. Ihr wird mit der Rechtsfigur des so genannten Reglementierten Beauftragten, die mit Kapitel 1, Ziffer 20 des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 eingeführt worden ist, Rechnung getragen. Da auch die neue Verordnung (EG) Nr. 300/2008 – bei nur we___________ 10

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nigen redaktionellen Änderungen – in ihrem Art. 3 Abs. 26 an dieser Rechtsfigur festhält, kann davon ausgegangen werden, dass der Reglementierte Beauftragte mittlerweile ein fest etabliertes Rechtsinstitut darstellt, welchem auch künftig für die sichere Behandlung von Luftfracht erhebliche Bedeutung zukommen wird. Ohne den exakten, zwischen den beiden vorgenannten Rechtsgrundlagen leicht divergierenden Wortlaut der normgeberischen Definition zu bemühen, kann die Rechtsfigur des Reglementierten Beauftragten wie folgt umschrieben werden: Unter einem Reglementierten Beauftragten ist jede Stelle zu verstehen, die Sicherheitskontrollen für Luftfracht gewährleistet und damit in der Lage ist, Luftfracht (in der Regel bereits im Vorfeld der Anlieferung am Flughafen) „sicher zu machen“. Der Begriff der „Stelle“ verdeutlicht bereits den weiten Kreis von Personen, die als Reglementierte Beauftragte in Betracht kommen können. Von besonderer praktischer Bedeutung sind insoweit Spediteure, Handlingunternehmen und Frachtagenturen, die im Rahmen ihrer Einbindung in die Prozesskette ohnehin mit den Luftfrachtsendungen in Kontakt geraten. Auch die Zulassung von Luftfahrtunternehmen als Reglementierte Beauftragte ist juristisch möglich, hat in praktischer Hinsicht derzeit jedoch nur für diejenigen Fälle eigenständige Bedeutung, in denen ein Luftfahrtunternehmen für ein anderes Unternehmen Frachtabwicklung betreibt. Andernfalls befindet sich das Luftfahrtunternehmen bereits kraft seiner Eigensicherungsverpflichtung aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 LuftSiG ohnehin in der Pflichtenstellung für die Sicherung selbst beförderter Luftfracht. Die erforderlichen Sicherheitskontrollen müssen durch den Bewerber um eine Zulassung als Reglementierter Beauftragter lediglich „gewährleistet“ werden können. Dies bedeutet, dass eine eigenhändige Durchführung der Sicherheitskontrollen, die einen hohen personellen (speziell ausgebildete und geprüfte Luftsicherheitskontrollkräfte) und technischen Aufwand (kostenintensive Kontrolltechnik) erfordern, nicht erforderlich ist. Vielmehr kann sich ein Reglementierter Beauftragter auch der Dienste von Drittanbietern bedienen. Mit dem Begriff des Gewährleistens ist jedoch zugleich klargestellt, dass die Verantwortlichkeit für die jederzeitige Durchführbarkeit von Sicherheitskontrollen beim Reglementierten Beauftragten verbleibt und dieser die von ihm herangezogenen Dienstleister jederzeit entsprechend steuern können muss. Diese „Steuerungshoheit“ ist vom Zulassungsbewerber unter Vorlage entsprechender Dienstleistungsverträge gegenüber dem Luftfahrt-Bundesamt nachzuweisen. Mit dem „Sichermachen“ unsicherer Luftfracht (d. h. sämtlicher Luftfracht, die noch über keinen Sicherheitsstatus verfügt) ist die zentrale Rolle des Reglementierten Beauftragten im Rahmen der Luftfrachtabfertigung und -verarbeitung beschrieben. Er rückt – soweit er im Pflichtenkreis eines Luftfahrtunternehmens tätig wird – in die diesbezügliche Eigensicherungspflicht ein und ist damit Adressat der entsprechenden personellen, organisatorischen und bau-

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lichen Anforderungen. Aus diesem Grunde ist unschädlich, dass der Reglementierte Beauftragte im derzeit geltenden Luftsicherheitsgesetz keine Erwähnung findet. Zum einen gilt das gemeinschaftsrechtliche Verordnungsrecht ohnedies unmittelbar und bedarf keiner mitgliedstaatlichen Umsetzung. Zum anderen bewirkt das „Einrücken“ des Reglementierten Beauftragten in die Pflichtenstellung des Luftfahrtunternehmens als dessen gleichsam „verlängerter Arm“ im Hinblick auf die Luftfrachtbehandlung auch eine Übernahme der diesbezüglich geltenden Standards, auch wenn sie ausschließlich aus dem nationalen Recht resultieren. Andernfalls würden sich die den Luftfahrtunternehmen obliegenden Eigensicherungspflichten im Hinblick auf Luftfracht infolge der Einschaltung eines Reglementierten Beauftragten in die Prozesskette verflüchtigen, was gesetzgeberisch erkennbar nicht beabsichtigt ist. Gleichwohl ist für die Zukunft eine eindeutige Klarstellung im LuftSiG wünschenswert. Das „Sichermachen“ von vormals unsicherer Luftfracht erfordert nicht nur grundsätzlich (zu einer – quantitativ sehr bedeutenden – Ausnahme vgl. sogleich unter 2.) die Durchführung von Sicherheitskontrollen, sondern zugleich die Dokumentation des vergebenen Sicherheitsstatus für die jeweilige Luftfrachtsendung. Nur eine einwandfreie dokumentarische Luftfrachtabfertigung garantiert, dass Frachtsendungen, die durch einen Reglementierten Beauftragten behandelt worden sind, sogleich nach ihrer Anlieferung am Flughafen ohne weitere Kontrollen auf Luftfahrzeuge verladen werden können, soweit der Sicherheitsstatus aufrecht erhalten worden ist. Analog zum Luftfahrtunternehmen, das die unternehmensspezifische Erfüllung der Eigensicherungspflichten in einem Luftsicherheitsplan darzustellen und zur Zulassung vorzulegen hat, müssen Bewerber um eine Zulassung als Reglementierter Beauftragter ihre Arbeitsprozesse sowie die baulichen, personellen und organisatorischen Sicherungsmaßnahmen in einem LuftfrachtSicher-heitsprogramm beschreiben, das vom Luftfahrt-Bundesamt zugelassen wird. Mit der Zulassung erlangt das jeweilige Rechtssubjekt die Berechtigung, Aufgaben eines Reglementierten Beauftragten auszuführen. 2. Das System der sicheren Lieferkette Die Rechtsfigur des Reglementierten Beauftragten alleine vermag den „Flaschenhals“, der sich angesichts des grundsätzlich vollständigen Sicherheitskontrollerfordernisses von Luftfracht an den Flughäfen ergäbe, lediglich in die Fläche zu verlagern, nicht aber als solchen zu beseitigen. Hierfür bedarf es eines weiteren Schritts, der bereits auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene mit Kapitel 6.3, Nr. 3, Buchstabe a) des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 unter dem Stichwort des so genannten bekannten Versenders unternommen worden ist. Danach braucht Frachtgut, das von einem bekannten Versender entgegengenommen worden ist, keiner Sicherheitskontrolle unterzogen zu werden.

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Mit dieser Erleichterung wird weiteres Entlastungspotential mobilisiert, so dass die gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundlagen nicht nur eine Entzerrung, sondern einen wahrhaftigen Abbau des „Kontrollstaus“ ermöglichen. Dieser Systematik liegen die folgenden Erwägungen zugrunde: Als Inverkehrbringer zumindest eines wesentlichen Teils der Luftfrachtsendungen ist das produzierende Gewerbe anzusehen. Diese Betriebe verfügen jedenfalls regelmäßig bereits über werkschutzartige Vorkehrungen baulicher, organisatorischer und personeller Art, um beispielsweise Diebstähle und Betriebsspionage zu verhindern. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass der Hersteller einer Ware deren Beschaffenheit von allen an der Prozesskette Beteiligten am besten kennt und damit ihre Manipulationsfreiheit am sichersten beurteilen kann. Damit bestehen regelmäßig bereits im Herstellungsbetrieb eines später auf dem Luftwege versandten Gutes Ansatzpunkte und Strukturen für den Ausschluss unrechtmäßiger Zugriffe auf das Frachtstück, die für die Gewährleistung von Luftsicherheit nutzbar gemacht werden können. Auf diese vorhandenen Strukturen kann aufgebaut werden, indem sich der Inverkehrbringer der Luftfrachtsendung mittels einer so genannten Sicherheitserklärung gegenüber dem Reglementierten Beauftragten zur Einhaltung von Mindeststandards im Hinblick auf die manipulationsgeschützte Lagerung von Sendungen, die Unterweisung des eingesetzten Personals, die Sicherheit der Betriebsräume und die Freiheit des Versandgutes von gefährlichen und verbotenen Gegenständen verpflichtet. In diesem Falle kann der Luftfrachtsendung ein Sicherheitsstatus ohne die Notwendigkeit einer Sicherheitskontrolle zuerkannt werden, weil bereits ab dem Produktionsbeginn ausgeschlossen werden kann, dass das Frachtgut als Versteck für unrechtmäßige äußere Eingriffe in den Luftverkehr missbraucht wird. Freilich darf der Reglementierte Beauftragte nicht unbesehen auf das Vorhandensein derartiger Sicherungssysteme beim bekannten Versender vertrauen, sondern hat sich – zumindest im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung – davon zu vergewissern, dass der Versender die mit der Erklärung zugesicherten Schutzmaßnahmen nach der Art seiner Betätigung und Betriebsstätten überhaupt erfüllen kann. Bereits im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung scheiden nach dem Vorgenannten solche Stellen als bekannte Versender aus, die nach Art und Zweck ihres (Geschäfts-)Betriebes nicht über Strukturen für eine sichere Lieferkette verfügen können. So kann beispielsweise Hotels und Krankenhäusern kein Status als bekannter Versender zuerkannt werden, soweit die Versendung persönlicher Gegenstände von Gästen oder Patienten in Rede steht. Insoweit liegt weder ein abgesicherter „Produktionsprozess“ vor, noch handelt es sich bei den mit dem Versandgut in Berührung kommenden Personen um ordnungsgemäß rekrutiertes und im Hinblick auf die Sicherheitsbedürfnisse unterwiesenes Personal. Ähnliches gilt (häufig) für Universitäten, Amateurorchester usw., weil auch in diesen Fällen nicht an einen im Wesentlichen gleich bleibenden und entsprechend geschulten Personalstamm sowie organisatorisch-bauliche Siche-

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rungsmaßnahmen angeknüpft werden kann. In Zweifelsfällen hat der Reglementierte Beauftragte die vorhandenen bzw. in der Sicherheitserklärung behaupteten Strukturen des Bewerbers um eine Anerkennung als bekannter Versender zu hinterfragen und aufzuklären. Er darf unter dem Gesichtspunkt der allein bei ihm verbleibenden Verantwortlichkeit für die Vergabe und die Richtigkeit des Sicherheitsstatus von Fracht nicht unbesehen auf die Sicherheitserklärung des bekannten Versenders vertrauen. Der einmal zuerkannte Sicherheitsstatus einer Frachtsendung muss – ebenso wie dies nach Durchführung einer Sicherheitskontrolle erforderlich ist – durch eine fortan lückenlose Kette von Sicherungsmaßnahmen aufrechterhalten werden. Unter diesem Gesichtspunkt bestehen besondere Anforderungen an den Transport, die Weiterverarbeitung und die Lagerung der Fracht. In allen diesen Prozessstationen muss der unbefugte Zugriff auf das Transportgut ausgeschlossen werden können, damit weiterhin von der Manipulationsfreiheit der Luftfrachtsendung ausgegangen werden kann. Verkompliziert wird die Erfüllung dieses zunächst recht einfach erscheinenden Postulats durch die Vielzahl der am Transport-, Lager- und Frachtverarbeitungsprozess Beteiligten. Das normgeberisch intendierte Beziehungsgeflecht von nur einem Reglementierten Beauftragten, der unmittelbar und ohne Dazwischenschaltung weiterer Dienstleister mit einem bekannten Versender zusammenarbeitet und sodann wiederum ohne Zwischenschritte die Fracht einem Luftfahrtunternehmen andient, existiert in der Realität des Luftfrachtverkehrs kaum jemals in Reinform. Der Wirklichkeit entspricht vielmehr eine unübersehbare Zahl von Unterauftragnehmern bei allen beteiligten Stellen bzw. eine Aneinanderreihung von mehreren Reglementierten Beauftragten, die in dem Prozess des „Sichermachens“ von Luftfracht jeweils nur Teilfunktionen ausüben. Die Unterbeauftragung ist zwar nicht schlechthin unzulässig. Erforderlich ist aber die effektive Sicherstellung, dass die bei den jeweils Verantwortlichen (Reglementierter Beauftragter, Luftfahrtunternehmen, bekannter Versender) verbleibenden Pflichten effektiv wahrgenommen und gegenüber den Unterauftragnehmern durchgesetzt werden können. Dies setzt voraus, dass die jeweiligen Unterauftragnehmer den originär Pflichtigen unmittelbar verantwortlich sind und von diesen gesteuert werden können. Als Instrument hierfür hat das Luftfahrt-Bundesamt eine so genannte Unterauftragnehmererklärung anerkannt, die gegenüber demjenigen abzugeben ist, in dessen Pflichtenkreis der Unterauftragnehmer tätig werden soll. Nicht gestattet ist demgegenüber unter dem Gesichtspunkt der fortbestehenden Verantwortung der originär Pflichtigen die selbständige Mehrfachbeauftragung weiterer Subunternehmer durch den eingesetzten Unterauftragnehmer. In diesem Falle sind die eigensicherungspflichtigen Prozessbeteiligten nicht in der Lage, die Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten zu steuern, weil sie die im Ergebnis für sie tätig werdenden Personen nicht einmal kennen. Inzwischen ist die nach den gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundlagen als Ausnahme formulierte Übernahme der Fracht von einem bekannten Versender

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faktisch zum Regelfall mutiert. In der Bundesrepublik Deutschland wird schätzungsweise über 90% der sicheren Luftfracht ein Sicherheitsstatus nicht aufgrund einer Sicherheitskontrolle, sondern nach Durchführung und Dokumentation einer sicheren Lieferkette zuerkannt. Das System der sicheren Lieferkette sieht sich mitunter dem Vorwurf ausgesetzt, ein Ideal zu beschreiben und in erster Linie eine „dokumentarische Sicherheit“ zu bewirken, von welcher die realen Umstände im Einzelfall abweichen können. Gewiss lässt sich nicht verhehlen, dass eine sichere Lieferkette – deren Einhaltung behördlich kontrolliert wird – zwar die notwendige Vorbedingung für einen manipulationsfreien Frachttransport darstellt, ohne dass aber das Produkt – die einzelne Luftfrachtsendung – seinerseits einer Unbedenklichkeitskontrolle unterzogen wird. Allerdings ist in diesem Zusammenhang vor der Erwartung zu warnen, dass – gerade im Bereich der Luftfracht – mittels Sicherheitskontrollmethoden bei jedem denkbaren Frachtgut ein eindeutiger Ausschluss des Vorhandenseins verbotener Gegenstände in der Fracht möglich ist. Zu nennen ist insoweit beispielsweise die Kontrolle von Großaggregaten, die ohne profunde Kenntnisse des jeweiligen Maschinentyps auch bei Einsatz von Röntgentechnik kaum so zu bewerkstelligen ist, dass jede nur vorstellbare Manipulation zum Zwecke eines Angriffs auf die Sicherheit des Luftverkehrs sicher ausgeschlossen werden kann. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht nur im Interesse der Praktikabilität, sondern auch und vor allen Dingen im Interesse der Sicherheit als sachgerecht, die Beurteilung der Unversehrtheit des Produktionsgutes in luftsicherheitsrechtlicher Hinsicht dem Hersteller der Ware zu überantworten, soweit er dazu kraft seiner Strukturen und Sicherheitsvorkehrungen in der Lage ist.

VI. Vollzugsaktivitäten des Luftfahrt-Bundesamtes Abschließend soll ein kurzer Blick auf den tatsächlichen Umfang der Vollzugsaktivitäten des Luftfahrt-Bundesamtes auf dem Gebiet der Luftsicherheit geworfen werden. Diesbezüglich ist seit einigen Jahren ein – insbesondere in quantitativer Hinsicht – steter Aufgabenzuwachs zu verzeichnen. Gegenwärtig ist das Referat Luftsicherheit für die Genehmigung der Luftsicherheitspläne von ca. 600 inländischen und ausländischen Luftfahrtunternehmen zuständig, die im Verkehr von und nach der Bundesrepublik Deutschland Luftfahrzeuge mit einem Höchstgewicht von mehr als 5,7 Tonnen betreiben. Zugleich bedarf es der kontinuierlichen Aufsicht über die Eigensicherungsmaßnahmen dieser Unternehmen, die mittels Inspektionen, Erhebungen und Tests auf sämtlichen Verkehrsflughäfen in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wird. Derzeit ist – bei den üblichen Schwankungen – von einem Aufkommen von über 5.000 Einzelinspektionen pro Jahr auszugehen.

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Auf dem Gebiet der Luftfrachtsicherheit hat das Referat Luftsicherheit des Luftfahrt-Bundesamtes gegenwärtig ca. 600 Reglementierte Beauftragte mit etwa 1.300 Betriebsstätten (Hauptsitze und Niederlassungen) zugelassen, von denen jede einzelne Stelle eines Vor-Ort-Besuchs zur Inaugenscheinnahme der örtlichen Verhältnisse bedarf. Die Zulassungen sind zeitlich – in der Regel auf fünf Jahre – befristet, so dass die Zulassungs- und Überprüfungsaktivitäten eine kontinuierliche Aufgabe und keine temporäre Arbeitsspitze darstellen. Im Aufgabenbereich gemäß § 9 LuftSiG ist das Luftfahrt-Bundesamt Prüfungsbehörde für die von den Luftfahrtunternehmen und Reglementierten Beauftragten eingesetzten Luftsicherheitskontrollkräfte. Pro Jahr werden derzeit – bei weiter steigender Tendenz – über 400 Prüfungen von Kontrollkräften für die Personal- und Warenkontrollen sowie die Frachtkontrollen durchgeführt und entsprechende Befähigungszeugnisse ausgestellt. Des Weiteren sind auf dem Gebiet der Luftsicherheitsschulungen und -prüfungen Ausbilderzulassungen vorzunehmen, Schulungsprogramme inhaltlich vor dem Hintergrund der gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Anforderungen zu prüfen, Gleichwertigkeitsanerkennungen von Schulungen vorzunehmen usw. Dieser Bereich hat sich in der jüngeren Vergangenheit aufgrund eines stetig expandierenden Rechtsrahmens zu einer mittlerweile hochkomplexen Spezialistenmaterie entwickelt. Hinzu kommen die üblichen Informationstätigkeiten sowie die Mitwirkung in Gremien und Arbeitskreisen. Das Referat Luftsicherheit des LuftfahrtBundes-amtes ist bestrebt, durch frühzeitige Mitwirkung in Normgebungsprozessen auf einen Rechtsrahmen hinzuwirken, der im vollzugspraktischen Alltag effektive und zugleich handhabbare Sicherheitslösungen gestattet.

VII. Fazit Der Bereich der Luftsicherheit hat seit den Ereignissen des 11. September 2001 ein Maß an Regelungsaktivitäten erlebt, das für den Bereich des Luftverkehrs nahezu beispiellos ist. Die beabsichtigte Sicherheitsgewähr hinsichtlich sämtlicher Vorgänge mit Bezug zum Betrieb von Luftfahrzeugen bzw. zum Betreten sensibler Sicherheitsbereiche von Flughäfen kann bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Eigenschaft des Luftverkehrs als ein weltumspannendes Massenverkehrsmittel nur funktionieren, wenn bereits – wie insbesondere bei der Luftfrachtbeförderung – weit im Vorfeld der Einflussbereiche von Luftfahrtunternehmen und Flughafenbetreibern angesetzt wird. Diesbezüglich bietet das System der sicheren Lieferketten Ansatzpunkte für praktikable und gleichzeitig sicherheitsbetonte Lösungen. Augenfällig ist zudem, dass die weit gespannten Sicherungsmaßnahmen, die nahezu den gesamten Luftverkehr durchziehen, nicht lediglich – gleichsam von „außen“ – als Staatsaufgabe

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wahrgenommen werden können, sondern innerhalb der jeweiligen Arbeitsprozesse von den jeweiligen Akteuren durchzuführen sind. Das Rechtsinstitut der Eigensicherung als verfassungsrechtlich im Grundsatz zulässiger Fall der Indienstnahme Privater zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben bietet insoweit Gestaltungsoptionen, die vermehrt nicht nur vom nationalen Gesetzgeber, sondern auch auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts aufgegriffen werden.

Die Festlegung von Flugrouten auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung zu § 29 b LuftVG Von Regine Rausch-Gast Die Belastungen von Flughafenanwohnern durch Fluglärm nimmt in der Praxis und in Rechtsprechung und Literatur einen immer größeren Raum ein. Hierbei geht es in erster Linie um die Lärmauswirkungen, die dem Flughafen zuzuordnen sind. Dabei wird häufig übersehen, dass die durch den Flughafenbetrieb verursachten Lärmwerte je nach Lage des betroffenen Grundstücks auch in Abhängigkeit zu den Flugrouten stehen. Diese sind jedoch nicht Bestandteil der luftrechtlichen Planfeststellung. Am Beispiel der Systematik der Flugroutenfestlegung und der dazu ergangenen Rechtsprechung sowie unter Einbeziehung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zum Ausbau der Flughäfen Berlin-Schönefeld und Leipzig/Halle ergeben sich Konsequenzen für die Praxis, die gleichzeitig zu Überlegungen führen, ob die vom Luftverkehrsgesetz dafür festgelegte Systematik den inhaltlichen Anforderungen an die Art und Ausgestaltung des Planfeststellungsverfahrens gerecht wird. Die folgenden Ausführungen beschränken sich jedoch nicht nur auf die Flugrouten, die luftrechtlich als Flüge nach Instrumentenflugregeln (sog. IFRVerkehr) durch Rechtsverordnung festgelegt werden, sondern zeigen anhand der Interpretation des § 29 b LuftVG auch die Konsequenzen für die sonstigen flugsicherungsrechtlichen Einzelmaßen zur Nutzung des Luftraums und der Verkehrsflussregelung auf.

I. An- und Abflugverfahren Nach § 27 a Abs. 2 LuftVO wird das Luftfahrtbundesamt ermächtigt, die Flugverfahren nach Abs. 1 einschließlich der Flugwege, Flughöhen und Meldepunkte durch Rechtsverordnung festzulegen. Derartige Rechtsverordnungen bedürfen des Einvernehmens des Umweltbundesamts, wenn diese von besonderer Bedeutung für den Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm sind (§ 32 Abs. 3 S. 2 LuftVG).

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Flugverfahren stellen durch Rechtsatz festgelegte standardisierte Regelungen für den Ablauf des Luftverkehrs innerhalb von Kontrollzonen, für den Anund Abflug zu und von Flugplätzen mit Flugverkehrskontrollstelle und für Flüge nach Instrumentenregeln dar1. Nach der gesetzgeberischen Konzeption handelt es sich in erster Linie um ein Instrument der Sicherheit2. Während sich die Oberverwaltungsgerichte anfänglich weigerten, gegen derartige Rechtsverordnungen des Bundes Rechtsschutz zu gewähren, und diese Streitigkeiten dem Verfassungsrecht zuordneten, hat das BVerwG auf der Grundlage einer Entscheidung des BVerfG3 grundlegend im Jahr 20004 und ergänzend im Jahr 20045 den Rechtsschutz mit Hilfe der Feststellungsklage unter folgenden Kriterien bejaht6. 1. Verfahren sui generis Das Bundesverwaltungsgericht hat den Prüfungsmaßstab durch die sachliche Eigenart der in Rede stehenden Entscheidung bestimmt. Lärmpotential könne durch Flugverfahren nicht verändert, sondern nur verteilt werden7. Es erfolge keine parzellenscharfe Beurteilung der Beeinträchtigung Dritter, weil lediglich eine Ideallinie, das sog. Flugerwartungsgebiet, beschrieben werde8. 2. Gestaltungsspielraum des Luftfahrtbundesamtes Während in der Praxis letztlich die Deutsche Flugsicherung die Flugrouten berechnet und das Luftfahrtbundesamt diese lediglich rechtlich umsetzt, hat das Bundesverwaltungsgericht diese Aufteilung nicht beanstandet, soweit das Luftfahrtbundesamt von seiner eigenen Prüfungskompetenz Gebrauch macht9. In der Entscheidung aus dem Jahr 2000 stellte das Bundesverwaltungsgericht dar___________ 1

Grabherr/Reidt/Wysk, LuftVG, § 27 c Rdnr. 22. Grabherr/Reidt/Wysk, a.a.O., Rdnr. 22; Repkewitz, VBlBW 2005, 1, 2. 3 BVerfG NVwZ 1998, 169, 170. 4 Urt. vom 28.6.2000, BVerwGE 111, 276; hierzu Geulen/Klinger, NJW 2001, 1038; Kukk, NVwZ 2001, 408; Rupp, NVwZ 2002, 286; Clausing, Jus 2001, 998. 5 NVwZ 2004, 1229 = DVBl. 2004, 1554; Repkewitz, VBlBW 2005, 1; Czybulka, Die Festlegung von Flugrouten und Flughafenplanung, in: Ziekow (Hrsg.), Flughafenplanung, Planfeststellungsverfahren, Anforderungen an die Planungsentscheidung, 2002, 9 ff. 6 Kritisch bezogen auf die Feststellungsklage Repkewitz, a.a.O., 12. 7 Kritisch Czybulka, a.a.O., 20. 8 BVerwGE 111, 276. 9 BVerwGE 111, 276. 2

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auf ab, dass ein unzumutbar Lärmbetroffener nur erfolgreich sei, wenn seine Interessen willkürlich unberücksichtigt geblieben seien10. Diese Aussagen hat das Gericht in seinem 2. Urteil aufgegriffen und bekräftigt, dass es sich bei der Entscheidung des LBA um eine gerichtlich überprüfbare Abwägungsentscheidung handelt11. Die Kriterien seien aber nicht aus dem Fachplanungsrecht zu entnehmen, denn es handele sich um eine Abwägungsentscheidung sui generis, also eine Planungsentscheidung eigener Art12. Materieller Kernpunkt der Prüfung ist der Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm, den das Gericht aus der Hinwirkungsverpflichtung des § 29 b LuftVG abgeleitet hat13.

II. Inhalt des § 29 b LuftVG 1. Adressat der Vorschrift Vom Wortlaut her haben die Luftfahrtbehörden und die für Flugsicherung zuständige Stelle gemäß § 29 b Abs. 2 LuftVG auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Lärm hinzuwirken. Abs. 2 richtet sich folglich an alle Luftfahrtbehörden (Luftfahrtbundesamt, Bundesministerium für Verkehr, Luftfahrtbehörden der Länder und die für Flugsicherung zuständige Stelle im Rahmen ihrer hoheitlichen Befugnisse). Hinzuwirken bedeutet, dass diese bei ihren Entscheidungen oder bei deren Mitwirkung stets den Gesichtspunkt des Schutzes vor Fluglärm zu berücksichtigen haben14. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts billigt der Gesetzgeber, dass unter Umständen selbst unzumutbare Fluglärmbeeinträchtigungen hinzunehmen sind.15 2. Schutz der Bevölkerung Bisher war ebenfalls anerkannt, dass derartige Normen – ausgehend von dem Wort Bevölkerung – nicht den Schutz des Einzelnen, sondern den der All___________ 10

OVG NW vom 13.11.2008, 20 D 124/06 AK; siehe Kukk, NVwZ 2001, 408, der diese Rechtsprechung „zwei Schritte vor, einen zurück“ nannte. 11 BVerwGE vom 24.6.2004, DVBl. 2004, 1554; OVG NW a.a.O. 12 OVG RP Urt. vom 21.5.2008 – 8 A 10910/07 –, 21; Repkewitz, a.a.O., 4. 13 Kritisch Repkewitz, a.a.O. 14 Grabherr/Reidt/Wysk, a.a.O., § 29 b Rdnr. 3. 15 BVerwG DVBl. 2004, 1554, 1555.

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gemeinheit zum Gegenstand haben. Diese Systematik wird auch vom Fluglärmgesetz aufgegriffen, das in § 1 FluglärmG den Anwendungsbereich sowohl auf den Schutz der Allgemeinheit als auch auf den Schutz der Nachbarschaft erstreckt. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage ungeachtet des Wortlauts dahingehend beantwortet, dass es ständiger Rechtsprechung entspreche, dass die Vorschriften, die der Abwehr erheblicher Belästigungen im Sinne der Definition des § 3 Abs. 1 BImSchG dienen, Drittschutz vermitteln, mithin nichts anderes für den durch § 29 b Abs. 2 LuftVG begründeten Schutz der Bevölkerung gelten kann. Zu dem Einwirkungsbereich des Flugplatzes gehören die dort lebenden Menschen einschließlich der Eigentümer von Grundstücken, die unzumutbarem Lärm ausgesetzt sind. Wegen des planungsrechtlichen Charakters der Festlegung von Flugrouten ist eine drittschützende Wirkung auch für solche Personen anzuerkennen, die zwar keinem unzumutbarem Fluglärm ausgesetzt sind, deren Lärmschutzinteressen das Luftfahrtbundesamt bei seiner Abwägungsentscheidung aber im Rahmen des rechtsstaatlich unerlässlichen Minimums Rechung zu tragen hat16.

III. Anwendungen des § 29 b LuftVG im Fachplanungsrecht In seinen Entscheidungen zum Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld17 und zur Erweiterung des Flughafens Leipzig/Halle18 kommt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass in der Abwägungsentscheidung den Lärmschutzinteressen unabhängig davon Rechnung zu tragen ist, ob die Lärmbelastung durch das Qualifikationsmerkmal absoluter Unzumutbarkeit gekennzeichnet ist. Von der planerischen Gestaltungsfreiheit unterhalb der Zumutbarkeitsschwelle sind Erwägungen zum Nachtflugverbot bzw. nächtliche Betriebsbeschränkungen mit umfasst. Aus diesem Grund erlegt § 29 b Abs. 1 S. 2 LuftVG der Zulassungsbehörde im luftrechtlichen Planfeststellungsverfahren die Verpflichtung auf, auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen. Sie hat damit die Qualität einer Gewichtungsvorgabe. Ein Zurückdrängen des Lärmschutzinteresses der Nachbarschaft vor dem Hintergrund der Anforderungen des § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG bedarf somit einer gesteigerten Rechtfertigung. ___________ 16

BVerwGE 111, 276; Grabherr/Reidt/Wysk, a.a.O., Rdnr. 26. BVerGE 125, 116 = NVwZ Beilage I 8/2006, 1 = BeckRS 2006, 23922 = NVwZ 2006, 927 L. 18 BVerwGE 127, 95. 17

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IV. Lärmbelastungen 1. Flugrouten Während das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Zulässigkeit von Klagen gegen die Festlegung von Flugrouten den Schutz des Einzelnen bejaht und damit einen weiten Prüfungsrahmen anerkennt, verneint es diesen Anspruch im Rahmen der Begründetheit. Für die Festlegung der Flugrouten hat das Bundesverwaltungsgericht diesen Rechtfertigungszwang nur für den Fall anerkannt, dass das Luftfahrtbundesamt sich für eine mit unzumutbaren Folgen verbundene Lösung entscheiden muss, nicht aber in dem der Abwehr unzumutbaren Fluglärms vorgelagerten Bereichs der Lärmvorsorge19. Richtet sich § 29 b LuftVG unterschiedslos an alle Maßnahmen der Luftfahrtbehörden und folgt man dem Ansatz der Gewichtsvorgabe für die Nachtruhe der Bevölkerung, kann dies nicht auf das Fachplanungsrecht beschränkt werden. Aus der grundsätzlichen Geltung folgt, dass dies auch für den Bereich unterhalb der Zumutbarkeit anzuwenden ist. Für die Festlegung der Flugrouten bedeutet dies im Hinblick auf § 29 b LuftVG, dass damit die ursprüngliche Auffassung, die Maßnahme am Willkürgebot auszurichten, überholt ist. Wenn das Gericht ausführt, dass das LBA sich bei unzumutbarem Lärm nur dann für diese Flugroute entscheiden kann, wenn überwiegende Gründe zur sicheren, geordneten und flüssigen Abwicklung des Luftverkehrs dies gebieten, ist hier die Schwelle erreicht, bei der dies auf die Standortfrage des Flughafens durchschlägt und damit die Zulässigkeit des Vorhabens als solches betrifft. Die Oberverwaltungsgerichte haben denn auch die Festlegung nicht nur auf die Willkürprüfung beschränkt, sondern diese durch eine bereichsspezifische Prüfung ersetzt. 2. Verhältnis der Festlegung von Flugrouten zur Planfeststellung nach geltendem Recht In der Literatur und in der Rechtsprechung wird auf der Basis der gesetzgeberischen Entscheidung die Auffassung vertreten, dass die Festlegung des Anund Abflugverfahrens rechtlich vom Zulassungsverfahren für den Flugplatz unabhängig ist20. Aus diesem Grund kann folglich das erste Verfahren nicht ___________ 19

BVerwG DVBl. 2004, 1556. BVerwG NVwZ 2004, 1229 ff.; Repkewitz, a.a.O., 2; Delbanco, Die Änderung von Verkehrsflughäfen, 1998, S. 81 f. 20

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dazu genutzt werden, Regelungsgegenstände des Letzteren erneut aufzugreifen21. Damit würden die Verfahrensvorschriften und die Kompetenz für ihren Erlass umgangen. Die Kompetenz der Genehmigungsbehörde bezieht sich nicht auf den Flugbetrieb in unmittelbarer Nähe des Flughafens, folglich nicht auf die An- und Abflugrouten, obwohl diese durchaus begrifflich dem Betrieb des Flughafens zugerechnet werden. Es gehe also nur um den Flughafenbetrieb und nicht den Flugbetrieb22. Diese Auffassung liegt offenbar auch der Rechtsprechung zugrunde und entspricht der geltenden Systematik, wird aber dem Anspruch einer Konfliktlösung nicht gerecht.

V. Umfassender Ansatz Ebenso wie in der Rechtsprechung Betriebsregelungen des Flughafens in die Planfeststellung eingeführt werden, um das Vorhaben für zulässig zu erklären, muss die Festlegung der Flugrouten in der Planfeststellung berücksichtigt werden. Das Luftfahrtbundesamt trifft für den Flughafen konkrete An- und Abflugverfahren, die eine Vorfestlegung für das Flughafenprojekt darstellen (§ 40 Abs. 1 Nr. 5 LuftVZO) und wie andere Fragen der Geeignetheit des Geländes die fachliche Einschätzung der Zulässigkeit des Vorhabens an sich betreffen. Werden diese konturenscharf festgelegt, besteht für das Luftfahrtbundesamt eine dem Raumordnungsrecht vergleichbare Ermittlungstiefe und Abwägungsdichte. Ähnlich der Linienbestimmung bei der Straße bedarf es für die Planfeststellung eines Flughafens einer Festlegung der Flugrouten, um dem Lärmschutzbedürfnis der Betroffenen überhaupt Rechnung tragen zu können. Anderenfalls muss die Planfeststellungsbehörde mit Vorbehalten in der Planfeststellung arbeiten, die dem Planfeststellungsverfahren an sich fremd sind.

VI. Umfassender Grundsatz der Problembewältigung Die Genehmigungsbehörde ist, wie auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz23 anerkennt, im Rahmen ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit gehalten, die aktiven Lärmschutz bewirkenden Entscheidungen anderer Stellen in die Abwägung einzubeziehen. Es gilt der Grundsatz der umfassenden Prob___________ 21 22 23

Repkewitz, a.a.O., 2. Delbanco, a.a.O. OVG RP, a.a.O.

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lembewältigung. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit des Militärplatzes Ramstein die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf der Basis des geltenden Rechts aufgegriffen und die Festlegung der Flugverfahren einschließlich der Flugwege, Flughöhen und Meldepunkte als Aufgabe dem LBA und nicht der Genehmigungsbehörde zugewiesen. In den weiteren Ausführungen hat es jedoch konsequenterweise überprüft, ob die Beklagte ausweislich des Genehmigungsbescheides die dem aktiven Schallschutz dienenden Entscheidungen, insbesondere die Anhebung der Abflughöhen für Kampflugzeuge zur Reduzierung des Fluglärms, aber auch die aus dem gleichen Grunde vorgenommenen Veränderungen der Sicht-Anflugverfahren in Landerichtung 26 bis 27 und deren Auswirkungen auf die Lärmbelastung der Anwohner gewürdigt und in ihre Abwägungsentscheidung einbezogen hat. Andererseits hat das Oberverwaltungsgericht nur solche Optimierungen betrachtet, die aufgrund der flugtechnischen Parameter noch Spielräume offen lassen. Die systematische Zuordnung zum Planfeststellungsrecht gilt umso mehr, als das Bundesverwaltungsgericht die Kläger bei einer nicht willkürlich Interessen des Betroffenen missachtenden, aber dennoch zu einer unzumutbaren Lärmbeeinträchtigung führenden Flugroutenfestlegung auf den Rechtsschutz gegen die Flughafengenehmigungsbehörde verweist, obwohl diese überhaupt nicht über die Flugrouten entscheidet und obwohl ohne Änderung der Genehmigung wesentliche Veränderungen der Lärmbelastung eintreten können. Der aus § 29 b Abs. 2 LuftVG entwickelte Rechtfertigungsnachweis wirkt sich in der Praxis unmittelbar aus. Besteht für die Abwicklung des Flugbetriebes in der Nacht von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr folglich eine gesteigerte Rechtfertigungspflicht, bedarf es seitens der Deutschen Flugsicherung bzw. des Luftfahrtbundesamts auch des Nachweises, dass dieser Verkehr zu denselben Bedingungen wie am Tage abgewickelt werden muss. Die Prüfung umfasst auch die Frage, ob im vorliegenden Fall aufgrund der innerstädtischen Lage des Flughafens die Flughöhe entsprechend angehoben werden muss bzw. wegen des Versatzes der Start- und Landebahn und damit einhergehender Lärmreduzierung eine bestimmte Start- und Landebahn für Flüge nach Instrumentenflugregeln – wenn dies unter Sicherheitsaspekten in gleicher Weise zu bewerten ist – genutzt werden muss. Es ist daher zu kritisieren, wenn die Deutsche Flugsicherung einseitig bestimmt, dass von einer bestimmten Flugroute ab einer Höhe von 1500 m bei Strahlflugzeugen und bei 900 m bei Propellerflugzeugen abgewichen werden dürfe, weil es eine wirtschaftliche Verkehrslenkung erfordere24. Zwar hat sich der Aspekt des Schutzes der Bevölkerung vor Fluglärm dem ___________ 24

Ebenfalls kritisch Czybulka, a.a.O., 24.

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vorrangigen Ziel, die Sicherheit des Luftverkehrs zu gewährleisten, unterzuordnen. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Sicherheit des Luftverkehrs nicht beeinträchtigt wird und z.B. die Flughöhe über innerstädtischem Gebiet zu bewerten ist bzw. die Nutzung der einen von den vorhandenen Start- und Landebahnen in der Nacht zu einer dauerhaften Entlastung im Umfeld des Flughafens führt.

VII. Folgerungen Im Lichte der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Fachplanungsrecht muss der Inhalt des § 29 b für alle Entscheidungen der Luftfahrtbehörden und der Deutschen Flugsicherung in vollem Umfang gelten, soweit diese im Rahmen der Flugsicherung hoheitlich tätig werden. Die Gesichtspunkte der Sicherheit stehen zwar im Vordergrund und sind zu beachten. In der Abwägungsentscheidung ist jedoch wegen des in der Nacht erhöhten Rechtfertigungszwangs die Abwägung der Lärmbelange von besonderer Bedeutung. Da jedoch die Wertung des § 29 b generell Anwendung findet, gilt dies auch für die Einzelmaßnahmen der Flugverkehrskontrolle am Tag (Zuweisung von Start- und Landebahnen/Verfügungen der Flugverkehrskontrolle im Sichtflugbetrieb und der Festlegung von Anflugstrecken für Sichtflüge), da diese auch erhebliche Lärmauswirkungen haben können. Die Forderung des § 29 b LuftVG erstreckt sich von ihrem Anwendungsbereich folglich nicht nur auf die Festlegung der Flugrouten, sondern auch auf die von der DFS im Einzelfall vorgenommenen Zuweisungen der Start- und Landebahnen einschließlich der Festlegung, von welcher Flughöhe die Anflugrouten verlassen werden können.

VIII. Fazit und Ausblick – Rechtsform der Flugroutenfestlegung Derzeit sind die Festlegung von Flugrouten und die Zulassung von Flughäfen unterschiedlichen, rechtlich getrennten Verfahren zugeordnet. Dies wird mit der vom Bundesverwaltungsgericht geprägten besonderen Eigenart der Flugroutenfestlegung begründet. Das Bundesverwaltungsgericht konzidiert zwar, dass auch die Festlegung von Flugrouten eine Abwägungsentscheidung beinhaltet, und bejaht in Anlehnung an die Vorschrift des § 3 I BImSchG Drittschutz selbst bei Lärmschutzinteressen, die unterhalb der Unzumutbarkeit angesiedelt sind. Daraus folgt, dass auch materiell die gleichen Kriterien gelten müssen, weil in beiden Fallkonstellationen Abwägungsentscheidungen zu tref-

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fen sind, die bezogen auf die Planungsentscheidung auch denselben Kriterien unterliegen müssen. Es ist folglich die Festlegung von Fugrouten auch als Planungsentscheidung in Form einer Verwaltungsentscheidung denkbar. So wird die Festlegung der An- und Abflugrouten einschließlich der Flughöhen, Gleitwinkel und Meldepunkte an militärischen Flugplätzen der Bundeswehr und der Stationierungsstreitkräfte durch die Zuständigkeit des Amtes für Flugsicherheit der Bundeswehr bestimmt. Diese Verfahren werden nach Prüfung durch das Amt für Flugsicherung der Bundeswehr unter Beteiligung der Deutschen Flugsicherung und ggf. nach Anhörung von Betroffenen letztlich durch das Amt für Flugsicherung der Bundeswehr förmlich genehmigt. Zweifelhaft ist auch, ob die vom Gesetzgeber gewählte Rechtsform einer Rechtsverordnung hier überhaupt inhaltlich gerechtfertigt ist, weil es sich von der Natur der Sache um eine Vorentscheidung der Planfeststellung und damit um einen Teil der dem Verwaltungsakt zuzuordnenden Abwägungsentscheidung handelt.25 Historisch ist die Festlegung der Flugrouten von der damaligen Bundesanstalt für Flugsicherung vorgenommen worden. Der Erlass durch das Luftfahrtbundesamt ist jedoch nur gewählt worden, weil die Deutsche Flugsicherung als privates Unternehmen keine Rechtsverordnungen erlassen kann, hat also rein organisatorische und keine rechtlichen Gründe. Dementsprechend sieht § 40 Abs. 1 Nr. 5 LuftVZO vor, dass der Antrag auf Erteilung der Genehmigung eine Beschreibung der beabsichtigten Flug- und Flughafenbetriebsabwicklung enthalten muss. Es handelt sich hier folglich analog zur Linienbestimmung bei der Straße um eine Verwaltungsentscheidung, die der Planfeststellung vorgelagert ist, oder ähnlich wie im Bereich der Raumordnung eine raumordnungsrechtliche Festlegung als Zielvorgabe bzw. Grundsatz für die Planfeststellung.

___________ 25

So auch ausdrücklich Czybulka, a.a.O., 23.

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzeptes Inhalt und Standpunkte1 Von Ulrich Hösch

I. Flughäfen als Verkehrsinfrastruktur Flughäfen sind Anlagen der Verkehrsinfrastruktur. Sie dienen wie Straßen und Schienenwege der Befriedigung der Nachfrage nach Verkehrsleistungen. Entsprechend dieser öffentlichen Zielsetzung werden Flughäfen wie Straßenund Schienenwege nicht auf der Grundlage einer gebundenen Genehmigung, sondern einer Abwägungsentscheidung durch Planfeststellung zugelassen. Die Errichtung, der Betrieb und die Unterhaltung der Verkehrsinfrastruktur sind Teil staatlicher Daseinsvorsorge2. Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG bringt den Grundgedanken der (staatlichen) Infrastrukturvorsorge zum Ausdruck. Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, bei dem Ausbau und dem Erhalt der Infrastruktur sowie bei den Verkehrsangeboten Rechnung getragen wird. Es besteht eine staatliche Gewährleistungsverantwortung3, deren Umfang nicht näher geregelt ist, der aber eine staatliche Zuständigkeit für die Befriedigung infrastruktureller Grundbedürfnisse zu entnehmen sein kann. Zur Erfüllung dieser Aufgabe ist der Staat auch berechtigt, Rechtspositionen seiner Bürger in Anspruch zu nehmen, insbesondere sie zu enteignen, Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG, oder sie den Unannehmlichkeiten verkehrsbedingter Immissionen auszusetzen. Entsprechendes gilt für die Eingriffe in Natur und Landschaft. Die Konkretisierung des Allgemeinwohls ___________ 1 Schriftliche Fassung des Vortrags anlässlich des Speyerer Luftverkehrsrechtstags am 4.3.2009. Das Manuskript wurde am 18.04.2009 geschlossen. Gegenstand der Abhandlung ist der Entwurf des Flughafenkonzept 2008 der Bundesregierung vom September 2008 sowie die Stellungnahme des BMU zum Entwurf eines Flughafenkonzeptes des BMVBS vom 29.9.2009. 2 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Juris RdNr. 188 unter Bezugnahme auf § 6 Abs. 3 LuftVG, § 38 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZO. 3 Zum Begriff der Gewährleistungsverantwortung/Gewährleistungsverpflichtung vgl. Ruge, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz – Kommentar, 11. Auflage 2008, Art. 87e RdNr. 6.

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erfolgt in einer projektbezogenen Zulassungsentscheidung, der lenkende planerische Entscheidungen vorausgehen können4. Der Planfeststellungsbehörde verbleibt aber ein planerisches Ermessen mit der Folge, dass der Abwägungsprozess in Anbetracht der vorhabensbedingt berührten öffentlichen und privaten Belange entscheidungsoffen ist5. Gegenüber dem Jahr 2005 geht der Entwurf des Flughafenkonzepts für das Jahr 2020 von einer Zunahme des Passagieraufkommens um 82% auf 307 Mio. Passagiere/Jahr und einer Verdoppelung des Luftfrachtaufkommens auf 6,78 Mio. Tonnen/Jahr in Deutschland aus6. Dies erfordert Maßnahmen zur Befriedigung der prognostizierten Nachfrage, die auch geeignet sind, die mit der Verkehrsmehrung verbundenen Auswirkungen auf andere Güter zu bewältigen. Um die mit dem Bau und Betrieb von Flughäfen verbundene Inanspruchnahme von öffentlichen und privaten Belangen zu steuern, wird eine (zentrale) Planung, die verbindliche Vorentscheidungen trifft, gefordert7. Nachfolgend wird untersucht, ob der Entwurf des Flughafenkonzepts als „zentrale“ Planung geeignet wäre, die Zulassungsentscheidung zu vereinfachen.

II. Luftverkehrsplanung auf Bundesebene Eine verbindliche Planung auf Bundesebene könnte eine vorhabenslegitimierende, aber auch eine marktbeeinträchtigende Wirkung haben. Sie würde im Ergebnis zwar die Legitimation einzelner Standorte (oder Ausbauten) erleichtern. Allerdings wird es sich dabei um Standorte handeln, die ohnehin aufgrund der bestehenden Verkehrsnachfrage über eine entsprechende Legitimation ver-

___________ 4

So z.B. die gesetzliche Bedarfsfeststellung in § 1 Abs. 2 FStrAbG, § 1 Abs. 2 Schienenwegeausbaugesetz; dazu generell: BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – 9 A 20.05 –, Juris RdNr. 26, Landesplanerische Entscheidungen, Raumordnungsverfahren; vgl. BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Juris RdNrn. 71 ff.; BVerwG, Urt. vom 13.12.2007 – 4 C 9.06 –, Juris RdNr. 66. 5 Vgl. BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – 9 A 20/05 –, Juris RdNr. 134. 6 Entwurf des Flughafenkonzept 2008, S. 9/10: Dabei wird davon ausgegangen dass der innerdeutsche Anteil von 32 auf 45 Mio. Pax und die Zahl der internationalen Quelle-Ziel-Aufkommens von 97 auf 173 Mio. Pax steigt. 7 Die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Verkehrsflughäfen (ADV) fordert in seinem Positionspapier „Planungssicherheit für deutsche Flughäfen“ vom 7.2.2008 ein Flughafenkonzept der Bundesregierung, um länderübergreifend die Grundsätze der bedarfsgerechten Bereitstellung von Luftverkehrsinfrastruktur festzustellen (S. 5); vgl. auch BVerwG, Urt. vom 13.12.2007 – 4 C 9.06 –, Juris RdNr. 66; BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 –, Juris RdNr. 72.

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fügen8. Eine „zentrale“ Planung könnte dagegen die Entwicklung von anderen Standorten beschränken oder gar ausschließen. 1. Zuständigkeiten für die Planung a) Eine verbindliche Flughafenplanung auf Bundesebene gibt es derzeit nicht9. Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über den Luftverkehr, Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG, die er durch den Erlass des Luftverkehrsgesetzes wahrgenommen hat. Die Luftverkehrsverwaltung erfolgt in bundeseigener Verwaltung, Art. 87d Abs. 1 S. 1 GG. Dies bedeutet – abweichend von dem Grundsatz des Art. 83 GG – die Ausführung von Bundesgesetzen durch bundeseigene Verwaltungsbehörden oder durch bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, Art. 86 S. 1 GG. Auf dieser Grundlage wurde gem. § 1 Abs. 1 LFBAG das Luftfahrt-Bundesamt als Bundesoberbehörde für Aufgaben der Zivilluftfahrt im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung errichtet. Zu dem Aufgabenkatalog des Luftfahrt-Bundesamtes in § 2 LFBAG gehört aber nicht die Entscheidung über die Errichtung und den Betrieb von Flugplätzen als Infrastruktureinrichtungen. Auf der Grundlage von Art. 87d Abs. 2 GG i.V.m. § 10 Abs. 1 S. 1, § 31 Abs. 2 LuftVG hat der Bund die Planfeststellung und die Genehmigung von Verkehrsflughäfen den Ländern als Auftragsverwaltung übertragen10. Aus Art. 85 Abs. 3 S. 1 GG folgt bei der Auftragsverwaltung ein Weisungsrecht der zuständigen obersten Bundesbehörde und aus Art. 85 Abs. 4 S. 1 GG die Gesetz- und Zweckmäßigkeit der Ausführung umfassende Bundesaufsicht11. b) Die konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG erstreckt sich auf den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen, den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen. Nach Art. 90 Abs. 2 GG verwalten die Länder oder die nach ___________ 8 Vgl. den Entwurf des Flughafenkonzeptes 2008 der Bundesregierung, S. 48, 49, 50, 56, 57 (besonders deutlich wird dies an den Ausführungen zu dem Verhältnis der Flughäfen Nürnberg und München, Bl. 55/56). 9 Vgl. BVerwG, Urt. vom 13.12.2007 – 4 C 9.06 –, Juris RdNr. 66; BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 –; Juris RdNr. 72. 10 Vgl. BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89 –, Juris RdNr. 172 unter Bezugnahme auf BVerfGE 63, 1/42: „ Kennzeichnen für eine Auftragsverwaltung ist, dass die beauftragte Verwaltung die zugewiesenen Aufgaben als eigene Aufgaben wahrnimmt.“ 11 Vgl. dazu Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetzkommentar, 11. Auflage 2008, Art. 85 RdNr. 10; dies wird auch in dem Entwurf des Flughafenkonzeptes 2008 der Bundesregierung, S. 8, betont.

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Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften die Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs im Auftrage des Bundes; nach Art. 104a Abs. 2 GG trägt der Bund die Ausgaben, die sich daraus ergeben, dass die Länder im Auftrage des Bundes handeln. Anders als im Luftverkehrsrecht sind Landesstraßen möglich und von den grundgesetzlichen Kompetenzen nicht erfasst. § 1 Abs. 1 FStrAbG bestimmt, dass Bau und Ausbau von Bundesfernstraßen Hoheitsaufgaben des Bundes sind. Das Netz der Bundesfernstraßen wird auf der Grundlage des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen ausgebaut. Der Ausbau der Bundesfernstraßen erfolgt nach Stufen, die im Bedarfsplan bezeichnet sind, und nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel, § 2 FStrAbG. Die in den Bedarfsplan aufgenommenen Bau- und Ausbauvorhaben entsprechen den Zielsetzungen des § 1 Abs. 1 FStrG. Die Feststellung des Bedarfs ist für die Linienbestimmung nach § 16 FStrG und für die Planfeststellung nach § 17 FStrG verbindlich, § 1 Abs. 1 FStrAbG. c) Aufgrund von Art. 73 Abs. 1 Nr. 6a GG hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über den Verkehr von Eisenbahnen des Bundes, den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege. Nach Art. 87e Abs. 1 S. 1 GG wird die Eisenbahnverkehrsverwaltung für Eisenbahnen des Bundes in bundeseigener Verwaltung geführt. Gem. Abs. 2 können durch Bundesgesetz Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung den Ländern als eigene Angelegenheit übertragen werden. Nach Art. 87e Abs. 2 GG nimmt der Bund die über den Bereich der Eisenbahnen des Bundes hinausgehenden Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung wahr, die ihm durch Bundesgesetz übertragen werden. Nach Art. 87e Abs. 4 GG gewährleistet der Bund, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Schienenwegenetz der Eisenbahnen des Bundes wird nach dem Bedarfsplan für die Bundesschienenwege ausgebaut, § 1 Abs. 1 BSWAG. Die Feststellung des Bedarfs im Bedarfsplan ist für die Planfeststellung nach § 18 AEG – entsprechend den Fernstraßen – verbindlich, § 1 Abs. 2 BSWAG. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 BEVVG obliegen dem Eisenbahn-Bundesamt – anders als dem Luftfahrtbundesamt – x die Planfeststellung für Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes, x die Eisenbahnaufsicht, x die Bauaufsicht für Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes, x Erteilung und Widerruf einer Betriebsgenehmigung,

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x die Ausübung hoheitlicher Befugnisse sowie von Aufsichts- und Mitwirkungsrechten nach Maßgabe anderer Gesetze und Verordnungen, x die Vorbereitung und Durchführung von Vereinbarungen gemäß § 9 des Bundesschienenwegeausbaugesetzes, x nach Maßgabe des § 5 Abs. 1g des Allgemeinen Eisenbahngesetzes die fachliche Untersuchung von gefährlichen Ereignissen im Eisenbahnbetrieb, x die Bewilligung von Bundesmitteln zur Förderung des Schienenverkehrs und zur Förderung der Kombination des Schienenverkehrs mit anderen Verkehrsarten. d) Der Bundesverkehrswege- dient als Investitionsrahmenplan für den Bau und Erhalt der Bundesverkehrswege (S. 4), führt nach einheitlichen Maßstäben zur Feststellung der Bauwürdigkeit und Dringlichkeit durchgeführte gesamtwirtschaftliche Bewertung geplanter Schienen-, Straßen- und Wasserstraßenprojekte (S. 11) durch; beschreibt die dezentrale Struktur der Luftverkehrsstandorte (18 Internationale Verkehrsflughäfen, 25 Regionalflughäfen), spricht sich für die Sicherung einer guten Anbindung an den internationalen Luftverkehr aus (S. 30) und fordert den Ausbau der Flughafenkapazitäten, soweit ökologisch und örtlich möglich, und die Anbindung von Luftverkehrsstandorten an das Straßen- und Schienennetz. Anders als für Schienen- und Fernstraßen trifft er aber keine Investitionsentscheidung und damit auch keine Aussagen zum Bedarf. e) Die beiden grundgesetzlichen Kompetenztitel zum Luftverkehr umfassen auch die Errichtung und den Betrieb von Flugplätzen12. Die Möglichkeit der Länder zur (parzellenscharfen) Standortplanung umweltrelevanter Großvorhaben im Rahmen der Landesplanung ist grundsätzlich von solchen Vorgaben abhängig. Allerdings kann der Bund im Hinblick auf seine Verantwortung zur Bedürfnisbefriedigung eine entsprechende Fachplanung vorlegen. Dies könnte – insbesondere seit der Neuregelung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG – Anpassungspflichten auf der Ebene der Landes- und Regionalplanung auslösen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Länder ihnen vom Bund zugewiesene Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung als eigene Aufgaben wahrnehmen.

___________ 12 Vgl. Hess. StGH, Beschl. vom 15.1.1982 – P.St. 947 –, NJW 1982, 1141/1143; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz – Kommentar, 11. Auflage 2008, Art. 73 RdNr. 64; Ruge, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz – Kommentar, 11. Auflage 2008, Art. 87d RdNr. 1.

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2. Flughafenkonzept auf Bundesebene a) Das „Flughafenkonzept der Bundesregierung“ vom 31.08.2000 und die Erwähnung von Flughäfen im Bundesverkehrswegeplan 2003 stellen keine dem Straßen- und Schienenwegebau vergleichbare Grundlage dar. Ihre rechtliche Bedeutung ist nicht abschließend geklärt13. Der VGH Baden-Württemberg hat der Tatsache, dass ein Flugplatz als Regionaler Verkehrsflughafen im Bundesverkehrswegeplan 2003 dargestellt ist, ein öffentliches nach außen dokumentiertes Verkehrsinteresse des Bundes entnommen14. Den „Bundesplänen“ wird man zumindest entnehmen können, dass die getroffenen Aussagen und Darstellungen dem öffentlichen Interesse des Bundes bei der Gemeinwohlaufgabe Bedarfsbefriedigung nicht zuwiderlaufen15. Die getroffenen Aussagen dürften als luftverkehrspolitische Aussagen zu bewerten sein, die in den Kategorien des Raumordnungsrechtes nicht automatisch abzubilden sind. Dies dürfte z.B. auch für das Konzept (Leitbild) des „dezentralen Flughafensystems“ gelten16, das landesplanerisch von einzelnen Bundesländern (Bayern, Nordrhein-Westfalen) aufgenommen wird und von anderen nicht (Brandenburg). Etwas anderes gilt auch nicht für den Entwurf des Flughafenkonzeptes 2008 der Bundesregierung. Die dort genannten Vorstellungen – kein Neubau, betriebliche Optimierung, betriebswirtschaftliche Rentabilität – erhalten durch das Flughafenkonzept nicht die Funktion eines übergeordneten Erfordernisses der Raumordnung. b) Durch die Regelung des Fernstraßen- und des Schienenwegeausbaugesetzes in Verbindung mit dem Verkehrswegeplan wird über die Verwendung der (beschränkten) Mittel des Bundeshaushaltes in Abhängigkeit einer festgestellten Verkehrsnachfrage entschieden, ohne dass Vorhaben zugelassen würde. Die Wirkung der „Bundesplanung“ bezieht sich insoweit auf die Rechtfertigung des Vorhabens auch als Investitionsentscheidung, ohne dass auf die Rentabilität der Verkehrseinrichtung zu achten wäre. Flughäfen werden aber grundsätzlich nicht aus dem Bundeshaushalt finanziert, so dass eine Bundesplanung insoweit auch nicht erforderlich ist. Im Bundesverkehrswegeplan vom 02.07.2003 übernimmt der Bund die Koordinierung der Planung der Flughafenentwicklung aus überregionaler und intermodaler Sicht. Dazu sollen Bedarfsfeststellungen und

___________ 13

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 28.2.2005 – 8 S 2004/04 –, Juris RdNr. 36 einerseits, BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 –, Juris RdNr. 27 andererseits. 14 Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 28.2.2005 – 8 S 2004/04 –, Juris RdNr. 36. 15 Grabherr/Reidt/Wysk, LuftVG, § 6 RdNr. 62. 16 Vgl. Flughafenkonzept der Bundesregierung, S. 59 (Anlage 2), S. 61 (Anlage 3), S. 64 (Anlage 5).

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzeptes

79

Planungen der Flughafeninfrastruktur in die Bundesverkehrswegeplanung einbezogen werden17. c) Der Vergleich mit den anderen im Grundgesetz genannten Infrastruktureinrichtungen fördert einen wesentlichen Unterschied zu Tage. Während die Infrastrukturanlagen „Reichsstraße“, „Wasserstraße“ und „Schiene“ Eigentum des Bundes sind, ist dies bei Flugplätzen nicht der Fall. Tatsächlich befinden sich Flughäfen in sehr unterschiedlichem Eigentum. Dieses Auseinanderfallen von Eigentümerstellung und Verwaltungszuständigkeit ist eine Ursache für die besonderen Gegebenheiten der Luftverkehrsinfrastruktur. Durch die unterschiedlichen Eigentümerstellungen und damit auch Finanzierungsverantwortungen wird die Entstehung von Konkurrenz zwischen den Infrastruktureinrichtungen begünstigt. Die Autobahn A 5 steht nicht in Konkurrenz zu der Autobahn A 67. Beide dienen dem gleichen Ziel: Bewältigung von länderübergreifenden Verkehrsströmen zwischen dem Rhein-Main-Gebiet und der Region Rhein-Neckar. Beide gehören dem gleichen Eigentümer und unterliegen der gleichen Benutzungsordnung. Dagegen stehen etwa der Verkehrsflughafen Kassel-Calden und der Verkehrsflughafen Paderborn-Lippstadt in einem Konkurrenzverhältnis. Zwar dienen beide Infrastruktureinrichtungen der Befriedigung des an sie herangetragenen Verkehrsbedarfs. Aber aufgrund unterschiedlicher Eigentümerstellungen und hieraus resultierender unterschiedlicher weiterer Vorstellungen entsteht ein Wettbewerb um Luftverkehrsgesellschaften. Dieser Wettbewerb kann dem eigentlichen Ziel der Verkehrsbedarfsbefriedigung u.U. entgegenwirken („Kannibalisierung“; „Verschwendung von Steuergeldern“). d) Ein übergeordneter Verkehrsplan für Flughäfen könnte die in § 6 Abs. 3 LuftVG angeführten öffentlichen Verkehrsinteressen an einem Flugplatz im Sinne luftverkehrspolitischer Ziele konkretisieren. Hieran können weitere öffentliche Interessen und ihre Verwirklichung geknüpft werden. Hierzu gehören fiskalische Interessen, wie z.B. Kosten für zusätzliche Aufgaben der Luftsicherheit und des Polizeivollzugsdienstes18. Die fiskalischen Interessen eines Landes, die durch solche zusätzlichen Kosten berührt werden, dürfen allerdings nicht mit den Interessen des Landes als Gesellschafter von konkurrierenden Flughäfen vermischt werden19. Anders als bloße Konkurrenzschutzüberlegungen könnten die Interessen der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung einer

___________ 17 18

40. 19

Bundesverkehrswegeplan 2003, S. 29. Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 28.2.2005 – 8 S 2004/04 –, Juris RdNr. VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 28.2.2005 – 8 S 2004/04 –, Juris RdNr. 40.

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ausgewogenen und funktionierenden Flughafenlandschaft durchaus die Versagung eines Vorhabens rechtfertigen20. e) Eine Bundesverkehrswegeplanung könnte durch entsprechende Kategorisierung die öffentlichen Aufgaben eines Verkehrsflughafens spezifizieren. Eine Spezifizierung der Aufgaben könnte auch mit der Bestimmung beihilfefähiger hoheitlicher Leistungen im Sinne der Gemeinschaftlichen Leitlinien der Europäischen Kommission zur für die Finanzierung von Flughäfen und die Gewährung staatlicher Anlaufbeihilfen für Luftfahrtunternehmen auf Regionalflughäfen21 einhergehen. aa) Das geltende Recht unterscheidet Verkehrsflughäfen, Verkehrslandeplätze, Sonderflughäfen, Sonderlandeplätze und Segelfluggelände, § 36 Abs. 2, § 49 Abs. 2, § 54 LuftVZO, ohne dass aus dieser Differenzierung (bezogen auf Verkehrsflughäfen und Verkehrslandeplätze) eine rechtlich verbindliche Verkehrsdifferenzierung folgen würde. Auch § 4 Abs. 1 Nr. 2 FluglärmG bestätigt, dass eine solche Differenzierung nicht besteht. (1) Bei der Genehmigung eines Flughafens ist ein Ausbauplan festzulegen, § 12 Abs. 1 S. 1 LuftVG, der unter Umständen nach § 14b Abs. 1 UVPG i.V.m. Anlage 3 Nr. 1 einer strategischen Umweltprüfung, also auch einer Alternativenprüfung zu unterziehen ist. Auf der Grundlage des Ausbauplans sind für Flughäfen Bauschutzbereiche zur Sicherung des Luftverkehrs festzusetzen, § 12 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 3 LuftVG. Landeplätze und Segelfluggelände können (müssen aber nicht) einen beschränkten Bauschutzbereich erhalten. Die Unterscheidung führt nach der derzeitigen Rechtslage nicht zwingend zu unterschiedlichen Verkehrssegmenten und damit betrieblichen Möglichkeiten. Der Bauschutzbereich dient den Interessen des Flugplatzbetreibers. Sein Fehlen wird erst bedeutsam, wenn von Dritten bauliche „Hindernisse“ errichtet werden, die die Abwicklung des Flugbetriebs beeinträchtigen. Auch auf einem Verkehrslandeplatz können grundsätzlich Linien- und Bedarfsluftverkehr abgewickelt werden. Eine verkehrsplanerische Entscheidung, die entsprechend der erstrebten Verkehrsbedeutung eine Klassifizierung von Flughäfen mit der Folge der Beschränkung des zulässigen Verkehrs vornehmen würde, könnte für nachgelagerte Planungsstufen unter Umständen Vorentscheidungen treffen, z.B. ob und mit welcher Intensität die Verkehrsbedeutung eine erhebliche Beeinträchtigung von Natura-2000-Gebieten zu rechtfertigen vermag. Allerdings stellt sich die Frage, ob allein die Klassifizierung „internationaler“ und „regionaler Verkehrsflughafen“, „Verkehrslandeplatz“, „Segelflughafen“ hierfür ausreichend ist. Im Grunde wird man mit dem einzelnen Platz luftverkehrspolitische Ziele ___________ 20

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 28.2.2005 – 8 S 2004/04 –, Juris RdNr.

21

2005/C 312/01, Amtsblatt der Europäischen Union von 9.12.2005, C 312/1 ff.

53.

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzeptes

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verbinden müssen, um seine Bedeutung zu bestimmen. Allein eine einmal getroffene Kategorisierung22 wird den Bedürfnissen und Entwicklungen des Luftverkehrsmarktes nicht gerecht. Zumal auch – wie das Straßenrecht zeigt – bei „untergeordneten“ Straßen Eingriffe gerechtfertigt sein können, es also doch einer Einzelfallentscheidung bedarf. Diesen Anforderungen wird die Einteilung der bestehenden Flugplätze in fünf Kategorien im Entwurf des Flughafenkonzeptes 2008 der Bundesregierung nicht gerecht. Sie stellt lediglich eine Bestandsaufnahme dar. Die angestrebten Folgen bedürften einer formalen Planung, in der materiell weiter reichende Kriterien zu bestimmen und zu ermitteln wären. (2) Der Entwurf des Flughafenkonzepts nimmt auf der Grundlage des festgestellten Bestandes an Flughäfen eine sechsstufige Einteilung vor.

Pax/a Hub

Ziele

Einzugsgebiet (Mio. Einwohner innerhalb einer 45 Minuten-Isochrone)

> 250

Großer Flughafen

> 20 Mio

> 110

8,2 – 2,4

Mittlerer Flughafen

> 3 Mio

> 60

2,0 – 1,6

Kleiner Flughafen

< 3 Mio

> 30

1,5 – 0,9

10

0,9 – 0,3

Großer Regionalflughafen Kleiner Regionalflughafen

Die ersten vier Kategorien zeichnen sich durch eine internationale Vernetzung aus. Der Begriff wird allerdings nicht erklärt. Erkennbar bieten auch die den Regionalflughäfen zugeordneten Flugplätze Luftverkehr ins Ausland an. Möglicherweise ist hier an eine Unterscheidung zwischen Linien- und Bedarfsluftfahrt gedacht. Konkret werden Frankfurt Main und München als Hubs genannt und Berlin, Düsseldorf, Köln/Bonn, Hamburg und Stuttgart als große Flughäfen23. Auffällig ist, dass zwischen den großen und den mittleren Flughäfen bezogen auf die Passagierzahl eine Lücke klafft. Jedenfalls gegenwärtig sind Stuttgart, Köln/Bonn und Hamburg noch deutlich von der Zahl von 20 Mio. Passagieren entfernt24. Insoweit stellt das Konzept eine Entwicklung gera___________ 22 23 24

Vgl. etwa § 1 Abs. 2 und 3 FStrG, Art. 3 Abs. 1 BayStrWG. Entwurf des Flughafenkonzepts, S. 30. Vgl. Anhang 1.

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de dieser Flughäfen als im öffentlichen Interesse stehend dar25. Ohne Berücksichtigung bleiben Große Flughäfen in den Nachbarländern (etwa Wien oder Zürich)26. Eine Einbindung dieser Flughäfen in die Verkehrskonzepte erscheint einerseits wünschenswert, andererseits ist offensichtlich, dass die Bundesregierung auf den Betrieb dieser Flughäfen keinen Einfluss hat. Die Einteilung des Flughafenkonzepts weicht von der die der Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, die drei Flughafenkategorien unterscheidet, ab27: Internationaler Netzpunkt

>/= 5 Mio. Pax/a

Gemeinschaftsnetzpunkt

>/= 1Mio bis < 5 Mio. Pax/a

Regionaler Netz- und Zugangspunkt

>/= 0,25 Mio. bis < 1 Mio. Pax

Es orientiert sich an der Einteilung, die der Ausschuss der Regionen in seiner Prospektivstellungnahme über die regionalen Flughafenkapazitäten vom 02.07.2003 verwendet hat28: Großer Drehkreuzflughafen

> 25 Mio. Pax/a

Nationale Flughäfen

10 Mio. bis 25 Mio. Pax/a

Flughäfen

5 Mio bis 10 Mio. Pax/a

Flughäfen

1 Mio. bis 5 Mio. Pax/a

Flughäfen

0,2 Mio. bis 1 Mio. Pax/a

Gegenüber der Differenzierung des Ausschusses der Regionen enthält der Entwurf des Flughafenkonzeptes neben der Passagierzahl weitere Differenzierungskriterien, die die Verkehrsbedeutung und damit das öffentliche Interesses an der Funktionsfähigkeit der jeweiligen Infrastruktureinrichtung ermitteln sollen. Dies sind die angeflogenen Ziele (differenziert nach Deutschland, Europa, ___________ 25

Entwurf des Flughafenkonzepts, S. 57. Vgl. Anhang 2. 27 Vgl. Entscheidung Nr. 1692/96/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.7.1996 über gemeinschaftliche Leitlinien über den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes Art. 11, Anhang II Abschnitt 6, Abl. L 228 vom 9.9.1996. 28 AdR 393/2003 endg. 26

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzeptes

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Interkontinental), Reiseanlässe, Incoming-Funktion und das Einzugsgebiet. Daneben enthält der Entwurf des Flughafenkonzepts eine eigenständige Betrachtung der durch Frachtflüge gekennzeichneten Flughäfen. Hier werden neben Frankfurt Main, Köln/Bonn und Leipzig/Halle noch fünf weitere Flugplätze genannt, die für den Frachtflugverkehr bedarfsgerecht zu optimieren sind29. bb) An die Einordnung eines Flughafens können sich auch weitergehende Entscheidungen anschließen. Soweit es sich bei der öffentlichen Infrastruktur um öffentliche Einrichtungen handelt, stellt sich die Frage, inwieweit eine öffentliche Finanzierung zulässig ist. Dies ist jedenfalls dann, wenn privatrechtlich organisierte Flughafenbetreiber vorhanden sind, regelmäßig auch eine die nach Art. 87 EG zu beurteilende beihilferechtliche Frage. Die Leitlinien der Kommission haben hierfür vier Kategorien von Flughäfen entwickelt30: Kategorie

Bezeichnung

Kriterium

A

Große Gemeinschaftsflughäfen

> 10 Mio. Pax/a

B

Nationale Flughäfen

5 bis 10 Mio. Pax/a

C

Große Regionalflughäfen

1 bis 5 Mio. Pax/a

D

Kleine Regionalflughäfen

< 1 Mio. Pax/a

Beihilferechtliche Einschätzung Öffentliche Zuschüsse bergen die Gefahr einer Wettbewerbsverfälschung oder der Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels

Zahlungen dürften den Wettbewerb kaum beeinflussen oder den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigen

An die planungsrechtliche Bestimmung der Flugplatzklasse kann auch die Eigenschaft „Zollflugplatz“ bzw. „besonderer Landeplatz“ geknüpft werden. Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass das geltende Recht einem Flugplatzbetreiber keinen Anspruch auf die Einräumung des Status „Zollflugplatz“ gewährt31. Insoweit bestehen Interdependenzen zwischen Planungs- und sonstigem Recht. So wäre es kontraproduktiv, planerisch einen Verkehrsflughafen zuzulassen, diesen aber nicht zum Zollflughafen zu machen und somit einen Teil seines Verkehrs zu verhindern. Es erscheint nicht unbedingt erforderlich, dass jeder Flugplatz ein Zollflugplatz ist. Vielmehr könnte einiges dafür spre___________ 29

Entwurf des Flughafenkonzepts, S. 51, 76. Vgl. Gemeinschaftliche Leitlinien für die Finanzierung von Flughäfen, RdNrn. 15, 39, 40. 31 Vgl. BFH, Urt. vom 10.10.2007 – VII R 36/06 –, Juris RdNr. 16 bis 18. 30

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chen, entsprechende Aktivitäten auf einzelne Flugplätze zu konzentrieren. Eine solche Konzentration bedarf allerdings einer hoheitlichen Entscheidung, da sie auch Wettbewerb und Verkehrsströme lenkt. Sie führt unmittelbar zu einer Beschränkung des Wettbewerbsverhältnisses der Flugplätze untereinander und kann durch die Engpässe, die daraufhin entstehen, auch zu einer Beschränkung des Wettbewerbs der Luftverkehrsgesellschaften führen. So könnte etwa das Segment des Geschäftsreiseverkehrs durch eine „voreilige“ zollpolitische Weichenstellung beeinträchtigt werden. Andererseits ist erkennbar, dass eine beliebige Vermehrung von Flugplätzen nicht notwendig dazu dient, einen Verkehrsbedarf zu befriedigen32. Bezogen auf den Entwurf des Flughafenkonzeptes ist festzustellen, dass dieser ganzheitliche Ansatz noch nicht vollständig umgesetzt ist, auch wenn das Konzept schon sehr weitreichende Verknüpfungen zwischen der Befriedigung des Verkehrsbedarfs und seiner Finanzierung aufnimmt. cc) Der (Aus-)Bau und die Errichtung von Flughäfen haben eine regionalwirtschaftliche Komponente. Sie beeinflussen die Attraktivität des Standorts für Unternehmensansiedlungen und sie sind geeignet, selbst eine bedeutende lokale Arbeitsstätte zu werden. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt an, dass Flughäfen in einem globalen Wettbewerb, in dem es um die Sicherung und Förderung von Wirtschaftsstandorten geht, stehen33. Struktur- und regionalpolitische Entscheidungen sind aber grundsätzlich der Landesplanung zuzuordnen. Deren Aufgabe wäre es nicht (luftverkehrs-)politische Ziele zu formulieren, sondern Erfordernisse der Raumordnung – entsprechend der gewünschten Verbindlichkeit – aufzustellen, die geeignet sind, nachfolgende Planungsentscheidungen zu leiten. Durch die landesplanerischen Instrumente „Ziel der Raumordnung“, Vorranggebiet oder die Möglichkeit, aus Gründen des Immissionsschutzes Siedlungsbeschränkungsbereiche auszuweisen, können langfristig Konflikte bewältigt werden, weil den Beteiligten Entwicklungsmöglichkeit offen gehalten werden. Entsprechend kommt der Landesplanung eine bedeutende Rolle bei der Flughafenplanung zu34. f) Eine nachvollziehbare Grundlage für eine Kontrolle der Zweckmäßigkeit der Ausführung des Luftverkehrsgesetzes durch die Länder besteht nur in Ansätzen. Eine Planung des Luftverkehrs auf Bundesebene bedürfte daher einer Konkretisierung. Sie könnte – in Anbetracht der bestehenden Flugplatzlandschaft – die Aufgabe haben, den bestehenden und prognostizierten Bedarf in Bezug zu den bestehenden Einrichtungen zu setzen und unter Berücksichtigung ___________ 32 Vgl. Kritik des Finanzgericht Baden-Württemberg, Urt. vom 28.03.2006 – 11 K 386/04 –, Juris RdNr. 100. 33 Vgl. BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 –, Juris RdNr. 27. 34 Vgl. sogleich unter III.1.

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzeptes

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von Lärm-, Natur- und Klimaschutz Konzepte zur Bedarfsbefriedigung einschließlich Ausbauoptionen zur Erhaltung und Herstellung des notwendigen Luftverkehrsanschlusses für die Bundesrepublik zu entwickeln. Je verbindlicher die Ergebnisse einer solchen Planung sein sollen, um so aufwändiger wäre der Planungsprozess und die Gefahr, dass greifbare Ergebnisse ausbleiben. Ob eine zentralstaatliche Planung, die sich über Interessen der Länder und Regionen hinwegsetzen würde oder einen zeitraubenden Abstimmungsprozess mit dem möglichen Verlust der Lenkungsfunktion erfordern würde, eine unbedingt vorzugswürdige Lösung wäre, ist zweifelhaft. Der Entwurf des Flughafenkonzeptes 2008 der Bundesregierung belegt dies durch die wiederholten Hinweise auf die Herstellung von Einvernehmen und die Abstimmungserfordernisse zwischen den Ländern.

III. Luftverkehrsplanung auf Landesebene 1. Die Entscheidung über Flughafenstandorte Die Entscheidung über Flughafenstandorte erfolgt auf der Grundlage landesplanerischer Instrumente, der luftrechtlichen Genehmigung und der Planfeststellung. Große Bedeutung wird dabei der landesplanerischen Standortentscheidung zugemessen.35 § 2 Abs. 2 Nr. 12 S. 1 ROG a.F. bestimmte die Sicherstellung der guten Erreichbarkeit aller Teilräume untereinander und § 2 Abs. 2 Nr. 9 ROG a.F. den Ausbau einer wirtschaftsnahen Infrastruktur als Grundsätze der Raumordnung. Auch die gemeinschaftsrechtliche Ordnung geht von einer zunehmenden Vernetzung der Europäischen Regionen aus36. Der Forderung als Grundsatz der Raumordnung, die bedarfsgerechte Bereitstellung von Luftverkehrsinfrastruktur zur Stützung und Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland als § 2 Abs. 2 Nr. 12a S. 1 ROG einzufügen37, ist der Gesetzgeber nicht gefolgt. Hierbei handelt es sich im Grunde auch nicht um eine landes-, sondern um eine übergeordnete fachplanerische Aufgabe. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG n.F. sind ausgeglichene, soziale, infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Verhältnisse anzustreben und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu sichern. Hinzu kommen die Sicherung von Chancengerechtigkeit durch die Versorgung mit Infrastrukturen der Daseinsvorsorge (Nr. 3) und die räumliche ___________ 35 Vgl. BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Juris RdNrn. 71 ff.; BVerwG, Urt. vom 13.12.2007 – 4 C 9.06 –, Juris RdNr. 66. 36 Vgl. Entscheidung Nr. 1692/96; Abl. Nr. L 228, S. 1 ff. 37 ADV-Positionspapier „Planungssicherheit für deutsche Flughäfen“ vom 7.2.2008.

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Entwicklung durch Wettbewerbstätigkeit, Wirtschaftsstruktur und wirtschaftsnahe Infrastruktur (Nr. 4). Die Formulierung „bedarfsgerechte Bereitstellung“ verdeutlicht den fachplanerischen Bezug. Sie übersetzt den Begriff der öffentlichen Interessen im Sinne von § 6 Abs. 3, § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG. Entsprechend spricht der Entwurf des Flughafenkonzepts 2008 von der „nachhaltigen Erfüllung von Mobilitätserfordernissen in Wirtschaft und Gesellschaft“, fordert aber eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Mobilität38. Die Festlegung von Flughafenstandorten ist vorrangig eine fachplanerische Entscheidung über die Befriedigung der Mobilitätsnachfrage. Sie stellt aber auch eine Raumnutzungsentscheidung dar. Soweit es an konkreten landesplanerischen Vorgaben fehlt, ist nach § 1 Nr. 12 ROV vor einem Planfeststellungsverfahren für den (Aus-)Bau eines Flugplatzes ein Raumordnungsverfahren durchzuführen. Ein solches Raumordnungsverfahren, in dem die Raumverträglichkeit der vorgesehenen Nutzung mit den bestehenden Verhältnissen und den festgelegten Erfordernissen der Raumordnung geprüft wird, hat die Ziele aus den maßgeblichen Raumordnungsplänen der Länder und Regionen zum Maßstab. Standort- und Nutzungsentscheidungen können durch landesplanerische Zielsetzungen determiniert werden. Deshalb kann von der Durchführung eines Raumordnungsverfahrens abgesehen werden, falls das Vorhaben offensichtlich den Zielen der Raumordnung entspricht oder widerspricht, § 15 Abs. 1 ROG, Art. 21 Abs. 3 Nr. 1 BayLPlG, etwa im Fall einer Ebene der Landesplanung erfolgten abgewogenen Standortentscheidung. Diese Entscheidung könnte aber zukünftig überflüssig werden, wenn man der Aussage des Entwurfs des Flughafenkonzeptes 2008 der Bundesregierung, dass keine Neubauten mehr erfolgen und bestehende Standorte vorrangig betrieblich optimierte werden sollen, verbindliche Wirkung zuerkennen wollte. Diese würde aber eine entsprechende Rechtsförmlichkeit bedingen. Überhaupt stellen die bestehenden Flugplätze – dies gilt ganz besonders für die großen internationalen Verkehrsflughäfen – Zwangspunkte für die Landesplanung dar39, weil sie eine bereits umgesetzte („gelebte“) Raumnutzungsentscheidung darstellen und die fachplanerischen Bedürfnisse auf eine Erweiterung gerichtet sein können, mit der Folge entsprechende Freiräume freihalten zu müssen. Das Flughafenkonzept trägt dem Rechnung, indem es dieses fachplanerischen öffentlichen Interessen für die Flughäfen der ersten beiden Kategorien festlegt. Ein Ausbau dieser Flugplätze bedarf zwar auch einer landesplanerischen Be___________ 38

Vgl. Entwurf des Flughafenkonzepts 2008, S. 5. Vgl. BayVGH, Urt. vom 25.4.2006 – 8 N 05.542 –, Juris RdNr. 56; BayVGH, Urt. vom 17.11.2004 – 20 N 04.217 –, Juris RdNrn. 32 bis 34. 39

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wältigung der Auswirkungen dieses Ausbaus, aber keiner Standortentscheidung mehr. 2. Erfordernisse der Raumordnung Die Erfordernisse der Raumordnung sind mit den Vorhaben abzustimmen. Insbesondere die Ziele der Raumordnung als verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG) bilden hierfür den Maßstab40. Maßgeblich ist der materielle Gehalt der Bestimmung, nicht ihre formale Bezeichnung in einem Raumordnungsplan41. a) Das LEP Bayern 2006 bestimmt etwa, dass der Verkehrsflughafen München die interkontinentale Luftverkehrsanbindung Bayerns und die „nationale und kontinentale Luftverkehrsanbindung Südbayerns“ langfristig sicherstellen soll. Außerdem soll für einen „leistungsfähigen und bedarfsgerechten Ausbau“ des Verkehrsflughafens München als „Drehkreuz von europäischem Rang“ langfristig Vorsorge getroffen werden42. Das LEP Bayern 2006 übernimmt damit die fachplanerische Bedeutung des Hubflughafens München, die ebenso wie seine Lage einen Zwangspunkt für die Raumnutzung darstellt. Entsprechend wird zur dauerhaften Sicherung des Standorts und der langfristigen räumlichen Entwicklungsmöglichkeiten der Luftverkehrsinfrastruktur ein Vorranggebiet Flughafenentwicklung festgelegt43. Das Maß der abschließenden Festlegung dieser Bestimmungen ist in der Zusammenschau mit anderen Festlegungen des LEP zu ermitteln. Im Bereich des Luftverkehrs nennt das LEP Bayern 2006 mit Nürnberg und Memmingen zwei weitere Verkehrsflughäfen, deren Aufgaben aber nur im Falle des Verkehrsflughafens Nürnberg beschrieben werden. Dieser soll die „nationale und internationale Luftverkehrsanbindung“ Nordbayerns langfristig sicherstellen. Die Fläche für die Anlegung einer zweiten Start- und Landebahn soll freigehalten werden44. Der inzwischen realisierte Verkehrsflughafen Memmingen wird im LEP als Nachfolgenutzung eines ehemaligen Militärflugplatzes bei ausreichender Luftverkehrsnachfrage zur Abwicklung gewerblichen Luftverkehrs, insbesondere von Linien- und Char___________ 40

Vgl. HessVGH, Urt. Vom 16.8.2002 – 4 N 455/02 –, Juris RdNr. 50. BayVGH, Urt. vom 23.3.2005 – 20 N 03.1243 u.a. –, Juris RdNr. 13. 42 LEP Bayern 2006 Nr. B V 1.6.1 (Z). 43 LEP Bayern 2006 Nr. B V 1.6.3 (Z), vgl. dazu BayVGH, Urt. vom 25.4.2006 – 8 N 05.542 – und BayVGH, Urt. vom 17.11.2004 – 20 N 04.217 –. 44 LEP Bayern 2006 Nr. B V 1.6.4 (Z). 41

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terverkehr angesprochen45. Der Entwurf des Flughafenkonzeptes 2008 der Bundesregierung ordnet ihn in die vierte (von fünf möglichen) Kategorien von Flugplätzen ein mit der Folge, dass nach der Systematik des Entwurfs eine weitere Entwicklung von Voraussetzungen abhängig gemacht wird, die jedenfalls nicht zwangsläufig raumordnerische Kriterien darstellen.46 b) Der Planfeststellung für den Ausbau des Verkehrsflughafens BerlinSchönefeld ging die landesplanerische Standortentscheidung durch einen eigenen Landesentwicklungsplan Flughafenstandort voraus47. Danach ist der Flughafen Berlin-Schönefeld zur Deckung des nationalen und internationalen Luftverkehrsbedarfs der Länder Berlin und Brandenburg weiter zu entwickeln, die Flugplätze Tegel und Tempelhof sind zu schließen, die Ausbaufläche ist von entgegenstehenden Nutzungen frei zu halten; weiterhin sind die Planungszonen „Bauhöhenbeschränkung“ und „Siedlungsbeschränkung“ dargestellt48. Hierbei handelte es sich um eine „echte“ Standortentscheidung. Neben dem Standort Schönefeld waren auch andere „Single“-Standorte für einen Flughafen BBI in der Diskussion. Seit April 2008 enthält die Luftverkehrskonzeption für das Land Brandenburg das luftverkehrspolitische Ziel „Konzentration des Luftverkehrs auf den Single-Flughafen BBI“49. Wesentliches Element dieses luftverkehrspolitischen Ziels ist die mittelfristige Konzentration des internationalen Linien- und Pauschalflugreiseverkehrs über 14.000 kg maximaler Abflugmasse auf den Flughafen BBI. Dieses politische Ziel erfährt eine landesplanerische Konkretisierung in dem Entwurf des Landesentwicklungsplans BerlinBrandenburg vom 21.08.2007 in dem Ziel der Raumordnung Nr. 6.650. Die landesplanerisch vorgegebene Konzentration des Luftverkehrs auf einen Verkehrsflughafen stellt auch eine die Befriedigung des Bedarfs an Flughafendienstleis___________ 45

LEP Bayern 2006 Nr. B V 1.6.7 (Z). Der gleich lautenden Vorgängerbestimmung wurde allerdings die Qualität eines Ziels der Raumordnung abgesprochen, vgl. BayVGH, Urt. vom 23.3.2005 – 20 N 03.1243 u.a. – Juris RdNr. 14. 46 Entwurf des Flughafenkonzeptes 2008 der Bundesregierung, S. 30; 56/57. 47 LEP Flughafenstandort in der Fassung vom 30.5.2006; zu der Vorfassung BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Juris RdNr. 53 ff. Eine im Vergleich mit dem LEP FS weniger weitgehende Regelung enthält der geänderte LEP Hessen 2000 – Erweiterung Flughafen Frankfurt Main (GVBl 2007, S. 406 ff.). 48 Gemeinsamer Landesentwicklungsplan Flughafenstandortentwicklung (LEP FS) Z1, Z2, Z3 und Z5. 49 Luftverkehrskonzeption für das Land Brandenburg 2. Fortschreibung April 2008, S. 12/13 unter 3. 50 Entwurf LEP B-B, S. 21: „Linienflugverkehr und Pauschalflugreiseverkehr mit Flugzeugen sind in Berlin und Brandenburg nur auf dem Verkehrsflughafen Berlin Brandenburg International (BBI) zulässig, ausgenommen Flugverkehr durch Flugzeuge mit einer zulässigen Höchstabflugmasse von bis zu 14.000 kg. Bis zur Inbetriebnahme der Kapazitätserweiterung am Standort Schönefeld (BBI) ist dieser Verkehr nur auf den Flughäfen des Berliner Flughafensystems zulässig.“

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tungen und den Wettbewerb von Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften beschränkende – letztliche fachplanerische – Entscheidung dar. Sie schließt die Durchführung von bestimmten Arten des Luftverkehrs an anderen Standorten aus. Sie bezweckt die Etablierung eines wirtschaftlich zu betreibenden Standorts51. Die Zulässigkeit der Begrenzung fachplanerischer Vorhaben durch Erfordernisse der Raumordnung ist nicht abschließend geklärt. Die Frage, ob etwa eine landesplanerische Negativplanung möglich ist, wird unterschiedlich beurteilt. Der Hessische Staatsgerichtshof hielt etwa den Entwurf eines Raumordnungsgesetzes, das den Flughafen Frankfurt auf seine Fläche begrenzen sollte, für unzulässig. Gleichwohl fanden entsprechende Aussagen Eingang in die betreffende Landesplanung und wurde aufgrund landespolitischer Gegebenheiten den fachplanerischen Erfordernissen und damit den öffentlichen Interessen im Sinne von § 6 Abs. 3, § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG zuwidergehandelt. Es wurde festgestellt, dass es sich um Schranken für die nachfolgende Planungsebene handelt, ohne allerdings die Zulässigkeit dieser Schranken zu prüfen52. 3. Luftverkehrspolitische (Ziel-)Aussagen Neben den landesplanerischen Zielvorstellungen können die Länder fachplanerische Aussagen zum Luftverkehr treffen. Sie werden dabei im Rahmen der Auftragsverwaltung tätig. Insoweit stellt sich die Frage nach dem Erfordernis einer Abstimmung mit dem Bund. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass auch landesplanerische Vorgaben nur Grundsatzentscheidungen treffen können. Ihre Verbindlichkeit ist danach zu beurteilen, ob mit hinreichender Sicherheit zu ermitteln ist, auf welchen Teilraum, Bereich oder Standort sich eine Festlegung bezieht. Außerdem bedarf es einer konkreten Handlungsanweisung für den Adressaten der Landesplanung53. In der Luftverkehrskonzeption 2010 des Landes Nordrhein-Westfalen zum Beispiel werden die bestehenden Flugplätze des Landes aufgeführt und mit bestimmten Funktionen versehen. Es wird zwischen Internationalen und Regionalen Verkehrsflughäfen sowie der zivilen Nutzung von Militärflugplätzen unterschieden. In der Luftverkehrskonzeption 2010 werden Handlungsoptionen zur Erreichung der Ziele der NRW-Luftverkehrspolitik vorgesehen. Hier werden etwa für den Verkehrsflughafen Köln/Bonn als Handlungsoption 02n die bedarfsgerechte Erweiterung der Kapazität für die Frachtabfertigung einschließ___________ 51

Zur Begründung dieses Ziels der Raumordnung vgl. LEP B-B, S. 61-64. HessVGH, Urt. vom 16.8.2002 – 4 N 455/02 –, Juris RdNr. 53; vgl. auch HessVGH, Urt. vom 26.7.2004 – 4 N 406/04 –, Juris RdNr. 2. 53 HessVGH, Urt. vom 16.8.2008 – 4 N 455/02 –, Juris RdNr. 50; 53 (Abgrenzung von prognostischen Aussagen/Absichtserklärungen). 52

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lich der zugehörigen Vorfelder54 und für den Verkehrsflughafen Münster/Osnabrück die Verlängerung der Start- und Landebahn auf 3.600 m als Handlungsoption 04n genannt55. Bei den „Handlungsoptionen“ dürfte es sich nicht um Ziele der Raumordnung handeln, da die Handlungsoptionen unter dem Vorbehalt noch vorzunehmender Abwägungen unterschiedlicher Belange und ihrer rechtlichen Realisierbarkeit stehen56. Sie dürften daher – wie in der Luftverkehrskonzeption für das Land Brandenburg – am ehesten als „politische Ziele“ zu qualifizieren sein. Diese fachliche Aussagen müssten Bestandteile der Landesplanung werden, wenn mit ihnen – wie in Brandenburg – ein höheres Maß an Verbindlichkeit erstrebt werden soll. Solche fachlichen Aussagen können sich allerdings nur auf das Gebiet des jeweiligen Bundeslandes beziehen und müssen nicht mit den Nachbarländern abgestimmt sein. Eine solche Abstimmung bedürfte eines entsprechenden institutionellen Rahmens oder einer bundesrechtlichen Vorgabe. Hier ermöglicht § 17 Abs. 2 ROG n.F. die Aufstellung eines Raumordnungsplanes für das Bundesgebiet mit Festlegungen zu länderübergreifenden Standortkonzepten für Flughäfen als Grundlage für ihre verkehrliche Anbindung im Rahmen des Bundesverkehrswegeplanes. § 17 Abs. 1 ROG n.F. lässt eine Konkretisierung der in § 2 Abs. 2 genannten Grundsätze durch länderübergreifende Pläne zu. Eine solche Vorgabe könnte etwa in einer durch Handlungsoptionen und/ oder Zielvorstellungen konkretisierten Klassifikation von Flughäfen – wie im Entwurf des Flughafenkonzeptes 2008 der Bundesregierung im Ansatz enthalten57 – bestehen, die anhand der Verkehrsbedeutung der entsprechenden Flughäfen erfolgen könnte. Andererseits ist zu beachten, dass die verbindliche Standortplanung – gegebenenfalls mit Ausschlusswirkung für andere Standorte – den Wettbewerb zwischen den Flughäfen und Regionen, aber auch zwischen den Luftverkehrsgesellschaften beschränken kann. Jedenfalls dann, wenn die Start-/Landekapazitäten an einem Flugplatz ausgeschöpft sind, haben neue Fluggesellschaften nur eine Chance, Angebote zu etablieren, wenn Ausweichstandorte vorhanden sind. Eine dezentrale Standortpolitik – wie sie im Flughafenkonzept der Bundesregierung von 2000 vorgesehen ist und im Entwurf des Flughafenkonzeptes 2008 der Bundesregierung wiederholt angesprochen wird – ist auch geeignet, den Wettbewerb der Luftverkehrsgesellschaften zu stärken. Mit landesplanerisch abschließend festgelegten Standorten gegebenenfalls noch mit Funktionsbestimmung hätte sich das bestehende Low-Cost-Angebot in der ___________ 54 55 56 57

Luftverkehrskonzept NRW 2010, S. 34. Luftverkehrskonzept NRW 2010, S. 36. Luftverkehrskonzept NRW 2010, S. 28. Entwurf des Flughafenkonzepts 2008, S. 30 Tabelle 4.

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzeptes

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Vergangenheit nicht entwickeln können. Andererseits zeigen gerade die erfolgreichen Low-Cost-Linien eine Tendenz zu den „bekannten und bewährten“ Plätzen. 4. Alternativen bei (Neu-)Standorten Auf der Ebene der Landesplanung können raumverträglichkeitsberührende Entscheidungen frühzeitig determiniert werden58. Die Landesplanung ist ein geeigneter Standort für die Prüfung von (Standort-)Alternativen. Sie ist allerdings nicht geeignet, über die Nachfrage an sich oder ihre fachplanerische Lenkung zu entscheiden. Die Frage, ob die (angeblich) festgestellte Nachfrage nach Verkehrsleistungen an einem anderen Ort befriedigt werden könnte, übersteigt die Planungskompetenz der Planfeststellungsbehörde, wenn sie die „Alternative“ aus kompetenziellen Gründen gar nicht planen darf bzw. ein Antrag für die Alternative nicht gestellt ist. Die Behörde entscheidet über das ihr konkret vorliegende Vorhaben eines konkreten Vorhabenträgers. Über eine gegebenenfalls bestehende Alternative, die Nachfrage an einem anderen Standort zu befriedigen, wäre auf einer vorgelagerten Ebene zu befinden. Eine solche Lenkung der Nachfrage nimmt Nr. 6.6 (Z) des Entwurfs des LEP B-B vor, der den 14 t Höchstabflugmasse übersteigenden Linienflug- und Pauschalflugreiseverkehr mit Flugzeugen in Berlin und Brandenburg auf den Standort BBI konzentriert. Ob er damit eine der Landesplanung gezogene Grenze überschreitet, wird man danach zu beurteilen haben, ob die landesplanerische Festlegung mit den vorrangigen (fachplanerischen) öffentlichen Interessen i.S.v. § 6 Abs. 3, § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG übereinstimmt. In keinem Fall ist es angezeigt, den Ermittlungsaufwand in einem Maß auszudehnen, dass bereits auf der Ebene der Landesplanung quasi ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt würde59. Die landesplanerische Entscheidung lässt nämlich das Vorhaben nicht zu. Die Zulassungsentscheidung und damit die abschließende Behandlung der für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange erfolgt in dem Planfeststellungsverfahren, in dem gerade auch die Erfordernisse der Raumordnung in die Abwägung einzustellen sind. Eine abschließende landesplanerische Standortentscheidung ist im Planfeststellungsverfahren zu be___________ 58

Vgl. BVerwG, Urt. vom 15.5.2003 – 4 CN 9.01 –, Juris RdNr. 11 ff. – Landesmesse und Flughafen Stuttgart; BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Juris RdNrn. 65, 83. 59 Vgl. OVG für das Land Brandenburg, Urt. vom 12.2.2005 – 3 D 104/03.NE –, Juris RdNr. 119 ff.

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achten, ohne dass – wegen der weiteren Belange – allein hieraus ein Zulassungsanspruch hergeleitet werden könnte60. Die Erweiterungsmöglichkeiten von Flughäfen und die damit verbundene Veränderung des Konfliktpotenziales kann aber raumordnerisch vorausschauend behandelt werden. So können über das Fluglärmgesetz hinausgehende – verbindliche – Siedlungsbeschränkungszonen festgelegt werden61. Dies dient sowohl der Absicherung vor einer Steigerung der von dem Flugplatz ausgehenden Belastung für die Umgebung als auch einer möglichen Erweiterung. Auch der „Gewichtungsvorgabe62“ des § 29b Abs. 1 S. 2 LuftVG könnte landesplanerisch Rechnung getragen werden, indem Lärmbetroffenheiten vorausschauend ermittelt und bewertet werden. Eine „vorsorgende“ Konfliktbewältigung könnte auch im Hinblick auf den Naturschutz erfolgen (vgl. § 2 Abs. 2 Nrn. 3, 8, 14 ROG; Art. 2 Nrn. 11, 12 BayLPlG). Das Gewicht der für ein Vorhaben sprechenden Belange könnte durch eine entsprechende Planung vorausschauend beeinflusst werden, ohne allerdings die konkrete Zulassungsentscheidung ersetzen zu können.

IV. Vorhabenbezogene luftrechtliche Fachplanung Luftrechtliche Vorhaben werden mit der Genehmigung und der Planfeststellung geplant. Beide Entscheidungen sind – soweit es in dem vorliegenden Zusammenhang von Interesse ist – planerische Entscheidungen. Planerische Entscheidungen sind durch die Prüfung der Rechtfertigung des verfolgten Vorhabens und die Abwägung der für und gegen das Vorhaben sprechenden öffentlichen und privaten Belange strukturiert. Während für den Straßen- und Schienenwegebau das öffentliche Interesse in den Ausbaugesetzen bestimmt wird, fehlt diese übergeordnete Bedarfsfestlegung im Luftverkehrsrecht. Gerade die Konkretisierung der öffentlichen Interessen im Sinne von § 6 Abs. 3, § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG als Vorgabe der Planrechtfertigung sollte die Aufgabe des Flughafenkonzeptes sein.

___________ 60

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Juris RdNr. 54. Vgl. LEP Bayern 2006, Nr. B.V.6.4.1 (Z); LEP Schutz vor Fluglärm NRW; LEP Hessen 2000, Nr. 4.1.2; Regionalplan Südhessen 2000, Nr. 5.2-2. 62 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Juris RdNr. 268. 61

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzeptes

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1. Öffentliche Interessen und Planrechtfertigung a) Daseinsvorsorge Der öffentliche Zweck der Verkehrsinfrastruktureinrichtung Flughafen unterscheidet diese Anlage von im privaten Interesse errichteten und betriebenen Anlagen. Infrastrukturvorhaben dienen dem öffentlichen Zweck, eine Verkehrsnachfrage zu befriedigen63. Ihre Errichtung und ihr Betrieb können aber in der konkreten Situation auch andere ihrer Verwirklichung entgegenstehenden Rechtsgüter in Anspruch nehmen. Ein luftverkehrliches Vorhaben ist im Hinblick auf diese Inanspruchnahme durch Erfordernisse des Zivilluftverkehrs zu rechtfertigen, muss also dem fachplanerischen Anliegen des Luftverkehrsgesetzes zu entnehmen sein64. Die Planrechtfertigung liegt vor, wenn das Vorhaben abstrakt Zwecken der Zivilluftfahrt im Sinne von § 28 Abs. 1 LuftVG dient und in der konkreten Situation erforderlich ist, um diese Zwecke zu erreichen. Zwecke der Zivilluftfahrt sind aus Verkehrsbedürfnissen / Verkehrszwecken herzuleiten. „Erforderlich“ im Sinne der Planrechtfertigung ist daher nicht zu verwechseln mit „erforderlich“ im Sinne der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Diese Erforderlichkeit meint, dass kein milderes Mittel zur Verfügung steht, das Ziel zu erreichen. Dies lässt sich aber auf die Planrechtfertigung als ein planungslegitimierendes Institut nicht übertragen, da für einen Plan immer Ausweichmöglichkeiten (mit anderen Betroffenheiten) beständen. Erforderlichkeit in der konkreten Situation meint daher nur, dass ein luftverkehrsbezogener Anlass für die Planung besteht. Insoweit ist die Forderung des Entwurfs des Flughafenkonzeptes 2008 der Bundesregierung, zusätzlich eine Konkurrenz- und Potentialanalyse durch zuführen, im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Kosten- und Nutzenanalyse zu sehen. Beide Unterlagen können die Rationalität einer Entscheidung erhöhen; sie stellen aber einen unklaren Kompromiss zwischen einem „zentralstaatlichen Ausbaustopp“ und föderalen Entwicklungsmöglichkeiten dar. b) Rolle der Flughafenbetreiber Nicht zur Planrechtfertigung, sondern zur Abwägung gehört dagegen der Aspekt, dass Verkehrsflughäfen von privatrechtlich organisierten Unternehmen betrieben werden, die als Anbieter von Flughafenleistungen in einem Wettbewerb stehen, in dem es auch um die Sicherung und Förderung von Wirtschaftsstandorten geht. Anders als im Straßen- und Schienenrecht fehlt eine rechtsver___________ 63 64

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Juris RdNr. 188. BVerwG, Urt. vom 26.4.2007 – 4 C 12.05 –, Juris RdNr. 52.

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bindliche Flughafennetz- und Bedarfsplanung, die auftretende Kapazitäts- und Verteilungsprobleme auf der Grundlage einer luftverkehrspolitischen Gesamtkonzeption löst. Einem Flughafenbetreiber darf es deshalb nicht verwehrt sein, seinen bestehenden Flugplatz zu erweitern, um den prognostizierten Anstieg der Nachfrage nach Flughafendienstleistungen nachhaltig befriedigen zu können65. Das Ziel, diese Nachfrage zu befriedigen, rechtfertigt das Vorhaben. Der „Wettbewerb von Wirtschaftsstandorten“ ist dagegen kein Zweck der Zivilluftfahrt im Sinne von § 28 Abs. 1 LuftVG. Die Ziele, die mit dem Vorhaben über die Zwecke der Zivilluftfahrt hinaus in Form von Regional- oder Wirtschaftsförderung verfolgt werden mögen, genügen grundsätzlich nicht, um entsprechende Eingriffe zu rechtfertigen66. Das Ziel, die Wirtschaft oder Regionen zu fördern, ist allerdings geeignet, im Rahmen der Abwägung für das Vorhaben gewichtet zu werden67. Ungeklärt ist, in welchem Umfang Flughafenbetreiber durch die Vermarktung von Immobilien und die Generierung von Einzelhandelsstandorten Einnahmen erzielen dürfen. § 11 BauNVO dürfte jedenfalls, soweit es sich um Einrichtungen handelt, die dem Fachplanungsvorbehalt unterliegen, nicht einschlägig sein. Insoweit dürfte sich der Vorrang von § 38 BauGB durchsetzen. Gesetzliche Bestimmungen gibt es hingegen in den Regelungen zum Ladenschluss. § 9 Abs. 1 LadSchlG lässt die Öffnung von Verkaufsstellen auf Flughäfen an allen Tagen während des ganzen Tages zu, beschränkt aber die Abgabe während der allgemeinen Ladenschlusszeiten auf Reisebedarf an Reisende. Allerdings erlaubt § 9 Abs. 3 LadSchlG den Ländern, den Verkauf von Waren auf internationalen Verkehrsflughäfen des täglichen Ge- und Verbrauchs sowie Geschenkartikel an Werktagen während der Ladenschlusszeiten auch an andere Personen als Reisende zuzulassen68. Der Begriff des internationalen Verkehrsflughafens ist insoweit problematisch, als es eine gesetzliche Definition dieses Begriffs, insbesondere im Luftverkehrsrecht, nicht gibt und damit Ungleichbehandlungen zwischen Flughafenbetreibern entstehen können69. Die Flughafenbetreiber dürfen sich „nachfragegerecht“ verhalten. Der bestehende rechtliche Rahmen erlaubt es ihnen, bestehende Entscheidungsräume eigenverantwortlich zu nutzen, um ihre Position am Markt zu verbessern. Die Forderung, die Entscheidung der staatlichen Zulassungsbehörden habe auch im ___________ 65

BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 –, Juris RdNr. 27; vgl. auch BVerwG, Urt. vom 24.7.2008 – 4 A 3001.07 –, Juris RdNr. 76. 66 Vgl. BVerwG, Urt. vom 26.4.2007 – 4 C 12.05 –, Juris RdNr. 52. 67 BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 –, Juris RdNr. 27. 68 Vgl. § 4 BayLSchhLV für die Flughäfen München und Nürnberg. 69 Die Differenzierung zwischen internationalem und sonstigem Verkehrsflughafen kommt bei der Ladenöffnung allerdings dann keine Bedeutung zu, wenn die Bundesländer, wie etwa Hessen (§ 3 HLöG), die Ladenschlusszeiten an Werktagen generell aufheben.

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzeptes

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Hinblick auf die Angebots- und Nachfragestruktur im Luftverkehr, die Entwicklung des Verkehrsangebotes und der besonderen Situation der Betreiber „systemkonform“ zu sein70, bedeutet für die Planrechtfertigung, dass ein nachgewiesener Verkehrsbedarf das Vorhaben rechtfertigt, auch wenn dieser theoretisch an einem anderen Standort befriedigt werden könnte. Der Flughafenbetreiber hat das „Recht“, den Bedarf an seinem Standort befriedigen zu wollen, ihn an sich zu ziehen. Insoweit verhält er sich „systemkonform“. Die Infrastruktureinrichtung Flugplatz steht zwar dem zugelassenen Verkehr grundsätzlich offen mit der Folge, dass der Flughafenunternehmer, eine Luftverkehrsgesellschaft nicht abweisen darf. Die Nutzung des Flughafens hängt aber in großem Umfang davon ab, dass der Flughafenbetreiber Luftverkehrsgesellschaften findet, die an seinem Platz einen Verkehr etablieren. Erst die Symbiose von Infrastruktur und sie nutzendem Carrier ermöglicht die Befriedigung der Nachfrage nach Luftverkehrsleistungen. Durch die Investition in einen Platz wird dieser für den Carrier zu Homebase, die wieder andere Anforderungen stellt. Am einen Ende stehen vollständig koordinierte Flugplätze, die auch die steigende Nachfrage ihrer Homebase-Carrier nicht befriedigen können, auf der anderen Seite stehen Infrastruktureinrichtungen, die ihr Potenzial nicht vollständig ausschöpfen können, sofern es ihnen nicht gelingt, einen entsprechenden Verkehr an ihrem Platz zu etablieren. Dies unterscheidet Flughäfen von Straßen; da sich die Flughäfen insbesondere über die Entgelte für ihre Benutzung finanzieren, sind sie als Unternehmen auf eine entsprechende Vermarktung ihrer Leistung angewiesen71. Erst eine verbindliche Fachplanung, die aber vergleichbar dem Bundesverkehrswegeplan Finanzierungskonzepte anbieten müsste, könnte diesem Mixtum aus Wettbewerb und Daseinsvorsorge eine „Struktur“ geben72. Eine solche Planung würde aber auch zu einer Nachfragelenkung führen können, in dem Standortplanung betrieben wird. Der Entwurf des Flughafenkonzepts 2008 enthält Ansätze in diese Richtung, wenn er ankündigt, die Finanzierung von Straßen- und Schienenanschlüssen von Luftverkehrsstandorten aus Bundesmitteln von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen zu wollen. Die Frage der „Dringlichkeit“ eines Vorhabens ist ebenfalls nicht auf der Ebene der Planrechtfertigung zu entscheiden. Ein Vorhaben, das nicht auf einen ___________ 70

BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 –, Juris RdNr. 27. BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 –, Juris RdNr. 27: „…, dass Verkehrsflughäfen von privatrechtlich organisierten Unternehmen betrieben werden, die als Anbieter von Flughafenleistungen in einem bundes- und europaweiten, teilweise auch globalen Wettbewerb stehen, in dem es nicht zuletzt um die Sicherung und Förderung von Wirtschaftsstandorten geht.“ 72 Vgl. BVerwG, Urt. vom 13.12.2007 – 4 C 9.06 –, Juris RdNr. 66; BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 –, Juris RdNr. 72; BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 –, Juris RdNr. 27. 71

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realistischen Bedarf reagiert, sondern lediglich einen in (ungewisser) Zukunft möglichen Bedarf generieren oder befriedigen könnte („Vorratsplanung“), ist vorzeitig und dürfte unzulässig sein, wenn die mit ihm verbundenen Eingriffe außer Verhältnis zu dem fachplanerischen Nutzen stehen. Es handelt sich aber um eine Frage der Gewichtung der ermittelten Belange. Unter diesen speziellen Voraussetzungen kann es daher auch gerechtfertigt, Nachtflüge zuzulassen, obwohl bei vorausschauender Betrachtung nicht in absehbarer Zeit mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass ein entsprechender Nachtflugbedarf tatsächlich entsteht73. c) Nachfragegerechtes Verhalten von Flughafenbetreibern Im Rahmen der Abwägung (also der Gewichtung der für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange) darf darüber hinaus berücksichtigt werden, dass sich ein Vorhabenträger nicht darauf beschränken muss, seine einmal errichteten Anlagen zu verwalten, sondern dass es ihm im Hinblick auf die an ihn herangetragene Verkehrsnachfrage und die Anforderungen an einen wirtschaftlichen Betrieb zusteht, einen entsprechenden Ausbau seiner Einrichtung durchzuführen. Die Rolle der im Wettbewerb stehenden Betreiber von im öffentlichen Interesse betriebenen Anlagen ist noch nicht abschließend geklärt. Von einem Wettbewerbssystem kann hinsichtlich der Flughafeninfrastruktur nicht gesprochen werden, soweit Flughäfen Teil der der Bedarfsbefriedigung dienenden öffentlichen Verkehrsinfrastruktur sind. Ein freier Marktzutritt für Flughafenbetreiber ist nicht vorgesehen. Ein allein auf einer unternehmerischen Entscheidung beruhender „freier“ Marktaustritt ist ebenfalls nicht möglich. Im Hinblick auf die aus § 45 Abs. 1, 2 LuftVZO folgende Betriebspflicht bedarf es auch hierfür einer planerischen Behördenentscheidung74. Flugplätze dienen der Befriedigung eines Verkehrsbedarfs, der wegen des aus § 25 Abs. 1 S. 1 LuftVG folgenden Flugplatzzwanges nur auf diesen Einrichtungen befriedigt werden darf. Die Betriebspflicht ist daher auch Ausdruck der daseinsvorsorgerischen Tätigkeit von Flughäfen75. Infrastruktureinrichtungen stehen, wenn sie Daseinsvorsorge darstellen, grundsätzlich nicht in einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb miteinander. Sie dienen der Befriedigung eines öffentlichen Be___________ 73 Vgl. BVerwG, Urt. vom 24.7.2008 – 4 A 3001.07 –, Juris RdNr. 76; BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 –, Juris RdNr. 27. 74 BVerwG, Beschl. vom 29.11.2007 – 4 B 22.07 –, Juris RdNr. 10, das die Entscheidung über die Aufhebung einer luftrechtlichen Genehmigung, soweit sie nicht nur Unternehmergenehmigung ist, über § 6 Abs. 4 S. 2 LuftVG als wesentliche Änderung an die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 bis 3 LuftVG knüpft. 75 Hofmann/Grabherr, LuftVG, § 6 RdNr. 134.

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzeptes

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darfs. Sie sind aber Teil des Wettbewerbs von Wirtschaftsregionen und Voraussetzung für die Art und die Qualität der wirtschaftlichen Betätigung von Unternehmen in einer Region. 2. Die Bedeutung der Luftverkehrsgesellschaften Andererseits ist es der Flughafenbetreiber, der durch sein Geschick Luftverkehrsgesellschaften zur Nutzung seines Platzes anhält. Die Luftverkehrsgesellschaften sind aber – anders als die Flughafenbetreiber – nicht verpflichtend am Gemeinwohl orientiert, sondern private (erwerbswirtschaftliche) Unternehmen. In diesem Sinne muss ein Ausbau auch eine Angebotsplanung darstellen. Das Flughafenkonzept sollte diese Besonderheit des Luftverkehrs aufgreifen. Die „Attraktivität“ eines Flughafens im „Wettbewerb“ bestimmt sich aus der Sicht von Flugreisenden und Fluggesellschaften. Die Nachfrage nach Umsteigeverkehr ist nicht auf einen bestimmten Flughafen angewiesen, sondern könnte grundsätzlich an jedem Flughafen abgewickelt werden. Ein Umsteigeflughafen wird durch die Fluggesellschaften bestimmt, die diesen durch eigene Investitionen zum „Drehkreuz“ für ihr Verbindungsnetz machen. Die Drehkreuzfunktion beruht auf der Entscheidung der Luftverkehrsgesellschaft, ihre Fluggäste durch Zu- und Abbringerflüge an einem Ort zusammenzubringen und von dort weiter zu verteilen. Voraussetzung für die Entscheidung einer Luftverkehrsgesellschaft hierfür ist, dass der Flugplatz über eine entsprechende technische Kapazität verfügt, um die Drehkreuzflüge zu bewältigen. Die Luftverkehrsgesellschaft hat insoweit ein Interesse an der Sicherung der Drehkreuzfunktionalität. Dies geschieht über die Landerechte, deren Exklusivität durch „Großvaterrechte“ gesichert ist. Die Sicherung und Effektivierung der Drehkreuzfunktion kann auch zur exklusiven Nutzung von Abfertigungsanlagen oder Wartungseinrichtungen führen. Derartige Exklusivitäten können aus Sicht des Flughafens eine Verbesserung seiner Marktposition darstellen. Im Hinblick auf die allgemeine Zugänglichkeit des Flugplatzes und die Frage der Zuwendung wettbewerbswidriger Vorteile können sie andererseits auch schwierige rechtliche Fragen aufwerfen. Auch die Errichtung von Wartungseinrichtungen kann unter finanzieller Beteiligung der Fluggesellschaftern erfolgen, die mit diesen Investitionen eine (berechtigte) Nutzungserwartung verbinden. Im Wettbewerb können aber die Nutzer der Infrastruktur bzw. Ersteller der Daseinsvorsorgeleistung stehen. Insoweit ist auch anerkannt, dass das Interesse von Flughafennutzern an der Erhaltung einer Erwerbsquelle im Rahmen der Abwägung jedenfalls dann Relevanz hat, wenn in den Standort investiert worden ist76. Der umgekehrte Fall, ___________ 76

BVerwG, Beschl. vom 1.11.2007 – 4 VR 3001.07 –, Juris RdNr. 19.

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dass Luftverkehrsgesellschaften zur Durchführung ihrer Dienstleistungen auf „neue“ Plätze angewiesen sein könnten, weil bestehende Plätze ihnen keine Landezeiten mehr zur Verfügung stellen können, ist bei der Frage der Planung/Lenkung zu betrachten. Bei stark frequentierten Flughäfen findet ein spürbarer Wettbewerb der Luftfahrtgesellschaften um die Nutzungsmöglichkeiten der Infrastruktureinrichtung statt. Die Nutzung von Flugplätzen ist nicht unbegrenzt möglich. Es bestehen technisch/faktische Kapazitätsgrenzen, insbesondere bei der Nutzung der flugbetrieblichen Einrichtungen (Abfertigungsanlagen, Vorfeldern und Start- und Landebahnen). Diese (technischen) Nutzbarkeitsgrenzen werden durch die Koordination der Slots (Vergabe von Zeitnischen zum Starten und Landen) sichtbar. Eine vollständige Koordination [vgl. Art. 2 Buchstabe g), Art. 3 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 95/93] erfolgt in Deutschland auf den Flugplätzen Frankfurt, München, Düsseldorf, Stuttgart und Berlin, die nach dem Entwurf des Flughafenkonzepts auch eine besondere Bedeutung für die Abwicklung Luftverkehrs haben. Bei weiteren zehn Flughäfen handelt es sich um flugplanvermittelte Flughäfen [vgl. Art. 2 Buchstabe I) VO(EWG) Nr. 95/93]. Die Kapazitätsengpässe auf den koordinierten Flughäfen können auch wegen der Nutzungsstrategie der Luftverkehrsgesellschaften nur bedingt durch die Nutzung anderer Flugplätze aufgefangen werden. In der Regel ist der Ausbau der bestehenden Kapazität von stark genutzten Flughäfen notwendig. Das Leitbild des dezentralen Flugplatzsystems legt zumindest eine räumliche Gleichverteilung von Zugängen zum nationalen und internationalen Luftverkehr nahe. Die Dezentralisierung des Zugangs zum Luftverkehrsnetz wiederum ist aber nicht nur eine Frage der (freien) Kapazitäten von Flugplätzen, sondern auch der Interessen und Möglichkeiten der Luftverkehrsgesellschaften durch eigene Investitionen „einen Platz aufzubauen“. Die Luftverkehrsgesellschaften sind in der Regel privatwirtschaftlich tätige Unternehmen, die miteinander in Konkurrenz stehen. Sie sind für das Angebot ihrer Leistungen (Interkontinentalverkehr, Kontinentalverkehr, innerdeutscher Verkehr, Geschäftsreiseverkehr, Charterverkehr, Linienverkehr) auf die Infrastruktureinrichtung Flughafen angewiesen. Diese Infrastruktureinrichtung steht zwischen dem Bürger, dessen Verkehrsbedarf befriedigt werden soll, und dem Luftverkehrsunternehmer, der die entsprechenden Beförderungskapazitäten bereit hält. Eine Planung kann hier – schon angesichts des Bestandes – keine grundlegende Veränderung der Struktur, sondern nur eine Ergänzung bewirken.

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzeptes

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V. Fazit Der Entwurf des Flughafenkonzeptes dient der Konkretisierung der öffentlichen Interessen im Sinne von § 6 Abs. 3, § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG. Hierzu setzt das Konzept einerseits an Verkehrsnachfrage an, andererseits nimmt es die Finanzierung der Flughäfen unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe und der Verwendung öffentlicher Gelder in den Blick. Darüber hinaus bezieht es auch Auswirkungen, insbesondere auf die Umwelt, die mit dem Luftverkehr verbunden sind, in seine Betrachtung mit ein. Die schwierigen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die den Luftverkehr in der Frage des Verkehrsinteresses deutlich von denen bei Straße und Schiene unterscheiden, werden noch nicht vollständig bewältigt. Es bleibt unklar, inwieweit die geäußerten Vorstellungen auf der Grundlage des geltenden Rechts umgesetzt werden können und sollen. Auch die Frage, ob das Flughafenkonzept möglicherweise selbst eine andere rechtliche Verbindlichkeit erhalten sollte, wird nicht erörtert, Dagegen ist die Kritik des Bundesumweltministeriums nicht gerechtfertigt. Ein Verkehrskonzept muss – die Zulässigkeit des Verkehrs vorausgesetzt – zunächst einmal von diesem und damit der Nachfrage nach ihm ausgehen. Es dient der Konkretisierung der öffentlichen Interessen im Sinne von § 6 Abs. 3, § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG. In dem Konzeptentwurf wird das besonderes Interesse an einer geordneten und nachfragegerechten Entwicklung der Flughäfen betont, wobei insbesondere eine sinnvolle Gestaltung des Gesamtsystems der deutschen Flughäfen untereinander und in der wettbewerblichen Aufstellung in Bezug auf den internationalen Verkehr im Vordergrund steht77. Dabei wird die Bedeutung der Großflughäfen besonders hervorgehoben78. Allerdings wird auch deutlich, dass die notwendige Optimierung des föderalen Flughafensystems durch die effizientere Nutzung vorhandener Strukturen und die Optimierung von Kapazitäten insbesondere ohne Neubau erfolgen soll. Die Grenzen die der Zulässigkeit dieser Nachfrage – etwa aus ökologischen Anforderungen – zu ziehen sind, können nur bedingt Eingang finden. Sie sind vor allem Aufgabe der entsprechenden Rechtssetzung bzw. der im Luftverkehrsrecht besonders verankerten Konsultationen nach § 32a LuftVG. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die diesbezügliche Kritik aus dem Bundesumweltministerium die – z.T. gerade erst unter seiner maßgeblichen Beteiligung geschaffenen – Regelungen zum Schutz vor den nachteiligen Wirkungen des Luftverkehrs nicht ausreichend berücksichtigt hat. Dies gilt sowohl für die Regelungen des novellierten Fluglärmgesetzes, aber auch für die auf gemeinschaftsrechtlicher Grundlage geschaffenen Regelungen zur Luftreinhalte- und Lärmaktions___________ 77 78

Flughafenkonzept, S. 3. Flughafenkonzept, S. 57.

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planung, der Ausdehnung des Emissionsrechtehandels, der strategischen Umweltprüfung sowie der Vorgaben zum Gebiets- und Artenschutz. Das Konzept enthält unter diesen Voraussetzungen einen sehr weitgehenden Teil zur „nachhaltigen“ Entwicklung des Flughafensystems79. Auch das Fernstraßenausbauund das Schienenwegeausbaugesetz diskutieren nicht die ökologische Sinnhaftigkeit des Verkehrs, sondern bilden die Grundlage für eine nachfragegerechte Bewältigung von Verkehrsbedürfnissen.

Anhang 1

Runways

Flughafen80

Verkehr 2001 Pax

Fracht (t)

Verkehr 2008 Fbw

Pax

Fracht (t)

Fbw

Frankfurt

07L/25R 4.000/60 07R/25L 4.000/45 18 4.000/45 07/25 2.800/45 (im Bau)

48.559.980

1.494.125

456.452

53.467.450

2.133.302

485.783

München

08R/25L 4.000/60 08L/25R 4.000/60 4.000/60 (beantragt)

23.646.900

135.000

337.653

34.530.593

274.464

432.296

Berlin (jetzt)81

07L/25R 3.000/45 (SFX) 08L/26R 3.023/46 (TXL) 08R/26L 2.428/46 (TXL)

12.598.892

31.171

221.005

21.403.327

32.005

267.436

Düsseldorf

05R/23L 3.000/45 05L/23R 2.700/45 15/33 1.630/50 (Querwind)

15.392.970

52.426

193.507

18.151.252

70.467

228.533

Hamburg

05/23 3.250/45,8 15/33 3.666/45,8

9.490.432

26.706

158.569

12.838.350

37.266

172.067

Köln/Bonn

14L/32R 3.815/60 14R/32L 1.863/45 07/25 2.459/45

5.705.819

448.426

150.174

10.342.931

591.983

141.673

Stuttgart

07/25 3045/45

7.632.286

16.716

146.771

9.924.697

31.948

160.241

Hannover

09L/27R 3.800/45 09R/27L 2.340/45 09C/27R 750/22,5

5.157.558

6.712

89.902

5.637.517

18.601

86.798

Leipzig/ Halle

08R/26L 3.600/60 08L/26R 3.600/45

2.174.031

7.845

42.408

2.457.077

442.451

59.924

___________ 79 80 81

Flughafenkonzept, S. 59 ff. Quelle Luftfahrthandbuch Deutschland (AD2). Im Bau: BBI mit 07R/25L 4.000/60 und 07L/25R 3.600/45.

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzeptes Anhang 2

Runways

Flughafen82

101

Verkehr 2007 Pax

Fracht (t)

Fbw

Zürich

16/34 3.700 14/32 3.300 10/28 2.500

20.686.986

290.653

268.537

Wien

16/34 3.600 11/29 3.500

18.768.468

254.870

272.362

Amsterdam83

04/22 2.014/45 06/24 3.500/45 09/27 3.453/45 18R/36L 3.800/60 18C/36C 3.300/45 18L/36R 3.400/45

47.692.521

1.651.385

454.360

LondonHearhrow84

09R/27L 3.658 09L/27R 3.902

68.068.554

1.395.909

481.356

Paris Charles de Gaulle85

09R/27L 4.200 08L/26R 4.215 09L/27R 2.700 08R/27L 2.700

59.919.383

2.297.896

552.721

Madrid

18L/36R 3.500 18R/36L 4.350 15L/33R 3.500 15R/33L 4.100

52.143.275

322.244

483.284

___________ 82

Quelle Plath/Rothfischer, Das große Buch der Verkehrsflughäfen, 2008. Quelle ACI Information brief July 2008. 84 London ist mit insgesamt fünf Flugplätzen an das europäische/internationale Luftverkehrsnetz angeschlossen. 85 Paris ist mit zwei Flugplätzen an das europäische/internationale Luftverkehrsnetz angeschlossen. 83

Der Entwurf eines neuen Flughafenkonzepts der Bundesregierung Notwendigkeit und rechtlicher Rahmen einer zentralen Flughafenplanung1

Von Tobias Lieber Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat im Juni 2008 den Entwurf eines Flughafenkonzepts der Bundesregierung vorgelegt und den Bundesländern zur Stellungnahme zugeleitet.2 Wenngleich eine offizielle Veröffentlichung des Entwurfs nicht erfolgte und auch ein Anhörungsverfahren unter Beteiligung der betroffenen Verbände und Institutionen nicht durchgeführt wurde, hat der Entwurf des Flughafenkonzepts doch lebhafte und kontroverse Reaktionen der verschiedenen Seiten ausgelöst. Eine Auseinandersetzung mit dem Entwurf des Flughafenkonzepts der Bundesregierung ist nicht sinnvoll, solange nicht die Anforderungen an eine derartige Planung sowie deren rechtliche Rahmenbedingungen geklärt sind. Auch eine nicht-rechtsförmige Planung, wie sie das Flughafenkonzept der Bundesregierung nach dem vorliegenden Entwurf zunächst darstellen soll, muss sich über ihre Zielsetzung, ihren rechtlichen Kontext und die damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten vergewissern. Im Folgenden soll deshalb zunächst die Frage gestellt werden, zu welchem Zweck wir eine zentrale staatliche Flughafenplanung benötigen (I.) und in welchem rechtlichen Rahmen sich diese zentrale Flughafenplanung bewegt (II.). Erst dann kann der Frage nachgegangen werden, ob der Entwurf des Flughafenkonzepts der Bundesregierung den definierten Zielsetzungen und rechtlichen Rahmenbedingungen genügt (III.).

___________ 1 Ausgearbeitetes Thesenpapier des auf dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag am 4. März 2009 gehaltenen Vortrags. 2 Vgl. Pressemitteilung des BMVBS Nr. 153/2008 vom 13.6.2008.

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I. Zielsetzungen staatlicher Flughafenplanung 1. Eine staatliche Bedarfsplanung für das öffentliche Infrastrukturangebot – beispielsweise für die Bereitstellung von Krankenhäusern, Straßen, Bildungseinrichtungen etc. – verfolgt in der Regel verschiedene Zielsetzungen. Ihre Aufgabe ist es im Allgemeinen, x den Bedarf für ein bestimmtes Infrastrukturangebot zu ermitteln und zu bewerten, x die Bedarfsgerechtigkeit des vorhandenen Infrastrukturangebots zu überprüfen, um sowohl eine infrastrukturelle Unterversorgung als auch die Schaffung von Überkapazitäten zu vermeiden, x ggf. die Notwendigkeit einer Ergänzung des Infrastrukturangebots festzustellen (Ausbau, Neubau oder Rückbau), x das vorhandene bzw. zu erweiternde Infrastrukturangebot im Sinne eines effizienten Gesamtsystems örtlich und funktional zu koordinieren und mit entgegenstehenden Belangen in Ausgleich zu bringen sowie x für die Finanzierung des Infrastrukturangebots Sorge zu tragen. 2. Ordnet man den Versuch einer zentralen Planung von Flugplätzen in dieses allgemeine Schema staatlicher Infrastrukturbedarfsplanung ein, so sind drei wichtige Gesichtspunkte zu beachten. 2.1 Anders als im Bereich der Bundesverkehrswegeplanung ist im Bereich des Luftverkehrswesens der Staat nicht selbst (bzw. durch ein bundeseigenes Unternehmen) Träger und Betreiber der erforderlichen Infrastruktur (Flugplätze). Flugplätze werden von der öffentlichen Hand weder geplant noch (direkt) finanziert. Die Finanzplanung ist deshalb – sieht man von verschiedenen Formen der Subventionierung einmal ab – kein geeignetes Instrument der Bedarfsplanung. Vielmehr bedient sich die öffentliche Hand zur Befriedigung des öffentlichen Verkehrsinteresses privatrechtlich organisierter Flughafenbetreiber, die allerdings zu großen Teilen von staatlichen bzw. kommunalen Anteilseignern getragen werden. Das betriebswirtschaftliche Interesse der Flughafenbetreiber, das sich in einem Wettbewerbssystem durchsetzen muss, wird vom öffentlichen Verkehrsinteresse in Dienst genommen. Der Staat wirkt deshalb, wenn er eine zentrale Flughafenplanung betreibt, notwendig regulierend auf ein privates Wettbewerbssystem ein. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) insbesondere in seinem Urteil zur Nachtflugregelung auf dem Flughafen München zum Ausdruck gebracht und erst jüngst wieder bestätigt, indem es den Flughafenbetreibern unter den Bedingungen des Fehlens einer staatlichen Flughafenplanung die partielle Berechtigung zu einer Angebotsplanung zugesprochen hat.

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„[Es] ist zu bedenken, dass Verkehrsflughäfen von privatrechtlich organisierten Unternehmen betrieben werden, die als Anbieter von Flughafenleistungen in einem bundes- und europaweiten, teilweise auch globalen Wettbewerb stehen, in dem es nicht zuletzt um die Sicherung und Förderung von Wirtschaftsstandorten geht. Die Situation ist ferner dadurch gekennzeichnet, dass eine rechtsverbindliche Flughafennetz- und Bedarfsplanung, die auftretende Kapazitäts- und Verteilungsprobleme auf der Grundlage einer luftverkehrspolitischen Gesamtkonzeption löst und einen ‚Verteilungskampf‘ der Flughafenbetreiber in geordnete Bahnen lenkt, weder auf europäischer noch nationaler Ebene existiert (vgl. allerdings das Flughafenkonzept der Bundesregierung vom 30. August 2000). Unter diesen Rahmenbedingungen kann es einem Flughafenbetreiber nicht von vornherein verwehrt sein, bestehende Nachtflugmöglichkeiten zu erweitern, um sich für einen prognostizierten allgemeinen Anstieg der Nachfrage im Personen- und Frachtflugverkehr ‚zu rüstenǥ. Eine Genehmigungsbehörde verhält sich systemkonform, wenn sie über Nachtflugregelungen Einfluss auf die Angebots- und Nachfragestruktur im Luftverkehr nimmt und das Verkehrsangebot auf diese Weise voraussehbaren Entwicklungen anpasst.“3

2.2 Der Wettbewerbscharakter kennzeichnet jedoch nur die erste Eigenheit des Luftverkehrswesens. Von mindestens ebenso großer Bedeutung ist dessen Verhältnis zu den marktexternen Belangen der Umwelt. Bau und Betrieb von Flugplätzen haben erhebliche Auswirkungen auf deren Umgebung und auf die Belange von Natur und Umwelt. Im Interesse des Ausgleichs konfligierender Belange und des schonenden Umgangs mit natürlichen Ressourcen hat eine staatliche Flughafenplanung deshalb darauf hinzuwirken, dass das öffentliche Verkehrsinteresse in der umweltverträglichsten Art und Weise befriedigt wird. So ist insbesondere die Schaffung von Überkapazitäten zu vermeiden und die vorhandene Infrastruktur in bestmöglicher Weise effizient zu nutzen. Zugleich ist der Luftverkehr an derjenigen Stelle abzuwickeln, an der die geringsten Umweltauswirkungen auftreten, und er ist weitest möglich durch umweltverträglichere Verkehrsträger – insbesondere Hochgeschwindigkeitszüge – zu ersetzen. Die Realisierung dieser Ziele kann nicht allein in einem Wettbewerbssystem erreicht werden, sondern bedarf staatlicher Regulierung. 2.3 Vor diesem Hintergrund ist das öffentliche Verkehrsinteresse an der Ermöglichung von Flugverkehr nicht notwendig deckungsgleich mit dem betriebswirtschaftlichen Interesse der einzelnen Flughafenbetreiber. Im öffentlichen Interesse liegt nicht automatisch die Abwicklung von Luftverkehr an einem bestimmten Standort, sondern die Befriedigung bestehender Verkehrsinteressen durch das Angebot an Luftverkehrsdienstleistungen insgesamt. Erst im zweiten Schritt stellt sich die Frage, welcher Standort zur Befriedigung des (segment- und regionalspezifischen) Luftverkehrsbedarfs – auch unter Würdigung entgegenstehender Belange – am geeignetsten ist. Deshalb muss eine ___________ 3

BVerwG, Urt. vom 20.4.2005, 4 C 18/03, Rn. 27 (Juris) (Nachtflugregelung München); ebenso BVerwG, Urt. vom 16.10.2008, 4 C 6/07, Rn. 47 (Juris) (Flughafen Niederrhein).

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staatliche Flughafenplanung den bestehenden Luftverkehrsbedarf feststellen und den vorhandenen bzw. zu erweiternden Flugplätzen bestimmte Funktionen zur Befriedigung dieses Luftverkehrsbedarfs zuweisen. Luftverkehr, der nicht von dieser Funktionszuweisung des betreffenden Flugplatzes gedeckt ist, liegt dann nicht mehr im öffentlichen Interesse. Nicht jeder für einen bestimmten Standort prognostizierte Flugverkehr entspricht dann auch notwendig dem öffentlichen Interesse. Dies hat das OVG Münster in seinem Urteil zum Flughafen Niederrhein zum Ausdruck gebracht, das zwar im Revisionsverfahren unter Zurückverweisung aufgehoben, in dem relevanten Punkt aber nicht beanstandet wurde. „[Es] ergeben sich nachhaltige Zweifel am Bestehen einer – im Wortsinn verstandenen – Notwendigkeit einer Nachfragebefriedigung durch die Schaffung der Möglichkeit zivilen Flugverkehrs auf der ehemals militärisch genutzten Liegenschaft. […]. Es versteht sich von selbst, dass Flugverkehr nicht allenthalben ‚vor Ort‘ angeboten werden kann. […]. Die Ableitung einer Notwendigkeit der Nachfragebefriedigung aus dem Grad der Inanspruchnahme anderer Flughäfen setzt daher eine räumlich umfassendere und koordinierende wertend-gewichtende Entscheidung voraus, um öffentliches Verkehrsinteresse im Einzelfall zum Tragen zu bringen. Die Sichtweise von einzelnen Vorhaben her birgt die Gefahr in sich, dass sich mehrere Flughäfen auf einen Verkehr ausrichten, der letztlich doch von dem am stärksten frequentierten Flughafen noch aufgenommen wird, und damit Konkurrenzsituationen auftreten, die einer Verkehrsinfrastruktur abträglich sind; […]. Es geht hier allein um die Frage, ob und inwieweit öffentliche Interessen bezüglich der Verkehrsinfrastruktur und damit zusammenhängend auch der Wirtschaftsförderung sowie sonstiger landesplanerischer Vorstellungen mit einem vom Flughafenbetreiber verfolgten Konzept einhergehen oder kollidieren […].“4

3. Als erste These kann somit einer zentralen staatlichen Flughafenplanung die Aufgabe zugesprochen werden, x den vorhandenen bzw. zukünftigen Luftverkehrsbedarf segment- und regionalspezifisch sowie unter Berücksichtigung alternativer Verkehrsträger zu ermitteln und zu bewerten, x die zur Befriedigung dieses Luftverkehrsbedarfs geeignetsten Standorte unter Berücksichtigung entgegenstehender Belange zu identifizieren, x diesen Standorten Verkehrsfunktionen zuzuweisen, x im Hinblick auf diese Verkehrsfunktionen ggf. Ausbaubedarfe festzustellen und x den Ausbau weniger geeigneter Standorte zu unterbinden.

___________ 4 OVG NRW, Urt. vom 3.1.2006, 20 D 118/03.AK u.a., Rn. 72 (Juris) (Flughafen Niederrhein); nachgehend dazu BVerwG, Urt. vom 16.10.2008, 4 C 5/07 u.a.

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II. Rechtlicher Rahmen 1. Eine staatliche Flughafenplanung, die den genannten Anforderungen entspricht, muss Gegenstand einer (nicht-vorhabenbezogenen) Fachplanung sein. Das Raumordnungsrecht ermöglicht zwar die Festlegung von Flughafenstandorten (§ 8 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3a ROG n.F.), nicht aber eine verbindliche Bedarfsplanung oder eine Zuweisung der Funktion einzelner Flughafenstandorte.5 Zudem kommt Raumordnungsplänen in der Regel keine Ausschlusswirkung gegenüber den nicht berücksichtigten Standorten zu, sofern nicht ausdrücklich der Standort für ein bestimmtes Projekt festgelegt wurde6 oder anderweitige raumordnungsrechtliche Belange den Ausbau eines bestimmten Standorts verhindern. Schließlich wird raumordnungsrechtliche Planung (bisher) ausschließlich auf Landesebene betrieben, während eine sinnvolle Flughafenplanung länderübergreifend durch den Bund erfolgen muss. 2. Die Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren nach §§ 6 und 8 LuftVG sind nicht geeignet, der Notwendigkeit einer zentralen staatlichen Flughafenplanung gerecht zu werden. Diese Verfahren sind faktisch zu sehr dem jeweiligen Vorhaben bzw. dem jeweiligen Vorhabenträger verhaftet. Dies zeigt sich insbesondere an den faktischen Grenzen der rechtlich gebotenen Alternativenprüfung. So hat das BVerwG zwar entschieden, dass im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens für den Ausbau eines bestimmten Standorts (durch einen bestimmten Vorhabenträger) auch andere Standortalternativen zu prüfen sind, sofern sie im Wesentlichen denselben Verkehrsbedarf decken würden. Allein der Umstand, dass der Alternativstandort für den betreffenden Vorhabenträger möglicherweise überhaupt nicht verfügbar, jedenfalls aber nicht gewollt ist, stellt somit kein rechtliches Hindernis für die Alternativenprüfung dar.7 Praktisch findet eine ernsthafte Prüfung von Standortalternativen jedoch kaum statt, da in der Regel kein Vorhabenträger vorhanden ist, der die (Ausbau-)Planung für den Alternativstandort in der erforderlichen Detailgenauigkeit ausarbeiten und vorantreiben würde. Die Chancen der Realisierung des Vorhabens an einem anderen Standort sind deshalb durch die Planfeststellungsbehörde zumeist kaum abzuschätzen. Zudem stößt die Alternativenprüfung an faktische Grenzen, wenn der Alternativstandort in einem anderen Bundesland und damit außerhalb der Regelungskompetenz der zuständigen Planfeststellungs- oder Genehmigungsbehörde liegt. ___________ 5

Vgl. BVerwG, Beschl. vom 7.11.1996, 4 B 170/96, Rn. 6 (Juris) (dort offen gelassen); BayVerfGH, Entsch. vom 15.7.2002, VF 10-VII-00, Rn. 77 (Juris); BVerwG, Urt. vom 16.3.2006, 4 A 1001/04, Rn. 60 (Juris); Steiner, in: FS Blümel, 1999, S. 549 ff.; Badura, BayVBl 1976, S. 515, 517. 6 Dazu BVerwG, Urt. vom 16.3.2006, 4 A 1001/04, Rn. 68 (Juris) (Flughafen Berlin-Schönefeld). 7 BVerwG, Urt. vom 13.12.2007, 4 C 9/06, Rn. 67 (Juris) (Memmingerberg).

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3. Die Zuständigkeit für eine zentrale staatliche Flughafenplanung, die über die Planfeststellungsentscheidung hinausgeht, liegt beim Bund. Unabhängig davon, ob die Infrastrukturplanung dem Bereich der Exekutive oder Legislative zugeordnet wird,8 folgt dies sowohl aus Art. 87d Abs. 1 GG wie aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG. Die von Art. 87d Abs. 2 GG eröffnete Möglichkeit, den Ländern Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung als Auftragsverwaltung zu übertragen, hat der Bund hinsichtlich einer staatlichen Flughafenplanung, soweit sie über die einzelne Genehmigungs- oder Planfeststellungsentscheidung hinausgeht, weder in § 31 Abs. 2 LuftVG noch in § 10 Abs. 1 Satz 1 LuftVG genutzt. Damit besitzen die Länder eine Kompetenz zur übergreifenden Planung im Bereich des Luftverkehrswesens nur innerhalb der Grenzen des Raumordnungsrechts.9 4. Eine einfachgesetzliche Rechtsgrundlage für eine zentrale Flughafenplanung des Bundes fehlt jedoch bisher.10 In § 17 Abs. 2 ROG n.F. hat der Bundesgesetzgeber eine Rechtsgrundlage für Festlegungen zu länderübergreifenden Standortkonzepten für Flughäfen in Raumordnungsplänen des Bundes geschaffen, deren Anwendungsbereich aber zugleich auf die verkehrliche Anbindung der Flughäfen im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung beschränkt. Damit ist der Bundesgesetzgeber auf halbem Wege stehen geblieben. 5. Anknüpfungspunkt für eine beschränkte rechtliche Bedeutung einer zentralen Flughafenplanung des Bundes kann aber nach bisheriger Rechtslage § 6 Abs. 3 LuftVG sein, dessen Anwendung hinsichtlich der öffentlichen Interessen des Bundes gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG dem Bund obliegt.11 Die Rechtsprechung hat anerkannt, dass das in § 6 Abs. 3 LuftVG angesprochene öffentliche Verkehrsinteresse (auch) im Bundesverkehrswegeplan formuliert ist.12 Eine zentrale Flughafenplanung des Bundes kann deshalb über § 6 Abs. 3 LuftVG insofern Bedeutung für die einzelnen Genehmigungsverfahren erlangen, als sie Aussagen über die Vereinbarkeit des jeweiligen Vorhabens mit dem öffentlichen Verkehrsinteresse enthält. Dagegen kann eine zentrale Flughafenplanung des Bundes über den Versagungstatbestand des § 6 Abs. 3 LuftVG keine vorhabenslegitimierende Wirkung erlangen.13 ___________ 8 Vgl. BVerfG, Beschl. vom 17.7.1996, 2 BvF 2/93, Rn. 46 (Juris) (Südumfahrung Stendal). 9 A.A. wohl Schwenk/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 3. Aufl., S. 506. 10 Vgl. Koch/Wieneke, NVwZ 2003, S. 1153, 1155. 11 Vgl. Steiner, in: FS Blümel, 1999, S. 549, 550. 12 VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 28.2.2005, 8 S 2004/04, Rn. 35 (Juris) (Flugplatz Lahr). 13 Offen gelassen für das Abwägungsgebot nach § 8 Abs. 1 S. 2 LuftVG: BVerwG, Beschl. vom 19.5.2005, 4 VR 2000/05, Rn. 30 (Juris).

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6. Angekündigt wird im Entwurf des Flughafenkonzepts der Bundesregierung (S. 58 und S. 77), dass das BMVBS die „öffentlichen Belange“ durch Erlass oder im Wege einer Durchführungsverordnung konkretisieren wolle. Die erforderliche Rechtsgrundlage für eine derartige Rechtsverordnung ist aber zweifelhaft. In Betracht kämen allenfalls § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 oder Nr. 9a LuftVG. Zumindest nach der Kommentarliteratur eröffnen beide Rechtsgrundlagen nicht die Möglichkeit einer Konkretisierung des öffentlichen Verkehrsinteresses im Sinne des § 6 Abs. 3 LuftVG. Es spricht auch wenig dafür, dass der Gesetzgeber in § 32 LuftVG die Möglichkeit eröffnen wollte, über die Konkretisierung abstrakt-allgemeiner Tatbestandsmerkmale hinaus eine konkrete Bedarfsplanung im Wege der Rechtsverordnung zu betreiben. 7. Als zweite These ist damit festzuhalten, dass eine zentrale Flughafenplanung als übergreifende Fachplanung im Zuständigkeitsbereich des Bundes liegt. Das Raumordnungsrecht ermöglicht den Ländern keine echte Flughafenbedarfsplanung. Eine rechtsverbindliche Flughafenplanung des Bundes bedürfte aber der Schaffung entsprechender einfachrechtlicher Rechtsgrundlagen. Bis dahin kann eine Flughafenplanung des Bundes nur über den Versagungstatbestand des § 6 Abs. 3 LuftVG beschränkte Auswirkungen auf die einzelnen Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsverfahren haben. Insbesondere kommt der Flughafenplanung des Bundes bisher nicht die Konsequenz einer planerischen Rechtfertigung von Ausbauvorhaben zu, wie sie für die Bedarfspläne nach § 1 FStrAbG bzw. § 1 BSchwAG anerkannt ist.

III. Bewertung des Entwurfs des Flughafenkonzepts der Bundesregierung 1. Die dem Flughafenkonzept zugrundeliegende Bedarfsermittlung ist unzureichend. Das Flughafenkonzept geht auf der Grundlage einer Prognose aus dem Jahr 2005 von einem auch in Zukunft ungebrochenen Wachstum des Luftverkehrs aus. Nicht berücksichtigt werden dabei die wachstumshemmenden Faktoren, die sich insbesondere aus dem rasanten Anstieg des Ölpreises in den vergangenen drei Jahren sowie den auch für die Zukunft prognostizierten weiteren Steigerungen ergeben können. 2. Die Bedarfsermittlung geht davon aus, dass die Entwicklung des Luftverkehrs auch in Zukunft nicht durch politisches Handeln reglementiert wird. Es wird nicht ernsthaft der Versuch unternommen, im Interesse des Klimaschutzes beschränkend auf das Luftverkehrswachstum einzuwirken. Es fehlt an einem klaren Bekenntnis zur finanziellen (Emissionskontingente) bzw. steuerlichen (Kerosinsteuer) Belastung der Schadstoffemissionen des Luftverkehrs. 3. Begrüßenswert ist, dass sich dem Flughafenkonzept Ansätze eines regulierenden Eingriffs in die Luftverkehrswirtschaft entnehmen lassen (vgl. S. 7).

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Die regulierende Zielsetzung beschränkt sich aber darauf, Beeinträchtigungen des Luftverkehrsangebots durch ein Überangebot an betriebswirtschaftlich unrentablen Flugplätzen zu verhindern (vgl. S. 7 und S. 48). Gefordert wird eine stärkere Berücksichtigung der Wettbewerbseffekte von Ausbauvorhaben. Diejenigen Ausbauvorhaben, die betriebswirtschaftlich nicht tragfähig sind und/oder die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit anderer Flugplätze gefährden („Kannibalisierung“), sollen verhindert werden. Letztlich geht es dabei wohl auch um den Schutz größerer Verkehrsflughäfen vor der Konkurrenz durch subventionierte Regionalflughäfen. 4. Über den rein ökonomisch begründeten regulativen Ansatz hinaus fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der Frage, durch welche Verkehrsträger und ggf. an welchen Luftverkehrsstandorten ein bestehendes Verkehrsbedürfnis unter Berücksichtigung entgegenstehender Belange des Klima-, Umwelt- und Lärmschutzes befriedigt werden soll. Politische Steuerung der Flughafen(ausbau)planung im Sinne eines nicht nur volkswirtschaftlich effizienten, sondern auch umweltpolitisch verträglichen Luftverkehrsangebots fehlt weitgehend. Die im Entwurf des Flughafenkonzepts beschworene nachhaltige Verkehrspolitik bleibt eine Worthülse, da sie sich nicht in umweltpolitisch motivierten regulativen Eingriffen in den Luftverkehrsmarkt niederschlägt. So wird etwa das Ziel einer Verlagerung von Kurzstreckenflügen auf die Bahn nicht mit konkreten Flugverbindungen und Einsparungspotentialen untermauert (vgl. S. 66). 5. Der regulative Ansatz des Flughafenkonzepts ist jedoch nicht nur ökonomisch beschränkt. Er wird auch so lange ins Leere laufen, wie sich die angestrebte „Potential- und Konkurrenzanalyse“ auf eine vorhabensbezogene Betrachtung beschränkt. Erforderlich wäre es, dass der Bund von sich aus und im Vorfeld einzelner Genehmigungs- oder Planfeststellungsverfahren eine planerische Entscheidung über Anzahl, Standort und Funktion von Flugplätzen trifft. Diese Planungsentscheidung ist auf das Ziel eines ökonomisch und ökologisch möglichst effizienten Gesamtsystems auszurichten. Das erleichtert dann auch die rechtsfehlerfreie Versagung einer Genehmigung nach § 6 LuftVG, die nicht allein auf Erwägungen des Konkurrenzschutzes gestützt werden kann.14 6. Insgesamt betrachtet bleibt das Flughafenkonzept der Bundesregierung nahezu durchgehend viel zu abstrakt. Die allgemeinen Ausführungen zu den Zielen und Maßnahmen der Bundesregierung sind kaum geeignet, tatsächlich steuernd auf die Entwicklung des Luftverkehrsangebots einzuwirken. Konkret wird das Flughafenkonzept nur da, wo es den Ausbau- bzw. Realisierungsbedarf für bereits planfestgestellte oder im Planfeststellungsverfahren befindliche Vorhaben an den Flughäfen Berlin, Frankfurt und München postuliert (vgl. ___________ 14 Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 28.2.2005, 8 S 2004/04, Rn. 35 ff. und 49 ff. (Juris) (Flugplatz Lahr).

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S. 50). Ein weitergehendes Konzept, das eine detaillierte Betrachtung aller Flugplatzstandorte beinhalten müsste, fehlt vollständig. 7. Zudem ist das Flughafenkonzept der Bundesregierung in der jetzigen Form nicht geeignet, den erforderlichen Rahmen für die Entwicklung der deutschen Flughafenlandschaft mit einer hinreichenden rechtlichen Verbindlichkeit zu schaffen. Zwar wird die Forderung nach einer für die Länder verpflichtenden umfassenden Planung wichtiger Verkehrsinfrastrukturen durch den Bund aufgestellt (S. 8), eine Schaffung entsprechender Rechtsgrundlagen durch den Bund ist aber offenbar nicht vorgesehen. 8. Von bemerkenswerter Einseitigkeit sind die Ausführungen im Flughafenkonzept der Bundesregierung zu nächtlichen Flugbetriebsbeschränkungen, die zudem auch noch unter der Überschrift einer Optimierung der Nutzung vorhandener Kapazitäten behandelt werden (vgl. S. 52 ff.). Es ist erstaunlich, dass der vermeintliche Bedarf für die Zulassung nächtlichen Flugbetriebs anerkannt wird, ohne auf die maßgebliche Vorschrift des § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG sowie die dazu ergangene Rechtsprechung15 auch nur mit einem Wort einzugehen. Ebenso fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der neueren lärmmedizinischen Forschung zur gesundheitlichen Beeinträchtigung durch nächtliche Fluglärmbelastungen, wie sie etwa im Umweltgutachten 2008 des Sachverständigenrats für Umweltfragen angesprochen ist. Dabei wird noch nicht einmal mit einem tatsächlichen Nachtflugbedarf argumentiert, sondern vorrangig mit der (vermeintlichen) Konkurrenzsituation gegenüber anderen europäischen Flughäfen mit (angeblich) weniger restriktiven Betriebsregelungen. Gerade an diesem Punkt ist das Flughafenkonzept der Bundesregierung als politisches Positionspapier ohne rechtlich relevanten Einfluss auf die maßgebliche Vorgabe des § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG anzusehen. 9. Bemerkenswert ist auch die Forderung des Flughafenkonzepts der Bundesregierung nach einer Beschleunigung von Planungsverfahren. An dieser Stelle werden die Realisierungszeiten von Flughafenprojekten etwa in China als Beispiel dargestellt. Die Planungsverfahren einer autoritären Rechtsordnung sollen offenbar als Rechtfertigung für die Beschneidung von Beteiligungsrechten herangezogen werden. Die Bundesregierung würde der Beschleunigung von Planungsverfahren wohl besser dadurch dienen, dass sie einen transparenten und demokratischen Mechanismus der zentralen Flughafenplanung etabliert, der manche Bedarfs- und Standortfrage entscheidet und damit allen Beteiligten Planungssicherheit gibt. 10. Die abschließende Bewertung ergibt, dass es dem Entwurf des Flughafenkonzepts der Bundesregierung an einer belastbaren Ermittlung und einer ___________ 15 Vgl. zuletzt BVerwG, Urt. vom 24.7.2008, 4 A 3001/07 (Flughafen Leipzig/ Halle).

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nicht lediglich ökonomischen Bewertung des Luftverkehrsbedarfs fehlt. Das Wachstum des Luftverkehrs wird als Tatsache angesehen, aber nicht politisch gesteuert. Eine wirkliche Flughafenplanung, die die geeignetsten Verkehrsträger und Standorte zur Befriedigung des Verkehrsbedarfs identifizieren würde, ist nicht erkennbar. Es wird nicht versucht, geeignete Rechtsgrundlagen für eine rechtsverbindliche Flughafenplanung des Bundes zu schaffen. Insbesondere die Ausführungen zum Nachtflugbedarf sind von einer erheblichen Einseitigkeit zu Gunsten des Interesses der Luftverkehrswirtschaft und zu Lasten der vom Fluglärm betroffenen Menschen geprägt. Aufgrund der genannten Defizite erweist sich der Entwurf des Flughafenkonzepts der Bundesregierung als ein politisches Papier, das nicht geeignet ist, im Sinne eines transparenten und demokratischen Entscheidungsprozesses zu einer rationalen Bedarfsplanung beizutragen.

Flughafenplanung und Umweltverträglichkeit Von Alexander Jannasch Der Titel meines Vortrags – Flughafenplanung und Umweltverträglichkeit – ist plakativ und damit ungenau. Denn Gegenstand meiner Ausführungen, die sich, wie Sie es von mir erwarten, auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beziehen, ist nicht lediglich die Prüfung der Umweltverträglichkeit, sondern auch die Entscheidung, ob der Betrieb eines Flughafens im Hinblick auf seine Auswirkung auf die Umwelt genehmigungsfähig ist.

I. Gegensatz Verwaltungsverfahren – materielles Recht Vordergründig betrachtet betrifft die Umweltverträglichkeitsprüfung das Verwaltungsverfahren. Davon zu trennen ist die materiellrechtliche Entscheidung über die Zulassung eines Vorhabens. Auf der Grundlage dieses Gegensatzes zwischen Verwaltungsverfahren und materiellrechtlicher Entscheidung ist dem Bundesverwaltungsgericht in der Literatur der Vorwurf gemacht worden,1 es schätze die Bedeutung des Verwaltungsverfahrens zu gering ein. Dem trete ich schon seit einiger Zeit entgegen.2 Dabei war es sehr en vogue, hervorzuheben, dass das Europarecht den verfahrensrechtlichen Aspekt beim Zustandekommen einer Verwaltungsentscheidung stärker betone als das deutsche Recht und sich das deutsche Recht dem Verfahrensaspekt stärker öffnen solle. Bei näherer Betrachtung und nach mehreren Jahren weiterer Erfahrung mit dem europäischen Umweltrecht lässt sich dieser Gegensatz so nicht aufrechterhalten. Denn das europäische Umweltrecht enthält durchaus auch eindeutige materiellrechtliche Normen und keineswegs nur Handlungsanweisungen zum Verfahren. Als Beispiel seien die Regelungen zu den Luftschadstoffen erwähnt. Auch die das gesamte Fachplanungsrecht ___________ 1 Schoch, Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, in: Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 507, 525. 2 Vgl. Jannasch, in: Durner/Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention, 2005, S. 111.

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stark beeinflussenden Richtlinien des europäischen Naturschutzrechts enthalten in erheblichem Umfang materiellrechtliche Regelungen. Auf der anderen Seite ist das deutsche Fachplanungsrecht – und auch das Recht der Bauleitplanung – durch den Gegensatz von Verwaltungsverfahren und materiellem Recht gänzlich unzureichend beschrieben. Die genannten Planungsentscheidungen unterliegen neben anderen Regelungen vorrangig dem Abwägungsgebot. Beim Abwägungsgebot unterscheiden wir bekanntlich zwischen dem Abwägungsvorgang und dem Abwägungsergebnis. Beide werden in Deutschland dem materiellen Recht zugeordnet. Bei einer rechtsvergleichenden Betrachtung ist aber zu beachten, dass das Ermitteln, Beschreiben und Bewerten von Umweltauswirkungen auch als Teil des Verfahrens angesehen werden kann.

II. Umweltverträglichkeitsprüfung und Abwägungsgebot Mehrere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts verdeutlichen diese Nähe der europäischen Anforderungen an das Ermitteln, Beschreiben und Bewerten der Auswirkungen eines Vorhabens mit dem in der deutschen Rechtstradition anerkannten Abwägungsgebot. Im Bauplanungsrecht hat der Gesetzgeber mit dem EAG-Bau in § 2 Abs. 3 BauGB ausdrücklich formuliert, dass bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind, zu ermitteln und zu bewerten sind. In der Literatur ist diese Regelung als nahezu überflüssig bezeichnet worden. Sie solle wohl den Studenten Erleichterungen beim Erlernen des Bauplanungsrechts bieten3 und – so könnte man ergänzen – den Kandidaten im Examen helfen, da sie ja das Gesetz, nicht aber die Rechtsprechung vor sich haben dürfen. In Wahrheit wollte der Gesetzgeber der Umweltplanungsrichtlinie4 Rechnung tragen und auch der stets misstrauischen Europäischen Kommission belegen können, dass die Richtlinie korrekt umgesetzt worden ist. Das Bundesverwaltungsgericht war in einem Urteil vom 9. April 20085 mit der Heilungsvorschrift in § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB befasst. Danach ist eine Verletzung von Verfahrensvorschriften für die Rechtswirksamkeit von ___________ 3 Jörg Schmidt, Neues aus der Gesetzgebung und der obergerichtlichen Rechtsprechung zum Bauplanungsrecht, VBlBW 2004, 452 (Fn. 13). 4 Richtlinie 2001/42/EG vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. EG Nr. L 197 S. 30). 5 BVerwG, Urt. vom 9. April 2008 – BVerwG 4 CN 1.07 – BVerwGE 131, 100 = Buchholz § 214 BauGB Nr. 23; die Entscheidungen des BVerwG sind auch unter www.bverwg.de abzurufen.

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Plänen nur beachtlich, wenn entgegen der soeben genannten Regelung in § 2 Abs. 3 BauGB die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn dieser Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis von Einfluss gewesen ist. Der Rechtsprechung stellte sich die Frage, welche Bedeutung der Formulierung „in wesentlichen Punkten“ zukommt. In der Literatur ist die Auffassung vertreten worden, diese Formulierung sei entbehrlich, da der Gesetzgeber auch insoweit nichts Neues habe regeln wollen.6 Dafür mag Einiges sprechen. Aber die Gerichte sind auch an dasjenige Recht gebunden, das nach Meinung der Beobachter vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung eigentlich entbehrlich ist. Das Bundesverwaltungsgericht löste das Problem mit folgender Aussage: Von der Planung berührte, nicht zutreffend ermittelte oder bewertete Belange betreffen bereits dann „wesentliche Punkte“ im Sinne der Planerhaltungsvorschrift des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB, wenn diese Punkte in der konkreten Planungssituation abwägungsbeachtlich waren. Damit wurde eine Verknüpfung des europarechtlich gestützten Gebots, die Belange zu ermitteln und zu bewerten, mit der Rechtsprechung zum Abwägungsgebot vorgenommen.

III. UVP bei Konversionsvorhaben Auf die besondere Bedeutung von Konversionsvorhaben im Luftverkehrsrecht und ihren zeitgeschichtlichen Hintergrund habe ich bereits im vorigen Jahr hingewiesen.7 Der Gesetzgeber hat in § 8 Abs. 5 LuftVG eine Spezialregelung geschaffen, deren Reichweite in mehreren neueren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts näher ausgelotet worden ist.8 Die UVP-Pflichtigkeit von Konversionsvorhaben beurteilt sich nach § 8 Abs. 5 Satz 3 Halbs. 2 LuftVG in der seit dem 3. August 2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVURichtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1950) – des sogenannten Artikelgesetzes. ___________ 6 Lemmel, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Rn. 25 zu § 214; Söfker, in: Ernst/ Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Rn. 39g zu § 214 BauGB. 7 Jannasch, Aktuelle Entwicklungen des Luftverkehrsrechts im Spiegel der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, VBlBW 2008, 361. 8 BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007 – BVerwG 4 C 9.06 – BVerwGE 130, 83 = 442.40 § 8 LuftVG Nr. 30 – Flughafen Memmingen – Allgäu; Urt. vom 16. Oktober 2008 – BVerwG 4 C 5.07 – und BVerwG 4 C 3.07 – Buchholz 442.40 § 8 – Flughafen Niederrhein.

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Nach dieser Vorschrift findet eine Planfeststellung oder Plangenehmigung im Fall der Öffnung eines ehemaligen Militärflugplatzes für die zivile Nutzung nicht statt. Jedoch muss das Genehmigungsverfahren den Anforderungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) entsprechen, wenn die zivile Nutzung des Flugplatzes mit baulichen Änderungen oder Erweiterungen verbunden ist, für die nach dem UVPG eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Der Übergang von der militärischen zur zivilen Nutzung fordert wegen der erhöhten Sicherheitsanforderungen an den zivilen Flugbetrieb typischerweise bauliche Anpassungen der Flugverkehrsflächen und eine Erweiterung der Hindernisfreiflächen. Für derartige Anpassungen genügt regelmäßig eine Änderungsgenehmigung.9

IV. Umweltverträglichkeitsprüfung auch im Widerspruchsverfahren Im Fall des Flughafens Niederrhein10 ergab sich durch die zeitliche Abfolge noch eine Besonderheit: Die Vorschrift des durch das Gesetz vom 27. Juli 2001 eingefügten § 8 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 LuftVG war anzuwenden, obwohl die angefochtene Änderungsgenehmigung bereits am 20. Juni 2001 – also einen Monat vorher – erlassen worden war. Das ergibt sich aus allgemeinen Grundsätzen des Übergangsrechts. Das Luftverkehrsgesetz trifft keine spezialgesetzliche Übergangsregelung für § 8 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 LuftVG. Die Vorschrift gilt daher für alle Genehmigungsverfahren, die im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens noch nicht abgeschlossen waren. Bei Inkrafttreten des § 8 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 LuftVG am 3. August 2001 waren die Widersprüche der Kläger gegen die Änderungsgenehmigung noch nicht beschieden. Das Genehmigungsverfahren war daher noch nicht beendet. Das Ausgangsverfahren bildet mit den Widerspruchsverfahren eine Einheit und wird erst mit einem etwaigen Widerspruchsbescheid endgültig abgeschlossen11. Das folgt aus dem engen funktionalen Zusammenhang zwischen Ausgangs- und Widerspruchsverfahren. Dieser Zusammenhang zeigt sich u.a. darin, dass das Widerspruchsverfahren auch der Selbstkontrolle der Verwaltung dient.12 Die Widerspruchsbehörde hat die Recht- und Zweckmäßigkeit des ___________ 9

BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007 – BVerwG 4 C 9.06 – a.a.O. Rn. 24. BVerwG, Urt. vom 16. Oktober 2008 – BVerwG 4 C 5.07 – Rn. 20 ff. 11 BVerwG, Urt. vom 1. Dezember 1989 – BVerwG 8 C 14.88 – BVerwGE 84, 178 (181). 12 BVerwG, Urt. vom 23. März 1972 – BVerwG 3 C 132.70 – BVerwGE 40, 25 (28 f.); stRspr. 10

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Verwaltungsakts nachzuprüfen (§ 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie hat bei ihrer Entscheidung grundsätzlich Rechtsänderungen zu beachten, die bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides eintreten.13 Sie kann die in einer angefochtenen Genehmigung enthaltenen Auflagen ändern oder neue Auflagen hinzufügen. Änderungen des Ausgangsbescheids können im Widerspruchsverfahren unabhängig von §§ 48, 49 VwVfG erfolgen. Gegenstand der Anfechtungsklage ist der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der verfahrensrechtliche Zusammenhang zwischen Ausgangs- und Widerspruchsverfahren rechtfertigt es, das Widerspruchsverfahren unabhängig von seiner prozessrechtlichen Ausformung als Fortsetzung des Ausgangsverfahrens anzusehen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist daher geklärt, dass das Verwaltungsverfahren (§ 9 VwVfG) im Falle der Erhebung des Widerspruchs gegen den Ausgangsbescheid im Widerspruchsverfahren i.S.v. § 3 Abs. 3 VwVfG „fortgeführt“ wird.14 Dieses Ergebnis entspricht auch dem vom Gesetzgeber mit der Einfügung des § 8 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 LuftVG im Besonderen verfolgten Ziel15 einer gemeinschaftsrechtskonformen Umsetzung der UVP-Richtlinien.16 Gründe dafür, dass die Vorprüfung der UVP-Pflicht im Einzelfall und die Durchführung einer förmlichen UVP (§§ 5 ff. UVPG), insbesondere die Beteiligung von Behörden und der Öffentlichkeit sowie die zusammenfassende Darstellung der Umweltauswirkungen, aus verfahrensrechtlichen oder sonstigen Gründen in einem Widerspruchsverfahren nicht stattfinden könnten, vermochte das Bundesverwaltungsgericht nicht zu erkennen.

V. Änderung des Flugplatzes Nach § 25 Abs. 2 Satz 2 UVPG 2001 sind Vorhaben, die im Anhang II der UVP-Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 (UVP-Richtlinie 1985) aufgelistet sind, hinsichtlich ihrer UVP-Pflichtigkeit einer Vorprüfung zu unterziehen. Zu den Projekten nach Anhang II Nr. 12 der UVP-Richtlinie 1985 gehört die Änderung von Projekten des Anhangs I. Unter Anhang I Nr. 7 ___________ 13 BVerwG, Beschl. vom 3. November 2006 – BVerwG 10 B 19.06 – DÖV 2007, 302; stRspr. 14 BVerwG, Urt. vom 18. April 1986 – BVerwG 8 C 81.83 – Buchholz 316 § 3 VwVfG Nr. 2; ebenso Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, Rn. 23a zu § 9 m.w.N. 15 Vgl. hierzu BTDrucks. 14/4599 S. 64, 160 und BTDrucks. 14/5204 S. 6. 16 Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl L 175 S. 40, geändert durch Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997, ABl L 73 S. 5.

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der UVP-Richtlinie 1985 fällt u.a. der Bau von Flugplätzen mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr. Die Start- und Landebahn des ehemaligen von den Briten genutzten Militärflugplatzes Weeze-Laarbruch hatte eine Länge von 2 440 m und überschreitet damit den Schwellenwert. Die an diesem Flughafen von der Beklagten genehmigten baulichen Änderungen und Erweiterungen stellten somit eine Änderung des Flugplatzes i.S.v. Anhang II Nr. 12 der UVP-Richtlinie 1985 dar, obwohl sie die Start- und Landebahn selbst nicht berühren. Das ergibt sich aus Folgendem: Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 28. Februar 2008 zum Flughafen Lüttich-Bierset17 bezieht sich Anhang II Nr. 12 i.V.m. Anhang I Nr. 7 der UVP-Richtlinie in ihrer ursprünglichen Fassung vom 27. Juni 1985 auch auf Änderungen der Infrastruktur eines vorhandenen Flugplatzes ohne Verlängerung der Start- und Landebahn, sofern diese Arbeiten, insbesondere aufgrund ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Merkmale, als Änderung des Flugplatzes selbst anzusehen sind. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist ohne Weiteres davon auszugehen, dass bauliche Änderungen und Erweiterungen eines ehemaligen Militärflugplatzes mit dem Ziel, diesen für den zivilen Flugbetrieb zu öffnen, jedenfalls dann als eine Änderung des Flugplatzes i.S.v. Anhang II Nr. 12 der UVP-Richtlinie 1985 anzusehen sind, wenn die zivile Nutzung als Verkehrsflughafen erst durch diese baulichen Änderungen und Erweiterungen ermöglicht wird. Das war beim Flughafen Niederrhein aus folgenden Gründen der Fall: Die der Beigeladenen genehmigten baulichen Änderungen betreffen u.a. die Herstellung einer einheitlichen Neigung von ca. 1,5 % über die gesamte Start- und Landebahnbreite, die Verbreiterung der Rollbahnen auf die Regelbreite von 23 m sowie die Anpassung von Abrollbahnen an die besonderen Bedürfnisse des zivilen Luftverkehrs. Nach der Begründung der Änderungsgenehmigung sind diese Änderungen der bestehenden Flugplatzanlage für die Abwicklung des künftigen zivilen Luftverkehrs erforderlich. Es besteht ein Zusammenhang zwischen den genehmigten Arbeiten an den Roll- und Abrollbahnen und dem geplanten zivilen Luftverkehr. Ähnliches galt bereits für den Flughafen Allgäu in Memmingen:18 Dort wurden die Rollbahnen von 12,50 m auf 18 m verbreitert, damit insbesondere Flugzeuge im Charter- und Linienverkehr mit angemessenem Betriebskomfort und gefahrenfrei zum Vorfeldbereich bzw. zur Bahn aus eigenem Antrieb gelangen können. Das Betriebsgelände musste für die Anlegung eines Sicherheitsstreifens entlang der Start- und Landebahn, die Senderschutzzone und die ___________ 17 EuGH, Urt. vom 28. Februar 2007 – Rs. C-2/07 –, NuR 2008, 255 – Flughafen Lüttich-Bierset. 18 BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007 – BVerwG 4 C 9.06 – a.a.O. Rn. 30.

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Anflughilfen erweitert werden. Die Veränderungen dienten dazu, den Flugplatz an die Anforderungen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) an zivile Anlagen anzupassen. Ohne diese Maßnahmen hätte der Platz nicht in der beantragten Weise als regionaler Verkehrsflughafen genutzt werden können.

VI. Was ist der Umweltverträglichkeitsprüfung zugrunde zu legen? Im Falle des Flughafens Allgäu in Memmingen hatte der Beklagte eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls durchgeführt. Auf der Grundlage einer Umwelterheblichkeitsstudie hat er auch die Umweltauswirkungen des geplanten zivilen Flugbetriebs auf den Menschen, die in der Umgebung vorhandenen Schutzgebiete, Flora und Fauna sowie Klima und Lufthygiene ermittelt. Er hat die Umweltauswirkungen des zivilen Flugbetriebs im Vergleich zu denjenigen des früheren militärischen Flugbetriebs jedoch als nicht erheblich bewertet und deshalb eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht durchgeführt. Die Kläger hatten demgegenüber gefordert, die nachteiligen Umweltauswirkungen des Vorhabens losgelöst vom früheren Militärflugplatz und dem dort bestehenden militärischen Flugbetrieb in den Blick zu nehmen. Diese Forderung hat der Verwaltungsgerichtshof mit der Begründung zurückgewiesen, ein derartiges Vorgehen sei rechtlich und methodisch nicht zulässig. Denn dass die nachteiligen Umweltauswirkungen maßgeblich bereits durch die bestehende militärische Anlage und den militärischen Flugbetrieb verursacht worden seien, liege auf der Hand. Auch der Umstand, dass der militärische Flugbetrieb schon geraume Zeit vor der Entwidmung eingestellt gewesen sei, sei für die meisten Konversionsprojekte typisch und führe daher zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Dieser Auffassung, wonach die betriebsbedingten Umweltauswirkungen der zivilen Nutzung eines ehemaligen Militärflugplatzes eine UVP-Pflicht nur dann begründen können, wenn sie über die nachteiligen Umweltauswirkungen, die durch den militärischen Flugbetrieb verursacht wurden, hinausgehen, ist das Bundesverwaltungsgericht nicht gefolgt. Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung und der Vorprüfung sind die Umweltauswirkungen des Vorhabens, über dessen Zulässigkeit im verwaltungsbehördlichen Verfahren zu entscheiden ist (vgl. § 2 Abs. 1 UVPG). Beantragt ein Unternehmer, ihm die zivile Nutzung eines ehemaligen Militärflugplatzes zu gestatten, hat die Genehmigungsbehörde über die Zulassung der neuen Nutzung, also des zivilen Flugbetriebs insgesamt zu entscheiden. Dass die zuständigen militärischen Dienststellen den militärischen Flugbetrieb endgültig einstellen und den Flugplatz spätestens zu dem Zeitpunkt, ab dem die zi-

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vile Nutzung zugelassen wird, aus der militärischen Trägerschaft entlassen, ist nicht Gegenstand, sondern Voraussetzung des Vorhabens. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Luftverkehrsgesetz in § 8 Abs. 7 LuftVG auch die Mischform einer zivilen Nutzung oder Mitbenutzung eines nicht aus der militärischen Trägerschaft entlassenen Militärflugplatzes kennt. Über die Zulassung des zivilen Flugbetriebs bei einer Konversion hat die Genehmigungsbehörde wie bei einer erstmaligen Nutzung zu entscheiden. § 8 Abs. 5 LuftVG gestattet nicht, bei der Bewertung der Erheblichkeit der betriebsbedingten Umweltauswirkungen diejenigen des zivilen Flugbetriebs mit denen des früheren militärischen Flugbetriebs zu saldieren. Eine derartige materiellrechtliche, die Voraussetzungen für die Zulassung der zivilen Nutzung modifizierende Wirkung kommt der Vorschrift nicht zu. § 8 Abs. 5 Satz 1 bis 3 LuftVG bestimmt lediglich, in welchem Verfahren über einen Antrag auf zivile Nutzung eines aus der militärischen Trägerschaft entlassenen Flugplatzes zu entscheiden ist und welchen Inhalt die Genehmigung haben muss. Satz 4 ordnet an, dass ein militärischer Bauschutzbereich bestehen bleibt, bis die Genehmigungsbehörde etwas anderes bestimmt. Auf diese Weise wird verhindert, dass in der Nähe des Flugplatzes Anlagen errichtet werden, die die Sicherheit des Luftverkehrs gefährden und einer künftigen zivilen Nutzung entgegenstehen; die Entscheidung für eine zivile Nutzung soll lediglich offen gehalten werden. § 8 Abs. 5 Satz 5 LuftVG bestimmt als Rechtsfolge einer erteilten Änderungsgenehmigung, dass alle Rechte und Pflichten von dem militärischen auf den zivilen Träger übergehen; die Genehmigungsvoraussetzungen werden dadurch jedoch nicht modifiziert. Auch die Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 5 LuftVG spricht nicht für eine weitergehende Wirkung. Die Vorschrift wurde durch das Planungsvereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 199319 in das Luftverkehrsgesetz eingefügt. Sie griff eine ähnlich schon in § 10 Abs. 2 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes (VerkPBG) vom 16. Dezember 199120 enthaltene Regelung auf.21 Nach Auffassung des Gesetzgebers bei Schaffung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes war die Übernahme bisheriger Militärflugplätze in eine zivile Trägerschaft ein vorrangiges Anliegen in den neuen Bundesländern. Da die Flugplätze bereits angelegt waren, sollte lediglich eine Zulassung für den zivilen Betrieb erforderlich sein.22 Dass auch die Voraussetzungen für die Zulassung des zivilen Betriebs erleichtert werden sollten, ergibt sich daraus nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht. ___________ 19 20 21 22

BGBl I S. 2123. BGBl I S. 2174. Vgl. BTDrucks 12/4328 S. 22. BTDrucks 12/1092 S. 14.

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Ohne eine Saldierung mit den Umweltauswirkungen des früheren militärischen Flugbetriebs hätten der Beklagte und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Fall des Flughafens Memmingen die Erheblichkeit der im Rahmen der Vorprüfung ermittelten betriebsbedingten Umweltauswirkungen des Vorhabens der Beigeladenen jedoch nicht verneinen dürfen. Nachteilige Umweltauswirkungen sind erheblich im Sinne des § 3e Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3c Abs. 1 Satz 1 und 3 UVPG 2001, wenn sie nach § 12 UVPG bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens zu berücksichtigen wären. Der Maßstab für die Erheblichkeit ist dem materiellen Zulassungsrecht zu entnehmen. Nach dem Luftverkehrsrecht (§ 8 Abs. 5 i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG) sind nachteilige betriebsbedingte Umweltauswirkungen der zivilen Nutzung eines ehemaligen Militärflugplatzes bei der Entscheidung über die Änderungsgenehmigung zu berücksichtigen und damit grundsätzlich im UVP-rechtlichen Sinne erheblich, wenn sie mehr als geringfügig und damit abwägungserheblich sind. Eine Vorbereitung der Abwägung durch eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist nicht erst geboten, wenn die Umweltauswirkungen so gewichtig sind, dass sie nach Einschätzung der Behörde zu einer Versagung der Änderungsgenehmigung führen können. Überschreiten die betriebsbedingten Umweltauswirkungen die Grenze der fachplanungsrechtlichen Zumutbarkeit und müssen deshalb gemäß § 9 Abs. 2 LuftVG, Art. 74 Abs. 2 Satz 2 und 3 BayVwVfG zugunsten der Anwohner Schutzmaßnahmen angeordnet und gegebenenfalls eine Außenwohnbereichsentschädigung gewährt werden, kann die Erheblichkeit allenfalls verneint werden, wenn bereits der Vorhabenträger Vermeidungsund Verminderungsmaßnahmen vorgesehen hat und diese die nachteiligen Umweltauswirkungen offensichtlich ausschließen (§ 3c Abs. 1 Satz 3 UVPG 2001). Im Fall des Flughafens Memmingen hatte der Beklagte zugunsten einzeln aufgeführter Wohnlagen Schallschutzmaßnahmen und eine Außenwohnbereichsentschädigung angeordnet. Diese Maßnahmen waren im Antrag der Beigeladenen noch nicht vorgesehen. Außerdem hat sich die Behörde im Rahmen der Abwägung ausführlich mit der Frage befasst, ob über den Antrag hinaus aktiver Lärmschutz durch Betriebsbeschränkungen gewährt werden soll. Bereits hieraus ergibt sich, dass die auf der Grundlage der Vorprüfung erkennbaren Lärmauswirkungen der zivilen Nutzung des Flugplatzes bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens zu berücksichtigen und damit im UVP-rechtlichen Sinne erheblich waren. Hier wird erneut die Verknüpfung der Anforderungen an eine Umweltverträglichkeitsprüfung (oder eine Vorprüfung) mit dem Abwägungsgebot deutlich.

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VII. Keine Aufhebung der Genehmigung bei fehlender Kausalität Die Kläger konnten dennoch nicht verlangen, dass die Änderungsgenehmigung wegen des Fehlens einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung aufgehoben oder ihre Rechtswidrigkeit festgestellt wird mit der Folge, dass sie bis zur Nachholung der Umweltverträglichkeitsprüfung in einem ergänzenden Verfahren nicht vollzogen werden dürfte.23 Dabei ist hervorzuheben, dass in diesem Fall § 4 Abs. 1 des UmweltRechtsbehelfsgesetzes (UmwRBehG) vom 7. Dezember 2006 (BGBl I S. 2816), das zur Umsetzung des durch die Richtlinie 2003/35/EG vom 26. Mai 2003 (ABl Nr. L 156 S. 17) eingefügten Art. 10a UVP-Richtlinie erlassen wurde, noch nicht anwendbar war. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz gilt nur für Verfahren, die nach dem 25. Juni 2005, also nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2003/35/EG, eingeleitet worden sind oder hätten eingeleitet werden müssen (§ 5 UmwRBehG). Denn auch wenn eine rechtlich gebotene Umweltverträglichkeitsprüfung für ein Vorhaben nicht durchgeführt worden ist, kommt die Aufhebung der planerischen Zulassungsentscheidung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur in Betracht, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Behörde nach Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung anders entschieden hätte.24 Die UVP-Richtlinie und die zu ihrer Umsetzung ergangenen nationalen Rechtsvorschriften beschränken sich auf verfahrensrechtliche Anforderungen im Vorfeld der Sachentscheidung, ohne das Umweltrecht materiell anzureichern.25 Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist ein der allgemeinen Abwägung vorgeschalteter Zwischenschritt. Als Ausprägung des Frühzeitigkeitsprinzips soll sie eine auf die Umweltbelange zentrierte Vorabprüfung unter Ausschluss der sonstigen Belange gewährleisten. Die Umweltbelange sollen in gebündelter Form in die Abwägung eingehen. Verstärkt wird die Bedeutung der Umwelt___________ 23

Vgl. BVerwG, Urt. vom 21. März 1996 – BVerwG 4 C 19.94 – BVerwGE 100, 270 (372). 24 BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007 – BVerwG 4 C 9.06 – a.a.O. Rn. 38. Krit. hierzu ohne Eingehen auf die im Urteil vorgenommenen Differenzierungen Gassner, NVwZ 2008, 1203. Vgl. aus der früheren Rechtsprechung: Urt. vom 25. Januar 1996 – BVerwG 4 C 5.95 – BVerwGE 100, 238 (250) und vom 18. November 2004 – BVerwG 4 CN 11.03 – BVerwGE 122, 207 (213); Beschl. vom 22. März 1999 – BVerwG 4 BN 27.98 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 103 (S. 3) und vom 29. Mai 2000 – BVerwG 11 B 65.99 – juris Rn. 5. 25 BVerwG, Urt. vom 25. Januar 1996 a.a.O. S. 243; Beschl. vom 10. Oktober 2006 – BVerwG 9 B 27.05 – Buchholz 406.251 § 11 UVPG Nr. 4 – juris Rn. 18.

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prüfung durch ihren integrativen Ansatz. Unterbleibt eine rechtlich gebotene Umweltverträglichkeitsprüfung, folgt allein aus diesem Umstand jedoch nicht, dass der Zweck der gesetzlichen Regelung nicht erreicht wird und die Abwägungsentscheidung rechtswidrig ist. Der Mangel ist nur unter der Voraussetzung erheblich, dass er auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist. Dies ist nur anzunehmen, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planungsbehörde ohne den Fehler anders entschieden hätte. Im Fall der Flughafens Memmingen ergab sich aus den vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof getroffenen Feststellungen und der Begründung der Änderungsgenehmigung, die das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht unabhängig von etwaigen Verfahrensrügen inhaltlich zu erfassen und zu würdigen hatte, kein Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte nach Durchführung einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung eine andere Entscheidung getroffen hätte. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs wurde die Öffentlichkeit – wie dies gemäß § 9 Abs. 1 UVPG (Art. 6 Abs. 2 UVP-RL in der Fassung der Richtlinie 97/11/EG) bei Durchführung einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich gewesen wäre – zu den Umweltauswirkungen beteiligt. Dies ist ein wichtiger Aspekt, der in der kritischen Würdigung nicht übersehen werden sollte. Die Öffentlichkeit wurde durch Auslegung der Antragsunterlagen informiert; die betroffene Öffentlichkeit und die Umweltbehörden hatten Gelegenheit zur Äußerung. Die Beigeladene hatte u.a. eine Umwelterheblichkeitsstudie zu den Auswirkungen des Vorhabens auf die in § 2 Abs. 1 Satz 2 UVPG genannten Schutzgüter, ein lärmtechnisches Gutachten, eine lärmmedizinische Stellungnahme, eine Relevanzuntersuchung zu den Auswirkungen auf die Luftschadstoffsituation, eine gutachtliche Stellungnahme zu den geplanten Eingriffen für Pflanzen und Tiere und eine FFH-Verträglichkeitsprüfung vorgelegt. Auf dieser Grundlage hat die beklagte Behörde die Umweltauswirkungen des Vorhabens einschließlich der betriebsbedingten Auswirkungen im Rahmen der Abwägung ermittelt, beschrieben und bewertet. Ein Ermittlungsdefizit ist nicht festgestellt worden. Aus der Begründung der Änderungsgenehmigung ergibt sich weiter, dass die Behörde die Erheblichkeit der betriebsbedingten Umweltauswirkungen im Rahmen der planerischen Abwägung nicht aufgrund einer Saldierung mit den entfallenen Auswirkungen des militärischen Flugbetriebs in Frage gestellt hat. Der Fehler bei der Vorprüfung hat sich in der Abwägung somit nicht fortgesetzt. Für die Luftschadstoffe hat der Beklagte ausdrücklich klargestellt, dass das Änderungsvorhaben mit der Gesamtheit der zu erwartenden Emissionen in die Abwägung einbezogen wurde. Auch die durch den zivilen Flugbetrieb entstehenden Lärmbelastungen hat er umfassend ermittelt. Den früheren militärischen Fluglärm hat er weder bei der Festlegung der Zumutbarkeitsgrenze noch der Schwelle zur Abwägungserheblichkeit schutzmindernd berücksichtigt. Die

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Verneinung der Erheblichkeit der lärm- und schadstoffbedingten Auswirkungen auf die als FFH-Gebiet gemeldeten Naturräume beruht nicht auf einer saldierenden Betrachtung, sondern auf der Tatsache, dass sich diese Naturräume auch unter den Rahmenbedingungen des militärischen Flugbetriebs entwickelt haben. Der Beklagte hat nicht nur jeden einzelnen der berührten Belange gegen das Interesse an dem Vorhaben abgewogen, sondern auch eine Abwägung aller gegen das Vorhaben sprechenden Belange in ihrer Gesamtheit gegen das Interesse an dem Vorhaben vorgenommen. Die Umweltbelange hat er zwar nicht – wie dies durch eine Umweltverträglichkeitsprüfung hätte geschehen müssen – vorab gebündelt. Anhaltspunkte dafür, dass eine Bündelung das Gewicht der Umweltbelange so verstärkt hätte, dass diese sich in der Abwägung gegen die für das Vorhaben ins Feld geführten Belange hätten durchsetzen können, sind jedoch nicht ersichtlich. Jedenfalls für Projekte, für die das Genehmigungsverfahren vor Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie über die Beteiligung der Öffentlichkeit26 eingeleitet wurde, gebietet auch das Gemeinschaftsrecht nicht, eine luftverkehrsrechtliche Änderungsgenehmigung wegen des Unterlassens einer rechtlich gebotenen Umweltverträglichkeitsprüfung aufzuheben oder ihren Vollzug auszusetzen, wenn – wie hier – die Öffentlichkeit vor Erteilung der Genehmigung Gelegenheit hatte, sich zu dem Projekt zu äußern, die Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt umfassend geprüft wurden und es keine konkreten Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Behörde eine andere Entscheidung getroffen hätte, sofern eine förmliche Umweltverträglichkeitsprüfung für das Projekt durchgeführt worden wäre. Das ist auch im Hinblick auf die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, insbesondere das Urteil vom 7. Januar 200427 derart offenkundig, dass – wie die gängige Formulierung lautet – auch unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt28. Das Bundesverwaltungsgericht hielt sich daher nicht für verpflichtet, gemäß Art. 234 EG den Gerichtshof anzurufen und ihm die genannte Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.

___________ 26

Richtlinie 2003/35/EG vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme … (ABl. Nr. L. 156 S. 17). 27 EuGH, Urt. vom 7. Januar 2004 – Rs. C-201/02 – Slg. 2004, I-723 – Wells. 28 Vgl. EuGH, Urt. vom 6. Oktober 1982 – Rs. C-283/81 – Slg. 1982, I-3415 – CILFIT.

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Die UVP-Richtlinie in der hier noch anwendbaren Fassung der Richtlinie 97/11/EG regelt die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Verpflichtung, die Umweltverträglichkeit eines Projekts nach den Vorgaben der Richtlinie zu prüfen, auch nicht selbst. Nach dem in Art. 10 EG vorgesehenen Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht zu beheben; die zuständigen Behörden müssen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle allgemeinen oder besonderen Maßnahmen ergreifen, um dem Unterlassen der Umweltverträglichkeitsprüfung eines Projekts abzuhelfen. Daraus folgt jedoch nicht, dass eine bereits erteilte Genehmigung in jedem Fall zurückgenommen oder ausgesetzt werden muss, um die Umweltverträglichkeitsprüfung nachzuholen. Der EuGH hat diese Möglichkeiten in seinem Urteil vom 7. Januar 2004 selbst nur als Beispiele genannt.29 Nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie sind die Einzelheiten des Verfahrens Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats, sie dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzprinzip), und die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsprinzip). Diese Grenzen der Verfahrensautonomie sind nicht überschritten, wenn das deutsche Recht die Nachholung einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung nur verlangt, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass deren Unterlassen auf das Ergebnis der Zulassungsentscheidung von Einfluss gewesen ist. Das Unterlassen einer Umweltverträglichkeitsprüfung hat für einen Betroffenen keine ungünstigeren Rechtsfolgen als andere Verfahrensfehler. Das Kausalitätserfordernis findet seine rechtliche Stütze in der für die Verletzung von Vorschriften über das Verfahren allgemein geltenden Vorschrift des § 46 VwVfG,30 den im Fachplanungsgesetz enthaltenen Planerhaltungsvorschriften (§ 10 Abs. 8 LuftVG) oder in einem für das Fachplanungsrecht allgemein geltenden Grundsatz.31 Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die UVP-Richtlinie den Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit das Recht verleiht, die Durchführung einer gemeinschaftsrechtlich gebotenen Umweltverträglichkeitsprüfung zu verlangen, konnte in diesem Zusammenhang noch offen bleiben.32 Wenn die Richtlinie ein solches Recht begründet, würde die Ausübung des Rechts durch das Kausalitätserfordernis weder praktisch unmög___________ 29

EuGH, Urt. vom 7. Januar 2004 – Rs. C-201/02, a.a.O. Rn. 65. BVerwG, Urt. vom 25. Januar 1996 a.a.O. S. 252. 31 BVerwG, Beschl. vom 20. Februar 2002 – BVerwG 9 B 63.01 – Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 32 = NVwZ 2002, 1235. 32 Ebenso im Urteil vom 26. April 2007 – BVerwG 4 C 12.05 – BVerwGE 128, 358 Rn. 35 – Flughafen Finkenwerder. 30

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lich gemacht noch übermäßig erschwert. Die Mitgliedstaaten müssen die UVPRichtlinie so ausführen, dass die Ausführung in vollem Umfang den Anforderungen entspricht, die sie in Anbetracht ihres wesentlichen Zieles aufstellt; dieses Ziel ist, dass Projekte, bei denen insbesondere aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, vor Erteilung der Genehmigung einer Prüfung auf ihre Auswirkungen unterzogen werden.33 Wenn das Unterlassen einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung dazu geführt hat, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde, sei es, weil die betroffene Öffentlichkeit nicht Gelegenheit hatte, sich zu dem Projekt zu äußern, sei es, weil die Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt nicht oder nicht vollständig geprüft wurden, darf die konkrete Möglichkeit einer anderen Entscheidung nicht verneint werden. In einem solchen Fall scheitert die Aufhebung oder Außervollzugsetzung der Genehmigung an dem Kausalitätserfordernis nicht. Auch in den verbleibenden Fällen darf die Möglichkeit, dass das Abwägungsergebnis bei korrektem Vorgehen anders ausgefallen wäre, nicht leichthin von der Hand gewiesen werden. Darauf hatte der Senat bereits in seinem einen Bebauungsplan betreffenden Urteil vom 18. November 2004 hingewiesen.34 Die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung ist jedoch kein Selbstzweck. Auch das ist in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt. In der Entscheidung vom 11. August 1995 zum Kraftwerk Großkrotzenburg35 hat der EuGH die Vertragsverletzungsklage abgewiesen, weil die Kommission auf den Einwand der Bundesrepublik, de facto habe das Verfahren alle Anforderungen der Richtlinie eingehalten, nicht dargelegt hatte, in welchen konkreten Punkten die Anforderungen der UVP-Richtlinie nicht erfüllt worden waren. Wenn trotz des Unterlassens einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung der wesentliche Zweck der Richtlinie erreicht wurde, ist der verbleibende Verstoß im Wesentlichen formeller Art.36 In einem solchen Fall konkrete Anhaltspunkte für die Möglichkeit zu verlangen, dass die Genehmigungsbehörde ohne den Fehler anders entschieden hätte, erschwert die Ausübung eines etwaigen durch die Richtlinie verliehenen Rechts nicht übermäßig. Denn die Nachholung einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung, die nur eine bereits durchgeführte materielle Prüfung der Umweltauswirkungen wiederholt, würde weder den Klägern noch dem Ziel der Richtlinie nützen. ___________ 33

EuGH, Urt. vom 16. September 2004 – Rs. C-227/01 – Slg. 2004, I-8253 Rn. 47 und vom 23. November 2006 – Rs. C-486/04 – Slg. 2006, I-11025 Rn. 36. 34 BVerwG, Urt. vom 18. November 2004 – 4 CN 11.03 – BVerwGE 122, 207 (213). 35 EuGH, Rs. C-431/92 – Slg. 1995, I-02189 Rn. 45. 36 Vgl. auch EuGH, Urt. vom 16. September 1999 – Rs. C-435/97 – Slg. 1999, I-5613, Rn. 50 ff., (Flughafen Bozen).

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Im Fall des Flughafens Niederrhein37 konnte das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht dagegen nicht beurteilen, ob die Beklagte die von der Konversion betroffene Öffentlichkeit in ausreichender Weise beteiligt hatte. Denn in diesem Fall hatte der Vorhabenträger weitere abwägungserhebliche Unterlagen nachgereicht. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des in diesem Fall (nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 und Satz 2 UVPG 2001) noch anzuwendenden UVPG 1990/1997 hat die zuständige Behörde die Öffentlichkeit zu den Umweltauswirkungen des Vorhabens auf der Grundlage der ausgelegten Unterlagen nach § 6 UVPG 1990/1997 anzuhören. Ändert der Träger des Vorhabens die danach erforderlichen Unterlagen im Laufe des Verfahrens, darf er von einer erneuten Anhörung der Öffentlichkeit absehen, soweit keine zusätzlichen oder anderen erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu besorgen sind (§ 9 Abs. 1 Satz 3 UVPG 1990/1997). Die Beklagte hatte zwar in analoger Anwendung des § 73 VwVfG NRW vor Erlass der Änderungsgenehmigung ein Anhörungsverfahren durchgeführt, in dessen Rahmen sie die betroffene Öffentlichkeit über die Antragsunterlagen der Beigeladenen unterrichtet und angehört hat. Im Widerspruchsverfahren hatte der Vorhabenträger jedoch weitere umweltrelevante Unterlagen nachgereicht, die u.a. die Ermittlung von Fluglärmbelastungen und deren medizinische Bewertung auf der Grundlage der aktuellen Verkehrsentwicklung am Flughafen Niederrhein zum Gegenstand hatten. Die Behörde teilte ausdrücklich die Auffassung eines Gutachters, „dass sich die Struktur des Verkehrs am Flughafen gegenüber seiner 1997 getroffenen Prognose … signifikant verändert“ habe und legte auch die erst im Widerspruchsverfahren vorgelegten Gutachten ihrer Abwägung zugrunde. Daher konnte im Revisionsverfahren nicht geklärt werden, ob die von der Beklagten und auch vom Oberverwaltungsgericht festgestellte Entwicklung des Flugbetriebs der Beklagten Anlass geben musste, die Öffentlichkeit zu den Umweltauswirkungen des Vorhabens nach § 9 Abs. 1 UVPG 1990/1997 unter Auslegung der nachträglich im Widerspruchsverfahren vorgelegten Gutachten erneut anzuhören.38

VIII. Nachholen der UVP-Vorprüfung In einem baurechtlichen Verfahren, das die Genehmigung eines Putenmaststalls zum Gegenstand hatte, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Ur___________ 37 38

Urt. vom 16. Oktober 2008 – 4 C 5.07 – Buchholz 442.40 § 8 LuftVG. Urt. vom 16. Oktober 2008 – 4 C 5.07 – Rn. 42.

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teil vom 20. August 200839 entschieden, dass eine UVP-Vorprüfung in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 1 und 2 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann. Die Vorprüfung des Einzelfalls gemäß § 3c UVPG dient dem Zweck festzustellen, ob das Vorhaben erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann und deshalb einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist oder nicht. Insoweit unterscheidet sich die Einzelfallprüfung nicht von der Prüfung der Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung anhand der von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwellenwerte bzw. Kriterien. Die Prüfung, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist, kann ihren Zweck auch dann noch erfüllen, wenn die Behörde sie erst bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachholt. Davon geht auch § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes aus, der auf das vor dem 25. Juni 2005 eingeleitete (vgl. § 5 URG) Verfahren noch nicht anwendbar war. Nach dieser Vorschrift kann, wenn eine erforderliche Vorprüfung nicht durchgeführt worden ist, die Aufhebung der Zulassungsentscheidung nur verlangt werden, wenn die Vorprüfung nicht nachgeholt worden ist. In der Gesetzesbegründung wird ferner ausdrücklich auf die in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 URG genannte Möglichkeit hingewiesen, das gerichtliche Verfahren auszusetzen, damit die zuständige Behörde die Vorprüfung nachholen kann und als für die Heilung in Betracht kommende Rechtsgrundlage u.a. § 45 Abs. 2 VwVfG genannt.40 Führt die fehlerfreie Nachholung der Vorprüfung zu dem Ergebnis, dass das Vorhaben einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht unterzogen werden muss, so ist die Fehlerkorrektur abgeschlossen; das Genehmigungsverfahren muss nicht neu durchgeführt werden.41 Ergibt die nachgeholte Vorprüfung hingegen, dass das Vorhaben erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, eine Umweltverträglichkeitsprüfung also hätte durchgeführt werden müssen, wird die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Regel im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden können. Die Umweltverträglichkeitsprüfung soll gewährleisten, dass die Umweltauswirkungen frühzeitig (§ 1 Nr. 1 UVPG) ermittelt, beschrieben und bewertet werden. Es soll eine auf die Umweltbelange zentrierte Vorabprüfung unter Ausschluss der sonstigen Belange, die sich für oder gegen das Vorhaben ins Feld führen lassen, erfolgen.42 Die Öffentlichkeit ist zu beteiligen (§ 9 UVPG). ___________ 39

BVerwG 4 C 11.07 – BVerwGE 131. BTDrucks 16/2495 S. 14. 41 Ziekow, NVwZ 2007, 259 (265); Kment, NVwZ 2007, 274 (277); ders., in: Hoppe, UVPG, 3. Aufl. 2007, Vorbemerkungen Rn. 71. 42 BVerwG, Urt. vom 18. November 2004 – BVerwG 4 CN 11.03 – BVerwGE 122, 207 (211). 40

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Das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung ist bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens zu berücksichtigen (§ 12 UVPG). Auch das Gemeinschaftsrecht (Art. 2 Abs. 1 UVP-Richtlinie) verlangt, die Umweltverträglichkeit von Projekten, bei denen unter anderem aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, vor Erteilung der Genehmigung zu prüfen.43 Maßnahmen, die erst im Anschluss an eine Genehmigung getroffen wurden, sind unbeachtlich. Daraus folgt jedoch nicht, dass auch die Vorprüfung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Tatsacheninstanzen nicht mehr nachgeholt werden kann. Die Vorprüfung hat eine andere Funktion als die Umweltverträglichkeitsprüfung. Sie soll eine Entscheidung über die Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung ermöglichen; eine darüber hinausgehende Bedeutung für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens kommt ihr nicht zu. Die Öffentlichkeit muss an der Vorprüfung nicht beteiligt werden. Der Gefahr, dass eine Behörde, die die Vorprüfung erst im gerichtlichen Verfahren nachholt, die Umweltauswirkungen nicht ergebnisoffen prüft, wird durch die tatrichterliche Kontrolle der Vorprüfung im bereits anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren entgegen gewirkt. Ob die Vorprüfung entsprechend den Vorgaben von § 3c UVPG durchgeführt worden ist, insbesondere ob die Behörde den Rechtsbegriff der Erheblichkeit der Umweltauswirkungen zutreffend ausgelegt hat,44 und ob das Ergebnis der Vorprüfung nachvollziehbar ist, unterliegt gemäß § 3a Satz 4 UVPG der gerichtlichen Kontrolle. Über eine gesicherte Rechtsposition verfügt der Bauherr vor Unanfechtbarkeit der Baugenehmigung nicht.

IX. Rügebefugnis bei fehlender Umweltverträglichkeitsprüfung Im Urteil zum Flughafen Niederrhein hat sich das Bundesverwaltungsgericht auch zu der Frage der Rügebefugnis bei fehlender Umweltverträglichkeitsprüfung geäußert, die er in früheren Entscheidungen noch offen lassen konnte. Für die zivile Nutzung eines ehemaligen Militärflugplatzes ist gemäß § 8 Abs. 5 Satz 1 LuftVG eine Änderungsgenehmigung nach § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG erforderlich. Diese Genehmigung ist einerseits Unternehmergenehmigung, andererseits aber auch Planungsentscheidung. Sie unterliegt somit den rechtlichen Anforderungen an eine fachplanerische Abwägungsentscheidung. ___________ 43 EuGH, Urt. vom 3. Juli 2008 – Rs. C-215/06, Rn. 49 – Irland und vom 25. Juli 2008 – Rs. C-142/07 – Rn. 33 – Ecologistas en Acción; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30. April 2008 – Rs. C-142/07 – Rn. 62. 44 BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007 – BVerwG 4 C 9.06 – a.a.O. Rn. 34.

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Als Fluglärmbetroffene können die Kläger daher beanspruchen, dass ihre Lärmschutzbelange mit dem ihnen zustehenden Gewicht in die planerische Abwägung der Genehmigungsbehörde eingestellt und mit den für das Vorhaben angeführten öffentlichen Verkehrsbelangen in einen Ausgleich gebracht werden, der zur objektiven Gewichtigkeit der einzelnen Belange nicht außer Verhältnis steht.45 Im Rahmen ihres Anspruchs auf gerechte Abwägung können die Kläger auch geltend machen, dass ihre Lärmschutzbelange wegen des Unterlassens einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) fehlerhaft ermittelt, bewertet und gewichtet worden seien.

X. Klagebefugnis ausländischer Grenznachbarn Der Flughafen Niederrhein warf ferner interessante Fragen zur Rechtsposition der im benachbarten Ausland – hier den Niederlanden – lebenden Anwohner auf. Ausländischen Grenznachbarn (einschließlich der Grenzgemeinden), die sich gegen eine luftverkehrsrechtliche Konversionsgenehmigung nach § 8 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG zur Wehr setzen und die durch das Vorhaben ausgelösten grenzüberschreitenden Lärmimmissionen abwehren wollen, kann die Klagebefugnis in aller Regel nicht abgesprochen werden. Ihre Klagebefugnis ist allerdings weder im Luftverkehrsgesetz noch in der Verwaltungsgerichtsordnung ausdrücklich geregelt. Sie hängt davon ab, ob die Rechtsnormen, deren Verletzung geltend gemacht wird, auch dem ausländischen Grenznachbarn subjektiv-öffentliche Rechte verleihen. Entscheidend ist, ob diese Normen auch dem Schutz ausländischer Grenznachbarn zu dienen bestimmt sind. Die Klagebefugnis folgt dem materiellen Recht. Konversionsgenehmigungen unterliegen – wie dargestellt – den rechtlichen Anforderungen an eine fachplanerische Abwägungsentscheidung. Im Bundesgebiet ansässigen fluglärmbetroffenen Nachbarn eines Konversionsvorhabens steht daher ein Anspruch auf gerechte Abwägung ihrer Lärmbelange in der planerischen Abwägung der Genehmigungsbehörde zu. Aus dem fachplanungsrechtlichen Abwägungsgebot folgt auch die Klagebefugnis lärmbetroffener ausländischer Grenzgemeinden und Nachbarn eines auf dem Bundesgebiet genehmigten Flughafenprojekts. Das Immissionspotential eines grenznahen Flughafenvorhabens macht vor den Staatsgrenzen Deutschlands nicht Halt. Es ist daher zu fragen, ob das luftverkehrsrechtliche Abwä___________ 45 Ebenso BVerwG, Urt. vom 11. Juli 2001 – BVerwG 11 C 14.00 – BVerwGE 114, 364 (367) – Flughafen Bitburg.

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gungsgebot Anhaltspunkte dafür bietet, dass sich der Drittschutz auf die Bewohner des Bundesgebiets beschränkt. Eine solche territoriale Beschränkung der Schutzwirkung gibt das Abwägungsgebot nicht her. Es zielt auf die Ermittlung, Bewertung und Gewichtung aller nach Lage der Dinge betroffenen privaten und öffentlichen Belange und erfasst insbesondere Schutzgüter wie Leben, Gesundheit und Eigentum. Eigentumsbelange machte auch die niederländische Gemeinde geltend. Werden diese Rechtsgüter ohne ausdrückliche Beschränkung auf inländische Personen geschützt, bedarf es eines besonderen Grundes dafür, Nachbarn im grenznahen Ausland die drittschützende Wirkung des Abwägungsgebots vorzuenthalten. Ein derartiger Grund ist nicht erkennbar. Das gilt auch für abwägungserhebliche grenzüberschreitende Immissionen, deren Auswirkungen weder die grundrechtlich relevante Schwelle einer Gefährdung der vorgenannten Schutzgüter noch die fachplanungsrechtliche Zumutbarkeitsgrenze erreichen. Aus dieser Erwägung hatte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 4. Mai 200546 der Betreiberin des Flughafens Zürich ein Recht auf Berücksichtigung ihrer Belange bei der Festlegung der Flugrouten zu diesem Flughafen über deutsches Staatsgebiet zuerkannt: Das zuständige LuftfahrtBundesamt dürfe seinen Blick nicht gleichsam an der Grenze des deutschen Hoheitsgebiets enden lassen. Lege es Flugverfahren für einen ausländischen Flughafen fest, müsse es auch die Auswirkungen der Regelungen auf den Betrieb dieses Flughafens in seine Entscheidung einbeziehen. Das bei der Entscheidung zu berücksichtigende Abwägungsgebot vermittle dem ausländischen Flughafenbetreiber einen Anspruch auf gerechte Abwägung seiner Belange. Auch das ist eine Form des grenzüberschreitenden Nachbarschutzes. Die grenzüberschreitende Drittwirkung des luftverkehrsrechtlichen Abwägungsgebots kann schließlich im Anschluss an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 1986 zum Kernkraftwerk Emsland47 im Wege völkerrechtsfreundlicher Auslegung auf die Anforderungen des zwischenstaatlichen Nachbarrechts zurückgeführt werden. Das Verbot grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen gehört heute zu den wenigen Umweltschutzregeln, bei denen es als sicher erscheint, dass sie Bestandteil des universellen Völkergewohnheitsrechts sind.48 Die Anerkennung der Klagebefugnis ausländischer ___________ 46 BVerwG, Beschl. vom 4. Mai 2005 – BVerwG 4 C 6.04 – BVerwGE 123, 322 (330 ff.). 47 BVerwG, Urt. vom 17. Dezember 1986 – BVerwG 7 C 29.85 – BVerwGE 75, 285 (286 bis 289). 48 Beyerlin, Umweltvölkerrecht, 2000, Rn. 117; Epiney, ArchVR 33 (1995) 309; Heintschel von Heinegg, Internationales öffentliches Umweltrecht, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, Rn. 17 ff.

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Grenznachbarn trägt zur effektiven Durchsetzung dieser völkerrechtlichen Verpflichtung des Genehmigungsstaates bei.49 Das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip (Grundsatz der Ausschließlichkeit der staatlichen Gebietshoheit) kann der Klagebefugnis ausländischer Grenznachbarn nicht entgegengehalten werden. Der Schutz ausländischer Grenznachbarn durch das Abwägungsgebot des deutschen Fachplanungsrechts stellt keine Ausübung von Hoheitsgewalt auf fremdem Staatsgebiet dar. Aus völkerrechtlicher Sicht erforderlich ist allerdings, dass für den grenzüberschreitenden Nachbarschutz des Abwägungsgebots ein ausreichender inländischer Anknüpfungspunkt besteht, der es rechtfertigt, dem im Ausland wohnenden Grenznachbarn ein subjektiv-öffentliches Abwehrrecht gegen eine nach deutschem Recht erlassene Zulassungsentscheidung zu verleihen. Dieser Anknüpfungspunkt kann hier ohne weiteres in den grenzüberschreitenden Lärmimmissionen des auf deutschem Staatsgebiet genehmigten Konversionsvorhabens gesehen werden.

XI. Wirkungen des deutsch-niederländischen Staatsvertrags Der deutsch-niederländische Staatsvertrag vom 29. April 2003 steht der (eingeschränkten) Klagebefugnis der Klägerin ebenfalls nicht entgegen. Der Vertragstext lässt nicht – wie dies für einen derartigen Ausschluss erforderlich wäre – offensichtlich und eindeutig erkennen, dass die Vertragsstaaten der klagenden Gemeinde und anderen niederländischen Grenznachbarn die Möglichkeit nehmen wollten, sich vor deutschen Verwaltungsgerichten gegen die Konversionsgenehmigung zur Wehr zu setzen. Ausweislich seiner Präambel ist der Vertrag zwar „in dem Wunsch“ abgeschlossen worden, „Mensch, Natur und Umwelt in den Grenzregionen möglichst umfassend gegen ungewünschte Auswirkungen des grenzüberschreitenden Luftverkehrs zu schützen“. Die der Bundesrepublik eingeräumte Befugnis zur Ausübung der Luftverkehrskontrolle in einem Teil des niederländischen Luftraums (Art. 1 ff.) wird daher in Art. 6 und 7 des Vertrages durch ein differenziertes Lärmschutzsystem für das grenznahe niederländische Hoheitsgebiet ergänzt. Dem Vertrag ist jedoch kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass die beiden Staaten in ihrem Verhältnis zueinander die Unanfechtbarkeit der Änderungsgenehmigung festschreiben wollten. Der Rechtsweg zu den deutschen Verwaltungsgerichten wird nicht ausgeschlossen. Dem Vertrag ist weder ausdrücklich noch sinngemäß zu entnehmen, dass der Betrieb des Flughafens Niederrhein nach deutschem Luftverkehrsrecht ___________ 49

Im Ergebnis ebenso: Beyerlin, EuGRZ 1987, 119 (120); Blümel, in: Festschrift f. K. Doehring, 1989, 89 (100 ff.); Bothe, UPR 1987, 170 (171); Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Rn. 221 ff. zu § 42 Abs. 2 m.w.N.

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als genehmigt gilt. Es ist nicht eine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Klage, ob die Klägerin mit ihrem Anfechtungsantrag ungeachtet der vertraglich vereinbarten Lärmschutzmaßnahmen die (vollständige oder teilweise) Aufhebung der Änderungsgenehmigung beanspruchen kann. Der Staatsvertrag hat aber eine andere rechtliche Wirkung: Er beeinflusst den Maßstab der gerichtlichen Abwägungskontrolle. Die vom Oberverwaltungsgericht in Anwendung der § 6 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 8 Abs. 5 Satz 1 LuftVG vorgenommene Überprüfung der planerischen Abwägung in den angefochtenen Bescheiden beachtet dies nicht. Das OVG blendet, soweit es um die Belange der Klägerin (Entwicklung der touristischen Infrastruktur, Eigentumsbelange) geht, die Regelungen des deutsch-niederländischen Staatsvertrages zur Beschränkung der Auswirkungen des Flugbetriebs über niederländischem Staatsgebiet aus seiner Abwägungskontrolle aus. Diese eingeschränkte Sichtweise wird dem Regelungsinhalt der Änderungsgenehmigung und des Staatsvertrages nicht gerecht. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage der klagenden Gemeinde mit den Klageverfahren der auf Bundesgebiet in der Nähe des Flughafens wohnenden Kläger zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Soweit es die Änderungsgenehmigung nebst Widerspruchsbescheiden aufgehoben hat, unterscheidet es bei der Abwägungskontrolle nicht zwischen der niederländischen Grenzgemeinde und den auf Bundesgebiet wohnenden Klägern. Gegenstand seiner Überprüfung sind die in Abschnitt A.I.Nr. 5 des verfügenden Teils der Genehmigung geregelten Flugzeiten für den Betrieb nach Instrumentenflugregeln über Bundesgebiet. Nach Ansicht des OVG ist diese weite Öffnung des ehemaligen Militärflugplatzes für den zivilen Luftverkehr „im genehmigten Umfang“ abwägungsfehlerhaft, weil die Beklagte das öffentliche Interesse an der Realisierung des Konversionsvorhabens und das Gewicht der entgegenstehenden Lärmschutzbelange nicht mit der erforderlichen Genauigkeit und Differenzierung erfasst und das Ziel eines gerechten Ausgleichs verfehlt habe. Dieses Ergebnis war zwar – worauf hier nicht weiter eingegangen werden kann – soweit es die auf Bundesgebiet ansässigen Kläger betrifft, im Wesentlichen revisionsrechtlich unbedenklich. Es berücksichtigt jedoch nicht die Lärmschutzregelungen zugunsten der niederländischen Grenznachbarn, die der deutschniederländische Staatsvertrag enthält, und kann deshalb nicht ohne Weiteres auf das Anfechtungsbegehren der Klägerin übertragen werden. Die Änderungsgenehmigung bestimmt in Abschnitt A.I. VI. (Bedingungen), der Flughafen sei so zu betreiben, dass der niederländische Luftraum erst und nur in dem Umfang benutzt werde, der in „den zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande paraphierten Vereinbarungen zugelassen ist“. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 21. November 2003 nimmt auf diese Regelung Bezug und gibt den wesentlichen Inhalt

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der Lärmschutzbestimmungen in Art. 6 und 7 des während des Widerspruchsverfahrens unterzeichneten Staatsvertrages vom 29. April 2003 wieder. Das Lärmschutzregime des Staatsvertrages wird damit in den verfügenden Teil der Änderungsgenehmigung einbezogen. Unter Lärmschutzgesichtspunkten liegt darin eine Begünstigung der niederländischen Grenznachbarn im Vergleich zu den lärmbetroffenen Anwohnern auf Bundesgebiet: Die Betriebszeiten für den An- und Abflugverkehr über niederländischem Hoheitsgebiet sind deutlich enger gezogen als für den Flugbetrieb über Bundesgebiet. Während der Flugbetrieb über Bundesgebiet in der Zeit von 05:00 Uhr bis 24:00 Uhr allgemein zulässig ist, wird er über niederländischem Hoheitsgebiet grundsätzlich nur für die Zeit von 06:00 Uhr bis 23:00 Uhr gestattet. Im Gegensatz zur Regelung für das Bundesgebiet sind verspätete Starts- und Landungen von regelmäßigen Flügen nicht zwischen 00:00 Uhr und 01:00 Uhr, sondern nur zwischen 23:00 Uhr und 24:00 Uhr ausnahmsweise zulässig. Dies geht auf eine Forderung der niederländischen Regierung zurück, die darauf bestanden hatte, für den Flughafen Niederrhein die Betriebszeitenregelungen festzusetzen, die allgemein für die Umgebung niederländischer Regionalflughäfen gelten. Art. 7 Abs. 1 des Staatsvertrages bestimmt ferner, dass grenzüberschreitende Umweltauswirkungen und Sicherheitsrisiken durch den Flughafenbetrieb entsprechend den in den Niederlanden geltenden Berechnungsmethoden ermittelt und nach niederländischem Recht beurteilt werden. Die in Anlage 2 zum Vertrag aufgenommene Fluglärmzone darf beim Betrieb des Flughafens nur im Einvernehmen beider Vertragsparteien überschritten werden. Die Bundesrepublik Deutschland gewährleistet gegenüber der Flughafenbetreiberin, dass bei der Nutzung des Flughafens keine grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen und Sicherheitsrisiken auftreten, die die aufgeführten Vorschriften überschreiten würden. Dem Vertrag ist ferner eine Protokollerklärung der beiden Staaten sowie eine Einvernehmliche Erklärung zum Umweltschutz beigefügt, die dem Anliegen der Niederlande Rechnung trägt, dem Umwelt-, Anwohnerund Naturschutz in der betroffenen Region, insbesondere den auf niederländischer Seite ausgewiesenen europäischen Schutzgebieten, „hohe Priorität“ einzuräumen und Verfahrensregelungen für den Fall festzuschreiben, dass diese Gebiete in der Zukunft wesentlichen nachteiligen Auswirkungen des Flugbetriebs ausgesetzt sein würden50. Das Vertragswerk dokumentiert somit insgesamt den Willen der beiden Nachbarstaaten, im Wege wechselseitiger Zugeständnisse einen ausgewogenen Interessenausgleich zu finden und den Flugbetrieb über niederländischem Staatsgebiet in dem geregelten Umfang auf eine gesicherte rechtliche Grundla___________ 50

Vgl. BGBl 2003 II S. 1763 (1776 f.).

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ge zu stellen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Vertragsverhandlungen vor dem Hintergrund einer sich bereits im Genehmigungs- und Widerspruchsverfahren abzeichnenden ablehnenden Haltung der niederländischen Grenzbevölkerung und der Klägerin stattfanden. Durch den Vertragsabschluss haben die Vertragsparteien die inhaltliche Ausgestaltung des aktiven Fluglärmschutzes über niederländischem Staatsgebiet einer Sonderregelung unterworfen. Der Vertrag entfaltet in beiden Staaten innerstaatliche Geltung (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 93, 94 der Verfassung des Königreiches der Niederlande vom 24. August 1815 i.d.F. der Neubekanntmachung vom 17. Februar 1983). Angesichts einer solchen staatsvertraglichen Sonderregelung mit dem Ziel, möglichst wirksame Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes zugunsten der ausländischen Grenznachbarn zu treffen, kann einer deutschen Genehmigungsbehörde, die – wie hier die beklagte Bezirksregierung – das vertraglich vereinbarte Schutzregime zum Bestandteil ihrer Planungsentscheidung macht, in aller Regel nicht vorgeworfen werden, sie begehe dabei zu Lasten der ausländischen Grenznachbarn einen fachplanerischen Abwägungsfehler, weil sie keine noch weitergehenden Schutzmaßnahmen (Beschränkungen des Flugbetriebs) ergriffen habe.

Ansprüche auf Schallschutzmaßnahmen aus Grundrechtsverletzungen? Von Thomas Seegmüller

I. Einleitung Aus der Praxis des Eisenbahn-Bundesamtes kann festgestellt werden, dass fast alle beantragten Planrechtsverfahren der (bundeseigenen) Eisenbahnen in Deutschland regelmäßig von Fragen des Schallschutzes beherrscht werden. Dies betrifft alle Planrechtsverfahren, die mit Baumaßnahmen der Eisenbahnen einhergehen unabhängig davon, wie umfangreich die einzelnen Baumaßnahmen sind. Für den „betroffenen“ Anlieger scheint es dabei – unabhängig von der Rechtslage – darum zu gehen, möglichst viel Lärmschutz zugesprochen zu bekommen. Gleiches gilt im Wesentlichen für die Städte und Gemeinden, die ausgehend von ihren Planungen für neue Baugebiete u.ä. von den Eisenbahnen teilweise umfangreiche Schallschutzmaßnahmen fordern. Dies geht soweit, dass auch planungsrechtlich nicht zu sanktionierende Instandhaltungsmaßnahmen, die mit Baumaßnahmen einhergehen, von den betroffenen Anliegern argwöhnisch „beäugt“ werden. Mittlerweile ist diese Tendenz auch schon bei bestehenden Strecken angekommen. Viele Anlieger und Gemeinden wollen es nicht mehr hinnehmen, dass sie durch die Schallemissionen vom Betrieb einer Eisenbahnstrecke in ihrer körperlichen Unversehrtheit verletzt werden könnten (Bsp. Rheintalstrecke zwischen Frankfurt und Köln). Sie fordern, obwohl keine Baumaßnahmen durchgeführt werden, von „den“ Eisenbahnen Schutzmaßnahmen gegen die bestehende Schallbelastung. Der Gesetzgeber hat insoweit reagiert und ein Lärmsanierungsprogramm1 aufgelegt, das diese „Probleme“ lösen soll. Da diese Maßnahmen einen hohen Finanzbedarf haben, ist jedoch nicht zu erwarten, dass dieses Programm kurzfristig zur Entlastung führen wird. Es ist vielmehr erst von einer mittel- bis ___________ 1 http://www.bmvbs.de/Verkehr/Schiene/Laermschutz,1460.920060/Laermsanierung sprogramm-an-Bun.htm.

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langfristigen Entlastung der Betroffenen aufgrund dieses Programms auszugehen. Die Lärmvorsorgemaßnahmen aufgrund geplanter (Aus-)Baumaßnahmen gehen jedoch den Maßnahmen der Lärmsanierung vor. Dies gilt es auch zu beachten, denn dadurch wird die Problemlage nochmals verschärft, da dies den Betroffenen vielfach nicht vermittelbar ist. Die Mittel stammen für sie aus dem „gleichen“ Topf. Ein Weiteres gilt es bei dieser Problemlage zu beachten. Nach den umfangreichen Neubaumaßnahmen nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit sowie dem fortschreitenden technischen Fortschritt gehen die Eisenbahninfrastrukturbetreiber dazu über, bestehende Strecken so umzubauen und aufzurüsten, dass ein erhöhtes Verkehrsaufkommen bewältigt werden kann (Beseitigung kapazitiver Engpässe, z. Bsp. Streckenertüchtigung auf höhere Geschwindigkeiten, Neigetechnik durch Gradientenanpassungen, usw.). Dabei sind vor allen Dingen Strecken in Planung, die in dicht besiedelten Gebieten einen Ausbau nötig machen. Dabei kann es vorkommen, dass auf einer Gesamtstrecke zum Beispiel im Ruhrgebiet von der Stadt A nach Stadt B ein überwiegender Teil der Strecke davon von Baumaßnahmen unmittelbar betroffen ist, aber ein kleiner Teil eben nicht. Aber auch der Fall einer alleinigen Streckensanierung, bei der lediglich Unterhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden, ist denkbar. Für die Baumaßnahmen werden Planrechtsverfahren durchgeführt und für die nichtbetroffenen Bereiche (sog. Baulücken) ggf. keine. Dennoch werden in vielen Fällen die Lärmbelastungen auf der Gesamtstrecke durch die Baumaßnahmen steigen. Diese Bereiche liegen vielfach in einem Vorbelastungsbereich von 60 Dezibel (A) nachts- und 70 Dezibel (A) tagsüber, so dass sich die Problematik nochmals verschärft. Davon ggf. zu unterscheiden sind punktuelle Maßnahmen (Bsp. Neubau eines elektronischen Stellwerks mit Blockverdichtung), die in der Folge zur Erhöhung der Streckenkapazität und damit zur Erhöhung der Schallemissionen in weiteren Streckenabschnitten führen. Die Problemlage wird vielfach weiter verschärft durch die Diskussionen in der politischen Öffentlichkeit, in den betroffenen Regionen und die Furcht der jeweiligen Vorhabenträger, durch zu großzügige Handhabung Begehrlichkeiten an anderen Orten in Deutschland hervorzurufen. Darüber hinaus werden freiwillige Leistungen eines Vorhabenträgers (die i.d.R. in die planungsrechtliche Entscheidung als Zusage aufgenommen werden) aufgrund der Freiwilligkeit der Zusage des Vorhabensträgers vom Bund nicht finanziert. Diese differenzierte Gemengelage vorausgeschickt gilt es, die verschiedenen Problemlagen aufzuzeigen und Lösungsansätze zu skizzieren bzw. zur Diskussion anzuregen. Unberücksichtigt bleiben Fragen über die Widmung, Freistellung oder der Funktionslosigkeit von Betriebsanlagen einer Eisenbahn.

Ansprüche auf Schallschutzmaßnahmen aus Grundrechtsverletzungen?

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II. Problemlagen und Lösungsmöglichkeiten 1. Ansprüche auf Schallschutzmaßnahmen bei einer „Ertüchtigung“ durch Baumaßnahmen Die baulichen Änderungen (Linienverbesserungen, Änderung der Überhöhungen, Änderung Signalanlagen u.a.) eines vorhandenen Schienenweges (Baumaßnahmen der Eisenbahn erstrecken sich über die gesamte Strecke) erfolgen, um die Leistungsfähigkeit, d.h. die Kapazität zu erhöhen. a) Anspruchsgrundlagen Die Ansprüche auf Schallschutzmaßnahmen der Anlieger richten sich in diesen Fällen nach den Vorschriften der Verkehrslärmschutzverordnung (§§ 41-43 BImSchG i.V.m. § 1 16. BImSchV). Vorliegen muss mithin der Bau oder eine wesentliche Änderung von Schienenwegen (im immissionsschutzrechtlichen Sinne)2. Mit dem Bau ist regelmäßig der Neubau an einer Stelle gemeint, an der bislang kein Verkehrsweg bestand3. Da die w.v. genannten baulichen Maßnahmen lediglich einen vorhandenen Schienenweg baulich ändern, scheidet diese Anspruchsgrundslage im Beispielsfall aus. Zu prüfen bleibt ferner, ob durch die baulichen Maßnahmen eine wesentliche Änderung des Schienenwegs erfolgt. Eine wesentliche Änderung liegt dann vor, wenn durch eine bauliche Änderung der Schienenweg um ein oder mehrere Gleise baulich erweitert wird (§ 1 Absatz 2 1. Alt. 16. BImSchV). Auch diese Anspruchsgrundlage scheidet vorliegend aus, da eben nicht ein Gleis oder mehrere durchgehende Gleise hinzugefügt werden. Eine Änderung ist ferner wesentlich, wenn durch einen erheblichen baulichen Eingriff von dem zu ändernden Verkehrsweg eine Erhöhung des ausgehenden Verkehrslärms um mindestens 3 Dezibel (A) oder auf mind. 70/60 Dezibel (A) am Tag oder in der Nacht eintritt (§ 1 Absatz 2 S. 1 Nr. 2 1. und 2. Alt. 16. BImSchV) oder eine bestehende (Vor-)Belastung von 70/60 Dezibel (A) nochmals erhöht wird (§ 1 Absatz 2 S. 2 16. BImSchV). Bei der Erhöhung der Lärmbelastung ist es dabei unerheblich, um wie viel der Lärm erhöht wird oder um wie viel die Vorbelastung erhöht wird. Jede Erhöhung ist maßgebend.

___________ 2 Vgl. Michler, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, RN 1129; BVerwG, Urteil vom 20.5.1998, 11 C 3/97 (Juris), RN 26. 3 Jarras, BImSchG, 7. Aufl., § 41 RN 18; Schmidt-Eichstaedt, in: Kotulla, BImSchG, Komm. Loseblatt, § 41, RN 4.

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Durch den erheblichen baulichen Eingriff muss ferner in die Substanz des Verkehrswegs eingegriffen werden4. Dieses Tatbestandsmerkmal dient zur Unterscheidung von baulichen Eingriffen zu bloßen Erhaltungsmaßnahmen und Unterhaltungsmaßnahmen. Solche sind z. Bsp. das Auswechseln von Schwellen, der Signalanlagen, der Planumsschutzschicht oder das Erneuern der Oberleitung usw. Allen Unterhaltungsmaßnahmen ist mithin gemein, dass sie nicht vorgenommen werden, um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen, sondern um den planungsrechtlich zulässigen Zustand zu erhalten oder wiederherzustellen.5 Daraus folgt, dass im aufgeführten Beispielsfall, sofern durch eine bauliche Maßnahme eine Erhöhung um 3 Dezibel (A) oder eine Erhöhung auf 70/60 Dezibel (A) oder aber der Wert 70/60 Dezibel (A) nochmals erhöht wird, die Voraussetzungen der Verkehrslärmschutzverordnung vorliegen und Schallschutz gewährt werden muss. Die Ansprüche der betroffenen Anlieger richten sich damit nach den Vorschriften der Verkehrslärmschutzverordnung und sind insoweit nichts Besonderes, da die Baumaßnahmen an dem vorhandenen Verkehrsweg durchgehend vorgenommen werden. b) Weitere Ansprüche Darüber hinaus sind weitere Ansprüche ausgeschlossen. Insoweit haben die Bestimmungen der Verkehrslärmverordnung – sofern sie einschlägig sind – abschließenden Charakter.6 Ergebnis: Im Fall der immissionsschutzrechtlichen baulichen Änderungen an einem Schienenweg ergibt sich der zu gewährende Lärmschutz ausschließlich nach den §§ 41-43 BImSchG i.V.m. § 1 16. BImSchV. Weitergehender Schallschutz nach Maßgabe anderer gesetzlicher Grundlagen ist nicht gegeben (… und ist auch nicht nötig). 2. Ansprüche auf Schallschutzmaßnahmen bei einer „Ertüchtigung“ durch Baumaßnahmen Die baulichen Änderungen (Linienverbesserungen, Änderung der Überhöhungen, Änderung Signalanlagen u.a.) eines vorhandenen Schienenweges (Baumaßnahmen der Eisenbahn erstrecken sich nicht über die gesamte Strecke) ___________ 4 5 6

Jarras, BImSchG, 7. Aufl., § 41 RN 20. Jarras, a.a.O., RN 22. Jarras, a.a.O., § 41 RN 23 m.w.N.

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erfolgen, um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Es werden in den sog. Baulücken Unterhaltungsmaßnahmen bzw. Erhaltungsmaßnahmen vorgenommen, die notwendig sind, um die mit der Gesamtmaßnahme erwünschten Ziele realisieren zu können. Für sich genommen handelt es sich dabei um bauliche Maßnahmen, die – isoliert betrachtet – nicht in die Substanz des Schienenweges eingreifen (s.w.v.), also unerhebliche bauliche Eingriffe. a) Anspruchsgrundlage Ein Anspruch auf Schallschutzmaßnahmen könnte sich auch hier gemäß §§ 41-43 BImSchG i.V.m. § 1 16. BImSchV ergeben. Hinsichtlich des Bereichs der Baumaßnahmen selbst ergeben sich insoweit keine Besonderheiten, es kann auf das w.v. Ausgeführte verwiesen werden. Die Voraussetzungen der Verkehrslärmschutzverordnung sind in den Bauabschnitten gegeben, Ansprüche auf Schallschutzmaßnahmen bestehen. Problematisch – und dies soll nachfolgend untersucht werden – stellen sich Ansprüche der Anlieger auf Schallschutzmaßnahmen dar, wenn im Rahmen der Ertüchtigung der Strecke von A nach B Teile davon durch Baumaßnahmen nicht unmittelbar von den Baumaßnahmen betroffen sind (sog. Baulücken). Vorliegen muss auch hier in Ermangelung eines Baus eines Schienenwegs eine wesentliche Änderung des Schienenwegs (im immissionsschutzrechtlichen Sinne).7 Eine Änderung ist wesentlich, wenn durch einen erheblichen baulichen Eingriff von dem zu ändernden Verkehrsweg eine Erhöhung des ausgehenden Verkehrslärms um mindestens 3 Dezibel (A) oder auf mind. 70/60 Dezibel (A) am Tag oder in der Nacht eintritt (§ 1 Absatz 2 S. 1 Nr. 2 1. und 2. Alt. 16. BImSchV) oder, ob eine bestehende (Vor-)Belastung von 70/60 Dezibel (A) nochmals erhöht wird (§ 1 Absatz 2 S. 2 16. BImSchV). Bei der Erhöhung der Lärmbelastung ist es dabei unerheblich, um wie viel der Lärm erhöht wird oder, um wie viel die Vorbelastung erhöht wird. Jede Erhöhung ist maßgebend. Durch den erheblichen baulichen Eingriff muss ferner in die Substanz des Verkehrswegs eingegriffen werden.8 Dieses Tatbestandsmerkmal dient zur Unterscheidung von baulichen Eingriffen zu bloßen Erhaltungsmaßnahmen und Unterhaltungsmaßnahmen. Solche sind z. Bsp. das Auswechseln von Schwellen, der Signalanlagen, der Planumsschutzschicht oder das Erneuern der Oberleitung usw. Allen diesen Maßnahmen ist gemein, dass sie nicht vorgenommen

___________ 7 Vgl. Michler, in: Ziekow, a.a.O., RN 1129; BVerwG, Urteil vom 20.5.1998, 11 C 3/97 (Juris), RN 26. 8 Jarras, a.a.O., § 41 RN 20.

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werden, um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen, sondern um den planungsrechtlich zulässigen Zustand zu erhalten oder wiederherzustellen.9 Vorliegend werden in den sog. Baulücken Unterhaltungsmaßnahmen bzw. Erhaltungsmaßnahmen vorgenommen, die notwendig sind, um die mit der Gesamtmaßnahme erwünschten Ziele (kapazitiver Ausbau) realisieren zu können. Für sich genommen und isoliert betrachtet handelt es sich dabei in den sog. Baulücken um bauliche Maßnahmen, die nicht in die Substanz des Schienenweges eingreifen (s.w.v.), also unerhebliche bauliche Eingriffe. Wie in einem solchen Fall zu verfahren ist, ist umstritten. Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass durch die unerheblichen baulichen Maßnahmen der bestehende Schienenweg nicht verändert wird, und damit die Anwendung der 16. BImSchV nicht in Betracht zu ziehen ist.10 Begründet wird dies damit, dass die bauliche Maßnahme eben keine Änderung eines Schienenwegs nach sich zieht und damit begrifflich schon aus der Anwendung der Verkehrslärmschutzverordnung herausfällt. Die Gegenansicht zieht die bauliche Änderung in den Anwendungsbereich der Verkehrslärmschutzverordnung hinein.11 Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass die §§ 41 ff. BImSchG von einer Änderung des Verkehrswegs ausgehen und nicht von Änderungen von einem Änderungsbereich. Dieser Ansicht ist zu folgen. Die einem Gesamtkonzept einer „Streckenertüchtigung“ zugrunde liegenden baulichen Maßnahmen sind insgesamt als erheblicher baulicher Eingriff anzusehen. Eine Differenzierung in kleine erheblicher und unerhebliche bauliche Eingriffe innerhalb eines Schienenweges (i.S.d. Immissionsschutzrechts) wäre willkürlich. Der für sich genommene unerhebliche bauliche Eingriff wird in diesen Fällen Bestandteil eines „größeren“ erheblichen Eingriffs und führt somit zur Bejahung des insgesamt vorliegenden erheblichen baulichen Eingriffs in den Schienenweg. Eine isolierte Betrachtung würde zu einer unzulässigen Umgehung immissionsrechtlicher Pflichten führen. Die im Einzelnen notwendigen baulichen Maßnahmen stellen sich nach außen als zusammenhängende, räumlich abgegrenzte Maßnahme des Streckenausbaus von A nach B dar, die einer umfassenden immissionsrechtlichen Bewertung bedürfen. Auch ein darüber hinausgehender betrieblicher Zusammenhang ist gegeben. Die baulichen Maßnahmen werden nämlich nicht nur zufällig ausgeführt, sondern sie sind zur Umsetzung des Gesamtkonzepts notwendig. ___________ 9

Jarras, a.a.O., § 41 RN 22. Jarras, a.a.O., § 41 RN 22 m.w.N. 11 BVerwG, Urteile vom 17.3.2005, 4 A 18/04, und 23.11.2005, 9 A 28/04; Bayerischer VGH, Urteil vom 25.2.2003, 22 A 02/400013, zu den Baugrubenmodellen „Straße“ und „Schiene“; Berka, in: Kunze, Eisenbahnrecht, A 6.2, RN 4 ff. 10

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Damit sind sie Bestandteil der Gesamtmaßnahmen und damit auch immissionsrechtlich zu betrachten und zu berücksichtigen. b) Weitere Ansprüche Weitere Ansprüche sind ausgeschlossen (s.o.) und auch nicht notwendig, da die Bestimmungen der Verkehrslärmschutzverordnung zur Anwendung kommen. Ergebnis: Ein erheblicher baulicher Eingriff in den Schienenweg liegt vor. Die Grenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung sind einzuhalten. 3. Ansprüche auf Schallschutzmaßnahmen bei einer „Ertüchtigung“ durch Baumaßnahmen Die baulichen Änderungen (Linienverbesserungen, Änderung der Überhöhungen, Änderung Signalanlagen u.a.) eines vorhandenen Schienenweges (Baumaßnahmen der Eisenbahn erstrecken sich nicht über die gesamte Strecke) erfolgen, um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Es werden in den sog. Baulücken keinerlei bauliche Maßnahmen vorgenommen. In den Baulücken bleibt der Verkehrsweg unberührt. Die Anwohner liegen mithin außerhalb des erheblichen baulichen Eingriffs. a) Anspruch auf Schallschutzmaßnahmen aus §§ 41-43 BImSchG i.V.m. § 1 16. BImSchV Ein Anspruch auf Schallschutzmaßnahmen könnte sich auch hier gemäß §§ 41-43 BImSchG i.V.m. § 1 16.BImSchV ergeben. Hinsichtlich des Bereichs der Baumaßnahmen selbst ergeben sich insoweit keine Besonderheiten, es kann auf das w.v. Ausgeführte verwiesen werden. Die Voraussetzungen der Verkehrslärmschutzverordnung sind in den Bauabschnitten gegeben, Ansprüche auf Schallschutzmaßnahmen bestehen. Fraglich ist jedoch, ob auch in den „Baulücken“ sich ein solcher Anspruch ergibt, da in diesen Abschnitten keinerlei bauliche Maßnahme durchgeführt wird. Es müsste auch hier ein erheblicher baulicher Eingriff vorliegen, der die Voraussetzungen des § 1 Absatz 2 Nr. 2 16.BImSchV erfüllt. Wie w.v. ausgeführt werden in den sog. Baulücken eben keine baulichen Maßnahmen vorgenommen. Unstreitig führen jedoch die erheblichen baulichen Maßnahmen in den Nachbarbereichen auch zu einer Verkehrsmehrung in den Baulücken.

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Fraglich ist, ob hier auch die baulichen Maßnahmen im übrigen Streckenbereich den Baulücken zugerechnet werden können. Zunächst könnte man annehmen, dass auch in diesem Fall die dem Gesamtkonzept einer „Streckenertüchtigung“ zugrunde liegenden baulichen Maßnahmen insgesamt als erheblicher baulicher Eingriff anzusehen sind. Eine Differenzierung in kleine erhebliche und unerhebliche bauliche Eingriffe innerhalb eines Schienenweges (i.S.d. Immissionsschutzrechts) wäre insoweit auch hier willkürlich. Unterscheiden würde sich lediglich die Tatsache, dass in den sog. Baulücken keinerlei Bautätigkeit vorgenommen werden würde. Dieser unterlassene bauliche Eingriff würde in diesen Fällen Bestandteil eines „größeren“ erheblichen Eingriffs und somit zur Bejahung des insgesamt vorliegenden erheblichen baulichen Eingriffs in den Schienenweg führen. Man könnte auch hier annehmen, dass eine isolierte Betrachtung zu einer unzulässigen Umgehung immissionsrechtlicher Pflichten führen würde. Die im Einzelnen notwendigen baulichen Maßnahmen stellen sich darüber hinaus nach außen als zusammenhängende, räumlich abgegrenzte Maßnahme des Streckenausbaus von A nach B dar, die einer umfassenden immissionsrechtlichen Bewertung bedürfen. Nach der herrschenden Meinung im Schrifttum und der Rechtsprechung ist eine solche Zurechenbarkeit jedoch nicht möglich.12 Begründet wird dies durch die fehlende bauliche Änderung in dem Baulückenbereich selbst (es gibt nichts zuzurechnen!). Eine solche wäre nur dann anzunehmen, wenn der Spurplan oder die Oberleitung geändert oder ergänzt würden. In Betracht kommen könnte darüber hinaus die einfache Verstärkung von Oberbau, Unterbau und Oberleitung bei gleicher Gleislage. Nach der amtlichen Begründung zur 16. BImSchV13 sollen schon kleinere Baumaßnahmen wie das Versetzen von Signalanlagen, das Auswechseln einzelner Schwellen, der Einbau von Weichen oder das Ändern der Fahrleitung vom Anwendungsbereich ausgeschlossen werden, da in diesen Fällen regelmäßig in die Substanz des Verkehrswegs nicht eingegriffen wird.14 Dieser Ansicht ist beizupflichten, wiewohl die Argumente der Gegenansicht nicht unerheblich sind. Die Anwendung der Verkehrslärmschutzverordnung an eine bauliche Maßnahme ist geboten, damit nicht jede betriebliche Maßnahme automatisch in den Anwendungsbereich der Verkehrslärmschutzverordnung fällt. Nach dem Willen des Gesetzgebers15 wurde bewusst auf die Notwendig___________ 12

BVerwG, Urt. vom 17.3.2005, 4 A 18/04, RN 15 (Juris). BR-Drs. 661/89. 14 Berka, a.a.O., A 6.2, RN 4 ff. 15 Kotulla, BImSchG-Kommentar und Vorschriftensammlung, Kap. 216.1, B, Absatz 2. 13

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keit einer baulichen Maßnahme Bezug genommen, um die Lärmsanierung von der Lärmvorsorge deutlich abzugrenzen.16 Jedoch sind in diesen Fällen die Anwohner nicht ganz ohne Schutzansprüche. Nach dem sog. „Baugrubenmodell“17 sind bei der Dimensionierung der erforderlichen Lärmschutzmaßnahmen die Emissionen aus dem Bauabschnitt und der vorhandenen Strecke zu berücksichtigen (sog. Baugrubenmodell Straße).18 Damit werden die Überschneidungsbereiche erfasst, die sich aus der Abschnittsbildung aufgrund der baulichen Maßnahmen ergeben (Berücksichtigung der Emissionen ausschließlich aus dem Baubereich). Daraus folgt, dass für die Ermittlung des Beurteilungspegels des vorhandenen, baulich nicht geänderten Bereichs nur die Verkehrsbelastung des Bauabschnitts maßgeblich ist, die bestehende Verkehrsbelastung des baulich nicht geänderten Bereichs wird bei der Berechnung der maßgeblichen Schallpegel außer Acht gelassen. Zwischenergebnis: Keine Ansprüche der Betroffenen auf Schallschutzmaßnahmen in den sog. Baulücken nach den Bestimmungen der Verkehrslärmschutzverordnung. Tatbestandlich scheidet ein Anspruch gemäß § 1 Absatz 2 Nr. 2 16. BImSchV in Ermangelung einer baulichen Maßnahme aus. b) Anspruch auf Schallschutzmaßnahmen aus § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG Ein Anspruch auf Schallschutzmaßnahmen könnte sich gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG ergeben. Hiernach sind dem Vorhabenträger Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger auf Rechte anderer erforderlich sind. Zunächst ist zu prüfen, ob in den Fällen, in denen die Bestimmungen der Verkehrslärmschutzverordnung tatbestandlich nicht einschlägig sind, überhaupt § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG Anwendung finden kann. Nach der ganz h.M. in der Rechtsprechung und der Literatur19 wird die materielle Anwendbarkeit des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG durch § 41 BImSchG i.V.m. § 1 16. BImSchV verdrängt. Dies wird damit begründet, dass sowohl für § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG als auch für die §§ 41 ff. BImSchG die tatbestandlichen Voraussetzungen für Lärmschutzmaßnahmen bei der Planung von Verkehrswegen und die daraus resultierenden Rechtfolgen zu entnehmen ___________ 16

BR-Drs. a.a.O. Bayerischer VGH, U., 25.2.2003, 22 A 02.40013. 18 Bayerischer VGH a.a.O.; Richtlinien für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes, VLärmSchR 97. 19 Jarras, a.a.O., § 41 RN 56 m.w.N. 17

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sind. Dies bedeutet, dass die beiden Normen – materiell – nebeneinander stehen, jedoch §§ 41 ff. BImSchG als die spezielleren Vorschriften der des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG vorgehen. Dies bedeutet im Ergebnis, dass inhaltlich kein Rückgriff auf den § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG möglich ist, insoweit gelten die §§ 41 ff. BImSchG. Verfahrensrechtlich – als Grundlage für dementsprechende Festlegungen der Planfeststellungsbehörde – werden die Festlegungen gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG getroffen. Inhaltlich ist mithin ein Rückgriff auf § 74 Absatz 2 VwVfG neben dem Lärmschutzsystem nicht zulässig. Mithin scheiden solche Ansprüche hier aus. Zwischenergebnis: Keine Ansprüche der Betroffenen in den sog. Baulücken gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG. c) Allgemeines fachplanerisches Abwägungsgebot Ein Anspruch auf Schallschutzmaßnahmen könnte sich gemäß § 18 AEG aus dem allgemeinen fachplanerischen Abwägungsgebot ergeben. Hiernach sind in den Abwägungsprozess alle privaten und öffentlichen Belange mit einzubeziehen und dann Lärmschutzmaßnahmen anzuordnen, wenn jede andere Entscheidung als die Gewährung von Lärmschutz abwägungsfehlerhaft ist. Zunächst ist festzustellen, ob die Festlegung von Lärmschutzmaßnahmen mittels des fachplanerischen Abwägungsgebots überhaupt zulässig ist, sofern die Voraussetzungen der §§ 41-43 BImSchG i.V.m. § 1 16. BImSchV tatbestandlich nicht vorliegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer grundlegenden Entscheidung vom 17.3.200520 diese Möglichkeit bejaht. Im zugrunde liegenden Fall schied sowohl ein Anspruch der dortigen Kläger in Ermangelung eines baulichen Eingriffs gemäß §§ 41-42 BImSchG und der 16. BImSchV als auch ein Anspruch aus § 74 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG aus. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. In den Abwägungsvorgang sind alle berührten öffentlichen und privaten Belange mit einzubeziehen, dabei ist der Kreis der betroffenen Belange nicht eng zu ziehen. Das Abwägungsgebot hat seine Grundlage im Verfassungsrecht und ist deshalb nicht substanziell einschränkbar.21 Damit fallen nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Beeinträchtigungen in den Kreis der zu berücksichtigenden Belange hinein.22 Damit wird dem Ziel der Abwägung, nämlich der Konfliktbewältigung und dem Rücksichtnahmegebot Rechnung getragen. Auch dann, wenn „die“ Bau___________ 20 21 22

Az.: 4 A 18/04. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 74 RN 52 m.w.N. Kodal/Krämer, StrR, 6. Aufl., Kap 34, RN 29.33.

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maßnahme keine Lärmschutzansprüche der Betroffenen auslöst, soll im Rahmen der Abwägung die Planfeststellungsbehörde verpflichtet sein, jede Zunahme von Lärmbetroffenheit in die Abwägung einzustellen und zu berücksichtigen,23 sofern die Betroffenen mehr als nur geringfügig betroffen sind. Beschränkt wird dies durch das Schutzkonzept der Verkehrslärmschutzverordnung, woraus folgt, dass bei einer Vorbelastung durch Schienenverkehrslärm eine Lärmsanierung i.d.R. (bei Gelegenheit der Planfeststellung) nicht in Betracht kommt.24 Mithin stehen der grundsätzlichen Zulässigkeit der Festlegung von Lärmschutzmaßnahmen mittels des fachplanerischen Abwägungsgebots keine Bedenken entgegen. Notwendig ist dabei jedoch ein eindeutiger Ursachenzusammenhang zwischen dem Eisenbahnvorhaben und einer zu erwartenden Verkehrszunahme25 sowie ein räumlicher Zusammenhang mit der Baumaßnahme. Diese Voraussetzungen liegen im Beispielsfall vor. Durch die Streckenertüchtigung des Schienenwegs und unter Berücksichtigung des mit dem Ausbau verfolgten Gesamtkonzepts wird auch in den Baulücken der Schienenverkehr und damit die Lärmbelastung zunehmen. Dem steht auch nicht die Abschnittsbildung entgegen, denn die Zuerkennung von Ansprüchen auf Lärmschutz kann nicht von der jeweiligen Abschnittsbildung abhängig gemacht werden.26 Daraus folgt, dass die Lärmsteigerungen auch in den Baulücken im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen und zu bewältigen sind, sofern jede andere Entscheidung als die Gewährung von Lärmschutz abwägungsfehlerhaft ist. Abwägungsfehlerhaft ist die Entscheidung dann, wenn jede andere als die Festlegung von Lärmschutzmaßnahmen fehlerhaft ist. Durch den in der Rechtsprechung normierten Grundsatz, dass die Anlieger auf den sog. „kleinen“ Lärmschutz verwiesen werden können, kommen jedoch nur solche Ansprüche in Betracht, die sich aus einer Gesundheits- und/oder Eigentumsbeeinträchtigung ergeben.27 Diese Beschränkung auf eine Beseitigung einer Gesundheits- und/oder Eigentumsbeeinträchtigung findet seine Begründung darin, dass letztlich die Betroffenen lediglich aus Art. 14 Absatz 1 Satz 1 GG ihr Recht auf Unterlassung von Eigentumsbeeinträchtigungen bzw. Art. 2 Absatz 2 GG auf körperliche Unversehrtheit herleiten können. Dieser Anspruch kann jedoch nicht weiter gehen, als dass das Eigentum wieder uneingeschränkt gewährleistet bzw. die ___________ 23 24 25 26 27

Vallendar, Beck’scher AEG Komm., § 18 RN 155 m.w.N. Vallendar, a.a.O. BVerwG, a.a.O. BVerwG, a.a.O. Vallendar, a.a.O.

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Gesundheitsgefahr nicht mehr gegeben ist. Die Grundrechtsbeeinträchtigung ist damit ausgeschlossen, soweit die in der Verkehrslärmschutzverordnung normierten Grenzwerte berücksichtigt werden.28 Eine solche Grundrechtsverletzung ist dabei regelmäßig anzunehmen, soweit die Grenzwerte 70/60 Dezibel (A) tags und nachts erreicht oder gesteigert werden. Dabei ist jede Steigerung erheblich. Jedoch ist auch hier eine Einzelfallbetrachtung in jedem Falle unerlässlich,29 da insoweit für eine drohende Gesundheitsgefährdung oder Eigentumsbeeinträchtigung keine „festen“ Grenzwerte maßgeblich sind.30 Anhaltspunkte können die in der Lärmsanierungsrichtlinie genannten Schwellenwerte sein, diese liegen bei Wohngebieten bei 70/60 Dezibel (A), bei Dorf-, Kernund Mischgebieten bei 72/62 Dezibel (A) und bei Gewerbegebieten bei 75/65 Dezibel (A) tagsüber und nachts. Mithin ist die Nichtfestlegung von Lärmschutzmaßnahmen unterhalb dieser Schwellenwerte abwägungsrechtlich nicht zu beanstanden, Lärmschutzansprüche sind folglich nicht gegeben. Oberhalb dieser Schwellenwerte haben die Betroffenen einen Anspruch auf Lärmschutzmaßnahmen, um eine drohende Gesundheitsgefährdung oder Eigentumsbeeinträchtigung abzuwenden. Darüber hinausgehende Ansprüche aufgrund des Abwägungsgebots auf den sog. „großen“ Lärmschutz sind nicht gegeben. Zwischenergebnis: Keine Ansprüche der Betroffenen in den sog. Baulücken aufgrund des Abwägungsgebots auf Einhaltung der Grenzwerte der 16. BImSchV. Lediglich Ansprüche auf Lärmschutzmaßnahmen zur Vermeidung von drohenden Gesundheitsgefährdungen oder Eigentumsbeeinträchtigungen. Den Anliegern an dem betroffenen Schienenweg wird mithin unterschiedlicher Lärmschutz gewährt. Im Bereich der Baumaßnahmen erhalten sie den sog. „großen“ Lärmschutz gemäß der Verkehrslärmschutzverordnung, außerhalb dessen nur den sog. „kleinen“ Lärmschutz. d) Anspruch auf Einhaltung der Grenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung in den „Baulücken“ unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG Fraglich ist, ob über den unter oben II. 3. c) genannten Anspruch auf Lärmschutzmaßnahmen (sog. kleiner Lärmschutz) hinaus sich noch ein Anspruch auf den „großen“ Lärmschutz aus den Grundrechten unmittelbar ergibt.

___________ 28 29 30

BVerwG, Urt. vom 26.2.2003, 9 A 1/02, Juris. Berka, a.a.O., Kap. 6.2. Nr. 6 a)bb) m.w.N. BVerwG, Urt. vom 7.3.2007, 9 C 06, Juris RN 29, m.w.N.

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Unabhängig von der Frage, ob sich grundsätzlich ein solcher Anspruch aus einer Grundrechtsverletzung unmittelbar ergeben kann,31 ist unstreitig jedoch eine Grundrechtsverletzung notwendig. Nach der hier vertreten Rechtsauffassung wird die Beachtung der Grundrechte schon im Rahmen des fachplanerischen Abwägungsgebots geprüft. Sofern die Anlieger jedoch aus dem fachplanerischen Abwägungsgebot Lärmschutz zur Abwehr ihrer Grundrechtsbeeinträchtigungen zugesprochen bekommen, liegt eine Grundrechtsverletzung nicht (mehr) vor. Mithin ist ein Anspruch unmittelbar aus einer Grundrechtsverletzung schon deshalb nicht möglich. Zwischenergebnis: Keine Ansprüche der Betroffenen in den sog. Baulücken zur Vermeidung von drohenden Gesundheitsgefährdungen oder Eigentumsbeeinträchtigungen aus dem Grundgesetz. 4. Punktuelle Erneuerung durch bauliche Einzelmaßnahmen (z. B. ESTW-Neubau, zur Blockverdichtung u.a.m.) zur kapazitiven Leistungssteigerung eines Verkehrswegs Bauliche Maßnahmen an dem Verkehrsweg unmittelbar finden nicht statt. Da nach dem w.v. Ausgeführten eine zurechenbare bauliche Änderung an dem Schienenweg nicht erfolgt, kommt als Anspruchsgrundlage lediglich das allgemeine fachplanerische Abwägungsgebot in Betracht. Mithin könnte sich auch hier ein Anspruch auf Schallschutzmaßnahmen gemäß § 18 AEG aus dem allgemeinen fachplanerischen Abwägungsgebot ergeben. Hiernach sind in den Abwägungsprozess alle privaten und öffentlichen Belange miteinzubeziehen und dann Lärmschutzmaßnahmen anzuordnen, wenn jede andere Entscheidung als die Gewährung von Lärmschutz abwägungsfehlerhaft ist. Wie zuvor schon ausgeführt, ist die Festlegung von Lärmschutzmaßnahmen mittels dem fachplanerischen Abwägungsgebot zulässig, sofern die Voraussetzungen der §§ 41-43 BImSchG i.V.m. § 1 16. BImSchV tatbestandlich nicht vorliegen. Notwendig ist dabei jedoch ein eindeutiger Ursachenzusammenhang zwischen dem Eisenbahnvorhaben und einer zu erwartenden Verkehrszunahme32 sowie ein räumlicher Zusammenhang mit der Baumaßnahme. Fraglich ist, ob es sich bei der Einzelmaßnahme (Bsp.: Neubau ESTW) überhaupt um die Änderung eines Schienenwegs handelt, denn an der Eisenbahnstrecke finden unmittelbar keine Baumaßnahmen statt. Der Begriff des Schienewegs im immissionsrechtlichen Sinne umfasst nur diejenigen Teile der Betriebsanlagen der Eisenbahn, die typischerweise dazu geeignet sind, auf die ___________ 31 32

Str. in Literatur und Rspr., vgl. Vallendar, a.a.O., § 18 RN 115, 117 m.w.N. BVerwG, Urteile vom 17.3.2005, 4 A 18/04, und 15.1.2008, 9 B 7/07.

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Lärmverursachung Einfluss zu nehmen. Dazu gehört die Gleisanlage mit ihrem Unter- und Überbau einschließlich einer Oberleitung.33 Folglich liegt bei dem Neubau eines ESTW eine Maßnahme vor, der keine Änderung des Schienewegs darstellt. Dennoch sind auch hier die Auswirkungen der Maßnahme in den Abwägungsvorgang mit einzubeziehen, dabei ist auch hier der Kreis der betroffenen Belange nicht eng zu ziehen. Das Abwägungsgebot hat seine Grundlage im Verfassungsrecht und ist deshalb nicht substantiell einschränkbar. Damit fallen nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Beeinträchtigungen in den Kreis der zur berücksichtigenden Belange hinein. Damit wird dem Ziel der Abwägung, nämlich der Konfliktbewältigung und dem Rücksichtnahmegebot Rechnung getragen. Auch dann, wenn „die“ Baumaßnahme keine Lärmschutzansprüche der Betroffenen auslöst, soll im Rahmen der Abwägung die Planfeststellungsbehörde verpflichtet sein, jede Zunahme von Lärmbetroffenheit in die Abwägung einzustellen und zu berücksichtigen, sofern die Betroffenen mehr als nur geringfügig betroffen sind. Beschränkt wird dies durch das Schutzkonzept der Verkehrslärmschutzverordnung, woraus folgt, dass bei einer Vorbelastung durch Schienenverkehrslärm eine Lärmsanierung i.d.R. (bei Gelegenheit der Planfeststellung) nicht in Betracht kommt (vgl. oben II. 3. c)). Mithin ist die Baumaßnahme und die damit einhergehende Lärmmehrbelastung in der Abwägung auch hier zur berücksichtigen. Im Beispielsfall (punktuelles Vorhaben) ist weiter fraglich, ob ein enger räumlicher Zusammenhang mit der Lärmzunahme besteht und wie weit er reicht, da es sich um eine sog. punktuelle Maßnahme handelt. Der räumliche Zusammenhang wird regelmäßig durch den nächsten Verkehrsknoten, einen Bahnhof oder z. Bsp. durch einen stark frequentierten Gleisanschluss (Zulaufstrecken u.a.) einschränkbar sein. Mithin ist in diesen Fällen regelmäßig eine wertende Einzelfallbetrachtung notwendig.34 Dient mithin der Neubau eines ESTW in der Vorhabensbeschreibung einer bestimmten Strecke oder einem Streckenabschnitt, so ist dieser i.d.R. zugrunde zu legen Durch diese punktuelle Maßnahme wird der Schienenverkehr und damit die Lärmbelastung in dem w.v. begrenzten Bereich zunehmen. Daraus folgt, dass die Lärmsteigerungen in diesen Bereichen im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen und zu bewältigen sind, sofern jede andere Entscheidung als die Gewährung von Lärmschutz abwägungsfehlerhaft ist. Wie zuvor schon ausgeführt, steht den Anliegern jedoch nur der sog. „kleine“ Lärmschutz zu (Gesundheits- und/oder Eigentumsbeeinträchtigung; 70/60 Dezibel (A)). ___________ 33 34

BVerwG, Urt. vom 20.5.1998, 11 C 3/97, Juris, RN 26. Berka, a.a.O., Kap. A 6.2, Nr. 6b.

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Mithin ist die Nichtfestlegung von Lärmschutzmaßnahmen unterhalb dieser Schwellenwerte abwägungsrechtlich nicht zu beanstanden, Lärmschutzansprüche sind folglich nicht gegeben. Oberhalb dieser Schwellenwerte haben die Betroffenen einen Anspruch auf Lärmschutzmaßnahmen um eine drohende Gesundheitsgefährdung oder Eigentumsbeeinträchtigung abzuwenden. Darüber hinausgehende Ansprüche aufgrund des Abwägungsgebots auf des sog. „großen“ Lärmschutz nicht gegeben. Zwischenergebnis: Den Anliegern an dem betroffenen Schienenweg wird lediglich der sog. „kleine“ Lärmschutz gewährt. Sofern die Anlieger aus dem fachplanerischen Abwägungsgebot Lärmschutz zur Abwehr ihrer Grundrechtsbeeinträchtigungen zugesprochen bekommen, liegt eine Grundrechtsverletzung nicht mehr vor. Mithin ist ein Anspruch unmittelbar aus einer Grundrechtsverletzung schon deshalb nicht möglich. Solche Ansprüche scheiden also aus.

III. Zusammenfassung •

Liegt keine Änderung oder eine Verbesserung der Lärmsituation vor, kommen Lärmschutzansprüche aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht.



Die Lärmzunahme an anderer Stelle als dem von der Planfeststellung betroffenen Bereich ist im Zuge der Abwägung zu berücksichtigen.



Eine Lärmsanierungsverpflichtung ohne Erreichen oder Erhöhen der 70/60 dB(A) Grenzwerte gibt es nicht.



Liegt bei einer Linienverbesserung in einem Teilbereich ein erheblicher baulicher Eingriff vor, so sind seine Grenzen genau zu prüfen. Sie liegen im Zweifel am Beginn und Ende der Linienverbesserung, das Gesamtkonzept der Maßnahme ist dabei zu berücksichtigen



Die Planfeststellungsgrenzen sind nicht zwingend die Grenzen des erheblichen baulichen Eingriffs.



Jenseits der Grenzen des erheblichen baulichen Eingriffs sind Lärmschutzansprüche möglich (Baugrubenmodell Straße).



Die fachplanerische Abwägung beinhaltet auch die Betrachtung möglicher Grundrechtsbeeinträchtigungen, die zu der Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen führen können („kleiner“ Lärmschutz).



Keine Ansprüche unmittelbar aus dem Grundgesetz aufgrund möglicher Grundrechtsbeeinträchtigungen.

FFH-Verträglichkeitsprüfung und Abweichungsentscheidung Von Ulrich Storost

I. Einleitung Im März 2007 habe ich bei den Neunten Speyerer Planungsrechtstagen die damals aktuelle Rechtsprechung zum Natur- und Artenschutz im Verkehrswegeplanungsrecht vorgestellt1. Die Aktualität dieses Themas hat seitdem noch zugenommen. Es gibt praktisch kein größeres Straßenbauvorhaben außerhalb im Zusammenhang bebauter Gebiete, dessen Planung sich nicht fachlich und rechtlich intensiv mit der Bewältigung dadurch aufgeworfener Probleme des Natur- und Artenschutzes auseinandersetzen muss. Die damit gestellten Anforderungen an Vorhabenträger, Behörden und Gerichte sind außerordentlich hoch. Ihre rechtzeitige Erfüllung ist im Streitfall oft entscheidend dafür, ob ein solches Vorhaben überhaupt und – wenn ja – innerhalb welcher Zeit es verwirklicht werden kann. Das gilt besonders, wenn im potentiellen Wirkungsbereich des Vorhabens ein Gebiet liegt, das gemäß Art. 4 Abs. 2 und 3 der Habitatrichtlinie2 von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen oder von einem Mitgliedstaat nach Art. 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie3 zum besonderen Schutzgebiet erklärt oder als solches anerkannt wurde. Denn in diesen Fällen müssen Vorhabenträger, Behörden und Gerichte die in Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie, § 34 Abs. 1 BNatSchG bzw. entsprechenden Landesvorschriften normierte Pflicht beachten, Projekte vor ihrer Zulassung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des betreffenden Gebiets zu überprüfen. Hat diese FFH-Verträglichkeitsprüfung ein negatives Ergebnis, darf das Projekt grundsätzlich nicht zugelassen werden. Eine Ausnahme hiervon ist unter ___________ 1 Storost, Natur- und Artenschutz im Verkehrswegeplanungsrecht: Aktuelle Rechtsprechung, in: Ziekow (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Fachplanungs-, Raumordnung- und Naturschutzrechts 2007, Berlin 2008, S. 171 ff. 2 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. Nr. L 206 S. 7). 3 Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. Nr. L 103 S. 1).

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engen rechtlichen Voraussetzungen nur aufgrund einer Abweichungsprüfung zulässig. Diesem Ausschnitt aus dem gemeinschaftsrechtlichen Habitatschutz soll mein heutiger Vortrag gewidmet sein.

II. FFH-Verträglichkeitsprüfung 1. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie erfordern Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des betreffenden Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse dieser Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich der erwähnten Möglichkeit einer Abweichungsprüfung dürfen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zustimmen, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben. Die sich unmittelbar daraus ergebenden Rechtsfolgen hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in einem Urteil vom 7. September 20044 klargestellt. Zugrunde lag ein Vorabentscheidungsersuchen in einem Rechtsstreit über Lizenzen für die Herzmuschelfischerei in dem nach Art. 4 der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenen besonderen Schutzgebiet Wattenmeer. Dieses Schutzgebiet unterlag gemäß Art. 7 der Habitatrichtlinie den Bestimmungen dieser Richtlinie. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil für alle Mitgliedstaaten verbindlich geklärt, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Kriterien die in Art. 6 Abs. 3 Satz 1 erwähnte FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Zu den Voraussetzungen führte der Gerichtshof aus, dass Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, immer dann einer Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen zu unterziehen seien, wenn sich nicht anhand objektiver Umstände ausschließen lasse, dass sie dieses Gebiet einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten erheblich beeinträchtigen könnten. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist in einer Vorprüfung zu ermitteln. Dabei stehe dann fest, dass Pläne oder Projekte das Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, wenn sie drohten, die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu ge___________ 4

Rs. C-127/02, Slg. 2004, I-7405 ff.

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fährden. Dies sei im Lichte der besonderen Merkmale und Umweltbedingungen des betroffenen Gebiets zu beurteilen. Kurz gefasst: Ein Vorhaben ist immer dann auf seine FFH-Verträglichkeit zu prüfen, wenn sich nicht anhand objektiver Umstände ausschließen lässt, dass es die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele gefährden könnte. Die objektive Möglichkeit einer solchen Gefährdung reicht also aus, um die Pflicht zur FFH-Verträglichkeitsprüfung auszulösen. Anders ausgedrückt: Gegenstand der Vorprüfung ist die Frage, ob es objektiv möglich ist, dass das Vorhaben ein Erhaltungsziel des Gebiets gefährdet (positive Möglichkeit). Ist diese Frage zu verneinen, ist das Vorhaben habitatschutzrechtlich zulassungsfähig. Ist sie zu bejahen, ist eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen. Im letzteren Fall stellt sich die weitere Frage, nach welchen Kriterien diese eigentliche FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Hier treibt der Gerichtshof die schon bei den Kriterien der Vorprüfung gezeigte Strenge noch weiter: Zwar schreibe die Richtlinie für die Durchführung dieser Prüfung keine bestimmte Methode vor. Jedoch seien vor der Genehmigung unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse sämtliche Gesichtspunkte des Planes oder des Projektes zu ermitteln, die für sich oder in Verbindung mit anderen Plänen oder Projekten die für das betreffende Gebiet festgelegten Erhaltungsziele beeinträchtigen könnten. Die zuständigen Behörden dürften unter Berücksichtigung dieser Prüfung die Genehmigung nur erteilen, wenn sie Gewissheit darüber erlangt hätten, dass sich das Vorhaben nicht nachteilig auf dieses Gebiet als solches auswirke. Das sei dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran bestehe, dass es keine solchen Auswirkungen gebe. Bestehe hierüber Unsicherheit, seien die Behörden verpflichtet, die Genehmigung zu versagen. Die nationalen Gerichte seien durch das Gemeinschaftsrecht verpflichtet, die Einhaltung dieser rechtlichen Bindung zu prüfen. Gegenstand der FFH-Verträglichkeitsprüfung ist also die Frage, ob es aus wissenschaftlicher Sicht gewiss ist, dass sich das Vorhaben nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirkt (negative Gewissheit). Ist diese Frage zu bejahen, ist das Vorhaben habitatschutzrechtlich zulassungsfähig. Ist sie zu verneinen, darf das Vorhaben nur aufgrund einer positiven Abweichungsprüfung zugelassen werden. Inzwischen liegen aufgrund von Vertragsverletzungsklagen der Kommission bereits einige Entscheidungen vor, in denen der Gerichtshof sich bemüht hat, diese strengen Obersätze auf ihm unterbreitete Sachverhalte anzuwenden: In einem Urteil vom 26. Oktober 20065 hat der Gerichtshof festgestellt, dass die portugiesischen Behörden, zu dem Zeitpunkt, in dem sie die Trassenführung einer Autobahn durch das Vogelschutzgebiet Castro Verde genehmigten, auf___________ 5

Rs. C-304/05 – DVBl 2007, S. 379 ff.

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grund der dafür eingeholten Umweltverträglichkeitsstudie nicht davon ausgehen konnten, dass diese Trassenführung sich nicht nachteilig auf das genannte Gebiet als solches auswirken würde. Denn aus der Studie ergebe sich, dass einige der dort anzutreffenden Vogelarten eine erhöhte Störungsempfindlichkeit und/oder Empfindlichkeit gegenüber der Fragmentierung ihrer Lebensräume durch die Autobahntrasse aufwiesen, dass das Projekt deutlich erhöhte Gesamtauswirkungen sowie erhöhte negative Auswirkungen auf die Vogelwelt in jenem Vogelschutzgebiet habe. Ob sich nach der Durchführung des Projekts solche Wirkungen herausgestellt hätten oder nicht, sei rechtlich unerheblich. In einem Urteil vom 20. September 20076 hat der Gerichtshof festgestellt, dass die italienischen Behörden im Jahre 2003 Arbeiten zur Umgestaltung von zwei Skipisten und damit zusammenhängende Infrastrukturen im Vogelschutzgebiet „Nationalpark Stilfser Joch“ genehmigt haben, ohne die Auswirkungen dieser Maßnahmen einer angemessenen FFH-Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Eine im Jahre 2000 erstellte Umweltverträglichkeitsstudie gehe zwar auf die Auswirkungen dieser Arbeiten auf die Tier- und Pflanzenwelt des Gebiets ein, weise aber selbst auf ihren summarischen und punktuellen Charakter hin und verzeichne eine erhebliche Anzahl von Gesichtspunkten, die nicht berücksichtigt worden seien und noch geprüft werden müssten. Sie stelle damit keine angemessene Prüfung dar, auf die sich die nationalen Behörden zur Genehmigung der fraglichen Arbeiten nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie hätten stützen können. Ein weiterer Umweltverträglichkeitsbericht von 2002 enthalte hinsichtlich der Vögel, derentwegen das Gebiet als besonderes Schutzgebiet eingestuft worden sei, keine erschöpfende Aufstellung der dort anzutreffenden wildlebenden Vögel und zeichne sich durch zahlreiche Feststellungen vorläufiger Art und das Fehlen endgültiger Schlussfolgerungen aus. Er hebe nämlich die Bedeutung von Prüfungen hervor, die erst schrittweise, insbesondere auf der Grundlage der sich im Zuge der Durchführung des Projekts ergebenden Erkenntnisse und Präzisierungen vorzunehmen seien. Daraus ergebe sich, dass auch dieser Bericht nicht als angemessene FFH-Verträglichkeitsprüfung angesehen werden könne. Beide Untersuchungen seien durch Lücken und das Fehlen vollständiger, präziser und endgültiger Feststellungen und Schlussfolgerungen gekennzeichnet. Derartige Feststellungen und Schlussfolgerungen seien jedoch unerlässlich dafür, dass die zuständigen Behörden die für die Genehmigung der Arbeiten erforderliche Gewissheit erlangen konnten. Auf weitere Studien, die erst nach Erteilung der Genehmigung erstellt worden seien, komme es für den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie nicht an. Festzuhalten ist aus dieser Entscheidung vor allem, dass der Gerichtshof nur eine „angemessene“, d.h. dem Maßstab des Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie genügende Verträglichkeitsprüfung als richtlinienkonform ansieht und die ihm ___________ 6

Rs. C-304/05 – NuR 2007, S. 679 ff.

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vorgelegten Unterlagen auch selbst daraufhin überprüft, ob sie diese Anforderung erfüllen. In einem Urteil vom 13. Dezember 20077 hat der Gerichtshof schließlich betont, es sei kein hinreichender Grund, von einer FFH-Verträglichkeitsprüfung abzusehen, dass ein Vorhaben von nur geringer Größe sei und nur begrenzte Auswirkungen auf die Umwelt habe. Denn Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie verlange eine geeignete Prüfung jedes Plans oder Projekts in der Zusammenschau mit anderen Plänen und Projekten. Andernfalls könnten sämtliche Projekte einer bestimmten Art der Verträglichkeitsprüfung entzogen werden, obgleich sie zusammen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben könnten. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof ferner festgestellt, dass die nachträgliche Prüfung einer bereits abgeschlossenen Umgestaltung nicht als mit der Prüfung eines Plans oder Projekts im Sinne von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie gleichwertig angesehen werden könne. 2. Bundesverwaltungsgericht Auch das Bundesverwaltungsgericht stand in mehreren Verfahren vor der Aufgabe, die gemeinschaftsrechtlichen Obersätze auf straßenplanungsrechtliche Lebenssachverhalte anzuwenden. Normativer Ausgangspunkt dafür ist die Umsetzung des Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie durch § 34 Abs. 1 und 2 BNatSchG bzw. die entsprechenden Vorschriften des Landesrechts. In seinem Urteil vom 17. Januar 20078 zum Neubau der Autobahn-Westumfahrung der Stadt Halle an der Saale kam das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Planfeststellung trotz darin vorgesehener konfliktmindernder Maßnahmen nicht den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts genüge. In einem Urteil vom 12. März 20089 zum Neubau der Bundesautobahn A 44 bei Hessisch Lichtenau hielt das Bundesverwaltungsgericht die Beurteilung des Beklagten, das Projekt sei mit den Erhaltungszielen des FFH-Gebiets „Lichtenauer Hochland“ verträglich, ebenfalls für rechtsfehlerhaft. Aus diesen Urteilen lassen sich folgende Grundsätze zur FFH-Verträglichkeitsprüfung herleiten: In der vor der Planfeststellung vorzunehmenden FFH-Verträglichkeitsprüfung muss der Träger des Vorhabens unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nachweisen, dass eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele der betroffenen Gebiete durch das Vorhaben ausgeschlossen ist. Bestehen nach Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und ___________ 7 8 9

Rs. C-418/04 – NuR 2008, S. 101 ff. BVerwG 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1 ff. BVerwG 9 A 3.06 – BVerwGE 130, 299 ff.

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Quellen aus wissenschaftlicher Sicht vernünftige Zweifel daran, dass das Vorhaben die Erhaltungsziele nicht beeinträchtigen werde, so darf die Planfeststellungsbehörde kein positives Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung feststellen. Vielmehr darf sie das Vorhaben dann nur aufgrund einer Abweichungsprüfung nach § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG zulassen. Nach dieser Rechtsprechung ist grundsätzlich jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen erheblich und muss als Beeinträchtigung des Gebietes als solchen gewertet werden10. Unerheblich sind im Rahmen des § 34 Abs. 2 BNatSchG nur Beeinträchtigungen, die kein Erhaltungsziel nachteilig berühren. Gegenstand der behördlichen Prüfung ist hiernach die Frage, ob durch die FFH-Verträglichkeitsprüfung der Nachweis geführt wird, dass eine Beeinträchtigung von Erhaltungszielen ausgeschlossen ist. Ob ein Vorhaben zu einer erheblichen Beeinträchtigung in diesem Sinne führen kann, erfordert eine Einzelfallbeurteilung, die wesentlich von naturschutzfachlichen Feststellungen und Bewertungen abhängt. Deshalb hat die Verträglichkeitsprüfung in einem ersten Schritt eine sorgfältige Bestandserfassung und -bewertung der von dem Vorhaben betroffenen maßgeblichen Gebietsbestandteile zu leisten. Dabei ist es nicht erforderlich, das floristische und faunistische Inventar des betreffenden Gebiets flächendeckend und umfassend zu ermitteln. Erfasst und bewertet werden müssen vielmehr nur die für die Erhaltungsziele maßgeblichen Gebietsbestandteile11. Auf dieser Basis sind sodann die – unmittelbaren und mittelbaren – Einwirkungen zu ermitteln und naturschutzfachlich zu bewerten. Die bei all diesen Ermittlungen und Bewertungen anzuwendende Methode ist zwar nicht normativ festgelegt. Die Methodenwahl muss aber dem für die Verträglichkeitsprüfung allgemein maßgeblichen Standard der „besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse“ entsprechen. Wenn dieser Standard gewahrt wird, steht der Behörde bei der konkreten Zuordnung eines vorgefundenen Pflanzenbestandes zu den in Anhang I der Habitatrichtlinie aufgeführten Lebensraumtypen und bei der Bewertung dieses Bestandes eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu, die einer gerichtlichen Kontrolle nur eingeschränkt zugänglich ist. Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse, die der Planfeststellungsbehörde erst im Anschluss an eine durchgeführte Verträglichkeitsprüfung bis zum Erlass des Planfeststellungsbeschlusses bekannt werden, hat diese bei ihrer Beurteilung zu berücksichtigen. Gleiches trifft für Sachverhaltsänderungen zu, von denen die in das Planfeststellungsverfahren eingebundenen Fachbehörden innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs Kenntnis erlangen. Die Erhaltungsziele eines Gebietes sind grundsätzlich dessen im Verordnungswege festgelegten Schutzzweck zu entnehmen. Umfasst dieser die Erhal___________ 10 11

BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – BVerwG 9 A 20.05 – a.a.O. Rn. 41. BVerwG, Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 – a.a.O. Rn. 72.

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tung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands bestimmter in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgeführter oder in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie genannter Vogelarten sowie ihrer Lebensräume, so ist jeder projektbedingte Verlust von im Gebiet liegenden Brut-, Nahrungs- oder Rückzugsgebieten für diese Arten grundsätzlich eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 34 Abs. 2 BNatSchG. Denn er reduziert den nach Art. 4 Abs. 1 Satz 4 der Vogelschutzrichtlinie zu erhaltenden Lebensraum dieser Arten und wirkt sich deshalb unmittelbar und grundsätzlich in erheblicher Weise auf die Zielsetzung der Richtlinie aus, das Überleben der Art und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen. Gerade dadurch unterscheidet sich der Gebietsschutz der Vogelschutzrichtlinie von dem in ihr auch normierten allgemeinen Artenschutz für Vögel. Die Frage nach der relativen Bedeutung eines Gebiets aus ornithologischer Sicht stellt sich bereits und vor allem bei der Gebietsabgrenzung, an der sich die dafür zuständigen Behörden festhalten lassen müssen. Ausnahmen können nur in Betracht kommen, wenn sich der im Verordnungswege festgelegte Schutzzweck gemeinschaftsrechtskonform und im Einklang mit dem deutschen Naturschutzrecht auf konkrete gebietsspezifische Erhaltungsziele beschränkt, aus denen sich ableiten lässt, dass der vorhabensbedingte Verlust einzelner Brut-, Nahrungs- oder Rückzugsgebiete in einem räumlich abgrenzbaren Teilbereich etwa im Hinblick auf die Populationsdichte oder die räumlichen Schwerpunkte der Vogelart im Gesamtgebiet nicht erheblich ins Gewicht fällt12. Gehört zum Schutzzweck eines Gebiets die Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines in Anhang I der Habitatrichtlinie aufgeführten natürlichen Lebensraums, so muss die FFH-Verträglichkeitsprüfung gemäß Art. 1 Buchst. e der Habitatrichtlinie „die Gesamtheit der Einwirkungen, die den betreffenden Lebensraum und die darin vorkommenden charakteristischen Arten beeinflussen und die sich langfristig auf seine natürliche Verbreitung, seine Struktur und seine Funktionen sowie das Überleben seiner charakteristischen Arten in dem in Art. 2 genannten Gebiet13 auswirken können“, in den Blick nehmen und darf den Erhaltungszustand nur dann als (auch) künftig „günstig“ erachten, wenn x sein natürliches Verbreitungsgebiet sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen und

___________ 12

292.

Vgl. BVerwG, Urt. vom 1.4.2004 – BVerwG 4 C 2.03 – BVerwGE 120, 276 ff.,

13 Gemeint ist das europäische Gebiet der Mitgliedstaaten, für die der Vertrag Geltung hat.

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x die für seinen langfristigen Fortbestand notwendige Struktur und spezifischen Funktionen bestehen und in absehbarer Zeit wahrscheinlich weiterbestehen werden und x der Erhaltungszustand der für ihn charakteristischen Arten günstig ist. Diese Legaldefinition legt es nahe, auch bei diesem Erhaltungsziel grundsätzlich jeden direkten Flächenverlust als erheblich zu werten. Dennoch hat das Bundesverwaltungsgericht unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz solche Flächenverluste als unerheblich angesehen, die lediglich Bagatellcharakter haben, und als Orientierungshilfe hierfür den Endbericht eines im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz durchgeführten Forschungsvorhabens14 herangezogen15. Soweit zum Schutzzweck die Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes einzelner in Anhang II der Habitatrichtlinie aufgeführten Tier- und Pflanzenarten gehört, sind nur diese, nicht etwa alle in dem Gebiet vorhandenen Arten zum Gegenstand der FFH-Verträglichkeitsprüfung zu machen. Einzubeziehen sind allerdings als Bestandteile von natürlichen Lebensraumtypen, für die das Gebiet ausgewiesen wurde, auch die für diese Lebensraumtypen charakteristischen Arten. In diesem Zusammenhang muss die FFH-Verträglichkeitsprüfung gemäß Art. 1 Buchst. i der Habitatrichtlinie auch „die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten in dem in Art. 2 genannten Gebiet auswirken können“, in den Blick nehmen und darf den Erhaltungszustand einer Art nur dann als (auch) künftig „günstig“ erachten, wenn x aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen ist, dass diese Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraums, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird, und x das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen wird und x ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern. Wenn das Vorhaben zu Einwirkungen führt, die die Erhaltung oder Wiederherstellung eines in diesem Sinne günstigen Erhaltungszustands eines zum Schutzzweck des betreffenden Gebiets gehörenden Lebensraums und der dafür charakteristischen Arten oder einer unmittelbar zum Schutzzweck des Gebiets ___________ 14 Lambrecht/Trautner, Fachinformationssystem und Fachkonventionen zur Bestimmung der Erheblichkeit im Rahmen der FFH-VP, Endbericht zum Teil Fachkonventionen, Schlussstand Juni 2007. 15 BVerwG, Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 – a.a.O. Rn. 124 ff.

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gehörenden Art nachteilig beeinflussen, liegt hierin folglich ebenfalls immer eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 34 Abs. 2 BNatSchG. Dazu gehören insbesondere Störungen, als deren Folge eine unmittelbar oder mittelbar zum Schutzzweck des Gebiets gehörende Art aus dem Gebiet vertrieben wird. Zugunsten eines Straßenbauvorhabens dürfen die vom Vorhabenträger geplanten oder im Rahmen der Planfeststellung behördlich angeordneten Schutzund Kompensationsmaßnahmen berücksichtigt werden, sofern sie während der Bauarbeiten und nach der Eröffnung des Verkehrs sicherstellen, dass erhebliche Beeinträchtigungen nicht nur abgemildert, sondern verhindert werden. Wenn durch Schutz- und Kompensationsmaßnahmen gewährleistet ist, dass ein günstiger Erhaltungszustand der geschützten Lebensraumtypen und Arten stabil bleibt, bewegen sich die nachteiligen Wirkungen des Vorhabens unterhalb der Erheblichkeitsschwelle. Es macht aus der Sicht des Habitatschutzes nämlich keinen Unterschied, ob durch ein Vorhaben verursachte Beeinträchtigungen von vornherein als unerheblich einzustufen sind oder ob sie diese Eigenschaft erst dadurch erlangen, dass Schutzvorkehrungen angeordnet und getroffen werden16. Kompensationsmaßnahmen im Sinne der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung sind allerdings nur ausnahmsweise geeignet, die andernfalls fehlende FFH-Verträglichkeit sicherzustellen. Denn sie wirken in der Regel erst deutlich verzögert, und ihr Erfolg kann selten mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Sicherheit vorhergesagt werden17. Verbleibende Zweifel an der Wirksamkeit von Schutz- und Kompensationsmaßnahmen gehen grundsätzlich zu Lasten des Vorhabens. Derzeit nicht ausräumbare wissenschaftliche Unsicherheiten über Wirkungszusammenhänge sind jedoch dann kein unüberwindbares Zulassungshindernis, wenn der Vorhabenträger den Nachweis führt, dass sein Schutzkonzept durch ein geeignetes Risikomanagement den Eintritt eines ökologischen Schadens wirksam verhindern wird. Das bisher übliche Verfahren, den Straßenbaulastträger nur zur Herstellung bestimmter landschaftspflegerischer Maßnahmen zu verpflichten, ihn jedoch nicht für den tatsächlichen Erfolg dieser Maßnahmen verantwortlich zu machen, kann also insoweit nicht mehr ausreichen. Außerdem ist es zulässig, mit Prognosewahrscheinlichkeiten und Schätzungen zu arbeiten; diese müssen kenntlich gemacht und unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse naturschutzfachlich vertretbar begründet werden18. ___________ 16 Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.5.1998 – BVerwG 4 A 9.97 – BVerwGE 107, 1 ff., 27 und v. 27.2.2003 – BVerwG 4 A 59.01 – Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 1 S. 13 f. 17 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 – a.a.O. Rn. 94. 18 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – BVerwG 9 A 20.05 – a.a.O. Rn. 64.

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III. Abweichungsentscheidung 1. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Wenn ein Vorhaben die für die FFH-Verträglichkeit geltende Prüfschwelle der „erheblichen Beeinträchtigung“ nicht überwindet, kann es nur noch im Wege einer Abweichungsentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie zugelassen werden. Diese Vorschrift besteht aus zwei Unterabsätzen, die offensichtlich unterschiedlich strenge Maßstäbe für diese Entscheidung normieren sollen. Deren Formulierung ist nach rechtswissenschaftlichen Kriterien nicht gerade ein leuchtendes Beispiel geglückter Legistik. Denn bei unbefangener Lektüre des Wortlauts bleibt unklar, was zu den Tatbestandsvoraussetzungen gehört und was die Rechtsfolgen sind. Unterabsatz 1 normiert sozusagen das Minimalprogramm der Abweichungsprüfung, das in allen Fällen erfüllt sein muss, in denen ein Vorhaben trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung zugelassen werden soll: Wenn in diesem Fall „aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art“ ein Plan oder Projekt „durchzuführen ist“ und „eine Alternativlösung nicht vorhanden“ ist, so „ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist“. Unterabsatz 2 normiert für den Fall, dass das betreffende Gebiet „einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt“, gesteigerte Anforderungen an die zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses: In diesem Fall „können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden“. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat in seinen bereits erwähnten Urteilen vom 26. Oktober 200619 und 20. September 200720 klargestellt, dass diese Vorschriften als Ausnahme von dem in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 festgelegten Zulassungskriterium eng auszulegen sind. Das bedeutet insbesondere, dass den Mitgliedstaat eine Nachweispflicht für die Erfüllung des genannten Prüfungsprogramms trifft. Nachzuweisen ist also, dass x zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses die Durchführung des Vorhabens erfordern, ___________ 19 20

Rs. C-239/04, DVBl 2007, S. 379 ff., Rn. 35. Rs. C-304/05, NuR 2007, S. 679 ff., Rn. 82.

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x denen durch eine weniger beeinträchtigende Alternativlösung nicht genügt werden kann und x dass alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zur Sicherung des Zusammenhangs des europäischen ökologischen Netzes besonderer Schutzgebiete ergriffen werden. Dass auch die zuletzt genannte Erfüllung der Kohärenzsicherungspflicht trotz der insoweit unklaren Formulierung des Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 1 der Habitatrichtlinie zu den Tatbestandsvoraussetzungen einer positiven Abweichungsentscheidung gehört, hat der Gerichtshof in einem Urteil vom 13. Dezember 200721 ausdrücklich bestätigt. Außerdem hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 20. September 200722 darauf hingewiesen, dass Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie nur zur Anwendung kommt, nachdem die Auswirkungen des Plans oder Projekts gemäß Art. 6 Abs. 3 dieser Richtlinie erforscht wurden. Denn die Kenntnis der Beeinträchtigung der Erhaltungsziele für das fragliche Gebiet sei unerlässliche Voraussetzung für die Anwendung von Art. 6 Abs. 4, da andernfalls keine Anwendungsvoraussetzung dieser Ausnahmeregelung geprüft werden könne. Die Prüfung zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses und der Frage, ob weniger beeinträchtigende Alternativen bestehen, erfordere nämlich eine Abwägung mit den Beeinträchtigungen, die für das Gebiet durch den vorgesehenen Plan oder das vorgesehene Projekt entstünden. Außerdem müssten die Beeinträchtigungen des Gebiets genau identifiziert werden, um die Art etwaiger Ausgleichsmaßnahmen bestimmen zu können. Wenn die nationalen Behörden bei Zulassung des Vorhabens über diese Angaben nicht verfügten, könne die Zulassung nicht auf Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie beruhen. Daraus folgt, dass auch eine „angemessene“, d.h. Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie genügende Verträglichkeitsprüfung zu den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie gehört. Sind also in der vorangegangenen Verträglichkeitsprüfung nicht zu allen sich konkret abzeichnenden Risiken, die das Vorhaben für Erhaltungsziele des Gebiets auslöst, die besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse abgerufen, dokumentiert und berücksichtigt worden, schlagen derartige Mängel notwendig auf eine nachfolgende Abweichungsentscheidung durch. Denn dann lässt sich weder beurteilen, ob die Entscheidung den strengen Anforderungen an das Verhältnis zwischen der Beeinträchtigung der Schutzgebiete und den dafür geltend gemachten Gründen des öffentlichen Interesses genügt, noch ob der Nachweis der Alternativlosig-

___________ 21 22

Rs. C-418/04, NuR 2008, S. 101 ff., Rn. 260. Rs. C-304/05, NuR 2007, S. 679 ff., Rn. 83 f.

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keit des Vorhabens erbracht ist und alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen und sichergestellt sind23. 2. Bundesverwaltungsgericht Die Befürchtung, diese Anforderungen seien real nicht umsetzbar, ist, wie die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zeigt, übertrieben. Im Hinblick auf die im Bundesnaturschutzgesetz vorgesehene Mitwirkung der anerkannten Naturschutzvereine und die bei allen naturschutzrelevanten Plänen und Projekten ohnehin erforderliche Einholung ökologischer Fachgutachten dürften Abruf und Dokumentation der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse trotz des damit verbundenen Aufwands nicht auf unüberwindliche Hindernisse stoßen und sich innerhalb der auch sonst bei Gutachtenaufträgen üblichen Dauer von mehreren Monaten bewältigen lassen. Forschungsaufträge zur Behebung von Erkenntnislücken und methodischen Unsicherheiten der Wissenschaft müssen nicht vergeben werden. Nicht in angemessener Zeit zu schließende Wissenslücken müssen nur offengelegt und in ihrer Relevanz für die Befunde eingeschätzt werden. Dabei kann eine „WorstCase-Betrachtung“ angestellt werden, indem die Behörde hilfsweise die tatsächlich in Rechnung zu stellenden Beeinträchtigungen und ihre Erheblichkeit qualitativ und quantitativ zutreffend unterstellt und auf dieser Grundlage eine Abweichungsentscheidung trifft24. Die Pflicht zur Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse läuft damit in der Praxis lediglich auf eine gesteigerte Begründungspflicht der Planfeststellungsbehörde hinaus, wenn sie sich aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses über ein negatives Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung hinwegsetzen will. Im Hinblick auf die Verankerung dieser Pflicht im Gemeinschaftsrecht sollte man jedoch einen Rückgriff auf Begriffe innerstaatlicher Rechtsdogmatik wie z.B. den unscharfen Topos des „Optimierungsgebots“ ebenso vermeiden wie den Versuch, ausdrücklich das ebenfalls unscharfe Prinzip der Verhältnismäßigkeit gegen die Pflicht der Behörde zur Amtsermittlung der mit einem einzelstaatlichen Vorhaben verbundenen Beeinträchtigungen eines wesentlichen umweltpolitischen Ziels der Gemeinschaft in Stellung zu bringen. Im Falle der Westumfahrung Halle25 hat das Bundesverwaltungsgericht der Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss teilweise stattgegeben. Denn dieser ___________ 23

BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – BVerwG 9 A 20.05 – a.a.O., Rn. 114. Vgl. BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – BVerwG 9 A 20.05 – a.a.O. Rn. 64; Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 – a.a.O. Rn. 154; Beschl. vom 17.7.2008 – BVerwG 9 B 15.08 – NVwZ 2008, S. 1115 ff., 1118. 25 Urt. vom 17.1.2007 – BVerwG 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1 ff. 24

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trug den rechtlichen Vorgaben an die FFH-Verträglichkeit nicht ausreichend Rechnung. Deshalb habe das Projekt allenfalls aufgrund einer Abweichungsprüfung zugelassen werden dürfen. Im an die Trasse grenzenden Teil eines der betroffenen Gebiete befinde sich zumindest ein prioritärer natürlicher Lebensraumtyp, dessen günstiger Erhaltungszustand zu den Erhaltungszielen dieses Gebiets gehöre. Dass das Projekt diesen Lebensraumtyp in keiner Weise beeinträchtige, sei nicht sichergestellt. Darüber hinaus sei im der Gebietsmeldung zugrunde liegenden Standard-Datenbogen ein weiterer prioritärer Lebensraumtyp als Erhaltungsziel aufgeführt, dessen Beeinträchtigung nicht geprüft worden und ebenfalls nicht sicher auszuschließen sei. Infolgedessen habe der Beklagte in der Abweichungsprüfung als zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses nur nach Einholung einer Stellungnahme der Kommission geltend machen dürfen. Daran fehle es hier. Die vorgenommene Abweichungsprüfung sei insoweit schon deshalb defizitär, weil sie davon ausgehe, dass prioritäre Biotope und Arten nicht beeinträchtigt werden und weil ihr auch kein Datenmaterial für zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen oder maßgeblichen günstigen Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt zugrunde liege. Mit der zuletzt genannten Beanstandung trug das Bundesverwaltungsgericht der erwähnten gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe Rechnung, dass der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie begrifflich und anwendungsbezogen eng auszulegen ist. Daraus folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar nicht, dass sich Unterabs. 2 dieser Vorschrift nur auf Maßnahmen bezöge, die unmittelbar dem Gesundheitsschutz, der öffentlichen Sicherheit oder maßgeblichen günstigen Auswirkungen auf die Umwelt zu dienen bestimmt sind. Auch Vorkehrungen zugunsten dieser Schutzgüter im Zusammenhang mit der Verfolgung anderer Ziele könnten es rechtfertigen, ein Vorhaben zuzulassen, das ein besonders schützenswertes Gebiet erheblich beeinträchtigt. Jedoch müsse das jeweilige Gewicht der zu beurteilenden Maßnahme aus dem daran ausgerichteten überwiegenden öffentlichen Interesse „zwingend“ hergeleitet werden können, was für beide Unterabsätze des Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie gelte. Diese Feststellung setze voraus, dass die Gegebenheiten des Einzelfalles näher ermittelt würden, so dass eine Bewertung der wechselseitigen Belange überhaupt möglich werde. Eine nur pauschale Betrachtungsweise genüge nicht. „Zwingende“ Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses setzten allerdings nicht das Vorliegen von Sachzwängen voraus, denen niemand ausweichen könne. Bewertungsmaßstab sei

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vielmehr ein durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleitetes staatliches Handeln26. Im Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 1 der Habitatrichtlinie hat das Bundesverwaltungsgericht für den Neubau der Autobahn A 44 bei Hessisch Lichtenau die gesetzliche Bedarfsfeststellung, die Zugehörigkeit zu den „Verkehrsprojekten Deutsche Einheit“, seine Aufnahme in das geplante „Transeuropäische Verkehrsnetz“, seine raumordnerische Dringlichkeit nach dem Regionalplan Nordhessen 2001 sowie die Erhöhung der Verkehrssicherheit im Straßennetz und die Verminderung der Schadstoffbelastung im gesamten Raum zwischen Eisenach, Kirchheim und Kassel als ihrer Art nach tragfähige Abweichungsgründe anerkannt und die zuvor aufgestellte Absage an eine pauschale Betrachtungsweise damit relativiert27: Zumindest ergänzend zu anderen Gründen könnten insoweit auch Allgemeinbelange der Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes Berücksichtigung finden, wenn die von der Behörde behaupteten positiven Wirkungen des Vorhabens auf diese Belange durch Erfahrungswissen abgesichert seien. Allerdings rechtfertigten solche ihrer Art nach tragfähigen Abweichungsgründe eine Abweichung nur nach Maßgabe einer Abwägung mit dem Integritätsinteresse des betroffenen Schutzgebiets. Die zum Schutz prioritärer Lebensräume und Arten gesteigerten Anforderungen des Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 der Habitatrichtlinie seien dagegen nur erfüllt, wenn Zweck des Vorhabens gerade die Verwirklichung des bezeichneten Schutzgutes sei. Werde also das öffentliche Interesse mit Erwägungen im Zusammenhang mit der menschlichen Gesundheit begründet, so müsse es gerade dieser Schutzzweck sein, der mit dem Projekt erreicht werden soll; als begleitender Nebenzweck genüge er nicht. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit sei entsprechend restriktiv auszulegen. Diese Anforderungen hätten auch Einfluss auf die Intensität der behördlichen und tatrichterlichen Ermittlungen. Erforderlich sei eine bilanzierende Gesamtbetrachtung, die sich darauf erstrecke, ob und ggf. welche anderen Maßnahmen zur Verwirklichung des Schutzzwecks zur Verfügung stünden, und im Falle der Abschnittsbildung das Gesamtprojekt in den Blick nehmen müsse28. Soweit die Planfeststellung der Westumfahrung Halle auf den Verkehrsbedarf als anderen zwingenden Grund des öffentlichen Interesses abstelle, fehle es nicht nur an der gebotenen Stellungnahme der Kommission. Vielmehr habe der Beklagte mangels Vorlage des für seine Verkehrsprognose maßgeblichen Datenmaterials auch nicht nachvollziehbar die Einwände widerlegen können, die der Kläger – gestützt auf eine eigene Prognoserechnung – gegen die Not___________ 26 27 28

BVerwG, Urt. vom 27.1.2000 – BVerwG 4 C 2.99 – BVerwGE 110, 302 ff., 314. Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 – a.a.O. Rn. 158 ff. Vgl. BVerwG, Urt. vom 27.1.2000 – BVerwG 4 C 2.99 – a.a.O. S. 315 ff.

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wendigkeit eines Autobahnbaus an dieser Stelle erhoben habe. Zwar sei es für Gebiete mit prioritären Lebensraumtypen oder Arten kein unüberwindbares Zulassungshindernis, wenn Vorhaben nur mit Gründen sozialer oder wirtschaftlicher Art gerechtfertigt würden. Allerdings müssten diese Gründe dann ähnlich gewichtig sein wie die Gemeinwohlbelange, die in Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 der Habitatrichtlinie als Anwendungsbeispiele ausdrücklich benannt seien. Die Bindungswirkung der gesetzlichen Bedarfsfeststellung reiche nicht aus, um für solche Gebiete dem Vorhaben einen Vorrang gegenüber dem Habitatschutz zu sichern. Vielmehr muss in der Abweichungsentscheidung das Gewicht der für das Vorhaben streitenden Gemeinwohlbelange auf der Grundlage der Gegebenheiten des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Kommission nachvollziehbar bewertet und mit den gegenläufigen Belangen des Habitatschutzes abgewogen worden sein29. Da im Falle der Westumfahrung Halle weder die Verträglichkeitsprüfung noch die für eine Abweichungsentscheidung zu fordernde behördliche Abwägung den dafür geltenden Vorgaben genügte, konnte auch nicht festgestellt werden, dass den vom Beklagten für das Vorhaben geltend gemachten Gründen nicht durch eine weniger beeinträchtigende Alternativlösung entsprochen werden konnte und dass sichergestellt war, dass alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zur Sicherung des Zusammenhangs des europäischen ökologischen Netzes besonderer Schutzgebiete ergriffen würden. Auch zu diesen beiden Tatbestandsvoraussetzungen finden sich in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts konkretisierende Hinweise: Der Begriff der Alternativlösung im Sinne des Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 3 der Habitatrichtlinie bedürfe der Auslegung aus der Funktion des durch Art. 4 dieser Richtlinie begründeten Schutzregimes: Wenn sich die Planungsziele an einem nach dem Schutzkonzept der Richtlinie günstigeren Standort oder mit geringerer Eingriffsintensität verwirklichen ließen, müsse der Projektträger von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Anders als die umfassende fachplanerische Alternativenprüfung, die selbstverständlich auch bei einem positiven Ergebnis der Abweichungsprüfung erforderlich bleibt, sei diese habitatschutzrechtliche Alternativenprüfung nicht Teil einer planerischen Abwägung oder einer anderweitigen Ermessensentscheidung des Projektträgers oder der Planfeststellungsbehörde, sondern unterliege uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle30. Wenn für das Vorhaben zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses streiten, stelle sich zwar nicht mehr die Frage, ob auf das Vorhaben ___________ 29

BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – BVerwG 9 A 20.05 – a.a.O. Rn. 131 ff. Vgl. Urt. vom 27.1.2000 – BVerwG 4 C 2.99 – a.a.O. S. 310; Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 – a.a.O. Rn. 169. 30

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insgesamt verzichtet werden kann. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bleibe aber zu prüfen, ob es dem Vorhabenträger nicht zumutbar ist, auf Standort- oder Ausführungsalternativen auszuweichen. Dabei sei freilich ein strenger Maßstab anzulegen: Die dem Vorhabenträger angesonnenen Vermeidungsanstrengungen überstiegen das zumutbare Maß nur, wenn sie außerhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu dem mit ihnen erreichbaren Gewinn für Natur und Umwelt ständen. In diesem Zusammenhang könnten auch naturschutzexterne Gründe wie verkehrstechnische Gesichtspunkte oder finanzielle Erwägungen den Ausschlag geben31. Von einer zumutbaren Alternative könne ebenso dann nicht mehr die Rede sein, wenn eine Planungsvariante auf ein anderes Projekt hinausläuft, weil die vom Vorhabenträger in zulässiger Weise verfolgten Ziele nicht mehr verwirklicht werden könnten. Bleibe das Ziel(-bündel) dagegen als solches erreichbar, so seien Abstriche am Grad der Zielvollkommenheit als typische Folge des Gebots, Alternativen zu nutzen, hinnehmbar. Wäre das Tatbestandsmerkmal der Alternativlösung schon dann nicht erfüllt, wenn sich das Ziel(-bündel) nicht in genau der gleichen Weise wie vom Vorhabenträger geplant erreichen ließe, so liefe insoweit Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie weitgehend leer32. Eine planerische Variante, die nicht verwirklicht werden kann, ohne dass selbständige Teilziele, die mit dem Vorhaben verfolgt werden, aufgegeben werden, brauche dagegen nicht berücksichtigt zu werden33. Alternativen, die danach noch in Betracht kommen, ständen schließlich einer Abweichungsentscheidung dann nicht entgegen, wenn dem Vorhaben auch am Alternativstandort rechtliche Hindernisse im Wege stehen. Als insoweit relevante Zulassungssperre könne sich auch Art. 6 der Habitatrichtlinie erweisen, wenn diese Vorschrift am Alternativstandort eine gleich wirksame rechtliche Hürde wie an dem vom Vorhabenträger gewählten Standort aufrichtet. Dabei dürfe allerdings das Beeinträchtigungspotential von Straßenbauvorhaben in verschiedenen FFH- oder Vogelschutzgebieten nicht unbesehen gleichgesetzt werden. Bei einem derartigen Vergleich sei vielmehr von entscheidender Bedeutung, ob eine Variante möglich ist, bei der keine der Lebensräume und Arten, für die die jeweils betroffenen Gebiete ausgewiesen worden sind, erheblich beeinträchtigt werden oder, wenn dies zu verneinen ist, ob eine Variante möglich ist, bei der jedenfalls prioritäre Lebensraumtypen und Arten verschont bleiben. Die Feindifferenzierungskriterien, die bei den Eintragungen in das von ___________ 31

Vgl. BVerwG, Urt. vom 27.1.2000 – BVerwG 4 C 2.99 – a.a.O. S. 311; Urt. vom 17.5.2002 – BVerwG 4 A 28.01 – BVerwGE 116, 254 ff., 267 f.; Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 – a.a.O. Rn. 172. 32 Vgl. BVerwG, Urt. vom 17.5.2002 – BVerwG 4 A 28.01 – a.a.O. S. 262; Urt. vom 15.1.2004 – BVerwG 4 A 11.02 – BVerwGE 120, 1 ff., 11 f. 33 BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – BVerwG 9 A 20.05 – a.a.O. Rn. 143.

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der Kommission ausgearbeitete Meldeformular bei der Gebietsmeldung zu beachten sind, müssten dagegen bei dem im Rahmen der Alternativenprüfung gebotenen Trassenvergleich außer Betracht bleiben34. Andererseits schlage eine grundlegende Unterschätzung der Nachteile der vom Vorhabenträger gewünschten Trasse für ein davon betroffenes FFH- oder Vogelschutzgebiet regelmäßig auch auf die Alternativenprüfung durch, weil sie deren Tragfähigkeit insgesamt erschüttere35. Diesem eingeschränkten materiellen Prüfprogramm entspreche der im Rahmen der Alternativenprüfung gebotene Untersuchungsaufwand. Planungsalternativen brauchten daher nur so weitgehend ausgearbeitet und untersucht zu werden, dass sich einschätzen lasse, ob sie für – prioritäre oder nicht prioritäre – FFH-Schutzgüter ein erhebliches Beeinträchtigungspotential bergen. Hierfür werde häufig eine bloße Grobanalyse dieses Potentials ausreichen. Selbst in Fällen, in denen sich eine genauere Untersuchung als notwendig erweise, lasse sich das Vorhandensein solchen Potentials einschätzen, ohne die betreffenden Alternativen bis zur Planreife auszuarbeiten. Dass alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz der globalen Kohärenz von Natura 2000 ergriffen werden, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits 2004 als Tatbestandsvoraussetzung einer Abweichungsentscheidung angesehen36. Durch solche Maßnahmen, die zu dem Projekt hinzutreten, ist die Funktionseinbuße für die Erhaltungsziele zu kompensieren37. Die Ausgestaltung der Kohärenzsicherungsmaßnahmen hat sich deshalb nach Art und Umfang funktionsbezogen an der jeweiligen erheblichen Beeinträchtigung auszurichten. Dementsprechend kommen bei der erheblichen Beeinträchtigung eines Lebensraums die Wiederherstellung des beeinträchtigten oder die Verbesserung des verbleibenden Lebensraums, die Neuanlage eines Lebensraums oder die Beantragung der Eingliederung eines neuen Gebiets mit entsprechendem Erhaltungsziel in das Netz „Natura 2000“ als Kohärenzsicherungsmaßnahmen in Betracht. Diese müssen in räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit der Gebietsbeeinträchtigung stehen. In räumlicher Hinsicht muss die Einbuße der Funktion des beeinträchtigten Gebiets für die biogeografische Verteilung der geschützten Lebensräume und Arten ausgeglichen werden. In zeitlicher Hinsicht muss mindestens sichergestellt sein, dass das Gebiet unter dem Aspekt des beeinträchtigten Erhaltungsziels nicht irreversibel geschädigt wird, bevor ein Ausgleich tatsächlich erfolgt. Ist das gewährleistet, lässt sich die Gewährleistung aber – wie im Regelfall – nicht zeitnah ausgleichen, so ist es hinnehm___________ 34

Vgl. BVerwG, Urt. vom 17.5.2002 – BVerwG 4 A 28.01 – a.a.O. S. 264; Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 – a.a.O. Rn. 170. 35 Urt. vom 17.1.2007 – BVerwG 9 A 20.05 – a.a.O. Rn. 144. 36 Urt. vom 15.1.2004 – BVerwG 4 A 11.02 – a.a.O. S. 11. 37 Vgl. BVerwG, Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 – a.a.O. Rn. 199.

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bar, wenn die Kohärenzsicherungsmaßnahmen rechtzeitig bis zur Vollendung des Vorhabens ergriffen werden, die Funktionseinbußen hingegen erst auf längere Sicht wettgemacht werden38. An die Beurteilung der Eignung einer Kohärenzsicherungsmaßnahme sind weniger strenge Anforderungen zu stellen als an diejenige der Eignung von Schutz- und Kompensationsmaßnahmen: Es genügt, dass nach wissenschaftlichem Kenntnisstand eine hohe Wahrscheinlichkeit ihrer Wirksamkeit besteht. Insoweit verfügt die Planfeststellungsbehörde über eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative, die vor Gericht nur einer Vertretbarkeitskontrolle unterliegt. Um diese vornehmen zu können, muss die Eingriffs- und Kompensationsbilanz im Planfeststellungsbeschluss nachvollziehbar offengelegt werden. Dafür genügt eine verbal-argumentative Darstellung, sofern sie rational nachvollziehbar ist und erkennen lässt, ob der Bilanzierung naturschutzfachlich begründbare Erwägungen zugrunde liegen39. Dass Maßnahmen zugleich dazu dienen, im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung Beeinträchtigungen des Naturhaushalts zu kompensieren, stellt ihre Eignung als Kohärenzsicherungsmaßnahmen nicht in Frage; allerdings muss gewährleistet sein, dass keine Doppelanrechnung auf tatsächlich verschiedene Beeinträchtigungen erfolgt. Ein- und dieselbe Maßnahme kann überdies bezogen auf unterschiedliche Erhaltungsziele einerseits eine in der Verträglichkeitsprüfung zu berücksichtigende Schadensminderungsmaßnahme, andererseits eine Kohärenzsicherungsmaßnahme darstellen. Da Kohärenzsicherungsmaßnahmen gezielt plan- bzw. projektbedingte Beeinträchtigungen ausgleichen sollen, sind sie prinzipiell zusätzlich zu den Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen zu ergreifen, durch die gemäß § 48c Abs. 2 Satz 3 LG im Rahmen des Gebietsmanagements sicherzustellen ist, dass den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 der Habitatrichtlinie entsprochen wird40. Im Planfeststellungsverfahren kann die Regelung von Einzelheiten des Kohärenzausgleichs durch einen Entscheidungsvorbehalt jedenfalls dann einer Planergänzung vorbehalten bleiben, wenn die Durchführung der notwendigen Kohärenzsicherungsmaßnahmen nicht ungewiss ist41. Denn nach § 74 Abs. 3 VwVfG darf die Planfeststellungsbehörde die Lösung eines Problems in dieser Weise vorbehalten, soweit eine abschließende Entscheidung noch nicht möglich ist, aber hinreichend gewährleistet ist, dass sich durch Planergänzung der Konflikt entschärfen und ein Planungszustand schaffen lässt, der den gesetzli___________ 38

Vgl. BVerwG, Urt. vom 12.3.2008, a.a.O. Rn. 200. Vgl. BVerwG, Urt. vom 12.3.2008, a.a.O. Rn. 201 f. 40 Vgl. BVerwG, Urt. vom 12.3.2008, a.a.O. Rn. 203. 41 BVerwG, Beschl. vom 31.1.2006 – BVerwG 4 B 49.05 – Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 21 Rn. 21. 39

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chen Anforderungen entspricht, es sei denn, dass sich die Entscheidung ohne die vorbehaltene Teilregelung als ein zur Verwirklichung des mit dem Vorhaben verfolgten Ziels untauglicher Planungstorso erweist42 Bei der Westumfahrung Halle konnten die der Planfeststellung zugrundeliegenden Ermittlungen und Bewertungen die Zulassung des Vorhabens nicht rechtfertigen. Ein solches Defizit kann regelmäßig nicht durch nachträglichen Prozessvortrag aufgefangen werden, sondern erfordert ein ergänzendes Verfahren. Dieses muss mit einer auf rechtlich einwandfreien Ermittlungen und Bewertungen beruhenden Abwägung und einem entsprechenden neuen Bescheid abgeschlossen werden, der den festgestellten Plan im Ergebnis bestätigen, ändern, ergänzen oder aufheben kann. Demgemäß konnte der auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gerichtete Hauptantrag wegen der Fehlerheilungsvorschrift des § 17 Abs. 6c Satz 2 FStrG a.F. keinen Erfolg haben. Denn es sei nicht auszuschließen, dass die festgestellten Mängel der Planfeststellung in einem solchen ergänzenden Verfahren geheilt würden. Deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich festgestellt, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig sei und nicht vollzogen werden dürfe. In seinem Urteil von 2008 zum Neubau der A 44 bei Hessisch Lichtenau hat das Bundesverwaltungsgericht dagegen trotz Fehlern der ursprünglichen FFHVerträglichkeitsprüfung eine im ergänzenden Verfahren hilfsweise vorgenommene Abweichungsentscheidung gebilligt. Mängel der Abweichungsentscheidung und damit auch eine fehlende Abwägung könnten in einem ergänzenden Verfahren nach § 17e Abs. 6 Satz 2 FStrG auch prozessbegleitend geheilt werden. Das wird allerdings wegen der dargestellten hohen Anforderungen an die Ermittlungs- und Bewertungspflicht der Behörde nur in Ausnahmefällen möglich sein. Hinzu kommt, dass Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie es ausschließen dürfte, Mängel der FFH-Verträglichkeitsprüfung ohne nochmalige Anhörung der Öffentlichkeit zu heilen, soweit eine solche Anhörung für die Genehmigung des Vorhabens vorgeschrieben ist. Die in § 17d FStrG insoweit enthaltene Verweisung auf § 76 VwVfG lässt einen schlichten Rückgriff auf § 73 Abs. 8 VwVfG und § 17a Nr. 6 FStrG nicht mehr zu. Mängel der der Abweichungsentscheidung zugrunde liegenden Abweichungsprüfung sind jedoch auch bei fehlender Heilung in entsprechender Anwendung des § 17e Abs. 6 Satz 1 FStrG unerheblich, wenn sie sich auf das Prüfungsergebnis nicht ausgewirkt haben können43. Diese dem Grundsatz der Planerhaltung geschuldeten Einschränkungen bestätigen den Befund, dass das Habitatschutzrecht bei sorg___________ 42 Vgl. BVerwG, Beschl. vom 30.8.1994 – BVerwG 4 B 105.94 – Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 31 S. 10; Beschl. vom 22.5.1995 – BVerwG 4 B 30.95 – Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr. 16 S. 6 f. 43 BVerwG, Urt. vom 12.3.2008 – BVerwG 9 A 3.06 – a.a.O. Rn. 155.

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fältiger und sachgerechter Handhabung zwar ein hohes, aber nicht regelmäßig unüberwindbares Planungshindernis bildet.

IV. Schlussbemerkung Auch nach den Grundsatzurteilen zur Herzmuschelfischerei, zur Westumfahrung Halle und zum Neubau der A 44 bei Hessisch Lichtenau bleiben sicherlich Fragen offen, die noch der Entscheidung in Leipzig oder Luxemburg bedürfen. Dabei muss das Bundesverwaltungsgericht auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 234 Abs. 3 EGV Rücksicht nehmen, wonach ein Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, verpflichtet ist, eine ihm gestellte, für seine Entscheidung erhebliche Frage der Auslegung einer Richtlinie dem Gerichtshof vorzulegen, es sei denn es liegt bereits eine einschlägige Rechtsprechung vor oder die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts ist – unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft – derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt44. Die für das Fachplanungsrecht zuständigen Senate haben dem Gerichtshof bisher keine Frage zum Habitatschutzrecht vorgelegt, weil ihre Beantwortung, soweit entscheidungserheblich, ihnen nicht so zweifelhaft erschien. Wesentlich vorlagegefährdeter erscheint gegenwärtig das ebenfalls in der Habitat- und Vogelschutzrichtlinie geregelte Artenschutzrecht, dessen unmittelbare Anwendung im Fachplanungsrecht nur schwer mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Verwaltungspraktikabilität in Einklang zu bringen ist. Aber dieses umstrittene Thema steht ja erst morgen auf Ihrer Agenda.

___________ 44

EuGH, Urt. vom 6.10.1982 – Rs. 283/81 – Slg. 1982, 3415 ff.

Eisenbahnrechtliche Aspekte in der Straßenplanfeststellung Von Dirk Herrmann § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG bestimmt, dass bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind. Die (Straßen-)Planfeststellungsbehörden müssen also sämtliche Belange ermitteln, um eine ordnungsgemäße Abwägungsentscheidung treffen zu können. Dies betrifft nicht nur etwa die immissionsschutzrechtlichen Aspekte oder die naturschutzrechtlichen Gesichtspunkte, sondern auch die Beziehungen zu anderen Verkehrsträgern, wie z.B. der Eisenbahn. Eisenbahnrechtliche Aspekte sind in der Straßenplanung vor allem in zwei Konstellationen zu beachten: Erstens in der Konstellation „Straße kreuzt Schiene“ und zweitens in der Konstellation „Straße beansprucht nicht mehr benötigte Bahnflächen“.

I. „Straße kreuzt Schiene“ Ausgangspunkt für die rechtliche Beurteilung dieser Konstellation ist das Eisenbahnkreuzungsgesetz1, das nach § 1 Abs. 1 für die Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen gilt. Das Eisenbahnkreuzungsrecht geht als Spezialrecht den Rechtsvorschriften vor, die für die sich kreuzenden Straßen und Eisenbahnen im Übrigen gelten2, wie z. B. den Landesstraßengesetzen. 1. Ausgestaltung der Kreuzung Die klassische Kreuzung war lange Zeit der höhengleiche Bahnübergang, bei dem die Bahnschranken die Nutzer trennen. Seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, wird an der Reduzierung der Anzahl schienengleicher Bahnüber___________ 1 Gesetz über die Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen i.d.F der Bekanntmachung vom 21.3.1971, zul. geänd. durch VO vom 31.10.2006. 2 Vgl. BVerwG, Urt. vom 4.6.1982, NVwZ 1983, 292/294.

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gänge gearbeitet. Denn diese Form der Kreuzung birgt zum einen ein erhebliches Sicherheitsrisiko und zum anderen sind mit ihr an stark frequentierten Bahnstrecken lange Wartezeiten verbunden. Also werden die Kreuzungen höhenversetzt angeordnet, und zwar zumeist als Straßenunterführung oder als Straßenüberführung; in aller Regel wird nämlich die Straße in die 2. Ebene verlagert, weil die erforderlichen Straßenrampen leichter zu realisieren sind als die Rampen für die Schienenfahrzeuge. Nach § 2 Abs. 1 EKrG sind daher neue Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen, die nach der Beschaffenheit ihrer Fahrbahnen geeignet und dazu bestimmt sind, einen allgemeinen Kraftfahrzeugverkehr aufzunehmen, als Überführung herzustellen. Damit werden der Entscheidungsfreiheit der Straßenplanfeststellungsbehörde über die Straßenführung bereits Grenzen gesetzt, da § 2 Abs. 1 EKrG als zwingende Vorschrift in der Abwägung nicht überwunden werden kann, wenngleich § 2 Abs. 2 EKrG die Zulassung von Ausnahmen ermöglicht, insbesondere bei schwachem Verkehr. Da der schwache Verkehr aber auf beiden Verkehrswegen, also sowohl auf der Straße als auch auf dem Schienenweg3 herrschen muss4, kommt die Zulassung von Ausnahmen nur selten in Betracht. Die Frage, ob eine Ausnahme zulässig ist, muss vor Eintritt in die Abwägung und allein nach den Gesichtspunkten entschieden werden, die sich aus § 2 EkrG ergeben.5 Insofern ist die Straßenplanfeststellungsbehörde grundsätzlich aufgefordert, eine Über- oder Unterführung vorzusehen. Diese Vorgabe ist so eindeutig, dass sie in der Rechtsprechung bisher nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. In der letzten Zeit wurde z.B. die Frage thematisiert, ob es sich bei § 2 Abs. 1 EKrG um eine drittschützende Vorschrift handeln kann, und zwar zu Gunsten der zukünftigen Benutzer der Kreuzung oder der Eigentümer im Quell- und Zielbereich der neuen Straßen, die auf die Benutzung der Kreuzung angewiesen sind. Geklagt hatte z.B. ein von einem Straßenbauvorhaben letztlich nicht enteignungsbetroffener Grundstückseigentümer. Er hatte sich dagegen gewehrt, dass der Planfeststellungsbeschluss einen höhengleichen Bahnübergang vorsah (also eine Ausnahme von der vorerwähnten Regel ermöglicht hat). Mit dem Rückgriff auf § 2 Abs. 1 EKrG wollte er seine Betroffenheit begründen und das Straßenbauvorhaben insgesamt zu Fall bringen.6

___________ 3 4 5 6

Vgl. § 11 Abs. 13 EBO: schwacher Verkehr bei höchstens 100 KfZ/Tag. Marschall/Schweinsberg, EKrG, 5. Aufl. 2000, § 2 Anm. 4.1. Marschall/Schweinsberg, a.a.O., § 2 Anm. 4.1. Vgl. OVG Bremen, Urt. vom 28.3.2006, 1 D 333/05, UPR 2007, 80-LS.

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Das Bundesverwaltungsgericht hat eine drittschützende Wirkung des § 2 Abs. 1 EKrG verneint.7 Die Bestimmung diene dem Ziel, im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs höhengleiche Bahnübergänge bei der Anlegung neuer Kreuzungen von vornherein zu vermeiden. Die Pflicht zum Bau von Überführungen knüpfe also nicht an ein konkretes Sicherheitsdefizit eines Bahnübergangs und an besondere Gefahren für einen bestimmten Personenkreis an, sondern bezwecke im öffentlichen Interesse eine generelle Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in Fällen, in denen ohnehin eine neue Kreuzung gebaut werde. Damit entfaltet § 2 Abs. 1 EKrG auch dann keine drittschützenden Wirkungen zugunsten des künftigen Benutzers einer neu herzustellenden Kreuzung zwischen einer Bundesstraße und einer Bahnstrecke, wenn dieser aufgrund einer engen räumlichen Beziehung in gesteigertem Maße auf die Benutzung der Kreuzung angewiesen ist. 2. Kosten der Kreuzung Kreuzungen von Straße und Schiene sind teuer. Meist sind aufwendige Bauwerke zu errichten, die auch mit langen Zufahrten verbunden sein können. Bei der fernstraßenrechtlichen Planfeststellung gehört zu den abwägungserheblichen öffentlichen Belangen auch das Interesse an einer kostengünstigen Lösung, begründet im Gebot der sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 BHO). Dieses Kosteninteresse kann auch für die Wahl unter mehreren Trassenvarianten ausschlaggebend sein.8 Insofern spielt für die Straßenplanfeststellungsbehörde auch die Frage eine Rolle, welche Kosten entstehen; die Vorhabenträger wollen und müssen wissen, welche Kosten für die Herstellung einer Kreuzung auf sie zukommen. Im Eisenbahnkreuzungsgesetz finden sich diverse Vorschriften, die sich mit der Verteilung der Kosten bei der Errichtung von Kreuzungen befassen. § 5 EKrG legt z.B. eine Vereinbarung der Beteiligten über die Kosten zugrunde, § 11 EKrG regelt die Kostentragung bei der Herstellung einer neuen Kreuzung, § 12 EKrG die Kostentragung bei Maßnahmen an einer Überführung und § 13 EKrG bestimmt als Verteilungsregelung schließlich, dass die Beteiligten je ein Drittel der Kosten tragen, wenn an einem Bahnübergang eine Maßnahme nach § 3 EKrG durchgeführt wird. Detaillierte Regelungen zum Umfang der Kostenmasse finden sich in der Eisenbahnkreuzungsverordnung.

___________ 7 Beschl. vom 16.1.2007, NVwZ 2007, 462/463 f.; vgl. auch BVerwG, Beschl. vom 19.3.1997, NVwZ-RR 1998, 93. 8 VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 14.12.2000, VBlBW 2001, 362/368.

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a) Kostentragung bei Herstellung einer neuen Kreuzung Wird eine neue Kreuzung hergestellt, was gem. § 2 Abs. 3 EKrG der Fall ist, wenn einer der beiden Verkehrswege oder beide Verkehrswege neu angelegt werden9, so hat gem. § 11 Abs. 1 EKrG der Beteiligte, dessen Verkehrsweg neu hinzukommt, die Kosten der Kreuzungsanlage zu tragen. Zu diesen Kosten gehören auch die Kosten der durch die neue Kreuzung notwendigen Änderungen des anderen Verkehrsweges. Diese Regelung ist eindeutig und ermöglicht ohne Weiteres die Ermittlung der Kosten für den Vorhabenträger eines neuen Straßenbauvorhabens, das einen Schienenweg neu kreuzt. Werden eine Eisenbahn und eine Straße hingegen gleichzeitig neu angelegt, so haben die Beteiligten gem. § 11 Abs. 2 EKrG die Kosten der Kreuzungsanlage je zur Hälfte zu tragen. Wann werden zwei Verkehrswege gleichzeitig neu angelegt? Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Bauausführungen zeitlich ganz oder teilweise zusammentreffen. Darüber hinaus soll die gleichzeitige Neuanlage auch dann anzunehmen sein, wenn während der Planung oder der Bauausführung des einen Verkehrswegs das Bedürfnis nach dem Bau des anderen aufgrund von Plänen – Bebauungsplänen oder Raumordnungsplänen – so rechtzeitig dargelegt wird, dass auf die Kreuzung in zumutbarer Weise Rücksicht genommen werden kann10. Dies wird damit begründet, dass konkurrierende Planungsträger auch schon aus dem sich anbahnenden Kreuzungsrechtsverhältnis einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme unterliegen. Im Stadium der Planung und Ausführung von sich notwendig kreuzenden Verkehrswegen sei einem „Wettlauf“ der konkurrierenden Planungsträger entgegenzuwirken. Es dürfe nicht dazu kommen, dass einer der künftigen Kreuzungspartner sein Vorhaben beschleunigt vorantreibe, um einer Kostenteilung nach § 11 Abs. 2 EKrG aus dem Wege zu gehen.11 Gerade die Beantwortung der Frage, ob eine gleichzeitige Anlage von zwei neuen Verkehrswegen erfolgt, kann zu erheblichen Differenzen zwischen den verschiedenen Baulastträgern führen. Daher sollte seitens der Straßenplanfeststellungsbehörde (nicht nur in diesem Fall) auf den Abschluss einer Kreuzungsvereinbarung nach § 5 EKrG gedrungen werde, um so dem Planfeststellungsbeschluss eine einvernehmliche Regelung zugrunde legen zu können. Für den Planfeststellungsbeschluss ist der Abschluss einer Kreuzungsvereinbarung ___________ 9 Vgl. dazu grundlegend BVerwG, Urt. vom 11.12.1981, Buchholz 407.2 EKrG Nr. 8. 10 OVG Land Sachsen-Anhalt, Urt. vom 24.4.2002, DÖV 2002, 955 unter Verweis auf Marschall/Schweinsberg, a.a.O., § 11 EKrG Anm. 4.2. 11 BVerwG, Urt. vom 26.11.2003, NVwZ 2004, 479/480.

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zwar nicht erforderlich12, aber hilfreich, da mit der Vereinbarung nicht nur Einigkeit über die Kosten, sondern auch über technische Details erzielt wird. b) Kreuzungsvereinbarung Gem. § 5 Abs. 1 EKrG sollen die Beteiligten bei Anlage einer neuen Kreuzung (§ 2 EKrG) oder bei Verbesserungsmaßnahmen an bestehenden Kreuzungen (§ 3 EKrG) eine Vereinbarung über Art, Umfang und Durchführung sowie über die Verteilung der Kosten der Maßnahme treffen.13 Für die Straßenplanfeststellungsbehörde liegt das Problem darin, dass sie an der Kreuzungsvereinbarung nicht unmittelbar beteiligt ist – das sind gem. § 1 Abs. 6 EKrG der Straßenbaulastträger und der Baulastträger des Schienenwegs und ggf. gem. § 13 Abs. 1 EKrG der Bund oder das Land –, dass sie also keinen unmittelbaren Einfluss auf die Verhandlungen und vor allem auf deren Dauer nehmen kann. Dies kann zu Verzögerungen hinsichtlich des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses führen. In der Praxis behelfen sich die Behörden teilweise damit, dass sie den Planfeststellungsbeschluss mit einem Vorbehalt gem. § 74 Abs. 3 VwVfG versehen. In den meisten Fällen kommen die Vereinbarungen letztendlich wohl doch immer zustande. Somit ist auch die Frage, ob die Straßenplanfeststellungsbehörde das förmliche Kreuzungsrechtsverfahren gem. § 6 EkrG beantragen kann, wenn eine Kreuzungsvereinbarung nicht zustande kommt, eher akademischer Natur – für ein Antragsrecht der Straßenplanfeststellungsbehörde findet sich auch kein Anhaltspunkt, da die Kreuzungsvereinbarung eben keine zwingende Voraussetzung für den Erlass des Planfeststellungsbeschlusses ist. Im Übrigen wurde auch die Bestimmung des § 9 EKrG, wonach bei Kreuzungen mit Schienenwegen der Deutschen Bundesbahn oder Bundesfernstraßen die Anordnungsbehörde auch die Planfeststellung durchführen konnte, praktisch nie angewandt und somit gestrichen.14 Die Zuständigkeit richtet sich nunmehr nach den Konkurrenzklauseln von Allgemeinen Eisenbahngesetz und Verwaltungsverfahrensgesetz.15 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass in der Konstellation „Straße kreuzt Schiene“ u.a. die nicht drittschützende Vorschrift des § 2 Abs. 1 EKrG ___________ 12

Vgl. z.B. BVerwG, Beschl. vom 2.8.2006, NVwZ 2006, 1290 f. Vgl. dazu aus der Sicht des Bundes: Nr. II der „Richtlinie über das Verfahren nach dem Gesetz über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen (Eisenbahnkreuzungsgesetz)“ des BMVBW (EKrG-Richtlinie 2000), bekannt gegeben VKBl. S. 172; aus der Sicht eines Landes z.B. in Baden-Württemberg: Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums zum Eisenbahnkreuzungsgesetz vom 20.1.2009, GABl. S. 34 ff. 14 Art. 6 Abs. 106 ENeuOG vom 27.12.1993, BGBl. I, S 2378. 15 Bauer, in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl. 1999, Kap. 20 Rdnr. 106. 13

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zu beachten ist und eine Kreuzungsvereinbarung dem Planfeststellungsbeschluss hilfreich zu Grunde gelegt werden kann.

II. „Straße beansprucht nicht mehr benötigte Bahnflächen“ 1. Ausgangslage Vor allem die Kommunen wissen ein Lied davon zu singen, dass der Zugriff auf nicht mehr benötigte Bahnflächen schwierig ist. Angesichts des in § 38 BauGB enthaltenen Vorbehalts des Fachplanungsrechts müssen sie vor einem Zugriff auf diese Flächen durch ihre Bauleitplanung die Flächen „frei bekommen“.16 Allein die Tatsache, dass eine Bahnstrecke oder eine Bahnfläche, wie etwa eine Rangier- oder Abstellfläche oder ein Bahnhofsgelände, nicht mehr genutzt werden, bedeutet nicht, dass die Fläche dem Regime des Allgemeinen Eisenbahngesetzes entzogen wird. Auch die förmliche Stilllegung gem. § 11 AEG, die ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen davon entbindet, eine Eisenbahninfrastruktur nach § 4 AEG weiter betriebssicher unterhalten zu müssen, führt nicht dazu, dass ein Dritter auf die Fläche zugreifen könnte, da die eisenbahnrechtliche Zweckbindung weiter besteht.17 Erforderlich ist vielmehr (schon immer) ein eindeutiger Hoheitsakt, der für jedermann verbindlich sichtbar macht, ob und welche Flächen für andere Nutzungen wieder zur Verfügung stehen.18 Diese Ausgangslage gilt auch für die Straßenplanfeststellungsbehörde, die eben nicht ohne weiteres auf die nicht benötigten Bahnflächen zugreifen kann. Bis zur Einfügung des § 23 AEG im Jahr 2005 wurden vor allem zwei Rechtsinstitute herangezogen, um die Verfügbarkeit solcher Flächen verbindlich zu regeln, die für Bahnzwecke nicht mehr benötigt wurden. Zum einen wurde auf die „Entwidmung“ durch eine ausdrückliche Verfügung des Eisenbahn-Bundesamtes abgestellt. Da im Allgemeinen Eisenbahngesetz aber weder von Widmung noch von Entwidmung die Rede war/ist, handelte es sich dabei um ein Rechtsinstitut der Verwaltungspraxis, das durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt wurde, wenngleich das Gericht den Begriff Entwidmung im Leitsatz der Grundsatzentscheidung in Anführungszei-

___________ 16 Vgl. dazu z.B. Stüer, NVwZ 2006, 512 ff.; Bausback/Schimansky, NVwZ 2008, 247 ff.; Reicherzer, KommJur 2007, 161/164 f. 17 BVerwG, Urt. vom 12.3.2008, BVerwGE 130, 299 ff. (Rdnr. 193). 18 Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 4. Aufl. 2009, Rdnr. 3413.

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chen gesetzt hat.19 Zum anderen wurde in Rechtsprechung und Literatur daneben auch auf die Funktionslosigkeit der Betriebsanlage durch bloßen aber langzeitigen Nichtgebrauch abgestellt.20 Im Jahr 2005 hat der Gesetzgeber § 23 AEG eingeführt21, der die Freistellung von Bahnanlagen regelt; auf Antrag des Eiseninfrastrukturunternehmens, des Grundstückseigentümers oder der Gemeinde wird die Freistellung von Bahnbetriebszwecken festgestellt, wenn kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht und langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht zu erwarten ist. Mit der Freistellung fällt das Fachplanungsprivileg (§ 38 BauGB) weg und die Gemeinde, aber auch die Straßenplanfeststellungsbehörde kann über die ehemaligen Bahnflächen wieder „verfügen“.22 Eine förmliche Aufhebung früherer Zulassungsentscheidungen ist nicht erforderlich; soweit solche existieren, verlieren sie ihre Wirksamkeit durch Erledigung gem. § 43 Abs. 2 VwVfG.23 2. Entscheidung des BVerwG zu § 23 AEG im straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren Die „Entwidmung“ – und daran anschließend die Freistellung nach § 23 AEG – wurde in Rechtsprechung und Literatur bisher allein unter dem Gesichtspunkt betrachtet, dass Kommunen nicht mehr genutzte Bahnflächen für ihre Belange benötigen und Rechtsklarheit über die Zugriffsmöglichkeiten etwa im Rahmen der Aufstellung eines Bebauungsplanes erhalten möchten.24 Vor ca. einem Jahr hat sich das Bundesverwaltungsgericht25 jetzt in einem Verfahren, in dem naturschutzrechtliche Fragen im Vordergrund standen, zu den Möglichkeiten eines Rückgriffs auf § 23 AEG im straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren durch die Planfeststellungsbehörde geäußert. In einem Klagverfahren gegen den Neubau der Bundesautobahn A 44 durch das FFH-Gebiet „Lichtenauer Hochland“ bei Hessisch Lichtenau hat das Ge___________ 19 BVerwG, Urt. vom 16.12.1988, NVwZ 1989, 655/657 f.; später erfolgte die Einschränkung durch Anführungszeichen aber nicht mehr vgl. z.B. Urt. vom 27.11.1996, NVwZ 1997, 920/921. 20 Vgl. BVerwG, Urt. vom 28.10.1998, NVwZ 1999, 539/540, Urt. vom 10.11.2004, NVwZ 2005, 591/593; Dietrich, DVBl. 2007, 657/661 m.w.N. 21 Vgl. dazu z.B. Schmitt, UPR 2005, 427 ff. 22 Zuvor könnte auch eine Gemeinde keine Straßenplanung durch Bebauungsplan verbindlich vornehmen. 23 Hermes, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, § 23 Rdnr. 26. 24 Vgl. z.B. Stüer, NVwZ 2006, 512 ff. 25 Urt. vom 12.3.2008, BVerwGE 130, 299 ff. (Rdnrn. 193-195).

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richt festgehalten, dass der von dem Kläger – einem anerkannten Naturschutzverein – vorgeschlagenen Alternativtrasse, die die Inanspruchnahme einer nicht mehr genutzten Bahnstrecke vorsah, ein unüberwindliches Planungshindernis entgegenstünde. Die Strecke sei zwar stillgelegt worden. Die Stilllegung habe aber nur die Betriebspflicht entfallen lassen, dagegen nichts an der durch die eisenbahnrechtliche Planfeststellung vermittelten Zweckbindungen der Bahnanlagen geändert, die eine Überplanung zu anderen Zwecken ausschließe. Um den planungsrechtlichen Status als Bahnanlage aufzuheben, bedürfe es einer Freistellung von Betriebszwecken gem. § 23 AEG. Eine solche liege jedoch weder vor noch könne sie erwirkt werden. Die (Straßen-)Planfeststellungsbehörde sei selbst nicht in der Lage, über die Freistellung zu entscheiden. Bei dem Freistellungsakt handele es sich um keine Entscheidung im Sinne des § 75 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 Hess VwVfG, die von der Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses erfasst wäre. Ersetzt würden nämlich nur solche Entscheidungen, die für das straßenrechtliche Planungsvorhaben zu treffen seien. Über eine eisenbahnrechtliche Freistellung sei hingegen unabhängig von einem solchen Vorhaben allein unter eisenbahnrechtlichem Blickwinkel zu entscheiden. Auch der Vorhabenträger habe keine Möglichkeit, die Freistellung außerhalb des Planfeststellungsverfahrens zu erreichen. Er gehöre nicht zum Kreis der möglichen Antragsteller eines Freistellungsverfahrens, der in § 23 Abs. 1 AEG abschließend bestimmt sei. Nachdem es mit dieser Feststellung eigentlich sein Bewenden hätte haben können, geht das Bundesverwaltungsgericht noch auf die materiellen Freistellungsvoraussetzungen ein, die ebenfalls verneint werden. Die Entscheidung wurde somit auf zwei Beine gestellt. 3. Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts führt dazu, dass die Möglichkeit, Alternativtrassen mit Aussicht auf Erfolg in ein Planfeststellungsverfahren einzubringen, weiter verringert wird. Die Streckenstilllegung zahlreicher Nebenstrecken der Bahn wird aber dazu führen, dass der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedene Fall keineswegs ein Einzelfall bleiben wird, sondern sich immer wieder die Frage stellen wird, ob womöglich noch nicht freigestellte Bahnbetriebsflächen von Straßentrassen in Anspruch genommen werden können. a) Zuständigkeit der Straßenplanfeststellungsbehörde für die Freistellungsentscheidung aus § 78 VwVfG Zunächst stellt sich die Frage, ob die Straßenplanfeststellungsbehörde zuständige Behörde im Sinne des § 23 Abs. 1 AEG sein kann. Eine „originäre“ Zuständigkeit hat die Straßenplanfeststellungsbehörde nicht, denn die Freistel-

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lungsentscheidung ist im Eisenbahnrecht verortet. Für die Bestimmung der zuständigen Planfeststellungsbehörde nach § 23 Abs. 1 AEG gelten dieselben Regeln wie für eine Planfeststellung nach §§ 18 ff. AEG. Für Freistellungen, die Bahnanlagen von Eisenbahnen des Bundes betreffen, ist also grundsätzlich das Eisenbahnbundesamt zuständig26, während für Bahnanlagen nicht bundeseigener Eisenbahnen die durch Landesrecht bestimmten Behörden zuständig sind.27 Eine Zuständigkeit der Straßenplanfeststellungsbehörde könnte sich aber entweder aus § 78 VwVfG oder aus § 75 VwVfG ergeben. Gem. § 78 Abs. 1 VwVfG findet für mehrere selbständige Vorhaben, für deren Durchführung Planfeststellungsverfahren vorgeschrieben sind, nur ein einziges Planfeststellungsverfahren statt, wenn diese so zusammentreffen, dass nur eine einheitliche Entscheidung möglich ist. Mit der Durchführung nur eines einzigen Planfeststellungsverfahrens geht gleichzeitig die Zuständigkeit für dieses umfassende Planfeststellungsverfahren auf die in § 78 Abs. 2 VwVfG genannte Behörde über. Die Zuständigkeit richtet sich danach nach den Rechtsvorschriften über das Planfeststellungsverfahren, das für diejenige Anlage vorgeschrieben ist, die einen größeren Kreis öffentlich-rechtlicher Beziehungen berührt; bei Straßenbauvorhaben ohne ein paralleles Schienenbauvorhaben dürfte dies zumeist die Straßenplanfeststellungsbehörde sein. Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist wohl ohne Weiteres von einem selbständigen Verfahren der Freistellung von Bahnbetriebsanlagen auszugehen. Die weitere Voraussetzung der Erforderlichkeit gerade eines Planfeststellungsverfahrens für das andere Vorhaben ist hingegen nicht erfüllt. § 23 Abs. 2 AEG sieht nur ein Anhörungsverfahren vor, das mit einem Planfeststellungsverfahren nicht zu vergleichen ist. Eine Zuständigkeitskonzentration gem. § 78 Abs. 1 VwVfG scheidet somit aus. b) Zuständigkeit der Straßenplanfeststellungsbehörde für die Freistellungsentscheidung aus § 75 VwVfG Damit stellt sich dann die weitere Frage, ob die Straßenplanfeststellungsbehörde zumindest aufgrund der Konzentrationswirkung des § 75 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwVfG berechtigt wäre, selbst die Freistellungsentscheidung nach § 23 AEG zu treffen. § 75 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. VwVfG bestimmt, dass neben der Planfeststellung andere behördliche Entscheidungen, insbesondere öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse, Bewilligungen, Zustimmungen und ___________ 26

setz). 27

§ 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 BEVVG (BundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgeHermes, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, § 23 Rdnr. 29.

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Planfeststellungen nicht erforderlich sind.28 Durch diese formelle Konzentration findet somit eine Zuständigkeitsverlagerung statt.29 Damit verdrängen auch die Regelungen des Planfeststellungsverfahrens die verfahrensrechtlichen Bestimmungen der sonst notwendigen Entscheidungen. Zum Umfang der formellen Konzentrationswirkung wird darauf abgestellt, dass nur solche Entscheidungen ersetzt werden, die für das planfestgestellte Vorhaben selbst erforderlich sind.30 Die Konzentrationswirkung erfasst dabei nicht Entscheidungen in Verfahren, die der Planfeststellung notwendig vorausgehen und an die die Planfeststellungsbehörde gebunden ist, wie etwa Genehmigungen nach § 6 LuftVG oder Entscheidungen im Raumordnungsverfahren. Das Bundesverwaltungsgericht hält in seiner Entscheidung zu Hessisch Lichtenau fest, dass von der Konzentrationswirkung die Freistellungsentscheidung deshalb nicht erfasst sei, weil nur solche Entscheidungen ersetzt würden, die für das fernstraßenrechtliche Planungsvorhaben zu treffen seien.31 Für das fernstraßenrechtliche Planungsvorhaben kann aber gerade die Inanspruchnahme einer stillgelegten und – etwas weitergehend formuliert – durch Nichtnutzung bereits faktisch entwidmenden Bahnanlage erforderlich sein. Damit ist die gesetzliche vorgeschriebene Freistellung aber unabdingbare Voraussetzung für den straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschluss. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Planfeststellungsbehörde „fachfremde“ Entscheidungen treffen muss, da mit der Konzentrationswirkung gerade keine materielle Konzentration verbunden ist. Der grundsätzlich zuständigen Behörde verbleibt die Beteiligung nach § 73 Abs. 2 VwVfG. Selbst wenn, wie das Bundesverwaltungsgericht festhält, über die eisenbahnrechtliche Freistellung allein unter eisenbahnrechtlichem Blickwinkel zu entscheiden ist, ist damit nicht automatisch der Rückgriff auf die Konzentrationswirkung des § 75 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwVfG ausgeschlossen. Mit dem Rückgriff auf die Konzentrationswirkung wird auch der „Rang“ der eisenbahnrechtlichen Belange nicht hinter die straßenrechtlichen Belange zurückgesetzt32; es verbleibt bei einer Freistellungsentscheidung allein aus eisenbahnrechtlicher Sicht. Auch ___________ 28 Vgl. dazu auch die Aufzählung bei Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, Rdnr. 4325. 29 Vgl. Fischer, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, Rdnr. 432. 30 Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 75 Rdnr. 10. 31 Urt. vom 12.3.2008, BVerwGE 130, 299 ff. (Rdnr. 194). 32 Die Frage, ob durch eine Freistellung etwa zulässigerweise ein nicht mehr nutzbarer „Torso“ der für das Straßenbauvorhaben nicht benötigten Bahnflächen entsteht, ist auch durch die Straßenplanfeststellungsbehörde zu beantworten. Hinzuweisen ist aber darauf, dass ein „Torso“ auch dann entstehen kann, wenn die Eisenbahnplanfeststellungsbehörde über einen Antrag einer Gemeinde auf Freistellung entscheidet, sei es, weil die Kommune einen Bebauungsplan für ein Baugebiet, sei es, weil sie einen Bebauungsplan für eine Straße aufstellen will.

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über eine wasserrechtliche Erlaubnis oder Befreiung entscheidet die Straßenplanfeststellungsbehörde allein unter Berücksichtigung der wasserrechtlichen Vorschriften.33 Des Weiteren handelt es sich bei der Freistellung auch nicht um ein Verfahren, das der Straßenplanfeststellung notwendig vorausgehen muss. Die Konkurrenzklausel des § 78 VwVfG zeigt, dass die verschiedenen Fachplanungen auf einer Stufe stehen. Schließlich spricht auch das Nichteingreifen des § 78 VwVfG dafür, von dem Erfordernis einer einheitlichen Entscheidung durch die Straßenplanfeststellungsbehörde auszugehen. Aufgrund der angeordneten formellen Konzentrationen ist somit die Straßenplanfeststellungsbehörde grundsätzlich berechtigt, auch über die eisenbahnrechtliche Freistellung zu entscheiden, wenn dies für die planfestzustellende Trasse erforderlich ist, mithin auch über eine im Verfahren vorgeschlagene Alternativtrasse.34 c) Erfordernis eines Antrags eines Antragsberechtigten? Die nächste Frage, die man sich in diesem Zusammenhang stellen kann, ist diejenige, ob die Straßenplanfeststellungsbehörde von sich aus tätig werden kann, oder ob sie auf einen Antrag angewiesen ist, nachdem § 23 Abs. 1 AEG ein Antragserfordernis für die Freistellung statuiert. Grundsätzlich ist im Planfeststellungsverfahren der Vorhabenträger derjenige, der für die einzelnen Erlaubnisse, Genehmigungen etc. antragsberechtigt ist. Dies ist er im vorliegenden Fall aber offensichtlich nicht, da er bei den Antragsberechtigten nicht aufgezählt wird. Entscheidend kommt es somit darauf an, ob das Antragserfordernis eine Sperrwirkung entfaltet. Wenn allein das Interesse eines Einzelnen Anlass für das Verfahren gibt, weil seine Tätigkeit oder Handlungsweise einer Erlaubnis bedarf, handelt es sich typischerweise um ein reines Antragsverfahren, das nicht von Amts wegen eingeleitet werden darf. Für eine trotz Antragserfordernis zulässige Einleitung von Amts wegen spricht hingegen, wenn das durchzuführende Verfahren überwiegend öffentlichen Interessen dienen soll, z.B. weil ___________ 33 Vgl. § 14 Abs. 1 WHG und OVG Bautzen, Beschl. vom 15.12.2005, LKV 2006, 373/375 unter Verweis auf BVerwG, Urt. vom 10.2.1976, BVerwGE 26, 173; vgl. auch Hösch, NVwZ 2006, 665 ff. 34 Vgl. dazu auch Kromer, in: Müller/Schulz, FStrG, § 17 FStrG Rdnr. 58: unechtes Zusammentreffen von Planfeststellungen: Teile eines einzigen Vorhabens sind nach unterschiedlichen Fachplanungsgesetzen zu beurteilen oder es ist ein Vorhaben mit dadurch verursachten Folgevorhaben zuzulassen, auf das an sich mehrere Fachplanungsgesetze Anwendung finden müssten – wg. § 75 Abs. 1 VwVfG muss einheitlich entschieden werden.

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die Behörde mit dem Ziel der Wirtschaftslenkung tätig werden möchte.35 Bei einem Straßenplanfeststellungsverfahren ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es überwiegenden öffentlichen Interessen dienen soll, weshalb auch für ein dafür erforderlich werdendes Freistellungsverfahren nach § 23 AEG von einem überwiegend öffentlichen Interesse ausgegangen werden kann. Insofern bedarf es auch nicht eines Antrags der in § 23 Abs. 1 AEG genannten Antragsbefugten, um eine Entscheidungsmöglichkeit der Straßenplanfeststellungsbehörde zu eröffnen.36 Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass die Straßenplanfeststellungsbehörde aufgrund der in § 75 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. VwVfG angeordneten Konzentrationswirkung berechtigt ist, auch über die Freistellung von Bahnflächen nach § 23 Abs. 1 AEG zu entscheiden. 4. Weitere Handlungsmöglichkeiten der Straßenplanfeststellungsbehörde Auch wenn man die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zu der fehlenden Freistellungsbefugnis der Straßenplanfeststellungsbehörde für zutreffend hält, könnten sich weitere Handlungsmöglichkeiten der Planfeststellungsbehörde ergeben. a) Inanspruchnahme von nicht benötigten Bahnbetriebsflächen außerhalb des Verfahrens nach § 23 Abs. 1 AEG So stellt sich etwa die Frage, ob die Straßenplanfeststellungsbehörde außerhalb des Verfahrens des § 23 AEG die Inanspruchnahme des für Bahnzwecke nicht mehr benötigten Geländes regeln kann, ob also weiterhin auf die Instrumente der Entwidmung und der Funktionslosigkeit zurückgegriffen werden kann. In der Literatur wird insoweit die Auffassung vertreten, dass die Entwidmung neben dem Freistellungsverfahren des § 23 AEG auch in einem anderen Planfeststellungsverfahren erfolgen kann, das eine entsprechende Regelung im Planfeststellungsbeschluss enthält.37 Es stellt sich aber die Frage, ob mit § 23 AEG nicht eine abschließende Regelung getroffen werden sollte.38 Die Geset___________ 35

Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 22 Rdnr. 22. Siehe aber auch Hermes, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, § 23 Rdnr. 30: da allen rechtlich Betroffenen ein eigenes Antragsrecht zusteht, ist für eine Verfahrenseinleitung von Amts wegen keinerlei Bedürfnis erkennbar. 37 Stüer, a.a.O, Rdnr. 3413; ders., NVwZ 2006, 512/513. 38 So z.B. Bausback/Schimansky, NVwZ 2008, 247/249; vgl. auch Stüer, NVwZ 2006, 512/513. 36

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zesmaterialien sind dazu leider nicht sehr ergiebig. Die Vorschrift wurde erst mit der Beschlussempfehlung des Verkehrsausschusses39 in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. In dieser wird primär auf die kommunale Planungshoheit abgestellt und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insoweit zitiert, als dort ein Anspruch der Kommune gegenüber dem Eisenbahnunternehmen auf Erklärung der Freistellung von Bahnbetriebszwecken in bestimmten Konstellationen (dauerhaftes Entfallen der Eigenschaft als Bahnbetriebsanlage; nicht mehr benötigte Bahnfläche) anerkannt wird.40 Das Verfahren nach § 23 AEG stelle sicher, dass eine bahnfremde Nutzung erst dann möglich sei, wenn die öffentlichen Belange, die für eine Nutzung entsprechend der ursprünglichen Zweckbestimmung sprächen, mit Zeitablauf ihr Gewicht nahezu vollständig verloren hätten. Mit dieser Begründung wird nicht auf die Möglichkeit der „Überlagerung“ durch eine andere Fachplanung abgestellt, da sich das Bundesverwaltungsgericht mit dieser Möglichkeit in seiner Leitentscheidung nicht ausdrücklich befasst und auch das Verhältnis zu anderen Fachplanungen nicht thematisiert hatte. Insofern könnte man ein „Schlupfloch“ für die Straßenplanfeststellungsbehörde dahin konstatieren, neben der Freistellung nach § 23 Abs. 1 AEG die „Überlagerung“ der ursprünglichen fachplanerischen Bindung durch eine andere Fachplanung im Planfeststellungsbeschluss vorzunehmen. b) Antragstellung nach § 23 Abs. 1 AEG durch die Straßenplanfeststellungsbehörde? Weiterhin könnte überlegt werden, dass die Straßenplanfeststellungsbehörde selbst bei der zuständigen (Eisenbahn-)Planfeststellungsbehörde einen Antrag nach § 23 AEG stellt. Der Gesetzgeber hat sich mit dieser Konstellation offensichtlich nicht auseinandergesetzt, da er die Möglichkeit, dass eine andere Planfeststellungsbehörde auf nicht mehr benötigte Bahnflächen zugreifen will/muss, nicht in Betracht gezogen hat. Dass dann, wenn kein Antragsrecht des Vorhabenträgers angenommen werden kann, zumindest für ein Antragsrecht der Straßenplanfeststellungsbehörde ein praktisches Bedürfnis besteht, zeigt der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedene Fall. Die Planfeststellungsbehörde muss sämtliche mit der Planfeststellung verbundenen Fragen klären, wozu auch die Frage der Inanspruchnahme von nicht mehr benötigten Bahnbetriebsflächen zählt. Damit wäre die offensichtlich bestehende Lücke im ___________ 39 BT-Drs. 15/4419, S. 18. In den Gesetzentwürfen von Bundesregierung (BT-Drs. 15/3280) und der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Drs. 15/2743) war die Vorschrift noch nicht enthalten. 40 Urt. vom 16.12.1988, NVwZ 1989, 655 ff.

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Wege der Analogie zu schließen und der Straßenplanfeststellungsbehörde ebenfalls ein Antragsrecht einzuräumen. c) Vorbehalt der Planfeststellungsbehörde? Im Bauplanungsrecht wird mit § 9 Abs. 2 BauGB, der das Baurecht auf Zeit vorsieht, den Gemeinden die Möglichkeit eingeräumt, bereits vor der förmlichen Entlassung aus dem eisenbahnrechtlichen Regime planungsrechtliche Regelungen hinsichtlich der Folgenutzungen zu treffen. Das durch den Bebauungsplan vermittelte Baurecht wird also von der Bedingung abhängig gemacht, dass die Freistellung erfolgt. Insofern ist die Frage aufzuwerfen, ob im Planfeststellungsrecht nicht vergleichbar vorgegangen werden könnte. Zwar sind Auflagen, wenn es etwa um Schutzvorkehrungen i.S.d. § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG geht, im Planfeststellungsbeschluss möglich und auch üblich; echte Bedingungen aber nicht, zumal mit der Bedingung der erforderlichen Freistellungserklärung sich die Frage stellt, ob die Abwägungsentscheidung tatsächlich umfassend getroffen wurde. Somit kann wohl allein auf einen Vorbehalt nach § 74 Abs. 3 VwVfG zurückgegriffen werden, der es ermöglicht, sich im Planfeststellungsbeschluss die abschließende Entscheidung vorzubehalten. Voraussetzung dafür wäre aber, dass eine Entscheidung über einzelne abtrennbare Teile noch nicht getroffen werden kann. Bei einer Straßenplanung dürfte oftmals das Gesamtvorhaben von der Freistellung abhängen, so dass sich die Frage nach der Zulässigkeit des Erlasses eines Planfeststellungsbeschlusses unter Vorbehalt stellt. Die Frage ist auch, was der Vorhabenträger von einem Beschluss mit einem derartigen Vorbehalt hätte. Da er selbst kein Antragsrecht hat, wäre er darauf angewiesen, dass Dritte, etwa eine betroffene Gemeinde, den Freistellungsantrag stellen. Im Zweifel würde ein derartiger Planfeststellungsbeschluss kein sicheres Baurecht einräumen. Den Rückgriff auf einen Vorbehalt nach § 74 Abs. 3 VwVfG ist daher als die schlechteste Möglichkeit anzusehen, um neben § 23 AEG auf nicht mehr benötigte Bahnflächen zugreifen zu können. Die soeben aufgezeigten Möglichkeiten für die Straßenplanfeststellungsbehörde, die Freistellung zu erzielen bzw. sie für entbehrlich anzusehen, sind allerdings nicht so überzeugend wie die Möglichkeit der Entscheidung durch die Behörde selbst: Als Resümee ist zu dem Komplex „Straße beansprucht nicht mehr benötigte Bahnflächen“ somit festzuhalten: auch die Straßenplanfeststellungsbehörde hat die Möglichkeit, die Freistellungsentscheidung nach § 23 Abs. 1 AEG zu treffen. Abzuleiten ist dies aus der Konzentrationswirkung des § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, die sämtliche erforderlichen Entscheidungen für eine Straßenplanfeststellung umfasst, mithin auch diejenige darüber, ob eine Straßentrasse nicht mehr benötigte Bahnflächen in Anspruch nehmen darf.

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Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Planfeststellungsbehörden in einem straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren mit zahlreichen eisenbahnrechtlichen Aspekten befasst sein können. Während im Eisenbahnkreuzungsrecht der Straßenplanfeststellungsbehörde jedoch allenfalls eine nachvollziehende Tätigkeit zukommt, kann und muss sie bei der Inanspruchnahme nicht mehr benötigter Bahnflächen selbst eisenbahnrechtlichen Fragestellungen beurteilen.

Inhaltliche Abweichungen von bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlüssen Von Annette Guckelberger Möchte ein Vorhabenträger ein planfeststellungspflichtiges Vorhaben – beispielhaft sei nur die Errichtung eines Bahnhofs samt Gleisanlagen, einer Autobahn oder eines Flughafens genannt – realisieren, muss er zuvor ein Planfeststellungsverfahren durchführen. In diesem bringt die Planungsbehörde innerhalb der durch das Recht gesetzten Grenzen regelmäßig eine Vielzahl konfligierender öffentlicher und privater Belange zum Ausgleich.1 Setzen sich in der Abwägung die für das Vorhaben sprechenden Belange durch, erlässt die Verwaltung einen Planfeststellungsbeschluss. In diesem wird neben der öffentlichrecht-lichen Zulässigkeit des Vorhabens über eventuell erforderliche Folgemaßnahmen sowie gegebenenfalls über vom Vorhabenträger zu berücksichtigende Bedingungen und Auflagen sowie etwaige Ausgleichsmaßnahmen in Form von Schutzvorkehrungen oder Geldausgleich entschieden.2 Betriebliche Regelungen können jedenfalls dann Gegenstand des Planfeststellungsbeschlusses sein, wenn die Planfeststellung, wie man an § 32 Abs. 2 S. 1 Krw-/AbfG oder § 8 Abs. 4 LuftVG sehen kann, zugleich den Betrieb des Vorhabens umfasst.3 Nach einhelliger Auffassung beinhaltet der Planfeststellungsbeschluss einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt, durch den alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den Planbetroffenen geregelt werden.4 Andere behördliche Entscheidungen werden gemäß § 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG für die Vorhabenszulassung nicht mehr benötigt.5 § 74 Abs. 3 ___________ 1 S. dazu Bonk/Neumann, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 72 Rn. 48 f.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 72 Rn. 4; Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 583. 2 S. dazu Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, 2. Aufl. 2009, § 74 Rn. 4; Ziekow, VwVfG, 2006, § 74 Rn. 37. 3 S. zu Betriebsregelungen in Planungsentscheidungen Blümel, VerwArch 93 (1992), 146, 150, 160, 163 f.; Klinger, UPR 2003, 342 ff.; Kramer, Das Recht der Eisenbahninfrastruktur, 2002, S. 140 f. 4 BVerwGE 38, 152, 156; Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 561. 5 Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 564 f.; s. auch Bonk/Neumann (Fn. 1), § 75 Rn. 10 ff.; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 75 Rn. 7 ff.; Siegel, Die Verfahrensbeteiligung von Behörden und anderen Trägern öffentlicher Belange, 2001, S. 136 f.

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VwVfG durchbricht diesen Grundsatz der Einheitlichkeit der Planfeststellung insoweit, als die Behörde, falls ihr eine abschließende Entscheidung noch nicht möglich ist, einzelne Teile aus dem zur Debatte stehenden Plan durch einen Entscheidungsvorbehalt „ausklammern“ kann, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu bescheiden.6 Planfeststellungsbedürftige Vorhaben unterliegen einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.7 Erst mit dem Planfeststellungsbeschluss darf der Vorhabenträger sein Projekt errichten bzw. in Betrieb nehmen.8 Vorbehaltlich abweichender Bestimmungen tritt die Gestattungswirkung mit der Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses ein (§ 74 Abs. 4 S. 1 VwVfG).9 Auf der „sicheren“ Seite steht der Vorhabenträger regelmäßig aber erst, wenn der Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar und damit bestandskräftig wurde. Denn ab diesem Zeitpunkt kommt ihm gemäß § 75 Abs. 2 VwVfG eine Duldungswirkung zu. Mit Unanfechtbarkeit des Beschlusses sind alle Ansprüche Dritter auf Unterlassung, Beseitigung oder Änderung der Anlage oder auf Unterlassung der Benutzung derselben ausgeschlossen.10 Obwohl der Planungsentscheidung ein komplexes Prüfverfahren vorausgeht und es oft lange bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit dauert, kommt es in der Praxis immer wieder vor, dass der Vorhabenträger aus diversen Gründen das bewilligte Planungsvorhaben anders durchführen möchte.11 Als Beispiel dafür sei genannt, dass auf der planfestgestellten Strecke für eine Bundesautobahn nur noch eine Bundesfernstraße gebaut werden soll. Auch wenn der Planfeststellungsbeschluss den Vorhabenträger nicht zu seiner Durchführung verpflichtet, wird er doch an seinen Inhalt gebunden.12 Er darf nicht ohne entsprechende Zulassung statt der bewilligten Autobahn eine andere Straße errichten. Da der Vorhabenträger verständlicherweise nicht noch einmal ein so langwieriges Verfahren durchführen möchte, wird er sich den Ertrag des bisherigen Verfah___________ 6

Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 74 Rn. 129; Ziekow (Fn. 2), § 74 Rn. 52. BVerwG DVBl 1980, 292; NVwZ 2003, 1381, 1382; Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 563; s. dazu auch Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund, 2009, S. 95 ff. 8 Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 563. 9 Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 75 Rn. 5; Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 563. 10 BVerwG DVBl 2008, 518; s. näher zur Duldungswirkung Bonk/Neumann (Fn. 1), § 75 Rn. 58 ff.; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 75 Rn. 190 f.; Ziekow (Fn. 2), § 74 Rn. 12. 11 Berka, Anwendung des § 76 VwVfG im eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsverfahren, in: Ronellenfitsch/Schweinsberger, Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts, Bd. 7 (2002), S. 57, 58; Jarass DVBl 1997, 795. 12 Allesch/Häußler, in: Obermayer, VwVfG, 3. Aufl. 1999, § 76 Rn. 2; Hüting/Hopp UPR 2003, 1; Keilich, Das Recht der Änderung in der Fachplanung, 2001, S. 25; Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 565. 7

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rens zunutze machen wollen und überlegen, ob sich nicht einzelne Elemente des vorliegenden Planfeststellungsbeschlusses auswechseln lassen.

I. Zu den Gründen und Formen inhaltlicher Abweichungen Die Praxisrelevanz inhaltlicher Modifizierungen bereits getroffener Planungsentscheidungen zeigt sich anhand der dafür bereit gestellten Normen. Sofern keine spezialgesetzlichen Bestimmungen einschlägig sind, regelt § 76 VwVfG Planänderungen vor der Fertigstellung des Vorhabens. Mehrere Planungsnormen statuieren explizit ein Planungserfordernis für die Änderung z. B. von Bahnbetriebsanlagen (§ 18 Abs. 1 AEG), von Bundesfernstraßen (§ 17 Abs. 1 S. 1 FStrG) oder von Deponien (§ 31 Abs. 2 S. 1 Krw-/AbfG). Wie andere Verwaltungsentscheidungen unterliegen auch einmal festgestellte Pläne der Antinomie zwischen Stabilität und Flexibilität.13 Für die nachträgliche Änderung planfestgestellter Vorhaben gibt es vielfältige Gründe. Ein Änderungsbedarf kann sich beispielsweise daraus ergeben, dass eine Prognose über die Zunahme des Verkehrs später nicht im vorausgesagten Maße eintritt und man deshalb anstelle der planfestgestellten Autobahn nur noch eine Bundesfernstraße errichten möchte.14 Weil planfeststellungsbedürftige Vorhaben noch mehrere Jahre nach Unanfechtbarkeit des Planes durchgeführt werden können, ist es nicht verwunderlich, wenn infolge des zunehmenden zeitlichen Abstands das genehmigte Vorhaben an neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder technische Neuerungen angepasst werden soll.15 Auch wenn sofort mit der Durchführung des Plans begonnen wird, kann das zugelassene Vorhaben auf unvorhergesehene technische Schwierigkeiten stoßen.16 Des Weiteren kann sich der Vorhabenträger etwa aus wirtschaftlichen Erwägungen dazu entschließen, sein Vorhaben nunmehr mit anderen Schutzmaßnahmen auszustatten, oder in einer kleineren bzw. größeren Dimension zu verwirklichen.17 Schließlich können geänderte rechtliche Rahmenbedingungen, aber auch neue planerische, politische oder unternehmerische Weichenstellungen dazu führen, dass der Vorhabenträ-

___________ 13

Bell/Hermann NVwZ 2004, 288, 289. Hoppe, in: Blümel/Merten/Quaritsch, Verwaltung im Rechtsstaat, Festschrift für Carl Hermann Ule zum 80. Geburtstag, 1987, S. 75, 76. 15 BVerwGE 84, 123, 128 f.; Berka (Fn. 11), S. 58; Jarass DVBl 1997, 795. 16 Henke, Änderung und Ergänzung von Planfeststellungsbeschlüssen, in: Ziekow, Planung 2000 – Herausforderungen für das Fachplanungsrecht, 2001, S. 177, 180 f.; Keilich (Fn. 12), S. 25; Hüting/Hopp UPR 2003, 1. 17 Henke (Fn. 16), S. 181 f.; Siegel (Fn. 5), S. 124. 14

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ger das planfestgestellte Vorhaben in anderer Gestalt als ursprünglich beabsichtigt realisieren möchte.18 Alles in allem können sowohl objektive als auch subjektive Motive den Vorhabenträger zu einer Modifizierung bestandskräftiger Planungsentscheidungen veranlassen. Von einer Änderung aus objektiven Gründen spricht man, wenn äußere, faktische Gegebenheiten die Abweichung von den ursprünglichen planerischen Vorstellungen bedingen.19 Dass auch subjektive Gründe, d. h. gewandelte politische, soziale oder ethische Anschauungen, zur Modifizierung von Planungsvorhaben führen können, ist Konsequenz dessen, dass es regelmäßig dem Willen des Vorhabenträgers anheim gestellt ist, ob und für welches Vorhaben er einen Planfeststellungsantrag einreicht, und er auch nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses frei darüber entscheiden kann, ob er den Plan in die Tat umsetzen möchte. Mit den Worten von Hoppe bedeutet planerische Gestaltungsfreiheit auch, „daß es dem Planungsträger nicht verwehrt sein kann, ‚klüger zu werden’, d. h. seine Ansichten zu ändern und andere Prioritäten zu setzen.“20 Hat sich herausgestellt, dass ein Vorhaben technisch nur anders machbar ist, und möchte der Vorhabenträger aus individuellen Erwägungen sein Projekt nur noch in einer kostengünstigeren Variante durchführen, erfolgt die Abweichung zugleich aus objektiven und subjektiven Gründen. Sehr häufig findet sich die Unterscheidung zwischen quantitativen und qualitativen Abweichungen. Der Begriff der qualitativen Änderungen wird zumeist für Änderungen „innerhalb“ des zugelassenen Vorhabens verwendet. Mit quantitativen Änderungen wird dagegen die Erweiterung bzw. Verkleinerung des Vorhabens gemeint.21 Im immissionsschutzrechtlichen Schrifttum wird zumeist betont, dass mit dem Begriffspaar der quantitativen und qualitativen Änderung keine rechtliche Differenzierung verbunden sei.22 Allerdings vertrat der VGH München in Bezug auf das behördliche Prüfprogramm, dass bei rein quantitativen Änderungen in Form von Erweiterungen diese allein Prüfgegenstand sind, während bei qualitativen Änderungen die Prüfung auch auf unveränderte Anlagenteile zu erstrecken sei, soweit die Änderung auf diese Auswirkungen haben kann.23 Weil – wie noch zu zeigen sein wird – auch eine quanti___________ 18

Hüting/Hopp UPR 2003, 1; Henke (Fn. 16), S. 180 f.; s. auch Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 2. 19 Hoppe (Fn. 14), S. 76. 20 Hoppe (Fn. 14), S. 76 f. 21 So für das BImSchG BVerwG DVBl 1977, 770, 771; BVerwGE 101, 347, 356 f.; Czajka, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, 120. Erg.-Lfg. Aug. 2004, § 16 Rn. 23; Jarass, BImSchG, 7. Aufl. 2007, § 16 Rn. 6. 22 Czajka (Fn. 21), § 16 Rn. 22; Sellner, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. 1, 30. Erg.-Lfg. Okt. 1998, § 16 Rn. 73. 23 VGH München NVwZ-RR 2007, 382, 383; s. auch BVerwG DVBl 1977, 770, 771.

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tative Erweiterung auf die Vorhabensidentität durchschlagen kann, ist in dieser Hinsicht Vorsicht geboten. Die inhaltliche Abweichung kann sich auf verschiedene Faktoren des Vorhabens beziehen. Sie kann die Lage des Vorhabens betreffen, indem etwa eine Deponie an einem anderen Standort gebaut bzw. die vorgesehene kleinräumige Verteilung und Ordnung der zugelassenen Anlagenteile anders gestaltet werden soll.24 Soweit der Planfeststellungsbeschluss Aussagen zum Betrieb des Vorhabens enthält, kann sich die Änderung auch auf diese Komponente beziehen, etwa wenn ein Flughafen abweichend von der Planungsentscheidung auch zur Nachtzeit bzw. rund um die Uhr betrieben werden soll. Üblicherweise werden zum „Betrieb“ des Vorhabens alle Tätigkeiten und Geschehensabläufe zu seiner bestimmungsgemäßen Nutzung gerechnet.25 Im nicht zum Planfeststellungsrecht gehörenden Immissionsschutzrecht wird eine Änderung der Beschaffenheit der Anlage angenommen, wenn sich die Abweichungen auf den Zustand der Anlage beziehen, wozu die technische und betriebliche Ausrüstung, die für ihre Errichtung verwendeten Materialien, die Funktionsfähigkeit und der Wartungszustand gehören.26 Je nach Änderungsmaßnahme können mehrere dieser Faktoren betroffen sein. So kann sich der Vorhabenträger dazu entschließen, die räumliche Lage einer Eisenbahnstrecke zu modifizieren und die Strecke abweichend von der Planungsentscheidung nicht mit einem Schotterbett, sondern einer festen Fahrbahn zu versehen. Letztlich hängt es von der Ausgestaltung der jeweiligen Planungsnormen ab, ob die vom Vorhabenträger angestrebte inhaltliche Modifizierung zwingend einer dieser Änderungsformen zuzuordnen ist oder wegen der Weite des Änderungsbegriffs offen bleiben kann. Schließlich kann man zwischen wesentlichen und unwesentlichen Änderungen des Planungsvorhabens differenzieren. Es dürfte ohne weiteres einleuchten, dass marginale Änderungen der Planungsentscheidung regelmäßig leichter und ohne größeren Aufwand vorgenommen werden können. Je geringer die Modifizierungen sind, umso eher kann an die bestehende Planungsentscheidung und das vorausgegangene Verfahren angeknüpft werden. Je gravierender die beabsichtigte Änderung ausfällt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dadurch die früheren Entscheidungsparameter neu oder anders berührt werden, was unter anderem mit entsprechenden Konsequenzen für das benötig___________ 24

S. zum BImSchG Guckelberger, in: Kotulla, BImSchG, 4. Lfg. Nov. 2004, § 15 Rn. 37; Sellner (Fn. 22), § 16 Rn. 68. 25 S. zum BImSchG Guckelberger (Fn. 24), § 15 Rn. 39; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 53. Erg.-Lfg. 2008, § 15 Rn. 11. 26 S. zum BImSchG Guckelberger (Fn. 24), § 15 Rn. 38; Sellner (Fn. 22), § 16 Rn. 69.

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te Entscheidungsmaterial verbunden ist.27 Dementsprechend sieht z. B. § 76 VwVfG vor, dass Planänderungen von unwesentlicher Bedeutung ohne neues oder in einem vereinfachten Planfeststellungsverfahren getroffen werden können. Wesentliche Planänderungen bedürfen dagegen eines neuen Verfahrens. Schließlich kann die beabsichtigte inhaltliche Modifizierung so gravierend sein, dass die frühere Planungsentscheidung nicht mehr verwertbar ist und ein neues Verfahren mit einer komplett neuen Sachentscheidung zu treffen ist.

II. Zu den Überlegungen des Vorhabenträgers Will ein Vorhabenträger sein Projekt abweichend vom Planfeststellungsbeschluss realisieren, ist zu klären, welche Entscheidung hierfür benötigt wird. Reicht eine Abänderung des bestehenden Planfeststellungsbeschlusses oder ist eine vollkommen neue Sachentscheidung einzuholen? Des Weiteren ist zu klären, welche Konsequenzen die inhaltliche Modifizierung für das materielle Prüfprogramm der Behörde nach sich zieht. Da das Planfeststellungsverfahren zeit- und kostenintensiv ist, möchte der Vorhabenträger möglichst den Ertrag des bisherigen Verfahrens erhalten und nur einzelne Elemente des Plans ändern. Sein Wille wird deshalb dahin gehen, die bestandskräftige Planungsentscheidung weiterhin nutzen zu können und nur in denjenigen Punkten abzuändern, in denen dies aus inhaltlichen Gründen geboten ist. Dass ein festgestellter Plan auch nach Eintritt seiner Unanfechtbarkeit nicht unabänderlich ist, ergibt sich aus § 76 VwVfG und den diesem gegebenenfalls vorgehenden Spezialnormen.28 Nach § 76 Abs. 1 VwVfG bedarf es grundsätzlich eines neuen Planfeststellungsverfahrens, wenn ein festgestellter Plan vor Fertigstellung des Vorhabens geändert werden soll. Wie am Normtext zu sehen ist, ist es für diese Planfeststellungsnorm unerheblich, aus welchen Gründen bzw. aus welchem Anlass der jeweilige Plan geändert werden soll.29 Die Norm ist auch einschlägig, wenn die festgestellte Planungsentscheidung rechtswidrig und möglicherweise zwischenzeitlich bestandskräftig ist.30 Ist der vorliegende Plan wegen Nichtigkeit unwirksam oder zwischenzeitlich aufgehoben worden, fehlt es dagegen am nötigen Anknüpfungspunkt für eine Änderungsentscheidung.31

___________ 27

Siegel (Fn. 5), S. 125. S. etwa § 18d AEG, § 17d FStrG. 29 Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 9; Dürr, in: Knack, VwVfG, 8. Aufl. 2004, § 76 Rn. 17; Keilich (Fn. 12), S. 99; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 1c. 30 S. dazu Kromer/Schmidt, in: Müller/Schulz, FStrG, 2008, § 17d Rn. 6. 31 S. dazu Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 14; Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 8. 28

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Da § 76 Abs. 1 VwVfG für die Planänderung ein neues Planfeststellungsverfahren vorschreibt, mag sich mancher fragen, welcher Vorteil mit dieser Regelung verbunden ist, wenn doch ohnehin ein neues Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden muss. Ohne bereits an dieser Stelle ins Detail zu gehen, sei nur so viel gesagt: Das Planänderungsverfahren unterscheidet sich von einer Neuvornahme der Planung dadurch, dass sich das Verfahren und die anschließend vorzunehmende materielle Prüfung grundsätzlich auf die zur Debatte stehende Änderung beschränken.32 Am Ende des Verfahrens ergeht ein Planänderungsbeschluss. Dieser bildet dann zusammen mit dem bestehenden Plan eine Einheit. Regelungen in der ursprünglichen Zulassungsentscheidung bleiben also erhalten, wenn sie nicht geändert werden.33 Bei der Planänderung ergeht infolgedessen keine erneute Zulassungsentscheidung, soweit eine bereits erfolgte Vorhabenszulassung durch die frühere Planungsentscheidung reicht.34 Betroffene, die keinen oder einen erfolglosen Rechtsbehelf gegen die ursprüngliche Entscheidung eingelegt haben, können wegen ihrer Bestandskraft gegen diese nicht mehr vorgehen. Sie können auch den Änderungsbeschluss nicht angreifen, wenn sie durch die inhaltliche Abweichung nicht erstmals oder weitergehend als bisher belastet werden.35

III. Zur Einschlägigkeit der Planänderungsnormen § 76 Abs. 1 VwVfG ist in denjenigen Konstellationen einschlägig, in denen vor Fertigstellung eines Vorhabens „der festgestellte Plan“ geändert werden soll. Wie man an der Gesetzessystematik sieht, können die Änderungen sowohl wesentlich als auch unwesentlich sein. Stellt man auf den allgemeinen Sprachgebrauch ab, ist unter einer Änderung eine Abweichung vom bisherigen Zustand zu verstehen.36 Da nach § 76 Abs. 1 VwVfG der „festgestellte Plan“ die Bezugsgröße für die Änderung bildet,37 ist eine Änderung jedenfalls zu bejahen, wenn aufgrund der geänderten Planungsvorstellungen einzelne Teile des ___________ 32 Bell/Hermann NVwZ 2004, 288, 289; Jarass DVBl 1997, 795, 798; s. zu den verfahrensrechtlichen Konsequenzen einer Planänderung nachher unter III. 2. und dem materiellen Prüfprogramm unter III. 3. 33 BVerwGE 61, 307, 309; BVerwG NVwZ 2005, 330, 331; UPR 2006, 137; OVG Koblenz NJW 1982, 197, 198; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 15; Fischer, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 529; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 1d; Ziekow (Fn. 2), § 76 Rn. 7. 34 BVerwG NVwZ 2005, 330, 331. 35 BVerwG NVwZ 2005, 330, 331; DVBl 2008, 518, 519. 36 Guckelberger (Fn. 24), § 15 Rn. 28; Rebentisch, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, 80. Erg.-Lfg. Mai 1998, § 15 Rn. 28. 37 Keilich (Fn. 12), S. 82.

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Tenors bzw. des verfügenden Teils des Planfeststellungsbeschlusses zu modifizieren sind.38 Nach wohl überwiegender Meinung soll § 76 VwVfG dagegen unanwendbar sein, wenn sich die Modifizierung nur in der Begründung der Planungsentscheidung niederschlägt. Zur Begründung wird auf den Gesetzeswortlaut des § 76 Abs. 1 VwVfG verwiesen, der die Änderung eines „festgestellten Plans“ verlangt.39 Demgegenüber kann nach vereinzelten Gerichtsentscheiden ein Planfeststellungsbeschluss auch durch eine divergierende Begründung geändert werden, für die jedoch bei Unwesentlichkeit gemäß § 76 Abs. 2 VwVfG kein neues Planfeststellungsverfahren nötig ist.40 Der zuletzt genannte Standpunkt scheint plausibler. Die Regelung des § 74 Abs. 1 VwVfG, wonach die Planfeststellungsbehörde den Plan feststellt und § 69 Abs. 2 VwVfG über die Begründung von Entscheidungen im förmlichen Verfahren Anwendung findet, kann durchaus so aufgefasst werden, dass die Begründung zum festgestellten Plan gehört. Auch wird in § 76 Abs. 2, 3 VwVfG der Terminus der Planänderung verwendet. Von einer Planänderung lässt sich aber auch sprechen, wenn die Begründung des festgestellten Plans abweichend ausgestaltet wird. Selbst wenn äußerlich unverändert ein Verwaltungsakt vorliegt, wird dieser – wie man an der Begründung sieht – inhaltlich geändert, wenn die Zulässigkeit der neuen Planvorstellungen auf einer zum Teil anderen Sach- und Abwägungsentscheidung beruht.41 Im Zuge des Änderungsverfahrens soll der Behörde die beabsichtigte inhaltliche Modifizierung zur Kenntnis gegeben und erst geprüft werden, ob die Abweichung von der Planungsentscheidung zulässig ist. Der Vorhabenträger wird aber oft gar nicht sicher sein, ob sich seine geänderten Vorstellungen auf den Tenor der bestehenden Entscheidung oder nur auf ihre Begründung auswirken. Im Übrigen gehen die Meinungen auseinander, ob bei jeder Modifizierung einer Schutzauflage des Planfeststellungsbeschlusses zugleich eine Änderung im Sinne des § 76 VwVfG anzunehmen ist. Teilweise wird vertreten, dass die Norm nur einschlägig sei, wenn durch die Änderung der Schutzmaßnahme das planfeststellungspflichtige Vorhaben „unmittelbar“ geändert wird.42 Das BVerwG hat sich dagegen auf den Standpunkt gestellt, dass wegen des materiell-rechtlichen Zusammenhangs zwischen dem Vorhaben und den notwendi___________ 38

Hüting/Hopp UPR 2003, 1; Kämper (Fn. 2), § 76 Rn. 3; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 1c. 39 Hüting/Hopp UPR 2003, 1; Kämper (Fn. 2), § 76 Rn. 3; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 1c; s. auch BVerwGE 102, 331, 337. 40 S. dazu BVerwG Buchholz 316 § 76 VwVfG Nr. 4; § 76 VwVfG Nr. 8; VGH Mannheim NuR 1997, 449; ebenso Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 9. 41 Durner VerwArch 97 (2006), 345, 365; s. auch Storost NVwZ 1998, 797, 804. 42 Fischer (Fn. 33), Rn. 519; Mößle BayVBl 1982, 195 f.; für eine generelle Unanwendbarkeit des § 76 VwVfG Ziekow (Fn. 2), § 76 Rn. 2.

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gen Schutzauflagen insbesondere für die planerische Abwägung auch isolierte Änderungen von Schutzauflagen eine Planänderung darstellen.43 1. Änderung oder Aliud? Da zum Begriff der Änderung im Sinne der planungsrechtlichen Vorschriften nicht nur ein erneuerndes, sondern zugleich ein bewahrendes Element gehört44 í bei der Änderungsplanfeststellung werden die modifizierende und frühere planerische Entscheidung zu einem einzigen Ganzen „verwoben“ í, ist § 76 VwVfG unanwendbar, wenn das Planungsvorhaben so modifiziert wird, dass ein Aliud gegenüber der bisherigen Planungsentscheidung vorliegt.45 Wird ein Planungsvorhaben so gravierend umgestaltet, dass sich eine Vielzahl der früheren Entscheidungsparameter ändert, gibt es keinen plausiblen Grund, warum es zu der für das Änderungsverfahren typischen Weiterverwertung des alten Planfeststellungsverfahrens kommen sollte.46 Vielmehr ist aus Gründen der materiellen Entscheidungsrichtigkeit eine Neuprüfung des Vorhabens geboten. Auch ist es unter derartigen Gegebenheiten weitaus verfahrensökonomischer, das behördliche Entscheidungsmaterial neu zusammenzustellen, als lange darüber nachzudenken, welche Teile der bisherigen behördlichen Prüfung noch verwertbar sind und welche „nachgebessert“ werden müssen. Dies hindert die zuständige Behörde aber bei der Prüfung des Neuvorhabens nicht daran, ein im früheren Verfahren in einzelnen Punkten erworbenes Fachwissen ins neue Planungsverfahren einzubringen. a) Eher unproblematische Abgrenzungsfälle Die Krux besteht nun in der Bestimmung, wann inhaltliche Modifizierungen eines Planungsvorhabens noch eine Änderung der bisherigen Planungsentscheidung darstellen und wann sie so gewichtig sind, dass ein Novum bzw. Aliud gegenüber dem herkömmlichen Planungsprojekt vorliegt. Nach ständiger Rechtsprechung und dem Schrifttum zeichnet sich eine Planänderung dadurch ___________ 43

BVerwGE 91, 17, 20 f.; Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 9 f.; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 2; Keilich (Fn. 12), S. 111; zumindest für eine analoge Anwendung Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 6; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 5. 44 Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 12; s. auch Keilich (Fn. 12), S. 88. 45 Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 12; s. zur Neuplanung bei einem Aliud Bell/Hermann NVwZ 2004, 288, 289; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 8; Fischer (Fn. 33), Rn. 524; Henke (Fn. 16), S. 182; Jarass DVBl 1997, 795, 800; Keilich (Fn. 12), S. 87; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 2; Siegel (Fn. 5), S. 125; Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 575. 46 Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 12.

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aus, dass die Identität des bereits zugelassenen Vorhabens nach Art, Gegenstand und Betriebsweise erhalten bleibt.47 Es ist also eine Neuplanung vorzunehmen, wenn die inhaltlichen Modifizierungen des Vorhabenträgers soweit gehen, dass sich das jetzt gewollte Planungsvorhaben deutlich vom früheren Planungsprojekt abhebt, und man es nicht mehr mit ein und demselben Vorhaben, sondern mit einer anderen Planung zu tun hat. Ein solcher Identitätsverlust lässt sich unschwer ausmachen, wenn der Vorhabentyp wechselt, etwa auf dem planfestgestellten Eisenbahngelände eine Straße errichtet werden soll.48 Aber auch wenn der Vorhabentyp gleich bleibt und ein bestimmtes Projekt, z. B. die Errichtung einer Deponie nicht mehr im nördlichen, sondern im südlichen Stadtgebiet erfolgen soll, wird man schlechterdings nicht mehr annehmen können, dass es sich um das gleiche Planungsvorhaben handelt.49 Denn der festgestellte Plan bezieht sich auf die Errichtung einer Deponie an einem konkreten Ort, der sich durch die in der Planungsentscheidung abgearbeiteten Beziehungen des Vorhabens zu seiner Umwelt auszeichnet. Da an einem anderen Ort die Bedingungen für die Errichtung eines solchen Vorhabens anders sein können, ist bei einem Standortwechsel ein neues Planungsverfahren durchzuführen. Dies gilt umso mehr, wenn die Zulassungsentscheidung enteignungsrechtliche Vorwirkung entfaltet. Aus diesem Grund sind bezogen auf den neuen Ort alle Materialien zusammenzutragen, damit die Behörde neu über die Zulassung der Deponieerrichtung befinden kann. Stellt man allein auf den Sinn und Zweck der Vorschriften zur Änderung eines festgestellten Planes ab, kann man auch sagen, dass ein Rekurs auf diese Normen nur solange in Betracht kommt, als durch die beabsichtigte inhaltliche Modifizierung des Planungsvorhabens nicht die Grundzüge der Planung berührt werden50 bzw. die Grundkonzeption der bisherigen Planung bewahrt wird.51 Deshalb stellt zum Beispiel die bloße Veränderung der Höhenlage einer planfestgestellten Gleisanlage kein neues Planungsvorhaben, sondern eine Abänderung der vorliegenden Planungsentscheidung dar.52 Gleiches gilt, wenn aufgrund der Fortentwicklung der Technik die planfestgestellte Deponie, wie vorgesehen, errichtet, aber statt mit einer einfachen Dichtungsschicht mit einer ___________ 47 BVerwG DVBl 1992, 310; NVwZ 1996, 905 (zu § 73 Abs. 8 VwVfG); NVwZRR 2002, 2, 3; Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 12; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 8; Fischer (Fn. 33), Rn. 523; Hüting/Hopp UPR 2003, 1; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 2; Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 575. 48 Keilich (Fn. 12), S. 121. 49 S. dazu auch Henke (Fn. 16), S. 182; weitere Beispiele bei Keilich (Fn. 12), S. 88. 50 So Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 2; Siegel (Fn. 5), S. 125. 51 BVerwG NVwZ 2001, 673, 675; NVwZ-RR 2002, 2, 3; zu § 73 Abs. 8 VwVfG NVwZ 2004, 732, 733; Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 12; Grupp DVBl 1990, 81, 86; Jarass (Fn. 11) DVBl 1997, 795; Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 575. 52 S. dazu auch VGH Mannheim NVwZ 1987, 431.

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Kombinationsdichtung versehen werden soll.53 Das Vorliegen einer bloßen Planänderung wurde des Weiteren bejaht, wenn lediglich eine für das konkrete Planungsvorhaben festgestellte landschaftspflegerische Ausgleichsmaßnahme in den Norden verschoben54 oder ein Maststandort um 15 Meter verlegt werden soll.55 b) „Problemfälle“ Während in den vorherigen Beispielen die Zuordnung der geänderten Planungsvorstellungen zur Planänderung bzw. zu einem anderen Planungsvorhaben relativ einfach fiel, gibt es Konstellationen, in denen sich nur mit Mühe sagen lässt, ob es sich noch um ein und dasselbe Planungsvorhaben handelt, oder bereits ein Aliud vorliegt. Auch wenn die gängige Abgrenzungsformel plausibel erscheint, fehlen zumeist konkretisierende Anhaltspunkte dazu, wie sich die Identität des Vorhabens feststellen lässt.56 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dazu bislang nur einmal geäußert. Die von ihm verwendeten Begriffe des Gesamtkonzepts bzw. der Identität des Vorhabens seien auf das planfestzustellende Vorhaben und nicht die Bedarfsplanung, Landesplanung oder Linienbestimmung zu beziehen.57 Legt man den allgemeinen Sprachgebrauch zugrunde, werden mit dem Begriff der „Identität“ diejenigen Merkmale umschrieben, welche die Eigentümlichkeit eines Vorhabens ausmachen und es von anderen unterscheiden.58 Tatsächlich sind jedoch die Grenzen zwischen dem Gleichbleiben eines Gegenstands, seiner Veränderung und dem Entstehen eines neuen Gegenstands fließend.59 Besonders gut lässt sich dies anhand des folgenden Beispiels illustrieren: Der Vorhabenträger verfügt über einen bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss für die Errichtung von Betriebsanlagen der Eisenbahn auf einer bestimmten Strecke. Nach geraumer Zeit kommt er zu dem Ergebnis, dass er die Strecke als solche verwirklichen möchte, den Planfeststellungsbeschluss aber auf Betriebsanlagen der Straßenbahn umstellen möchte. Reicht es nun, den bestehenden Planfeststellungsbeschluss inhaltlich abzuändern, oder ist ein auf ein neues Planungsvorhaben bezogenes Planfeststellungsverfahren durchzuführen? ___________ 53

BVerwGE 90, 42, 53. VGH Mannheim NuR 2004, 735. 55 VGH München BauR 2005, 1061. 56 S. zu den Schwierigkeiten auch Durner VerwArch 97 (2006), 345, 373. 57 BVerwG NVwZ-RR 2002, 2, 3. 58 S. dazu den Artikel „Identität“ abgerufen am 30.3.2008 über http://de.wikipedia.org/wiki/Identität (allerdings mit Bezug auf den Menschen); in diese Richtung auch Duden, Fremdwörterbuch, 4. Aufl. 1982, S. 327. 59 S. dazu den Artikel „Identität“ (Fn. 58). 54

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Stellt man darauf ab, dass sich die Planfeststellungsvorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetzes und des Personenbeförderungsgesetzes auf Betriebsanlagen von Bahnen beziehen, die auf dem Rad-Schiene-Prinzip beruhen und sowohl Eisen- als auch Straßenbahnen zur Kategorie der „Schienenbahnen“ gehören,60 mag sich mancher zur Aussage veranlasst sehen, dass die Identität des Planungsvorhabens weiterhin gewahrt bleibt. Betont man dagegen, dass Eisenbahn- und Straßenbahnvorhaben in unterschiedlichen Gesetzen geregelt werden, lässt sich genauso gut der Standpunkt einnehmen, dass es sich um unterschiedliche Planungsgegenstände handelt und bereits aus diesem Grund eine Anknüpfung an das frühere Planfeststellungsverfahren ausscheidet. Alles in allem hat man es hier mit einem ähnlichen Problem zu tun, wie es die Zivilrechtswissenschaft lange Zeit beschäftigt hat, nämlich der Frage nach der Abgrenzung einer fehlerhaften von einer Falschlieferung beim Gattungskauf. Mehrere Abhandlungen kamen dabei zu dem Schluss, dass die Abgrenzung zwischen gattungsidentischer und -fremder Ware schwierig ist, weil Gattungsbegriffe einmal weiter und enger gezogen werden können und die Grenzen zum Teil fließend sind.61 Da es bei dem hier zu erörternden Problem um die Feststellung geht, ob eine Änderung eines bestehenden Plans möglich oder die Neuvornahme einer Planungsentscheidung notwendig ist, muss sich die Beurteilung, ob infolge der Modifizierung noch die Identität eines Vorhabens gewahrt wird, an rechtlichen Parametern ausrichten. Entschließt sich der deutsche Gesetzgeber dazu, für Eisen- und Straßenbahnen unterschiedliche Rechtsregimes aufzustellen, ist diese Differenzierung zu respektieren und von einem Identitätsverlust auszugehen, auch wenn es für die Mehrzahl der Betroffenen kaum einen Unterschied machen wird, ob auf den jeweiligen Betriebsanlagen Eisen- oder Straßenbahnen verkehren. Für die Richtigkeit der hier vertretenen Ansicht sprechen die unterschiedlichen Entscheidungsmaßstäbe für Eisen- und Straßenbahnvorhaben. Im Unterschied zu den Straßenbahnen ist bei der Planrechtfertigung von Eisenbahnvorhaben der Aspekt des „Wettbewerbs“ auf der Schiene bedeutsam.62 Darüber hinaus stellt das Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur (§ 14 AEG) einen mittelbar im Rahmen des eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsverfahrens abwägungsbeachtlichen Belang dar.63 Außer___________ 60

BT-Drucks. 12/5015, S. 6; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, 4. Aufl. 2008, Art. 73 Rn. 27, Art. 74 Rn. 98; Heintzen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GrundgesetzKommentar, Band 2, 5. Aufl. 2005, Art. 73 Rn. 55. 61 Foerste JuS 1994, 202, 206; Tiedtke/Schmitt JZ 2004, 1092; Wank JR 1989, 460, 462. 62 S. zur eisenbahnrechtlichen Planrechtfertigung Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 3. Aufl. 2005, Rn. 3099 f., 3109. 63 S. zu § 14 AEG Kramer (Fn. 3), S. 205 ff.; Leitzke IR 2006, 148 ff.; Ruge AöR 131 (2006), 1, 33 ff.; zu den Folgen für Planungsvorhaben nach dem AEG VGH Mann-

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dem geht momentan die Geltungsdauer eisenbahnrechtlicher Planfeststellungsbeschlüsse über diejenige von Straßenbahnvorhaben hinaus,64 woraus sich Rückkoppelungseffekte für die behördliche Sachentscheidung ergeben.65 Da nicht auszuschließen ist, dass die abweichenden materiellen Entscheidungsparameter zwischen Betriebsanlagen der Eisenbahn und solchen für Straßenbahnen bei einer Umstellung auf das andere Schienenbahnvorhaben zu einer abweichenden Sachentscheidung führen können, ist es nachvollziehbar, wenn von der vorliegenden Planungsentscheidung Abstand zu nehmen und neu über das jeweilige Vorhaben zu entscheiden ist. Noch schwerer fällt die Identitätsbeurteilung, wenn anstelle einer planfestgestellten vierstreifigen Bundesautobahn nunmehr eine zweistreifige Bundesstraße auf gleicher Strecke gebaut werden soll. Sowohl die Bundesautobahnen als auch die Bundesstraßen gehören zu den Bundesstraßen des Fernverkehrs (§ 1 Abs. 1, 2 FStrG), die gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 FStrG nur nach vorheriger Planfeststellung gebaut werden dürfen. In einem vor das BVerwG gebrachten Fall wurde geltend gemacht, es handle sich beim Übergang von der Autobahn zur Bundesstraße nur um ein Minus gegenüber dem bisherigen Planungsvorhaben, da die Rückführung mit keinerlei Nachteilen für die Betroffenen verbunden sei. Deshalb reiche es aus, die bestehende Planungsentscheidung abzuändern. Ohne näher auf die Wahrung der Vorhabensidentität einzugehen, lehnte das BVerwG eine bloße Abänderung des vorliegenden Planfeststellungsbeschlusses ab, weil es die die Abwägung beeinflussenden sachlichen Unterschiede beider Planungen verbieten würden, Bundesstraßen schlicht als Minus gegenüber Bundesautobahnen zu bewerten. So mache es einen erheblichen Unterschied, ob die Anbauverbotszone für Hochbauten jeder Art bei Bundesautobahnen 40 m oder bei Bundesstraßen nur 20 m oder die Baubeschränkungszonen jeweils 100 m bzw. 40 m betragen. Den Einwand der Revision, dass die Anlieger letztlich begünstigt werden, wenn anstelle der planfestgestellten Bundesau___________ heim, Urt. v. 6.4.2006, Az. 5 S 848/05; s. auch BVerwG, Beschl. v. 22.5.2008, Az. 9 B 34/07; Döbber, Rechtliche Bezüge zwischen der Mittelvergabe nach dem BSchwAG und dem diskriminierungsfreien Infrastrukturzugang, in: Ronellenfitsch/Schweinsberg (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts, Bd. 12 (2007), S. 137, 151 f.; s. auch Serong, Planfeststellung und Selbstbindung des Vorhabenträgers durch Zugangsvereinbarung, in: Ronellenfitsch/Schweinsberg (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts, Bd. 13 (2008), S. 134, 146. 64 Gemäß § 18c Nr. 1 AEG tritt ein eisenbahnrechtlicher Plan außer Kraft, wenn nicht mit seiner Durchführung innerhalb von zehn Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit begonnen wird, außer der Plan wurde zuvor von der Planfeststellungsbehörde auf Antrag des Vorhabenträgers um höchstens fünf Jahre verlängert. Mangels entsprechender spezialgesetzlicher Bestimmung im PBefG richtet sich die Geltungsdauer der diesbezüglichen Planungsentscheidungen nach den Vorschriften des jeweiligen LVwVfG, die in aller Regel parallel zu § 75 Abs. 4 VwVfG des Bundes ein Außerkrafttreten innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Plans vorsehen. 65 Schütz VBlBW 2007, 441, 445.

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tobahn eine Bundesstraße gebaut werde, hielt es nicht für ausschlaggebend. „Eine Planung der Trassenführung, welche die höheren Ausbau- und Verkehrssicherheitsanforderungen und die größeren Anbauverbots- und Baubeschränkungszonen von Autobahnen berücksichtigen muß, ist weniger flexibel als eine Planung, die geringeren Anforderungen unterliegt und weniger eingriffsintensiv ist. Da Autobahnen frei von höhengleichen Kreuzungen sein müssen, für Zu- und Abfahrten mit besonderen Anschlußstellen auszustatten sind und getrennte Fahrbahnen für den Richtungsverkehr haben sollen (§ 1 III FStrG), ergeben sich auch daraus Zwangspunkte für die Planung, die insbesondere die Abwägung der Trassenführung von Autobahnen, anders als die von Bundesstraßen erheblich beeinflussen.“66 c) Schlussfolgerungen Anhand dieser Beispiele dürfte deutlich geworden sein, dass man sich bei ähnlichen Vorhabentypen bei der Bestimmung, ob noch die Identität des Vorhabens gegeben ist, äußerst schwer tun kann. Anstelle diesen Aspekt zu vertiefen, bietet sich in derartigen Situationen die Prüfung an, ob unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der Planungsvorschriften ein Anknüpfen an die vorliegende Planungsentscheidung sinnvoll oder angesichts der divergierenden materiellen Entscheidungsparameter nicht eine Neuprüfung des Vorhabens geboten ist. Für die Rechtsprechung ist dabei ohne Belang, ob das andere intendierte Planungsvorhaben letztlich für die Betroffenen eine Verbesserung gegenüber dem bislang planfestgestellten Zustand bedeuten würde. Entscheidend ist allein, ob nach Maßgabe der einschlägigen materiell-rechtlichen Kriterien die Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens bei einer Bundesstraße anders als bei einer Bundesautobahn ausfallen könnte. Insbesondere wenn das planfestgestellte und das nunmehr beabsichtigte Planungsvorhaben in unterschiedlichen Gesetzen geregelt werden, streitet eine Vermutung dafür, dass angesichts anderer Zulassungsmaßstäbe nicht mehr an die bisherige Planungsentscheidung angeknüpft werden kann. Im Übrigen wird anhand der Formulierung, ob trotz der beabsichtigten Änderung die Identität des Vorhabens erhalten bleibt, hinreichend deutlich, dass die Prüfung stets anhand des Einzelfalls vorzunehmen ist.67 Überlegenswert ist allenfalls, ob sich nicht gewisse typisierende Aussagen entwickeln lassen, wann regelmäßig noch von einer bzw. keiner Änderung eines festgestellten Planes auszugehen ist, die dann aber anhand des jeweiligen Einzelfalls zu verifizieren sind. ___________ 66

BVerwG NVwZ 1986, 834, 835. S. zur Einzelfallbetrachtung Keilich (Fn. 12), S. 88; Kuschnerus DVBl 1990, 235, 240; Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 576. 67

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Unter anderem kann man erwägen, aus der Zahl der Änderungen Rückschlüsse für die Identität des Vorhabens zu ziehen. Wird nur ein einziges Detail eines Vorhabens modifiziert, wird dies regelmäßig nichts an der Identität des planfestgestellten Vorhabens ändern.68 Je mehr Parameter eines Planungsvorhabens umgestaltet werden, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Schwelle zum Aliud überschritten wird. Allerdings hat das BVerwG zu Recht betont, dass es durchaus Fälle geben kann, in denen die Zahl der Modifizierungen erheblich zu Buche schlägt – in einem Beispiel sollten Wegeverbindungen ergänzt und verbessert werden, eine Spritzschutzwand mit Schallabsorption sowie Schutzvorkehrungen auf einer Brücke hinzukommen, darüber hinaus die Basisabdichtung der Fahrbahn modifiziert und das Einschnittsböschungswasser in die Fahrbahnentwässerung einbezogen werden, zudem wurden ein zusätzlich kombiniertes Absetz- und Rückhaltebecken sowie weitere Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vorgesehen –, sich in der Gesamtheit aber nicht so auswirkt, dass dadurch planerisch ein neues Vorhaben entsteht.69 Daran zeigt sich deutlich, dass allein das Abstellen auf die Zahl der Änderungen für sich betrachtet nicht aussagekräftig ist,70 sondern stets die Gesamtumstände einzubeziehen sind. Auch kann eine einzige Modifikation so gravierend sein, dass dadurch das Wesen des bisherigen Vorhabens infrage gestellt wird. Umgekehrt können mehrere Details eines Planungsvorhabens ohne Antastung der Identität des Vorhabens modifiziert werden. Letztlich entscheidet also weniger die Zahl der vorzunehmenden Modifizierungen, sondern ihre Tragweite für den festgestellten Plan darüber, ob eine Anknüpfung an die frühere Planungsentscheidung möglich ist. In einem Fall, in dem sich die inhaltlichen Modifizierungen auf 5 % des zugelassenen Planungsvorhabens beschränkten, votierte das OVG Koblenz für das Vorliegen einer Planänderung.71 Ähnliche Probleme können bei der Erweiterung oder Verkleinerung eines Vorhabens auftreten. Auf den ersten Blick liegt hier die Schlussfolgerung nahe, dass derartige Maßnahmen wegen ihrer Anknüpfung an die bestehende Planungslage stets als Änderung zu bewerten sind. Allerdings hat das BVerwG in den 1990er Jahren ausgehend von einer am festgestellten Plan orientierten materiellen Betrachtungsweise keine bloße Erweiterung des bisherigen Vorhabens mehr angenommen, wenn die zur Debatte stehende Deponie mehr als doppelt so groß wie die bisherige Fläche ist, die Betriebsweise und die Einzelheiten der Ablagerungstechnik völlig neu geregelt werden und das jetzige Vorhaben ins___________ 68

S. dazu BVerwG, Beschl. vom 15.7.2005, Az. 9 VR 39/04. BVerwG NVwZ 2001, 673, 675; s. zum Gesamtkonzept „Brücke über die Elbe“ BVerwG NVwZ 1996, 905 f. 70 So heißt es bei Keilich (Fn. 12), S. 88: „Für die Beurteilung, ob die Quantität der Abweichung einen derartigen Grad erreicht, können allgemeine Kriterien schwerlich gefunden werden.“ S. auch Kuschnerus DVBl 1990, 235, 239 f. 71 OVG Koblenz NJW 1982, 197, 200. 69

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gesamt von der bestehenden Altanlage unabhängig ist.72 Mit anderen Worten kann eine Erweiterung nur dann als Planänderung eingestuft werden, wenn sie sich als „Fortschreibung“ des planfestgestellten Vorhabens darstellt. Entscheidend sind wieder die Umstände des Einzelfalls. Ist die Vergrößerung so gravierend, dass dadurch der Gesamtcharakter des Planungsvorhabens infrage gestellt wird, kann dies zur Notwendigkeit einer völlig neuen Planungsentscheidung führen. Im Jahre 2006 entschied das BVerwG explizit, dass der Begriff der „Änderung“ grundsätzlich auch die Erweiterung eines Flughafens umfasst.73 Des Weiteren wird diskutiert, ob Vorhabensreduzierungen Änderungen sein können. Nach Meinung von Keilich sollen bloße Vorhabensreduzierungen, etwa wenn eine Schienenstrecke nicht zwei-, sondern nur eingleisig gebaut wird, schon sprachlich keine Änderung sein. Der Vorhabenträger weiche nicht von der Gestattungssituation ab. Er verzichte nur auf Teile des planfestgestellten Vorhabens. Lediglich wenn sonstige inhaltliche Veränderungen im Planungsgefüge erforderlich würden und deshalb das Bedürfnis nach einer neuerlichen Prüfung aufgeworfen wird, sei eine Planänderung notwendig.74 Demgegenüber hat die Rechtsprechung erst jüngst betont, dass unter einer Änderung jede Abweichung vom ursprünglichen Bescheid zu verstehen ist.75 Damit ist auch die Errichtung eines Flughafens mit einer Startbahn weniger eine rechtserhebliche Änderung. Dass auch die Verkleinerung eines Vorhabens zulassungspflichtig ist, macht Sinn. Denn derartige Verringerungen können sich durchaus auf die Planrechtfertigung oder Abwägung der bisherigen Planungsentscheidung auswirken.76 Alles in allem dürfte sich gezeigt haben, dass die Bestimmung, ob eine Änderung eines festgestellten Plans oder eine Neuplanung vorliegt, diffizil sein kann. Allgemeine Aussagen dazu lassen sich nur schwer entwickeln. Auch sieht man an § 76 VwVfG, dass es wesentliche Änderungen geben kann, bei denen die Identität des Vorhabens gewahrt bleibt und die Anpassung der bisherigen Planungsentscheidung an die geänderten Planungsabsichten ausreicht. Da die Bezugsgröße des § 76 VwVfG der festgestellte Plan ist und dessen Inhalt je nach Vorhaben unterschiedlich sein kann, kann letztlich nur bezogen auf den jeweiligen Einzelfall festgestellt werden, welche Folgen die inhaltliche Modifizierung für die Identität des Vorhabens nach sich zieht. Geht es z. B. in dem ___________ 72

BVerwG NVwZ 1992, 789. BVerwG NVwZ 2006, 1055; s. auch Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 13. 74 Keilich (Fn. 12), S. 119. 75 BVerwG UPR 2008, 114, 115. 76 BVerwGE 74, 214, 219; s. auch Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 18; s. zur Anwendbarkeit des § 76 VwVfG bei einer Teilaufhebung NVwZ 2005, 327, 328; s. zur Annahme einer Änderung gemäß § 73 Abs. 8 VwVfG, wenn statt einer zwei- nur noch eine eingleisige Spurführung beabsichtigt wird, BVerwG NVwZ 1999, 70. 73

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Planfeststellungsbeschluss um einen großen Schienenkomplex, dürfte sich eine etwas abweichende Gestaltung des Schienenverlaufs auf einem Bruchteil der Strecke kaum auf die Identität des Vorhabens auswirken. Anders kann die rechtliche Beurteilung dagegen ausfallen, wenn es sich um ein kleinräumiges Projekt handelt und die Änderung deshalb eine andere Tragweite entfaltet.77 In Zweifelsfällen sollte man sich eher nicht an dem wenig griffigen Merkmal der „Identität“ des Vorhabens aufhalten, sondern sich am Sinn und Zweck der gesetzlichen Bestimmungen über Planänderungen orientieren. Der Gesetzgeber hat durch diese zum Ausdruck gebracht, dass es Situationen geben kann, in denen trotz der angestrebten inhaltlichen Modifizierungen am Ertrag des früheren Planungsverfahrens festgehalten werden kann und durch eine zweite, im Grundsatz auf die Änderung beschränkte behördliche Entscheidung ein auf den „zusammengesetzten“ Plan in inhaltlicher Hinsicht befriedigender Rechtszustand herbeigeführt werden kann. Entscheidend ist, ob trotz der beabsichtigten inhaltlichen Abweichung das bisherige Planungskonzept erhalten bleibt. Wenn ja, ist ein Planänderungsverfahren durchzuführen, ansonsten ein völlig neues Planungsverfahren. Um zu demonstrieren, wie folgenschwer diese Weichenstellung ist, werden nachfolgend die Anforderungen an Planänderungen behandelt und ihnen sodann die Neuplanung gegenübergestellt. 2. Zum Planänderungsverfahren Lassen sich abweichende Planungsvorstellungen durch eine Änderung des festgestellten Planes verwirklichen, wird der Vorhabenträger bei der zuständigen Behörde eine Planänderung beantragen.78 Ähnlich wie bei der Einleitung ___________ 77

Kuschnerus DVBl 1990, 235, 240. Es ist umstritten, ob ein Planänderungsverfahren auch ohne Antrag von Amts wegen eingeleitet werden kann. Für die Möglichkeit einer Planänderung von Amts wegen Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 9; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 3; Keilich (Fn. 12), S. 194; Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 576; a. A. Grupp DVBl 1990, 81, 86; MüllerSteinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 134. Wurde für ein bestimmtes Projekt eines bestimmten Vorhabenträgers ein Planfeststellungsbeschluss erlassen und möchte nun zwar nicht dieser, sondern ein anderer das Vorhaben in modifizierter Form durchführen, stellt sich die interessante Frage, wie sich in einer solchen Konstellation das Änderungsverfahren gestaltet. Sofern bei der Planungsentscheidung zugleich über individuelle Eigenschaften des Vorhabenträgers zu entscheiden ist, scheidet in dieser Hinsicht eine Rechtsnachfolge aus. Soweit es sich um eine Realkonzession handelt und nur über sachliche Aspekte zu entscheiden ist, wird man unter Zugrundelegung der Rechtsprechung sagen können, dass die Planungsentscheidung als dinglicher Verwaltungsakt auf einen Rechtsnachfolger übergehen kann (s. zur Rechtsnachfolge bei dinglichen Verwaltungsakten BVerwG DÖV 1971, 640 f.; Dietlein, Nachfolge im Öffentlichen Recht, 1999, S. 365 ff., 408 ff.; Siegel (Fn. 7), S. 99; Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 3. Aufl. 2008, § 77 Rn. 4). In einer solchen Situation kann man deshalb in Erwägung ziehen, dass der bisherige Vorhabenträger die Angelegenheit auf 78

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eines erstmaligen Planfeststellungsverfahrens wird durch diesen Antrag der Verfahrensgegenstand des Änderungsverfahrens festgelegt.79 Da § 76 VwVfG eine spezielle Regelung zum Planänderungsverfahren enthält, folgt aus seinem Sinn und Zweck, dass sich dieses Verfahren, dem Gegenstand der Planänderung entsprechend, auf die vorzunehmenden Modifizierungen beschränkt. Weil das Änderungsverfahren auf die vorliegende Planungsentscheidung und somit auch das frühere Verfahren „aufbaut“, soll nicht noch einmal das gesamte Vorhaben auf den Prüfstand gestellt werden. Der ursprüngliche Planfeststellungsbeschluss wird nur insoweit Gegenstand des Änderungsverfahrens, als er im nachfolgenden Verfahren geändert werden muss.80 Weil der Vorhabenträger bei einem bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss über eine „sichere“ Position verfügt, ist gegebenenfalls unter Einbeziehung der Gesamtumstände ein von ihm in dieser Hinsicht „überschießender“ Antrag dahingehend auszulegen, dass sich das jetzige Verfahren auf diejenigen Aspekte beschränken soll, die zur Verwirklichung der geänderten Planungsvorstellungen notwendig sind. a) Zum Planänderungsverfahren nach § 76 Abs. 1 VwVfG Soll vor der Fertigstellung eines Vorhabens ein Plan geändert werden, ist gemäß § 76 Abs. 1 VwVfG grundsätzlich ein neues Planfeststellungsverfahren durchzuführen. Da nachher die modifizierende und die frühere Entscheidung ein Ganzes bilden, leuchtet es ein, wenn für das Änderungsverfahren dieselben Anforderungen wie für das Ursprungsverfahren gelten.81 Erging die frühere Planungsentscheidung in einem gewöhnlichen Planfeststellungsverfahren, sind also die §§ 73 ff. VwVfG anzuwenden. Ob bei Änderungen oder Erweiterungen eines UVP-pflichtigen Vorhabens eine Umweltverträglichkeitsprüfung ___________ denjenigen dinglich überträgt, der das Vorhaben in modifizierter Form verwirklichen will. Dieser kann dann die Änderung des Planes beantragen. Im Zuge des Änderungsverfahrens könnte zugleich der Planfeststellungsbeschluss auf den neuen Vorhabenträger „umgestellt“ werden. Auch könnte der bisherige Vorhabenträger die Planänderung beantragen und später den dinglichen Verwaltungsakt auf den neuen Vorhabenträger übertragen. Sinnvoll wäre es aber, den neuen Träger bereits in das Abänderungsverfahren einzubeziehen, damit der Planfeststellungsbeschluss anlässlich dieses Verfahrens auf ihn „umgeschrieben“ werden kann. 79 Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 18; Keilich (Fn. 12), S. 244 f.; Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 576. S. zu dem Streit, inwieweit die Behörde im Änderungsverfahren an den Antragsgegenstand gebunden wird, Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 6; BVerwGE 75, 214, 219 verneinte eine Bindung der Planfeststellungsbehörde an den Gegenstand des Änderungsverfahrens. 80 Bell/Hermann NVwZ 2004, 288, 289; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 10; Jarass DVBl 1997, 795, 798; Keilich (Fn. 12), S. 245; in diese Richtung auch Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 11a. 81 Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 4; Hoppe (Fn. 14), S. 80; Keilich (Fn. 12), S. 191, 193.

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durchzuführen ist, ist § 3e UVPG zu entnehmen. § 3b Abs. 3 UVPG regelt den Fall, dass ein Vorhaben erstmals infolge einer Änderung oder Erweiterung in die UVP-Pflicht hineinwächst.82 Teilweise wird angenommen, dass an diesem Planfeststellungsverfahren analog § 73 Abs. 8 VwVfG nur Behörden und Personen zu beteiligen sind, deren Aufgabenbereich oder Belange erstmalig oder stärker als bisher berührt werden. 83 Obwohl sich sowohl § 73 Abs. 8 VwVfG als auch § 76 Abs. 1 VwVfG auf Änderungen eines Planes beziehen, verbietet es der Wortlaut des § 76 Abs. 1 VwVfG, aus § 73 Abs. 8 VwVfG Rückschlüsse darauf zu ziehen, wer am Verfahren zur Änderung des festgestellten Planes zu beteiligen ist. Denn nach § 76 Abs. 1 VwVfG ist ein neues Planfeststellungsverfahren durchzuführen. Damit kommt § 73 Abs. 8 VwVfG nur zur Anwendung, wenn der ausgelegte Änderungsplan während des Änderungsverfahrens modifiziert wird.84 Im Übrigen sind die allgemeinen Vorschriften über die Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung maßgeblich. Ein bedeutender Unterschied ergibt sich aber daraus, dass die Änderungsplanung nicht so weit wie die Erstplanung reicht und dies entsprechende Konsequenzen z. B. für die auszulegenden Unterlagen oder den Kreis der einwendungsbefugten Personen zeitigt.85 Da das Planänderungsverfahren nach § 76 Abs. 1 VwVfG ein gewöhnliches Planfeststellungsverfahren ist, sind die Naturschutzvereine unter den Voraussetzungen der §§ 58 Abs. 1 Nr. 1, 60 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG zu beteiligen.86 Ob und inwieweit derartige Vereinigungen im Planungsverfahren den Privatpersonen gleichgestellt sind, ist den einschlägigen Gesetzen zu entnehmen.87 Wenn nach den gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht vorrangigen fachplanungsrechtlichen Bestimmungen die Durchführung eines Erörterungstermins im Ermessen der zuständigen Stelle steht,88 kann nicht allein aus der Durchführung eines Erörterungstermins im Ursprungsverfahren auf die erneute Notwendigkeit einer Erörterung geschlossen werden. Vielmehr muss die Behörde ausgehend vom Sinn und Zweck des ihr eingeräumten Ermessens entscheiden, ob hinsichtlich des jetzigen Verfahrensgegenstands ein solcher Ver-

___________ 82 S. näher zur UVP bei Änderungen Dippel/Deifuß NVwZ 2004, 1177 ff.; Sitsen UPR 2008, 292 ff.; Steinberg/Steinwachs NVwZ 2002, 1153 ff. 83 Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 3. 84 Im Ergebnis wie hier Keilich (Fn. 12), S. 195. 85 Keilich (Fn. 12), S. 194; Ziekow (Fn. 2), § 76 Rn. 6; s. auch Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 19. 86 Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 6. 87 S. zum Beispiel hins. der Präklusion § 18a Nr. 3 S. 1 AEG, § 17a Nr. 3 S. 1 FStrG; s. dazu auch Bonk/Neumann (Fn. 1), § 73 Rn. 109 ff. 88 § 18d AEG, § 17d FStrG, § 14d WStrG, § 43d EnWG.

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fahrensschritt geboten ist.89 Das Verfahren endet mit dem Planänderungsbeschluss. Dieser ist gemäß § 74 VwVfG mit einer Begründung zu versehen und nach Maßgabe der dortigen Regelungen zuzustellen und bekannt zu geben.90 Aus Bestimmtheitsgründen muss in dem Beschluss hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht werden, welche Teile des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses fortgelten, aufgehoben oder geändert werden.91 Weil der Änderungsbeschluss dem erstmaligen Planfeststellungsbeschluss gleichsteht und mit diesem eine Einheit bildet, löst er dieselben Rechtswirkungen wie dieser aus, insbesondere entfaltet er nach § 75 Abs. 1 VwVfG Konzentrationswirkung. Aus dem selbständigen Charakter des Änderungsverfahrens gegenüber dem früheren Verfahren resultiert die eigenständige verfahrensrechtliche Beurteilung der jeweiligen Verwaltungsentscheidungen einschließlich ihrer Bestandskraft.92 b) Planänderungen von unwesentlicher Bedeutung Unter den Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 VwVfG kann die Verwaltung nach ihrem Ermessen von der Durchführung eines neuen Planfeststellungsverfahrens absehen. Dafür muss eine Planänderung von unwesentlicher Bedeutung vorliegen. Außerdem muss die Änderung „konfliktfrei“ sein.93 Damit ist gemeint, dass durch die Abweichung Belange anderer nicht berührt werden oder ihr die Betroffenen zugestimmt haben. Dass unter derartigen Bedingungen kein erneutes Planfeststellungsverfahren zwingend vorgeschrieben wird, lässt sich damit rechtfertigen, dass das Vorhaben bereits zu einem früheren Zeitpunkt einer Kontrolle unterzogen wurde und die Träger öffentlicher Belange sowie die Betroffenen ihre Anregungen, Bedenken und Einwendungen gegen das Vorhaben geltend machen konnten.94 Daher stellt man es der Verwaltung anheim, ob sie den Gesichtspunkten einer schnelleren Realisierung des Vorhabens sowie einer Vermeidung unnötigen Verwaltungsaufwands den Vorzug geben möchte.95 ___________ 89

Nach BVerwG NVwZ 2006, 1055 erübrigt sich die förmliche Erörterung bei einer Flughafenerweiterung, wenn absehbar ist, dass mündlich keine weiteren, der Verwaltung nicht bereits bekannten Tatsachen und Auffassungen übermittelt werden. 90 Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 22; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 13 f.; Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 23; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 3; Ziekow (Fn. 2), § 76 Rn. 6. 91 Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 22; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 13. 92 VGH München NVwZ 1989, 685. 93 So Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 25, 28. 94 BVerwGE 84, 31, 34; Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 26; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 19; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 12; s. dazu, dass das Anhörungsverfahren nach seinem Sinn und Zweck nicht einschlägig ist, Siegel (Fn. 5), S. 128. 95 Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 4.

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Bei dem Begriff der Planänderung von „unwesentlicher Bedeutung“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung gerichtlich voll nachprüfbar ist.96 Angesichts der unterschiedlichen normativen Ausprägung des § 74 Abs. 7 VwVfG und des § 76 Abs. 2 VwVfG wird überwiegend davon ausgegangen, dass der Begriff der unwesentlichen Bedeutung in beiden Vorschriften selbständig auszulegen ist.97 Ob eine Planänderung unwesentlich ist, kann nur im Einzelfall mit Blick auf das bislang planfestgestellte Vorhaben und seine Auswirkungen sowie auf die intendierten quantitativen bzw. qualitativen Änderungen mit ihren Konsequenzen für die Betroffenen gesagt werden.98 Als unwesentlich ist eine Änderung anzusehen, wenn Umfang, Zweck und Ausmaß des Vorhabens weitestgehend gleich bleiben, aber bestimmte räumlich und sachlich abgrenzbare Teile gegenüber der bisherigen Planung verändert werden sollen.99 Die Unwesentlichkeit ist insbesondere zu bejahen, wenn die inhaltlichen Abweichungen den Abwägungsvorgang sowie das Abwägungsergebnis der früheren Planfeststellung ihrer Struktur nach unberührt lassen.100 Wenn Umfang und Zweck des Vorhabens unverändert bleiben und die Änderung keine zusätzlichen Belastungen von einigem Gewicht auslöst, ist die Planänderung unwesentlich.101 Daran ist z. B. bei der Ergänzung einer Schutzauflage zu denken102 oder der bloßen Verlegung einer naturschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahme.103 Betrifft die Änderung dagegen das Lärmschutzkonzept104 oder soll das Vorhaben räumlich umdisponiert werden,105 wird die Unwesentlichkeit in aller Regel zu verneinen sein. Auf ein neues Planfeststellungsverfahren darf nur verzichtet werden, wenn entweder Belange anderer nicht berührt werden oder die Betroffenen der Än___________ 96 Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 27; Fischer (Fn. 33), Rn. 533; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 13; Stüer DVBl 1990, 37. 97 Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 18; Siegel (Fn. 5), S. 129; a. A. Hüthig/Hopp UPR 2003, 1, 3; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 2b. 98 BT-Drucks. 7/910, S. 24; BVerwGE 81, 95, 104; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 18, Ziekow (Fn. 2), § 76 Rn. 8. 99 BVerwGE 81, 95, 104; Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 27; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 18; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 14; Siegel (Fn. 5), S. 129. 100 BVerwGE 84, 31, 34; Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 26; Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 26; Fischer (Fn. 33), Rn. 531; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 13; Ziekow (Fn. 2), § 76 Rn. 8. 101 OVG Hamburg UPR 2007, 80; VGH Mannheim NuR 1997, 449; Hüthig/Hopp UPR 2003, 1, 4; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 14. 102 BVerwG NJW 1990, 926; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 20; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 15. 103 OVG Koblenz NuR 2003, 634. 104 BVerwG NVwZ 2006, 1055. 105 VGH Mannheim UPR 1998, 398; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 4; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 15.

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derung zugestimmt haben.106 Ein solches Vorgehen kommt damit vor allem bei solchen Änderungen in Betracht, die sich ausschließlich positiv auswirken.107 Auch wenn die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 VwVfG gegeben sind, liegt es im Ermessen der Behörde („kann“), ob sie von einem neuen Planfeststellungsverfahren absieht, ein vereinfachtes oder gar förmliches Änderungsverfahren durchführen will.108 Nach der Rechtsprechung kann der Einzelne nicht beanspruchen, dass zur Wahrung seiner materiellen Rechte ein bestimmtes Verfahren gewählt wird.109 Soll die Änderung nach Maßgabe des § 76 Abs. 2 VwVfG erfolgen, ergibt sich bereits aus den Worten „von einem neuen Planfeststellungsverfahren“ absehen und dem Vergleich zu Absatz 3, dass es sich um ein Verfahren außerhalb der § 72 ff. VwVfG ohne förmliches Anhörungsverfahren und ohne öffentliche Bekanntgabe handelt.110 Auch findet keine Beteiligung der Naturschutzverbände statt.111 Wird nach § 76 Abs. 2 VwVfG vorgegangen, ergeht am Ende des Verfahrens ein schlichter Verwaltungsakt, bei welchem die Verwaltung über die Entbehrlichkeit des Planfeststellungsverfahrens befindet.112 Entgegen anders lautender Stimmen113 enthält dieser Verwaltungsakt zugleich eine Entscheidung über die inhaltliche Abweichung.114 Dafür spricht der Gesetzeswortlaut des § 76 Abs. 2 VwVfG, der von einer Planänderung ausgeht und nur von der Durchführung eines förmlichen Verfahrens entbindet. Die Meinungen sind geteilt, ob dieser Verwaltungsakt Konzentrationswirkung entfaltet. Gegen eine Konzentrationswirkung lässt sich einwenden, dass die Planänderung eine eigenständige behördliche Entscheidung aufgrund eines vom früheren Plan selbständigen Verfahrens beinhaltet und sie nicht in Form eines Planfeststellungsbeschlusses ergeht.115 Andere befürworten dagegen eine Konzentrationswirkung, weil die Planänderungsentscheidung und der zugelassene Plan später ei___________ 106

S. näher zum Begriff des „Betroffenen“ Keilich (Fn. 12), S. 197. OVG Münster UPR 1982, 388; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 21; Hüting/ Hopp UPR 2003, 1, 4. 108 Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 31; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 23; Fischer (Fn. 33), Rn. 536; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 4; Ziekow (Fn. 2), § 76 Rn. 10. 109 BVerwG Buchholz 316 § 76 VwVfG Nr. 14. 110 Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 31; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 5. 111 VGH Mannheim VBlBW 2000, 477, 478; VG Hamburg, Beschl. vom 21.11.2002, Az. 15 VG 2453/200; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 7. 112 Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 23; Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 31; Fischer (Fn. 33), Rn. 537. 113 Jarass DVBl 1997, 795, 798 f. 114 Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 24; Fischer (Fn. 33), Rn. 537; Henke (Fn. 16), S. 182; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 5; Keilich (Fn. 12), S. 200; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 18. 115 Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 31; Kämper (Fn. 2), § 76 Rn. 13; Keilich (Fn. 12), S. 200. 107

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ne Einheit bilden.116 Hierfür streiten die besseren Argumente. Weil dieselbe Behörde, die Planfeststellungsbehörde, für die Änderung zuständig ist (§ 76 Abs. 2 VwVfG), deutet dies zusammen mit der systematischen Verortung der Planänderungsentscheidung darauf hin, dass sie über dieselben Entscheidungskompetenzen wie im Ausgangsverfahren verfügt. Auch bei der Plangenehmigung, auf deren Erteilung die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren keine Anwendung finden, geht der Gesetzgeber davon aus, dass sie mit Ausnahme der enteignungsrechtlichen Vorwirkung die Rechtswirkungen der Planfeststellung entfaltet (§ 74 Abs. 6 S. 2 VwVfG). Einem gewöhnlichen Verwaltungsakt kann also sehr wohl Konzentrationswirkung zukommen. Da bei der Zulassungsentscheidung des § 76 Abs. 2 VwVfG ebenso wie bei § 76 Abs. 1, 3 VwVfG an den ursprünglichen Plan angeknüpft wird und – wie noch zu zeigen sein wird – Planänderungen grundsätzlich denselben materiell-rechtlichen Anforderungen wie die Ausgangsentscheidung unterliegen, liegt es nahe, allen in § 76 VwVfG genannten Entscheidungen ebenso wie dem ursprünglichen Plan Konzentrationswirkung beizumessen. Denn für die Planfeststellung ist charakteristisch, dass daneben keine weiteren behördlichen Entscheidungen notwendig sind (§ 75 Abs. 1 VwVfG). Schließlich ist problematisch, ob einer Klage gegen eine Planänderungsentscheidung i. S. d. § 76 Abs. 2 VwVfG ein Vorverfahren vorauszugehen hat. In der auf den erstmaligen Planfeststellungsbeschluss bezogenen Regelung des § 74 Abs. 1 S. 2 VwVfG heißt es dazu, dass die Vorschriften über die Anfechtung der Entscheidung im förmlichen Verwaltungsverfahren anzuwenden sind. Nach § 70 VwVfG bedarf es jedoch vor Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage, die einen im förmlichen Verwaltungsverfahren erlassenen Verwaltungsakt zum Gegenstand hat, keiner Nachprüfung in einem Vorverfahren. Da die Zulassung einer Planänderung nach § 76 Abs. 2 VwVfG nicht in einem förmlichen Verfahren und, wie sich aus § 76 Abs. 3 VwVfG ergibt, gerade nicht in Form eines Planfeststellungsbeschlusses ergeht, kann man unter Verweis auf den Gesetzeswortlaut durchaus vertreten, dass eine solche Zulassungsentscheidung zuerst in einem Vorverfahren zu überprüfen ist.117 Andere halten dagegen ein Vorverfahren für entbehrlich, weil die jetzige Zulassungsentscheidung mit dem vorliegenden Plan eine Einheit bildet.118 Berka hält es zum Beispiel für wenig einleuchtend, warum bei einer nachträglichen Detail___________ 116 Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 31; Fischer (Fn. 33), Rn. 538; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 5; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 18. 117 Dies gilt aber nur insoweit, als nicht nach § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO ein Vorverfahren entbehrlich ist, weil die Planungsentscheidung z. B. von einer obersten Landesbehörde erging oder das Vorverfahren auf Landesebene zwischenzeitlich durch den Landesgesetzgeber „abgeschafft“ wurde. Für das Erfordernis eines Vorverfahrens VGH München BayVBl 2000, 499, 500; Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 31; Keilich (Fn. 12), S. 201. 118 Kopp/Ramsauer (Fn. 19), § 76 Rn. 18.

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abweichung der Rechtsschutz anders als bei der ursprünglichen Planungsentscheidung ausfallen soll.119 Als möglicher sachlicher Grund für eine solche Differenzierung lässt sich nennen, dass der ursprüngliche Planfeststellungsbeschluss in einem förmlichen Verwaltungsverfahren erging und mit diesem eine erhöhte Richtigkeitsgewähr sowie Akzeptanz verbunden wird.120 Daran fehlt es jedoch bei einem schlichten Verwaltungsakt. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass auch bei der Plangenehmigung, auf welche die Vorschriften für das Planfeststellungsverfahren keine Anwendung finden, keine Nachprüfung im Vorverfahren stattfindet (§ 74 Abs. 6 S. 3 VwVfG). Darin wird der allgemeine Wille des Gesetzgebers zur zügigen Realisierung von Planungsvorhaben unabhängig von der Verfahrensart deutlich. Mit § 76 VwVfG verfolgt der Gesetzgeber den Zweck, unwesentliche Planmodifizierungen in einem weniger aufwändigen und damit schnelleren Verfahren zu gestatten. Es würde sicherlich nicht seiner Intention entsprechen, wenn zwar in den Fällen des vereinfachten Planfeststellungsverfahrens kein Widerspruchsverfahren statthaft ist, dagegen bei der noch einfacher zu realisierenden formlosen Planänderung dieser Vorteil durch das Erfordernis eines vorherigen Vorverfahrens wieder entwertet würde. Wenn bei Planänderungen von unwesentlicher Bedeutung nach § 76 Abs. 3 VwVfG ein Widerspruchsverfahren entbehrlich ist, muss dies ebenfalls für die Zulassung von unwesentlichen Planänderungen nach Absatz 2 gelten. Es wäre wünschenswert, wenn der Gesetzgeber diesen Streitpunkt klar und eindeutig regeln würde. c) Vereinfachtes Planänderungsverfahren (§ 76 Abs. 3 VwVfG) Nach § 76 Abs. 3 VwVfG besteht die Möglichkeit, in den Fällen des § 76 Abs. 2 VwVfG sowie bei anderen Planänderungen von unwesentlicher Bedeutung ein Planfeststellungsverfahren ohne Anhörungsverfahren und ohne öffentliche Bekanntgabe des Planfeststellungsbeschlusses durchzuführen. Der entscheidende Vorteil dieses gegenüber der gewöhnlichen Planfeststellung vereinfachten Verfahrens besteht darin, dass keine zeitaufwendige Auslegung des Plans nebst öffentlicher Bekanntmachung sowie kein Erörterungstermin stattfinden.121 Die vom Gesetzgeber bereitgestellte Regelung darf aber nicht so verstanden werden, als müssten nicht einmal die Betroffenen angehört werden. ___________ 119

Berka (Fn. 11), S. 78. Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 43; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 8; s. auch Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 70 Rn. 2; Ziekow (Fn. 2), § 70 Rn. 1. 121 Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 34; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 77 Rn. 28; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 4; Ziekow (Fn. 2), § 76 Rn. 12. 120

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Entweder ergibt sich dies aus einem Rekurs auf § 28 VwVfG122 oder dem Verweis auf einen in § 73 Abs. 8 VwVfG sichtbar werdenden Rechtsgedanken, wonach Dritte, deren Belange durch die Planänderung erstmalig oder stärker als bisher berührt werden, anzuhören sind.123 Da § 76 Abs. 3 VwVfG so aufgefasst werden kann, dass diese Vorschrift nicht zwingend von allen, sondern zugleich als Minus gegenüber der herkömmlichen Planfeststellung von einem Teil der dort genannten Verfahrensschritte entbindet,124 kann die zuständige Behörde auch andere Träger öffentlicher Belange am Verfahren beteiligen125 und ihnen Anhörungsfristen mit Präklusionswirkung setzen.126 Eine solche Vorgehensweise kann insbesondere im Hinblick auf die Konzentrationswirkung der Änderungsentscheidung geboten sein.127 Weil in § 76 Abs. 3 VwVfG von „Planfeststellungsverfahren“ geredet wird, wird angenommen, dass an diesem gegebenenfalls die anerkannten Naturschutzvereine zu beteiligen sind.128 Das Verfahren endet mit einer gewöhnlichen Planungsentscheidung, bei der jedoch eine allgemeine Bekanntmachung des Planänderungsbeschlusses nach § 74 Abs. 4 S. 2 VwVfG unterbleiben kann.129 d) Planänderung und Plangenehmigung Unterschiedliche Meinungen gibt es dazu, wie sich § 76 VwVfG und die gesetzlichen Regelungen zur Plangenehmigung zueinander verhalten. Zu klären ist zum einen, ob eine Planungsentscheidung in Form einer Plangenehmigung (§ 74 Abs. 6 VwVfG) im Wege des § 76 VwVfG abgeändert werden kann.130 Zum anderen ist der Frage nachzugehen, ob ein gewöhnlicher Planfeststellungsbeschluss durch eine Plangenehmigung änderbar ist. Weil § 76 VwVfG auf Planfeststellungsbeschlüsse zugeschnitten wurde, versteht es sich nicht oh___________ 122

Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 33; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 21. Fischer (Fn. 33), Rn. 504. 124 Siegel (Fn. 5), S. 132. 125 Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 33; Keilich (Fn. 12), S. 204; Siegel (Fn. 5), S. 132; Ziekow (Fn. 2), § 76 Rn. 13; s. auch Jarass DVBl 1997, 795, 796 f. 126 Siegel (Fn. 5), S. 132; Keilich (Fn. 12), S. 204 stellt heraus, dass kein Zwang zur Präklusionsauslösung besteht. 127 S. dazu Henke (Fn. 16), S. 183. 128 Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 13; Jarass NuR 1997, 426, 429 f.; Hüthig/Hopp UPR 2003, 1, 6 f.; Ziekow (Fn. 2), § 76 Rn. 13; a. A. wohl Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 34. 129 Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 28; Keilich (Fn. 12), S. 204. 130 S. näher zum Institut der Plangenehmigung Thiel VR 2001, 925 ff.; Timmermanns VBlBW 1998, 285 ff.; Walter, Die Bedeutung der Plangenehmigung nach der Novellierung des Rechts der UVP, in: Ziekow, Beschränkung des Flughafenbetriebs – Planfeststellungsverfahren – Raumordnungsrecht, 2004, S. 135 ff. 123

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ne weiteres, dass eine Plangenehmigung im Verfahren nach § 76 VwVfG modifiziert werden kann.131 Da der Wortlaut des § 76 VwVfG vorrangig auf den festgestellten Plan bzw. eine Planänderung abstellt, steht der Gesetzeswortlaut einer Anwendung dieser Vorschrift auf Plangenehmigungen nicht entgegen. Weil die Plangenehmigung an die Stelle eines Planfeststellungsbeschlusses tritt und – abgesehen von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung – die Rechtswirkungen einer Planfeststellung hat, ist nicht einzusehen, warum Modifizierungen eines durch Plangenehmigung zugelassenen Vorhabens nicht im Änderungsverfahren unter Anknüpfung an die vorliegende Entscheidung vorgenommen werden können sollen.132 Überträgt man nun aber § 76 VwVfG auf die Plangenehmigung, kommt man insoweit in die Bredouille, als auf das Verfahren der Plangenehmigung die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren keine Anwendung finden (§ 74 Abs. 6 S. 2 VwVfG). Sowohl § 76 Abs. 1 VwVfG als auch Absatz 3 gehen jedoch von einem Planfeststellungsverfahren aus. Nach dem Sinn und Zweck des § 76 Abs. 1 VwVfG soll die Planänderung grundsätzlich in demselben Verfahren ergehen wie die ursprüngliche Planungsentscheidung. Eine Plangenehmigung kann daher im Plangenehmigungsverfahren abgeändert werden, wenn auch unter Einbeziehung der inhaltlichen Modifizierung auf das aus beiden Planungsentscheidungen zusammengesetzte Vorhaben die Kriterien eines Plangenehmigungsverfahrens zutreffen.133 Unproblematisch lässt sich § 76 Abs. 2 VwVfG auf die Plangenehmigung übertragen, da unter den gegebenen Bedingungen gerade nicht die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren zur Anwendung kommen.134 Führt die Änderung jedoch dazu, dass nunmehr die Grenze zu einem Vorhaben überschritten wird, für das ein gewöhnliches Planfeststellungsverfahren erforderlich ist, ist unklar, ob die Genehmigung durch einen Änderungsplanfeststellungsbeschluss ergänzt werden kann. Einerseits kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass unter derartigen Gegebenheiten eine komplett neue Planung vorzunehmen ist. Andererseits kommt in § 76 VwVfG zum Ausdruck, dass die Änderung nicht stets im gleichen Verfahren wie die Ausgangsentscheidung ergehen muss. Deshalb ist es grundsätzlich denkbar, dass eine Planungsgenehmigungsentscheidung mit einem aufgrund eines neuen Planfeststellungsverfahrens nach § 76 Abs. 1 VwVfG ergangenen Änderungsplanfeststellungsbeschluss eine einheitliche Planungsentscheidung ___________ 131

S. dazu auch Berka (Fn. 11), S. 76. Keilich (Fn. 12), S. 190; i. E. auch Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 5; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 3. 133 S. dazu auch Keilich (Fn. 12), S. 208. 134 Berka (Fn. 11), S. 77; Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 37; s. dazu auch Keilich (Fn. 12), S. 209. 132

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bildet.135 So hatte das Bundesverwaltungsgericht auch keine Bedenken, dass durch die Erteilung einer Plangenehmigung die in einem Planfeststellungsverfahren angestrebte Zulassung eines Vorhabens teilweise vorweggenommen werden darf, und verwarf den Einwand, dass dasselbe Vorhaben nicht gleichzeitig Gegenstand eines Planfeststellungs- und eines Plangenehmigungsverfahrens sein könne.136 Da das gewöhnliche Planfeststellungsverfahren der Normalfall der Planfeststellung ist, andererseits die Plangenehmigung in § 74 Abs. 6 S. 1 VwVfG einem Planfeststellungsbeschluss gleichgestellt wird, kann eine Plangenehmigung durch einen späteren Planfeststellungsbeschluss geändert werden. Äußerst umstritten ist, ob inhaltliche Abweichungen eines Planfeststellungsbeschlusses durch eine Plangenehmigung gestattet werden dürfen. Eine Meinung bejaht dies, sofern hinsichtlich der Änderung die Voraussetzungen einer Plangenehmigung vorliegen.137 Der Vorteil dieser Ansicht liegt darin, dass mit Einverständnis der Betroffenen auch wesentliche Veränderungen ohne den Verfahrensaufwand eines neuen Planfeststellungsverfahrens vorgenommen werden können.138 Andere verweisen demgegenüber auf den abschließenden Charakter des § 76 VwVfG, weil ansonsten die vom Gesetzgeber in dieser Norm vorgesehene Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Planänderungen ausgehöhlt würde.139 Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass im Zeitpunkt der Verabschiedung des § 76 VwVfG die Rechtsfigur der Plangenehmigung noch gar nicht existierte.140 Für eine Abänderbarkeit eines Planfeststellungsbeschlusses durch eine Plangenehmigung spricht, dass nach § 74 Abs. 6 VwVfG die Plangenehmigung dem Planfeststellungsbeschluss auch hinsichtlich der Rechtswirkungen der Planfeststellung gleichgestellt wird. Wie man an § 76 Abs. 2 VwVfG sehen kann, gibt es keinen Rechtssatz des Inhalts, dass Planfeststellungsbeschlüsse nur durch Beschluss abgeändert werden dürfen.141 Wird ein Planfeststellungsbeschluss durch eine Plangenehmigung geändert, resultiert daraus ein einziger Plan in der durch die Änderungsentscheidung erlangten Gestalt.142 De lege ferenda wäre in dieser Hinsicht ebenfalls eine Klarstellung wünschenswert. ___________ 135 Für eine Anwendbarkeit des § 76 Abs. 1 VwVfG Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 38; Jarass DVBl 1997, 795, 802; Keilich (Fn. 12), S. 208. 136 BVerwG NVwZ-RR 1997, 208. 137 Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 35; ähnlich Jarass DVBl 1997, 795, 802. 138 Dürr (Fn. 29), § 76 Rn. 36. 139 Berka (Fn. 11), S. 75. 140 Jarass DVBl 1997, 795, 799. 141 I. E. auch Kromer/Schmidt (Fn. 30), § 17 Rn. 12. 142 Kromer/Schmidt (Fn. 30), § 17d Rn. 12.

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3. Zu den materiellen Voraussetzungen der Planänderung In aller Regel machen die einschlägigen Planänderungsvorschriften keine Aussagen zu den materiellen Kriterien, die bei Planänderungen zu beachten sind.143 Angesichts dessen, dass bei der Planänderung die frühere und jetzige Planungsentscheidung zu einem einzigen Plan verschmelzen, müssen die materiellen Anforderungen an den zu ändernden Plan grundsätzlich parallel zu denen des festgestellten Plans liegen. Gerade weil der Gesetzgeber die materiellen Komponenten der Planmodifizierung nicht konkretisiert hat, deutet alles darauf hin, dass er keine zusätzlichen, aber auch keine geringeren materiellen Anforderungen für die Änderungsentscheidung für erforderlich gehalten hat.144 Erster Prüfschritt bei nicht privatnützigen Planungsvorhaben ist die Planrechtfertigung.145 Das BVerwG hat sich zu Recht gegen die These gewendet, dass dieser Aspekt bei der Planänderung mangels Aufstellung eines neuen Planes ohne Bedeutung sei,146 sondern herausgestellt, dass auch erstmalige und weitergehende Belastungen durch den Änderungsplanfeststellungsbeschluss einer ausreichenden Planrechtfertigung bedürfen.147 Für die Änderung eines bestandskräftigen Planes ist keine gesteigerte Form der Planrechtfertigung, etwa eine besondere Dringlichkeit, notwendig. Für die Planrechtfertigung reicht es vielmehr, wenn die Änderung des Planes vernünftigerweise geboten ist.148 Mit den Worten von Hoppe müssen zur Rechtfertigung einer Planänderung „vielmehr Gründe vorliegen – und dargelegt werden –, die plausibel machen, warum die ursprüngliche Planung nicht weiter bestehen soll, warum trotz eines bestehenden Plans ein Bedürfnis für erneute Planung besteht“ (sog. Planänderungsrechtfertigung).149 Die Planänderung muss darüber hinaus mit den zwingenden Vorgaben des materiellen Rechts übereinstimmen.150 Ist beispielsweise eine Erweiterung eines Planungsvorhabens mit neuen Eingriffen in Natur und Landschaft verbun___________ 143

BVerwGE 91, 17, 22; s. auch Keilich (Fn. 12), S. 238. BVerwG NVwZ 2005, 330, 331; Hoppe (Fn. 14), S. 80; s. auch Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 21; Bell/Hermann NVwZ 2004, 288, 292; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 11; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 7; Keilich (Fn. 12), S. 244. 145 S. zur Planrechtfertigung BVerwG NVwZ 2007, 1074, 1077 f.; Keilich (Fn. 12), S. 238 f.; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 74 Rn. 30 ff.; Ziekow (Fn. 1), Rn. 613 ff. 146 So aber Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 21; Fischer (Fn. 33), Rn. 528. 147 BVerwG NVwZ 2005, 330; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 11; Hoppe (Fn. 14), S. 82; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 7; Keilich (Fn. 12), S. 246. 148 BVerwG Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 18; Hoppe (Fn. 14), S. 82; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 7. 149 Hoppe (Fn. 14), S. 82. 150 Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 11; Hoppe (Fn. 14), S. 83 ff.; Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 7; Keilich (Fn. 12), S. 247. 144

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den, kann sich daraus die zwingende Notwendigkeit von Ausgleichs- bzw. Ersatzmaßnahmen ergeben.151 In einigen Planfeststellungsverfahren wurde geltend gemacht, dass das Änderungsvorhaben aus Gründen des Vertrauensschutzes unzulässig sei. Die Rechtsprechung hat demgegenüber stets betont, dass es keinen generellen Anspruch auf Realisierung und Befolgung eines einmal festgestellten Plans gibt. Denn nach § 76 VwVfG kann ein Plan geändert werden und nach § 75 Abs. 5 VwVfG bzw. § 77 VwVfG ein nicht durchgeführter bzw. stecken gebliebener Planfeststellungsbeschluss gegenstandslos werden. Auch aus § 75 Abs. 2 VwVfG, der die Duldungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses nach seiner Unanfechtbarkeit regelt, kann nichts Gegenteiliges entnommen werden. Er schließt nur nachträgliche Unterlassungs- oder Änderungswünsche durch die Vorhabensbetroffenen aus, besagt aber nicht, dass der Vorhabenträger später nicht ein erneutes Planfeststellungsverfahren beantragen könnte.152 Angesichts der für Planungsentscheidungen bedeutsamen Prognosen müssen im Interesse einer sinnvollen Planung auch in diesem Bereich nachträgliche Korrekturen der Entscheidung möglich sein und darf dem Vertrauensschutz kein absoluter Vorrang zukommen.153 Auch gemeinsam entwickelte Planungsvorstellungen konkurrierender Planungsträger vermögen nach der Rechtsprechung für sich genommen keinen Anspruch auf Planbefolgung begründen – dafür bedürfte es vielmehr einer Fixierung in einem öffentlichrechtlichen Vertrag.154 Wie der festgestellte Plan unterliegt die Planänderung ebenfalls dem Abwägungsgebot.155 Angesichts des beschränkten Verfahrensgegenstands dürfte die Zahl der in die Abwägung einzustellenden Belange meistens niedriger als bei der Neuplanung ausfallen.156 Grundsätzlich kann sich die Abwägung auf diejenigen öffentlichen und privaten Belange beschränken, welche durch die Änderung des Vorhabens tangiert werden.157 Auch wenn im Zentrum des Änderungsverfahrens die beabsichtigte inhaltliche Modifizierung des planfestgestellten Vorhabens steht, sind bei Bedarf diejenigen Elemente der ursprünglichen Zulassungsentscheidung in die Beurteilung einzubeziehen, die nötig sind, damit der am Ende aus beiden Entscheidungen hervorgehende Plan insgesamt den ___________ 151

S. zu den Konsequenzen aus FFH-Sicht Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 7. BVerwG Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 18; Hoppe (Fn. 14), S. 85 ff. 153 Hoppe (Fn. 14), S. 87 f. weist zutreffend darauf hin, dass man bei Annahme eines Planbefolgungsanspruchs dem Vertrauensschutz einen absoluten Rang einräumen würde, was aber die für eine Änderung des Planes sprechenden Belange völlig vernachlässigen würde; s. auch Keilich (Fn. 12), S. 248. 154 BVerwG Buchholz 316 § 76 VwVfG Nr. 14. 155 BVerwG DVBl 1992, 310; BVerwGE 91, 17, 23; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 11; Bell/Hermann NVwZ 2004, 288, 292. 156 BVerwGE 75, 215, 219; Hoppe (Fn. 14), S. 85; Keilich (Fn. 12), S. 247. 157 Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 11. 152

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Anforderungen des Abwägungsgebots genügt.158 Bereits hieran zeigt sich, dass die Ausgangssituation bei der Abwägung im Änderungsverfahren nicht völlig identisch mit derjenigen einer Erstplanung ist. Denn im Unterschied zu dieser wird bei der Planänderung an eine vorhandene, bereits geleistete planerische Arbeit angeknüpft und hat der bestehende und zu ändernde Plan häufig schon Entwicklungen in Gang gesetzt, die entweder gar nicht oder zumindest nicht so eingetreten wären.159 So können Dritte, weil nach ihrer Einschätzung alles für die Realisierung des festgestellten Plans sprach, in der Zwischenzeit im Vertrauen auf diesen Dispositionen getroffen haben, die durch die jetzt zur Debatte stehende Modifizierung nicht nur beeinträchtigt, sondern sogar möglicherweise vollständig entwertet werden.160 In solchen Situationen ist aus verfassungsrechtlichen Gründen der Vertrauensschutz bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Änderungsvorhabens zu berücksichtigen.161 Strittig und bis heute nicht abschließend geklärt ist, ob im Rahmen der behördlichen Abwägungsentscheidung die Regelungsgehalte der §§ 48, 49 VwVfG Anwendung finden oder der Vertrauensschutz bestimmter Akteure nur als Belang in die planerische Abwägung einzustellen ist. Die Rechtsprechung lehnt bislang meistens eine Beschränkung der planerischen Gestaltungsfreiheit auf bestimmte Fallkonstellationen ab, wie sie etwa in §§ 48, 49 VwVfG für die Aufhebung bestandskräftiger Verwaltungsakte vorgesehen sind. Zumindest in denjenigen Fällen, in denen der Vorhabenträger nach Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses eine Änderung des Planes wegen geänderter tatsächlicher Umstände begehre, gehe es ihm letztlich gar nicht um die teilweise oder vollständige Beseitigung eines Verwaltungsakts, sondern um eine „Neuentscheidung“ über ein genehmigungspflichtiges, gegenüber der ursprünglichen Form nunmehr geändertes Vorhaben. Darüber könne aber am besten nach den allgemeinen Grundsätzen der Planung entschieden werden, da diese einen optimalen Ausgleich verschiedener, teilweise miteinander konkurrierender öffentlicher und privater Belange bewältigen können.162 Gerade weil nach den gesetzlichen Planungsvorschriften Dritte keinen Anspruch auf Fortbestand einer Planung haben, ist es sachgerecht, etwaige Vertrauensschutzaspekte nicht anhand starrer Regeln, sondern – wie es eben für planerische Entscheidungen ty-

___________ 158

Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 11; Müller-Steinwachs (Fn. 78), S. 133. Hoppe (Fn. 14), S. 80; s. auch Bell/Hermann NVwZ 2004, 288, 292; Keilich (Fn. 12), S. 244. 160 Hoppe (Fn. 14), S. 87; Keilich (Fn. 12), S. 248. 161 Hoppe (Fn. 14), S. 87. 162 BVerwGE 91, 17, 22 f.; VG München, Beschl. v. 6.3.2007, Az. M 2 S 06.4482; Grupp DVBl 1990, 81, 86 ff.; Hoppe (Fn. 14), S. 87 ff.; gegen eine analoge Anwendung der §§ 48, 49 VwVfG Hüting/Hopp UPR 2003, 1, 7. 159

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pisch ist – im Zuge der planerischen Abwägung zu berücksichtigen.163 Zwar hat die Rechtsprechung in späteren Entscheidungen zutreffend entschieden, dass – wie man an der Regelung des § 72 VwVfG sieht – mit Ausnahme des § 51 VwVfG eine Anwendung der Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten nicht per se bei Planungsentscheidungen ausscheidet, insbesondere wenn es der Verwaltung nur um die Rückführung auf den vorplanerischen Rechtszustand gehe.164 Ein unmittelbarer Rekurs auf diese Regelungen kommt jedoch nur als ultima ratio in Betracht, wenn die planungsrechtlichen Instrumente insbesondere zur Abwehr von Gefahren für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter nicht ausreichen.165 Ein etwaiger Vertrauensschutz Dritter ist deshalb im Rahmen der planerischen Abwägung zu berücksichtigen. Das Gewicht des Vertrauensschutzes ist dabei stets im jeweiligen Einzelfall zu bestimmen. Bei nur leichten bzw. marginalen Korrekturen dürfte der Vertrauensschutz eher niedrig anzusetzen sein.166 Im Übrigen gilt auch hier, dass Vertrauensschutzerwägungen nur insoweit in die Abwägung einfließen, wie Dritte tatsächlich Dispositionen wegen des planfestgestellten Vorhabens vorgenommen haben und ihr Vertrauen darüber hinaus schutzwürdig ist.167 Ohne Bedeutung ist deshalb z. B. der Einwand, sie hätten sich inzwischen psychisch gerade auf das eine Planungsvorhaben eingestellt. Für jeden Belang ist von der zuständigen Behörde das Gewicht zu ermitteln und sodann in die Abwägung einzubringen. Der Grad der Dringlichkeit der Planänderung wird dabei für die Gewichtung des entsprechenden Belangs bedeutsam sein.168 Selbst wenn später die behördliche Abänderung und der festgestellte Plan ineinander verwoben werden, ist für die rechtliche Beurteilung der Abwägung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Änderungsentscheidung maßgeblich.169 Dies bedeutet aber nicht, dass die Behörde nicht hinreichend sicher zu erwartende künftige Entwicklungen nicht in ihre Entscheidung einbeziehen könnte.170 Auch Kostengesichtspunkte können einen abwägungsrelevanten Belang bilden. Nach dem Bundesverwaltungsgericht lässt sich dem geltenden Recht keine Beschränkung der Planänderung auf be___________ 163

BVerwGE 91, 17, 22 f.; zustimmend Bell/Hermann NVwZ 2004, 288, 292; Keilich (Fn. 12), S. 249 f. 164 BVerwGE 105, 6, 11 ff.; ebenso Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 580 f. 165 BVerwGE 105, 6, 13; BVerwG NVwZ 2004, 97, 98; NVwZ 2004, 865, 867; Ziekow VerwArch 99 (2008), 559, 581. 166 Hoppe (Fn. 14), S. 88 f.; Keilich (Fn. 12), S. 248. 167 BVerwG Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 18. 168 BVerwG Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 18. 169 BVerwG Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 18; Jarass DVBl 1997, 795; Keilich (Fn. 12), S. 244. 170 BVerwG Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 18.

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stimmte, etwa besonders schwere Gründe entnehmen.171 Wegen der behördlichen Gestaltungsfreiheit dürfen die Gerichte die im Änderungsplanfeststellungsverfahren getroffene Abwägungsentscheidung nur auf bestimmte Abwägungsfehler prüfen.172 4. Rechtsschutz bei der Änderung bestandskräftiger Planfeststellungsbeschlüsse Auch wenn am Ende des Änderungsplanfeststellungsverfahrens ein einziger Plan in der durch die Änderungsentscheidung erreichten Gestalt vorliegt, hat dies nicht zur Konsequenz, dass nunmehr der gesamte Plan und damit die in der bestandskräftigen Zulassungsentscheidung enthaltenen Regelungen ohne weiteres Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein können.173 Aus dem Sinn und Zweck der Planänderungsvorschriften ergibt sich, dass es trotz der Einheitlichkeit in inhaltlicher Hinsicht bei der grundsätzlich selbständigen verfahrensrechtlichen Beurteilung beider Beschlüsse bleibt.174 Deshalb ist ein Änderungsplanfeststellungsbeschluss nur in dem Umfang angreifbar, in dem er eine eigene Regelung enthält. Wurde der ursprüngliche Plan gegenüber einem Planbetroffenen bestandskräftig, kann dieser folglich nur noch die Änderungsplanfeststellung angreifen, wenn er durch deren Festsetzungen erstmals oder weitergehend als bisher betroffen wird.175 Dadurch wird dem Postulat effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ausreichend Rechnung getragen.176 Hat ein Betroffener es versäumt, gegen den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss einen Rechtsbehelf einzulegen, braucht ihm demnach keine neue Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet werden, wenn er durch die Änderungsentscheidung weder erstmals noch weitergehend als bisher betroffen wird.177 Der Vorhabenträger kann nicht über die Bestandskraft der ursprünglichen Entscheidung gegenüber den Planbetroffenen disponieren. Dementsprechend betonte das Bundesverwaltungsgericht jüngst, dass die Planfeststellungsbehörde auch nach Einleitung des Änderungsverfahrens nach § 76 VwVfG weiterhin ___________ 171

BVerwG Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 18. BVerwG DVBl 1992, 310; VGH Manheim VBlBW 1991, 431 f. 173 VGH Mannheim VGHBW-Ls 1991, Beilage 5, B2-3. 174 VGH Mannheim VGHBW-Ls 1991, Beilage 5, B2-2. 175 BVerwG NVwZ 2005, 330, 331; DVBl 2008, 518, 519; OVG Koblenz NVwZRR 2006, 385, 386; s. auch Allesch/Häußler (Fn. 12), § 76 Rn. 44; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 16; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 22. 176 BVerwG NVwZ 2005, 330, 331; s. zur Frage, inwieweit es ausnahmsweise Art. 19 Abs. 4 GG gebieten kann, das gesamte Vorhaben zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen, OVG Koblenz NVwZ-RR 2006, 385, 386. 177 BVerwG NVwZ 2005, 330, 331. 172

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die rechtliche Möglichkeit behält, sich gegenüber jedem Planbetroffenen auf die eingetretene Bestandskraft zu berufen.178 Welche Klageart bzw. welcher einstweilige Rechtsschutz statthaft ist, bestimmt sich nach den allgemeinen Kriterien für den Rechtsschutz gegen Planungsentscheidungen.179 Wird der Rechtsbehelfsführer durch die Änderungsentscheidung erstmals oder weitergehend beschwert, ist seine Klage- bzw. Antragsbefugnis gegeben. Sofern der Rechtsbehelfsführer durch die enteignungsrechtliche Vorwirkung der Entscheidung betroffen wird, ist er grundsätzlich nicht darauf beschränkt, eine Verletzung eigener Rechte oder Belange zu rügen, sondern kann die Rechtmäßigkeit der planerischen Entscheidung in einem umfassenderen Sinne zur gerichtlichen Prüfung stellen.180 Soweit die frühere Zulassungsentscheidung ihm gegenüber bestandskräftig wurde, steht im Rechtsschutzverfahren die Rechtmäßigkeit der Änderungsentscheidung im Vordergrund. Die Rechtsprechung hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass auch in einer solchen Konstellation wegen der Konnexität der Änderungsund früheren Entscheidung unter bestimmten Voraussetzungen, nicht zuletzt im Hinblick auf die Grundrechte und die Rechtsschutzgarantie, eine Ausweitung der gerichtlichen Überprüfung auf das früher planfestgestellte Vorhaben geboten sein kann.181 Daran fehlt es, wenn die Änderung lediglich einen abtrennbaren Teil der Gesamt-Planfeststellung bildet und insoweit isoliert beurteilbar ist.182 Bei formlosen Änderungen des festgestellten Plans ist strittig, ob vor Klageerhebung ein Vorverfahren durchzuführen ist.183

IV. Zur Neuplanung Führen die abweichenden inhaltlichen Planvorstellungen zu einem neuen oder anderen Planungsvorhaben, ist in Bezug auf dieses ein komplett neues Planungsverfahren durchzuführen.184 Da die entsprechenden verfahrensrechtli___________ 178 BVerwG DVBl 2008, 518, 519 f.; s. näher zum Rechtsschutz beim Erlass eines Zweitbescheids Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 22. 179 S. dazu etwa Schütz, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 830 ff. 180 BVerwGE 67, 74, 76 f.; BVerwG NVwZ 2000, 560; OVG Koblenz NVwZ-RR 2006, 385, 386; s. eingehend zum Vollüberprüfungsanspruch, aber auch seinen Einschränkungen Schütz (Fn. 179), Rn. 851 ff. 181 BVerwG NVwZ 2005, 330 f.; OVG Koblenz NVwZ-RR 2006, 385, 386. 182 OVG Koblenz NVwZ-RR 2006, 385, 386. 183 S. dazu unter III. 2. b). 184 Bonk/Neumann (Fn. 1), § 76 Rn. 8; Keilich (Fn. 12), S. 88; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 76 Rn. 2; Rieder, Fachplanung und materielle Präklusion, 2004, S. 214; Siegel (Fn. 5), S. 125.

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chen und materiellen Prüfschritte bekannt sind, soll hier nur untersucht werden, ob es nicht irgendwelche verfahrensrechtlichen Erleichterungen gibt, wenn ein Übergang auf ein dem bisherigen Planungsvorhaben sehr ähnliches Projekt beabsichtigt ist. Man denke an die bereits erwähnten Beispiele, dass anstelle der geplanten Autobahn auf derselben Trasse eine Fernstraße gebaut werden soll oder Betriebsanlagen für eine Eisenbahn nunmehr für den Straßenbahnverkehr verwendet werden sollen. Da es sich hierbei um sehr ähnliche, derselben Gattung angehörende Vorhaben handelt, drängt sich die Frage auf, ob auch solche Personen Einwendungen gegen die Umstellung des Planungsvorhabens vorbringen können, die im früheren Verfahren geschwiegen haben und dort präkludiert sind. Aufgrund der Notwendigkeit eines neuen Planfeststellungsverfahrens für das nunmehr beabsichtigte Vorhaben gelten die allgemeinen Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung. Die meisten Fachplanungsgesetze sehen inzwischen vor, dass jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, bis zwei Wochen nach Ablauf der Einwendungsfrist Einwendungen gegen den Plan erheben kann, und danach erhobene Einwendungen ausgeschlossen sind, worauf wegen der einschneidenden Wirkung in der Bekanntmachung der Auslegung oder der Auslegungsfrist hinzuweisen ist.185 Es handelt sich dabei um materiell wirkende Präklusionsvorschriften, d. h. die nicht rechtzeitig erhobenen Einwendungen werden auch in einem nachfolgenden Gerichtsverfahren ausgeschlossen.186 Durch die Beteiligung der Betroffenen im Verwaltungsverfahren wird ein Teil ihres Rechtsschutzes vorverlagert. Ihnen wird eine Einflussnahmemöglichkeit auf den Inhalt der Planungsentscheidung eröffnet. Einerseits können die Betroffenen so ihre Interessen vortragen und auf ihre Abarbeitung hinwirken. Andererseits soll mit der Präklusionswirkung die Bestandskraft einer einmal erteilten Zulassung gegenüber solchen Drittbetroffenen gestärkt werden, die sich an dem jeweiligen Verfahren nicht bzw. nicht rechtzeitig beteiligt haben, und somit das Risiko der Anfechtbarkeit der Planungsentscheidung für den Vorhabenträger überschaubarer werden.187 Hat aber eine Person im Planfeststellungsverfahren für Betriebsanlagen der Eisenbahn geschwiegen, kann man durchaus eine Erstreckung der dort eingetretenen Präklusion auf die nunmehr zur Debatte stehenden Betriebsanlagen der Stra___________ 185

S. nur § 18a Nr. 7 AEG, § 17a Nr. 7 FStrG, § 73 Abs. 4 VwVfG. BVerwG NVwZ 1996, 267; NVwZ 1997, 489; Bonk/Neumann (Fn. 1), § 73 Rn. 88; Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 73 Rn. 92; Stüer/Rieder DÖV 2003, 473, 476; Ziekow (Fn. 2), § 73 Rn. 52; eingehend zu den verschiedenen Präklusionsformen Brandt NVwZ 1997, 233 ff.; Siegel (Fn. 5), S. 186 ff.; zur materiellen Präklusion Röhl/Ladenburger, Die materielle Präklusion im raumbezogenen Verwaltungsrecht, 1997; Oexle, Das Rechtsinstitut der materiellen Präklusion in den Zulassungsverfahren des Umwelt- und Baurechts, 2001; Solveen, Die materielle Präklusion im Fachplanungsrecht, 1998. 187 BVerwG NVwZ 2008, 678, 679; Urt. vom 18.4.2007, Az. 9 A 34/06. 186

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ßenbahn in Erwägung ziehen. Man könnte argumentieren, dass sich bei einer derartigen Modifizierung für die Betroffenen kaum etwas ändere, und nicht einzusehen sei, warum Personen, die früher geschwiegen haben, sich nun der Umstellung widersetzen könnten. Würde man allein darauf abstellen, dass die Präklusion zum Ausschluss von Einwendungen führt, könnte die Präklusion auch in anderen Verfahren zur Geltung kommen. Legt man jedoch den Wortlaut der Planungsnormen zugrunde, werden nach Ablauf der Einwendungsfrist erhobene Einwendungen gegen den Plan ausgeschlossen.188 Die gesetzlich angeordnete Ausschlusswirkung bezieht sich also nur auf Einwendungen zu einem konkreten Plan. Nichts deutet darauf hin, dass sich der Einwendungsausschluss auch auf andere Verfahren, die nicht mehr diesen Plan zum Gegenstand haben, erstrecken soll. Sinn und Zweck der momentanen Präklusionsnormen ist es, ein begonnenes Planfeststellungsverfahren zügig zu Ende zu bringen und auf diese Weise schnell Rechtssicherheit – auch für den jeweiligen Vorhabenträger – herbeizuführen. Wenn nun aber der jeweilige Vorhabenträger sein Vorhaben so modifiziert, dass es nicht mehr von der ursprünglichen Planungsentscheidung abgedeckt wird, greift hinsichtlich dieses neuen und „anderen“ Verfahrens die mit den bestehenden Präklusionsnormen verfolgte Zielsetzung nicht. Für die hier vertretene Sicht sprechen zudem pragmatische Erwägungen. Die förmliche Anhörung muss so ausgestaltet sein, dass die jeweiligen Personen infolge der ausgelegten Unterlagen ihre Betroffenheit erkennen können und zur Erhebung von Einwendungen angestoßen werden. Es würde von ihnen aber im Moment Unzumutbares verlangt, wenn sie hinter der Autobahn eine Fernstraße und hinter dem Eisenbahnvorhaben zugleich ein Straßenbahnvorhaben sehen müssten. Auch wird es sicherlich nicht dem Interesse der Behörden gerecht, wenn Personen vorsorglich Einwendungen für den Fall erheben würden, dass später das Vorhaben von einer Autobahn auf eine Bundesfernstraße umgestellt wird. Hätte der Gesetzgeber den Präklusionsvorschriften eine über das jeweilige Planungsvorhaben hinausgehende Fernwirkung verleihen wollen, hätte er dies schon wegen der damit einhergehenden Grundrechtsrelevanz eindeutig regeln müssen.189 Im Ergebnis ist deshalb Rieder zuzustimmen, wonach sich bei einem Aliud als Planungsvorhaben die Frage der Fortwirkung der im Ursprungsverfahren eingetretenen Einwendungspräklusion nicht stellt.190 Ob bei der Neuplanung von einem Erörterungstermin abgesehen werden kann, variiert je nach Vorhaben. Sowohl bei Planungen nach dem Bundesfern___________ 188 S. § 18a Nr. 7 AEG, § 17a Nr. 7 AEG; auch § 73 Abs. 4 S. 1 VwVfG spricht von „Einwendungen gegen den Plan“. 189 Gegen eine Fernwirkung der Präklusionsnormen auch Solveen (Fn. 188), S. 37 f., 64, 132 ff. 190 Rieder (Fn. 184), S. 214 f.

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straßengesetz als auch nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz kann zwischenzeitlich auf eine Erörterung verzichtet werden.191 Ob ein solcher Verfahrensschritt erfolgt, steht im Ermessen der zuständigen Behörde.192 Ist wegen des früheren Verfahrens nicht zu erwarten, dass eine weitere Erörterung neue Erkenntnisse hervorbringen wird, ist aus Beschleunigungsaspekten ein Absehen von diesem Verfahrensschritt geboten. Sozusagen als Minus gegenüber der Verzichtsmöglichkeit kann die Behörde auch die Erörterung beschränken oder nur bestimmte Personen zum Erörterungstermin laden.193 Etwas misslich ist die Situation, wenn es sich bei dem Aliud um ein Straßenbahnvorhaben handelt. Da das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz das Personenbeförderungsgesetz unberührt ließ,194 muss bei einer Umstellung von Betriebsanlagen der Eisenbahn auf solche für Straßenbahnen regelmäßig eine erneute Erörterung erfolgen. Da sich die beiden Vorhaben nicht so grundlegend voneinander unterscheiden, bleibt hier nur die Hoffnung, dass sich dieser Verfahrensschritt schneller abwickeln lässt, wenn schon einmal eine Erörterung stattgefunden hat und sich durch die Umstellung nur wenig ändert.

V. Fazit Pläne können aus vielfältigen Gründen geändert werden. Letztlich hängt es von den Absichten des Vorhabenträgers ab, ob seine Modifizierungen so weitgehend sind, dass sie zu einem Aliud als Planungsvorhaben führen, oder sich noch innerhalb des Rahmens des Ausgangsverfahrens bewegen. Die Abgrenzung, ob ein Aliud oder eine Planänderung gegeben ist, kann im Einzelfall schwierig sein. Eine Planänderung ist für den Vorhabenträger vorteilhaft, weil die Planung nicht mehr auf dem Stand Null begonnen werden muss. Dies gilt unabhängig davon, ob für die Planänderung ein neues, ein vereinfachtes oder formloses Verfahren nötig ist. Obwohl es die Planänderungsvorschrift des § 76 VwVfG schon seit langem gibt, ist das Instrument der Planänderung in mehreren Punkten dogmatisch noch nicht hinreichend erschlossen und umstritten. Einigkeit besteht, dass die frühere und die Abänderungsentscheidung einen Plan bilden. Unsicherheiten lassen sich zum Beispiel ausmachen, wenn sich nachher der Plan aus zwei unterschiedlichen Zulassungsformen, etwa einem Planfeststellungsbeschluss und einer Plangenehmigung, zusammensetzen soll. Auch wenn im Änderungsverfahren die inhaltliche Modifizierung im Vordergrund ___________ 191

§ 18a Nr. 5 AEG, § 17 Nr. 5 FStrG. Bonk/Neumann (Fn. 1), § 73 Rn. 113; Schmidt/Kromer (Fn. 30), § 17a Rn. 66; s. zur rechtspolitischen Bedenklichkeit Kopp/Ramsauer (Fn. 1), § 73 Rn. 101. 193 Bonk/Neumann (Fn. 1), § 73 Rn. 113; Otto NVwZ 2007, 379, 380. 194 S. zur Nichterfassung des PBefG Otto NVwZ 2007, 379. 192

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steht, kann sie Rückkoppelungseffekte auf die bisherige Planungsentscheidung zeitigen. Je nachdem, ob sich die Änderung weitestgehend isoliert von der früheren Planungsentscheidung beurteilen lässt oder nicht, kann die materielle Prüfung im Wesentlichen losgelöst von der früheren Entscheidung erfolgen bzw. muss diese in die Prüfung einbezogen werden. Kaum Äußerungen finden sich dazu, wie in solchen Konstellationen die Geltungsdauer des Planes zu bestimmen ist. Wird über eine Erweiterung in einem Änderungsplanfeststellungsbeschluss entschieden und kann die Prüfung weitestgehend unabhängig vom vorliegenden bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss erfolgen, sprechen plausible Gründe für eine gesonderte Beurteilung der Geltungsdauer des früheren und zu ändernden Planfeststellungsbeschlusses (etwa wenn ein weiteres Gleis zu den planfestgestellten Betriebsanlagen hinzukommt). Ansonsten wird man wohl wegen des inhaltlichen Ineinandergreifens der beiden Planungsentscheidungen zu einem Plan und der Anknüpfung der Änderung an den vorherigen Plan sagen müssen, dass für die Geltungsdauer der ursprüngliche Plan maßgeblich ist, da bereits seit seiner Unanfechtbarkeit mit dessen Durchführung, möglicherweise auch nur in Teilen, begonnen werden konnte. Da die Rechtsfigur der Plangenehmigung erst später eingeführt wurde, sollte man auch deren Verhältnis zu § 76 VwVfG überdenken und die Norm ausgehend von den heutigen Verhältnissen ausgestalten. Führt die inhaltliche Modifizierung zu einem Aliud, muss eine neue Planfeststellung eingeleitet werden. Personen, die im früheren Verfahren mit ihren Einwendungen ausgeschlossen waren, können gegen das jetzige Vorhaben wieder Einwendungen erheben. Ob ein Erörterungstermin zwingend oder nur nach Ermessen stattfindet, variiert je nach Planungsvorhaben. Insbesondere wenn eine Umstellung auf ein anderes Planungsvorhaben derselben Gattung erfolgen soll, ist de lege ferenda zu überlegen, ob man es bei der Anwendung sämtlicher Vorschriften über die Erstplanung belassen will oder die Umstellung nicht erleichtern möchte.

Das neue Raumordnungsgesetz Von Wolfgang Durner Nicht nur Bücher, auch Gesetze und Gesetzbücher haben ihre Schicksale. Nach jahrzehntelangen Vorarbeiten ist im Januar dieses Jahres das legislative Großprojekt einer Kodifikation des Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch einmal mehr bereits auf Kabinettsebene an den Vorwirkungen des kommenden Bundestagswahlkampfs gescheitert. Demgegenüber verabschiedete der Deutsche Bundestag am 13. November 2008 weitgehend unverändert den vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung erarbeiteten Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes,1 und bereits am 30. Dezember 2008 wurde das Gesetz unbeschadet von allen Koalitionsstreitigkeiten im Bundesgesetzblatt verkündet.2 Während die §§ 17 bis 25 und § 29 des Artikels 1 sowie Nummer 1 des Artikels 2 bereits am Tag nach der Verkündung in Kraft getreten sind, soll das Gesetz im Übrigen sechs Monate nach der Verkündung in Kraft treten. Diese Neufassung des Raumordnungsgesetzes justiert die Rahmenbedingungen der Planung insgesamt neu, so dass sich eine erste Analyse des Gesetzes anbietet. Dabei wird sich der folgende Beitrag vor allem auf jene Neuerungen konzentrieren, die aus Sicht der durch Raumordnungspläne gesteuerten Fachplanung von Bedeutung sind. Der Verfasser hat die Arbeiten an diesem Gesetz als Mitglied des im Juli 2006 einberufenen Arbeitskreises „Novellierung des Raumordnungsgesetzes“ der Akademie für Raumforschung und Landesplanung intensiv mitverfolgen können. Die beiden im Zuge dieser Tätigkeit zusammen mit den Mitgliedern des Arbeitskreises erarbeiteten Positionspapiere3 bilden an vielen Stellen auch ___________ 1

Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften (GeROG), BT-Drs. 16/10292 v. 22.9.2008; vgl. dazu Müller, RuR 2008, 360 ff.; Preibisch, in: Jarass (Hrsg.), Raumordnung und Wasserwirtschaft, 2008, S. 1 ff; Söfker, UPR 2008, 161 ff. 2 BGBl. I Nr. 65, S. 2986 ff. 3 Ad-hoc-Arbeitskreis „Novellierung des Raumordnungsgesetzes“ der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL), Empfehlungen zur Novellierung des Raumordnungsgesetzes, Positionspapier aus der ARL Nr. 70, 2006; ders., Stellungnahme zum Entwurf des Raumordnungsgesetzes, 2008.

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die Grundlage seiner eigenen rechtspolitischen Bewertungen im Rahmen des vorliegenden Beitrags.

I. Die neue raumordnerische Kompetenzlage 1. Die Raumordnungskompetenzen nach der Föderalismusreform 2006 Das Recht der Raumordnung hätte eigentlich einer Phase der Stabilität bedurft. Dass es nach den umfassenden Änderungen des Raumordnungsgesetzes durch die Baurechtsnovelle 1998, durch das Europarechtsanpassungsgesetz Bau 2004 sowie zuletzt das 2005 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung einer Strategischen Umweltprüfung – jeweils verbunden mit entsprechenden Änderungen der Landesplanungsgesetze4 – innerhalb eines Jahrzehnts nunmehr ein weiteres Mal zu einer Novellierung des Raumordnungsrechts gekommen ist, beruht vor allem auf der Neuordnung der bisherigen Kompetenzen im Bereich der Raumordnung durch die im September 2006 in Kraft getretene Föderalismusreform. Bis zur Föderalismusreform verfügte der Bund im Bereich der überörtlichen Gesamtplanung lediglich über eine Rahmengesetzgebungszuständigkeit nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 GG a.F. Allerdings hatte das Bundesverfassungsgericht 1954 in seinem Bodengutachten dem Bund mit der Erwägung, Raumordnung stelle „eine notwendige Aufgabe des modernen Staates“ dar, aus der Natur der Sache eine ausschließliche Vollkompetenz zur Raumplanung für den Gesamtstaat zuerkannt.5 Diese Aussage bezog sich zwar nur auf das Bestehen einer Gesetzgebungskompetenz, argumentativ ergab sich jedoch nach herrschender Rechtsauffassung aus denselben Erwägungen auch eine Verwaltungskompetenz des Bundes.6 Als „Gründungsdokument des Planungsrechts der Bundesrepublik“, das für Gesetzgebung und/wie Rechtsprechung bis zum heutigen Tag einen maßgeblichen Orientierungsrahmen darstellt,7 wurde das Bau___________ 4 Zu all diesen Änderungen Durner, in: Jarass (Hrsg.), Weiterentwicklung der Landesplanung, 2006, S. 47 ff.; Real, Die Landesplanungsgesetze im Vergleich. Eine Bilanz nach acht Jahren ROG 1998, 2007. 5 BVerfG, „Baurechts-“ oder „Bodengutachten“ v. 16.6.1954 – 1 PBvV 2/52 –, BVerfGE 3, 407 (427 f.); Urt. vom 30.10.1962 – 1 BvF 2/60, 1, 2, 3/31 –, BVerfGE 15, 1 (16). 6 So etwa Blümel, DVBl. 1977, 301 (313 ff.) m.w.N.; Maunz, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Loseblatt-Kommentar, München, Art. 75 Rn. 138, Stand: Mai 1986; Spannowsky, UPR 2000, 418 (422). 7 Battis/Kersten, Europäische Politik des territorialen Zusammenhalts – Europäischer Rechtsrahmen und nationale Umsetzung, 2008, S. 41 m.w.N.

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rechtsgutachten zur Grundlage der gesamten anschließenden Raumordnungsgesetzgebung. Auf den durch das Bundesverfassungsgericht anerkannten ungeschriebenen Kompetenzen beruhen auch die Vorschriften in Abschnitt 3 des früheren Raumordnungsgesetzes über die Raumordnung des Bundes. Die Föderalismusreform hat 2006 den bisherigen Kompetenztyp der Rahmengesetzgebung aufgehoben und die bislang in Art. 75 a.F. aufgezählten Sachgebiete – darunter auch die Raumordnung – überwiegend in die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes überführt – im Falle der Raumordnung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG n.F. Hat der Bund von diesem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht, können die Länder jedoch nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 4 GG n.F. hiervon abweichende Regelungen treffen. Nach dem Wortlaut der Verfassung ist dieses Abweichungsrecht der Länder im Falle der Raumordnung – anders als etwa im Bereich des Jagdwesens oder der Wasserwirtschaft – unbegrenzt. Nicht aufgegriffen wurden hingegen die Vorschläge, explizit einen abweichungsfesten Kern von Raumordnungskompetenzen des Bundes in das Grundgesetz aufzunehmen.8 2. Der Streit um die Existenz abweichungsfester Kerne Mit dem Wegfall der Rahmengesetzgebung erübrigt sich das überkommene und zuletzt immer weniger leistungsfähige Modell der zweistufigen Rahmenund Ausfüllungsgesetzgebung. Es lag aus diesem Grund nahe, die bisherigen Rahmenvorschriften des Raumordnungsgesetzes durch Vollregelungen zu ersetzen. Allerdings wurden diese Arbeiten von vornherein dadurch belastet, dass innerhalb weniger Monate nach Inkrafttreten der Föderalismusreform ein heftiger Streit über Inhalt und Grenzen der Befugnisse von Ländern und Bund und insbesondere um die Frage entbrannte, ob der Bund weiterhin über die bislang anerkannten ausschließlichen Kompetenzen verfügt oder ob die Länder künftig auch im Bereich der Raumordnung des Bundes ohne Einschränkung zu abweichenden Regelungen befugt sind. Zunächst hatten sich verschiedene Stimmen angesichts der klaren geschriebenen Kompetenzlage gegen die Möglichkeit des Bundes ausgesprochen, sich weiterhin auf eine ungeschriebene Vollkompetenz im Bereich der Raumordnung zu berufen.9 Andere haben – mit z.T. grundlegenden Unterschieden im Begründungsansatz – dem Bund das Recht zugesprochen, weiterhin für den Bereich der – freilich sehr unterschiedlich weit gefass___________ 8

Vgl. dazu die Nachweise bei Battis/Kersten, DVBl. 2007, 152 (157 f.). So etwa Franzius, NVwZ 2008, 492 (496); Kment, NuR 2006, 217 (220 f.); Hoppe, DVBl. 2007, 144 ff., der eine möglichst zeitnahe Korrektur der Verfassungsreform anregt; Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, 249 (253 und 258), der allerdings Grenzen der Abweichung aus europarechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik ableitet. 9

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ten – Bundesraumordnung einen abweichungsfesten Kern an Regelungen festzulegen.10 Dabei sprechen die besseren Argumente für die letztgenannte Sicht:11 Zum einen ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber zwar die in Art. 75 GG a.F. normierten Kompetenzen auf eine neue Grundlage stellen, nicht aber die ungeschriebene Vollkompetenz im Bereich der Gesetzgebung oder gar die Verwaltungskompetenz des Bundes abweichenden Regelungen der Länder öffnen wollte. Hinzu tritt, dass ungeschriebene Kompetenzen des Bundes aus der Natur der Sache schon bisher nach der Systematik des Grundgesetzes den geschriebenen vorgelagert sind. Darüber hinaus beinhalten die Infrastrukturkompetenzen des Bundes die Planung und Genehmigung der einschlägigen Vorhaben und damit auch die Zuständigkeit für die Wahl des Standorts12 und wirken auf diese Weise ebenfalls weiterhin als Grenze der Länderabweichungsrechte. Diese Auffassung scheint sich mittlerweile in der Literatur durchzusetzen.13 Insbesondere hat sich auch der Bund in seinem Referentenentwurf zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes auf das Weiterbestehen der ungeschriebenen Kompetenzen des Bundes aus der Natur der Sache und damit auf das Bestehen abweichungsfester Kerne für die Bundesraumordnung berufen.14

___________ 10 So Battis/Kersten (Fn. 8), 152 ff.; dies. (Fn. 7), S. 44 ff.; Ritter, ARL-Nachrichten 3/2006, 12 (13 f.); Spannowsky, UPR 2007, 41 ff. 11 Näher dazu bereits Durner, DVBl. 2008, 69 (74 ff.) m.w.N. 12 So wird nach neueren Aussagen des Bundesverfassungsgerichts auch die Standortplanung für atomare Anlagen und die Erkundung von Endlagerstätten von der Gesetzgebungskompetenz des Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG für das Atomrecht miterfasst, vgl. BVerfG, Beschl. vom 5.12.2001 – 2 BvG 1/100 –, BVerfGE 104, 238 (247); Brenner, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2004, 2005, S. 99 (109); Durner, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblatt-Kommentar, Art. 87c Rn. 6 m.w.N., Stand: XI/06; kritisch Horn, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum GG, Bd. 3, 5. Aufl. 2005, Art. 87c Rn. 17. 13 Vgl. zuletzt Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG, Kommentar, 5. Aufl. 2009, Art. 74 Rn. 78; Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar zum GG, Art. 74 Rn. 107.1, Stand: 1.10.2008; Söfker (Fn. 1), S. 163; unentschieden Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 311. 14 Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes (Fn. 1), S. 18 und 28; kritisch dazu Battis/Kersten (Fn. 7), S. 46; vgl. auch Müller (Fn. 1), S. 366 in Anm. 7.

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3. Die Föderalismusreform als Chance zur Ertüchtigung der Bundesraumordnung Auf dieser Grundlage eröffnete die Föderalismusreform eine historische Chance zur grundlegenden Stärkung der Bundesraumordnung. Tatsächlich hat im Dezember 2006 der bereits erwähnte Arbeitskreis der Akademie für Raumforschung und Landesplanung eine ganze Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, die auf Reformbedürfnisse und geänderte Rahmenbedingungen für die überörtliche Gesamtplanung verweisen. Als wichtigstes Reformziel identifizierte der Arbeitskreis – in Anknüpfung an ältere Forderungen15 – die Stärkung der strategischen Führungsrolle des Bundes in der Raumentwicklungspolitik für Deutschland und im europäischen Rahmen, die dieser jedoch mit dem überkommenen raumordnerischen Instrumentarium nicht hinreichend wahrnehmen könne. Die Bundesraumplanung habe somit gesetzgeberischen Nachholbedarf; insbesondere müsse der Bund ermächtigt werden, eigene Raumplanungsziele aufzustellen.16

II. Das Verfahren zum Erlass des neuen Raumordnungsgesetzes 1. Der Erlass des Raumordnungsgesetzes als Bewährungsprobe der Föderalismusreform Der Anlauf zu dieser Novellierung bildete zugleich eine erste Bewährungsprobe für die Tragfähigkeit der durch die Föderalismusreform geschaffenen neuen Kompetenzen. Das zentrale Reformziel der Föderalismusreform 2006 war die Schaffung klarer Verantwortlichkeiten und die Entflechtung der gesetzgeberischen Verantwortungsbereiche von Bund und Ländern.17 Das Verfahren zum Erlass des neuen Raumordnungsgesetzes war nunmehr eine der ersten Tests für die Praxistauglichkeit der durch die Föderalismusreform 2006 neu geordneten Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern. Von Beginn an stand jedoch die Literatur dem Modell der neuen Abweichungsgesetzgebung überwiegend skeptisch gegenüber18 und äußerte die Befürchtung, bereits die ___________ 15

Grundlegend namentlich Blümel (Fn. 6). Ad-hoc-Arbeitskreis ARL, Positionspapier (Fn. 3), S. 5 und 7; ders., Stellungnahme (Fn. 3), S. 7 ff. 17 Dazu Huber, Klarere Verantwortungsteilung von Bund, Ländern und Kommunen? Gutachten D zum 84. Deutschen Juristentag, Bd. I, 2004, bes. S. 70 und 85. 18 Vgl. etwa Nierhaus/Rademacher, LKV 2006, 385 (389 f.); Papier, NJW 2007, 2145 (2147 f.); positiver indes etwa Franzius (Fn. 9), S. 497 ff. m.w.N. zur Diskussion. 16

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bloße Möglichkeit einer Wahrnehmung der neuen Länderabweichungsrechte entfalte möglicherweise „[…] vorwirkend einen Druck zur kompromisshaften Einigung von Bund und Ländern“.19

Das neue Raumordnungsgesetz bestätigt die Richtigkeit dieser Prognose auf eindrucksvolle Weise. 2. Länderwiderstände als Grund für gesetzgeberische Selbstbeschränkung des Bundes Tatsächlich ist nämlich festzustellen, dass der Bund in dem Verfahren zum Erlass des neuen Raumordnungsgesetzes drohende Abweichungen durch die Länder von Anfang an zum Anlass für gesetzgeberische Selbstbeschränkungen genommen hat. Ein maßgeblicher Verfasser des Gesetzentwurfs führt aus, die durch die Föderalismusreform eröffneten Abweichungsrechte könnten „[…] leicht dazu führen, dass die bisherige Rechtseinheit auf dem Gebiet des Raumordnungsrechts verloren geht. Die Raumordnungsminister von Bund und Ländern haben sich darauf verständigt, dass eine solche Entwicklung vermieden werden sollte. Gemeinsames Ziel ist, die Rechtseinheit möglichst weitgehend zu wahren. Deshalb bemühen sich der Bund und die Länder um ein neues Raumordnungsgesetz, das von den Ländern mitgetragen wird und ihnen wenig Anlass zur Abweichung gibt.“20

Obwohl formal also kein Erfordernis einer Zustimmung der Länder besteht, hat sich der Bund entschlossen, das neue Raumordnungsgesetz im völligen Konsens mit den Ländern zu erarbeiten. Diese freiwillige Verflechtung beider Entscheidungsebenen – ein entsprechendes Vorgehen praktizierte der Bund auch in dem erwähnten Gesetzgebungsverfahren für das Umweltgesetzbuch – stellt das Grundanliegen der Föderalismusreform letztlich geradezu auf den Kopf. Zugleich bleibt ein solches Vorgehen aber auch nicht ohne Auswirkungen auf den Inhalt des neuen Gesetzes. Zum einen lässt der Bund – um nicht eine Abweichungsgesetzgebung der Länder zu „provozieren“21 – bewusst zahlreiche Fragen ungeregelt und verbleibt damit in diesem Bereich – ähnlich wie zuvor bereits in dem Entwurf des gescheiterten Umweltgesetzbuchs II22 – auch nach der Abschaffung dieser Figur durch die Föderalismusreform wie bisher materiell auf dem Regelungsniveau eines Rahmengesetzgebers. Aber auch dort, ___________ 19

Schulze-Fielitz (Fn. 9), S. 255; ähnlich Löwer, in: Durner (Hrsg.), Umweltgesetzbuch – Ziele und Wirkungen, 2009, S. 101. 20 Preibisch (Fn. 1), S. 4. 21 Zustimmend insoweit Ad-hoc-Arbeitskreis ARL, Stellungnahme (Fn. 3), S. 1. 22 Vgl. dazu bereits Durner, NuR 2008, 293 (302).

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wo der Bund überhaupt Regelungen erlässt, bilden diese rechtspolitisch eine Raumordnungsgesetzgebung des kleinsten gemeinsamen Nenners.

III. Neuausrichtung der Bundesraumordnung? 1. Die Unverbindlichkeit der bisherigen Bundesraumordnung Die bislang in Abschnitt 3 des bis Ende 2008 geltenden Raumordnungsgesetzes geregelte Raumordnung des Bundes bildet als übergeordnete Planung auf Bundesebene die oberste Stufe der Raumordnung. Nach § 18 Abs. 1 S. 2 ROG a.F. entwickelte das Bundesministerium für Raumordnung auf der Grundlage der Raumordnungspläne der Länder und in Zusammenarbeit mit diesen abstrakte „Leitbilder der räumlichen Entwicklung des Bundesgebietes“ als Grundlage für die Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen des Bundes und der Gemeinschaft. Eine solche Bundesraumordnung wird bereits seit 1974 praktiziert, als der Bund ein erstes Bundesraumordnungsprogramm mit programmatischen Aussagen für die gesamträumliche Entwicklung auf Bundesebene erließ, das in seiner Wirksamkeit jedoch beschränkt blieb.23 Der statt dessen 1993 in Zusammenarbeit mit den Ländern erarbeitete „Raumordnungspolitische Orientierungsrahmen“, eine konzeptionelle Grundlage für die weitere räumliche Entwicklung des Bundesgebietes, erschöpft sich dann bereits nach den Vorgaben des geltenden Raumordnungsgesetzes in rechtlich unverbindlichen und faktisch wenig beachteten Perspektiven, Leitbildern und Strategien24 und enthält insbesondere keine bindenden Ziele der Raumordnung. Die Bundesraumordnung bleibt damit in ihrem Geltungsanspruch gegenüber anderen Raumansprüchen deutlich hinter der Durchsetzungs- und Aussagekraft der hierarchisch nachfolgenden Landesplanungen zurück.25

___________ 23 BT-Drs. 7/3584; vgl. dazu Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Kommentar K, § 1 ROG Rn. 19 ff., Stand: V/2001; Suhr/Anderl, Rechtsfragen der raumbeeinflussenden Bundesplanung, 1980, S. 90 ff.; grundlegend zu dem gesamten Komplex weiterhin Suderow, Rechtsprobleme des Bundesraumordnungsprogramms, 1975. 24 Maßgebliches Dokument ist insoweit der 1993 in Zusammenarbeit mit den Ländern erarbeitete „Raumordnungspolitische Orientierungsrahmen“, abgedruckt in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Fn. 23), Textsammlung B 420, Stand: VI/1994; vgl. dazu Baumheier/Wagner, VerwArch 83 (1992), 97 (109 f.); Krautzberger, DÖV 1992, 911 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Festschrift für Felix Weyreuther, 1993, S. 73 (74 und 86 f.). 25 Erbguth, BayVBl. 1981, 577 (578 ff.); kritisch etwa Wahl, in: Festschrift für Werner Hoppe, 2000, S. 913 (919 f.) m.w.N.

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2. Marginalisierung der Raumordnung und Dominanz der „starken“ Fachplanungen Der effektive Geltungsanspruch der Raumordnungsplanung des Bundes ist damit – sowohl nach außen gegenüber den Ländern als auch nach innen gegenüber den Bundesfachplanungen – bescheiden. Noch nicht einmal die Infrastrukturvorhaben des Bundes selbst werden durch die Bundesraumordnung nennenswert beeinflusst. Insgesamt entfaltet die Raumordnung des Bundes – ganz anders als die der Länder – somit nahezu keinerlei reale Steuerungskraft.26 Verfassungsrechtlich wäre die Festlegung von Raumordnungszielen auf Bundesebene nach den Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zwar durchaus zulässig,27 eine entsprechende Regelung bedürfte nicht einmal der Zustimmung des Bundesrats. Politisch hat sich der Bundesgesetzgeber jedoch nie in der Lage gesehen, diese ihm verfassungsrechtlich zugewiesene raumordnerische Verantwortung zu übernehmen. Im Hinblick auf seine eigenen Infrastrukturvorhaben vermag sich der Bund gegenüber der Gesamtplanung der Länder letztlich nur im Rahmen seiner fachplanerischen Befugnisse durchzusetzen, namentlich durch seine Bedarfsgesetzgebung, durch die Privilegierungen gegenüber der Bauleitplanung nach § 38 BauGB sowie durch sein Widerspruchsrecht gegen bestimmte bundesunverträgliche Raumordnungsziele der Länder.28 Im Vergleich zu diesen Instrumenten bildet die Raumordnungsplanung des Bundes hingegen ein insgesamt stumpfes Schwert, das dem auf Bundesebene bestehenden räumlichen Koordinationsbedarf nicht gerecht wird. Das Fehlen verbindlicher Raumordnungsvorgaben des Bundes und die Möglichkeiten zur Umgehung raumordnerischer Vorgaben führen zu einer Marginalisierung der (Bundes-)Raumordnung insgesamt.

___________ 26

Dazu Durner, in: Erbguth (Hrsg.), Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht – rechtliche Bewertung, Bedeutung für die Praxis, 2007, S. 29 (35 f.). 27 So für die h. L. bereits Forsthoff/Blümel, Raumordnungsrecht und Fachplanungsrecht, 1970, S. 80 ff.; Suderow (Fn. 23), S. 15 ff. 28 Zu diesen Instrumenten Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 87 f., 109 ff. und 422 ff.

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3. Beispiele für raumordnerischen Handlungsbedarf auf Bundesebene Dies lässt sich an zahlreichen Beispielen verdeutlichen: a) Die Standortsuche für ein nationales atomares Endlager So ist das drängende Problem einer Standortsuche für ein nationales atomares Endlager nach wie vor unbewältigt.29 Zwar ist nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 AtG für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen des Bundes zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle das Bundesamt für Strahlenschutz zuständig. Letztlich sind entsprechende Vorhaben bislang jedoch stets am Widerstand der betroffenen Bundesländer – vor allem Niedersachsens – gescheitert.30 In den bisher eingeleiteten Planungen für Endlager mit schwach radioaktiven Abfällen ist dabei der raumordnerische Handlungsbedarf mit den Händen zu greifen. So hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im März 2006 die Literaturauffassung31 bestätigt, nach der die Planfeststellung für ein atomares Endlager eine gebundene Entscheidung darstelle und ein Vergleich mit alternativen Standorten nicht in Betracht komme.32 Dem folgte im März 2007 das Bundesverwaltungsgericht und stellte fest, die atomrechtliche Planfeststellung sei „eine gebundene Entscheidung ohne planerischen Gestaltungsspielraum der Planfeststellungsbehörde im Hinblick auf Alternativstandorte“.33 Gegen diese Rechtsprechung lässt sich manches einwenden.34 Wenn aber das einschlägige Fachrecht tatsächlich – wie die Rechtsprechung annimmt – keine Möglichkeit eröffnet, im Rahmen der atomrechtlichen Planfeststellung räumliche Planungsalternativen zu entwickeln und die Wahl des konkreten ___________ 29

Vgl. statt Vieler Rodi, NJW 2000, 7 (11 f.). Wagner, NJW 2000, 1358 f. 31 Gaentzsch, in: Ossenbühl (Fn. 12), S. 115 (119), in Verallgemeinerung von BVerwG, Beschl. v. 14.5.1996 – 7 NB 3.95 –, BVerwGE 101, 166 zum Abfallentsorgungsplan Saarland. 32 OVG Lüneburg, Urt. vom 8.3.2006 – 7 KS 145/02 –, DVBl 2006, 1044 (1050); ähnlich Urt. vom 8.3.2006 – 7 KS 128/02 u.a. –, ZUR 2006, 489 (491). 33 BVerwG, Beschl. v. 26.3.2007 – 7 B 72/06 –, NVwZ 2007, 841 ff. Damit tritt das Gericht im Ergebnis wohl auch den von Verzögerungswünschen getragenen Forderungen nach einer völlig neuen „alternativen Standortsuche“ auf einer „weißen Landkarte“ entgegen. Vgl. dazu einerseits befürwortend Nies, in: Ossenbühl (Fn. 12), S. 93 ff.; andererseits kritisch Brenner (Fn. 12), S. 99 ff. 34 Näher dazu demnächst Durner, in: Magiera/Sommermann (Hrsg.), Daseinsvorsorge und Infrastrukturgewährleistung. Symposium zum 80. Geburtstag von Willi Blümel, im Erscheinen. 30

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Standortes planerisch zu begründen, dann wäre die Bundesraumordnung für eine solche bundesweite Standortfindung der einzige denkbare und politisch hinreichend legitimierte Rahmen.35 Das derzeitige Ergebnis der Rechtsprechung, dass ein Endlager genehmigt werden kann, ohne dass von Rechts wegen eine Überprüfung der Standortentscheidung stattfindet, erscheint jedenfalls verfassungsrechtlich unbefriedigend. b) Der Wildwuchs der Flughafenplanungen Ein weiteres Beispiel ist die durch die Länder vorangetriebene ungebremste und unkoordinierte Entstehung zusätzlicher Flughäfen in verschiedenen Bundesländern – erwähnt seien die zum Teil in unmittelbarer Nähe der großen Drehkreuze entstandenen Verkehrsflughäfen Erfurt, Klewe oder Lübeck. Nach einer Studie der Deutschen Bank aus dem Jahr 2006 sollen nur fünf der 39 Regionalflughäfen in Deutschland in die Nähe kostendeckender Passagierzahlen kommen.36 Angesichts dieses volkswirtschaftlich und umweltpolitisch unvertretbaren „Wildwuchses der deutschen Flughafenlandschaft“37 wurde immer wieder eine bundesweit abgestimmte Flughafenplanung des Bundes gefordert.38 Tatsächlich jedoch beschränkt sich die Rolle des Bundes bei der Bestimmung des Standorts für Verkehrsflughäfen auf informelle Einflussmöglichkeiten etwa im Rahmen von Kapitalbeteiligungen an den Trägergesellschaften der Großflughäfen.39 Im Übrigen unterliegen die entsprechenden Genehmigungsverfahren zwar einem starken Einfluss raumordnerischer Vorgaben40 – aber eben nur solcher der Länder. Wenn das Bundesverwaltungsgericht daher in seiner vielbeachteten Entscheidung zum Flughafen Schönefeld im Leitsatz 1 ausführt, die Wahl des Standorts für einen internationalen Verkehrsflughafen sei „vorrangig eine raumordnerische Entscheidung“,41 folgen daraus keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes. Dementsprechend hat der Bund einem volkswirtschaftlich so fragwürdigen Projekt wie dem Internationalen Verkehrs___________ 35

So auch Ad-hoc-Arbeitskreis ARL, Stellungnahme (Fn. 3), S. 8. So der Artikel „Prestigeobjekte für Provinzfürsten“ der Internetzeitschrift Fairverkehr, im Internet unter: http://www.fairkehr.de/magframeset.html?fair_0106/politik/prestigeobjekte.htm. 37 Kleinstflughäfen: Wildwuchs ungebrochen, Politikbrief der Lufthansa vom März 2007, im Internet unter: http://konzern.lufthansa.com/de/downloads/presse/politikbrief/03_2007/Lufthansa_PolitikBrief_Maerz_2007_S4-5.pdf. 38 Vgl. die Pressemitteilung des Verkehrsclubs Deutschland „Wildwuchs beim Flughafenbau beenden“ vom 11. Mai 2007, im Internet unter: http://www.vcd.org/407.html? &tx_cwtpresscenter_pi1[showUid]=420&cHash=4b52d35edd. 39 Näher Steiner, in: Festschrift für Willi Blümel, 1999, S. 549 ff. 40 Näher dazu Erbguth, NVwZ 2003, 144 ff. 41 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075/04 –, BVerwGE 125, 116 (130 ff.). 36

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flughafen Erfurt, den das Land Thüringen eine halbe Zugstunde von dem Luftverkehrsdrehkreuz Leipzig entfernt mit bislang 76 Millionen Euro vorangetrieben hat,42 mangels einer durchsetzbaren Bundesraumordnung bislang zumindest raumordnerisch nichts entgegenzusetzen. Ein fachplanerischer Versuch des Gegensteuerns findet sich in dem im Juni 2008 als Entwurf vorgelegten neuen Flughafenkonzept der Bundesregierung.43 c) Länderraumordnung als Einfallstor zur Usurpation der Bundesinfrastrukturplanungen Ein dritter Komplex, die seit Jahrzehnten bekannten Konflikte zwischen den Infrastrukturplanungen des Bundes und der Raumordnung der Länder, soll hier lediglich zusammenfassend erwähnt werden:44 Bei vielen dieser Konflikte geht es um den bekannten Widerstreit fachlicher und überfachlicher Interessen. Zumal bei den Streitigkeiten um die Streckenführung der Verkehrswege nehmen die Länder jedoch von jeher auch mit rechtlichen und außerrechtlichen Instrumenten verkehrspolitischen Einfluss auf die Infrastrukturplanungen des Bundes45 und versuchen dabei seit Jahrzehnten, ihre infrastrukturpolitischen Ansprüche auch mit den Mitteln der Raumordnung durchzusetzen. Auch dieser Entwicklung müsste durch eine sachgerechte Bundesraumordnung gegengesteuert werden. d) Die zunehmende Dominanz der Raumordnung der Europäischen Gemeinschaft Auch die zunehmende Dominanz der Raumordnung der Gemeinschaft macht schließlich das Fehlen einer effektiven Bundesraumordnung immer deutlicher. Zwar verfügt die Gemeinschaft nach vorherrschender Rechtsauffassung bislang über keine allgemeine Zuständigkeit für das Gebiet der gemeinschaftlichen Raumordnung.46 Dennoch hat die Gemeinschaft – namentlich im Jahr 1999 mit dem Europäischen Raumentwicklungskonzept EUREK und im Mai 2007 mit der Verabschiedung der „Territorialen Agenda der Europäischen ___________ 42

Vgl. dazu die kritischen Ausführungen in dem Jahresbericht 2007 des Rechnungshofs Thüringen, S. 196 ff., im Internet unter: http://www.rechnungshof.thue-ringen.de/. 43 Vgl. dazu in diesem Band die Stellungnahmen von Köster, Hösch und Lieber. 44 Beispiele bei Durner (Fn. 11), S. 69 f. 45 Vgl. dazu bereits Wagener, VVDStRL 37 (1979), 215 (238 ff.). 46 So etwa Battis/Kersten (Fn. 7), S. 8 f. m.w.N.; David, in: Festschrift für Lendi, 1998, S. 47; Hendler, in: Mertins (Hrsg.): Vorstellungen der Bundesrepublik Deutschland zu einem europäischen Raumordnungskonzept, 1993, S. 37 ff.; a.A. besonders Gatawis, Grundfragen eines europäischen Raumordnungsrechts, 2000, S. 219 ff.

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Union“ – formal unverbindliche Dokumente vorgelegt, die Leitlinien einer integrierten Raumentwicklungspolitik der Gemeinschaft festlegen. Hinzu treten die infrastrukturpolitischen Festsetzungen der Gemeinschaft im Rahmen ihrer Politik der transeuropäischen Netze.47 Im Rahmen der Umsetzung dieser Vorgaben ist es der Kommission gelungen, vor allem über das Instrument der gemeinschaftlichen Förderprogramme erheblichen Einfluss auf mitgliedstaatliche Planungen zu gewinnen.48 Im Ergebnis kommt es so im Bereich der Infrastruktur doch zu einer partiellen Verlagerung raumordnerischer Entscheidungsgewalt auf die Gemeinschaftsebene.49 Immer mehr bedürfte es eines nationalen Akteurs, der diese gemeinschaftlichen Impulse aufnimmt. 4. Die neue Befugnis zur Konkretisierung einzelner Grundsätze der Raumordnung Welche Antworten liefert das neue Raumordnungsgesetz auf dieses handgreifliche Bedürfnis nach bundesweiter räumlicher Koordination? Auf eine grundlegende Ermächtigung zur Koordination der gesamtstaatlich bedeutsamen Infrastruktur haben sich Bund und Länder in ihrer koordinierten Vorgehensweise nicht zu einigen vermocht.50 Stattdessen finden sich zwei punktuelle Regelungen von insgesamt eher symbolischer als praktischer Aussagekraft. Die erste der beiden Neuerungen besteht darin, dass der Bund nach § 17 Abs. 1 ROG n.F. einzelne Grundsätze der Raumordnung konkretisieren kann. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll dadurch „die Raumordnung im Bereich der Entwicklung des Bundesgebietes gestärkt werden.“ Dabei soll die neue Regelung „[…] auch dazu beitragen, dass Deutschland auf europäischer Ebene handlungsfähiger wird. Damit soll abgewehrt werden, dass die EU neue Kompetenzen anstrebt, weil sie in Deutschland Handlungsdefizite sieht.“51

Diese Formulierung ist mehr oder weniger ein Eingeständnis, dass die dürftige Koordination der bundeswichtigen Infrastruktur auf Bundesebene den An___________ 47 Dazu etwa Bogs, Die Planung transeuropäischer Verkehrsnetze, 2002; Epiney, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Teil L Rn. 430 ff., Stand: 22. EL 2008. 48 Näher Battis/Kersten (Fn. 7), S. 35 ff.; David (Fn. 46), S. 50 f.; Jarass, DÖV 1999, 661 (665 f.); Gatawis (Fn. 46), S. 72 ff.; vgl. auch die Pressemitteilung der Kommission: Neues Finanzierungsinstrument für europäisches Verkehrsnetz, EuZW 2008, 66 f. 49 Eingehend dazu Gatawis (Fn. 46), S. 99 ff. 50 Kritisch etwa Ad-hoc-Arbeitskreis ARL, Stellungnahme (Fn. 3), S. 7. 51 Preibisch (Fn. 1), S. 11.

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forderungen an eine geordnete Entwicklung offenkundig kaum gerecht wird. Die neue Befugnis zur Konkretisierung einzelner Grundsätze der Raumordnung soll offenbar die Gemeinschaft davon überzeugen, dass die bisherigen „Handlungsdefizite“ in Deutschland nunmehr behoben seien. Über einen appellativen Charakter geht diese Stärkung freilich kaum hinaus, denn „[…] die Rechtswirkung dieser planerischen Grundsätze der Raumordnung ist, dass sie gemäß § 4 bei nachfolgenden Abwägungs- und Ermessensentscheidungen über raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen zu berücksichtigen sind.“52

Damit bleibt die Wirkung dieser konkretisierten Grundsätze denkbar nahe an jener des bisherigen Raumordnungspolitischen Orientierungsrahmens und führt allenfalls neue Begriffe ein. 5. Länderübergreifende Standortkonzepte für See-, Binnen- und Flughäfen Nach § 17 Abs. 2 S. 1 ROG n.F. soll der Bund zudem künftig länderübergreifende Standortkonzepte für See-, Binnen- und Flughäfen als Grundlage für die Bundesverkehrswegeplanung aufstellen können. Indirekt hofft der Bund damit auch dem Wildwuchs der Regionalflughäfen in den Ländern entgegenwirken zu können und durch die Standortkonzepte deutlich zu machen, „[…] welche einzelnen Flughäfen in absehbarer Zeit an die Schienenwege des Bundes oder an die Bundesautobahnen angeschlossen werden.“53

Auch diese Standortkonzepte bleiben jedoch für die Länder unverbindlich: § 17 Abs. 2 S. 2 ROG n.F. stellt ausdrücklich klar, dass die Raumordnungspläne nach Satz 1 „keine Bindungswirkung für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen der Länder“ entfalten. Offen erklärt der Bund diese Zurückhaltung mit Widerstand aus den Ländern: „Die Länder haben die angestrebte neue Regelung anfangs sehr kritisch betrachtet. Sie fürchteten insbesondere eine Bindung durch die Zielvorgaben des Bundes. Der Bund hat dem Rechnung getragen, indem er eine Bindung der Standortkonzepte für die Länder ausschließt und die Bindung auf die Bundesverkehrswegeplanung begrenzt.“54

Weil die Länder also keine Vorgaben des Bundes wünschen, beschränkt der Bund die Bindungswirkungen der Standortkonzepte auf sich selbst, obwohl der Bund weder See-, Binnen- noch Flughäfen festsetzt. Es ist kaum nachzuvollziehen, welchen Sinn „länderübergreifende“ Raumordnungsziele überhaupt ha___________ 52 53 54

Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes (Fn. 1), S. 27. Preibisch (Fn. 1), S. 11. Preibisch (Fn. 1), S. 11.

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ben sollen, wenn die Länder nicht daran gebunden sind.55 Tatsächlich soll jedoch nach der Gesetzesbegründung die Bundesverkehrswegeplanung „einziger von den Ziel- und Grundsatzfestlegungen der Pläne erfasster Adressat“ sein.56 Das Ergebnis ist eine in ihrer Redundanz bemerkenswerte Bestimmung: Der Bund unter Federführung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung stellt künftig bestimmte Raumordnungsziele auf, die anschließend Bindungen allein gegenüber dem wiederum durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vorbereiteten Bundesverkehrswegeplan entfalten. Kurioserweise legt § 21 S. 1 Alternative 1 ROG n.F. zudem noch fest, dass über einen Antrag auf Abweichung von diesen Zielen – also offenbar bei Aufstellung des Bundesverkehrswegeplans – erneut das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung entscheidet. Da ebendieses Ministerium schon bisher die fachplanerische Entscheidung trifft, wo und wann neue Bundeseisenbahnen und Bundesfernstraßen errichtet werden, ist die Existenzberechtigung dieser Bestimmungen ohne die ursprünglich offenbar intendierte Bindung der Länder nur schwer ersichtlich. Gleichwohl hat der Bundesrat die offensive Auffassung vertreten, der Bund greife selbst mit der an sich selbst adressierten Zielaussage zur Verkehrsinfrastruktur „erneut in Zuständigkeiten der Länder ein“.57

IV. Weitere Änderungen des Raumordnungsgesetzes im Überblick Die weiteren Änderungen des neuen Raumordnungsgesetzes sollen hier lediglich im Überblick dargestellt werden. 1. Überarbeitung der Grundsätze der Raumordnung Ein großer Teil der inhaltlichen Neuakzentuierungen widmet sich der Überarbeitung der Grundsätze der Raumordnung in § 2 ROG: Generelles Leitbild ist die „nachhaltige Raumentwicklung“, ohne dass die rechtlichen Strukturen der bisherigen planerischen Abwägung dadurch grundlegend verändert würden.58 So trägt das neue Gesetz dem demographischen Wandel Rechnung, stellt die Erhaltung der Innenstädte als wichtigen Belang heraus und thematisiert den ___________ 55 56 57 58

Ad-hoc-Arbeitskreis ARL, Stellungnahme (Fn. 3), S. 8. Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes (Fn. 1), S. 28. Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 563/08 vom 19.9.2008, S. 8. Hoppe, NVwZ 2008, 936.

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Klimawandel und den Schutz kritischer Infrastrukturen. Im Gegenzug wird eine Reihe alter Zöpfe beschnitten: So gibt es künftig keinen übergeordneten Grundsatz für den ländlichen Raum mehr, die entsprechenden Erwägungen werden vielmehr bei den einzelnen Belangen wie Wirtschaft, Kulturlandschaften oder Umwelt angesprochen. Diese Neufassung der Ziele und Grundsätze ist im Wesentlichen gut gelungen.59 Gleichwohl erstaunt, dass die entsprechenden Änderungen im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens geradezu als das Herzstück der Novellierung präsentiert wurden. Bei all den genannten Grundsätzen handelt es sich letztlich nämlich nur um überwindbare Abwägungsdirektiven, die zumindest im Zuge der gerichtlichen Kontrolle eine recht marginale Rolle spielen. Eine Novelle, die ihre rechtspolitischen Schwerpunkte in einem derart tendenziell unverbindlichen Bereich setzt, offenbart sich damit von vornherein als ein eher symbolisches Gesetzgebungsvorhaben. 2. Ausnahmen von den Zielen Seit Jahren besteht erheblicher Streit über die Anforderungen an Ziele der Raumordnung und insbesondere um die Zielqualität von Soll-Festsetzungen. Zuletzt hatte der bayerische Gesetzgeber in einer „Klarstellung des Bundesrechts“ in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 BayLPlG vorgesehen, dass textliche Ziele „grundsätzlich als Soll-Vorschriften“ formuliert werden.60 Die Argumente für und wider die Zulässigkeit dieser Vorgehensweise sind längst ausgetauscht: Nach der Definition in § 3 Nr. 2 ROG sind „Ziele der Raumordnung“ als raumplanerische Letztentscheidungen Festsetzungen, die bereits durch das Nadelöhr der abschließenden Abwägung aller berührten Raumansprüche gegangen sind.61 Hieraus folgert ein Teil der Lehre, dass Soll-Festsetzungen in Raumordnungsplänen nur Grundsätze der Raumordnung darstellen können.62 Die vor allem in der Rechtsprechung vorherrschende Gegenauffassung geht hingegen ___________ 59

Zur Kritik im Detail Ad-hoc-Arbeitskreis ARL, Stellungnahme (Fn. 3), S. 2 ff. Dazu kritisch Hoppe, BayVBl. 2005, 356 ff. m.w.N. 61 BVerwG, Beschl. vom 20.8.1992 – 4 NB 20/91 –, BVerwGE 90, 329 (333 ff.); OVG Lüneburg, Urt. vom 30.7.1995 – 1 L 894/94 –, NVwZ 1996, 271; Hoppe, Grundfragen des Planungsrechts, 1998, S. 370 ff., m.w.N.; Lehners, Raumordnungsgebiete, 1998, S. 7 f., 35; Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Fn. 23), Kommentar K, § 3 ROG Rn. 56 ff., 139 ff., Stand: IX/1998; von der Heide, in: Cholewa/Dyong/von der Heide/Arenz (Hrsg.), Raumordnung in Bund und Ländern, Bd. 1, § 3 ROG Rn. 15, 17, 20 f., Stand: April 1998; Ziekow, in: ders. (Hrsg.), Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 588 ff. 62 So besonders Hoppe, BayVBl. 2002, 129 (131 ff.), m.w.N.; ders., BayVBl. 2002, 754 f.; ders. (Fn. 60), S. 356 ff. m.w.N.; dem folgend Durner (Fn. 28), S. 90; Schroeder, UPR 2000, 52 (53) m.w.N. 60

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davon aus, dass auch Soll-Festsetzungen zulässige Ziele der Raumordnung sind.63 Das neue Raumordnungsgesetz knüpft an diese Rechtsprechung ein Stück weit an. Es behält die bisherigen Vorgaben zur Definition der Ziele und ihrer Bindungswirkung bei, legt jedoch nunmehr in § 6 Abs. 1 in Anknüpfung an diese Rechtsprechung ausdrücklich die Möglichkeit fest, dass Ausnahmen von den Zielen festgelegt werden können. Nach der Gesetzesbegründung soll dies die Flexibilität steigern.64 Nach zusätzlichen Erläuterungen der Entwurfsverfasser müssen zudem die Ausnahmen „… sehr konkret formuliert werden, so dass im Einzelfall klar ist, ob eine Ausnahme greift. Deshalb bedeutet die Zulassung von Ausnahmen nicht, dass das Bundesrecht künftig Soll-Ziele kennt.“65

Diese einschränkende Aussage hätte man gerne im Gesetzestext oder zumindest in der Gesetzesbegründung gefunden. Bereits im Gesetzgebungsverfahren wurde auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass auch die Festlegung einer Ausnahme abschließend abgewogen sein muss, und daher vorgeschlagen, dass von Zielen der Raumordnung nur solche Ausnahmen möglich sein sollen, die der Raumordnungsplan selbst nach Art und Umfang ausdrücklich vorsieht.66 Dass der Gesetzgeber gleichwohl auf entsprechende Klarstellungen verzichtet, dürfte erneut auf das zwischen Ländern und Bund konsensual abgestimmte Gesetzgebungsverfahren zurückzuführen sein, in dem insbesondere Bayern keine Stellungnahme des Bundes zur Streitfrage der Soll-Ziele gewünscht haben dürfte. Damit hat der Gesetzgeber die Gelegenheit zur Entschärfung dieses „schon viel zu lange schwelenden Brandherds“ ungenutzt gelassen.67 3. Vollständige Regelung der Umweltprüfung Die Vorgaben der Richtlinie zur strategischen Umweltprüfung, die der Bund im alten Raumordnungsgesetz lediglich rahmenrechtlich ausgestaltet hatte, ___________ 63

Vgl. nur BVerwG, Urt. vom 18.9.2003 – 4 CN 20/02 –, NVwZ 2004, 226 (227); VGH München, Urt. vom 22.5.2002 – 26 B 01.2234 –, BayVBl. 2002, 600 ff.; Urt. vom 19.4.2004 – 15 B 99.2605 –, BayVBl. 2005, 80 ff.; Goppel, BayVBl. 1998, 289 (291 f. und öfter); ders./Schreiber, BayVBl. 2005, 353 (354); Hendler, UPR 2003, 256 (260 f.); Spiecker, Raumordnung und Private, 1999, S. 91; von der Heide (Fn. 61), § 3 ROG Rn. 24d, Stand: April 1998. 64 Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes (Fn. 1), S. 23. 65 Preibisch (Fn. 1), S. 8. 66 Ad-hoc-Arbeitskreis ARL, Stellungnahme (Fn. 3), S. 4; Hoppe, DVBl. 2008, 966 ff. 67 So die Kritik von Kment/Grüner, UPR 2009, 93 (98 f.).

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werden in § 9 in Anlehnung an das Vorbild des Baugesetzbuchs im neuen Gesetz durch Vollregelungen unmittelbar und vollständig umgesetzt. Eine vollständige bundesrechtliche Ausgestaltung der Umweltprüfung ist aus Gründen der Einheitlichkeit und Benutzerfreundlichkeit im Grundsatz durchaus zu begrüßen. Dabei folgt das neue Gesetz durch die Orientierung am Baugesetzbuch der bereits in einigen Landesplanungsgesetzen umgesetzten begrüßenswerten Tendenz, den Aufwand für die Durchführung der strategischen Umweltprüfung in vernünftigen Grenzen zu halten:68 So bezieht sich die Umweltprüfung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 ROG „auf das, was nach gegenwärtigem Wissensstand und allgemein anerkannten Prüfmethoden sowie nach Inhalt und Detaillierungsgrad des Raumordnungsplans angemessenerweise verlangt werden kann.“ Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 ROG soll die Umweltprüfung auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen beschränkt werden, wenn bereits eine entsprechende Umweltprüfung durchgeführt wurde. 4. Weiterer Ausbau der Planerhaltung § 10 ROG a. F. sah schon bislang bestimmte fakultative und obligatorische Elemente der Planerhaltung in den Landesgesetzen vor. § 12 ROG enthält nunmehr eine umfassende – allerdings auch sehr ausführliche – Regelung zur Planerhaltung, die in ihrer Grundstruktur an die §§ 214 und 215 BauGB angelehnt ist und einer „Stärkung der Bestandskraft von Raumordnungsplänen“ dienen soll.69 Auch in der Raumordnung gilt also künftig ein differenziertes Fehlerfolgenprogramm, in dem nach Abs. 5 eine ganze Reihe an sich beachtlicher Fehler unbeachtlich werden kann, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres gegenüber der zuständigen Stelle substantiiert geltend gemacht worden sind. Diese Rügefrist dürfte künftig auch für konkurrierende Fachplanungsträger an Relevanz gewinnen.

V. Flankierende Landesgesetzgebung Neue Akzente setzt der Entwurf schließlich auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Zielabweichung. § 11 Satz 1 ROG a.F. sah insoweit vor, dass von einem Ziel der Raumordnung in einem besonderen Verfahren abgewichen werden kann, wenn die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Da der Ge___________ 68 69

Dazu bereits Durner (Fn. 4), S. 75 ff. und 81 ff. Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes (Fn. 1), S. 25.

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setzgeber in diesem Zusammenhang bislang weder auf Bundes- noch auf Landesebene für Zielabweichungen eine explizite Ausnahme von der in § 75 Abs. 1 VwVfG angeordneten Konzentrationswirkung vorsieht, haben Rechtsprechung und Schrifttum in den letzten Jahren zutreffend die Möglichkeit bejaht, in Planfeststellungsverfahren im Rahmen der Konzentrationswirkung nach § 75 Abs. 1 VwVfG auch Zielabweichungen nach § 11 ROG auszusprechen, die ein Abgehen von der grundsätzlich strikten Zielbindung ermöglichen.70 Auch die Voraussetzungen für eine landesplanerische Untersagung liegen gegenüber einem Vorhaben nicht mehr vor, für das eine Zielabweichung zugelassen wurde oder durch die Planfeststellungsbehörde zugelassen werden kann, da nach der Zulassung einer Abweichung die Ziele der Raumordnung dem Vorhaben nicht mehr entgegenstehen können.71 Zweifellos schwächt diese Möglichkeit der Planfeststellungsbehörde, sich selbst von kollidierenden Zielen zu dispensieren, die Position der Landesplanungs- gegenüber den Fachplanungsbehörden ganz erheblich. Interessanterweise gibt das neue Raumordnungsgesetz dieser Entwicklung insoweit ein Stück weit nach, als der neue § 6 Abs. 2 Satz 1 ROG die Voraussetzungen für die Zielabweichungen zwar unverändert lässt, jedoch nicht länger ein besonderes Verfahren vorschreibt. Die konkreten Verfahrensanforderungen sollen vielmehr durch das Landesrecht festgelegt werden. In NordrheinWestfalen sieht das zuständige Ministerium insoweit vor, die bisherige Praxis zu unterbinden. Das zuständige Ministerium erklärte auf einer Tagung im vergangenen Jahr: „Wir werden daher im Landesplanungsgesetz regeln – wie auch im bisherigen Landesrecht vorgesehen –, dass das Zielabweichungsverfahren als eigenes Verfahren durchzuführen ist und damit z. B. nicht in ein Planfeststellungsverfahren integriert werden kann. Damit wird nochmals verdeutlicht, dass auch die Fachplanungsträger an die übergeordneten landesplanerischen Ziele der Raumordnung gebunden sind und die Landes- und Bezirksplanungsbehörde für diese Verfahren zuständig sind.“72

Allerdings könnte eine solche Regelung bei verfassungskonformer Auslegung eine kraft bundesrechtlich angeordneter Konzentrationswirkung bewirkte Einbeziehung des Zielabweichungsverfahrens in die Planfeststellungsentscheidung schwerlich verhindern. Denn trotz immer wieder erhobener bundesstaatli-

___________ 70 So wohl erstmals Rieger, in: Ronellenfitsch/Schweinsberg (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts V, 2000, S. 17 (47 ff.); ebenso dann VGH Mannheim, Urt. vom 8.7.2002 – 5 S 2715/01 –, ZLW 2004, 160 (165); VGH Kassel, Beschl. vom 13.4.2005 – 4 Q 3637/04 –, NVwZ-RR 2005, 683 f.; Wahl/Hönig, NVwZ 2006, 161 (169 in Fn. 77) m.w.N. 71 Ähnlich Rieger (Fn. 70), S. 53 ff. 72 Klassmann-Voß, in: Jarass (Fn. 1), S. 15 (17).

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cher Einwände73 hat die Rechtsprechung eine intraföderale Verfahrenskonzentration zu Recht jedenfalls für bundesrechtliche Verfahren stets als kompetenzgemäß angesehen.74 Angesichts der seit der Weimarer Republik praktizierten mehrfach verfassungsgerichtlich bestätigten Zulässigkeit der Konzentration von Länderzuständigkeiten durch Bundesplanungen dürfte dieses Institut mittlerweile auch eine verfassungsgewohnheitsrechtliche Grundlage erlangt haben.75 Von einer derart kompetenzgemäß angeordneten Verfahrenskonzentration kann aber das Landesrecht nicht abweichen.

VI. Ausblick Aus Sicht der Fachplanung sind die Auswirkungen des neuen Raumordnungsgesetzes sehr überschaubar. Dies mag die Vertreter der Fachplanungen erfreuen, ist jedoch aus gesamträumlicher Sicht bedauerlich. Denn in vielen Bereichen kann kein Zweifel bestehen, dass der ungestörte Wettbewerb der unkoordinierten Fachplanungen keineswegs sämtliche Probleme zufriedenstellend löst. Raumordnerisches Handeln – und zwar ein Handeln des Bundes – wäre dringend geboten, um beispielsweise den Wildwuchs der Flughafenplanungen der Länder – wie den unverantwortlichen Wettkampf der 30 km voneinander entfernten Flughäfen Saarbrücken und Zweibrücken76 – zu unterbinden oder die raumplanerischen Weichen für das dringend benötigte nationale atomare Endlager zu stellen.

___________ 73 Vgl. dazu die reichen Nachweise bei Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 72 Rn. 60 f.; weiter Bullinger, Archiv PT 1998, 105 (118 ff.); Gassner, UPR 1989, 254 (256); Hoppe/Schulte, Rechtsschutz der Länder in Planfeststellungsverfahren des Bundes, 1993, S. 33 ff., 52 ff.; Kopp, NuR 1991, 449 (451 f.); Ossenbühl, in: Festschrift für Horst Sendler, 1991, S. 107 (112 ff.); Treffer, UPR 1994, 378 ff., alle m.w.N.; ältere Nachweise zu solchen zum Teil bereits in den 50er Jahren erhobenen Bedenken bei Blümel, Die Bauplanfeststellung I, 1961, S. 28 ff. 74 BVerwG, Urt. vom 29.6.1967 – IV C 36.66 –, BVerwGE 27, 253 (256 f.); Urt. vom 14.4.1989 – 4 C 31/88 –, BVerwGE 82, 17 (22) (dort mit dem oft überbetonten einschränkenden Zusatz, die Konzentrationswirkung sei „jedenfalls“ dort zulässig, wo eine ausschließliche Zuständigkeit des Landesgesetzgebers nicht gegeben ist); Urt. vom 9.5.2001 – 6 C 4.00 –, BVerwGE 114, 232 (239); OVG Münster, Urt. vom 18.8.1994 – 20 A 2935/92 –, UPR 1995, 319; wohl auch BVerfG, Beschl. vom 15.7.1969 – 2 BvF 1/64 –, BVerfGE 26, 338 (377). 75 Ossenbühl (Fn. 73), S. 116 f. In diesem Sinne lassen sich bereits die Aussagen des BVerfG, Beschl. vom 15.7.1969 – 2 BvF 1/64 –, BVerfGE 26, 338 (373 ff.), verstehen, die auf einer weiten Auslegung der entsprechenden Bundeskompetenzen beruhen, vgl. dazu auch Bullinger (Fn. 73), S. 120; ähnlich Blümel (Fn. 73), S. 27 ff. 76 Vgl. den Politikbrief der Lufthansa (Fn. 37).

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Leider ist unübersehbar, dass die Föderalismusreform 2006 die Bereitschaft des Bundes zur Übernahme solcher raumordnerischer Verantwortung keineswegs gesteigert hat. Dem Bund mangelt es weiterhin nicht an den Kompetenzen für eine effektive Bundesraumordnung, wohl aber an der Entschließung und dem politische Mut, sich dieser Kompetenzen ohne Mitwirkung der Länder zu bedienen. Offenbar führt die Reform der Rahmengesetzgebung an Stelle der erstrebten Entflechtung bundesstaatlicher Zuständigkeiten und des bisherigen Erfordernisses einer einfachen Mehrheit im Bundesrat zu einer nochmals intensivierten föderalen Konsensdemokratie. Fortschritte erzielt die zwischen Länder und Bund „koordinierte“ Novelle des Raumordnungsgesetzes lediglich im kleinräumigen Bereich. Für die künftige Gesetzgebung des Bundes in Bereichen, die der Abweichung unterliegen, lässt dies wenig Gutes erwarten.

Die Regelungen des Umweltschadensgesetzes über Schäden an Arten und natürlichen Lebensräumen und ihre Auswirkungen auf das Planungsrecht Von Hans Walter Louis

Im Mai 2007 wurde das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden1 verabschiedet, das seinerseits die UmweltHaftungsrichtlinie (UHRL)2 in deutsches Recht umsetzt. Auf Grund von Art. 72 Abs. 3 S. 2 GG treten Gesetze auf dem Gebiet des Naturschutzes mit Ausnahme der abweichungsfesten Teile frühestens 6 Monate nach Verkündung in Kraft. Folglich sieht Art. 4 des Gesetzes vom 10. Mai 2007 vor, dass das Umweltschadensgesetz (USchadG) und die Änderungen im Wasserhaushaltsgesetz und im Bundesnaturschutzgesetz zum 14. November 2007 in Kraft getreten sind. Neu eingeführt wird ein Umweltschaden an Arten und natürlichen Lebensräumen. Dieser Schaden tritt im Wege einer Fiktion nicht ein, wenn die nachteiligen Auswirkungen der Tätigkeiten eines Verantwortlichen auf diese Arten und Lebensräume zuvor ermittelt und im Rahmen bestimmter verwaltungsrechtlicher Entscheidungen genehmigt wurden oder zulässig sind. Insofern hat das USchadG Einfluss auf die Genehmigungs- und Planungsentscheidungen. Durch das Umweltschadensgesetz (USchadG)3 werden Regelungen für Umweltschäden ___________ 1

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden vom 10.5.2007, BGBl. I S. 666. 2 Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, Abl. EU Nr. L 143 S. 56, vgl. Schumacher/Schumacher/Palme/Schlee, StoffR 2004, 26. 3 Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, vom 10.5.2007, BGBl. I S. 666.

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– an Arten und natürlichen Lebensräumen, – an Gewässern und – am Boden getroffen. Das Gesetz enthält grundsätzliche Vorschriften zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden. Die Definition des medienbezogenen Umweltschadens selbst erfolgt im Wasserhaushaltsgesetz und im Bundesnaturschutzgesetz. So führt Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden einen § 22a WHG ein. Art. 3 Nr. 3 des Gesetzes ergänzt den § 21 BNatSchG um einen Absatz 4 und Nr. 4 fügt einen § 21a BNatSchG ein.

I. Der Umweltschaden an Arten und natürlichen Lebensräumen 1. Die Erweiterung des Kreises der Verantwortlichen beim Biodiversitätsschaden Für Umweltschäden an Gewässern und am Boden haften nur Personen oder Körperschaften, die eine berufliche Tätigkeit nach Anlage 1 USchadG ausüben. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 USchadG wird die Haftung für Umweltschäden an Arten und natürlichen Lebensräumen darüber hinaus auf alle beruflichen Tätigkeiten ausgedehnt, sofern der Verantwortliche vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Damit haftet für Biodiversitätsschäden – ohne Verschulden jeder, der einer beruflichen Tätigkeit nach Anlage 1 nachgeht und – für Vorsatz und Fahrlässigkeit darüber hinaus, wer eine sonstige berufliche Tätigkeit ausübt. 2. Der Verantwortliche Kernbegriff für die Haftung ist die berufliche Tätigkeit. Darunter versteht § 2 Nr. 4 USchadG „jede Tätigkeit, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit, einer Geschäftstätigkeit oder eines Unternehmens ausgeübt wird, unabhängig davon, ob sie privat oder öffentlich und mit oder ohne Erwerbscharakter ausgeübt wird“. Eine wirtschaftliche, geschäftliche oder unternehmerische Betätigung setzt eine Teilnahme am Wirtschaftsleben voraus.4 ___________ 4

So schon zur Gesetzgebungszuständigkeit Louis/Behrens, NuR 2005, 682, 691.

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Der Begriff des „Verantwortlichen“ in § 2 Nr. 3 USchadG ist ziemlich weitgehend, er kann nur durch die „berufliche Tätigkeit“ nach § 2 Nr. 4 USchadG sinnvoll eingegrenzt werden. Allerdings erscheint auch der Begriff der „beruflichen Tätigkeit“ recht ausufernd, da jedermann, der einem Gelderwerb nachgeht, auch beruflich tätig zu sein scheint. Damit würde jeder Arbeitnehmer, dessen Tätigkeit zu einem Biodiversitätsschaden beiträgt, für diesen Schaden haften.5 Ob dieses Ergebnis wirklich gewollt ist, sollte durch einen Blick in die Begründung des Gesetzes und in die UHRL geklärt werden. Die UHRL spricht im Gegensatz zu § 2 Nr. 3 USchadG nicht von einem „Verantwortlichen“, sondern in Art. 2 Nr. 6 UHRL vom „Betreiber“. Der Begriff „Verantwortlicher“ wurde gewählt, weil die Pflichten nach dem USchadG als polizeirechtliche Pflichten ausgestaltet sein sollten und der Begriff des „Verantwortlichen“ aus rechtssystematischen Gründen besser passte. Eine inhaltliche Änderung gegenüber der Richtlinie war nicht beabsichtigt.6 Der Begriff des „Verantwortlichen“ ist daher im Sinne des „Betreibers“ nach Art. 2 Nr. 6 UHRL zu interpretieren. Ein „Betreiber“ ist aber nicht jeder, der im Berufsleben steht. Er setzt vielmehr eine gewisse Selbstständigkeit und Entscheidungsbefugnis voraus. Damit ist auch der „Verantwortliche“ nach § 2 Nr. 3 USchadG eine Person, die über Selbstständigkeit und Entscheidungsbefugnis verfügen muss. Für diese Auslegung spricht auch, dass in der Begründung bei der Haftung für juristische Personen nur auf § 31 BGB, also die Organhaftung, abgestellt wird, nicht dagegen auf den Erfüllungsgehilfen nach § 278 oder den Verrichtungsgehilfen nach 831 BGB. Keine „Verantwortlichen“ in diesem Sinne sind somit normale Arbeitnehmer, da ihnen die erforderliche wirtschaftliche Verfügungsmacht fehlt, auf die beim Betreiber nach Art. 2 Nr. 6 UmwH-RL abgestellt wird.7 Zudem wäre eine solche Haftung völlig unverhältnismäßig. Angesichts der zu erwartenden Kosten würde jeder durchschnittliche Arbeitnehmer in die Insolvenz getrieben. Das kann nicht Sinn des USchadG sein. 3. Die Haftung öffentlich-rechtlicher Körperschaften Problematisch erscheint die Haftung öffentlich-rechtlicher Körperschaften.8 Zunächst kann rein sprachlich eine hoheitliche Tätigkeit auch eine berufliche Tätigkeit sein. Auf der anderen Seite wird in § 2 Nr. 4 USchadG als berufliche Tätigkeit eine Tätigkeit definiert, „die im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätig___________ 5

So alleine auf den Wortlaut abstellend, Diederichsen, NJW 2007, 3377, 3379. BT-Drs. 16/3806, S. 20 (zu Nummer 3). 7 So auch Becker, Umweltschadensgesetz, 2007, Rdnr. 67, der dieses Ergebnis durch das Institut des „Einstehens für fremde Personen“ erreicht. 8 Die Begründung greift dieses Problem nur bei der Unmittelbarkeit auf, BT-Drs. 16/3806, S. 21 (zu Nr. 3). 6

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keit, einer Geschäftstätigkeit oder eines Unternehmens ausgeübt wird.“ Dabei ist es gleichgültig, ob die Tätigkeit „privat oder öffentlich und mit oder ohne Erwerbscharakter ausgeübt wird“. Mit „öffentlich“ ist offensichtlich „öffentlich-rechtlich“ gemeint, da der Begriff im Gegensatz zu „privat“ steht. Rein sprachlich kann auch eine private Tätigkeit „öffentlich“ sein, wenn sie vor den Augen der Öffentlichkeit erfolgt, darum geht es hier aber nicht.9 Der Hauptansatz für die berufliche Tätigkeit ist zunächst, dass es eine wirtschaftliche Tätigkeit sein muss. Hoheitliche Entscheidungen und wirtschaftliche Tätigkeiten schließen sich aber aus. Die Ausübung der Staatsgewalt stellt keine wirtschaftliche Tätigkeit dar, da die Partner sich nicht gleichrangig gegenüberstehen. Das zeichnet aber eine wirtschaftliche Tätigkeit, zumindest theoretisch, aus. Somit sind behördliche Entscheidungen, wie z.B. Genehmigungen, Planfeststellungen oder Bauleitplanung, nicht als berufliche Tätigkeiten einzustufen, so dass eine Haftung für einen Umweltschaden ausscheidet. Zudem ist es sehr zweifelhaft, ob die Zulassung oder Planung einen Umweltschaden unmittelbar herbeiführt.10 Davon könnte nur ausgegangen werden, wenn die Zulassung oder Planung so angelegt ist, dass sie zwangsläufig zu dem Umweltschaden führt. Zum einen geben öffentlich-rechtliche Zulassungen im Regelfall das Recht, das zugelassene Vorhaben auszuführen, sie verpflichten aber nicht dazu. Damit steht zwischen der Zulassung und der Ausführung immer die Entscheidung des Vorhabenträgers, ob er von der Zulassung Gebrauch machen will oder nicht. Andererseits kann argumentiert werden, dass der Vorhabenträger die Zulassung doch beantragt, weil er es verwirklichen will. Dann würde die Zulassung doch als unmittelbar zu dem Umweltschaden führend anzusehen sein. Insofern ist die Herausnahme hoheitlicher Tätigkeiten aus der beruflichen Tätigkeit rechtssicherer. Die Betonung in § 2 Nr. 3 USchadG, dass es unerheblich ist, ob die berufliche Tätigkeit hoheitlich oder privat ausgeübt wird, zeigt aber andererseits, dass nicht alle Tätigkeiten der öffentlich-rechtlichen Körperschaften ausgenommen sein sollen, z.B. weil sie wirtschaftlicher Art sind. Erforderlich ist immer eine Betätigung im wirtschaftlichen Bereich. Diesem Bereich kann auch eine öffentlich-rechtliche Betätigung zugeordnet werden, wenn sie auch von privaten Teilnehmern in der Wirtschaft erbracht wird oder erbracht werden kann. Da es sich um die Umsetzung einer europäischen Richtlinie handelt, muss auch der Begriff der hoheitlichen Betätigung im Lichte der einheitlichen Anwendung von Vorschriften in Europa gesehen werden. Öffentliche Tätigkeiten im Sinne des § 2 Nr. 4 USchadG sind nur dann hoheitlicher Natur und damit nicht „beruflich“, wenn sie auf den Staat beschränkt sind und ihre Besonderheit in der ___________ 9 Soviel zur Sprachgewalt des Gesetzgebers. Für den Anwender sind solche sprachlichen Ungenauigkeiten eher ärgerlich. 10 Diesen Weg wählt die Begründung, BT-Drs. 16/3806, S. 21 (zu Nr. 3).

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Ausübung von Staatsgewalt liegt. Zwar ist die Zulassung von Vorhaben rein hoheitlich, die Verwirklichung hingegen bedarf nicht der Ausübung von Staatsgewalt. Dies kann auch jeder Private durchführen. Der Bau und der Betrieb von Einrichtungen der Infrastruktur können durchaus auch durch Private erfolgen, für den Bau von solchen Anlagen ist dies sogar üblich. Damit ist der Bau von Infrastruktureinrichtungen als berufliche Tätigkeit einzustufen, auch für einen öffentlich-rechtlichen Auftraggeber, da er die berufliche Tätigkeit als Verantwortlicher i.S.d. § 2 Nr. 3 USchadG „bestimmt“. Auch ein Privater könnte diese Aufgabe wahrnehmen. Ebenso setzt der Betrieb von Infrastruktureinrichtungen keine hoheitlichen Befugnisse voraus. Er wird zwar in Deutschland von Behörden durchgeführt, er kann durchaus durch Private erfolgen, wie der Blick ins europäische Ausland zeigt. 4. Die Haftung Privater a) Der private Verantwortliche Ist der Inhaber der Zulassung ein Privater, der beruflich tätig wird, ist er ohnehin Verantwortlicher. Dagegen entfällt die Verantwortlichkeit bei einer reinen Privatperson, da diese nicht beruflich tätig wird. Führt der Bau oder der Betrieb einer Windkraftanlage im Außenbereich zu einem Umweltschaden an Arten und natürlichen Lebensräumen, kommt es darauf an, ob der Betreiber beruflich tätig wird. Das wird man bei einer solchen Anlage immer annehmen können, da der Betreiber den erzeugten Strom verkauft und somit am Wirtschaftsleben teilnimmt. Verantwortlicher ist in jedem Fall der Betrieb, der einen Umweltschaden verursacht, sofern er rechtsfähig und damit haftungsfähig ist. Hierunter fallen Gesellschaftsformen, die einer Eintragung in ein Register bedürfen. Nicht erfasst werden BGB-Gesellschaften. Bei dieser Gesellschaftsform bilden die Beiträge der Gesellschafter zur Gesellschaft gemäß § 718 Abs. 1 BGB zwar ein gemeinsames Vermögen (Gesellschaftsvermögen), das aber nicht der Gesellschaft selbst, sondern allen Gesellschaftern zusteht. Verantwortlich sind weiterhin die leitenden Mitarbeiter eines Betriebs, da sie die Tätigkeit der Mitarbeiter „bestimmen“ i.S.d. § 2 Nr. 3 USchadG. Ihnen steht allerdings arbeitsrechtlich ein Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu, sofern sie sich nicht außerhalb ihres Arbeitsvertrags bewegen, also z.B. vorsätzlich oder grob fahrlässig zu Lasten des Arbeitgebers handeln. Die Haftung von Arbeitnehmern wurde oben bereits abgehandelt. Da die Behörde bei Zulassungen nicht haftet, stellt sich die Frage nach der Haftung des Vorhabenträgers. Eine Genehmigung stellt zunächst nicht von einer Haftung frei. Dies verdeutlicht § 9 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 USchadG, der den

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Ländern die Möglichkeit eröffnet, festzulegen, dass „der Verantwortliche unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 UHRL die Kosten der durchgeführten Sanierungsmaßnahmen nicht zu tragen hat“. Nach Art. 8 Abs. 4 a) UHRL kann der Mitgliedstaat festlegen, dass ein Verantwortlicher die Kosten einer Sanierung nicht zu tragen hat, wenn er eine Anlage nach Anhang III UHRL mit Genehmigung betreibt. Diese Möglichkeit, diese Regelung umzusetzen, eröffnet § 8 Abs. 1 USchadG den Ländern, die davon bisher aber keinen Gebrauch gemacht haben. Auffallend ist, dass die Regelung nur von der Kostentragungspflicht für bereits durchgeführte Sanierungsmaßnahmen befreit. Die Sanierung muss also auf jeden Fall durchgeführt werden, auch wenn die Länder Art. 8 Abs. 4 UHRL umsetzen. Die Kosten bleiben dann am Steuerzahler hängen. Die Kosten für die Erfüllung der Informations- und Gefahrenabwehrpflichten sowie der Vermeidungs- und Schadensbegrenzungsmaßnahmen hat hingegen der Verantwortliche zu tragen. Für berufliche Tätigkeiten, die nicht unter Anhang III FFH-RL fallen, kann eine Kostenfreistellung europarechtlich nicht vorgesehen werden. Damit kann der Gesetzgeber bei Genehmigung für sonstige berufliche Tätigkeiten eine Kostenfreistellung für Schäden an Arten und natürlichen Lebensräumen nicht einräumen. Auf der anderen Seite setzt eine Haftung bei diesen beruflichen Tätigkeiten ein Verschulden voraus. Der Vorhabenträger kann sich zunächst darauf verlassen, dass eine behördliche Genehmigung den geltenden Rechtsvorschriften entspricht. Insofern handelt er nicht schuldhaft, wenn er das Vorhaben gemäß der Genehmigung ausführt. Das dürfte nur dann nicht gelten, wenn die Rechtswidrigkeit und die darauf beruhende Gefahr eines Umweltschadens offensichtlich sind. b) Der Auftragnehmer Schwierig stellt sich die Lage dar, wenn derjenige, der den Umweltschaden verursacht, in einem Auftragsverhältnis zu einem Dritten steht. Der die schädigende Handlung ausführende Auftragnehmer steht zunächst vor dem Problem, dass er mit Sicherheit beruflich tätig wird, selbst bei Schwarzarbeit. Damit haftet der Auftragnehmer für eventuelle Umweltschäden. Bei einer Gefährdungshaftung für Anlagen nach Anlage 1 USchadG hat die Genehmigung keine enthaftende Wirkung, so dass der Betreiber immer haftet. Für das planende Büro hingegen stellt sich die Frage, ob seine Planung den Umweltschaden unmittelbar herbeigeführt hat. Indem die Behörde sich die Planung im Genehmigungsverfahren zu eigen macht und der Genehmigung zugrunde legt, trägt sie die Verantwortung. Das gilt aber nur, soweit die Behörde die vorgelegten Antragsunterlagen zu überprüfen hat. Der Behörde obliegt in erster Linie die juristische Beurteilung des Vorhabens. Hinsichtlich der Fakten kann sie sich hingegen auf die Antragsunterlagen verlassen. Es ist nicht

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Aufgabe der Behörde, eigene Bestandsaufnahmen durchzuführen, um Mängel in den Antragsunterlagen zu entdecken. Insoweit können die Planungsunterlagen einen Umweltschaden unmittelbar herbeiführen, weil sie die eigentliche Ursache für den Schaden setzen. Die Haftung des Planers entspricht dann dem Verursacherprinzip. Anders sieht die Lage bei beruflichen Tätigkeiten aus, die nicht in Anlage 1 aufgeführt sind. Da hier keine Gefährdungshaftung gilt, ist erforderlich, dass der Auftragnehmer schuldhaft handelt. Er muss also die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht ausgeübt haben. Liegt ein solches Verhalten Planungen für Vorhaben, die nicht in Anlage 1 USchadG aufgeführt sind, sondern nach anderen Rechtsvorschriften einer Genehmigung bedürfen, gelten die oben dargelegten Haftungsgrundsätze für berufliche Tätigkeiten nach der Anlage 1 USchadG. Eine Haftung ist nur gegeben, wenn die Planung unmittelbar zu dem Umweltschaden führt. Handelt es sich hingegen um Tätigkeiten, die nicht der Vorbereitung einer Genehmigung dienen, ist hinsichtlich des Verschuldens des Auftragnehmers zu differenzieren. Handelt es sich bei dem Auftraggeber um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, so kann sich der Auftragnehmer darauf verlassen, dass der Auftrag juristisch und fachlich in Ordnung ist. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind von Gesetzes wegen gehalten, zu prüfen, ob ihre Maßnahmen mit geltendem Recht übereinstimmen – und das schließt eine angemessene fachliche Prüfung ein. Somit braucht der Auftragnehmer die fachlichen und rechtlichen Voraussetzungen des Auftrags nicht zu prüfen. Das Vertrauen in die Behörde ist nicht fahrlässig. Das Gleiche gilt, wenn der Auftraggeber aus anderen Gründen über ausreichende Rechts- und Fachkenntnisse verfügt, z.B. bei großen Unternehmen, die regelmäßig eigene Rechtsabteilungen unterhalten. Auch wenn ein Planungsbüro mit Kenntnissen im Landschaftspflegebereich einen Auftrag erteilt, kann sich der Auftragnehmer darauf verlassen, dass die notwendigen rechtlichen und fachlichen Überlegungen angestellt worden sind. Ist der Auftraggeber dagegen eher ein ahnungsloser Privater, sollte der Auftragnehmer sich zumindest versichern lassen, dass bestimmte Untersuchungen vorgenommen worden sind. Der Auftragnehmer kann den Angaben seines Auftraggebers vertrauen, sofern es sich nicht aufdrängt, dass sie unzutreffend sind. Wurden keine Untersuchungen durchgeführt, sollte der Auftragnehmer auf deren Notwendigkeit hinweisen. Kommt der Auftraggeber den Vorschlägen nicht nach, sollte sich der Auftragnehmer eine Haftungsübernahme geben lassen. Zu beachten ist aber, dass der Auftragnehmer für den Umweltschaden haftet, wenn sein Verhalten als fahrlässig eingestuft wird. Die Haftungsübernahme nutzt nur, wenn der Auftraggeber auch solvent ist. Sonst bleibt der Auftragnehmer auf dem Schaden sitzen.

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II. Der Schaden an Arten und natürlichen Lebensräumen Ein Umweltschaden ist eine Schädigung von Arten und natürlichen Lebensräumen nach Maßgabe des neuen § 21a BNatSchG. Danach liegt eine Schädigung von Arten und natürlichen Lebensräumen im Sinn des USchadG vor, wenn der Schaden erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Erreichung oder Beibehaltung des günstigen Erhaltungszustands dieser Lebensräume oder Arten hat. 1. Schutzgut Gegenstand eines Umweltschadens an Arten und natürlichen Lebensräumen sind als Arten – die Arten des Art. 4 Abs. 2 oder Anhang I der VRL und – die in den Anhängen II und IV der FFH-RL aufgeführten Arten; als natürliche Lebensräume – Lebensräume aller Arten, die in Art. 4 Abs. 2 und Anhang I VRL oder in Anhang II FFH-RL aufgeführt sind, – in Anhang I FFH-RL aufgeführte natürliche Lebensräume und – die Fortpflanzungs- und Ruhestätten der in Anhang IV FFH-RL aufgeführten Arten. Art. 2 Nr. 3 UHRL spricht in diesem Zusammenhang von Arten, die in den Rechtsnormen genannt oder in den Anhängen aufgelistet sind. Die Vögel nach Art. 4 Abs. 2 und Anhang I VRL sowie die natürlichen Lebensräume nach Anhang I und die Habitate der Arten des Anhangs II FFH-RL bilden die Grundlage für das Europäische kohärente ökologische Netz Natura 2000. Sie sind über diese Rechtsvorschriften nur in den entsprechenden Schutzgebieten geschützt. Aus dem Begriff „gelistet“ in der UHRL und dem Begriff „aufgeführt“ in § 21a Abs. 2 BNatSchG wird allerdings geschlossen, dass diese Arten und natürlichen Lebensräume auch außerhalb der Schutzgebiete einen Umweltschaden erleiden und eine entsprechende Haftung hervorrufen können. Diese Auffassung wird von der Kommission vehement vertreten.11 Für diese Auffassung spricht, dass es im Europäischen Parlament einen Antrag gegeben hat, den Schutz dieser Arten und natürlichen Lebensräume auf die Schutzgebiete des Netzes Natura 2000 zu beschränken. Dieser Antrag ist nicht weiterverfolgt worden. Da der EuGH sich im Europäischen Naturschutzrecht selten gegen die Kommission ___________ 11 Zur Diskussion: dafür Für/Lewin/Roller, NuR 2006, 67, 69; a. A. Duikers, NuR 2006, 623, 625/626.

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wendet, ist davon auszugehen, dass der umfassende Schutzansatz der Kommission sich letztlich durchsetzt. Somit sollte man diesem Ansatz schon vorsichtshalber folgen, denn wenn ein Umweltschaden an solchen Arten und natürlichen Lebensräumen außerhalb der Schutzgebiete später eintritt, mag es dann für Abwehrmaßnahmen und Enthaftungsüberlegungen zu spät sein. Die Vorsichtsmaßnahme ist insoweit von besonderer Bedeutung, weil eine Auseinandersetzung mit den schädlichen Auswirkungen auf diese Arten und Lebensräumen im Zulassungs- oder Bebauungsplanverfahren die Haftung für einen Umweltschaden entfallen lassen kann. Auch der Gesetzgeber scheint diesen Gedanken verfolgt zu haben. Da für Lebensraumtypen und Arten nach den Anhängen I und II FFH-RL, die sich außerhalb der Natura-2000-Kulisse befinden, die FFH-Verträglichkeitsprüfung nicht zur Verfügung steht, wurde die Eingriffsregelung als Instrument zur Ermittlung der nachteiligen Auswirkungen zur Verfügung gestellt, um nachteilige Auswirkungen zu ermitteln und auszugleichen.12 Das gilt auch für die Lebensräume der in Art. 4 Abs. 2 oder Anhang I VRL aufgeführten Arten außerhalb von ausgewiesenen Vogelschutzgebieten. Die Regelung entspricht nicht dem Wortlaut des Art. 2 Nr. 1 UAbs. 2 UHRL. Danach können für nationale Arten, die den europäisch geschützten Arten gleichgestellt sind, durch nationale Vorschriften, die der FFH-Verträglichkeitsprüfung entsprechen, Enthaftungstatbestände geschaffen werden. Hier wird die Eingriffsregelung als nationale Vorschrift zur Enthaftung von Schäden an Lebensraumtypen und Arten nach Anhang I und II FFH-RL eingesetzt. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, die FFH-Verträglichkeitsprüfung auf die Lebensräume und Arten außerhalb der Natura-2000-Kulisse auszuweiten. 2. Die Enthaftung Nach der Definition des Art. 2 a) UAbs. 2 UHRL umfassen „Schädigungen geschützter Arten und natürlicher Lebensräume nicht die zuvor ermittelten nachteiligen Auswirkungen, die aufgrund von Tätigkeiten eines Betreibers entstehen, die von der zuständigen Behörde gemäß den Vorschriften zur Umsetzung des Art. 6 Absätze 3 und 4 oder Artikel 16 der Richtlinie 92/43/EWG oder Artikel 9 der Richtlinie 79/409/EWG oder im Falle von nicht unter das Gemeinschaftsrecht fallenden Lebensräumen und Arten gemäß gleichwertiger nationaler Naturschutzvorschriften ausdrücklich genehmigt wurden“. Dies setzt der deutsche Gesetzgeber dergestalt um, dass eine Schädigung von Arten und natürlichen Lebensräumen nicht vorliegt, wenn Tätigkeiten nach ___________ 12

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– § 34 oder 34a BNatSchG bzw. der landesrechtlichen Umsetzung einer FFHVerträglichkeitsprüfung unterworfen wurden, – wenn dafür eine Ausnahme nach § 43 Abs. 8 BNatSchG oder eine Befreiung nach § 62 BNatSchG erteilt wurde, – § 19 BNatSchG oder dem entsprechende Landesrecht oder – aufgrund der Aufstellung eines Bebauungsplans nach §§ 30 und 33 des Baugesetzbuchs genehmigt wurden oder zulässig sind. Voraussetzung ist allerdings, dass die nachteiligen Auswirkungen der Tätigkeiten auf die Arten und Lebensräume in den jeweiligen Verwaltungsverfahren ermittelt wurden. An dieser Stelle gewinnt das USchadG schon für Zulassungs- und Planungsverfahren Bedeutung, denn die Voraussetzungen für die Freistellung von der Haftung können nur in den o.g. Verwaltungs- und Planungsverfahren erfüllt werden. Nach Erteilung der Zulassung, Ausnahme, Befreiung oder nach Verabschiedung des Bebauungsplans können Versäumnisse nicht ohne Weiteres nachgeholt oder rückgängig gemacht werden. a) Die Voraussetzungen für eine Enthaftung All den oben aufgeführten Zulassungen kommt haftungsausschließende Wirkung im Sinne des § 21a Abs. 1 Satz 2 BNatSchG zu. Die Regelung schließt also einen Umweltschaden wegen nachteiliger Auswirkungen dieser zugelassenen Tätigkeiten aus, auch wenn ein Umweltschaden an Arten und natürlichen Lebensräumen später doch eintritt, weil die Prognose unzutreffend war. Der Nichteintritt des Umweltschadens wird fingiert. Es handelt sich nicht um eine Kostenfreistellung, wie sie in § 8 USchadG vorgesehen ist. Vielmehr ist auch der Mitgliedstaat nicht verpflichtet, den Umweltschaden zu sanieren, da dieser Schaden kraft Fiktion als nicht eingetreten gilt. Die Haftungsfreistellung tritt aber nur ein, wenn und soweit die nachteiligen Auswirkungen auf die Arten und natürlichen Lebensräume ermittelt wurden. Fraglich ist, ob dafür genügt, wenn überhaupt nachteilige Auswirkungen ermittelt wurden oder ob die ermittelten nachteiligen Auswirkungen dem später eintretenden Umweltschaden entsprechen müssen. Art. 1 a) Uabs. 2 UHRL legt dar: „Schädigungen geschützter Arten und natürlicher Lebensräume umfassen nicht die vorher ermittelten nachteiligen Auswirkungen, die aufgrund von Tätigkeiten eines Betreibers entstehen, die von den zuständigen Behörden ... ausdrücklich genehmigt wurden“: Danach sind Schädigungen nicht als solche anzusehen, wenn diese nachteiligen Auswirkungen ermittelt worden sind. Somit soll europarechtlich eine Enthaftung nur eintreten, wenn der konkrete später eintretende Umweltschaden an Arten und natürlichen Lebensräumen vorher er-

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mittelt wurde. Stirbt z.B. eine Fledermauspopulation aus und wurde diese konkrete Folge im Verwaltungsverfahren nicht ermittelt, so tritt die Enthaftung nicht ein, auch wenn sich im Verwaltungsverfahren mit den Fledermäusen beschäftigt und darauf die FFH-Verträglichkeitsprüfung angewendet wurde, ohne den später konkreten Umweltschaden in Betracht zu ziehen. Eine Enthaftung tritt demnach nur ein, wenn der konkrete Schaden vorab ermittelt wurde, Maßnahmen zur Vermeidung oder zum Ausgleich angeordnet wurden und der Umweltschaden dennoch eintritt. Ein Haftungsausschluss kann also nur bewirkt werden, wenn in den Verwaltungsverfahren für konkrete Arten und natürliche Lebensräume der Bestand, die möglichen Auswirkungen und die erforderlichen Vermeidungs- und Ausgleichsmaßnahmen ermittelt wurden und in der darauf folgenden Verwaltungsentscheidung festgesetzt wurden. Das Gesetz spricht zwar nur von ermittelten negativen Auswirkungen, verhält sich aber nicht zum erforderlichen Ausgleich. Es versteht sich aber von selbst, dass aus den ermittelten Auswirkungen auch Folgerungen für deren Behandlung gezogen werden müssen. b) Die FFH-Verträglichkeitsprüfung, die Ausnahme nach § 43 Abs. 8 und die Befreiung nach § 62 BNatSchG Eine Enthaftung erfolgt, wenn eine FFH-Verträglichkeitsprüfung mit der Festsetzung von angemessenen Kohärenzmaßnahmen für die ermittelten nachteiligen Auswirkungen durchgeführt worden ist. Eine Enthaftung tritt auch ein, wenn eine Ausnahme nach § 43 Abs. 8 BNatSchG erteilt wird. Die Ausnahme bezieht sich auf die Anforderungen der Ausnahmen nach Art. 16 FFH-RL. Bei einer Ausnahme nach Art. 16 FFH-RL darf sich der Erhaltungszustand der Population nicht verschlechtern, sonst ist sie unzulässig. Damit soll ein Umweltschaden an den Arten und natürlichen Lebensräumen ausgeschlossen werden, um eine Enthaftung zu erreichen. Für § 62 Abs. 1 BNatSchG, der eine „unzumutbare Belastung“ durch die artenschutzrechtlichen Verbote als Befreiungsgrund vorsieht, gibt es kein europarechtliches Pendant. Die „unzumutbare Belastung“ i.S.d. § 62 BNatSchG dürfte aber nicht gegeben sein, wenn der Erhaltungszustand der Population sich verschlechtert. In diesem Falle würde eine Befreiung nach § 62 BNatSchG gegen Art. 16 FFH-RL verstoßen. Also muss auch im Rahmen einer Befreiung nach § 62 BNatSchG ggf. auch über vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen i.S.d. § 42 Abs. 5 BNatSchG nachgedacht werden, wenn die ermittelten nachteiligen Auswirkungen ansonsten nicht hinnehmbar sind, weil sich der Erhaltungszustand der Art verschlechtert. Dies ist rechtlich auch durchsetzbar, da § 62 BNatSchG eine Ermessensvorschrift darstellt, die der Behörde einen weiten Spielraum an Nebenbestimmungen eröffnet. In dieser Interpretation kann auch eine Befreiung nach § 62 BNatSchG eine Enthaftung herbeiführen.

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Ein Mangel ist allerdings, dass der „vorgezogene Ausgleich“ nach § 42 Abs. 5 BNatSchG nicht als Enthaftungstatbestand aufgeführt ist. Damit befreit die Durchführung eines solchen Ausgleichs dem Wortlaut nach nicht von der Haftung für einen Biodiversitätsschaden. Dies muss wohl als gesetzgeberisches Versehen gewertet werden. Lässt man eine Enthaftung über § 42 Abs. 5 S. 2 BNatSchG nicht zu, kommt man zu dem seltsamen Ergebnis, dass bei Anwendung der Eingriffsregelung eine Enthaftung eintritt, denn der vorgezogene Ausgleich ist mit Sicherheit auch ein Teilausgleich nach der Eingriffsregelung. Ist die Eingriffsregelung hingegen nicht anwendbar, kann durch die gleiche Maßnahme keine Enthaftung erfolgen. Mir erscheint das als ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. c) Die Eingriffsregelung als Enthaftungstatbestand Wie oben bereits erörtert, soll die Eingriffsregelung insbesondere eine Enthaftung für Arten und natürliche Lebensräume nach den Anhängen I und II FFH-RL bieten, die außerhalb der Natura-2000-Kulisse liegen und somit einer FFH-Verträglichkeitsprüfung nicht zugänglich sind. Das gleiche gilt für die Lebensräume der in Art. 4 Abs. 2 oder Anhang I VRL aufgeführten Arten außerhalb von ausgewiesenen Vogelschutzgebieten. Die Richtlinie stellt in Art. 2 Nr. 1 UAbs 2 zunächst auf Art. 6 Abs. 3 und 4 sowie Art. 16 FFH-RL und Art. 9 VRL ab. Dann erlaubt sie den Mitgliedstaaten, eine Enthaftung auch über nationale Vorschriften anzuordnen, wenn diese den genannten europäischen Vorschriften gleichwertig sind. Die FFH-Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL verlangt aber bei jeder zulässigen Beeinträchtigung eines Natura 2000 Gebiets einen Kohärenzausgleich. Damit sind nationale Vorschriften nur gleichwertig, wenn sie die ermittelten nachteiligen Auswirkungen durch Vermeidungs- oder Ausgleichsmaßnahmen beheben. Eine Anwendung der Eingriffsregelung kann also nur enthaften, wenn sie den Voraussetzungen der FFH-Verträglichkeitsprüfung entspricht, denn die Eingriffsregelung soll Umweltschäden an Arten und natürlichen Lebensräumen nach der FFH-RL und der VRL abdecken, die außerhalb von europäischen Schutzgebieten liegen. Dann müssen Vermeidungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen im Lichte der FFH-Verträglichkeitsprüfung angewendet werden. Unter dieser Prämisse dürften Ersatzmaßnahmen für die Enthaftung nicht geeignet sein, es müssen schon Ausgleichsmaßnahmen zugunsten der europäisch geschützten Arten und Lebensräume ergriffen werden. Auch ein Ersatzgeld kann keine Enthaftung herbeiführen, da die FFH-Verträglichkeitsprüfung dieses Instrument nicht kennt.

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d) Die Enthaftung auf Grund eines Bebauungsplans Eine Enthaftung kann auch für Vorhaben in Bereichen nach den §§ 30 oder §§ 33 BauGB erfolgen, die auf Grund der Aufstellung eines Bebauungsplans genehmigt wurden oder zulässig sind. Diese Enthaftung ist recht problematisch. Art. 2 Nr. 1 Uabs. 2 UHRL spricht von einer „gleichwertigen nationalen Naturschutzvorschrift“, die die Tätigkeiten „ausdrücklich genehmigt“. Zwar meint die Begründung, dass „Eingriffe in Natur und Landschaft ... seit 1998 nach den speziellen Regelungen des § 1a BauGB“ behandelt werden. Diese Auswirkungen werden auf der Grundlage der planerischen Entscheidungen ermittelt und wie bei der Eingriffsregelung ausdrücklich genehmigt:“13 Der Bebauungsplan ist aber weder eine „nationale Naturschutzvorschrift“, noch werden durch ihn Tätigkeiten „ausdrücklich genehmigt“. Es werden nur bauliche Nutzungen festgesetzt, aber keine Eingriffe konkret genehmigt. Darüber mag man noch hinwegsehen, da der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien einen gewissen Spielraum hat, auch wenn der hier ausgereizt erscheint. Selbst wenn die konkreten Auswirkungen auf Arten und natürlichen Lebensräume angemessen ermittelt wurden, besteht das Problem, dass der Ausgleich in der Bauleitplanung abgewogen werden kann. Außerdem steht der Ausgleich dem Ersatz nach § 200a BauGB gleich. Art. 2 Nr. 1 UAbs. 2 UHRL erlaubt eine Enthaftung aber nur, wenn es sich um eine der FFH-VP gleichwertige Vorschrift handelt. Die FFH-VP erlaubt aber keine Abwägung der Ausgleichsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL. Somit kann ein Bebauungsplan oder ein planreifer Entwurf eines Bebauungsplans die Enthaftung nur herbeiführen, wenn ein vollständiger Ausgleich im Sinne der FFH-Verträglichkeitsprüfung für die europäisch geschützten Arten und natürlichen Lebensräume sichergestellt ist. Eine Abwägung dieser Maßnahmen dürfte die Enthaftung ausschließen, ebenso die Anordnung von Ersatzmaßnahmen. e) Unbeplanter Innenbereich Geht man davon aus, dass die Eingriffsregelung den gesamten Außenbereich und die §§ 30 und 33 BauGB den beplanten oder zu beplanenden Innenbereich abdecken, verbleibt nur noch eine Lücke für Vorhaben nach § 34 BauGB im unbeplanten Innenbereich. Hier ist eine Enthaftung zunächst nicht möglich. Nach § 37 Abs. 1 S. 2 BNatSchG gilt zwar die FFH-Verträglichkeitsprüfung auch im unbeplanten Innenbereich, dagegen ist die Anwendung der Eingriffsregelung nach § 21 Abs. 2 BNatSchG ausgeschlossen. Diese Lücke schließt der neue § 20 Abs. 4 BNatSchG. Er ermöglicht es dem Vorhabenträger, die An___________ 13

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wendung der Eingriffsregelung zu beantragen. Verweigert die Naturschutzbehörde ihr Benehmen nach § 21 Abs. 3 BNatSchG, weil sie Anhaltspunkte zu erkennen glaubt, dass das Bauvorhaben einen Biodiversitätsschaden hervorrufen kann, so muss die Baubehörde dies dem Vorhabenträger mitteilen. Der kann nunmehr die Anwendung der Eingriffsregelung beantragen, um dem Haftungsrisiko für diesen Biodiversitätsschaden zu entgehen.

III. Fazit Die Regelungen des USchadG stellen an Planer und Behörden neue Anforderungen, deren Konsequenzen noch nicht absehbar sind. Aus Gründen der Vorsorge ist es angezeigt, diese Vorschriften ernst zu nehmen, da ihre Folgen erst nach Jahren eintreten können und heutige Defizite in der Anwendung später nicht mehr korrigierbar sind.

Europäischer Gebiets- und Artenschutz Das Ende der Infrastrukturprojekte – oder bleibt alles beim Alten? Von Bernhard Stüer Der europäische Gebiets- und Artenschutz hat sich nach einigen Turbulenzen, die bei der Auslegung des BVerwG-Urteils zur Halle-Westumfahrung für die Praxis entstanden sind, konsolidiert. Vorhaben, die mit einem erheblichen Eingriff in ein FFH- oder Vogelschutzgebiet verbunden sind, bedürfen einer Abweichungsprüfung, deren Anforderungen jedoch nicht überspannt werden dürfen und die für die Praxis handhabbar sind. Das gilt sowohl für die Darlegung der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses wie auch die Alternativenprüfung und die Kohärenzmaßnahmen. Eine Beteiligung der EU-Kommission ist nur erforderlich, wenn prioritäre Arten oder Lebensräume in Mitleidenschaft gezogen werden. Auch für den europäischen Artenschutz, der inzwischen durch die kleine Artenschutznovelle in das nationale Recht umgesetzt worden ist, hat das BVerwG handhabbare Maßstäbe entwickelt. Die Praxis hat dies mit Dank quittiert.1

I. Ausgangspunkte zum Gebietsschutz: Westumfahrung Halle Schon seit einiger Zeit ist der europäische Gebiets- und Artenschutz in das Blickfeld einer interessierten Fachöffentlichkeit getreten. Vor FFH-2 und Vogelschutzgebieten 3 haben sich – so will es scheinen – „rote Ampeln“ aufgestellt, die nicht so leicht zu überwinden sind. Greift ein Vorhaben etwa des ___________ 1

Stüer, DVBl 2009, 1. Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen ABl. Nr. L 206 S. 7, zuletzt geändert durch Anhang III Nr. 30 ÄndVO (EG) 1882/2003 v. 29.9.2003 – ABl. Nr. L 284 S. 1. 3 Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2.4.1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten ABl. Nr. L 103 S. 1, zuletzt geändert durch EU-Beitrittsakte 2003 v. 16.4.2003, ABl. Nr. L 236 S. 33. 2

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Verkehrswegebaus oder eine andere Infrastrukturmaßnahme in ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung ein, so muss eine Verträglichkeitsprüfung erfolgen. Vorhaben, die gemessen an den Erhaltungszielen das Gebiet als Ganzes oder wesentliche Gebietsbestandteile betreffen, sind danach unzulässig. Sie können nur aufgrund einer Abweichungsprüfung zugelassen werden. Das Vorhaben muss durch zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt sein, die in der konkreten Abwägung den Integritätsinteressen der FFH- und Vogelschutzbelange im Range vorgehen. Das Vorhaben muss sich allerdings in einem gebotenen Umfang gewisse Abstriche an der Zielverwirklichung gefallen lassen.4 Zumutbare Alternativen dürfen nicht zur Verfügung stehen. Die erforderlichen Kohärenzmaßnahmen zur Sicherung des Netzes „Natura 2000“ sind zu ergreifen. Werden prioritäre Arten oder Lebensräume in Mitleidenschaft gezogen, ist zunächst die EU-Kommission zu beteiligen, bevor andere Gründe als die des Gebietsschutzes selbst, Leib und Leben und die Gesundheit des Menschen wie etwa wirtschaftliche oder soziale Gründe zur Rechtfertigung des Vorhabens ihre Wirkungen entfalten können. Im Urteil zur Westumfahrung Halle5 hat das BVerwG die Verträglichkeitsprüfung am Vortage von Kyrill mit einem kleinen rechtlichen Wirbelsturm eröffnet, der in der juristischen und naturschutzrechtlichen Fachwelt noch lange nachwirken sollte. Vorhaben sind danach nur verträglich, wenn keine vernünftigen Zweifel verbleiben, dass das Gebiet als Ganzes oder wesentliche Bestandteile gemessen an den Erhaltungszielen nicht erheblich beeinträchtigt werden. Dabei sind die besten fachwissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde zu legen. Verbleiben vernünftige Zweifel, ist das Vorhaben unverträglich. Für die Verträglichkeit eines Vorhabens tragen der Vorhabenträger und die Zulassungsbehörde die Darlegungs- und Beweislast. Wenn es schon nach einem bisher nicht widerlegten Rechtsgrundsatz bereits bei zwei Juristen mindestens drei Meinungen gibt, dann wird es kaum eine naturschutzfachliche Fragestellung geben, zu der sich nicht unterschiedliche fachwissenschaftliche Meinungen bilden lassen. In der Tendenz wird daher eine einigermaßen erhebliche Beeinträchtigung von FFH- oder Vogelschutzbelangen, vor allem, wenn man darüber trefflich streiten kann, zu einem unverträglichen Eingriff führen. Und damit ist bei solchen Eingriffen – von Bagatelleingriffen abgesehen – in aller Regel der steinige Weg einer Abweichungsprüfung ange___________ 4 BVerwG, Urt. vom 17.5.2002 – 4 A 28.01 –, BVerwGE 116, 254 = DVBl 2002, 1486. Zum Folgenden auch Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 4. Aufl. 2009, Rdnr. 3069. 5 BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – 9 C 20.05 –, BVerwGE 128, 1 = DVBl 2007, 706 – Halle Westumfahrung; Stüer, DVBl 2007, 416; ders., NVwZ 2007, 1147; Vallendar, EurUP 2007, 275.

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sagt. Ansonsten geht das Vorhaben stumpf in den Boden, wie die Flieger sagen, wenn sich nicht noch die Europäische Union gnädig erweist. Das Tor zur Abweichungsprüfung schien allerdings nach dem Urteil zur Westumfahrung Halle6 verschlossen, wenn die Verträglichkeitsprüfung in eine Schieflage geraten war. Eine Abweichungsprüfung ist danach nur möglich, wenn die Beeinträchtigungen im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung abschließend abgearbeitet wurden. Sind bei einer straßenrechtlichen Planfeststellung nicht zu sämtlichen sich konkret abzeichnenden Risiken, die das Vorhaben für Erhaltungsziele des Gebiets auslöst, die besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse abgerufen, dokumentiert und berücksichtigt worden, schlagen derartige Mängel notwendig auf eine Abweichungsentscheidung durch, so die durchaus markigen Worte des BVerwG. Harte Zeiten also für Vorhabenträger und Planfeststeller, die sich in einem Irrgarten von juristischen und fachlichen Fallstricken zu verheddern schienen. Gelegentlich ist das Prüfungssystem des FFH-Gebiets- und Artenschutzes von kenntnisreichen richterlichen Akteuren der juristischen Szene bereits mit einem Hindernislauf in einem Reitturnier verglichen worden. Wenn sich Ross und Reiter in der Verträglichkeitsprüfung nicht bereits am Dreifachoxer sämtliche Beine gebrochen haben, so gehen sie unweigerlich in der Abweichungsprüfung in einem großen Wassergraben unter. Wenn der Reiter dann aber auf die Idee kommen sollte, sich wie Freiherr von Münchhausen am eigenen Schopfe aus dem Wassergraben herauszuziehen, um dann nach seiner Vorstellung wie der tolle Bomberg über Tisch und Bänke zu reiten, dann versinkt er mitsamt seinem treuen faunistischen Wegbegleiter in einem umgebenden Sumpf des Artenschutzes. „Ach wären wir doch gar nicht erst zu dem Springreiten angetreten“, hat der auf Nimmerwiedersehen verschwindende Reiter als letzten Abschiedsgruß noch auf den Lippen.7 Angesichts dieser als desolat beschriebenen Lage wurde als Allheilmittel empfohlen, die Naturschutzverbände einfach herauszukaufen.8 Dieser Rat ist in seiner Originalität allerdings so schnell nicht zu übertrumpfen. ___________ 6

BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – 9 C 20.05 –, BVerwGE 128, 1 = DVBl 2007, 706 – Halle Westumfahrung. 7 Stüer/Hönig, DVBl 2008, 700. 8 Vallendar, EurUP 2007, 275. Der Autor bezog sich dabei in seinem mündlichen Vortrag vor der Bundesvereinigung für öffentliches Recht in Berlin auf einen Vergleich zum Emssperrwerk vom 5.12.2006, bei dem sich das Land Niedersachsen gegenüber den Naturschutzverbänden verpflichtet hatte, in eine niedersächsische Landesstiftung insgesamt 9 Mio. Euro einzuzahlen, zu den Vorinstanzen VG Oldenburg, Urt. vom 16.5.2001 – 1 A 3558/98 –, Emssperrwerk; OVG Lüneburg, Urt. vom 2.12.2004 – 7 LA 3053/01 –. Das juristische Spiel wird allerdings im Rahmen der weiteren Anpassungsvorhaben zum Sommerstauregime des Emssperrwerks wieder neu eröffnet.

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Und so ist es geradezu folgerichtig, dass die in den Anlagen zum Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz bezeichneten Vorhaben bereits als „rote Liste“ der aus gebiets- und artenschutzrechtlichen Gründen nicht zu verwirklichenden Projekte bezeichnet worden sind.9 Exemplarisch dafür ist die Aussicht der Planfeststeller zur Westumgehung Halle, im Umweltmonopoly kurz vor Erreichen der Schlossallee an der Aufforderung zu scheitern: „Gehe zurück an den Start und fange in der Rechtfertigung des Vorhabens und der Alternativenprüfung noch einmal wieder ganz von vorne an“10. Projekte, die sich nicht mit dem goldenen Mäntelchen des Gemeinwohls schmücken können, fallen da regelmäßig von vornherein durch. Als Ausweg in einem solchen Dilemma ist wohl nur noch auf die allgemeine Lebenserfahrung zurückzugreifen: Wer nicht an seiner Dummheit oder Ehrlichkeit scheitert, dem wird es in aller Regel gelingen, die eigenen Interessen als die des Gemeinwohls auszugeben. Harte Zeiten aber für solche Projekte, die sich nicht trauen, einen solchen Gemeinwohlbonus für sich in Anspruch zu nehmen und denen es nicht gelingt, sich unter diesem Gemeinwohlmantel einigermaßen auskömmlich einzurichten.

II. Europäischer Gebietsschutz Hatte das BVerwG zunächst im Urteil zur Westumfahrung Halle einige gewichtige juristische Felsbrocken aus dem europäischen Steinbruch des Habitatund Vogelschutzes herausgebrochen11 und auf die völlig überraschte Praxis herabstürzen lassen, so waren die weiteren Entscheidungen des BVerwG in der Tendenz eher auf Schadensbegrenzung und Entwarnung angelegt. Die im Urteil zur Westumfahrung Halle aufgezeigten hohen Hürden der Verträglichkeitsprüfung haben danach zwar auch weiterhin Geltung. Die Abweichungsprüfung muss aber durch die juristischen Schneisen, die das Gericht in das durchaus verminte Gebiet mit geschickter Hand gelegt hat, nicht mehr als auswegloser Irrgarten empfunden werden. Es lohnt sich daher für Vorhabenträger und Planfeststeller, sich in kritischen Fällen auf den Weg einer vorsorglich durchgeführten Abweichungsprüfung zu begeben, statt durch das Beharren auf der Verträglichkeit des Vorhabens alles auf eine Karte zu setzen und nicht selten einfach vor die Wand zu fahren. ___________ 9

Hermes, DVBl 2007, 1485; Stüer, DVBl 2007, 1544. Zum Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Fachplanung im europäischen Vergleich Hien, DVBl 2007, 393; Silbermann, DVBl 2007, 424. 11 Domgörgen auf dem Forschungsseminar des Arbeitskreises Straßenrecht am 23.9.2008 im Universitätsclub Bonn. 10

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1. Hessisch Lichtenau II Die sehr strengen Maßstäbe im Urteil zur Halle-Westumfahrung mussten sich inzwischen auch an Verfahren messen, die bereits in der zweiten Runde das BVerwG erreichten. So hatte der 4. Senat in der ersten Runde die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses durch das OVG Koblenz12 zur Hochmoselbrücke bestätigt.13 Auch den Planfeststellungsbeschluss zur Nordumfahrung der A 44 in Hessisch Lichtenau hatte das BVerwG im ersten Durchgang für unwirksam erklärt.14 In beiden Verfahren hatte das Gericht allerdings Prüfaufträge erteilt, die in einem ergänzenden Verfahren zu beachten seien. Der Planfeststellungsbeschluss zur Hochmoselbrücke sei wegen eines nicht berücksichtigten faktischen Vogelschutzgebietes und der damit verbundenen Veränderungssperre unwirksam. Bei Hessisch Lichtenau habe die Planfeststellungsbehörde Alternativen von Südumfahrungen auf ihre Verträglichkeit mit dem FFH-Gebietsschutz nicht ausreichend abgeprüft. Im zweiten Durchgang hat das BVerwG das Autobahnprojekt bei Hessisch Lichtenau15 nach langem Ringen offenbar nicht nur der Verfahrensbeteiligten am Ende doch noch durchgewunken und die Rechtsgrundsätze zur Westumfahrung Halle auf festem juristischen Boden behutsam fortentwickelt. Eine Vorlage an den EuGH hat man auch wegen des hohen Zeitbedarfs bewusst vermieden, sondern die Spielräume, die noch nicht durch entsprechende Entscheidungen des EuGH eingeengt sind, im Sinne einer Fortentwicklung der Rechtsprechung ausgenutzt. Das verdient Anerkennung. Die Lösung konnte daher nur in einer sachgerechten Handhabung der Abweichungsprüfung liegen. Hier hat das BVerwG zugleich mit Vorstellungen aufgeräumt, dass die durchaus strengen Anforderungen an die Verträglichkeitsprüfung bruchlos in die Abweichungsprüfung übernommen werden können und auch hier für alles und jedes eine absolute Sicherheit gegeben sein müsse, bevor das Projekt zugelassen werden kann. Vielmehr sind hier zu Recht deutliche Erleichterungen angesagt. Die Ampel für eine Abweichungsprüfung wird bereits dann auf „grün“ gestellt, wenn im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung alle entscheidungserheblichen Sachverhalte ermittelt und ihrer Bedeutung entsprechend bewertet worden sind. Das Tor zu einer Abweichungsprüfung wird nicht dadurch verschlossen, dass die Bewertung des festgestellten ___________ 12

OVG Koblenz, Urt. vom 8.11.2007 – 8 C 11523/06.OVG –, DVBl 2008, 72 = NuR 2008, 181; Gellermann, DVBl 2008, 283. 13 BVerwG, Urt. vom 1.4.2004 – 4 C 2.03 –, BVerwGE 120, 276 = DVBl 2004, 1115 – Hochmoselbrücke. 14 BVerwG, Urt. vom 17.5.2002 – 4 A 28.01 –, BVerwGE 116, 254 = DVBl 2002, 1486. 15 BVerwG, Urt. vom 12.3.2008 – 9 A 3.06 – Hessisch Lichtenau.

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Sachverhalts an weniger strengen Maßstäben erfolgt ist und daher ein Vorhaben für verträglich angesehen wurde, obwohl es nach den an eine solche Prüfung anzulegenden strengen fachlichen Kriterien bereits als unverträglich zu gelten hat. Das überzeugt. Anderenfalls würde die Behörde bzw. der Vorhabenträger das Risiko einer Fehlbewertung rechtlicher Maßstäbe tragen und damit auch in Grenzfällen den „schwarzen Peter“ dafür in der Hand behalten, dass das Projekt vom Gericht als unverträglich bezeichnet wird. Sind die wesentlichen Sachverhalte ermittelt, ist eine Abweichungsprüfung auch dann möglich, wenn die Behörde aufgrund weniger strenger Maßstäbe von einer Verträglichkeit des Vorhabens ausgeht. Es reicht aus, dass der Sachverhalt und die Betroffenheit der FFH-Belange zutreffend ermittelt worden ist. Auch kann die Behörde mit Wahrunterstellungen in dem Sinne arbeiten, dass sie von einem nicht wahrscheinlichen „Worst case“ ausgeht und auf einem solchen Fall ihre vorsorglich durchgeführte Abweichungsprüfung aufbaut. Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses gehen vom Grundsatz her nicht über die Rechtfertigungsgründe für Enteignungen hinaus. Gemeinwohlbelange, die eine Enteignung nach Art. 14 Absatz 3 GG rechtfertigen, sind in der Regel auch für das Abweichungsverfahren ausreichend.16 Allerdings besteht hier nach der Systematik der FFH-RL eine gewisse Abstufung. Wirkt sich das Vorhaben unverträglich auf prioritäre Arten oder Lebensräume aus, sind die Anforderungen für eine Überwindung derart betroffener Belange gesteigert: Verfahrensrechtlich ist bei derartigen Betroffenheiten die EUKommission zu beteiligen, wenn das Projekt nicht der Wahrung von Leib und Leben, der Gesundheit des Menschen oder dem Gebietsschutz selbst dient und etwa wirtschaftliche oder soziale Gründe zur Rechtfertigung des Vorhabens eingebracht werden sollen. Zugleich ergeben sich aus dieser in der FFH-RL angelegten Systematik erhöhte materielle Rechtfertigungsanforderungen. Prioritäre Arten oder Lebensräume entwickeln gegenüber unverträglichen Eingriffen eine erhöhte Abwehrkraft. Der hervorgehobenen Bedeutung ist durch ein qualifiziertes Begründungs- und Abwägungserfordernis und in einer qualifizierten Alternativenprüfung Rechnung zu tragen. Werden solche in den Anhängen zur FFH-RL mit besonderem Gewicht versehenen Belange betroffen, verschieben sich auch die Prüfungsraster beim Alternativenvergleich. Überhaupt kommt der Alternativenvergleich im Ausgangspunkt eher formal daher („Bube sticht König“). In den Vergleich der Abweichungsprüfung sind nur solche Alternativen einzubeziehen, die in der Systematik der FFH-Betrof___________ 16

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 –, BVerwGE 125, 116 = DVBl 2006, 1373 – Schönefeld; BVerwG, Urt. vom 21.6.2006 – 9 A 28.05 –, BVerwGE 126, 166 – Stralsund.

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fenheiten eine qualitativ geringere Betroffenheit aufweisen. Löst das geplante Vorhaben an der vorgesehenen Stelle Unverträglichkeiten von (einfachen) FFH-Belangen aus, sind nur Alternativen in den FFH-Vergleich einzubeziehen, die nicht ihrerseits zu unverträglichen Beeinträchtigungen von (einfachen) FFH-Belangen führen. Erst recht scheiden für den FFH-Vergleich Alternativen aus, die mit einer Beeinträchtigung prioritärer Arten oder Lebensräume verbunden sind. Werden durch das Vorhaben prioritäre Arten oder Lebensräume beeinträchtigt, so verbleiben in dem Vergleichspool vom Ansatz her alle Alternativen oder Varianten, die nicht ebenfalls zu einer unverträglichen Beeinträchtigung von prioritären Arten und Lebensräumen führen und damit alle Alternativen, die gemessen an diesem Stufensystem nur einen geringeren Beeinträchtigungsgrad erreichen. Das Merkmal der prioritären Betroffenheiten hat daher eine besondere Steuerungsfunktion. Nach Möglichkeit sind Lösungen zu verwirklichen, die nicht zu einer Beeinträchtigung prioritärer Arten oder Lebensräume führen. Solche Lösungen haben unter einer reinen FFH-Sicht einen abstrakten Vorteil. Durch dieses an der Qualität der betroffenen FFH-Belange ausgerichtete Prüfungsschema hat das BVerwG den Projektträgern und zulassenden Behörden offenbar bewusst einen Bewertungsfreiraum zugestanden, was die Praxis dem Gericht auf diesem verminten Gelände durchaus als Pluspunkt anrechnen wird. Sind auch mit den Alternativen Beeinträchtigungen auf gleicher Stufe (unverträgliche Beeinträchtigungen für FFH-Belange oder qualifiziert für prioritäre Arten oder Lebensräume) verbunden, so sind sie aus FFH-Sicht nicht in die weitere Prüfung mitzunehmen, sondern scheiden bereits auf dieser Stufe aus. Durch diese bei der Alternativenauswahl vorzunehmende Blickrichtung gerät allerdings die Prüfung im Einzelfall anhand anderer betroffener Belange nicht unter die Räder. Vielmehr handelt es sich bei diesem Prüfungsschritt nur um ein erstes Auswahlkriterium. Und dies gilt in beiden Blickrichtungen. Sind beim Alternativenvergleich andere Lösungen ebenfalls mit einem unverträglichen Eingriff verbunden, so scheiden sie zwar gegenüber der Vorzugsvariante, die nicht zu einer Beeinträchtigung prioritärer Arten oder Lebensräume führt, als FFH-Alternativen aus. Sie sind allerdings ggf. in dem (einfachen) fachplanerischen Alternativenvergleich mit entsprechenden autonomen, kontrollfreien Gestaltungspielräumen abzuarbeiten. Hat die Behörde eine solche aus FFH-Sicht nicht in den Alternativenvergleich einzustellende Lösung nicht gewählt, so wird sie sich in aller Regel auch gerichtlich nicht durchsetzen lassen, wenn nicht im fachplanerischen Alternativenvergleich für sie offenbare Vorteile streiten. Die Behörde hat hier den Beurteilungs- und Wertungsspielraum, der aus dem allgemeinen Abwägungsvor-

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gang bekannt ist und nur bei eindeutiger Widerlegbarkeit oder offensichtlicher Fehlsamkeit gerichtlich korrigiert werden kann.17 Für Verkehrsprojekte wurde in der Entscheidung zu Hessisch Lichtenau zudem klargestellt, dass die entscheidende Prüfung des europäischen Gebietsschutzes in der Planfeststellung ihren Platz findet. Fehlt eine solche Prüfung in den vorgelagerten Verfahren, so kann die erforderliche Prüfung noch in der Planfeststellung erfolgen. Dabei muss auch keine umfassende, über alle Abschnitte erarbeitete Dach-FFH-VP erstellt werden, deren Fehlen bzw. Lückenhaftigkeit bereits zu einem Stopp des gesamten weiteren Planungsprozesses nötigen würde (Rdnr. 32). Hier konnte das Gericht an die Rechtsprechung zur A 20 anknüpfen.18 Auch hat das BVerwG das ergänzende Verfahren einschließlich der durchgeführten Verbandsbeteiligung abgesegnet (Rdnr. 35).19 Einen ergänzenden Planfeststellungsbeschluss haben die Gerichte auch noch in der mündlichen Verhandlung einer Tatsacheninstanz entgegengenommen und ihrer Beurteilung zugrunde gelegt. Im Revisionsverfahren geht dies allerdings aus Rechtsgründen nicht. Zum faktischen Vogelschutzgebiet hat das BVerwG im Urteil zu Hessisch Lichtenau seine Rechtsprechung im Urteil zur Hochmoselbrücke20 bestätigt, dass nur die fachlich geeignetsten Gebiete zu melden und durch entsprechende Ausweisung in nationalem Recht unter europäischen Naturschutz zu stellen sind. Dabei haben die Mitgliedstaaten einen fachlichen Bewertungsspielraum (Rdnr. 55). Allerdings stehen nicht ordnungsgemäß ausgewiesene faktische Vogelschutzgebiete nach wie vor unter einer „juristischen Käseglocke“. Solche Gebiete unterliegen einer weitgehenden Veränderungssperre, bis das Gebiet etwa in einer Naturschutzgebietsverordnung oder durch Gesetz jeweils mit Bestimmung der Erhaltungsziele in nationales Recht umgesetzt worden ist. Bis dahin steht die Ampel erst einmal auf „rot“. Zugleich hält das Gericht es für erforderlich, aktuelle Erkenntnisse, die bei den zuständigen Behörden zwischen___________ 17 BVerwG, Urt. vom 12.12.1969 – IV C 105.66 –, BVerwGE 34, 301 = DVBl 1970, 414; Beschl. vom 9.11.1979 – 4 N 1.78 –, BVerwGE 59, 87 = DVBl 1980, 233; Urt. vom 17.1.2007 – 9 C 1.06 –, BVerwGE 128, 76 = DVBl 2007, 641 – Bad Laer; Urt. vom 15.1.2004 – 4 A 11.02 –, BVerwGE 120, 1 = DVBl 2004, 642 – Vierzehnheiligen: „Am schmerzlichsten hat der Senat den Eingriff in das Landschaftsbild empfunden, wie es sich vom Parkplatz an der Kreisstraße … bei einem Blick in Richtung Nordosten darstellt.“; vgl. dazu auch die Beratungen der 28. Umweltrechtlichen Fachtagung mit dem Rechtsprechungsbericht von Hien am 5./6.11.2004 in Leipzig, zum Beratungsverlauf Stüer, DVBl 2004, 1531; Hien, DVBl 2005, 1341. 18 BVerwG, Urt. vom 19.5.1998 – 4 A 9.97 –, BVerwGE 107, 1 = DVBl 1998, 900 – Ostseeautobahn A 20; Stüer, DVBl 2002, 940. 19 Vgl. auch den ergänzenden Planfeststellungsbeschluss vom 28.2.2008. 20 BVerwG, Urt. vom 1.4.2004 – 4 C 2.03 –, BVerwGE 120, 276 = DVBl 2004, 1115 = NVwZ 2004, 1114 – Hochmoselbrücke.

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zeitlich aufgelaufen sind, bis zum Erlass des Planfeststellungsbeschlusses zu berücksichtigen. Bei den Pfeifengraswiesen geht das Gericht im Urteil zu Hessisch Lichtenau wegen der Stickstoffeinträge von einer erheblichen Beeinträchtigung aus (Rdnr. 107). Es ist allerdings zweifelhaft, ob die bereits vorhandene Überschreitung von Critical Loads stets dazu führt, dass jede Mehrbelastung eine Unverträglichkeit des Eingriffs bewirkt. Die Brandenburger Vollzugshilfe kennt Irrelevanzschwellen, bei deren Einhaltung einem Vorhaben die Verträglichkeit selbst dann attestiert werden kann, wenn in dem fraglichen Bereich bereits durch die Vorbelastung die Critical Loads überschritten sind. Damit hat sich das BVerwG nicht befasst. Zudem ist offen, ob die Brandenburger Liste auch in Brüssel angewendet wird oder dort eine zu empfehlende großzügigere Betrachtung erfolgt. Strenge Anforderungen hat das Gericht in Hessisch Lichtenau am Beispiel der Flachlandmähwiesen (LRT 6510, Rdnr. 119) an die Verträglichkeit einer Flächeninanspruchnahme gestellt. Grundsätzlich sei jeder direkte Flächenverlust oberhalb von Bagatellschwellen als erheblich zu werten (Rdnr. 124). Dabei werden die niedrigen Bagatellschwellen des Bundesamtes für Naturschutz herangezogen, die von einem Orientierungswert von 100 qm ausgehen. Flächenverluste oberhalb dieser Bagatellschwelle werden daher vom BVerwG grundsätzlich als erheblich eingestuft, wenn nicht etwas anderes im konkreten Fall dargelegt werden kann (Rdnr. 126). Für die Unverträglichkeit eines Vorhabens reicht dabei, dass mögliche Beeinträchtigungen nicht sicher ausgeschlossen werden können (Rdnr. 127). Hier wird die Linie des Halle-Urteils ohne Abstriche fortgeschrieben. Allerdings können Schadensminderungsmaßnahmen eine erhebliche Beeinträchtigung ausschließen. Der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Maculinea Nausithous) konnte sich über dieses Ergebnis freuen (Rdnr. 134, 136).21 Angesichts der dargestellten Unverträglichkeiten stand in Hessisch Lichtenau eine Abweichungsprüfung an, die in einem in der mündlichen Verhandlung überreichten Planergänzungsbeschluss22 mündete, den das BVerwG im Ergebnis abgesegnet hat.23 Das BVerwG verlangt allerdings eine konkrete Ab___________ 21 Die seltene Falterart legt im Frühjahr in die Blüten der Dunklen Wiesenknöpfe Larven, die – weil sie einen so süßlichen Duft verbreiten – von den Ameisenbläulingen nicht gleich – wie es ansonsten nahe gelegen hätte – verspeist, sondern als Wintervorrat mit in ihren Ameisenbau genommen werden. Wenn sich die Larven nach ihrer Überwinterung an behüteter Stelle zu Faltern wandeln, fliegen sie davon und die ihnen hinterherlaufenden Ameisen haben das Nachsehen. 22 Ergänzender Planfeststellungsbeschluss vom 28.2.2008 zum Planfeststellungsergänzungs- und -änderungsbeschluss vom 22.12.2005. 23 So die Stellungnahme der EU-Kommission in den Beteiligungsverfahren zur A 44 (Hessisch Lichtenau) und zur B 50n (Hochmoselbrücke).

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wägung zwischen den Vorhabeninteressen und den Integritätsinteressen, die in dem ergänzenden Planfeststellungsbeschluss erfolgt ist. Soweit sich in diesem Bereich Fehler ergeben, können diese auch noch während eines Gerichtsverfahrens geheilt werden (Rdnr. 155). Bei der Abwägung der Vorhabeninteressen mit den Integritätsinteressen kann auch die im ergänzenden Planfeststellungsbeschluss dargestellte Überlegung eine Rolle spielen, dass viele der angenommenen möglichen Beeinträchtigungen nur vorsorglich berücksichtigt würden, weil insoweit noch Erkenntnislücken vorlägen und das Gewicht der Belange entsprechend mit geringerem Gewicht zu versehen sei (Rdnr. 163). Auch hinsichtlich der Anforderungen an den Alternativenvergleich hat das BVerwG im Anschluss an seine bisherigen Entscheidungen24 nur solche Alternativen als prüfungsbedürftig bezeichnet, die das Planungsziel – wenngleich unter gewissen Abstrichen – noch wahren (Rdnr. 170). Die Kohärenzsicherungsmaßnahmen hat das Gericht ebenfalls als ausreichend bezeichnet (Rdnr. 197) und ist damit Überlegungen nicht gefolgt, die Fragen des erforderlichen Kohärenzausgleichs erst einmal dem Luxemburger Gericht vorzulegen. 2. Hochmoselbrücke II Auch für die Hochmoselbrücke steht der erste Spatenstich bevor. Den ergänzenden Planfeststellungsbeschluss25 segnete das OVG Koblenz Ende 2007 ab.26 Das BVerwG hat diese Entscheidung inzwischen durch Nichtzulassung der Revision bestätigt.27 Das planfestgestellte Vorhaben sei – so urteilten bereits die Koblenzer Richter – mit dem europäischen und nationalen Vogel-, Habitat- und Artenschutzrecht vereinbar. Das Vorhaben führe nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele des europäischen Vogelschutzgebietes „Wälder zwischen Wittlich und Cochem“. Zumindest lägen die Voraussetzungen für eine Abweichung vor. Gleiches gelte für die FFH-Gebiete „Tiefenbachtal“ und „Kautenbachtal“ sowie für das potenzielle FFH-Gebiet „Mesenberg und Ackerflure bei Wittlich“. Darüber hinaus stehe das Vorhaben auch mit dem europäischen und nationalen Artenschutzrecht im Einklang. Prioritäre Arten oder Lebensräume waren hier nach den Feststellungen des OVG Koblenz ebenfalls nicht beeinträchtigt. ___________ 24

BVerwG, Urt. vom 27.1.2000 – 4 C 2.99 –, BVerwGE 110, 302 = DVBl 2000, 814 – Hildesheim; Urt. vom 17.5.2002 – 4 A 28.01 –, BVerwGE 116, 254 = DVBl 2002, 1486 = NVwZ 2002, 1243 – A 44 – Hessisch Lichtenau. 25 Vom 21.10.2006. 26 OVG Koblenz, Urt. vom 8.11.2007 – 8 C 11523/06.OVG –, DVBl 2008, 72 = NuR 2008, 181. 27 BVerwG, Beschl. vom 17.7.2008 – 9 B 15.08 – Hochmoselbrücke.

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Die Bundesrichter in Leipzig hatten an diesem Ergebnis nichts auszusetzen. Ein EU-Mitgliedstaat sei nicht verpflichtet, in die Festlegung der Erhaltungsziele für ein Vogelschutzgebiet alle im Standard-Datenbogen aufgeführten Vogelarten einzubeziehen. Vielmehr komme es darauf an, inwieweit den Auflistungen im Standarddatenbogen die Erklärung zu entnehmen sei, dass das Gebiet gerade aufgrund bestimmter Vogelarten ausgewählt wurde. Ebenso wie im Verfahren Hessisch Lichtenau ist auch bei der Hochmoselbrücke eine vorsorglich durchgeführte Abweichungsprüfung für möglich und ggf. für tragend angesehen worden. Eine vorsorglich durchgeführte Abweichungsprüfung erweist sich daher als verlässlicher Ratgeber in allen Fällen, in denen über die Verträglichkeit des Vorhabens gestritten werden kann. 3. Hildesheim bleibt weiterhin in der Warteschleife Weniger erfreulich ist für die Befürworter das Reparaturverfahren zur B 1 Ortsumgehung Himmelsthür nördlich von Hildesheim ausgegangen. Das Vorhaben wurde zehn Jahre nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses und acht Jahre nach der Revisionsentscheidung durch das BVerwG28 wieder in die Warteschleife geschickt.29 Der ca. 3,5 km lange westliche Teil einer geplanten künftigen vierspurigen Ortsumgehung sei mit wesentlichen Erhaltungszielen eines gelisteten FFH-Gebietes nicht vereinbar, urteilten die Lüneburger Richter. Entgegen der Annahme des Planfeststellungsbeschlusses sei nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass der Erhaltungszustand des europarechtlich streng („prioritär“) geschützten Lebensraumtypes „Naturnahe KalkTrocken-Rasen und deren Verbuschungsstadien, besondere Bestände mit bemerkenswerten Orchideen“ durch Stickstoffeinträge erheblich beeinträchtigt werde. Die strengen Voraussetzungen für eine Ausnahme ohne Kommissionsbeteiligung seien nicht abgeprüft und auch in der Sache nicht gegeben. Das Gewicht der öffentlichen Interessen am Bau der Ortsumgehung erlaube es allenfalls – und selbst dies erscheint nach Aussage des Gerichts nicht unproblematisch –, von der im FFH-Schutzgebiet mehrfach stattfindenden Beeinträchtigung solcher Lebensraumtypen und Tierarten Ausnahmen zuzulassen, die europarechtlich nicht als „prioritär“ eingestuft sind. Weitere Eingriffe seien nur nach Einholung einer Stellungnahme der EU-Kommission möglich, was bisher nicht geschehen ist. Wenn das Gericht den Planfeststellungsbeschluss nicht gleich komplett aufgehoben, sondern trotz einiger in der mündlichen ___________ 28 BVerwG, Urt. vom 27.1.2000 – 4 C 2.99 –, BVerwGE 110, 302 = DVBl 2000, 814 – Hildesheim. 29 OVG Lüneburg, Urt. vom 11.9.2008 – 7 KS 1269/00 – Hildesheim zum ergänzenden Planfeststellungsbeschluss vom 28.2.2007.

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Verhandlung erörterten Bedenken lediglich für „rechtswidrig und nicht vollziehbar“ erklärt hat, dann ist das für die Planfeststeller wohl nur ein schwacher Trost. Denn mit dem Erfordernis einer völligen Runderneuerung und einer vorherigen Kommissionsbeteiligung sind die rechtlichen Hürden nur sehr schwer zu nehmen und ist der Weg zu einer Verwirklichung des Vorhabens recht steinig. Der Kurswagen nach Hildesheim steht daher nach einem jahrelangen Schlingerkurs vorläufig weiter auf dem Abstellgleis. Die Planfeststeller und deren glücklose Fachgutachter sehen sich daher in ähnlicher Lage wie die zur Westumfahrung Halle, die seit dem Urteil des BVerwG vom 17.1.2007 an einer Neuauflage des Planfeststellungsbeschlusses herumbasteln. Ende offen.

III. Artenschutz Neben dem Schutz der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung stellt auch der europäische Artenschutz nicht unerhebliche Anforderungen, die sich aus Art. 12 und 16 FFH-RL und Art. 5 und 9 Vogelschutz-EL ergeben. Werden die Verbotstatbestände der Art. 12 FFH-RL oder des Art. 5 der VogelschutzRL erfüllt, so sind Eingriffe nur unter den Voraussetzungen der Art. 16 FFHRL bzw. Art. 9 Vogelschutz-RL zulässig.30 Im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland hat der EuGH in Verfolg dieser Rechtsprechung verschiedene Teile der §§ 42, 43 und 62 BNatSchG für europarechtswidrig erklärt31. Die deutschen Rechtsvorschriften, die mit gemeinschaftsrechtlichen Regelungen nicht vereinbar sind, sind danach allerdings nicht nichtig, sondern wegen des Anwendungsvorrangs des Europarechts (lediglich) im Einzelfall unanwendbar.32, 33 ___________ 30 EuGH, Urt. vom 30.1.2002 – C-103/00 – Slg. 2002 I-1163 – caretta caretta; Urt. vom 20.10.2005 – C 6/04 – Tenor veröffentlicht in ABl. C 315 vom 10.12.2005, S. 5. Zum Folgenden auch Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 4. Aufl. 2009, Rdnr. 3119. 31 EuGH, Urt. vom 10.1.2006 – C 98/03 –, NuR 2006, 166 – Bundesrepublik Deutschland. 32 BVerwG, Urt. vom 29.11.1990 – 3 C 77.87 –, BVerwGE 87, 154 unter Hinweis auf EuGH, Urt. vom 4.4.1968 – Rs. 34/67 –, Slg. 1968, 363 und Urt. vom 9.3.1978 – Rs. 106/77 – Slg. 1978, 629 und BVerfG, Beschl. vom 8.4.1987 – 2 BvR 687/85 –, BVerfGE 75, 223 = DVBl 1988, 38; VGH Mannheim, Urt. vom 2.11.2005 – 5 S 2662/04 –. 33 Zum Artenschutz auch BVerwG, Urt. vom 9.6.2004 – 9 A 11.03 –, BVerwGE 121, 72 = DVBl 2004, 1546 – Michendorf; Gassner, NuR 2004, 560; Gellermann, ZUR 2004, 87; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht-Kommentar Bd. IV, Stand: 1.9.2005, § 43 BNatSchG Rdnr. 22, und NuR 2005, 504; VGH Kassel, Urt. vom 24.11.2003 – 3 N 1080/03 –, NuR 2004, 393 und 25.2.2004 – 3 N 1699/03 –, NVwZRR 2004, 732.

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Durch das Erste Änderungsgesetz zum BNatSchG hat der Gesetzgeber das Artenschutzrecht auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt.34 Was vorher in der Gefahr stand, im Sumpf europarechtlicher und nationaler Regelungen unterzugehen, das hat jetzt durch die Ende 2007 in Kraft getretene Novelle eine neue Rechtsgrundlage erhalten.35 Die gesetzlichen Regelungen zu artenschutzrechtlichen Eingriffen enthalten ein Prüfungssystem in vier Schritten: Besonders geschützte Arten und streng geschützte Arten (nationale geschützte Arten) sowie geschützte Arten nach Anhang IV der FFH-RL und die nach der Vogelschutz-RL geschützten Vögel (europarechtlich geschützte Arten) werden durch die Verbotstatbestände in § 42 Absatz 1 BNatSchG geschützt (1. Schritt). Sonderregelungen gelten u.a. für Eingriffe, die auf der Grundlage des § 19 BNatSchG oder des BauGB (§ 42 Absatz 5 BNatSchG) erfolgen (2. Schritt). Es schließt sich ggf. die Prüfung von Ausnahmen (§ 43 Absatz 8 BNatSchG) (3. Schritt) bzw. Befreiungen (§ 62 BNatSchG) (4. Schritt) an. 1. Verbotstatbestände (§ 42 Absatz 1 BNatSchG) Die Verbotstatbestände sind in § 42 Absatz 1 BNatSchG neu gefasst und an den europarechtlichen Rahmen angeglichen (1. Schritt). Danach ist es verboten, (1) wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, (2) wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, (3) Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, (4) wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören (Zugriffsverbote). Das Tötungsverbot kann hinsichtlich möglicher Zusammenstöße mit dem Straßenverkehr nur erfüllt sein, wenn sich das Kollisionsrisiko durch das Vorhaben deutlich erhöht. Entstehende Risiken etwa für Fledermäuse können ggf. durch Überflughilfen im Querungsbereich sowie Pflanzungen von hochwüchsigen Gehölzen und Bäumen oder dichte Unterpflanzungen verhindert werden, die vor allem dem Schutz niedrig fliegender Fledermausarten wie etwa den Bechsteinfledermäusen dienen.36 ___________ 34

Erstes Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vgl. BT-Drs. 16/5100; BT-Drs. 16/6780; BR-Drs. 733/07. 35 Zur Bewertung Gellermann, NuR 2007, 783. 36 BVerwG, Beschl. vom 13.3.2008 – 9 VR 9.07 – A 4 Jagdbergtunnel.

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Mit den Zugriffsverboten führt das Gesetz einen Erheblichkeitsmaßstab ein, der an die Verschlechterung der lokalen Population geknüpft ist. Die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände werden hierdurch stärker an die Terminologie der FFH-Richtlinie angelehnt. Das in § 42 Absatz 1 Nr. 2 BNatSchG geregelte Störungsverbot stellt nunmehr wie in der FFH-Richtlinie auf bestimmte Zeiträume und nicht mehr – wie bisher – auf bestimmte Örtlichkeiten ab. Wird die lokale Population nicht verschlechtert, sind Störungen zu den vorgenannten Zeiten allerdings nicht erheblich. Ob der EuGH das allerdings absegnet, ist noch nicht ganz ausgemacht. 2. Ökologische Funktionalität bei Eingriffen im Bereich des Bauund Fachplanungsrechts (§ 42 Absatz 5 BNatSchG) Sonderregelungen enthält § 42 Absatz 5 BNatSchG für nach § 19 BNatSchG sowie nach den Vorschriften des BauGB zulässige Eingriffe. Für Anhang IVTier- und Pflanzenarten der FFH-RL und europäische Vogelarten nach der Vogelschutz-RL liegt ein Verstoß gegen das Störungsverbot und bei unvermeidbaren Eingriffen gegen das Tötungsverbot nicht vor, soweit die ökologische Funktion der betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird. Zu einer Vermeidung der Eingriffswirkung können auch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen (CEF-Maßnahmen)37 beitragen. Für national geschützte Arten gilt weiterhin die bereits zuvor geregelte Freistellung. Bleibt die ökologische Funktionalität der Lebensstätten im räumlichen Zusammenhang gewahrt, liegt seit der Neuregelung kein Verstoß gegen das Verbot mehr vor. Die Verletzung oder Tötung einzelner Exemplare soll daher in solchen Fällen auch bei Anhang IV-Arten und geschützten europäischen Vogelarten den Verbotstatbestand nicht erfüllen. Damit ist der bisher im Europarecht angelegte strenge Schutz auch einzelner Exemplare in der FFH-RL und der Vogelschutz-RL auf das Verbot der Beeinträchtigung der ökologischen Funktion zurückgeschraubt worden. Gerade bei CEF-Maßnahmen, deren Wirksamkeit einen größeren Zeitraum in Anspruch nimmt, könnte es sich empfehlen, über deren Zulassung vorweg in einer eigenen Entscheidung zu befinden, wenn ein positives Gesamturteil des Gesamtvorhabens in Aussicht steht. Ebenso können aber CEF-Maßnahmen auch in der abschließenden Zulassungsentscheidung angeordnet werden.

___________ 37 Guidance document on the strict protection of animal species of community interest provided by the habitats directive.

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3. Ausnahmeprüfung (§ 43 Absatz 8 BNatSchG) Erfüllt der Eingriff den Verbotstatbestand des § 42 Absatz 1 BNatSchG und ist er auch nicht nach § 42 Absatz 5 BNatSchG unbeachtlich, so schließt sich nach § 43 Absatz 8 BNatSchG eine Ausnahmeprüfung an, die das gesamte Entscheidungsprogramm der FFH-RL und der Vogelschutz-RL aufgreift (3. Schritt). Die nach Landesrecht zuständigen Behörden können danach von den artenschutzrechtlichen Verboten im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen. Dazu rechnen auch zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art. Zumutbare Alternativen dürfen nicht zur Verfügung stehen; der Erhaltungszustand einer Population einer Art darf sich nicht verschlechtern. Nicht jeder Verlust einer lokalen Population ist allerdings mit einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes gleichzusetzen. Für einen günstigen Erhaltungszustand genügt es vielmehr, wenn die betroffene Population als solche bei einer gebietsbezogenen Gesamtbetrachtung, also in einem Gebiet, das über das Plangebiet hinausgeht, als lebensfähiges Element erhalten bleibt. Auch stellt die Alternativenprüfung an die Ausnahmeentscheidung regelmäßig keine unüberwindbaren Hürden. Zwar sind gewisse Abstriche von dem Vorhaben hinzunehmen.38 Das Gesamtprojekt darf aber durch die artenschutzrechtlichen Anforderungen nicht aus den Fugen geraten. Die Praxis wird dies gewiss mit Beifall quittieren. Allerdings hat der Gesetzgeber zugleich gespeist aus schmerzlichen Erfahrungen mit Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland eine Angstklausel hinzugefügt: Art. 16 der FFH-RL und Art. 9 Vogelschutz-RL dürfen keine weitergehenden Anforderungen enthalten. Mit diesem Vorbehalt soll die Europatauglichkeit der Novelle sichergestellt werden.39 Welche Anforderungen sich daraus allerdings für die Praxis ergeben, ist noch nicht abschließend geklärt. Vor allem wird es dabei um die Frage gehen, ob der europäische Artenschutz bei einem schlechten Erhaltungszustand einer Art strengere Anforderungen stellt und einen Eingriff insgesamt verbietet oder gar die Herstellung eines günstigen Erhaltungszustandes fordert. Jedenfalls werden Arten, die einen schlechten Erhaltungszustand aufweisen, größere Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nehmen können. Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses können es rechtfertigen, eine Abweichung auch von den Verboten der Vogelschutz-RL ___________ 38 BVerwG, Urt. vom 27.1.2000 – 4 C 2.99 –, BVerwGE 110, 302 – Hildesheim; Urt. vom 17.5.2002 – 4 A 28.01 –, BVerwGE 116, 254 = DVBl 2002, 1486 = NVwZ 2002, 1243 – A 44 – Hessisch Lichtenau. 39 In der ersten Runde des Vertragsverletzungsverfahrens hat der EuGH einen pauschalen Verweis auf das europäische Richtlinienrecht allerdings nicht grenzenlos anerkannt, EuGH, Urt. vom 10.1.2006 – Rs. C-98/03 –, NVwZ 2006, 319.

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zuzulassen. Solche Gründe liegen jedenfalls vor, wenn das Vorhaben den strengeren Anforderungen des Enteignungsrechts entspricht. Denn es könnte trotz aller Unkenrufe einiges dafür sprechen, dass die Lebensstätten des Menschen nicht deutlich geringer als die der Tiere auf dem deutschen und europäischen Schutzprogramm stehen. 4. Befreiungen (§ 62 BNatSchG) Der vierte Prüfungsschritt einer Befreiung (§ 62 BNatSchG) konnte sehr viel schlanker als bisher gefasst werden, weil das europarechtlich gebotene Prüfungsprogramm in diesem abschließenden Prüfungsstadium bereits weitgehend abgearbeitet ist: Auch bei einem nicht durch Ausnahmen zu rechtfertigenden Verstoß gegen die artenschutzrechtlichen Verbote kann eine Befreiung erteilt werden, wenn die Durchführung der Vorschriften zu einer unzumutbaren Belastung führen würde. Hier hat der auch im Europarecht geltende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Absatz 3 EGV) seinen Standort.40 Bei der Beurteilung der Erheblichkeit muss der Behörde ebenso wie beim EU-Gebietsschutz auch im Bereich des Artenschutzes ein fachlicher Spielraum zukommen, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist. 5. Bauplanungsrecht und Artenschutz Mit der Abarbeitung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung ist allerdings die artenschutzrechtliche Prüfung noch nicht erfolgt. Denn anders als bei der Eingriffsregelung (§ 21 BNatSchG) sind die artenschutzrechtlichen Regelungen der §§ 42, 43, 62 BNatSchG auch für Vorhaben im Geltungsbereich des BauGB anwendbar. Soweit erforderlich, können auch hier vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen festgesetzt werden. Die CEF-Maßnahmen können nach den Modellen des § 1 a Absatz 3 BauGB im Bebauungsplan festgesetzt oder in städtebaulichen Verträgen vereinbart werden.41 Diese Möglichkeit dürfte auch im Innenbereich bestehen. Da die artenschutzrechtliche Prüfung mit der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens nicht abgeschlossen ist, sondern gesondert nach §§ 42, 43 und 62 BNatSchG erfolgt, können Einzelfragen im bau- oder immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren feinjustiert werden. Bei der Aufstellung eines Bebauungsplans muss daher über die allgemeine Abwägung hinaus der Artenschutz abgeprüft werden. Diese Prüfung gilt auch ___________ 40 41

Stüer, NVwZ 2007, 1054. BVerwG, Urt. vom 19.9.2002 – 4 CN 1.02 –, DVBl 2003, 204 = BauR 2003, 209.

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für Innen- und Außenbereichsvorhaben. Vor allem sind auch die Innenbereichsvorhaben nicht automatisch von den artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen freigestellt, wie bereits spätestens seit dem Urteil des BVerwG zum Polizeipräsidium Magdeburg42 klar ist. Sollen durch einen Bebauungsplan Eingriffe zugelassen werden, die artenschutzrechtliche Verbotstatbestände erfüllen, sind die Ausnahmevoraussetzungen des § 43 Absatz 8 BNatSchG abzuarbeiten. Bleiben unzumutbare Belastungen, kann nach § 62 BNatSchG eine Befreiung erteilt werden. Der Begriff der „offenbar nicht beabsichtigten Härte“, wie er für die Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans in § 31 Absatz 2 Nr. 3 BauGB verwendet wird, ist vom Gesetzgeber im Hinblick auf die sehr strenge baurechtliche Rechtsprechung wohl bewusst vermieden worden. Vielmehr soll für eine Befreiung ausreichend sein, dass die Belastung vor dem Hintergrund des auch das Europarecht kennzeichnenden allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unzumutbar ist. Hier bestimmt eine nachvollziehende Abwägung mit entsprechenden behördlichen Spielräumen die Szene, in die neben naturschutzfachlichen auch wirtschaftliche Gesichtspunkte eingestellt werden können.43 Für Vorhaben im Außenbereich sind die artenschutzrechtlichen Regelungen in §§ 42, 43, 62 BNatSchG in voller Breite anwendbar. Der Bebauungsplan kann sich dabei auf die Grundsatzentscheidungen beschränken und die Einzelheiten einem nachfolgenden Zulassungsverfahren überlassen. Denn die Anforderungen im Naturschutzrecht sind nicht nur in der Bauleitplanung zu beachten, sondern richten sich auch an die Zulassungsverfahren, die dem Bebauungsplan nachfolgen und die einen Teil der artenschutzrechtlichen Probleme abarbeiten können.44

___________ 42

BVerwG, Urt. vom 11.1.2001 – 4 C 6.00 –, BVerwGE 112, 321 = ZfBR 2001, 271 – Polizeipräsidium Magdeburg. 43 BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – 9 C 1.06 –, BVerwGE 128, 76 = DVBl 2007, 641 = NVwZ 2007, 581 – Bad Laer, im Anschluss an Urt. vom 27.10.2000 – 4 A 18.99 –, BVerwGE 112, 140 zu § 17Absatz 6 c 2 FStrG a.F. 44 Zur Konfliktbewältigung in der Verteilung zwischen Bebauungsplan und Genehmigung bereits BVerwG, Beschl. v. 17.2.1984 – 4 B 191.83 –, BVerwGE 69, 30 = DVBl 1984, 343 – Reuter Kraftwerk.

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6. Entscheidungen des BVerwG Bereits in verschiedenen Entscheidungen wie etwa Grimma45, zum Flughafen Schönefeld46, zu Stralsund47 und Hessisch Lichtenau hatte sich das BVerwG mit dem Artenschutz befasst. Vor allem in der Entscheidung zur Nordumgehung Bad Oeynhausen48 hat das BVerwG die Anforderungen an den Artenschutz auf ein handhabbares Maß zurechtgeschnitten und die rechtlichen Maßstäbe für die Ermittlung und Bewertung der von einem Straßenbauvorhaben voraussichtlich verursachten artenschutzrechtlichen Beeinträchtigungen (außerhalb von Schutzgebieten nach der sog. Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) und deren gerichtliche Überprüfung präzisiert. Die dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden fachgutachtlichen Ermittlungen und Bewertungen einschließlich der festgesetzten umfangreichen naturschutzrechtlichen (Begleitund Vermeidungs-)Maßnahmen seien im Ergebnis nicht zu beanstanden. Nicht jedes, sondern nur ein durch das Straßenbauvorhaben signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko erfüllt danach den Tatbestand des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots. a) Ausnahmeprüfung nach § 43 Abs. 8 BNatSchG Ist einer der Verbotstatbestände des § 42 Absatz 1 BNatSchG erfüllt und schließen diese auch die Sonderregelungen des § 42 Absatz 5 BNatSchG nicht aus, kann nach § 43 Absatz 8 BNatSchG eine Ausnahme erteilt werden. Die Regelung greift Elemente der früheren Befreiungsregelung in § 62 BNatSchG auf. Der Eingriff muss durch zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt sein. Zumutbare Alternativen dürfen nicht zur Verfügung stehen. Der Erhaltungszustand der Population darf sich nicht verschlechtern. Hierzu hat das BVerwG49 in der Eilentscheidung zur A 4 bei Jena (Jagdbergtunnel) zwar hervorgehoben, dass der Begriff der „anderen zufriedenstellenden Lösung“ ebenso wie der Begriff „Alternativlösung“ in Art. 6 ___________ 45 BVerwG, Beschl. vom 12.4.2005 – 9 VR 41.04 –, NVwZ 2005, 943 = DVBl 2005, 916. Zur Kritik Fischer-Hüftle, NuR 2005, 768; Gassner, NuR 2004, 560; Gellermann, NuR 2003, 385; ders., ZUR 2004, 87; ders., NuR 2005, 504; Louis, NuR 2004, 557; VGH Kassel, Urt. vom 24.11.2003 – 3 N 1080/03 – NuR 2004, 393 und 25.2.2004 – 3 N 1699/03 – NVwZ-RR 2004, 732. Die Auslegung des Absichtsbegriffs durch den 4. Senat des BVerwG halten hingegen für europarechtskonform: Müller/Stöckel/Lorz, 2. Aufl. 2003, § 43 BNatSchG Rdnr. 15; Müller, NuR 2005, 157. 46 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 –, BVerwGE 125, 116 = DVBl 2006, 1373 – Schönefeld. 47 BVerwG, Urt. vom 21.6.2006 – 9 A 28.05 –, BVerwGE 126, 166 – Stralsund. 48 BVerwG, Urt. vom 9.7.2008 – 9 A 14.07 – Bad Oeynhausen. 49 BVerwG, Beschl. vom 13.3.2008 – 9 VR 9.07 – A 4 Jagdbergtunnel.

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Absatz 4 FF-RL in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar und im Hinblick auf das Schutzregime der Vogelschutz-Richtlinie zu verstehen ist. Dabei sind Alternativlösungen vorzuziehen, die sich bei einer Berücksichtigung sämtlicher Belange als vorzugswürdig erweisen. Alternativlösungen, die sich bereits nach naturschutzfachlichen Kriterien als nachteiliger erweisen, können dabei ausgeschieden werden.50 Eine Planungsvariante, die der Planungsbehörde bereits auf der Grundlage einer Grobanalyse als weniger geeignet erscheint, kann schon in einem frühen Planungsstadium ausgeschieden werden. Auch können Alternativen ausgeschieden werden, die sich nur durch unverhältnismäßige Mehrkosten verwirklichen ließen. b) Erhaltungszustand Zugleich sind allerdings die europarechtlichen Verbotstatbestände in Art. 12 und 13 FFH-Richtlinie und Art. 5 bis 7 Vogelschutz-Richtlinie zu beachten. Während der Verbotstatbestand des Art. 12 FFH-Richtlinie die Anhang-IVArten der FFH-Richtlinie betrifft, setzt Art. 5 b Vogelschutz-Richtlinie die Zerstörung oder Beschädigung von Nestern und Eiern und die Entfernung von Nestern der europäischen Vogelarten voraus.51 Diesen Verbotstatbestand hat das BVerwG im Stralsund-Verfahren nicht als erfüllt angesehen, da die Trassenräumung nur außerhalb der Brutsaison der Zugvögel vorgenommen wurde. Der Erhaltungszustand der Population in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet darf sich nicht verschlechtern (Art. 13 der Vogelschutz-RL). Im Hinblick auf das Ziel der FFH-RL, die Artenvielfalt zu sichern, kommt es hierbei – so das BVerwG52 – nicht darauf ab, jede lokale Art an ihrem Ort zu schützen, sondern es bedarf einer gebietsbezogenen Betrachtung, für die der Behörde ein naturschutzfachlicher Einschätzungsspielraum eingeräumt ist. Es spricht auch Überwiegendes dafür, die Zielrichtung des Art. 13 der Vogelschutz-RL nur auf die Vermeidung einer Verschlechterung zu beziehen, sodass ein Eingriffs auch dann zugelassen werden kann, wenn sich die Art in einem schlechten Erhaltungszustand befindet. Die FFH-RL will demgegenüber einen guten Erhaltungszustand der jeweiligen Art gewährleisten. Art. 5 d Vogelschutz-Richtlinie enthält das Verbot, europäische Vogelarten, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit, zu stören, sofern sich diese ___________ 50

BVerwG, Urt. vom 25.1.1996 – 4 C 5.95 –, BVerwGE 100, 238 = DVBl 1996, 677 – Eifelautobahn A 60. 51 Das Verbot des Art. 5 b Vogelschutz-Richtlinie ist dabei individuen- und nicht etwa nur populationsbezogen, wie insbesondere der Vergleich mit Art. 5 d VogelschutzRichtlinie zeigt. 52 BVerwG, Beschl. vom 13.3.2008 – 9 VR 9.07 – A 4 Jagdbergtunnel.

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Störung auf die Zielsetzung dieser Richtlinie erheblich auswirkt. Da die Bestände der europäischen Vogelarten nach Art. 1 und 2 Vogelschutz-Richtlinie dauerhaft erhalten werden sollen und Art. 13 Vogelschutz-Richtlinie ein Verschlechterungsverbot beinhaltet, lösen solche Störungen die Verbotsfolgen aus, die negative Rückwirkungen auf die Bestandssituation einzelner Arten haben können.53 c) Ausnahmetatbestand des Art. 9 Vogelschutz-Richtlinie Beim Ausbau des Flughafens Schönefeld hat das BVerwG das Vorliegen des Verbotstatbestandes des Art. 5 Vogelschutz-Richtlinie angenommen, zugleich aber wegen der Sicherheitsbedürfnisse des Flugverkehrs die Ausnahme des Art. 9 Vogelschutz-Richtlinie als erfüllt angesehen, sodass zugleich die Befreiungsvoraussetzungen nach § 62 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG 2002 erfüllt waren.54 Lässt sich das Vorhaben an einem nach dem Schutzkonzept günstigeren Standort oder mit geringerer Eingriffsintensität verwirklichen, so muss der Projektträger von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Ein irgendwie gearteter Gestaltungsspielraum wird ihm nicht eingeräumt. 55 Allerdings ist eine Ausnahme von den Verbotstatbeständen der Vogelschutz-RL nicht generell ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen des Art. 9 Vogelschutz-RL erfüllt werden, wie das BVerwG in der zweiten Gerichtsrunde zum Autobahnbauprojekt Hessisch Lichtenau dargelegt hat.56 Diese Grundsätze hat das BVerwG im Urteil zur A 44 Ratingen/Velbert am Beispiel des Steinkauzes, der einen Höhlenbaum verlor und durch das Vorhaben in seinen Lebensräumen entlang der Autobahn gestört wurde, weiter fortentwickelt und einen weiteren Beitrag dazu geleistet, den Artenschutz mit handhabbaren Konturen zu versehen.57 d) Nachträgliche Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen möglich Erforderliche Ausnahmen nach § 43 Absatz 8 BNatSchG oder Befreiungen nach § 62 BNatSchG können auch noch nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses in einem ergänzenden Verfahren erteilt werden. Das BVerwG sieht ___________ 53

Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht vor § 39 BNatSchG Rdnr. 18. BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 –, BVerwGE125, 116 = DVBl 2006, 1373 – Schönefeld, Rdnr. 567 f. 55 BVerwG, Urt. vom 17.5.2002 – 4 A 28.01 –, BVerwGE 116, 254 = DVBl 2002, 1486. 56 BVerwG, Urt. vom 12.3.2008 – 9 A 3.06 – Hessisch Lichtenau. 57 BVerwG, Urt. vom 18.3.2009 – 9 A 31.07 bis 9 A 41.07 – Ratingen/Velbert. 54

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es als maßgebend an, dass in diesem Zeitpunkt die Befreiungsvoraussetzungen objektiv gegeben waren.58 Das wird auch in der Entscheidung zur A 44 (Ratingen/Velbert) ausdrücklich klargestellt.59 7. Trotz Konsolidierung ist Vorsicht geboten Alles in allem: Die aktuellen Urteile aus Leipzig bestätigen zwar im Kern die bisherige Rechtsprechung des BVerwG zum Gebiets- und Artenschutz. Dies gilt vor allem hinsichtlich der strengen Anforderungen an die Verträglichkeitsprüfung, die beim Gebietsschutz vorzunehmen ist. Verbleiben fachliche Zweifel an der Verträglichkeit, ist ein Vorhaben unverträglich. Diese strengen Anforderungen, die im Halle-Urteil an die Verträglichkeitsprüfung wohl aus Rücksichtnahme auf die europarechtlichen Vorgaben und die Rechtsprechung des EuGH gestellt werden, bleiben nach wie vor. Das eigentlich Weiterführende der neueren Gerichtsentscheidungen ist aber die tröstliche Erkenntnis, dass damit die Großprojekte noch nicht vor die juristische Wand gefahren sind. Vielmehr bestehen Möglichkeiten, das Projekt durch eine fachlich korrekte Abweichungsprüfung über die Runden zu bringen. Dies setzt entsprechende Gründe zur Rechtfertigung des Projektes voraus, die sich in einer konkreten Abwägungsentscheidung gegenüber den naturschutzfachlichen Integritätsinteressen durchsetzen können. Auch bei der Alternativenprüfung und den Kohärenzmaßnahmen hat das BVerwG mit Augenmaß die rechtlichen Anforderungen neu justiert bzw. konkretisiert. Mit diesen Anforderungen, wie sie sich in den Entscheidungen zu Hessisch Lichtenau, Jena, zur Hochmoselbrücke und zu Bad Oeynhausen darstellen, kann die Praxis leben. Allerdings zeigt das Verfahren Hildesheim, das sich weiterhin in einem erst einmal abgehängten Kurswagen in der Warteschleife befindet, dass mit den europarechtlichen Vorgaben zum Gebiets- und Artenschutz auch nach den für die Praxis hilfreichen höchstrichterlichen Weichenstellungen nicht zu spaßen ist.60 8. Reformbedarf Allerdings besteht für das Fachplanungsrecht in Deutschland noch ein Reformbedarf. Es sollte über das einzelne Fachrecht hinweg in Bund und Ländern weiter vereinheitlicht werden. Die der Verfahrensstraffung und damit der Be___________ 58 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 –, BVerwGE 125, 116 – Schönefeld, Rdnr. 565. 59 BVerwG, Urt. vom 18.3.2009 – 9 A 31.07 bis 9 A 41.07 – Ratingen/Velbert. 60 Stüer, DVBl 2009, 1.

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schleunigung dienenden Sonderregelungen des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes sollten in das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht von Bund und Ländern übernommen werden (§§ 72 ff. VwVfG). Hierdurch könnte eine Verfahrensvereinfachung bei allen Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren auf bundes- und landesrechtlicher Grundlage erreicht werden. Zugleich sind die Regelungen über die Beachtlichkeit von Mängeln und deren Behebung im Sinne der Planerhaltung auszubauen. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG für Infrastrukturprojekte hat sich bewährt und sollte behutsam fortgeschrieben werden. Der europäische Gebiets- und Artenschutz stellt ein strikt zu beachtendes Regelungssystem von Verboten, Abweichungen und Ausnahmen auf. Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, die über dieses Schutzsystem hinausgeht, sollte auch im Fachplanungsrecht nicht strikt bindend sein, sondern ebenso wie im Bauplanungsrecht unter einen allgemeinen Abwägungsvorbehalt gestellt werden. Ein naturschutzrechtlicher Ausgleich ist nicht erforderlich, wenn das Vorhaben durch überwiegende Gemeinwohlinteressen gerechtfertigt ist. Hierdurch könnte das Naturschutzrecht auch im Bereich des Fachplanungsrechts auf seinen Kern konzentriert werden.

Neue Entwicklungen von Verbandsbeteiligung und -klage nach Naturschutzrecht und Umweltrechtsbehelfsgesetz Von Alexander Schmidt

I. Einleitung Die Rechtsgrundlagen für die Beteiligungs- und Klagemöglichkeiten der Verbände im Naturschutzrecht sind nicht mehr ganz neu. Die erste Klageregelung ist schon vor 30 Jahren in Bremen erlassen worden und den bundesweit geltende § 61 BNatSchG für die so genannte Vereinsklage gibt es seit 2002. Es liegen daher einige Erfahrungen und auch mehrere empirische Untersuchungen zu den Auswirkungen der Verbandsklagen vor, deren Ergebnisse möglicherweise bereits bekannt sind.1 Deswegen soll hier darauf nur relativ kurz eingegangen werden. Von Interesse sind nämlich auch die Entwicklungen, die sich durch die Gesetzgebung der vergangenen zwei Jahre ergeben haben. Gemeint ist damit zum einen das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben2, mit dem unter anderem die Regelungen für die Mitwirkung von Umweltverbänden an Planfeststellungsverfahren verändert worden sind. Zum anderen ist im Dezember 2006 das Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG)3 erlassen worden und hat eine Ausweitung der Verbandsklagemöglichkeiten insbesondere auf Industrieanlagen und Bebauungspläne bewirkt. Bei diesen Gesetzen sind wir noch dabei, erste Erfahrungen zu sammeln. Neue Regelungen für die Verbandsbeteiligung und -klage gibt es darüber hinaus noch im Umweltschadensgesetz4 aus dem Mai 2007. Dieses Gesetz ermöglicht eine Verbandsklage zur Erzwingung von Sanierungsmaßnahmen bei ökologischen ___________ 1 Vgl. zuletzt Schmidt, Verbandsklagen im Naturschutzrecht und Realisierung von Infrastrukturvorhaben – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, NuR 2008, 544 ff. – m.w.N. 2 Vom 9.12.2006, BGBl. I S. 2833. 3 Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG vom 7.12.2006, BGBl. I S. 2816. 4 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden vom 10.5.2007, BGBl. I S. 666.

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Schäden, die mit dem UmwRG verknüpft ist. Hierzu liegen aber noch keine Beispielsfälle vor und deswegen wird hier darauf nicht weiter eingegangen. Auch der Versuch, die Verbandsklageregelungen in einem Umweltgesetzbuch zusammen zu führen, soll nur am Rande erwähnt werden. Da dieser Versuch vorerst gescheitert ist, müssen die darin vorgesehenen Regelungen nicht mehr erörtert werden. Die Frage nach einer Harmonisierung und Weiterentwicklung der verschiedenen Verbandsklageregelungen bleibt aber trotzdem aktuell. Dies zeigen erste Entscheidungen der Verwaltungsgerichte im Überschneidungsbereich zwischen UmwRG und naturschutzrechtlicher Verbandsklage, die eine nähere Betrachtung lohnen. Dabei soll auch diskutiert werden, inwieweit sich aus dem Entwurf für ein neues BNatSchG für die auftretenden Unstimmigkeiten eine Lösung ergibt. Ob es in der noch verbleibenden Zeit bis zur Bundestagswahl im September noch gelingen kann, dafür klarstellende Regelungen zu schaffen, bleibt allerdings abzuwarten. Auf die angesprochenen Entwicklungen ist in drei Abschnitten einzugehen: Zuerst wird die Situation bei der Beteiligung anerkannter Umweltverbände erörtert, die insbesondere von dem schon erwähnten Planungs-Beschleunigungsgesetz aus dem Dezember 2006 geprägt wird (siehe II.). Dabei sind auch die Ergebnisse von Interviews heran zu ziehen, die ergänzend zu den schon angesprochenen empirischen Untersuchungen5 im vergangenen Jahr mit Vertretern der Verbände geführt worden sind. Im folgenden Abschnitt geht es um die Entwicklung bei der naturschutzrechtlichen Verbandsklage seit Einführung des § 61 BNatSchG 2002 sowie um die Abgrenzung des Anwendungsbereichs dieser Regelung vom UmwRG (siehe III.). Danach sind die Diskussion um das UmwRG und die hier zu erwartenden Entwicklungen anzusprechen (siehe IV.). Den Abschluss bildet ein kurzes Fazit (siehe V.).

II. Zur Entwicklung der Verbandsbeteiligung Die seit 2002 in den §§ 58 und 60 BNatSchG sowie in den Landesgesetzen geregelten Beteiligungsrechte der anerkannten Naturschutzverbände bestehen bei einer ganzen Reihe von Verwaltungsverfahren. Sie spielen daher in der praktischen Verbandsarbeit eine große Rolle. Die Verbände müssen sich nicht nur mit der Beteiligung an Befreiungsentscheidungen in Naturschutz- oder Natura 2000-Gebieten sowie bei Planfeststellungsverfahren beschäftigen, weil dies zwingend notwendig ist, wenn die hier bestehende Möglichkeit zur Erhebung einer Verbandsklage wahrgenommen werden soll (siehe § 61 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. §§ 58 Abs. 1 Nr. 2 und 3, 60 Abs. 2 Nr. 5 bis 7 BNatSchG). Auch die ___________ 5

Siehe den Nachweis in Fn. 1 sowie die Ausführungen unter III.1. und 2.

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z.B. bei der Landschaftsplanung und bei Schutzgebietsverordnungen vorgesehenen Mitwirkungsmöglichkeiten (§ 60 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BNatSchG) sind bedeutsam, denn es geht dabei um für den Naturschutz wesentliche Maßnahmen. Mehrere mit Verbandsvertretern geführte Interviews haben ergeben, dass die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte sehr ernst genommen wird und erhebliche Zeit beansprucht. Teilweise war davon die Rede, dass sich die Geschäftsführung zu etwa 1/3 ihrer Arbeitszeit damit beschäftigt und dass der insgesamt für die Beteiligungsverfahren notwendige Aufwand etwa 10% der Verbandstätigkeit ausmacht.6 Durch die seit Ende 2006 veränderten gesetzlichen Grundlagen haben sich die Anforderungen an die Verbände deutlich erhöht. Das UmwRG enthält zwar keine Beteiligungsvorschriften, sondern knüpft an die bestehenden Regelungen für Umweltverträglichkeitsprüfungen in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren (§ 10 BImSchG) und bei der Aufstellung von Bebauungsplänen (§ 3 BauGB) an. Diese Mitwirkungsmöglichkeiten sind also nicht neu und die Verbände haben sie auch früher schon genutzt.7 Neuerdings müssen sie ihre Rechte jedoch wahrnehmen, wenn sie sich eine Klage nach dem UmwRG offen halten wollen. Die Intensität der Beteiligung dürfte sich dadurch erhöht haben, denn bei einem anschließenden Klageverfahren droht eine Präklusion, wenn die Verbände keine oder nur unzureichende Einwendungen erheben. Auch durch das Planungs-Beschleunigungsgesetz werden die Ressourcen der Verbände zusätzlich beansprucht. Bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes ist davon ausgegangen worden, dass die Verbände aufgrund der eigenständigen Beteiligungsrechte im Naturschutzrecht von Planfeststellungsverfahren zu benachrichtigen und dass ihnen Planungsunterlagen zu überlassen sind. Nunmehr ___________ 6 Basis ist eine vom Verfasser Mitte 2008 durchgeführte Befragung von 16 Vertretern auf der Vorstands- und Geschäftsführungsebene von anerkannten Naturschutzverbänden, die in den Jahren 2002 bis 2006 Verbandsklagen geführt haben (d.h. BUND, NABU und Grüne Liga), in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie von Vertretern der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) und der Landesbüros der Naturschutzverbände in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen; im Einzelnen sind folgende Aussagen gemacht worden: Auf der Geschäftsführungsebene lag der Aufwand beim BUND-Thüringen bei ca. 30%, beim BUNDSachsen-Anhalt teilweise sogar bei bis zu 50%, beim NABU-Sachsen-Anhalt bei ca. 20%; bei den Aussagen zum Anteil an der gesamten Verbandstätigkeit ist zu berücksichtigen, dass nicht genau eingeschätzt werden konnte, welchen Aufwand die einzelnen Ortsgruppen betreiben, es ist allerdings mehrfach von ca. 10% und beim BUNDNiedersachsen von „deutlich über 10%“ die Rede gewesen. 7 Vgl. die Berichte der Landesbüros der Naturschutzverbände in Brandenburg, wonach im Jahr 1999 bei 341 und 2001 bei 298 Bebauungsplanverfahren Stellungnahmen abgegeben worden sind; der Geschäftsbericht der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) für 2003 verzeichnet 118 Stellungnahmen und der Jahresbericht 2007 des Landesbüros der Naturschutzverbände in NRW nennt 537 B-Planverfahren.

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ist z.B. in § 17a Nr. 2 und 3 FernStrG oder in § 18a Abs. 2 und 3 AEG geregelt, dass sich die Benachrichtigung und Beteiligung nach § 73 Abs. 4 und 5 VwVfG richtet. Die Folge ist, dass die Verbände meistens keine Nachricht von den Verfahren mehr erhalten, sondern nur noch durch die ortsübliche Bekanntmachung in den Gemeinden, in denen die Planungsunterlagen ausgelegt werden sollen, informiert werden. In Bayern bedeutet dies beispielsweise, dass die Mitarbeiter der Verbände an sich in mehr als 2300 Gemeinden die jeweiligen Tageszeitungen oder das örtliche Amtsblatt lesen müssten, um sich überall beteiligen zu können. Das ist flächendeckend nicht zu leisten und hat bereits dazu geführt, dass dort und z.B. auch in NRW einzelne Planungsverfahren von den Verbänden übersehen worden sind. Teilweise kommen die für Planfeststellungen zuständigen Behörden den Verbänden entgegen und veröffentlichen z.B. Listen der Verfahren im Internet oder geben telefonisch Auskunft über die laufenden Verfahren. Die Praxis ist aber unterschiedlich und es ist daher inzwischen auch vom Zufall abhängig, inwieweit die Verbände von eingeleiteten Planfeststellungsverfahren informiert sind. Ein weiteres Problem ist, dass die Verbände ganz überwiegend keine Planungsunterlagen mehr erhalten, sondern – wie jeder Bürger – gemäß § 74 Abs. 4 VwVfG vor Ort in die ausgelegten Unterlagen Einsicht nehmen und dann innerhalb von zwei Wochen nach dem Ende der einmonatigen Auslegung Einwendungen erheben müssen. Diese Frist dient der angestrebten Beschleunigung und ist im Regelfall durchaus zu bewältigen. Schwierigkeiten bereitet allerdings die Einsichtnahme selbst. Die bei Planfeststellungsverfahren – aber auch bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren – ausgelegten Unterlagen sind häufig so umfangreich und komplex, dass eine fundierte Einwendung erst nach einer intensiven und zeitaufwändigen Beschäftigung damit erstellt werden kann. Sofern die ehrenamtlichen Verbandsmitglieder, die diese Arbeit in aller Regel machen, dafür mehrere Tage in der auslegenden Behörde zubringen müssen, weil sie die Unterlagen nicht bekommen, erschwert das die Sache erheblich. Sie können zwar auch versuchen, sich bei der Behörde die wesentlichen Unterlagen über die voraussichtlichen Umweltauswirkungen des Vorhabens und die vorgesehenen Kompensationsmaßnahmen kopieren zu lassen. Vor allem das dafür erstellte Kartenmaterial lässt sich jedoch mit einem normalen Kopiergerät nicht vervielfältigen und die Behörden verfügen nicht ohne Weiteres über den dafür notwendigen Plotter. Es kommt hinzu, dass bisher nicht näher geregelt ist, inwieweit die Behörden überhaupt verpflichtet sind, im Rahmen der Planauslegung die gewünschten Kopien zu erstellen. Deswegen kommt es immer wieder vor, dass sich eine Behörde weigert dies zu tun, üblicherweise unter Hinweis auf den erforderlichen Aufwand und fehlende Kapazitäten. Der betroffene Verband kann zwar einen Antrag nach § 3 UIG stellen. Für dessen Bearbeitung gilt jedoch eine Frist von einem oder sogar – wenn es um sehr umfangreiche und komplexe Informationen geht – von zwei Monaten. Darauf kann ein Verband nicht warten, wenn er die Einwendungsfrist

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des § 74 Abs. 4 VwVfG einhalten muss. Bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren ist die Situation ähnlich, denn es gelten praktisch die gleichen Rahmenbedingungen für die Beteiligung. Vielfach hängt es letztlich vom Vorhabenträger ab, ob die Verbände die benötigten Unterlagen zur Verfügung gestellt bekommen oder nicht. Die Befragung der Verbandsvertreter8 hat ergeben, dass die Verwaltungspraxis insgesamt gesehen – auch innerhalb einzelner Bundesländer – sehr unterschiedlich ist. Verschärft wird diese Situation noch durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die Darlegung von Planungsfehlern durch die Verbände. In dem Beschluss vom 23.11.2007 zur Ortsumgehung der B3 bei Celle findet sich im Zusammenhang mit der Diskussion, wann ein ergänzendes Vorbringen zu artenschutzrechtlichen Fragen im Prozess präkludiert ist, folgende Passage: „Durch die ‚Mitwirkung‘ am Verfahren soll der bei diesen Vereinen angesiedelte Sachverstand mit dem Ziel nutzbar gemacht werden, für Konflikte zwischen Infrastrukturplanung und Naturschutz eine Problembewältigung zu erzielen, bei der die Belange des Naturschutzes nicht vernachlässigt werden. Der damit angestrebte Abbau von Vollzugsdefiziten setzt voraus, dass die Vereine ihren Sachverstand so in das Verfahren einbringen, dass dadurch die der Planfeststellungsbehörde aufgetragene Problembewältigung gefördert wird. Dazu gehören zumindest Angaben, die ... erkennbar machen, welche örtlichen Vorkommen von Tier- und Pflanzenarten trotz der im Landschaftspflegerischen Begleitplan bereits geleisteten Vorarbeiten noch eine nähere Betrachtung verdienen.“9 Diese besondere Betonung einer – wie es dort ebenfalls heißt – „Mitwirkungslast“ der anerkannten Naturschutzverbände verträgt sich nicht mit dem Planungs-Beschleunigungsgesetz. Es stellt sich die Frage, welche Bedeutung die auf Beschleunigung zielende Gesetzgebung den im Naturschutzrecht verankerten Beteiligungsrechten eigentlich noch einräumt. Das Interesse an dem ohne Frage vorhandenen Sachverstand der Verbände und an einer möglichst vollständigen Ermittlung des Abwägungsmaterials scheint hinter das Beschleunigungsinteresse zurück zu treten. Soweit die Beschleunigung durch Fristsetzungen erreicht werden soll, erscheint das noch einleuchtend. Inwiefern aber eine durch die neue Gesetzgebung praktisch bewirkte Vorenthaltung von Unterlagen zur Verfahrensbeschleunigung beitragen soll, ist nicht erkennbar. Es ist daher verständlich, dass diese Gesetzgebung von den Verbänden als gezielte Schwächung ihrer Position angesehen wird. Das gilt umso mehr, als die Rechtsprechung – wie gezeigt – weiterhin davon ausgeht, dass die Verbände eine be___________ 8

Siehe Fn. 6. BVerwG, Beschl. v. 23.11.2007 – 9 B 38.07 – NuR 2008, 176, 179 f.; vgl. auch Urt. v. 22.1.2004 – 4 A 4.03 – Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 4 S. 27 f. 9

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sondere Position als „Anwälte der Natur“10 haben und dass sie deshalb wesentlich detailliertere Einwendungen liefern müssen als die Bürger, obwohl inzwischen für beide die gleichen Verfahrensregelungen gelten. Ob dies den Vorgaben von Art. 6 Abs. 2 der Aarhus-Konvention entspricht, die eine Information der Öffentlichkeitsbeteiligung in „sachgerechter, rechtzeitiger und effektiver Weise“ fordert, erscheint fraglich – darauf kann hier aber nicht weiter eingegangen werden. Jedenfalls ist bei diesem Punkt im Ergebnis ein Umdenken entweder des Gesetzgebers oder der Rechtsprechung wünschenswert. Ein weiterer Lösungsansatz ist, dass im Zeitalter der elektronischen Datenverarbeitung die notwendigen Informationen in relativ einfacher Weise dadurch zugänglich gemacht werden können, dass den Verbänden – und auch an die betroffenen Bürger – die Daten über das Internet oder auf CD/DVD zur Verfügung gestellt werden. In anderen EG-Mitgliedstaaten wie z.B. Österreich ist dies schon seit Jahren üblich und auch in der deutschen Verwaltungspraxis geschieht dies in einigen Fällen bereits. Es fehlt allerdings bisher an gesetzlichen Vorschriften, die eine solche Vorgehensweise vorschreiben. Im Referentenentwurf für ein UGB I gab es hierfür Ansätze (in den §§ 91 und 92). Nach dem Scheitern des UGB wird es in Deutschland aber wohl noch etwas dauern, bis es zu entsprechenden Änderungen im Verwaltungsverfahrensrecht kommt.

III. Zur Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage Die Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage wird seit 2002 durch die bundesweite Regelung in § 61 BNatSchG geprägt. Dadurch sind die Klagemöglichkeiten ausgeweitet worden, und zwar zum einen auf Zulassungsentscheidungen von Bundesbehörden bei Schienenwegen und Wasserstraßen sowie zum anderen auf die Länder Baden-Württemberg und Bayern, in denen es vorher keine Verbandsklage gab. Die Auswirkungen dieser Rechtsänderung auf die Klagetätigkeit der anerkannten Naturschutzverbände ist bereits untersucht worden.11 Die im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) er___________ 10

Siehe dazu schon Ziekow/Siegel, Anerkannte Naturschutzverbände als „Anwälte der Natur“, 2000, 35 f. m.w.N. 11 Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek, Die Entwicklung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage von 2002 bis 2006, Untersuchung der Hochschule Anhalt (FH), Bernburg, und des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen e.V., Berlin, im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz, 2007 (download: www.bfn.de/0320_veroe.html); vgl. auch die Ergebnisse der vorausgehenden Untersuchungen bei Schmidt/Zschiesche/Rosenbaum, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage in Deutschland, 2004, S. 31 ff.; sowie die Untersuchung von Radespiel, Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, 2007, passim.

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stellte Studie überprüft anhand empirischer Daten, ob die Verbandsklage als wirksames Instrument zum Abbau von Vollzugsdefiziten im Naturschutzrecht angesehen werden kann und somit die ihr zugedachte Funktion12 erfüllt. Dabei sind insbesondere die „altruistischen“ Verbandsklagen erfasst worden, die von den Verbänden erhoben werden können, ohne dass sie dafür eine Verletzung eigener Rechte geltend machen müssen. Der Anwendungsbereich dieser Klagemöglichkeit wird inzwischen weitgehend durch § 61 Abs. 1 BNatSchG bestimmt. Die Vorschrift legt eine Art „Mindeststandard“ fest und lässt Klagen gegen zwei Arten von Verwaltungsentscheidungen zu – erstens gegen Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von Naturschutzgebieten, Nationalparken und Schutzgebieten im Rahmen von § 33 Abs. 2 BNatSchG – also gegen Abweichungsentscheidungen bei Natura 2000-Gebieten – sowie – zweitens bei Planfeststellungsbeschlüssen und bei Plangenehmigungen, sofern für diese eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen ist. Diese Regelungen führen – wie schon festgestellt – teilweise zu einer Ausweitung der Klagemöglichkeiten. Sie haben aber auch zu einem Abbau von Klageregelungen beigetragen. Soweit es landesrechtliche Regelungen gibt, deren Anwendungsbereich über das Bundesrecht hinausgeht, bleiben diese zwar an sich unberührt. Seit Erlass des § 61 BNatSchG hat es jedoch auf der Landesebene eine Art Gegenreaktion gegeben, mit der Folge, dass einige der zum Teil weitergehenden landesrechtlichen Vorschriften abgeschafft oder eingeschränkt worden sind. Das betrifft vor allem Hessen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen. 1. Entwicklung der Klagetätigkeit Um die Auswirkungen der Rechtsänderungen zu klären, ist in der Studie für das BfN zunächst der Umfang der Klagetätigkeit im Zeitraum von 2002 bis 2006 untersucht worden. Die Datenerhebung beruht insbesondere auf Anfragen bei allen Landesverbänden der anerkannten Naturschutzverbände (insgesamt etwa 100). Dabei hat sich ergeben, dass in diesem Zeitraum 138 Verbandsklagen mit insgesamt 234 Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz und in der Hauptsache geführt wurden, die mit einer gerichtlichen Entscheidung oder ___________ 12

Siehe dazu schon das Zitat aus dem Beschluss des BVerwG zur B3 UO Celle (Fn. 9); vgl. auch Koch, Die Verbandsklage im Umweltrecht, NVwZ 2007, 370 f. m.w.N.

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durch Rücknahme der Klage oder der Anträge beendet worden sind.13 Die Klagetätigkeit der Verbände hat damit im Vergleich zu der Zeit vor 2002 zugenommen. Während von 1996 bis 2001 durchschnittlich etwa 20 Klagen und 30 Verfahren pro Jahr gezählt worden sind14, waren es von 2002 bis 2006 etwa 27 Klagen und 47 Verfahren pro Jahr. An den insgesamt von den Verwaltungsgerichten abgeschlossenen Verfahren haben die Verbandsklagen jedoch nur einen Anteil von etwa 0,02%.15 Von einer „Klageflut“, die gelegentlich befürchtet worden ist16, kann daher nach wie vor keine Rede sein. Eine nach einzelnen Bundesländern differenzierende Analyse zeigt, dass der § 61 BNatSchG die Entwicklung der Klagetätigkeit beeinflusst hat.17 In Bayern und Sachsen, wo es entweder keine oder hinter dem Bundesrecht zurückbleibende landesrechtliche Regelungen gab, haben die Verbandsklagen deutlich zugenommen. Insgesamt gesehen lässt sich die Entwicklung der Klagetätigkeit jedoch allein mit den Gesetzesänderungen nicht erklären. Einerseits hat die Klagetätigkeit z.B. auch in Brandenburg und Rheinland-Pfalz zugenommen, wo es schon länger eine landesrechtliche Klageregelung gab, und in Hessen und Sachsen-Anhalt ist ebenfalls eine leichte Zunahme zu verzeichnen, obwohl hier über den Anwendungsbereich von § 61 BNatSchG hinausgehende landesrechtliche Regelungen abgeschafft worden sind. Andererseits sind die Zahlen in Berlin und Schleswig-Holstein trotz unveränderter Klagemöglichkeiten stark zurückgegangen und in Baden-Württemberg und Thüringen ist trotz Ausweitung der Klagerechte eine Stagnation auf niedrigem Niveau festzustellen. In diesen Ländern hat sich die Einführung von § 61 BNatSchG also offenbar nicht ausgewirkt.

___________ 13 Gezählt worden sind dabei auch Fälle, in denen nur ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abgeschlossen worden war, so dass offen gelassen werden musste, wie die Entscheidung in der Hauptsache ausgehen wird; dazu und zum Untersuchungsansatz im Einzelnen Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek (Fn. 11), S. 10 ff. – mit den Anfragen bei allen anerkannten Naturschutzverbänden sowie ergänzenden Recherchen in Fachzeitschriften und im Internet dürften die Klagen und Verfahren nahezu vollständig erfasst worden sein. 14 Vgl. Schmidt/Zschiesche/Rosenbaum (Fn. 11), S. 32. 15 Nach Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.4 (Rechtspflege Verwaltungsgerichte), 2003, S. 10 und 28, sind von den Verwaltungsgerichten – Allgemeinen Kammern (ohne Asyl) – 137.421 Hauptsacheverfahren und 51.161 Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erledigt worden; im folgenden Jahr waren es nach Statistisches Bundesamt, a.a.O., 2004, S. 14 und 32, 146.042 und 52.178 Verfahren, insgesamt im Durchschnitt also 196.401 Verfahren – bei 47 Verfahren pro Jahr haben Verbandsklagen daran einen Anteil von ca. 0,02%. 16 So einer der gegen die Verbandsklage erhobenen Einwände, vgl. Koch (Fn. 12), S. 372 m.w.N. 17 Vgl. Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek (Fn. 11), S. 11 f.

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Dadurch wird die Frage aufgeworfen, welche anderen Faktoren für den Umfang der verbandlichen Klagetätigkeit maßgeblich sind. Bei den Interviews mit Verbandsvertretern18 ist auch dieser Punkt angesprochen und gezielt gefragt worden, ob es unterschiedliche Klagestrategien gibt. Die Antworten darauf waren sehr differenziert und lassen sich hier nicht im Einzelnen wiedergeben. Die Kriterien für die Auswahl eines Falles sind zwar überall im Wesentlichen gleich. Geprüft werden vor allem die Erfolgsaussichten und die Finanzierbarkeit einer Klage. Außerdem ist entscheidend, ob die erforderliche Verfahrensbeteiligung und eine fachliche Unterstützung der Klagevorbereitungen von der jeweiligen Orts- oder Regionalgruppe des Verbandes geleistet werden kann. Diese Kriterien werden jedoch im Einzelfall unterschiedlich gewichtet und es können zusätzlich auch noch politische Überlegungen wie z.B. die Unterstützung einer Klage durch die von einem Vorhaben direkt Betroffenen eine Rolle spielen. Zusammengefasst ergibt sich somit, dass über die Klagestrategie eher fallbezogen entschieden wird und dass die Vorgehensweisen sowohl von Verband zu Verband als auch von Land zu Land verschieden sind. Ferner wirkt sich noch die regional unterschiedliche Art und Zahl der stattfindenden Planungs- und Befreiungsverfahren auf den Umfang der Klagetätigkeit aus. 2. Erfolgsquote der Verbandsklagen Darüber hinaus ist in der BfN-Studie auch die Erfolgsquote der Verbandsklagen untersucht worden.19 Diese Quote ist ein Indikator dafür, ob die Naturschutzverbände bei ihren Klagen die Erfolgsaussichten sorgfältig prüfen und somit gezielt gegen Vollzugsdefizite vorgehen. Im Zeitraum 2002 bis 2006 sind die Naturschutzverbände in etwa 40% der Fälle ganz oder teilweise erfolgreich gewesen. Damit ergibt sich eine deutliche Steigerung im Vergleich zu früheren Untersuchungen, die eine Erfolgsquote von 32%20 ausweisen. Außerdem sind die Verbandsklagen demnach wesentlich erfolgreicher, als die sonst von den Verwaltungsgerichten entschiedenen Hauptsacheverfahren, bei denen die Erfolgsquote nur etwa 10% beträgt.21 Die Verbände klagen also in der Re___________ 18

Siehe Fn. 6. Siehe dazu und zum Folgenden Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek (Fn. 11), S. 9 und S. 14 ff. 20 Radespiel (Fn. 11), S. 347 f. 21 Nach Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.4 (Rechtspflege Verwaltungsgerichte), 2003, S. 14, sind 2003 von den Allgemeinen Kammern (ohne Asyl) der Verwaltungsgerichte 118.309 Hauptsacheverfahren, an denen Behörden beteiligt waren, durch Urteil, Gerichtsbescheid oder Beschluss beendet worden, und im folgenden Jahr waren es 114.138 Hauptsacheverfahren (Statistisches Bundesamt, a.a.O., 2004, S. 18), wobei die Behörden 2003 nur in 6.946 Fällen und 2004 nur in 8.039 Fällen ganz oder teilweise unterlegen sind, hinzu kommen ca. 7.700 Fälle pro Jahr, in denen ein Ver19

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gel nur in ausgewählten Fällen mit erheblichen Vollzugsdefiziten und setzen die Verbandsklage somit ihrem Zweck entsprechend ein. Eine nach Klagegegenständen differenzierende Analyse der Erfolgsquote zeigt allerdings erhebliche Unterschiede auf.22 Bei dieser Analyse sind drei „Kategorien“ von Klagen untersucht worden: Zunächst die beiden „Standardfälle“ der Verbandsklage nach § 61 Abs. 1 BNatSchG, also Klagen gegen Befreiungen in bestimmten Schutzgebieten und Klagen gegen Planfeststellungen, sowie dann als dritte Kategorie die Klagen gegen „sonstige“ Verwaltungsentscheidungen. Diese Kategorie erfasst alle Klagen, die sich auf über das Bundesrecht hinausgehende Regelungen im jeweiligen Landesrecht stützen oder die in Fällen erhoben worden sind, in denen die Zulässigkeit von vornherein fraglich war. Die Auswertung nach den Klagegegenständen zeigt, dass vor allem Klagen gegen Befreiungen ganz oder teilweise erfolgreich waren. Hier lag die Quote bei erstaunlichen 78%. Auch die Klagen gegen Planfeststellungen hatten von 2002 bis 2006 mit ca. 44% eine sehr hohe Erfolgsquote. Bei den „sonstigen“ Fällen lag sie jedoch nur bei 13% und entsprach damit dem allgemeinen Durchschnitt. Diese vergleichsweise schlechte Erfolgsquote gibt Anlass, sich die „sonstigen“ Klagen etwas näher anzusehen. Dabei zeigt sich, dass sie vor allem an der Zulässigkeitshürde scheitern. Es handelt sich dabei häufig um Grenzfälle, bei denen die Verbandsklageregelungen zwar vom Wortlaut her nicht ohne Weiteres anwendbar sind, nach ihrem Sinn und Zweck aber doch eingreifen könnten. In solchen Fällen klagen die Verbände immer wieder einmal, scheitern aber in aller Regel an einer Rechtsprechung, die in der Verbandsklage eine Ausnahmeregelung sieht und ihre Zulässigkeitsvoraussetzungen sehr eng auslegt. Vor allem bei Fällen im Grenzbereich zwischen Naturschutz- und Immissionsschutzrecht stellt sich jedoch unter anderem mit Blick auf das UmwRG die Frage, ob ein die Klagebefugnisse derart einschränkendes Verständnis noch zeitgemäß ist. Dieser Frage soll in den folgenden Abschnitten anhand von zwei aktuellen Beispielsfällen nachgegangen werden.

___________ gleich geschlossen wurde (Statistisches Bundesamt, a.a.O., 2003 S. 10 und 2004 S. 14 – dort jeweils Zeile 28); das entspricht bei einer Wertung der Vergleiche als „Teilerfolg“ einer Erfolgsquote der Gegner von etwa 10,6%; bei den erstinstanzlich von den Senaten für technische Großvorhaben bei den Oberverwaltungsgerichten entschiedenen Hauptsacheverfahren liegt die Erfolgsquote der Behördengegner nur bei 8,8% (bei 250 Fällen in 2003 sind die Behörden nur 11 Mal und bei 190 Fällen in 2004 sind sie nur 9 Mal ganz oder teilweise unterlegen und es sind insgesamt 19 Vergleiche abgeschlossen worden, das entspricht einem Verhältnis von 440 zu 39 – Statistisches Bundesamt, a.a.O., 2003 S. 46 und 2004 S. 50) – insgesamt ergibt sich also ein „Mittelwert“ von etwa 10%. 22 Vgl. Schmidt/Zschiesche/Ludorf/Mischek (Fn. 11), S. 16 ff.

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3. Reichweite der naturschutzrechtlichen Verbandsklage Bei dem Beispielsfall zur Reichweite der naturschutzrechtlichen Verbandsklage geht es um die Frage, ob die nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG mögliche Verbandsklage gegen eine Befreiung in bestimmten Schutzgebieten auch dann zulässig ist, wenn diese im Rahmen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung erteilt wird. Solche Fälle kommen recht häufig vor. Allein im vergangenen Jahr hatten die Verwaltungsgerichte drei Klagen zu entscheiden. Der Beispielsfall betrifft die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für den Betrieb einer sog. Off-Road-Anlage zur Erprobung der Geschicklichkeit und Fahrsicherheit privater Kfz-Halter auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz in Bayern.23 Diese Genehmigung enthielt eine Befreiung in Form einer Abweichungsentscheidung für ein von der Kommission in die Auswahlliste aufgenommenes Natura 2000-Gebiet. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits in einer Entscheidung aus dem Jahr 2002 die Auffassung vertreten, dass in solchen Fallkonstellationen aufgrund der Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG das Mitwirkungsrecht der Verbände entfällt. Die Konzentrationswirkung erfasse auch das Verwaltungsverfahren, weil nur so das angestrebte Ziel einer Verfahrensvereinfachung erreicht werden könne. Das Genehmigungsverfahren richte sich nach § 10 BImSchG und der 9. BImSchV; daneben seien die naturschutzrechtlichen Verfahrensvorschriften unanwendbar.24 Ausgehend davon ist in der Folge insbesondere vom VGH München argumentiert worden, dass mit dem Mitwirkungsrecht auch die Klagebefugnis entfalle.25 Das VG Würzburg ist in seiner Entscheidung vom 25.7.2007 in dem genannten Beispielsfall zu einem anderen Ergebnis gekommen. Es setzt sich dabei intensiv mit den Argumenten für und gegen einen Vorrang der Konzentrationswirkung auseinander. Dagegen spricht aus Sicht des VG u.a., dass die materiellen Vorschriften durch die Konzentrationswirkung nicht verdrängt werden. Es könne daher nicht argumentiert werden, dass lediglich eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorliege, und keine naturschutzrechtliche Befreiung.26 Außerdem müssen nach Ansicht des VG die praktischen Auswirkungen der bisherigen Rechtsprechung berücksichtigt werden. Eine weite Auslegung des § 13 BImSchG habe in quantitativer Hinsicht zur Folge, dass das Verbandsklagerecht in einem nicht unbeträchtlichen Prozentsatz der Fälle weg___________ 23 VG Würzburg, Beschl. v. 25.7.2007 – W 4 S 07.759 – NuR 2008, 127 ff.; siehe zu einem anderen Fall dieser Art auch schon Schmidt/Zschiesche/Rosenbaum (Fn. 11), S. 73 f. 24 BVerwG, Beschl. vom 17.12.2002 – 7 B 119.02 – NuR 2003, 544. 25 VGH München, Urt. vom 13.5.2005 – 22 A 9640091 – ZUR 2005, 542 ff. 26 VG Würzburg (Fn. 23), S. 130 (li. Spalte oben).

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falle. In qualitativer Hinsicht sei zu berücksichtigen, dass es sich bei Vorhaben mit Immissionsgefahren in der Regel gerade um die aus naturschutzrechtlicher Sicht bedeutsameren Vorhaben handele. Das führe dazu, dass die Garantenstellung der Naturschutzverbände über weite Strecken ausgehöhlt, wenn nicht obsolet werde.27 Diese Konsequenzen hat der Gesetzgeber nach Auffassung des VG Würzburg bei Einführung des § 61 BNatSchG nicht beabsichtigt. Es verweist außerdem darauf, dass bei der Auslegung dieser Vorschrift und von § 13 BImSchG die Rechtsänderungen auf supra- bzw. internationaler Ebene zu berücksichtigen seien. Dabei nimmt das VG u.a. Bezug auf Art. 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention, wonach den Umweltschutzverbänden ein „weiter Zugang zu Gerichten“ eröffnet werden soll.28 Das gegen diese Entscheidung eingelegte Rechtsmittel hat dazu geführt, dass der VGH München die Zulässigkeit einer Verbandsklage erneut verneint hat.29 Die Aarhus-Konvention war nach Auffassung des VGH nicht zu berücksichtigen, weil sie nur für bestimmte Projekte gilt, zu denen die angegriffene Off-Road-Anlage nicht gehört.30 Die Anlage unterlag übrigens auch nicht der UVP-Pflicht und fiel daher nicht in den Anwendungsbereich des UmwRG. Auch diese Tatsache spricht aus Sicht des VGH gegen die Zulässigkeit einer Verbandsklage. Er meint, der Gesetzgeber habe beim Erlass des UmwRG die Möglichkeit gehabt, die dort gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigungen vorgesehenen Verbandsklagemöglichkeiten auf alle Entscheidungen dieser Art auszudehnen. Das habe er aber nicht getan, sondern nur Klagerechte für die größeren Vorhaben geschaffen, bei denen eine UVP-Pflicht bestehe.31 Schließlich interpretiert der VGH auch die Materialien zu § 61 BNatSchG anders als das VG und meint, der Gesetzgeber habe das – dem deutschen System des Individualrechtsschutzes wesensfremde – Verbandsklagerecht im Naturschutz bewusst eingeschränkt.32 Eine weitere Diskussion des beschriebenen Auslegungsproblems könnte durch ein neues BNatSchG entbehrlich werden. Der dazu inzwischen vorliegende Regierungsentwurf vom 11.3.200933 sieht vor, dass die Verbände nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 – der ansonsten § 60 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG g.F. entspricht – ein Mitwirkungsrecht bei Befreiungen in bestimmten Schutzgebieten haben sollen, „auch wenn diese durch eine andere Entscheidung eingeschlossen oder ___________ 27

VG Würzburg (Fn. 23), S. 130 (re. Spalte, unter b)aa). VG Würzburg (Fn. 23), S. 131 f. 29 VGH München, Beschl. vom 25.6.2008 – 22 CS 07.2023 – NuR 2008, 593 ff. 30 VGH München (Fn. 29), S. 595 (re. Spalte oben). 31 VGH München (Fn. 29), S. 596 (li. Spalte). 32 VGH München (Fn. 29), S. 595 (re. Spalte unten). 33 Als download erhältlich unter www.bmu.de/gesetze_verordnungen/bmu_downloads/doc/43412.php. 28

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ersetzt werden“. Nach der Begründung des Entwurfs handelt es sich dabei lediglich um eine Klarstellung zu der bisher geltenden Regelung.34 Sollte das neue BNatSchG in dieser Form beschlossen werden, wäre in der Tat geklärt, dass die Verbände bei allen Genehmigungsverfahren, die eine Konzentrationswirkung hinsichtlich solcher Befreiungen entfalten, ein Klagerecht haben. In dem Beispielsfall mit der Off-Road-Anlage spielte übrigens noch ein weiteres Problem eine Rolle, das praktisch bedeutsam ist. Es geht um die Frage, ob ein Mitwirkungsrecht der Verbände auch schon besteht, wenn ein Natura 2000Gebiet zwar von der Kommission in die Auswahlliste aufgenommen, aber noch nicht nach nationalem Recht ausgewiesen worden ist. Diese Frage ist vom VG Würzburg zu Recht bejaht worden.35 Allerdings ist der Wortlaut des hier einschlägigen § 60 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG nicht ganz eindeutig. Auch insoweit ist daher im Regierungsentwurf zum neuen BNatSchG eine Klarstellung vorgesehen.36 4. Verhältnis zwischen naturschutzrechtlicher Verbandsklage und UmwRG Der zweite Beispielsfall betrifft das Verhältnis zwischen naturschutzrechtlicher Verbandsklage und UmwRG. Es geht um eine Entscheidung des VG Bremen vom 29.11.2007 über eine Klage, die vom Verband Deutscher Sportfischer e.V. – einem Bundesverband – zusammen mit dem Landessportfischereiverband Bremen gegen den Planfeststellungsbeschluss für den Neubau einer Wasserkraftanlage an der schon bestehenden Weser-Staustufe BremenHemelingen erhoben worden war.37 Es handelt sich um einen der seltenen Fälle, in denen ein Verband von Umweltnutzern geklagt hatte; sonst klagen ganz überwiegend der BUND und der NABU sowie in den neuen Bundesländern die Grüne Liga, also reine Umweltschutzorganisationen. Aus naturschutzrechtlicher Sicht ging es in dem Fall aus Bremen vor allem um die Frage, ob die vorgesehene Fischauf- und -abstiegsanlage ausreichenden Schutz bot. Für die weitere Entwicklung der Verbandsklageregelungen ist der Fall interessant, weil ___________ 34

Siehe die Begründung des Entwurfs vom 11.3.2009 (erhältlich wie in Fn. 33), S. 113. 35 VG Würzburg (Fn. 23), S. 128 f.; ebenso zu § 56 Abs. 4 Nr. 5 NatSchG LSA schon OVG Magdeburg, Beschl. vom 8.1.2007 – 2 M 358/06 – ZUR 2007, 246 f. 36 Nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 des Entwurfs soll ein Mitwirkungsrecht bestehen „vor der Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz von Gebieten im Sinne des § 32 Abs. 2, Natura 2000-Gebieten ...“, vgl. zur Bedeutung dieser Veränderung gegenüber § 60 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG g.F. die Begründung des Entwurfs vom 11.3.2009 (erhältlich wie in Fn. 33), S. 113. 37 VG Bremen, Urt. vom 29.11.2007 – 5 K 565/07 – ZUR 2008, 368 ff.

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das VG nur die Klage des Landesverbandes zugelassen und die Klagebefugnis des Bundesverbandes verneint hat. Es stützte sich dabei im Wesentlichen auf zwei Gründe: Zum einen habe ein nach § 59 BNatSchG auf Bundesebene anerkannter Verband bei einem durch Landesbehörden durchgeführten Planfeststellungsverfahren kein Mitwirkungsrecht und deswegen auch kein Klagerecht; zum anderen bestehe auch kein Klagerecht nach dem UmwRG, denn dieses trete nach dem Spezialitätsgrundsatz gegenüber der naturschutzrechtlichen Vereinsklage des BNatSchG zurück, solange deren Anwendungsbereich nicht verlassen werde.38 Der Auffassung des VG Bremen zum Spezialitätsgrundsatz ist nicht zu folgen. Dieser würde nur eingreifen, wenn der naturschutzrechtlichen Verbandsklage aufgrund ihres Anwendungsbereichs und ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen tatsächlich Vorrang vor dem UmwRG einzuräumen ist.39 Dafür könnte sprechen, dass die naturschutzrechtliche Verbandsklage hinsichtlich der Rügebefugnis enger gefasst ist. Danach kann nur eine Verletzung von dem Naturschutz dienenden Vorschriften geltend gemacht werden. Nach dem UmwRG darf hingegen grundsätzlich eine Verletzung aller dem Umweltschutz dienenden Rechtsvorschriften gerügt werden. Dieses Argument führt auch das VG Bremen an und verweist zugleich auf die Begründung zum UmwRG.40 Dagegen spricht jedoch, dass nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG eine Rügebefugnis nur bei den umweltrechtlichen Vorschriften besteht, die „Rechte Einzelner begründen“. Damit sollen unter anderem die dem Naturschutz dienenden Vorschriften aus dem sachlichen Anwendungsbereich ausgeklammert werden, denn der Naturschutz ist nach der Schutznormtheorie ein Allgemeinwohlbelang, dessen Verletzung von privaten Klägern grundsätzlich nicht gerügt werden kann. Nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften gibt es insoweit also keine Überschneidung zwischen der naturschutzrechtlichen Verbandsklage und dem UmwRG und deswegen gibt es auch keinen Anlass zur Annahme eines Spezialitätsverhältnisses. Vielmehr sollen die Vorschriften eine Klagebefugnis für unterschiedliche Normbereiche eröffnen. Sie stehen insoweit also nebeneinander und müssen daher auch nebeneinander anwendbar sein.41 ___________ 38

VG Bremen (Fn. 37), S. 369 f. Vgl. die Kritik am VG Bremen von Schrödter, Aktuelle Entscheidungen zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2009, 157, 160. 40 VG Bremen (Fn. 37), S. 370 (li. Spalte oben); in der Begründung zum UmwRG, BT-Drucks. 16/2495, S. 11, heißt es: „Soweit die spezielle naturschutzrechtliche Verbandsklage nicht greift, können Naturschutzverbände die Klagemöglichkeiten nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz auch in demselben Verfahren geltend machen.“ 41 Im Ergebnis ebenso Schrödter (Fn. 39), 160; Schlacke, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NuR 2007, 8, 13; auch hierzu sieht der Regierungsentwurf für das neue BNatSchG in § 64 eine Klarstellung vor. 39

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Anders wäre die Situation vielleicht dann, wenn man die in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG enthaltene Einschränkung der Rügebefugnis auf Umweltschutzvorschriften, die „Rechte Einzelner begründen“, für gemeinschaftsrechtswidrig hält, und stattdessen annimmt, dass sich die Rügebefugnis im Sinne eines „weiten Zugangs zu Gerichten“ auf alle dem Umweltschutz dienenden Vorschriften erstrecken müsste. Das VG Bremen ist darauf allerdings nicht eingegangen und seine Ausführungen zum Verhältnis der fraglichen Vorschriften sind auch insoweit missverständlich, weil die Wirkungsweise des Spezialitätsgrundsatzes nicht richtig dargestellt wird. Selbst wenn dieser Grundsatz eingreifen würde, kann sich daraus nicht ergeben, dass das UmwRG schon dann verdrängt wird, wenn die naturschutzrechtliche Verbandsklage grundsätzlich auf einem Fall anwendbar sein könnte. Vielmehr werden allgemeine Vorschriften von Spezialnormen nur verdrängt, soweit und solange letztere tatsächlich anwendbar sind.42 Deswegen bestehen die Klagemöglichkeiten nach dem UmwRG jedenfalls immer dann neben der oder ergänzend zur naturschutzrechtlichen Verbandsklage, wenn im konkreten Fall über eine Verletzung des Naturschutzrechts hinaus z.B. auch die Verletzung von immissionsschutzrechtlichen Vorschriften gerügt wird.43

IV. Entwicklung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes Es gibt zwar schon mehrere Fälle, in denen sich die Gerichte mit dem UmwRG auseinandersetzen mussten. In der Regel ist in diesen Fällen aber die Anwendbarkeit des UmwRG verneint worden, meistens weil die Verfahren schon vor seinem Inkrafttreten eingeleitet worden waren. Deswegen wird in diesen Fällen auch nicht auf das Hauptproblem bei der Anwendung des UmwRG eingegangen, das in der umstrittenen Einschränkung der Rügebefugnis in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG zu sehen ist. Es gibt inzwischen aber mindestens drei aktuelle Entscheidungen, in denen dieses Problem eine Rolle gespielt hat. In dem einen Fall liegt ein Beschluss des OVG Lüneburg vom 7.7.2008 vor, bei dem es um vorbeugenden Rechtsschutz bei einem Bauleitplanverfahren ging. Ein Umweltverband wollte die Einstellung dieses Verfahrens durchsetzen, weil nach seiner Auffassung zunächst ein Raumordnungsverfahren durchgeführt werden musste.44 Das OVG lehnt den einstweiligen Rechtsschutz vor allem mit der Begründung ab, dass kein Anspruch auf Durchführung eines ___________ 42 43 44

Schwacke, Juristische Methodik, 4. Auflage 2003, S. 17. So auch Vees, Anmerkung zu VG Bremen, Urt. vom 29.11.2007, ZUR 2008, 373. OVG Lüneburg, Beschl. vom 7.7.2008 – 1 ME 131/08 – ZUR 2008, 487 ff.

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Raumordnungsverfahrens bestehe und dass auf den Erlass des Bebauungsplans gewartet werden könne, um dann dagegen nach dem UmwRG vorzugehen. Darüber hinaus setzt sich das OVG allerdings auch mit der am UmwRG geäußerten Kritik auseinander. Dazu vertritt es – etwas verkürzt gesagt – den Standpunkt, dass eine „europarechtkonforme“ Auslegung dieses Gesetzes und der im Zusammenhang damit anzuwendenden Vorschriften geboten sei, bevor eine Gemeinschaftsrechtswidrigkeit angenommen werden könne. Eine solche Auslegung hält das OVG insbesondere bei der Rügebefugnis wohl auch für möglich; es führt dazu u.a. aus, dass für verschiedene Fallgruppen durch Auslegung ermittelt werden müsse, ob „Rechte Einzelner“ begründet würden, und dass dabei das Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, im Auge zu behalten sei.45 Im zweiten Fall liegt ein Beschluss des OVG Hamburg vom 9.2.2009 vor, in dem über die Beiladung des BUND zur Klage von Vattenfall Europe gegen die eingeschränkte wasserrechtliche Erlaubnis für den Betrieb des Kohlekraftwerks Moorburg in Hamburg entschieden worden ist. Das notwendige rechtliche Interesse an der Beiladung des BUND wird bejaht, weil er selbst ebenfalls eine Anfechtungsklage gegen die wasserrechtliche Erlaubnis erhoben hat. Das OVG führt dazu u.a. aus, es komme ernsthaft in Betracht, dass die mit dem Beiladungsantrag geltend gemachten Interessen auf der Grundlage des UmwRG rechtlichen Schutz genießen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG sei zwar Voraussetzung einer Vereinsklage, dass die Verletzung von Rechtsvorschriften geltend gemacht werde, die nicht nur dem Umweltschutz dienen, sondern zugleich auch Rechte Einzelner begründen können. Es sei aber zweifelhaft, ob die Vorschrift insoweit mit dem europäischen Recht in Einklang stehe. Es gebe gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass Art. 10a Abs. 4 Satz 3 UVP-RL nicht hinreichend berücksichtigt werde, wonach „Nichtregierungsorganisationen“ – zu denen auch der BUND zähle – als Träger von Rechten „gelten“, die im Sinne von Art. 10a Abs. 1 Buchstabe b) UVP-RL verletzt werden könnten. Das OVG Hamburg hält es also für möglich, dass bei der Klage von Umweltschutzverbänden immer das Vorliegen einer Rechtsverletzung zu unterstellen ist. Diese unterschiedlichen Positionen der OVG entsprechen in etwa den in der Literatur vertretenen Standpunkten. Allerdings überwiegt dort ganz stark die Auffassung, dass die Einschränkung der Rügebefugnis dem Gemeinschaftsrecht widerspricht.46 Ob dies der Fall ist, kann nur der EuGH entscheiden. Der ___________ 45

OVG Lüneburg (Fn. 44), S. 488. Siehe z.B. Koch (Fn. 12), S. 378 f.; Schlacke (Fn. 41), S. 14; Ewer, Ausgewählte Rechtsanwendungsfragen des Entwurfs für ein Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2007, 267, 272 ff.; Ziekow, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im System des deutschen Rechtsschutzes, NVwZ 2007, 259, 260; Radespiel, Entwicklung des Rechtsschutzes im 46

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dafür erforderliche Vorlagebeschluss liegt nunmehr vor. Das OVG Münster47 hat am 5.3.2009 aufgrund einer Klage des BUND gegen ein in Lünen geplantes Steinkohlekraftwerk entschieden, den EuGH zur Klärung der Frage anzurufen, ob Umweltschutzorganisationen aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben in einem Klageverfahren auch die Verletzung der Vorschriften des Umweltrechts, die dem Schutz der Allgemeinheit oder der Natur dienen, rügen können müssen. Dieser Punkt ist in dem fraglichen Fall bedeutsam, weil Abwasser aus der Rauchgasbehandlungsanlage und dem Kühlturm in die Lippe eingeleitet werden soll und die Einleitestelle innerhalb eines Natura 2000-Gebiets liegt, die naturschutzrechtlichen Vorgaben aber möglicherweise nicht ausreichend beachtet worden sind. Die Entscheidung des EuGH dazu wird schon bald zeigen, ob das UmwRG in seiner derzeitigen Ausgestaltung bestehen bleiben kann. Daraus ergeben sich dann möglicherweise auch Konsequenzen für das Verhältnis der Klagemöglichkeiten des UmwRG zur naturschutzrechtlichen Verbandsklage (siehe schon III.4.).

V. Fazit Der gegebene Überblick über die aktuelle Entwicklung zeigt, dass sich im Hinblick auf die Ausgestaltung und Zulässigkeit der Verbandsbeteiligung und Verbandsklage einige schwierige und spannende Rechtsfragen stellen, die uns auch in Zukunft noch beschäftigen werden. Noch einmal kurz zusammengefasst geht es um folgende Punkte, bei denen eine Weiterentwicklung oder Harmonisierung der Regelungen für die Verbandsbeteiligung und Verbandsklage notwendig und teilweise auch absehbar ist: – Durch das Planungsbeschleunigungsgesetz ist den Verbänden eine effektive Beteiligung an Planfeststellungsverfahren erheblich erschwert worden, während die Rechtsprechung davon ausgeht, dass erhöhte Anforderungen im Sinne einer „Mitwirkungslast“ zu erfüllen sind. Diese Rechtslage wird den Aufgaben, die von den Verbänden als „Anwälten der Natur“ wahrgenommen werden sollen, nicht gerecht. Deshalb ist hier ein Umdenken zumindest in Richtung auf eine Erleichterung des Zugangs zu Planungs- oder ___________ Umweltrecht aufgrund völker- und europarechtlicher Vorgaben – insbesondere das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, EurUP 2007, 118, 122; Schmidt/Kremer, Das UmweltRechtsbehelfsgesetz und der „weite Zugang zu Gerichten“, ZUR 2007, 57, 60 f.; Genth, Ist das neue Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz europarechtskonform?, NuR 2008, 28, 29 ff.; Schumacher, Umweltrechtsbehelfsgesetz, UPR 2008, 13, 17 f.; dem Standpunkt des OVG Lüneburg zustimmend hingegen Schröter (Fn. 39), S. 159. 47 Siehe Presseerklärung vom 5.3.2009 unter www.ovg.nrw.de/presse/pressemitteilungen/09_090305/index.php.

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Genehmigungsunterlagen erforderlich, die durch das Verfügbarmachen der Daten im Internet oder auf CD erreicht werden kann. In der Praxis wird teilweise schon so vorgegangen, es fehlt jedoch an den erforderlichen rechtlichen Regelungen. – Beim Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen Verbandsklage sollte klargestellt werden, dass eine Mitwirkung und eine Klage bei Befreiungen von den Geboten oder Verboten in Schutzgebieten auch dann möglich ist, wenn diese durch eine andere Entscheidung eingeschlossen oder ersetzt werden. Außerdem könnte klargestellt werden, dass die naturschutzrechtliche Verbandsklage und das UmwRG nebeneinander anwendbar sind. In dem vorliegenden Regierungsentwurf für ein neues BNatSchG sind diese Klarstellungen vorgesehen. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Entwurf im Vorfeld der Bundestagswahl das weitere Gesetzgebungsverfahren unbeschadet durchlaufen und vom Bundestag als Gesetz verabschiedet werden kann. – Bei der Anwendung des UmwRG ist die zentrale Frage, ob die in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 enthaltene Einschränkung der Rügebefugnis gemeinschaftsrechtskonform ist. Darauf wird der EuGH aufgrund eines Vorlagebeschlusses des OVG Münster hoffentlich schon bald eine Antwort geben müssen.

Das Ökokonto in der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung Von Holger Steenhoff*

I. Einführung Seit einigen Jahren hat sich das Ökokonto in der Naturschutzpraxis etabliert, um Eingriffe in Natur und Landschaft zu kompensieren. Durch den Einsatz dieses Instruments in den neunziger Jahren ist die naturschutzrechtliche Kompensation erleichtert und flexibilisiert worden. Den Chancen des Instruments stehen aber auch Risiken entgegen. Es wirft zahlreiche Fragen für die Rechtspraxis auf. Soweit nichts anderes angegeben ist, beziehen die Ausführungen sich auf das Landesnaturschutzgesetz (NatSchG) des Landes Baden-Württemberg. Behandelt wird das Ökokonto vorrangig im Rahmen der allgemeinen „klassischen“ naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung im Außenbereich nicht innerhalb der Bauleitplanung. Grundsätze und Erfahrungen aus dem kommunalen Ökokonto lassen sich aber beim Ökokonto im Außenbereich anwenden.

II. Ausgangssituation Zahlreiche Vorhaben wie z.B. zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur stellen einen Eingriff in Natur und Landschaft dar und fallen in den Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung nach § 18 ff. BNatSchG i.V.m. dem jeweiligen Landesnaturschutzgesetz1. Nach § 19 Abs. 1 S. 1 BNatSchG ist der Verursacher eines Eingriffs zu verpflichten, vermeidbare Be___________ * Die nachfolgenden Ausführungen stellen die persönliche Meinung des Verfassers dar und sind eine Vertiefung eines Vortrags am 6.3.2009 bei den 11. Speyerer Planungsrechtstagen. 1 Allgemein zur Eingriffsregelung Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 53. EL 2008 BNatSchG Vor §§ 18-21 Rdn. 1 ff.; Beck-Praxis der Kommunalverwaltung NatSchG BW § 20 Rdn. 1 ff.

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einträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen. Unvermeidbare Beeinträchtigungen sind gem. § 19 Abs. 2 S. 1 BNatSchG durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege vorrangig auszugleichen (Ausgleichsmaßnahmen) oder in sonstiger Weise zu kompensieren (Ersatzmaßnahmen). Ausgeglichen ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts wiederhergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder neu gestaltet ist (§ 19 Abs. 2 S. 2 BNatSchG). In sonstiger Weise kompensiert ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in gleichwertiger Weise ersetzt sind oder das Landschaftsbild landschaftsgerecht neu gestaltet ist (§ 19 Abs. 2 S. 3 BNatSchG). Das Verhältnis zum Baurecht regelt § 21 BNatSchG. Sind auf Grund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen oder von Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Baugesetzbuchs Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten, ist über die Vermeidung, den Ausgleich und den Ersatz nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs zu entscheiden (§ 21 Abs. 1 BNatSchG). Nach § 1 a Abs. 3 S. 1 BauGB sind die Vermeidung und der Ausgleich voraussichtlich erheblicher Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes sowie der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts in seinen in § 1 Abs. 6 Nr. 7 Buchstabe a bezeichneten Bestandteilen (Eingriffsregelung nach dem Bundesnaturschutzgesetz) in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 zu berücksichtigen2. Für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen werden in großem Umfang Flächen benötigt. Gerade in dicht besiedelten Regionen wird die Bereitstellung solcher Flächen immer schwieriger. So werden typischerweise in solchen Räumen mehr Bau- und Gewerbegebiete ausgewiesen und die Verkehrsinfrastruktur ausgebaut. Dadurch steigt die Flächenkonkurrenz. Sowohl die Vorhaben als auch die naturschutzrechtlich geforderten Maßnahmen beanspruchen Raum. Es entstehen Konflikte mit anderen Raumnutzern, insbesondere mit der Landwirtschaft. In den dicht besiedelten Räumen verliert die Landwirtschaft stetig Flächen für Bauflächen und Infrastrukturvorhaben. Häufig sind Landwirte insoweit auch „Leidtragende“ naturschutzrechtlicher Maßnahmen, da bislang intensiv landwirtschaftlich genutzte Flächen naturschutzfachlich aufgewertet werden sollen. Sie haben zumeist das größte Aufwertungspotential. Umgekehrt steigen die Flächenpreise, wenn der Grundstücksmarkt rasch auf einen erhöhten Ausgleichsbedarf reagiert. Der Ausgleich soll auch möglichst nahe dem Eingriff erfolgen. Es entstand so häufig ein „Fleckenteppich“ kleinräumiger Ausgleichsmaßnahmen, wenn keine größeren zusammenhängenden Flächen für Kompen___________ 2 Siehe näher Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 88. EL 2008, § 1a Rdn. 63 ff. und Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 1a Rdn. 12 ff.

Das Ökokonto in der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung

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sationsmaßnahmen, was fachlich geboten ist, erworben bzw. gesichert werden konnten3. Einzelne Landesgesetzgeber haben allerdings mittlerweile in Teilen Erleichterungen bei den naturschutzrechtlichen Eingriffsregelungen eingeführt. Für Ersatzmaßnahmen wird noch gefordert, dass diese in der betroffenen Großlandschaft erfolgen (s. § 21 Abs. 2 S. 2 NatSchG). Großlandschaften fassen in Parallelwertung in der Laiensphäre mehrere aneinander grenzende Naturräume oder Teile davon zusammen4. Dass der Landesgesetzgeber solche Spielräume einräumt und somit für Ersatzmaßnahmen einen weiten räumlichen Umgriff eröffnet, begegnet in der Rechtsprechung keinen Bedenken5. Ob solche Regelungen noch naturschutzfachlichen Anforderungen ausreichend entsprechen, erscheint jedoch zweifelhaft. Der funktionelle Zusammenhang zum Eingriff wird bei Ersatzmaßnahmen nicht aufgehoben, wohl aber gelockert6. Ein funktioneller Zusammenhang erfordert immer noch begrifflich eine gewisse räumliche Nähe zum Eingriff, da er sonst die Beziehung zum Eingriff verliert. Diese Frage kann aber in dem hier relevanten Kontext offen bleiben, da auch bei einer weit gefassten Regelung für Ersatzmaßnahmen in jedem Fall Flächen benötigt werden. Der Umfang der Flächeninanspruchnahme wurde mittlerweile von Landesgesetzgebern reduziert. Nach § 21 Abs. 2 S. 4 NatSchG sollen die Ausgleichsund Ersatzmaßnahmen so gestaltet werden, dass die für den Eingriff in Anspruch genommene Fläche möglichst nicht überschritten wird. Der Gesetzgeber trug damit dem Umstand verstärkt Rechnung, dass landwirtschaftliche Betriebe sowohl durch das Vorhaben als auch durch die Kompensationsmaßnahmen betroffen werden. Gerade bei hochwertigen Lebensgemeinschaften vergehen oftmals längere Zeiträume, bis sich auf neu geschaffenen Ausgleichsflächen ein entsprechender Zustand einstellt (sog. „time-lag“). Es ist daher anzustreben, Ausgleichs- (wie auch Ersatz-)maßnahmen so zu konzipieren, dass gegenüber den Eingriffen eine Vorlaufzeit erreicht wird7. Bisher teilweise übliche Flächenzuschläge zum Ausgleich von Biotopwertigkeiten, wie einem hohen Alter etwa von Streuobstbeständen, für das sog „time-lag“ können durch die aktuelle Regelung somit entfallen und durch die Festsetzung einer Ausgleichsabgabe nach § 21 Abs. 5 NatSchG ersetzt werden8. Damit kann auch vermieden werden, dass nach Ablauf der Entwicklungszeit für eine Neuanpflanzung durch ___________ 3 4 5 6 7 8

Siehe Wagner, VBlBW 2006, 50. LT-Drs. BW 13/4768 S. 128. BVerwG NVwZ 1005, 581, 583 zu § 15 Abs. 5 S. 2 LNatSchG M-V. Siehe Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 53. EL 2008, BNatSchG § 19 Rdn. 17. Beck-Praxis der Kommunalverwaltung NatSchG BW § 21 Rdn. 30. Beck-Praxis der Kommunalverwaltung NatSchG BW § 21 Rdn. 31.

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die Flächenzuschläge nach der bisherigen Praxis eine Überkompensation entstehen kann9. Eine flächenmäßige Kompensation 1:1 reicht für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben aus, was gegenüber früheren Anforderungen von bis zu 1:3 eine deutliche Erleichterung bedeutet. Aber auch bei einer solchen 1:1-Vorgabe bleibt generell ein erheblicher Flächenbedarf bestehen. Ausschließlich sich auf die Erhebung von Ausgleichsabgaben zu beschränken, um das Flächenproblem zu lösen, ist rechtlich unzulässig. Eine Ausgleichsabgabe ist nach § 21 Abs. 5 NatSchG zu entrichten, soweit ein Eingriff nicht ausgleichbar oder in sonstiger Weise kompensierbar ist. Sie ist auch festzusetzen, wenn die Maßnahmen nach Absatz 2 nicht in angemessener Zeit zu einem vollständigen Ausgleich oder einer vollständigen Kompensation führen können. Insoweit besteht kein Wahlrecht für den Verursacher oder die Gestattungsbehörde zwischen Kompensationsmaßnahmen und Ausgleichsabgaben; die Kompensation in Natur hat stets Vorrang10. Durch die Schaffung von Ökokonten kann die Deckung des Flächenbedarfs für naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen erleichtert werden. Insbesondere kann schon frühzeitig eine entsprechende Flächenvorsorge betrieben werden.

III. Begriff des Ökokontos Das Ökokonto stellt ein umweltrechtliches Instrument mit „marktwirtschaftlichem Charakter“ dar. Auf internationaler, insbesondere auch auf europäischer Ebene, wurden in den letzten Jahren sog. Market Based Instruments („MBI“) für umwelt- und industriepolitische Ziele entwickelt11. Ein Beispiel für MBI ist das Habitat-Banking12, ein Handelsinstrument, das zuerst in den USA (in diesem Fall Wetland-Banking) im Zusammenhang mit Haftungsregelungen entwickelt worden ist. Spezielle Gesellschaften schaffen Feuchtland und verkaufen dann entsprechende Guthaben an Erschließer, die an anderen Stellen Flächen verbrauchen. Das Ökokonto hat in Deutschland Möglichkeiten geschaffen, mit Kompensationsmaßnahmen zu „handeln“. Ausdrücklich ist das Ökokonto zuerst gesetzlich in der Bauleitplanung verankert worden (kommunales Ökokonto). Die ___________ 9

Beck-Praxis der Kommunalverwaltung NatSchG BW § 21 Rdn. 47. Beck-Praxis der Kommunalverwaltung NatSchG BW § 21 Rdn. 48. 11 Siehe Grünbuch der Europäischen Kommission „Marktwirtschaftliche Instrumente für umweltpolitische und damit verbundene politische Ziele“ vom 28.3.2007 KOM (2007) Ratsdokument 8255/07 BT-Drs. 241/07. 12 Näher BT-Drs. 241/07 S.15. 10

Das Ökokonto in der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung

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Maßnahmen zum Ausgleich können bereits vor den Baumaßnahmen und der Zuordnung durchgeführt werden (§ 135a Abs. 2 S. 2 BauGB). Dadurch hat die Gemeinde u. a. die Möglichkeit, bereits im Vorgriff auf spätere Baugebietsfestsetzungen Maßnahmen zum Ausgleich durchzuführen und diese dann den neuen Baugebieten zuzuordnen13. Diese Vorgehensweise wird im Allgemeinen mit dem Begriff („Ansammeln“/„Abbuchen“) eines „Ökokontos“ bezeichnet14. Die Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen und der Zeitpunkt des kompensationsbedürftigen Eingriffs können so zeitlich entkoppelt werden. Durch die bessere Flächenverfügbarkeit konnte in der fachplanerischen Praxis die Kompensationsquote bis hin zu einer grundsätzlichen Vollkompensation erhöht werden15. Vollzugsdefizite bei Kompensationsmaßnahmen lassen sich so beheben16. Das sog. „time-lag“-Problem lässt sich durch ein Ökokonto umgehen17. Durch die frühzeitige Einstellung in ein Ökokonto kann der naturschutzfachliche Wert einer Maßnahme wachsen18. Das Ökokonto stellt eigentlich ein „Ökosparbuch“ dar. Ein negativer Saldo – entsprechend der vom Recht eingeräumten Möglichkeiten lediglich eines vorgezogenen, nicht aber eines nachträglichen Ausgleichs – ist nicht zulässig19. Es kann nur mit einem positiven Guthaben geführt werden. Eine „Kontoüberziehung“ ist nicht möglich. Mit einem Ökokonto können die Gemeinden eine sachgerechte („selbstständige“) Entwicklung von Ausgleichsmaßnahmen vornehmen, abgekoppelt, aber mit Blick auf künftige Baulandausweisungen. Das Ökokonto erlaubt einen langfristigen Grunderwerb und soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere kostengünstigere Lösungen begünstigen, d. h. insgesamt einen mittelbaren Anreiz für ökologische Ausgleichsmaßnahmen schaffen20. Aufgrund seiner großen Vorteile hat sich das Ökokonto mittlerweile in der kommunalen Planungspraxis mit hunderten Flächenpools sehr gut etabliert21. ___________ 13 Siehe Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 135a Rdn. 5; Stich, BauR 2003, 1308. 14 Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 88. EL 2008, § 135a Rdn. 10; s.a. OVG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 13.6.2002 – 1 C 11646/01. 15 Thum, UPR 2006, 289. 293. 16 Kothe, VBLBW 2007, 125, 126. 17 Kothe a.a.O. 18 Rohlf/Albers, Naturschutzgesetz Baden-Württemberg § 22 Rdn. 2. 19 Siehe S. 2 Merkblatt 3 der Naturschutzverwaltung Baden-Württemberg zum Ökokonto in der Bauleitplanung 6/2002 http://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/serv-let/is/ 6565/ 20 Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 88. EL 2008, § 135a Rdn. 10. 21 Vgl. Wagner, VBlBW 2006, 50 m.w.N.

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Die Führung eines Ökokontos durch die Gemeinde nimmt nicht das Abwägungsergebnis bei der Aufstellung eines Bebauungsplans vorweg. Verlangt wird bei der Durchführung der naturschutzrechtlichen Maßnahme, dass bereits eindeutig erkennbar ist, dass sie die Funktion eines an sich erst später erforderlich werdenden Ausgleichs wahrnimmt; diese Darlegung der künftigen Ausgleichsfunktionen kann durch eine entsprechende Begründung bei der Darstellung von Flächen für Natur und Landschaft im Flächennutzungsplan erfolgen, durch die Begründung des vorgezogenen Ausgleichsbebauungsplans geschehen, in einem in die Bauleitplanung einbezogen Landschaftsplan dokumentiert werden oder nach § 5 Abs. 2a BauGB durch Zuordnung von Flächen zum Ausgleich im Flächennutzungsplan, auf denen Eingriffe zu erwarten sind, erfolgen22. Grundsätzlich nicht ausreichend für eine Zuordnung nach §§ 9 Abs. 1a S. 2 und 135a Abs. 2 S. 1 BauGB ist eine Beschreibung des sachlichfunktionellen Zusammenhangs zwischen festgesetzten Ausgleichsmaßnahmen und Eingriffen im Plangebiet23. Auch kann ein entsprechender Zuordnungswille der Gemeinde nicht schon daraus hergeleitet werden, dass der sachlichfunktionelle Zusammenhang von Eingriffen und Ausgleichsmaßnahmen aus den Festsetzungen des Bebauungsplans hervorgeht24. Hat die Kommune im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses über einen Bebauungsplan, der Eingriffe in Natur und Landschaft erwarten lässt, die Vorstellung, die durch diesen und andere Bebauungspläne verursachten Eingriffe auf einer gemeindeeigenen Grundfläche zu gegebener Zeit auszugleichen, so liegt darin (allein) noch nicht der Fall sonstiger geeigneter Maßnahmen zum Ausgleich auf den von der Gemeinde bereitgestellten Flächen i. S. eines so genannten Ökokontos25. Die Kommune muss bereits bei Erlass des Bebauungsplanes eine Entscheidung treffen, auf welche Weise sie einen Ausgleich für zu erwartende Eingriffe in Natur und Landschaft schaffen will. Nicht zulässig ist es, eine Zuordnungsfestsetzung in einen Bebauungsplan erst zu einem späteren Zeitpunkt im Wege des Änderungsverfahrens einzufügen26. Denkbar sind auch Sammelzuordnungen27. Durch das kommunale Ökokonto soll es nicht möglich sein, in der Vergangenheit, d. h. vor In-Kraft-Treten der Gesetzesänderung (01.01.1998) durchgeführte Maßnahmen zugunsten des Naturschutzes nachträglich noch als Ausgleichsmaßnahmen „umzuwidmen“28. ___________ 22

Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 88. EL 2008, § 135a Rdn. 12. VGH Mannheim NVwZ-RR 2005, 649, 650. 24 VGH Mannheim a.a.O.; ebenso VGH Mannheim, Urt. vom 25.1.2008 – 5 S 210/07. 25 OVG Koblenz, Urt. vom 13.6.2002 – 1 C 11646/01. 26 VG Münster, Urt. vom 14.7.2006 – Az.: 3 K 3583/04. 27 BeckOK BauGB § 135a Stand 1.9.2008 § 135a Rdn. 8. 28 Siehe BT-Drs. 13/7589 S. 12. 23

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Für Eingriffe in Natur und Landschaft im Außenbereich bestand bislang nur die Möglichkeit, ein „privates“ Ökokonto einzurichten. Dazu schließt ein Unternehmen mit der Naturschutzbehörde einen Vertrag ab. In diesem verpflichtet sich die Behörde, die durch ein Flächen verbrauchendes Unternehmen in ein Ökokonto eingebrachten Maßnahmen im Rahmen künftiger Zulassungsverfahren als mögliche Kompensationsmaßnahmen anzuerkennen. Gegenstand des Vertrags muss dann auch die gemeinsame Festlegung von Bewertungsverfahren sein. Solche privatrechtlichen Verträge sind aber eher aufwändig. Sie erfordern die Regelung zahlreicher vollzugsrelevanter Details. Vorzugswürdig sind für alle Betroffenen einheitliche transparente verwaltungsrechtliche gesetzliche Vorgaben. Nach § 19 Abs. 4 BNatSchG können die Länder zu den Absätzen 1 bis 3 weitergehende Regelungen erlassen; insbesondere können sie Vorgaben zur Anrechnung von Kompensationsmaßnahmen treffen und vorsehen, dass bei zuzulassenden Eingriffen für nicht ausgleichbare oder nicht in sonstiger Weise kompensierbare Beeinträchtigungen Ersatz in Geld zu leisten ist (Ersatzzahlung). Damit wird den Ländern die Möglichkeit eingeräumt, das Folgenbewältigungsprogramm des Bundesrechts durch weitergehende Vorschriften insbesondere über die Anrechnung von Kompensationsmaßnahmen („Ökokonto; Flächenpool“) zu ergänzen. Das Bundesrecht verwendet zwar nicht ausdrücklich den Begriff des Ökokontos, lässt es aber zu. Vom Landesgesetzgeber ist jedoch zu fordern, dass nicht „irgendwelche“ vom Eingriffsverursacher vorgenommenen Maßnahmen des Naturschutzes bei späteren Eingriffen zur Anrechnung gelangen können, sondern nur solche Aktivitäten einer Anrechnung zugänglich sind, die mit Blick auf das jeweils zur Entscheidung stehende Eingriffsvorhaben als den Anforderungen des § 19 Abs. 2 BNatSchG genügende Naturalkompensationen angesehen werden können29. Von der Möglichkeit zur gesetzlichen Regelung von Ökokonten haben zahlreiche Bundesländer Gebrauch gemacht30. Darüber hinaus haben einige Bundesländer Durchführungsverordnungen erlassen31. Ökokontoregelungen haben in der fachplanerischen Praxis große Zustimmung sowohl bei öffentlichen als auch bei privaten Vorhabensträgern gefunden. In den betroffenen Verbänden war das Echo bislang differenziert. ___________ 29

Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 53. EL 2008, BNatSchG § 19 Rdn. 32. U.a. § 22 LNatSchG BW; § 30 LNatSchG SL; § 11 LNatSchG RLP; § 20 LNatSchG LSA; § 12 Abs. 6 LNatSchG SH; § 5a LG NRW; § 14b BLN; § 14 NatSchG Bbg. 31 U.a. ÖkokontoVO NRW vom 18.4.2008; ÖkokontoVO SH vom 23.5.2008; ÖkokontoVO LSA vom 1.1.2005; in Baden-Württemberg liegt ein Entwurf für eine Rechtsverordnung vor, die in Kürze in Kraft treten soll (s. www.mlr.baden-wuerttem-berg.de/ mlr/oekokonto/oekokonto.pdf). 30

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Trotz grundsätzlicher prinzipieller Zustimmung haben z.T. Naturschutzverbände Kritik an Ökokontoregelungen geäußert. Als problematisch wird gesehen, dass Maßnahmen als Kompensationsmaßnahme anerkannt werden, die auch auf anderem Wege durchzuführen wäre. Befürchtet wird, dass auf der einen Seite Eingriffe durchgeführt werden, auf der anderen Seite aber durch Kompensation kein ausreichender Ausgleich erzielt werde, so dass die Gesamtbilanz unterm Strich negativ ausfalle32. Als Gefahr wird gesehen, dass die Tendenz verstärkt werde, dass sich die öffentliche Hand aus der Finanzierung des Naturschutzes zurückziehe und Naturschutz nur noch als Kompensation stattfinde33. Diese Kritik trifft dann zu, wenn Naturschutzbehörden verfrüht nur noch Ökokontoflächen zum Ausgleich heranziehen bzw. Vorhabensträger sich bei der Durchführung von Eingriffen nur noch auf Ökokontomaßnahmen beziehen. Ob ein Rückzug aus dem staatlichen Naturschutz stattfindet, ist eine politische Entscheidung, die durch Ökokontoregelungen nicht direkt beeinflusst wird. Sofern der staatliche Naturschutz weiterhin über Gelder verfügen kann und gleichzeitig (private) Vorhabensträger Flächen für ökokontofähige Flächen aufwerten, kann insgesamt sogar eine Zunahme von für den Naturschutz wertvollen Flächen erreicht werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn nicht alle geschaffenen ökokontofähigen Maßnahmen tatsächlich Eingriffen zugeordnet werden. Die landwirtschaftlichen Berufsverbände begrüßen Ökokontoregelungen, da so der Flächenverbrauch eingedämmt werden kann34.

IV. Anforderungen an eine gesetzliche Ökokontoregelung Eine praxistaugliche Ökokontoregelung muss folgende Anforderungen erfüllen: 1. Attraktivität für Vorhabensträger

Das Ökokonto ist attraktiv für zahlreiche Vorhabensträger. Dies sind zum einen Gemeinden, die neue Flächen für Wohnen oder Gewerbe schaffen möch___________ 32

Stellungnahme von BUND, NABU und LNV Baden-Württemberg vom 15.08.2006 zum Entwurf der ÖkokontoVO BW vom 30.6.2006 www.lnv-bw.de/ pdf_stellung/oekokonto06.pdf. 33 Stellungnahme des LNV, NABU Baden-Württemberg vom 10.2.2009 zum Entwurf der ÖkokontoVO BW vom 26.11.2008 www.lnv-bw.de/stellungnahmen_archiv/stell090210-oekokonto.pdf. 34 Stellungnahme des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands vom 18.12.2008 zum Entwurf der ÖkokontoVO BW vom 14.11.2008 www.blhv.de/presse/download/bbd/2008/bbd_30-08.pdf.

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ten. Zum anderen bietet sich das Ökokonto an für Träger von Verkehrsinfrastrukturprojekten für Bahn oder Straße, die einen sehr hohen Flächenverbrauch haben. Attraktiv ist das Ökokonto vor allem auch für private Unternehmen, die langfristig investieren. Dies sind insbesondere Kiesabbauunternehmen. Kiesabbauvorhaben stellen große Eingriffe in Natur und Landschaft dar. Da eine Kiesgrube üblicherweise über mehrere Jahrzehnte abgebaut wird und die Unternehmen in langen Zeithorizonten kalkulieren, besteht gerade in dieser Branche ein großes Interesse an Ökokontoregelungen, um eine vorausschauende Flächenpolitik zu betreiben35. 2. Flexibilität/Vermeidung starrer Bewertungsmodelle Ein Ökokonto darf nicht zur Beliebigkeit beim Ausgleich von Eingriffen in Natur und Landschaft führen. Es müssen die einschlägigen anerkannten fachlichen Standards eingehalten werden. Grundsätzlich müssen Flächen nach dem BNatSchG aufwertungsbedürftig und aufwertungsfähig sein36. Die Ausnahme z.B. von hochwertigen landwirtschaftlichen Flächen ist daher kritisch zu sehen37. Solche intensiv mit oft negativen Umweltfolgen genutzten Flächen sind besonders aufwertungsfähig. Andererseits gibt es gerade bei solchen Flächen ein hohes Konfliktpotential mit den Landwirten. Für das kommunale Ökokonto bestehen bislang keine gesetzlichen Regelungen mit der strikten Vorgabe bestimmter Bewertungssysteme. Eine verbindliche gesetzliche Regelung ist auch praktisch kaum leistbar. Natur und Landschaft entziehen sich aufgrund ihrer Komplexität klaren Gesetzesvorschriften. Es reichen Arbeitshilfen38 bzw. die Einhaltung allgemein fachlich anerkannter Methoden aus. Folgerichtig liegen daher auch für das kommunale Ökokonto bislang lediglich Handlungsempfehlungen vor, die die Praxis prägen39.

___________ 35

So unterstützt z.B. der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg e.V. (ISTE) ausdrücklich ein Ökokonto im Außenbereich www.iste.de. 36 St. Rspr. u.a. BVerwG NuR 1997, 87; BVerwG NVwZ 1999, 532. 37 So aber § 2 Abs. 3 S. 1 ÖkokontoVO HE; § 2 Abs. 4 S. 1 Entwurf der ÖkokontoVO BW vom 14.11.2008. 38 Z.B. Arbeitshilfen der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung www.la-na.de. 39 Z.B. die entsprechenden in Baden-Württemberg eingeführten Empfehlungen für die Bewertung von Eingriffen in Natur und Landschaft in der Bauleitplanung sowie Ermittlung von Art und Umfang von Kompensationsmaßnahmen sowie deren Umsetzung vom Oktober 2005 www.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/12720/.

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Wegen des fehlenden nahen funktionalen Zusammenhangs zum Eingriff ist das Ökokonto zumeist nur für Ersatzmaßnahmen nach § 19 Abs. 2 S. 3 BNatSchG geeignet40. Bei der Einführung von Vorschriften für die Ökokonten im Außenbereich sind die Landesgesetzgeber verschieden vorgegangen. Die bundesgesetzliche Regelung des § 19 BNatSchG enthält keine verbindlichen Bewertungsmodelle. Ein denkbarer Weg zur Schaffung einheitlicher Standards in einem Bundesland sind Zertifikatsysteme wie in Brandenburg, nach denen regionale Flächenpools zertifiziert werden können41. Einige Bundesländer haben detaillierte Bewertungsmodelle gesetzlich verankert. Andere haben darauf verzichtet und sich auf eine Grundsatzregelung beschränkt, die nach den allgemeinen fachlichen Standards in der Praxis auszufüllen ist. So genügt es nach § 14b NatSchG Bln für die Anerkennung im Ökokonto, wenn von den Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege dauerhaft günstige Wirkungen auf die weitere Entwicklung von Natur und Landschaft ausgehen. § 11 NatSchG RlP verlangt nur allgemein Maßnahmen, die zur Verbesserung der Funktionen von Natur und Landschaft durchgeführt werden (Aufwertungsmaßnahmen). Das Ökokonto ist dort auch nicht notwendigerweise an Verwaltungsgrenzen gebunden, sondern kann auch über solche Grenzen hinaus gemeinsam geführt werden42. Auch nach § 30 Abs.1 NatSchG Sl reichen allgemein Maßnahmen aus, die die Funktionen und Werte des Naturhaushalts wesentlich und dauerhaft verbessern. Auf den Erlass weiterer detaillierter Rechtsverordnungen mit einem genauen Bewertungsmodell wurde dort verzichtet. Im Gegensatz dazu sieht z.B. der aktuelle Entwurf für eine ÖkokontoVO BW vom November 200843 in der Anlage 1 eine abschließende und verbindliche, nach den Schutzgütern Biotope, Wasser und Boden gegliederte Auflistung von Maßnahmen vor, die in das naturschutzrechtliche Ökokonto aufgenommen werden können. Da andererseits in Baden-Württemberg im NatSchG sonst kein verbindliches Bewertungsmodell besteht, stellt diese Vorgehensweise eine erhebliche Einschränkung dar. Für einen Vorhabensträger schmälert dies erheblich die Attraktivität eines Ökokontos, da er dann nach Möglichkeit weiterhin den Weg über „klassische“ Kompensationsmaßnahmen geht, die alle allgemein fachlich anerkannten Maßnahmen einschließt und flexibler gehandhabt werden kann. Rein rechnerische Bewertungsmodelle sind kritisch zu sehen, da diese die ökologische Wirklichkeit oft nicht ausreichend widerspiegeln44. Erforderlich ___________ 40

Wagner, VBlBW 2006, 50, 55; Rohlf/Albers, Naturschutzgesetz Baden-Württemberg § 22 Rdn. 4. 41 http://www.mluv.brandenburg.de/cms/detail.php/lbm1.c.371054.de. 42 Beck-Praxis der Kommunalverwaltung RLP § 14 NatSchG RLP Rdn. 1. 43 www.mlr.baden-wuerttemberg.de/mlr/oekokonto/oekokonto.pdf. 44 Wagner, VBlBW 2006, 50, 58 m.w.N.

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kann auch eine verbal-argumentative Auseinandersetzung mit der ökologischen Situation im Eingriffsgebiet sein. Die schematische Anwendung von „Biotopwertverfahren“, die in der allgemeinen Eingriffsregelung z.T. als fehlerhaft angesehen wird45, in zahlreichen landesgesetzlichen Regelungen ist daher problematisch. Für rechnerische Bewertungsmodelle spricht aber die einfachere Handhabung. Auch wird so die Handelbarkeit erleichtert. Dagegen spricht aber, dass kein rechnerisches Bewertungsmodell tatsächlich die realen Verhältnisse sicher abbilden kann. Es entsteht so der Eindruck einer „Scheingenauigkeit“. Insgesamt sind flexible Vorgaben vorzugswürdig. So kann es genügen, wenn die ökokontofähigen Maßnahmen nicht im Detail abschließend und verbindlich aufgeführt werden, sondern nur „insbesondere“46. Zumindest ist so ein ähnlicher Maßstab für die allgemeine Kompensation und das Ökokonto gewährleistet. Sinnvoll ist es, wenn wie in Nordrhein-Westfalen vor Ort von der zuständigen unteren Naturschutzbehörde ein Bewertungsverfahren eingeführt wird und dieses regionalen Besonderheiten angepasst werden kann47. Durch die untere Naturschutzbehörde kann gewährleistet werden, dass ein praktikables Verfahren mit nicht zu hohen „abgehobenen“ fachlichen Anforderungen eingeführt wird. Gesetzliche Vorgaben schränken unnötig ein, wenn naturschutzfachlich allgemein anerkannte Maßnahmen nicht anerkannt werden. Gelten verschiedene Bewertungsmodelle, erschwert dies die Ausführung von Maßnahmen über die Grenzen von Bundesländern hinweg. Sinnvoller ist es, wenn es ausreicht, dass allgemein anerkannten fachlichen Standards entsprochen wird. 3. Maßnahmen ohne gesetzliche Verpflichtung Nicht ökokontofähig in der Bauleitplanung sind Maßnahmen, zu deren Vornahme eine gesetzliche Verpflichtung besteht48. Gleiches gilt auch bei naturschutzrechtlichen Ökokonten und ist dort in der Regel auch ausdrücklich geregelt49. Es darf auch keine Doppelverrechnung von Maßnahmen für zwei verschiedene Eingriffe stattfinden.

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BVerwG NVwZ 1997, 1215; Krautzberger NuR 1998, 459. § 3 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 2 ÖkokontoVO HE. § 3 Abs. 2 S. 1 und 2 LG NRW. Wagner, VBlBW 2006, 50, 57. So § 3 Abs. 1 S.1 ÖkokontoVO HE.

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4. Abstimmung mit Ökokonto in der Bauleitplanung Für die Akzeptanz des Ökokontos ist es problematisch, wenn das Ökokonto für den Außenbereich nicht voll kompatibel mit dem kommunalen Ökokonto ist. Da dieses näher gesetzlich nicht ausgestaltet ist, kann es Widersprüche zum anderen Ökokonto geben, wenn für dieses ein enges Bewertungsmodell gesetzlich vorgegeben wird. Für eine Gemeinde kann es sinnvoll sein, generell Flächen „anzusparen“ und diese je nach Bedarf für eine eigene Bauleitplanung oder für die Kompensation eines anderweitigen Eingriffs an einen anderen Vorhabensträger weiterzugeben. Gerade die Handelbarkeit kann die Attraktivität eines Ökokontos ausmachen. Werden für ein Ökokonto enge Bewertungsvorgaben gemacht, so führt dies zu Akzeptanzproblemen bei Kommunen, die sich gegen eine gegenseitige Anrechenbarkeit aussprechen. Diese befürchten, dass diese engen Rahmenbedingungen auch auf ihre eigenen Ökokonten übertragen werden. Es gibt daher in einigen Bundesländern wie z.B. in BadenWürttemberg Widerstand von kommunalen Spitzenverbänden gegen eine gegenseitige Anrechenbarkeit von Maßnahmen aus den beiden Arten der Ökokonten. Fraglich ist, welches Ökokonto anzuwenden ist, wenn ein Bebauungsplan eine Planfeststellung ersetzt, wie dies z.B. nach § 17b Abs. 2 S. 1 FStrG möglich ist50. Nach § 21 Abs. 2 S. 2 BNatSchG bleibt für Bebauungspläne, die eine Planfeststellung ersetzen, die Geltung der Vorschriften über die Eingriffsregelung unberührt. Damit gelten auch die Regelungen für das naturschutzrechtliche Ökokonto bei solchen Bebauungsplänen51. Dies bedeutet, dass für ein und dasselbe Straßenvorhaben, je nachdem, ob es planfestgestellt wird, oder ein ersetzender Bebauungsplan erlassen wird, verschiedene Ökokontoregelungen gelten. Eine Verknüpfung des naturschutzrechtlichen mit dem baurechtlichen Ökokonto ist bislang vielfach nicht befriedigend gelöst52. Kommunen und Genehmigungsbehörden sollten ein Ökokonto gemeinsam nutzen können. Einzelne Landesgesetzgeber lassen die einseitige Anrechnung von Maßnahmen aus dem kommunalen Ökokonto zu, wenn die Vorgaben des landesgesetzlichen Ökokontos erfüllt sind53. Andere Bundesländer haben das Verhältnis ___________ 50 Näher dazu Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 38 Rdn. 10; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 88. EL 2008, § 38 Rdn. 133 f.; Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, 53. EL 2008, BNatSchG § 21 Rdn. 12. 51 So ausdrücklich § 10 Abs. 1 S. 2 ÖkokontoVO NRW. 52 Vgl. Kothe a.a.O. 53 § 9 ÖkokontoVO LSA.

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zum Baurecht nicht ausdrücklich geregelt54 oder nehmen Maßnahmen nach § 135a BauGB vom Anwendungsbereich des landesgesetzlichen Ökokontos ausdrücklich aus55. Wenn die jeweilige landesgesetzliche Regelung kein enges Bewertungsmodell vorgibt, wirft die Anrechnung von Maßnahmen aus einem kommunalen Ökokonto keine besonderen Probleme auf. Gegen eine Zuordnung von Maßnahmen aus einem landesgesetzlichen Ökokonto für einen Bebauungsplan bestehen keine Bedenken. Das kommunale Ökokonto stellt keine eingeschränkten fachlichen und gesetzlichen Anforderungen an eine Maßnahme. Insbesondere wird kein besonderes Bewertungsmodell vorgegeben. Der Gemeinde muss nur der tatsächliche Zugriff ermöglicht werden. Zur Klarstellung kann auch ausdrücklich gesetzlich geregelt werden, dass Kompensationsmaßnahmen eines naturschutzrechtlichen Ökokontos für die Ausgleichsverpflichtung gemäß § 1a BauGB durch die Gemeinde in Anspruch genommen werden können56. 5. Handelbarkeit Ein Ökokonto muss auch von Stellen, die nicht Träger der Ökokontomaßnahme gewesen sind, genutzt werden können. Dies verlangt, dass die Maßnahmen handelbar sind. Im baurechtlichen Ökokonto ist die Handelbarkeit nicht ausdrücklich geregelt, wird aber in der Praxis zwischen benachbarten Kommunen so gehandhabt. Der Wortlaut von § 9 Abs. 1a BauGB lässt es zu, den Ausgleich in einem Bebauungsplan einer anderen Gemeinde durchzuführen57. Die landesgesetzlichen Regelungen für das naturschutzrechtliche Ökokonto sehen zumeist die Handelbarkeit vor58. Der Wertsteigerung von frühzeitig eingestellten Maßnahmen und Flächen kann durch eine Zinsregelung Rechnung getragen werden59. Sinnvoll ist die Schaffung geeigneter Einrichtungen, die regional bzw. landesweit Flächen vermitteln, wie z.B. die in Brandenburg erfolgreichen Flächenagenturen60.

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§ 30 LNatSchG SL. § 10 Abs. 1 S.1 ÖkokontoVO NRW. § 10 Abs. 2 S.1 ÖkokontoVO NRW. Wagner, VBlBW 2006, 50, 54. Z.B. § 8 ÖkokontoVO LSA. § 5 Entwurf der ÖkokontoVO BW vom 14.11.2008. http://www.flaechenagentur.de.

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6. Sicherung der Ökokontoflächen Notwendig ist eine dauerhafte rechtliche Sicherung der Flächen für Ökokontomaßnahmen. Anders können sie nicht langfristig ihren Zweck erfüllen, wenn jederzeit eine anderweitige Nutzung der Flächen droht. Im Bauplanungsrecht wird ein Mindestmaß an rechtlicher Bindung der planenden Gemeinde verlangt. Dieses soll verhindern, dass die Gemeinde sich von einseitigen Erklärungen, die eine bestimmte Kompensation in Aussicht stellen, im Nachhinein wieder lossagt oder von ihr zunächst zum Ausgleich bereit gestellte Flächen wieder zurückzieht. Es ist daher erforderlich, dass sich die für den Ausgleich vorgesehene Fläche im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses im Eigentum der Gemeinde befindet oder in sonstiger Weise zumindest ein zeitlich unbefristetes Verfügungsrecht der Gemeinde über diese Fläche gesichert ist61. Folgerichtig verlangen Landesgesetzgeber beim naturschutzrechtlichen Ökokonto ausdrücklich eine Sicherung der Flächen, wenn diese einem Eingriff zugeordnet werden sollen, z.B. durch Erwerb, Dienstbarkeit oder Reallast62. 7. Verfahren Für ein Ökokonto muss eine kontoführende Stelle bestimmt werden. Im bisherigen kommunalen Ökokonto sind dies die Kommunen selbst. Denkbar ist auch die Führung durch eine Naturschutzbehörde im Auftrag der Gemeinde. Gesetzliche Vorgaben über die kontoführende Stelle gibt es beim kommunalen Ökokonto nicht. Beim naturschutzrechtlichen Ökokonto sehen die Landesgesetzgeber die Zuständigkeit der Naturschutzbehörden für die Führung von Kompensationsflächenregistern, Zentralregistern, Flächenverzeichnissen o.ä. vor63. Die Zuordnung von Ökokontomaßnahmen als Kompensationsmaßnahme zu einem konkreten Eingriff erfolgt i.d.R. durch die Zulassungsbehörde für den Eingriff unter Mitwirkung der Naturschutzbehörde64. Dies entspricht der „Hucke-Pack-Regelung“ bei der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung. Diese ist im jeweiligen Zulassungsverfahren durch die zuständige Behörde im Benehmen mit der Naturschutzbehörde abzuarbeiten (§ 20 Abs.2 BNatSchG). ___________ 61 62 63 64

OVG Münster, Urt. vom 19.4.2007 – Az.: 7 D 3/06 m.w.N. § 7 ÖkokontoVO LSA; § 22 Abs. 1 Nr. 3 NatSchG BW. § 3 ÖkokontoVO LSA, § 4 ÖkokontoVO HE. § 3 Abs. 4 ÖkokontoVO HE, § 6 ÖkokontoVO LSA.

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Eine Regelung, die einen hohen zusätzlichen Personalaufwand bei den Naturschutzbehörden verursacht, wird aber nur einen geringen positiven Effekt in der Praxis haben. Ein Ökokonto muss vollzugsfähig sein. Gerade bei Naturschutzbehörden ist in den letzten Jahren erheblich Personal abgebaut worden. Dass die Einführung von Ökokonten höhere Personalzuweisungen an die Naturschutzbehörden zur Folge haben wird, ist kaum zu erwarten.

V. Regelung durch den Bundesgesetzgeber Sinnvoll wäre eine nähere Regelung durch den Bundesgesetzgeber, die aktuell in der Diskussion ist. Dazu ist eine Novellierung des BNatSchG beabsichtigt. Nach Scheitern des Umweltgesetzbuches (UGB) ist u.a. eine Neufassung des BNatSchG in Ausübung der durch die Föderalismusreform in Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG neu geschaffenen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für den Naturschutz vorgesehen65. Nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG können die Länder durch Gesetz hiervon mit Ausnahme eines „abweichungsfesten Kerns“ abweichende Regelungen treffen. Das Abweichungsrecht der Länder besteht aber nicht bei den allgemeinen Grundsätzen des Naturschutzes, zu denen u.a. die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung gehört66. Zulässig sind aber bundesnaturschutzrechtliche Regelungen, die ausdrücklich eine weitere Ausgestaltung durch den Landesgesetzgeber vorsehen. Nach § 16 Abs. 1 des Gesetzesentwurfs67 vom 11.3.2009 sind unter bestimmten Voraussetzungen Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege, die im Hinblick auf zu erwartende Eingriffe durchgeführt worden sind, als Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen anzuerkennen. Nach § 16 Abs. 2 BNatSchG des Entwurfs soll die Bevorratung von vorgezogenen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen mittels Ökokonten, Flächenpools oder anderer Maßnahmen, insbesondere die Erfassung oder Buchung vorgezogener Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen in Ökokonten, deren Genehmigungsbedürftigkeit und Handelbarkeit sowie der Übergang der Verantwortung auf Dritte, die vorgezogene Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen durchführen, sich nach Landesrecht richten. Sollte diese Neufassung des BNatSchG tatsächlich Gesetzeskraft erlangen, so wäre dies ein erheblicher Fortschritt. Es würde ein einheitlicher bundesweiter rechtlicher Rahmen für Ökokonten geschaffen werden. Ob ___________ 65

http://www.bmu.de/pressemitteilungen/aktuelle_pressemitteilungen/pm/43413.php. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, 257; Beck-OK GG Stand 1.10.2008 Art. 74 Rdn. 103.1. 67 http://www.bmu.de/gesetze_verordnungen/bmu-downloads/doc/43412.php. 66

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dieses Gesetzesvorhaben in der aktuellen 16. Legislaturperiode noch gelingt, erscheint aber zweifelhaft.

VI. Fortentwicklung des Ökokontos Das naturschutzrechtliche Ökokonto stellt ein mittlerweile bewährtes Instrument für die naturschutzrechtliche Kompensation dar. Einerseits darf es nicht zur Beliebigkeit bei der Abarbeitung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung kommen. Andererseits darf sein Einsatz nicht durch zu restriktive Bewertungsmodelle erschwert werden. Notwendig ist die Möglichkeit der wechselseitigen Anrechenbarkeit mit Maßnahmen aus dem baurechtlichen Ökokonto. Die sehr unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern bedürfen einer Harmonisierung. Da gerade auch die länderübergreifende Anrechnungsmöglichkeit von Maßnahmen sinnvoll ist, ist eine bessere Abstimmung der landesgesetzlichen Regelungen wünschenswert. Dies könnte in ähnlicher Weise erfolgen wie seinerzeit bei der bundesweiten Abstimmung der Landesbauordnungen mit einem Musterentwurf. Einen erheblichen Fortschritt würde auch die Schaffung einer einheitlichen Regelung im zu novellierenden BNatSchG bedeuten.

Verzeichnis der Autoren Dr. Karsten Baumann, Referatsleiter, Luftfahrt-Bundesamt, Braunschweig Michael Bayr, Referatsleiter Luftfahrt, Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung des Landes Brandenburg, Potsdam Dr. Dr. Wolfgang Durner, Univ.-Prof., LL.M., Universität Bonn Dr. Annette Guckelberger, Univ.-Prof., Universität des Saarlandes, Saarbrücken Dr. Dirk Herrmann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Rechtsanwälte Deubner & Kirchberg, Karlsruhe Dr. Nikolaus Herrmann, Prof., Leiter des Aufbaustabs für das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, Langen Dr. Ulrich Hösch, Prof., Rechtsanwalt, Rechtsanwälte Gronefeld, Thoma & Kollegen, München Dr. Alexander Jannasch, Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig Dr. Tobias Lieber, Rechtsanwalt, Rechtsanwälte Wurster Wirsing Schotten, Freiburg i.Br. Dr. iur. Hans Walter Louis, Prof. h.c. mult., LL.M. (UC Los Angeles), Honorarprofessor an der Leibniz Universität Hannover und der Technischen Universität CaroloWilhelmina zu Braunschweig. Bis November 2007 Leiter des Referats „Naturschutzrecht, Eingriffsregelung, Umweltverträglichkeitsprüfung, Zugang zu Umweltinformationen“ im Niedersächsischen Umweltministerium Dr. Regine Rausch-Gast, Referatsleiterin, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Berlin Dr. Alexander Schmidt, Prof., Hochschule Anhalt, Bernburg Thomas Seegmüller, Regierungsdirektor, Eisenbahn-Bundesamt Zentrale, Bonn Holger Steenhoff, Stellvertretender Leiter des Dezernates Ländlicher Raum beim Landratsamt Ortenaukreis, Offenburg Dr. Ulrich Storost, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig Dr. Bernhard Stüer, Prof., Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Münster