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German Pages 330 Year 2014
Schriftenreihe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
Band 223
Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2013 Vorträge auf den Fünfzehnten Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 6. bis 8. März 2013 an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
Herausgegeben von
Jan Ziekow
Duncker & Humblot · Berlin
JAN ZIEKOW (Hrsg.)
Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungsund Umweltrechts 2013
Schriftenreihe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Band 223
Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2013 Vorträge auf den Fünfzehnten Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 6. bis 8. März 2013 an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
Herausgegeben von Jan Ziekow
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 2197-2842 ISBN 978-3-428-14381-8 (Print) ISBN 978-3-428-54381-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84381-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Der vorliegende Band fasst die Vorträge zusammen, die auf dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag am 6. März 2013 und den Fünfzehnten Speyerer Planungsrechtstagen vom 7. bis 8. März 2013 an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer gehalten wurden. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltungen waren Vertreterinnen und Vertreter aller Ebenen der Verwaltung, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Rechtsanwaltschaft, von Vorhabensträgern, der Wirtschaft und der Wissenschaft. Meiner Sekretärin, Frau Ruth Nothnagel, danke ich für die sachkundige Formatierung auch dieses Tagungsbandes. Darüber hinaus gebührt meinem Assistenten, Herrn Dr. Alfred Debus, Dank für die Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagungen. Speyer, im Dezember 2013
Jan Ziekow
Inhaltsverzeichnis Neue Regeln für die Anlage, den Betrieb und die Änderung von Flughäfen (EASA-Rulemaking) Von Stefanie Thörner und Achim Goldmann, Düsseldorf ....................................
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Lärmschutz in der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung – Alles neu nach Berlin-Schönefeld? Von Lisa Teichmann, Berlin ................................................................................ 27 Die UVP-Plicht der Änderung von Flughäfen Von Ulrich Hösch, München ............................................................................... 49 Fluglärm auf europäischen Flughäfen: Die neue Verordnung über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen Von Guido Kleve, Köln .......................................................................................
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Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Flughafenplanung Von Alexander Jannasch, Leipzig ..................................................................... 103 Erfahrungen und Probleme der grenzüberschreitenden Planfeststellung am Beispiel der Festen Fehmarnbeltquerung Von Stephan Siegert, Kopenhagen ..................................................................... 117 Die Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes in der 17. Legislaturperiode Von Matthias Sauer, Berlin ................................................................................ 131 Das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht als Instrument zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren Von Heribert Schmitz, Berlin ............................................................................. 151
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Inhaltsverzeichnis
Das neue System der Energienetzplanung – verfassungsrechtliche und planungsrechtliche Grundfragen und weiterer Handlungsbedarf Von Georg Hermes, Frankfurt am Main ............................................................ 161 Die „Bundesfachplanung“ im NABEG – Dogmatischer Standort, Bindungswirkung, Prüfprogramm und infrastrukturpolitische Modellfunktion Von Wolfgang Durner, Bonn ............................................................................. 185 Ausblick auf die Bundesfachplanung Von Stefan Drygalla-Hein, Bonn ....................................................................... 207 Erfahrungen aus der Öffentlichkeitsbeteiligung beim Netzausbau Von Kim Paulus und Sonja Noske, Bonn ........................................................... 225 Das energierechtliche Planfeststellungsverfahren am Beispiel von Hochspannungs- und Gasversorgungsleitungen Von Andreas Geiger, München ........................................................................... 233 Die Existenzgefährdung landwirtschaftlicher Betriebe im Lichte der Rechtsprechung und Praxis Von Rolf Rockitt, Hannover ................................................................................ 255 Inhalte von planungsrechtlichen Entscheidungen im Eisenbahnrecht – Betriebsregelungen Von Madeleine Hampel, Bonn ........................................................................... 269 Konkurrierende Behördenzuständigkeiten nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens Von Christoph Fischer, Potsdam ........................................................................ 303 Verzeichnis der Autoren ........................................................................................... 329
Neue Regeln für die Anlage, den Betrieb und die Änderung von Flughäfen (EASA-Rulemaking)1 Von Stefanie Thörner und Achim Goldmann Bis zum 31.12.2013 sollen von der Europäischen Kommission neue Bestimmungen zur Betriebssicherheit auf Flugplätzen in der Europäischen Union erlassen werden. Die Umsetzungsfristen für die betroffenen Flugplätze bzw. Flugplatzbetreiber und Aufsichtsbehörden in den Mitgliedstaaten betragen bis zu 4 Jahre. Der vorliegende Beitrag soll einen ersten Überblick bieten und kurz einige Fragen beleuchten, die sich im Rahmen der Umsetzung bzw. Anwendung der neuen europäischen Vorgaben für das deutsche Luftverkehrsrecht – insbesondere hinsichtlich der Zulassung von Flugplätzen – stellen. Die Betrachtung richtet sich vorrangig auf die neuen Anforderungen an die zuständigen Luftverkehrsbehörden.
I. Hintergrund und System der neuen EU-Vorgaben Für die Union ergibt sich die Kompetenz zur Regulierung der „Betriebssicherheit“ (safety) im Luftverkehr aus Art. 100 Abs. 2 AEUV. Sie verfolgt hierzu ein umfassendes „Gesamtsystemkonzept“, welches alle relevanten Elemente bzw. Leistungserbringer in der zivilen Luftfahrt erfassen und für ein einheitliches hohes Maß an Betriebssicherheit im Verkehrsgeschehen sorgen soll. Einbezogen sind z.B. die Bereiche Luftfahrzeuge, technische Produkte, Piloten, Besatzung, technisches Personal, flugmedizinische Untersuchungen, Flugsicherungsdienste und Flugverkehrsmanagement. Gestützt auf die vorgenannte primärrechtliche Ermächtigung bestimmt die VO (EG) Nr. 216/20082, dass die Kommission in ihren Maßnahmen zur Schaf___________ 1
Aktualisierte und ergänzte schriftliche Fassung des Vortrags zum Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 6.3.2013. Die Referenten sind im Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen tätig. 2 Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für Flugsicherheit, zur Aufhebung der Richtlinie 91/670/EWG des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 und der Richtlinie 2004/36/EG, ABl. (EG) L 79/1 v. 19.3.2008.
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fung und Erhaltung eines hohen Sicherheitsniveaus im Luftverkehr von der im Jahr 2002 gegründeten Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) unterstützt wird. Der Agentur werden vom Verordnungsgeber zu diesem Zweck Aufgaben im Bereich der vorbereitenden Rechtsetzung (Stellungnahmen mit Regelungsentwürfen) sowie administrative Entscheidungsbefugnisse zugewiesen3. Mit der VO (EG) Nr. 1108/20094 zur Änderung der VO (EG) Nr. 216/2008 in Bezug auf Flugplätze wurden auch diese als wichtige zentrale Faktoren für die Betriebssicherheit in der zivilen Luftfahrt dem umfassenden Regulierungsansatz der Union unterworfen. 1. Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 216/2008 Betroffen von dieser Ausdehnung des Gesamtsystemkonzepts sind gemäß Art. 4 Abs. 3a VO (EG) Nr. 216/20085 Flugplätze innerhalb der EU, ‒ die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind, ‒ die für den gewerblichen Flugbetrieb genutzt werden, ‒ an denen Instrumentenan- oder -abflug stattfindet und ‒ die eine befestigte Start- und Landebahnlänge von mindest. 800 m (oder mehr) aufweisen oder nur Hubschrauberverkehr abwickeln. Nach Absatz 3b dieser Vorschrift können sich die Mitgliedstaaten entscheiden, Flugplätze von den Anforderungen der VO (EG) Nr. 216/2008 und ihrer Durchführungsbestimmungen freizustellen, wenn diese nicht mehr als 10.000 Fluggäste p.a. abfertigen und im Frachtverkehr nicht mehr als jährlich 850 Flugbewegungen aufweisen. In der Bundesrepublik Deutschland fallen gegenwärtig wohl um die 40 Flugplätze in den Anwendungsbereich der Verordnung. Die Kommission will zur gegebenen Zeit über eine Ausdehnung der neuen Vorschriften auf die Bereiche des Freizeitflugverkehrs bzw. des gesamten gewerblichen Luftverkehrs entscheiden6. ___________ 3
s. Art. 17 u. 18 VO (EG) Nr. 216/2008. Verordnung (EG) Nr. 1108/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 in Bezug auf Flugplätze, Flugverkehrsmanagement und Flugsicherungsdienste sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2006/23/EG, ABl. (EU) L 309/51 v. 24.11.2009. 5 Hier wie im Folgenden: VO (EG) Nr. 216/2008 in der durch die VO (EG) Nr. 1108/2009 geänderten Fassung. 6 s. Erwägungsgrund (6) zur VO (EG) Nr. 216/2008. 4
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2. Wesentlicher Inhalt Zentrale Vorschrift für Flugplätze ist Art. 8a VO (EG) Nr. 216/2008. Hierin wird die Einhaltung sog. „grundlegender Anforderungen“, die sich aus Anhang Va (und ggf. Vb) zur Verordnung ergeben, verlangt. Es handelt sich hierbei um qualitative Eigenschaften für Flugplätze, ihren Betrieb und ihre sicherheitsrelevante Ausrüstung, welche die Unfallgefahr bei den Verkehrsvorgängen begrenzen sollen. Regelungsgegenstand sind insbesondere die physischen Merkmale des Flugplatzes bzw. die Verkehrsinfrastruktur sowie die Betriebsorganisation und -leitung bzw. die (interne) Kontrolle des Betreibers. Erforderlich ist weiterhin die behördliche Erteilung eines Zeugnisses für den Flugplatz bzw. den Flugplatzbetreiber, mit dem die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen festgestellt wird (Art. 8a Abs. 1, 2 lit. a) u. d) VO (EG) Nr. 216/2008). Beispiel: Die „grundlegenden Anforderungen“ an die (bauliche) Gestaltung des Vorund Rollfeldes betreffen gemäß Anhang Va, A 1.d) zur VO (EG) Nr. 216/2008: Abmessungen / Tragfähigkeit – i) / Wasserableitung – ii/ / Gefälle – iii) / Oberflächeneigenschaft / Freiheit von Objekten
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„ … i) Diese Bereiche verfügen über eine für den ständigen Betrieb der vorgesehenen Luftfahrzeuge ausreichende Tragfähigkeit. […]; ii) diese Bereiche werden so ausgelegt, dass Wasser abgeleitet werden kann und sich keine Wasseransammlungen bilden können, die eine inakzeptable Gefahr für den Betrieb von Luftfahrzeugen darstellen können; iii) vom Gefälle und von Gefälleänderungen in diesen Bereichen dürfen keine inakzeptablen Gefahren für den Betrieb von Luftfahrzeugen ausgehen; […]“ Zur Konkretisierung und weiteren Ausgestaltung dieser Vorgaben ermächtigt Art. 8a Abs. 5 i.V.m. Art. 65 Abs. 4 VO (EG) Nr. 216/2008 die Kommission zum Erlass von Durchführungsbestimmungen per Verordnung im Komitologieverfahren. Festzulegen sind insbesondere ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
die Voraussetzungen für die sog. „Zulassungsgrundlage“ sowie für die Erteilung, Erhaltung, Änderung, Aussetzung und den Widerruf von Zeugnissen, die Bedingungen für den Flugplatzbetrieb, die Pflichten der Zeugnisinhaber, die Voraussetzungen für Betriebsverbote, Betriebseinschränkungen oder bestimmte Betriebsauflagen aus Sicherheitsgründen und die Bedingungen für die Anerkennung bzw. „Umwandlung“ (!) der bereits erteilten nationalen Zeugnisse. 3. Erlass von Durchführungsbestimmungen
Das durch die VO (EG) Nr. 216/2008 sowie die VO (EU) Nr. 182/20117 bzw. den Beschluss des Rates 1999/468/EG8 und durch die EASA-Entscheidungen 01-20129 bzw. 08-200710 vorgegebene Verfahren zur Erarbeitung und ___________ 7 Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABl. (EU) L 55/13 v. 28.02.2011. 8 Beschl. des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (199/468/EG), ABl. (EG) L 184/23 v. 17.7.1999. 9 EASA Management Board Decision 01-2012 – Amending and replacing Decision 08-2007 concerning the procedure to be applied by the Agency for the issuing of Opinions, Certification Specifications and Guidance Material (‚Rulemaking Procedure‘). 10 EASA Management Board Decision 08-2007 – Amending and replacing Decision 7-03 concerning the procedure to be applied by the Agency for the issuing of Opinions, Certification Specifications and Guidance Material (‘Rulemaking Procedure‘).
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Verabschiedung von Durchführungsbestimmungen stellt sich – auf das Wesentliche reduziert – wie folgt dar: Die EASA entwirft im sog. „Rulemaking Procedure“11 zunächst die verbindlichen sicherheitsrelevanten Vorgaben („Durchführungsverordnung“12) zu Art. 8a Abs. 5 VO (EG) Nr. 216/2008. Diese richten sich an die (nationalen) Aufsichtsbehörden und an die Flugplatzbetreiber bzw. sie wirken gestaltend auf den Flugplatzbetrieb. Darüber hinaus erstellt die Agentur auch rechtlich nicht bindendes „Begleitmaterial“, z.B. Anleitungen, auf dessen Eigenschaften und Funktion im Folgenden noch einzugehen ist (s. 4.). Mit dem Vorgang befasst sind Arbeitsgruppen innerhalb der EASA, die auf der Grundlage vorab definierter Inhalts-, Zeit- und Verfahrensvorgaben (sog. Terms of Reference) entsprechende Vorschläge vorlegen. Diese werden im Wege der wiederholten öffentlichen und fachlichen Konsultation13 von allen interessierten Kreisen in den Mitgliedstaaten bzw. von ausgewählten Vertretern aus der Luftverkehrswirtschaft (Flughäfen) und den staatlichen Behörden (sog. review groups) kommentiert. Die Ergebnisse der Öffentlichkeits- und „Adressaten“-Beteiligung fließen in den abschließenden Regelungsentwurf bzw. das Begleitmaterial ein. Der Entwurf für die Durchführungsverordnung ist Gegenstand der Stellungnahme der EASA an die Kommission14. Daran anschließend wird der Entwurf im Rahmen der Komitologie, d.h. mittels Unterstützung eines Expertenausschusses („Regelungskontrollausschuss“) unter Vorsitz der Kommission und Mitwirkung von Vertretern der Mitgliedstaaten, überarbeitet und zum Abschluss des Rechtsetzungsverfahrens – hier des Regelungsverfahren mit Kontrolle (durch Europäisches Parlament und Rat) – formell angenommen. Gleichzeitig erlässt die Agentur ihr vorgenanntes „Begleitmaterial“. Zur Zeit der schriftlichen Abfassung des Vortrags im Mai 2013 hat sich der Regelungskontrollausschuss auf eine Fassung der Durchführungsverordnung geeinigt, so dass die Kommission diesen nunmehr dem Europäischen Parlament und dem Rat zur Prüfung vorlegt. ___________ 11 s. Fn. 9 u. 10. Die jeweiligen Vorschriften werden auf Grund eines „Regelsetzungsprogramms“ (Rulemaking programme) erstellt, das die entsprechenden Aufgaben für einen 4-Jahreszeitraum vorschreibt. Für den Bereich Flugplätze gilt die „Decision 2009/002/R of the Executive Director of the European Aviation Safety Agency of 26 February 2009 on the adoption of the 2009-2012 Rulemaking Programme“. 12 Entwurf: „Commission Regulation (EU) No …/.. of XXX of (xxx) laying down requirements and administrative procedures related to aerodromes pursuant to Regulation (EC) No 216/2008 of the European Parliament and of the Council“. 13 EASA Notice of Proposed Amendment (NPA) 2011-20 und Comment Response Document (CRD) to NPA 2011-20. 14 Hier: Opinion 01/2013 v. 5.2.2013.
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4. Steuerungswirkung der neuen Regelungen Gemäß Art. 288 AEUV gelten in jedem Mitgliedstaat unmittelbar und verbindlich sowohl Art. 8a VO (EG) Nr. 216/2008 mit den Anhängen Va und Vb als auch die Durchführungsverordnung mit ihren Anhängen. Als sog. „soft law“ ist hingegen das „Begleitmaterial“ der EASA einzuordnen. Obwohl diesem keine Rechtsverbindlichkeit zukommen kann, ergibt sich seine erhebliche Steuerungswirkung für die künftige Verwaltungspraxis de facto bereits aus seiner Herkunft: es stammt von jener Institution, die maßgeblich an der Erstellung der (verbindlichen) Durchführungsverordnung beteiligt ist. Das Begleitmaterial besteht aus a) Zulassungsspezifikationen, b) zulässigen Nachweisverfahren und c) Anleitungen für die Anwendung der VO (EG) Nr. 216/2008 und ihrer Durchführungsbestimmungen (Art. 19 VO (EG) Nr. 216/2008), welche die Agentur gemäß Art. 18 lit. c) im Verfahren nach Art. 52 VO (EG) Nr. 216/2008 zu erarbeiten hat. a) Zulassungsspezifikationen (Certification Specifications – CS) sind technische Richtwerte bzw. technische Standards, welche die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen (Art. 8a Abs. 2 VO (EG) Nr. 216/2008) – insbesondere solche an die Verkehrsinfrastruktur eines Flugplatzes – gewährleisten sollen. Beispiel: Die Breite von Start- und Landebahnstreifen, die eine Präzisionsanflug-Landebahn aus Gründen der Hindernisfreiheit umgeben, muss möglichst 150 m bei Code-Zahl 3 oder 4 (Flugplatzbezugscode nach ICAO) betragen (CS-ADR-DSN.B.160). b) Zulässige Nachweisverfahren (Acceptable Means of Compliance – AMC15) sind unverbindliche Standards, die aufzeigen, wie den Vorgaben des Art. 8a VO (EG) Nr. 216/2008 und der Durchführungsverordnung einschließlich ihrer jeweiligen Anhänge entsprochen werden kann. Sie stellen also eine anerkannte Art und Weise dar, die Konformität mit den verbindlichen Sicherheitsbestimmungen zu erreichen und nachzuweisen. Beispiel: Art. 3 Abs. 4 Durchführungsverordnung verlangt von den Mitgliedstaaten, ihre für die neuen Aufgaben zuständigen Aufsichtsbehörden auch mit ausreichend Personal auszustatten. Die konkretisierenden Vorgaben des entsprechenden Anhangs II sehen vor, dass in diesen Behörden sog. „Flugplatzinspektoren“ tätig sind, deren fachliche Qualifikation dauerhaft, z.B. durch ___________ 15 s. Anhang II, Subpart A – ADR.AR.A.015(a); hiervon zu unterscheiden sind die „Alternativen Nachweisverfahren“ – „Alternative Means of Compliance“ – gemäß Anhang II, Subpart A – ADR.AR.A.015(b) – (e), die von den Regelungsadressaten selbst erarbeitet werden können, um die erforderliche Konformität zu erreichen. Hier bestehen dann Prüf- und Mitteilungspflichten.
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wiederholte und aktualisierte Schulungsmaßnahmen, zu erhalten ist (Subpart B – ADR.AR.B.005(a)(2)). Die einschlägigen AMC geben an, wie Flugplatzinspektoren aus- und fortzubilden sind, um dieser Anforderung gerecht zu werden. Hierfür beziehen sie sich u.a. auf Inhalt und Dauer der theoretischen und praktischen Schulungen bzw. das „on-the-job-training“, z.B. betreffend die Vorbereitung und Durchführung von Flugplatzinspektionen (AMC1-3 ADR.AR.B.005(a)(2)). c) Anleitungen (Guidance Material – GM) sollen der weiteren Erläuterung der Anforderungen dienen. Sie fungieren damit als „Hilfestellung“ der Agentur für eine einheitliche, regelkonforme Vollzugspraxis. Beispiel: Zur Qualifikation und Qualifizierung von Flugplatzinspektoren (s.o.) zählt das entsprechende GM weitere „sachdienliche“ Merkmale auf, z.B. die „wünschenswerte“ Pilotenlizenz als Voraussetzung für die Wahrnehmung von Aufgaben und Funktionen in der Sicherheitsaufsicht (GM2 ADR.AR.B.005(a)(2)).
II. Inhalt und Funktion des Zeugnisses 1. Inhalt Das Zeugnis wird gemäß Art. 8a Abs. 2 lit. a), Satz 2 VO (EG) Nr. 216/2008 auf den Nachweis hin erteilt, dass der Flugplatz der Zulassungsgrundlage entspricht und darüber hinaus keine Merkmale und Eigenschaften aufweist, die die Betriebssicherheit beeinträchtigen. Die Zulassungsgrundlage besteht aus den für den Flugplatz geltenden CS, den Bestimmungen, für die ein gleichwertiges Sicherheitsniveau anerkannt wurde sowie aus den erforderlichen besonderen technischen Einzelspezifikationen (Abs. 2 lit. b)). Nach dem gegenwärtigen Entwurf für die Durchführungsbestimmungen „beinhaltet“ das Zeugnis neben der Zulassungsgrundlage auch das Flugplatzhandbuch, ggf. besondere (weitere) Betriebsbestimmungen und bei Bedarf zudem die Bescheinigung anerkannter Abweichungen und Abhilfemaßnahmen16. Im Einzelnen: a) Zulassungsgrundlage Sofern die technischen Richtwerte oder Standards (CS), die für einen Flugplatz einschlägig sind, nicht eingehalten werden, können Abweichungen über ___________ 16
s. Anhang II – Part-ADR.AR. – ADR.AR.C.035 (d).
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Bestimmungen für ein gleichwertiges Sicherheitsniveau (Equivalent Level of Safety – ELoS) anerkannt werden. Beispiel: Durch CS werden bestimmte Markierungsfarben (gelb / weiß) für die Mittellinien eines Rollweges vorgegeben. Die Rollweg-Mittellinien auf dem Flughafen x, die der Betreiber in Übernahme einer fachlichen Empfehlung – für die optimierte Nutzung der Anlage durch unterschiedliche Flugzeugmuster – anders (blau / orange) gestaltet hatte, können so erhalten bleiben, wenn eine Sicherheitsprüfung keine Bedenken aufwirft und eine Veröffentlichung dieser Abweichung im Luftfahrthandbuch (AIP) erfolgt. Eine weitere Möglichkeit, das Abweichen von einer CS zu rechtfertigen, besteht in der Aufnahme sog. besonderer technischer Einzelspezifikationen (Special Condition – SC). Dies können u.a. besondere Betriebsbestimmungen sein, um die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen nach Anhang Va zur VO (EG) Nr. 216/2008 zu sichern. Die SC steht zur Verfügung, wenn die Einhaltung einer CS nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu gewährleisten wäre, insbesondere wegen topografischer bzw. physikalischer Umstände auf dem Flugplatzgelände oder einer neuen bzw. ungewöhnlichen Formgebung der Verkehrsanlagen. Beispiel: Die für den Anlagenbestand des Flughafens x einschlägige CS sieht einen Abstand von 180 m zwischen den Mittellinien der (parallel geführten) Start- und Landbahn und der Rollwege vor. Beim Rollweg D besteht jedoch nur ein Abstand von 160 m. Ein Umbau wäre nicht nur außerordentlich kostenintensiv, sondern auch wegen der räumlichen Gesamtsituation am Flughafen (umliegende Gebäude, Nachbarschaft) mit hohen Schwierigkeiten verbunden. Als „Lösung“ könnte die Bestimmung – als SC – in das Zeugnis aufgenommen werden, dass der Rollweg D bei verschmutzter oder vereister Startund Landebahn bzw. bei starken Seitenwinden oder schlechten Sichtverhältnissen außer Betrieb genommen wird. b) DAAD Sofern die Abweichung von einer CS nicht durch die vorgenannten Instrumente ELoS oder SC bewältigt werden kann, lässt Art. 7 Durchführungsverordnung unter bestimmten Voraussetzungen zu, dass dieser Zustand von der zuständigen Behörde geduldet wird. Erforderlich hierfür ist, dass die grundlegenden Anforderungen nach Anhang Va zur VO (EG) Nr. 216/2008 noch hinreichend beachtet und ggf. flankierende Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden. Eine entsprechende Sicherheitsprüfung ist durchzuführen. All dies hat die Behörde gesondert und schriftlich zu erfassen (Deviation Acceptance and Action Document – DAAD). Diese Möglichkeit des Ausspruchs einer behördlichen „Fehlertoleranz“ soll voraussichtlich bis zum Ende des Jahres 2024 befristet werden. Erfasst werden sollen nur „historische Abweichungen“, d.h. solche,
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die ihre Ursachen in Ereignissen vor dem Inkrafttreten der Durchführungsverordnung haben. Beispiel: Am Flughafen x – in den 1950er Jahren gebaut – ragt ein Betriebsgebäude um einige Meter in den Sicherheitsstreifen um den „alten“ Rollweg E hinein. Infolge einer späteren Änderung des einschlägigen ICAO-Flugplatzbezugscodes (Anpassung an neue Flugzeugmuster) kann nun die hindernisfreie Streifenbreite (CS) nicht mehr eingehalten werden. Der CS könnte nur durch Abriss des Gebäudes entsprochen werden. Sofern eine Sicherheitsprüfung und – falls erforderlich – Maßnahmen zur Risikominimierung (z.B. Leuchtmarkierungen, Verkehrsvorschriften) keine Bedenken an der Betriebssicherheit der Anlage ergeben bzw. offen lassen, wird die Behörde auf den hier unverhältnismäßigen Abriss des Gebäudes verzichten und ein DAAD ausstellen. c) Flugplatzhandbuch Zur Erfassung, Festlegung und Steuerung der sicherheitsrelevanten Anlagen bzw. Betriebsabläufe und damit als Referenzquelle – insbesondere für die am Flugplatz Beschäftigten – ist ein Flugplatzhandbuch (fortlaufend) zu führen. Dieses muss sich an der Zulassungsgrundlage und den einschlägigen Durchführungsbestimmungen betreffend den Flugplatzbetreiber und den Betrieb ausrichten und alle sicherheitsrelevanten Informationen für das „operative Geschäft“ bzw. die sichere Nutzung des Flugplatzes beinhalten. d) Besondere Betriebsbedingungen Hierunter sind solche Beschränkungen oder Bedingungen des Flugplatzbetriebs zu verstehen, die anlässlich der Aufnahme einer SC in die Zulassungsgrundlage oder der Ausstellung eines DAAD erforderlich werden (s.o. a) und b)). 2. Verfahren Nach dem derzeitigen Entwurf der verbindlichen und nicht-bindenden Durchführungsbestimmungen ist das Verfahren zur Erteilung des Zeugnisses – grob umrissen – wie folgt konzipiert: Vorab sollen Flugplatzbetreiber und zuständige Behörde Informationen, Hinweise und Pläne zu den einschlägigen sicherheitsrelevanten Anforderungen und den tatsächlichen Gegebenheiten um und auf dem Flugplatz austauschen. Im Anschluss stellt der Flugplatzbetreiber den Antrag auf Zeugniserteilung, der u.a. alle notwendigen Informationen zur Lage des Flugplatzes, dem Verkehrsgeschehen sowie dem Anlagenbestand – ausgerichtet an den einschlägigen CS – beinhaltet. Auch sind geplante Abweichungen von den CS, ein
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Exemplar des Flugplatzhandbuchs sowie ein Konzept für die Einhaltung der relevanten Anforderungen nach der VO (EG) Nr. 216/2008 und den Durchführungsbestimmungen vorzulegen. Nach Prüfung der eingereichten Unterlagen auf Vollständigkeit teilt die Behörde dem Antragsteller die von ihr festgelegte Zulassungsgrundlage (CS/ELoS/SC) mit. Daraufhin hat der Antragsteller den Nachweis der Konformität zu erbringen, d.h. es sind – ggf. auf Verlangen der Behörde – alle Maßnahmen (u.a. Inspektionen, Sicherheitsprüfungen, Tests und Übungen) zu treffen und zu dokumentieren, die die Erfüllung der Anforderungen sichern. Dazu gehört ferner der Beleg, dass die angewandten Flugverfahren am Flugplatz zulässig sind. Über die erreichte Konformität hat der Antragsteller eine Erklärung abzugeben. Erachtet die Behörde den Nachweis als ausreichend, erteilt sie das Zeugnis auf unbefristete Dauer. Für „wesentliche Änderungen“ an der sicherheitsrelevanten Verkehrsinfrastruktur und Betriebsorganisation bzw. -führung, welche die Grundlagen und den Inhalt des erteilten Zeugnisses berühren, ist vor Durchführung die behördliche Erlaubnis einzuholen; sofern erforderlich, sind die Zulassungsgrundlage und das Zeugnis anzupassen. 3. Qualität und Funktion Klärungsbedürftig dürften die Rechtsqualität des Zeugnisses und seine künftige Rolle im Zulassungsrecht für Flugplätze in der Bundesrepublik sein. Das Zeugnis wird erteilt, wenn die Behörde für einen bestimmten Flugplatz und den Flugplatzbetreiber festgestellt hat, dass sämtliche Anforderungen der VO (EG) Nr. 216/2008 und der (verbindlichen) Durchführungsbestimmungen bezüglich der Betriebssicherheit von Verkehrsanlagen, Betriebsorganisation und -führung eingehalten werden. Damit dürfte es die Merkmale des Verwaltungsakts i.S.v. § 35 Satz 1 VwVfG aufweisen. Die Regelungswirkung liegt in der Feststellung der beschriebenen Konformität. Über diese Feststellungswirkung hinaus knüpfen die Durchführungsbestimmungen weitere Folgen an den Erlass des Zeugnisses. Der Betrieb des Flugplatzes darf erst nach seiner Erteilung aufgenommen werden17. Die Durchführungsbestimmungen sehen in diesem Zusammenhang die „dauerhafte Aufsicht“ durch die Behörde sowie einen entsprechenden Reaktionsmechanismus bei sicherheitskritischen Zuständen der Infrastruktur bzw. beim Fehlverhalten des Flugplatzbetreibers vor. Hierzu gehört auch die Beschränkung oder das Verbot ___________ 17 s. Annex III, Part-ADR.OR – ADR.OR.B.005: „Prior to commencing the operation of an aerodrome […] the aerodrome operator shall obtain the applicable certificate(s) issued by the Competent Authority.“
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von Betriebsvorgängen sowie die Rücknahme bzw. der Widerruf des Zeugnisses bei schweren sicherheitsrelevanten Vorfällen, z.B. einer nachgewiesenen regelwidrigen Betriebsführung oder Falschangaben des Flugplatzbetreibers im Rahmen erstmaliger oder späterer Konformitätsnachweise18. Die Gesamtschau dieser Vorgaben lässt darauf schließen, dass dem Zeugnis eine Gestattungs- bzw. Freigabefunktion zukommen soll („Ohne Zeugnis kein Betrieb!“). Damit ergibt sich mit Blick auf das deutsche Recht die Notwendigkeit seiner Einordnung bzw. Abgrenzung im System der Zulassungsinstrumente für Flugplätze nach dem LuftVG bzw. der LuftVZO. Sowohl der Planfeststellungsbeschluss (§ 8 Abs. 1 LuftVG) als auch die Genehmigung (§ 6 Abs. 1 LuftVG) berücksichtigen regelmäßig Sicherheitsbestimmungen – insbesondere die Standards und empfohlenen Praktiken (SARPs) des ICAO-Anhangs 1419 – für die Errichtung von Flugplatzanlagen und deren Betrieb (s. § 8 Abs. 4 LuftVG), sei es als Versagungsgrund i.S.v. § 6 Abs. 2 Satz 3 LuftVG, sei es als sog. interner Planungsleitsatz im Planfeststellungsverfahren20. Die luftverkehrsrechtliche Genehmigung umfasst zudem mit der Prüfung des Flugplatzunternehmers auch personenbezogene Elemente wie Sachund Fachkunde, Zuverlässigkeit und (technische, personelle sowie wirtschaftliche) Leistungsfähigkeit. Dies findet seine Berechtigung darin, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung (§ 6 Abs. 2 Satz 3 LuftVG) nicht durch die Eigenschaften des Flugplatzbetreibers gefährdet werden dürfen21. Entsprechende Vorgaben, z.B. hinsichtlich der Personalausstattung und -qualifikation, macht auch Anhang III der Durchführungsverordnung22, gedeckt durch Art. 8a Abs. 2 lit. d) VO (EG) Nr. 216/2008. Diese Anforderungen werden insoweit bei künftigen Genehmigungsverfahren entsprechend zu berücksichtigen sein (§ 42 Abs. 1 Satz 2 LuftVZO). Wichtig ist die Abgrenzung des Zeugnisses von luftverkehrsrechtlicher Genehmigung und Planfeststellungsbeschluss insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 Durchführungsverordnung: „Zeugnisse“, welche von den Behörden der Mitgliedstaaten vor dem 31.12.2014 auf der Grundlage des nationalen Rechts erlassen wurden, bleiben hiernach bis zur Ausgabe eines Zeugnisses nach den neuen unionsrechtlichen Bestimmungen gültig, anderenfalls gelten sie ___________ 18
s. Annex II, Part-ADR.AR – ADR.AR.C.055. Zu deren Bedeutung für das europäische Regelsystem s. IV. 20 s. hierzu: Boewe/Geisler/Bues, in: Hobe/v. Ruckteschell, Kölner Kompendium, Luftrecht, Bd. 2, Teil I B. Rdnr. 908. 21 s. hierzu: Deutsch, in: Hobe/v. Ruckteschell, Kölner Kompendium, Luftrecht, Bd. 2, Teil I B. Rdnr. 101. 22 s. Annex III, Part-ADR.OR – ADR.OR.D.005 ff. (Subpart D – Management). 19
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nur noch befristet bis zum 31.12.201723. Bis zum Ablauf dieser Frist sind neue Zeugnisse zu erteilen. (Für diese muss dann zwar die Zulassungsgrundlage erstellt werden, der Nachweis der Konformität ist aber auf solche Anforderungen an Anlagen und Betrieb bzw. den Betreiber des Flugplatzes beschränkt, die von den nationalen Bestimmungen – für das bereits ausgereichte Zeugnis – abweichen.) Sollten luftverkehrsrechtliche Genehmigung und Planfeststellungsbeschluss – mit entsprechenden Regelungsinhalten24 – daher als „Zeugnisse“ i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Durchführungsverordnung zu verstehen sein, könnte ihnen u.U. der (teilw.) Verlust ihrer Bestandskraft drohen. (Dies wäre z.B. der Fall, wenn nach Fristablauf ein neues Zeugnis i.S.d. Art. 8a Abs. 2 lit. a) VO (EG) Nr. 216/2008 nicht vorliegt und Abweichungen von CS und/oder anderen Durchführungsbestimmungen bestehen.) Für die Abgrenzung ist bei der unionsrechtlichen Definition der Begriffe „Zeugnis“ und „Zulassung“ anzusetzen: Das Zeugnis ist gemäß Art. 3 lit. g) VO (EG) Nr. 216/2008 „ein Genehmigungs- bzw. Erlaubnisschein oder eine andere Urkunde, die als Ergebnis der Zulassung ausgestellt wird“. Die Zulassung ist „jede Form der Anerkennung, dass ein Erzeugnis, ein Teil oder eine Ausrüstung, eine Organisation oder eine Person die geltenden Vorschriften, einschließlich der Bestimmungen der Verordnung VO (EG) Nr. 216/2008 und ihrer Durchführungsbestimmungen, erfüllt, sowie die Ausstellung des entsprechenden Zeugnisses, mit dem diese Übereinstimmung bescheinigt wird“ (Art. 3 lit. e) VO (EG) Nr. 216/2008). Abgesehen davon, dass diese Definition die komplexe Verkehrsinfrastruktur „Flugplatz“ als Zulassungsobjekt nur unzureichend erfasst, lässt sich hier auf folgenden, grundlegenden Unterschied schließen: Anders als luftverkehrsrechtliche Genehmigung und Planfeststellungsbeschluss, die dem Vorhabenträger nach umfassender Abwägung des Für und Wider sowie dem Ausgleich aller relevanten Belange erst das Recht zur nachfolgenden Verwirklichung seines Projekts (Baurecht/Betriebsrecht) gewähren, ___________ 23
Article 6 – Conversion of certificates, para. 1: „Certificates issued by the Competent Authority prior to 31 December 2014 on the basis of national legislations shall remain valid until they are issued in accordance with this Article, or if no such certificates are issued, 31 December 2017.“ 24 Erwägungsgrund (9) der Durchführungsverordnung stellt klar: „Regulation (EC) No 216/2008 only concerns aerodrome certificates to be issued by Competent Authorities in so far as safety aspects are concerned. Therefore, non-safety related aspects of existing national aerodrome certificates remain unaffected.“
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dient das Zeugnis dem „Abgleich“ der bereits errichteten und betriebenen Anlagen mit den an sie gestellten Sicherheitsanforderungen. Bezogen auf die „Entstehungsgeschichte“ des Flugplatzes setzt das Zeugnis daher später an und gleicht eher der Gestattung der Betriebsaufnahme nach erfolgter Abnahmeprüfung (§ 44 LuftVZO). Dies jedoch mit dem Unterschied, dass die Freigabe zur tatsächlichen Nutzung des Flugplatzes für den Luftverkehr allein auf die hier angesprochenen betriebssicherheitsrelevanten Aspekte beschränkt und das Zeugnis – im Kontext der dauerhaften Aufsicht – als ein „fortlaufendes Dokument“ konzipiert ist.
III. Weitere Anforderungen an die nationalen Luftverkehrsbehörden 1. „Strukturierte“ Aufsicht Die für den Vollzug der VO (EG) Nr. 216/2008 sowie ihrer Durchführungsbestimmungen zuständige Behörde hat die dauerhafte Konformität der Flugplatzanlagen, ihres Betriebs und des Betreibers mit den einschlägigen Sicherheitsanforderungen zu überwachen. Diese Aufsicht soll formalisiert und standardisiert erfolgen, indem für jeden Flugplatz bzw. Flugplatzbetreiber ein Kontrollablaufplan (sog. oversight programme) erstellt wird. Die entsprechenden Aufsichtsmaßnahmen wie z.B. Anhörungen („Audits“), angekündigte und ggf. unangekündigte Inspektionen – inklusive der (erstmaligen) Erteilung des Zeugnisses – sollen jeweils in einem Überprüfungszyklus von höchstens 48 Monaten vollzogen werden25. Auf Missstände, d.h. sicherheitskritische Betriebsvorgänge oder Zustände der relevanten Flugplatzanlagen, hat die Behörde bei Gefahr u.a. mit dem Erlass von sog. Sicherheitsrichtlinien (safety directives26) zu reagieren. Von ihrer Konzeption her dürften sich letztere – je nach Fallgestaltung bzw. Anzahl der betroffenen Flugplatzbetreiber – als Sammel- oder Einzelverfügungen (§ 35 Satz. 1 VwVfG) qualifizieren lassen27. Alle Aufsichtsmaßnahmen sowie die hierdurch oder auf anderem Wege erlangten sicherheitsrelevanten Informationen sind systematisch zu dokumentieren. Die zuständige Behörde hat ein Sicherheits-Informationssystem für das Erfas___________ 25
s. Annex II, Part-ADR.AR – ADR.AR.C.005 u. ADR.AR.C.010. s. Annex II, Part-ADR.AR – ADR.AR.C.005(a)(3) u. ADR.AR.A.040. 27 Der behördlichen Befugnis zum Erlass der safety directive entspricht die Umsetzungspflicht des Flugplatzbetreibers bzgl. der verfügten Maßnahmen, s. Annex III, PartADR.OR – ADR.OR.C.025. 26
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sen, Analysieren und Weiterverteilen entsprechender Meldungen einzurichten28. 2. Organisation und Arbeitsweise der nationalen Behörden Obwohl die Ermächtigung für die Kommission zum Erlass von Durchführungsbestimmungen (Art. 8a Abs. 5 VO (EG) Nr. 216/2008) hierzu keine Angaben macht, erstreckt sich Anhang II zur Durchführungsverordnung auch auf die Organisation, die internen Funktionsabläufe und die Personalausstattung der nationalen Behörden29. Eine sehr detaillierte und für die Verwaltungspraxis sehr bedeutsame Ausgestaltung dieser „Eckpunkte“ wird über die dargestellten „soft law“-Bestimmungen der EASA (AMC, GM) erfolgen. Kern der Anforderungen ist das sog. „Management System“30. Hiernach sind die Arbeitsabläufe und Prozesse zur Ausübung der Aufsicht nach den neuen Bestimmungen sowie die entsprechende Organisation der Behörde als eine Art „Betriebshandbuch“ zu führen und fortlaufend zu dokumentieren bzw. zu aktualisieren. Zu den Beschäftigten müssen die bereits erwähnten Flugplatzinspektoren31 zählen, für deren dauerhafte Qualifikation, Weiterbildung und Verfügbarkeit – im Wege der Personaleinsatzplanung – zu sorgen ist. Es sind Verfahren zur Selbstkontrolle und „Qualitätssicherung“ (wie z.B. das Monitoring oder das interne Audit) sowie für den Umgang mit Gefahrensituationen für die Betriebssicherheit auf Flugplätzen einzurichten. Ferner gibt es detaillierte Vorgaben für die Aktenführung. 3. Kontrolle Nach Art. 11 Abs. 2 Durchführungsverordnung müssen die zuständigen Aufsichtsbehörden in den Mitgliedstaaten den – hier nur skizzierten – neuen Anforderungen nach Anhang II bis zum 31.12.2017 entsprechen. Nach Art. 24 Abs. 1 i.V.m. Art. 54 VO (EG) Nr. 216/2008 überprüft die EASA „vor Ort“ mittels der sog. Inspektionen zur Kontrolle der Normung, ob die zuständigen nationalen Behörden die VO (EG) Nr. 216/2008 und die Durchführungsbestimmungen (richtig) anwenden. Hierüber berichtet die Agen-
___________ 28 29 30 31
s. Annex II, Part-ADR.AR – ADR.AR.A.030(a). s. Annex II, Part-ADR.AR – Subpart B – Management. s. Annex II, Part-ADR.AR – ADR.AR.B.005. s. I.4.b).
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tur der Kommission. Das Verfahren zur Durchführung der Inspektionen richtet sich nach der VO (EG) Nr. 736/200632.
IV. Fachliche bzw. technische Bewertung Den Durchführungsbestimmungen liegt – laut den Terms of Reference der EASA vom 18.06.2010 (s.o. I.3.) – als Bezugsrahmen auch die „technische Rechtsetzung“ der ICAO33 zugrunde, d.h. die für Flugplätze einschlägigen Vorgaben des ICAO-Anhangs 14 (Aerodrome design and operations) sowie diverse korrespondierende Fachpublikationen, z.B. ICAO Doc 9157 (Aerodrome Design Manual), Doc 9184 (Airport Planning Manual), Doc 9774 (Manual on Certification of Aerodromes) oder Doc 9859 (Safety Management Manual). Die Berücksichtigung der geltenden ICAO-Standards und -Empfehlungen (SARPs) wird von Art. 8a Abs. 6 lit. a) VO (EG) Nr. 216/2008 vorgeschrieben. Die materiellen Inhalte der neuen europäischen Sicherheits-Regulierung sind also in weiten Teilen tatsächlich nicht „neu“. So wird auch der Erwägungsgrund (4) zur Durchführungsverordnung klarstellen, dass deren Bestimmungen das ICAO-System mit bindenden Standards und (bloßen) Empfehlungen beachten. Aus der fachlichen Sicht einer zuständigen Vollzugsbehörde hierzu Folgendes: Nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsetzung, insbesondere bzgl. des soft law der Agentur (CS, AMC, GM), wird es wohl zu einer „1:1-Übernahme“ insbesondere der technischen Werte aus den ICAO-SARPs kommen. Für die Praxis bleibt es damit aber beim Fehlen belastbarer bzw. vergleichbarer „sicherer Alternativen“ hierzu. Angesichts der nicht selten vorkommenden Abweichungen von diesen Werten scheint das Potential der neuen Instrumente für die Flugplatz-Zulassung im EU-Gesamtsystemkonzept (z.B. CS oder ELoS) noch nicht ausgeschöpft. Sinnvoll und ein materieller „Mehrwert“ für die zuständigen Behörden könnte es sein, den Nachweis der äquivalenten Betriebssicherheit im Falle des Abweichens von einschlägigen ICAO-Vorgaben nicht allein der individuellen Einzelfallprüfung zu überlassen; stattdessen könnte sowohl der Behörde als ___________ 32 Verordnung (EG) Nr. 736/2006 der Kommission vom 16. Mai 2006 über die Arbeitsweise der Europäischen Agentur für Flugsicherheit bei Inspektionen zur Kontrolle der Normung, ABl. (EG) L 129/10 v. 17.5.2006. 33 Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (International Civil Aviation Organisation – ICAO); zur „technischen Rechtsetzung“ dieser Sonderorganisation der Vereinten Nationen s. Weber, in: Hobe/v. Ruckteschell, Kölner Kompendium, Luftrecht, Bd. 1, Teil I A. Rdnr. 60 ff.
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auch dem Flugplatzbetreiber die Bewertung durch qualitative Maßstäbe erleichtert werden. Zu diesem Zweck böte sich evtl. die Überarbeitung der SARPs (auf Unionsebene) durch „passgenaue“, wissenschaftlich fundierte Studien an, deren Fokus auf (im EU-Raum gehäuften) besonderen lokalen Gegebenheiten oder betriebsspezifischen Risiken liegt. Dies könnte auch zur Entwicklung „neuer“ technischer Werte bzw. zu einer Ausdifferenzierung der – gegenwärtig nur die SARPs wiedergebenden – CS führen. Beispiel: Hindernisfreiheit – Welche Breite des Sicherheitsstreifens um eine Start- und Landebahn ist bei bestimmten Flugzeugmustern erforderlich, um unter bestimmten Bedingungen ein definiertes (möglichst hohes) Niveau an Betriebssicherheit zu gewährleisten? Die hierfür vorgesehene CS verlangt mindestens 150 m, wenn die Verkehrsinfrastruktur der Code-Zahl 3 oder 4 (Flugplatzbezugscode nach ICAO) unterfällt. Die entsprechenden Flugzeug-Bezugsstartbahnlängen betragen 1.200 m bis ausschl. 1.800m (Code-Zahl 3) bzw. 1.800 m und darüber (Code-Zahl 4). Die hohe Bandbreite an einsetzbaren Flugzeugmustern reicht somit von CodeBuchstabe C (z.B. Airbus A 320) bis F (z.B. Airbus A380). Bezogen auf das jeweils unterschiedliche kritische Verhalten dieser Flugzeuge z.B. bei einem einseitigen Triebwerksausfall („single engine out“) wären hier abgestufte Werte als Anhaltspunkt für die Sicherheitsbewertung hilfreich und dem individuellen „Nutzerprofil“ eines Flugplatzes (Internationaler Verkehrsflughafen oder kleinerer Regionalflugplatz) auch angemessen.
V. Ausblick Die hier vorgestellten neuen Regeln der Europäischen Union dürften ungeachtet ihrer unmittelbaren Geltung einen deutlichen Anpassungsbedarf für den nationalen Vorschriftenbestand (LuftVG und LuftVZO) auslösen, nicht zuletzt aus Gründen der besseren Übersicht und des systematischen Zusammenhangs. Gravierende Änderungen dürften ferner auf die behördliche Vollzugspraxis im Bereich Flugplatzaufsicht zukommen. An dieser Stelle sollen nur ein paar Stichpunkte zu – noch „unreifen“ – Umsetzungsideen erwähnt werden: Ein gangbarer Weg wäre es, das Instrument „Zeugnis“ deklaratorisch im LuftVG – systematisch sinnvoll im 2. Unterabschnitt „Flugplätze“ nach den §§ 6 bis 10 – zu verankern und die korrespondierenden Vollzugsaufgaben den Ländern über den entsprechend zu ändernden § 31 Abs. 2 LuftVG zuzuweisen. Das Zeugnis als Zulassungsinstrument (Abnahmeprüfung und Freigabe des Flugplatzbetriebs) dürfte als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zu qualifizieren sein; das zugehörige behördliche Verfahren (Erteilung, Aufsichtsmaßnahmen
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etc.) wird vorrangig durch die Durchführungsverordnung dirigiert, subsidiär gelten die Bestimmungen der Länder-VwVfGe. § 44 Abs. 1 LuftVZO könnte insoweit zu ergänzen sein, als dass Flugplätze im Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 3a VO (EG) Nr. 216/2008 erst in Betrieb genommen werden, wenn (auch) das Zeugnis gemäß Art. 8a Abs. 2 lit. a) VO (EG) Nr. 216/2008 erteilt wurde. Auf die Anforderungen der Durchführungsverordnung an den Flugplatzbetreiber, insbesondere bezüglich Organisation und Betriebsführung34, könnte künftig § 45 Abs. 1 LuftVZO im Zusammenhang mit der Pflicht zum ordnungsgemäßen Betrieb verweisen. Weitere Anpassungen könnten im Bereich der §§ 45a ff. LuftVZO erforderlich werden. Die für Flugplätze zuständigen Luftverkehrsbehörden der Länder müssen sich darauf einstellen, die Aufsicht (Betriebssicherheit) künftig nach einem detaillierten und formalisierten Programm mit umfassenden Dokumentationspflichten auszuüben. Sie können hierbei auch selbst zum „Prüfobjekt“ der EASA werden. Die Anforderungen der Durchführungsverordnung an Organisation und Personal dürften angesichts der angespannten Haushaltslage in den meisten Bundesländern keine „Selbstläufer“ werden.
___________ 34
s. Annex III, Part-ADR.OR – ADR.OR.D.005 ff. (Subpart D – Management).
Lärmschutz in der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung – Alles neu nach Berlin-Schönefeld? Von Lisa Teichmann
I. Einführung Die Planung von Flughäfen weist im Verhältnis zu der Planung von anderen Infrastrukturen, wie etwa Straßen und Bahnstrecken, eine Besonderheit auf: Der Gesetzgeber hat sie zweistufig ausgestaltet. Zunächst wird der Flughafen am Boden genehmigt, erst anschließend der eigentliche Verkehrsweg, die Flugrouten1, in der Luft festgesetzt. Die Spaltung der Kompetenzen zwischen Bau des Flughafens einerseits und Flugroutenfestsetzung andererseits bedingt, dass Planfeststellung und Flugrouten nicht „aus einem Guss“ sein können.2 Dies stellt besondere Anforderungen bei der Umsetzung der lärmschutzrechtlichen Vorgaben, denn im Ergebnis müssen die Lärmschutzbelange trotz der Verfahrensspaltung konsistent und auf rechtsstaatliche Weise berücksichtigt werden. Nach der bisherigen Rechtsprechung müssen die Planfeststellungsbehörden bei der Flughafenplanung prüfen, ob das vom Vorhabenträger geplanten Lärmschutzkonzept die Lärmkonflikte bewältigen kann, die das Flughafenvorhaben ausgelöst hat. Den gesetzlichen Rahmen dafür bildet § 8 Abs. 1 LuftVG. Zu den im Rahmen der planerischen Abwägung zu berücksichtigenden privaten Belangen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG) gehört auch das Interesse der Nachbarschaft, vor Verkehrslärmimmissionen bewahrt zu bleiben. Die Planfeststellungsbehörde hat einen planerischen Gestaltungsspielraum, wie sie diese Lärmschutzinteressen mit den anderen relevanten Belangen in Einklang bringen will.3 Dafür muss sie die von dem Vorhaben betroffenen Belange ermitteln, ___________ 1 Im Folgenden wird der Begriff Flugroute synonym für den im Gesetz gebrauchten Begriff der Flugverfahren, § 32 Abs. 4 Nr. 8 LuftVG und § 27a Abs. 2 Satz 1 der LuftVO, verwendet. 2 Diesen Umstand bezeichnete die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts am 12. November 2010 als „rechtsstaatliches Ärgernis“, vgl. Grußwort der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Marion Eckertz-Höfer anlässlich der 34. Umweltrechtlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e.V. im Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 12. November 2010, im gleichnamigen Tagungsband, Seite 30. 3 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 45.
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bewerten und gegeneinander abwägen. Um die vom beantragten Flughafen zukünftig ausgehenden Fluglärmimmissionen bestimmen zu können, muss die Planfeststellungsbehörde Flugrouten zugrunde legen. Nur dann kann sie ermitteln, wie die Hauptlärmquelle – die Flugzeuge – im Flughafenumfeld wirken. Da Planfeststellungsbehörde und Vorhabenträger dem Vorhaben nicht die „fertige“ Flugroute zugrunde legen können, müssen sie mit einer Flugroutenprognose arbeiten.4 Die Flugrouten werden im Anschluss an das Planfeststellungsverfahren von dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) in einer Rechtsverordnung festgelegt (§ 32 Abs. 4 Nr. 8 und Abs. 4c LuftVG in Verbindung mit § 27a Abs. 2 Satz 1 LuftVO). Das BAF muss eine Abwägungsentscheidung treffen5, bei der gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 und 3 LuftVG sowie § 29b Abs. 2 LuftVG auch Lärmbelange zu berücksichtigen sind. Hierbei muss es Flugroutenvarianten und deren wesentliche Parameter ermitteln und prüfen.6 Denn eine Variantenprüfung ist grundlegende Voraussetzung dafür, dass eine Abwägungsentscheidung überhaupt stattfinden kann. Für die Berücksichtigung der Lärmbelange gelten unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe, je nachdem, ob durch die Flugroutenführung Fluglärm hervorgerufen wird, der oberhalb oder unterhalb der Zumutbarkeitsschwelle liegt. Für eine Flugroute, die unzumutbaren Fluglärm verursacht, darf sich das BAF nur entscheiden, „wenn überwiegende Gründe zur sicheren, geordneten und flüssigen Abwicklung des Luftverkehrs dies gebieten“.7 Ein anderer Prüfungsmaßstab gilt bei zumutbarem Fluglärm; in diesem Fall genügen sachliche Gründe, um sich für oder gegen eine Flugroute zu entscheiden.8 Dies zeigt, dass sowohl die Planfeststellungsbehörde als auch die Luftsicherheitsbehörde eine eigene Entscheidungen trifft mit der Konsequenz, dass die Planungen aus dem Planfeststellungsverfahren von den später festgesetzten Flugrouten abweichen können. Das Bundesverwaltungsgericht hat zu dieser im Gesetz angelegten Zuständigkeitsspaltung und den damit verbundenen Rechtsfragen in zwei Urteilen zum Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld (BER) – im Schönefeld II-Urteil und im Schönefeld III-Urteil9 – Stellung genommen. Es ___________ 4
BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 147. BVerwG, Urt. vom 28. Juni 2000 – 11 C 13.99, BeckRS 2000, 30119761 und Urteil vom 24. Juni 2006 – 4 C 11.03, NVwZ 2004, 1229 (1230); vgl. auch Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl. (2009), Rn. 3556, der von einer „Sparabwägung“ spricht. 6 BVerwG, Urt. vom 24. Juni 2004 – 4 C 11.03, NVwZ 2004, 1229 (1232). 7 BVerwG, Urt. vom 24. Juni 2004 – 4 C 11/03, NVwZ 2004, 1229, 4. Leitsatz. 8 BVerwG, Urt. vom 24. Juni 2004 – 4 C 11.03, NVwZ 2004, 1229 (1232); Urt. vom 24. Juni 2004 – 4 C 15.03, Beck RS 2004, 24217. 9 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10; BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 4 A 7001.11 bis 7003.11 u.a. Das Schönefeld I-Urteil betraf die gegen den Plan5
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hat aufgezeigt, welche Planungs- und Abwägungsmaßstäbe gelten, um beide Entscheidungsebenen aufeinander abzustimmen. Diese Maßstäbe sowie die praktischen Konsequenzen für die zukünftige Planung werden im Folgenden für die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung für die Flugroutenprognosen (vgl. II.) und die Festsetzung von Flugrouten (vgl. III.) dargestellt.
II. Lärmschutz in der Flughafenplanung Wie soeben aufgezeigt muss die Planfeststellungsbehörde prüfen, ob das vom Vorhabenträger geplante Lärmschutzkonzept die Lärmkonflikte bewältigen kann, die das Vorhaben auslöst. Grundlage dieser Abwägung ist die Flugroutenprognose. Dementsprechend ist zu untersuchen, welche Anforderungen an den Planungsprozess mit Blick auf die Standortentscheidung (vgl. 1.), den Nachtflugbetrieb (vgl. 2.), die Bahnkonfiguration (vgl. 3.) und die Lärmschutzund Entschädigungsgebiete (vgl. 4) aus der Verpflichtung zur Erstellung der Flugroutenprognose erwachsen. Die neuen materiellen Planungsmaßstäbe haben Änderungen im Planfeststellungsverfahren und beim Rechtschutz zur Folge (vgl. 5.). 1. Standort des Flughafens Nach ständiger Rechtsprechung sind Prognosen generell nur dann ordnungsgemäß, wenn sie auf realistischen Annahmen beruhen, methodisch einwandfrei ermittelt und das Prognoseergebnis einleuchtend begründet ist.10 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Schönefeld II-Urteil erstmals diese allgemeinen Anforderungen für Flugroutenprognosen konkretisiert und damit auf die Zuständigkeitsspaltung zwischen Planfeststellung und Flugroutenfestsetzung reagiert. a) Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts Die Prognose müsse zum einen mit den Flugsicherheitsbehörden, d.h. der Deutschen Flugsicherung GmbH (DFS) und dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) abgestimmt sein.11 Durch diese Anforderung will das Bundesverwaltungsgericht sicherstellen, dass sich die fachkompetenten Behörden dazu äußern können, mit welchen Flugrouten bei Inbetriebnahme des Flughafens zu ___________ feststellungsbeschluss gerichteten Klagen, vgl. BVerwG, Urt. vom 16. März 2006 – 4 A 1075.04. 10 Vgl. BVerwG, Urt. vom 27. Oktober 1998 – 11 A 1.97, Urt. vom 2. Oktober 2002 – 9 VR 11.02 sowie Urt. vom 24. November 2004 – 9 A 42.03. 11 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 149.
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rechnen ist.12 Die Planfeststellungsbehörde könne sich darauf beschränken, mit dieser abgestimmten Flugroutenprognose zu planen; sie müsse nicht weitere, realistischerweise in Betracht kommende Flugrouten auf die zu erwartenden Lärmbeeinträchtigungen untersuchen.13 Zum zweiten müsse die Flugroutenprognose die Modalitäten des Flugbetriebs hinreichend genau abbilden. Die Prognose muss damit nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts geeignet sein, aussagekräftige und passgenaue Lärmdaten für die Abwägung zu ermitteln. Wie detailliert die Planfeststellungsbehörde den Sachverhalt dafür aufklären muss, hänge vom jeweils zu beurteilenden Aspekt des untersuchten Lärmschutzkonzeptes ab14. Mit anderen Worten komme es maßgeblich auf den jeweiligen Abwägungsbelang an, wie genau die Anzahl der betroffenen Anwohner und die Schwere ihrer Belastung bestimmt werden müssen, um eine ordnungsgemäße Abwägung zu ermöglichen: Für die Standortentscheidung genüge es, wenn die Planfeststellungsbehörde eine Grobplanung der Flugrouten zugrunde lege. Anhand dieser müsse sie ermitteln können, (i) wie viele Anwohner betroffen sein werden und (ii) wie schwer die jeweilige Betroffenheit sein wird. Die Prognose brauche nicht so genau sein, dass die Behörde auch ermitteln könne, welche Anwohner betroffen sein werden.15 Eine Flugroutenprognose sei folglich bereits dann ausreichend, wenn sie den Umfang der Lärmbelastung auch für andere Flugrouten und damit andere überflogene Gebiete zutreffend abbildet. Dies sei der Fall, wenn diese Gebiete „nicht oder jedenfalls nicht erheblich dichter besiedelt [sind] als diejenigen, die von den [prognostizierten] Flugrouten betroffen wären“.16 Aus dem Schönefeld II- und dem Schönefeld III-Urteil lässt sich ableiten, wie das Gericht diese „Grob-“Abschätzung der Betroffenheiten begründet: Die Standortentscheidung kann im Gegensatz zur Flugroutenführung nicht ständig an (neue) Bedürfnisse angepasst werden. Sie muss auch dann Bestand haben können, wenn das BAF nachträglich andere An- und Abflugverfahren festgelegt, als im Planfeststellungsverfahren prognostiziert.17 Die Planfeststellungsbehörde muss somit die gesamte potentiell betroffene Bevölkerung einbeziehen. Dabei genüge es jedoch, die Betroffenheiten ungefähr zu ermitteln, weil ___________ 12
BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 151. BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 147. 14 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 149 f. 15 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 159; BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 4 A 7001.11 u.a., Rn. 54. 16 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 159; BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 4 A 7001.11 u.a., Rn. 57. 17 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 150; BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 5 A 5000.10 u.a., Rn. 51. 13
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für die Entscheidung für einen Flughafenstandort die Siedlungsstruktur in der Flughafenumgebung18, nicht aber individualisierte Betroffenheiten maßgeblich seien. Dementsprechend genüge es, wenn anhand der Flugroutenprognose Lärmbetroffenheiten simuliert werden können, die ein realistisches Bild der Lärmbetroffenheiten vermitteln können. Auf das Abwägungsergebnis könne es keinen Einfluss haben, welcher Anwohner genau betroffen ist. Die am Ende tatsächlich betroffenen Bewohner seien in der Abwägung von den irrtümlich ermittelten „repräsentiert“.19 Um beurteilen zu können, ob die Flugroutenprognose ein realistisches Bild vermittle, hat das Bundesverwaltungsgericht geprüft, ob die Gebiete, für die die Flugrouten prognostiziert waren, nicht oder nicht erheblich dichter besiedelt sind, als diejenigen Gebiete, über denen die Flugrouten voraussichtlich festgesetzt werden (dies war ausnahmsweise möglich, weil die Flugrouten im Zeitpunkt der Entscheidung über den Planfeststellungsbeschluss schon absehbar waren). Dazu hat das Gericht die Siedlungsstruktur grob analysiert. Maßgeblich sei zum einen, ob dicht besiedelte, etwa großstädtische Gebiete, oder nur dünn besiedelte Gebiete (im Stadtrandbereich) von den anderen Flugrouten überflogen werden würden.20 Anschließend hat das Bundesverwaltungsgericht geprüft, welche Orte und Ortsbereiche (jeweils im dünnbesiedelten Stadtumland) entlastet und welche neu belastet werden.21 b) Bewertung Das Bundesverwaltungsgericht verlangt, dass das Planungsergebnis auch bei anderen als zuvor prognostizierten Flugrouten Bestand hat. Es trägt damit dem Umstand Rechnung, dass – wie es der Vorsitzende Richter des 4. Senats in der mündlichen Verhandlung umschrieben hat – Flugrouten „flüchtig“ sind. Planfeststellungsbehörden können sich daher zukünftig nicht mehr auf den Standpunkt zurückziehen, sie hätten die im Zeitpunkt der Planfeststellung absehbaren Lärmkonflikte bewältigt, indem sie eine bestimmte Flugroute prognostiziert haben. Vielmehr müssen sie jetzt die Flüchtigkeit der Flugrouten berücksichtigen und mit dieser Unsicherheit bereits in der Planfeststellung umgehen und sie bewältigen. Im Ergebnis hat das Bundesverwaltungsgericht damit geklärt, dass eine Flugroutenänderung voraussehbar ist und daher keine „nicht voraussehbare Wirkung“ im Sinne des § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG. ___________ 18 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 150; BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 4 A 7001.11 u.a., Rn. 54. 19 BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 4 A 5000.10, Rn. 50. 20 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 159. 21 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 159.
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Die Planfeststellungsbehörde muss prüfen, ob die abgestimmte Flugroutenprognose repräsentativ ist für alle möglichen weiteren realistischen Flugrouten. Dies ist im Ergebnis zwar zu begrüßen. Der vom Bundesverwaltungsgericht gewählte Ansatz über die Repräsentation der Lärmbetroffenheiten ist verfassungsrechtlich allerdings bedenklich. Denn für diese Betroffenen gewährleistet der Planungsmaßstab des Bundesverwaltungsgerichts keinen Individualgrundrechtsschutz. Legt man der Planfeststellung nur eine Flugroute zugrunde, kann die Planfeststellungsbehörde nur einen Ausschnitt der tatsächlichen Betroffenheiten individualisiert ermitteln; Betroffenheiten, die bei anderen Flugrouten entstehen, werden nur repräsentativ bestimmt. Dies verstößt gegen den Grundsatz, dass Grundrechtsschutz Individualrechtsschutz ist. Der verfassungsrechtlich zu bevorzugende Weg ist daher die Durchführung einer „worst case“Betrachtung (vgl. sogleich 2.1.3). Das Schönefeld II- und das Schönefeld III-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zeigen auf, wie Flugrouten zu prognostizieren sind. Im Schönefeld IIUrteil hatte das Bundesverwaltungsgericht noch offen gelassen, wie die Planfeststellungsbehörde das Flughafenumfeld räumlich abgrenzen soll, dessen Siedlungsstruktur sie zu untersuchen hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage im Schönefeld III-Urteil nun beantwortet: Es ist auf den gesamten Einwirkungsbereich des Flughafens abzustellen.22 Den Urteilsgründen lässt sich hingegen nicht entnehmen, wann Unterschiede in der Siedlungsstruktur als abwägungserheblich zu qualifizieren und die Flugroutenprognosen damit nicht repräsentativ für das gesamte Flughafenumfeld sind.23 In der mündlichen Verhandlung zum Schönefeld III-Verfahren wurde diese Frage vertieft thematisiert; auch in diesem Zusammenhang nannte das Gericht keine numerische Grenze oder Zielgröße. c) Konsequenzen für die fachplanerische Praxis Den Planfeststellungsbehörden – und den Vorhabenträgern – ist vor diesem Hintergrund Folgendes zu raten, um Flughäfen „gerichtsfest“ zu planen und zu genehmigen: Für die Standortabwägung24 sollte die Planfeststellungsbehörde mit den Flugsicherheitsbehörden abgestimmte Flugrouten prognostizieren und die Lärmauswirkungen nach Grad der Betroffenheiten und Anzahl der Betroffenen anhand dieser ermitteln. Im Planfeststellungsverfahren für den Flughafen Berlin-Schönefeld hatte die Planfeststellungsbehörde die Auswirkungen anhand ___________ 22 23 24
Zu der Frage, wie weit dieser zu ziehen ist, vgl. sogleich II.1.c). BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 159. Für weitere Teilaspekte der Planung vgl. im Folgenden unter II.2. bis II.4.
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der Lärmkontur des 62 dB(A) Dauerschallpegels bestimmt. Diese methodische Vorgehensweise hatte das Bundesverwaltungsgericht nicht beanstandet.25 In einem zweiten Schritt sollte die Planfeststellungsbehörde untersuchen, ob sich das gefundene Abwägungsergebnis auch aufrecht erhalten lässt, wenn später andere als die prognostizierten Flugrouten festgesetzt werden. Im Ergebnis dürfte dies auf eine „worst case“-Betrachtung hinauslaufen. Eine „worst case“Betrachtung ist stets dann erforderlich, wenn nicht abschließend geklärt werden kann, wo und in welchem Umfang Beeinträchtigungen zu erwarten sind; dann muss jeweils der ungünstigste Fall der Auswirkungen prognostiziert werden.26 Da die Flugrouten erst bei Inbetriebnahme des Flughafens festgesetzt werden, ist bei Erlass des Planfeststellungsverfahrens noch unklar, wo und in welchem Umfang Lärm entstehen wird. Diese Unkenntnis kann dadurch abgefedert werden, dass die potentiellen Lärmauswirkungen für das gesamte Umland analysiert werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Schönefeld-III-Urteil zwar ausdrücklich die Auffassung vertreten, dass eine „worst case“-Betrachtung nicht erforderlich sei.27 Es setzt dies aber faktisch voraus: Denn das Gericht hat selbst im Wege einer Grobanalyse der Siedlungsstruktur geprüft, ob sich die Anzahl und der Grad der Lärmbetroffenheiten abwägungserheblich verändert, wenn die Flugrouten später anders als prognostiziert festgesetzt werden. Auch andere Passagen der Urteilsgründe sprechen für eine solche „worst case“-Betrachtung. So führt das Bundesverwaltungsgericht zur Klagebefugnis der Lärmbetroffenen aus: „Unabhängig von der für das Planfeststellungsverfahren erstellten Flugroutenprognose [könne] jeder Klage gegen die Anlegung oder den Ausbau eines Flughafens erheben, der durch Fluglärm abwägungserheblich betroffen ist. Das ist der Fall, wenn sein Grundstück innerhalb des Einwirkungsbereichs des Flughafens liegt und weder auch tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen auszuschließen ist, dass ein zu seiner Betroffenheit führendes Flugverfahren festgelegt wird“28. Sind aber Auswirkungen auch außerhalb der prognostizieren Flugroutenkorridore abwägungserheblich, müssen sie im Umkehrschluss auch von der Planfeststellungsbehörde ermittelt werden. Die Planfeststellungsbehörde sollte daher alternative Lärmverteilungsmodelle prognostizieren, d.h. prüfen, welche Lärmauswirkungen entstehen, wenn andere als die prognostizierten Flugrouten festgesetzt werden. Dabei ist es nicht erforderlich, jede nur denkbare Flugroute zugrunde zu legen. Es genügt weitere realistische (vgl. II.1.a)) Flugrouten zusätzlich auf ihre Lärmauswirkungen zu ___________ 25 26 27 28
BVerwG, Urt. vom 16. März 2006 – 4 A 1075.04, Rn. 109. So BVerwG, Urt. vom 16. März 2006 – 4 A 1075.04, Rn. 492. BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 4 A 7001.11 u.a., Rn. 66. BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 4 A 5000.10 u.a., Rn. 46.
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prognostizieren; als unrealistisch sind insbesondere solche Routen zu qualifizieren, für die keine sachlichen Gründe sprechen, denn diese würden im Flugroutenfestsetzungsverfahren nicht ausgewählt werden.29 Bei der dann durchzuführenden Grobanalyse der Siedlungsstruktur sollte die Planfeststellungsbehörde vordringlich die Anzahl und den Grad der Betroffenheiten ermitteln, bewerten und gegen andere Standortbelange abwägen.30 Wie weit der räumliche Umfang der zu untersuchenden Siedlungsstruktur, d.h. der Einwirkungsbereich zu bestimmen ist, sollte die Planfeststellungsbehörde mit DFS und BAF abstimmen. Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts dürften auch in diesem Zusammenhang keine weiteren (realistischen) Flugrouten zu prognostizieren sind; denn es hat ausdrücklich herausgestellt, dass eine Prognose genüge. Sollte die Planfeststellungsbehörde jedoch unsicher sein, wie weit das Flughafenumfeld zu ziehen ist, sollte sie sich mit DFS und BAF über mögliche realistische Alternativflugrouten verständigen. Auch wenn es sich dabei um eine recht aufwendige Methode handelt, dürfte sie jedoch tauglich sein, um den „Einwirkungsbereich“ des Flughafens sachgerecht zu bestimmen. Nachdem die Planfeststellungsbehörde bei der vergleichenden „worst case“Betrachtung alternative Lärmbetroffenheiten im Einwirkungsbereich des Flughafens ermittelt hat, muss sie diese in die Abwägung einstellen – allerdings nur alternativ und nicht kumulativ. Denn objektiv werden die Lärmbetroffenheiten nur einmal, d.h. durch eine, im Idealfall die prognostizierte Flugroute ausgelöst. Die Planfeststellungsbehörde sollte in ihrer Entscheidung daher deutlich machen, dass sie die Belange nur alternativ berücksichtigt hat. Das Bundesverwaltungsgericht lässt auch offen, bei welcher Größenordnung die Umlandgebiete abwägungserheblich dichter oder geringer besiedelt sind. Es bleibt daher abzuwarten, welcher Maßstab sich in Praxis und Rechtsprechung zukünftig herausbildet. Im Zweifel sollte die Planfeststellungsbehörde jedoch bereits geringere Abweichungen in der Besiedelungsdichte als abwägungserheblich einstufen und eine Standortwahl entsprechend detaillierter begründen. Zumindest Abweichungen, die im Rahmen der Raumordnungsplanung eine andere Standortentscheidung begründen können, d.h. Differenzen von mehreren 10.000 Einwohnern (vgl. oben II.1.a)) dürften abwägungserheblich sein.
___________ 29
Vgl. oben 1. Mit einem gleichbleibenden Gesamtlärmaufkommen sollte die Planfeststellungsbehörde allenfalls hilfsweise argumentieren. Denn das Gesamtlärmaufkommen dürfte von der Wahl der Flugrouten unabhängig sein und stets gleich bleiben. Für das Gesamtlärmaufkommen ist vielmehr das Flugaufkommen am Flughafen ausschlaggebend. 30
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d) Zwischenergebnis Festzuhalten bleibt: Aufgrund der Rechtsprechung zu den Flugrouten(prognosen) wird sich zukünftig ein erhöhter Planungsaufwand ergeben. Denn die Planfeststellungsbehörden sollten nicht nur die Lärmauswirkungen einer Flugrouten(prognose) ermitteln. Sie sollten die mit der Flugroutenfestlegung verbundenen Unsicherheiten in einem größerem Maße bereits im Planfeststellungsverfahren bewältigen; hierzu sollten sie die gesamte Siedlungsstruktur im Flughafenumfeld analysieren und alternativ „worst case“-Flugrouten im Rahmen der Abwägung prüfen. Dies kann dazu beitragen, Planfeststellung und Flugroutenplanung trotz der Verfahrenstrennung besser aufeinander abzustimmen. 2. Nachtflugbetrieb Mit Blick auf den Nachtflugbetrieb ergeben sich aus den SchönefeldUrteilen ebenfalls Neuerungen zu den Flugroutenprognosen: Das Bundesverwaltungsgericht wendet für die Flugroutenprognose den gleichen Maßstab an, wie bei der Standortentscheidung. Auch hier könne die Abwägung der Lärmbetroffenheiten unabhängig davon erfolgen, welche Anwohner genau betroffen seien.31 Die Planfeststellungsbehörde müsse daher ebenfalls anhand einer mit BAF und DFS abgestimmten Flugroute zunächst nur prüfen, wie viele Anwohner ungefähr durch Fluglärm betroffen sein werden und wie schwer die jeweilige Betroffenheit sein wird (vgl. oben II.1.a)).32 Die planerische Entscheidung zum Flugbetrieb soll aber auch dann Bestand haben, wenn andere Flugrouten festgelegt werden; die Planfeststellungsbehörde sollte daher ermitteln, ob die anderen möglicherweise überflogenen Siedlungsbereiche dichter besiedelt sind.33 Um dies zu beurteilen, muss sie nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch hier die Siedlungsstruktur grob analysieren.34 Das Bundesverwaltungsgericht nennt auch für den Nachtflugbetrieb keine Zahlen, wann ein Gebiet als dichter besiedelt gilt. Zur Zeit ist es damit unklar, wann die Besiedlung abwägungserheblich anders strukturiert ist. Die Planfeststellungsbehörde sollte der prognostischen Unsicherheit mit der zuvor dargestellten „worst case“-Betrachtung begegnen (vgl. II.1.c)). Sie sollte ___________ 31
BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 159. BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 150. 33 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 159; BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 5000.10, Rn. 68. 34 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 159; BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 5000.10, Rn. 68. 32
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– entsprechend dem Vorbild im Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld35 – zusätzlich aber auch mit einem Auflagenvorbehalt dem Umstand vorbeugen, dass sich die Lärmbelastung anders entwickelt.36 Damit würde sie dem aus den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts herauszulesenden Ansatz entsprechen, dass Flugroutenänderungen voraussehbar sind (vgl. bereits oben II.1.b)). Mit dem Auflagenvorbehalt kann sie sich die nachträgliche Festsetzung, Änderung oder Ergänzung von Auflagen zum Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm vorbehalten und sich insbesondere dazu verpflichten, die flugbetrieblichen Regelungen anzupassen. Hierbei sollte die Behörde darauf achten, den Vorbehalt drittschützend zugunsten der Lärmbetroffenen auszugestalten37, so dass diese nachträgliche Schutzmaßnahmen einklagen können. Auch für (nacht-)flugbetriebliche Regelungen gilt also, dass sie bei anderen als den prognostizierten Flugrouten Bestand haben müssen. Dementsprechend darf die Planfeststellungsbehörde nicht nur prüfen, welche Lärmauswirkungen die mit DFS und BAF abgestimmte Prognose hat. Bevor sie die Nachtflugregelungen festlegt, sollte sie in einem zweiten Schritt die Siedlungsstruktur außerhalb der prognostizierten Flugroutenkorridore grob analysieren. 3. Bahnkonfiguration Mit Blick auf die Festlegung der Bahnkonfiguration ist den Planfeststellungsbehörden ebenfalls zu raten, zweischrittig vorzugehen: Die Planfeststellungsbehörde sollte zunächst anhand einer mit DFS und BAF abgestimmten Flugroutenprognose ermitteln, welche Betroffenheiten verschiedene Bahnkonfigurationen auslösen und sich unter Abwägung auch der Lärmschutzgesichtspunkte für eine Variante entscheiden. Das Schönefeld-I-Urteil zeigt hierfür einen gangbaren Weg.38 Für den Flughafen Berlin-Schönefeld wurde die Anzahl der Lärmbetroffenen innerhalb der 69, der 65 sowie der 62 dB(A)-Dauerschallkontur bei unterschiedlichen Konfigurationsvarianten ermittelt und miteinander verglichen. Bei der Suche nach der lärmschonendsten Konfigurationsvariante wurde zunächst ein Raster für den Achsabstand und den Versatz zwischen den Start- und Landebahnen gebildet und die Lärmauswir___________ 35
Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld vom 13. August 2004, Seite 110. 36 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 200, BVerwG, Urt. vom 16. März 2006 – 4 A 1075.04, Rn. 356. 37 BVerwG, Urt. vom 16. März 2006 – 4 A 1075.04, Rn. 356. 38 BVerwG, Urt. vom 16. März 2006 – 4 A 1075.04, Rn. 262 in Verbindung mit dem Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld vom 13. August 2004, Seite 634ff.
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kungen auf die Umgebung untersucht; die Maschenweiten für Versatz und Achsabstand betrugen dabei jeweils circa 200m. Varianten, die sich (nicht nur unter Lärmschutzgesichtspunkten) als ungeeignet herausgestellt haben, wurden nach diesem Untersuchungsschritt ausgeschlossen. In einem zweiten Schritt wurden im Wege einer Feinanalyse die verbleibenden Lagevarianten detaillierter untersucht. Um dabei die erforderliche Aussageschärfe zu erreichen, wurde das Raster für Abstand und Versatz innerhalb des eingegrenzten Lagefensters weiter verdichtet. Die Verdichtung der Maschen erfolgte dabei selektiv und zwar solange, bis für die konkreten Abwägungsbelange eine hinreichende Aussageschärfe erreicht ist. Dies führte zu Maschenweiten von 25 bis 50m.39 Mit einer solchen Vorgehensweise dürfte sichergestellt sein, dass die lärmschutzrechtliche Abwägung zur Bahnkonfiguration der gerichtlichen Überprüfung standhält, wenn die Flugrouten später so wie prognostiziert festgesetzt werden. Jedoch ist es wahrscheinlich, dass das Bundesverwaltungsgericht auch hier prüfen wird, ob die Bahnkonfiguration bei anderen Flugrouten Bestand haben kann. Denn wie die Standortentscheidung kann auch die Start- und Landebahninfrastruktur nur schwer nachträglich geändert werden. Auch sie muss letztlich bei geänderten Flugrouten lärmverträglich sein. Der Vorhabenträger und die Planfeststellungsbehörden sollte daher untersuchen, ob die Flugroutenprognose repräsentativ für andere, realistischerweise festsetzbare Flugrouten ist. Allerdings dürfte eine Grobanalyse der Siedlungsstruktur nicht ausreichen, sondern vielmehr eine Feinanalyse erforderlich sein. Denn eine Flugroutenprognose, die allein den Anforderungen des weiten Maßstabs für die Standortabwägung genügt, kann nicht hinreichend genau diejenigen Modalitäten des Flugbetriebs abbilden, die für die Ermittlung der Bahnkonfiguration erforderlich sind. Ob sich die Bahnkonfiguration unter Lärmgesichtspunkten in die Umgebung einfügt, bedarf einer wesentlich detaillierteren Tatsachenkenntnis. Allein das Wissen darüber, wie viele Anwohner ungefähr von Fluglärm betroffen sein werden und wie schwer diese Betroffenheit sein wird, genügt nicht. Anders als bei der Entscheidung zum Standort- und den Betriebsregelungen können bereits Änderungen von wenigen hundert Betroffenen ausschlaggebend bei der Auswahl der Bahnkonfiguration sein. So war die Erhöhung der Betroffenenzahl von 400 auf 800 Personen innerhalb der 69 dB(A)-Lärmkontur und um 550 Personen innerhalb der 62 dB(A)-Lärmkontur maßgebliche Faktoren gegen eine bestimmte Bahnkonfiguration.40 Geringe Verschiebungen der Flugrouten können damit ein anderes Abwägungsergebnis bewirken. ___________ 39 Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld vom 13. August 2004, Seite 636. 40 Vgl. Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld vom 13. August 2004, Seite 639.
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Ausschlaggebend bei der Feinanalyse sollte aber nicht nur sein, ob sich die Anzahl der Betroffenen innerhalb der untersuchten Dauerschallpegel (im dreistelligen Bereich) ändert, wenn sich die Flugrouten verschieben. Daneben sollte die Planfeststellungsbehörde gegebenenfalls auch prüfen, ob lärmempfindliche Einrichtungen (wie etwa Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser) zusätzlich betroffen sein würden. Denn auch dies kann unter Umständen ausschlaggebend für die Entscheidung gegen eine bestimmte Bahnkonfiguration sein.41 4. Lärmschutz- und Entschädigungsgebiete Während das Bundesverwaltungsgericht für die Standortfestlegung und die (Nacht-)Flugbetriebsregelungen eine grobe Prognose und eine Grobanalyse der Siedlungsstruktur für ausreichend erachtet, muss die Planfeststellungsbehörde für die Lärmschutz- und Entschädigungsgebiete eine weitaus präzisere Flugroutenprognose zugrunde legen und dementsprechend auch die Lärmbetroffenheiten detaillierter aufklären: Sie muss so genau sein, dass auf ihrer Grundlage exakt ermittelbar ist, (i) welche Anwohner (ii) in welchem Umfang von Fluglärm betroffen sein werden. Denn nur, wenn die Prognose diese detaillierte Sachverhaltsaufklärung ermöglicht, können Individualansprüche auf Lärmschutz und Entschädigung bestimmt und durchgesetzt werden.42 Im Ergebnis entfällt damit die vergleichende „worst case“-Betrachtung. Denn schon bei geringen Abweichungen der Flugkorridore verschieben sich die Lärmschutz- und Entschädigungsgebiete. Eine Flugroute ist somit in der Regel nicht repräsentativ für andere mögliche Flugrouten. Damit stellt sich die Frage, ob und wie die Planfeststellungsbehörde mit dem Umstand umgehen sollte, dass die Flugrouten – trotz ordnungsgemäßer Prognose – später anders festgesetzt werden können. Wie bereits dargestellt (vgl. oben II.1.a)), tendiert das Bundesverwaltungsgericht dazu, die Unsicherheiten der Flugroutenprognose bereits im Planfeststellungsverfahren zu bewältigen. Für die Lärmschutz- und Entschädigungsgebiete hat es sogar ausdrücklich anerkannt, dass die Planfeststellungsbehörde mit einem drittschützenden Auflagenvorbehalt für absehbare Flugroutenänderungen Vorsorge treffen sollte. In diesem kann sie sich die nachträgliche Festsetzung von Auflagen zum Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm vorbehalten und sich insbesondere dazu ver-
___________ 41 Vgl. Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld vom 13. August 2004, Seite 639. 42 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 150 und 158.
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pflichten, die festgelegten Schutz- und Entschädigungsgebiete bei geänderten An- und Abflugverfahren am Flughafen neu auszuweisen.43 5. Konsequenzen der Flugroutenrechtsprechung für Verfahren und Rechtsschutz Die neue Flugroutenrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ändert nicht nur das materielle Prüfprogramm der Planfeststellungsbehörden. Sie ist auch mit Änderungen für den Rechtsschutz (vgl. II.5.a)) und das Verwaltungsverfahren (vgl. II.5.b)) verbunden. a) Rechtsschutz: Klagebefugnis Die Rechtschutzmöglichkeiten für luftverkehrsrechtliche Planfeststellungen werden erheblich erweitert. Klagebefugt sind nicht nur diejenigen Flughafenanwohner, die mit Lärmauswirkungen der prognostizierten Flugrouten rechnen müssen. Darüber hinaus können auch all jene klagen, die innerhalb des Einwirkungsbereichs des Flughafens wohnen und weder aus tatsächlichen noch rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist, dass sie später durch eine (abweichend festgesetzte) Flugrouten von Lärm betroffen sein könnten.44 Diese Rechtsprechung dürfte im Einklang stehen mit dem System des subjektiv-öffentlichen Rechtsschutzes (§ 42 Abs. 2 VwGO). Zwar wird die Planfeststellungsbehörde die Lärmbetroffenheiten nur alternativ für jeweils eine Flugroute und nicht kumulativ für den gesamten Einwirkungsbereich des Flughafens in die Entscheidung einstellen dürfen (vgl. oben II.1.c)). Der Planfeststellungsbeschluss stellt damit die Lärmbetroffenheiten nur „aggregiert“ und nicht individualisiert dar. Daher lässt sich argumentieren, die Anwohner könnten auch keine individualisierten Lärmschutzbelange im Klagewege geltend machen. Dagegen spricht jedoch, dass das Bundesverwaltungsgericht eine Rechtsposition aller potentiell von Flugrouten betroffenen Anwohner ausdrücklich anerkannt hat. Damit ist bei der Prüfung der Klagebefugnis zu unterstellen, dass individualisierte Rechtspositionen abgewogen wurden. Die Anwohner außerhalb des prognostizierten Flugroutenkorridors können damit wohl sogar zwei individualisierte Rechtspositionen geltend machen. Zum einen können sie rügen, dass ihre Lärmbetroffenheiten nicht vergleichbar sind mit den Lärmbetroffenheiten ___________ 43 BVerwG, Urt. vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001.10, Rn. 158 und BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 4 A 7001.11 u.a., Rn. 91. 44 BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 4 A 7001.11 u.a., Rn. 32 und – 4 A 5000.10 u.a., Rn. 45 ff.
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innerhalb des prognostizierten Flugroutenkorridors, d.h. die Siedlungsstruktur abwägungserheblich abweicht. Zum anderen können sie – bei unterstellter Vergleichbarkeit – beanstanden, dass die Lärmbelange im Verhältnis zu den anderen privaten und öffentlichen Belangen falsch gewichtet wurden. b) Verfahren – Auslegung der Planunterlagen Die neue Rechtsprechung zur Klagebefugnis bedingt auch Änderungen in der Durchführung des Planfeststellungsverfahrens. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Schönefeld III-Urteil festgestellt, dass die Planunterlagen im gesamten Einwirkungsbereich des Flughafens ausgelegt werden müssen. Denn es müsse jeder im Planfeststellungsverfahren beteiligt werden, der auch klagebefugt sei.45 Damit konkretisiert das Gericht die Regelung des § 10 Abs. 2 Nr. 2 LuftVG. Danach muss der Plan in den Gemeinden ausgelegt werden, in denen sich das Vorhaben voraussichtlich auswirkt. Dieser Bereich wird nun nicht mehr durch die – eine – prognostizierte Flugroute und ihre Lärmauswirkungen determiniert. Er umfasst vielmehr den gesamten Bereich, in dem weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist, dass ein Flugverfahren festgesetzt und zu abwägungserheblichen Lärmauswirkungen führt. Die Planfeststellungsbehörde wird in der Regel nicht abschätzen können, wo realistischerweise Flugrouten festgesetzt werden können, wie weit sich also der Einwirkungsbereich erstreckt. Um das Verfahren fehlerfrei zu gestalten, sollte sie sich auch hierzu mit DFS und BAF abstimmen. Im Übrigen sollte die Behörde den Kreis der Gemeinden, in denen sie die Planunterlagen auslegt, eher weit als eng ziehen. 6. Ergebnis Das Bundesverwaltungsgericht hat die Weichen für die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung neu gestellt; Planfeststellungsbehörden müssen mit den Unsicherheiten, die Flugroutenprognosen aufwerfen, zukünftig anders umgehen. Sie müssen die Lärmauswirkungen anhand einer mit den Flugsicherheitsbehörden abgestimmten Flugroutenprognose ermitteln. Die Prognose muss dabei so genau sein, dass die Planfeststellungsbehörde aussagekräftige und passgenaue Lärmdaten für die jeweilige Entscheidung ermitteln kann. Sie sollte aber dabei nicht stehen bleiben. In einem weiteren Schritt sollte sie prüfen, ob ihre Entscheidung auch bei sich ändernden Flugrouten Bestand haben kann. Im Rahmen der Standortentscheidung, der Festlegung der (nacht-)flugbetrieblichen Regelungen und der Bahnkonfiguration sollte sie ermitteln, ob andere Flugrou___________ 45
BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 4 A 7001.11 u.a., Rn. 32.
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ten andere Lärmauswirkungen hervorrufen; hierzu ist die Siedlungsstruktur im gesamten Einwirkungsbereich des Flughafens auf seine Vergleichbarkeit zu analysieren. Da die Behörde diesen Einwirkungsbereich in der Regel nicht aus eigener Kompetenz ermitteln können dürfte, wird sie sich auch hierzu mit DFS und BAF abzustimmen haben. Mit dem erweiterten materiellen Prüfprogramm geht auch die Ausdehnung der Klagebefugnis einher. Klagebefugt ist jeder, dessen Grundstück im potentiellen Einwirkungsbereich des Flughafens liegt. In diesem Bereich sind auch die Planungsunterlagen auszulegen. III. Lärmschutzrechtliche Anforderungen bei der Flugroutenfestsetzung Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich im Zuge der Klageverfahren gegen den Flughafen Berlin-Schönefeld nicht nur mit der Frage zu befassen, wie sich Lärmkonflikte trotz der Trennung von Flugrouten- und Flughafenplanung planfeststellungsrechtlich bewältigen lassen. Es musste mittelbar auch prüfen, ob eine stimmige Planung im Flugroutenfestsetzungsverfahren erreicht werden kann (vgl. III.1.). Dass nicht nur das materielle Prüfprogramm, sondern auch das Verfahrensrecht einer Novellierung bedarf, wird abschließend aufgezeigt (vgl. III.2.). 1. Stärkere Bindung an die Planfeststellung – Vertrauensschutz Ausgangspunkt für die Planungsgrundsätze für Flugrouten ist die bereits beschriebene gesetzliche Kompetenzverteilung zwischen Luftverkehrs- und Luftsicherheitsbehörden (vgl. oben 1.). Die Flugroutenfestlegung ist vorrangig ein sicherheitsrechtliches Instrument und dient nicht primär dem Ziel, die Infrastruktur zu verbessern. Das BAF als Luftsicherheitsbehörde hat daher grundsätzlich nicht die Kompetenz, über die flugbetriebliche Konzeption und die fachplanerischen Aspekte des Flughafens zu entscheiden; dies ist der Planfeststellungsbehörde vorbehalten. Das Bundesverwaltungsgericht führt hierzu in ständiger Rechtsprechung aus: „Die Quelle des Fluglärms ist seiner Einwirkung entzogen. Insoweit bestimmt die luftseitige Verkehrskapazität des jeweiligen Flughafens […] nach Maßgabe der luftrechtlichen Zulassungsentscheidung das Lärmpotenzial.“46 Das BAF ist damit darauf beschränkt, den durch den Flugha___________ 46 BVerwG, Urt. vom 24. Juni 2004 – 4 C 11.03, NVwZ 2004, 1229 (1231); vgl. auch BVerwG, Urt. vom 28. Juni 2000 – 11 C 13.99, BeckRS 2000, 30119761.
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fen verursachten Lärm zu verteilen; es darf die Störquelle nicht beseitigen oder einschränken. Im Schönefeld III-Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht diese Bindungen der Luftsicherheitsbehörden präzisiert. So dürfe die Planfeststellungsbehörde davon ausgehen, dass das BAF Flugverfahren festlegen wird, die Art und Ausmaß der im Planfeststellungsverfahren ermittelten Betroffenheiten nicht wesentlich übersteigen; eine davon abweichende Flugroutenroutenplanung erachtet das Bundesverwaltungsgericht als evident rechtswidrig.47 Damit müssen im Ergebnis die Flugsicherheitsbehörden prüfen, ob die von ihnen favorisierten Flugrouten vergleichbare Lärmbetroffenheiten auslösen, wie die in der Planfeststellung zugrunde gelegten. Des Weiteren hat das Bundesverwaltungsgericht folgenden Grundsatz aufgestellt, um die Flughafenplanung (d.h. die prognostizierte Lärmverteilung) und die Flugroutenfestlegung (d.h. der tatsächlichen Lärmverteilung) aufeinander abzustimmen: Lässt sich die Zulassung des Flughafenausbaus nur rechtfertigen, wenn bestimmte Gebiete von erheblichen Beeinträchtigungen durch Fluglärm verschont bleiben, kann die Planfeststellungsbehörde klarstellen, dass der Schutz dieser Gebiete zu den tragenden Erwägungen des Planfeststellungsbeschlusses gehört, zu denen sich das BAF bei der nachfolgenden Festlegung der Flugverfahren nicht in Widerspruch setzen darf.48 Die Luftsicherheitsbehörden sollten daher den Planfeststellungsbeschluss daraufhin analysieren, ob er bestimmte Gebiete vom Überflug ausschließt und dies bei den Flugroutenplanungen beachten. Den Planfeststellungsbehörden ist zu raten, die Ausschlussgebiete präzise zu bestimmen und sie auch hinreichend deutlich als solche zu bezeichnen. Denn zumindest das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat in der mündlichen Verhandlung zum Wannsee-Flugroutenverfahren49 erkennen lassen, dass es nur eindeutige Festlegung akzeptieren wird. Schließlich lässt das Gericht eine weitere Möglichkeit erkennen, wie sich eine konsistente Planung von Flughafen und Flugrouten erreichen ließe. So sei es denkbar, die berechtigten Erwartungen der Anwohner und Gemeinden, die Festlegung der Flugrouten werde von der Flugroutenprognose nicht wesentlich abweichen, bei der Entscheidung des BAF in die Abwägung einzustellen; im Ergebnis lässt es diese Frage jedoch dahinstehen.50 Mit den „berechtigten Erwartungen“ bezieht sich das Gericht auf den Umstand, dass die Flugrouten- und Lärmprognose für die Gemeinden und die Bevölkerung im Umkreis eines ___________ 47
BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 4 A 5000.10, Rn. 51. BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 4 A 5000.10, Rn. 51. 49 OVG Berlin-Brandenburg, Verfahren zum Aktenzeichen OVG 11 A 1.13 und OVG 11 A 3.13. 50 BVerwG, Urt. vom 31. Juli 2012 – 4 A 5000.10, Rn. 48. 48
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Flughafens den Eindruck vermitteln, das in der Planfeststellung – und auch Raumordnungsplanung – ermittelte Lärmniveau spiegele die zukünftige Lärmbelastung realistisch wider. Im Ergebnis spricht das Bundesverwaltungsgericht damit den Grundsatz des Vertrauensschutzes an. Das Vertrauen (die „berechtigten Erwartungen“) der Gemeinden und Anwohner resultiert dabei in der Regel nicht nur aus dem Planfeststellungsverfahren51, sondern gegebenenfalls auch aus dem Raumordnungsverfahren, wenn dort ersichtlich gerade Flugrouten für die Standortauswahl zugrunde gelegt wurden. Das in diesen Planungsverfahren erweckte und häufig auch durch gemeindliche und private Planungs- und Investitionsentscheidungen betätigte Vertrauen sollte daher auch im nachfolgenden Flugroutenverfahren berücksichtigt werden.52 Die Berücksichtigung des Vertrauens würde auch nur eine denklogische Erweiterung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedeuten. Denn – wie soeben dargestellt – muss die Flugsicherheitsbehörde die der Planungsentscheidung für den Flughafenbau zugrunde gelegten Prämissen aufgreifen. Dies muss insbesondere für die Flugroutenprognosen gelten, da diese unter Beteiligung der Flugsicherheitsbehörden erstellt werden müssen (vgl. II.1.a). Möglicherweise wird das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg diese Rechtsfrage in seinen Entscheidungen zur Flugroutenfestsetzung für den Flughafen BER beantworten.53 Bis die Gerichte hierzu entschieden haben, sollten in der Planungspraxis die „berechtigten Erwartungen“ bei der Ermittlung und Gewichtung der Lärmbelange einbezogen werden. Die Flugsicherheitsbehörden müssten dann untersuchen, ob und inwieweit die Flugroutenprognose aus der Planfeststellung und aus dem Raumordnungsverfahren ein Vertrauen in einen bestimmten Routenverlauf begründen. Der Vertrauensschutz würde dann den Lärmbetroffenheiten außerhalb der prognostizierten Flugroutenkorridore ein starkes Gewicht verschaffen; dies gilt zum einen im Verhältnis zu den sicherheitsrechtlichen und wirtschaftlichen Interessen. Dies gilt aber auch im Verhältnis zu den Lärmbelangen innerhalb der prognostizierten Flugroutenkorridoren, denn die dort angesiedelten Anwohner und gelegenen Gemeinden mussten bereits wegen der Planfeststellung mit erhöhten Belastungen durch Fluglärm rechnen. ___________ 51
Vgl. auch Klinger, LKV 2011, 8 (11). Vgl. Klinger, LKV 2011, 8 (11). 53 Das Gericht wird Entscheidungen im Sommer 2013 treffen (Az. OVG 11 A 4.13, 10.13 und 20.13). In seiner Entscheidung zur sogenannten Wannsee-Flugroute konnte das OVG Berlin-Brandenburg diese Frage noch dahinstehen lassen, weil sich die Flugroute bereits wegen eines Ermittlungsdefizits zu den Störfallrisiken des HelmholtzForschungsreaktors als rechtswidrig erwies, vgl. Urt. vom 23. Januar 2013 – OVG 11 A 1.13 und OVG 11 A 3.13. 52
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Die Tatsache, dass Vertrauen bei der Flugroutenplanung berücksichtigt wird, hat jedoch nicht zwingend zur Folge, dass sich Lärmschutzinteressen generell durchsetzen und nur solche Flugrouten festgelegt werden können, die mit den Flugroutenprognosen aus der Planfeststellung übereinstimmen. Der Vertrauensschutz muss etwa dann zurückstehen, wenn neue, zum Zeitpunkt der Planfeststellung noch nicht absehbare Sicherheitsbelange auftreten. Ändern sich jedoch weder die Sicherheitsanforderungen noch die wirtschaftlichen Interessen des Flughafenbetreibers dürften sich in der Regel nur solche Flugrouten durchsetzen, die bereits im Planfeststellungsverfahren abgestimmt waren.54 In Sonderkonstellationen scheint es möglich, die im Planfeststellungsverfahren prognostizierten Flugrouten sogar dann umzusetzen, wenn damit betriebliche Einschränkungen für den Flughafen verbunden sind. Das BAF vertritt dagegen die Auffassung, dass die grundsätzliche betriebliche Konzeption auch der Flugverfahrensplanung zugrunde zu legen ist. Betriebliche Einschränkungen des Flughafenbetriebs dürfen durch die Flugverfahrensfestlegung nicht bewirkt werden.55 Die stärkere Bindung der Luftsicherheitsbehörden an die Flugroutenprognosen über den Grundsatz des Vertrauensschutzes empfiehlt sich vor dem Hintergrund unionsrechtlicher Entwicklungen. So hat die Europäische Kommission die Auffassung vertreten, die Umweltverträglichkeit und die Verträglichkeit des Flughafens nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie müsse für die endgültigen Flugrouten geprüft werden; es sei nicht zulässig, dass Deutschland die Anwendung der UVP-Richtlinie56 und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie57 im Verfahren zur Festlegung der Flugverfahren nach § 32 Abs. 4 Nr. 8 LuftVG und § 27a Abs. 2 Satz 1 der LuftVO grundsätzlich ausschließe.58 Eine erneute Verträglichkeitsprüfung entsprechend der europäischen Richtlinien lässt sich nach Auffassung der Kommission somit nur vermeiden, wenn die Flugrouten mit den Flugroutenprognosen aus der Planfeststellung übereinstimmen. Festzuhalten bleibt: Das Bundesverwaltungsgericht begegnet der Kompetenzspaltung zwischen Flughafen- und Flugroutenplanung auch auf der Ebene der Flugroutenplanung, in dem es die Luftsicherheitsbehörden stärker als bisher an die Flugroutenprognosen aus der Planfeststellung bindet. Das Spannungsverhältnis lässt sich auch lösen, indem bei den Lärmbelangen auch Vertrauensschutzgesichtspunkte einbezogen und abgewogen werden. Diese Vorgehens___________ 54
Klinger, LKV 2011, 8 (11 f.). Gutachten des BAF, Festlegung von Flugverfahren für den Verkehrsflughafen Berlin Brandenburg (BER), 26. Januar 2012, LFR/1.3.10/0013/11, Seite 20. 56 Artikel 2 Abs. 1 der Richtlinie 2011/92/EU. 57 Artikel 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG. 58 Europäische Kommission, Az. 3692/12/ENVI vom 8. Januar 2013, Seite 2; a.A. Sächsisches OVG, Urt. vom 9. Mai 2012 – 1 C 20.08, ZUR 2013, 36 (2. Leitsatz). 55
Lärmschutz in der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung
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weise würde sich im Übrigen in die bisherige Rechtsprechung zur „quasiplanerischen“ Abwägung einfügen und eine richtlinienkonforme Rechtsanwendung der Fauna-Flora-Habitat- und der UVP-Richtlinie ermöglichen. 2. Beteiligung im Flugroutenfestsetzungsverfahren Nicht nur das materielle Prüfprogramm der Flugsicherheitsbehörden bedarf einer Erweiterung. Auch die Ausgestaltung des Verfahrens zur Flugroutenfestsetzungen sollte überdacht werden. Zur Zeit haben Anwohner kein einfachgesetzliches Recht, ihre Lärmbelange geltend zu machen. Ein Anhörungsrecht enthält § 32b Abs. 4 LuftVG nur für Gemeinden, nicht aber für einzelne Bürger. Jedoch folgt ein Anhörungsrecht der Anwohner im Umkreis des Flughafens aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen59: Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss das Verfahren für staatliche Entscheidungen so ausgestaltet sein, dass es den Erfordernissen der jeweils betroffenen Grundrechte genügt. Daher folgen Anhörungsrechte zum einen aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG, insbesondere aus dem Gebot des fairen Verfahrens, und zum anderen aus der in Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Rechtsschutzgarantie. Zusätzlich begründen auch die materiellen Verfassungsgarantien (Gesundheitsschutzes aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und des Eigentumsschutzes aus Art. 14 Abs. 1 GG) ein Recht zur Anhörung.60 Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat diese Grundsätze kürzlich in seinem Urteil zum sogenannten Bombodrom Wittstock für Verfahren zu Planungsentscheidungen präzisiert und festgestellt, dass es „vor Erlass der planerischen Entscheidung (...) über ein raum- und umweltrelevantes Vorhaben (...) der Durchführung eines Verfahrens (bedarf), das durch eine rechtzeitige und sachangemessene Beteiligung der von dem Vorhaben Betroffenen sowie der in ihren Aufgabenbereichen berührten Träger öffentlicher Belange die vollständige und zutreffende Ermittlung der abwägungserheblichen Belange sicherstellt und seinen Abschluss in einer Gesamtabwägung findet, die dem Grundsatz der Problembewältigung Rechnung trägt“.61 Die Durchführung eines ordnungsgemäßen Beteiligungsverfahrens sei eine „zentrale Verfahrensvorausset___________ 59 Hessischer VGH, Urt. vom 12. Dezember 2002 – 2 A 717.01 und Urt. vom 11. Februar 2003 – 2 A 1569.01, jeweils zitiert nach juris. 60 Vgl. nur BVerfG, Beschl. vom 20. Dezember 1979 – 1 BvR 385/77, BVerfGE 53, 30 und Beschl. vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 370/84, NJW 1986, 244 (245); OVG BerlinBrandenburg, Urt. vom 27. März 2009 – 2 B 8.08, NJOZ 2009, 4809 (4825); Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Aufl. (2008), § 73 Rn. 6. 61 OVG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 27. März 2009 – 2 B 9.08, NJOZ 2009, 4809 (Leitsatz); Klinger, LKV 2011, 8 (9).
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zung“, die „in jedem Fall“ eingehalten werden müsse; die Anhörung ist nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ein „wesentliches und unverzichtbares Element jeglicher planerischer Entscheidung“.62 Nur so sei die Feststellung der öffentlichen und privaten Belange gewährleistet. Das Oberverwaltungsgericht betont dabei, dass selbst dort, wo entsprechende gesetzliche Vorschriften nicht bestehen, eine Beteiligung der Öffentlichkeit jedenfalls besonders naheliegt, wenn die planerischen Regelungssituation komplex und die betroffenen Interessen sehr gegensätzlich seien. Von Lärm betroffene Gemeindeangehörige sind weder in der Fluglärmkommission vertreten noch werden sie anderweitig in das Verfahren miteinbezogen. Im Fall des Flughafens Berlin-Schönefeld erfolgte eine sachangemessene Beteiligung der lärmbetroffenen Anwohner auch nicht bereits im Planfeststellungsverfahren. Die innerhalb dieses Verfahrens gezeigten An- und Abflugrouten wurden gerade prognostiziert, nun sind sie jedoch abgeknickt festgesetzt. Den Flughafenanwohnern war daher nicht bewusst, welcher Lärm auf sie zukommen würde; die Planfeststellungsunterlagen „entfalteten (insoweit) nicht die erforderliche Anstoßwirkung“.63 Ein Anhörungsrecht der Anwohner erscheint auch vor folgendem Hintergrund einzig angemessen: In allen Fachplanungsverfahren, die Verkehrstrassen betreffen, sind Beteiligungsrechte der Bürger vorgesehen. Es ist nicht erklärbar, warum „Verkehrstrassen in der Luft“ – hier die Flugrouten – eine andere rechtliche Bewertung nach sich ziehen sollten. Vor diesem Hintergrund haben aktuell auch die Länder Rheinland-Pfalz und Brandenburg Gesetzesentwürfe eingebracht, in denen – neben einer Annäherung der Flugroutenplanung an die fachplanerische Abwägung – verstärkte Beteiligungsrechte der Bürger und Gemeinden vorgesehen sind.64
IV. Fazit Mit seinen Urteilen zum Flughafen Berlin-Schönefeld hat das Bundesverwaltungsgericht die Weichen neu gestellt für die Fragen, wie mit dem Auseinanderfallen von Flughafenplanung und Flugroutenplanung umzugehen ist. Hier hat es für die Planfeststellung einen tauglichen Weg aufgezeigt – die Planfeststellungsbehörden müssen sich mit den Flugsicherheitsbehörden über ___________ 62 OVG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 27. März 2009 – 2 B 9.08, NJOZ 2009, 4809 (4826). 63 Vgl. Klinger, LKV 2011, 8 (9). 64 Vgl. Gesetzesantrag des Landes Rheinland-Pfalz vom 7. Februar 2013, BR-Drs. 90/13; Gesetzesantrag des Landes Brandenburg vom 21. Februar 2013, BR-Drs. 138/13.
Lärmschutz in der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung
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die Flugroutenprognose abstimmen und so planen, dass die Planung auch bei anderen Flugrouten Bestand haben kann. Im Ergebnis dürfte dies auf eine „worst case“-Betrachtung hinauslaufen, bei der die Planfeststellungsbehörde unterschiedliche Lärmszenarien miteinander vergleicht. Mit der Ausweitung des materiellen Prüfumfangs verbindet das Bundesverwaltungsgericht konsequenterweise auch eine Ausdehnung der Beteiligungs- und Klagerechte im Planfeststellungsverfahren. Zugleich lässt das Gericht erkennen, dass ein „Gleichlauf“ von Planfeststellung und Flugroutenplanung auch im Rahmen der Flugroutenplanung erreicht werden kann. Eine Abstimmung beider Planungsergebnisse kann erfolgen, indem die Flugsicherheitsbehörden „berechtigte Erwartungen“ an die Lärmverteilung, d.h. das Vertrauen der Gemeinden und Bürger in die Flugroutenprognosen, berücksichtigen. Auch in diesem Verfahren sollten die Anhörungsrechte (einfachgesetzlich) erweitert und an andere Infrastrukturplanungen angepasst werden.
Die UVP-Pflicht der Änderung von Flughäfen Von Ulrich Hösch
I. Einleitung Die Frage, inwieweit Änderungen von bestehenden Flugplatzanlagen eine UVP-Pflicht auslösen und in welchem Umfang eine solche Pflicht besteht, wird in den letzten Jahren verstärkt diskutiert. In den Fokus der Rechtsprechung ist die in § 8 Abs. 5 LuftVG spezialgesetzlich geregelte Konversion von Militärzu zivil genutzten Flugplätzen getreten1. Generell geht es um die bauliche Veränderung einer bestehenden Flugplatzanlage und/oder die Änderung ihrer betrieblichen Nutzbarkeit2. Inhaltlich stehen Fragen des Bestandsschutzes bestehender Flugplatzanlagen und sein Verhältnis zu den mit der Umweltverträglichkeitsprüfung verfolgten Zwecken, wie die frühzeitige Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Vorhabens auf die in § 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG genannten Schutzgüter und die Beteiligung der Öffentlichkeit an diesem Vorgang (§ 9 Abs. 1 UVPG)3 im Blickpunkt. Aktualität hat das Thema – neben den beiden Entscheidungen zu den Flughäfen Salzburg und Wien4 – auch dadurch gewonnen, dass die Europäische Kommission unter Berufung auf den Gerichtshof der Europäischen Union5 geäußert hat, dass jede Änderung eines Flughafens, „die ihn für Flugpas___________ 1 BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007 – 4 C 9.06 –, Memmingerberg; Urt. vom 16. Oktober 2008 – 4 C 5.07 –, Weeze; EuGH, Urt. vom 28. Februar 2008 – Rs. C-2/07 –, Lüttich-Bierset; EuGH, Urt. vom 16. September 1999 – Rs. C-435/97 –, Bozen. 2 BVerwG, Urt. vom 7. Dezember 2006 – 4 C 16.04 –, Flughafen Frankfurt „CCTHalle“; EuGH, Urt. vom 17. März 2012 – Rs. C-275/09 – Flughafen. 3 Vgl. hierzu bereits EuGH, Urt. vom 07. Januar 2004 – Rs. C-201/02 – Delena Wells sowie jüngst das Urteil des EuGH vom 14. März 2013 und die Schlussanträge der Generalanwältin vom 8. November 2012 in der Rechtssache C-420/11 – Flughafen Wien. 4 EuGH, Urt. vom 21. März 2013 – Rs. C-244/12 –, Flughafen Salzburg; EuGH, Urt. vom 14. März 2013 – Rs.C-420/11 –, Flughafen Wien. 5 EuGH, Urt. vom 28. Februar 2008 – Rs. C-2/07 –, RdNr. 36: „Änderungen (i.S.v. Anhang II Nr. 12/Anhang I Nr. 7 der Richtlinie 85/337) sind alle Arbeiten an Gebäuden, Anlagen oder der Ausrüstung eines Flugplatzes, sofern sie, insbesondere aufgrund ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Merkmale als Änderung des Flugplatzes selbst anzusehen
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sagiere oder Frachtkunden attraktiver macht“, zu einer Steigerung des Luftverkehrs führen kann und auch Arbeiten, die nicht den Luftverkehr, sondern die Aktivität des Flughafens steigern (z.B. Parkhäuser und Wartehallen für Passagiere), auf ihre UVP-Pflicht zu prüfen seien6. Der Begriff der Änderung wird im Zulassungsrecht wie in der Umweltverträglichkeitsprüfung verwendet. Beide Verfahren knüpfen bei der Beurteilung der Änderung an bestehende Flugplatzanlagen. Nachfolgend sollten die Begriffe und das Verhältnis der beiden Verfahren untersucht werden.
II. Beispielsfälle Die Beispielsfälle zeigen, dass schon dem deutschen Zulassungsrecht mit seiner Unterscheidung von Genehmigung (§ 6 LuftVG) und Planfeststellung (§§ 8 bis 10 LuftVG) von Flughäfen sowie der Fiktion des § 71 LuftVG Besonderheiten eigen sind. 1. Konversion Eine Fallgruppe bildet die Konversion von einem militärisch genutzten zu einem zivilen Flugplatz. § 8 Abs. 5 Satz 3 LuftVG behandelt die Konversion grundsätzlich als einen Fall der Genehmigung(sänderung) und schließt die Planfeststellung aus. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn (wesentliche) bauliche Maßnahmen mit der Konversion verbunden sind, dürfte nach dem Wortlaut der Vorschrift zu verneinen sein. Allerdings wird für diesen Fall die Prüfung einer UVP-Pflicht angeordnet. 2. Betriebsänderung Eine weitere Fallgruppe ist gegeben, wenn ohne bauliche Maßnahmen der zugelassene Betrieb auf einem Flughafen geändert wird. Denkbar sind die Erhöhung eines Kontingents7 oder die Zulassung/Erweiterung von Luftverkehr zur Nachtzeit. Auch die Erweiterung des Nutzerkreises (§ 1 Abs. 2 LuftVG) ___________ sind. Dies gilt insbesondere für Arbeiten, die dazu bestimmt sind, die Aktivitäten des Flugplatzes und den Luftverkehr erheblich zu steigern.“ 6 Schreiben der Europäischen Kommission im Verfahren 2551/11/ENVI vom 17. August 2012. 7 OVG NRW, Urt. vom 16. Mai 2007 – 20 D 128/05.AK u.a. –, sowie OVG NRW, Urt. vom 10. Dezember 2004 – 20 D 118/03.AK –; Urt. vom 27. August 2008 – 20 D 5/06.AK u.a. –, alle Flughafen Düsseldorf.
Die UVP-Pflicht der Änderung von Flughäfen
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kann in diesem Zusammenhang genannt werden. Schließlich ist auch die Verlängerung einer befristeten Genehmigung möglicherweise Gegenstand einer solchen Maßnahme, wobei zu unterscheiden ist, ob sich die Befristung auf die Zulassung oder – wie im Regelfall – auf eine Beschränkung bezieht8. 3. Bauliche Veränderung Bauliche Veränderungen eines Flughafens bilden eine wichtige Fallgruppe. Dabei kann zwischen Ausbaumaßnahmen unterschieden werden, die die Kapazität eines Flughafens erhöhen9 und Baumaßnahmen, die die Nutzbarkeit des Flughafens für bestimmte Nutzergruppen verbessern, ohne die – notwendige – Kapazität zu steigern, z.B. der Ausbau eines Terminals, die Errichtung einer Werfthalle, eines Parkhauses, eines Hotels, eines Gepäck- oder Frachtzentrums. Bei der Abgrenzung kann der Flugplatzbegriff nach ICAO Annex 14 von dem des § 8, § 6 LuftVG zu unterscheiden sein. Bestimmte bauliche Maßnahmen können mit Blick auf § 9 Abs. 1 Satz 3 LuftVG auch die Frage nach der Verfahrensart (bauordnungsrechtliches oder fachplanerisches Verfahren) aufwerfen10. Bauliche Veränderungen sind schließlich darauf zu beurteilen, ob sie inner- oder außerhalb eines genehmigten Flughafengeländes erfolgen. 4. Sonstige Fallgestaltungen Nicht eindeutig einer der vorgenannten Gruppen zuzuordnen sind Maßnahmen, die im Hinblick auf die Gestaltung/Abwicklung des Flugbetriebes erfolgen, z.B. die Installation eines verbesserten Instrumentenlandesystems oder die Herstellung der erforderlichen Hindernisfreiflächen. Hier können sich auch nachträglich durch die Änderung von Richtlinien neue (weitergehende) Anforderungen ergeben11. Ebenso ist es denkbar, dass die Umgebung eines Flughafens „neu“ qualifiziert wird, etwa als Natura 2000-Gebiet mit der Folge, dass Maßnahmen zur Herstellung der Luftsicherheit (z.B. Vogelschlag) einer neuen Bewertung bedürfen können. Der bislang erfolglose Versuch von anerkannten Naturschutzverbänden/Umweltrechtsvereinigungen, die Festlegung von Flug___________ 8 OVG NRW, Urt. vom 19. April 2012 – 20 D 19/09.AK –, BVerwG, Beschl. vom 5. Februar 2013 – 4 B 33.12 –; BVerwG, Urt. vom 21. Mai 1997 – 11 C 1.97 –, Flughafen Köln/Bonn. 9 Z.B. Erweiterung des Verkehrsflughafens Frankfurt Main; dazu: HessVGH, Urt. vom 21. August 2009 – 11 C 227/08.T u.a. –; BVerwG, Urt. vom 4. April 2012 – 4 C 8.09 u.a. –. 10 BVerwG, Urt. vom 7. Dezember 2006 – 4 C 16.04 –, CCT-Halle. 11 Vgl. die Anpassung der luftrechtlichen Genehmigung für den Verkehrslandeplatz Coburg-Brandensteinsebene, NfL I 184/12.
Ulrich Hösch
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verfahren nach § 27a Abs. 2 LuftVO (so genannte „Flugrouten“) einer UVP zu unterziehen12, könnte hierher gehören, wenn man in der Änderung eines Flugverfahrens eine Änderung des Flughafens sehen wollte.
III. Änderung Die Änderung eines Flugplatzes ist nach Fachplanungs- wie nach dem Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung ein Vorhaben (Projekt). Die „Änderung“ knüpft an einen vorhandenen Bestand der Flughafenanlage an. Sie wirft die Frage auf, ob die Änderung gegenüber diesem Bestand einer erneuten Zulassungsentscheidung bedarf oder durch die bestehenden Genehmigungen bereits gedeckt ist. 1. Änderung nach Luftrecht 1.1. Luftrechtlich sind die Änderungen eines Flugplatzes in bauliche und betriebliche Maßnahmen sowie in Fälle von wesentlicher oder unwesentlicher Bedeutung unterteilt. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 LuftVG dürfen bestehende Flughäfen nur geändert werden, wenn der Plan nach § 10 LuftVG vorher festgestellt ist. Abgesehen von der in § 8 Abs. 2 LuftVG geregelten Plangenehmigung erlaubt § 8 Abs. 3 Satz 1 LuftVG, dass Planfeststellung (und Plangenehmigung) bei Änderungen oder Erweiterungen von unwesentlicher Bedeutung unterbleiben können. Um Fälle unwesentlicher Bedeutung handelt es sich, wenn ‒
‒
andere öffentliche Belange nicht berührt sind (oder die erforderlichen behördlichen Entscheidungen vorliegen und dem Plan nicht entgegenstehen, § 8 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 LuftVG) und Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden (oder mit dem vom Planbetroffenen entsprechende Vereinbarungen getroffen werden, § 8 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 LuftVG).
Darüber hinaus verlangt § 8 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 LuftVG, dass es sich um eine Änderung oder Erweiterung handelt, für die keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.
___________ 12 Vgl. Sächs. OVG, Urt. vom 9. Mai 2012 – 1 C 20/08 –, Juris RdNr. 29; OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 23. Juni 2013 – 11 A 1.13 und 11 A 3.13 –.
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Entsprechendes gilt für die luftrechtliche Genehmigung, die nach § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG zu ergänzen ist, wenn die Anlage oder der Betrieb des Flugplatzes wesentlich erweitert oder geändert werden soll. 1.2. Das Luftverkehrsgesetz definiert den Begriff Flugplatz nicht. § 6 Abs. 1 Satz 1 LuftVG teilt lediglich mit, dass Flughäfen, Landeplätze und Segelfluggelände Flugplätze sind. Diese Kategorien von Flugplätzen werden in §§ 38 ff., §§ 49 ff. und §§ 54 ff. LuftVZO behandelt. Nach § 38 Abs. 1 LuftVZO sind Flughäfen Flugplätze, die nach Art und Umfang des vorgesehenen Flugbetriebes einer Sicherung durch einen Bauschutzbereich nach § 12 LuftVG bedürfen. Der Begriff des Flugplatzes wird in dieser Definition vorausgesetzt, nicht aber erklärt. 1.3. Gemäß Nr. 1.1 des ICAO-Annex 14 ist ein Flugplatz „ein festgelegtes Gebiet auf dem Lande oder dem Wasser (einschließlich Gebäuden, Anlagen und Ausrüstung), das ganz oder teilweise für Ankunft, Abflug und Bewegung von Luftfahrzeugen bestimmt ist“. Der Definition liegt ein funktionales Verständnis zugrunde, das sich aus dem Zweck des Annex 14, die bauliche Beschaffenheit von dem Flughafenbetrieb dienenden Anlagen zu regeln, erklärt. ICAO Annex 14 stellt eine „Flughafenbauordnung“ dar. Diese enthält aber keine Regelungen für Anlagen, die zwar – wie Parkhäuser, Büroflächen oder Hotels – die landseitige Nutzung bei Flughäfen mitbestimmen, aber nicht unmittelbar der Ankunft, dem Abflug und der Bewegung von Luftfahrzeugen dienen. Solche Anlagen können aber durch § 8 Abs. 4 LuftVG zumindest in die luftrechtliche Planfeststellung einbezogen werden und prägen dann den „genehmigten“ Zustand des Flughafens nach § 8 LuftVG. Über ihre Zulassung könnte aber auch außerhalb des luftrechtlichen Zulassungsverfahrens entschieden werden. Ohne Bedeutung für die Definition des „Flugplatzes“ ist dagegen die Nutzbarkeit des Luftraumes, der den Flughafen umgibt, insbesondere ob für seine Nutzung weitere Genehmigungen erforderlich sind. Ein Flughafen ist nach dieser Definition eine Infrastruktureinrichtung, die das Starten und Landen von Luftfahrzeugen im Sinne von § 1 Abs. 2 LuftVG ermöglicht und die die hierfür erforderlichen Einrichtungen vorhält und aufgrund des vorgesehenen Flugbetriebes einer Sicherung durch einen Bauschutzbereich nach § 12 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2, 3 LuftVG bedarf. Die Definition enthält eine räumliche und eine funktionale Komponente. Entsprechend ist die Wesentlichkeit einer Änderung anhand der Veränderung der erforderlichen Flugplatzflächen und der Funktion des Flughafens zu prüfen. Maßstab hierfür ist, ob der Flughafen sein „Gesicht ändert“.
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1.3.1. Ob ein Flughafen in diesem Sinne „sein Gesicht ändert“, bestimmt sich anhand der Einrichtungen, die angesichts des eingesetzten Fluggerätes, der Betriebszeiten, der Zahl der Flugbewegungen und der Funktion des Flughafens13. Ob eine Änderung wesentlich ist, beurteilt sich im Hinblick darauf, ob sich die Funktion des Flughafens durch die Maßnahme ändert14. Es handelt sich um eine (wesentliche) Änderung eines Flughafens, wenn das Änderungsvorhaben vom Regelungsgehalt einer bestandskräftigen früheren Zulassungsentscheidung nicht mehr gedeckt ist. Schon Zugelassenes bedarf keiner erneuten Zulassung15. Dies gilt insbesondere für die wesentliche Erweiterung der zugelassenen Nutzung wie für die Erweiterung des räumlichen Umgriffes. Dagegen ist das „Hereinwachsen“ des Verkehrs oder der baulichen Anlagen in einen genehmigten Zustand (z.B. die Steigerung der Zahl der Flugbewegungen oder die Verschiebungen der Nutzergruppen ohne wesentliche Änderung des baulichen Zustandes) unabhängig von den Auswirkungen keine Änderung in diesem Sinne. Den fachplanungsrechtlichen Kern eines Flughafens bilden die baulichen Anlagen, die die Abwicklung von Flugbewegungen erlauben (Start-/Landebahn, Rollwege, Vorfelder, Terminal). Diese Komponenten bestimmen die Nutzbarkeit des Flughafens. Diese Sichtweise bestätigt auch § 27a Abs. 2 LuftVG sowie die hierzu bestehenden Koordinierungsvorschriften. Die hier geregelte Slotvergabe orientiert sich an der „Kapazität“ der flugbetrieblichen Anlagen16. 1.3.2. Handelt es sich um eine in diesem Sinne unwesentliche Änderung, bedarf es keiner neuen Planfeststellung, vielmehr stellt die Behörde nach § 8 Abs. 3 LuftVG fest, dass es einer planerischen Zulassungsentscheidung nicht bedarf. Zu der entsprechenden Vorschrift im Bundes-Fernstraßengesetz wurde festgestellt, dass die Entscheidung, dass bei einer Änderung von unwesentlicher Bedeutung eine Planfeststellung unterbleiben kann, zugleich auch die öffentlich-rechtliche Zulassung der Änderungsmaßnahme enthält und damit einen anfechtbaren Verwaltungsakt darstellt17. Für die Qualität einer Planungsentschei___________ 13
340.
BVerwG, Urt. vom 29. Januar 1991 – 4 C 51.89 –, Juris RdNr. 190, 197, 200, 313,
14 BVerwG, Urt. vom 11. Juli 2001 – 11 C 14.00 –, Juris RdNr. 49; vgl. Schiller/Reidt, in: Grabherr/Reidt/Wysk, Luftverkehrsgesetz, § 6 RdNr. 10; Deutsch, in: Kölner Kompendium Luftrecht, S. 170, RdNr. 22. 15 BVerwG, Urt. vom 7. Dezember 2006 – 4 C 16.04 –, Juris RdNr. 31; BVerwG, Urt. vom 15. September 1999 – 11 A 22.98 –, Juris RdNrn. 21/22; BVerwG, Urt. vom 21. Mai 1997 – 11 C 1.97 –, Juris RdNr. 25 für die Änderung einer luftrechtlichen Genehmigung; vgl. auch VG Kassel, Urt. vom 22. August 2012 – 3 K 588/10.KS –, Urteilsausfertigung, S. 13. 16 Vgl. Glemser, Slotvergabe an deutschen und europäischen Flughäfen 2012, S. 70; Hösch, Effiziente Nutzung von Flughafeninfrastruktur durch Handel von Zeitnischen, UPR 2010, S. 409/410. 17 BVerwG, Urt. vom 15. Januar 1982 – 4 C 26.78 –, Juris RdNrn. 18, 21.
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dung, nämlich der Feststellung, dass die Maßnahme von der bestehenden planerischen Entscheidung umfasst ist, spricht auch, dass auch die unwesentliche Änderung behördlicher Zulassungen bedürfen kann. 1.3.3. Die Frage, ob eine Änderung unwesentlich ist, stellt sich auch in den Fällen, in denen ein Planfeststellungsbeschluss vor Fertigstellung des Vorhabens geändert werden soll, § 76 VwVfG. Auch in diesen Fällen ist zu prüfen, ob die Änderung den Abwägungsvorgang und das Abwägungsergebnis nach Struktur und Inhalt berührt, also das Erfordernis einer planerischen Abwägung erneut aufwirft18. Formal betrachtet knüpft die „Gesichtsänderung“ an der bestehenden (bzw. im Fall von § 76 VwVfG der genehmigten) Anlage an. Im Hinblick auf die in § 8 Abs. 3 Satz 2, Nrn. 2, 3 LuftVG genannten abwägungspflichtigen Belange geht sie davon aus, dass der Grund der Beeinträchtigung auch ohne weitere Konkretisierung der Belange zugelassen ist. Maßstab ist also der „Bestandsflughafen“. Anlagen, die nicht unter die Flugplatz-Definition des ICAO Annex 14 fallen, sind nur dann Teil des Bestandes, wenn sie luftrechtlich zugelassen worden sind. Erfolgt ihre Zulassung in einem anderen als dem luftrechtlichen Verfahren bilden sie auch keinen luftrechtlichen Bestand (etwa die Baugenehmigung für ein Parkhaus außerhalb von nach § 8 Abs. 4 LuftVG erfassten Flächen). 1.4. Wenn der genehmigte Flughafenbereich bzw. der Bauschutzbereich aufgrund der Änderung angepasst werden muss, bildet dies ein Indiz für die Wesentlichkeit der Änderung. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher die (geringfügige) Überschreitung des planerisch festgesetzten Flughafenraums als eine abwägungspflichtige Änderung angesehen19. Entsprechendes gilt für den zugelassenen Betrieb, wenn die Änderung einer Zulassungsentscheidung erfordert. In dieser Fallkonstellation wird nicht der Betrieb durch eine bauliche Änderung z.B. durch die Anlage einer neuen Start-/Landebahn erweitert, sondern bestehende Beschränkungen des Betriebes werden gelockert (z.B. Ausschluss des Nachtflugbetriebes, Erhöhung eines Kontingentes), was zu einer zusätzlichen Betroffenheit Dritter führen kann. In diesen Fällen erfolgt gerade keine bauliche Änderung, sondern lediglich eine veränderte Nutzung der bestehenden Anlagen. Dieser Dualismus findet im Luftverkehrsrecht Ausdruck in der Unterscheidung zwischen den Regelungen in § 6 und § 8 LuftVG. 1.5. Für die Beurteilung der Änderung ist der zugelassene Bestand festzustellen. Die maßgeblichen Zulassungstatbestände des Luftverkehrsgesetzes sind § 6 Abs. 1 Satz 1 LuftVG, § 8 Abs. 1 Satz 1 LuftVG sowie § 71 Abs. 1, 2 LuftVG. ___________ 18 19
Vgl. BVerwG, Urt. vom 20. Oktober 1989 – 4 C 12.87 –, Juris RdNr. 27. BVerwG, Urt. vom 7. Dezember 2006 – 4 C 16.04 –, Juris RdNr. 31.
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1.5.1. Nach § 6 Abs. 1 LuftVG dürfen Flugplätze nur mit Genehmigung angelegt oder betrieben werden. § 6 LuftVG enthält u.a. unternehmerische, raumordnerische und betriebliche Gesichtspunkte. Die Genehmigung nach § 6 LuftVG kann sich in den Fällen, in denen eine Planfeststellung nicht erforderlich ist, also bei Flugplätzen, die nicht unter § 8 Abs. 1 Satz 1 LuftVG fallen, auch als eine abschließende Zulassungsentscheidung darstellen. Anders als die Planfeststellung hat die luftrechtliche Genehmigung aber keine Konzentrationswirkung, wie sie sich aus § 9 LuftVG bzw. § 75 VwVfG ergibt. Soweit daher aufgrund der luftrechtlichen Genehmigung weitere behördliche Erlaubnisse erforderlich sind, müssen diese grundsätzlich in eigenständigen Verfahren eingeholt werden. Die luftrechtliche Genehmigung ist wie die Bezugnahme in § 12 LuftVG sowie in § 16 Abs. 1 UVPG zeigt eine raumordnerische Grundentscheidung, die auch grundsätzliche raumordnerische Konflikte auf einer übergeordneten Ebene bewältigen soll. Da die luftrechtliche Genehmigung – dies bestätigt § 8 Abs. 6 LuftVG ausdrücklich – keine Voraussetzung für ein Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren ist, hat sie insoweit – vergleichbar einer Linienbestimmung – zunächst einmal nur eine interne Bindungswirkung. Außenwirksamkeit erlangt sie gegebenenfalls erst durch die Planfeststellung. 1.5.2. § 8 Abs. 1 Satz 1 LuftVG bestimmt, dass Flughäfen nur angelegt werden dürfen, wenn der Plan vorher festgestellt worden ist. Die Planfeststellung nach § 8 Abs. 1 verfügt über Konzentrationswirkung, von der nur wenige Ausnahmen bestehen, wie z.B. § 19 WHG oder § 9 Abs. 1 Satz 3 (Tiefbaugenehmigung) LuftVG. Insbesondere bei älteren Zulassungsentscheidungen kann diese Zulassung sehr weit gehen. Ist ein Flughafen etwa allein auf der Grundlage der Kapazität, die sich aus dem Start-/Landebahnsystem ergibt, zugelassen, bilden bauliche Änderungen, die diese Kapazität nicht erhöhen (z.B. Terminal oder Abstellplätze oder Abrollwege) keine wesentliche Änderung. Maßgeblich ist, was in der planerischen Zulassungsentscheidung zugelassen wurde20. Je abstrakter diese Zulassung ist, desto weniger sind Differenzierungen nach Verkehrssegmenten oder Betriebszeiten möglich und umso „umfassender“ ist das Zugelassene. Aktuellere Zulassungsentscheidungen differenzieren daher stärker21. Sie zeigen, dass es notwendig ist, alle kapazitätsbestimmenden Teile der baulichen Anlage in die Betrachtung, ob es sich um eine wesentliche oder unwesentliche Änderung handelt, einzubeziehen. Besondere Berücksichtigung finden unmittelbare und mittelbare Auswirkungen auf die Kapazität. So kann ___________ 20 BVerwG, Urt. vom 21. Mai 1997 – 11 C 1.97 –, Juris RdNr. 25; BVerwG, Beschl. vom 16. Dezember 2003 – 4 B 75.03 –, Juris RdNr. 8 (Bestätigung von Hess.VGH, Urt. vom 2. April 2003 – 2 A 2646/01 –, Juris RdNr. 57). 21 Vgl. etwa Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Verkehrsflughafens Frankfurt Main vom 18. Dezember 2007 unter A XI 5.1.4 Nr. 2.
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infolge fehlender Abstellplätze die Zahl der Flugbewegungen voraussichtlich ein bestimmtes Maß nicht überschreiten. Da die Attraktivität eines Flughafens aufgrund von zu bestimmten Zeiten fehlender Abstellplätze unmittelbar leidet. (1) Dagegen wirkt sich die Errichtung von bestimmten Einrichtungen, wie etwa Frachtumschlagshallen, Instrumentenlandesystemen nur mittelbar auf die Kapazität aus. Sie ermöglichen einen bestimmten Verkehr, bei dem die Nachfrage bestimmte Anlagen voraussetzt. Sie führen aber nicht zur Erhöhung der Kapazität des Flughafens an sich, jedenfalls dann nicht, wenn sie gegenüber dem Ausgangszustand zu einer Erweiterung führen. So mag die Errichtung einer Frachtumschlagshalle mehr Luftfrachtverkehr anziehen. Sie erhöht aber nicht die Kapazität des Start-/Landebahnsystems. (2) Auch die Herstellung von Hindernisfreiheitsflächen nach den Verfahren der Hindernisrichtlinie des BMVBS stellt keine Kapazitätsänderung des Flughafens dar. Es handelt sich nicht einmal um eine bauliche Änderung des Flughafens. Die mit dieser Maßnahme verfolgte Sicherung des Betriebes folgt unmittelbar aus der luftrechtlichen Genehmigung/Planfeststellung der Anlage. Dies gilt auch für den Fall, dass aufgrund einer späteren Verschärfung/Änderung der Anforderungen an die Hindernisfreiheit eine Anpassung außerhalb des Flughafengeländes erforderlich wird. Ebenso wenig führen Maßnahmen, die, wie z.B. die Herstellung von neuen Feuerwehrzufahrten, von Rettungswegen oder anderen der Sicherheit/ärztlichen Versorgung dienenden Einrichtungen zu einer Gesichtsänderung. Diese Einrichtungen haben im Ergebnis keine andere Funktion, als einen laufenden Betrieb entsprechend der geltenden Sicherheitsbestimmungen anzupassen. Sie führen aber nicht zu einer Änderung des Gesichtes des Flughafens. (3) Für (landseitige) Anlagen, die nicht unmittelbar den flugbetrieblichen Bereich betreffen (z.B. Hotels oder Parkhäuser, aber auch Einkaufseinrichtungen) dürfte maßgeblich sein, ob die planerische Zulassungsentscheidung entsprechende bauplanerische Entscheidungen getroffen hat, die durch die konkrete Nutzung ausgefüllt werden, § 8 Abs. 4 LuftVG. § 8 Abs. 4 LuftVG eröffnet auch nur die Möglichkeit bestimmte planerische Entscheidungen einzubeziehen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass gerade Hotels, Parkierungsanlagen oder Büro- und Dienstleistungsflächen gar nicht der luftrechtlichen Fachplanung unterliegen, sondern der gemeindlichen Bauleitplanung. Gleichzeitig dürfte die Errichtung eines Hotels aber nur schwerlich das Gesicht eines Flughafens ändern können. Zwar mag es sein, dass ein internationaler Verkehrsflughafen grundsätzlich Übernachtungsmöglichkeiten in seinem Umgriff vorhalten sollte, die Qualität als internationaler Verkehrsflughafen dürfte aber insbesondere auch der verkehrlichen Funktionsfähigkeit und damit den den Flugbetrieb maßgeblich bestimmenden Einrichtungen bestehen. Dies sind die Start-/Landebahn, die Abrollwege, die Abstellplätze, die Terminalkapazitäten. Und das entspricht wiederum der Flugplatz-Definition in ICAO Annex 14.
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1.5.3. Eine besondere Regelung enthält § 71 LuftVG, der getrennt nach dem Beitrittsgebiet und dem alten Bundesgebiet die luftrechtliche Genehmigung bzw. eine luftrechtliche Planfeststellung fingiert. Danach gilt ein Flugplatz im alten Bundesgebiet, der soweit er am 1. März 1999 noch betrieben wurde, im Sinne der §§ 6 bis 10 LuftVG als genehmigt und, wenn er der Planfeststellung bedarf, als im Plan festgestellt, § 71 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LuftVG. Erkennbar liegen der Fiktion keine planerischen Erwägungen zugrunde. Vielmehr geht die Fiktion davon aus, dass ein zu einem bestimmten Zeitpunkt zugelassener Bestand so zu behandeln, als wäre er aufgrund einer entsprechenden Genehmigung oder Planfeststellung zugelassen worden. Für diesen Fall ist im Hinblick auf die bauliche Situation davon auszugehen, dass jedenfalls auch bauliche Änderungen, die das Merkmal der Wesentlichkeit nicht übersteigen, zugelassen sind. Dagegen stellen § 6 und § 8 LuftVG planerische Abwägungsentscheidungen dar, die gerade dadurch gekennzeichnet sind, dass auf der Grundlage des Abwägungsgebotes (§ 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG) die von dem Vorhaben betroffenen öffentlichen und privaten Belange insgesamt „gerecht“ abgewogen worden sind. Aus der Fiktion des § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG folgt eine auf § 9 Abs. 3 LuftVG und § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG bezugnehmende Rechtsfolgenverweisung, die den betroffenen Anliegern eines Flugplatzes hinsichtlich der betrieblichen Nutzung der fiktiv planfestgestellten Anlage Duldungspflichten auferlegt22. Diese Duldungspflicht kann allerdings über die Grenze der fachplanerischen Zumutbarkeit hinaus bis zur Grenze der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeit gehen, soweit es um Ansprüche Dritter auf Betriebsbeschränkungen geht23. Der Flughafen, der § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG unterfällt, steht einem Flughafen gleich, für den ein Planfeststellungsbeschluss nach § 8 Abs. 1 LuftVG ergangen ist24. Entsprechend scheint es nicht sachgerecht, landseitigen Anlagen, die nicht zum Flugplatzbegriff des ICAO Annex 14 umfasst sind, dieser Fiktion zu unterstellen. Daraus folgt, dass im Rahmen der Zulassungsentscheidung ein Betrieb des Verkehrsflughafens zulässig ist, so lange durch bauliche Änderungen nicht Auswirkungen für die Nachbarschaft geschaffen werden, die in der geltenden Zulassungssituation planerisch nicht bewältigt worden sind. Jedoch erkennt der Gesetzgeber ein schützenswertes Sicherungsbedürfnis in § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG für Flugplätze in den alten Bundesländern nur an, die bis zum 31. Dezember 1958 angelegt wurden. Für die Zeit danach gibt es für eine Fiktion der in den alten Bundesländern betriebenen Flugplätze keinen Rechtfertigungsgrund25. Zulassungspflichtige Änderungen oder Erweiterungen ___________ 22 23 24 25
OVG NRW, Urt. vom 10. Juli 2003 – 20 D 78/00.AK –, Juris RdNr. 2. BVerwG, Beschl. vom 26. Februar 2004 – 4 B 95.03 –, Juris RdNr. 4. BVerwG, Beschl. vom 26. Februar 2004 – 4 B 95.03 –, Juris RdNr. 5. BVerwG, Beschl. vom 26. Februar 2004 – 4 B 95.03 –, Juris RdNr. 8.
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eines vor dem 31. Dezember 1958 angelegten Flugplatzes nach diesem Stichtag, werden von den Schutzbereichen des § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG nicht erfasst26. 2. Änderung nach UVPG Die Verpflichtung, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, ergibt sich nicht aus dem luftrechtlichen Fachplanungsrecht. Maßgeblich ist vielmehr der „Projektkatalog“ in Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung. Dieses setzt die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlamentes und Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten um. Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2011/92/EU in Verbindung mit Anhang I Nr. 7 Buchstabe a) ist der Bau von Flugplätzen im Sinne der Begriffsbestimmung des ICAO Annex 14 mit einer Start-/Landebahn ≥ 2.100 m UVP-pflichtig. Gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2011/92/EU i.V.m. Anhang II Nr. 10 Buchstabe d) kann außerdem eine weitere UVP-Pflicht bestehen. Hieran knüpft das UVPG mit seinem Projektkatalog (Anhang 1 Nr. 14.12 für Flugplätze im Sinne von ICAO Annex 14 mit einer Start-/Landebahn ≥ 1.500 m) bzw. der ergänzenden Tatbestände an. Die Pflicht, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen besteht neben dem Fall der Neuanlage eines Flugplatzes (§ 3b Abs. 1 UVPG i.V.m. Nr. 14.12.1 der Anlage 1 bzw. § 3c UVPG i.V.m. Nr. 14.12.2 der Anlage 1 und Anlage 2) für die Fälle, dass ‒
ein bislang nicht UVP-pflichtiger Flugplatz so geändert wird, dass die Kriterien nach Anlage 1 Nr. 14.12.1 erstmals überschritten werden (§ 3b Abs. 3 UVPG) die Änderung eines an sich schon UVP-pflichtigen Flugplatzes die Größenwerte nach Nr. 14.12.1 der Anlage für sich überschreitet (§ 3e Abs. 1 Nr. 1 UVPG) und die Änderung eines an sich schon UVP-pflichtigen Flugplatzes auf der Grundlage einer allgemeinen Vorprüfung ergibt, dass sich erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen verbunden ist.
‒
‒
2.1. Anders als das Luftverkehrsgesetz nimmt Anlage 1 Nr. 14.12 zum UVPG Bezug auf Nr. 1.1 ICAO-Annex 1427 und knüpft eine obligatorische UVP-Pflicht an die weitere Qualifikation des Flughafens „Start- und Lande___________ 26 27
BVerwG, Urt. vom 7. Dezember 2006 – 4 C 16.04 –, Juris RdNr. 36. Vgl. auch EuGH, Urt. vom 28. Februar 2008 – Rs. C-2/07 –, RdNr. 35.
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bahngrundlänge von 1.500 m oder mehr“28. Der im Übrigen nicht näher definierte Begriff der „Grundlänge“ meint die befestigte Gesamtlänge einer Startund Landebahn, unabhängig von ihrer konkreten betrieblichen Nutzbarkeit, die sich aus der nach der Luftbetriebsordnung festzulegenden Start-, Startlauf-, Startabbruch- und Landestrecken ergeben kann. Verbleibt die Start-/Landebahngrundlänge dagegen unter 1.500 m, erfolgt „nur“ eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalles anhand der Kriterien der Anlage 2. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2011/92/EU gebietet es nicht, jedes Projekt, das erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben kann, einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Maßgeblich ist, dass es sich um ein „gelistetes“ Vorhaben handelt29. 2.2. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 UVPG ist ein Vorhaben nach Maßgabe der Anlage 1 ‒ die Errichtung und der Betrieb einer technischen Anlage, ‒ der Bau einer sonstigen Anlage oder ‒ die Durchführung einer sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahme. Der Verweis auf die Anlage 1 modifiziert den abstrakten Vorhabenbegriff in § 2 Abs. 2 UVPG. Nicht alle Vorhaben, die die Kriterien des § 2 UVPG erfüllen, sind UVP-pflichtig. Eine solche Pflicht ergibt sich vielmehr erst aus der Aufnahme in den Katalog der Anlage 1. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UVPG handelt es sich entsprechend um eine Änderung, wenn ‒ die Lage, die Beschaffenheit oder der Betrieb einer technischen Anlage geändert wird, ‒ die Lage oder die Beschaffenheit einer sonstigen Anlage geändert wird oder ‒ eine sonstige in Natur und Landschaft eingreifende Maßnahme durchgeführt wird. 2.2.1. § 2 Abs. 2 UVPG unterscheidet zwischen einer technischen und einer sonstigen Anlage. Während für technische Anlagen der fachgesetzliche Genehmigungstatbestand auch den „Betrieb“ der Anlage regelt (z.B. § 5 Abs. 1 Satz 1 BImSchG), spricht der Zulassungstatbestand bei sonstigen Anlagen nur vom „Bau“ (§ 17 Satz 1 FStrG). Entsprechend stellen die in Anlage 1 zum UVPG Nr. 14 genannten Verkehrsvorhaben „sonstige Anlagen“ dar30. Auch dem Anhang I der Richtlinie 2011/92/EU ist eine auf den „Bau“ begrenzte Prü___________ 28
Die UVP-Richtlinie verlangt nur eine obligatorische UVP als 2.100 m (vgl. oben). EuGH, Urt. vom 17. März 2011 – Rs.C-275/09 –, RdNr. 25. 30 Vgl. OVG Land Sachsen-Anhalt, Urt. vom 25. April 2012 – 2 L 192/09 –, Juris RdNr. 46; Bundestags-Drucksache 14/4599, S. 93. 29
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fungspflicht zu entnehmen31. Auch wenn der Begriff „Bau“ vom Gerichtshof der Europäischen Union weit ausgelegt wird32, findet er jedenfalls dann keine Anwendung, wenn gar keine baulichen Maßnahmen erfolgen33. Arbeiten oder Eingriffen, die nicht zur Änderung des materiellen Zustandes eines Flugplatzes führen, sind kein Projekt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 2. Gedankenstrich der Richtlinie 85/33734. Der in Anhang I Nr. 7 a) der Richtlinie 2011/92/EU verwendete Begriff „Bau“ ist eindeutig und bezieht sich auf die Errichtung von vorher nicht bestehenden Bauwerken oder die Veränderung von bereits bestehenden Bauwerken35. Arbeiten zur Erneuerung einer bestehenden Anlage können aufgrund ihres Umfanges und ihrer Art auch dem Bau einer neuen Anlage gleichkommen (z. B. Konversion)36. Ebenso kann Anhang II Nr. 13 der Richtlinie 2011/92/EU i.V.m. Nr. 7 des Anhangs I dieser Richtlinien so verstanden werden, dass auch Änderungen der Infrastruktur eines vorhandenen Flugplatzes ohne Verlängerung der Start- und Landebahn ein UVP-pflichtiges Projekt sein kann, sofern diese Arbeiten insbesondere aufgrund ihrer Art, ihres Umfanges und ihrer Merkmale als (bauliche) Änderung des Flugplatzes selbst anzusehen sind37. 2.2.2. Nach dieser Systematik ist ein Flughafen eine sonstige Anlage im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1b und Nr. 2b UVPG. Eine bloße Änderung von betrieblichen Maßnahmen ist nicht UVP-pflichtig, § 2 Abs. 2 Nr. 2b UVPG, da der Katalog in Anlage 1 gerade auf den Bau abstellt. Dies gilt insbesondere für die in Fußnote 6 und 7 zitierten Fälle, die die Änderung von Kontingenten bzw. die Verlängerung von Nachtflugbeschränkungen betroffen haben. Soweit § 8 Abs. 1 Satz 1 LuftVG – anders als § 17 Satz 1 FStrG, § 17 Abs. 1 Satz 1 WaStrG oder § 18 Satz 1 AEG – nicht vom „Bau“, sondern von der „Anlage“ spricht und nach § 8 Abs. 4 LuftVG ausdrücklich auch betriebliche Regelungen Gegenstand der Planfeststellung sein können, ändert dies nichts an dem vorgenannten Ergebnis. Die UVP-Pflicht ist anhand des UVPG zu bestimmen. Insoweit geht es um den unionsrechtlich determinierten Begriff der „sonstigen Anlage“, der auch im Anhang I Nr. 7 durch die (begrenzende) Verwendung des Wortes „Bau“ (anders als z.B. bei Anhang I Nr. 8) bestätigt wird. Reine Betriebsänderungen eines Flugplatzes sind daher kein Projekt im Sinne der Vorschriften über die Umweltverträglichkeitsprüfung. Entsprechend sind solche ___________ 31
Z.B. Nr. 7 Buchstabe a) für Flugplätze. EuGH, Urt. vom 28. Februar 2008 – Rs. C 2/07 –, RdNr. 40; EuGH, Urt. vom 25. Juli 2008 – Rs. C-142/07 –, RdNr. 36. 33 EuGH, Urt. vom 17. März 2011 – Rs. C-275/09 –, RdNr. 27. 34 EuGH, Urt. vom 17. März 2011 – Rs. C-275/09 –, RdNr. 24. 35 EuGH, Urt. vom 17. März 2011 – Rs. C-275/09 –, RdNr. 26. 36 EuGH, Urt. vom 25. Juli 2008 – Rs. C-142/07 –, RdNr. 36. 37 EuGH, Urt. vom 28. Februar 2008 – Rs. C-2/07 –, RdNr. 36. 32
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Änderungen auch im Rahmen der Vorprüfung nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG nicht zu betrachten. Ebenso wie für Genehmigungsänderungen dürfte dies auch für die Änderung von Flugverfahren gelten. Diese sind ebenfalls nicht mit baulichen Maßnahmen verbunden, so dass ungeachtet der Frage, inwieweit nationales Verfahrensrecht bei der Bestimmung unionsrechtlicher Begriffe berücksichtigt werden kann, jedenfalls aufgrund der „strikten“ Bindung der UVPPflicht von Fluglatzänderungen an ein „Bauen“ eine UVP-Pflicht von „bloßen“ Genehmigungsänderungen zu verneinen ist. 2.3. Die Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten der Änderung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UVPG ist deshalb erforderlich, weil der Änderungstatbestand des § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG anders als die Änderungstatbestände in § 3b Abs. 3 und § 3e Abs. 1 Nr. 1 UVPG nicht auf den in der Anlage 1 genannten Größenwert der Start- und Landebahn abstellt, sondern eine Vorprüfung des Einzelfalles erfordert, ob die Änderung erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann. Da nicht von der „erheblichen nachteiligen Umweltwirkung“ auf die Änderung geschlossen werden darf38, muss unabhängig vom Grund der Umweltauswirkungen zuerst festgestellt werden, ob es sich um eine Änderung handelt, also ob es sich um eine „bauliche Maßnahme“ handelt und ob die bauliche Maßnahme eine Änderung des Flugplatzes darstellt. Schließlich ist sie auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt zu prüfen, für die die Kriterien in Anlage 2 zum UVPG maßgeblich sind. Die Vorprüfung bezieht allerdings auch frühere Änderungen des UVPpflichtigen Vorhabens ein, für die nach der jeweils geltenden Fassung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist. Anders als in § 8 Abs. 1 bis 3 LuftVG, die auf das durch den „Plan“ konkretisierte Vorhaben abstelle, § 73 Abs. 1 Satz 2, § 74 Abs. 1 Satz 1, § 74 Abs. 7 VwVfG wird im Rahmen der Prüfung der UVPPflichtigkeit der Änderung nicht nur auf das durch den Plan bestimmte aktuelle Vorhaben abgestellt, sondern auch frühere Änderungen, die nicht Gegenstand eines Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren gewesen sind, in die VorPrüfung der Umweltauswirkungen einbezogen. Die Summe der Änderungen bestimmt aber nicht das aktuelle Vorhaben, das durch den Plan konkretisiert ist und bleibt. Geprüft wird, ob die Summe der Auswirkungen auch aus früheren Vorhaben zusammen mit den Auswirkungen des aktuellen Vorhabens die durch Anhang 2 konkretisierte Schwelle „erheblich nachteilige Umweltauswirkungen“ übersteigt. Für das Unionsrecht hat es Bedeutung, dass das Ziel der Richtlinie nicht durch eine Aufsplitterung von Projekten umgangen wird. Die Nichtberücksichtigung von kumulativen Wirkungen von Projekten darf nicht zur Folge haben, ___________ 38
EuGH, Urt. vom 17. März 2011 – Rs.C-275/09 –, RdNr. 25.
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dass die Projekte insgesamt der Verpflichtung zur Verträglichkeitsprüfung entzogen werden, obwohl sie zusammengenommen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2011/92/EU haben können39. Diese Zielsetzung verfolgt aber keine Lösung vom Projektbegriff, wie ihn der Gerichtshof der Europäischen Union definiert hat. 3. Maßgeblichkeit des fachplanerischen Vorhabenbegriffes 3.1. Ob ein möglicherweise zulassungspflichtiges Änderungsvorhaben vorliegt, kann nicht unabhängig vom Inhalt bestandskräftiger Zulassungsentscheidungen beantwortet werden. Aus den Regelungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 und § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG folgt nicht, dass ein vom Inhalt bestehender Zulassungsentscheidungen unabhängiger Änderungsbegriff des UVPG geschaffen werden sollte. Auch der UVP-Richtlinie ist nicht zu entnehmen, dass die Änderungen eines bereits genehmigten Projektes, die nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt haben kann, ohne Rücksicht darauf, ob diese Auswirkungen von einer Zulassungsentscheidung gedeckt sind, einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterwerfen ist. Die Frage, ob gemessen an den bisherigen Zulassungsentscheidungen eine zulassungspflichtige Änderung vorliegt, entscheidet sich nach § 8 Abs. 1 bis 3 LuftVG, also dem Fachplanungsrecht40. 3.2. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe b UVPG beurteilt sich die Änderung eines Flughafens danach, ob die Lage oder die Beschaffenheit dieser Anlage geändert wird. Änderungen, die außerhalb der Vorhabendefinition des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UVPG liegen, können weder im Rahmen des § 3b Abs. 3, noch des § 3e UVPG ein UVP-pflichtiges Vorhaben bilden41. Dieser Gedanke ist maßgeblich, wenn es um Vorhaben geht, die die zugelassenen räumlichen Grenzen nicht verändern oder mit nachteiligen Umweltauswirkungen verbunden sind, die von dem bisherigen Gestattungszustand nicht erfasst werden42. Aber auch § 2 Abs. 2 Nr. 2 UVPG enthält keinen eigenständigen Änderungsbegriff für die Umweltverträglichkeitsprüfung. Was eine Änderung ist, bestimmt sich nach dem materiellen Recht, da die UVP unselbstständiger Teil eines Genehmigungsverfahrens ist, § 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG. Entsprechend misst § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG dem Ergebnis der Umweltverträglichkeit keine eigenständige „zulassungsregelnde“ Bedeutung zu, sondern behandelt es lediglich als einen abwägungspflichtigen Belang. Die Umweltverträglichkeitsprü___________ 39 EuGH, Urt. vom 17. März 2011 – Rs. C 275/09 –, RdNr. 35; EuGH, Urt. vom 28. Februar 2008 – RS. C-2/07 –, RdNr. 40. 40 BVerwG, Urt. vom 7. Dezember 2006 – 4 C 16.04 –, Juris RdNrn. 33, 34. 41 Vgl. Sangenstedt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 3 UVPG, RdNr. 14. 42 BVerwG, Urt. vom 7. Dezember 2006 – 4 C 16.04 –, Juris Leitsatz 4.
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fung enthält keinen eigenständigen Vorhabenbegriff43. Maßgeblich ist vielmehr mit Blick auf § 8 Abs. 1 LuftVG, welche Auswirkungen aufgrund der bestehenden fachplanerischen Zulassung bereits zugelassen sind. Der Umfang der fachplanerischen Änderung bestimmt auch die Änderung, die auf ihre Umweltverträglichkeitsprüfung (-spflicht) zu untersuchen ist. Soweit in § 2 Abs. 2 Nr. 2 und § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG die UVP-Pflicht von der Zulassungsvoraussetzung einer Planfeststellung abgekoppelt und an sachliche Merkmale (Art, Größe und Leistung, Standort) bzw. an das Ergebnis einer Vorprüfung des Einzelfalles gebunden worden ist, leiten sich daraus keine Anhaltspunkte dafür ab, dass beabsichtigt worden sei, einen von Inhalt bestehender Zulassungsentscheidung unabhängigen Änderungsbegriff zu schaffen44. Im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht ist zu ermitteln, ob die tatsächlichen Änderungen im Hinblick auf das Bestehen eines Zulassungserfordernisses oder das Überschreiten der Schwelle „erhebliche negative Umweltauswirkung“ von Bedeutung sind. 3.3. Betriebsänderung/Konversion: Im Rahmen eines Konversionsvorhabens nach § 8 Abs. 5 LuftVG muss sich die Prüfung der Umweltauswirkungen der baulichen Änderungen und Erweiterungen eines Flugplatzes auch auf die betrieblichen Auswirkungen der beabsichtigten zivilen Nutzung erstrecken. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die zivile Nutzung des Verkehrsflughafens erst durch eine bauliche Änderung oder Erweiterung ermöglicht wird45. Bei der Konversion entscheidet die Genehmigungsbehörde über die Zulassung der neuen Nutzung, also des zivilen Flugbetriebes insgesamt. Dies entspricht auch dem Inhalt der UVP bei dem Neubau eines Flughafens. Auch in diesem Fall erstreckt sich die UVP auf die bau-, anlage- und betriebsbedingten Wirkungen des Flughafens. § 8 Abs. 5 LuftVG gestattet es nicht, bei der Bewertung der Erheblichkeit der betriebsbedingten Umweltauswirkungen diejenigen des zivilen Flugbetriebes mit denen des militärischen Flugbetriebes zu saldieren. Betriebsänderungen (ohne bauliche Maßnahmen) von bestehen Flugplätzen bedürfen daher keiner Umweltverträglichkeitsprüfung. Die beiden zitierten Konversionsentscheidungen belegen, dass dem materiellen Zulassungsrecht der Maßstab für die Bestimmung der erheblichen nachteiligen Umweltauswirkung zu entnehmen ist46. 3.4. Die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Vorhabenzulassung dienen unterschiedlichen Zwecken. Die Umweltverträglichkeitsprüfung dient als un___________ 43
Appold, in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl., § 2, RdNr. 75. BVerwG, Urt. vom 7. Dezember 2006 – 4 C 16.04 –, Juris RdNr. 33. 45 BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007 – 4 C 9.06 –, Juris RdNr. 30; BVerwG, Urt. vom 16. Oktober 2008 – 4 C 5.07 –, Juris RdNr. 30. 46 Vgl. BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007 – 4 C 9.06 –, Juris RdNr. 34; BVerwG, Urt. vom 16. Oktober 2008 – 4 C 5.07 –, Juris RdNr. 32. 44
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selbständiger Teil verwaltungsbehördlicher Verfahren der frühzeitigen Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkung eines Vorhabens auf die in § 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG genannten Schutzgüter. Die Zulassung der in dem Katalog der Anlage 1 zum UVPG genannten Vorhaben erfolgt dagegen in fachgesetzlichen Zulassungsverfahren, die auch das „Trägerverfahren“ für eine Umweltverträglichkeitsprüfung bilden, § 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG. Die Umweltverträglichkeitsprüfung steht auch nicht in Konkurrenz zu dem Abwägungsgebot des § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG (bzw. dem entsprechend geltenden Abwägungsgebot im Rahmen der luftrechtlichen Genehmigung). Die Ermittlung, Darstellung und Bewertung der Umweltbelange, die sich aus § 2 Abs. 1 Satz 2 UVPG ergeben, erfolgt ohne Bezug zu den mit dem Vorhaben verfolgten bzw. für es streitende Belange. In der Umweltverträglichkeitsprüfung geht es um die frühzeitige Ermittlung der vorhabenbedingten Umweltauswirkungen an sich. Nach § 12 UVPG bewertet die Planfeststellungsbehörde die Umweltauswirkungen des Vorhabens auf der Grundlage der nach § 11 UVPG zu erstellenden zusammenfassenden Darstellung. Die Planfeststellungsbehörde berücksichtigt diese Bewertung bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens im Hinblick auf eine wirksame Umweltvorsorge im Sinne der §§ 1, 2 Abs. 1 Satz 2 und § 4 UVPG nach Maßgabe der geltenden Gesetze. Wie sich aus § 11 Satz 4 UVPG ergibt, kann die zusammenfassende Darstellung der Umweltauswirkungen des Vorhabens sowie der Maßnahmen, mit denen erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen vermieden, vermindert oder ausgeglichen werden, einschließlich der Ersatzmaßnahmen bei nicht ausgleichbaren, aber vorrangigen Eingriffen in Natur und Landschaft in der Begründung der Entscheidungen über die Zulässigkeit des Vorhabens, also dem Planfeststellungsbeschluss, erfolgen. Mit dieser Vorgehensweise wird dem Zweck des Gesetzes eine wirksame Umweltvorsorge durch frühzeitige und umfassende Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der Umweltauswirkungen Rechnung getragen, § 1 Satz 1 Nr. 1 UVPG. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ergänzt die fachplanerische Zulassung, die § 74 Abs. 2 Satz 2, 3 VwVfG, § 9 Abs. 2 LuftVG gerade auf die negativen Auswirkungen, die durch das Vorhaben verursacht werden, nicht nur abzuwägen, sondern auch zu bewältigen hat. Die Umweltverträglichkeitsprüfung hat damit im Fall von § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG unabhängig von der Frage, ob eine Änderung im Einzelfall einer solchen Prüfung unterzogen werden muss, keine Auswirkung auf den zugelassenen Bestand. Vielmehr dient sie allein der Ermittlung der Umweltauswirkungen des Vorhabens (auf die Schutzgüter des § 2 Abs. 1 Satz 2 UVPG)47, wie sie für die Zulassungsbehörde ein Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung (wie auch der Vorprüfung) sind. Bauliche Veränderungen einer bestehenden Flughafenanlage können erstmalig ___________ 47
Vgl. BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007 – 4 C 9.06 –, Juris RdNr. 32.
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mit Auswirkungen auf Flächen jenseits der im Plan festgestellten Flughafengrenzen verbunden sein, die auch die anderen in § 2 Abs. 1 Satz 2 UVPG genannten Schutzgüter betreffen. So können die Umweltauswirkungen, die mit dem Neubau eines Flugzeugwartungskomplexes, der an ein Natura 2000-Gebiet heranrückt, nicht von vornherein darauf beschränkt werden, dass im Hinblick auf eine bestandskräftige Zulassung die technische (luftseitige) Kapazität des Flughafens nicht erhöht wird und die baulichen Veränderungen keine erneute Entscheidung über die raumplanerische Zulässigkeit der Bodeninanspruchnahme erforderten48. Vielmehr ist unter Anwendung der Kriterien der Anlage 2 zum UVPG für die Schutzgüter des § 2 Abs. 1 Satz 2 UVPG zu prüfen, ob sich durch die Änderung erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen ergeben können. Diese Prüfung kann im Falle des § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG zur Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung führen, ohne dass fachplanerisch eine neue Zulassungsentscheidung für den Bestand zu treffen sein müsste. Allerdings erfordert die Regelungssystematik in § 8 Abs. 3 LuftVG, dass auch in diesem Fall ein Planfeststellungsverfahren als Trägerverfahren für eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird. 3.5. Zwischenergebnis: Aus den Überlegungen unter Nr. 2 ergibt sich, dass die Änderung durch eine bauliche Maßnahme gekennzeichnet sein muss. Diese bauliche Maßnahme darf nicht durch die bestehende Zulassung gedeckt oder unwesentlich sein. Soweit sich aus der Regelung in § 3e Abs. 1 Nr. 2 2. Hs. UVPG die Verpflichtung der Einbeziehung früherer Änderungen ergibt, folgt daraus nicht, dass der zugelassene Bestand in Frage gestellt wird. Soweit Änderungen bestandskräftig zugelassen worden sind, sind noch die Umweltauswirkungen durch die Zulassung gedeckt. Sind sie dies nicht, stellt sich die Frage nach dem Bestandsschutz nicht. Speziell für Flughäfen ist darauf hinzuweisen, dass die in § 8 Abs. 4 LuftVG geregelte Möglichkeit, „bauplanungsrechtlich“ Hochbauflächen planfestzustellen, von der Bebauung dieser Flächen zu unterscheiden ist. Die Errichtung von Parkhäusern, Hotels etc. fällt nicht unter den Flugplatzbegriff des ICAO Annex 14. Eine UVP-Pflicht kann sich nur daraus ergeben, dass entweder eine wesentliche Planänderung des Flugplatzes – wie er zugelassen ist – und damit ein „sowieso“ UVP-pflichtiges Planfeststellungsverfahren vorliegt oder dass es sich um ein anderes im Katalog von Anhang 1 des UVPG genanntes Vorhaben handelt, das für sich UVP-pflichtig ist49.
___________ 48 49
BVerwG, Urt. vom 7. Dezember 2006 – 4 C 16.04 –, Juris RdNr. 46. Z.B. Nr. 18 der Anlage 1.
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4. Die erhebliche nachteilige Umweltauswirkung § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG stellt bei der Beurteilung, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist, darauf ab, ob die Änderung „erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen“ haben kann. Das in § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG geregelte Screening-Verfahren prüft nicht, ob solche Umweltauswirkungen sicher vorliegen oder ausgeschlossen werden können, sondern nur, ob das Vorhaben geeignet ist, solche hervorzurufen. Eine weitergehende Prüfung dürfte im Screening schon deshalb nicht zulässig sein, weil ansonsten der verfahrenssteuernden Wirkung der Vorschrift und damit die Beteiligung der Öffentlichkeit missachtet werden könnte50. Der Begriff „erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen“ wird im UVPG nicht definiert. 4.1. Für die Ermittlung der Erheblichkeit nachteiliger Umweltauswirkungen verweist § 3c Satz 1 UVPG auf die Kriterien der Anlage 2. Die Anlage 2 unterscheidet drei Kriterien: ‒ Merkmale des Vorhabens ‒ Standort des Vorhabens ‒ Merkmale der möglichen Auswirkungen Während die Merkmale des Vorhabens (Größe, Nutzung und Gestaltung von Wasser, Boden, Natur und Landschaft, Abfallerzeugung, Umweltverschmutzung/Belästigungen sowie Unfallrisiko) im Wesentlichen auch den Kriterien nach § 8 Abs. 1 LuftVG entsprechen, also die Frage stellen, wie ist das Vorhaben an sich zu beschreiben, weisen die unter Nr. 2 genannten Kriterien, die auf die ökologische Empfindlichkeit eines Gebietes, das durch ein Vorhaben möglicherweise beeinträchtigt werden kann, Besonderheiten auf. Soweit dabei unter Nr. 2.3 insbesondere auch die Auswirkungen auf gesetzlich besonders geschützte Gebiete (z.B. Natura 2000-Gebiete, Naturschutzgebiete oder Wasserschutzgebiete) genannt werden, ist das Besondere an diesen Regelungen, dass insbesondere im Hinblick auf Natura 2000-Gebiete die Möglichkeit besteht, dass diese Natura 2000-Gebiete erst zu einem Zeitpunkt Gegenstand der rechtlichen Bewertungsmöglichkeiten geworden sind, als die Flughafenanlage bereits bestand. Solche Situationen bestehen etwa an den Verkehrsflughäfen Köln/Bonn und München51. Die von dem Vorhaben ausgehenden Auswirkungen auf den Standort sind insbesondere anhand ihrer Schwere und Komplexität, ihrer Wahrscheinlichkeit sowie der Dauer, Häufigkeit und Reversibilität zu beurteilen (Anlage 2, Ziff. 3.3 bis 3.5). ___________ 50 Vgl. BVerwG, Urt. vom 20. Dezember 2011 – 9 A 31.10 –, Juris RdNr. 25; BVerwG, Urt. vom 20. August 2008 – 4 C 11.09 –, Juris RdNr. 35. 51 Europäische Vogelschutzgebiete „Nördliches Erdinger Moos“ und „Wahner Heide“.
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4.2. Im Hinblick auf diese einzelfallbezogene Beurteilungsweise könnte daneben den in Anlage 1 genannten Größen und Leistungswerten eine Auslegungsleitlinie im Hinblick auf den jeweils zu bestimmenden Einzelfall bei der Bewertung der Auswirkungen nach Anlage 2 zukommen. 4.2.1. Anders als das Fachplanungsrecht, das in § 8 Abs. 1 bis 3 LuftVG fragt, ob sich das Gesicht der Anlage ändert, stellt das UVPG darauf ab, ob mit der Änderung (gleichgültig, ob das Gesicht der Anlage gewahrt wird) erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen verbunden sind bzw. im Rahmen der Vorprüfung nicht ausgeschlossen werden können. Die erhebliche Nachteiligkeit der zu erwartenden Umweltauswirkungen ist normativ zu bestimmen52. Maßstab hierfür sind die – für die (nachfolgende) Zulassungsentscheidung maßgeblichen – fachgesetzlichen Vorgaben, soweit sie eine umweltschutzbezogene Orientierung aufweisen. Eine Abwägung zwischen Vorhaben- und Umweltinteressen erfolgt dagegen weder im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung noch im Rahmen des Screenings53. Fachrechtlicher Maßstab sind also für das Schutzgut „Wasser“ die Vorgaben des Wasserrechtes, einschließlich der das WHG untermauernden Fachnormen, für das Schutzgut „Luft“ die 39. BImSchV. Teilweise kommt diesen Vorgaben auch Bedeutung für mehrere Schutzgüter zu. Gerade die fachgesetzlichen Vorgaben zur Luftreinhaltung dienen wie auch die 16. BImSchV oder das Fluglärmgesetz auch (oder gerade) dem Schutzgut „Mensch“. Bedeutung hat dabei die über die Verweisung in § 3c Satz 1 UVPG in Bezug genommene wirksame Umweltvorsorge nach § 12 UVPG, die sowohl die fachrechtliche Gefahrenabwehr als auch die Vorsorge für Umweltrisiken erfasst54. 4.2.2. Konkret stellt sich die Frage, ob Auswirkungen, die etwa einen artenschutzrechtlichen Verbotstatbestand nach § 44 Abs. 1 BNatSchG auszulösen vermögen, bereits eine erhebliche nachteilige Umweltauswirkung darstellen können. Das ließe sich formal damit begründen, dass die Feststellung eines solchen Verbotstatbestandes das Ergebnis hat, dass das Vorhaben ohne eine Abweichungsentscheidung, die wiederum einer Abwägung (planerischen Entscheidung) zugänglich wäre, nicht zugelassen werden darf. Andererseits würde im Hinblick auf die Funktionalität, die sich gerade auch aus den genannten Größen und Leistungswerten ergibt, der Umstand überspielt, dass die Qualifikation „erhebliche Beeinträchtigung“ im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht mit der entsprechenden Erheblichkeitsbestimmung in ande___________ 52 Vgl. Sangenstedt, in: Landmann/Romer, Umweltrecht, § 3c UVPG, RdNrn. 11, 13, 25. 53 Dienes, in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl., § 3c RdNr. 15. 54 Vgl. Sangenstedt, in: Landmann/Romer, Umweltrecht, § 1 UVPG, RdNr. 11; Appold, in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl., § 1 RdNr. 26.
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ren Gesetzen übereinstimmen muss. Der Umstand, dass nicht jede erhebliche nachteilige Umweltauswirkung UVP-pflichtig ist55, dürfte jedenfalls dann, wenn die naturschutzfachliche Bedeutung der Beeinträchtigung gering ist, in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gegen die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung sprechen. 4.2.3. Etwas anderes gilt im Fall der möglichen erheblichen Beeinträchtigung von für die Erhaltungsziele/den Schutzzweck maßgeblichen Flächen von Natura 2000-Gebieten. Können erhebliche Beeinträchtigungen nicht ausgeschlossen werden, wird man davon ausgehen müssen, dass grundsätzlich auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist56. Hier dürfte eine entsprechende isolierte Entscheidung – ohne „Gesamtabwägung“ – grundsätzlich nicht möglich sein. 4.2.4. Es wird vertreten, dass es für die Feststellung der Erheblichkeit schon ausreichend sei, dass das Fachrecht den Umweltauswirkungen ein so hohes Gewicht beimesse, dass die Zulassung des Vorhabens aus Umweltgründen versagt werden müsse oder im Rahmen des behördlichen Ermessens versagt werden könne. Dies erfasse sowohl Grenzwertüberschreitungen (etwa des § 2 FluglärmG oder der 16. oder der 39. BImSchV), aber auch Verbote (§ 34 Abs. 2, § 44 Abs. 1 BNatSchG). Wirksame Umweltvorsorge bestimme sich dann danach, dass diese fachgesetzlich entsprechend bewerteten Umweltfolgen das Vorliegen einer erheblichen nachteiligen Umweltauswirkung indizierten mit der Folge, dass eine UVP zu erfolgen habe. Maßgeblich wäre danach ob das Vorhaben aufgrund der anwendbaren fachgesetzlichen Normen von der Behörde nicht zugelassen werden könnte57. 4.2.5. Dieser Ansatz deckt zwar die mögliche Vorsorge für die Umwelt vollständig(st) ab, dürfte aber im Hinblick auf die Folge, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen kaum noch zu vermeiden sein dürften, als unverhältnismäßig erweisen. Auch die beiden Konversionsentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes stützen diese Auffassung nicht58. (1) Soweit das Bundesverwaltungsgericht in diesen beiden Entscheidungen ausführt, dass nachteilige Umweltauswirkungen im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3c Abs. 1 Satz 1 und 3 UVPG 2001 bereits dann erheblich seien, wenn sie nach § 12 UVPG bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens zu berücksichtigen wären, betrifft diese Feststellung den konkreten Einzelfall, in dem nachteilige – fachplanerisch abwägungspflichtige – Lärmbelastungen ___________ 55
EuGH, Urt. vom 17. März 2011 – Rs. C-275/09 –, RdNr. 25. Vgl. z.B. § 33 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Buchstabe a) HStrG. 57 Vgl. Sangenstedt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 3c UVPG, RdNr. 27. 58 BVerwG, Urt. vom 13. Dezember 2007 – 4 C 9.06 –, Juris RdNr. 34; BVerwG, Urt. vom 18. Oktober 2008 – 4 C 5.07 –, Juris RdNr. 32. 56
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festgestellt worden sind. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Maßstab für die Erheblichkeit immer dem materiellen Zulassungsrecht zu entnehmen sein muss. (2) Maßstab ist nach der Systematik des UVPG der Kriterienkatalog der Anlage 2 zum UVPG. Die Anlage 2 zum UVPG, auf die § 3e Abs. 1 Nr. 2 über § 3c Satz 1 UVPG verweist, enthält Kriterien, deren Anwendung maßgeblich für die Beurteilung der Erheblichkeit der nachteiligen Umweltauswirkungen sind. Anlage 2 wäre überflüssig, wenn die Erforderlichkeit immer dann festzustellen wäre, wenn fachgesetzlich Verbote oder gravierende Umweltbelange, die einer Zulassung entgegenstehen könnten, vorliegen würden. (3) Hierfür spricht auch, dass § 2 Abs. 2 Nr. 1 c) UVPG die Durchführung einer sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahme als Vorhaben definiert. Gleichzeitig führt aber unter Anwendung der in Anlage 1 verwendeten Kriterien nicht jeder Eingriff, der nach § 14 BNatSchG eine erhebliche Beeinträchtigung und damit einen Eingriff in Natur und Landschaft darstellt, zu einer UVP-Pflicht. Hieraus kann nur gefolgert werden, dass auch Änderungen eines an sich UVP-pflichtigen Vorhabens, selbst wenn sie einen Eingriff in Natur und Landschaft darstellen, nicht automatisch UVP-pflichtig werden. Die Feststellung, ob erhebliche nachteilige Umweltwirkungen vorliegen, wird danach nicht absolut, sondern auch in Relation zu dem insgesamt UVPpflichtigen Vorhaben zu treffen sein. Die Anlage 2 nimmt die Kriterien, die den in § 3a Satz 3 UVPG eingeräumten Einschätzungsspielraum der Behörde begrenzen. Ein Einschätzungsspielraum bestünde – wollte man nicht auf diese Kriterien abstellen – nicht. Anhand dieser Kriterien hat die Behörde nachvollziehbar (plausibel) zu begründen, wie sie den ihr eingeräumten (prognostischen) Einschätzungsspielraum benutzt hat59. Treten vorhabenbedingt Eingriffe in Natur und Landschaft (etwa durch Versiegelung) ein oder sind mit dem Vorhaben die Verwirklichung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände verbunden, sind deren Folgen in den entsprechenden, im Bundesnaturschutzgesetz geregelten Verfahren zu bewältigen. Sie lassen eine Beurteilung als erhebliche nachteilige Umweltauswirkung im Sinne des UVPG nicht automatisch zu. Insbesondere wenn sich die Auswirkungen auf das bereits „technisch überformte“ Flughafengelände beschränken, dass nach den bestehenden Genehmigungen einem eindeutigen technischen Zweck im Sinne von § 4 Satz 1 Nr. 3 BNatSchG gewidmet ist, dürfen keine überzogenen Maßstäbe an den Ausschluss erheblicher nachteiliger Umweltauswirkungen gefordert werden. Dies gilt z.B. auch für die Frage, ob Maßnahmen des Vogelschutzes, die nachträglich verordnet werden, eine solche Prüfung erfordern. Dies entspricht auch dem Regelungsgedanken des § 8 Abs. 3 Nr. 2 LuftVG. ___________ 59
BVerwG, Urt. vom 20. Dezember 2011 – 9 A 31.10 –, Juris RdNr. 29.
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Auswirkungen, die sich im Ergebnis auf das Flughafengelände selbst beschränken, sind in entsprechender Anwendung des Kriteriums 3.2 der Anlage 2 zum UVPG als nicht erheblich zu bewerten. 4.2.6. Dieser Auffassung steht auch die neuere Rechtsprechung des EuGH zur Frage des Bestandsschutzes im Hinblick auf die Ausweisung von Natura 2000-Gebieten nicht entgegen60. Der Gerichtshof hat nämlich im Hinblick auf die aus Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie folgende allgemeine Störungs- und Verschlechterungsverbot geschlossen, dass auch Maßnahmen, die vor dem Inkrafttreten der FFH-Richtlinie bestandskräftig zugelassen worden sind, an diesem Verbot zu messen, nicht aber einer FFH-Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind61. (1) Diese, nicht ganz widerspruchsfreie, Entscheidung kann mit dem Anliegen der FFH-Richtlinie, die Natura 2000-Gebiete besonders zu schützen, begründet werden. Eine solche auf ein konkretes Schutzziel bezogene Regelung enthält die UVP-Richtlinie nicht. Sie regelt vielmehr einen Verfahrensschritt im Rahmen eines Zulassungsverfahrens. Ihr zeitlicher Geltungsbereich beginnt aber erst mit dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens. Dies bestätigt auch der vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelte und in Bezug genommene Ansatz, dass ein Vorhaben, bei dem mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht unterzogen werden muss, wenn das Datum der förmlichen Stellung des Antrages auf seine Genehmigung vor dem Datum liegt, an dem die Frist für die Umsetzung der UVP-Richtlinie abgelaufen ist62. Dieses Datum kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass nichtprüfungspflichtige Vorhaben im Rahmen des Screenings nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG als einbeziehungspflichtig deklariert werden. Maßgeblich für die Frage, ob eine UVP-Pflicht besteht, ist, ob ein Zulassungsverfahren nach dem 3. Juli 1988 eingeleitet worden ist63. Verfahren, die vor dem 3. Juli 1988 eingeleitet worden sind (und/oder abgeschlossen wurden), haben einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht bedurft. Sie sind – entgegen der oben dargestellten Auffassung der Literatur – auch nicht im Rahmen eines Screenings zu berücksichtigen. (2) Systematisch wird dies durch § 3b Abs. 3 Satz 3 UVPG bestätigt. Danach bleibt der Bestand, der in den jeweiligen Anwendungsbereich der Richtlinien 85/337/EWG und 97/11/EG fällt, aber vor Ablauf der jeweiligen Umset___________ 60
Vgl. EuGH, Urt. vom 14. Januar 2010 – Rs. C-226/08 –, RdNrn. 35 bis 50. EuGH, Urt. vom 14. Januar 2010 – Rs. C-226/08 –, RdNrn. 48, 49. 62 EuGH, Urt. vom 11. August 1995 – Rs. C-431/91 –, RdNrn. 29 und 32; EuGH, Urt. vom 18. Juni 1998 – Rs. C-81/96 –, RdNr. 23; EuGH, Urt. vom 23. März 2006 – Rs. C-209/04 –, RdNr. 56. 63 EuGH, Urt. vom 11. August 1995 – Rs. C-431/92 –, RdNr. 28; EuGH, Urt. vom 22. Oktober 1998 – Rs. C-301/95 –, RdNr. 29. 61
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zungsfristen erreicht wurde, hinsichtlich des Erreichens oder Überschreitens der Größen- oder Leistungswerte unberücksichtigt. Dies kann im Ergebnis aber nur bedeuten, dass der so gewählte Bestand auch nicht bei der Bewertung der Umweltauswirkungen heranzuziehen ist. Gegenstand der negativen Umweltauswirkungen kann daher nicht das Gesamtvorhaben sein, wie es sich nach seiner entsprechenden Realisierung des Änderungsvorhabens darstellen würde, sondern nur, das, was nach den Regelungen umweltverträglichkeitsprüfungspflichtig ist. Anderenfalls käme man zu dem wenig überzeugenden Ergebnis, dass ein zulässigerweise ohne Umweltverträglichkeitsprüfung bestehender und betriebener Verkehrsflughafen im Fall einer „geringfügigen“ Änderung deshalb umweltverträglichkeitsprüfungspflichtig würde, weil mit der Änderung das Gesamtmaß der Umweltauswirkung einer entsprechenden Prüfung zu unterziehen wäre. Dies wäre schon deshalb nicht überzeugend, da die Umweltverträglichkeitsprüfung ein sehr aufwendiges Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung bedingt, aber andererseits keine Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens beinhaltet. Ein bestandskräftig zugelassenes Vorhaben könnte dadurch nicht in Frage gestellt werden und im Ergebnis wären die bereits genehmigten Auswirkungen für die Zulassungsentscheidung ohne Bedeutung. Dies würde aber zu einem unverhältnismäßigen Aufwand führen. 5. Ergebnis 5.1. Während das Luftverkehrsgesetz die Zulassung von Flughäfen regelt, befasst sich das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung mit den Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Umweltverträglichkeit eines konkreten in einem Katalog genannten Vorhabens zu prüfen ist. Gegenstand sowohl der luft- wie der umweltverträglichkeitsprüfungsrechtlichen Betrachtung ist der Flugplatz im Sinne von ICAO Annex 14. Die luftrechtlichen Genehmigungs/Zulassungstatbestände können über diesen Flugplatzbegriff hinausgehen, wenn etwa über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Hochbauten entschieden wird, § 8 Abs. 4 LuftVG. Die Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht knüpft bei Flughäfen an eine bauliche Maßnahme an. Rein betriebliche Änderungen (Kontingenterhöhungen, Veränderung von Betriebszeiten etc.) stellen keine baulichen Maßnahmen dar und unterliegen daher nicht der Pflicht einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Dies dürfte auch für die Änderung von Flugverfahren gelten. 5.2. Unabhängig von der Bestimmung der Voraussetzungen einer UVPPflicht für Flugplätze (Nr. 14.12) enthält die Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung weitere Vorhaben, die als Bestandteile der Zulassung eines Flugplatzes einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegen können. Dies gilt für wasserrechtliche Genehmigungen, Kraftwerke oder Tanklager ebenso wie für die Errichtung von Hochbauten, soweit bestimmte in der Anlage 1 genannte Voraussetzungen erfüllt sind. Aus der engen auf die Funkti-
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on eines Flugplatzes bezogenen Flugplatzdefinition in ICAO Annex 14 folgt, dass im Fall der Zulassung von landseitigen Bauvorhaben, wie etwa Parkhäusern oder Hotels diese nicht von dem Flugplatzbegriff umfasst sein müssen. Eine Errichtung dieser Anlagen muss dann keine Änderung des Flugplatzes im UVP-rechtlichen Sinne sein, sondern wenn überhaupt, eine Änderung der planfestgestellten bauplanungsrechtlich zulässigen Anlagen. Soweit dies nicht der Fall ist und es sich allein um eine bauordnungsrechtliche Genehmigung handelt, wäre zu entscheiden, ob diese eine eigene Umweltverträglichkeitsprüfung auslösen kann. Dies wäre jedenfalls dann zu verneinen, wenn in einer vorhergehenden planungsrechtlichen Zulassung die mit dem Vorhaben verbundenen Auswirkungen ausreichend betrachtet worden sind. 5.3. § 3 e Abs. 1 Nr. 2 UVPG enthält keinen eigenständigen Zulassungstatbestand. Soweit sich aus der Vorschrift die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung für die im Rahmen eines Änderungsverfahrens ergeben kann, führt dies nicht dazu, dass die bestandskräftig zugelassenen Teile einer Anlage wieder zur Disposition stünden. Die Schwelle der erheblichen nachteiligen Umweltauswirkung, die in § 12 UVPG verwendet wird, ist grundsätzlich im Hinblick auf die in den Fachgesetzen konkretisierten Zumutbarkeitsschwellen zu definieren. Allerdings muss aus dem Umstand, dass in den Fachgesetzen bereits naturschutzfachlich „geringfügige“ Beeinträchtigungen zu Verbotstatbeständen führen können, nicht zwangsläufig auf eine erhebliche nachteilige Umweltauswirkung geschlossen werden. Für eine entsprechende Vorgehensweise spricht auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Fluglärm auf europäischen Flughäfen: Die neue Verordnung über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen Von Guido Kleve1
I. Einleitung „Air traffic noise is a local issue, while noise-mitigating measures affect a global industry. We are faced with a balancing act between the local and the global“ – mit diesen Worten fasste Siim Kallas, Vizepräsident der Europäischen Kommission und Kommissar für Verkehr, vor dem Europäischen Parlament am 11. Dezember 2012 das Problem der Lärmminderung an Europäischen Flughäfen treffend zusammen2. Lärmminderungsmaßnahmen an Flughäfen stehen im Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Bedürfnissen und Interessen der Beteiligten, die regelmäßig gegeneinander abgewogen und in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden müssen. Anwohner von Flughäfen haben ein berechtigtes Interesse an einem Schutz vor gesundheitsgefährdenden Lärmbelästigungen, insbesondere während der Nachtzeit. Dem stehen die wirtschaftlichen Interessen der Marktteilnehmer im Bereich des Luftverkehrs entgegen: Flughafenbetreiber sind grundsätzlich an unbeschränkten und langen Betriebszeiten ihrer angebotenen Infrastruktur interessiert und die Fluggesellschaften wollen möglichst frei von Betriebsbeschränkungen auch transatlantische Flugverbindungen am Markt anbieten. Der unbegrenzte Zugang zu Flughäfen wird aber zunehmend eingeschränkt, um negative Lärmauswirkungen an den jeweiligen Flughäfen zu minimieren. Diese limitierte Nutzbarkeit vorhandener Infrastrukturen kann die Einbindung der Flughafenregion an internationale bzw. nationale Streckennetze erschweren. So steht eine eingeschränkte Konnektivität weder im Interesse der ___________ 1 Guido Kleve ist Rechtsanwalt im Bereich Öffentliches Wirtschaftsrecht in der Kanzlei DLA Piper UK LLP in Köln. Der Autor dankt dem Rechtsreferendaren Gregor Bischoff für die vielfältige Unterstützung. 2 Siim Kallas in der Debatte des Europäischen Parlaments zum Flughafenpaket der Europäischen Kommission am 11.12.2012.
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Fluggesellschaften sowie Flugreisenden als Kunden noch ist diese dem Wirtschaftswachstum der Flughafenregion zuträglich. Darüber hinaus können selbst lokale Betriebsbeschränkungen an einigen Flughäfen auch zu Kapazitätsengpässen im globalen Luftverkehrsnetz führen. Das weltweite Luftverkehrssystem arbeitet kapazitativ mit einer hohen Auslastung an seinen Grenzen. Dieser Zustand wurde durch die Liberalisierung zu Beginn der 1990er Jahre und dem dadurch stetigen Wachstum des Luftverkehrsmarkts in Europa gefördert. Bei einer Verdreifachung des Luftverkehrsaufkommens nutzen nunmehr ca. 800 Millionen Passagiere pro Jahr die Angebote der Fluggesellschaften, um aus der EU in alle Regionen der Welt zu fliegen oder umgekehrt3. Bis zum Jahr 2030 ist mit einer nahezu weiteren Verdoppelung des Luftverkehrs in Europa zu rechnen4. Diese rasant steigenden Verkehrszahlen stellen allerdings auch eine Herausforderung für die europäischen Flughäfen dar. Denn zwangsläufig steigt somit auch dort und in der benachbarten Umgebung die Belastung durch Fluglärm. Laut der Internationalen Zivilluftfahrt Organisation (International Civil Aviation Organization – ICAO) erhöht sich bis 2036 die Anzahl der von Fluglärm betroffenen Bürger in Europa auf bis zu 5,79 Millionen5. Weiterhin sind durch die wachsende Verkehrsdichte auch Engpässe aufgrund der beschränkt zur Verfügung stehenden landseitigen Kapazität an Flughäfen und somit Qualitätseinbußen der Dienstleistung „Luftverkehr“ zu erwarten. Denn trotz Steigerungen der Flughafenkapazitäten durch Neu- oder Ausbaumaßnahmen wird der zukünftige Bedarf zur Abwicklung von weiteren Flugbewegungen nicht ausreichend gedeckt werden können. Dadurch wird die bereits schon heute festzustellende Störanfälligkeit der Luftfahrtbranche weiter verstärkt werden6, während sich einzelne Verspätungen bei Abweichungen vom reibungslosen Betriebsablauf rasant auf das weltweite abgestimmte Luftverkehrssystem ausbreiten können. Um diesen Herausforderungen der Zukunft zu begegnen, hat die Kommission am 1. Dezember 2011 ein umfassendes Maßnahmenpaket für „bessere Flughäfen“ vorgelegt (sog. „better airport package“ oder „Flughafenpaket“), das im Dezember 2012 Gegenstand einer ersten Lesung im Europäischen Parlament ___________ 3
Vgl. Europäische Kommission, MEMO/11/857, S. 1. Vgl. dazu die von der Europäischen Kommission mehrfach zitierte Studie von EUROCONTROL, abrufbar unter: http://www.eurocontrol.int/documents/eurocontrollong-term-forecast-flight-movements-2010-2030. 5 Vgl. dazu die Bezugnahme auf die ICAO-Prognose im Verordnungsvorschlag der Kommission, KOM(2011) 828 endg., S. 1. 6 Die Überlastung könnte dazu führen, dass die Hälfte der Passagier- und Frachtflüge verspätet starten oder landen, vgl. Europäische Kommission, MEMO/11/857, S. 1. 4
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war. Einen wichtigen Bestandteil stellt der hier besprochene Entwurf einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Union dar, der aus rechtlicher Sicht erhebliche Auswirkungen auf die europäischen Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften aber auch die von Fluglärm betroffenen Bürger haben kann. Im Folgenden sollen der Hintergrund und die wesentlichen Inhalte der Verordnung beleuchtet werden.
II. Hintergrund der neuen Verordnung über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen 1. Das „Better Airport Package“ der EU-Kommission Das Flughafenpaket besteht aus drei wichtigen Legislativakten. Neben einem zusammenfassenden Strategiepapier7 enthält es den Verordnungsentwurf zu lärmbedingten Betriebsbeschränkungen8, einen Verordnungsentwurf über Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen9 und einen Verordnungsentwurf über Bodenabfertigungsdienste10. Das Maßnahmenpaket soll eine spürbare Qualitätssteigerung für Fluggäste und Unternehmer bezwecken11. Durch die verbesserte Nutzung der vorhandenen bzw. neu zu errichtenden Flughafeninfrastruktur sollen in Europa Engpässe beseitigt, Verspätungen verringert und Entscheidungsprozesse transparenter gestaltet werden. a) Das Strategiepapier der Kommission Das Strategiepapier der Kommission stellt die herausragende Bedeutung der Flughäfen für die Einbindung des europäischen Luftverkehrs in das weltweite ___________ 7 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Flughafenpolitik in der Europäischen Union – Kapazität und Qualität zur Förderung des Wachstums, guter Verkehrsverbindungen und einer nachhaltigen Mobilität, KOM(2011) 823 endg. 8 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Union im Rahmen eines ausgewogenen Ansatzes sowie zur Aufhebung der Richtlinien 2002/30/EG, KOM(2011) 828 endg. 9 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen der Europäischen Union (Neufassung), KOM(2011) 827 endg. 10 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Bodenabfertigungsdienste auf Flughäfen der Union und zur Aufhebung der Richtlinien 96/67/EG, KOM(2011) 824 endg. 11 Europäische Kommission, IP/11/1484 vom 1.12.2011, S. 2.
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Verkehrsnetz heraus und betont die Wichtigkeit dieses Wirtschaftszweigs. Als besondere Herausforderungen werden neben der begrenzten Kapazität auch eine Verbesserung der Qualität genannt. Die Kommission strebt zur Lösung von zu erwartenden Kapazitätsengpässen unter anderem eine bessere Nutzung bzw. den Ausbau bestehender Kapazitäten an. Zur Zielerreichung steht für die Kommission dabei der Erlass und die Aktualisierung eines Regelungsrahmens zur Schaffung eines Flughafennetzes modernen Zuschnitts und die Förderung von Investitionen in die Infrastruktur im Vordergrund12. In Bezug auf die beabsichtigte Qualitätsverbesserung stellt die Kommission zunächst auf die den Flughäfen zukommende Schnittstellen-Funktion zwischen Flugreisenden und Fluggesellschaften ab. Beiden Gruppen, die jeweils Kunden des Flughafens sind, soll eine hochwertige, zuverlässige, für Fluggäste über das Schienennetz gut zu erreichende, für Fluggesellschaften über transparente und kostenbezogene Flughafen- und Sicherheitsentgelte diskriminierungsfrei zugängliche und sichere Dienstleistung angeboten werden. Besonders hervorgehoben wird auch die Schlüsselrolle der Flughäfen bei der Entwicklung des einheitlichen europäischen Luftraums (Single European Sky – SES). Denn die verbesserte Verkehrssteuerung in der Luft bedingt auch eine zur ausreichenden Aufnahme der Verkehrsströme vorhandene Infrastruktur am Boden. b) Verordnungsvorschlag über Bodenabfertigungsdienste Der effizienteren Erbringung und der Verbesserung der Qualität von verschiedenartigen Dienstleistungen dient auch der Verordnungsvorschlag über Bodenabfertigungsdienste. Es soll gewährleistet werden, dass die Bodenabfertigungsdienstleister den Anforderungen an Zuverlässigkeit, Umweltschutz, Arbeitsbedingungen, Sicherheit und Gefahrenabwehr gerecht werden. Durch die Überarbeitung der Richtlinie aus dem Jahr 1996 soll die eingeleitete Liberalisierung fortgesetzt werden und zusätzlicher Nutzen für Fluggesellschaften und Fluggäste aus der erweiterten Marktöffnung gezogen werden. c) Verordnungsvorschlag bzgl. Zeitnischen Einen weiteren Schwerpunkt der Kommissionsmaßnahmen zur Überwindung des Kapazitätsmangels auf den europäischen Flughäfen stellt der Verordnungsvorschlag bzgl. Zeitnischen (slots) dar. Nach Auffassung der Kommission führen die momentan geltenden Regelungen nicht zu einer optimalen Aus___________ 12
Vgl. Europäische Kommission, KOM(2011) 823, S. 4.
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nutzung der ohnehin knappen Infrastruktur13. Durch die Einführung marktbasierter Instrumente erhofft sich die Kommission ein effizienteres Zuteilungssystem der knapp verfügbaren Start- und Landezeiten, insbesondere durch die Ermöglichung eines transparenten und behördlich beaufsichtigten Sekundärhandels mit Zeitnischen zwischen den Luftfahrtunternehmen. Hierdurch sollen ca. 24 Millionen Flugreisende mehr pro Jahr abgefertigt werden können14. d) Verordnungsentwurf zu lärmbedingten Betriebsbeschränkungen Die Verordnung zu lärmbedingten Betriebsbeschränkungen soll eine Optimierung der Nutzung der vorhandenen Flughafenkapazität in der Weise bezwecken, dass kapazitätsmindernde Betriebsbeschränkungen in einem angemessenen Verhältnis zu dem ermittelten Lärmproblem an dem jeweiligen Flughafen stehen und bei Einführung von lärmbedingten Kapazitätsbeschränkungen die Auswirkungen auf das gesamte Luftverkehrsnetz betrachtet werden. So soll ein angemessener Ausgleich zwischen Lärmschutz und Mobilitätsbedarf gefunden werden. Besondere Bedeutung kommt hierbei dem auf internationaler Ebene im Rahmen der ICAO vereinbarten Verfahren des „ausgewogenen Ansatzes“ (sog. „balanced approach“) zu15. 2. Lärmminderungsmaßnahmen auf internationaler Ebene Auf internationaler Ebene finden Lärmminderungsmaßnahmen eine wesentliche Grundlage in den Vorschriften der ICAO16. Diese sind zwar grundsätzlich für die Mitgliedstaten der Europäischen Union rechtlich unverbindlich, haben aber einen erheblichen praktischen Einfluss. Wesentlicher Bestandteil ist hier seit dem Jahr 2001 das Konzept des „ausgewogenen Ansatzes“. Durch die Umsetzung dieses „balanced approach“ soll die einheitliche Anwendung von Regelungen zur Lärmminderung gewährleistet werden. Inhaltlich sieht dieses Konzept vor, dass der Fluglärm durch eine optimale Kombination folgender Lärmschutzmaßnahmen verringert werden soll: Reduzierung des Lärms an der Quelle (leisere Flugzeugmuster), optimale Flächennutzung, lärmmindernde Betriebsverfahren (z.B. durch Flugverbote über bestimmte Gebieten) sowie lärmbedingte Betriebsbeschränkungen (u.a. Nachtflugverbote). ___________ 13 14 15 16
9829.
Vgl. Europäische Kommission, KOM(2011) 823, S. 7. Vgl. Europäische Kommission, MEMO/11/857, S. 4. Vgl. Europäische Kommission, MEMO/11/857, S. 7. ICAO Guidance on the Balanced Approach to Aircraft Noise Management, Doc.
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Bei der Anwendung der Maßnahmen ist eine Einzelfallbetrachtung notwendig, die der jeweils speziellen Lärmsituation am betrachteten Flughafen angepasst ist (sog. „airport-by-airport“-Ansatz). Damit soll dieses Instrument die notwendige Flexibilität erhalten, um es auf die spezifischen Gegebenheiten vor Ort anwenden zu können. Weiterhin stehen die oben beschriebenen Maßnahmen gleichwertig nebeneinander. In Bezug auf Betriebsbeschränkungen ist allerdings zu beachten, dass diese nicht als allererste Maßnahmen („operating restrictions should not be applied as a first resort“) ergriffen werden sollen, um zu Verbesserungen der Situation an einem lärmintensiven Flughafen zu führen, sondern erst nach einer umfassenden Abwägung mit den Vorteilen der anderen möglichen Maßnahmen nach dem „balanced approach“17. Um im Verfahren zur Lärmminderung eine größtmögliche Transparenz zu erreichen und die optimalen Maßnahmen für den betrachteten Flughafen zu erreichen, werden folgende Schritte vorgeschlagen: Bewertung der momentanen und in der Zukunft erwarteten Lärmbelastung im Vergleich zu den zu erreichenden Minderungszielen, Durchführung einer Kosten-Nutzen-Analyse in Bezug auf mögliche Minderungsmaßnahmen, Auswahl der kosten-effektivsten Maßnahmen, Bekanntgabe der Untersuchungsergebnisse sowie Konsultationen mit allen Interessengruppen und Verfahren zur Streitbeilegung18. So sollen die Maßnahmen zu einer Lärmminderung in kosteneffizienter Weise bei größtmöglichem Umweltnutzen führen und dabei auf den nationalstaatlichen Regelungen aufbauen, die bereits implementiert worden sind. Dadurch wird auch der rechtlich unverbindliche Charakter der Vorgaben der ICAO deutlich, die auf den sich verpflichtenden Staat lediglich politischen Druck zur Umsetzung der Regelungen erzeugen19. Im Jahr 2007 bestätigte die Vollversammlung die Führungsrolle der ICAO zur Verminderung von Lärm im Bereich der Flughäfen sowie das Konzept des „balanced approach“20. In einer Überarbeitung des ausgewogenen Ansatzes wurden zum einen die verbesserte Unterrichtung der Öffentlichkeit eingeführt und zum anderen „best practice“-Anwendungen des ausgewogenen Ansatzes vorgestellt21. ___________ 17 ICAO Guidance on the Balanced Approach to Aircraft Noise Management, Doc. 9829, S. I-1-2. 18 ICAO Guidance on the Balanced Approach to Aircraft Noise Management, Doc. 9829, S. I-2-2. 19 Vgl. dazu Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Study on the Balanced Approach to Noise Management and its Influence on the Economic Impact of Air Transportation (2011), S. 7f. 20 ICAO Assembly Resolutions in Force, Doc. 9902, S. I-58 ff. 21 ICAO Guidance on the Balanced Approach to Aircraft Noise Management, Doc. 9829, S. II-1 ff.
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3. Bisherige Rechtslage nach der Richtlinie 2002/30/EG und Änderungsbedarf a) Wesentlicher Inhalt der Richtlinie 2002/30/EG Bislang gilt in der Europäischen Union die Richtlinie 2002/30/EG über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen22. Der Richtliniengeber verfolgte mit dem Erlass der Richtlinie das Ziel, eine umweltverträgliche Entwicklung des Luftverkehrs zu fördern und die Reduzierung der Lärmbelästigung durch Luftfahrzeuge auf Flughäfen zu bezwecken. Insbesondere sollte die kohärente Einführung von Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen erleichtert werden, um damit die Zahl der von den nachteiligen Auswirkungen des Fluglärms betroffenen Menschen zu begrenzen oder zu reduzieren23. Dabei ist allerdings zu betonen, dass die Richtlinie nicht der Einführung von Betriebsbeschränkungen dient, sondern die Einhaltung einheitlicher Verfahrensabläufe gewährleisten soll. Die Richtlinie sieht in Art. 6 Verfahrensregeln zur Einführung von Betriebsbeschränkungen mit dem Ziel eines Abzugs von „knapp die Vorschriften erfüllende Luftfahrzeugen“ vor. Diese sind in Art. 2 lit. d) als zivile Unterschallstrahlflugzeuge, die die im Band I Teil II Kapitel 3 des Anhangs 16 des Abkommens über die internationale Zivilluftfahrt festgelegten Höchstwerte um eine kumulative Marge von höchstens 5 EPNdB (Effective Perceived Noise in Dezibel) unterschreiten, definiert. Die Prinzipien des „balanced approach“ haben in den Begriffsbestimmungen des Art. 2 lit. g) der Richtlinie ihren Niederschlag gefunden. Nach Art. 4 (1) der Richtlinie werden die Mitgliedstaaten weiterhin angehalten, einen ausgewogenen Ansatz bei der Lösung von Lärmproblemen auf Flughäfen ihres Gebiets zu beschließen. Daher müssen die Mitgliedstaaten berücksichtigen, dass bei der Einführung von lärmbedingten Betriebsbeschränkungen eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Schutz der Flughafenanwohner und den Interessen der Luftverkehrsbranche erfolgt. Bewertungskriterien zur Ermittlung der Zweckmäßigkeit von Betriebsbeschränkungen stellen dabei insbesondere die Verhältnismäßigkeit, die Kosteneffizienz und die Transparenz dar24.
___________ 22 Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. März 2002 über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft, ABl. EU Nr. L 85 vom 28.3.2002, S. 40. 23 Art. 1 lit. a) der Richtlinie 2002/30/EG. 24 Vgl. Europäische Kommission, MEMO/11/857, S. 7.
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Die Richtlinie erfordert die Umsetzung in das nationale Rechtssystem, dies ist in Deutschland – wenngleich verspätet – durch die Einführung der §§ 48a48f LuftVZO umgesetzt worden25. b) Änderungsbedarf der Richtlinie 2002/30/EG Trotz des umfassenden Ansatzes zur Verminderung der Lärmbelastung der Bevölkerung ist während der Anwendung der Regelungen der Richtlinie 2002/30/EG Änderungsbedarf deutlich geworden. Vor allem ist die Kommission zu dem Schluss gekommen, dass die Richtlinie nicht in dem gewünschten Maße zur Harmonisierung des Regelungsrahmens zur Verminderung von Lärm an Flughäfen beigetragen hat26. Bereits im Jahr 2008 hatte eine Untersuchung der Kommission ergeben, dass nicht alle Mitgliedstaaten die Bestimmungen der Richtlinie in gleicher Weise auslegten. Außerdem gaben die betroffenen Flughafenbetreiber an, dass die Regelungen eine nur geringe Auswirkung auf die Arbeit vor Ort hatten, da die Richtlinie den bereits nach nationalem Recht geltenden Regelungsstand widerspiegelte27. In Bezug auf lärmbedingte Betriebsbeschränkungen hat die Anwendung der Richtlinie zunächst gezeigt, dass diese Maßnahmen auch schädlich für die Umwelt sein können. Denn die durch Betriebsbeschränkungen bedingte ineffiziente Nutzung der vorhandenen Flughafenkapazitäten führt zu negativen Umweltauswirkungen. Dies ist unter Umständen dann der Fall, wenn ankommende Flugzeuge durch diese kapazitätsbeschränkenden Maßnahmen gezwungen sein können, auf weiter entfernte Flughäfen auszuweichen und dort unnötige Warteschleifen zu fliegen28. Insgesamt rücken damit auch die Auswirkungen von Lärmminderungsmaßnahmen auf die somit nur eingeschränkte Nutzungsmög___________ 25 Neben den dargestellten Rechtsakten beschäftigen sich eine Reihe weiterer, auf europäischer Ebene erlassener Normen mit dem Thema „Lärm“, vgl. etwa Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm, ABl. EU L 189 vom 18.7.2002, S. 12 ff. und Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm, ABl. EU L 189 vom 18.7.2002, S. 12 ff.; Richtlinie 2006/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Regelung des Betriebs von Flugzeugen des Teils II Kapitel 3 Band 1 des Anhangs 16 zum Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt, 2. Ausgabe (1988), ABl. EU L 374 vom 27.12.2006, S. 1 ff. Zudem ist im Jahr 2006 eine erneuerte Strategie des Rates für nachhaltige Entwicklung verabschiedet worden, die die Verringerung des verkehrsbedingten Lärms sowohl an der Quelle als auch durch nachträgliche Eindämmungsmaßnahmen vorsieht. Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 10917/06. 26 KOM(2011) 828 endg., Ziff. 26, S. 6. 27 Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen an EU-Flughäfen, KOM (2008) 66, S. 4. 28 Vgl. Europäische Kommission, MEMO/11/857, S. 7.
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lichkeit der vorhandenen Flughafeninfrastruktur deutlicher in den Fokus der Kommission. Dies gilt nicht nur für den einzelnen Flughafen als solchen, sondern auch für die Auswirkungen auf das gesamte europäische Luftverkehrsnetz. Weiterhin ist der Richtlinientext von den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich aufgefasst und angewendet worden, was in der Konsequenz zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen Flughäfen mit weitgehend vergleichbaren Lärmbelastungen führen kann. Dies gilt insbesondere bezüglich der Regelungen zur Durchführung von Lärmbewertungen, die nicht eindeutig und präzise genug formuliert sind, und die unzureichende Ausgestaltung des Verfahrens zur Einführung von Betriebsbeschränkungen29. Außerdem betrifft die divergierende Auslegung der Richtlinie die Frage, ob betriebsbeschränkende Maßnahmen auch bzgl. Kapitel-4-Flugzeuge getroffen werden können, obwohl diese Flugzeugmuster dem für die Zulassung momentan geltenden „Stand der Technik“ entsprechen. Eine klare Regelung sieht die Richtlinie nicht vor. Auf den strengen Lärmhöchstwert des Kapitels 4 wird lediglich in Art. 6 (2) der Richtlinie Bezug genommen. Danach können zwar auf Stadtflughäfen strengere Maßnahmen hinsichtlich der Begriffsbestimmung der knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeuge eingeführt werden, allerdings dürfen diese Maßnahmen keine Kapitel-4-Flugzeuge betreffen. Aus dem Umkehrschluss ist somit argumentiert worden, dass – wenn schon keine Beschränkungen aufgrund der Ausnahmeregelung des Art. 6 (2) der Richtlinie an besonders lärmsensitiven Stadtflughäfen getroffen werden dürfen – erst recht keine Maßnahmen für diese Flugzeuge auf Flughäfen ergriffen werden können, die einer gängigen Lärmbelastung ausgesetzt sind30. Bei der Flächennutzung hat die Auslegung und Anwendung des Richtlinientextes in einigen Mitgliedstaaten zu der Situation geführt, dass zwar die durch Lärm belastete Fläche um den Flughafen durch Betriebsbeschränkungen verringert werden konnte, auf der anderen Seite aber dann exakt in diesem Bereich wieder Wohnbebauung errichtet wurde. Mithin entstand so im Ergebnis mehr Bebauung in unmittelbarer Nähe des Flughafens und in Gebieten, die zur Verringerung der Lärmauswirkungen des Flughafenbetriebs eigentlich nicht bebaut werden sollten.31 Weiterhin moniert die Kommission in verfahrensrechtlicher Sicht, dass es nur selten zu einer weiteren Überprüfung von eingeführten Betriebsbeschränkungen komme. Diese dauerhafte Anwendung einer Minderungsmaßnahme ___________ 29
SEK(2011) 1456 endg., S. 2. So Hobe/Stoffels, in: Rechtsgutachten über Rechtliche Fragestellungen zur Umsetzung eines „Nachtflugverbots“ vorgelegt für das Regionale Dialogforum am Flughafen Frankfurt im August 2002, S. 201 f. 31 Vgl. Europäische Kommission, MEMO/11/857, S. 7. 30
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stehe der Einführung neuer und innovativer Minderungsmaßnahmen (neue Betriebsverfahren, technische Lösungen oder verbesserte Flugzeugtechnik) entgegen32. Der Änderungsbedarf an der Richtlinie 2002/30/EG hat sich auch durch die Veränderungen in technischer Hinsicht ergeben. Zwar wurden mit der Richtlinie erstmals verbindliche Regelungen zum Abzug für die damals lautesten Flugzeugtypen erlassen. Allerdings hat sich der Stand der Technik in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt und die Nutzung leiseren Fluggeräts ermöglicht. Hinzu kommt, dass sich der Flugzeugmix in den jeweiligen Flotten durch Neuanschaffungen und Außerdienststellungen ständig ändert. Daher entfalten die momentanen Grenzwerte nur noch eine geringe Wirkung und der anzupassende Regelungsrahmen muss den neuen Gegebenheiten Rechnung tragen. Dies gilt insbesondere für knapp die Vorschriften erfüllende Luftfahrzeuge. Denn trotz weiterhin bestehendem Bedarf zur Lärmminderung an Flughäfen werden immer seltener Flugzeuge eingesetzt, die die in Kapitel 3 festgelegten Höchstwerte um lediglich eine kumulative Marge von höchstens 5 EPNdB unterschreiten33.
III. Die Verordnung über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen 1. Entstehung und Stand des Gesetzgebungsverfahrens Vor Erlass des Verordnungsentwurfs führte die Kommission umfangreiche Anhörungen und Konsultationen interessierter Kreise durch34. Seit dem Jahr 2007 wurde die Anwendung der Richtlinie 2002/30/EG evaluiert, Änderungsvorschläge entwickelt und diese diskutiert. Dazu äußerten sich alle wichtigen Interessengruppen aus dem Spannungsfeld zwischen Fluglärm und Luftverkehr: Neben den betroffenen Anwohnern und Gemeinden auch Flughäfen, Fluggesellschaften, Luftfahrzeughersteller, Behörden und unabhängige Lärmgremien. Am 1.12.2011 veröffentlichte die Kommission dann ihren Verordnungsentwurf, eingebettet in das bereits oben angesprochene „Better Airport Package“. Parallel dazu gab die Kommission begleitende Arbeitsdokumente der Kommissionsdienststellen heraus35. ___________ 32
Vgl. Europäische Kommission, MEMO/11/857, S. 7. SEK(2011) 1456 endg., S. 2. 34 Vgl. dazu KOM(2011) 828 endg., Ziff. 15 ff., S. 4 ff. und vertiefend SEK(2011) 1455 endg. 35 Arbeitsdokumente der Kommissionsdienststellen, Folgenabschätzung SEK(2011) 1455 und Zusammenfassung der Folgenabschätzung, SEK(2011) 1456. 33
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Die Kommission stützt ihren Verordnungsentwurf auf Art. 100 Abs. 2 AEUV als Rechtsgrundlage. Danach können im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren im Sinne von Art. 294 AEUV durch das Europäische Parlament und den Rat mit Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen geeignete Vorschriften für die Luftfahrt erlassen werden. a) Ziele des Verordnungsvorschlags Als Gegenstand wird nach Art. 1 (1) des Verordnungsentwurfs die Festlegung von Regeln für die kohärente Einführung und einheitliche Anwendung lärmbedingter Betriebsbeschränkungen auf einzelnen Flughäfen genannt, um im Einklang mit dem ausgewogenen Ansatz zu einer geringeren Lärmbelastung beizutragen und die Zahl der von den nachteiligen Auswirkungen des Fluglärms betroffenen Menschen zu begrenzen oder zu reduzieren. Die Ziele des Entwurfs fasst die Kommission dann in Art. 1 (2) des Verordnungsvorschlags wie folgt zusammen36: der Verordnungsentwurf soll die Erreichung bestimmter Lärmminderungsziele auf einzelnen Flughäfen, die in unionsrechtlichen, nationalen und lokalen Vorschriften festgelegt sind, erleichtern und die Beurteilung ihrer Interdependenz mit anderen Umweltzielen fördern. Insbesondere soll es den zuständigen Behörden leichter möglich sein, die lautesten Luftfahrzeuge des Flottenbestands außer Dienst zu stellen. Durch die Anpassung an auf internationaler Ebene ausgehandelte Vereinbarungen im Rahmen der ICAO erhofft sich die Kommission weiterhin, dass Risiko internationaler Rechtsstreitigkeiten für den Fall, dass Luftfahrtunternehmen aus Drittländern von Lärmminderungsmaßnahmen auf Flughäfen der EU betroffen sind, deutlich zu reduzieren37. Des Weiteren soll die Auswahl der kosteneffizientesten Lärmminderungsmaßnahmen im Einklang mit dem ausgewogenen Ansatz ermöglicht werden, um eine langfristig tragbare Entwicklung der Kapazität des Flughafen- und des Flugverkehrsmanagementnetzes unter Betrachtung des gesamten Flugwegs („Gate to Gate“) zu erreichen. Somit sollen die harmonisierten Regelungen auch zum Abbau von Wettbewerbsverzerrungen zwischen Flughäfen beitragen, die trotz ähnlicher Lärmbelastung unterschiedlicher Rechtsanwendung in ihren jeweiligen Mitgliedstaaten unterfallen. Dies soll insbesondere durch einen robusten Lärmbewertungsprozess und die Auswahl der kosteneffizientesten Minderungsmaßnahmen gewährleistet werden. ___________ 36 37
Vgl. Art. 1 des Verordnungsvorschlags. Vgl. dazu Erwägungspunkt 4 des Verordnungsvorschlags.
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b) Verfahrensgang auf europäischer Ebene Die nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren im Sinne des Art. 294 AEUV notwendigen Anhörungen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen fand im Laufe des Jahres 2012 statt. aa) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen Am 28. März 2012 nahm der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss eine Stellungnahme zum „Flughafenpaket“ ohne Aussprache an38. Dabei begrüßt der Ausschuss ganz allgemein die Analyse der Europäischen Kommission in Bezug auf den Verbesserungsbedarf bei Kapazität und Qualität auf den Flughäfen39. Der Ausschuss der Regionen verabschiedete am 19.7.2012 seine Stellungnahme40. Darin begrüßt der Ausschuss das Ziel nach einer effizienteren Nutzung der bestehenden Infrastruktur ausdrücklich, legt dabei allerdings weitere Schwerpunkte auf den Infrastrukturausbau und die intermodale Verknüpfung, die Kapazitätsnutzung von Regionalflughäfen, die Schaffung eines Einheitlichen Europäischen Luftraums und die Sicherstellung von wettbewerbsfähigen (Nacht-)Betriebszeiten41. Der Ausschuss verspricht sich durch die neue Regelungstechnik in Form einer Verordnung eine erhöhte Wirksamkeit der Lärmschutzmaßnahmen und somit eine Vermeidung von Wettbewerbsbeschränkungen42. Allerdings übt der Ausschuss auch deutlich Kritik am Kommissionsvorschlag. Bezüglich der „knapp die Vorschriften erfüllende Luftfahrzeuge“ unterstützt der Ausschuss der Regionen das Anliegen der Kommission, dem technischen Stand angepasste, neue Grenzwerte einzuführen. Er schlägt allerdings die Möglichkeit eines Übergangszeitraumes vor, um eine besonders laute Flotte durch Anschaffung von neuem Fluggerät zu modernisieren. Kritisch wird gesehen, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Lärmbewertung und zur Kosten-Wirksamkeitsanalyse nicht mit den Vorgaben der Umgebungslärmrichtlinie abgestimmt sind. Weil die Lärmbewertungsmethode des Anhangs I des Verordnungsentwurfs auf den Bericht der Europäischen Zivilluftfahrtkonferenz (European Ci___________ 38 39 40 41 42
ABl. EU C 181 vom 21.6.2012, S. 173 ff. Vgl. Ziff. 1.15, ABl. EU C 181 vom 21.6.2012, S. 174. ABl. C 277 vom 13.9.2012, S. 110 ff. ABl. C 277 vom 13.9.2012, S. 110. ABl. C 277 vom 13.9.2012, Rn. 16, S. 112.
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vil Aviation Conference – ECAC) (Dok. 29 „Standardberechnungsmethode für Lärmkonturen um zivile Flughäfen“) zurückgeht und nicht auf die Bewertungsmethode nach der Umgebungslärmrichtlinie, drohe ein erhöhter und kostenintensiverer Verwaltungsaufwand zu entstehen. Kritisch steht der Ausschuss auch der geplanten umfassenden Kontrollbefugnis der Kommission gegenüber, da dies dem Subsidiaritätsprinzip widerspreche und somit eine unzulässige Ausweitung der Kompetenzen der Kommission darstelle43. Gleiches gilt für die Möglichkeit, dass wesentliche Inhalte der Verordnung nach Übertragung der Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte durch die Kommission geändert werden könnten. bb) Allgemeine Ausrichtung des Rates Der Rat erörterte auf der 3171. Tagung des Rates Verkehr, Telekommunikation und Energie am 7.6.2012 den Verordnungsvorschlag der Kommission. Dabei verständigten sich die Mitgliedstaaten auf eine allgemeine Ausrichtung, wobei Deutschland, Malta, die Niederlande und das Vereinigte Königreich einen Parlamentsvorbehalt eingelegt haben; die Kommission hat einen allgemeinen Vorbehalt gegen den Text der allgemeinen Ausrichtung44. Der Rat hält dabei zunächst grundlegend fest, dass zum einen Betriebsbeschränkungen nach dem Konzept des „balanced approach“ lediglich als letzter Ausweg gelten und zum anderen durch den Kommissionsentwurf keine konkreten Lärmgrenzwerte festgelegt werden sollen; vielmehr sollen dafür wie bisher nationale und lokale Behörden zuständig sein. Betont werden aber auch zahlreiche Kritikpunkte am Verordnungsvorschlag der Kommission: Dies betrifft schon die Gestaltung des Rechtssetzungsakts in Form einer Verordnung. Bedenken wurden zudem gegen die umfassende Kontrollbefugnis der Kommission45 und die beabsichtigten Regelungen zu „knapp die Vorschriften erfüllende Luftfahrzeuge“ geäußert. Wie der Ausschuss der Regionen plädieren auch die Mitgliedstaaten für eine Übergangszeit, in der auch Luftfahrzeuge betrieben werden dürfen, die den Grenzwert des Kapitel-3 lediglich um 8 EPNdB unterschreiten. In Bezug auf die Regelungen über die zuständigen Behörden in Art. 3 des Verordnungsentwurfs soll klargestellt werden, dass kein Zwang auf die Mitgliedstaaten ausgeübt wird und diese nicht verpflichtet sind, ihre Verwaltungsstrukturen und Entscheidungsabläufe zu än___________ 43
ABl. C 277 vom 13.9.2012, Rn. 23. Vgl. Pressemitteilung des Rates der Europäischen Union, Dok. Nr. 10479/12 und allgemeine Ausrichtung (Dok. Nr. 10897/12). 45 Vgl. Pressemitteilung des Rates der Europäischen Union, Dok. Nr. 10479/12, S. 15. 44
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dern46. In Bezug auf das Inkrafttreten der Verordnung gehen die Mitgliedstaaten von einer deutlich längeren 24-Monats-Frist nach der Veröffentlichung der Verordnung im Amtsblatt der Europäischen Union aus, während die Kommission ein baldiges Inkrafttreten bereits 20 Tage nach Veröffentlichung anstrebt. cc) Abstimmung im Europäischen Parlament Nach einer Debatte am 11.12.2012 hat das Europäische Parlament am 12.12.2012 mit 501 Stimmen bei 155 Gegenstimmen und 8 Enthaltungen eine legislative Entschließung zum Verordnungsentwurf der Kommission verabschiedet47. Grundlage der Abstimmung war der Bericht des Ausschusses „Verkehr und Fremdenverkehr“ (beratend beteiligt war der Ausschuss „Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit“) vom 21.11.201248. Das Europäische Parlament hat in seinem verabschiedeten Text gegenüber dem Vorschlag der Europäischen Kommission zahlreiche weitreichende Änderungen vorgenommen, die letztlich insbesondere zu einer Abschwächung der Befugnisse der Kommission führen. Insgesamt hat das Parlament mit 43 Abänderungen eine bemerkenswert hohe Anzahl von Korrekturen des Kommissionsvorschlages vorgenommen. Daraus wird deutlich, wie kontrovers die Debatte über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen gesehen wird. Neben zahlreichen kleineren Abänderungen wurden vom Parlament über alle Parteigrenzen hinweg insbesondere die Vorschläge der Kommission zu den Kontrollbefugnissen, der delegierten Gesetzgebung und zur Begriffsbestimmung der knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeuge abgeändert. Das Parlament war insoweit nicht bereit, die von der Kommission beanspruchten Befugnisse umfassend zu gewähren. dd) Weiterer Gang des Normsetzungsverfahrens Nachdem das Europäische Parlament dem Verordnungsvorschlag der Kommission mit dem Standpunkt vom 12.12.2012 mit Änderungswünschen zugestimmt hat, liegt der nächste Verfahrensschritt jetzt beim Rat. Dieser kann den Standpunkt des Parlaments billigen und das Verfahren mit dem Erlass des Rechtsaktes beenden. Der Rat kann jedoch bei Änderungswünschen auch einen eigenen Standpunkt erarbeiten. In diesem Fall unterrichtet der Rat das Parla___________ 46
Vgl. allgemeine Ausrichtung (Dok. Nr. 10897/12), Fußnote 11. Neben der Verordnung über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen wurde vom Flughafenpaket auch die Verordnung über Zeitnischen angenommen. Demgegenüber hat der umstrittene Verordnungsentwurf über Bodenabfertigungsdienste zunächst keine Mehrheit im Europäischen Parlament gefunden. 48 A7-0372/2012. 47
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ment in allen Einzelheiten über seine Gründe. In einer zweiten Lesung müsste sich das Parlament dann erneut mit dem Gesetzesvorschlag beschäftigen. In der Verfahrensstufe der ersten Lesung unterliegen die Beratungen von Rat und Parlament noch keinerlei Fristen49. Wann mit einer Verabschiedung der Verordnung letztlich gerechnet werden kann, ist mithin zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar50. 2. Wesentliche Regelungsinhalte der neuen Verordnung Der Verordnungsvorschlag der Kommission über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen in der Fassung der Abänderungen durch das Parlament besteht aus 16 Erwägungsgründen, 16 Artikeln und 2 Anhängen. Im Gegensatz zur aufzuhebenden Richtlinie 2002/30/EG ist in den Titel der Rechtsnorm der Zusatz „im Rahmen des ausgewogenen Ansatzes“ eingefügt worden. Dies unterstreicht bereits die herausgehobene Stellung, die der „balanced approach“ haben soll. Zwar sollte schon durch die Richtlinie dieser international vereinbarte Entscheidungsprozess in Europa eingeführt werden51, künftig soll aber dem ausgewogenen Ansatz noch „stärker Rechnung getragen werden“52. Die wesentlichen Regelungen, die die neue Verordnung mit sich bringen wird, sollen im Folgenden kurz dargestellt werden. Ausgangspunkt der Betrachtung soll dabei der Kommissionsvorschlag sein, die Änderungen des Par___________ 49 Erst im weiteren Verfahrensablauf der Normsetzung bestehen Fristenregelungen. So muss das Parlament nach Eingang des Standpunktes des Rates innerhalb von 3 Monaten eine zweite Lesung durchführen und den Standpunkt billigen, ablehnen oder erneut Abänderungen vorschlagen. Äußert es sich nicht, gilt der Rechtsakt als erlassen. Abänderungsvorschläge werden an die Kommission und den Rat weitergeleitet, woraufhin der Rat eine zweite Lesung durchführt. Billigt dieser die Änderungen nicht oder trifft innerhalb drei Monaten keine Entscheidung, so ist der Vermittlungsausschuss innerhalb von 6 Wochen nach Ablauf der dem Rat zur Verfügung stehenden 3-Monatsfrist anzurufen. Dieser hat sodann seinerseits Gelegenheit, binnen 6 Wochen einen gemeinsamen Entwurf zu verfassen. Gelingt dies innerhalb dieser 6 Wochen nicht oder lehnen Rat bzw. Parlament den Entwurf ab bzw. entscheiden ihrerseits wiederum nicht binnen 6 Wochen, so ist der Rechtsakt gescheitert. Auf Antrag des Parlaments bzw. Rats sind die Fristen um maximal einen Monat bzw. zwei Wochen zu verlängern, vgl. Art 295 AEUV. 50 Zum Zeitpunkt des Vortrages bzw. des Redaktionsschlusses für diesen Beitrag lagen hierzu keine näheren Erkenntnisse vor, war ursprünglich eine Lösung des Flughafenpaketes durch die irische Ratspräsidentschaft beabsichtigt. 51 Vgl. Art. 4 (1) der Richtlinie 2002/30/EG, nach dem die Mitgliedstaaten einen ausgewogenen Ansatz bei der Lösung von Lärmproblemen auf Flughäfen ihres Gebiets beschließen. 52 MEMO/11/857, S. 7.
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laments werden aber ebenso berücksichtigt, so dass sich die Bezugnahme auf die Artikel auf den Stand der legislativen Entschließung des Parlaments vom 12.12.2012 bezieht: a) Gegenstand, Ziele und Anwendungsbereich, Art. 1 der Verordnung Gegenstand der Verordnung sind die Regeln für die kohärente Einführung lärmbedingter Betriebsbeschränkungen, wobei das Parlament in Ergänzung zum Kommissionsvorschlag die Feststellung eines Lärmproblems ergänzt hat. Dies betont, dass die Verordnung nicht lediglich für die kohärente Einführung von lärmbedingten Betriebsbeschränkungen gilt, sondern insbesondere bei der Feststellung eines Lärmproblems gilt, Art. 1 (1). Daraus folgt aber nicht, dass es einer solchen konkreten Feststellung für die Eröffnung des Anwendungsbereiches als Mindestvoraussetzung bedarf. Als Ziel wird in Art. 1 (2) jetzt hervorgehoben, dass die Interpendenz von Lärmminderungszielen mit anderen Umweltzielen beurteilt werden soll, worunter ausdrücklich auch gesundheitliche Aspekte fallen. Im Gegensatz zur Kommission stellt das Parlament deshalb in Art. 1 (2) (b) auch nicht mehr allein auf die kosteneffizientesten Maßnahmen ab, sondern will hierbei auch gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Aspekte berücksichtigen. Dies stellt eine deutliche Verschiebung zu Gunsten des Gesundheitsschutzes dar, der auch für die Auslegung in der Praxis von Bedeutung und zu beachten sein wird. Der Anwendungsbereich des Verordnungsentwurfs deckt sich mit der bereits geltenden Regelung der abzulösenden Richtlinie sowohl in Bezug auf die einbezogenen Flugzeuge als auch auf die betroffenen Flughäfen, die in Art. 2 legaldefiniert werden. Die Verordnung gilt für Flüge im Bereich der Zivilluftfahrt, ausdrücklich nicht dagegen für solche die militär-, zoll-, polizeidienstlichen oder ähnlichen Zwecken dienen. b) Begriffsbestimmungen nach Art. 2 der Verordnung In Art. 2 der Verordnung werden die wichtigen Begriffe Flughafen, ausgewogener Ansatz, Luftfahrzeug, knapp die Vorschriften erfüllendes Luftfahrzeug Lärmminderungsmaßnahme und Betriebsbeschränkung legaldefiniert. Die Begriffsbestimmungen Flughafen und Luftfahrzeug sind über Art. 1 (3) letztlich auch für den Anwendungsbereich der Verordnung entscheidend. Gemäß Art. 2 (1) sind damit vom Geltungsbereich umfasst nach wie vor nur größere Flughäfen mit mehr als 50.000 Flugbewegungen ziviler Luftfahrzeuge. Dabei geht die Kommission davon aus, dass momentan ca. 70 Flughäfen in den
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Mitgliedstaaten betroffen sind53. Nach Art. 2 (3) ist Luftfahrzeuge ein Starrflügel-Luftfahrzeug mit einer höchstzulässigen Startmasse von 34 000 kg oder mehr oder mit einer für das betreffende Luftfahrzeugmuster zugelassenen maximalen Sitzzahl von 19 Fluggastsitzen, nicht gerechnet die ausschließlich für Besatzungsmitglieder vorgesehenen Sitze. Die Bestimmung des ausgewogenen Ansatzes in Art. 2 (2) verweist dabei in der neuen Verordnung ausdrücklich auf das von der ICAO im Band I Teil V des Anhangs 16 zum Abkommen von Chicago festgelegte Verfahren, bezieht aber ebenso die kosteneffiziente Lärmminderung ein, wobei gesundheitliche und wirtschaftliche Aspekte Berücksichtigung finden müssen. Die Berücksichtigung der gesundheitlichen Aspekte trägt auch den in Art. 1 bereits genannten Zielen Rechnung und wurde durch die Abänderung des Parlaments aufgenommen. Besondere Bedeutung bekommt die Begriffsbestimmung des knapp die Vorschriften erfüllendes Luftfahrzeugs, Art. 2 (4). Durch die Neufassung der Definition werden gegenüber der derzeitigen Richtlinie strengere Grenzwerte festgelegt. Ein „knapp die Vorschriften erfüllendes Luftfahrzeug“ ist nunmehr ein solches, das die ICAO-Grenzwerte aus Chapter-3 während eines Übergangszeitraums von 4 Jahren um weniger als 8 EPNdB und nach diesem Übergangszeitraum um weniger als 10 EPNdB unterschreitet. Nach der bisher geltenden Richtlinie (Art. 2 lit. d)) war hier noch eine Unterschreitung um höchstens 5 EPNdB vorgesehen. Die neuen Grenzwerte sollen dem Fortschritt der Technik und der Flottenmodernisierung Rechnung tragen sowie den Einsatz lärmärmerer Flugzeugmuster fördern. Allerdings konnte sich im Parlament gegenüber dem Kommissionsentwurf auch die Einrichtung eines Übergangszeitraumes von 4 Jahren durchsetzen, der unmittelbare Folgen insoweit für die Betroffenen abmildert und die Nutzungsdauer von Luftfahrzeugen stärker berücksichtigt. Neu ist die Legaldefinition der Lärmminderungsmaßnahme in Art. 2 (5). Umfasst sind sich auf die Lärmsituation auswirkende Maßnahmen für die der ausgewogene Ansatz der ICAO gilt, ausdrücklich aber auch andere, nicht betriebsbezogene Maßnahmen, die die Zahl der fluglärmbetroffenen Menschen beeinflussen. Hierdurch wird dem Begriff der Lärmminderungsmaßnahme große Flexibilität zuteil, wodurch auch den besonderen Gegebenheiten an den jeweiligen Flughäfen Rechnung getragen werden kann. Die Begriffsbestimmung der Betriebsbeschränkung wird an die Definition der ICAO angepasst und beinhaltet solche Maßnahmen, die den Zugang zu einem Flughafen oder die optimale Nutzung seiner Kapazität einschränkt. Sie umfasst auch partielle Betriebsbeschränkungen, die beispielsweise für be___________ 53
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stimmte Zeiten am Tag oder nur für bestimmte Start- und Landebahnen am Flughafen gelten. Auch dadurch soll im Einklang mit dem ausgewogenen Ansatz spezifischen Eigenschaften des betreffenden Flughafens Rechnung getragen werden. c) Zuständige Behörden und Rechtsbehelf, Art. 3 der Verordnung Gegenüber der Richtlinie 2002/30/EG wird die Regelung der zuständigen Behörde deutlich konkretisiert. Die Mitgliedstaaten müssen eine zuständige Behörde für die Einhaltung des Verfahrens zum Erlass von zuständigen Behörden benennen. Die Betonung liegt nach der Abänderung des Parlaments auf die Zuständigkeit für die Einhaltung des Verfahrens, nicht wie von der Kommission ursprünglich vorgesehen zwingend für den Erlass von Betriebsbeschränkungen selbst. Dies eröffnet den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielraum bei der konkreten Umsetzung. Um den Föderalstaaten Rechnung zu tragen, können auch mehrere Behörden bestimmt werden. Neu ist das Erfordernis einer unabhängigen Beschwerdestelle, die aber auf Grund der Abänderung des Parlaments ausdrücklich nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten eingerichtet werden kann. Die Zuständigen Behörden und Beschwerdestellen müssen der Kommission notifiziert werden und unabhängig von Organisationen sein, die von Lärmminderungsmaßnahmen betroffen sein können. Letzteres kann insbesondere bei Landesbehörden problematisch werden, wenn das Land auch Eigentümer bzw. Gesellschafter von betroffenen Flughäfen ist. Hier sind besondere Maßnahmen zur Sicherung der Unabhängigkeit zu treffen. Neu ist ebenfalls die vom Parlament eingeführte Pflicht zur Gewährleistung eines Rechtsbehelfs, Art. 3 (4). Auch hier bleibt die Ausgestaltung des Rechtsbehelfs aber den nationalen Rechtsvorschriften und Verfahren vorbehalten, so dass jeder Mitgliedstaat hier – soweit vorhanden – auf bestehende Strukturen zurückgreifen kann. Zusätzliche Kontrollstrukturen müssen daher nicht geschaffen werden, was den bürokratischen Aufwand erheblich begrenzen dürfte. d) Festlegung allgemeiner Lärmschutzregeln, Art. 4 der Verordnung Zentrales Anliegen der Kommission zum Zeitpunkt der Vorstellung des Verordnungsentwurfs war es, mehr Transparenz bei der Einführung von lärmbedingten Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen zu schaffen54. So wird in Art. 4 (1) des Verordnungsentwurfs detailliert beschrieben, auf welche Weise die Mitgliedstaaten den ausgewogenen Ansatz zur Bekämpfung von Fluglärm ___________ 54
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flughafenspezifisch umsetzen. Hierzu muss künftig im Einklang mit der Richtlinie 2002/49/EG55 die Lärmsituation einzelner Flughäfen einschließlich der schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit bewertet werden. Im Fall der Feststellung eines Lärmproblems gibt Art. 4 (1) weitere Verfahrensschritte wie u.a. Festlegung eines Lärmminderungsziels, Möglichkeiten zur Minderung der Lärmauswirkung, Bewertung der Kosteneffizienz, Konsultation von Interessengruppen, Maßnahmendurchführung und Streitbeilegungsverfahren vor. Insgesamt werden hierdurch die Vorgaben klarer gefasst als noch in Richtlinie 2002/30/EG. In Art. 4 (2) werden die vier Elemente des ICAO-Konzepts des ausgewogenen Ansatzes als mögliche Maßnahmen bei der Ergreifung von Lärmminderungsmaßnahmen aufgezählt, um aus ihnen die kosteneffizienteste Kombination auszuwählen. Dabei ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass der Verordnungstext das auf ICAO-Ebene vereinbarte Verhältnis der einzelnen Elemente des ausgewogenen Ansatzes übernimmt. Danach wird festgeschrieben, dass Betriebsbeschränkungen nicht als erstes Mittel ausgewählt werden dürfen, sondern alle vier Elemente zur Minderung der Lärmbelastung an einem Flughafen in Erwägung gezogen werden müssen. Neu ist eine vom Parlament eingefügte Möglichkeit der Mitgliedstaaten, wirtschaftliche Anreize zum Einsatz weniger lärmintensiver Luftfahrzeuge während der Übergangszeit nach Art. 2 (4) zu bieten. Offen bleiben hier aber Fragen der Ausgestaltung und der Beachtung anderer Rechtsvorschriften, wie insbesondere auch solche des Beihilfenrechts. Nach Art. 4 (3) des Verordnungsentwurfs haben die Mitgliedstaaten im Rahmen des ausgewogenen Ansatzes die Möglichkeit, Lärmminderungsmaßnahmen je nach Lärmwert des Luftfahrzeugs, Start- und Landebahnnutzung, Flugroute und/oder Zeitraum zu differenzieren. In Bezug auf „knapp die Vorschriften erfüllende Luftfahrzeuge“ bedeutet dies, dass mögliche Maßnahmen nach dem ausgewogenen Ansatz auch den Abzug dieser Flugzeuge beinhalten können, falls dies erforderlich ist (vgl. Art. 4 (2) 2. UA). Zur Klarstellung hält Art. 4 (4) ergänzend fest, dass Betriebsbeschränkungen, durch die knapp die Vorschriften erfüllende Luftfahrzeuge vom Flughafen abgezogen werden, nicht für Flugzeuge gelten, die laut ihrer ursprünglichen Bescheinigung oder ihrer Neubescheinigung den Lärmstandards des Bands I Teil II Kapitel 4 des Anhangs 16 zum Abkommen von Chicago entsprechen. Art. 4 (5) schreibt für den Erlass von Maßnahmen die Grundsätze Geeignetheit, Diskriminierungsfreiheit und das Willkürverbot vor. Die getroffenen ___________ 55 Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm, ABl. EU Nr. L 189 vom 18.7.2002, S. 12.
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Maßnahmen tragen nach Art. 4 (6) zur Erstellung der nationalen FluglärmAktionspläne gem. Art. 8 der Richtlinie 2002/49/EG bei. e) Regeln für die Lärmbewertung, Art. 5 der Verordnung Grundlage für eine sachgerechte und unionsweit einheitliche Anwendung des „balanced approach“ ist ein schlüssiger Lärmbewertungsprozess. Dieser soll durch die Vorgaben der Verordnung gewährleistet und präzisiert werden, ohne dabei jedoch eigene Lärmgrenzwerte aufzustellen. Während diese Zielwerte weiterhin durch nationale oder lokale Behörden festgelegt werden, soll die Verordnung einheitliche anzuwendende Kriterien zur kosteneffizienten Zielerreichung aufzeigen56. Hierzu schreibt Art. 5 (1) vor, dass die zuständigen Behörden für eine regelmäßige Bewertung der Lärmsituation sorgen. Diese Bewertungen müssen den Anforderungen der Umgebungslärm-Richtlinie 2002/49/EG sowie nationaler oder lokaler Vorschriften entsprechen. Dabei ist es den Behörden möglich, die Unterstützung des Leistungsüberprüfungsgremiums gemäß Art. 3 der Verordnung (EU) Nr. 691/2010 der Kommission57 in Anspruch nehmen. Art. 5 (2) verweist für die Bewertung der aktuellen und der künftigen Lärmsituation auf die Methode, die Indizes und die Informationen in Anhang I der Verordnung. Somit richtet sich die Bewertung der Lärmsituation nach der Methodik, die gemäß dem ECAC-Bericht Doc. 29 „Standardberechnungsmethode für Lärmkonturen um zivile Flughäfen“, dritte Ausgabe, entwickelt wurde. Kommt die Lärmbewertung zu dem Ergebnis, dass zur Erreichung oder Einhaltung der Lärmminderungsziele neue Maßnahmen erforderlich sein könnten, folgen aus Art. 5 (3) weitere Vorgaben im Hinblick auf Berücksichtigung des ausgewogenen Ansatzes; eine technische Zusammenarbeit zwischen Flughafenbetreibern, Luftfahrzeugbetreibern und Flugsicherungsorganisationen; die Bewertung der Kostenwirksamkeit jeder neuen Betriebsbeschränkung (nach in Anhang II dargelegten Kriterien); weitreichende Konsultationspflichten interessierter Kreise (inkl. beeinträchtigter Anwohner und Unternehmen). Zudem werden die zuständigen Behörden nach Art. 5 (4) verpflichtet, die Durchführung der Lärmminderungsmaßnahmen zu verfolgen, zu überwachen ___________ 56 Art. 5 hat durch das Parlament ggü. dem Kommissionsentwurf zahlreiche Abänderungen erfahren. 57 Verordnung (EU) Nr. 691/2010 der Kommission vom 29. Juli 2010 zur Festlegung eines Leistungssystems für Flugsicherungsdienste und Netzfunktionen und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2096/2005 zur Festlegung gemeinsamer Anforderungen bezüglich der Erbringung von Flugsicherungsdiensten, ABl. EU Nr. L 201 vom 3.8.2012, S. 1 ff.
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und gegebenenfalls tätig zu werden. Sie sorgen außerdem dafür, dass die einschlägigen Informationen den Flughafenanwohnern und anderen Interessengruppen online zur Verfügung gestellt werden. Art. 5 (6) verlangt vom Betreiber der Flughafeneinrichtungen computergesteuerte Systeme für die Lärmmessung an verschiedenen Orten und eine Veröffentlichung der Daten im Internet. f) Informationspflichten über Lärmwerte, Art. 6 der Verordnung Art. 6 (1) des Verordnungsentwurfs hält fest, dass Grundlage von Entscheidungen über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen der Lärmwert des Luftfahrzeugs, der durch das gemäß Band I des Anhangs 16 zum Abkommen von Chicago, fünfte Ausgabe (Juli 2008), durchgeführte Bescheinigungsverfahren ermittelt wurde, ist. Dazu übermitteln die Luftfahrzeugbetreiber auf Verlangen der Kommission in Bezug auf ihre Luftfahrzeuge, die Flughäfen in der Union anfliegen, die in Art. 6 (2) dargelegten lärmbezogenen Angaben. Nach Art. 6 (4) werden die Daten in einer zentralen Datenbank gespeichert und den zuständigen Behörden, Luftfahrzeugbetreibern, Flugsicherungsorganisationen und Flughafenbetreibern zu Betriebszwecken zur Verfügung gestellt. g) Regeln für die Einführung von Betriebsbeschränkungen, Art. 7 der Verordnung Die konkret einzuhaltenden Regeln für die Einführung von Betriebsbeschränkungen werden in Art. 7 des Verordnungsentwurfs festgelegt. Art. 7 stellt somit ein wesentliches Element der neuen Verordnung dar und sorgt für Transparenz und Rechtssicherheit. Hiernach müssen Betriebsbeschränkungen nach Art. 7 (1) von den zuständigen Behörden drei Monate im Voraus (der Kommissionsentwurf sah hier noch sechs Monate vor) den Mitgliedstaaten, der Kommission und den interessierten Parteien zur Kenntnis gebracht werden, wobei diese Frist mindestens zwei Monate vor der Festlegung der Zeitnischen-Koordinierungsparameter für den betreffenden Flughafen und die jeweilige Flugplanperiode gemäß Art. 2 lit. m der Verordnung (EWG) Nr. 95/9358 endet. Zur Steigerung der Transparenz im Verfahren zur Einführung von Betriebsbeschränkungen ordnet Art. 7 (2) an, dass nach der Bewertung gemäß Art. 5 der Bekanntmachung der Entscheidung ein schriftlicher Bericht beigefügt wird, ___________ 58 Verordnung (EWG) Nr. 95/93 des Rates vom 18. Januar 1993 über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft, ABl. EG Nr. L 14 vom 22.1.1993, S. 1 ff.
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in dem die Gründe der Betriebsbeschränkung, das für den Flughafen gesteckte Lärmminderungsziel, die zur Erreichung dieses Ziels erwogenen Maßnahmen sowie die voraussichtliche Kosteneffizienz und gegebenenfalls ihre grenzübergreifenden Auswirkungen beschrieben werden. In Art. 7 (3) des Verordnungsentwurfs werden besondere Regelungen für die Einführung von Betriebsbeschränkungen zum Abzug von lediglich „knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeugen“ aufgestellt. An einem betroffenen Flughafen werden sechs Monate nach Bekanntmachung keine neuen Dienste mit diesen Luftfahrzeugen mehr zugelassen. Die zuständigen Behörden legen weiterhin die jährliche Anzahl der knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeuge fest, die abgezogen werden sollen. Diese darf 25 % der Flugbewegungen nicht überschreiten. Beschwerden gegen Entscheidungen über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen werden nach nationalem Recht durchgeführt, Art. 7 (4). Dies stellt sicher, dass die Mitgliedstaaten hier auf bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten zurückgreifen können. h) Kontrollbefugnis der Kommission, Art. 10 der Verordnung Mit Art. 10 wollte die Kommission gegenüber der bisherigen Richtlinie erstmals eine Kontrollbefugnis einführen. Diese sollte es der Kommission ermöglichen, aus der ex-ante-Sicht neu einzuführende Lärmschutzmaßnahmen im Hinblick auf die Einhaltung der Verfahrensvorschriften und der Nachweisbarkeit der Kosteneffizienz zu überprüfen. Es sollte sichergestellt werden, dass lärmbedingte Betriebsbeschränkungen im Einklang mit dem „balanced approach“ hinreichend begründet, transparent und auf Fakten beruhend eingeführt werden und das Risiko internationaler Rechtsstreitigkeit minimiert wird. Allerdings stellt die in Art. 10 vorgesehene Kontrollbefugnis der Kommission eine der strittigsten Regelungen des Verordnungsentwurfes der Kommission dar. Die Kommission hatte hier ursprünglich ein Recht zur Überprüfung von Entscheidungen über Betriebsbeschränkungen vor deren Anwendung vorgesehen. Hiermit verbunden war das Recht, die Entscheidung auszusetzen, wenn diese den Anforderungen der Verordnung nicht entspricht bzw. anderweitig dem Unionsrecht widerspricht. Letztlich oblag damit die Einführung einer Betriebsbeschränkung faktisch der Letztentscheidungsbefugnis der Europäischen Kommission. Ein solches Prüfungs- und Kontrollrecht hätte der Kommission eine direkte Einflussnahme und Durchsetzung von Änderungen für geplante Betriebsbeschränkungen an Flughäfen innerhalb der Mitgliedstaaten ermöglicht. Ein derart weiter Handlungsspielraum der Kommission wurde von vielen Mitgliedstaaten sehr kritisch gesehen, u.a. weil eine solche Regelung gegen das gemeinschaftsrechtliche Subsidiaritätsprinzip aus Art. 5 (3) EUV verstoßen
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würde. Begründet wurde dies auch mit der möglichen Gefahr, dass in oft langwierigen Mediationsverfahren auf regionaler Ebene erzielte Vereinbarungen durch eine Aussetzungsbefugnis der Kommission unterlaufen werden könnten. Die Kommission war demgegenüber der Auffassung, dass die Ziele der geplanten Regelung auf mitgliedstaatlicher Ebene nicht hinreichend verwirklicht werden können und Unionsmaßnahmen vielversprechender seien. Durch eine europaweite Anwendung der gleichen Regelungen sei ein höheres Maß an Rechtssicherheit ohne Wettbewerbsverzerrungen für die Marktteilnehmer zu erwarten. Die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen könne insbesondere durch die harmonisierte Anwendung einer einheitlichen Bewertungsmethode erreicht werden. Somit werde weiterhin eine effiziente Nutzung der Kapazität sowohl am betrachteten Flughafen als auch im gesamten Streckennetz des weltweiten Luftverkehrs ermöglicht. Dem steht aber entgegen, dass durch den direkten Einfluss der Kommission auf geplante Betriebsbeschränkungen neben den nationalen Gerichten eine weitere Prüfungsinstanz mit Aufhebungsbefugnis geschaffen werden würde. Eine weitere Prüfungsinstanz würde zu einer unnötigen Verfahrensverzögerung führen, vor allem vor dem Hintergrund, dass Betriebsbeschränkungen anhand der örtlichen Gegebenheiten und der lokalen Auswirkungen von den Mitgliedsstaaten in oft langwierigen Diskussionsprozessen erlassen werden. Deshalb erscheint eine sachnähere Entscheidung durch nationale Behörden über die Erforderlichkeit von lärmbedingten Betriebsbeschränkungen sinnvoller und zielführender. Dieses enge Verständnis einer Kontrollbefugnis legt auch der angenommene Text des Europäischen Parlaments zu Grunde, der insoweit die vielfach am Kommissionsentwurf geäußerte Kritik berücksichtigt hat. Nach den Abänderungen des Parlaments verbleibt der Kommission nunmehr lediglich die Möglichkeit, das Verfahren zur Einführung einer lärmbedingten Betriebsbeschränkung zu überprüfen, Art. 10 (1). Eine materielle Kontrollbefugnis über die Entscheidung selbst wird der Kommission gerade nicht mehr zugestanden. Stellt die Kommission fest, dass das festgelegte Verfahren nach der Verordnung nicht eingehalten wurde, übermittelt sie dies den zuständigen Behörden. Dies kann den Standpunkt der Kommission berücksichtigen, ist hierzu aber gerade nicht verpflichtet. Insoweit wurde die von der Kommission beabsichtigte Kontrollbefugnis durch das Parlament maßgeblich eingeschränkt. Damit die Kommission ihre verblieben Kontrollbefugnis ausüben kann, sind die zuständigen Behörden zur Übermittlung der erforderlichen Angaben verpflichtet, Art. 10 (2). Für den Fall, dass die Kommission innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntmachung gem. Art. 7 (1) ihren Standpunkt nicht darlegt, kann die geplante Betriebsbeschränkung angewendet werden.
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i) Befugnis zum Erlass delegierender Rechtsakte, Art. 11 und 12 der Verordnung Nach Art. 11 (1) des Verordnungsentwurfes wird der Kommission die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte zu erlassen. Die Kommission begründet diese Notwendigkeit zur Aktualisierung bestimmter Regelungen der Verordnung mit dem Anpassungsbedarf bzgl. technischer Normen, die sich in Zukunft ändern werden, um mit der wissenschaftlichen Enzwicklung Schritt zu halten, sowie mit der selbstständigen Erneuerung des Luftfahrzeugbestands59. Der Verordnungsentwurf der Kommission sah hier in Art. 11 (a) zunächst vor, dass über delegierte Rechtsakte auch Regelungen über Definitionsänderungen für die Begriffe „Luftfahrzeug“ (Art. 2 (3)) und „knapp die Vorschriften erfüllendes Luftfahrzeug“ (Art. 2 (4)) ermöglicht werden sollten. Auch diese Kompetenzzuweisung stieß, ähnlich wie die der Kontrollbefugnisse nach Art. 10, auf erheblichen Widerstand. Durch die Möglichkeit der Änderung der wesentlichen Begriffsbestimmungen käme der Kommission die faktische Befugnis zu, den Bezugsrahmen und Anwendungsbereich der Verordnung substantiell zu verschieben. Nach Art. 290 Abs. 1 AEUV ist es in Gesetzgebungsakten grundsätzlich aber nur gestattet, der Kommission die Befugnis zu übertragen, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen. Zu Recht trägt der angenommene Text des Europäischen Parlaments dieser Kritik am Kommissionsvorschlag deshalb Rechnung, indem die in Art. 11 (a) vorgesehene Möglichkeit zur Änderung der Begriffsbestimmungen Luftfahrzeug und knapp die Vorschriften erfüllendes Luftfahrzeug ersatzlos gestrichen wurde. Der Kommission verbleibt mithin lediglich das Recht, Änderungen und Aktualisierungen der Lärmhöchstwerte gemäß Art. 4 und Art. 8 sowie des Bescheinigungsverfahrens gemäß Art. 6 (1) und Änderungen der Methodik und des technischen Berichts gemäß Anhang I festzulegen. Hierdurch wird interessengerecht sichergestellt, dass die Übertragung von Befugnissen auf die Kommission auf technische Anpassungen und Änderungen beschränkt bleibt. Politische Entscheidungen, die Bezugsrahmen und Anwendungsbereich der Verordnung betreffen, sind nach wie vor dem hierfür zuständigen Gesetzgeber vorbehalten. Die konkrete Ausübung der Befugnisübertragung wird in Art. 12 geregelt. Bezüglich der delegierten Rechtsakte ist das Parlament der Ansicht, dass diese Kompetenzverschiebung zugunsten der Kommission auch zeitlich zu befristen ist. Bereits eine solche Befugnis könne das notwendige Maß an Flexibilität zur ___________ 59
SEK(2011) 1456 endg., S. 5.
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Anpassung des Rechtsrahmens an den technischen Fortschritt sicherstellen. Entgegen dem Kommissionsvorschlag wird die Befugnisübertragung daher nicht auf unbestimmte Zeit, sondern nur für einen Zeitraum von fünf Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung angeordnet. Ein delegierter Rechtsakt tritt nur in Kraft, wenn weder das Europäische Parlament noch der Rat innerhalb einer Frist von zwei Monaten von ihrer Möglichkeit zur Erhebung von Einwänden Gebrauch machen. j) Information und Überarbeitung, Art. 14 Nach Art. 14 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, der Kommission auf Anforderung Informationen über die Durchführung dieser Verordnung zu übermitteln. Weiterhin ist spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten dieser Verordnung eine Berichterstattung der Kommission über die Durchführung der Verordnung gegenüber dem Europäischen Parlament und dem Rat notwendig. Sofern erforderlich werden hiermit auch Vorschläge für eine Überarbeitung der Verordnung verbunden. Es handelt sich insoweit um ein gängiges Instrument, um die Effektivität und die Erreichung der mit der Verordnung verbundenen Ziele zu kontrollieren. k) Übergangsbestimmungen, Art. 14a Der durch den angenommenen Text des Europäischen Parlaments neu eingefügte 14a stellt sicher, dass Betriebsbeschränkungen und Entscheidungen zum Betrieb von Flughäfen einschließlich Gerichtsentscheidungen und Ergebnisse von Mediationsverfahren nicht der Verordnung unterliegen, sofern sie vor deren Inkrafttreten umgesetzt oder geprüft wurden. Hier verbleibt es, sofern anwendbar, bei den Regelungen der ursprünglichen Richtlinie 2002/30/EG bzw. den nationalen Bestimmungen zu deren Umsetzung. Die Übergangsregelung stellt eine Art Bestandsschutzklausel dar und stellt sicher, dass bestehende Betriebsbeschränkungen nicht anhand der Verordnung neu zu bewerten sind. In bisherigen aufwendigen Verfahren erzielte Ergebnisse zu Lärmschutzmaßnahmen werden deshalb nicht gefährdet. Die Einführung der Übergangsbestimmung sorgt insoweit für Rechtssicherheit und -frieden im Hinblick auf in der bereits Praxis etablierte Betriebsbeschränkungen. l) Aufhebung und Inkrafttreten nach Art. 15 und 16 des Verordnungsentwurfs Die Verordnung ist dem Rechtscharakter einer Verordnung entsprechend in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Mit den letzten beiden Artikeln der Verordnung wird die Richtlinie 2002/30/EG mit Inkrafttreten dieser Verordnung aufgehoben, wobei die Verordnung am zwan-
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zigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten soll. Damit konnte sich die Forderung des Rates, eine 24monatige Umsetzungsfrist zu etablieren, im Europäischen Parlament nicht durchsetzen. Sollte es bei dieser knapp bemessenen Frist von 20 Tagen bleiben, dürfte in den Mitgliedstaaten ein erheblicher Umsetzungsdruck entstehen, zumal durch die Verordnung auch erhebliche administrative Anforderungen an die Mitgliedstaaten gestellt werden.
IV. Bewertung und Schlussbetrachtungen Der Verordnungsentwurf der Kommission ist nach seiner Veröffentlichung im Dezember 2011 kontrovers diskutiert worden. Hierbei wurde bereits in Frage gestellt, ob es im Gegensatz zur bisherigen Regelung durch eine Richtlinie jetzt tatsächlich der Rechtsform einer Verordnung zu lärmbedingten Betriebsbeschränkungen bedarf. Die Umsetzung in Form einer Verordnung wurde insbesondere aber auch von den konsultierten Fluggesellschaften bzw. deren Verbänden präferiert60. Die Umsetzung im Wege einer Verordnung stellt jedenfalls die von der Kommission bezweckte Rechtsvereinheitlichung und weitreichende Harmonisierung und damit auch die größtmögliche Rechtssicherheit in Bezug auf Lärmminderungsmaßnahmen an Flughäfen sicher. Dies ist auch im Hinblick auf den internationalen Charakter des Luftverkehrs und die Sicherstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen begrüßenswert. Zudem verbleibt den Mitgliedstaaten ein ausreichend großer Spielraum zur Entwicklung eigener Lärmminderungsmaßnahmen in Bezug auf die jeweiligen Flughäfen in ihrem Land. Im Ergebnis bietet der Verordnungsentwurf in der Gestalt des angenommenen Textes des Europäischen Parlaments sowohl Chancen als auch Risiken. Die Verordnung bringt sicherlich einen erheblichen Verwaltungsaufwand mit sich, der sowohl aus zeitlicher als auch kostenorientierter Sicht bedenkenswert ist. Andererseits handelt es sich bei lärmbedingten Betriebsbeschränkungen um ein Regelungsfeld, das einer effektiven und wirksamen Behandlung auf europäischer Ebene bedarf. Positiv ist hervorzuheben, dass im Einklang mit dem auf internationaler Ebene ausgehandelten „ausgewogenen Ansatz“ lärmbedingte Betriebsbeschränkungen nach Art. 4 (2) lit. d nicht als erstes Mittel zur Lärmminderung dienen. Mit dieser Klarstellung wird durch den Verordnungsgeber das Erfordernis eines umfassenden Abwägungsprozesses unterstrichen. Weiterhin ist zu begrüßen, dass die Klarstellung in Art. 4 (4) des Verordnungsentwurfs der Kommission, keine Kapitel-4-Flugzeuge Betriebsbeschränkungen für ___________ 60
KOM(2011) 828 endg., Ziff. 18, S. 5.
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„knapp die Vorschriften erfüllende Luftfahrzeuge“ unterfallen zu lassen, zu einer Rechts- und Planungssicherheit bei den Fluggesellschaften führt, die in ihrer Flotte Flugzeugmuster nach dem momentan geltenden Stand der Technik betreiben. Insgesamt führt die Harmonisierung zu einer einheitlichen Rechtsanwendung, die den betroffenen Anwohnern eine größere Rechtssicherheit bietet und den betroffenen Wirtschaftsunternehmen durch gleiche Wettbewerbsbedingungen zusätzlich die Möglichkeit zur Kostenreduktion bietet. Den in dem ursprünglichen Verordnungsentwurf enthaltenen erheblichen Schwachstellen hat das Europäische Parlament in seinem angenommenen Text weitestgehend Rechnung getragen. Dies gilt insbesondere für die die Begriffsbestimmung des knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeugs und dem hierzu jetzt reglementierten Übergangszeitraum von vier Jahren. Unverhältnismäßigen Beschränkungen kann auf diese Weise hinreichend entgegengewirkt werden, ohne dabei das Bedürfnis an Lärmschutzmaßnahmen zu vernachlässigen. Begrüßenswert sind aber insbesondere die Einschränkungen der von der Kommission beanspruchten Kompetenzen im Hinblick auf die Kontrollbefugnisse nach Art. 10 und die Möglichkeit zu delegierten Rechtsakten nach Art. 11. Wenngleich das Bedürfnis der Kommission an derartigen Rechten grundsätzlich nachvollziehbar ist, werden so die Kompetenzen der Mitgliedstaaten gewahrt und es steht diesen offen, der spezifischen Situation eines Flughafens Rechnung zu tragen und geeignete Lösungen zu entwickeln. Der jetzt durch das Parlament angenommene Text stellt aber einen tauglichen Kompromiss zwischen dem berechtigten Interesse an Lärmschutz durch betroffene Anwohner und dem Bedürfnis an einer effektiven Bereitstellung von Flughafeninfrastrukturen im globalen, jedenfalls aber europäischen, Umfeld dar. Es bleibt aber abzuwarten, ob die hohen Erwartungen und Ziele, die die Kommission an das Flughafenpaket stellt, sich hierdurch auch tatsächlich realisieren lassen. Wurde bereits in der Vergangenheit die fehlende Praxisrelevanz der bisherigen Richtlinie 2002/30/EG bemängelt, wird sich erst herausstellen müssen, ob die Regelung über die neue Verordnung hier maßgebliche Änderungen herbeiführen wird. Ausgestaltung und Inhalt der rechtlichen Vorgaben geben jedenfalls Anlass zu berechtigter Hoffnung. Eine baldige Verabschiedung der Verordnung auf der Basis des angenommenen Textes des Parlaments wäre insoweit wünschenswert.
Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Flughafenplanung Von Alexander Jannasch In meinem Beitrag werde ich mich auf drei Entwicklungen konzentrieren: Die Bedeutung der Raumordnung für die Flughafenplanung, die Betriebsregelungen für die Nacht, die im Luftverkehr eine besondere Rolle spielen, sowie die Flugrouten und ihr Verhältnis zur Planfeststellung. Dabei werde ich jeweils einen Blick zurück werfen und sodann über die darauf aufbauenden Entwicklungen in der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts berichten.
I. Bedeutung der Raumordnung für die Flughafenplanung 1. Bindungswirkung einer landesplanerischen Entscheidung Seinem Urteil vom 16. März 2006 zum Flughafen Berlin-Schönefeld1 stellte das Bundesverwaltungsgericht als ersten Leitsatz die plakative Aussage voran: Die Wahl des Standorts für einen internationalen Verkehrsflughafen ist vorrangig eine raumordnerische Entscheidung. Die frühere rein Brandenburgische Landesplanung hatte sich für den südlich von Berlin liegenden, bis nach der Wende von der sowjetischen Armee militärisch genutzten Standort Sperenberg ausgesprochen. Dem lag auch ein (inzwischen als überholt angesehenes) Konzept der dezentralen Konzentration zugrunde.2 Die später geschaffene gemeinsame Landesplanung für Berlin und Brandenburg entschied sich dann für das Ziel, zur Deckung des nationalen und internationalen Luftverkehrsbedarfes beider Länder den Flughafen BerlinSchönefeld weiter zu entwickeln.3 ___________ 1
Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116. Urt. vom 16.3.2006, a.a.O., Rn 141. 3 § 19 Abs. 11 des Landesentwicklungsprogramms i.d.F. vom 1. November 2003 (LEPrO 2003) und Z 1 des Landesentwicklungsplans Flughafenstandortentwicklung (LEP FS) vom 28. Oktober 2003. 2
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Eine derartige Standortwahl hat weiträumige Auswirkungen auf die Siedlungs- und Freiraumstrukturen des Planungsraums und schafft Nutzungskonflikte, die in der Regel bereits auf der Ebene der Landesplanung ein öffentliches Planungsbedürfnis auslösen.4 Die Siedlungsentwicklung der betroffenen Gemeinden ist entsprechend zu steuern. Das kann auch über die Lärmschutzbereiche des Fluglärmgesetzes hinausreichen. Zum anderen erfordert der Neubau eines Flughafens auf jahrzehntelang militärisch genutzten Flächen den weitreichenden Ausbau der Infrastruktur. Für Sperenberg wären unter anderem die Bahnlinie Berlin-Leipzig und mehrere Bundesstraßen neu zu trassieren gewesen. Aus damaliger Sicht hätte man auch an eine Anknüpfung mit der Magnetschwebahn denken können. Das Bundesverwaltungsgericht gelangte zu dem Ergebnis: Wenn ein Träger der Landesplanung seine Planungsbefugnisse in dem dargestellten Sinne wahrgenommen hat, ist der Träger der Fachplanung daran gebunden. Eine erneute ergebnisoffene Prüfung der Standortalternativen wäre mit dem gesamträumlichen Gestaltungsanspruch der Landesplanung nicht vereinbar. Sie würde auch dem vom Bundesgesetzgeber mit der verfahrensmäßigen Abschichtung raumbedeutsamer Standortfragen verfolgten Ziel zuwiderlaufen, die Komplexität räumlicher Planungen schrittweise zu reduzieren und die Planungsträger auf den nachfolgenden Planungsstufen zu entlasten.5 Hieraus folgen entsprechende Anforderungen an Ermittlungstiefe und Abwägungsdichte des landesplanerischen Standortvergleichs.6 Darauf kann hier nicht näher eingegangen werden. Andererseits ist deutlich hervorzuheben: Die Planfeststellungsbehörde trifft keine („positive“) Rechtspflicht zur Zulassung eines Flughafenvorhabens an dem von der Landesplanung zielförmig festgelegten Standort. Die Landesplanung kann nicht die für die fachplanerische Aufgabenstellung relevanten Fragen in der Weise an sich ziehen, dass sie dem Fachplanungsträger die Realisierung eines Flughafenvorhabens an einem bestimmten Standort rechtsverbindlich vorschreibt.7
___________ 4 5 6 7
Urt. vom 16.3.2006 a.a.O. Rn. 72. Urt. vom 16.3.2006 a.a.O. Rn. 72. Urt. vom 16.3.2006 a.a.O. Rn. 74. Urt. vom 16.3.2006 a.a.O. Rn. 76.
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2. Herstellung der Raumverträglichkeit In seinem Urteil zum Flughafen Frankfurt Main vom 4. April 20128 hatte sich das Bundesverwaltungsgericht erneut mit dem Verhältnis der Landesplanung zur luftverkehrsrechtlichen Fachplanung auseinanderzusetzen. Dort stellte sich nicht ernsthaft die Frage nach einem völlig neuen Standort. Aber es ging um den überaus umstrittenen Bau einer weiteren Bahn (nordwestlich des vorhandenen Geländes), die nur als Landebahn genutzt wird. Im Vorfeld war es zu einem umfangreichen Mediationsverfahren gekommen.9 In dessen Folge entschied sich die hessische Landesplanung dafür, einerseits näher dargestellte Flächen für die Erweiterung der Flughafenanlagen einschließlich einer neuen Landebahn als Vorranggebiete im Sinne des Raumordnungsrechts auszuweisen,10 die von konkurrierenden Planungen und Nutzungen freizuhalten sind.11 Zugleich wurde aber beschlossen, dass im Zeitraum zwischen 23 und 5 Uhr – der sogenannten Mediationsnacht – grundsätzliche keine planmäßigen Flüge stattfinden dürfen.12 Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat diese Aussage als Grundsatz im Sinne der raumordnungsrechtlichen Kategorien eingestuft.13 Das Bundesverwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Landesplanung zu einer derartigen Gewichtungsvorgabe befugt war.14 Sofern der Träger der Landesplanung den Standort für den Ausbau eines internationalen Verkehrsflughafens durch Ausweisung eines Vorranggebiets sichert, den Standort aber wegen der drohenden Nutzungskonflikte nur unter der Voraussetzung landesplanerisch für vertretbar hält, dass diese durch geeignete Betriebsregelungen in einer raumverträglichen Weise bewältigt werden, erstreckt sich der Aufgaben- und Kompetenzbereich der Landesplanung auch hierauf. Auch insoweit geht es um den Ausgleich der im Raum konkurrierenden Nutzungsansprüche, konkret um den Ausgleich der Nutzungsansprüche der Flughafennutzer einerseits und der Nutzungsansprüche der vom Fluglärm betroffenen Grundeigentümer und Träger kommunaler Selbstverwaltung in der ___________ 8 Urt. vom 4.4.2012 – 4 C 8.09 – Veröffentlichung in BVerwGE und Buchholz 442.40 § 8 LuftVG vorgesehen. 9 Vgl. Wagner/Hehn, Mediation im öffentlichen Bereich – Rechtsfragen, UPR 2013, 1, 4; Barth, Neue Entscheidungskultur beim Infrastrukturausbau, in diesem Band. 10 Vgl. jetzt § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 ROG. 11 Vgl. Urt. des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21.8.2009 – 11 C 227/08T u.a. –, juris Rn. 419 ff. 12 Zu den Einzelheiten Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21.8.2009, juris Rn. 763. 13 Vgl. BVerwG, Urt. vom 4.4.2012 Rn. 296 ff. 14 Entgegen z.B. Steinberg, Das Nachtflugverbot im Urteil des VGH Kassel zum Flughafen Frankfurt a.M., NVwZ 2010, 273; Deutsch, Raumordnung als Auffangkompetenz – Zur Regelungsbefugnis der Raumordnungspläne, NVwZ 2010, 1520.
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Umgebung des Flughafens andererseits. Auch die Bewältigung eines standortbezogenen Fluglärmkonflikts unterfällt dem Koordinierungs-, Ordnungs- und Entwicklungsauftrag der Raumordnung.15 Dem Träger der Landesplanung wäre es allerdings verwehrt, selbst eine Betriebsregelung für den Ausbau des Flughafens Frankfurt Main zu erlassen. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof ist indes davon ausgegangen, dass es dem Träger der Landesplanung nicht um eine Betriebsregelung gegangen ist, sondern vielmehr darum, den Gestaltungsspielraum der Planfeststellungsbehörde beim Erlass der Betriebsregelung für die Mediationsnacht einzuschränken. Der Rahmen der durch das Raumordnungsrecht zur Verfügung gestellten Instrumente wird damit nicht verlassen.16 Dies gilt auch dann, wenn man mit dem Verwaltungsgerichtshof die im Landesentwicklungsplan enthaltene Gewichtungsvorgabe so versteht, dass sie den Abwägungsspielraum der Planfeststellungsbehörde sehr weit – gegebenenfalls auf annähernd Null – einschränkt. Im Ergebnis führte diese Einordnung dazu, dass der geschilderte landesplanerische Grundsatz das Gewicht des im Luftverkehrsgesetz (§ 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG) enthaltenen Gebots, auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen,17 nochmals verstärkte. Die Entscheidung der Planfeststellungsbehörde, vom Ergebnis der landesplanerischen Abwägung wieder abzugehen, erwies sich als insgesamt abwägungsfehlerhaft.18 Sie führte im Übrigen auch zu einem Verfahrensfehler. Denn die beabsichtigte Änderung, durch die planmäßige Flugbewegungen in der Mediationsnacht zugelassen werden sollten, hätte den Betroffenen mitgeteilt werden müssen.19 Außerdem hat dieses Verfahrens ganz sicherlich nicht zur Akzeptanz der Behördenentscheidung beigetragen.
II. Betriebsregelungen für die Kernzeit der Nacht und die Nachtrandstunden 1. Regelungen zum Fluglärmschutz Ebenso wie bei den anderen Verkehrsmitteln wird die Beschränkung des Lärms mit einem Bündel von rechtlichen Maßnahmen angestrebt. Hierzu zählen Regelungen, die an der Quelle, also am Flugzeug ansetzen. Sie gehen in ___________ 15 16 17 18 19
Urt. vom 4.4.2012 a.a.O. Rn. 306. Urt. vom 4.4.2012 a.a.O. Rn. 307. Vgl. hierzu Jannasch, in: Grabherr/Wysk/Reidt, § 29b LuftVG. Urt. vom 4.4.2012 a.a.O. Rn. 266 ff. Urt. vom 4.4.2012 a.a.O. Rn. 24 ff.
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weitem Umfang auf Internationales und Europäisches Recht zurück20 und hatten durchaus einen gewissen Erfolg. Leider ist dieser Effekt jedoch durch die erhebliche Zunahme des Flugverkehrs wieder aufgewogen worden. Ferner werden Maßnahmen des passiven Schallschutzes angeordnet. Dies ist jetzt im Wesentlichen Gegenstand des novellierten Fluglärmgesetzes.21 Dagegen helfen die Vorkehrungen des aktiven Schallschutzes, also Schallschutzwände und -wälle oder Einhausungen beim Luftverkehr nur in einem kleinen Teilbereich – etwa bei Triebwerksprobeläufen – weiter. Gegen den eigentlichen Fluglärm scheiden sie aus. Als dritte Kategorie22 kommen Betriebsregelungen in Betracht. Derartige Regelungen gibt es zunehmend auch bei Straßen – in der Form von Straßenverkehrsregeln, beispielsweise Geschwindigkeitsbeschränkungen, nach der Straßenverkehrsordnung. Auch Betriebsregelungen bei der Eisenbahn, beispielsweise über den nächtlichen Güterverkehr, werden zunehmend gefordert.23 Beim Luftverkehr haben Betriebsregelungen in der Rechtsprechung der vergangenen Jahre eine herausragende Rolle erhalten. Derartige Betriebsregelungen hat es schon immer gegeben. Insbesondere gilt dies für Betriebsbeschränkungen während der Nachtzeit. Beispielsweise bestand am Flughafen München eine Nachtflugregelung, die dann mit einem Bescheid aus dem Jahre 2001 neu gestaltet wurde. Dort wurde ein maximales nächtliches Lärmvolumen festgesetzt,24 das Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht wurde. Das Bundesverwaltungsgericht betonte in diesem Zusammenhang, dass Betriebsregelungen zum Schutz gegen nächtlichen Fluglärm den rechtlichen Anforderungen des fachplanerischen Abwägungsgebots unterliegen.25 2. Nachtflugbedarf in der Abwägung Im Rahmen dieser Abwägung ist in einem ersten Schritt zu fragen, ob es für Nachtflug überhaupt einen ernst zu nehmenden Bedarf gibt. Im Rahmen seiner Abwägung hat der Planungsträger sodann § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG Rech___________ 20 Vgl. hierzu Jannasch, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss – Straßen- und Wege, Wasser- und Luftverkehrsrecht, VBlBW 2001, 470, 476. 21 Eine Kommentierung des LuglärmG von Fellenberg/Reidt/Schiller findet sich bei Landmann/Rohmer, Band III. 22 Zum Teil werden sie auch den „aktiven“ Schallschutzmaßnahmen zugeordnet. 23 Vgl. hierzu auch BVerwG, Beschl. vom 24.1.2012 – 7 VR 13.11 – DVBl. 2012, 1102. 24 Dieses ersetzte das zuvor festgesetzte Bewegungskontingent. 25 Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261.
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nung zu tragen. Diese Vorschrift, für die es im sonstigen Verkehrswegeplanungsrecht nichts Vergleichbares gibt, erlegt nicht zuletzt der Zulassungsbehörde im luftrechtlichen Planfeststellungsverfahren die Verpflichtung auf, auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen. Sie hat die Qualität einer Gewichtungsvorgabe.26 Im Fall Berlin-Schönefeld hat das Bundesverwaltungsgericht der Planfeststellungsbehörde entgegen gehalten, dass sie keinen standortspezifischen Nachtflugbedarf aufgezeigt habe, der im Unterschied zur Mehrzahl der anderen deutschen Flughäfen einen unbeschränkten Flugbetrieb in der Kernzeit der Nacht zu rechtfertigen geeignet sei. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht auch darauf hingewiesen, dass Nachtflugverbote oder -beschränkungen vielerorts zum allgemeinen Standard gehörten.27 Beim Flughafen Leipzig hat es unter den besonderen Bedingungen des nächtlichen Expressluftverkehrs einen derartigen Nachtflugbedarf als hinreichend dargelegt angesehen.28 Dann dürfe aber nicht auch noch nächtlicher Passagierverkehr hinzukommen.29 Allerdings ist zu beachten, dass aktiver Lärmschutz in Form flugbetrieblicher, kapazitätsbeschränkender Regelungen den Verkehrszweck des Flughafens beeinträchtigen kann. Die Behörde darf nicht zu betriebsregelnden Festsetzungen verpflichtet werden, die dem „Widmungszweck“ des Flughafens widersprechen.30 Die Verkehrsfunktion des Flughafens und seine Stellung im Luftverkehrsnetz bestimmen die Erwartungen, die berechtigterweise an das Verkehrsangebot zu stellen sind, insbesondere an die Zahl und die Diversität der Destinationen, die Frequenz der Verbindungen und die Erreichbarkeit des Flughafens in den frühen Morgen- und späten Abendstunden. Diese Erwartungen sind auch entscheidend dafür, ob das Verkehrsangebot ohne die in Rede stehenden Nachtflugverbindungen noch als „befriedigend“ angesehen werden kann.31 3. Nachtrandzeiten Für die Nutzung der Nachtrandzeiten (22:00 bis 24:00 Uhr, 5:00 bis 6:00 Uhr) ist ein standortspezifischer Bedarf nicht erforderlich. Dieser Zeitraum darf aber für den Flugverkehr nur freigegeben werden, wenn plausibel nachgewie___________ 26 27 28 29 30 31
Urt. vom 16.3.2006 a.a.O. Rn 269. Urt. vom 16.3.2006 a.a.O. Rn 281. Urt. vom 24.7.2008 – 4 A 3001.07 – BVerwGE 131, 316, Rn 38 ff. Urt. vom 9.11.2006 a.a.O. Rn. 71; Beschl. vom 1.11.2007 – 4 VR 3000.07 – juris. Beschl. vom 20.1.2009 – 4 B 45.08 – juris Rn. 7, 48 (Militärflugplatz Ramstein). Urt. vom 13.10.2011 – 4 A 4001.10 – BVerwGE 141, 1, Rn 51.
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sen wird, weshalb ein bestimmter Verkehrsbedarf oder ein bestimmtes Verkehrssegment nicht innerhalb der Tagesstunden abgewickelt werden kann. Für die Nutzung der Nachtrandzeiten sprechende Gründe können sich z.B. aus den Erfordernissen einer effektiven Flugzeug-Umlaufplanung, aus den Besonderheiten des Interkontinentalverkehrs (Zeitzonen, Verspätungen, Verfrühungen) oder aus dem Umstand ergeben, dass der Flughafen als Heimatflughafen oder Wartungsschwerpunkt von Fluggesellschaften deren Bedürfnisse nachvollziehbar nicht ausschließlich in den Tageszeiten abdecken kann.32 Die Zulassung von Passagierflugverkehr in den Nachtrandzeiten (beim Flughafen Leipzig: 22:00 bis 23:30 Uhr, 5:30 bis 6:00 Uhr) kann aus Gründen der Anbindung eines Verkehrsflughafens an in- und ausländische Passagierdrehkreuze und einer effektiven Flugzeugumlaufplanung gerechtfertigt sein.33 4. Die Nacht darf nicht zum Tag gemacht werden Ein Lärmschutzkonzept, das eine weitgehende Lärmpause in der Nachtkernzeit vorsieht, kann es zwar rechtfertigen, die Lärmschutzbelange der Anwohner in den Randstunden der Nacht weitgehend hinter den Verkehrsinteressen zurücktreten zu lassen. Selbst in diesem Fall ist es aber nicht gerechtfertigt, „die Nacht zum Tage zu machen“. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen zum Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss für den Flughafen BerlinSchönefeld vom 13.10.2011 und zum Flughafen Frankfurt Main vom 4.4.2012 hervorgehoben. Gemäß § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG ist auf die Nachtruhe der Bevölkerung nicht nur während der Nachtkernzeit besonders Rücksicht zu nehmen. Die in der Vorschrift enthaltene Gewichtungsvorgabe gilt vielmehr für die gesamte Nacht, also auch für die Nachtrandstunden. Auch die erste Nachtrandstunde von 22.00 bis 23.00 Uhr ist schutzwürdig; sie darf nicht als bloße Verlängerung des Tagflugbetriebs angesehen werden. Ein Lärmschutzkonzept, das eine weitgehende Lärmpause in der Nachtkernzeit vorsieht, kann es rechtfertigen, die Lärmschutzbelange der Anwohner in den Randstunden der Nacht weitgehend hinter den Verkehrsinteressen zurücktreten zu lassen. Selbst in diesem Fall eines nahezu vollständigen Flugverbots in den Kernstunden der Nacht ist es aber nicht gerechtfertigt, „die Nacht zum Tage zu machen“. Auch dann bleibt die Verhältnismäßigkeit nur gewahrt, wenn das Konzept eines zum Kern der Nacht hin abschwellenden und danach wieder ansteigenden Flugverkehrs auch in diesem Zeitsegment durchgehalten und der Flugverkehr zur Vermeidung tagähnli___________ 32 Urt. vom 24.7.2008 – 4 A 3001.07 – BVerwGE 131, 316, Rn. 39; Urt. vom 16.3.2006, a.a.O. Rn. 287 f. 33 Urt. vom 24.7.2008 a.a.O. Rn 41 ff.
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cher Belastungsspitzen durch geeignete Vorkehrungen effektiv und konkret begrenzt wird.34
III. Flugrouten und Verhältnis zur Planfeststellung 1. Bedeutung der Flugrouten Flugrouten sind Teil der Flugverfahren. Nach § 27a Abs. 1 LuftVO hat der Luftfahrzeugführer die vorgeschriebenen Flugverfahren zu befolgen. Nach § 27a Abs. 2 LuftVO wird das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung ermächtigt, diese Flugverfahren einschließlich der Flugwege, Flughöhen und Meldepunkte durch Rechtsverordnung festzusetzen. Sie sind in erster Linie ein Instrument der Flugsicherung.35 Es geht also um Wege und Höhen, aber auch die zeitliche Einordnung.36 Ihre Bedeutung haben diese Flugverfahren durch die zunehmende Präzision erhalten, die moderne Luftfahrzeuge im Instrumentenflug einhalten können. Dennoch gibt es weiterhin eine gewisse Streuung, so dass der Begriff der Straßen der Luft nicht ganz angemessen ist.37 2. Rechtsschutz bei Flugverfahren Da die Festsetzung von Flugverfahren durch Rechtsverordnung einer Bundesbehörde erfolgt, ist ein Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO nicht möglich. Aber das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Urteil aus dem Jahre 2000 die Feststellungsklage als statthaft und zulässig angesehen.38 Dabei ist es durch einen zuvor ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gleichsam ermuntert worden, der eine Verfassungsbeschwerde unter Hinweis auf den Grundsatz der Subsidiarität des verfassungsgerichtlichen Verfahrens ___________ 34 Urt. vom 4.4.2012 – 4 C 8.09 – a.a.O. Rn. 372; Urt. vom 13.10.2011 – a.a.O. Rn. 200. 35 Vgl. hierzu Risch, in: Grabherr/Reidt/Wysk Rn. 25 ff., 42 ff. zu § 27c LuftVG. 36 Zu einer zeitlichen Differenzierung Beschl. vom 4.5.2005 – 4 C 6.04 – BVerwGE 123, 322, 328. 37 Deutsch, Flugrouten – Verfahren, Maßstäbe, Rechtsfragen, in: Ziekow (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2011, S. 61, 67. 38 Urt. vom 28.6.2000 – 11 C 13.99 – BVerwGE 111, 276; hierzu Kukk, Rechtsschutz von Flughafenanwohnern gegen die Festlegung von Flugrouten: Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück, NVwZ 2001, 408.
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nicht zur Entscheidung angenommen hat.39 Das Bundesverwaltungsgericht hat darauf verwiesen, dass die Zulassung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 VwGO die Möglichkeiten des subjektiven Rechtsschutzes von Betroffenen nicht einschränken sondern erweitern sollte. Die Feststellungsklage ist auch trotz ihrer Nachrangigkeit (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) die richtige Klageart. Denn sie ist deutlich effektiver, als es Anfechtungsklagen gegen jede einzelne Flugfreigabe wären.40 Somit ist die gerichtliche Überprüfung der Flugrouten gewährleistet. 3. Planfeststellung und Flugverfahren Schwierigkeiten bereitet das Verhältnis der Festsetzung der Flugrouten zu der Genehmigung oder Planfeststellung eines Flughafens einschließlich der dabei getroffenen Betriebsregelungen. Bei einem (inländischen) Flughafen hat die zuständige Bundesbehörde – jetzt das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung – bei ihrer Abwägung die von der zuständigen Luftfahrtbehörde des Landes in der Planfeststellung und der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung des Flughafens getroffenen Entscheidungen zu beachten. Deren Ausnutzung darf sie nicht vereiteln. Daher ist sie gehindert, Regelungen zu treffen, die im Widerspruch zu bereits erlassenen Entscheidungen über den Betrieb des Flughafens stehen, und insoweit darauf beschränkt, den vorhandenen Lärm gleichsam zu „bewirtschaften“.41 Auf die Besonderheiten bei einem ausländischen Flughafen ist das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss zum Flughafen Zürich näher eingegangen;42 das kann hier nicht weiter dargestellt werden. Das Urteil zum Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss für den Flughafen Berlin-Schönefeld vom 13. Oktober 2011 und weitere diesen Flughafen betreffende Urteile vom 31. Juli 2012 veranlassten das Bundesverwaltungsgericht, weitere Präzisierungen vorzunehmen. Wenn die Flugverfahren für ein neues Bahnsystem festgelegt werden sollen, kann dies erst nach der Planfeststellung der neuen Bahnen geschehen.43 Auch nach Inbetriebnahme des Bahnsystems können die Flugverfahren geändert werden. Flugrouten sind „flüchtig“. Die Ermittlung der Lärmbetroffenheiten im Planfeststellungsverfahren ist hiernach ___________ 39
Beschl. vom 2.4.1997 – 1 BvR 446/96 – NVwZ 1998, 169. Urt. vom 24.6.2004 – 4 C 11.03 – BVerwGE 121, 152, 156; vgl. auch Repkewitz, Festlegung von Flugrouten – Materielle und formelle Anforderungen, Rechtsschutz, VBlBW 2005, 1. 41 Beschl. vom 4.5.2005 – 4 C 6.04 – BVerwGE 123, 322, 330. 42 Beschl. vom 4.5.2005 a.a.O. S. 331. 43 Zu dieser „Konkretplanung“ Uhl/Kaienburg, ZLW 2012, 293. 40
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systemimmanent mit der Unsicherheit behaftet, dass die Flugrouten für die Anund Abflüge nicht feststehen. 4. Prüfungspflicht der Planfeststellungsbehörde Die Planfeststellungsbehörde muss nicht alle realistischerweise in Betracht kommenden Flugrouten auf die zu erwartenden Lärmbeeinträchtigungen untersuchen; sie kann sich auf die Betrachtung bestimmter Flugrouten beschränken. Die Flugrouten gehören zu den prognostischen Annahmen, die der Lärmermittlung zugrunde zu legen sind.44 Diese prognostische Flugroutenplanung muss besonderen, sich aus ihrer Funktion ergebenden Anforderungen genügen: Sie muss zum einen die Modalitäten des Flugbetriebs hinreichend genau abbilden; zum anderen muss sie regelmäßig mit dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung oder der Deutschen Flugsicherung abgestimmt sein. Zum ersten: Für das Planfeststellungsverfahren genügt eine prognostische Grobplanung der An- und Abflugverfahren – eine Detailplanung würde dem vorläufigen Charakter der nur prognostischen Planung nicht gerecht. Zu einem möglichen zeitlichen Ablauf sei auf die Daten im Verfahren Berlin-Schönefeld verwiesen: Der Planfeststellungsbeschluss stammt vom 13. August 2004, die Vorarbeiten zum Planfeststellungsantrag aus dem Jahr 1998. Die Flugrouten wurden im März 2012 nach mindestens einjährigen Verhandlungen veröffentlicht.45 Auch die prognostische Planung darf jedoch nicht beliebig „grob“ sein. Sie muss die Modalitäten des Flugbetriebs soweit abbilden, wie dies für die jeweilige im Planfeststellungsverfahren zu treffende Entscheidung erforderlich ist. Für die Regelung des Flugbetriebs muss sie nicht so genau sein wie für die Festlegung der Schutz- und Entschädigungsgebiete. Letztere sollen es ermöglichen, individuelle, im Wege der Abwägung nicht überwindbare Schutzansprüche durchzusetzen. Über die Regelung des Flugbetriebs ist hingegen auf der Grundlage einer Abwägung zu entscheiden (§ 8 Abs. 1 und 4 LuftVG). Relevant für diese Abwägung ist, wie viele Anwohner ungefähr durch Fluglärm betroffen sein werden und wie schwer die jeweilige Betroffenheit sein wird. Welche Anwohner betroffen sein werden, ist – anders als für die Festlegung der Schutz- und Entschädigungsgebiete – nicht erheblich.46 Der Flugbetrieb wird geregelt für einen Flughafen an einem bestimmten Standort mit einer bestimmten Siedlungsstruktur in seiner Umgebung. Die Regelung soll grundsätzlich auch dann Bestand haben können, wenn andere An- und Abflugverfahren fest___________ 44 45 46
Urt. vom 13.10.2011 a.a.O. Rn. 147. 247. DVO zur LuftVO vom 10.2.2012, BAnz 2012 S. 1086. Urt. vom 13.10.2011 a.a.O. Rn 150.
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gelegt werden als im Planfeststellungsverfahren angenommen wurde. Unabhängig vom Verlauf der jeweiligen Flugrouten muss bei der Flughafenplanung davon ausgegangen werden, dass nach den örtlichen Gegebenheiten bestimmte Siedlungsgebiete durch Fluglärm betroffen werden können. Vor diesem Hintergrund ist eine Änderung der Flugrouten für die Regelung des nächtlichen Flugbetriebs unter Lärmschutzgesichtspunkten in der Regel nur relevant, wenn wesentlich dichter besiedelte Gebiete auf passiven Schallschutz angewiesen wären als angenommen. Zum zweiten: Die Prognose der An- und Abflugverfahren muss zudem in aller Regel mit dem Bundesaufsichtsamt (BAF) oder der Deutschen Flugsicherung (DFS) abgestimmt sein.47 Für hoheitliche Planungen gilt der Grundsatz der Problembewältigung; der Planfeststellungsbeschluss muss die von dem Planvorhaben in seiner räumlichen Umgebung aufgeworfenen Probleme bewältigen.48 Hierzu ist die Planung nicht in der Lage, wenn sie eine beliebige Flugroutenplanung zugrunde legt; sie muss vielmehr von realistischen Annahmen ausgehen. Die Prognose ist nicht erst dann fehlerhaft, wenn die Flugroutenplanung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht realisiert werden kann oder wenn bereits zum Zeitpunkt der Planfeststellung definitiv feststeht, dass das BAF andere Flugstrecken festlegen wird. Ob eine Flugroutenplanung realistisch ist, kann die Planfeststellungsbehörde regelmäßig allein nicht beurteilen. Nicht sie, sondern die Deutsche Flugsicherung ist für die Planung, das BAF für die Festlegung der An- und Abflugverfahren zuständig. Ziel der Abstimmung ist die Bestätigung, dass die dem Planfeststellungsantrag zugrunde liegende prognostische Flugroutenplanung realisierbar ist und dass sie den bisherigen Planungen der DFS entspricht, ihre Umsetzung also realistischerweise zu erwarten ist. Im Fall des Flughafens Berlin-Schönefeld folgte daraus, dass die Planfeststellungsbehörde nicht davon ausgehen durfte, dass die DFS für den unabhängigen Bahnbetrieb parallele Abflugstrecken planen würde. Denn diese waren mit den Regelungen der ICAO nicht vereinbar. Von einem abhängigen Bahnbetrieb durfte sie ebenfalls nicht ausgehen, denn die gesamte Planung beruhte darauf, dass An- und Abflüge auf beiden Parallelbahnen gleichzeitig durchgeführt werden können.49 Die Möglichkeit, die Flugverfahren für Tag und Nacht differenziert zu regeln, was grundsätzlich möglich wäre,50 war mit der DFS ebenfalls nicht abgestimmt. ___________ 47
Urt. vom 13.10.2011 a.a.O. Rn. 151. Hierzu bereits Urteile vom 7. März 2007 – 9 C 2.06 – BVerwGE 128, 177 Rn. 19 und vom 1. Juli 1999 – 4 A 27.98 – BVerwGE 109, 192, 201. 49 Urt. vom 13.10.2011 a.a.O. Rn 155. 50 Vgl. hierzu Beschl. vom 4.5.2005 – BVerwG 4 C 6.04 – BVerwGE 123, 322 (325, 328). 48
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Daraus ergaben sich zunächst Konsequenzen für die Festlegung der Schutzund Entschädigungsgebiete. Der Beklagte hat sich daraufhin bereit erklärt, die Grenzen dieser Gebiete neu auszuweisen; die Hauptsache wurde insoweit für erledigt erklärt. Hinsichtlich der dann nur noch streitbefangenen Regelung des Nachtflugbetriebs gelangte das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Abflugrouten, die der Abwägung hätten zugrunde gelegt werden müssen, zwar teilweise andere Gebiete betreffen würden als die parallelen Abflugwege; diese Gebiete wären jedoch nicht oder jedenfalls nicht erheblich dichter besiedelt als diejenigen, die von parallelen Abflugrouten betroffen wären. Das ergab sich bereits aus einer Grobanalyse der Siedlungsstruktur der Flughafenumgebung. Dies ist eine Einzelfallentscheidung, die bei einem anderen Vorhaben auch zu einer anderen Würdigung der Kausalität führen kann. 5. Beachtungspflicht des BAF Wie erwähnt, muss die Planfeststellungsbehörde die bei ihrer Abwägungsentscheidung prognostisch zugrunde zu legenden Flugrouten mit der DFS abstimmen. Auf der anderen Seite kann die Planfeststellungsbehörde ihrerseits die spätere Entscheidung über die Flugrouten in gewisser Hinsicht beeinflussen. Zwar ist eine strikte Bindung an die prognostizierten Routen nicht möglich.51 Sie würde der Zuständigkeitsordnung ebenso widersprechen wie dem flüchtigen Charakter der Flugverfahren. Wenn sich die Zulassung des Flughafenausbaus nach dem Abwägungskonzept der Planfeststellungsbehörde nur rechtfertigen lässt, wenn bestimmte Gebiete von erheblichen Beeinträchtigungen durch Fluglärm verschont bleiben, kann die Planfeststellungsbehörde klarstellen, dass der Schutz dieser Gebiete zu den tragenden Erwägungen des Planfeststellungsbeschlusses gehört, zu denen sich das BAF bei der nachfolgenden Festlegung der Flugverfahren nicht in Widerspruch setzen darf.52 Ist nach dem planerischen Konzept der Planfeststellungsbehörde Grundlage für die Zulassung des Vorhabens an dem gewählten Standort, dass bestimmte Gebiete, die wegen ihrer dichten Besiedlung oder aus anderen Gründen besonders schutzwürdig sind, von einer Verlärmung durch stark belegte Abflugrouten verschont bleiben, kann sie dies im Planfeststellungsbeschluss feststellen. ___________ 51 Vgl. auch Masing, Rechtliche Grundlagen der Flugroutenplanung, I+E 2011, 270; Deutsch, „Flugrouten – Verfahren, Maßstäbe, Rechtsfragen, in: Ziekow (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2011, S. 61, 67; Wysk, Diskussionsbeitrag auf dieser Veranstaltung; Michl, Die Festlegung von Flugrouten nach § 27a Abs. 2 Satz 1 LuftVO, Thür.VBl. 2011, 121. 52 Urt. vom 31.7.2012 – 4 A 5000.10 – Rn. 51 (www.bverwg.de; Veröffentlichung in BVerwGE und Buchholz 442.40 § 8 LuftVG vorgesehen).
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Das BAF hat bei der Festlegung der Flugverfahren dann auch diese Vorgabe zu beachten. 6. Reichweite der Prüfung durch die Planfeststellungsbehörde Dies hat Auswirkungen auf die Pflichten der Planfeststellungsbehörde und die Klagebefugnis. Zwar muss die Planfeststellungsbehörde bei der Entscheidung über die Zulassung des konkreten Vorhabens an dem landesplanerisch festgelegten Standort nicht alle realistischerweise in Betracht kommenden Flugrouten auf die zu erwartenden Lärmbeeinträchtigungen untersuchen; sie kann sich auf die Betrachtung bestimmter Flugrouten beschränken. Dies setzt aber voraus, dass die prognostische Flugroutenplanung Art und Ausmaß der zu erwartenden Betroffenheiten in der für die Abwägung relevanten Größenordnung realistisch abbildet. Die ausgehend von solchen exemplarischen Flugrouten ermittelten Betroffenheiten stehen dann in der Abwägung stellvertretend für vergleichbare Betroffenheiten, die bei anderen Flugverfahren an ihre Stelle treten würden. Werden andere als die prognostizierten Flugrouten festgelegt, bleiben die Betroffenheiten aber nach Art und Umfang im Wesentlichen unverändert, genügt es zur Bewältigung der sich daraus ergebenden Konflikte in der Regel, die Schutz- und Entschädigungsgebiete neu auszuweisen.53 7. Klagebefugnis Daraus folgt aber nicht, dass nur die repräsentativ betrachteten Betroffenen klagebefugt wären. Soweit es um das subjektive Recht auf fehlerfreie Abwägung der eigenen Belange geht, ist eine Repräsentation durch exemplarisch ermittelte andere Betroffene nicht möglich. Das subjektive Recht steht jedem Einzelnen zu, dessen schutzwürdige Belange mehr als geringfügig betroffen werden können. Die Klagebefugnis eines nicht sicher, sondern nur möglicherweise Betroffenen ergibt sich aus seiner materiellen Rechtsposition in der fachplanerischen Abwägung. Er hat ein Recht auf Abwägung seiner Belange. Im Rahmen der Abwägung muss berücksichtigt werden, dass die Flugverfahren nicht feststehen. Die Standortwahl muss sich grundsätzlich auch dann als abgewogen erweisen, wenn andere als die prognostizierten Flugrouten festgelegt werden. Das Recht auf fehlerfreie Abwägung der eigenen Belange steht nicht nur demjenigen zu, dessen Belange ausgehend von der dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Flugroutenprognose abwägungserheblich betroffen ___________ 53
Urt. vom 31.7.2012 – 4 A 5000.10 – a.a.O. Rn. 50 m.w.N.
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wären, sondern jedem, der abwägungserheblich betroffen werden kann, weil sein Grundstück innerhalb des Einwirkungsbereichs des Flughafens liegt und weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen auszuschließen ist, dass ein zu seiner Betroffenheit führendes Flugverfahren festgelegt wird.54 Hier zeigt das Recht auf Abwägung seine prozessuale Stärke. 8. Verfahrensrechtliche Auswirkungen Im Übrigen ergeben sich verwaltungsverfahrensrechtliche Auswirkungen. Der Kreis der Personen, die durch eine Auslegung der Antragsunterlagen im Sinne eines Anstoßes auf das beabsichtigte Vorhaben hingewiesen werden müssen vergrößert sich. Im luftverkehrsrechtlichen Planfeststellungsverfahren muss jeder beteiligt werden und Einwendungen erheben können, der durch Fluglärm abwägungserheblich betroffen werden kann, weil sein Grundstück innerhalb des Einwirkungsbereichs des Flughafens liegt und weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen auszuschließen ist, dass ein zu seiner Betroffenheit führendes Flugverfahren festgelegt wird. Auch der Umfang der Umweltverträglichkeitsprüfung kann sich ändern.55
___________ 54
Urt. vom 31.7.2012 a.a.O. Rn. 46. Urt. vom 31.7.2012 – 4 A 7001.11 – a.a.O. Rn. 32 (www.bverwg.de; Veröffentlichung in BVerwGE und Buchholz 442.40 § 8 LuftVG vorgesehen); zur UVP-Pflicht bei Flugrouten: verneinend OVG Bautzen, Urt. vom 9.5.2012 – 1 C 20/08 – juris (Revision zugelassen). 55
Erfahrungen und Probleme der grenzüberschreitenden Planfeststellung am Beispiel der Festen Fehmarnbeltquerung Von Stephan Siegert
I. Die Feste Fehmarnbeltquerung als Bestandteil des transeuropäischen Verkehrsnetzes Die Entwicklung einer leistungsfähigen und nachhaltigen Verkehrsinfrastruktur zwischen Städten und Regionen ist ein wichtiger Schritt zur europäischen Integration. Die Europäische Union (EU) verfolgt daher den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V). Die Feste Fehmarnbeltquerung ist Bestandteil des strategischen Kernnetzkorridors 5 von Helsinki in Finnland nach Valetta auf Malta, der wiederum in mehrere Einzelprojekte unterteilt ist. Die Fehmarnbeltquerung selbst ist zentraler Teil des prioritären Verkehrsprojektes Nr. 20 der EU. Es verknüpft die durch den Fehmarnbelt unterbrochenen Landverkehrsachsen mit einem Ingenieurbauwerk. Mit der für 2021 beabsichtigten Inbetriebnahme dieses Vorhabens wird eine neue Entwicklungsachse zwischen Hamburg und der Öresundregion (Kopenhagen und Malmö) geschaffen. Im Folgenden wird zunächst das Projekt kurz vorgestellt. Danach wird anhand von Beispielen auf die diesem Vorhaben zugrundeliegenden spezifischen Erfahrungen und Problemen der grenzüberschreitenden Planfeststellung eingegangen. Die aufgezeigten Beispiele stellen dabei nur ein Extrakt dar und spiegeln die Situation nicht in Gänze wider. 1. Der dänisch-deutsche Staatsvertrag Die Vision einer festen Querung im Fehmarnbelt zwischen SchleswigHolstein in Deutschland und Lolland in Dänemark ist nicht neu. Erste Überlegungen für eine solche Querung sind bereits in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts angestellt worden. Der Bau der Fehmarnsundbrücke zwischen dem Festland und der Insel Fehmarn vor genau 50 Jahren stellte einen ersten Baustein dar. In den 90er Jahren ist schließlich mit der Machbarkeitsstudie ein erster wesentlicher Schritt vollzogen worden, der gleichzeitig den Weg für den
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Staatsvertrag für die Planung und den Bau einer Festen Fehmarnbeltquerung zwischen dem Königreich Dänemark und der Bundesrepublik Deutschland geebnet hat. Der Staatsvertrag wurde am 3. September 2008 von beiden Staaten unterzeichnet und im darauffolgenden Jahr vom Folketing (dem dänischen Parlament), Bundestag und Bundesrat ratifiziert. Der Vertrag regelt, dass die Feste Fehmarnbeltquerung als kombinierte Bahn- und Straßenverbindung errichtet werden soll. Dänemark verpflichtet sich, das Bauwerk allein zu finanzieren und zu betreiben. Die Finanzierung der Baukosten in Höhe von 5,5 Mrd. Euro wird über Kredite auf dem Finanzmarkt sichergestellt, die durch Staatsgarantien abgesichert und durch die späteren Mauteinnahmen getilgt werden. Ferner soll die dänische Bahnstrecke von Rødbyhavn bis Ringsted zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert werden. Die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich im Gegenzug zum Ausbau der Bahnstrecke zwischen Lübeck und Puttgarden als ebenfalls zweigleisige und elektrifizierte Trasse sowie der B 207 zwischen Heiligenhafen und Puttgarden zu einer vierstreifigen Bundesstraße. Die so genannten Hinterlandanbindungen, also der Ausbau der Bahnstrecken und der B 207, stellen eigenständige Projekte dar, mit eigener, nationaler Finanzierung und eigenen, nationalen planrechtlichen Genehmigungsverfahren.
Abbildung 1: Lage der Festen Fehmarnbeltquerung (stammt von Femern A/S)
Probleme der grenzüberschreitenden Planfeststellung
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Als Besonderheit sieht der Staatsvertrag vor, dass die gesamte Feste Fehmarnbeltquerung nach den geltenden dänischen technischen Normen und Vorschriften zu bauen ist (Art. 13 Abs. 71 Staatsvertrag). Die Durchführung der erforderlichen Genehmigungsverfahren findet hingegen für den auf deutschem Hoheitsgebiet befindlichen Teil der Festen Fehmarnbeltquerung nach deutschem Recht und für den auf dänischem Hoheitsgebiet befindlichen Teil der Festen Fehmarnbeltquerung nach dänischem Recht statt (Art. 13 Abs. 3 Staatsvertrag2). 2. Das Projekt Die Feste Fehmarnbeltquerung soll zwischen Puttgarden auf der schleswigholsteinischen Insel Fehmarn und Rødbyhavn auf der dänischen Insel Lolland als 17,6 km langer Absenktunnel errichtet werden (siehe Abbildung 1). Er wird der längste seiner Art weltweit sein. Dazu wird am Meeresgrund ein Graben mit einer Tiefe von bis zu 45 m unter der Wasseroberfläche ausgebaggert, in dem die zuvor an Land produzierten 89 Tunnelelemente abgesenkt und miteinander verbunden werden. Anschließend erfolgt eine Verfüllung des Grabens. Den Abschluss bildet eine Steinschüttung auf der Tunneloberkante, die das Bauwerk vor Ankerwurf und sinkenden Schiffen schützt (siehe Abbildung 2). In ca. 15–22 Jahren bildet sich durch natürliche Sedimentation wieder ein geschlossener Meeresboden, so dass die Steinschüttung nicht mehr zu erkennen sein wird.
___________ 1 Artikel 13 Genehmigungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfung, Bauausführung: „(7) Die Feste Fehmarnbeltquerung wird nach den geltenden dänischen technischen Normen und Vorschriften gebaut. Für einzelne Bauteile können die Vertragsstaaten die Anwendung anderer europäischer Normen und Vorschriften vereinbaren. Einzelheiten zur bahntechnischen Ausrüstung werden auf Vorschlag der Gesellschaft zwischen den zuständigen deutschen und den dänischen Stellen abgestimmt.“ 2 Artikel 13 Genehmigungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfung, Bauausführung: „(3) Die Durchführung der erforderlichen Genehmigungsverfahren erfolgt für den auf deutschem Hoheitsgebiet befindlichen Teil der Festen Fehmarnbeltquerung nach deutschem Recht und für den auf dänischem Hoheitsgebiet befindlichen Teil der Festen Fehmarnbeltquerung nach dänischem Recht.“
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Abbildung 2: Querschnitt durch den Absenktunnel (stammt von Femern A/S)
Der Tunnel besteht aus insgesamt fünf Röhren: je zwei Röhren für Bahn und Straße sowie eine Galerie zwischen den Straßenröhren für Unterhaltungs-, Betriebs- und Rettungszwecke. Die Bahnröhren sind für Geschwindigkeiten von bis zu 200 km/h trassiert. Die Straßenröhren beinhalten eine vierspurige Autobahn mit Standstreifen. Das durch die Grabenerstellung geförderte Baggergut kann nicht für die Wiederverfüllung genutzt werden. Dieses wird stattdessen für Landgewinnungszwecke verwendet, wobei der überwiegende Teil vor der Küste Lollands aufgebracht wird. Hier entsteht östlich und westlich des Hafens in Rødbyhavn eine rund 300 ha große naturnah gestaltete Fläche (siehe Abbildung 3). Da Fehmarn weitgehend von Natura 2000-Gebieten umgeben ist, sind hier die Möglichkeiten zur Landgewinnung äußerst eingeschränkt. Aus diesem Grunde kann nur ein kleiner Teil des Baggergutes östlich des Hafens Puttgarden aufgebracht werden (siehe Abbildung 4).
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Abbildung 3: Landgewinnung vor Lolland (stammt von Femern A/S)
Abbildung 4: Landgewinnung vor Fehmarn (stammt von Femern A/S)
II. Die Genehmigungsverfahren In Dänemark ist das Instrument der Planfeststellung unbekannt. Hier erfolgt die planrechtliche Zulassung in Form von Baugesetzen, die im Folketing, dem dänischen Parlament, verabschiedet werden. Der mögliche Eindruck, dass das dänische Genehmigungsverfahren eher politisch ausgerichtet ist, täuscht. Vielmehr beherrschen administrative Abläufe das Verfahren, welches erst im abschließenden Gesetzgebungsverfahren seine politische Komponente erhält.
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Zunächst ist grundsätzlich festzustellen, dass das dänische Verfahren im Vergleich zum deutschen Planfeststellungsverfahren eine wesentlich geringere Detailtiefe in den Antragsunterlagen aufweist. Im Wesentlichen bestehen die dänischen Antragsunterlagen aus der Umweltverträglichkeitsstudie (UVS), die auf Dänisch VVM (Vurdering af Virkninger på Miljøet) heißt. Ökologische Hintergrundberichte ergänzen die VVM. Technische Informationen zum Vorhaben, so wie sie aus dem Erläuterungsbericht der deutschen Planfeststellungsunterlagen bekannt sind, finden sich in der VVM nur relativ grob wider. Der Schwerpunkt im dänischen Verfahren liegt also eindeutig in den Umweltauswirkungen des Vorhabens. Der Verfahrensablauf ist dem deutschen nicht unähnlich. Im Ergebnis des Scoping-Termins werden die Antragsunterlagen erstellt. Gegebenenfalls findet eine erste Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen einer Ideenphase statt. Hier werden Rahmenparameter zum Vorhaben der Öffentlichkeit vorgestellt, die aufgerufen ist, durch Stellungnahmen und Vorschläge (Ideen) die weitere Ausgestaltung des Vorhabens aktiv mitzugestalten. Nachdem die Antragsunterlagen fertiggestellt wurden, leitet das Verkehrsministerium das Anhörungsverfahren mit öffentlicher Auslegung dieser Unterlagen ein. Die eingegangenen Stellungnahmen und Einwendungen werden durch das Ministerium gesammelt und im Rahmen eines „Weißbuches“ zusammengefasst sowie bewertet. Auf Basis des Weißbuches und der Antragsunterlagen erfolgt die Erarbeitung eines Entwurfes des Baugesetzes, der dann dem Folketing für das Gesetzgebungsverfahren zugeleitet wird. Nach dreifacher Lesung wird das Baugesetz schließlich verabschiedet und das Vorhaben somit genehmigt. Das Umweltministerium ist im gesamten Verfahren eng eingebunden. Nach Verabschiedung des Baugesetzes sind Details zum Vorhaben mit den jeweiligen Fachbehörden abzustimmen und von diesen genehmigen zu lassen. Erst dann darf mit dem Bau tatsächlich begonnen werden. Selbstverständlich wird mit dem Baugesetz nur der dänische Teil der Festen Fehmarnbeltquerung planrechtlich zugelassen. Für den deutschen Teil ist die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens vorgesehen. Danach sind Verfahren nach § 18 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) bezüglich des Bahnteils bzw. nach § 17 Fernstraßengesetz (FStrG) für den Straßenteil erforderlich. Da das Querungsbauwerk aufgrund der Architektur des Tunnels nur eine einheitliche Entscheidung zulässt, ist die Durchführung eines gemeinsamen Planfeststellungsverfahrens gem. § 145 Landesverwaltungsgesetz (LVwG) SchleswigHolstein beabsichtigt.
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III. Probleme der grenzüberschreitenden Planfeststellung Die generelle Herausforderung bei der grenzüberschreitenden Planfeststellung, die auch bei der Festen Fehmarnbeltquerung festzustellen ist, liegt in drei wesentlichen Aspekten: Sprachen, Kulturen und Rechtssysteme. 1. Sprachen Dass Sprachen eine Herausforderung sind, liegt auf der Hand und klingt banal. Dennoch ist dieses Problem nicht zu unterschätzen, da die Gefahr von Missverständnissen und daraus resultierenden Fehlentscheidungen ein hohes Risiko darstellen. Fachbegriffe lassen sich teilweise nur schwer oder gar nicht übersetzen. So kennt z.B. die englische Sprache keinen Unterschied zwischen „Anhörungsverfahren“ und „Erörterungstermin“. Beides kann nur mit „hearing“ übersetzt werden. Teilweise wird für „Erörterungstermin“ auch der Begriff des „public hearing“ verwendet. Dieser Terminus erzeugt in den Köpfen sofort das Bild, dass der Erörterungstermin öffentlich und damit für jeden zugänglich ist, was im Gegensatz zum deutschen Recht steht. Ferner besteht auch die Gefahr, aneinander erfolgreich vorbei zu reden. Dieses macht sich vor allem dann bemerkbar, wenn gleichlautende Fachtermini verwendet werden, die in den jeweiligen Ländern jedoch unterschiedlich definiert sind. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, frühzeitig die Definition eines Fachbegriffes zu klären. Alles in allem können sprachliche Barrieren und mangelnde linguistische Feinheiten das Planungsgeschäft signifikant beeinflussen, wodurch ein sensibilisiertes Verständnis für andere Vorgehensweisen und Methoden nur unter Schwierigkeiten zu erreichen ist. 2. Kulturen Kulturelle Herausforderungen manifestieren sich in unterschiedlichen Denkweisen, Mentalitäten und der geübten Planungspraxis. So kann in Dänemark grundsätzlich alles verhandelt werden. Es ist nicht unüblich, dass mit den Behörden Grundsatzdiskussionen über Methoden geführt werden, wie z.B. im Umweltbereich in der Frage der Methodik zur Eingriffsbewertung und Auswirkungsprognose. Im Bereich der Mentalitäten spielen Bilder und Vorurteile eine große Rolle. So beherrscht der auf Deutschland fixierte Spruch „Ordnung muss sein“ zu einem gewissen Grad die Denkweise in Dänemark. Damit wird eine wertungs-
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freie, aber dennoch mangelnde Flexibilität der deutschen Behörden unterstellt, da „…ja in Deutschland für alles ein Gesetz, eine Verordnung oder eine Richtlinie besteht“. Aus deutscher Sicht scheint hin und wieder der Eindruck gegeben zu sein, dass dänische Behörden zu „entspannt“ mit bestimmten Fragestellungen umgehen. 3. Rechtssysteme Sehr wesentlich sind auch unterschiedliche Rechtssysteme. Diese begründen unterschiedliche Anforderungen, Verfahren und Prioritäten. So ist es aus deutscher Sicht nicht unbedingt verständlich, warum in Dänemark der Artenschutz nicht die gleiche Priorität besitzt wie in Deutschland. Immerhin liegt dem Artenschutz europäisches Recht zu Grunde. Im weiteren Verlauf soll nun auf einige spezifische Themen kurz eingegangen werden. a) Zuständigkeiten Der Fehmarnbelt ist völkerrechtlich in vier Zonen aufgeteilt: das deutsche Küstenmeer, die deutsche Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ), die dänische Ausschließliche Wirtschaftszone und das dänische Küstenmeer (siehe Abbildung 5: Völkerrechtliche Aufteilung des Fehmarnbelts). Die Küstenmeere sind Staatsgebiet, so dass für das deutsche Küstenmeer im Fehmarnbelt die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Schleswig-Holstein gelten. Die AWZ hingegen ist kein Bestandteil des angrenzenden Küstenstaates. Dieser kann gem. Art. 55 des Seerechtsübereinkommens in begrenztem Umfang souveräne Rechte und Hoheitsbefugnisse in der AWZ wahrnehmen. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Planfeststellung? Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) und das Bundesfernstraßengesetz (FStrG) sind in der AWZ nicht anwendbar. Im Gegenzug ist im deutschen Küstenmeer die ausschließlich für die AWZ geltende Seeanlagenverordnung (SeeAnlV) nicht anwendbar. Danach ergeben sich unterschiedliche behördliche Zuständigkeiten, die dazu führen, dass für dasselbe Vorhaben zwei unterschiedliche Genehmigungsverfahren durchgeführt werden müssten: Für das deutsche Küstenmeer ist die Planfeststellung gem. § 18 AEG bzw. § 17 FStrG vorzunehmen, für die der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein (LBV SH) die zuständige Planfeststellungsbehörde ist. Für die AWZ wäre eine Ge-
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nehmigung gem. § 6 SeeAnlV beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg zu beantragen. Der Staatsvertrag hat in Art. 13 Abs. 43 eine so genannte Erstreckungsklausel vorgesehen. Diese bewirkt, dass im Zusammenhang mit der Durchführung des Genehmigungsverfahrens für die Errichtung und den Betrieb der Festen Fehmarnbeltquerung in der deutschen AWZ das gesamte deutsche Bundes- und Landesrecht dem Grunde nach neben dem für die AWZ geltenden Recht anwendbar ist. Das bedeutet, dass das AEG und das FStrG dem Grunde nach auch in der deutschen AWZ anwendbar sind, so dass das Planfeststellungsverfahren die AWZ umfasst und für diesen Bereich der LBV SH ebenfalls die zuständige Planfeststellungsbehörde ist. Ungeachtet dessen wird die SeeAnlV durch die Erstreckungsklausel nicht verdrängt. Die Genehmigung nach § 6 SeeAnlV wird allerdings von der Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses nach dem AEG bzw. FStrG erfasst.
Abbildung 5: Völkerrechtliche Aufteilung des Fehmarnbelts (stammt von Femern A/S)
___________ 3 Artikel 13 Genehmigungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfung, Bauausführung: „(4) Im Bereich der Ausschließlichen Wirtschaftszonen der Vertragsstaaten im Sinne des Artikels 55 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (im Folgenden: Ausschließliche Wirtschaftszonen) findet das jeweilige im Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten geltende Recht im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens Anwendung, soweit dieser Vertrag nichts Abweichendes regelt.“
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b) Abfallrecht Wie bereits zuvor ausgeführt, muss am Meeresgrund für den Absenktunnel ein Graben ausgehoben werden. Hierbei fallen ca. 19 Mio. m³ Sand und andere Materialien an, die für Landgewinnungsmaßnahmen vor Lolland und Fehmarn verwendet werden. Bodenproben vom Meeresgrund haben keinerlei Kontaminationen ergeben. Ist für das Baggergut eigentlich das Abfallrecht anzuwenden? Für den deutschen Teil der Festen Fehmarnbeltquerung kann diese Frage mit Nein beantwortet werden. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 12 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) greift die Ausnahme vom Geltungsbereich des Abfallrechts, da Sedimente zum Zweck der Landgewinnung innerhalb von Oberflächengewässern umgelagert werden und diese nachweislich nicht gefährlich sind. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine wörtliche Übernahme des Art. 2 Abs. 3 der EU-Abfallrahmenrichtlinie (AbfRRL). Das Königreich Dänemark hat diese Ausnahme der AbfRRL nicht in nationales Recht umgesetzt. Daher ist zumindest das Baggergut, welches im dänischen Teil der Festen Fehmarnbeltquerung anfällt, dem Grunde nach dem dänischen Abfallrecht unterworfen. Spannend wird es, wie es sich mit dem Baggergut verhält, das im deutschen Teil des Vorhabens anfällt, allerdings in Dänemark zur Landgewinnung genutzt wird. Um es gleich vorne weg zu nehmen: Die Klärung dieser Frage dauert in Dänemark noch an. Derzeit scheint es so auszusehen, dass die dänischen Behörden die Nichtanwendbarkeit des deutschen Abfallrechts bei in Deutschland gefördertem Baggergut akzeptieren können. Allerdings wechselt das Material beim Einbau im Bereich der dänischen Landgewinnungsflächen seine rechtliche Eigenschaft vom Roh- oder Baustoff, hin zum Abfall, da sich der Vorhabenträger des geförderten Materials entledigen möchte. Die möglichen Folgen für das dänische und deutsche Genehmigungsverfahren können derzeit noch nicht abgesehen werden. Wenn die dänischen Behörden an ihrem Standpunkt festhalten, dass das in Deutschland geförderte Baggergut, welches in Dänemark für die Landgewinnung verwendet wird, Abfall ist, muss dann dieses Material in den deutschen Planfeststellungsunterlagen ebenfalls als Abfall tituliert werden? Muss dann für den Export dieses Materials nach Dänemark ein zusätzliches Notifizierungsverfahren für die grenzüberschreitende Abfallverbringung beantragt werden? Eine Lösung des Problems könnte das Baugesetz für die Feste Fehmarnbeltquerung sein. Das dänische Recht lässt nämlich zu, dass im Baugesetz spezielle, ausschließlich für das Vorhaben geltende Rechtsregelungen getroffen werden. So kann die zuvor genannte Ausnahme der AbfRRL im Baugesetz für die Feste Fehmarnbeltquerung als gültig erklärt werden, womit auf beiden Teilen des Vorhabens die gleiche Rechtslage gegeben wäre.
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c) Umwelt Das nationale Umweltrecht ist sehr stark vom europäischen Umweltrecht beeinflusst. Allerdings erfolgt die Umsetzung in den EU-Mitgliedsstaaten teilweise recht unterschiedlich. Das ist auch im direkten Vergleich zwischen Dänemark und Deutschland feststellbar und hat unmittelbare Auswirkungen auf die Erstellung der Umweltunterlagen für die jeweiligen Genehmigungsverfahren. Die Methodik in der Bestands- und Eingriffsbewertung ist in Dänemark sehr wissenschaftlich, in Deutschland hingegen eher rechtlich geprägt. In Deutschland bewirken die zum Teil recht detaillierten Umweltrichtlinien formalisierte Abläufe. Dänemark kennt solche Richtlinien nicht. Hier ist für jedes Vorhaben eine Einzelfallbetrachtung durchzuführen, in der im Rahmen einer Expertenbewertung individuell für jedes Projekt eine eigene Methode zu entwickeln ist. So kommt es vor, dass trotz desselben Naturraumes, im dänischen und deutschen Teil der Festen Fehmarnbeltquerung unterschiedliche Methoden der Bestands- und Eingriffsbewertung zugrunde liegen. Ein ganz anderer Ansatz als in Deutschland wird auch in der Frage der Auswirkungsprognose gewählt. In Dänemark sind grundsätzlich nur Eingriffe in ausgewiesene Biotope und Schutzgebiete ausgleichspflichtig und wenn sie aus umweltfachlicher Sicht zu erheblichen Auswirkungen führen. Das hat zur Folge, dass z.B. bei der Festen Fehmarnbeltquerung eine kurzzeitige Beeinflussung der benthischen Flora4 durch baubedingte Sedimentation nicht als umweltfachlich erheblich eingestuft wird, so dass hierfür auch kein Ausgleich zu leisten ist. Ebenso fremd ist in Dänemark eine Eingriffs- und Ausgleichsbilanzierung. Der Umfang der Eingriffe und der diesbezüglichen Ausgleiche wird verbalargumentativ dargestellt. Für die Überprüfung der Ausgleichsmaßnahmen und deren Erfolg, ist ein Monitoring aller Maßnahmen im Sinne einer Erfolgskontrolle erforderlich. Themen wie CO2 oder die Auswirkungen des Vorhabens auf die Fischereiwirtschaft spielen in der dänischen VVM eine gewichtige Rolle. Die VVM macht dabei nicht Halt an der Staatsgrenze, sondern betrachtet auch das deutsche Hoheitsgebiet. Beides sind jedoch Themen, die sich in der deutschen UVS nicht wiederfinden. Rein theoretisch kann das dazu führen, dass die unterschiedliche Verwendung von Schutzgütern und Bewertungsparametern zu einer nicht deckungsgleichen gesamthaften Auswirkungsprognose führen kann. Das gilt nicht für die Feste Fehmarnbeltquerung, ist aber grundsätzlich vorstellbar. ___________ 4
Benthische Flora: in der Bodenzone eines Gewässers vorkommende Pflanzen.
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Für den Vorhabenträger bedeutet das einen enormen Abstimmungs- und Steuerungsaufwand, um dafür Sorge zu tragen, dass beide Umweltverträglichkeitsstudien trotz methodischer Unterschiede und Herangehensweisen in sich stimmig sind und zum gleichen Gesamtergebnis führen. d) Espoo-Verfahren Die Feste Fehmarnbeltquerung wird aufgrund ihrer Lage in der Ostsee zumindest während der Bauphase grenzüberschreitende Umweltauswirkungen haben. Diese beziehen sich nicht nur auf das jeweils andere Hoheitsgebiet des Vorhabens, sondern auch auf den gesamten Ostseeraum, z.B. durch Sedimentverdriftungen, die durch die Baggertätigkeiten am Meeresgrund ausgelöst werden. Nach dem internationalen „Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen“ aus dem Jahr 1991 (der sogenannten Espoo-Konvention), sind die Behörden und die Öffentlichkeit anderer möglicherweise betroffener Nachbarstaaten vor der Zulassung des Projekts im Rahmen einer grenzüberschreitenden Umwelterträglichkeitsprüfung zu beteiligen, wenn ein Projekt grenzüberschreitende Umweltauswirkungen haben kann (so genanntes Espoo-Verfahren). Die Espoo-Konvention ist im § 8 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) umgesetzt, welches die grenzüberschreitende Behördenbeteiligung regelt. Danach übermittelt die zuständige deutsche Behörde (hier die Planfeststellungsbehörde) den betroffenen Staaten Planunterlagen, verbunden mit der Gelegenheit zur Stellungnahme. Diese Planunterlagenübermittlung muss zeitgleich zum Anhörungsverfahren im Planfeststellungsverfahren erfolgen, da die grenzüberschreitende Behördenbeteiligung nicht vom Planfeststellungsverfahren getrennt werden kann. Die von den zu beteiligenden Staaten eingegangenen Stellungnahmen werden im Planfeststellungsbeschluss berücksichtigt. Der Wortlaut des § 8 UVPG könnte die Vermutung zulassen, dass diese Norm Vorhaben im Blick hat, die an Küsten ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland liegen. Vor diesem Hintergrund ist es auch gerechtfertigt, dass aus deutscher Sicht die Allgemeinverständliche Zusammenfassung zur UVS die Planunterlage ist, die, übersetzt in die benötigten Sprachen, für die grenzüberschreitende Behördenbeteiligung zu verwenden ist. Wie verhält es sich jedoch, wenn sich das Vorhaben in mehreren Staaten befindet, so wie es bei der Festen Fehmarnbeltquerung der Fall ist? Ist es dann weiterhin opportun, mit den jeweiligen nationalen Allgemeinverständlichen Zusammenfassungen zur UVS in die grenzüberschreitende Behördenbeteiligung zu gehen? Könnte das nicht zu einer Verwirrung auf Seiten der zu beteiligenden Staaten führen, die auch darin begründet sein kann, dass die nationalen Umweltverträglichkeitsstudien unterschiedliche Methoden und Inhalte aufweisen können (siehe dazu Kapitel c) oben)? Aus Sicht des Vorhabenträgers stellt
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sich die Frage, ob die Erstellung eines gemeinsamen Umweltberichts möglicherweise eine Lösung wäre. Auch ein anderer Fall kann beim Espoo-Verfahren eine gewisse Brisanz enthalten: Wie wird die Reaktion der Behörden, aber auch der Öffentlichkeit sein, wenn die Genehmigungsverfahren bei Vorhaben, die in mehreren Ursprungsstaaten liegen, nicht zeitgleich beginnen können? Am Beispiel der Festen Fehmarnbeltquerung zeichnet sich ab, dass das dänische Genehmigungsverfahren vor dem deutschen Planfeststellungsverfahren beginnen wird. Das hat zur Folge, dass Deutschland über die grenzüberschreitende Behördenbeteiligung Dänemarks vor dem Planfeststellungsverfahren bereits über die Umweltauswirkungen des Vorhabens formal informiert und um Stellungnahme gebeten wird. Besteht hier theoretisch die Gefahr eines Präjudiz‘ seitens der Behörden für das später beginnende Planfeststellungsverfahren? Auf jeden Fall ist damit zu rechnen, dass in der Öffentlichkeit erhebliche Kritik an der nicht zeitgleichen Durchführung des dänischen und deutschen Genehmigungsverfahrens laut werden wird.
IV. Zusammenfassung Die grenzüberschreitende Planfeststellung wird von drei wesentlichen Herausforderungen bestimmt: unterschiedliche Sprachen, Kulturen und Rechtsysteme. Unterschiedliche Sprachen können Barrieren bilden, die in Verbindung mit mangelnden linguistischen Feinheiten in der jeweiligen Sprache Missverständnisse befördern und das Planungsgeschäft signifikant beeinflussen können. Kulturelle Unterschiede manifestieren sich in unterschiedlichen Denkweisen, Mentalitäten und der geübten Planungspraxis. Häufig treten dabei auch Vorurteile in den Vordergrund, die zu Fehleinschätzungen führen können. Unterschiedliche Rechtssysteme können eine unterschiedliche Akzentuierung und unterschiedlichen Detaillierungsgrad in den Antragsunterlagen für die Genehmigungsverfahren bewirken. Obwohl sich das Vorhaben im demselben Naturraum befindet, besteht potenziell die Gefahr, dass auf Grund unterschiedlicher Methodenanwendung in der Auswirkungsprognose nicht deckungsgleiche Ergebnisse auftreten können. Alles in allem muss sich im Ergebnis dessen der Vorhabenträger einem enormen Koordinierungs- und Steuerungsbedarf stellen.
Die Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes in der 17. Legislaturperiode Von Matthias Sauer Das Thema der umweltrechtlichen Verbandsklage erscheint nur auf den ersten Blick eine spröde Rechtsmaterie zu betreffen. Auf den zweiten Blick gehört es zu den Themen des Verwaltungsrechts in Deutschland, um das seit Jahren intensiv gerungen wird. Und es ist ein Thema, dem erhebliche praktische und politische Bedeutung zukommt.
I. Ausgangslage Ausgangspunkt ist, dass die Einlegung verwaltungsrechtlicher Rechtsbehelfe in Deutschland regelmäßig von der möglichen Verletzung eigener Rechte abhängt. Dieser Grundsatz ist in § 42 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) normiert. Danach muss ein Kläger oder eine Klägerin die Verletzung so genannter subjektiv-öffentlicher Rechte geltend machen. In der Regel können Rechtsvorschriften, denen diese Qualität zukommt, von Grundrechtspositionen abgeleitet werden. Im Umkehrschluss ist festzustellen, dass es im Rechtsschutzsystem Deutschlands grundsätzlich keine Geltendmachung von Interessen der Allgemeinheit gibt. Gegenüber diesem Befund wurden im Umweltbereich bereits in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, Forderungen nach einem Verbandsklagerecht laut, um auch die Allgemeingüter Natur und Umwelt adäquat schützen können. Ähnliche Entwicklungen gab es auch in anderen Bereichen: Beispielhaft sei das Sozialrecht genannt, das inzwischen Interessenverbänden für Menschen mit Handicaps Rechtsschutzbefugnisse einräumt oder auch das Verbraucherschutzrecht, welches eine Verbandsklage nach dem Unterlassungsklagengesetz, vergleichbar der früheren AGB-Klage, kennt.1 ___________ Der Autor ist Referatsleiter im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Dieser Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors wieder. Entwicklungen konnten bis zum Stichtag 26. April 2013 Berücksichtigung finden. 1 Siehe hierzu auch die Darstellung in Bundestagsdrucksache 16/2495 vom 4.9.2006, Seite 8.
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Im Naturschutzrecht wurde zunächst auf der Ebene vieler Bundesländer eine naturschutzrechtliche Verbandsklage eingeführt. Im Jahre 2002 wurde diese dann erstmals in das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) überführt und bundeseinheitlich vorgeschrieben. Nach der Föderalismusreform I wurde das Bundesnaturschutzgesetz vom Gesetzgeber neu gefasst. In diesem seit März 2010 geltendem Bundesnaturschutzgesetz wird die naturschutzrechtliche Verbandsklage nunmehr ohne wesentliche inhaltliche Veränderungen fortgeführt. Die heute in § 64 BNatSchG geregelte, naturschutzrechtliche Verbandsklage ermöglicht es anerkannten Naturschutzvereinigungen, Rechtsbehelfe gegen Planfeststellungsbeschlüsse von Behörden des Bundes oder der Länder sowie naturschutzrechtliche Befreiungen einzulegen und dabei Verletzungen naturschutzrechtlicher Bestimmungen geltend zu machen. Auf eine Verletzung von subjektiv-öffentlichen Rechten kommt es dabei gerade nicht an.
II. Das Aarhus-Übereinkommen der UN ECE Auch international hatte das Thema der umweltrechtlichen Verbandsklage große Bedeutung. Die entscheidende Wegmarke ist der Abschluss des Übereinkommens vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (so genannte Aarhus-Konvention)2 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN ECE). Die ECE mit Sitz in Genf ist die regionale Organisation der Vereinten Nationen für die Staaten Europas, wobei aus historischen Gründen zu den 55 Mitgliedsstaaten auch die USA und Kanada sowie alle Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion – und damit auch Staaten Zentralasiens – gehören. Ein wichtiger Tätigkeitsbereich der UN ECE ist der Umweltbereich, der im Rahmen von fünf multilateralen Übereinkommen mit verschiedenen Protokollen agiert. Hierzu gehört die Aarhus-Konvention, mit der unter anderem auch ein Beitrag zur Demokratiebildung nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs in Europa geleistet werden sollte und sicherlich auch weiterhin geleistet wird. Klassischerweise wird der Inhalt der Aarhus-Konvention drei Säulen zugeordnet, die (a) den Zugang zu Umweltinformationen, (b) die Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltschutz und (c) den Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten betreffen. Die Aarhus-Konvention ist im Jahre 2001 in Kraft getreten, also nach völkerrechtlichen Maßstäben sehr schnell. Aktuell sind 46 Staaten Vertragsparteien, wozu auch die Europäische Union (seit 2005) und Deutschland (seit 2007) gehören. Dieses ist juristisch möglich, weil die Aarhus-Konvention ein so genanntes ge___________ 2
Vgl. das Ratifikationsgesetz vom 9. Dezember 2006, Bundesgesetzblatt Teil II, Seite 1251.
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mischtes völkerrechtliches Übereinkommen darstellt, bei dem sowohl Kompetenzen der Europäischen Union als auch weiterhin originäre Kompetenzen der Europäischen Mitgliedsstaaten selbst betroffen sind. Bezogen auf den Gerichtszugang ist Artikel 9 der Aarhus-Konvention die Kernvorschrift. Artikel 9 Absatz 1 regelt den spezifischen Gerichtszugang in Bezug auf das Umweltinformationsrecht. Artikel 9 Absatz 3 betrifft den Rechtsschutz im Übrigen und ist auf Grund der juristischen Unschärfe der Vorschrift allein geeignet, um vertiefte Rechtsdiskussionen auszulösen. In diesem Beitrag steht jedoch Artikel 9 Absatz 2 im Mittelpunkt, der den Rechtsschutz in näher bestimmten Zulassungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung regelt. Für den Bereich des Rechtsschutzes werden damit die Vorgaben von Artikel 6 der Aarhus-Konvention gespiegelt, der Einzelheiten zum Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung regelt. Der Anwendungsbereich wird durch Anhang I der Aarhus-Konvention konkretisiert, der eine Anlagenliste enthält. Diese Liste ist bei der Schaffung der Konvention im Jahre 1998 stark an die entsprechenden Vorhabenlisten der seinerzeitigen Richtlinien der EU zur UVP und zur IVU3 angelehnt worden ist. Die hier maßgeblichen Passagen von Artikel 9 Absatz 2 der Aarhus-Konvention lauten wie folgt: „(2) Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, a) die ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsprozessrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Artikel 6 und (…) sonstige einschlägige Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten. Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmt sich nach den Erfordernissen innerstaatlichen Rechts und im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder nichtstaatlichen Organisation, (…), als ausreichend im Sinne des Buchstaben a. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne des Buchstaben b verletzt werden können. (…)
___________ 3 Vgl. Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. EG vom 14. März 1997, Nr. L 73, Seite 5 sowie Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. EG vom 10. Oktober 1996, Nr. L 257, Seite 26.
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III. Die Richtlinie 2003/35/EG Wie dargelegt ist die Europäische Union Vertragspartei der Aarhus-Konvention der UN ECE. Multilaterale Übereinkommen des Völkerrechts, die die Europäische Union binden, gehören rechtssystematisch zum EU-Primär-recht. Dennoch musste die Europäische Union ihr Sekundärrecht an die Konvention anpassen bzw. ein solches Sekundärrecht schaffen, soweit es noch nicht existierte. Hierzu hat die Europäische Union verschiedene Richtlinien erlassen. Im Kontext dieses Beitrages besonders relevant ist die Richtlinie 2003/35/EG4. Diese Richtlinie dient der Umsetzung der Vorgaben der Aarhus-Konvention auf EU-Ebene unter anderem in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung nach Artikel 6 der Konvention und den Gerichtszugang nach Artikel 9 Absatz 2 der Konvention. Rechtstechnisch wurden hierzu die UVP-Richtlinie (heute kodifiziert)5 und die IVU-Richtlinie (heute IE-Richtlinie)6 geändert, da diese beiden Richtlinien mit ihren Anlagenlisten wie dargestellt Pate für die Konkretisierung des Anwendungsbereichs nach Anhang I der Aarhus-Konvention gestanden haben. Ergebnis der Verhandlungen zum Gerichtszugang ist im hier interessierenden Kontext der heutige Artikel 11 Absatz 1 und 3 der UVP-Richtlinie 2011/92/EU (kodifiziert), der inhaltlich dem heutigen Artikel 25 der IE-Richtlinie entspricht: „(1) Die Mitgliedstaaten stellen im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entschei-
___________ 4 Vgl. Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl. EU vom 25. Juni 2003, Nr. L 156, Seite 17. 5 Vgl. Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (Kodifizierter Text), ABl. EU vom 28. Januar 2012, Nr. L 26, Seite 1. 6 Vgl. Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung), ABl. EU vom 17.12.2010, Nr. L 334, Seite 17.
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dungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten. (3) Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation (…) als ausreichend im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a dieses Artikels. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne von Absatz 1 Buchstabe b dieses Artikels verletzt werden können.“
Im Vergleich mit Artikel 9 Absatz 2 der Aarhus-Konvention fällt auf, dass die Bestimmungen in ihrem Regelungsgehalt nahezu wortidentisch sind und sprachliche Unterschiede nur auf der jeweiligen rechtssystematischen Einbettung beruhen. Dies macht deutlich, dass der Unionsgesetzgeber bestehende Umsetzungsspielräume bei den Vorgaben der Konvention nicht weiter einschränken wollte, sondern diese uneingeschränkt den EU-Mitgliedsstaaten zugebilligt hat.
IV. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz von 2006 Der Bundesgesetzgeber war verpflichtet die Richtlinie 2003/35/EG bis zum 25. Juni 2005 umzusetzen. Die Umsetzungsfrist verstrich jedoch ohne nationale Umsetzung, weil unerwartet im Jahre 2005 eine Neuwahl des Deutschen Bundestages erforderlich geworden war. Dies führte für eine Übergangszeit zu einer Direktgeltung der Richtlinie 2003/35/EG, bis im Dezember 2006 das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) in Kraft trat.7 Dieses Gesetz (im Folgenden „UmwRG 2006“ genannt) gilt ergänzend zur VwGO und galt parallel zur naturschutzrechtlichen Verbandsklage. 1. Überblick über den Inhalt des Gesetzes § 1 des UmwRG 2006 normiert den Anwendungsbereich. Dazu gehören alle Zulassungsentscheidungen für UVP-Vorhaben im Sinne von § 2 Absatz 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG). Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die UVP-Pflicht auf Grund des UVPG des Bundes, auf Grund der – seit der Diskussion um das so genannte Fracking bekannt gewordene – UVP-Verordnung Bergbau oder auf Grund des Landesrechts bestehen kann. Die zweite Gruppe des gesetzlichen Anwendungsbereichs dient der Umsetzung der IVU- bzw. heute der IE-Richtlinie. Dazu gehörten ursprünglich alle Anlagen, die einer Genehmigungspflicht nach Spalte 1 des Anhangs der ___________ 7
Vgl. Gesetz vom 7. Dezember 2006, Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 2816.
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4. BImSchV unterliegen. Mit dem Inkrafttreten des IE-Richtlinien-Paketes8 am 2. Mai 2013 betrifft dies alle Anlagen, die in der Spalte c des Anhangs 1 der neuen 4. BImSchV mit dem Buchstaben „G“ gekennzeichnet sind. Hinzukommen wasserrechtliche Erlaubnisse, die entweder UVP-pflichtig sind und/oder mit einer vorgenannten Industrieanlage verbunden sind. Des Weiteren unterfallen abfallrechtliche Planfeststellungsbeschlüsse zum Anwendungsbereich. Zum Anwendungsbereich gehört zudem auch, dass ein Unterlassen der vorgenannten Entscheidungen geltend gemacht wird. Aufsichtsmaßnahmen sind demgegenüber grundsätzlich nicht erfasst. Einzige Ausnahme sind Entscheidungen nach Maßgabe von § 17 Absatz 1a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Später, mit der Umsetzung der Umwelthaftungsrichtlinie 2004/35/EG9, verwies das Umweltschadensgesetz für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen oder deren Unterlassen nach diesem Gesetz ebenfalls auf das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz. Im Text des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes selbst wurde dieser Fallgruppe erst durch die Novelle 2013 ausdrücklich verankert. § 2 UmwRG 2006 ist die Kernvorschrift des Gesetzes für Rechtsbehelfe von Vereinigungen. Über den Schwerpunkt dieses Beitrages hinaus ist für die aktuell geführte Diskussion vor allem auch Absatz 3 der Bestimmung von Belang, der eine im deutschen Recht übliche, allgemeine Präklusion normiert. § 3 UmwRG 2006 regelt für Umweltvereinigungen, die Rechtsbehelfe einlegen wollen, ein Anerkennungsverfahren. Die Anerkennungskriterien orientierten sich erkennbar an den bewährten Kriterien, die zuvor im Naturschutzrecht entwickelt worden sind. Durch die Novellierung im Jahre 2010 wurde das Anerkennungsverfahren auch für Naturschutzverbände vereinheitlicht und zentral im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz geregelt, so dass Parallelregelungen in den Naturschutzgesetzen des Bundes und der Länder entfallen konnten. Die Zuständigkeit für die Anerkennung von Umweltvereinigungen ist seitdem zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. § 4 UmwRG 2006 regelt als Spezialvorschrift, wie mit Fehlern bei der Anwendung von Verfahrensvorschriften umzugehen ist. Die Bestimmung findet in Fällen Anwendung, in denen gerügt wird, dass eine vorgeschriebene UVP unzulässig unterlassen worden ist oder dass eine UVP-Vorprüfung unzulässig unterlassen oder unrichtig durchgeführt worden ist. Die dritte Fallkonstellation verbarg sich im UmwRG 2006 in der gesetzlichen Vorgabe der Erforderlichkeit ___________ 8 Vgl. Gesetz vom 8. April 2013, Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 734 sowie zwei Artikelverordnungen. 9 Vgl. Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 21. April 2004 über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABl. EU vom 30.04.2004, Nr. L 143, Seite 56.
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einer UVP. Da die Rechtsprechung dem zum Teil nicht gefolgt ist, hat der Gesetzgeber dies im Kontext der Novellierung 2013 erneut klar gestellt. Die Vorschrift des § 4 UmwRG tritt ergänzend zur Grundsatzbestimmung des § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) hinzu und verdrängt diesen nur soweit die speziell geregelten Fallkonstellationen vorliegen. Aus § 4 UmwRG folgt eine Beseitigung des Verfahrensfehlers oder wo dies nicht möglich ist, ein Aufhebungsanspruch der angegriffenen Behördenentscheidung. Dieser Anspruch ist als eigenständiges subjektiv-öffentliches Recht von anerkannten Umweltvereinigungen oder auch von natürlichen oder juristischen Personen ausgestaltet. Auch dies wird von der Praxis vereinzelt verkannt und zusätzlich die Rüge eines weiteren möglicherweise verletzten subjektiv-öffentlichen Rechts verlangt. Dem ist der Gesetzgeber in der amtlichen Begründung zum Änderungsgesetz 2013 nunmehr eindeutig entgegengetreten.10 § 5 des UmwRG 2006 enthält eine – übliche – Übergangs- und Überleitungsvorschrift, die aktuell vor allem wegen eines dazu aktuell anhängigen Vorlageverfahrens des Bundesverwaltungsgerichtes beim Europäischen Gerichtshof von Interesse ist (siehe hierzu im Abschnitt VII.). 2. Insbesondere § 2 Absatz 1 UmwRG 2006 „(1) Eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung 1. geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen, Rechte Einzelner begründen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht, 2. geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein, und 3. zur Beteiligung in einem Verfahren nach § 1 Abs. 1 berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist.“
Dem UmwRG 2006 ging eine intensive und kontroverse politische und juristische Debatte zur umweltrechtlichen Verbandsklage voraus. Ziel der Bundesregierung war es, im Gesetz eine Gleichstellung der rügefähigen Rechte von Umweltverbänden und Privatpersonen zu erreichen. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion wurde aber vor allem das Kriterium der „Rechtsvorschriften, die … Rechte Einzelner begründen“ als EU-Recht und Aarhus-Konvention wi___________ 10
Vgl. Bundestagsdrucksache 17/10957 vom 10.10.2012, Seite 17.
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dersprechend kritisiert. Hintergrund ist auch, dass kein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union die Vorgaben der Richtlinie 2003/35/EG derart restriktiv umgesetzt hat. Durch das UmwRG 2006 ist erstmals eine Verbandsklagemöglichkeit auch bei Genehmigungen für Industrieanlagen eingeführt worden ist. Zugleich war die frühere Problematik der so genannten „Sperrgrundstücke“ erledigt, da Verbände nunmehr unmittelbar klagen durften. Weiterhin nicht rügefähig war die Verletzung von Rechtsvorschriften zum Schutz der Allgemeinheit. Konkret bestand keine Justiziabilität von
naturschutzrechtlichen Normen bei Industrieanlagen, großen Teilen des Wasserrechts und Umweltvorschriften, die nicht der Gefahrenabwehr, sondern der Umweltvorsorge dienen.
Entgegen den im politischen Raum geäußerten Befürchtungen hat die Umweltverbandsklage nach dem UmwRG 2006 aber auch keine Klageflut ausgelöst hat: Der Anteil der Umweltverbandsklagen an allen verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Deutschland pro Jahr beträgt relativ konstant nur 0,03%. Zugleich sind Verbandsklagen aber ungefähr doppelt so erfolgreich wie Klagen von Privatpersonen (ca. 40% zu 10%).11
V. Das Trianel-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. Mai 2011 Die Fachöffentlichkeit erwartete seit längerem eine Lösung der Streitfrage zur Europarechtskonformität des UmwRG 2006 durch den Europäischen Gerichthof (EuGH). Im Februar 2009 wurde dafür der Weg geebnet, weil das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Landes Nordrhein-Westfalen sich mit einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gewandt hatte. Verfahrensgegenstand war eine Klage des B.U.N.D. gegen eine Genehmigung, konkret Vorbescheid und 1. Teilgenehmigung, die das Regierungspräsidium Arnsberg der Trianel GmbH für ein geplantes Kohlekraftwerk am Standort Lünen erteilt hatte. Der geplante Standort im Ausgangsfall lag ungefähr 8 km von einem Natura 2000-Gebiet entfernt. Aus Sicht des OVG konnte unter anderem – die immissionsschutzrechtlichen Fragen wurden vor dem EuGH nicht vertieft erörtert – eine Verletzung von Bestimmungen der EU-Naturschutzrechts vorliegen. Die Rüge dieser Be___________ 11 Vgl. Schmidt, Alexander/Zschiesche, Michael/Tryjanowski, Alexandra: Die Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010 – Ergebnisse neuer empirischer Untersuchungen, in NuR (2012) 34, Seite 81 f.
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stimmungen durch eine anerkannte Umweltvereinigung war aber nach § 2 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 5 Satz 1 Nummer 1 UmwRG 2006 im Rahmen einer umweltrechtlichen Verbandsklage ausgeschlossen.12 Die mündliche Verhandlung vor dem EuGH fand im Juni 2010 statt. Bereits in dieser Sitzung deutete die Generalanwältin Frau Sharpston (UK) ihre negative Bewertung des Falles durch das Bonmot „Fish don’t walk into the court“ an. Dem entsprachen dann auch ihre im Dezember 2010 vorgelegten Schlussanträge, die den engen Zugang zum deutschen Verwaltungsprozess bei gleichzeitiger umfassender Prüftiefe des Gerichts mit dem Bild des Ferraris mit verschlossenen Türen verglich, bei dem es wenig helfe, wenn das System als solches für bestimmte Kategorien von Klagen nicht zugänglich sei.13 Am 12. Mai 2011 wurde dann das heute so genannte „Trianel-Urteil“ durch den EuGH verkündet.14 Danach wurde die umweltrechtliche Verbandsklage gemäß dem UmwRG 2006 als europarechtswidrig bewertet. Aus der Artikel 10a [jetzt: 11] der UVP-Richtlinie, mit dem die Europäische Union Vorschriften der UN ECE Aarhus-Konvention über den Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten umgesetzt hat, folge, dass Umweltverbände zwingend die Verletzung aller für die Zulassung von Vorhaben maßgeblichen Umweltvorschriften geltend machen können, die auf dem Unionsrecht basieren. Dies schließe auch solche Vorschriften ein, die allein den Interessen der Allgemeinheit dienen und keinen drittschützenden Charakter haben. Für die Übergangszeit bis die Richtlinie im deutschen Recht ordnungsgemäß umgesetzt ist, konnten Umweltverbände Rechtsbehelfe unmittelbar auf die Bestimmungen der Richtlinie stützen und dabei auch eine Verletzung solcher Umweltvorschriften geltend machen, für die das deutsche UmwRG bislang keine Verbandsklage vorgesehen hatte. Zu den unmittelbaren Folgen des Urteils gehört, dass die seit 2003 politisch und rechtswissenschaftlich kontrovers diskutierte Streitfrage damit abschließend entschieden wurde. Fest steht zudem, dass die Entscheidung keine Auswirkungen auf das tradierte Rechtsschutzsystem für Individualklagen von Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland hat; für diesen Personenkreis wurde dem deutschen Recht eine europarechtskonforme Umsetzung vom EuGH ausdrücklich bestätigt.15 Wichtig ist auch, dass das Urteil zu keinen Rückwirkungen für bereits bestandskräftig abgeschlossene Zulassungsverfahren für Industrieanlagen und Infrastrukturmaßnahmen geführt hat. ___________ 12 Vgl. Vorlagebeschluss des OVG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. März 2009, Az. 8 D 58/08.AK. 13 Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Eleanor Sharpston (UK) vom 16. Dezember 2010, insbesondere Rn. 77. 14 Vgl. Urt. vom 12. Mai 2011, Rechtssache C-115/09. 15 Vgl. Urt. des EuGH vom 12. Mai 2011, Rechtssache C-115/09, Rn. 45.
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Weitere unmittelbare Folge der Entscheidung ist, dass die nationalen Gerichte das EU-Recht nun bis zur gesetzlichen Neuregelung unmittelbar anwenden mussten: zumindest soweit Umweltschutzvorschriften auf Europarecht basieren, war das Kriterium „Rechte Einzelner begründen“ in § 2 Absatz 1 und 5 UmwRG 2006 nicht mehr anzuwenden. Dem entsprechend konnten nunmehr bei vielen Industrieanlagen und Infrastrukturmaßnahmen
naturschutzrechtliche Normen, große Teile des Wasserrechts, und Umweltvorschriften, die nicht der Gefahrenabwehr, sondern der Umweltvorsorge dienen,
erstmals von anerkannten Umweltvereinigungen in Rechtsbehelfsverfahren gerügt werden. Die gerichtliche Spruchpraxis in Deutschland ist dem gefolgt.16
VI. Die Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes im Jahre 2013 Nach dem Trianel-Urteil des EuGH stand fest, dass das UmwRG 2006 teilweise europarechtswidrig war. Damit lebte die Umsetzungsverpflichtung aus der Richtlinie 2003/35/EG wieder auf. Der EU-Mitgliedsstaat Deutschland war verpflichtet, so schnell wie möglich das nationale Umsetzungsrecht anzupassen. Ein erster Vorschlag dazu war ein Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN17. Dem sind der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung nicht gefolgt, weil die darin vorgesehene Umsetzung des Trianel-Urteils mit weiteren Gesetzesänderungen verknüpft werden sollte (z.B. Anerkennungsfähigkeit von Stiftungen, die im Regelfall das Kriterium der Binnendemokratie nach § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 UmwRG 2006 nicht erfüllen können, sowie eine Erweiterung des § 4 UmwRG 2006 auf andere als dort genannte Verfahrensfehler).
___________ 16 Vgl. beispielsweise: Urt. des VGH des Landes Baden-Württemberg vom 20. Juli 2011 zum Kraftwerk Mannheim (10 S 2102/09); Urt. des BVerwG vom 29. September 2011 zu einer BImSchG-Genehmigung für eine Verbrennungsanlage (BVerwG 7 C 21.09); Urt. des OVG des Landes Nordrhein-Westfalen vom 1. Dezember 2011 zu Trianel (8 D 58/08.AK). 17 Vgl. Bundestagsdrucksache 17/7888 vom 22.11.2011.
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1. Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens Als zweites legte die Bundesregierung ihren Entwurf vor: Im Dezember 2011 wurde die Ressortabstimmung zu einem Referentenentwurf zur Änderung des UmwRG durch das BMU eingeleitet. Dieser Entwurf war als Artikelgesetz aufgebaut und enthielt weitere Rechtsänderungen anderer Gesetze und Verordnungen, die im Zusammenhang mit der nationalen Umsetzung von EU-Recht standen. Einige Themen des Entwurfs waren von eigenständigem öffentlichem Fachinteresse. Die Dauer der Beratung zum UmwRG innerhalb der Bundesregierung belegt eine intensive Diskussion. Zu einem fortgeschriebenen Gesetzentwurf fand dann im Mai/Juni 2012 die Länder- und Verbändeanhörung statt. Die Bundesregierung beschloss dann am 18. Juli 2012 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des UmwRG und anderer umweltrechtlicher Vorschriften.18 Die Stellungnahme des Bundesrates vom 21. September 201219 bewertete vor allem die vorgesehenen Änderungen zu § 1 Absatz 3 und den §§ 4 und 4a des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes sehr kritisch. Das weitere Gesetzgebungsverfahren verlief dann sehr zügig: Im Oktober 2012 beschloss die Bundesregierung ihre Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates.20 Ebenfalls im Oktober 2012 erfolgte die Erste Lesung im Deutschen Bundestag und der federführende Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit führte eine öffentliche Sachverständigenanhörung durch. Das parlamentarische Verfahren endete am 8. November 2012 mit der Zweiten und Dritten Lesung im Deutschen Bundestag.21 Dabei wurde der Gesetzentwurf in Bezug auf das UmweltRechtsbehelfsgesetz nur in kleineren Detailpunkten geändert. Am 14. Dezember 2012 fand dann der Zweite Durchgang im Bundesrat statt.22 Der Bundesrat ließ das zustimmungsfreie Gesetz passieren, obwohl die vorherige Ausschussempfehlung sich noch aus mehreren Gründen für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses ausgesprochen hatte.23 Die Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt und das Inkrafttreten der Änderungen zum UmweltRechtsbehelfsgesetz erfolgte dann Ende Januar 2013 (im Folgenden „UmwRG 2013“ genannt).24
___________ 18
Vgl. Bundesratsdrucksache 469/12 vom 10. August 2012. Vgl. Bundesratsdrucksache 469/12 – Beschl. vom 21. September 2012. 20 Vgl. Bundestagsdrucksache 17/10957 vom 10. Oktober 2012, Seite 30 f. 21 Vgl. Bundestagsdrucksache 17/11393 vom 7. November 2012 und Bundesratsdrucksache 707/12 vom 23. November 2012. 22 Vgl. Bundesratsdrucksache 707/12 – Beschl. vom 14. Dezember 2012. 23 Vgl. Bundesratsdrucksache 707/1/12 vom 3. Dezember 2012. 24 Vgl. Gesetz vom 21. Januar 2013, Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 95. 19
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2. Leitgedanken des Gesetzes – politische und juristische Diskussion Die Umsetzung des Trianel-Urteils erforderte als Minimum die Aufgabe des Kriteriums „Rechte Einzelner begründen“ in § 2 Absatz 1 und 5 UmwRG 2006. In diesem Kontext wurden jedoch drei wichtige Aspekte diskutiert, die für die Lösung des Gesetzgebers maßgeblich gewesen sind. Der erste Punkt betraf die Frage, ob die Erweiterung der Rügebefugnis für Umweltvereinigungen nur hinsichtlich solcher Umweltschutzvorschriften erfolgen solle, die auf EU-Recht basieren, oder ob eine solche Erweiterung in Bezug auf alle deutschen Umweltschutznormen erfolgen müsse. Diese Frage ist von erheblicher praktischer Bedeutung. In der politischen Diskussion wurde eine solche Begrenzung aus Kreisen der deutschen Wirtschaft sowie von der Landesebene durchaus gefordert. Der EuGH hat diese Frage offen gelassen und nur verlangt, dass (zumindest) Umweltschutzvorschriften, die auf EU-Recht basieren, rügefähig sein müssen. Ob er diese Frage auf Grund der Verfahrensform einer Vorlage durch ein nationales Gericht auch offenlassen durfte, obwohl die Europäische Union selbst Vertragspartei der Aarhus-Konvention ist, mag durchaus unterschiedlich beurteilt werden. Für den Vollzug von Behörden und Gerichten hätte eine Einschränkung auf EU-rechtsbasierte Normen aber eine erhebliche Herausforderung dargestellt. Denn wie hätte der Gesetzgeber eine solche Einschränkung normieren sollen? Eine Liste aller einschlägigen Rechtsvorschriften ist undenkbar, wenn man bedenkt, dass das deutsche Umweltrecht zu ca. 80% vom EU-Recht vorgeprägt wird und dieses Rechtsgebiet sich sowohl auf der EU- als auch auf der nationalen Ebene weiterhin dynamisch fortentwickelt. Zudem gibt es viele Rechtsnormen, die nicht eindeutig zugeordnet werden können, weil sie zwar vom EURecht abgeleitet sind, zugleich aber durch das nationale Recht ausgeformt, ergänzt oder in den bestehenden nationalen Rechtsrahmen eingepasst worden sind. Aus einer unterschiedlichen anteiligen EU-Rechtsbasis für deutsche Rechtsvorschriften können aber einheitliche Folgen für die Rügefähigkeit nur schwer abgeleitet werden. Daher wäre für den Gesetzgeber stattdessen allein eine abstrakte Rechtsregel in Betracht gekommen, wonach sich die Rügefähigkeit auf EU-rechtsbasierte Normen beschränkt. Damit wäre aber dem Vollzug von Behörden und Gerichten Steine statt Brot zur Verfügung gestellt worden, weil die dargestellten schwierigen Abgrenzungsfragen nicht gelöst, sondern nur zu Lasten der Praxis verschoben worden wären. Der Gesetzgeber musste allerdings auch die rechtlichen Rahmenbedingungen beachten, nach denen im Ergebnis bei dieser Frage kein nationaler Handlungsspielraum verblieben ist. Hierfür ist maßgeblich, dass Deutschland eine eigenständige Vertragspartei der Aarhus-Konvention ist und daher völkerrechtlich durch dieses Übereinkommen selbst gebunden wird. Die Auslegung der
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Gerichtszugangsregelungen in den EU-Richtlinien zur UVP und zur IVU (heute: IED) durch den EuGH ist uneingeschränkt auf die wortidentische Vorgabe von Artikel 9 Absatz 2 der Aarhus-Konvention zu übertragen. Bei der Schaffung der Richtlinie 2003/35/EG war es wie dargelegt gerade Ziel der Europäischen Union durch eine möglichst wortgetreue Übernahme von Artikel 9 Absatz 2 der Aarhus-Konvention in das Unionsrecht etwaige Handlungsspielräume der Konvention für die Mitgliedstaaten der EU zu erhalten. Dann kann aber umgekehrt auch die Auslegung der EU-Bestimmungen und der Konventionsregelung nicht voneinander abweichen, hier muss ein einheitlicher Maßstab angelegt werden. Die Bundesregierung hat daher im Regierungsentwurf vorgeschlagen, dass alle umweltrechtlichen Vorschriften des deutschen Rechts grundsätzlich durch anerkannte Umweltvereinigungen rügefähig sein können, unabhängig davon auf welchen Vorgaben, diese Bestimmungen bei ihrer Schaffung beruht haben. Diese praxisnahe, weil praktikable, Lösung hat im Gesetzgebungsverfahren viel Zuspruch erhalten. Der Bundesgesetzgeber ist dem im Ergebnis auch gefolgt. Ein zweiter Punkt, der sehr frühzeitig in der Diskussion auf die Tagesordnung gesetzt worden ist, betraf die Frage nach der Notwendigkeit flankierender Maßnahmen für die auf Grund des Trianel-Urteils erforderliche Erweiterung der Rechtsbehelfsmöglichkeiten für Verbände. Diese Fragestellungen gehen zurück auf eine Forderung von Teilen der deutschen Wirtschaft, wonach als „Ausgleich“ für die erweiterte umweltrechtliche Verbandsklage verbesserte Rahmenbedingungen bei Investitionsvorhaben bei Industrieanlagen und Infrastrukturmaßnahmen notwendig seien. Exemplarisch für diese Forderung ist das Positionspapier des BDI vom Oktober 201125 zu nennen, welches unter anderem eine Einschränkung des verwaltungsgerichtlichen Untersuchungsgrundsatzes, eine weitere Verschärfung der Präklusionsvorschriften, eine Beweislastumkehr sowie einen generellen Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen vorsah. Unabhängig von den Argumenten Pro und Contra zur aufgeworfenen Grundsatzfrage als auch zu den Einzelforderungen stand diese Diskussion in einem engen Zusammenhang mit einem dritten Punkt. Dies betraf die wichtige Folgefrage, ob die Geltung eventueller flankierender Maßnahmen nur für umweltrechtliche Verbandsklage erfolgen solle oder ob eine Erstreckung auch auf Rechtsbehelfe von Privatpersonen notwendig sei. Die genannten Forderungen von Teilen der deutschen Wirtschaft zielten auf flankierende Maßnahmen ausschließlich zu Lasten von Umweltvereinigungen ab. Demgegenüber war aus Sicht der Bundesregierung aber die juristische Vorfrage zu klären, ob nach dem bestehenden Rahmen des EU- und des Völker___________ 25
Vgl. Positionspapier des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. vom 11. Oktober 2011 zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes.
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rechts eine Differenzierung dahingehend, dass ein (belastendes) Sonderrecht allein für Umweltvereinigungen geschaffen werden sollte, überhaupt möglich ist. Im Ergebnis hat die Bundesregierung diese Frage verneint. Artikel 9 Absatz 2 der Aarhus-Konvention und die Bestimmungen der beiden EU-Richtlinien sehen einen Gerichtszugang für die betroffene Öffentlichkeit vor. Dieser Begriff der „betroffenen Öffentlichkeit“ wird sowohl in der Aarhus-Konvention als auch in den EU-Richtlinien definiert als die „von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse.“ Zur „Öffentlichkeit“ zählen dabei „eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen.“ Die genannten Voraussetzungen nach innerstaatlichem Recht, die Umweltvereinigungen erfüllen müssen, sind abschließend durch das Anerkennungsverfahren nach § 3 UmwRG festgelegt. Anerkannte Umweltvereinigungen stehen danach natürlichen und juristischen Personen gleich. Soweit das Rechtsbehelfsverfahren selbst betroffen ist, müsste sich jeglicher Spielraum für eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Teile der betroffenen Öffentlichkeit aus den Gerichtszugangsregelungen von Artikel 9 Absatz 2 der Aarhus-Konvention und den jeweiligen Richtlinienbestimmungen selbst ergeben. Diese Bestimmungen ermächtigen allein zu einer unterschiedlichen Behandlung bei der Frage, ob die Rechtsbehelfe der betroffenen Öffentlichkeit durch das nationale Prozessrecht von einer geltend gemachten Rechtsverletzung oder einem geltend gemachten Interesse abhängig gemacht werden dürfen. In Bezug auf Umweltvereinigungen wird nach dem Trianel-Urteil davon jedoch eine Ausnahme zugunsten von Umweltvereinigungen geregelt, weil für Umweltvereinigungen stets das Vorliegen einer Rechtsverletzung oder eines Interesses fingiert wird. Darüber hinaus wird den Vertrags- bzw. Mitgliedsstaaten kein Spielraum eingeräumt. Das Ergebnis dieser Bewertung hat natürlich Folgen für die weitere rechtliche Betrachtung von eventuellen flankierenden Maßnahmen. Wenn der Gesetzgeber flankierende Maßnahmen für den Zugang zu Gericht einführen will, kann er dies nur einheitlich für alle Arten von Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit tun. Eine weitere Differenzierung ist ihm nach dem Vorgesagten völker- und europarechtlich verwehrt. Mit anderen Worten, flankierende Maßnahmen müssen Wirkung sowohl für Rechtsbehelfe anerkannter Umweltvereinigungen als auch für Rechtsbehelfe von Bürgerinnen und Bürgern entfalten. Vor diesem Hintergrund kommt dann allerdings eine weitere Hürde hinzu. Wenn der Gesetzgeber in das Rechtsbehelfsverfahren von Bürgerinnen und Bürgern eingreift, muss er zwingend die verfassungsrechtliche Schranke der
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Rechtsweggarantie nach Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes einhalten, nach der ein effektiver Rechtsschutz zu gewährleisten ist. Auf Basis dieser rechtlichen Vorgaben hat sich der Gesetzgeber zu den hier diskutierten Punkten 2 und 3 für die Schaffung des neuen § 4a UmwRG 2013 entschieden. Diese Vorschrift beinhaltet solche flankierenden Maßnahmen für das Rechtsbehelfsverfahren, die nach der durchgeführten Prüfung der Bundesregierung unter verfassungsrechtlichen wie unter völker- und europarechtlichen Gesichtspunkten als zulässig bewertet worden sind.26 Im Kern beinhaltet § 4a UmwRG 2013 für drei Regelungsbereiche Maßgaben für die Anwendung der Verwaltungsgerichtsordnung bei Rechtsbehelfen von Bürgerinnen und Bürgern sowie von Umweltvereinigungen in Bezug auf Behördenentscheidungen im Sinne von § 1 UmwRG 2013: 1. 2.
3.
§ 4a Absatz 1 UmwRG 2013 führt eine (vom Gericht verlängerbare) Klagebegründungsfrist ein – entsprechend dem Vorbild im Verkehrsfachplanungsrecht. § 4a Absatz 2 UmwRG 2013 normiert eine eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit der Anwendung umweltrechtlicher Vorschriften mit Beurteilungsermächtigung, also mit einem andern Begriff bei Beurteilungsspielräumen. Damit soll die ständige Rechtsprechung der deutschen Gerichte zur Tatbestandsseite einer Norm festgeschrieben werden. Mit § 4a Absatz 3 UmwRG 2013 sollen die Anforderungen an die Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen erhöht werden. Bei der Abwägung zwischen dem Vollzugsinteresse und dem Suspensivinteresse soll das Gericht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme haben. Der Begriff der Ernsthaftigkeit der Zweifel greift die Begrifflichkeit von § 80 Absatz 4 Satz 3 VwGO sowie von § 124 Absatz 2 Nummer 1 VwGO auf. Die in der Praxis ebenfalls wichtige Betrachtung der Schwere der Eingriffsfolgen bleibt von dieser Neuregelung unberührt.
Die Schaffung von § 4a UmwRG 2013 war während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens sehr umstritten. Beispielsweise hat sich der Bundesrat im ersten Durchgang deutlich für eine ersatzlose Streichung ausgesprochen27 und auch im zweiten Bundesratsdurchgang sah die Ausschussempfehlung unter anderem zu diesem Punkt eine Anrufung des Vermittlungsausschusses vor.28 ___________ 26
Vgl. Bundestagsdrucksache 17/10957 vom 10. Oktober 2012, Seite 17 f. Vgl. Bundesratsdrucksache 469/12 – Beschl. vom 21. September 2012, Nummer 4. 28 Vgl. Bundesratsdrucksache 707/1/12 vom 3. Dezember 2012, Nummer 2. 27
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Nachdem die Vorschrift nunmehr geltendes Recht ist, bleibt abzuwarten, wie die Praxis mit ihr umgehen wird. 3. Weitere Änderungen durch das UmwRG 2013 In § 1 Absatz 1 UmwRG 2013 wurden, wie oben erwähnt, Entscheidungen nach Umweltschadensgesetz ausdrücklich aufgenommen. Ferner wurde in § 1 Absatz 3 UmwRG 2013 eine neue Abgrenzung zum Bundesnaturschutzgesetz vorgenommen, die sich von der Lösung des UmwRG 2006 unterschied. Während das UmwRG 2006 eine parallele Anwendbarkeit der Umweltverbandsklage nach dem UmwRG und der Naturschutzverbandsklage nach dem BNatSchG vorsah, regelt der neue § 1 Absatz 3 UmwRG 2013 nunmehr in Fällen, bei denen beide Instrumente anwendbar wären, einen Vorrang des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes. Auch diese Bestimmung war im Gesetzgebungsverfahren im Bundesrat umstritten, weil befürchtet wurde, dass die Folgen des § 4a UmwRG 2013 über diese Vorschrift auch Wirkungen für die naturschutzrechtliche Verbandsklage entfalten könnten.29 Dem ist die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung mit dem Argument entgegengetreten, dass § 4a UmwRG 2013 in allen Verfahren nach § 1 Absatz 1 UmwRG 2013 Geltung beansprucht.30 Dies hat zur Folge, dass bei naturschutzrechtlichen Verbandsklagen im Anwendungsbereich des § 1 Absatz 1 UmwRG 2013 stets § 4a UmwRG 2013 zu beachten ist, unabhängig davon, ob es einen § 1 Absatz 3 UmwRG 2013 gegeben hätte oder nicht. In § 4 UmwRG 2013 wurde eine Klarstellung zur Überprüfbarkeit durchgeführter UVP-Vorprüfungen mit negativem Ergebnis vorgenommen. Nach dem oben Gesagten war dies zwar bereits Regelungsgegenstand im UmwRG 2006, aber die gerichtliche Spruchpraxis ist dem vereinzelt nicht gefolgt. Insbesondere der Bundesrat hatte noch weitere Änderungen zu § 4 UmwRG 2006 gefordert, die der Gesetzgeber aber mit Blick auf eine anhängige Prüfung beim EuGH nicht übernommen hat, um dem Ergebnis dieses Verfahrens nicht vorzugreifen.31 Weitere Änderungen betreffen Folgeregelungen oder sind ausschließlich redaktioneller Natur.
___________ 29 Vgl. Bundesratsdrucksache 469/12 – Beschl. vom 21. September 2012, Nummer 1 und Bundesratsdrucksache 707/1/12 vom 3. Dezember 2012, Nummer 1. 30 Vgl. Bundestagsdrucksache 17/10957 vom 10. Oktober 2012, Seite 30. 31 Vgl. Rechtssache C-72/12 – Altrip.
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VII. Ausblick Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz wird voraussichtlich auch weiterhin eine dauerhafte Baustelle für den Gesetzgeber darstellen. Dieses ist bei Gesetzen mit einem Querschnittscharakter jedoch vielfach unvermeidlich. In der laufenden 17. Legislaturperiode wird das UmwRG noch durch das bereits beschlossene Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen geändert werden.32 Des Weiteren ist eine Folgeregelung in Bezug auf § 3 UmwRG im Gesetzentwurf zur Strukturreform des Gebührenrechts des Bundes vorgesehen, das derzeit noch im Gesetzgebungsverfahren anhängig ist.33 In Vorbereitung ist zudem eine Neubekanntmachung des UmwRG34. Ob es in der kommenden Legislaturperiode weiterer Änderungen des UmwRG bedarf, hängt von verschiedenen Verfahren auf völker- oder europarechtlicher Ebene ab: Zu nennen ist hier das laufende Compliance-Verfahren gegen Deutschland vor dem Überprüfungsgremium der Aarhus-Konvention, bei dem verschiedene Vorwürfe gegen die Ausgestaltung der umweltrechtlichen Verbandsklage in Deutschland Thema sind.35 Nach der mündlichen Anhörung Deutschlands im September 2012 ist mit einem voraussichtlichen Abschluss dieses Verfahrens auf der nächsten Vertragsstaatenkonferenz im Sommer 2014 zu rechnen. Beim EuGH ist ein Vorlageersuchen des Bundesverwaltungsgerichtes von Januar 2012 zu den §§ 4 und 5 UmwRG anhängig36. Nachdem die mündliche Verhandlung im Januar 2013 stattfand, sind die Schlussanträge für den Mai 2013 angekündigt worden. Neben der Frage, ob die Übergangsvorschrift des § 5 UmwRG 2006 die Richtlinie 2003/35/EG ordnungsgemäß umgesetzt hat oder nicht, geht es hier auch um das Verhältnis zwischen § 4 UmwRG 2006 einerseits und § 46 VwVfG andererseits. Bezogen auf die Vorlagefragen zu § 4 UmwRG 2006 ist erstaunlich, dass ein anderer Senat des Bundesverwaltungsgerichtes in einer zeitlich nahezu parallelen Entscheidung die Europarechtskonformität des § 4 UmwRG 2006 noch bestätigt hat.37 ___________ 32 Vgl. erfolgt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 8. April 2013, Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 734. 33 Vgl. Bundesratsdrucksache 305/12 vom 25. Mai 2012 und Bundesratsdrucksache 250/13 vom 12. April 2013. 34 Erfolgt durch Neufassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes vom 8. April 2013, Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 753. 35 Vgl. Communication ACCC/C/2008/31. 36 Vgl. Rechtssache C-72/12 – Altrip; Vorlagebeschl. des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10. Januar 2012 (BVerwG 7 C 20/11). 37 Vgl. Urteile des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24. November 2011 (BVerwG 9 A 23/10 und 9A 24/10).
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Zudem hat die Europäische Kommission im Jahre 2012 ein neues Vertragsverletzungsverfahren zum UmwRG gegen Deutschland eingeleitet38, bei dem unter anderem das Institut der Präklusion im Lichte des Urteils des EuGH vom 15.10.200939 im Mittelpunkt steht. Ferner muss der Bundesgesetzgeber die Richtlinie 2012/18/EU40 – die so genannte Seveso III-Richtlinie – in der kommenden Legislaturperiode umsetzen. Hier ist zu prüfen, ob der Artikel 23 dieser Richtlinie, der den Zugang zu Gerichten regelt, Anpassungen des nationalen Rechts bei der Ansiedelung neuer Betriebe, bei der Änderung bestehender Betriebe oder bei Entwicklungen in der Nachbarschaft erfordert. Eine offene Frage ist des Weiteren, ob die in der zuständigen Ratsgruppe der Europäischen Union laufenden Verhandlungen über eine Änderung der UVPRichtlinie der EU41 eventuell auch Folgen für den Gerichtszugang haben werden. Dies könnte beispielsweise mittelbar der Fall sein, wenn – was bisher nicht geplant ist – der europäische Gesetzgeber die Projektlisten der UVP-Richtlinie ändern sollte. Neben diesen Entwicklungen, die primär Artikel 9 Absatz 2 der AarhusKonvention betreffen, rückt zunehmend auch Artikel 9 Absatz 3 der AarhusKonvention in den Fokus, der den Rechtsschutz im Übrigen – neben Artikel 9 Absatz 1 und 2 der Aarhus-Konvention regelt –. Zu nennen sind die rechtswissenschaftlich kontrovers diskutierten und leider nicht sehr klaren Folgen des Urteils des EuGH vom 8. März 2011 zum „Slowakischen Braunbär“42. Bezogen auf Deutschland existiert inzwischen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte Wiesbaden und München43, die gestützt auf dieses Urteil des EuGH umweltrechtliche Verbandsklagen zu Luftreinehalteplänen zugelassen haben. Hierzu ist in einem Verfahren eine Sprungrevision vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig, deren Ergebnis abzuwarten bleibt. ___________ 38
Vgl. Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4267 – Kommission ./. Deutschland. Vgl. Rechtssache C-263/08 – Djurgaarden. 40 Vgl. Richtlinie 2012/18/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 4. Juli 2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates, ABl. EU vom 24. Juli 2012, Nr. L 197, Seite 1. 41 Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, COM(2012) 628 final vom 26. Oktober 2012. 42 Vgl. Rechtssache C-240/09 – Slowakischer Braunbär. 43 Vgl. Urteile des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden vom 16. August 2012 (4 K 165/12.WI) und vom 10. Oktober 2011 (4 K 757/11.WI); Urteil des Verwaltungsgerichtes München vom 9. Oktober 2012 (M 1 K 12.1046); Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 7 C 21.12). 39
Die Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes
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Offen ist auch weiterhin, inwieweit die Europäische Kommission zu Artikel 9 Absatz 3 der Aarhus-Konvention erneut eine Rechtsetzungsinitiative einleitet. Ein Vorschlag der Europäischen Kommission aus dem Jahre 2003 für eine allgemeine Gerichtszugangsrichtlinie zur dritten Säule zur Aarhus-Konvention ist seinerzeit im Rat blockiert worden.44 In ihrer Mitteilung vom 7. März 201245 als auch im Entwurf des 7. Umweltaktionsprogramms46 hat die Europäische Kommission aber angekündigt, auch zu diesem Thema wieder aktiv zu werden, um den zwischenzeitlichen Entwicklungen, vor allem der Spruchpraxis des EuGH, Rechnung tragen zu können. Als vorläufiges Fazit ist daher festzustellen, dass die Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes in der 17. Legislaturperiode eine für den Verwaltungsrechtsschutz in Deutschland wichtige Etappe, aber sicherlich nicht den Abschluss einer Entwicklung darstellt.
___________ 44 Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM(2003) 624 endgültig vom 24. Oktober 2003. 45 Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Konkrete Vorteile aus den Umweltmaßnahmen der EU: Schaffung von Vertrauen durch mehr Informationen und größere Reaktionsbereitschaft der Behörden, COM(2012) 95 final vom 7. März 2012. 46 Vgl. Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlamentes und des Rats über ein allgemeines Umweltaktionsprogramm der EU für die Zeit bis 2020 „Gut leben innerhalb der Belastbarkeitsgrenze unseres Planeten“, COM(2012) 710 final vom 29. November 2012.
Das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht als Instrument zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren Von Heribert Schmitz
I. Das Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren ist in seinen verschiedenen Entwurfsfassungen hier schon mehrfach vorgestellt worden.1 Ursprünglich war das Vorhaben unter der Bezeichnung Planungsvereinheitlichungsgesetz als Rechtsbereinigungsnovelle angelegt. Ein regelungssystematischer Sündenfall aus dem Jahr 2006 sollte bereinigt werden: Damals war mit dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz eine Reihe von Vorschriften zum Planfeststellungsverfahren gleichlautend in sechs Fachgesetzen eingeführt worden, weil der Weg über eine Anpassung der Verwaltungsverfahrensgesetze, die sowohl in Bund als auch bei den Ländern einheitlich hätten geändert werden müssen, langwieriger gewesen wäre.2 Inzwischen hat das Gesetz einen weiteren Schwerpunkt bekommen, der in der weiteren Diskussion oft als Kern der Novelle dargestellt wird.3 Im zeitlichen Zusammenhang mit dem – wohl für alle Beteiligten – zunächst überraschend vehementen Protest gegen das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ stand das Vorhaben – trotz intensiver Vorabstimmungen sowohl mit den hauptsächlich ___________ 1 Zu früheren Fassungen Prell, in: Ziekow, Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2008, 2009, S. 105; Schmitz, in: Ziekow, Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2010, 2011, S. 223; ders., in: Durner, Enteignung für den Straßenbau – Verfahrensvereinheitlichung – Privatisierung, 2011, S. 23. 2 Zum Verfahren der sog. Simultangesetzgebung Schmitz, in: Hill/Sommermann/Stelkens/Ziekow, 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven, 2011, S. 253. 3 Amtl. Entwurf BT-Dr 17/9666. Vgl. Bertrams, NWVBl 2012, 289 (291 ff.); Birk, DVBl 2012, 1000; Hertel/Munding, NJW 2012, 2622; Stender-Vorwachs, NVwZ 2012, 1061; Fehling, Bucerius Law Journal 2012, 92; Schmitz, BauR 2012, 1457; Prell, apf 2012, 321.
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Heribert Schmitz
betroffenen Ressorts als auch mit den Ländern – plötzlich in teils heftiger Kritik. Auch in der veröffentlichten Meinung führte ein Punkt zu teilweise heftigen Reaktionen. Diese wurden festgemacht an einer vermeintlichen Abschaffung des Erörterungstermins, die allerdings gar nicht Gegenstand des Gesetzentwurfs war. Außerdem wurde nunmehr kritisiert, dass der Entwurf nicht auf die Debatte um „Stuttgart 21“ reagiere. Was damals noch gar nicht möglich war – schließlich war die öffentliche Debatte ja noch in vollem Gange –, wird nun mit dem vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetz nachgeholt. Öffentlichkeitsbeteiligung in Planfeststellungs- oder Genehmigungsverfahren ist an sich nichts Neues. Sie ist ein wichtiges Element bei Planung und Genehmigung raumbedeutsamer Vorhaben und in zahlreichen Rechtsvorschriften bereits vorgesehen.4 Gerade das Anhörungsverfahren im Planfeststellungsverfahren mit seiner Möglichkeit zum unmittelbaren Austausch im Erörterungstermin ist ein Verfahrensinstrument, das sich in unzähligen Projekten bewährt hat. Es sollte nicht übersehen werden, dass Konfliktsituationen wie bei „Stuttgart 21“ die Ausnahme und bei Weitem nicht die Regel darstellen. Allerdings ist die Öffentlichkeit bislang erst dann zu beteiligen, wenn die Planungen weitgehend abgeschlossen sind. Im Planfeststellungsverfahren werden dann alle von dem Vorhaben Betroffenen schon jetzt umfassend beteiligt. Das Verwaltungsverfahren – und damit auch die Öffentlichkeitsbeteiligung – kann aber erst beginnen, wenn der Vorhabenträger den Plan bei der Behörde eingereicht hat. Darüber hinaus sind die bisherigen Beteiligungsformen vor allem darauf ausgerichtet, die unmittelbar Betroffenen vor vermeidbaren Rechtsbeeinträchtigungen zu bewahren. Auch wenn die aktuelle Diskussion sicher noch nicht am Ende angelangt ist, wird doch eines sehr deutlich: Es gibt ein gesteigertes Interesse an Information, Transparenz und Teilhabe bei wichtigen Vorhaben, sei es von privater oder öffentlicher Hand. Die Novelle setzt genau hier an. Sie will erreichen, dass eine Öffentlichkeitsbeteiligung nicht erst im förmlichen Verwaltungsverfahren, sondern weit vorher, nämlich bereits bei der Vorhabenplanung stattfindet. Außerdem soll sie möglichst offen und nicht nur auf rechtliche Aspekte fokussiert sein. Das Gesetz gründet auf umfassender Beratung im Beirat Verwaltungsverfahrensrecht5 ___________ 4 So bezweifeln Burgi/Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG, 2012, S. 178, einen grundsätzlichen Bedarf nach einer quantitativen Ausweitung der Öffentlichkeitsbeteiligung. 5 Vgl. Vorschläge des Beirats, Für mehr Transparenz und Akzeptanz – frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei Genehmigungsverfahren, NVwZ 2011, 859. Mehrere Mitglieder des Beirats haben sich auch gesondert dem Thema gewidmet: u. a. initiativ Birk, Offen und tolerant, FAZ 27.1.2011, S. 6; ders., NJW Editorial, Heft 30/2011; ders., DVBl 2012, 1000; umfassend Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zu-
Öffentlichkeitsbeteiligung u. Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren 153
und intensiver Diskussion im Kreis der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten von Bund und Ländern.
II. § 25 Abs. 3 VwVfG i.d.F. des PlVereinhG Die Behörde wirkt darauf hin, dass der Träger bei der Planung von Vorhaben, die nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf die Belange einer größeren Zahl von Dritten haben können, die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig über die Ziele des Vorhabens, die Mittel, es zu verwirklichen, und die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens unterrichtet (frühe Öffentlichkeitsbeteiligung). Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung soll möglichst bereits vor Stellung eines Antrags stattfinden. Der betroffenen Öffentlichkeit soll Gelegenheit zur Äußerung und zur Erörterung gegeben werden. Das Ergebnis der vor Antragstellung durchgeführten frühen Öffentlichkeitsbeteiligung soll der betroffenen Öffentlichkeit und der Behörde spätestens mit der Antragstellung, im Übrigen unverzüglich mitgeteilt werden. Satz 1 gilt nicht, soweit die betroffene Öffentlichkeit bereits nach anderen Rechtsvorschriften vor der Antragstellung zu beteiligen ist. Beteiligungsrechte nach anderen Rechtsvorschriften bleiben unberührt.
§ 25 Abs. 3 VwVfG trifft Regelungen für eine neue Form einer freiwilligen Öffentlichkeitsbeteiligung noch vor Beginn des eigentlichen Genehmigungsverfahrens. Diese frühe Öffentlichkeitsbeteiligung dient dazu, das Vorhaben bekannt und den Vorhabenträger frühzeitig auf mögliche Probleme aufmerksam zu machen. Er wird dadurch in die Lage versetzt, seine Planung bei Bedarf rechtzeitig so zu modifizieren, dass die Genehmigungsfähigkeit gewährleistet wird. Das sorgt für mehr Transparenz und Akzeptanz bei Großvorhaben. Dem liegt die Einschätzung zugrunde, dass eine breite und frühzeitige Beteiligung dazu beiträgt, die Entstehung von Konflikten zu vermeiden und bestehende Konflikte zu beseitigen. Das eigentliche Genehmigungs- oder Planfeststellungsverfahren wird entlastet und die gerichtliche Anfechtung von Behördenentscheidungen reduziert. Die Durchführung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung liegt also im wohlverstandenen Interesse aller, des Vorhabenträgers, der Genehmigungsbehörde und der betroffenen Bürger. § 25 Abs. 3 VwVfG erweitert die Betreuungspflicht der Behörde gegenüber den Verfahrensbeteiligten.6 Die Mitteilung der Ergebnisse durch den Vorhabenträger dient zugleich der Informationsbeschaffung im Rahmen der behördlichen Sachverhaltsermitt-
___________ lassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, München 2012; ausführlich kommentierend Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. 2012, § 25 Rn. 27 ff. 6 Vgl. zur Betreuungspflicht Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 25 Rn. 1.
Heribert Schmitz
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lung.7 Eine weitergehende Bindung der Behörde etwa i. S. eines Plebiszits ergibt sich daraus aber nicht; komplexe Vorhaben bedürfen einer Abwägung, die sämtliche tangierten öffentlichen und privaten Belange erfasst; dies ist bei Plebisziten nicht gewährleistet.8 Die Regelung wird im allgemeinen Teil des Verwaltungsverfahrensgesetzes bei den Verfahrensgrundsätzen eingeführt. Sie gilt damit nicht nur für das Planfeststellungsverfahren, sondern generell für Großvorhaben mit Auswirkungen auf eine größere Zahl von Betroffenen (z. B. auch bei immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigungen). Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung umfasst eine
frühzeitige Unterrichtung über allgemeine Ziele des Vorhabens, die Mittel der Verwirklichung und die voraussichtlichen Auswirkungen, die Gelegenheit zur Äußerung für die Öffentlichkeit, eine Erörterung und die Mitteilung der Ergebnisse an die betroffene Öffentlichkeit und die zuständigen Behörden.
Es soll aber keine Verpflichtung der Behörde oder des Vorhabenträgers zur Durchführung des Verfahrens geben – diese kann bei Bedarf im Fachrecht angeordnet werden. Mit dem Verzicht auf eine verpflichtende Durchführung werden die für angesichts der unüberschaubaren Vielfalt unterschiedlicher Fallkonstellationen erforderliche Flexibilität gewahrt und unnötige zusätzliche Belastungen von Verwaltung und Wirtschaft vermieden. Die Vorschrift vermeidet zusätzlichen bürokratischen Aufwand, sie vermeidet auch zusätzliche Fehleranfälligkeit im verwaltungsrechtlichen Verfahren.9 Eine verpflichtende Regelung ist nicht zweckmäßig und wäre auch problematisch: Bei privaten Vorhabenträgern stellte eine gesetzliche Verpflichtung einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit dar, der einer ausreichenden Rechtfertigung bedürfte. Eine verpflichtende Regelung setzte zudem eine gesetzliche Bestimmung der einschlägigen Vorhaben voraus. Selbst nach einer gesetzlichen Bestimmung der Anwendungsfälle wäre eine selbständige Verpflichtung aber nicht durchsetzbar, weil die Behörde den richtigen Zeitpunkt für eine solche Information nicht beurteilen kann. So ist es nicht sinnvoll, jemanden zu zwingen, unvollständige Überlegungen für Vorhaben der Allgemeinheit schon dann bekannt zu geben, wenn ein Wille zur Realisierung noch nicht manifest ist. Faktisch kann jedoch für den Vorhabenträger ein Druck zur Durchführung der Öffentlichkeitsbeteili___________ 7 Vgl. zur Sachverhaltsermittlung Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs (o. Fußn. 6), § 24 Rn. 23 ff. 8 So auch Ewer, NJW 2011, 1328 (1330). 9 So Ramsauer, Öffentliche Anhörung von Sachverständigen am 18.2.2013, Deutscher Bundestag, Innenausschuss, Protokoll Nr. 17/92, S. 12.
Öffentlichkeitsbeteiligung u. Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren 155
gung entstehen, wenn dessen Pläne bekannt werden und eine Weigerung Gegenstand öffentlicher Diskussion wird.10 Manch praktische Frage zur Durchführung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung wird noch zu klären sein; dies konnte nicht im VwVfG erfolgen, das grundsätzlich als allgemeines Verfahrensgesetz einen höheren Grad an Abstraktion wahrt und sich nicht in Details verliert. Damit verbleibt den Behörden zugleich ein sachgerechtes Verfahrensermessen. Z. B. bei der Frage, welche Behörde bei einer planfeststellungspflichtigen Maßnahme die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung zu initiieren hat, also die Anhörungs- oder die Feststellungsbehörde, könnte dies auch einer Absprache der Behörden untereinander überlassen bleiben. Die zeitliche Abfolge der Behördeneinbindung spricht allerdings dafür, dass hier die Anhörungsbehörde tätig wird. § 25 Abs. 3 VwVfG nimmt Bezug auf eine „betroffene Öffentlichkeit“. Dieser Begriff wird zwar auch in anderen Gesetzen verwandt.11 Es gibt aber weder im VwVfG noch an anderer Stelle eine allgemeingültige Legaldefinition.12 Deshalb kann der Begriff auch nicht einfach im Rückgriff auf seine Verwendung in anderen Gesetzen einschränkend verstanden werden. Betroffene Öffentlichkeit hat an dieser Stelle vielmehr eine eigene und zwar weiter gefasste Bedeutung. Es liegt deshalb nahe, den Kreis der Betroffenen im Sinne dieser Vorschrift korrespondierend zu den Auswirkungen des jeweiligen Vorhabens zu verstehen.13 Die Beschränkung auf eine „betroffene“ Öffentlichkeit verdeutlicht nur, dass der Vorhabenträger nicht zu unangemessenen Maßnahmen gedrängt werden soll.14 Er kann sich bei der Durchführung der Beteiligung auf diejenigen konzentrieren, die er wahrnimmt und die für sein Vorhaben wichtig sind.15 Der Kreis potentieller Einwender bei einer frühen Öffentlichkeitsbeteiligung kann deutlich größer sein als der Kreis potentieller Einwender im eigentlichen Planfeststellungs- oder Genehmigungsverfahren. Auch die jeweiligen Interessenlagen und die Rechtsstellung im anschließenden Verwaltungsverfahren sind nicht deckungsgleich. Schon deshalb kann die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung die bestehenden Beteiligungsrechte im Verwaltungsverfahren nur ergänzen, aber nicht ersetzen. Rechtserhebliche Einwendungen sind im anschließenden ___________ 10
S. 13. 11
Vgl. A. Versteyl, Öffentliche Anhörung (o. Fußn. 9), S. 32; Ramsauer, ebda.,
Z. B. in § 2 UVPG. Verkannt von Bertrams, NWVBl 2012, 289 (293) unter Bezugnahme auf entsprechende Äußerung von Eckertz-Höfer beim Jahrespressegespräch der Präsidentin des BVerwG am 22.2.2012. 13 Vgl. auch A. Versteyl, Öffentliche Anhörung (o. Fußn. 9), S. 23. 14 Ausführlich Prell, apf 2012, 321 (323). 15 Ziekow, Öffentliche Anhörung (o. Fußn. 9), S. 24. 12
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Verwaltungsverfahren deshalb nicht ausgeschlossen, wenn sie bei der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung nicht vorgebracht wurden. § 25 Abs. 3 VwVfG stellt ab auf Vorhaben, „die nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf die Belange einer größeren Zahl von Dritten haben können“, und ist damit bewusst sehr weit gefasst. Es müssen also drei Voraussetzungen erfüllt sein: Das Vorhaben muss überhaupt eine „Außenwirkung“ haben, diese muss ein besonderes Gewicht haben und schließlich muss ein größerer Personenkreis davon betroffen sein. Der letzte Aspekt dürfte der für das Baurecht entscheidende sein. Im Baugenehmigungsverfahren werden ja typischerweise (nur) Beeinträchtigungen der Nachbarn berücksichtigt. Vorhaben, die ausschließlich der Baugenehmigungspflicht unterliegen, sind vom Anwendungsbereich der Norm damit nicht per se ausgeschlossen, werden aber regelmäßig die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllen. Die Anwendbarkeit der neuen Vorschrift hängt ganz wesentlich von der Bedeutung des Vorhabens ab, die wiederum von den zu erwartenden Auswirkungen bestimmt wird. Als Indiz für die Anwendbarkeit kann sicher das Erfordernis einer Öffentlichkeitsbeteiligung im förmlichen Verfahren gelten. Aber es fällt weder jedes planfeststellungspflichtige oder einer sonstigen Genehmigungspflicht unterliegende Vorhaben in den Anwendungsbereich, noch sind bestimmte Genehmigungsverfahren von vornherein ausgeschlossen. Etwas anderes wäre mit dem Ziel, das mit der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung erreicht werden soll, auch nicht recht vereinbar und im Übrigen politisch wohl auch nicht durchsetzbar. Denn im Hinblick auf die Auswirkungen eines Vorhabens kommt es den Betroffenen nicht darauf an, welches förmliche Genehmigungsverfahren im Anschluss durchzuführen ist. Faktisch wird die Anwendung vor dem Baugenehmigungsverfahren aber sicher die Ausnahme sein.16 Die Vorschrift hat Signalcharakter,17 erschöpft sich aber nicht darin. Sie setzt einen gesetzgeberischen Impuls, ohne überzuregulieren.18 Gut beratene Vorhabenträger haben eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung schon lange durchgeführt.19 Bei anderen Vorhabenträgern gibt die Regelung nun der Behörde eine stärkere Rechtfertigung zur informellen Einwirkung.
___________ 16
Schmitz, BauR 2012, 1457 (1459). Kritisch zur Signalgesetzgebung Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (o. Fußn. 6), § 1 Rn. 270. 18 Ziekow, Öffentliche Anhörung (o. Fußn. 9), S. 17. 19 A. Versteyl, Öffentliche Anhörung (o. Fußn. 9), S. 14. 17
Öffentlichkeitsbeteiligung u. Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren 157
III. § 27a VwVfG i.d.F. des PlVereinhG Öffentliche Bekanntmachung im Internet (1) Ist durch Rechtsvorschrift eine öffentliche oder ortsübliche Bekanntmachung angeordnet, soll die Behörde deren Inhalt zusätzlich im Internet veröffentlichen. Dies wird dadurch bewirkt, dass der Inhalt der Bekanntmachung auf einer Internetseite der Behörde oder ihres Verwaltungsträgers zugänglich gemacht wird. Bezieht sich die Bekanntmachung auf zur Einsicht auszulegende Unterlagen, sollen auch diese über das Internet zugänglich gemacht werden. Soweit durch Rechtsvorschrift nichts anderes geregelt ist, ist der Inhalt der zur Einsicht ausgelegten Unterlagen maßgeblich. (2) In der öffentlichen oder ortsüblichen Bekanntmachung ist die Internetseite anzugeben.
Neben den Regelungen über die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung sollten mit dem geplanten E-Governmentgesetz die Vorschriften über die öffentliche Bekanntmachung auf einen zeitgemäßen Stand gebracht werden. Die entsprechende Regelung in einem neuen § 27a VwVfG wurde nach einem Beschluss des Bundestags-Innenausschusses in das Planungsvereinheitlichungsgesetz übernommen. Mit der Vorschrift soll erreicht werden, dass öffentliche oder ortsübliche Bekanntmachungen parallel auch immer im Internet erfolgen. Wenn die Bekanntmachung auf Unterlagen hinweist, die zur Einsicht auszulegen sind, sollen diese Unterlagen möglichst auch im Internet zugänglich gemacht werden. Damit wird die Kenntnisnahme – etwa auch für Zwecke einer Öffentlichkeitsbeteiligung – durch einen bequemeren Zugang deutlich erleichtert. Um Bürger, die das Internet nicht nutzen können oder wollen, nicht auszuschließen, kommt nur eine Ergänzung zur herkömmlichen Bekanntmachung in Frage. Die Regelung soll auch dazu dienen, die Öffentlichkeitsbeteiligung zu stärken, indem dem Einzelnen der Zugang zu den erforderlichen Informationen erleichtert wird. Für das Planfeststellungsverfahren bedeutet dies zum Beispiel, dass nicht nur der Hinweis auf die ausgelegten Planunterlagen, sondern auch die Planunterlagen selbst über das Internet zugänglich gemacht werden sollen. Die „SollRegelung“ trägt dem Umstand Rechnung, dass noch nicht alle Behörden über die erforderliche Technik verfügen und nicht alle Unterlagen in brauchbarer Form im Internet dargestellt werden können. Eine zwingende Regelung hätte zudem Kostenforderungen der Kommunen gegenüber den Ländern provoziert (Konnexitätsprinzip: „Wer bestellt, bezahlt“).20 Durch die Veröffentlichung von Unterlagen im Internet werden diese im Gegensatz zur herkömmlichen Einsichtsgewährung praktisch weltweit und zeitlich unbegrenzt verfügbar. Durch die „Soll-Regelung“ wird auch sichergestellt, dass Unterlagen nicht über das Internet zugänglich gemacht werden, soweit überwiegende Interessen (z. B. der ___________ 20 Zum Konnexitätsprinzip vgl. Nierhaus, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 28 Rn. 88.
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berechtigte Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen) entgegenstehen. Der Anspruch auf Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nach § 30 und nach besonderen Vorschriften des Fachrechts bleibt unberührt. Anders als bei den herkömmlichen Formen der öffentlichen Bekanntmachung kann bei einer Bekanntmachung im Internet bislang nicht davon ausgegangen werden, dass sich in allen Gebietskörperschaften einschlägige Internetseiten so etabliert haben, dass sie wie eine der örtlichen Tageszeitung oder der gemeindliche Aushang gezielt als Informationsquelle für öffentliche Bekanntmachungen genutzt werden. Um den Zugang zu öffentlichen Bekanntmachungen im Internet zu erleichtern, muss deshalb in der herkömmlichen Bekanntmachung die Adresse der betreffenden Internetseite angegeben werden. § 27a VwVfG bestimmt, dass die Veröffentlichung einer Internetseite der Behörde oder ihres Verwaltungsträgers erfolgen soll. Hier wird es sachgerecht sein, (auch) auf den Internetseiten der betroffenen Gemeinden einen Link auf die Informationen anzubieten. Für den interessierten Bürger kann es schwierig sein, die Internetseite der verpflichteten Behörde ausfindig zu machen. Im Zweifel wird er über eine Suchmaschine mit dem Namen der Gemeinde einen Weg auf deren Homepage finden.
IV. Die Kritik an dem ursprünglichen Entwurf hatte sich – wie oben erwähnt – auch an einer vermeintlichen Abschaffung des Erörterungstermins entzündet. Vorgesehen war lediglich die Überführung der Regelungen aus dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz in die Verwaltungsverfahrensgesetze. Danach sollte die Erörterung in das Ermessen der Anhörungsbehörde gestellt werden. Damit wäre im Einzelfall die Möglichkeit eröffnet worden, auf den Erörterungstermin zu verzichten, wenn absehbar ist, dass er seine Funktion nicht erfüllen kann und nur zu einer Verfahrensverzögerung führen würde. Regelmäßig ist unbestritten der Erörterungstermin ein auch für die Anhörungsbehörde sinnvolles Verfahrensinstrument. Die Behörden wissen, dass gerade bei weniger rechtskundigen privaten Einwendern oft Missverständnisse ausgeräumt und Verständigungen erreicht werden können. Wahr ist aber auch, dass der Erörterungstermin in der Praxis bei manchen Großvorhaben mit einer großen Zahl von Einwendern kaum noch handhabbar ist. Die ist insbesondere dann der Fall, wenn Vorhaben aus welchen Motiven auch immer erkennbar kategorisch abgelehnt werden. Eine befriedende Wirkung kann dann nicht mehr erzielt werden. Das dürfte aber wohl nur für den geringeren Teil der Verfahren gelten. Das Verfahrensinstrument „Erörterung“ sollte also durch den Gesetzentwurf nicht in Frage gestellt, der Verzicht nicht zum Regelfall werden. Im zeitlichen Zu-
Öffentlichkeitsbeteiligung u. Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren 159
sammenhang mit der bundesweiten Diskussion über eine verstärkte Öffentlichkeitsbeteiligung bei raumbedeutsamen Großvorhaben („Stuttgart 21“)21 war die Sinnhaftigkeit der beabsichtigten Regelung nicht zu vermitteln, obwohl sie nur in den Fällen, die nicht schon durch das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz erfasst sind, eine Rechtsänderung bedeutet hätte. Die endgültige Fassung des Gesetzes belässt die Regelungen zur Fakultativstellung des Erörterungstermins nun in den Fachgesetzen.
V. Der Erfolg der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung und generell der verstärkten Bürgerbeteiligung hängt wesentlich von der Dialog- und Kompromissbereitschaft der Beteiligten ab. Gelingt es, einen sachlichen und an einem vernünftigen Ergebnis orientierten Dialog zwischen Vorhabenträger, Kritikern und Befürwortern zu schaffen, dann müssen die Forderungen nach Verfahrensbeschleunigung und Öffentlichkeitsbeteiligung nicht in einem Widerspruch stehen. Die neuen Regelungen können nicht alle Probleme beseitigen. Vor allem werden sie Totalverweigerer nicht erreichen. Vorhabenträger und Behörden wird sie aber motivieren, Öffentlichkeitsbeteiligung offensiver zu betreiben. Wenn der Wille auf allen Seiten vorhanden ist, wird ein Mehr an Öffentlichkeitsbeteiligung auch zu einer beschleunigten Umsetzung wichtiger Großvorhaben beitragen. Natürlich ist die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung noch keine Garantie für eine Verfahrensbeschleunigung. Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit möglichen Einwänden bietet aber in jedem Fall größere Chancen auf eine Konfliktbereinigung als eine Grundsatzdebatte in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium.
___________ 21
Hierzu Schönenbroicher, VBlBW 2010, 466.
Das neue System der Energienetzplanung – verfassungsrechtliche und planungsrechtliche Grundfragen und weiterer Handlungsbedarf Von Georg Hermes Nachdem das Planungsrecht für Energieleitungen über Jahrzehnte hinter den Standards anderer Infrastrukturprojekte weit zurückgeblieben war, scheint es im Zuge der Energiewende an die Spitze der Entwicklung eines modernen Bedarfs- und Fachplanungsrechts katapultiert worden zu sein. Die Grundstrukturen des neuen Systems der Energienetzplanung sollen nach einem kurzen Rückblick auf die vorangegangene Rechtsentwicklung (I.) im Überblick dargestellt und auf ihren möglichen Beitrag für eine Fortentwicklung des Planungsrechts hin befragt werden (II.). Zu den diskussionsbedürftigen Problemen dieses neuen Systems gehören verfassungsrechtliche Fragen nach der Gesetzgebungskompetenz des Bundes (III.) und nach den verfassungsrechtlichen Grenzen einer umfassenden Zuständigkeitskonzentration bei der Bundesnetzagentur (IV.). Darüber hinaus zeichnet sich weiterer Handlungsbedarf ab, der daraus resultiert, dass die ganze Aufmerksamkeit auf den notwendigen Ausbau der Netze gerichtet wurde, während die Erzeugungsanlagen, die mit Hilfe der neuen Energienetzplanung angeschlossen werden sollen, kaum einer planerischen Steuerung unterliegen (V.).
I. Entwicklung der Energienetzplanung Überraschenderweise gab es in Deutschland bis zum Beginn dieses Jahrhunderts kein Planfeststellungsverfahren für Energieleitungen, weshalb der planerische Entscheidungsbedarf – systemwidrig – entweder von dem vorgelagerten Raumordnungsverfahren oder von einem nachfolgenden enteignungsrechtlichen Planfeststellungsverfahren erbracht werden musste1. Obwohl sich die Einführung eines Planfeststellungsverfahrens für größere Energieleitungen seit langem aufgedrängt hatte2, konnten sich entsprechende Initiativen erst durch___________ 1
Zusammenfassend mit weiteren Nachweisen Franke, in: FS Salje, 2013, S. 121, 122. Vgl. zu den Hintergründen Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 423 ff. 2
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Georg Hermes
setzen, als im Jahr 2001 nach einem Trägerverfahren für die gemeinschaftsrechtlich zwingend erforderliche UVP für Leitungsvorhaben gesucht wurde3. Seitdem ist die abschließende Zulassungsentscheidung für größere Leitungsvorhaben in den §§ 43 ff. EnWG dem Planfeststellungs- und dem Plangenehmigungsverfahren zugewiesen. Danach galt für den Ausbau der Hochspannungsnetze im Wesentlichen ein zweistufiges Verfahren, das sich aus der Trassenfindung im Wege des Raumordnungsverfahrens nach § 15 ROG sowie dem Planfeststellungs-/Plangenehmigungsverfahren nach §§ 43 ff. EnWG zusammensetzte. Durch das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz aus dem Jahr 20064, das nach dem bekannten Muster der Verkürzung von Beteiligungsund Rechtsschutzmöglichkeiten konzipiert war, wurde das Planfeststellungserfordernis dann von seiner UVP-Akzessorietät befreit und das Verfahren durch zahlreiche Regelungen im Interesse des Beschleunigungszweckes modifiziert5. Dass diese Beschleunigungsgesetzgebung aus dem Jahr 2006 nicht den erwarteten Effekt hatte, wird zutreffend darauf zurückgeführt, dass Unsicherheiten über den energiewirtschaftlichen Bedarf und damit über eine zentrale materielle Zulassungsvoraussetzung neuer Leitungen zu Verfahrensverzögerungen geführt haben6. Vor diesem Hintergrund und angesichts des bereits vor der Energiewende des Jahres 2011 immer deutlicher werdenden Ausbaubedarfs wurde dann im Jahr 2009 mit dem Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG)7 erstmals eine gesetzliche Bedarfsplanung in Anlehnung an die Bedarfsgesetze für den Ausbau der Straßen und Schienen eingeführt, die aber nach wie vor der häufig kritisierten Beschleunigungsphilosophie folgte. Der Bedarfsplan, der als Anlage zu § 1 EnLAG in Gesetzesform erlassen wurde, enthält 24 Vorhaben der Höchstspannungsebene (380 kV) mit vordringlichem Bedarf, für deren Auswahl allerdings eine konzeptionelle Grundlage kaum erkennbar ist8. Vor dem Hintergrund der angestrebten Entwicklung von OffshoreWindenergieanlagen in Nord- und Ostsee und des dringenden Ausbaubedarfs für Transportleitungen aufgrund der veränderten unionsrechtlichen Anforde___________ 3 § 11 a I EnWG (2001) erklärte Errichtung, Betrieb und Änderungen von Hochspannungsleitungen (ausgenommen Bahnstromfernleitungen) mit einer Nennspannung von 110 kV oder mehr und Gasversorgungsleitungen mit einem Durchmesser von mehr als 300 mm für planfeststellungspflichtig, sofern nach dem UVPG für diese Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen war. Einzelheiten bei Hermes/Pöcker, RdE 2002, 85 ff. 4 BGBl. I 2006, S. 2833. 5 Cancik, DÖV 2007, 107 ff.; Franke, in: FS Salje, 2013, S. 121, 123 f. 6 s. nur Franke, in: FS Salje, 2013, S. 121, 124. 7 Art. 1 des Gesetzes zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze vom 26.8.2009, BGBl. S. 2870. 8 Zur Kritik an dem Bedarfsplan genauer Hermes, in: Schneider/Theobald (Hrsg.), Recht der Energiewirtschaft, 4. Aufl. 2013, § 7 Rn. 62.
Das neue System der Energienetzplanung
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rungen an eine elaborierte Energienetzplanung und schließlich beschleunigt durch die Energiewende des Jahres 2011 hat das Planungsrecht für Energieleitungen dann einen rasanten und zugleich wesentliche Grundlagen betreffenden Veränderungsprozess vollzogen. Zugleich ist dieser Entwicklungsprozess durch eine stärkere staatliche Verantwortung für den Netzausbau gekennzeichnet9.
II. Das neue System der Übertragungsnetzplanung im Überblick Die zentralen Elemente des neuen Planungsrechtsregimes10 für das Übertragungsnetz aus dem Jahr 2011 sind die Netzentwicklungs- und Bedarfsplanung (§§ 12a ff. EnWG11), die im Jahr 2012 für Offshore-Windparks im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone und deren Anbindungsleitungen durch spezielle Planungsinstrumente (§§ 17a ff. EnWG12) ergänzt wurde, sowie ein spezielles Trassenfindungs- und ein besonderes Planfeststellungsverfahren für länderübergreifende oder grenzüberschreitende Höchstspannungsleitungen und für Anbindungsleitungen von Offshore-Windparks in dem neuen Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG13). Mit diesen zentralen Elementen hat der Gesetzgeber den Ansatz einer anspruchsvolleren und auf eine nachvollziehbare prognostische Grundlage gestützten Bedarfsplanung verfolgt, hat im Interesse verbesserter Akzeptanz die Möglichkeiten der Öffentlichkeitsbeteiligung stark ausgeweitet und hat – gewissermaßen im Gegenzug – das Konzept einer strikten Verfahrensstufung mit einer Konzentration der Rechtsschutzmöglichkeiten auf die abschließende Planfeststellung konsequent umgesetzt. ___________ 9 So auch Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332; vgl. insbesondere die rechtlich verpflichtende Wirkung des unter der Letztentscheidungsbefugnis der BNetzA stehenden Netzentwicklungsplans für die Übertragungsnetzbetreiber sowie ihre durch Verwaltungsakt durchsetzbare Pflicht gem. § 12 II 3 NABEG, im Anschluss an die Bundesfachplanung einen Planfeststellungsantrag zu stellen. 10 Überblicke über das neue Planungsrecht für Energieleitungen – ohne die Neuerungen der §§ 17a ff. EnWG, auf die auch hier allenfalls am Rande eingegangen wird – geben u.a. Grigoleit/Weisensee, UPR 2011, 401 ff.; Appel, UPR 2011, 406 ff.; Wagner, DVBl. 2011, 1453 ff.; Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332 ff.; Calliess/Dross, JZ 2012, 1002 ff.; eine vertiefende Analyse und eine Würdigung unter dem Blickwinkel der erwarteten Beschleunigung bietet Franke, in: FS Salje, 2013, S. 121 ff. 11 Eingefügt durch Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften vom 26.7.2011, BGBl. I S. 1554. 12 Eingefügt durch Drittes Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften vom 20.12.2012, BGBl. I S. 2730. 13 Art. 1 des Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze vom 28.7.2011, BGBl. I, 1690; zuletzt geändert durch Gesetz v. 20.12.2012, BGBl. I S. 2730.
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1. Vom Szenariorahmen zur Planfeststellung – die fünf Stufen im Überblick Die Planungskaskade für Übertragungsnetze gliedert sich in zwei Phasen. Die erste beginnt mit dem Szenariorahmen und endet mit dem durch Gesetz festgestellten Bundesbedarfsplan. Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Bedarfsfeststellung vollzieht sich die zweite Phase in den zwei Schritten eines – Bundesfachplanung genannten – Trassenfindungsverfahrens und der abschließenden Planfeststellung. a) Szenariorahmen Die entscheidende Grundlage des gesamten Systems bildet der sog. Szenariorahmen, der gem. § 12a EnWG von den Übertragungsnetzbetreibern jährlich zu erarbeiten ist. Mit Hilfe dieses Instruments soll in Gestalt von (mindestens drei) verschiedenen Entwicklungspfaden (Szenarien) mit einem Zeithorizont von 10 Jahren die Bandbreite wahrscheinlicher Entwicklungen der Erzeugung, der Versorgung und des Verbrauchs von Strom sowie dessen Austausch mit anderen Ländern prognostiziert werden. Über die erforderlichen Informationen verfügen die Übertragungsnetzbetreiber aufgrund der umfassenden Auskunftspflicht der Betreiber von Erzeugungsanlagen und Elektrizitätsverteilernetzen, von industriellen und gewerblichen Letztverbrauchern sowie von Lieferanten (§ 12 IV 1 EnWG). Eines der Szenarien muss einen Zeithorizont von 20 Jahren umfassen. Der Szenariorahmen hat die mittel- und langfristigen energiepolitischen Ziele der Bundesregierung als Rahmen zugrunde zu legen14. Der von den Übertragungsnetzbetreibern der BNetzA vorgelegte Entwurf unterliegt der Genehmigung durch die BNetzA15. Bei dieser Genehmigung handelt es sich um eine Planungsentscheidung mit deutlichen Prognoseelementen, die ihrerseits energiepolitische Zielaussagen voraussetzen. Wie die Formulierung in § 12a I EnWG („im Rahmen der mittel- und langfristigen energiepolitischen Ziele der Bundesregierung“) hinreichend deutlich zum Ausdruck bringt, fällt diese Ziel-
___________ 14
Auf diese Weise gewinnen energiepolitische Programmaussagen der Bundesregierung – mittelbar – rechtliche Wirksamkeit, weil der Szenariorahmen Grundlage für den Netzentwicklungsplan ist und dieser seinerseits unmittelbare Rechtswirkungen (vgl. § 65 IIa EnWG) erzeugt. Zu den hier einschlägigen energiepolitischen Zielen der Bundesregierung gehört insbesondere das sog. „Zielnetz 2050“ (so BT-Drucks. 17/6072, S. 68), das die Bundesregierung bereits im Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung (BT-Drucks. 17/3049, S. 10) angekündigt hat. 15 Zur Genehmigung des ersten Szenariorahmens durch Bescheid der BNetzA vom 20.12.2011 s. die Hinweise von Schütte/Winkler, ZUR 2012, 193 f.
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formulierung primär in die Zuständigkeit der Bundesregierung, weshalb die BNetzA insoweit an Vorgaben der Bundesregierung gebunden ist16. b) Netzentwicklungsplan Der genehmigte Szenariorahmen bildet dann die Grundlage für den Netzentwicklungsplan nach § 12b EnWG, der die – unionsrechtlich vorgeschriebene17 – zweite Stufe des Bedarfsplanungsverfahrens bildet. Er muss alle wirksamen Maßnahmen zur bedarfsgerechten Optimierung, Verstärkung und zum Ausbau des Übertragungsnetzes enthalten, die in den nächsten zehn Jahren erforderlich sind für einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb. Erarbeitet wird er wiederum von den Übertragungsnetzbetreibern, ist anschließend der BNetzA vorzulegen und von dieser – nach eventuellen Änderungsverlangen – schließlich festzustellen bzw. zu genehmigen18, wodurch der Plan rechtliche Verbindlichkeit19 erlangt (§ 12c EnWG). Die erforderlichen Informationen erhält die BNetzA von den Übertragungsnetzbetreibern auf der Grundlage des umfassenden Auskunftsanspruchs nach § 12c I 2, II 2 EnWG. Die Prüfung der Übereinstimmung des Plans mit dem gemeinschaftsweiten Netzentwicklungsplan wird durch die obligatorische Konsultation der Agentur sichergestellt (§ 12c I 3 EnWG). Zu dem Prüfprogramm der Genehmigung des Netzentwicklungsplans durch die BNetzA, dem offensichtlich prognostisch-planerische und – im Rahmen der von der Bundesregierung vorgegebenen Ziele, diese aber weiter konkretisierend – auch energiepolitische Qualität zukommt, gehören gem. § 12c I 1 EnWG insbesondere die Fragen, ob der Netzentwicklungsplan auf der Grundlage des genehmigten Szenariorahmens entwickelt wurde und alle danach erforderlichen
___________ 16
Zur Rolle der BNetzA s. unten IV. Zusammenfassend zu den unionsrechtlichen Vorgaben für den Netzentwicklungsplan Franke, in: FS Salje, 2013, S. 121, 126 f. 18 Das Gesetz spricht in § 12 I 3 Nr. 1 EnWG von „Feststellung“ und in § 12c IV EnWG von „bestätigt“, was nach der Systematik aber nur als förmliche Genehmigung verstanden werden kann. 19 Vom „Eintritt der Verbindlichkeit“ spricht ausdrücklich § 65 IIa 1 EnWG. 17
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Maßnahmen enthält, den gemeinschaftsweiten Netzentwicklungsplan20 berücksichtigt und eine Begründung für die Entscheidung zugunsten einer von mehreren geprüften Planungsmöglichkeiten bietet. Bei einem negativen Prüfungsergebnis muss21 die BNetzA gem. § 12c I 2 EnWG entsprechende Änderungen verlangen, wodurch gem. § 12c V EnWG die Pflicht der Übertragungsnetzbetreiber ausgelöst wird, unverzüglich einen diese Änderungsverlangen berücksichtigenden geänderten Netzentwicklungsplan vorzulegen. Die Befugnis, Änderungen zu verlangen, betrifft insbesondere die planerische Abwägung zwischen verschiedenen Alternativen. Neben seiner planungsrechtlichen Bedeutung als Entwurf für den Bundesbedarfsplan (§ 12e I EnWG) liegt die unmittelbare regulierungsrechtliche Wirkung des – bestätigten – Netzentwicklungsplans darin, dass die verantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber22 verpflichtet sind, die in dem Plan enthaltenen Maßnahmen zur bedarfsgerechten Optimierung, Verstärkung und zum Ausbau des Netzes zu verwirklichen23. Diese Investitionspflicht der Übertragungsnetzbetreiber ergibt sich unmittelbar aus §§ 12 I, III, 12c IV EnWG sowie aus dem systematischen Zusammenhang des § 12c EnWG insgesamt24. Demgegenüber handelt es sich bei der Regelung des § 65 IIa EnWG um das Durchsetzungsinstrument, mit dessen Hilfe säumige Betreiber zur Beachtung der genannten Pflicht anzuhalten sind und notfalls Dritte mit der Verwirklichung der Maß___________ 20 Dieser in der Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Parlaments und des Rates vom 13.7.2009 (StromhandelsVO 2009) vorgeschriebene zehnjährige „gemeinschaftsweite Netzentwicklungsplan“ (Art. 8 III lit. b) ist alle zwei Jahre von der ENTSO (Strom) zu verabschieden und zu veröffentlichen und hat die „Modellierung des integrierten Netzes, die Entwicklung von Szenarien, eine europäische Prognose zur Angemessenheit der Stromerzeugung und eine Bewertung der Belastbarkeit des Systems“ zum Inhalt und ist insbesondere mit den Leitlinien für die transeuropäischen Energienetze abzustimmen (Art. 8 X). Die Europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden sorgt im Wege von „Stellungnahmen“ für die Übereinstimmung der nationalen zehnjährigen Netzentwicklungspläne mit dem gemeinschaftsweiten Netzentwicklungsplan (Art. 8 XI). Allerdings bleiben dessen Wirkungen begrenzt, weil der Plan „nicht bindend“ ist, wie die Verordnung ausdrücklich klarstellt. 21 Die Formulierung in § 12c I 2 EnWG, die der BNetzA scheinbar Ermessen einräumt, ist wohl eher im Sinne einer Ermächtigungsgrundlage zu verstehen (so wohl auch BT-Drucks. 17/6072, S. 69) und dem Umstand geschuldet, dass bei der Prüfung der „Bestätigungsvoraussetzungen“ ein nicht unerheblicher Einschätzungsspielraum der Behörde anzuerkennen ist. 22 In Zweifelsfällen kann die BNetzA gem. § 12c IV 3 EnWG bestimmen, welcher Übertragungsnetzbetreiber für die Durchführung einer im Netzentwicklungsplan enthaltenen Maßnahme verantwortlich ist. 23 Zur – regulierungsrechtlichen und planungsrechtlichen – Doppelfunktion des Netzentwicklungsplans, die sich insbesondere auf den Rechtsschutz auswirkt, klar Franke, in: FS Salje, 2013, S. 121, 126 ff. 24 Bestätigt wird diese Auslegung durch § 65 IIa 1 EnWG, der von Investitionen spricht, die nach dem Netzentwicklungsplan „durchgeführt werden mussten“.
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nahme beauftragt werden können. Nach § 65 IIa EnWG fordert die BNetzA den Betreiber mit Fristsetzung zur Durchführung der betreffenden Investition auf, wenn diese nach Ablauf von drei Jahren nach Verbindlichkeit des Plans nicht durchgeführt wurde. Die praktische Erforderlichkeit und Wirksamkeit dieses unionsrechtlich vorgeschriebenen Instrumentariums wird sich erst zeigen. Zweifel – auch an der unionsrechtskonformen Umsetzung – resultieren daraus, dass ein behördliches Eingreifen jedenfalls nach dem Wortlaut des § 65 IIa EnWG selbst dann erst nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Verbindlichkeit des Netzentwicklungsplans möglich ist, wenn sich ein entsprechendes Säumnis lange vor diesem Zeitpunkt absehen lässt. c) Bundesbedarfsplan Der jährlich neu festzustellende Netzentwicklungsplan hat – über seine zuvor erläuterten regulierungsrechtlichen Wirkungen hinaus – die planungsrechtliche Funktion eines in Mindestabständen von drei Jahren an die Bundesregierung zu übermittelnden Entwurfs für den als Gesetz zu beschließenden Bundesbedarfsplan25 (§ 12e I EnWG). Wegen des speziellen gesetzlichen Regimes für länderübergreifende und grenzüberschreitende Höchstspannungsleitungen (NABEG) hat die BNetzA diese Vorhaben in dem Entwurf zu kennzeichnen. Gem. § 12 I 2 EnWG legt die Bundesregierung den Entwurf mindestens alle drei Jahre dem Bundesgesetzgeber vor. Obwohl dies dem Leitbild des neuen Planungssystems entspricht, ist die Bundesregierung dabei an den Entwurf der BNetzA ebenso wenig gebunden wie der Bundestag26, weil beide Verfassungsorgane in ihrer Funktion als Beteiligte des Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 76 ff. GG nur durch die Verfassung und nicht durch einfaches Gesetz gebunden werden können. Die rechtliche Wirkung des Bundesbedarfsplan(gesetzes) liegt zunächst darin, dass für die als länderübergreifend oder grenzüberschreitend gekennzeichneten Höchstspannungsleitungen das Regime der Bundesfachplanung gem. §§ 4 ff. NABEG und der besonderen Planfeststellung gem. §§ 18 ff. NABEG zur Anwendung kommt. Für diese Vorhaben wie für alle sonstigen – nicht länderübergreifenden oder grenzüberschreitenden – Übertragungsnetzprojekte liegt gem. § 12e IV EnWG die rechtliche Wirkung des Bundesbedarfsplans sodann in der Feststellung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit und des ___________ 25 Das erste Gesetz über den Bedarfsplan (Art. 1 des Zweiten Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze; Gesetzentwurf der Bundesregierung in BT-Drs. 17/12638) hat der Bundestag am 25.4.2013 in der Ausschussfassung (BT-Drs. 17/13258) beschlossen und der Bundesrat hat am 7.6.2013 beschlossen, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen. 26 So auch Sellner/Fellenberg, NVwZ 2011, 1025, 1031; Moench/Ruttloff, NVwZ 2011, 1040, 1042; Appel, UPR 2011, 406, 408.
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Vordringlichkeit des Bedarfs (Planrechtfertigung) mit rechtlicher Verbindlichkeit sowohl für die Netzbetreiber als auch für die das Verfahren der Planfeststellung/Plangenehmigung nach §§ 43 ff. EnWG bzw. §§ 18 ff. NABEG führenden Behörden. d) Trassenfindung durch Bundesfachplanung Unterhalb der Bedarfsplanung und der gesamträumlichen (Landes-)Planung hat sich seit langem die praktische Notwendigkeit gezeigt, die konkrete Projektplanung einzelner Netzvorhaben zweistufig zu gestalten. Denn das abschließende Zulassungsverfahren wäre mit der Festlegung der groben Trasse und entsprechender Alternativenprüfung bei gleichzeitiger Entscheidung über die abschließenden Details der Zulassung überfordert Als erste Stufe der vorhabenbezogenen Fachplanung von Energieleitungen ist deshalb ein (raumverträglicher) Trassenkorridor festzulegen, in dessen Rahmen dann die abschließende Zulassungsentscheidung über die genaue Lage und Gestalt des Vorhabens entscheidet. Diese Funktion der Trassenfestlegung als erste Stufe der projektbezogenen Fachplanung für größere Leitungsvorhaben27 hatte in der Vergangenheit – systemwidrig – das Raumordnungsverfahren nach § 15 ROG übernommen28. Zukünftig wird diese Funktion für länderübergreifende und grenzüberschreitende Höchstspannungsleitungen, die im Bundesbedarfsplan als solche ausgewiesen sind, das Verfahren der Bundesfachplanung nach §§ 4 ff. NABEG übernehmen. Zweck und Gegenstand dieses Planungsverfahrens liegen gem. §§ 4, 12 II, 15 I NABEG im Wesentlichen darin, für die genannten Höchstspannungsleitungen raumverträgliche Trassenkorridore29 zu bestimmen. Das von der BNetzA ihrer Entscheidung zugrunde zu legende Prüfprogramm folgt aus § 5 I NABEG. Sie prüft zunächst die Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung im Sinne von § 3 I Nr. 1 ROG, insbesondere also mit den Zielen und Grundsätzen der Raumordnung. Dieser Bindung der Bundesfachplanung an die in Raumordnungsplänen der Länder enthaltenen Ziele und Grundsätze widerspricht § 15 I 2 NABEG, wonach die Bundesfachplanung grundsätzlich Vor___________ 27 Für Leitungsbauvorhaben soll ein Raumordnungsverfahren nach § 1 Nr. 14 RoV durchgeführt werden, wenn die Nennspannung 110 kV oder mehr bzw. der Durchmesser bei Gasleitungen mehr als 300 mm beträgt. 28 s. dazu nur SRU, Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung, Sondergutachten 2011, Tz. 561 ff. m.w.N.; zur erheblichen praktischen Bedeutung des Raumordnungsverfahrens in der Vergangenheit vgl. etwa Horstmann, Anforderungen an den Bau und Betrieb von Energieversorgungsleitungen in Deutschland, 2000, S. 3 ff. 29 Entsprechend der Praxis in Raumordnungsverfahren sollen diese Trassenkorridore regelmäßig eine Breite von 500 bis 1000 Meter umfassen; so die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 17/6073, S. 19, 23.
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rang vor Landesplanungen hat, nur auf den ersten Blick. Denn die Funktion der Vorrangregelung in § 15 I 2 NABEG liegt darin zu verhindern, dass betroffene Länder nach der Bundesfachplanungsentscheidung deren Ergebnis durch widersprechende Fach- oder Raumordnungspläne aushebeln können30. Obwohl dies in der Formulierung des § 5 I NABEG nicht ausreichend zum Ausdruck kommt, kann die BNetzA erst bei Übereinstimmung des Vorhabens mit den Zielen der Raumordnung in die abwägende Prüfung eintreten, ob dem Vorhaben überwiegende öffentliche oder private Belange entgegenstehen (§ 5 I 2 NABEG). Im Rahmen dieser Abwägung sind dann auch die Grundsätze der Raumordnung zu berücksichtigen und es ist eine Abstimmung mit anderen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen (§ 3 I Nr. 6 ROG) vorzunehmen31. Wesentliches Element des Prüfprogramms sind „ernsthaft in Betracht kommende Alternativen“ ohne Bindung an den Antrag des Vorhabenträgers. Trotz der Verkoppelung privater und behördlicher Verfahrensbeiträge trägt die BNetzA für die Beachtung dieses Prüfprogramms die Letztverantwortung, was eine eigenständige planerische Abwägungsentscheidung in ihrer alleinigen Zuständigkeit bedeutet. Bei dieser Abwägung kommt der Vorgabe des § 1 Satz 3 NABEG wesentliche Bedeutung zu, wonach die Realisierung der Höchstspannungsleitungen im Geltungsbereich des Gesetzes aus Gründen eines überragenden öffentlichen Interesses erforderlich ist32. Die verfahrensabschließende Entscheidung der BNetzA hat gem. § 12 II NABEG den kartographisch auszuweisenden raumverträglichen Trassenkorridor einschließlich der Länderübergabepunkte, die Bewertung und zusammenfassende Erklärung nach den Regeln der SUP (§§ 14k, 14l UVPG) sowie das Ergebnis der Alternativenprüfung zum Inhalt. Die Entscheidung ist gem. § 13 NABEG den Beteiligten zu übermitteln und (u.a. auf der Internetseite der BNetzA) öffentlich bekannt zu machen. Darüber hinaus führt die BNetzA als „Register“ aller durch eine Bundesfachplanung bestimmten Trassenkorridore den Bundesnetzplan, der gem. § 17 NABEG einmal jährlich im Bundesanzeiger veröffentlicht wird und darüber hinaus sinnvollerweise im Internet auf dem aktuellen Stand bereitgehalten werden sollte. ___________ 30 Das ist das übereinstimmende Verständnis des Regierungsentwurfs in BT-Drucks. 17/6073, S. 27, wobei die dort vorgeschlagene Fassung des § 15 NABEG den Vorrang der Bundesfachplanung (nur) vor Landesfachplanungen vorsah, und der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie in BT-Drucks. 17/6366, S. 19, der den Vorrang auf alle Landesplanungen – insbesondere einschließlich der Raumordnungspläne der Länder – ausdehnte. Siehe auch Sellner/Fellenberg, NVwZ 2011, 1025, 1031; zu undifferenziert Moench/Ruttloff, NVwZ 2011, 1040, 1043. 31 Das Prüfprogramm der Bundesfachplanung entspricht also dem Kernauftrag des Raumordnungsverfahrens; so Erbguth, NVwZ 2012, 326, 328. 32 Zutreffend dazu Wagner, DVBl. 2011, 1453, 1457.
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e) Sonderregeln zur Planfeststellung Schließlich hat der Gesetzgeber mit den §§ 18 ff. NABEG ein besonderes Planfeststellungsverfahren für länderübergreifende und grenzüberschreitende Höchstspannungsleitungen installiert, die im Bundesbedarfsplan als solche gekennzeichnet sind. Die allgemeinen Vorschriften in §§ 43 ff. EnWG (und subsidiär gem. § 43 S. 6 EnWG auch die §§ 72 ff. VwVfG) bleiben gem. § 18 III 2 NABEG anwendbar, soweit die §§ 18 ff. NABEG keine Sonderregelungen33 enthalten. Im Gegensatz zu der vollständigen Neukonzeption der Bundesfachplanung als Ersatz für das Raumordnungsverfahren enthält das besondere Planfeststellungsverfahren allerdings nur punktuelle Abweichungen von den allgemeinen Vorschriften der §§ 43 ff. EnWG. Abgesehen von der Zuständigkeit der BNetzA34 und besonderen Verfahrensregelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung35 verdient besondere Hervorhebung, dass der grundsätzliche Vorrang der Bundesfachplanung vor der Landesplanung (§ 15 I 2 NABEG) auch im Hinblick auf die Planfeststellung zu Abweichungen von dem Modell der Planfeststellung nach §§ 43 ff. EnWG führt. Denn anders als dort ist die Planfeststellung nach §§ 18 ff. NABEG von der Bindung an Ziele der Raumordnung weitgehend freigestellt, die in Raumordnungsplänen der Länder enthalten sind. Soweit es um „alte“ Raumordnungspläne geht, folgt dies aus dem Inhalt und der Wirkung der Bundesfachplanung, die insoweit die Konformität des Vorhabens mit diesen Zielen bereits mit Verbindlichkeit für die Planfeststellung festgestellt hat. Soweit es sich um „neue“ Raumordnungspläne nach Erlass der Bundesfachplanungsentscheidung geht, so vermögen diese für das Vorhaben gem. § 15 I 2 NABEG keine Verbindlichkeit zu entfalten, soweit sie in Widerspruch zur Bundesfachplanungsentscheidung stehen. Eine Ausnahme von der Freistellung gilt deshalb lediglich für die genaue Lokalisierung sowie für die Ausführungsmodalitäten des Vorhabens, über die in der Bundesfachplanung noch nicht entschieden wurde. 2. Öffentlichkeitsbeteiligung Lässt man die vorgestellten fünf Stufen des neuen Planungssystems für Übertragungsleitungen unter dem Blickwinkel Revue passieren, wie die Öffentlichkeit, Träger öffentlicher Belange, Netznutzer, Länder und Gemeinden auf der jeweiligen Verfahrensstufe beteiligt sind, so springt die ausgesprochen be___________ 33 Zu diesen Sonderregelungen gehören auch direkte Verweise auf das VwVfG (z.B. in § 24 II NABEG), so dass diese Regelungen dann abweichenden Regelungen im EnWG vorgehen; dazu Appel, UPR 2011, 406, 409. 34 s. unten IV. 1. 35 s. dazu sogleich unter 2.
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teiligungsfreundliche Konzeption des neuen Systems ins Auge. Inspiriert durch Vorschläge des Sachverständigenrates für Umweltfragen36, ist das neue Planungsrechtsregime geprägt durch seine Abkehr von dem untauglichen Versuch, Beschleunigung durch Verkürzung von Beteiligungsrechten zu erzielen. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber bemüht, die erforderliche Beschleunigung mit der unabdingbaren Akzeptanz dadurch zu harmonisieren, dass Transparenz und Partizipation37 auf allen Stufen des komplexen Planungsprozesses gewährleistet wird38. Der von den Übertragungsnetzbetreibern erarbeitete Entwurf des Szenariorahmens wird von der BNetzA auf ihrer Internetseite öffentlich bekannt gemacht. Die allgemeine Öffentlichkeit, einschließlich tatsächlicher und potenzieller Netznutzer und nachgelagerten Netzbetreibern sowie die Träger öffentliche Belange haben dann Gelegenheit zu Stellungnahmen, die die BNetzA bei ihrer Genehmigung zu berücksichtigen hat (§ 12a III EnWG). Auf der zweiten Stufe des Bedarfsplanungsverfahrens ist der Netzentwicklungsplan nach § 12b EnWG im Entwurfsstadium zunächst durch die Übertragungsnetzbetreiber selbst einem Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren zu unterziehen (§ 12b III EnWG). Über Verlauf und Ergebnis der Beteiligung haben sie eine zusammenfassende Erklärung an die BNetzA vorzuzulegen (§ 12b IV EnWG). Nach eventuellen Änderungsverlangen führt die BNetzA eine weitere Öffentlichkeitsbeteiligung nach den Vorschriften über die Strategische Umweltprüfung (§ 12c III EnWG) durch, deren Ergebnisse bei der abschließenden Bestätigung des Plans zu berücksichtigen sind. Mindestens alle drei Jahre, wenn der Netzentwicklungsplan als Entwurf für den Bundesbedarfsplan der Bundesregierung zu übermitteln ist, erfolgt die Öffentlichkeitsbeteiligung aufgrund eines Umweltberichts, der den Anforderungen des § 14g UVPG genügen muss. Schließlich unterliegt die dritte und abschließende Stufe der Bedarfsplanungsphase den allgemeinen Regeln über die Öffentlichkeit des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens, weil über den Bedarfsplan durch Gesetz entschieden wird. ___________ 36 SRU, Wege zur 100% erneuerbaren Stromversorgung, Sondergutachten 2011, Tz. 558 ff.; in seinen planungsrechtlichen Teilen beruht dieses Sondergutachten seinerseits auf einem Rechtsgutachten von Schneider, Planungs-, genehmigungs- und naturschutzrechtliche Fragen des Netzausbaus und der untertägigen Speichererrichtung zur Integration erneuerbarer Energien in die deutsche Stromversorgung, 2010. 37 Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 336, sprechen von „inflationärer Beteiligung der Öffentlichkeit“. 38 Dazu Hofmann, JZ 2012, 701 ff.; von einer vorbildlichen Ausgestaltung spricht Wagner, DVBl. 2011, 1453, 1458; skeptisch dagegen Durner, DVBl. 2011, 853, 858 ff.; Grigoleit/Weisensee, UPR 2011, 401, 403; Moench/Ruttloff, NVwZ 2011, 1040, 1041; differenziert Calliess/Dross, JZ 2012, 1002, 1010 f.
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Die beteiligungsfreundliche Grundkonzeption setzt sich fort bei der Bundesfachplanung. Da hier gem. § 5 II NABEG eine – weitere – Strategische Umweltprüfung (§§ 14e ff. UVPG) vorzunehmen ist39, richtet sich der Verfahrensablauf nach den einschlägigen Vorschriften für die SUP (§§ 14f ff. UVPG), wird aber in den §§ 7 ff. NABEG im Interesse einer intensiveren Öffentlichkeitsbeteiligung bei gleichzeitiger Verfahrensstraffung modifiziert. Hinzuweisen ist auf die Antragskonferenz nach § 7 NABEG, in der der Untersuchungsrahmen und die erforderlichen Antragsunterlagen vorstrukturiert werden, auf die Sonderregeln zur Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung in § 9 NABEG, bei der es sich um eine „Jedermann“-Beteiligung handelt40, sowie auf den gem. § 10 NABEG obligatorischen Erörterungstermin, der nur unter engen Voraussetzungen entfallen darf. Als Ausgleich für ihren Zuständigkeitsverlust räumt § 14 NABEG den von einer Bundesfachplanungsentscheidung betroffenen Ländern – im Anschluss an die Mitteilung der Entscheidung mit einer Frist von einem Monat – ein besonderes Einwendungsrecht ein, das allerdings (nur) die Pflicht der BNetzA auslöst, dazu binnen eines Monats Stellung zu nehmen41. Schließlich sind Sonderregeln für das Planfeststellungsverfahren zu erwähnen, die zunächst die öffentliche Antragskonferenz gem. § 20 NABEG betreffen, die von der Planfeststellungsbehörde unverzüglich nach Einreichung des Antrags durchgeführt werden muss. § 22 NABEG gestaltet die Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung entsprechend der das neue Energieplanungsrecht prägenden partizipationsfreundlichen Grundstruktur aus, indem es etwa die parallele Auslegung der Unterlagen im Internet und einen zwingenden Erörterungstermin vorsieht. 3. Verfahrensstufung und Rechtsschutz Blickt man auf den komplexen Entscheidungs- und Abwägungsbedarf der Übertragungsnetzplanung, der von den energiepolitischen Rahmenbedingungen (Ausstieg aus der Kernenergie, Umfang und Lokalisierung erneuerbarer Energien etc.) bis zur Lösung einzelner durch das konkrete Leitungsprojekt ausgelöster Konflikte reicht, so zeichnet sich das neue Planungsrechtssystem durch eine konsequente ebenen- und phasenspezifische Abschichtung und Stufung der Entscheidungsprozesse sowie durch eine klare Entscheidung für eine Konzentration des Rechtsschutzes auf die letzte Stufe der Projektzulassung (Planfeststellung) aus. ___________ 39 Dabei kann allerdings gem. § 14g IV UVPG auf die Daten zurückgegriffen werden, die bereits im Rahmen der Vorbereitung des Bundesbedarfsplans gem. § 12c II EnWG erhoben werden mussten. 40 Wagner, DVBl. 2011, 1453, 1455. 41 Dazu Appel, ER 2012, 3, 7 f.
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a) Bedarfsplanung In der ersten Phase der Bedarfsplanung ergibt sich die Verfahrensstufung mit den erforderlichen Verknüpfungen daraus, dass (1) der Szenariorahmen sich im Rahmen der mittel- und langfristigen energiepolitischen Ziele der Bundesregierung halten muss (§ 12a I EnWG), dass (2) der Netzentwicklungsplan alle Maßnahmen umfassen muss, die nach den Szenarien des Szenariorahmens erforderlich sind (§ 12b II EnWG) und dass (3) mindestens alle drei Jahre der von der BNetzA bestätigte Netzentwicklungsplan als Entwurf für den Bundesbedarfsplan der Bundesregierung unterbreitet wird (§ 12e I EnWG). Rechtsschutz Dritter kommt in dieser ersten Phase der Bedarfsplanung regelmäßig schon deshalb nicht in Betracht, weil die Netzentwicklungsplanung nach ihrer aus § 12b und § 12c EnWG ersichtlichen Gesamtkonzeption nicht auf die parzellenscharfe Lokalisierung der Ausbaumaßnahmen ausgerichtet ist. Für Fälle, in denen sich dies anders verhält (z.B. bei Maßnahmen zur Optimierung/Verstärkung vorhandener Leitungen), schließt § 12c IV 2 EnWG den Rechtsschutz Dritter gegen die Bestätigung des Plans durch die BNetzA ausdrücklich aus. Im Verhältnis zur nachfolgenden zweiten Phase liegt die entscheidende – und zugleich problematische42 – Abschichtungsleistung der Bedarfsplanung darin, dass für die im Bundesbedarfsplan-Gesetz enthaltenden Vorhaben die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf festgestellt werden und die nachfolgende Bundesfachplanung ebenso wie die Planfeststellung hieran gebunden sind (§ 4 NABEG, § 12e IV EnWG). b) Bundesfachplanung und Planfeststellung Klar strukturiert ist auch die Verfahrensstufung in der zweiten Phase, die sich aus Trassenfindung (Bundesfachplanung) und Planfeststellung zusammensetzt. Abweichend von der Trassenfindung im Wege des Raumordnungsverfahrens, sieht § 15 I NABEG vor, dass die verfahrensabschließende Entscheidung im Bundesfachplanungsverfahren für das anschließende Planfeststellungsverfahren verbindlich ist. Diese Bindung ist strikt und entspricht der intendierten Abschichtung des Problemstoffes und Entscheidungsbedarfs43. Gründe dafür, der Planfeststellungsbehörde eine Abweichung von dem festgestellten Trassenkorridor zu ermöglichen44, sind nicht ersichtlich. Insbesondere gebietet das – verfassungsrechtlich basierte – Abwägungsgebot nicht, dass im Rahmen sinnvoll gestufter Verfahren auf der letzten Stufe die zuständige Behörde das Er___________ 42 43 44
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Zur Ratifikationslage, in der sich der Bundestag befindet, s. u. IV. 2. So auch Appel, ER 2012, 3, 5 f. m.w.N.; Franke, in: FS Salje, 2013, S. 121, 135. So aber Moench/Ruttloff, NVwZ 2011, 1040, 1043; Wagner, DVBl. 2011, 1453,
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gebnis vorangegangener Verfahrensschritte prüfen und verwerfen darf oder muss, sondern erlaubt vielmehr, die erforderliche Abwägung in Abhängigkeit von der jeweiligen Stufe, ihrer Prüfungstiefe und Problemverarbeitungskapazität aufzuteilen und abzuschichten45. So kann im Interesse einer sinnvollen Verfahrensstufung und zur Vermeidung von Doppelprüfungen die Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen der Planfeststellung auf solche erheblichen Umweltauswirkungen beschränkt werden, die nicht bereits bei der Strategischen Umweltprüfung im Rahmen der Bundesfachplanung berücksichtigt wurden (§ 23 NABEG)46. Von den Vorhabenträgern und der BNetzA zu bewältigen sein wird das bei gestuften Verfahren typischerweise auftretende Problem, wie die Prüfungstiefe der Bundesfachplanung so ausgestaltet werden kann, dass unvorhergesehene, aber im Planfeststellungsverfahren nicht auszuräumende Hindernisse vermieden werden. Was den Rechtsschutz gegen die Bundesfachplanungsentscheidung der BNetzA angeht, so sieht § 15 III 2 NABEG vor, dass sie trotz ihrer Verbindlichkeit für die nachfolgende Planfeststellung nicht selbständig angefochten und nur im Rahmen von Rechtsbehelfen gegen die abschließende Zulassungsentscheidung (Planfeststellung) überprüft werden kann. Diese Entscheidung gegen einen phasenspezifischen und für ein auf die letzte Entscheidungsstufe konzentriertes Rechtsschutzkonzept ist verfassungsrechtlich (Art. 19 IV GG) zulässig, solange potentiellen Klägern die Vorentscheidungen auf der vorangegangenen Stufe der Bundesfachplanung nicht als unangreifbar entgegengehalten werden können47. Dieser Anforderung ist hier durch § 15 III 2 NABEG explizit Genüge getan48. Die zulässige Konzentration auf den Rechtsschutz gegen die letzte Verfahrensstufe gilt auch für eventuelle rechtliche Einwände der Länder – und zwar auch dann, wenn sie von ihrem besonderen Einwendungsrecht nach § 14 NABEG Gebrauch gemacht haben49. Dabei ist zu beachten, dass den Ländern selbst dann kein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch gegenüber dem Bund zusteht, wenn dessen Behörden bei Verwaltungsentscheidungen Landesrecht zu beachten haben50. Das Verhältnis zwischen Bund und ___________ 45 Zusammenfassend m.w.N. Appel, ER 2012, 3, 6; nicht überzeugend dagegen Wagner, DVBl. 2011, 1453, 1457 f. 46 Dazu m.w.N. Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 335. 47 BVerwGE 125, 116, 142 f., für Ziele der Raumordnung; aus der Lit. siehe nur Franke, in: FS Salje, 2013, S. 121, 136 mit ausführlichen Nachw.; krit. Moench/Ruttloff, NVwZ 2011, 1040, 1043. 48 Ausführlich dazu Appel, ER 2012, 3, 6 f.; a.A. Moench/Ruttloff, NVwZ 2011, 1040, 1043. 49 Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 335; Appel, ER 2012, 3, 7 f.; Sellner/Fellenberg, NVwZ 2011, 1025, 1032; a.A. offenbar Moench/Ruttloff, NVwZ 2011, 1040, 1043. 50 Dazu, dass den Ländern keine klagefähige Rechtsposition zusteht, die Beachtung von Landesrecht bei der Entscheidung der BNetzA durchzusetzen, s. Appel, ER 2012, 3, 7 f.
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Ländern ist hier wie auch sonst grundsätzlich verfassungsrechtlich geprägt und Rechte der Länder aus diesem Rechtsverhältnis könnten allenfalls dann verletzt sein, wenn der Bund seine Gesetzgebungs- oder Verwaltungskompetenzen überschritten hätte. Auch für den Rechtsschutz der Gemeinden gegen die Bundesfachplanung gilt die strikte und klare Regelung des § 15 III 2 NABEG, wobei es nicht darauf ankommt, ob sich angesichts der Trassenkorridorbreite von 500 bis 1000 Metern eine Betroffenheit einer Gemeinde als Grundstückseigentümerin oder als Inhaberin der Planungshoheit bereits abschließend beurteilen lässt51. Schließlich besteht auch für die Klage von Umweltvereinigungen nach § 3 UmwRG keine unionsrechtliche Veranlassung, § 15 III 2 NABEG nicht anzuwenden52. Denn das einschlägige Unionsrecht verlangt auch nach der Trianel-Entscheidung des EuGH53 nicht, dass Umweltvereinigungen phasenspezifischer anstatt auf die außenverbindliche Letztentscheidung konzentrierter Rechtsschutz zu gewähren ist. Mit diesem klaren und stimmigen Konzept der Konzentration des Rechtsschutzes auf die letzte Verfahrensstufe der Planfeststellung54 bei gleichzeitig intensiver, auf Akzeptanz angelegter Partizipation auf der vorgelagerten Stufe der Bundesfachplanung ist der Gesetzgeber ein hohes Risiko eingegangen. Wenn mit dem oft geforderten Grundrechtsschutz durch Verfahren in der Bundesfachplanung erfreulicherweise ernst gemacht wird55, so ändert das nichts daran, dass Fehler in der Bundesfachplanung im Rahmen der allgemeinen Regeln auf die nachgelagerte Planfeststellung durchschlagen, ohne dass hier besondere Präklusionsregeln56 greifen. Es gelten allerdings gem. § 15 III 3 NABEG die Planerhaltungsregeln des § 43e IV EnWG. Eine vorsorgliche „Reparatur“ von Fehlern der Bundesfachplanung durch das Planfeststellungsverfahren dadurch, dass letzteres entgegen der strikten Bindung gem. § 15 I 1 NABEG das Ergebnis der Bundesfachplanung in Frage stellt und durch eine erneute und evt. abweichende Entscheidung ersetzt, ist rechtlich nicht zulässig57. ___________ 51 A.A. Sellner/Fellenberg, NVwZ 2011, 1025, 1032; undeutlich insoweit Appel, ER 2012, 3, 8 f. 52 Dazu Appel, ER 2012, 3, 9 f.; Sellner/Fellenberg, NVwZ 2011, 1025, 1032; Schmidt, ZUR 2012, 210, 214; a.A. Moench/Ruttloff, NVwZ 2011, 1040, 1042. 53 EuGH, ZUR 2011, 368 ff. 54 Skeptisch dagegen Durner, DVBl. 2011, 853, 859 ff. 55 SRU, Wege zur 100% erneuerbaren Stromversorgung, Sondergutachten 2011, Tz. 584. 56 Dass solche auf die Bundesfachplanung nicht analog angewendet werden können, zeigt Appel, ER 2012, 3, 11 f. 57 A.A. offenbar Sellner/Fellenberg, NVwZ 2011, 1025, 1032. Durch die zwischenzeitlich entschiedene Zuständigkeit der BNetzA auch für das Planfeststellungsverfahren (dazu unten IV. 1.) entschärft sich das Problem.
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III. Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Bundesfachplanung Das neue Planungsinstrument der Bundesfachplanung wirft Fragen der planungsrechtssystematischen Einordnung auf, die verfassungsrechtliche Folgerungen hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Bundes und eines möglichen Abweichungsrechts der Länder nach sich ziehen. Über die genauere Bestimmung der Funktion und die rechtliche Charakterisierung dieses Verfahrens herrscht noch keine Klarheit, weil es sich um ein neues Instrument handelt, das keine eindeutigen Vorbilder im geltenden Planungsrecht hat. Vergleiche mit der fernstraßenrechtlichen Linienbestimmung58 oder mit den Zielen der Raumordnung59 knüpfen an einzelne Elemente der Bundesfachplanung an. Nahe liegt die Parallele zum Raumordnungsverfahren60 – zumal die Bundesfachplanung gem. § 28 NABEG das Raumordnungsverfahren ersetzt. Diese Frage nach der allgemeinen Charakterisierung der Bundesfachplanung hängt eng mit der Frage zusammen, auf welche Gesetzgebungskompetenz der Bund sich bei deren Einführung stützen konnte und ob den Ländern eine Abweichungskompetenz gem. Art. 72 III Nr. 4 GG zusteht, weil es sich um eine Materie der Raumordnung nach Art. 73 I Nr. 31 GG handelt61. Dagegen62 sprechen allerdings die Ähnlichkeit mit dem fernstraßenrechtlichen Linienbestimmungsverfahren, der im Vergleich zum Raumordnungsverfahren erweiterte Prüfungsmaßstab (umfassende Abwägung öffentlicher und privater Belange nach § 5 I NABEG) und die im Vergleich zum Raumordnungsverfahren größere Verbindlichkeit für die nachfolgende Planfeststellung nach § 15 I 1 NABEG. Hinzu kommt, dass der Bundesfachplanung offensichtlich die die Raumordnung insgesamt und auch das Raumordnungsverfahren kennzeichnende überfachliche Distanz und Neutralität zu den verschiedenen Raumnutzungsansprüchen und fachlichen Belangen fehlt. Insoweit zieht die Bundesfachplanung die richtige Konsequenz aus dem Umstand, dass das Raumordnungsverfahren mangels eines anderen geeigneten Planungsinstruments in der Vergangenheit – und außerhalb des Anwendungsbereichs des NABEG nach wie vor – system___________ 58
Siehe etwa Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 336. Siehe de Witt/Durinke/Kause, Die Planung der Übertragungsnetze, 2012, S. 148. 60 Sellner/Fellenberg, NVwZ 2011, 1025, 1031; Erbguth, NVwZ 2012, 326, 328 („handelt es sich instrumentell um ein Raumordnungsverfahren“); mit krit. Tendenz (ungerechtfertigte Abweichung vom System des Raumordnungsrechts) Erbguth, DVBl. 2012, 325, 326; Hofmann, JZ 2012, 701, 706; Appel, ER 2012, 3, 4 f. m.w.N. 61 So etwa Erbguth, NVwZ 2012, 326, 328 f.; Moench/Ruttloff, NVwZ 2011, 1040, 1041; Durner, NuR 2012, 369, 374; weitere Nachw. dazu bei Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 334 f. 62 Zusammenfassend zu den Merkmalen, die die Bundesfachplanung signifikant von dem Raumordnungsverfahren unterscheiden, Appel, ER 2012, 3, 4 f. m.w.N.; Calliess/Dross, JZ 2012, 1002, 1008 f. 59
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widrig die Funktion eines die Planfeststellung vorbereitenden fachlichen Trassenfindungsverfahrens übernehmen musste. Bei der Bundesfachplanung handelt es sich deshalb um ein auf bestimmte Höchstspannungsleitungen bezogenes und insoweit fachliches Planungsverfahren eigener Art, das unterhalb der Raumordnungs-63 und fachlichen Bedarfsplanung angesiedelt ist und – die abschließende Planfeststellung vorbereitend und diese im Sinne einer sinnvollen Verfahrensstufung bindend – die erste Stufe des Verfahrens der planerischen Lokalisierung und Zulassung des Vorhabens darstellt. Deshalb liegt der Schwerpunkt der §§ 4 ff. NABEG nicht nur nach der gesetzlichen Bezeichnung des Instruments sondern auch der Sache nach auf der (energierechtlichen) Fachplanung und nicht auf der Raumordnung. Kompetenzrechtlich stützt sich die Bundesfachplanung folglich im Schwerpunkt auf Art. 74 I Nr. 11 GG (Recht der Energiewirtschaft)64 mit der Folge, dass den Ländern keine Abweichungskompetenz nach Art. 72 III Nr. 4 GG zusteht65.
IV. Die Rolle der Bundesnetzagentur und die Verwaltungskompetenz des Bundes Schwierigere verfassungsrechtliche Fragen wirft die dominierende Stellung der BNetzA auf, die das gesamte neue Planungssystem der Übertragungsleitungen prägt. Zweifelhaft ist nämlich, ob diese Bundesoberbehörde für alle wichtigen Entscheidungen des Planungsprozesses über die verfassungsrechtlich erforderliche demokratische Legitimation verfügt und ob dem Bund die Verwaltungskompetenz zukommt, der BNetzA auch die Zuständigkeit für die Bundesfachplanung und für die Planfeststellung zuzuweisen. 1. Die Bundesnetzagentur als zentraler Akteur Die dominante Stellung der BNetzA im gesamten Prozess der Bedarfsplanung wurde bereits im Überblick über die Verfahrensstufen deutlich: Sie ist zunächst zuständig für die Genehmigung des von den Übertragungsnetzbetreibern erarbeiteten Szenariorahmens und kommt nicht umhin, im Rahmen dieses Genehmigungsverfahrens wesentlichen Einfluss auf die erforderliche prognosti___________ 63 Dazu, dass der Vorrang vor der Landesplanung nach § 15 I 2 NABEG keine allgemeine Freistellung von den Bindungen an die Erfordernisse der Raumordnung bedeutet, sondern lediglich nachträgliche raumordnerische Maßnahmen, die das Ergebnis der Bundesfachplanung torpedieren würden, für irrelevant erklärt, s. bereits oben bei Fn. 30. 64 Ausschließlich Art. 74 I Nr. 11 GG nennt BT-Drucks. 17/6073, S. 19 f.; ähnlich Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 334 m.w.N.; Appel, UPR 2011, 406, 410. 65 So im Ergebnis auch Wagner, DVBl. 2011, 1453, 1456.
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sche Konkretisierung der mittel- und langfristigen energiepolitischen Ziele zu nehmen, die die Grundlage der weiteren Bedarfsplanung sind. Die Bestätigung des Netzentwicklungsplans – nach möglichen Änderungsverlangen – impliziert vergleichbare (Beurteilungs- und Ermessens-)Spielräume, weil die Deduktion der notwendigen Netzausbaumaßnahmen aus dem genehmigten Szenariorahmen mit erheblichen Einschätzungsspielräumen einhergeht – etwa zum prognostizierten Ausbau der Offshore-Windenergie im Verhältnis zum Ausbau der Onshore-Windenergie in Süddeutschland, zur Frage, ob der Einspeisevorrang für erneuerbare Energien zu jedem Zeitpunkt und zu jeweils 100% zugrunde gelegt wird, wie auch zur Entwicklung der Energieeinsparpotentiale. Die Zuständigkeitskonzentration bei der BNetzA setzt sich fort bei der Bundesfachplanung nach §§ 4 ff. NABEG66. Hintergrund ist der erhebliche Koordinierungsdruck, der in der Vergangenheit auf der Trassenplanung im Wege von Raumordnungsverfahren lastete, weil die entsprechenden Verfahren in allen beteiligten Bundesländern abgeschlossen sein mussten, um die Übergangspunkte an den Ländergrenzen zu bestimmen67. Deshalb sollte die Feststellung der Leitungskorridore für die länderübergreifenden und grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungen „aus einer Hand“68 erfolgen. Nachdem die zwischen Bund und Ländern umstrittene Planfeststellungszuständigkeit zunächst mit Hilfe einer Verordnungsermächtigung offengehalten worden war (§ 2 II NABEEG), wurde nach einem entsprechenden Konsens zwischen Bundesregierung und Ministerpräsidenten der Länder inzwischen auch die Planfeststellungszuständigkeit für alle im Bundesbedarfsplan 2013 enthaltenen länderübergreifenden und grenzüberschreitenden Vorhaben der BNetzA zugewiesen.69 2. Ausreichende demokratische Legitimation für die Netzentwicklungsplanung? Mit Blick auf die offensichtlich mit erheblichen energiepolitischen Einschätzungsspielräumen einhergehende Netzentwicklungsplanung wirft die dominante Stellung der BNetzA die verfassungsrechtliche Frage nach ihrer ausreichenden demokratischen Legitimation auf. Die strukturell an dem Modell unabhängiger Regulierungsbehörden orientierte Behörde verfügt kaum über die erforderliche demokratische Legitimation für energie- und umweltpolitische Konzeptentscheidungen. Denn auf ihre fachliche Kompetenz und Unabhängigkeit ___________ 66 Siehe § 31 I NABEG; zur Frage, ob die BNetzA im Rahmen ihrer Bundesfachplanungszuständigkeit unabhängig agieren darf, Erbguth, NVwZ 2012, 326, 331 f. 67 Mit Beispielen aus der Praxis Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 333. 68 BT-Drucks. 17/6073, S. 19. 69 Dem Entwurf einer Planfeststellungszuweisungsverordnung (abrufbar unter bmwi.de) hat der Bundesrat am 7.6.2013 zugestimmt.
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kann im vorliegenden Zusammenhang nicht verwiesen werden, weil im Gegensatz zu den von ihr sonst zu entscheidenden Regulierungsfragen die hier in Rede stehende Planung – jedenfalls, soweit es um die in dem Szeneriorahmen enthaltenen prognostischen Weichenstellungen geht – eine offensichtliche politische Dimension aufweist, die das fachliche Legitimationspotential der Behörde übersteigen dürfte. Diese Problematik erfährt durch die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2009/72/EG eine dramatische Zuspitzung, weil deren Art. 35 weitreichende Unabhängigkeitsanforderungen formuliert, die bereits unabhängig von der Entscheidungsbefugnis der Behörde über den Netzentwicklungsplan in Konflikt zu den Anforderungen geraten, die das BVerfG aus dem Demokratieprinzip für die Behördenorganisation ableitet70. Da weder die Netzbetreiber noch die Exekutive (BNetzA) oder die Politik (Bundestag, Bundesregierung) jeweils alleine über das notwendige Wissen und die erforderliche demokratische Legitimation für die Netzbedarfsplanung verfügen, hatte der Gesetzgeber im Jahr 2011 institutionelle Arrangements und kooperative Verfahren zu entwerfen, die den Sachverstand der Netzbetreiber und -nutzer einbeziehen, dem Primat der Politik Rechnung tragen und gleichzeitig der BNetzA entsprechend der Vorgabe in Art. 22 Binnenmarktrichtlinie 2009 das Letztentscheidungsrecht über den Netzentwicklungsplan zuweisen, wobei die BNetzA allerdings nach Art. 35 IV EltRL 2009 vollständig von der Politik unabhängig sein muss71. Diese schwierige Aufgabe scheint im Wesentlichen gelungen – mit (1) der Bindung der Netzbetreiber und der BNetzA an die energiepolitischen Vorgaben der Bundesregierung in § 12a I EnWG, (2) mit der umfassenden Beteiligung der Netznutzer, der Träger öffentlicher Belange – einschließlich der zuständigen Landesbehörden – und der Öffentlichkeit, (3) mit der abschließenden Entscheidungszuständigkeit der BNetzA und schließlich (4) mit der „Zwischenschaltung“ der Gesetzgebungsorgane in Gestalt des Bundesbedarfsplangesetzes, soweit es um die planungsrechtliche Feststellung des Bedarfs geht. Bei genauerem Hinsehen bleiben allerdings Zweifel. Denn die Gesetzgebungsorgane befinden sich bei der Transformation des Netzentwicklungsplans in das Bundesbedarfsplan-Gesetz offensichtlich in einer Ratifikationslage, die angesichts des vorangegangenen Verfahrens mit seinen zahlreichen Vorentscheidungen und mangels einer ausgearbeiteten Alternative eine eigenständige politische Konzeptentscheidung der Bundesregierung oder des Parlaments nicht zulässt. Der maßgebliche politische – und demokratisch legitimierte – „Input“ für die gesamte Netzentwicklungsplanung mit ihren regulierungsrechtlichen Konsequenzen für die Übertragungsnetzbetreiber und mit ih___________ 70 Zum Problem s. nur Hermes, in: Bauer/Huber/Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, S. 457 ff. 71 Immerhin gesteht das Unionsrecht in Art. 35 IV RL 2009/72/EG die Bindung der Regulierungsbehörden an „allgemeine politische Leitlinien der Regierung“ zu.
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ren planungsrechtlichen Vorwirkungen für die nachfolgende Bundesfachplanung und Planfeststellung muss deshalb von den „mittel- und langfristigen energiepolitischen Zielen der Bundesregierung“ (§ 12a I EnWG) geleistet werden. Insoweit bleiben erhebliche Zweifel, ob die energiepolitischen Vorgaben der Bundesregierung an die BNetzA das erforderliche Maß an Konkretisierung, Formalisierung, Aktualisierung und an verfahrensrechtlicher Absicherung aufweisen. Wie zahlreiche Stellungnahmen zu den Szenariorahmen 2012 und 2013 gezeigt haben72, verbergen sich hinter den dort zugrunde gelegten Annahmen und Prognosen die zentralen energiepolitischen Weichenstellungen, für die es an Leitlinien der Bundesregierung fehlt, die aber weder die Übertragungsnetzbetreiber noch die BNetzA verantworten können. Der Gesetzgeber ist deshalb gut beraten, das institutionelle Arrangement in der Weise fortzuentwickeln, dass die wesentlichen Grundlagen des Szenariorahmens in die Verantwortung der Politik gelegt werden. 3. Bundesverwaltungskompetenz für die Bundesfachplanung und die Planfeststellung? Zweifeln unterliegt darüber hinaus die Verwaltungskompetenz des Bundes für die Bundesfachplanung und für die Planfeststellung73. Die Begründung bundeseigener Verwaltung soll ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 87 III GG finden74. Ob dessen Voraussetzungen, insbesondere die gebotene organisations- und aufgabenbezogene Zentralität, allerdings vorliegen, ist durchaus zweifelhaft75. Weder ein vermeintlicher Beurteilungsspielraum des Bundes noch die besondere Sachkompetenz der BNetzA76, helfen über diese verfassungsrechtlichen Anforderungen hinweg. Auch das Unionsrecht kann die Zuständigkeit einer Bundesbehörde für die Planung und abschließende Zulassung von Übertragungsnetzvorhaben nicht legitimieren, weil die einschlägige Verordnung zu Leitlinien für die transeuropäische Infrastruktur77 – entgegen dem ___________ 72
Abrufbar unter http://www.netzausbau.de (Bedarfsermittlung). Dazu, dass die BNetzA als Planfeststellungsbehörde nicht über ihre regulierungsbehördliche Unabhängigkeit verfügen würde, s. nur Erbguth, NVwZ 2012, 326, 331. 74 BT-Drucks. 17/6073, S. 57. 75 Verneinend Durner, DVBl. 2011, 853, 857 f., der allerdings die „ungeschriebene Raumordnungskompetenz des Bundes für den Gesamtstaat“ ins Spiel bringt; bejahend etwa Appel, UPR 2011, 406, 411 f.; Moench/Ruttloff, NVwZ 2011, 1040, 1041. 76 So aber Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 334. 77 Verordnung (EU) Nr. 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2013 zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 1364/2006/EG und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 713/2009, (EG) Nr. 714/2009 und (EG) Nr. 715/2009, ABl.EU Nr. L 115/39. 73
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Vorschlag der Kommission78 – lediglich eine nationale Behörde verlangt, die für die Koordinierung des Genehmigungsverfahrens für Vorhaben von gemeinsamem Interesse verantwortlich ist (Art. 8 Abs. 1 der Verordnung). Im Übrigen beschränkt sich die Geltung dieser Vorschrift auf die Vorhaben von allgemeinem Interesse, zu denen nicht alle Vorhaben gehören, für die die BNetzA zuständig ist79. Entscheidend dürfte für die Bundesfachplanung der länderübergreifende Gegenstand der Bundesfachplanung sein, der – parallel zur Linienbestimmung bei Fernstraßen – eine Bundesverwaltungskompetenz kraft „Natur der Sache“ begründet80. Schwieriger ist die Begründung einer Bundesverwaltungskompetenz für die Planfeststellung81 selbst dann, wenn man die besonderen Probleme außer Acht lässt, die hier aus dem Umstand folgen, dass die Zuständigkeitsverlagerung auf die BNetzA auf einer Verordnungsermächtigung beruht82. Ohne Zweifel sprechen Praktikabilitäts- und Beschleunigungsgesichtspunkte für eine Zuständigkeitskonzentration bei der BNetzA83. Sie sind aber zur Begründung der von ___________ 78 KOM (2011) 658 endg. Art. 9 des Verordnungsentwurfs sah eine zuständige nationale Behörde vor, die für die Erleichterung und Koordinierung des Genehmigungsverfahrens für Vorhaben von gemeinsamem Interesse verantwortlich ist und die „umfassende Entscheidung“ erlässt. Ausführlich zu dem Entwurf Armbruster, DVBl. 2013, S. 479 ff. 79 s. dazu Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 334. 80 Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 83 Rn. 44, Art. 90 Rn. 25; im Ergebnis eine Bundesverwaltungskompetenz bejahend Grigoleit/Weisensee, UPR 2011, 401, 402; Erbguth, NVwZ 2012, 326, 330 f. 81 Ablehnend Durner, DVBl. 2011, 853, 857 f.; Moench/Ruttloff, NVwZ 2011, 1040, 1041. 82 Zweifelhaft ist, ob der Bundesgesetzgeber die Begründung von Bundesverwaltung gem. Art. 87 III 1 GG an den Verordnungsgeber delegieren durfte; dagegen Grigoleit/Weisensee, UPR 2011, 401, 403. Dies ist allerdings vor dem Hintergrund der bundesstaatlichen Schutzfunktion des in Art. 87 III 1 GG enthaltenden Vorbehalts des Gesetzes zu bejahen, weil das Parlamentsgesetz in §§ 2 II, 18 ff. NABEG die von der Bundesverwaltung wahrzunehmende Aufgabe klar benennt und inhaltlich umschreibt; so auch Appel/Eding, NVwZ 2012, 343 ff.; zu den aus Art. 87 III GG folgenden Anforderungen Hermes, in: Dreier, GG-Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 87 Rn. 83 f. Das zweite Problem liegt darin, dass § 2 II NABEG keine umfassende Zuständigkeit der Bundesnetzagentur für alle in den Anwendungsbereich des NABEG fallenden Leitungen bezweckt, was aus dem Kompromisscharakter der Vorschrift vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen Bundesregierung und Bundesrat betr. die Zuständigkeitsfrage; dazu m.w.N. Grigoleit/Weisensee, UPR 2011, 401, 401; auch Franke, in: FS Salje, 2013, S. 121, 135, meint, nur „einzelne Leitungsbauvorhaben“ könnten in die Planfeststellungszuständigkeit des Bundes überführt werden. 83 Dazu BT-Drucks. 17/6073, S. 19. Eine Bundesverwaltungskompetenz mit unterschiedlichen Gründen befürwortend Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 334; Wagner, DVBl. 2011, 1453, 1456; Appel, UPR 2011, 406, 410 f.; ders./Eding, NVwZ 2012, 343, 347.
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Art. 87 III GG geforderten Zentralität der Aufgabe84 nicht ausreichend. Verfahren und Prüfprogramm der Planfeststellung sprechen eher gegen diese Zentralität im verfassungsrechtlichen Sinne85. Der länderübergreifende Charakter der Aufgabe, der im Hinblick auf die Bundesfachplanung eine Bundesverwaltungskompetenz kraft Natur der Sache zu begründen vermag, hilft hier ebenfalls nicht weiter, da die Länderübergangspunkte bereits durch die Bundesfachplanung entschieden sind (§ 12 II Nr. 1 NABEG). Bedenkenswert ist allerdings der Hinweis86, dass Bundesfachplanung und Planfeststellung – insbesondere wegen des auf letztere konzentrierten Rechtsschutzes – einen einheitlichen Planungsvorgang darstellen, der deshalb insgesamt der Bundesverwaltung überantwortet werden darf. Auch wird darauf verwiesen, dass die für die Planfeststellung erforderliche Sachverhaltsermittlung keineswegs ausschließlich oder überwiegend durch die Behörde selbst vor Ort erfolgt, sondern zunächst durch den Vorhabenträger selbst bzw. in seinem Auftrag im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung zu leisten ist. Die zusätzliche Einschaltung von Gutachtern, die Konsultation von Datenbanken und die Einbeziehung von Fachbehörden seien weitere typische Verfahrensschritte, deren Bewältigung keine kontinuierliche behördliche Präsenz vor Ort erfordere87. Dem mag man insbesondere dann folgen, wenn man eine die Anforderungen an die Zentralität der Aufgabe sehr großzügig handhabende Entscheidung einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts88 maßgeblich berücksichtigt. Allerdings scheint dann angesichts der Möglichkeiten elektronischer Kommunikation im Verwaltungsverfahren (§ 3a VwVfG) der Tag nicht mehr allzu fern, an dem auch bauplanungsrechtliche Genehmigungen bei einer Bundesoberbehörde auf der Grundlage von Art. 87 III GG zentralisiert werden können.
V. Die Asymmetrie zwischen Netzplanung und Steuerung der Erzeugung Die wichtigste Herausforderung für die zukünftige Weiterentwicklung des Energieplanungsrechts dürfte darin liegen, die Asymmetrie zwischen dem hier in den Grundzügen dargestellten neuen System einer bedarfsorientierten Netz___________ 84 s. dazu nur Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 87 Rn. 85 ff. 85 So auch Erbguth, NVwZ 2012, 326, 330; ähnlich Moench/Ruttloff, NVwZ 2011, 1040, 1041; Durner, NuR 2012, 369, 375 f.; Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, S. 92 f.; ohne ausreichende Begründung wird die Zentralität bejaht etwa von Sellner/Fellenberg, NVwZ 2011, 1025, 1032. 86 Von Grigoleit/Weisensee, UPR 2011, 401, 402. 87 Franke, in: FS Salje, 2013, S. 121, 138. 88 BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 2009, 171, 174 f.
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planung einerseits und der Steuerung der Erzeugungsstruktur andererseits zu beseitigen. Diese Asymmetrie ist Folge der unionsrechtlich initiierten Liberalisierung der Elektrizitätsversorgung, zu deren strukturprägenden Elementen der freie Zugang zum Erzeugungsmarkt und die damit einhergehende freie Wahl der Erzeugungsart und des Erzeugungsanlagenstandortes gehören. Wegen der Leitungsabhängigkeit der Elektrizitätsversorgung führt dies aber zwangsläufig dazu, dass der Netzausbau den Investitionsentscheidungen zugunsten bestimmter Erzeugungsstandorte zeitnah „hinterher laufen“ muss89. Angesichts der technisch bedingten Interdependenz zwischen Erzeugungsstruktur, Verbrauchsschwerpunkten und Netzkonfiguration erzeugt das Ordnungsmodell einer grundsätzlich freien Investitionsentscheidung über Erzeugungsstandorte und -kapazitäten für den „nacheilenden“ Netzausbau einen erheblichen Druck, der höchste Anforderungen an ein beschleunigtes Planungssystem ebenso wie an die technische, finanzielle und organisatorische Leistungsfähigkeit der beteiligten Netzbetreiber und ihrer Zulieferer stellt. Die aufgezeigten Neuerungen des Energienetzplanungsrechts seit der Energiewende 2011 lassen sich aus dieser Perspektive interpretieren als Reaktion auf diese neuen Herausforderungen, die mangels marktinduzierter Anreize für einen zügigen und bedarfsgerechten Netzausbau diesen unter immer stärkeren staatlichen Einfluss bringt. Während die Teilnehmer des Erzeugungsmarktes „ihren“ Standort und die von ihnen als die rentabelste eingeschätzte Erzeugungsart grundsätzlich frei wählen können, müssen Netzplanung und -ausbau durch beschleunigte Verfahren den dadurch erzeugten Transportbedarf unter kontinuierlicher Anpassung an die veränderlichen Investitionsentscheidungen der Erzeuger befriedigen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass die Investitionsentscheidungen auf dem Erzeugungsmarkt keineswegs so „frei“ sind wie sie im Modell des liberalisierten Elektrizitätsmarktes erscheinen. Tatsächlich ist die Erzeugungsstruktur bereits nach geltendem Recht Gegenstand intensiver staatlicher Steuerung, weil es aus Gründen des Umwelt- und Ressourcenschutzes, der Raumverträglichkeit der Standorte sowie aus Gründen der Versorgungssicherheit ein „freier“ Erzeugungsmarkt nicht akzeptabel wäre. Bei dem gesetzlichen Ausstieg aus der Kernenergie liegt dies auf der Hand. Aber auch das beständig nachjustierte Förderungsregime der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien gehört in diesen Zusammenhang. Hinzu kommt das Instrumentarium der Raumordnung und Landesplanung, das insbesondere für die als Alternative zur ___________ 89 Deutlichen rechtlichen Niederschlag findet diese „dienende“ Funktion des Netzes in § 9 I 1 EEG, wonach Netzbetreiber auf Verlangen der Einspeisewilligen verpflichtet sind, unverzüglich ihre Netze entsprechend dem Stand der Technik zu optimieren, zu verstärken und auszubauen, um die Abnahme, Übertragung und Verteilung des Stroms aus Erneuerbaren Energien oder Grubengas sicherzustellen.
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Kernenergie primär bereit stehende Windenergie die erforderlichen Standorte bereitstellen muss. Schließlich wird inzwischen deutlich, dass aus Gründen der Versorgungssicherheit die erforderlichen, im Markt aber nicht mehr rentabel zu betreibenden konventionellen Kraftwerkskapazitäten insbesondere im süddeutschen Raum mit Hilfe von Regulierungsinstrumenten (Kapazitätsmechanismen) gewährleistet werden müssen. Angesichts der offensichtlichen Interdependenz von Netzinfrastruktur und Erzeugungslandschaft einerseits und dem aus Gründen der Umwelt- und Raumverträglichkeit sowie zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit unausweichlichen staatlichen Einfluss auf die Investitionsentscheidungen für Erzeugungsanlagen andererseits drängt sich eine Koordinierung zwischen diesen beiden zentralen Elementen des Energieversorgungssystems auf. An dieser Koordinierung fehlt es aber bislang. In der Logik des derzeitigen (asymmetrischen) Systems erscheinen die Investitionsentscheidungen der Akteure auf dem Erzeugungsmarkt vielmehr als Gegenstand schwieriger Prognosen, die aber als Voraussetzung für die Einschätzung des zukünftigen Transportbedarfs unumgänglich sind. Das neue Planungssystem versucht mit Hilfe des Szenariorahmens, diese Prognosen zu rationalisieren, zu formalisieren und öffentlicher Beteiligung sowie behördlicher Kontrolle zu unterwerfen. Dabei wird aber sowohl in der gesetzlichen Konzeption, die den Szenariorahmen nur an die energiepolitischen Leitlinien der Bundesregierung bindet, als auch in der Anwendungspraxis der BNetzA übersehen, dass die zukünftige Gestalt der deutschen Stromerzeugungslandschaft nicht schlicht zu prognostizieren ist, sondern Gegenstand politischer und administrativer Planung und Steuerung ist. Die Herausforderung für die Weiterentwicklung des Energieplanungs- und -regulierungsrechts liegt also darin, die inzwischen weit entwickelte Netzplanung mit den bereits vorhandenen und absehbaren Instrumenten einer Steuerung der Investitionen in Erzeugungsanlagen zu koordinieren90.
___________ 90 Einen Vorschlag dazu habe ich beim 18. Umweltrechtlichen Symposion „Versorgungssicherheit in der Energiewende – Anforderungen des Energie-, Umwelt- und Planungsrechts“ in Leipzig am 18. April 2013 zur Diskussion gestellt (http://unileipzig.de/umweltrecht/institut/hermesppt.pdf). Ähnliche Überlegungen finden sich auch bei Krawinkel, ZNER 2012, 461, 462.
Die „Bundesfachplanung“ im NABEG – Dogmatischer Standort, Bindungswirkung, Prüfprogramm und infrastrukturpolitische Modellfunktion Von Wolfgang Durner
I. Das Energiewendepaket 2011 und der Ausbau der Höchstspannungsnetze Ein zentrales Element innerhalb des neuen „Systems der Energienetzplanung“,1 das 2011 durch das in gerade Mal einem viertel Jahr konzipierte und in Kraft gesetzte Gesetzespaket zur Energiewende geschaffen wurde, ist das auf Änderungen des EnWG und dem neuerlassenen Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG) beruhende neuartige Planungsregime für Höchstspannungsnetze, das die Dauer der Planungs- und Genehmigungsverfahren stark reduzieren soll.2 Zumindest der Erlass des Gesetzespakets erfolgte dabei bereits in einem geradezu atemberaubenden Tempo, bei dem zwischen der Vorlage eines ersten Eckpunktepapiers am 21. März und der Verabschiedung im Juli gerade einmal ein viertel Jahr lag.3 Die Neuerungen dieses Modells sind weitreichend; nie zuvor allerdings wurde ein derart bedeutsames Infrastrukturgesetz in einem solchen Tempo und ohne nennenswerte Diskussion konzipiert und verabschiedet. Wenig überraschend sind daher die im Schrifttum verspätet geführten rechtspolitischen und -dogmatischen Diskussionen über zahllose Detailfragen. Der folgende Beitrag konzentriert sich auf die neu geschaffene „Bundesfachplanung“ als derjenigen planungsrechtlichen Neuerung des Energiewendepakets, bei der die Infragestellung der bisherigen Rechtsstrukturen am augenfälligsten ist. Er will die Rechtswirkungen der Bundesfachplanung dogmatisch ___________ 1
Näher zum Gesamtkontext G. Hermes, in diesem Band. Zu diesem Aspekt besonders P. Franke, Beschleunigung der Planungs- und Zulassungsverfahren beim Ausbau der Übertragungsnetze, in: Energie – Wirtschaft – Recht. Festschrift für Peter Salje, 2013, S. 121 ff. 3 Vgl. den detaillierten Überblick und Kritik dazu bei K. Schönenbroicher, Rechtsabenteuer NABEG. Übereiltes Gesetzgebungsverfahren zum Ausbau der Hochspannungsnetze, Publicus 2011.10, 8 ff.; Unabhängiges Institut für Umweltfragen (UfU), (Kurz)-Stellungnahme zum Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Netzausbaubeschleunigung (NABEG) vom 30.5.2011/01.06.2011, S. 1. 2
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im bestehenden Planungsrecht verorten und auf dieser Grundlage die potentielle Vorbildfunktion dieser Konzeption für das Fachplanungsrecht bewerten.
II. Der Vergleichsmaßstab des herkömmlichen Infrastrukturrechts Zum besseren Verständnis ist das Gesetz zunächst mit der bisherigen Rechtslage zu vergleichen: Seit 2001 hatte der Bund die Zulassung von Leitungsanlagen immer stärker jenem Modell angenähert, das im sonstigen Infrastrukturbereich und voll ausgebildet vor allem im Fernstraßenrecht4 praktiziert wird. 1. Das Genehmigungsregime für Infrastruktur am Beispiel der Fernstraßen Dabei erstellt der Bund zunächst auf der Grundlage von Bedarfsanmeldungen – Kritiker sagen nicht ganz unberechtigt: wie auf einem föderalen Basar – den Bundesverkehrswegeplan. Für einen Teil der entsprechenden Vorhaben schreibt der Bundestag anschließend im Fernstraßenausbaugesetz den Bedarf verbindlich fest (§ 1 Abs. 2 FStrAbG). Dem folgt ein Raumordnungsverfahren, das das Vorhaben mit den Erfordernissen der Raumordnung abstimmt.5 Anschließend oder auch parallel erfolgt nach § 16 Abs. 1 FStrG die Linienbestimmung durch das Bundesverkehrsministerium.6 Gleichzeitig werden oft flankierende Planungen durchgeführt, um das Vorhaben zu sichern: So soll die Fernstraße nach § 5 Abs. 4 BauGB nachrichtlich in den Flächennutzungsplan übernommen werden, oder es werden Raumordnungsziele aufgestellt, um die Trasse freizuhalten.7 Als letzte Stufe folgt dann die außenverbindliche Planfeststellung nach § 17 FStrG, gleichsam die Baugenehmigung für die Straße. Prak___________ 4 Vgl. dazu Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998, S. 1324 ff.; E. Bogs, Die Planung transeuropäischer Verkehrsnetze, 2002, S. 201 ff.; tatsächliche Defizite dieses Vorgehens untersucht D. Lewin, Gestufte Planung von Bundesverkehrswegen, 2003, S. 32 ff.; kritische Überlegungen zum Vorbildcharakter für das Energierecht finden sich bei J.-P. Schneider, Planungs-, genehmigungs- und naturschutzrechtliche Fragen des Netzausbaus, 2010, S. 6 ff. 5 Umfassend dazu K. Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, Kommentar, 2010, § 15 Rn. 17 ff.; U. Höhnberg, in: ARL (Hrsg.), Grundriss der Raumordnung und Raumentwicklung, 2011, S. 501 ff. 6 Näher A. Leue, Vorbereitende überörtliche Straßenplanung, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, Kapitel 35 Rn. 1 ff.; J. Kühling/N. Hermann, Fachplanungsrecht, 2. Aufl. 2000, Rn. 247 ff. 7 Zu letzterem näher Kühling/Hermann (o. Fußn. 6), Rn. 251.
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tisch alle dieser Stufen sehen seit Längerem eine Öffentlichkeitsbeteiligung vor.8 2. Die Zulassung von Hochspannungsleitungen außerhalb des NABEG Diesem Modell hat sich das energierechtliche Zulassungsrecht über ein Jahrzehnt immer stärker angenähert: Zuletzt hatte der Gesetzgeber 2009 – wenn auch eher halbherzig – durch das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) den Einstieg in die gesetzliche Bedarfsplanung vollzogen.9 Im Übrigen war bereits seit Jahrzehnten für Energiefreileitungen ein Raumordnungsverfahren durchzuführen (§ 1 Nr. 14 RoV), und seit 2001 sind Anlagen des Hochspannungsnetzes nach § 43 Satz 1 Nr. 1 EnWG zudem planfeststellungspflichtig.10 Nach diesem ersichtlich dem Vorbild des Straßenrechts verpflichteten Modell wurde bislang verfahren, und auch künftig gilt dieses Modell – ergänzt allerdings durch eine über den Anwendungsbereich des NABEG hinausgehende Bedarfsplanung – weiterhin für all jene Leitungen, die nicht vom NABEG erfasst werden, also für die Mehrzahl der zu errichtenden Trassen.11 3. Das neue Stufenmodell des NABEG (sechs Stufen, drei Phasen) Demgegenüber tritt für die länderübergreifenden oder grenzüberschreitenden NABEG-Leitungen an die Stelle des bisherigen ein völlig neues sechsstufiges Modell: a) Phase I: Regulierte Bedarfsfestlegung Zunächst wird die bislang stark durch politische Erwägungen geprägte erste Phase der gesetzlichen Bedarfsplanung durch eine gemeinsame Netzausbaupla___________ 8 Näher W. Durner, Möglichkeiten der Verbesserung förmlicher Verwaltungsverfahren am Beispiel der Planfeststellung, ZUR 2011, 354 (356 ff.). 9 Dazu C. D. Hermanns/C. Austermann, Das neue Energieleitungsausbaugesetz – Beschleunigung des Ausbaus des Hochspannungsnetzes unter besonderer Berücksichtigung des Einsatzes von Erdkabeln, Nds. VBl. 2010, 175 ff.; C. Pielow, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, 2. Aufl. 2010, § 43 EnWG, Rn. 3 ff. und 10a; G. Schiller, Praxisprobleme bei der Planfeststellung von Energiefreileitungen, UPR 2009, 245 f. 10 Zu den damaligen Neuerungen G. Hermes/M. Pöcker, Die neue Fachplanung für Leitungsvorhaben, RdE 2002, 85 ff.; F. Krieglstein, Die Zulassung von Hochspannungsfreileitungen im liberalisierten Strommarkt, UPR 2003, 17 ff. 11 Vertiefend dazu J. Henning/H. Lühmann, Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren für den Aus- und Umbau der Hochspannungsnetze, UPR 2012, 81 ff.
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nung aller Netzbetreiber ersetzt. Nach § 12a EnWG erarbeiten die Übertragungsnetzbetreiber hierfür jährlich einen gemeinsamen Szenariorahmen, der die Bandbreite wahrscheinlicher Entwicklungen und die letztlich wahrscheinliche Entwicklung für die nächsten zwanzig Jahre darstellt. Die Regulierungsbehörde gibt der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Kritik des Szenariorahmens und kann diesen eigenverantwortlich modifizieren. Der erste Szenariorahmen wurde im Dezember 2011 genehmigt.12 Auf dieser Grundlage legen die Übertragungsnetzbetreiber dann ab 2012 jährlich einen nationalen Netzentwicklungsplan vor, der alle im nächsten Jahrzehnt erforderlichen Maßnahmen enthält, namentlich die erforderlichen Ausbaumaßnahmen, jedoch noch keine konkreten Trassenverläufe. Wiederum sind Öffentlichkeit, nachgelagerte Netzbetreiber und Träger öffentlicher Belange zu beteiligen. Die Regulierungsbehörde kann anschließend Änderungen verlangen. Auf dieser Grundlage haben die Übertragungsnetzbetreiber am 15. August 2012 einen überarbeiteten Netzentwicklungsplan Strom 2012 veröffentlicht.13 Nach einer weiteren Öffentlichkeitsbeteiligung, die auch den durch die Bundesnetzagentur begleitend erstellten Umweltbericht zum Gegenstand hatte, wurde der Netzentwicklungsplan am 25. November 2012 bestätigt und tags darauf der Bundesregierung übergeben.14 Auf dieser Grundlage hat der Bundestag im April 2013 den Bundesbedarfsplan als Gesetz beschlossen, das nach Beteiligung des Bundesrates im Sommer 2013 in Kraft treten und damit für die Zulassungsverfahren den Bedarf verbindlich feststellen wird. b) Phase II: Bestimmung der Trassenkorridore Im Hinblick auf die dann anstehende Phase der Verwirklichung der im Bundesbedarfsplan als länderübergreifend oder grenzüberschreitend gekennzeichneten Höchstspannungsleitungen ist das zentrale Element des Gesetzentwurfs die Untergliederung der Zulassung in eine verbindliche Grobtrassenplanung und eine parzellenscharfe Planfeststellung. Die grobe „Bundesfachplanung“ durch die Bundesnetzagentur soll die 500 bis 1000 Meter breiten Trassenkorridore15 für nachfolgende Verfahren bindend festlegen und insoweit auch die Öf___________ 12 Vgl. die Presseerklärung der Bundesnetzagentur v. 7.12.2011, „Genehmigung des Szenariorahmens zur energiewirtschaftlichen Entwicklung nach § 12a EnWG“; nach der Genehmigung des zweiten Szenariorahmens im November 2012 stand bereits der Entwurf eines dritten Szenariorahmens bis Mitte Mai 2013 zur Konsultation. 13 Vgl. die Presseerklärung der Bundesnetzagentur v. 16.8.2012, „Bundesnetzagentur erhält von den Übertragungsnetzbetreibern überarbeiteten Netzentwicklungsplan Strom 2012“; derzeit überarbeiten die Netzbetreiber den Entwurf des Netzentwicklungsplans 2013. 14 Vgl. die Presseerklärung der Bundesnetzagentur v. 26.11.2012, „Bundesnetzagentur legt Entwurf für Bundesbedarfsplan vor“. 15 So die Vorgabe der Gesetzbegründung BT-Drucks. 17/6073, S. 23.
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fentlichkeitsbeteiligung abarbeiten. Ab dann steht die grobe Trasse fest und wird im Bundesanzeiger veröffentlicht. Gegenüber Betroffenen entfaltet diese Festlegung nach der ausdrücklichen Vorgabe in § 15 Abs. 3 Satz 1 NABEG aber noch keine unmittelbare Rechtswirkung. c) Phase III: Zulassung der Anlage Die anschließende energierechtliche Planfeststellung16 – bei der vorgesehen ist, die Zuständigkeit ebenfalls von den Ländern auf die Bundesnetzagentur zu übertragen17 – reduziert sich damit auf eine Detailplanung. Zentrale Kennzeichen dieses Modells sind damit eine im Vergleich zum sonstigen Planungsrecht deutlich formalisiertere Bedarfsfestlegung und eine inhaltliche Aufwertung der Grobplanung zu Lasten der Planfeststellung – beides Schritte, die Mängel des bisherigen System beheben sollen. Im Übrigen ist hervorzuheben, dass die Betreiber gezwungen werden können, die nach dem Netzentwicklungsplan erforderlichen Ausbaumaßnahmen zeitnah zu verwirklichen, entsprechende Anträge zu stellen und die Investitionen zu treffen.18 Solche Schritte sind nicht mehr – wie bislang – Unternehmerentscheidungen, sondern regulierungsrechtlich durchsetzbare Pflichten der Betreiber,19 die letztlich durch den Staat definiert, gewährleistet und verantwortet werden.20
III. Offene Verfassungsfragen Diese Neuregelungen werfen in mehrfacher Hinsicht verfassungsrechtliche Fragen auf, denen sich auch der Verfasser in zwei Aufsätzen gewidmet und ent-
___________ 16
Näher zu dieser A. Geiger, in diesem Band. Vgl. P. Schütte/M. Winkler, Aktuelle Entwicklungen im Bundesumweltrecht, ZUR 2013, 379 (380). 18 Ausführlich dazu A. Glaser, Das Netzausbauziel als Herausforderung für das Regulierungsrecht, DVBl. 2012, 1283 (1285); K. Beckmann, Das neue atomausstiegsrechtliche Begleitgesetz des Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) – Ein Gesetz mit Mängeln in der Effektivität und der Verfahrensbeschleunigung?, VR 2011, 365 (367). 19 Vgl. etwa M. Kment, Vorbote der Energiewende in der Bundesrepublik Deutschland: das Netzausbaubeschleunigungsgesetz, 2011, 341 (343 ff.); C. Moench/M. Ruttloff, Netzausbau in Beschleunigung, NVwZ 2011, 1040 (1040). 20 Kritisch zu dieser These einer Verantwortung der BNetzA für das Gelingen der Energiewende deren Vizepräsident Franke (o. Fußn. 2), S. 129. Gleichwohl scheint es dem Verf. weiterhin auf der Hand zu liegen, dass die gesamte Energiewende in erster Linie ein politisches Vorhaben des Staates ist, für das die Netzbetreiber zwar in Dienst genommen werden, das jedoch gerade nicht auf privater Initiative beruht. 17
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sprechende Zweifel formuliert hat:21 Das Gesetz überträgt abweichend von dem in Art. 83 GG verankerten Grundsatz der Länderexekutive die Planung und potentiell auch die Zulassung der Höchstspannungsnetze von den Ländern auf den Bund, ohne dass das Grundgesetz hierfür wie z.B. in Art. 89 für den Wasserstraßenbereich oder in Art. 87e für den Bereich der Eisenbahnen eine Verwaltungskompetenz enthält. Verfassungsrechtliche Zweifel weckt auch das völlig neue System der Netzausbauplanung, die letztlich durch die Bundesnetzagentur so geprägt wird, dass ihre Konzeption im Bundestag inhaltlich kaum mehr beeinflusst werden kann. Weil mit dieser Konzeption auch erhebliche föderale und gesellschaftliche Umverteilungen verbunden sind, zeigt sich darin eine problematische Verlagerung strukturpolitischer Fragen in die Exekutive zu Lasten des Parlaments.22 Beide Fragen sollen indes an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden;23 im Zentrum der folgenden Ausführungen stehen hingegen Inhalt und Bindungswirkung der Bundesfachplanung im NABEG. Ohnehin tritt die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des NABEG mittlerweile in den Hintergrund, weil die Argumente ausgetauscht sind, das Gesetz dennoch vorliegt, die zuständige Behörde geschaffen wurde, und man unabhängig von der Validität der Argumente kaum erwarten kann, dass das Bundesverfassungsgericht am Ende die gesamte Energiewende an einer Kompetenzfrage scheitern lassen könnte. Es geht also derzeit weniger um eine verfassungsrechtliche Bewertung des NABEG, sondern darum, wie das Gesetz sinnvoll und rechtmäßig vollzogen werden kann. Insoweit dürfte das einfachgesetzliche Kernproblem in der Frage zu sehen sein, was eigentlich der Gegenstand der Bundesfachplanung ist und welche konkreten Prüfungen die Bundesnetzagentur in der zweiten Phase durchführen soll.
___________ 21 W. Durner, Die aktuellen Vorschläge für ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) – Bewertung der Verfassungsmäßigkeit und des Beschleunigungspotentials, DVBl. 2011, 853 ff.; ders., Vollzugs- und Verfassungsfragen des NABEG, NuR 2012, 369 ff.; zur Gegensicht etwa M. Appel, Neues Recht für neue Netze – das Regelungsregime zur Beschleunigung des Stromnetzausbaus nach EnWG und NABEG, UPR 2011, 406 (410 ff.); ders./A. Eding, Verfassungsrechtliche Fragen der Verordnungsermächtigung des § 2 II NABEG, NVwZ 2012, 343 ff.; Franke (o. Fußn. 2), S. 137 f.; T. Krappel, Die Zuständigkeit der Bundesnetzagentur für die Planung und Zulassung von Höchstspannungstrassen, DVBl. 2013, 551 ff. 22 Näher K. F. Gärditz, Die Entwicklung des Umweltrechts im Jahr 2011: Umweltpolitische Herausforderungen zwischen Partizipation, Wutbürgertum und Energiewende, ZfU 2012, 249 (272 f.). 23 Vgl. dazu auch G. Hermes, in diesem Band.
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IV. Inhalt und Bindungswirkung der Bundesfachplanung 1. Die Unschärfe der gesetzlichen Aussagen zum Inhalt der Bundesfachplanung Das neue Zusammenspiel aus einer Grob- und einer Detailplanung in NABEG und die vorgelagerte nach innen verbindliche Festsetzung der Grobtrasse durch den Bund sind der erklärte Versuch, einige Mängel des bisherigen Zulassungsregimes für Infrastrukturvorhaben zu beheben. Die Hauptschwäche des bestehenden Rechts sah der Gesetzgeber darin, dass im Planfeststellungsverfahren regelmäßig dieselben Fragen nochmals behandelt werden, die zuvor Gegenstand des Raumordnungsverfahrens waren.24 Das Modell des NABEG sucht diese Prüfungen abzuschichten. Dieser Ansatz ist keineswegs völlig neu, sondern beruht auf durchaus bekannten Leitvorstellungen. So plädierte etwa Numberger für das Straßenrecht dafür, die Regeln über den gesetzlichen Bedarfsplan, die Linienbestimmung und das Raumordnungsverfahren durch eine politisch verantwortete, auf Grundlage einer Umweltprüfung erfolgte Festlegung eines 500 m breiten Bandes zu ersetzen, das die Trassenbreite samt Anbauverboten beinhalten sollte.25 Diese Trassenentscheidung sollte – anders als im NABEG – für Gemeinden, Verbände und Betroffene uneingeschränkt objektiv anfechtbar sein. Erst nach Eintritt ihrer Bestandskraft sollte dann die Detailplanung erfolgen. Von diesem und ähnlichen älteren Vorschlägen z.B. für eine „Standortvorsorgeplanung für umweltrelevante Großvorhaben“26 unterscheidet sich das Modell des NABEG zum einen durch die Hochzonung der Zuständigkeit auf den Bund und zum anderen dadurch, dass § 15 NABEG die Grobplanung zwar für bindend erklärt, ihr gegenüber aber jeden prinzipalen Rechtsschutz ausschließt.27 Die Grobtrassierung ist zwar strikt verbindlich, jedoch nicht unmittelbar anfechtbar. ___________ 24 Näher Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), Wege zur 100% erneuerbaren Stromversorgung, Sondergutachten 2011, S. 509; Schneider (o. Fußn. 4), S. 54. 25 U. Numberger, Straßenplanung zwischen Individualrechtsschutz und Partizipation an der Verwirklichung des Gemeinwohls, in: Durner (Hrsg.), Die Zukunftsfähigkeit der Planfeststellung, 2010, S. 39 (47 f.). 26 Vgl. etwa W. Blümel, Die Standortvorsorgeplanung für Kernkraftwerke und andere umweltrelevante Großvorhaben in der Bundesrepublik Deutschland, DVBl. 1977, 301 ff.; Nachweise zu weiteren Vorschlägen bei Durner (o. Fußn. 21), 860. 27 Überwiegend wird die Beschränkung auf eine Inzidentkontrolle für verfassungsrechtlich zulässig erachtet, vgl. Appel (o. Fußn. 21), 413; ders., Die Bundesfachplanung nach §§ 4 ff. NABEG – Rechtsnatur, Bindungswirkungen und Rechtsschutz, ER 2012, 3 (6 f.); W. Erbguth, Trassensicherung für Höchstspannungsleitungen: Systemgerechtigkeit und Rechtsschutz, DVBl 2012, 325 (327 f.); Gärditz (o. Fußn. 22), 267; Bedenken äußern hingegen Moench/Ruttloff (o. Fußn. 19), 1043.
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Über die genaue dogmatische Einordnung des durch das NABEG geschaffenen Modells ist in den letzten Monaten kontrovers diskutiert worden, und hinter diesem Streit steht mehr als nur eine akademische Frage. Selbst innerhalb der Bundesnetzagentur bestehen derzeit durchaus unterschiedliche Vorstellungen darüber, was überhaupt der Gegenstand der Bundesfachplanung sein soll. Der folgende Beitrag soll den Nachweis führen, dass sich dogmatischer Standort, Rechtswirkung und Prüfprogramm der Korridorbestimmung gleichwohl allesamt eindeutig aus dem NABEG ergeben. 2. Regelungstechnische Vorbilder des Modells Der tiefere Grund für den dogmatischen Streit dürfte in dem Umstand liegen, dass sich der NABEG-Gesetzgeber in den Vorschriften zur „Bundesfachplanung“ an drei gesetzliche Regelungsvorbilder angelehnt hat, die – jeweils in unterschiedlicher Weise – die Festlegung von Trassenkorridoren ermöglichen. a) Elemente des Raumordnungsverfahrens im NABEG Die Bundesfachplanung weist auf den ersten Blick erhebliche Ähnlichkeiten mit dem Raumordnungsverfahren auf. Im ersten Entwurf des Gesetzes wurde sie sogar noch explizit als „bundeseinheitliche Prüfung der Raumverträglichkeit“ bezeichnet.28 Obwohl bereits der zweite Entwurf den Gegenstand der entsprechenden Prüfungen bewusst erweiterte, sind die Parallelen weiterhin evident: § 5 Abs. 1 NABEG enthält Vorgaben zum „Inhalt der Bundesfachplanung“, die wörtlich dem in § 15 ROG normierten Raumordnungsverfahren entlehnt sind. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 NABEG prüft die Bundesnetzagentur im Rahmen der Realisierbarkeit des Vorhabens in einem Trassenkorridor „insbesondere die Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung“. Und weiter sind nach Satz 4 Gegenstand der Prüfung „auch etwaige ernsthaft in Betracht kommende Alternativen von Trassenkorridoren.“ Diese Vorgaben sind nahezu wortgleich mit § 15 Abs. 1 ROG, wonach im Zentrum der Prüfung der Raumverträglichkeit insbesondere „die Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung“ steht. Gegenstand der Prüfung sind nach Satz 3 zudem auch hier „die vom Träger der Planung oder Maßnahme eingeführten Standort- oder Trassenalternativen.“ Konsequenterweise schließt daher § 28 Satz 1 NABEG für die Errichtung von Leitungen, die der Bundesfachplanung unterliegen, die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens aus – die Bundesfachplanung tritt also an dessen Stelle. Auch in der Ausgestaltung des Rechtsschutzes folgt § 15 Abs. 3 Satz 2 NABEG dem Vorbild ___________ 28
So auch die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 17/6073, S. 1.
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des § 16 Abs. 3 UVPG und sieht nahezu wortgleich vor, dass die Entscheidung über die Bundesfachplanung ebenso wie jene des Raumordnungsverfahrens nur im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Zulassungsentscheidung für die jeweilige Ausbaumaßnahme überprüft werden kann. Vor diesem Hintergrund hat u.a. Erbguth29 die naheliegende These vertreten, die Bundesfachplanung sei „instrumentell“ nichts anderes als ein Raumordnungsverfahren, bei dem im fachplanerischem Gewand und durch eine Fachbehörde Raumordnung betrieben werde. Dies entspricht der zumal im politischen Bereich ganz vorherrschenden Terminologie: Auch Bundeskanzlerin Merkel bezeichnete die Bundesfachplanungen mehrfach als „Raumordnungsverfahren, die der Bund durchführen kann“.30 Mit Verweis auf die Identität der Prüfgegenstände und die Zuständigkeit der Bundesnetzagentur wird zum Teil auch plakativ von einem „Bundesraumordnungsverfahren“ gesprochen.31 b) Elemente der Linienbestimmung im NABEG Deutliche Ähnlichkeiten weist die Bundesfachplanung freilich auch mit einem weiteren dem Planungsrecht wohlbekannten Institut auf: Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 NABEG bestimmt die Bundesnetzagentur in der Bundesfachplanung „Trassenkorridore von im Bundesbedarfsplan aufgeführten Höchstspannungsleitungen“; diese Bundesfachplanungen haben nach § 15 Abs. 1 Satz 2 NABEG „grundsätzlich Vorrang vor Landesplanungen.“ Das entspricht nahezu wortgleich den Regelungen in § 16 FStrG, nach dessen Abs. 1 Satz 1 das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung „die Planung und Linienführung der Bundesfernstraßen“ bestimmt, die dann nach Abs. 3 Satz 3 wiederum „grundsätzlich Vorrang vor Orts- und Landesplanungen“ haben. Wortgleich sind auch insoweit die Regelungen zum Ausschluss einer prinzipalen Kontrollmöglichkeit einerseits in § 15 Abs. 5 UVPG und andererseits in § 15 Abs. 3 Satz 1 NABEG.
___________ 29 W. Erbguth, Energiewende: großräumige Steuerung der Elektrizitätsversorgung zwischen Bund und Ländern, NVwZ 2012, 326 (328); vgl. zudem ders., (o. Fußn. 27), 325 f. 30 Die Bundeskanzlerin, Mitschrift der Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel, Ministerpräsidentin Lieberknecht und Ministerpräsident Albig vom Donnerstag, 6. Dezember 2012. 31 So J. Wagner, in: Hoppe/Beckmann (Hrsg.), UVPG, 4. Aufl. 2012, § 16 Rn. 103; ähnlich R. Steinberg/M. Wickel/H. Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 7 Rn. 129; von einem „modifizierten Raumordnungsverfahren“ bzw. einem „Raumordnungsverfahren auf Bundesebene“ sprechen auch C. Calliess/M. Dross, Neue Netze braucht das Land: Zur Neukonzeption von Energiewirtschaftsgesetz und Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG), JZ 2012, 1002 ff. in Fußn. 14 und Fußn. 20.
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Angesichts dieser erneut augenfälligen Ähnlichkeiten erklären etwa Steinberg, Wickel und Müller die Festlegung der Trassenkorridore nach dem NABEG erfolge „ähnlich wie bei der Linienbestimmung für Bundesfernstraßen“.32 Damit findet sich eine zweite Ansatzmöglichkeit, um die Bundesfachplanung rechtsdogmatisch im bestehenden System zu verorten. c) Elemente der raumordnerischen Zielbindung im NABEG Schließlich ist auch noch eine dritte Parallele der Bundesfachplanung zum bestehenden Raumplanungsrecht erkennbar, die allerdings im Wortlaut des NABEG weniger zum Vorschein tritt und deshalb bislang auch noch wenig beachtet wurde: Es war eine der großen Korrekturen des zweiten Gesetzentwurfs zum NABEG, dass die ursprüngliche Raumverträglichkeitsprüfung – die im ersten Entwurf im Hinblick auf ihr Prüfprogramm wohl tatsächlich nur als verkapptes Raumordnungsverfahren des Bundes konzipiert war33 – auf eine vollständige Abwägungsentscheidung erweitert wurde: Nach dem bestehenden § 5 Abs. 1 Satz 2 NABEG prüft die Bundesnetzagentur in der Bundesfachplanung nunmehr vollständig, ob der Verwirklichung des Vorhabens in einem Trassenkorridor überwiegende öffentliche oder private Belange entgegenstehen; geboten ist damit eine umfassende planerische Abwägung. Nur auf dieser Grundlage der somit angeordneten umfassenden Abwägung aller betroffenen Belange lässt sich nämlich verfassungsrechtlich die Regelung in § 15 Abs. 1 Satz 1 NABEG vertreten, nach der die Entscheidung nach § 12 für die Planfeststellungsverfahren nach §§ 18 ff. verbindlich ist.34 In der Sache entspricht dies jedoch exakt dem spezifischen Anforderungsund Wirkungsprofil standortbezogener Raumordnungsziele. Für diese fordert § 7 Abs. 1 Satz 1 ROG, dass bei der Aufstellung der Raumordnungspläne die öffentlichen und privaten Belange „gegeneinander und untereinander abzuwägen“ sind. Dabei ist bei der Festlegung von Zielen der Raumordnung „abschließend abzuwägen.“35 In Konsequenz dieser bereits erfolgten raumordnerischen Abwägung sind dann jedoch nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 ROG bei allen ___________ 32 Steinberg/Wickel/Müller (o. Fußn. 31), § 7 Rnr. 129; Parallelen sehen ebenso K. J. Grigoleit/C. Weisensee, Das neue Planungsrecht für Elektrizitätsnetze, UPR 2011, 401 (402); D. Sellner/F. Fellenberg, Atomausstieg und Energiewende 2011 – das Gesetzespaket im Überblick, NVwZ 2011, 1025 (1031). 33 Kritisch im Hinblick auf das verfassungsrechtlich verbürgte „Recht auf Abwägung“ Durner (o. Fußn. 21), 856; Grigoleit/Weisensee (o. Fußn. 32), 403. 34 So bereits Durner (o. Fußn. 21), 856; in Bezug auf die raumordnerische Bindung und Abwägung C. Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende?, GewArch 2012, 225 (226). 35 Näher dazu und zum Zusammenspiel von Zielschärfe und Abwägungsschärfe P. Runkel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel (o. Fußn. 5), § 7 Rn. 29 ff.
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„raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen öffentlicher Stellen“ die Ziele der Raumordnung schlechthin „zu beachten“. Die inhaltliche Übereinstimmung beider Institute ist an dieser Stelle augenfällig, auch wenn die Bundesfachplanung nicht alle Wirkungen eines Raumordnungsziels teilt. Insbesondere gilt deren Bindungswirkung lediglich gegenüber der nachfolgenden Planfeststellungsbehörde. 3. Die unterschiedlichen Wirkungsweisen dieser Vorplanungen Insgesamt ist festzuhalten, dass die neue Fachplanung des NABEG teils Elemente des Raumordnungsverfahrens, teilweise jedoch auch solche der Linienbestimmung und der standortbezogenen Raumordnungsziele aufweist. Diese Anleihe bei drei unterschiedlichen Rechtsinstituten führt jedoch unweigerlich zu Unsicherheiten im Hinblick auf die Einordnung des Modells. Bekanntlich hat es bei allen drei erwähnten Instituten eines jahrzehntelangen Klärungsprozesses bedurft, um im Hinblick auf die Rechtsnatur, das Anforderungsprofil und die Bindungswirkungen dieser Verwaltungsentscheidungen zu einigermaßen konsolidierten Maßstäben zu gelangen. a) Gutachterliche Wirkung des Raumordnungsverfahrens So bestand im Hinblick auf den Rechtscharakter des Raumordnungsverfahrens und die Bindungswirkung der landesplanerischen Beurteilung als Ergebnis des Raumordnungsverfahrens jahrzehntelang Uneinigkeit. Die Meinungen reichten von der Charakterisierung des Raumordnungsverfahrens als einem lediglich vorklärenden Verfahren ohne rechtsverbindlichen Abschluss, über die Annahme einer verwaltungsinternen Maßnahme oder einer feststellenden hoheitlichen Willenserklärung mit einem differenzierten Verbindlichkeitsanspruch bis hin zur Qualifizierung der landesplanerischen Beurteilung als verbindlichem Verwaltungsakt.36 Rechtspolitisch plädierte etwa Papier – dem Model des NABEG insoweit nicht unähnlich – für eine Ausgestaltung der Abschlussentscheidung des Raumordnungsverfahrens als feststellendem Verwaltungsakt, der die Trasse einer Energieleitung verbindlich vorwegnehmen sollte.37 Freilich hatte bereits die Gesetzesbegründung des ursprünglichen Raumordnungsgesetzes betont, das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens binde die ___________ 36 Vgl. die Darstellung des Streitstandes bei K. Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel (o. Fußn. 5), § 15 Rn. 79 ff. m.w.N. 37 H.-J. Papier, Möglichkeiten und Grenzen der rechtsverbindlichen Festlegung und Freihaltung von Leitungstrassen durch die Regionalplanung, 1983, S. 47 ff.
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nachfolgenden Behörden nicht.38 Daher ist der das Raumordnungsverfahren abschließenden landesplanerischen Beurteilung im Wesentlichen der Charakter eines Gutachtens beizumessen.39 Allerdings hat die Planfeststellungsbehörde trotz dieser Vorbegutachtung stets eigenverantwortlich zu prüfen, ob das Vorhaben den Erfordernissen der Raumordnung und Landesplanung entspricht. Dabei gilt lediglich der Grundsatz, dass der Planer bei der Sachverhaltsermittlung auf Erkenntnisse zurückgreifen und sich diese zu eigen machen kann, die in einem anderen Verfahren – und daher auch in einem Raumordnungsverfahren – gewonnen wurden, soweit diese Informationen für das Planfeststellungsverfahren gleichermaßen aussagefähig sind. Als verwertbare Vorinformation fließt die landesplanerische Beurteilung somit in die eigenverantwortlichen Entscheidungen der Planfeststellungsbehörde, an die sie gerichtet ist, ein. Sie kann jedoch bei Abwägungs- und Ermessensentscheidungen dieser Behörde überwunden werden und muss dies gegebenenfalls auch, wenn die Planfeststellungsbehörde die Aussagen des Raumordnungsverfahrens als fehlerhaft erkennt.40 b) Interne Bindungswirkung der Linienbestimmung Ähnliches wie für das Raumordnungsverfahren gilt im Ausgangspunkt für das Institut der Linienbestimmung, einer verwaltungsinternen vorbereitenden Grundentscheidung im Verhältnis zwischen den Straßenbaubehörden der Länder und dem Bundesminister für Verkehr. Der wichtigste Unterschied zwischen beiden Instituten ist die interne Bindungswirkung der Linienbestimmung des Bundes. Diese wirkt damit wie eine interne Weisung des Bundes an die Länder im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung, als die das gesamte Institut auch vielfach gedeutet wird.41 Wie bei einem Raumordnungsverfahren ist die Planfeststellungsbehörde auch im Hinblick auf die Linienbestimmung „befugt, sich planerische Entscheidungen zu eigen zu machen, die unter diesem Blickwinkel auf vorgelagerten Planungsebenen bereits getroffen worden sind“.42 Damit ist die Planfeststel___________ 38 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 11/3916, S. 14 f. 39 Grundlegend dafür namentlich G. Zoubek, Das Raumordnungsverfahren, 1977, S. 154 ff.; so dann auch BVerwG, NVwZ-RR 1996, 67 (67); W. Hoppe/H. Schlarmann/R. Buchner/M. Deutsch, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen und anderen Infrastrukturvorhaben, 4. Aufl. 2011, § 7 Rn. 367 f.; J. Wagner, Verfahrensbeschleunigung durch das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1992, 232 (233). 40 Näher zu alledem etwa Höhnberg (o. Fußn. 5), S. 509 f. 41 So etwa durch M. Ibler, Zur Bindungswirkung der Planungs- und Linienführungsbestimmung des Bundesministers für Verkehr bei der Fernstraßenplanung, DVBl. 1989, 86 (86). 42 BVerwG, NVwZ 1998, 508 (512).
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lungsbehörde zwar im Innenverhältnis an die Linie gebunden, hat aber nach außen selbst „für deren Rechtmäßigkeit einzustehen“.43 Die Linienbestimmung bindet also nur im Ergebnis, nicht aber in der materiellen Abwägung und ist im Übrigen wie die landesplanerische Beurteilung ein bloßes Angebot an die Planfeststellungsbehörde. Übernimmt diese jedoch die Begründung des Bundes, so überträgt sie etwaige Abwägungsfehler in die nach außen verbindliche abschließende Planungsentscheidung.44 c) Strikte Bindungswirkung der Raumordnungsziele Während somit Raumordnungsverfahren und Linienbestimmung nur mittelbar der gerichtlichen Kontrolle unterliegen, soweit sie in den Planfeststellungsbeschluss inhaltlich Eingang finden, ist die Bindung der Planfeststellungsbehörde an die Ziele der Raumordnung eine ganz andere: § 3 Nr. 2 ROG definiert „Ziele der Raumordnung“ als verbindliche „abschließend abgewogene Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums“. Raumordnungsziele sind damit als „raumplanerische Letztentscheidungen“ das Ergebnis einer abschließenden, auch untereinander konfliktbereinigten gesamträumlichen Abwägung, also Festsetzungen, die bereits durch das Nadelöhr der abschließenden Abwägung aller berührten Raumansprüche gegangen sein müssen.45 Die zentrale Vorschrift über die Bindungswirkungen der Erfordernisse der Raumordnung gegenüber anderen räumlichen Planungen ist § 4 ROG. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 ROG sind Ziele der Raumordnung von öffentlichen Stellen strikt „zu beachten“. Diese Pflicht schließt eine weitere Abwägung aus, so dass Ziele zwar konkretisiert, nicht aber abwägend überwunden werden können.46 Ziele werden ggf. zwar inzident mit diesen nachgeordneten Planfeststellungen gerichtlich überprüft, aber gerade nicht Bestandteil dieser Verwaltungsakte, so wie auch der Bebauungsplan nicht Teil der Baugenehmigung wird, die er rechtlich determiniert.
___________ 43 BVerwG, NVwZ 1998, 508 (512); vgl. dazu auch J. Ziekow, in: ders. (Hrsg.), Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 633, sowie Hoppe/Schlarmann/Buchner/Deutsch (o. Fußn. 39), § 8 Rn. 405 f. 44 BVerwG, NVwZ 1998, 508 (512). 45 Näher statt vieler W. Hoppe, Grundfragen des Planungsrechts, 1998, S. 368 ff. 46 BVerwG, NVwZ 1992, 167 (167); Hoppe/Schlarmann/Buchner/Deutsch (o. Fußn. 39), § 19 Rn. 801 ff.; P. Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Stand: 2012 ,§ 4 ROG, Rn. 156; B. Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 4. Aufl. 2009, Rn. 235.
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4. Inhalt und Bindungswirkung der Bundesfachplanung im System des NABEG Nach Wortlaut und Struktur bildet die Bundesfachplanung damit eine Kombination dreier funktional nicht unähnlicher, aber im Rechtssinne durchaus unterschiedlicher Modelle: Das eine wirkt als vorbereitendes Gutachten einer späteren Genehmigung, das zweite als rein das Ergebnis betreffende interne Weisung, im dritten Fall hingegen werden bestimmte Rechtsfragen verbindlich vorabentschieden. Die Folgerung liegt nahe, dass sich der Gesetzgeber des NABEG in verschiedensten Regelungen bedient hat, ohne sich der unterschiedlichen Rechtsfolgen wirklich bewusst zu sein. Eine genauere Analyse des NABEG zeigt jedoch, dass die Rechtsfolgen der Bundesfachplanung klarer definiert sind, als es die genannten gesetzgeberischen Anleihen zunächst nahelegen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 NABEG ist „die Entscheidung nach § 12 … für die Planfeststellungsverfahren nach §§ 18 ff. verbindlich.“ Ein Abweichen von der Entscheidung ist daher entgegen einer verbreiteten Auffassung im Schrifttum bereits nach dem klaren Gesetzeswortlaut in sämtlichen Teilen schlechthin ausgeschlossen.47 Die Inhalte der Entscheidung nach § 12 NABEG werden zudem in § 12 Abs. 2 Satz 1 NABEG – der Intention nach offensichtlich enumerativ – aufgezählt. Die Entscheidung der Bundesnetzagentur über die Bundesfachplanung „enthält“ demnach „1. den Verlauf eines raumverträglichen Trassenkorridors, der Teil des Bundesnetzplans wird, sowie die an Landesgrenzen gelegenen Länderübergangspunkte; der Trassenkorridor und die Länderübergangspunkte sind in geeigneter Weise kartografisch auszuweisen; 2. eine Bewertung sowie eine zusammenfassende Erklärung der Umweltauswirkungen gemäß den §§ 14k und 14l des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung des in den Bundesnetzplan aufzunehmenden Trassenkorridors; 3. das Ergebnis der Prüfung von alternativen Trassenkorridoren.“
Zusätzlich „beizufügen“ – und daher offenbar nicht Entscheidungsbestandteil – ist diesen Inhalten nach § 12 Abs. 2 Satz 2 NABEG eine Begründung, in der die Raumverträglichkeit im Einzelnen darzustellen ist. Bereits dieser präzise differenzierende Wortlaut macht somit hinreichend klar, dass der verfügende Teil der Entscheidung die gesamten Nummern 1–3 erfasst und sich die Bin___________ 47 So zu Recht C. Sangenstedt, in: A. Steinbach (Hrsg.), NABEG/EnLAG/EnWG: Kommentar zum Recht des Energieleitungsbaus, 2013, § 15 NABEG Rn. 11 und 17; Appel (o. Fußn. 27), 5; a.A. und für eine Abweichungsmöglichkeit der Planfeststellungsbehörde jedoch etwa T. Groß, Neues Planungsverfahren für Infrastrukturprojekte, 2012, S. 32 m.w.N.; Moench/Ruttloff (o. Fußn. 19), 1043; J. Wagner, Bundesfachplanung für Höchstspannungsleitungen – rechtliche und praktische Belange, DVBl. 2011, 1453 (1459); ders., in: Hoppe/Beckmann (o. Fußn. 31), § 16 Rn. 109.
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dungswirkung damit nicht nur auf den „Verlauf eines raumverträglichen Trassenkorridors“ erstreckt, sondern dass auch die Bewertung der Umweltauswirkungen sowie die Alternativenprüfung bereits bindend abgearbeitet sind. Hinzu tritt die Erläuterung der Gesetzesbegründung, die Bundesfachplanung stelle „die Raum- und Umweltverträglichkeit der Trassenkorridore verbindlich für das Planfeststellungsverfahren fest.48 Die damit bezweckte Entlastung des Planfeststellungsverfahrens49 könnte nicht eintreten, wenn die Planfeststellungsbehörde zwar an das Ergebnis der Trassenentscheidung gebunden wäre, deren Rechtmäßigkeit jedoch eigenverantwortlich umfassend prüfen müsste. Eine solche Deutung widerspräche dem bereits in der Konzeptphase erklärten Ziel, die durch die Bundesnetzagentur betriebene Grobplanung solle für die Trassenkorridore die Umweltbelange vollständig abarbeiten. Diese Abarbeitung soll sich offenbar auf die gesamte Ermittlung, Bewertung und Abwägung der Umweltauswirkungen des Vorhabens erstrecken. Nochmals klarer wird das Bild, wenn man in der Gesetzgebungsgeschichte ein Stück zurückgeht. Eine klare Aussage zu den zielartigen Wirkungen der Bundesfachplanung enthielt nämlich noch der Arbeitsentwurf des NABEG,50 nach dessen § 11 Abs. 7 auf die Ergebnisse der Bundesfachplanung die für die Raumordnungsziele geltenden Vorschriften und damit insbesondere auch die Bindungswirkung für alle öffentlichen Planungsträger nach § 4 ROG Anwendung finden sollten. Letztlich wurde auf diese Regelung offenbar wohl mit dem Ziel verzichtet, den Widerspruch zur zugleich von § 11 Abs. 10 E-NABEG (nunmehr § 15 Abs. 3 NABEG) vorgesehenen fehlenden Außenwirkung der Bundesfachplanung und dem sich daraus ergebenen Ausschluss der Anfechtbarkeit zu beseitigen.51 Denn Ziele der Raumordnung können bekanntlich etwa nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 ROG sowie § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB unmittelbare Rechtswirkungen für Private entfalten und insofern anfechtbar sein.52 Wenn dies aber der maßgebliche Grund war, auf den ursprünglichen Verweis zu verzichten, so spricht alles dafür, dass der Gesetzgeber konzeptionell gegenüber der Genehmigungsbehörde die Wirkung eines Raumordnungsziels wünschte. Vor diesem Hintergrund dürften die im NABEG enthaltenen Anklänge an das Raumordnungsverfahren vor allem die Funktion haben, diesen Verfahrens___________ 48
BT-Drucks. 17/6073 S. 27. BT-Drucks. 17/6073 S. 27. 50 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Arbeitsentwurf vom 20.5.2011 für ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG). 51 Dazu Durner (o. Fußn. 21), 859. 52 Näher BVerwG, NVwZ 2004, 614 ff., BVerwG, NVwZ 2007, 229 ff.; M. Kment, Rechtsschutz im Hinblick auf Raumordnungspläne, 2002; ders., Unmittelbarer Rechtsschutz Privater gegen Ziele der Raumordnung und Flächennutzungspläne im Rahmen des § 35 III BauGB, NVwZ 2003, 1047 ff. 49
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schritt überflüssig zu machen und seine Prüfungen in die Bundesfachplanung zu integrieren. Die Anklänge an das Linienbestimmungsverfahren zielen demgegenüber wohl vor allem auf den Vorrang der Bundesplanung und dürften die Funktion haben, die Bundesnetzagentur von der Bindung an die Raumordnungsziele der Länder nach § 4 Abs. 1 ROG freizustellen.53 Da für die abschließende Planfeststellung § 38 BauGB gilt, ist zudem auch bereits die vorgelagerte Bundesfachplanung analog § 38 BauGB von den Bindungen entgegenstehender Bebauungspläne freigestellt.54 Im Übrigen folgt die Bundesfachplanung des NABEG, was die Rechtsnatur und die Reichweite der Bindungswirkung für die Planfeststellung betrifft, eher dem Modell des § 4 ROG.
V. Konsequenzen für die Planfeststellung 1. Weitreichende Bindungswirkung der Bundesfachplanung Diese Weichenstellung bedeutet im Ergebnis, dass die Planfeststellungsbehörde an die gesamten Inhalte und Abwägungen der Bundesnetzagentur gebunden ist und entgegen anderslautenden Aussagen im Schrifttum55 zu den in der Bundesfachplanung behandelten Fragen wie bei einem entsprechenden Raumordnungsziel über keinerlei materielle Kompetenzen oder Korrekturmöglichkeiten mehr verfügen kann.56
___________ 53 Vgl. zu diesem Vorrang der Linienbestimmung VGH München, NVwZ-RR 2006, 432 (433). Die auf der Grundlage dieser Rechtsprechung entwickelte These des Verf. vom Vorrang der Bundesfachplanung gegenüber den Raumordnungszielen der Länder begründen nunmehr eingehend M. Appel, Bundesfachplanung versus landesplanerische Ziele der Raumordnung, NVwZ 2013, 457 ff. und C. Sangenstedt, in: Steinbach (o. Fußn. 47), § 15 NABEG Rn. 24 ff. 54 Vgl. zur Geltung des § 38 BauGB für vorgelagerte Planungsstufen bereits Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 111 f. 55 So etwa Wagner (o. Fußn. 47), 1458; Moench/Ruttloff (o. Fußn. 19), 1043; kritisch hingegen auch Appel (o. Fußn. 27), 5. 56 Gegen diesen Befund spricht auch nicht der Hinweis in der Gesetzbegründung, „Bei bestehenden Konfliktlagen kann der Trassenkorridor verändert werden“, BTDrucks. 17/6073, S. 19 und 23. Dieser Aussage kann nämlich nicht entnommen werden, dass solche Korrekturen durch die Planfeststellungsbehörde erfolgen können, so aber Grigoleit/Weisensee (o. Fußn. 32), 405. Vielmehr knüpfen die Verortung in der Gesetzesbegründung sowie der Begriff des Veränderns an die Ebene der Bundesfachplanung an, so auch C. Sangenstedt, in: Steinbach (Fn. 47), § 15 NABEG Rn. 15.
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2. Das Prüfprogramm der Bundesfachplanung Aus der dogmatischen Einsicht, dass die Bindungswirkung der Bundesfachplanung gegenüber der nachfolgenden Zulassungsentscheidung der eines standortbezogenen Ziels der Raumordnung entspricht, ergibt sich damit jedoch auch zugleich ihr Prüfprogramm: Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Bundesfachplanung denselben Anforderungen unterliegt, die die Rechtsprechung für solche Ziele entwickelt hat.57 Werden die Trassenkorridore in dieser Weise verbindlich durch die Bundesfachplanung festgelegt, erfordert dies bereits auf dieser Ebene eine vollständige Ermittlung, Bewertung und Abwägung sämtlicher trassenrelevanter Belange. Die nach § 5 Abs. 2 NABEG durchzuführende strategische Umweltprüfung erfährt dadurch eine Aufwertung und wird für jene Belange den Umfang einer vollen Umweltverträglichkeitsprüfung annehmen müssen. Umweltbelange hingegen, die den Trassenverlauf nicht in Frage stellen, können der Planfeststellung überlassen werden und müssen auf der Stufe der Bundesfachplanung noch nicht geprüft werden. So werden etwa die mit der Eingriffsregelung des § 14 BNatSchG verbundenen Rechtsfolgen überhaupt erst dadurch ausgelöst, dass das Fachrecht den Weg für die Zulassung des in Natur und Landschaft eingreifenden Vorhabens frei macht.58 Daher ist es unbedenklich, wenn die Anwendung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelungen der fachplanungsrechtlichen Verwirklichung vorbehalten bleibt.59 Dennoch muss im Rahmen der vorausgehenden Standortfestlegung der grobe Umfang der Eingriffe im Sinne einer vorausschauenden Prüfung60 überschlägig erfasst werden.61 Ähnlich verhält es sich mit den Grenzwerten der 26. BImSchV – der sogenannten ElektrosmogVerordnung62 –, deren Einhaltung im Zuge der Bundesfachplanung durch pauschalisierte Abstandsstreifen sichergestellt werden kann. Konkrete Berechnungen müssen daher erneut erst in der Planfeststellung erfolgen. Insgesamt lässt sich somit das Arbeitsprogramm der Bundesfachplanung klar gegenüber dem der Planfeststellung abgrenzen.
___________ 57 Vgl. besonders BVerwG, NVwZ-Beil. 2006, 1 (4 ff.) (Flughafen Schönefeld); ferner BVerwG, NVwZ 2003, 1263 ff. 58 BVerwGE 104, 144 (147). 59 Vgl. dazu BVerwG, NVwZ 2003, 1263 (1269). 60 Franzius (o. Fußn. 34), 226. 61 Vgl. dazu BVerwGE 125, 116 (167). 62 Näher dazu die Erläuterungen durch K. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht (1997), 26. BImSchV, sowie Schiller (o. Fußn. 9), 248; zur Validität der Verordnung zuletzt BVerwG, ZUR 2010, 533 (535).
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3. Keine Präklusion der Einwendungen nach Abschluss der Bundesfachplanung Ebenso ergeben sich aus der Reichweite der Bindungswirkung der Bundesfachplanung auch Folgerungen zum Umgang mit Fehlern und neuen Erkenntnissen im Zuge der Planfeststellung. Insoweit ist zunächst hervorzuheben, dass der NABEG-Gesetzgeber zwar die Abarbeitung des gesamten trassenrelevanten Umweltrechts auf der Ebene der Bundesfachplanung konzentrieren will, zugleich jedoch im Verhältnis zu dem nachfolgenden Planfeststellungsverfahren – wohl vor dem Hintergrund der Erfahrungen von Stuttgart 21 – bewusst auf jede Präklusionsregelung verzichtet. Verfahrensrechtlich sind neue Einwendungen gegen den Korridor also auch im Planfeststellungsverfahren nicht ausgeschlossen. Das Schrifttum sieht in diesem Verzicht des Gesetzgebers auf eine Präklusion fast einhellig einen begrüßenswerten Schritt zur Akzeptanzbildung.63 Systematisch kann das Modell jedoch nicht überzeugen: Nach der bindenden Festlegung der Trasse bleibt es zwar Jedermann weiterhin unbenommen, erstmals im Planfeststellungsverfahren etwa die Umweltverträglichkeit des Trassenkorridors in Frage zu stellen. In diesem Stadium aber verfügt die nunmehr handelnde Planfeststellungsbehörde – wie sogleich unter 4. zu vertiefen ist – über keinerlei Kompetenzen mehr, entsprechende Einwände zu berücksichtigen. Präkludiert ist sozusagen allein die Genehmigungsbehörde. Dieses Auseinanderklaffen von Verfahrensrecht und materiellem Entscheidungsprogramm dürfte den auf dieser Stufe vorgesehenen Erörterungstermin unweigerlich teilentwerten, da dort Fragen mündlich erörtert werden sollen, die rechtlich längst bindend vorentschieden sind. Genau solche Vorfestlegungen gelten allgemein als das Hauptdefizit der bestehenden Bürgerbeteiligungsverfahren.64 4. Zum Umgang mit Fehlern und neuen Erkenntnissen Die Möglichkeiten der Planfeststellungsbehörde, sich von solchen Vorfestlegungen zu lösen, sind jedenfalls begrenzt: Angesichts der explizit angeordneten Bindungswirkung der Bundesfachplanung ist dabei von der Prämisse auszugehen, dass die Planfeststellungsbehörde – und damit ggf. auch die Bundesnetzagentur in dieser Funktion – an die Ermittlungen der Bundesnetzagentur als Bundesfachplanungsbehörde voll gebunden sein soll und insoweit über keiner___________ 63 So etwa Gärditz (o. Fußn. 22), 266; E. Hofmann, Die Modernisierung des Planungsrechts: das Energierecht als neues Paradigma der Öffentlichkeitsbeteiligung in einer Planungskaskade?, JZ 2012, 701 (707). 64 Vgl. beispielsweise die vielbeachtete Stellungnahme von H. Geißler, Schlichtung Stuttgart 21 PLUS vom 30.11.2010, S. 6.
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lei eigene Kompetenzen oder Korrekturmöglichkeiten verfügen kann. Vor diesem Hintergrund muss eine Planfeststellungsbehörde, die Fehler der Bundesfachplanung erkennt, entweder den Antrag des Vorhabenträgers ablehnen oder das Planfeststellungsverfahren aussetzen und eine Änderung der Bundesfachplanung durch die Bundesnetzagentur veranlassen. Die bisherige These des Verfassers und anderer, der Bundesnetzagentur sei dann als Ausdruck des allgemeinen fachplanerischen Grundsatzes der Planerhaltung das Recht zugestehen, Mängel der Bundesfachplanung durch Planänderung, Planergänzung oder ergänzendes Verfahren65 zu beheben, hat der Gesetzgeber mittlerweile rechtspolitisch bestätigt: Auf Grundlage des im Dezember 2012 erlassenen neuen § 15 Abs. 3 Satz 3 NABEG66 ist die Behörde unzweifelhaft berechtigt, Mängel der Bundesfachplanung zu beheben. Dem gesetzgeberischen Willen, eine solche Fehlerbehebung zu ermöglichen, muss Geltung verschafft werden, obwohl die in Bezug genommene Planerhaltungsvorschrift des § 43e Abs. 4 EnWG zwischenzeitlich dem Planvereinheitlichungsgesetz zum Opfer gefallen ist und gestrichen wurde67 und der Verweis daher derzeit ins Leere geht. Wie effektiv ein solches zweistufiges Nachbessern funktioniert, bleibt freilich abzuwarten.68 Die bislang verbreitete Heilung der Planfeststellung im laufenden Verwaltungsprozess69 dürfte im Modell des NABEG jedenfalls auf Schwierigkeiten stoßen.
VI. Das NABEG – Infrastrukturgesetz der Zukunft? Das NABEG ist der erklärte Versuch, Mängel des bisherigen Zulassungsregimes für Infrastrukturvorhaben zu beheben. Seinem eigenen Anspruch nach ist das NABEG insoweit geradezu ein Infrastrukturgesetz der Zukunft. Die Hauptschwäche des bestehenden Planungsrechts sah der Gesetzgeber darin, dass im Planfeststellungsverfahren regelmäßig dieselben Fragen nochmals behandelt werden, die zuvor Gegenstand des Raumordnungsverfahrens waren, und es so ___________ 65 Umfassend zu den erwähnten Instituten P. Henke, Planerhaltung durch Planergänzung und ergänzendes Verfahren, 1997. 66 Eingefügt durch Art. 4 Abs. 4 des Dritten Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften. 67 Vgl. Art. 4 Abs. 4 lit. b des Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren. 68 Vgl. dazu die Überlegungen bei C. Sangenstedt, in: Steinbach (o. Fußn. 47), § 15 NABEG Rn. 18 f. 69 Wichtig ist dabei namentlich die Fallgruppe der nachträglichen Erteilung von Befreiungen nach § 62 BNatSchG a.F., vgl. dazu BVerwG, NVwZ 2006, 1407 ff.; NVwZ 2007, 1054 (1073 f.); NVwZ 2007, 708 (709).
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zu erheblichen problematischen Doppelprüfungen kommt.70 Im NABEG werden beide Prüfprogramme demgegenüber verfahrensrechtlich trennscharf abgeschichtet. Tatsächlich gab es bei seiner Einbringung 2011 Vorschläge, zugleich das Raumordnungsverfahren komplett abzuschaffen und damit auf einen Schlag die gesamte Infrastrukturzulassung zu reformieren. Zudem sichert die Bundesfachplanung auch den bestimmenden Einfluss des Bundes auf die Trassenwahl, den das Grundgesetz gerade auch im Straßen- und Schienenbereich voraussetzt.71 In diesem Zusammenhang ist unverkennbar, dass die Länder ihre raumordnerischen Kompetenzen vielfach auch als Instrumente zur Formulierung infrastrukturpolitischer Forderungen zweckentfremdet haben, selbst dort, wo das entsprechende Bundesinteresse von dem des Landes divergiert.72 Beide Anliegen erscheinen im Ausgangspunkt rechtspolitisch berechtigt. Dem Ziel, Doppelprüfungen des Raumordnungs- und des Planfeststellungsverfahrens entgegenwirken, könnte man jedoch auch Rechnung tragen, indem das im Laufe des letzten Jahrzehnts disfunktional aufgeblähte Raumordnungsverfahren wieder stärker auf eine schlichte Raumverträglichkeitsprüfung zurückgeführt würde. Im Hinblick auf den Bundeseinfluss wäre zu erwägen, ob nicht die Verträglichkeitsprüfung für länderübergreifende Vorhaben der Sache nach die Raumordnung für den Gesamtstaat betrifft und daher eine originäre raumordnerische Vollzugsaufgabe des Bundes darstellt.73 Insoweit erschiene eine Hochstufung der raumordnerischen Verträglichkeitsprüfung für sämtliche länderübergreifenden Bundesvorhaben diskussionswürdig. Was das NABEG jedoch möglicherweise unterschätzt, ist demgegenüber die Fehleranfälligkeit von Trassenentscheidungen und Umweltprüfungen. Fehler in der Grobtrassierung sind ein bekanntes und echtes Horrorszenario jeder linienförmigen Planung und haben nicht nur bei Straßen, sondern vereinzelt auch bei Stromleitungen schon zur gerichtlichen Beanstandung geführt.74 Der Hauptgrund dafür ist, dass fortschreitende Erkenntnisse, etwa die Ergebnisse kleinräumiger Ermittlungen immer wieder auf die großräumige Standortwahl zurückwirken.75 Im geltenden Recht wird dem dadurch Rechnung getragen, dass die raumordnerische Grobtrassierung im Rahmen einer nachfolgenden Abwägung korrigiert werden kann, wenn sie durch spätere Erkenntnisse in Frage ge___________ 70
Vgl. bereits oben in und bei Fn. 24. Vgl. nur R. Bartlsperger, Das Fernstraßenwesen in seiner verfassungsrechtlichen Konstituierung, 2006, S. 33. 72 Näher W. Durner, Neuausrichtung der Raumordnung in Bund und Ländern, in: Erbguth (Hrsg.), Neues Städtebau- und Raumordnungsrecht, 2007, S. 29 (39 f.) m.w.N. 73 Vgl. Durner (o. Fußn. 72), S. 44 f. 74 VGH München, NVwZ 1996, 406 ff.; lediglich geprüft werden entsprechende Verstöße in BVerwG, NVwZ 1996, 394 ff.; VGH Mannheim, NVwZ 1997, 90 ff. 75 Näher Durner (o. Fußn. 21), 372 f. 71
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stellt wird.76 Im Modell des NABEG hingegen ist die einmal festgelegte Grobtrasse samt den dazugehörigen Ermittlungen für alle nachfolgenden Verfahren strikt verbindlich. Der Gesetzgeber verzichtet offenbar bewusst auf ein Reparaturinstrumentarium, weil er hofft, die entsprechenden Fragenkomplexe im Gegenzug aus dem Planfeststellungsverfahren und der dortigen Öffentlichkeitsbeteiligung heraushalten zu können. Hier verbleiben konzeptionelle Zweifel gegenüber dem Ansatz, die Trassenentscheidung bindend in einem vorgelagerten Verfahrensstadium zu treffen, den Rechtsschutz hingegen erst ganz am Ende zu eröffnen.77 Es wäre plausibler, dem Planer für Fehler, mit denen er bis zum Schluss konfrontiert werden kann, auch bis zum Schluss Korrekturmöglichkeiten zu belassen. Das haben freilich die Verfasser des NABEG offenbar bewusst anders gesehen. Der Erfolg des NABEG wird somit davon abhängen, ob es möglich ist, den Korridor bis zur Gerichtsfestigkeit der Planfeststellung unverändert als Planungsgrundlage zu behandeln. Das könnte im Fall des Netzausbaus auch tatsächlich gelingen, weil der Zeitplan der Energiewende hochambitioniert ist, die im Zusammenhang mit Stromleitungstrassen aufgeworfenen Umweltrechtsfragen – zumindest im Vergleich mit Verkehrsanlagen – insgesamt weniger komplex ausfallen, eine gewaltige Personaldecke geschaffen wurde und angesichts scheinbar unbegrenzter Mittel für die Energiewende die Planfeststellungen sich nahtlos an die Bundesfachplanung anschließen dürften. Wenn man all dies mit dem sonstigen Infrastrukturbereich vergleicht – etwa der mühseligen Zulassung der ICE-Strecke am Oberrhein – so erscheint ein entsprechendes Vorgehen dort jedoch unrealistisch. Für die allgemeine Infrastruktur sollte ein weiser Gesetzgeber es daher bei dem Grundsatz belassen, dass Planungsfehler, die bis zum Schluss auf die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts durchschlagen können, auch bis zum Schluss korrigierbar bleiben sollten.
___________ 76 77
Näher K. Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel (Fn. 5), § 15 Rn. 80 ff. Näher dazu Durner (o. Fußn. 21), 859 ff.; Gärditz (o. Fußn. 22), 267.
Ausblick auf die Bundesfachplanung Von Stefan Drygalla-Hein1 Der Gesetzgeber hat mit Verabschiedung des Gesetzespakets zur Energiewende neue beschleunigende Planungsinstrumente für den Ausbau des Übertragungsnetzes (Stromleitungen mit einer Mindestspannung von 220 kV, sog. Höchstspannung) geschaffen und sie in ein bewährtes iteratives Planungskonzept gekleidet. Die planerischen Instrumente der drei Konkretisierungsstufen stellen vom Grundansatz her keine Neuerung dar. Das Neue ist im Detail zu finden. Im Schwerpunkt beschäftigt sich dieser Aufsatz mit der zweiten Ebene der Planung – der Bundesfachplanung. Er stellt darüber hinaus das Verhältnis der drei Ebenen zueinander im Überblick dar. Auf sämtlichen Planungsebenen verfolgt der Gesetzgeber konsequent das Ziel, die Öffentlichkeit stark einzubinden, um so von vornherein transparente Planungen mit plebiszitären Einflussnahmemöglichkeiten zu eröffnen. Dabei geht er über die Anforderungen des UVPG teilweise hinaus, um eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung herbeizuführen.
I. Überblick über die neue Planungskaskade Die oberste Planungsebene schließt mit dem Bundesbedarfsplangesetz Strom (§ 12a ff. EnWG) ab. Dieses dient der Feststellung des energiewirtschaftlichen Bedarfs, d. h. der Planrechtfertigung später zuzulassender Vorhaben (§ 12e Abs. 4 S. 1 EnWG). Erstmalig in Deutschland war in einer Planung dieser Ebene eine Strategische Umweltprüfung durchzuführen (§ 14a Abs. 1 Nr. 1 sowie Nr. 1.10 der Anlage 3 UVPG) – Betrachtungsmaßstab der Bundesnetzagentur 1 : 250.000. Die zweite und dritte Ebene sind in einem neuen Gesetz kodifiziert, dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG). Das Gesetz gilt ausschließlich für grenzüberschreitende und länderübergreifende Höchstspannungsleitungen (§§ 1, 2 Abs. 1 NABEG). Die hier den Schwerpunkt der Betrachtung bildende zweite Ebene der Bundesfachplanung (§§ 4 ff. NABEG) ___________ 1 Der Verfasser ist Referent der Bundesnetzagentur. Der Text beinhaltet ausschließlich die Rechtsauffassung des Verfassers.
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stellt eine Korridorplanung dar – voraussichtlicher Betrachtungsmaßstab 1 : 25.000, im Einzelfall ggf. geringer (z. B. im „Engpass“ vgl. unten). Das Neue an ihr ist die Kombination des „Raumordnungsverfahrens“ (vgl. § 15 ROG sowie § 28 NABEG) mit einer Art von „Linienbestimmung“ (vgl. z. B. § 16 FStrG sowie § 15 Abs. 1 NABEG), die intensivere Bindungen der folgenden Planungsebene vergleichbar den Zielen der Raumordnung auslöst (vgl. §§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 7 Abs. 2 S. 1 ROG sowie §§ 5 Abs. 1 S. 2, 15 Abs. 1 S. 1 NABEG). Die Zuständigkeit liegt bei der Bundesnetzagentur. Auch in der Bundesfachplanung wird eine Strategische Umweltprüfung durchgeführt (§ 14a Abs. 1 Nr. 1 sowie Nr. 1.11 der Anlage 3 UVPG). Die nicht grenz- oder länderübergreifenden Maßnahmen des Bundesbedarfsplanes unterfallen weiterhin dem Regime des Raumordnungsrechts und damit der Länderzuständigkeit. Die von der Bundesfachplanung „geknebelte“ Planfeststellung bildet mit ihrer ganz konkreten Trassenplanung die dritte Ebene (§§ 18 ff. NABEG) – i.d.R. Betrachtungsmaßstab 1 : 1.000, im Einzelfall nach Bedarf geringer. Die Pflicht zum Berücksichtigen einer Umweltverträglichkeitsprüfung hängt bei Freileitungen von den Leitungslängen ab. Erdkabel sind offenbar schon auf der EUEbene vom Richtliniengeber übersehen worden. Eine Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung besteht hier generell nicht. Die Zuständigkeit der Bundesnetzagentur für die Planfeststellung bedarf einer Verordnung mit Zustimmung des Bundesrates gemäß § 2 Abs. 2, § 31 Abs. 1 und 2 NABEG.
Für die beschleunigte Durchsetzung von Besitz- und Eigentumsinanspruchnahmen erfahren vorzeitige Besitzeinweisung und Enteignung einen Zeitvorsprung. Sie sind bereits nach dem Erörterungstermin im Planfeststellungsver-
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fahren unter der aufschiebenden Bedingung des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses möglich (§ 27 NABEG).
II. Bundesbedarfsplanung Der Bundesbedarfsplan beruht auf weiteren Planungsinstrumenten. Den ersten Schritt bildet der jährlich neu zu erstellende Szenariorahmen für die Netzentwicklungsplanung ab (§ 12a EnWG). Im Szenariorahmen 20112 prognostizieren die vier Übertragungsnetzbetreiber (50Hertz, TenneT TSO, Amprion und TransnetBW) den deutschlandweiten Bedarf der Zukunft an Energie, die wahrscheinliche Entwicklung des Bedarfs. Er beruht auf drei denkbaren Entwicklungspfaden bis zum Jahr 2022 (§ 12a Abs. 1 Satz 1 EnWG). Die Szenarien A, B und C stellen die Bandbreite wahrscheinlicher Entwicklungen im Rahmen der mittel- und langfristigen energiepolitischen Ziele der Bundesregierung dar. Die Übertragungsnetzbetreiber legen dafür angemessene Annahmen zu Erzeugung, Versorgung, Verbrauch von Strom sowie dessen Austausch mit anderen Ländern zugrunde und berücksichtigen geplante Investitionsvorhaben der europäischen Netzinfrastruktur (§ 12a Abs. 1 Satz 4 EnWG). Dabei werden u. a. die Anteile der verschiedenen erneuerbaren Energiequellen prognostiziert. Das Szenario A beruht auf sehr konservativen Einschätzungen der Entwicklung des Strommarktes. Es geht von einem moderaten Anstieg der erneuerbaren Energien aus. Szenario C ist mit sehr ambitioniert eingeschätzter Entwicklung des Einsatzes erneuerbarer Energien auf Grundlage der Länderangaben erstellt worden. Es besteht danach ein besonders hoher Anteil an Strom aus Windkraft. Das Szenario B stellt auf Grundlage eines wissenschaftlichen Gutachtens3 einen Mittelweg der beiden vorgenannten Entwicklungspfade dar. Der Entwicklungspfad B stellt zudem die wahrscheinliche Entwicklung bis zum Jahr 2032 dar (§ 12a Abs. 1 Satz 2 EnWG). Das Szenario B 2022 wurde im Rahmen der Genehmigung des Szenariorahmens 20114 gemäß § 12a Abs. 3 EnWG von der Bundesnetzagentur als das (maßgebliche) Leitszenario angesehen. Darauf aufbauend wird der Netzentwicklungsplan (§ 12b bis § 12d EnWG) erstellt, der mit Hilfe von Regionalisierungen und Marktmodellierungen den Bedarf an Höchstspannungsstromleitungen durch Punktepaare identifiziert. Die Bundesnetzagentur hat vom Netzentwicklungsplan Strom 2012 von insgesamt 74 vorgeschlagenen Maßnahmen 51 gemäß § 12c Abs. 4 EnWG bestätigt.5 Be___________ 2 http://www.netzausbau.de/DE/Bedarfsermittlung/Szenariorahmen/Szenariorahmen %20zum%20NEP%202012/szenarien_nep_2012_node.html. 3 DLR, IWES, IFNE im Auftrag des BMU, „Leitstudie 2010“, August 2010. 4 Siehe Fn. 1. 5 Siehe Fn. 1.
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reits frühzeitig während des Verfahrens zum Aufstellen des Netzentwicklungsplanes erstellt die Bundesnetzagentur einen Umweltbericht im Sinne von § 14g UVPG (§ 12c Abs. 2 EnWG). Mindestens dreijährlich legt die Bundesnetzagentur der Bundesregierung den Netzentwicklungsplan als Entwurf für einen Bundesbedarfsplan vor (§ 12e Abs. 1 Satz 1 EnWG). Der Umweltbericht als Ergebnis der Umweltprüfung des Netzentwicklungsplans (als Bundesbedarfsplanentwurf) ist Teil der Vorlage. Die Bundesregierung legt dem Gesetzgeber wiederum dreijährlich den Netzentwicklungsplan als Entwurf für einen Bundesbedarfsplan vor (§ 12e Abs. 1 Satz 2 EnWG). Der Gesetzgeber entscheidet dann letztendlich über den Bedarf an Stromleitungen des Höchstspannungsnetzes durch Gesetz. Nachdem der Gesetzesentwurf des BBPG der Bundesregierung6 am 21.12.2012 den Bundesrat erreichte, gaben der federführende Wirtschaftsausschuss, der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung Empfehlungen in Form von Änderungsvorschlägen am 21.01.2013 ab.7 Auf den Plenarantrag Nordrhein-Westfalens vom 30.01.20138 fand der erste Durchgang im Plenum am 01.02.2013 statt.9 Der Gesetzentwurf erreichte den Bundestag daraufhin gestern.10 Die erste Beratung ist für den 14.03.2013 vorgesehen.11 Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes kann daher voraussichtlich im Zeitfenster Juni-August 2013 gerechnet werden. Im gleichen Zuge soll die Zuständigkeitsverordnung für die Planfeststellung ergehen.
III. Bundesfachplanung Die in den §§ 4 ff. NABEG neu geschaffene Bundesfachplanung findet Anwendung auf Vorhaben des Bundesbedarfsplangesetzes Strom, die grenzüberschreitend oder länderübergreifend sind (NABEG-Vorhaben, vgl. § 1 und § 2 Abs. 1 NABEG). Der Umweltbericht zum Bundesbedarfsplan 2012 bewertet u. a. die ellipsenförmigen Teiluntersuchungsräume insbesondere im Hinblick auf Riegel („B“ = ___________ 6
21.12.2012 – BR-Drucksache 819/12. 21.1.2013 – BR-Drucksache 819/1/12. 8 30.1.2013 – BR-Drucksache 819/2/12. 9 1.2.2013 – BR-Plenarprotokoll 906, TOP 46, S. 52C-52D; Beschlussdrucksache vom 1.2.2013 – BR-Drucksache 819/12(B). 10 6.3.2013 – BT-Drucksache 17/12638; Anl. Stellungnahme des BR und Gegenäußerung der BRg. 11 Vgl. http://dipbt.bundestag.de/dip21.web/search/find_without_search_detail_vo.d o?vorgangId=50038. 7
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ein Riegel, „C“ = ein großer oder mehrere Riegel) mit hohen Empfindlichkeiten. Soweit solche Riegel in NABEG-Vorhaben auftreten, zeigt das „Frühwarnsystem“ des Umweltberichts bereits lokale Umweltkonflikte für die folgende Ebene der Bundesfachplanung auf.
Quelle: Bundesnetzagentur
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Quelle: Bundesnetzagentur
Die Bundesfachplanung eröffnet zahlreiche Rechtsfragen, zu denen die Bundesnetzagentur gerade in Begriff ist, sich eine Meinung zu bilden. Daher beschränkt sich diese Darstellung auf kleine Auswahl von Rechtsfragen, die ausschließlich die Auffassung des Verfassers wiedergibt. Die Entscheidung über die Bundesfachplanung ist hinsichtlich der Raum- und Umweltverträglichkeit des Trassenkorridors zwingende Grundlage für die Planfeststellung.12 Sie stellt eine Zusammenfassung der in anderen Infrastrukturplanungsbereichen üblichen Raumordnungs- und Linienbestimmungsverfahren dar. Ausweislich des § 5 NABEG wird die Korridorplanung in erster Linie im Hinblick auf überwiegende öffentliche und private Belange untersucht und die Vorhabenausgestaltung letztlich mit den entgegenstehenden Belangen abgewogen. Einer dieser Belange ist die Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung. Insofern liegt schon ein ganz wesentlicher Unterschied zum Raumordnungsverfahren vor. Ziele der Raumordnung als Teil der Erfordernisse der ___________ 12 Vgl. Gesetzesbegründung, BR-Drucksache 342/11 vom 6.6.2011, S. 43 f.; Drygalla-Hein, in: de Witt/Scheuten, NABEG, § 24 Rn. 109.
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Raumordnung (§ 3 Nr. 1 ROG) haben grundsätzlich strikt zu beachtende Wirkung (§ 4 Abs. 1 ROG), die in einer Abwägung nicht überwunden werden kann. Im Rahmen der Bundesfachplanung werden diese zwingenden Grundsätze zum (prinzipiell überwindbaren) Abwägungsbelang. Einerseits ist § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ROG nicht auf die Bundesfachplanung anwendbar, da mit der Bundesfachplanung noch nicht die Wirkungen der Planfeststellung eintreten. Gegen die strikte Beachtlichkeit der Ziele der Raumordnung spricht zudem § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG, der der Bundesfachplanung generell Vorrang von Landesplanungen einräumt. Darüber hinaus gestaltet die Bundesfachplanung verbindliche Wirkung für die Planfeststellung (§ 15 Abs. 1 S. 1 NABEG). Wegen des genannten Vorrangs der Bundesfachplanung vor Landesplanungen wird der strikte Charakter der Ziele der Raumordnung (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ROG)13 in der Planfeststellung zum prinzipiell überwindbaren Abwägungsbelang.14 Sie geht daher über die Wirkung der Linienbestimmung hinaus. Während bei der Linienbestimmung ein geringfügiges Verlassen des Korridors ohne Änderungsverfahren für die Linienbestimmung möglich ist, scheidet dies bei der Bundesfachplanung wegen der strikt formulierten Verbindlichkeit aus. Bei notwendigem Verlassen des Korridors der Bundesfachplanung muss ein Änderungsverfahren entsprechend dem Erlassverfahren der Bundesfachplanung durchgeführt werden. Vom Rechtscharakter her stellt die Entscheidung über die Bundesfachplanung einen neuen Typus dar, da sie ausdrücklich keine Außenwirkung hat15 und nicht direkt angegriffen werden kann (§ 15 Abs. 3 NABEG). Erst im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung des folgenden Planfeststellungsbeschlusses kann das Ergebnis der Bundesfachplanung überprüft werden. Sollten Bundesländer Einwendungen gegen die Entscheidungen haben, können sie diese innerhalb eines Monats nach Übermittlung der Entscheidung mit obligatorischer Begründung erheben. Die Bundesnetzagentur hat innerhalb eines Monats nach Eingang dazu Stellung zu nehmen. Neu ist die Möglichkeit der Planungsbehörde nach § 6 S. 2 NABEG, den Vorhabenträger auffordern zu können, innerhalb einer bestimmten angemessenen Frist den erforderlichen Antrag zu stellen und dies gemäß § 34 NABEG zu erzwingen. ___________ 13 Sofern gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG eine abschließende Abwägung der betroffenen Regelung stattfand bzw. stattfinden konnte und nicht pauschale textliche Festlegungen vorliegen, vgl. Lecheler, RdE 2010, 41, 46; de Witt/Durinke/Kause, Die Planung der Übertragungsnetze – Bedingung der Energiewende, Rn. 107 f. 14 Appel, NVwZ 2013, 457, 462; de Witt, in: de Witt/Scheuten, NABEG, § 15 Rn. 36; Drygalla-Hein, in: de Witt/Scheuten, NABEG, § 24 Rn. 117. 15 A.A. im Hinblick auf die Vorhabenträger und diejenigen Länder, die ggf. zur Umsetzung einer Trasse im Korridor einer Bundesfachplanung Planfeststellungsbehörde blieben: de Witt, in: de Witt/Scheuten, NABEG, § 15 Rn. 28, 52.
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1. Inhalte der Bundesfachplanungsentscheidung Die Entscheidung über die Bundesfachplanung enthält nach § 12 Abs. 2 NABEG 1. den Verlauf eines raumverträglichen Trassenkorridors, der Teil des Bundesnetzplans wird, sowie die an Landesgrenzen gelegenen Länderübergangspunkte; […] 2. eine Bewertung sowie eine zusammenfassende Erklärung der Umweltauswirkungen […] des […] Trassenkorridors; 3. das Ergebnis der Prüfung von alternativen Trassenkorridoren. Die Entscheidung ist im Fall des Durchführens eines vereinfachten Verfahrens (§ 11 NABEG) modifiziert. Die Trassenkorridore nach § 12 Abs. 2 NABEG werden durch bestehende Trassen (§ 11 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 NABEG) bzw. das Ergebnis des Raumordnungsplanes oder der Bundesfachplanung ersetzt (§ 12 Abs. 3 NABEG). Mangels SUP-Pflicht im vereinfachten Verfahren (§ 11 Abs. 1 NABEG) wird die Bewertung sowie eine zusammenfassende Erklärung der Umweltauswirkungen des Trassenkorridors nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 NABEG durch das Bekanntgeben des Screeningergebnisses einschließlich der dafür bestehenden Gründe gemäß § 14a Abs. 2 S. 1 a. E. UVPG und die Dokumentation nach § 14b Abs. 4 S. 3 UVPG ersetzt. Dies muss angesichts der verschiedenen Veröffentlichungsmöglichkeiten des in Bezug genommenen Umweltinformationsrechts nicht im Sinne einer Bekanntgabe von Verwaltungsakten16 und nicht (erst) innerhalb der Entscheidung über die Bundesfachplanung erfolgen. Der Trassenkorridor ist in § 3 Abs. 1 NABEG als Gebietsstreifen legaldefiniert, innerhalb dessen eine Stromleitung verläuft und für den die Raumverträglichkeit festgestellt werden soll bzw. festgestellt ist. Laut Gesetzesbegründung kann er eine Breite von 500 m bis 1.000 m aufweisen.17 Die Bundesnetzagentur favorisiert zum Ermitteln von Trassenkorridoren das übliche zweistufige System solcher Planungsebenen. Zunächst soll ein gesetzlich nicht angesprochener sehr breiter Grobkorridor gefunden werden, aus dem der gesetzlich vorgesehene Trassenkorridor sowie Alternativkorridore erarbeitet werden. Der Grobkorridor, der auch Parallelverläufe beinhaltet, ist ein wichtiges methodisches Instrument, das die „Freiräume“ im Untersuchungsraum des Vorhabens aufzeigt und so die Trassenkorridorprüfung von vornherein auf ausschließlich infrage kommende Räume beschränkt und damit erleichtert. So wird z. B. die Antragskonferenz gleich auf das Wesentliche beschränkt. Zudem bildet der Grobkorridor die Grundlage für die Abschnittsbildung. Für die Bundesfachplanung ist die ___________ 16 17
Gärditz, in: Landmann/Rohmer, UmweltR, § 14a UVPG Rn. 10 und 12. BT-Drucksache 17/6073, S. 23.
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Abschnittsbildung in § 5 Abs. 3, § 6 Abs. 4 NABEG für „angemessene Abschnitte“ vorgesehen. Der Gesetzgeber hat damit die bislang in der Stromtrassenplanfeststellung höchstrichterlich ausdrücklich offen gelassene Frage18 für die Bundesfachplanung geklärt. Schon damit wird für Planfeststellungsvorhaben des NABEG ebenfalls eine Abschnittsbildung legalisiert, da die Problematik unüberwindbarer Hindernisse auf Folgeabschnitten19 bereits im Rahmen der Bundesfachplanung ausgeräumt wird.20 § 19 Abs. 1 S. 2 NABEG ist daher ein konsequentes Pendant für die Planfeststellung. Auf eine eigenständige Funktion eines Abschnittes kann es insbesondere nicht mehr ankommen.21 Angesichts der eisenbahnrechtlichen Rechtsprechung, die auf die Grobmaschigkeit des Netzes22 (vergleichbar dem Übertragungsnetz Strom) abstellt, sollte dies auch für Planfeststellungen nach §§ 43 ff. EnWG gesetzlich umgesetzt werden, insbesondere weil die diesem Regelungsregime unterfallenden EnLAG-Leitungen zeitnah umgesetzt werden müssen. Sachgerechte Gründe für das Bilden von Abschnitten sind z. B. das Vermeiden einer unüberschaubaren Anzahl von Konflikten bei Vorhaben von über mehrere hundert km lange Leitungen; beschleunigte Umsetzung des Vorhabens. Es ist wenig sinnvoll ein überwiegend konfliktarmes langes Leitungsbauvorhaben deshalb lange in einer Warteschleife zu belassen, weil ein schwerwiegender Konflikt auf einem ganz kleinen Stück wesentlich zeitaufwändiger realisierbar ist; das Bündeln mit vorhandener Infrastruktur – vor allem mit Stromleitungen des Hoch- und Höchstspannungsnetzes (vgl. § 11 NABEG, § 1 Abs. 5 S. 3 BNatSchG); das Sicherstellen angemessener Beteiligung von Öffentlichkeit und Trägern öffentlicher Belange. Die Inhalte der Raumverträglichkeitsprüfung/Raumwiderstandsanalyse werden von § 5 Abs. 1 S. 3 ff. NABEG geregelt. Danach prüft die Bundesnetzagentur, „ob der Verwirklichung des Vorhabens in einem Trassenkorridor überwiegende öffentliche oder private Belange entgegenstehen“. Der Begriff der Raumverträglichkeitsprüfung ist daher nicht gleichbedeutend mit dem des Raumordnungsverfahrens, sondern geht über letzteren hinaus. Dieser Unter-
___________ 18
BVerwG, UPR 2011, 26, 27. BVerwGE 100, 388, 392; Wiesendahl, in: de Witt/Scheuten, NABEG, § 19 Rn. 9 in Bezug auf Angemessenheit des Abschnitts. 20 Drygalla-Hein, in: de Witt/Scheuten, NABEG, § 24 Rn. 94. 21 Drygalla-Hein, in: de Witt/Scheuten, NABEG, § 24 Rn. 97; im Ergebnis auch Nebel/Riese, in: Steinbach, NABEG/EnLAG/EnWG, § 18 NABEG Rn. 123. 22 BVerwG, Urt. vom 21.12.1995 – 11 VR 6.95, juris LS 2, Rn. 25 ff. (26). 19
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schied zum Raumordnungsverfahren ist wegen der strikten Bindungswirkung23 der Regelungsinhalte des § 12 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 NABEG der Bundesfachplanung für die Planfeststellung („verbindlich“ nach § 15 Abs. 1 S. 1 NABEG) zwangsläufig geboten. Anderenfalls könnten mögliche unüberwindbare Hindernisse nicht vollständig erfasst werden. Über nachträgliche Korrekturschleifen parallel zum Planfeststellungsverfahren würden dann erhebliche Verfahrensverzögerungen ausgelöst, die durch das NABEG gerade vermieden werden sollen. Angesichts des grundsätzlich ersetzten Raumordnungsverfahrens (§ 28 S. 1 NABEG) ist allerdings insbesondere die Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung und die Abstimmung mit anderen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen zu prüfen (§ 5 Abs. 1 S. 4 NABEG). Zu prüfende Belange können insbesondere sein die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen; das Eigentum, insbesondere seine uneingeschränkte Nutzung und Existenzschutz von standortgebundenen Betrieben (Urproduktion, Gewerbe, Industrie). Die Belange werden teilweise auf Bundesfachplanungsebene noch nicht konkret, sondern aggregiert geprüft werden (z. B. Eigentum). Grundlage der Raumwiderstandsanalyse sind eine Vielzahl von Kriterien, die ermittelte Raumwiderstände bzw. Empfindlichkeiten auf Basis von verfügbaren Rauminformationen (z. B. Regionalpläne, Schutzgebietsausweisungen, Realnutzung) widerspiegeln. Diese werden kartografisch in einem Geografischen Informationssystem (GIS) in Empfindlichkeitsklassen dargestellt. Beispielsweise könnte ein sog. „Ampelsystem“ verfolgt werden, indem hohe Raumwiderstände (z. B. Siedlung, Natura 2000-Gebiete, Truppenübungsplätze) in der digitalen Karte rotflächig, mittlere Raumwiderstände (z. B. Landschaftsschutzgebiete) gelbflächig, geringe Raumwiderstände (z. B. Naturparke) grünflächig und keine Raumwiderstände (z. B. landwirtschaftliche Flächen ohne Schutzstatus) weißflächig dargestellt werden. Die Anzahl der Kriterien richtet sich nach der Planungsebene. Während auf Bundesbedarfsplanebene 25 Kriterien bei der Strategischen Umweltprüfung zur Anwendung kamen, sind für die Bundesfachplanung weitaus mehr zu erwarten. Wegen der Spezifika der Länder werden die Kriterien voraussichtlich von Land zu Land variieren. Bei der Grobkorridorfindung werden allerdings noch nicht so viele Kriterien praktikabel sein wie bei der Trassenkorridorfindung. Allerdings müssen bereits sämtliche großflächig vorhandenen unüberwindbaren Hindernisse in die Grobkorridorfindung Eingang finden. ___________ 23 Appel, ER 2012, 3, 6; de Witt, in: de Witt/Scheuten, NABEG, § 15 Rn. 7; Drygalla-Hein, in: de Witt/Scheuten, NABEG, § 24 Rn. 109.
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Die Grobkorridorfindung kann an Planungsgrundsätzen orientiert verlaufen. Dabei ist sicherzustellen, dass keine maßgeblichen Inhalte unvollständig oder mit falschem Gewicht in die abschließende Bewertung der Trassenkorridorfindung eingehen. Grundsätze ersetzten nicht die konkrete Abwägungsentscheidung. Jeder Einzelfall weist andere Konfliktspezifika auf, die nicht ausschließlich mit Grundsätzen behoben werden können. Daher sind die Grundsätze auch situationsabhängig zu gewichten. Grundsätze sind z. B. das Meiden konfliktträchtiger Räume (vgl. § 50 BImSchG24), die möglichst direkte Verbindung der Anschlusspunkte, die i.d.R. Umweltbelastungen sowie Kosten reduziert, die Bündelung mit vorhandener Infrastruktur (§ 1 Abs. 5 S. 3 BNatSchG, § 11 NABEG). Vorbelastungen mindern zwar die Schutzwürdigkeit der Anliegerinteressen im Rahmen des abwägbaren Belastungszuwachses unterhalb der Grenzwerte. Auch sind bestimmte Bündelungen für das vereinfachte Verfahren in § 11 Abs. 1 S. 1 NABEG ausdrücklich vorgesehen (Ausbau in oder neben bestehender Trasse). Bei der Bündelung ist allerdings auf das Vermeiden von derartigen Vorbelastungsverstärkungen zu achten, die beispielsweise Grenzwertüberschreitungen verursachen würden mit der Folge unzumutbarer/rechtswidriger Mehrbelastungen (Bündelungsexzess). Weitere Grenzen sind z. B. zum Schutz von kritischer Infrastruktur denkbar oder wenn eine andere Trasse raum,und/oder umweltverträglicher ist. Bei Bündelungsalternativen unterschiedlicher Infrastrukturen dürften die Höchstspannungsleitungen Vorrang gegenüber sonstiger Infrastruktur (Hochspannungsleitungen, Bundesautobahnen, Bundesstraßen, Schienenwege) genießen. Nach § 7 Abs. 1 S. 12 NABEG findet die Antragskonferenz auf Grundlage eines Vorzugstrassenkorridors statt. Zu diesem Zeitpunkt müssen sich die planenden Übertragungsnetzbetreiber daher bereits einen Trassenkorridor(abschnitt) aus mehreren Varianten als Vorzugsverlauf ermittelt haben. Diese Variantenausscheidung findet bezogen auf den Grobkorridor nicht statt, damit alternative Trassenkorridorverläufe vollumfänglich berücksichtigt werden können.
___________ 24
Dass es sich bei der Bundesfachplanung um eine raumbedeutsame Planung i.S.d. § 50 BImSchG handelt, stellt bereits § 5 Abs. 1 S. 3 NABEG durch die Formulierung klar, bei der Bundesfachplanung „… die Abstimmung mit anderen raumbedeutsamen Planungen …“ prüfen zu müssen. Der Trennungsgrundsatz (Abwägungsdirektive) ist beispielsweise auch für die ähnlich gelagerte Linienbestimmung nach § 16 FStrG anzuwenden (Hansmann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR, § 50 BImSchG Rn. 28).
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2. Umgang mit Abwägungsfehlern Werden Fehler zur Bundesfachplanungsentscheidung im Planfeststellungsverfahren erkennbar, gilt der kürzlich in § 15 Abs. 3 S. 3 NABEG aufgenommene Grundsatz der Planerhaltung nach § 43e Abs. 4 S. 2 EnWG. Dieser ist ausdrücklich anwendbar für formelle Fehler als auch Abwägungsfehler.25 Nach einem Teil der Literatur26 soll der Grundsatz ebenfalls für sonstige materiellrechtliche Fehler zur Anwendung kommen. Der Grundsatz der Planerhaltung findet allerdings seine Grenze bei Abwägungsfehlern, die das Gesamtkonzept der Planung als unausgewogen27 erscheinen lassen bzw. sobald ein neues Planungskonzept notwendig28 ist. In diesem Fall bedarf es eines neuen Bundesfachplanungsverfahrens. 3. Fingiertes Beispiel zur Grobkorridorfindung Die Karte zeigt ein fingiertes Punktepaar (schwarze Punkte) mit ellipsenförmigem Untersuchungsraum, der südlich an der Bundesgrenze endet. Dargestellt sind fingierte Kriterien mit entsprechend im Ampelsystem fingierten Raumwiderständen sowie Bündelungsoptionen (grüner Strich = Übertragungsnetz Strom, roter Strich = Bundesautobahnnetz). Der blau umrandete Grobkorridor meidet in erster Linie hohe Raumwiderstände.
Quelle: Bundesnetzagentur ___________ 25 Das EnWG erfasst formelle Fehler ausdrücklich. Ein Teil der Literatur wendet den noch nicht erweiterten § 75 Abs. 1a VwVfG in gleicher Weise an, vgl. Nachweise bei Drygalla-Hein, in: de Witt/Scheuten, NABEG, § 24 Rn. 411. 26 Wickel, in NK-VerwR/VwVfG, § 75 Rn. 55. 27 BVerwGE 101, 73, 85. 28 BVerwGE 100, 370, 373.
Ausblick auf die Bundesfachplanung
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Die Abbildung zeigt, wie unter möglichst weitgehender Vermeidung des Querens und zu starken Näherns von hoch empfindlichen Raumwiderständen eine Annäherung an die kürzeste Verbindung der beiden Verknüpfungspunkte gesucht wurde. Dabei haben sich mehrere Bündelungsoptionen mit dem Höchstspannungsnetz und Bundesautobahnen gezeigt. Letztere verlaufen allerdings teilweise durch hoch empfindliche Bereiche bzw. an diesen sehr nah vorbei. U. a. dadurch ergeben sich Engpässe im Grobkorridor. Hier muss bereits auf Grobkorridorebene näher hereingezoomt werden. Dabei werden Schutzbzw. Erhaltungsziele der konkret betroffenen Gebiete und auf kleinerem Maßstab Entfernungen zu solchen Gebieten ermittelt. Was im Hinblick auf den gerade angesprochenen rechtlich vorgegebenen Gebietsschutz relativ einfach – wenn auch zeitintensiv – ist, stellt sich für den Schutz von „Einzelobjekten“ (z. B. Artenschutz) allerdings auf Bundesfachplanungsebene generell als äußerst problematisch dar. Dem Subsidiaritätsprinzip der Planungsebenen folgend, war es bislang so, dass auf jeder Planungsebene das geprüft wurde, was nicht auf einer anderen Ebene besser geprüft werden kann. Aus diesem Gedanken resultiert z. B. die Abschichtung gemäß § 14f Abs. 3 S. 1 UVPG in der Strategischen Umweltprüfung. Durchhalten lässt sich die Abschichtung in Bezug auf die Planfeststellung vermutlich i.d.R. bei der Frage der Trasse mit Schutzstreifen, der konkreten Maststandorte, Zuwegungen zu Baustellen etc. Die Regelungen der Bundesfachplanung verhindern gleichwohl das konsequente Durchhalten dieses Grundsatzes. Die Bindungswirkung der Bundesfachplanungsentscheidung für die Planfeststellung (§ 15 Abs. 1 S. 1 NABEG) erfordert bei der Entscheidung nach § 12 NABEG eine so weitgehende Prüfung, dass unüberwindbare Realisierungshindernisse innerhalb des Trassenkorridors ausgeschlossen werden können. Anderenfalls könnten im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens – bei genauerer Prüfung – unüberwindbare Hindernisse auftauchen, die in parallelen Korrekturschleifen zur Bundesfachplanung deutliche Verfahrensverzögerungen mit sich brächten. Demgegenüber soll gleichwohl keine Verfahrensverzögerung durch ein Jahre beanspruchendes Kartieren des gesamten Grobkorridors eintreten; zumal die Aktualität der Datenlage zum Arteninventar (maximal 5 Jahre alt) dann für den Planfeststellungsbeschluss der konkretisierenden Trassenplanung schon fast wieder überholt sein könnte. Die Bundesnetzagentur verfolgt derzeit die Idee, dem Artenschutz bereits auf Bundesfachplanungsebene dadurch gerecht zu werden, dass in Engpassbereichen bzw. in konfliktträchtigen Fenstern im bzw. am Grobkorridor auf Grundlage von lokalen Informationen (insbesondere von Naturschutzbehörden, Naturschutzvereinigungen) eine Prüfung zum Ausschluss von unüberwindbaren Hindernissen erfolgt. Sofern die Datenlage in diesen Engpass- oder Fensterbereichen zu schwach wäre, könnte sich entweder mit Rückschlüssen vom Habitat-inventar auf mögliche Arten (worst case-Betrachtung) oder ergänzenden Kartierungen Gewissheit verschafft
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werden. Der restliche Raum im Grobkorridor könnte ein lediglich unwesentliches Risiko artenschutzrechtlicher Konflikte beinhalten. Der Verlauf des Grobkorridors weist an verschiedenen Stellen das Wiederbegegnen der Alternativverläufe auf. Allein deshalb sind Abschnittsbildungen denkbar. Bei der Abschnittsbildung im Untersuchungsraum muss hinsichtlich der Alternativenprüfungen darauf geachtet werden, dass die alternativen Verläufe bis zum nächsten Punkt des Zusammentreffens reichen. Dabei müsste ggf. bei der Betrachtung eines alternativen Abschnittsverlaufs mehrere Unterabschnitte zusammengefasst untersucht werden. Im Beispiel der Abbildung sind u. a. mehrere Abschnitte im Bereich der Bündelungsoptionen (wegen eines ggf. möglichen vereinfachten Verfahrens), der Engpässe (wegen des höheren Aufwandes) und generell bei Alternativverläufen vom einen Zusammentreffen der Verläufe bis zum nächsten denkbar. 4. Verfahrensablauf der „förmlichen“ Bundesfachplanung Unverzüglich nach Antragstellung führt die Bundesnetzagentur eine Antragskonferenz durch, die gleichzeitig das Scoping umfasst. Da die auf die Antragskonferenz folgenden Festlegungen nach § 7 Abs. 5 NABEG innerhalb von zwei Monaten nach Antragstellung abgeschlossen sein sollen, ist der Zeitrahmen im Vergleich zum weit verbreiteten Procedere bei Scopings, einen Monat vor dem Termin dazu einzuladen, erheblich eingegrenzt. Diese sog. Antragskonferenz findet zu Gegenstand und Umfang der Bundesfachplanung, Umfang und Detaillierungsrad der Strategischen Umweltprüfung und zu Prüfvorgaben hinsichtlich der raumordnerischen Belange statt. Aktiv teilnahmeberechtigt sind neben dem Vorhabenträger die in ihrem Zuständigkeitsbereich berührten Träger öffentlicher Belange und Vereinigungen. Neu ist die Öffentlichkeit der Konferenz. Der Gesetzgeber bezweckt mit der einhergehenden Transparenz mehr Akzeptanz der Entscheidungen in der Öffentlichkeit.29 Analog § 169 S. 2 GVG wird ein Rederecht der Öffentlichkeit abzulehnen sein. Bei öffentlichen Erörterungsterminen im förmlichen Verfahren des § 10 BImSchG und § 18 Abs. 1 S. 1 der 9. BImSchV wird lediglich ein „passives Anwesenheitsrecht“ angenommen.30 Hintergrund ist der Charakter der Konferenz als Fachgespräch.31 Gleichwohl möchte die Bundesnetzagentur die Öffentlichkeit zu Wort kommen lassen. Sie plant deshalb einen der Antragskonferenz vorausgehenden Teil, in dem Äußerungen der Öffentlichkeit zugelassen werden. Darauf folgt der zweite Teil mit Fachgesprächen, in denen lediglich ein passives Anwesen___________ 29 30 31
BT-Drucksache 17/6073, S. 25. Enders/Krings, DVBl. 2001, 1398, 1399. Durinke, in: de Witt/Scheuten, NABEG, § 7 Rn. 4.
Ausblick auf die Bundesfachplanung
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heitsrecht der Öffentlichkeit besteht. So können die Sorgen der Öffentlichkeit gleichwohl durch die Bundesnetzagentur und die Übertragungsnetzbetreiber in die Antragskonferenz getragen werden. Die Antragskonferenz wird im Internet und in dem im Einwirkungsbereich des Korridors verbreiteten Tageszeitungen bekannt gemacht. Innerhalb von zwei Monaten nach Antragstellung (§ 7 Abs. 5 NABEG) legt die Bundesnetzagentur aufgrund der Antragskonferenz einen Untersuchungsrahmen fest, in dem sie den erforderlichen Inhalt der beizubringenden Unterlagen vorschreibt (§ 7 Abs. 4 NABEG). Diese Festlegung ist zunächst vorläufig, da sich im Rahmen der SUP weitere Erfordernisse ergeben können, die vorher nicht bekannt waren. Insoweit ist der Umweltbericht anzupassen. Die betroffenen Bundesländer können eigene Korridorvorschläge unterbreiten. Die Bundesnetzagentur ist an den Antrag des Vorhabenträgers nicht gebunden (§ 7 Abs. 3 NABEG). Die Vorhaben der Bundesfachplanung können ausdrücklich abschnittsweise durchgeführt und abgeschlossen werden (§ 6 S. 3 NABEG) – auch wenn der Vorhabenträger keinen entsprechenden Antrag gestellt hat (§ 5 Abs. 3 NABEG). Das Verfahren zur Bundesfachplanung läuft ähnlich wie ein Planfeststellungsverfahren ab. Spätestens zwei Wochen nach Vorlage der auf Grundlage der Festlegung des Untersuchungsrahmens vervollständigten Unterlagen beteiligt die Bundesnetzagentur die von der Zuständigkeit berührten Träger öffentlicher Belange (Behörden)32 – vgl. § 9 Abs. 1 und 2 NABEG. Es findet darüber hinaus eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung mit öffentlicher Auslegung für einen Monat in zumutbarer Nähe zum Korridor (§ 9 Abs. 3 S. 2 NABEG) und am Sitz der Bundesnetzagentur und in ihren dem Vorhaben nahegelegenen Außenstellen statt (§ 9 Abs. 3 S. 1 NABEG) sowie ggf. in weiteren geeigneten Stellen in zumutbarer Nähe der Betroffenen (§ 9 Abs. 3 S. 2 NABEG). Gleichzeitig werden die Unterlagen im Internet veröffentlicht (§ 9 Abs. 4 NABEG). Jede Person kann sich bis einen Monat nach Ablauf der Auslegung zum Vorhaben äußern (§ 9 Abs. 6 S. 1 NABEG). Wer seine Rechte nicht in diesem Zeitraum geltend macht, ist allerdings nicht präkludiert, sondern kann Einwendungen noch im folgenden Planfeststellungsverfahren zur Trasse vorbringen (§ 9 Abs. 6 S. 2 NABEG). Anschließend findet ein Erörterungstermin für die rechtzeitig erhobenen Einwendungen statt (§ 10 S. 1 NABEG). Darin werden die rechtzeitig erhobenen Einwendungen von der Bundesnetzagentur mit dem jeweiligen Übertragungsnetzbetreiber und den Einwendern erörtert. In Anlehnung an die Rechtsprechung zur Planfeststellung werden sämtliche Einwender ein Teilnahme___________ 32
Krautzberger, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 4 Rn. 4.
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und Rederecht haben – losgelöst von der Frage der rechtzeitigen Erhebung.33 Da Thema der Erörterung allerdings ausschließlich die rechtzeitig erhobenen Einwendungen sind, können verfristete Einwender lediglich als Fürsprecher fremder Einwendungen fungieren. Träger öffentlicher Belange sind nach dem Wortlaut des § 10 NABEG im Erörterungstermin nicht teilnahmeberechtigt. Da auch sie zur Beteiligung aufgefordert werden müssen (§ 9 Abs. 2 NABEG) und da konfligierende Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange in Planungsverfahren nicht selten sind, scheint der Gesetzgeber die Behörden sowie deren Stellungnahmen in § 10 NABEG vergessen zu haben. Zudem tragen Träger öffentlicher Belange als objektive Behörden erheblich zur Konfliktlösung bei, indem sie ihre fachlichen Stellungnahmen zu den Planunterlagen abgeben. Sie sind insofern einerseits vom Gesetz her als Berater der Bundesnetzagentur vorgesehen. Andererseits führt eine Bestätigung der Unterlagen bei den Betroffenen eher zur Akzeptanz der Situation. Daher ist es sinnvoll, die Träger öffentlicher Belange ebenfalls zum Erörterungstermin zu laden.34 Im Zweifel könnten sie jedenfalls über eine Analogie zu § 68 Abs. 1 S. 3 VwVfG zugelassen werden35, sofern kein Beteiligter widerspricht. Die Entscheidung über die Bundesfachplanung ist innerhalb von sechs Monaten nach Vorliegen der vollständigen Unterlagen zu treffen (§ 12 Abs. 1 NABEG). Nach der Bekanntgabe und Veröffentlichung (§ 13 NABEG) der Entscheidung sind die von ihr betroffenen Länder berechtigt, innerhalb eines Monats nach Übermittlung Einwendungen (mit Begründung) gegen sie zu erheben (§ 14 S. 1 und 2 NABEG). Die Bundesnetzagentur hat innerhalb eines weiteren Monats dazu Stellung zu nehmen (§ 14 S. 3 NABEG).
___________ 33
BVerwG, Beschl. vom 27.10.1997 – 11 VR 4/97, juris LS 2 und Rn. 9. Im Ergebnis ebenso Durinke, in: de Witt/Scheuten, NABEG, § 10 Rn. 10 (unter Verweis auf § 10 BImSchG). Nebel/Riese, in: Steinbach, NABEG, § 10 Rn. 11. Allerdings sieht das allgemeine Planfeststellungsrecht grundsätzlich keinen öffentlichen Erörterungstermin vor. 35 A.A. hinsichtlich der direkten Anwendung von § 68 Abs. 1 VwVfG: Durinke, in: de Witt/Scheuten, NABEG, § 10 Rn. 9. 34
Ausblick auf die Bundesfachplanung
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Quelle. Bundesnetzagentur 5. Vereinfachtes Verfahren, § 11 NABEG In Situationen, die eine SUP nicht erfordern und die Ausbaumaßnahme im Wesentlichen auf bereits als raumverträglich erkannte Korridore aufbaut bzw. bestehende Trassen ersetzt oder ausbaut oder in Bündelung eine neue Trasse verwirklichen soll, kann die Bundesfachplanung in einem vereinfachten Verfahren innerhalb von drei Monaten abgeschlossen werden (§ 11 NABEG). Das Verfahren kann sich auch auf Abschnitte der Trassen beziehen. In diesem kann auf eine Antragskonferenz (§ 7 Abs. 7 NABEG) und entsprechend auf ein „Anhörungsverfahren“ nach § 9 verzichtet werden (§ 9 Abs. 7 NABEG). Die Raumverträglichkeit stellt die Bundesnetzagentur im Benehmen mit den Länderbehörden fest (§ 11 Abs. 2 NABEG).
IV. Ausblick Es zeigt sich, dass sich die Bundesnetzagentur mit zahlreichen (weiteren) methodischen und rechtlichen Fragestellungen auseinanderzusetzen haben wird, um ein rechtssicheres Verfahren der Bundesfachplanung durchführen zu können. Viele Fragestellungen sind bereits erkannt und in Bearbeitung. Die
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Bundesnetzagentur hat bereits im Sommer 2012 einen Leitfaden36 zur Bundesfachplanung als ersten Aufschlag – insbesondere zum methodischen Vorgehen – veröffentlicht. Die Abteilung N hat sich erst jüngst um vier Zulassungsreferate und zwei weitere Grundsatzreferate – neben den bestehenden Grundsatzreferaten für Recht, Beteiligung und Umwelt – erweitert.
Die Anzahl der Kolleginnen und Kollegen soll noch auf über 200 wachsen, die nun hochmotiviert das Eintreffen erster Bundesfachplanungsanträge erwarten. Welche Vorhaben zunächst von den Übertragungsnetzbetreibern beantragt werden, ist noch nicht bekannt. Vermuten lässt sich eine vorrangige Beantragung der HGÜ37-Vorhaben.
___________ 36 http://www.netzausbau.de/DE/Netzausbau/Ablauf/Trassenkorridore/trassenkorrido re_node.html. 37 HGÜ = Höchstspannungsgleichstromübertragung; vgl. Näheres bei Straßburg, in: de Witt/Scheuten, NABEG, Einleitung Teil A, Rn. 65.
Erfahrungen aus der Öffentlichkeitsbeteiligung beim Netzausbau Von Kim Paulus und Sonja Noske1 Das Thema Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturprojekten gelangt mehr und mehr in den Fokus der Allgemeinheit. Der nach vorangegangenen Erfahrungen mit großen Infrastrukturprojekten gewonnenen Erkenntnis, dass die Energiewende gegen den Willen der Bevölkerung und ohne ein gewisses Maß an Akzeptanz und Transparenz nicht umsetzbar ist, hat sich auch der Gesetzgeber nicht verschlossen. Auf den ersten Blick könnte der Eindruck entstehen, dass die angestrebte Beschleunigung des Netzausbaus im Widerspruch zu einer konsequenten Öffentlichkeitsbeteiligung steht. Durch eine gelungene Öffentlichkeitsbeteiligung kann der Beschleunigungsprozess jedoch tatsächlich gefördert werden. Hintergrund für die Entwicklung hin zu einer umfassenden Beteiligung ist die Erwartung, dass eine breitere Öffentlichkeitsbeteiligung zu mehr Akzeptanz und in der Folge zu einer Beschleunigung führt. Die frühzeitige Einbeziehung der Öffentlichkeit hilft, grundlegende Fragen nicht erst im Laufe des Prozesses auf jeder einzelnen Stufe gesondert zu betrachten. Vielmehr kann die Planung durch die Unterstützung der Öffentlichkeit, Bürgerinitiativen und Träger öffentlicher Belange sogar frühzeitig durch wertvollen Input verbessert werden. Auch wenn das Thema des Vortrags etwas anderes suggeriert, wir stehen noch am Anfang des Prozesses, was den Ausbau der Energienetze betrifft. Somit können wir in diesem Bereich noch nicht auf eine langjährige Erfahrung in der Öffentlichkeitsbeteiligung zurückblicken. Im Folgenden soll deshalb zunächst dargestellt werden, wie die Bundesnetzagentur bei der bisherigen Öffentlichkeitsbeteiligung vorgegangen und wie in Zukunft weiter vorgegangen werden soll.
___________ 1 Kim Paulus ist Referatsleiter in der Abteilung Netzausbau, Bundesnetzagentur; Sonja Noske ist Referentin in der Abteilung Netzausbau, Bundesnetzagentur.
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Kim Paulus und Sonja Noske
I. Gesetzliche Vorgaben Die Basis, auf der unsere bisherige Öffentlichkeitsbeteiligung fußt, bilden zunächst die gesetzlichen Vorgaben. Hervorzuheben ist hierbei, dass die Öffentlichkeit schon bei der Ermittlung, Prüfung und Festlegung des Bedarfs aktiv mit einbezogen wird. Bereits auf der Stufe der Bedarfsplanung sieht § 12a II 2 EnWG vor, dass die Bundesnetzagentur den Entwurf des Szenariorahmens bekannt macht und der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Äußerung gibt. Auch nach § 12c III EnWG beteiligt die Bundesnetzagentur die Behörden und die Öffentlichkeit unverzüglich zum Entwurf des Netzentwicklungsplans (NEP) und ggf. zum Umweltbericht. Dies geschieht durch Auslegung der Unterlagen für die Strategische Umweltprüfung und des Entwurfs des NEP am Sitz der Bundesnetzagentur sowie durch Veröffentlichung im Internet, wobei die Vorschriften des UVPG ergänzend heranzuziehen sind.
Quelle: Bundesnetzagentur Die Öffentlichkeit hat durch diese Vorgaben die Möglichkeit, ihre Meinungen, Bedenken und Ideen in den laufenden Prozess einzubringen. In der Praxis bedeutete dies, dass während der Konsultation im ersten Durchgang im Jahr 2012 zum Entwurf des NEP 2012 und zum Umweltbericht insgesamt mehr als
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3.300 Stellungnahmen eingingen.2 Der überwiegende Teil der Stellungnahmen wurde von Privatpersonen abgegeben. So überraschend diese starke Beteiligung angesichts des sehr frühen Verfahrensschrittes war, umso mehr verdeutlicht die rege Teilnahme am Prozess, wie wichtig die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung ist. Die Ergebnisse dieser Beteiligung sind in die Prüfung durch die Bundesnetzagentur eingeflossen. Um ein möglichst hohes Maß an Transparenz zu gewährleisten, wurden die Stellungnahmen im Internet veröffentlicht.3 Die öffentlichen Antragskonferenzen nach § 7 II 2 NABEG sind ein wesentlicher Bestandteil der Bundesfachplanung und später auch der Planfeststellung gemäß § 20 II 2 NABEG. Bisher konnten wir in diesem Bereich noch keine Erfahrungen sammeln. Doch bereits jetzt ist abzusehen, dass uns ab dem Eingang der Antragsunterlagen der Übertragungsnetzbetreiber bis zur Durchführung der Antragskonferenz nur ein enges Zeitfenster bleibt. Denn gemäß § 7 V NABEG soll nach zwei Monaten bereits der Untersuchungsrahmen festgelegt sein. Dementsprechend stellen sich für uns ganz praktische Fragen, z. B. wie schnell kann die Öffentlichkeit informiert werden? Welcher Mittel bedient man sich hierfür? Wie viel Zeit wird am Ende benötigt, um eine wirkliche Beteiligung zu gewährleisten, die diese Bezeichnung auch verdient? Ähnliche Herausforderungen stellen sich hinsichtlich der Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 9 I bis IV und VI NABEG, dem Anhörungsverfahren nach § 22 I bis IV und VI NABEG und dem Erörterungstermin nach §§ 10 I und § 22 VII 1 NABEG. Auch hier gelten zum Teil strenge Fristen, die natürlich auch die Öffentlichkeitsbeteiligung zeitlich eingrenzen.
II. Informelle Beteiligung Die klassischen informellen Beteiligungsformate sind hier etwa Veranstaltungen wie die Methodenkonferenz zur Bundesfachplanung mit den Raumordnungs- und Planungsbehörden der Länder sowie mit Vertretern anderer Bundesbehörden und der Übertragungsnetzbetreiber oder das Treffen mit den kommunalen Spitzenverbänden in Mainz. Darüber hinaus fanden weitere Treffen mit den Landes- und Regionalbehörden statt, um sich auf fachlicher Ebene auszutauschen. Doch mit den Erfahrungen aus vergangenen Infrastrukturprojekten haben sich auch die Zielgruppen der Öffentlichkeitsbeteiligung geändert. Wurde es vor einigen Jahren noch als ausreichend erachtet, dass die betroffenen Kommunen und Behörden beteiligt werden, stellen sich nunmehr neue Herausforderun___________ 2 3
Vgl. Bestätigung Netzentwicklungsplan Strom 2012, Seite 20 ff. Veröffentlicht auf www.netzausbau.de/nep-ub1.
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gen. Dies gilt umso mehr, als es sich gerade beim Netzausbau um ein Ziel handelt, das vor Ort nicht immer auf Zustimmung stoßen wird. Besteht noch ein grundlegender Konsens über die Notwendigkeit der Energiewende, wird es im konkreten Fall schwierig, Akzeptanz auch für einzelne Trassen zu erlangen. Hier geht es viel mehr um Verständnis als um Akzeptanz oder gar Zustimmung. Dies ist noch ein Grund mehr, sich nicht auf den gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligungsschritten „auszuruhen“. Um die notwendige Beschleunigung zu fördern und den Bürgern zu verdeutlichen, wofür der Netzausbau notwendig ist und was wir unternehmen, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen, müssen die Bürger von Anfang an mit einbezogen werden; und zwar nicht nur im vorgeschriebenen Maße. Es ist wichtig, darüber hinaus zu gehen und über die Themen, die den Netzausbau betreffen, zu diskutieren und den offenen Dialog zu suchen. Schwierig erscheint in den frühen Stadien der Planung, dass diese Ebene für viele Bürger noch zu abstrakt ist, um sich als potentiell Betroffene wahrzunehmen und sich für ihre Interessen einzusetzen. Grundlage einer jeden Diskussion ist damit zum einen die Kenntnis über die Existenz eines Themas und zum anderen eine fundierte Informationsgrundlage. So offensichtlich diese Punkte auch sind, desto wichtiger ist es, diese Politik auch zu leben. Dies haben wir mit unterschiedlichen Formaten umgesetzt: Zunächst wurden regelmäßig allgemeinverständliche Informationen in Printmedien oder auf Datenträgern veröffentlicht. Darüber hinaus wurden in der Vergangenheit in unterschiedlichen deutschen Städten Informationstage und Dialogveranstaltungen ausgerichtet, um die Öffentlichkeit für den Netzausbau zu sensibilisieren und zu informieren. Damit konnte gleichzeitig die Basis für eine möglichst rege Diskussion geschaffen werden. Dass das Bedürfnis für solche Informationsveranstaltungen besteht, macht die bisher große Resonanz, z. B. auf die Informationstage, deutlich. In jeder Stadt waren regelmäßig über 100 Teilnehmer mit verschiedenen beruflichen Hintergründen und aus unterschiedlichen Fachrichtungen vertreten. Solche Informationsformate sind wichtig, um den nötigen Hintergrund für eine fruchtbare Diskussion auf Augenhöhe zu gewährleisten. Interessanterweise herrschten in den jeweiligen Städten unterschiedliche Diskussionsthemen vor, obwohl der Ablauf in jeder Stadt ähnlich aufgebaut war. Die Informationstage haben verdeutlicht, dass die Formate auf die Personengruppe und auf die jeweiligen Wissensstände des Adressatenkreises abgestimmt werden müssen, um einen zielgerichteten Austausch zu gewährleisten. Wurde in einem Veranstaltungsort etwa hauptsächlich über Bündelungsfragen, Erdkabel oder Energieautarkie diskutiert, waren die vordringlichen Themen andernorts die Speichertechnologien, insbesondere Elektromobilität. Aus diesem standortbezogenen Interesse wurden nicht selten interessante fachliche Diskussionen entwickelt und Anregungen für unsere weitere Arbeit geliefert.
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Informationsveranstaltungen 2012: Scopingkonferenz, Technikdialoge, Dialog Kommunale Spitzenverbände, Methodenkonferenz BFP, Informationstage Informationsveranstaltungen 2013: Umweltdialog, Wissenschaftsdialog, Offshore Workshop, Dialog Kommunale Spitzenverbände, Informationstage Ausblick 2014: Bürgerdialog, Wissenschaftsdialog, Technikdialog, Dialog Kommunale Spitzenverbände, Informationstage Quelle: Bundesnetzagentur
Es genügt also nicht mehr nur, aufbereitete Informationen zugänglich zu machen. Die notwendige Gegenseitigkeit des Gedankenaustausches lässt sich naturgemäß am ehesten durch diskursive Verfahren fördern. Deshalb hat die Bundesnetzagentur zusätzlich zu den Informationstagen verschiedene Dialogveranstaltungen durchgeführt. Im Rahmen des Technikdialogs und des Umweltdialogs konnte jeder Teilnehmer zunächst Informationen zum jeweiligen Dialogthema erhalten und sich anschließend zum Thema Netzausbau äußern und sich mit anderen Teilnehmern austauschen. Im Endeffekt kann also genau an dem Punkt der Gegenseitigkeit angesetzt werden, Wissen geschaffen und gleichzeitig für alle Beteiligten nutzbar gemacht werden.
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Bei den informellen Beteiligungsformaten lässt sich die Struktur der turnusmäßigen Wiederholung der unterschiedlichen Stufen nutzbar machen. Ein stetes Anpassen an den Stand der Technik und die aktuellen Gegebenheiten ist ohnehin ein Bedürfnis und eine Notwendigkeit, die im Stromnetzausbau einen großen Raum einnimmt. Aus diesem Grund ist schon das Gesamtverfahren danach ausgerichtet, jährlich neu zu beginnen. Ungeachtet dessen, dass man über die Notwendigkeit dieser häufigen Wiederholungen geteilter Meinung sein kann, so besteht durch die Vielzahl der Konsultationen in jedem Fall die Chance, dass jeder Beteiligte und alle neuen Erkenntnisse sofort ihr Forum finden.
NEP 2012: Konsultationsteilnehmer insgesamt
NEP 2012: Konsultationsteilnehmer Institutionen
Quelle: Bundesnetzagentur
Um ein möglichst großes Maß an Transparenz zu schaffen und viele Personen zu erreichen, muss man mit der Zeit gehen. Dies heißt auch, die neuen Medien für die Öffentlichkeitsbeteiligung zu nutzen. Bisher werden auf der Internetseite der Bundesnetzagentur jedes Quartal die aktuellen Fortschritte im EnLAG-Monitoring veröffentlicht. In Zukunft soll auf unserer Website auch der Stand der einzelnen Vorhaben aus dem Bundesbedarfsplangesetz veröffentlicht werden. Darüber hinaus hat die Bundesnetzagentur den Schritt gewagt, sich für die Öffentlichkeitsbeteiligung auch der Social Media-Formaten zu bedienen. Durch diese Hilfsmittel können in kürzester Zeit eine Vielzahl von Personen gleichzeitig erreicht und informiert werden, sei es durch Hinweise zu anstehenden Veranstaltungen, sei es durch Hinweise zu neuen Entscheidungen zum Thema Netzausbau. Die Besonderheit besteht sicher darin, dass die sozialen Medien einen Dialog in zwei Richtungen erlauben. Die Präsenz bspw. auf Twitter ermöglicht es den nunmehr rund 1.500 „Followern“, ihre eigenen Anmerkungen direkt zu übermitteln. Sie können sich durch Diskussionen aktiv beteiligen und individuelle Fragen stellen. Auf diese Weise entsteht wiederum ein Meinungsbild der Bevölkerung. Eine ähnlich große Öffentlichkeit kann auch mit dem Medium Film erreicht werden. Durch den Film über den Umweltdialog konnte einerseits auf die Dialogveranstaltung aufmerksam gemacht und zugleich zur Teilnahme an weiteren
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Veranstaltungen aufgerufen werden. Außerdem besteht sogleich die Möglichkeit für alle, die an dem Termin nicht teilnehmen konnten, sich über den Inhalt der Veranstaltung zu informieren. In Zukunft sollen die Filme auf dem YouTube-Kanal und der Mediathek darüber hinaus dazu genutzt werden, einen Überblick über die Geschehnisse des Netzausbaus zu liefern und Informationen über den Ablauf des Netzausbaus zu geben, um so als Grundlage für weitere Diskussionen zu dienen.
III. Fazit Abschließend steht immer noch die Frage im Raum: Können die Bemühungen, die Öffentlichkeit vermehrt mit einzubeziehen, die gestellten Erwartungen erfüllen? Dies kann mit Sicherheit erst rückblickend am Ende des Verfahrens beantwortet werden. Die zahlreichen Rückmeldungen – auch durch die „neuen Medien“ – geben aber bereits Antrieb, die Beteiligungsformate weiter auszubauen. Denn das Angebot wird von der Bevölkerung sehr gut angenommen und teilweise auch aktiv gefordert. Außerdem haben die Erfahrungen gezeigt, dass bei der Einbindung der Öffentlichkeit in den Prozess ein sinnvolles Zusammenspiel von formellen und informellen Beteiligungsformaten zumindest förderlich ist, um der Öffentlichkeit eine Plattform zu bieten, sich aktiv zu beteiligen.
Das energierechtliche Planfeststellungsverfahren am Beispiel von Hochspannungs- und Gasversorgungsleitungen Von Andreas Geiger
I. Einführung Das Rechtsinstitut der Planfeststellung hat seit seiner Normierung im Preußischen Eisenbahngesetz vom 3. November 18381 eine steile Karriere bei der Zulassung von Infrastrukturprojekten gemacht. Bau und Änderung aller bedeutenden Infrastrukturen in Deutschland bedürfen nach Bundesrecht und dem Recht der Länder der Planfeststellung. Das infrastrukturelle Rückgrat des Wirtschaftsstandorts Deutschland steht sozusagen unter dem „Vorbehalt der Planfeststellung“. Dies gilt für die gesamte Verkehrsinfrastruktur. Das Eisenbahnnetz, das Straßennetz, das Wasserstraßennetz, Flughäfen und Straßenbahnen beruhen rechtlich auf Planfeststellungsbeschlüssen. (Auch für Magnetschwebebahnen gilt der Vorbehalt der Planfeststellung, freilich wurde hier die historische Chance eines weiteren Verkehrsträgers wohl in Deutschland bereits verspielt, das Magnetschwebebahnplanungsgesetz ist freilich immer noch in Kraft). Dies gilt aber auch für sonstige Infrastrukturen und Anlagen wie Deponien, umweltintensive Bergbauvorhaben und Gewässerbaumaßnahmen. Für Energieversorgungsanlagen – wie sie insbesondere Hochspannungsfreileitungen und Gasversorgungsleitungen darstellen – gibt es (erst) seit dem Jahr 2001 die Planfeststellung. Durch Einfügung eines § 11a in das EnWG wurden „Errichtung und Betrieb von Hochspannungsfreileitungen mit einer Nennspannung von 110kV oder mehr sowie von Gasversorgungsleitungen mit einem Durchmesser von mehr als 300 mm der Planfeststellung (soweit dafür eine UVP durchzuführen ist)“
unterstellt. Ob diese Einbeziehung von Energieleitungen in die Planfeststellung von Verfassungs wegen geboten war2 oder nur aus Gründen der mit der Plan___________ 1
Vgl. Blümel, Die Bauplanfeststellung I, S. 88. Skeptisch Durner, Urteilsanmerkung zu OVG Berlin-Brandenburg zur „Wittstocker Heide“, DVBl. 2009, S. 1049 mH. auf BVerwG Urt. vom 11.7.2002, 4 C 9/00. 2
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feststellung zweifellos verbundenen Vorteile einer gestrafften Verfahrensführung und der Konzentration aller Zulassungsentscheidungen im Planfeststellungsbeschluss geschah, mag angesprochen werden, kann hier jedoch nicht weiter vertieft werden. Die aktuelle Regelung zur Planfeststellung von Energieanlagen findet sich in den §§ 43 bis 45b EnWG. Diese Regelungen sind struktur- und inhaltsähnlich mit den bekannten Regelungen zur Planfeststellung von Verkehrsanlagen. Für bestimmte Höchstspannungsleitungen enthalten die §§ 18 bis 27 NABEG weitere Regelungen. Die energierechtliche Planfeststellung fand bislang in Rechtsprechung und auch im Schrifttum im Vergleich etwa zum Straßen-, Eisenbahn- und Luftverkehrsrecht jedoch ein eher geringes Echo. Die großen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehen sich bislang auf Verkehrswege und nicht auf Stromautobahnen. Es bedarf jedoch keiner prophetischen Gabe vorauszusehen, dass sich dies unter den Anforderungen der „Energiewende“ künftig ändern könnte. Die energierechtliche Planfeststellung kann, dies sei als These vorangestellt, als zentrales rechtliches Instrument bei der Umsetzung der „Energiewende“ nutzbar gemacht werden.
II. Zum Gegenstand der Energieleitungsplanfeststellung 1. Anlagen, die Gegenstand der energierechtlichen Planfeststellung sind a) Gasversorgungsleitungen Nach § 43 S. 1 EnWG bedürfen die Errichtung und der Betrieb sowie die Änderung von Gasversorgungsleitungen mit einem Durchmesser von mehr als 300 mm (§ 43 S. 1 Nr. 2 EnWG) der Planfeststellung. Planfeststellungsbedürftig sind somit lediglich Gasversorgungsleitungen mit einem Durchmesser von mehr als 30 cm. Diese Leitungen bilden im Wesentlichen das überörtliche Gasversorgungsnetz in Deutschland. Aktuelle Fälle eines solchen Vorhabens sind z. B. das Projekt Ostsee-Pipeline und die daran anknüpfenden On-shoreAnbindungsleitungen „Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung“ OPAL und „Norddeutsche Erdgasleitung“ NEL. b) Hochspannungsfreileitungen, Kabel Nach § 43 S. 1 EnWG bedürfen zudem die Errichtung und der Betrieb sowie die Änderung von Hochspannungsfreileitungen mit einer Nennspannung von 110 kV oder mehr (§ 43 S. 1 Nr. 1 EnWG). Planfeststellungsbedürftig oder -fä-
Das energierechtliche Planfeststellungsverfahren
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hig sind zudem Hochspannungsleitungen und Gleichstrom-Hochspannungsleitungen, die als Seekabel, insbesondere zur Netzanbindung von OffshoreAnlagen im Küstenmeer verlegt werden, sowie für bestimmte HochspannungsErdkabel. Auch für den Betrieb von Energieleitungen notwendige Anlagen wie etwa Umspannanlagen und Netzverknüpfungspunkte können in die Planfeststellung der Leitung einbezogen werden. Einen speziellen Planfeststellungsvorbehalt enthält § 18 NABEG für die dort bezeichneten länder- und grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungen. Abschnitt 3 des NABEG (§§ 18 bis 27 NABEG) enthält hierzu einige Sonderregelungen, was im Sinne einer gebotenen Rechtsvereinheitlichung als kritisch zu bewerten ist. Damit kann festgehalten werden, dass die wichtigsten Hochspannungsleitungen und Erdgasversorgungsleitungen samt Nebenanlagen unter einem Planfeststellungsvorbehalt stehen. Ausgenommen von der energiewirtschaftlichen Planfeststellung sind übrigens Bahnstromfernleitungen. Die Eisenbahn des Bundes (Bahnkonzern) verfügt über ein „eigenes“ Bahnstromnetz, das von der Konzerngesellschaft DBEnergie GmbH betrieben wird. Dieses Netz wird gebildet aus Stromleitungen, die der Versorgung von Bahnanlagen dienen, z. B. mittels Zuleitung aus einem Kraftwerk. Dieses Netz hat eine Gesamtlänge von ca. 7.400 km und wird – soweit Elektrizität als Fahrstrom transportiert wird – mit einer Frequenz von 16 2/3 Herz – das Hochspannungsnetz der EVUs wird mit einer Frequenz von 50 Hz betrieben – und einer Spannung von 110 kV betrieben.3 Es unterfällt planungsrechtlich der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung nach § 18 AEG und damit der Planungszuständigkeit des Eisenbahn-Bundesamtes. 2. Errichtung und Betrieb als Gegenstand der Planfeststellung Gegenstand der energierechtlichen Planfeststellung sind die Errichtung und der Betrieb der Anlagen. Hierin unterscheidet sich die energierechtliche Planfeststellung von der straßenrechtlichen und eisenbahnrechtlichen Planfeststellung deutlich. Diese haben nämlich bekanntlich lediglich den Bau der Verkehrsanlage zum Gegenstand und sind als „Bauplanfeststellungen“ betrieblichen Regelungen – wie etwa Betriebszeiten oder Kapazitätsregelungen – grundsätzlich nicht zugänglich. Für Energieleitungen sind hingegen – vergleichbar mit immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen (vgl. § 4 Abs. 1 BImSchG oder Flughäfen, bei denen jedoch die Einbeziehung betrieblicher Regelungen jedoch nur fakultativ vorgesehen ist (§ 8 Abs. 4 S. 1 LuftVG) – Betriebsregelungen zulässig und geboten (zum Beispiel zur Bewältigung planerischer Konflikte). ___________ 3
Vgl. z. B. BVerwG, Urt. vom 25.10.2001, 11 A 30.00.
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3. Abgrenzung Planfeststellung/Plangenehmigung Keiner Planfeststellung bedarf es trotz Vorliegens des gegenständlichen Anwendungsbereichs des Planfeststellungsvorbehalts auf ein energiewirtschaftliches Vorhaben, wenn und soweit das Vorhaben keiner Umweltverträglichkeitsprüfung bedarf. In diesen Fällen ist auf Antrag des Vorhabenträgers statt eines Planfeststellungsbeschlusses eine Plangenehmigung zu erteilen, § 43b Nr. 2 EnWG.
III. Verfahrensrechtliche/formelle Anforderungen Die Durchführung des Planfeststellungsverfahrens folgt nach § 43 S. 6 EnWG grundsätzlich den Regelungen der §§ 72 bis 78 VwVfG. Ergänzt wird dieser Verweis auf das Verwaltungsverfahrensgesetz durch spezielle „Maßgabe-Regelungen“ in den §§ 43 ff. EnWG, die insbesondere auf eine Verfahrensbeschleunigung abzielen.4 1. Vorhabenträger Das Planfeststellungsverfahren beginnt gem. § 73 Abs. 1 VwVfG mit der Einreichung des Plans durch den Vorhabenträger bei der zuständigen Behörde. Vorhabenträger ist nach herkömmlichem Verständnis derjenige, der das Vorhaben für eigene oder fremde Zwecke verwirklichen – also bauen – will. Wer geeigneter Vorhabenträger eines planfestzustellenden Vorhabens sein kann, ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem einschlägigen Fachrecht5, hier also dem EnWG. Hier besteht im Rahmen energierechtlicher Planfeststellungsverfahren eine Besonderheit. So etwas wie einen „Straßenbaulastträger“ im positiv-rechtlich normierten Straßenrecht, der als Behörde als Träger des Vorhabens „zuständig“ ist, kennt das EnWG nicht. Es stellt sich daher die Frage, welcher „energiewirtschaftliche Marktteilnehmer“, etwa Energieversorgungsunternehmen, Netzbetreiber, oder Energiehandelsunternehmer zuständiger Vorhabenträger sein kann und damit antragsbefugt im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens ist. § 43 EnWG selbst enthält keine Vorgaben zum möglichen Vorhabenträger. Eine Antwort muss deshalb aus dem Regelungssystem des EnWG gefunden werden. Danach ist geeigneter Vorhabenträger für Gasversorgungsleitungen je___________ 4
Vgl. Henning/Lühmann, UPR 2012, 81 (83). Vgl. BVerwG, Beschl. vom 25.7.2007 – 9 VR 19/07, juris, Orientierungssatz 1, Rn. 6. 5
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des Energieversorgungsunternehmen, das entweder die planfestzustellende Leitung betreibt oder die Leitung baut und im Eigentum hält. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der im EnWG enthaltenen Regelungen, insbesondere der §§ 43 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2, § 3 Nr. 18 und 20 EnWG. Nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 20 EnWG sind Gasversorgungsnetze solche Netze, die einem oder mehreren Energieversorgungsunternehmen gehören oder von ihnen betrieben werden. Nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 18 EnWG sind Energieversorgungsunternehmen u.a. juristische Personen, die ein Energieversorgungsnetz (§ 3 Nr. 16 EnWG) betreiben oder an einem Energieversorgungsnetz als Eigentümer Verfügungsbefugnis besitzen. Das EnWG geht somit regelungssystematisch davon aus, dass der Netzbetreiber nicht zwingend auch Eigentümer der Leitung ist. Aus der Gesamtschau des EnWG ergibt sich somit, dass Träger von Gasversorgungsnetzen und damit auch Gasversorgungsleitungen jedes Energieversorgungsunternehmen sein kann, das entweder Eigentum an der Leitung hat oder diese betreibt. Will ein Energieversorgungsunternehmen, das z. B. aus entflechtungsrechtlichen Gründen eine Leitung nicht betreiben darf, diese im eigenen Namen bauen und im Eigentum halten, reicht dies somit aus, um Vorhabenträger zu sein. Dies gilt auch für die Planung von Hochspannungsleitungen, da Elektrizitätsversorgungsnetze ebenfalls Energieversorgungsnetze im Sinne von § 3 Nr. 18 (Nr. 16) EnWG sind. Die Legaldefinition des § 3 Abs. 3 NABEG, wonach Vorhabenträger der nach § 12c Abs. 4 S. 3 EnWG verantwortliche Betreiber von Übertragungsnetzen ist, schränkt nunmehr allerdings für den Bereich der im NABEG erfassten länderübergreifenden oder grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungen den Kreis der Vorhabenträger ein. 2. Zuständige Planfeststellungsbehörde Die zuständige Planfeststellungsbehörde bestimmt nach § 43 S. 1 EnWG das Landesrecht. Die allgemeine Zuständigkeitsregelung des § 54 Abs. 3 EnWG zu Gunsten der Bundesnetzagentur kommt hier nicht zur Anwendung. Insoweit besteht ein Gleichlauf zu den fernstraßenrechtlichen Planfeststellungen, die ebenfalls in der Hoheit der Länder steht.6 Zwar wird vereinzelt zur Erhöhung der Transparenz und erleichterter Durchführung länderübergreifender Leitungsbauvorhaben die Übertragung der Behördenzuständigkeit auf eine Bundesbehörde gefordert. Dass die Länderzuständigkeit aber nicht notwendigerweise zu Friktionen führt, zeigt bereits ein Blick auf das fernstraßenrechtliche Planfeststellungsverfahren. Darüber hinaus hilft ___________ 6
Grainacher, ZUR 2011, 305 (307).
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das Abstimmungsgebot nach § 43b Nr. 4 EnWG, das bei länderübergreifenden Planungen zur Anwendung kommt, Kommunikationshemmnisse zu vermeiden. Schließlich ist die nach Landesrecht für die energierechtliche Planfeststellung zuständige Behörde häufig für Planfeststellungen aller Art zuständig, so dass hier praktische Erfahrungswerte gebündelt werden.7 Nach der Regelungslogik des NABEG ist jedenfalls in der Tendenz vorgesehen, dass für die Planfeststellung der im NABEG geregelten länder- und grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungen die Bundesnetzagentur zuständig werden soll (vgl. § 31 Abs. 2 NABEG). Voraussetzung hierfür ist jedoch der Erlass einer Rechtsverordnung nach § 2 Abs. 2 NABEG erforderlich, welche der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Es wäre interessant zu erfahren – z. B. von den Vertretern der BNetzA – wie hierzu der Stand der rechtspolitischen Entwicklung ist. Grundsätzlich ist angesichts der zeitlichen Herausforderungen der Energiewende jede verfassungsrechtlich zulässige Beschleunigungsmaßnahem – zu der grundsätzlich auch die Konzentration von Zuständigkeiten gehört – zu begrüßen. Diese Tendenz wird künftig voraussichtlich auch von der europäischen Ebene verstärkt (Verordnung zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur). Nach den §§ 18 ff. NABEG führt die Planfeststellungsbehörde das Anhörungsverfahren durch. Es besteht also Identität von Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde. Diese Identität besteht auch für die Durchführung energierechtlicher Planfeststellungsverfahren nach den §§ 43 ff. EnWG nach Maßgabe landesrechtlicher Vorschriften. 3. Beschleunigungsrecht Das Recht der Planung von Energieversorgungsleitungen ist Beschleunigungsrecht. Durch das Infrastrukturbeschleunigungsgesetz vom 9. Dezember 2006 erfolgte durch Bundesgesetz die rechtliche Gleichstellung der Planung von Energieanlagen mit den bundesrechtlich geregelten Verkehrsnetzen Straße, Luft, Schiene, Wasserstraße in beschleunigungsrechtlicher Hinsicht. Die für Verkehrsprojekte geltenden Regelungen zur Verfahrensbeschleunigung mittels straffer Anhörungs- und Beteiligungsfristen, materieller Präklusion und Kürzung des gerichtlichen Instanzenzuges gelten gleichlautend auch für die Planung von Energieleitungen. Auch das im Zuge der Verkehrswegeplanung eingeführte Instrument der gesetzlichen Bedarfsfeststellung wird für die Planung des Energienetzes genutzt. Nachdem bereits im Jahre 2009 mit dem Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) eine bundesgesetzliche Regelung zum Netzausbaubedarf auf der ___________ 7
Grainacher, ZUR 2011, 305 (307).
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Höchstspannungsebene ab 380 kV für bestimmte Vorhaben getroffen wurde, hat der Bundesgesetzgeber unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Sommer 2011 das sog. „Energiepaket“ beschlossen. Durch Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes (§ 12e EnWG) und das neu erlassene Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) soll der Ausbau der Stromnetze weiter beschleunigt werden. Das NABEG weicht dabei in wesentlichen Punkten von den materiellen und formellen Regelungen des herkömmlichen (Fach-)Planungsrechts für Infrastrukturvorhaben ab. An fehlendem Beschleunigungsrecht wird die Energiewende somit nicht scheitern. Ihr Erfolg wird von anderen Faktoren abhängen, wie: Gute Planung und Verfahrenssteuerung, politischer Wille und Mut sowie richtiger Umgang mit der betroffenen und nicht betroffenen Öffentlichkeit. 4. Projektmanager (§ 43g EnWG, § 29 NABEG) Aus der richtigen Erkenntnis, dass das Verfahrensgelingen nicht nur vom Recht, sondern auch von der tatsächlichen Verfahrensführung abhängt, wurde in § 43g EnWG und in § 29 NABEG explizit die Möglichkeit normiert, einen Projektmanager als Verwaltungshelfer mit Zustimmung und auf Kosten des Vorhabenträgers zu installieren. Diese positivrechtliche Normierung des Instituts des Verwaltungshelfers ist im Sinne von Beschleunigungsmöglichkeiten und auch im Sinne – wenn es vernünftig gemacht wird – der Erhöhung der Akzeptanz von Vorhaben bei der Öffentlichkeit. 5. Parallelität von Planfeststellungs- und Enteignungsverfahren Nach § 45b EnWG kann der Träger des Vorhabens verlangen, dass nach Abschluss der Anhörung ein vorzeitiges Enteignungsverfahren durchgeführt wird. Dabei ist der nach dem Verfahrensstand zu erwartende Planfeststellungsbeschluss dem Enteignungsverfahren zugrunde zu legen. Der Enteignungsbeschluss ist mit der aufschiebenden Wirkung zu erlassen, dass sein Ergebnis durch den Planfeststellungsbeschluss bestätigt wird. Andernfalls ist das Enteignungsverfahren auf Grundlage des ergangenen Planfeststellungsbeschlusses zu ergänzen. Eine entsprechende Regelung enthält § 27 NABEG.
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IV. Materiell-rechtliche Anforderungen 1. Planrechtfertigung Auch energierechtliche Planung bedarf der Rechtfertigung. Gerechtfertigt ist ein Vorhaben nach der klassischen Formel des Bundesverwaltungsgerichts dann, wenn das Vorhaben am Maßstab des Ziels des jeweiligen Fachplanungsrechts erforderlich, d. h. „vernünftigerweise“ geboten ist.8 a) Ziele nach § 1 EnWG Die Ziele des Energierechts legt § 1 Abs. 1 EnWG fest. Danach bezweckt das EnWG eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas. Zwar nennt § 1 Abs. 2 EnWG auch die Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs als gesetzliches Ziel des EnWG. Da als Mittel der Erreichung dieses Ziels aber ausdrücklich und ausschließlich die Regulierung der Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze genannt werden, können wettbewerbliche Motive alleine ein Vorhaben nicht rechtfertigen.9 In der Praxis scheitert kaum ein Leitungsbauvorhaben an der mangelnden Planrechtfertigung. Dies wird wohl auch für Projekte der Energiewende so bleiben. Vorhabenträger sind stets Wirtschaftsunternehmen, die vor der Planung eines Vorhabens insbesondere den Bedarf hinterfragen, um die Wirtschaftlichkeit des Projekts sicherzustellen. Darüber hinaus ist der Vorhabenträger – in der Regel der Leitungsbetreiber – auf die Nutzung der Leitung durch Dritte angewiesen. Denn ihm selbst ist es auf Grund der energierechtlichen Entflechtungsregelungen nach §§ 6 ff. EnWG verboten, andere Tätigkeiten der Energieversorgung zu erbringen. Schließlich findet im Rahmen der sog. Genehmigung von Investitionsbudgets nach § 23 der Verordnung über die Anreizregulierung der Energieversorgungsnetze (ARegV) eine Prüfung der Notwendigkeit des Vorhabens durch die Bundesnetzagentur statt.10 b) Gesetzliche Bedarfsfestlegungen Im Rahmen der Planrechtfertigung von Leitungsbauvorhaben besonders hervorzuheben ist das am 21. August 2009 (BGBl. I S. 2870) erlassene Energielei___________ 8
BVerwG, Urt. vom 6.12.1985 – 4 C 59/82, BVerwGE 72, 282 (288). Grainacher, ZUR 2011, 305 (307 f.). 10 Grainacher, ZUR 2011, 305 (308); Henning/Lühmann, PR 2012, 81 (83). 9
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tungsausbaugesetz (EnLAG). Damit sollen die Planungsverfahren für wichtige Strecken oder Streckenabschnitte verkürzt und damit der Netzausbau beschleunigt werden. Dazu wurden in einem Bedarfsplan (Anlage zum EnLAG) 24 Leitungen i.S.d. § 43 S. 1 EnWG im Bereich der Höchstspannungsnetze mit einer Nennspannung von 380 kV oder mehr ausgewählt und ihr Bedarf als „vordringlich“ eingestuft. Die im Bedarfsplan aufgenommenen Vorhaben entsprechen gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 EnLAG den Zielsetzungen des § 1 EnWG. Die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf für die Planfeststellung dieser Vorhaben steht damit nach § 1 Abs. 2 S. 3 EnLAG verbindlich fest. Die Bedarfsfestlegung ist auch für die Gerichte bindend.11 Eine flächendeckende Ergänzung zu den EnLAG-Projekten ist nunmehr durch den Bundesbedarfsplan zu erwarten, der auf Grundlage von § 12e EnWG derzeit im Entstehen ist. Dadurch wird künftig für alle in diesem Bundesbedarfsplan enthaltenen Vorhaben die Planrechtfertigung für die Planfeststellung verbindlich festgestellt (§ 12e Abs. 4 EnWG). c) Verstoß gegen §§ 7, 8 EnWG bzw. RL 2009/72/EG kein Rechtfertigungsmangel Zwar besteht die Planrechtfertigung dann nicht, wenn die Verwirklichung des Vorhabens bereits im Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses ausgeschlossen werden muss, weil sie nicht beabsichtigt oder objektiv ausgeschlossen ist. Ein Verstoß gegen die Regelungen der §§ 7, 8 EnWG bzw. die Richtlinie 2009/72/EG, wonach Netz und Betrieb eigentumsrechtlich zu trennen sind, lässt die Planrechtfertigung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allerdings nicht entfallen. Es kommt nicht darauf an, ob der jeweilige Vorhabenträger das Vorhaben realisieren kann, weil stets ein regulierungsrechtskonformer Rechtsnachfolger des Vorhabenträgers in die Rechte und Pflichten aus der Planfeststellung eintreten und das Vorhaben verwirklichen kann.12 2. Abwägung Kern einer Planungsentscheidung bildet stets die Abwägung. In die Abwägung sind alle Belange einzubeziehen und einer Bewertung zu unterziehen, die keiner strikten gesetzlichen Bindung unterliegen. Demensprechend gibt auch ___________ 11
BVerwG, Gerichtsbescheid vom 21.9.2010 – 7 A 7/10, juris. BVerwG, Beschl. vom 22.7.2010 – 7 VR 4/10, 7 VR 4/10 (7 A 7/10), juris, Rn. 22; Neumann, Beurteilung von Gesundheitsgefährdungen durch elektromagnetische Strahlen bei der Planfeststellung von Hochspannungsleitungen, jurisPR-BVerwG 22/2010 Anm. 1. 12
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§ 43 S. 3 EnWG vor, dass bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind. Eine rechtmäßige Abwägungsentscheidung erfordert zunächst die Ermittlung des gesamten Abwägungsmaterials, d.h. sämtlicher in die Abwägung einzustellender Belange. Dabei muss die Planfeststellungsbehörde die Bedeutung der von dem Vorhaben betroffenen öffentlichen und privaten Belange richtig erfassen und sodann einen Ausgleich entsprechend der objektiven Gewichtigkeit der einzelnen Belange zwischen den einzelnen Gesichtspunkten vornehmen. Dabei steht der Behörde ein weiter Spielraum zu, der nur der eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Abwägungsfehlerhaft ist eine Entscheidung lediglich dann, wenn sich eine andere Alternative als die eindeutig bessere aufdrängt.13 Nach § 43e Abs. 4 S. 2 EnWG führen Mängel bei der Abwägung nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, wenn sie nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können (Grundsatz der Planerhaltung). a) Abschnittsbildung/Vorausschau Die Rechtsfigur der Abschnittsbildung, also die Unterteilung eines Leitungsvorhabens in mehrere einzelne, jeweils für sich planfestzustellende Teile, stellt eine richterliche Ausprägung des Abwägungsgebots dar. Die Zulässigkeit einer planungsrechtlichen Abschnittsbildung ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich anerkannt. Ihr liegt die Erwägung zu Grunde, dass angesichts der mit einer detaillierten Streckenplanung verbundenen vielfältiger Schwierigkeiten – insbesondere bei den linienförmigen Vorhaben – die Planfeststellungsbehörde ein planerisches Gesamtkonzept häufig nur in Teilabschnitten verwirklichen kann.14 Zur Vermeidung von Planungstorsi im Fall des Scheiterns eines Gesamtvorhabens fordert die Rechtsprechung im Fernstraßenrecht, dass die gebildeten Teilabschnitte eine selbständige Verkehrsfunktion haben müssen.15 Bei der Planung von Eisenbahnstrecken muss nach dem Bundesverwaltungsgericht hingegen nicht jeder gebildete Teilabschnitt eine selbständige Verkehrsfunktion haben. Dies beruht darauf, dass das Eisenbahnnetz viel weitmaschiger als das Straßennetz ist und das Festhalten an der selbständigen Ver___________ 13
Grainacher, ZUR 2011, 305 (309). BVerwG, Gerichtsbescheid vom 21.9.2010 – 7 A 7/10, juris. 15 BVerwG, Beschl. vom 5.6.1992, NVwZ 1992, 1093; BVerwG, Beschl. vom 2.11.1992, NVwZ 1993, 887/889. 14
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kehrsfunktion eines jeden planfestzustellenden Abschnitts dazu führen würde, dass Neubauplanungen von beispielsweise mehr als 100 km an einem Stück erforderlich würden.16 Im Bereich der energierechtlichen Planfeststellung hat die Rechtsprechung bisher stets und auch jüngst – im ersten EnLAG-Verfahren – offen gelassen, ob dem jeweiligen Planungsabschnitt eine selbstständige Funktion zukommen muss.17 Allerdings neigte das Bundesverwaltungsgericht zu der zutreffenden Ansicht, den gegenüber der straßenrechtlichen Fachplanung weiteren Spielraum der eisenbahnrechtlichen Fachplanung auf Energieleitungen zu übertragen, was sachgerecht ist.18 Denn das Energieversorgungsleitungsnetz ist jedenfalls nicht weniger, sondern eher noch weitmaschiger als das Eisenbahnnetz. Konsequenz der Zulassung einer Abschnittsbildung für ein Gesamtkonzept ist nach ständiger Rechtsprechung das Erfordernis, in jedem Teilabschnitt zu prüfen, ob dem Vorhaben in den Folgeabschnitten unüberwindliche rechtliche oder tatsächliche Hindernisse entgegenstehen (Vorausschau). Dieses Erfordernis führte in der Praxis – und wird dies weiter tun – zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung, denn bei nicht selten länderund grenzüberschreitenden Projekten mit an den Landesgrenzen ändernden Verwaltungszuständigkeiten ist die Vorausschau der Behörde naturgemäß rechtlich begrenzt. Hier kommt es m. E. entscheidend darauf an, dass der Vorhabenträger der Planfeststellungsbehörde geeignete Unterlagen zur Vorausschau vorlegt und diese ins Verfahren eingeführt werden.19 b) Alternativenprüfung/Bündelungsgrundsatz aa) Räumliche Alternativen Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes handelt es sich bei der Auswahl zwischen verschiedenen räumlichen Trassenvarianten um eine Abwägungsentscheidung, die der gerichtlichen Kontrolle nur begrenzt, nämlich auf erhebliche Abwägungsmängel zugänglich ist. Die Grenze der planerischen Gestaltungsfreiheit ist erst dann überschritten, wenn eine alternative Linienführung sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange als eindeutig vorzugswürdig aufdrängt oder der Planfeststellungsbehörde infolge einer ___________ 16
BVerwG, Beschl. vom 21.12.1995, 11 VR 6/95, DVBl. 1996, 676. Etwa BVerwG, Gerichtsbescheid vom 21.9.2010 – 7 A 7/10, juris, Rn. 17; BVerwG, Beschl. vom 22.7.2010 – 7 VR 4/10, 7 VR 4/10 (7 A 7/10), juris, Rn. 28. 18 Greinacher/Freitag, Anmerkungen zum Beschluss des BVerwG vom 22.7.2010 – 7 VR 4/10, N&R 2011, 39 (41); Grainacher, ZUR 2011, 305 (309, Fn. 43); dafür auch Henning/Lühmann, UPR 2012, 81 (85). 19 Vgl. zum Fernstraßenrecht BVerwG – A 44. 17
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fehlerhaften Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen ist. Eindeutig vorzugswürdig erscheint eine Alternative insbesondere dann, wenn sie sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange gegenüber der planfestgestellten Trasse eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange schonendere Lösung darstellt. Das Gebot sachgerechter Abwägung wird allerdings nicht verletzt, wenn sich die Planfeststellungsbehörde im Widerstreit der verschiedenen Belange für die Bevorzugung des einen und damit zwangsläufig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet. Die darin liegende Bewertung der von der Planung berührten Belange und ihre Gewichtung im Verhältnis zueinander ist ein wesentliches Element der planerischen Gestaltungsfreiheit. Erheblich sind Abwägungsmängel nach § 43e Abs. 4 EnWG dabei nur, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind.20 Für den Bereich der Planfeststellung für Hochspannungsfreileitungen hat das Bundesverwaltungsgericht jüngst festgestellt21, dass es keinen Bedenken begegnet, wenn die Planfeststellungsbehörde eine großräumige vollständige Neutrassierung bei Vorhandensein bestehender Leitungstrassen nicht in die Abwägung einstellt. Begründet hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung damit, dass es auf der Hand liege, dass eine vollkommene Neutrassierung Konflikte nur verlagere, neue Konflikte schaffe und, da Einwirkungen der bisherigen Trasse in Natur und Landschaft auch nach deren Abbau zumindest eine geraume Zeit fortwirken, in gewissem Umfang verdopple. Daraus kann, da die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts allgemeine Geltung beanspruchen, ein grundsätzlicher Vorrang des Baus von Hochspannungsfreileitungen in einer bereits bestehenden Trasse abgeleitet werden.22 Der Grundsatz der Bündelung von Infrastrukturtrassen gebietet zudem, sowohl vorhandene Infrastrukturtrassen als auch hinreichend konkretisierte und verfestigte Planungen anderer Infrastrukturtrassen bei der Planung neuer Infrastrukturvorhaben zu berücksichtigen.23 Dies schließt freilich eine abwägungsfehlerfreie Planungsentscheidung gegen die Beibehaltung einer Bestandstrasse und für eine alternative Trasse oder eine Neutrassierung abseits vorhandener linearer Infrastrukturen nicht aus, ___________ 20 Vgl. dazu etwa VGH München, Urt. vom 19.6.2012 – 11 A 11.40018, 22 A 11.40019, juris, Rn. 27; VGH München, Urt. vom 24.5.2011 – 22 A 10.40049, juris, Rn. 29. 21 BVerwG, Beschl. vom 22.7.2010 – 7 VR 4/10, 7 VR 4/10 (7 A 7/10), juris, Rn. 30. 22 Greinacher/Freitag, Anmerkungen zum Beschluss des BVerwG vom 22.7.2010 – 7 VR 4/10, N&R 2011, 39 (41). 23 VGH München, Urt. vom 24.5.2011 – 22 A 10.40049, juris, Rn. 35.
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wenn diese Trassenführung insgesamt schonender ist.24 Es bedarf also auch hier weiterhin einer Einzelfallprüfung. c) Maßnahmen zur Netzoptimierung und Netzverstärkung Der Vorhabenträger muss im Rahmen des Abwägung zudem stets prüfen, ob an Stelle eines Leitungsneubaus die Ertüchtigung bestehender Leitungen durch Maßnahmen der Netzoptimierung und Netzverstärkung (z.B. Freileitungsmonitoring, Hochtemperaturseile) möglich ist. Hierbei geht es vorrangig um die Frage, ob solche Maßnahmen überhaupt dem Stand der Technik entsprechen. Energieanlagen sind nach § 49 Abs. 1 EnWG so zu errichten und zu betreiben, dass die technische Sicherheit gewährleistet ist. Dabei sind vorbehaltlich sonstiger Rechtsvorschriften die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten. Maßnahmen, die nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprechen, muss der Vorhabenträger nicht berücksichtigen. Freileitungsmonitoring beispielsweise ist mangels entsprechender Erfahrungswerte dem Vernehmen nach in Deutschland nach dem derzeitigen Stand keine alternative Lösung. Maßnahmen der Netzoptimierung und Netzverstärkung stellen des Weiteren nur dann eine Alternative dar, wenn sie mit dem Leitungsneubau vergleichbar sind, d. h. auch zu entsprechenden Kapazitätserhöhungen wie ein Neubau führen können. Nach bekannten Planungsrechtsgrundsätzen scheiden sie somit mangels Zielerreichung als „echte“ Alternativen aus. Theoretisch denkbar zur Bedarfsdeckung ist auch die Beeinflussung vorhandener Energieanlagen in der Weise, dass die Transportkapazität des vorhandenen Leitungsnetzes erhöht wird. Solche marktbezogenen Maßnahmen lässt das EnWG allerdings nur in sehr engen Grenzen zu (§ 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EnWG). Darüber hinaus sind marktbezogenen Maßnahmen gegenüber netzbezogenen Maßnahmen nachrangig. Aus diesen Gründen scheiden marktbezogene Maßnahmen zur dauerhaften Erhöhung der Transportkapazität regelmäßig aus.25 d) Technische Planungsalternativen Eine typische Fragestellung des energierechtlichen Planfeststellungsverfahrens ist des Weiteren die Frage, inwieweit anstatt einer Freileitung die technische Alternative einer Erdverkabelung in Betracht zu ziehen ist. Der Vorhabenträger führt regelmäßig an, eine Erdverkabelung sei gegenüber einer Freileitung erheblich teurer und mit technischen Schwierigkeiten verbunden und komme ___________ 24 VGH München, Urt. vom 19.6.2012 – 22 A 11.40018, 22 A 11.40019, juris, Rn. 31 ff.; VGH München, Urt. vom 24.5.2011 – 22 A 10.40049, juris, Rn. 30 ff. 25 Schiller, UPR 2009, 245 (251).
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deswegen nicht in Betracht. Die Bevölkerung hingegen mag sich in der Regel eine Erdverkabelung wünschen und sich dabei darauf berufen, dass die unterirdische Stromleitung in geringerem Maße über – elektromagnetische Felder – die Gesundheit beeinträchtige und die Auswirkungen auf die Umwelt im Falle eines Erdkabels positiver zu beurteilen seien, da das Landschaftsbild nicht so stark beeinträchtigt werde und die Vogelschlagrisiken geringer seien. aa) Ausführung als Erdkabel Die mit Wirkung zum 05. August 2011 vom Bundesgesetzgeber neu eingeführte Regelung des § 43h EnWG hat in ihrem Anwendungsbereich Auswirkungen auf den Variantenvergleich. Nach § 43h HS 1 EnWG sind Hochspannungsleitungen auf neuen Trassen mit einer Nennspannung von 110 kV oder weniger als Erdkabel auszuführen, soweit die Gesamtkosten für die Errichtung und den Betrieb des Erdkabels Gesamtkosten einer technisch vergleichbaren Freileitung den Faktor 2,75 nicht überschreiten und naturschutzfachliche Belange nicht entgegenstehen; die für die Zulassung des Vorhabens zuständige Behörde kann nach § 43h HS 2 EnWG auf Antrag des Vorhabenträgers die Errichtung als Freileitung zulassen, wenn öffentliche Interessen nicht entgegenstehen. Auf private Belange kommt es i.R.v. § 43h HS 2 EnWG mithin nicht an. Nach der Übergangsregelung des § 118 Abs. 11 S. 1 EnWG gilt § 43h EnWG für bis zum 05.08.2011 in einem Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren beantragte Vorhaben nur dann, wenn der Vorhabenträger dies beantragt. Aus den Gesetzesmaterialien geht hervor, dass der Bundesgesetzgeber mit der Einführung dieser Regelung die Erdverkabelung auf der 110 kVHochspannungsebene für neu zu errichtende Leitungen zum Regelfall erheben wollte. Damit soll eine Beschleunigung des Netzausbaus infolge geringerer Proteste in der Bevölkerung erreicht werden. Ob eine Verfahrensbeschleunigung aber tatsächlich erreicht werden kann, ist zumindest zweifelhaft und bleibt abzuwarten. Denn die Regelung des § 43h EnWG enthält unbestimmte Rechtsbegriffe, die Auslegungsspielräume eröffnen und der Rechtsunsicherheiten abträglich sind.26 Die Anwendungsvoraussetzungen des § 43h EnWG möchte ich im Einzelnen hier aber nicht vertiefen. Die Einführung der Erdkabelverpflichtung nach § 43h EnWG hat für den Variantenvergleich zwischen Freileitung und Erdkabel, der bislang auf Grund der deutlichen Mehrkosten einer Erdverkabelung regelmäßig zu Gunsten der Freileitung ausfiel, zur Folge, dass die Variantenwahl im Anwendungsbereich des § 43h EnWG, d. h. insbesondere beim Bau von 110 kV-Leitungen auf ___________ 26
Schiller, RdE 2012, 423 (423).
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„neuen Trassen“, aus Gründen der Akzeptanz in der Bevölkerung und der Beschleunigung des Netzausbaus grundsätzlich zu Gunsten der Erdverkabelung ausfällt. Hierbei kann man bereits die Frage stellen, ob ein Erdkabel eine „echte“, eigentliche Planungsalternative oder aber „ein anderes Vorhaben“ ist. Als Indiz für Letzteres spricht, dass auch für Erdkabel die Planfeststellung grundsätzlich lediglich fakultativ angeordnet ist. Liegen die typischerweise für das Erdkabel sprechenden Gründe, namentlich die ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber der Freileitung im Einzelfall nicht vor oder besteht ein gesteigertes Interesse an der Errichtung einer Freileitung – etwa infolge naturschutzfachlicher Belange – hat der Vorhabenträger weiterhin die Wahl zwischen Freileitung und Erdverkabelung. Die Alternativenwahl bedarf also nach wie vor einer Einzelfallprüfung. Davon geht auch die Bundesregierung aus, wie aus der Antwort auf eine kleine Anfrage zum Mehrkostenfaktor der Erdkabellösung vom 07.12.2010 hervorgeht. Danach kann die Erdverkabelung zwar grundsätzlich zur Steigerung der Akzeptanz eines Vorhabens in der Bevölkerung beitragen; dies bedarf aber einer projektabhängigen Prüfung im konkreten Einzelfall.27 Die Alternativenwahl zwischen Freileitung und Erdkabel hat Auswirkungen auch auf das Zulassungsverfahren. Ein Planfeststellungsverfahren ist zwingend nur bei einer Freileitung (§ 43 S. 1 Nr. 1 EnWG), im Übrigen lediglich fakultativ durchzuführen (§ 43 S. 4 und S. 7 EnWG). Zu besonderen Schwierigkeiten führt es, wenn der Vorhabenträger gemäß § 43h HS 2 EnWG eine Ausnahme zu Gunsten einer Freileitung beantragen möchte, obwohl der Kostenvergleich für die Erdverkabelung spricht und keine anderen gewichtigen Gründe etwa naturschutzfachlicher Art einem Erdkabel entgegenstehen. Hier stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Planfeststellungsbehörde über das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen zu entscheiden hat. Das Gesetz enthält hierzu keine Angaben. Aus verfahrensökonomischen Gründen muss diese Entscheidung jedoch weit im Vorfeld von Planrechtsverfahren getroffen werden. Eine „Inzidentprüfung“ im Rahmen eines beantragten Freileitungsvorhabens wäre viel zu spät. Denn kommt die Planfeststellungsbehörde zum Ergebnis, eine Ausnahme vom Grundsatz der Erdverkabelung liege nicht vor, wären jahrelange Vorbereitungs- und Planungsarbeiten zunichte gemacht.28 Hinweisen möchte ich an dieser Stelle auch darauf, dass die Regelung des § 43h EnWG zwar ein klares Bekenntnis des Gesetzgebers zur Erdverkabelung ___________ 27 28
Schiller, RdE 2012, 423 (427 f.). Vgl. Schiller, RdE 2012, 423 (429).
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auf Verteilernetzseite enthält, über die Planfeststellungsfähigkeit dieser Erdkabel aber nichts aussagt und keine Planfeststellungspflichtigkeit oder -fähigkeit dieser Vorhaben nach § 43 ff. EnWG anordnet. Für 110 kV-Leitungen findet sich die Regelung zur Planfeststellungsfähigkeit in § 43 S. 7 EnWG.29 Mit § 43 S. 7 EnWG hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, auf Antrag des Vorhabenträgers Errichtung, Betrieb sowie Änderung eines Erdkabels mit einer Nennspannung von 110 Kilovolt planfestzustellen. Kabel geringerer Nennspannung sind hingegen weder planfeststellungsbedürftig noch planfeststellungsfähig.30 bb) Abwägung zwischen Freileitung und Erdkabel Für die Vorhaben, die nicht unter den Anwendungsbereich des § 43h EnWG fallen, also insbesondere Stromleitungen mit einer Nennspannung von 220 kV und mehr, die üblicherweise in Deutschland für den Ferntransport von Strom benutzt werden, und Leitungsbauprojekte, die nicht auf „neuen Trassen“ entstehen, verbleibt es dabei, dass der Variantenvergleich regelmäßig aus Kostengründen zu Gunsten der Freileitung ausfällt. Es müssen mithin besonders gewichtige Belange insbesondere des Landschaftsbildes oder des Naturschutzes vorliegen, um eine Abwägung zu Gunsten einer Erdverkabelung zu rechtfertigen und zu treffen.31 Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht anerkannt, dass eine Abwägungsentscheidung hinsichtlich der technischen Alternative Erdverkabelung rechtmäßig auf die Erwägung gestützt werden kann, ein Erdkabel sei aus technischen und finanziellen Mitteln nicht vorzuziehen.32 Die Mehrkosten eines Erdkabels bleiben unbeschadet der Frage, ob und ggf. inwieweit diese über die Entgelte für den Netzzugang auf die Netznutzer (Energieversorgungsunternehmen) abwälzbar sind, für die planerische Entscheidung abwägungsrelevant. Die Möglichkeit der Abwälzung der mit einer Erdverkabelung verbundenen Mehrkosten auf die Netznutzer, führt lediglich dazu, dass die Netznutzer die Mehrkosten letztlich wiederum auf die Endverbraucher abwälzen. Dies widerspricht dem u. a. mit dem EnWG verfolgten Zweck, einer preisgünstigen und verbraucherfreundlichen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität. Dieser Zweck ist bei der Ausübung des Auswahl___________ 29 De Witt/Kause, RdE 2012, 328 (332); Elspaß/Schwoon, NVwZ 2012, 1066 (1068); Henning/Lühmann, UPR 2012, 81 (86). 30 Elspaß/Schwoon, NVwZ 2012, 1066 (1068). 31 De Witt/Kause, RdE 2012, 328 (333). 32 BVerwG, Beschl. vom 22.7.2010 – 7 VR 4/10, 7 VR 4/10 (7 A 7/10), juris, Rn. 43; Greinacher/Freitag, Anmerkungen zum Beschluss des BVerwG vom 22.7.2010 – 7 VR 4/10, N&R 2011, 39 (41).
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ermessens zwischen Erdkabel und Freileitung sowohl vom Vorhabenträger als auch von der Planfeststellungsbehörde zu berücksichtigen.33 Wichtige Kriterien bei der Abwägung zwischen Freileitung und Erdkabel sind die Betriebssicherheit, die Reparaturdauer und die Verfügbarkeit. Hierzu lassen sich folgende Aussagen treffen: Die Ausfallhäufigkeit ist bei Freileitungen etwas höher, die Reparatur von Erdkabelleitungen ist aber sehr zeitaufwendig. Die Metastudie34 nimmt für den Zeitbedarf den Faktor 40 bis 270 an. Die Lebensdauer von Freileitungen wird mit 40 bis 120 Jahren, die von Erdkabelleitungen mit 20 bis 60 Jahren angegeben. Die Investitionskosten liegen bei 380 kV-Leitungen für Erdkabel beim 9bis 13-fachen gegenüber Freileitungen, die Betriebskosten beim ein- bis zweifachen.35 Der Betrieb von Erdkabeln auf einer Spannungsebene von mehr als 360 Kilovolt ist noch nicht hinreichend erprobt. Gerade zu Erprobungszwecken hat der Gesetzgeber im EnLAG (§ 2 Abs. 1) lediglich für bestimmte Teilabschnitte die Möglichkeit der Planfeststellung einer Erdverkabelung als „Pilotprojekte“ vorgesehen. Dies beruht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers vor dem Hintergrund der Versorgungssicherheit und der hohen Kosten, die letztlich von sämtlichen Stromanbietern zu tragen sind.36 Ein kurzer Wechsel wegen kurzer Verkabelung entlang von Ortschaften führt zu hohen Gesamtkosten wegen der mehrfachen Übergangsanlagen. Eine Optimierung des vorhandenen Netzes durch Hochtemperaturseile ist für 380 kV-Leitungen noch nicht erprobt und deshalb keine vernünftige Alternative.37 Insbesondere sind lange Strecken von Wechselstrom-Erdkabeln noch nicht erprobt. Die Auswirkungen auf das Landschaftsbild spielen eine besondere Rolle. Hier wird allgemein die Erdkabeltrasse bevorzugt. Die Auswirkungen auf die Fauna sind bei Freileitungen negativ bewertet, beim Flächenverbrauch wird die Kabeltrasse ungünstiger eingeschätzt als die Freileitung. Die Freileitung ist hinsichtlich des Lärms ungünstiger. Hinsichtlich elektrischer und magnetischer Felder schneiden die Erdkabelleitungen besser ab.38 Auf Grund der vorgenannten Ausführungen kann die Variante einer Erdverkabelung jedenfalls im Höchstspannungsbereich von 380 kV bereits auf der ___________ 33
Vgl. dazu OVG Schleswig, Urt. vom 1.7.2011, 1 KS 20/10, Rn. 47, 49. TU Ilmenau, Institut für Energie-, Antriebs- und Umweltsystemtechnik, Metastudie über Merkmale von Freileitungen und Erdkabelleitungen vom 12.10.2011, S. 13. 35 TU Ilmenau, Institut für Energie-, Antriebs- und Umweltsystemtechnik, Metastudie über Merkmale von Freileitungen und Erdkabelleitungen vom 12.10.2011, S. 14 f. 36 Greinacher/Freitag, Anmerkungen zum Beschluss des BVerwG vom 22.7.2010 – 7 VR 4/10, N&R 2011, 39 (41). 37 BVerwG, Beschl. vom 24.5.2012 – 7 VR 4.12, juris, Rn. 24; dazu De Witt/Kause, RdE 2012, 328 (333). 38 De Witt/Kause, RdE 2012, 328 (333). 34
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Ebene einer sehr groben Ermittlung ausgeschlossen werden, ohne dass dies einen Abwägungsfehler begründen könnte.39 Der häufig gegen Freileitungsvorhaben erhobene Einwand, der Vorhabenträger habe im Rahmen der Alternativenprüfung keine Kosten-Nutzen-Analyse unter Einbeziehung der sozialen bzw. externen Kosten, die namentlich auf Grund der Verzögerungskosten infolge des Widerstandes gegen eine Freileitung in der Bevölkerung entstehen, durchgeführt, greift nicht durch. Eine solche Verpflichtung sieht weder das nationale Recht noch das Gemeinschaftsrecht vor. Eine Berücksichtigung muss auch deswegen ausscheiden, weil nicht ersichtlich ist, wie solche sozialen Kosten monetarisiert werden könnten, um sie den tatsächlichen Kosten überhaupt gegenüberstellen zu können.40 3. Zwingendes materielles Recht a) Immissionsschutzrecht aa) § 22 Abs. 1 BImSchG i.V.m 26. BImSchV Typischerweise stehen im Rahmen der Planfeststellung von Leitungsbauprojekten die bundesimmissionsschutzrechtlichen Anforderungen hinsichtlich elektromagnetischer Felder in Frage. Bei einer Hochspannungsleitung handelt es sich um eine sonstige ortsfeste Einrichtung i.S.v. § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG, die keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach § 4 BImSchG bedarf. Der Betreiber einer solchen, gewerblichen Zwecken dienenden Anlage muss nach § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG die nach dem Stand der Technik vermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen verhindern und vermeidbare schädliche Umweltauswirkungen auf ein Mindestmaß beschränken. Für Immissionen in Form von elektrischen und magnetischen Felder konkretisiert diese Anforderungen die auf Grund von § 23 BImSchG erlassene 26. BImSchV in der Weise, dass im Bereich von Gebäuden und Grundstücken, die nicht allein dem vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind, bestimmte Grenzwerte für die elektrische Feldstärke und die magnetische Flussdichte nicht überschritten werden dürfen.41 Regelmäßig werden die in der 26. BImSchV niedergelegten Grenzwerte zwar eingehalten, die Gegner von Leitungsbauvorhaben wenden aber dennoch ___________ 39
Grainacher, ZUR 2011, 305 (310). Schiller, UPR 2009, 245 (250 f.). 41 BVerwG, Beschl. vom 22.7.2010 – 7 VR 4/10, 7 VR 4/10 (7 A 7/10), juris, Rn. 23. 40
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ein, die in der 26. BImSchV festgelegten Grenzwerte seien überholt und verweisen auf die wissenschaftliche Diskussion über Gesundheitsfragen durch elektrische und magnetische Felder unterhalb der in der 26. BImSchV festgelegten Grenzwerte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes greifen diese Einwendungen allerdings nicht durch. Danach sind die in der 26. BImSchV festgelegten Grenzwerte nicht zu hoch angesetzt. Den in der Verordnung festgelegten Grenzwerten liegt die Grenzwertempfehlung der Internationalen Kommission zum Schutz vor nichtionisierenden Strahlen zu Grunde. Dass diese Erkenntnisse mittlerweile überholt sind, hat die Strahlenkommission des Bundes in ihrer Empfehlung vom 21./22. Februar 2008 unter Auseinandersetzung mit internationalen Standards nicht feststellen können. Bei Einhaltung der Grenzwerte besteht deshalb in der Regel keine Gefahr für die menschliche Gesundheit.42 Auch aus der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen. Wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, kommt dem Verordnungsgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu. Alle nur denkbaren Schutzmaßnahmen muss er nicht treffen. Eine Verletzung der Schutzpflicht kann erst festgestellt werden, wenn Vorkehrungen überhaupt nicht getroffen, gänzlich ungeeignet oder unzulänglich sind. Ohne verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse über komplexe Gefährdungslagen ist es nicht Sache der Gerichte, sondern des Verordnungsgebers, den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft mit geeigneten Mitteln zu beobachten und zu bewerten. Verletzt ist diese Pflicht erst, wenn eine ursprünglich rechtmäßige Regelung aufgrund neuer Erkenntnisse oder einer veränderten Situation verfassungsrechtlich evident untragbar geworden ist.43 Davon kann in Bezug auf die in der 26. BImSchV festgelegten Grenzwerte nicht ausgegangen werden. Die Bundesstrahlenschutzkommission beobachtet die Grenzwerte fortlaufend. Wie sich aus ihrer Empfehlung ergibt, hält sie die Grenzwerte nicht für zu hoch.44 Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 3. Juli 200745 eine Verletzung von Art. 8 (Achtung des Privatund Familienlebens) oder Art. 2 (Recht auf Leben) der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und des Protokolls Nr. 1 zur Konvention (Schutz des Eigentums) durch die Anwendung der Grenzwerte der ___________ 42 BVerwG, Beschl. vom 22.7.2010 – 7 VR 4/10, 7 VR 4/10 (7 A 7/10), juris, Rn. 24. 43 BVerfG, Kammerbeschl. vom 24.1.2007 – 1 BvR 382/05 – NVwZ 2005, 805. 44 BVerwG, Beschl. vom 22.7.2010 – 7 VR 4/10, 7 VR 4/10 (7 A 7/10), juris, Rn. 25. 45 NVwZ 2008, 1215.
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26. BImSchV auf von Hochfrequenzanlagen ausgehende elektromagnetische Strahlung ebenfalls nicht erkennen können. bb) § 22 Abs. 1 BImSchG i. V. m. TA-Lärm Neben Immissionen in Form elektromagnetischer Felder können bei Freileitungen – insbesondere bei nasser Witterung – auch Entladungsgeräusche (sog. Coronageräusche) auftreten und zu einer Belästigung führen. Zur Bewertung dieser Immissionen kann auf die TA-Lärm zurückgegriffen werden. Regelmäßig werden allerdings auch hier die in der TA-Lärm genannten Grenzwerte nicht überschritten. Insbesondere im Zusammenwirken mit ungünstigen Windverhältnissen können aber nicht nur geringfügige Geräusche entstehen, die jedenfalls im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind. Dabei ist auch zu beachten, dass Energiefreileitungen regelmäßig im Außenbereich verlaufen, der ohnehin weniger schutzwürdig ist.46 b) Naturschutzrecht Neben den immissionsschutzrechtlichen Anforderungen folgen zwingende gesetzliche Vorgaben – wie bei allen Planfeststellungsverfahren – typischerweise aus dem Naturschutzrecht, insbesondere der Eingriffsregelung nach §§ 15 ff. BNatSchG, der Beeinträchtigung von Natura-2000-Gebieten und der Regelung des § 34 BNatSchG sowie den Vorschriften über den Artenschutz. Als Besonderheit des energierechtlichen Planfeststellungsvorhabens hervorzuheben sind die Regelungen über die sog. Waldumwandlung nach § 9 Abs. 1 BWaldG bzw. den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften. Regelmäßig wird beim Bau von Freileitungen die Rodung von Waldfläche erforderlich. Die damit notwendige Umwandlungsgenehmigung nach § 9 Abs. 1 BWaldG bzw. den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften wird vom Planfeststellungsbeschluss infolge der Konzentrationswirkung (§ 43 S. 6 i.V.m. § 75 Abs. 1 S. 1 HS 2) erfasst, so dass die Planfeststellungsbehörde lediglich die materiellen Voraussetzungen der Umwandlung zu überprüfen hat.47 Die Landeswaldgesetze sehen teilweise für die Errichtung von Leitungsschneisen Ausnahmen von dem Erfordernis der Waldumwandlung vor (bspw. § 9 Abs. 7 S. 1 LWaldG BW).48
___________ 46 47 48
Dazu insgesamt Schiller, UPR 2009, 245 (248). Schiller, UPR 2009. 245 (249). Schiller, UPR 2009, 245 (249).
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Häufiger ist der Umfang der Waldumwandlung Aufhänger von Streitigkeiten im Rahmen der materiellen Voraussetzungen der Umwandlungsgenehmigung. Es stellt sich regelmäßig die Frage, ob lediglich für die Maststandorte eine Umwandlung erfolgt oder ob auch die Bereiche, für die auf Grund einschlägiger technischer Regelwerke eine Wuchshöhenbeschränkung für Gehölzpflanzen (sog. Sicherungsstreifen) gilt, erfasst sind. In der Rechtsprechung ist diese Frage bisher nicht hinreichend geklärt. Die besseren Argumente sprechen allerdings dafür, den Bereich, für den Wuchshöhenbeschränkung gelten, als nicht von der Umwandlung erfasst anzusehen. Denn die Wuchshöhenbeschränkung ändert nichts an der Nutzungsart Wald. Nach § 2 Abs. 1 BWaldG ist Wald jede mit Forstpflanzen bestockte Grundfläche. Solange die Funktion als Wald nicht verloren geht, ist es auch unbeachtlich, ob die Bepflanzung im Bereich des Sicherungsstreifens nicht den gleichen forstwirtschaftlichen Ertrag erbringt wie die Flächen ohne Wuchshöhenbeschränkung.49 c) Sicherheitsrecht: sog. Meidungsgebot Zu den zwingenden gesetzlichen Vorgaben zählen auch die sicherheitstechnischen Anforderungen an Energieanlagen, die u.a. in den allgemein anerkannten Regeln der Technik konkretisiert sind. Nach § 49 Abs. 1 EnWG sind Energieanlagen so zu errichten und zu betreiben, dass die technische Sicherheit gewährleistet ist. Dabei sind vorbehaltlich sonstiger Rechtsvorschriften die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten. Das OVG Lüneburg50 hat jüngst für Gasfernleitungen eine technische Regel angenommen, die besagt, dass Gasfernleitungen nach Möglichkeit nicht in bebauten oder in einem nach dem Bundesbaugesetz genehmigten Bebauungsplan zur Bebauung ausgewiesenen Gelände bei der Trassenwahl zu errichten sind. Wo dies nicht möglich ist, ist eine Gefährdung im Falle von Gasaustritt zu verhindern, indem mögliche Abstände gewahrt werden. Für den Meidungsabstand zieht das Gericht als Orientierungswert den im Forschungsbericht 285 der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BMA) aus dem Jahr 2009 („Zu den Risiken des Transports flüssiger und gasförmiger Energieträger in Pipelines“) genannten Gefährdungsradius von 350 m heran. Nach dem OVG stellt diese technische Regel als sicherheitstechnische Anforderung eine im Grundsatz bindende Pflicht dar, die nicht im Wege der Abwägung überwunden werden kann. Eine Ausnahme soll lediglich dann in Betracht kommen, wenn der Raumwiderstand für eine alternative Trasse größere Risiken birgt oder die al-
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Schiller, UPR 2009, 245 (249). OVG Lüneburg, Beschl. vom 29.6.2011 – 7 MS 70/11, juris, Rn. 52.
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ternative Trassenführung an unüberwindlichen Raumwiderständen scheitern würde.51 Diese Rechtsprechung des OVG Lüneburg erscheint allerdings zweifelhaft. Dies folgt schon aus einem Vergleich zu dem in § 50 BImSchG niedergelegten Optimierungsgebot, das lediglich eine Abwägungsdirektive bzw. einen Optimierungsgrundsatz enthält. Die vom OVG angezogene technische Regel entspricht inhaltlich § 50 BImSchG und ist mit diesem auch wortähnlich. Ein derart strikt verstandenes Meidungsgebot hätte überdies in seinen Folgen gemessen an dem gesetzlichen Leitbild des § 50 BImSchG ohne Not praktisch kaum überwindliche Erschwernisse bei Bau und Betrieb von Gasleitungen in dicht besiedelten Gebieten zur Folge. Der VGH Mannheim hat – wenige Monate nach dem Beschluss des OVG Lüneburg – das Bestehen einer technische Regel über Mindestabstände zwischen einer Gasfernleitung und der nächsten Wohnbebauung oder sonstigen schutzwürdigen Objekten abgelehnt und die Trassierung am allgemeinen Maßstab des fachplanungsrechtlichen Abwägungsgebots gemessen. Allerdings sind bei Trassenabschnitten, die innerhalb oder in der Nähe bebauter Gebiete verlaufen, besondere Schutzmaßnahmen an der Leitung zu treffen, die sich aus dem bestehenden technischen Regelwerk ergeben.52 Dieser Rechtsprechung des VGH Mannheim ist zu folgen.
V. Fazit Die mit der Energiewende verbundenen Herausforderungen an den Ausbau des deutschen Übertragungsleitungsnetzes in den kommenden Jahren sind hoch. Da sich die energierechtliche Planfeststellung von der in anderen Fachgesetzen geregelten Planfeststellung im Grundsatz nicht unterscheidet, kann zu ihrer Bewältigung auf hergebrachte und bewährte Grundsätze zurückgegriffen und können Erfahrungen aus anderen Bereichen des Fachrechts genutzt werden.
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OVG Lüneburg, Beschl. vom 29.6.2011 – 7 MS 70/11, juris, Rn. 54. VGH Mannheim, Beschl. vom 14.11.2011 – 8 S 1281/11, juris, Rn. 31, 36.
Die Existenzgefährdung landwirtschaftlicher Betriebe im Lichte der Rechtsprechung und Praxis Von Rolf Rockitt
Die Landwirtschaft ist regelmäßig infolge größerer Infrastrukturvorhaben betroffen. Dies geschieht nicht nur durch die Straße selbst, sondern zunehmend durch die vom Projekt ausgelösten Eingriffsfolgen für Natur und Landschaft. Ein besonderer Fall einer Existenzgefährdung beschäftigte die Planfeststellungsbehörde in Niedersachsen. Einige Landwirte rügten das Heranrücken einer Kompensationsfläche. Sie argumentierten damit, dass sie Betriebserschwernisse ihrer Mastbetriebe sähen, weil die austretende Amoniakkonzentration die künftige Entwicklung der Naturschutzfläche erheblich beeinträchtigen würde. Diese Konstellation erinnerte an die im Baurecht thematisierte Rechtsprechung zum Heranrücken von Wohnbebauung an Schweinemastbetriebe.
I. Übersicht Der Beitrag beleuchtet verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit den Auswirkungen insbesondere von Straßenbauvorhaben auf landwirtschaftliche Betriebe. Dies kann einerseits durch Flächenentzug geschehen. Andererseits kann die Durchtrennung vor allem arrondierter Flächen zu Umwegen und damit zu erheblichen Betriebsbeeinträchtigungen führen. Zunächst widmet sich der Beitrag der Frage, ob überhaupt eine Existenzgefährdung vorliegt (II.) und wenn ja, wer sie erfolgreich im Verfahren geltend machen kann (III.). Für die Praxis stehen die Ermittlung der relevanten Sachverhalte (IV.) sowie die Berechnung im Vordergrund (V.). Zentraler Gesichtspunkt ist sodann, in welcher Weise die Abwägung (VI.) vorzunehmen ist. Gelegentlich gelingt es, das „Riff“ der Problembewältigung zu umschiffen, indem auf ein nachgelagertes Flurbereinigungsverfahren (VII.) verwiesen werden kann. Schließlich wird der besondere Fall beleuchtet, dass eine Vielzahl landwirtschaftlicher Betriebe in ihrer Existenz bedroht wird (VIII.).
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II. Existenzfähigkeit Die Rechtsprechung hat bereits recht früh klargestellt, dass eine Kausalität zwischen dem durch die Straße bewirkten Eingriff und der Entziehung der Existenzgrundlage bestehen muss.1 Das bedeutet, dass der Betrieb jedenfalls vor dem Eingriff (noch) existenzfähig gewesen sein muss. Wenn feststeht, dass der Betrieb bereits seit mehreren Jahren nicht mehr existenzfähig ist, kann ihn die Straßenbaumaßnahme auch insoweit nicht mehr gefährden.2 Mit Bezug auf das Strafrecht wäre der Eingriff in einen nicht mehr existenzfähigen Betrieb als untauglicher Versuch zu werten. Die Existenzgefährdung eines jedenfalls gesunden landwirtschaftlichen Betriebes kann nach ständiger Rechtsprechung3 regelmäßig ohne weiteren Ermittlungsaufwand ausgeschlossen werden, wenn der Flächenentzug bis zu ca. 5 % bzw. max. 0,5 ha beträgt. In einem Fall billigte das VGH Mannheim4 auch die Inanspruchnahme von 5,95 % der Fläche. Hier sah das Gericht die 5 %-Regel nur in geringem Maß als überschritten an, da der Kläger selbst eine gute Eigenkapitalausstattung vorgetragen hatte.
III. Wer kann eine Existenzgefährdung geltend machen? 1. Hauptbetrieb Dass ein Hauptbetrieb Existenzgefährdung geltend machen kann, stand juristisch nie zur Disposition. Hauptbetriebe sind entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit und der betrieblichen Organisation in die Abwägung einzubeziehen. Insbesondere ist eine individuelle Betrachtung notwendig, denn die betriebliche „Landschaft“ gestaltet sich recht unterschiedlich, z.B. in Milchviehwirtschaft, in Ackerbau, Viehzucht usw. Die Einwirkung geschieht zwar regelmäßig durch Entzug von Flächen. Auch die Durchschneidung arrondierter Flächen kann eine Existenzgefährdung auslösen. In einem Verfahren argumentierte man mit den mittelbaren Folgen für einen Betrieb, indem sich die Lärm- und Lichtimmissionen schädlich für das Verhalten und damit für das Zuchtverhalten auswirken sollten. ___________ 1
BVerwG, Beschl. vom 31.10.1990, 4 C 25/90 (Ausbau A 7 Raum Füssen), Rn. 25. OVG Lüneburg, Urt. vom 16.9.2004, 7 LB 371/01, Rn 32 (Bau der nordwestlichen Ortsumgehung Bad Laer im Zuge der K 338), NuR 2005 S. 119. 3 Zuletzt: BVerwG, Urt. vom 14.4.2010, 9 A 13/08, 2. LS (A 61: Kaldenkirchen – Bundesgrenze), Rn. 27. 4 VGH Mannheim, Urt. vom 26.5.2000, 8 S 1525/99 (m.w.N.). 2
Die Existenzgefährdung landwirtschaftlicher Betriebe
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2. Nebenerwerbsbetrieb? Ob ein bloßer Nebenerwerbsbetrieb Existenzgefährdung geltend machen kann, ist deswegen diskutabel, weil dieser dem Inhaber selbst per se keine ausreichende Existenzgrundlage bieten kann. Diese Frage ist bislang nicht streitig entschieden worden. Jedenfalls ist man auf der „sicheren Seite“, wenn die den Betrieb betreffenden Belange in die Abwägung eingestellt, sie aber gegenüber einem bereits bestehenden landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb geringer gewichtet werden.5 Ein solches Vorgehen wurde ebenfalls bei einem Kläger gebilligt6, der im Hauptberuf als Lehrer tätig war, aber hobbymäßig eine Pensionspferdehaltung betrieb. 3. Eigentümer Soweit ein Betrieb auf überwiegend eigenen Flächen wirtschaftet, sollte die Einwendungsbefugnis außer Frage stehen. Je mehr aber der landwirtschaftliche Betrieb auf Pachtflächen zugreifen muss, kann dieser Belang mit einem entsprechend geringeren Gewicht in die Abwägung eingestellt werden.7 In dem entschiedenen Fall ging es um einen landwirtschaftlichen Betrieb, der lediglich über 20 % eigene Flächen verfügte. Der Landwirt ging damit ein hohes unternehmerisches Risiko ein, weil sein Großteil seiner Flächen nicht auf längere Zeit hinreichend verlässlich gesichert war. Da er jederzeit mit dem Entfall jener Flächen rechnen musste, durfte die Planfeststellungsbehörde diese strukturelle Schwäche mit diesem deutlich geminderten Gewicht in die Abwägung einstellen. 4. Pachtbetrieb Das Bundesverwaltungsgericht hat Anfang der 90er Jahre entschieden, dass grundsätzlich nur dem Eigentümer des von dem Vorhaben betroffenen Grundstücks ein öffentlich-rechtlicher Abwehranspruch zukomme.8 Auf dieser Linie bewegt sich auch die Entscheidung des VGH Mannheim.9 Allerdings sah es die Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Pachtgrundstücke als einen Eingriff in einen eingerichteten und ausgeübten Landwirtschaftsbetrieb an, aus dem sich ein Abwehrrecht des Betriebsinhabers/Pächters gemäß Art. 14 Abs 1 GG erge___________ 5
BVerwG, Urt. vom 18.3.1999, 4 A 31/98 (A 17 im ersten Streckenabschnitt vom Autobahndreieck A 4/A 17 bis Anschlussstelle B 173), Rn. 31. 6 VGH München, Urt. vom 30.7.2002, 8 A 00.40034. 7 VGH München, Beschl. vom 14.8.2002, 8 ZB 02.1293, Rn. 13. 8 BVerwG, Urt. vom 16.9.1993, 4 C 9/91. 9 Urt. vom 17.11.1995, 5 S 334/95, 10. Leitsatz, Rn. 58.
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ben könne. Das Interesse an der Erhaltung dieser Pachtflächen stellte damit ein Belang des Betriebsinhabers/Pächters dar, der zusätzlich neben dem Belang des Eigentümers in die Abwägung einzustellen ist.10 Ebenfalls in die Abwägung ist ein durch eine Vormerkung nach § 883 BGB gesicherter Anspruch auf Verschaffung des Eigentums an einem Grundstück („Auflassungsvormerkung“) einzustellen, das als eigentumsrechtlich geschütztes Recht anzusehen ist.11 In der Praxis wird die Frage aufgeworfen, ob es sinnvoll sei, ab einer bestimmten Dauer der Pachtlaufzeit diese Fläche im Gutachten wie eine Eigentumsfläche zu behandeln. In Niedersachsen nimmt man eine Zeit von 5 Jahren an.
IV. Ermittlung der Existenzgefährdung Die Ermittlung der Existenzgefährdung ergibt sich aus dem Abwägungsgebot. Nach der zum Bundesbaugesetz entwickelten, auf die fernstraßenrechtliche Planung aber im Grundsatz ohne weiteres übertragbaren Rechtsprechung erfordert das Abwägungsgebot, dass – erstens – eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass – zweitens – in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, und dass – drittens – weder die Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht.12 Sobald eine Existenzgefährdung gerügt wird, ist es stets ratsam, alle prägenden Umstände ermitteln zu lassen. Andernfalls entsteht leicht die Gefahr eines Abwägungsfehlers. Der Planfeststellungsbehörde obliegt die Pflicht zur Ermittlung der maßgeblichen Umstände vor allem dann, wenn Eingriffe mit dem Straßenbauvorhaben in private Rechte Dritter, beispielsweise der Rechte betroffener Landwirte, ausgelöst werden. Als Recht gilt nicht nur das Interesse am Flächenerhalt, sondern auch das Interesse des Gewerbetreibenden an der Erhaltung der unter Umständen mit erheblichen Investitionen ausgenutzten Erwerbsquelle.13 Auch wenn ein Betroffener es unterlassen hat, seine Betroffenheit im Zuge der Bürgerbeteiligung geltend zu machen, ist die Betroffenheit in die Abwägung einzustellen, wenn sich der planenden Stelle die Tatsache dieser Betroffenheit aufdrängen musste.14 ___________ 10 11 12
(148). 13 14
A.a.O., Rn. 61. BVerwG, Urt. vom 14.11.2012, 9 C 14/11, Rn. 14. Vgl. BVerwG, Urt. vom 24.11.1994 – BVerwG 7 C 25/93 – BVerwGE 97, 143 BVerwG, Urt. vom 9.6.2010, 9 A 20/08, Rn. 148. BVerwG, Urt. vom 13.9.1985, 4 C 64/80, Rn. 10 m.w.N.
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Die Ermittlung der näheren Umstände im Fall einer geltend gemachten Existenzgefährdung kann entbehrlich sein, „wenn die Planfeststellungsbehörde deutlich macht, dass sie die für das Vorhaben streitenden Belange für so gewichtig hält, dass es auch um den Preis einer Existenzgefährdung oder Existenzvernichtung des betroffenen Betriebes verwirklicht werden soll“.15 1. Erstellung eines Gutachtens Nach dem Vorgesagten ist es ratsam, Existenzgefährdungsgutachten einzuholen. Eine Entscheidung am „grünen Tisch“ ist gleichsam fehlsam. Erforderlich ist eine präzise Untersuchung über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betriebs, aus der sich ergibt, dass der Betrieb wegen besonderer Umstände, etwa eines hohen Verschuldungsstandes, zukünftig nicht mehr die wirtschaftliche Lebensgrundlage für die Familie des Betriebsinhabers darstellen kann.16 Die Einholung derartiger Gutachten ist indes geübte Praxis, wenngleich der Mangel an geeigneten Gutachtern häufig für Verzögerungen in den Verfahren sorgt. In Niedersachsen sind beispielsweise nur 5 Gutachter auf diesem Feld tätig. Daher empfiehlt es sich bereits auf der Planungsebene, mögliche Existenzgefährdungen zu lokalisieren und hier im Vorfeld der Planfeststellung derartige Gutachten erstellen zu lassen. Solche Expertisen bieten eine optimale Grundlage, vor Einleitung der Planfeststellung mit den betroffenen Landwirten gezielte Lösungen im Hinblick auf etwa eine geeignete Ersatzlandgestellung zu besprechen. Als praktisches Problem erweist sich der Umstand, dass den Bundesländern als Straßenauftragsverwaltung derzeit die Kompetenz für den frühzeitigen Grunderwerb fehlt. 2. Übersendung des betrieblichen Erhebungsbogens Üblicherweise wird betroffenen Landwirten zunächst ein sog. betrieblicher Erhebungsbogen übersandt. Hiermit werden Angaben zum Flächenbestand und deren Nutzung (z.B. landwirtschaftlich genutzte Flächen als Ackerland oder Grünland als Eigentum oder gepachtet), zu verpachteten Betriebsflächen, zur Viehhaltung sowie zu sonstigen Nebenzweige (z.B. Pensionspferde) erhoben. Darüber hinaus unterliegt der betroffene einwendende Landwirt einer besonderen Mitwirkungspflicht. Er ist verpflichtet, die entscheidungserheblichen betriebswirtschaftlichen Fakten (unter anderem Betriebsgröße, Wirtschaftsweise) darzulegen.17 Unterlässt er es, muss er sich die verweigerte Mitwirkung bei der ___________ 15 16 17
BVerwG, Urt. vom 9.6.2010, 9 A 20/08, Rn. 149. VGH Mannheim, Urt. vom 5.4.1990, 5 S 2119/89, Rn 32. VGH Mannheim, Urt. vom 22.03.1995, 5 S 2341/94, Rn. 84.
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Aufklärung der wirtschaftlichen Folgen zurechnen lassen.18 Hier gelten die Grundsätze der Beweisvereitelung.19 Dem Landwirt sei daher geraten, seine Belange im Zuge der Offenlage rechtzeitig vorzutragen. Andernfalls greift das „scharfe Schwert“ der Präklusion. Denn ein Planfeststellungsbeschluss leidet an keinem Abwägungsfehler, wenn er solche privaten Belange nicht berücksichtigt, die ein Betroffener im Planfeststellungsverfahren nicht vorgetragen hat und die sich der planenden Behörde auch nicht aufdrängen mussten; sie sind dann nicht abwägungserheblich.20 3. Beauftragung eines Gutachters In der Regel bedient man sich externer Gutachter. Allerdings ist es nicht zu beanstanden, wenn die Planfeststellungsbehörde eigene, für die jeweilige Aufgabe und das jeweilige Fachgebiet besonders qualifizierte Mitarbeiter damit beauftragt. Ein Anspruch auf eine Begutachtung durch freiberuflich tätige Gutachter besteht nicht.21 4. Wahrunterstellung Die Planfeststellungsbehörde kann sich schließlich auch damit behelfen, statt der Beauftragung eines Gutachters den für die Abwägung erheblichen Umstand nicht selbst ermitteln zu lassen und die Tatsachen zu Grunde zu legen, die der Betroffene selbst vorgetragen hat. Mit der Methode der Wahrunterstellung steht jedenfalls der Betroffene nicht schlechter, als wenn der vorgetragene Sachverhalt nach Ermittlung in die Abwägung eingestellt hätte.22 „Die Grenzen einer zulässigen Wahrunterstellung sind erst überschritten, wenn der für die Abwägung maßgebende Sachverhalt mit einer Wahrunterstellung in Wirklichkeit nicht in sachdienlicher Weise erfasst werden kann, sei es etwa, dass der zu unterstellende Sachverhalt die Gesamtkonzeption der Planung in einem wesentlichen Punkt betrifft, oder sei es, dass die Feststellung des in Rede stehenden Sachverhalts ohne eine gleichzeitige Wertung der festzustellenden tatsächlichen Umstände nicht möglich ist, insbesondere wenn die Bedeutung eines privaten Belangs im Verhältnis zu den ihm widerstreitenden öffentlichen Belangen nur bei näherer Kenntnis aller ihn betreffenden Einzelheiten hinreichend erfasst werden kann. Zum anderen versteht
___________ 18
BVerwG, Urt. vom 9.6.2010, 9 A 20/08, Rn. 154. VG Gera, Urt. vom 2.9.2008, 3 K 611/08 Ge m.w.N. 20 BVerwG, Urt. vom 13.9.1985, 4 C 64/80, NVwZ 1986, 740; OVG Lüneburg, Urt. vom 27.5.2003, 1 KN 1620/01 zur Bauleitplanung. 21 BVerwG, Urt. vom 9.6.2010, 9 A 20.08 (A 44 – Querspange Bochum), Rn. 151. 22 BVerwG, Beschl. vom 8.10.2002, 9 VR 16/02, 9 A 48/02, Rn. 6. 19
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sich von selbst, dass eine Wahrunterstellung zugunsten eines Planbetroffenen dann ausgeschlossen ist, wenn sich die damit als nachgewiesenen behandelte Beweistatsache in der Abwägung zum Nachteil eines anderen Planbetroffenen auswirken kann“.23
V. Berechnungsgrundlagen 1. Objektive betriebswirtschaftliche Grundlagen Die Berechnung hat sich an objektiven betriebswirtschaftlichen Kriterien zu orientieren. Die Beurteilung der Existenzfähigkeit eines Betriebes ist daran zu messen, ob der Ertrag ausreichend ist, einen angemessenen Lebensunterhalt für den Betriebsleiter und seine Familie zu sichern sowie ausreichende Rücklagen für die Substanzerhaltung und für Neuanschaffungen zu bilden. Die besondere Struktur und Arbeitsweise des einzelnen Betriebes ist hierbei in den Blick zu nehmen.24 Die individuellen Bedürfnisse einzelner Landwirte sind grundsätzlich außer Betracht zu lassen. Allerdings darf die Planfeststellungsbehörde nicht die Augen vor einer Betriebsführung verschließen, die dem Inhaber für einen beachtlichen Zeitraum eine – immerhin – eingeschränkte Existenzgrundlage sichert, weil dieser schlicht „von seiner Hände Arbeit“ lebt.25 Dem Umstand, dass ein Betrieb tatsächlich über längere Zeit bestanden haben mag, kommt in der Abwägung regelmäßig kein Gewicht zu, auch wenn dies von Anwälten gern vorgetragen wird („seit mehreren Generationen!“). Gleiches gilt, wenn der Betriebsinhaber am Ende seines Berufslebens steht.26 2. Angemessener Lebensunterhalt Ab welcher Grenze von einem angemessenen Lebensunterhalt gesprochen werden kann, ist in der Rechtsprechung derzeit ungeklärt. Als untere Grenze kann jedenfalls eine Privatentnahme von 24.000 EURO betrachtet werden.27 Der hier zitierte Fall ist jedoch von ungewöhnlichen Randbedingungen geprägt. Sicherlich dürfte in der Regel ein höherer Betrag anzusetzen sein.
___________ 23 24 25 26 27
BVerwG, Urt. vom 27.3.1980 – 4 C 34.78 – NJW 1981, 241, Rn. 31. BVerwG, Beschl. vom 31.10.1990, 4 C 25.90, Rn. 24. BVerwG, Urt. vom 14.4.2010, 9 A 13/08, Rn. 28. VGH Mannheim, Urt. vom 17.7.2007, 5 S 130/06 Rn. 47. BVerwG, Urt. vom 14.4.2010, 9 A 13/08, Rn. 31.
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3. Eigenkapitalbildung Jeder Betrieb ist gehalten, Vorsorge für später notwendige Investitionen zu treffen. Gebäude wie auch Maschinen unterliegen der Abnutzung. Jeder betriebswirtschaftlich handelnde Betrieb ist daher gehalten, hierfür Rücklagen zu schaffen durch die Bildung von Eigenkapital. Dies spielt ebenfalls eine nicht untergeordnete Rolle der Banken bei der Vergabe von Krediten. Allerdings dürfen die gewinnbringende Anlegung einer Entschädigung für ein enteignetes Grundstück und der hieraus fließende Ertrag nicht die sonst fehlende oder geminderte Eigenkapitalbildung ausgleichen.28 4. Strukturelle Auswirkungen auf den Betrieb Die Einwirkungen auf den Betrieb können einerseits durch konkreten Flächenentzug entstehen aber auch durch die Zerschneidung der betrieblichen Situation. Zudem ist jeder Betrieb anders organisiert. Daher ist eine differenzierte auf den Betrieb bezogene Betrachtung notwendig. Die landwirtschaftlichen Gutachten haben hierzu entsprechende Aussagen zu treffen. Beispielsweise kann eine dauerhafte entzogene Fläche das dort selbst erzeugte Grundfutter durch den Kauf von Ersatzfutter ausgeglichen werden. Denkbar ist auch die Umstellung von Fruchtfolgen oder sogar des gesamten Betriebes. Dem Landwirt obliegt in der Weise die Pflicht zur Schadensminderung. 5. Existenzgrenze Da von objektiven Kriterien auszugehen ist, dürfen individuelle Bedürfnisse einzelner Landwirte und auch der Umstand, dass ein Betrieb tatsächlich über längere Zeit besteht, nicht in die Betrachtung einbezogen werden.29 In der Rechtsprechung ist die Annahme einer Existenzgrenze bei ca. 25.000 Euro anerkannt, ab der von einer Gewinnschwelle gesprochen werden kann.30
___________ 28 29 30
BVerwG, Beschl. vom 31.10.1990, 4 C 25/90, Rn. 26. BVerwG, Urt. vom 21.6.2006, 9 A 28/05 (Ortsumgehung Stralsund). VGH München, Urt. vom 30.10.2007, 8 A 06.40024, Rn. 240.
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VI. Abwägung 1. Rechtfertigung Werden landwirtschaftliche Betriebe insbesondere in ihrer Existenz vernichtet, so sind alle hierzu maßgeblichen Umstände in die Abwägung einzustellen. Im Rahmen dieser Prüfung bedarf es der Überlegung, ob die für das Vorhaben sprechenden öffentlichen Belange derart gewichtig sind, dass sie das Interesse des betroffenen Landwirtes überwiegen.31 Sollte das Ergebnis lauten, der landwirtschaftliche Betrieb sei nicht existenzfähig, der Eingriff also nicht kausal für die Existenzvernichtung, kann sich die Planfeststellungsbehörde damit begnügen, den Eigentümer auf das nachfolgende Enteignungsverfahren zu verweisen. Dennoch sollte – sofern zutreffend – die Argumentation mit folgender Hilfserwägung erweitert werden: Die Entscheidung wäre auch nicht anders ausgefallen; denn die für die Planung sprechenden Belange sind derart gewichtig, dass sie auch eine Vernichtung existenzfähiger Betriebe rechtfertigen würden.32 2. Ersatzland Ob eine bestehende Existenzgefährdung abgewendet werden kann, lässt sich dem Existenzgefährdungsgutachten entnehmen. In der Regel werden – zwar nicht auf Lage und Güte einer Fläche – aber durchaus bezogen auf die Größe Vorschläge durch den Gutachter unterbreitet. Die Planfeststellungsbehörde muss sich dann Klarheit darüber verschaffen, ob durch geeignetes Ersatzland die Existenzgefährdung vermieden werden kann.33 Die Ermittlungspflicht trifft zwar in erster Linie die Planfeststellungsbehörde. Diese reicht diesen Punkt als Arbeitsauftrag regelmäßig an Antragsteller weiter. Entscheidend ist stets, dass das Ersatzlandangebot seitens des Vorhabenträgers – soweit vorhanden – verbindlich angeboten wird und dieses durch Lage, Größe und Bodenbeschaffenheit das Maß der Beeinträchtigung auszugleichen vermag.34 Hierzu reicht es nicht aus, wenn der Bürgermeister einer Gemeinde etwa erklärt, es stünden ausreichend Gemeindeflächen zur Verfügung. Etwaige
___________ 31
BVerwG, Urt. vom 14.5.1992, 4 C 9/89, Rn. 23. VGH München, Urt. vom 26.5.2000, 8 S 1525/99 (unveröffentlicht). 33 BVerwG, Urt. vom 28.1.1999, 4 A 18/98, Rn 25; Beschl. vom 11.11.2008, 9 A 52/07, 2. Leitsatz. 34 VGH Mannheim, Urt. vom 5.4.1990, 5 S 2119/89, 3. Leitsatz; BayVGH, Urt. vom 29.9.1998, 8 A 97.40042. 32
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Umstellungserschwernisse sowie Umwegeentschädigungen sind jedoch grundsätzlich im nachfolgenden Enteignungsverfahren zu klären.35 3. Inanspruchnahme für Kompensationsmaßnahmen Die zunehmende Flächeninanspruchnahme resultiert zunehmend aus den Folgen der Eingriffsregelung, den Folgen der FFH-Verträglichkeitsprüfungen sowie aus Vermeidungs- und CEF-Maßnahmen basierend auf den artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen. Während die Flächeninanspruchnahme aus Anlass des Vorhabens selbst begründet werden kann mit den für das Vorhaben sprechenden Gründen, sieht es bei der Flächeninanspruchnahme für Kompensationsmaßnahmen anders aus: In solchen Fällen bedarf es zunächst der Prüfung, ob die vorgesehenen Flächen zur Erreichung des mit ihr verfolgten naturschutzfachlichen Zwecks geeignet sind. Insoweit steht der Planfeststellungsbehörde eine sog. naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu, dessen gerichtliche Kontrolle darauf beschränkt ist, keine eigenständige Verhältnismäßigkeitskontrolle vorzunehmen sondern lediglich die behördlichen Erwägungen am Maßstab des Übermaßverbotes nachzuvollziehen.36 In einem zweiten Schritt ist sodann zu überprüfen, ob eine Flächeninanspruchnahme aus gleichem Anlass an anderer Stelle bei einer Gesamtschau einem anderen potentiell Betroffenen geringere Opfer abverlangen würde. Auf der dritten Ebene ist schließlich zu fragen, ob die mit dem Ausgleich verbundenen Nachteile nicht außer Verhältnis zum beabsichtigten Erfolg stehen. Hiernach ist „lediglich“ das Interesse an einem Ausgleich der zu kompensierenden Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft in das Verhältnis zu den Auswirkungen der Flächeninanspruchnahmen für den Betroffenen zu setzen.37 Mit anderen Worten: Nur dann, wenn der beabsichtigte Zweck ausschließlich auf der vorgesehenen Fläche umgesetzt werden kann, wäre eine Enteignung zulässig. Schließlich muss aber dafür Sorge getragen werden, dass die Schwere der Beeinträchtigung vor dem Hintergrund der sie rechtfertigenden Gründe zumutbar ist. Die Zumutbarkeitsschwelle kann indes überschritten sein, wenn durch die Ausweisung von Kompensationsmaßnahmen auf landwirtschaftlich genutzten Flächen die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen gefährdet bzw. vernichtet würde.38 ___________ 35 36 37 38
VGH München, Urt. vom 24.5.2005, 8 N 04.3217, Rn. 76. BVerwG, Urt. vom 18.3.2009, 9 A 40/07, Rn. 27 und 28. BVerwG, Urt. vom 18.3.2009, 9 A 40/04, Rn. 34. BVerwG, a.a.O., Rn. 27.
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In diesem Zusammenhang ist ebenfalls darauf hinzuweisen, dass der Betroffene aufgerufen ist, seine Belange entsprechend zu rügen; es ist also ein substantiierter Vortrag erforderlich, der sich nicht allgemein auf eine mögliche Existenzgefährdung bezieht, sondern beispielsweise auch Gesichtspunkte benennt, die die Zumutbarkeit des naturschutzrechtlichen Ausgleichskonzeptes in Zweifel ziehen könnte.39 Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgt weiter, dass der Zugriff auf privates Eigentum sich als das mildeste Mittel darzustellen hat. Hieraus folgt, dass Kompensationsflächen vorrangig auf einvernehmlich zur Verfügung gestellten Grundstücksflächen oder auf Grundstücken zu realisieren sind, die im Eigentum der öffentlichen Hand stehen.40 Die Erforderlichkeit der Inanspruchahme privater Flächen setzt zudem zwingend voraus, dass die Suche nach geeigneten Kompensationsflächen gegenüber der Planfeststellungsbehörde dokumentiert wird.41 Aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 24 VwVfG folgt, dass die Planfeststellungsbehörde sich hierüber ein geeignetes Bild verschafft, nötigenfalls bedarf es sogar eigener Ermittlungen. Denn ihr obliegt es, etwaige Mängel der Planunterlagen bzw. Dokumentationsdefizite hinsichtlich entscheidungs- und abwägungsrelevanter Tatsachen zu beheben.42 Sollte sich im Rahmen eines Erörterungstermins beispielsweise die unerwartete Verkaufsbereitschaft eines anderen Landwirtes zeigen, so wäre es hiernach abwägungsfehlerhaft, diesen Vorschlag zu ignorieren. Das Gebot der Stunde ist es jedenfalls, die angebotenen Flächen auf seine naturschutzfachliche Tauglichkeit zu überprüfen und bejahendenfalls ein Änderungsverfahren durchzuführen. Sich dem Zeitdruck mancher Vorhabensträger zu beugen, bedeutet zwangsläufig das Risiko einer erfolgreichen Klage.
VII. Verweis auf ein Flurbereinigungsverfahren Der Grundsatz der Problembewältigung gebietet es, aufkommende Probleme grundsätzlich im Planfeststellungsverfahren zu lösen. Ausnahmsweise ist es aber zulässig, auf ein nachfolgendes Flurbereinigungsverfahren zu verweisen. Dies darf aber nicht dazu führen, dass die Lösung der drängenden Probleme der Unternehmensflurbereinigung überantwortet und schlicht darauf gehofft wird, dass sie dort in ausreichendem Umfang beachtet würden.43 ___________ 39
BVerwG, Urt. vom 18.3.2009, 9 A 39/07, Rn. 88. BVerwG, Beschl. vom 11.11.2008, 9 A 52/07, Rn. 6; Beschl. vom 7.7.2010, 7 VR 2/10, 7 VR 2/10 (7 A 3/10), Rn. 27. 41 BVerwG, Urt. vom 24.3.2011, 7 A 3/10, 5. LS. 42 BVerwG, a.a.O., Rn. 85. 43 BVerwG, Urt. vom 18.12.1987, 4 C 32/84, Rn. 31. 40
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Der Verweis auf ein Flurbereinigungsverfahren wird als zulässig erachtet, wenn die Flurbereinigung im Zeitpunkt der Planfeststellung jedenfalls so weit fortgeschritten und verfestigt ist, dass an ihrer Verwirklichung und damit an der von ihr vorgesehenen Lösung der aufgeworfenen Probleme sinnvoll nicht mehr zu zweifeln ist.44 Hiervon kann ausgegangen werden, wenn beispielsweise der Flurbereinigungsplan kurz vor der Bekanntmachung steht. Im Einzelfall kann auch der Wege- und Gewässerplan als „Gerippe“ für die Neuordnung des Verfahrensgebietes genügen, oder aber dass die Flurbereinigung über hinreichend gleichwertiges Ersatzland verfügt.45 Unter welchen weiteren Umständen eine Konfliktlösung außerhalb des Planfeststellungsverfahrens hinreichend sicher beurteilt werden könnte, entzieht sich einer abstrakten Klärung und beurteilt sich nach den Gegebenheiten des Einzelfalls.46 Ein Verweis muss daher stets das Risiko des Scheiterns im Blick haben, das dem Betroffenen nicht einseitig auferlegt werden darf. Je stärker die Betroffenheiten sind, umso weniger darf sich das Risiko des Scheiterns im Zeitpunkt der Planfeststellung darstellen.47 Um letzte Risiken dennoch wirksam auszuschließen, empfiehlt es sich daher, einen Vorbehalt für den Fall vorzusehen, dass das Flurbereinigungsverfahren letztlich doch scheitern würde.48
VIII. Verlust mehrerer landwirtschaftlicher Betriebe Der Verlust eines oder auch einiger weniger landwirtschaftlicher Betriebe stellt an sich lediglich einen privaten Belang dar, der in der Abwägung durchaus leichter überwunden werden kann. Angesichts der zunehmenden Flächeninanspruchnahme insbesondere durch die Ausweisung erforderlicher Kompensationsflächen wird eine weitaus größere Zahl an landwirtschaftlichen Betrieben den Gefahren einer Existenzgefährdung bzw. -vernichtung ausgesetzt. In einem Verfahren zum Bau der Autobahnbau der A 7 im Raum Füssen kam es zu einer Existenzvernichtung von über 30 Betrieben, welche das Bundesverwaltungsgericht als einen Belang bezeichnete, der aufgrund der Quantität im öffentlichen Interesse zu berücksichtigen gewesen wäre.49 In einer anderen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts50 zum selben Ausgangsbeschluss der Regierung von Schwaben ging das Gericht bei 17 existenzbedrohten Betrieben ___________ 44 45 46 47 48 49 50
BVerwG, a.a.O., Rn. 34. BVerwG, a.a.O., Rn. 34 und 35. BVerwG, Beschl. vom 25.1.2011, 4 BN 29/10, Rn. 13. BVerwG, Urt. vom 18.12.1987, 4 C 32/84, Rn. 37. VGH Mannheim, Urt. vom 5.4.1990, 5 S 2119/89, Rn. 35. BVerwG, Beschl. vom 26.6.1990, 4 B 61/90, Rn. 10. Beschl. vom 31.10.1990, 4 C 25/90, Rn. 36.
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bereits von einem Belang aus, den die Planfeststellungsbehörde als privaten Belang nicht von vornherein hätte zurückstellen dürfen. Wo die Grenze genau verläuft, lässt sich sicher nicht schematisch festhalten. Allerdings empfiehlt es sich, bei einer beträchtlichen Anzahl von Betrieben zunächst die Auswirkung auf den Raum als solchen zumindest durch eine agrarstrukturelle Analyse, beispielsweise durch die örtlich zuständige Landwirtschaftskammer, zu ermitteln. Eine solche erste Analyse zeigt das landwirtschaftliche Konfliktpotenzial auf. Sie ist Grundlage für die Beurteilung existenzieller Auswirkungen auf die Betriebe und zeigt ggf. Lösungsansätze und Maßnahmen im Bereich des Flächenmanagements sowie der Wiederherstellung der Infrastruktur auf (z.B. Brücken, Unterquerungen, Wirtschaftswege). Dieser so ermittelte Belang sollte alsdann mit seiner „vollen Härte“ als öffentlicher Belang in die Abwägung eingestellt werden. Die für das Vorhaben sprechenden Gründe müssen dem nunmehr stärker zu gewichtendem Interesse an einer aufrecht zu erhaltenden Struktur und Funktion der Landwirtschaft standhalten.
Inhalte von planungsrechtlichen Entscheidungen im Eisenbahnrecht – Betriebsregelungen – Von Madeleine Hampel*
I. Einleitung1 Vorliegende Ausarbeitung beschäftigt sich mit der Möglichkeit betrieblicher Regelungen im Rahmen der Planfeststellung für Eisenbahnen des Bundes. Die Spielarten betrieblicher Regelungen sind so vielfältig wie die Anlässe, weshalb es einer Betriebsregelung im Eisenbahnverkehrswesen bedarf und auch die normativen Anknüpfungspunkte für eine Aufnahme in eine Planrechtsentscheidung erscheinen auf den ersten Blick mannigfaltig. Ausgehend von der Regelung in § 18 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG)2 wird im Weiteren auf einzelne Regelungen und Grundsätze des allgemeinen und besonderen Verwaltungsrechts eingegangen und dabei die aktuelle Rechtsprechung und Entwicklung im normativen Bereich herangezogen, um den Diskurs in diesem Bereich anzuregen und mit dem einen oder anderen neuen Ansatz zum Umgang mit dieser Thematik aufzuwarten.
II. Begriff der Betriebsregelung Bevor im Weiteren einzelne gesetzliche Regelungen darauf hin untersucht werden, ob sie als Grundlage für eine betriebliche Regelung in der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung dienen können, wird an dieser Stelle darauf einge___________ * Die Autorin ist Referentin im Referat „Planfeststellung, Anlagen, Arbeitsgruppe MSB“ im Eisenbahn-Bundesamt. Die Ausführungen geben die persönliche Auffassung der Autorin wieder. 1 Der vorliegenden Ausarbeitung lag ein am 8. März 2013 gehaltener Vortrag auf den 15. Speyerer Planungsrechtstagen an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer zugrunde. Der Vortrag wurde für die Veröffentlichung in dieser Publikation grundlegend überarbeitet und berücksichtigt zwischenzeitlich erfolgte Rechtsänderungen und ergangene Gerichtsurteile. 2 I. d. F. d. B. vom 27.12.1993, BGBl. I S. 2378, 2396; 1994 I S. 2439.
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gangen, was als Betriebsregelung im Zusammenhang mit einer Eisenbahnanlage in Betracht kommen kann. 1. Eisenbahnbetrieb Auf nationaler Ebene finden sich im AEG Formulierungen wie „Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen“ (u. a. in § 1 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 1 und 2 AEG), „Teilnahme am Eisenbahnbetrieb“ (z. B. §§ 31, 32 AEG), „Betreiben / Betrieb einer Eisenbahninfrastruktur“ (u. a. in § 1 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 1 und 3a, § 4 Abs. 1 Nr. 2 AEG), oder „Benutzen / Benutzung einer Eisenbahninfrastruktur“ (u. a. in § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3, § 14 Abs. 1 S. 1 AEG). Im untergesetzlichen Normbereich wird sowohl das Eisenbahninfrastrukturunternehmen als auch das Eisenbahnverkehrsunternehmen verpflichtet, vor Betriebsaufnahme einen oder mehrere Betriebsleiter zu bestellen, die – unbeschadet der Verantwortung der Unternehmen – für das sichere Betreiben der Eisenbahninfrastruktur bzw. für das sichere Erbringen der Eisenbahnverkehrsleistungen verantwortlich sind, vgl. § 1 Abs. 1 und 2 Eisenbahnbetriebsleiterverordnung3 (EBV). Des Weiteren enthält § 47 Eisenbahnbau- und -betriebsordnung4 (EBO) eine Aufzählung von sogenannten Betriebsbeamten. Dazu zählen z. B. Leiter von Bahnhöfen, Fahrdienstleiter, Zugleiter, Weichensteller und Rangierleiter, Strecken- und Schrankenwärter, Zugbegleiter, Triebfahrzeugführer, Heizer, Triebfahrzeugbegleiter usw. Im Bereich Bahnbetrieb enthält die EBO in den §§ 34 ff. zudem Bestimmungen u. a. in Bezug auf das Zusammenstellen von Zügen, die Zugfolge, Fahrgeschwindigkeiten, Rangieren von Zügen, Besetzen der Triebfahrzeuge und Züge etc. Dieser, nicht abschließende Ausschnitt aus dem nationalen Eisenbahnrecht lässt erkennen, dass Bahnbetrieb (vormals Betriebsdienst5) die Durchführung des Fahrbetriebs bei der Eisenbahn umfasst. Dabei zählen zum betrieblichen Personal nicht nur Personen, welche dem Verkehrsunternehmen, sondern auch solche, welche dem Infrastrukturunternehmen angehören. Das europäische Recht unterteilt das Eisenbahnsystem in mehrere Teilsysteme, vgl. Anhang II Nr. 1 der Richtlinie 2008/57/EG6. Im strukturellen Bereich sind das die vier Teilsysteme „Infrastruktur“, „Energie“, „Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung“ sowie „Fahrzeuge“. Der funktionelle Bereich setzt sich aus den drei Teilsystemen „Verkehrsbetrieb und Verkehrssteuerung“, „Instandhaltung“ und „Telematikanwendungen für den Personen- und Güter___________ 3
I. d. F. d. B. vom 7.7.2000, BGBl. I S. 1023. Vom 8.5.1967, BGBl. 1967 II S. 1563. 5 Schmidt, Überblick über den Betriebsdienst, 1981, S. 19. 6 Vom 17. Juni 2008 über die Interoperabilität der Eisenbahnsysteme der Gemeinschaft, Abl. EU, 18.7.2008, L 191/1. 4
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verkehr“ zusammen. Unter „Verkehrsbetrieb und Verkehrssteuerung“ werden gemäß Nr. 2.4 des Anhangs der Richtlinie 2008/57/EG „Verfahren und zugehörige Ausrüstungen, die eine kohärente Ausnützung der verschiedenen strukturellen Teilsysteme erlauben, und zwar sowohl im Normalbetrieb als auch bei Betriebsstörungen, einschließlich insbesondere der Zugbildung und Zugführung, der Planung und der Abwicklung des Verkehrsbetriebs“ sowie die „Gesamtheit der erforderlichen beruflichen Qualifikationen für die Durchführung von grenzüberschreitenden Verkehrsdiensten“ zusammengefasst. Speziellere Vorschriften über grundlegende Anforderungen an das Teilsystem „Verkehrsbetrieb und Verkehrssteuerung“ zur Gewährleistung der Interoperabilität des Eisenbahnsystems7, definieren ihren Anwendungsbereich für den Zugverkehr auf den transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsstrecken8 und den konventionellen transeuropäischen Strecken9 zudem derart, dass sie den Verkehrsbetrieb und die Verkehrssteuerung „von Infrastrukturbetreibern und Eisenbahnverkehrsunternehmen“ erfassen wollen. Mithin findet sich auch im europäischen Recht ein Hinweis darauf, dass der Eisenbahnverkehrsbetrieb zum einen die Durchführung des Zugfahrbetriebs auf der Eisenbahninfrastruktur umfasst und zum anderen sowohl vom Infrastrukturbetreiber als auch vom Eisenbahnverkehrsunternehmen die Erfüllung von bestimmten Anforderungen verlangt10. ___________ 7 Sog. „technische Spezifikation für die Interoperabilität“, die sich auf jedes der sieben Teilsysteme oder Teile davon beziehen kann (Art. 2 lit. i) der Richtlinie 2008/57/EG, FN 5). Trotz des Wortlauts müssen die Anforderungen nicht immer (bau)technischer Art sein; sie können sich auch auf Verfahrensabläufe oder die Qualifikation des Personals beziehen. Für jedes der sieben Teilsysteme hat die Europäische Union technische Spezifikationen für die Interoperabilität erlassen. 8 Nr. 2.2 im Anhang der Entscheidung der Kommission vom 1. Februar 2008 über die technische Spezifikation für die Interoperabilität des Teilsystems „Betrieb“ des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems (2008/231/EG), Abl. EU I, 26.3.2008, L 84/1. 9 Nr. 2.2 im Anhang des Beschluss der Kommission vom 12. Mai 2011 über die technische Spezifikation für die Interoperabilität zum Teilsystem „Verkehrsbetrieb und Verkehrssteuerung“ des konventionellen transeuropäischen Bahnsystems (2011/314/EU) Abl. EU II, 31.5.2011, L 144/1. 10 Die Definition des Anwendungsbereichs des Teilsystems „Betrieb“ war in der Vorgängerregelung der Entscheidung 2008/231/EG noch detaillierter. Gemäß Nr. 2 des Anhangs der Entscheidung der Kommission vom 30. Mai 2002 über die technische Spezifikation für die Interoperabilität des Teilsystems „Betrieb“ des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems (2002/734/EG), Abl. EU, 12.9.2002, L 245/370, aufgehoben durch Art. 5 der Entscheidung 2008/231/EG (FN 8), umfasste das Teilsystem Betrieb „die Elemente, die die generelle Umsetzung und den Betrieb des Systems innerhalb des eingegrenzten Bereichs Betrieb ermöglichen, nachdem einmal die technischen und funktionalen Elemente der anderen Teilsysteme festgelegt wurden“. Des Weiteren unterlag „der Betrieb eines Bahnsystems […] Bestimmungen, die die Infrastrukturbetreiber festlegen und die auch von den Eisenbahnverkehrsunternehmen zu beachten sind“. „Zu den wichtigsten betriebssicherheitsrelevanten Funktionen für die betriebliche Umsetzung des Systems gehören das Führen und Begleiten des Zugs sowie die streckenseitige Steuerung des Verkehrs.“ Diese Beschreibungen lassen vermuten, dass der euro-
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Der Eisenbahnbetrieb erfasst also das Bewegen von Eisenbahnfahrzeugen auf einer vorhandenen Eisenbahninfrastruktur. Soweit im Eisenbahnverkehr der Fahrweg aus Schienen besteht sowie Steuerungs- und Sicherungssysteme für dessen Nutzung von Nöten sind und die darauf fahrenden Eisenbahnfahrzeuge spurgeführt11 sind, bedarf es dazu des Zusammenwirkens von Infrastrukturbetreiber und Verkehrsunternehmen. Aus diesem Grund richten sowohl der nationale als auch der europäische Normgeber Anforderungen bezüglich des Eisenbahnbetriebs an den Infrastrukturbetreiber und das Eisenbahnverkehrsunternehmen. 2. Betriebsregelnde Maßnahmen Eine betriebsregelnde Maßnahme, die das Zusammenspiel von Infrastrukturbetreiber und dem Eisenbahnverkehrsunternehmen verdeutlicht, ist die Einrichtung einer Langsamfahrstelle. Dazu wird auf einem bestimmten Streckenabschnitt die Streckengeschwindigkeit vorübergehend herabgesetzt. Ein Hintergrund für deren Einrichtung kann sein, dass es auf der Strecke einen Oberbaumangel gibt und die Züge den betroffenen Streckenabschnitt bis zur Behebung des Mangels mit geringerer Geschwindigkeit befahren sollen. Eine Langsamfahrstelle kann auch angeordnet werden, wenn eine Straßenunterführung errichtet wird und im Zusammenhang damit eine Behelfsbrücke erstellt wird, über die der Zugverkehr mit gemäßigter Geschwindigkeit fahren soll. Jede Eisenbahnstrecke wird für eine bestimmte Geschwindigkeit gebaut. Grundsätzlich ergibt sich die Höhe der Geschwindigkeit damit aus dem baulichen Soll-Zustand der Strecke und hängt vom Streckenradius, von der Gleisneigung, von den Sichtverhältnissen u. ä. ab. Eine Signalisierung wird daneben nur eingerichtet, wenn eine Geschwindigkeitsbegrenzung nach unten vorzunehmen ist. Mit welcher Geschwindigkeit eine Strecke der Eisenbahn des Bundes grundsätzlich befahren werden darf, ergibt sich für den Streckennutzer bei Betrieb der Strecke aus dem sog. „Verzeichnis der Geschwindigkeiten (VzG)“, welches die DB Netz AG als Infrastrukturbetreiberin einmal jährlich erstellt. Daraus wird durch das Verkehrsunternehmen für den Triebfahrzeugführer (TzF) ebenfalls einmal jährlich der sog. „Buchfahrplan“ erstellt, aus dem sich nicht nur die strecken-, sondern auch die zuggebundene Geschwindigkeit ergibt. Kommt es ___________ päische Normgeber den Betrieb als etwas begriff, was nach der (bau)technischen Errichtung der Infrastruktur einsetzt und das Zusammenspiel von Prozessen verlangt, welche im Verantwortungsbereich nicht nur des Verkehrsunternehmens, sondern auch des Infrastrukturbetreibers liegen. 11 Eine empfehlenswerte Einführung über die Spurführung der Eisenbahn findet sich in Morgenschweis u.a., Bauarten des Oberbaus, 1979, S. 169 f.
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zu einem Oberbaumangel und der Notwendigkeit einer Langsamfahrstelle wird das im sog. „Verzeichnis der Langsamfahrstellen“ vermerkt. Dieses wird alle 14 Tage von der DB Netz AG neu aufgelegt und an die einzelnen Verkehrsunternehmen verteilt, die es ihren Triebfahrzeugführern aushändigen. Tritt der Oberbaumangel akut auf, verschickt die DB Netz AG Telegramme an alle Verkehrsunternehmen, welche die Strecke nutzen. Zudem wird in allen Fällen eine entsprechende Langsamfahrsignalisierung eingerichtet. Eine andere betriebsregelnde Maßnahme ist die Streckensperrung oder Gleissperrung. Dabei wird ein Streckenabschnitt, d. h. das Haupt- und das Gegengleis, bzw. ein Gleisabschnitt für den Zugverkehr gesperrt. Ist die Streckenoder Gleissperrung von kurzfristiger Dauer, z. B. eine halbe Stunde, wird der Zug für die Dauer der Sperrung am rückliegenden Hauptsignal gestellt. Das kommt z. B. bei Inspektionen an Weichen im Fahrweg vor. Solche kurzfristigen Sperrungen teilt der Fahrdienstleiter, welcher der DB Netz AG und mithin der Infrastrukturbetreiberin angehört, mittels Signalisierung den Triebfahrzeugführern, welche zum Personal des Verkehrsunternehmens gehören, mit. Dauert die Sperrung länger, wird der Verkehr entweder über eine Ausweichstrecke umgeleitet, d. h. dort erhöht sich die Zugtaktung, oder es wird Schienenersatzverkehr eingerichtet. Das kommt z. B. bei einem Unfall auf dem Streckenabschnitt oder bei Streckensperrungen wegen Baumaßnahmen in Betracht. Längerfristige Sperrungen werden so geplant, dass die Zugläufe über andere Strecken verlaufen und es wird ein Sonderfahrplan erstellt. Auch hier läuft der Kommunikationsstrang über die DB Netz AG an das Verkehrsunternehmen und von dort an die Triebfahrzeugführer. Letzterer fährt die Ausweichstrecke, falls diese eingerichtet ist. Andernfalls muss das Verkehrsunternehmen, i. d. R. für den Personennahverkehr, Schienenersatzverkehr einrichten. Betriebsregelnde Maßnahmen sind mithin Eingriffe in den bereits regulär stattfindenden oder geplanten Eisenbahnbetrieb. Sie können erforderlich werden aufgrund von Bauarbeiten oder Wartungsarbeiten, eines nicht regelkonformen Verhaltens des Betriebspersonals oder aufgrund eines unvorhergesehenen Fahrgastverhaltens. Als betriebsregelnde Maßnahmen kommen neben den o. g. Maßnahmen des Weiteren die Begrenzung der Fahrtenfrequenz auf der Schiene, die Beschränkung der Anzahl von Güterzügen oder Geschwindigkeitsbegrenzungen in Betracht12. Dazu zählen auch die Erhöhung der Streckengeschwindigkeit oder der Einsatz zusätzlicher Züge13.
___________ 12
Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl., 2003, § 10 VII Rn. 288. Blümel, VerwArch 83 (1992), 147 (163); vgl. auch Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 268. 13
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III. Grundsätze der Planfeststellung Die Grundsätze der Planfeststellung sind in den §§ 72 ff. Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)14 geregelt. Durch die Planfeststellung sollen komplexe, raumbedeutsame Vorhaben15 unter Berücksichtigung aller von ihm berührten öffentlichen und privaten Belange bewältigt werden, § 75 Abs. 1 S. 1 HS 1 VwVfG. Sämtliche öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Träger des Vorhabens, den öffentlichen Rechtsträgern und den durch den Plan in privaten und öffentlichen Belangen Betroffenen werden durch die Planfeststellung rechtsgestaltend geregelt16, § 75 Abs. 1 S. 2 VwVfG. Dazu ist der Planfeststellungsbehörde ein planerischer Gestaltungsspielraum17 eingeräumt. Die Planfeststellung ersetzt alle an sich für das konkrete Vorhaben erforderlichen behördlichen Entscheidungen, § 75 Abs. 1 S. 1 HS 2 VwVfG. Unter Berücksichtigung seiner Bedeutung u. a. für die öffentliche Daseinsvorsorge und den von ihm beanspruchten Raum erfordern die Vorhaben eine die Interessen der Betroffenen und der berührten öffentlichen Belange ausgleichende Entscheidung im Rahmen eines Planfeststellungsverfahren.18 Der Beschluss hat in Übereinstimmung mit dem materiellen Recht zu ergehen.19 Ist danach Raum für planerische Gestaltungsfreiheit (Planungsermessen), sollen die betroffenen Regelungen nach Möglichkeit in einem einheitlichen und umfassenden Akt der Abwägung miteinander und gegeneinander zum Ausgleich gebracht werden.20 Das von der Rechtsprechung entwickelte und in § 18 Abs. 1 S. 2 AEG verankerte Abwägungsgebot zeichnet sich zuvor dadurch aus, dass eine Abwägung überhaupt stattfindet, eine vollständige Zusammenstellung des Abwägungsmaterials erfolgt und die relevanten Belange gewichtet und in ihrer Bedeutung nicht verkannt werden.21 Die durch das Vorhaben unmittelbar und ___________ 14
I. d. F. d. B. vom 23.1.2003, BGBl. I S. 102. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 72 Rn. 10; Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 72 Rn. 3; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2010, § 72 Rn. 2; vgl. auch Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 12. 16 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 75 Rn. 1; Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 75 Rn. 20. 17 BVerwG, Urt. vom 14.12.1979 – IV C 10/.77, juris Rn. 19; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 74 Rn. 15; Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 75 Rn. 9. 18 Vgl. auch Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 1. 19 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 74 Rn. 16; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2010, § 74 Rn. 28. Vgl. auch Wahl/Hönig, NVwZ 2006, 161 (164). 20 BVerwG, Urt. vom 14.12.1979 – IV C 10/.77, juris Rn. 23; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 74 Rn. 16; Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 74 Rn. 54; Siegmund, in: Brandt/Sachs, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozessrecht, 3. Aufl. 2008, C Rn. 29. 21 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 74 Rn. 99; Kämper, in Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2010, § 74 Rn. 68, 69. 15
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mittelbar aufgeworfenen Probleme sollen bewältigt werden (Grundsatz der Konfliktbewältigung) und auf die schutzwürdigen Belange soll je nach ihrem Gewicht Rücksicht genommen werden (Rücksichtnahmegebot), so dass ein inhaltlich ausgewogener Plan entsteht22. Aufgrund seines Gegenstandes enthält die Planfeststellung in erster Linie eine Raumnutzungsentscheidung23. Über den festgestellten Plan hinaus umfasst der Beschluss die Entscheidung über unerledigte Einwendungen, § 74 Abs. 2 S. 1 VwVfG. Er hat sicher zu stellen, dass Auswirkungen des Vorhabens, die zwingend vermieden werden müssen, weil sie in der Abwägung nicht überwindbar sind, durch Schutzauflagen und Schutzvorkehrungen gemäß § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG geregelt werden24. Allerdings ist die Regelung des § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG erst einschlägig, wenn die Voraussetzungen von zu beachtenden zwingenden Vorschriften (wie z. B. § 41 Abs. 1 BImSchG25) nicht vorliegen. Die Planfeststellung beschreibt mithin nicht nur das förmliche Verwaltungsverfahren sondern auch die Zulassung eines raumbedeutsamen Vorhabens. Sie zeichnet sich durch einen planerischen Gestaltungsspielraum aus, um die vom Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange berücksichtigen und zum Ausgleich bringen zu können. er Beschluss hat in Übereinstimmung mit dem materiellen Recht zu ergehen. Neben der Umsetzung von materiellrechtlichen Vorgaben können auch Schutzvorkehrungen aufgrund von § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG oder als Ergebnis der Abwägung festgesetzt werden.
IV. Die Ermächtigungsgrundlagen für die Planfeststellung im Fachplanungsrecht Die Rechtsgrundlage für die Planfeststellung im Eisenbahnrecht findet sich in § 18 AEG. Der Wortlaut bestimmt, dass der Bau und die Änderung von Betriebsanlagen der Eisenbahn des Bundes, einschließlich der Bahnstromfernleitungen, der Planfeststellung bedürfen. Die Genehmigungsbedürftigkeit des Betriebes ist in der Norm ausdrücklich nicht genannt. Deshalb wird in diesem Zusammenhang auch von der „Bauplanfeststellung“26 gesprochen. ___________ 22
Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 74 Rn. 95. Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2010, § 72 Rn 7; vgl. auch Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 4. 24 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 74 Rn. 141. 25 BVerwG, Urt. vom 9.2.1995 – 4 C 26/93, juris Ls 2 und Rn. 18 ff.; Siegmund, in: Brandt/Sachs, C Rn. 42; Halama, VBlBW 2006, 132 (133) m.w.N.; Schulze-Fielitz, DÖV 2001, 181 (184). 26 Blümel, VerwArch 83 (1992), 147 (149) m.w.N. 23
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Der Regelungsumfang in den Fachplanungsgesetzen für andere raumbedeutsame Vorhaben ist nicht einheitlich. Zum einen gibt es Gesetze, die neben der Planfeststellungsbedürftigkeit für den Bau und die Änderung von Anlagen des Weiteren die Genehmigung für den Betrieb dieser Anlagen vorsehen. So ist z. B. im Luftverkehrsrecht für Flughäfen in §§ 8 ff. Luftverkehrsgesetz (LuftVG)27 die Planfeststellung und in § 6 LuftVG die luftverkehrsrechtliche Genehmigung geregelt. Zum anderen finden sich Gesetze, welche ein Planfeststellungsverfahren explizit nicht nur für die Errichtung und die Änderung, sondern auch für den Betrieb von Anlagen vorsehen. Zu nennen sind z. B. der § 35 Abs. 2 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG)28 für Deponien und der § 9b Abs. 1 Atomgesetz (AtG)29 für atomare Endlager. Nur noch bei Bundeswasserstraßen gem. § 14 Abs. 1 S. 1 Bundeswasserstraßengesetz (WaStrG)30 und Bundesfernstraßen, dort § 17 S. 1 Bundesfernstraßengesetz (FStrG)31, bezieht sich die Planfeststellungsbedürftigkeit ausschließlich auf den Ausbau, Neubau oder die Beseitigung bzw. den Bau und die Änderung der jeweiligen Anlage.
V. Andere Rechtsgrundlagen Soweit § 18 AEG ausdrücklich nicht den Betrieb von Bahnanlagen für planfeststellungsbedürftig erklärt, können möglicherweise andere normative Grundlagen herangezogen werden, mithilfe derer betriebliche Regelungen in einer Planrechtsentscheidung verankert werden können. Ein Anknüpfungspunkt ist, wer Adressat einer Planrechtsentscheidung gem. § 18 AEG sein und durch sie verpflichtet werden kann. Wenn die Rechtsfolgenseite ausschließlich die Entscheidung über den Bau oder die Änderung gem. § 18 AEG umfasst, ist nicht ausgeschlossen, dass nicht in Nebenbestimmungen betriebliche Regelungen möglich sind, weil ohne sie die Genehmigung über den Bau oder die Änderung der Eisenbahnanlage nicht erteilt werden kann. Zu guter Letzt ist der Frage nachzugehen, ob das Planfeststellungsverfahren überhaupt das richtige Verfahren ist, um Sachverhalte des Betriebes zu regeln, oder ob es nicht andere Verwaltungsverfahren gibt, nach welchen Betriebsregelungen für Eisenbahnanlagen festgelegt werden können und die dafür besser geeignet sind.
___________ 27 28 29 30 31
I. d. F. d. B. vom 10.5.2007, BGBl. I S. 698. I. d. F. d. B. vom 24.2.2012, BGBl. I S. 212. I. d. F. d. B. vom 15.7.1985, BGBl. I S. 1565. I. d. F. d. B. vom 23.5.2007, BGBl. I S. 962; 2008 I S. 1980. I. d. F. d. B. vom 28.6.2007, BGBl. I S. 1206.
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1. Vorhabenträger Der Begriff Vorhabenträger ist sowohl im VwVfG als auch im AEG zu finden. Gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 VwVfG hat der Träger des Vorhabens den Plan der Anhörungsbehörde zur Durchführung des Anhörungsverfahrens einzureichen. Die Planfeststellungsbehörde hat gem. § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG dem Träger des Vorhabens Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen. Der Planfeststellungsbeschluss und die Plangenehmigung sind gem. § 18b Nr. 5 AEG dem Träger des Vorhabens zuzustellen. Der Träger des Vorhabens kann gem. § 18c Nr. 1 AEG einen Antrag auf Verlängerung des Plans stellen. In der Praxis des Eisenbahn-Bundesamtes ist Antragsteller und Adressat einer Planrechtsentscheidung regelmäßig die DB Netz AG, die DB Station&Service AG oder die DB Energie GmbH. Die DB Netz AG beauftragt dabei in der Regel die DB ProjektBau GmbH mit dem Planungs- und Bauverfahren. Diese tritt als Bauherr nach außen und mit Vollmacht der DB Netz AG auf. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer Entscheidung32 ausgeführt, dass sich aus dem jeweiligen fachplanerischen Regelungssystem ergibt, wer Vorhabenträger ist. Soweit der Antrag auf Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses darauf gerichtet ist, Rechte und Pflichten des Adressaten zu regeln, muss zwischen dem Antragsteller und dem Adressaten des Planfeststellungsbeschlusses Deckungsgleichheit bestehen. Der Kreis der Adressaten und damit der möglichen Antragsteller wird durch § 18 AEG insoweit eingeschränkt, als sich der Planfeststellungsbeschluss auf Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes bezieht. Vorhabenträger ist deshalb eine Eisenbahn i. S. des § 2 Abs. 1 AEG und damit entweder ein Eisenbahnverkehrsunternehmen oder ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen33. Das BVerwG bestimmt durch seinen undifferenzierten Bezug auf § 2 Abs. 1 AEG also auch das Eisenbahnverkehrsunternehmen zum Vorhabenträger. Dieses betreibt mit seinen Fahrzeugen unstrittig Eisenbahnverkehr, weshalb Betriebsregelungen gegenüber dem Verkehrsunternehmen denkbar sind. Allerdings nimmt das BVerwG auch den Regelungsgegenstand des Planfeststellungsbeschlusses in Bezug. Der § 18 S. 1 AEG stellt auf eine Betriebsanlage der Eisenbahn und damit auf eine Eisenbahninfrastruktur ab. So führt dann auch das BVerwG in seiner Entscheidung weiter aus, dass auf die planfestgestellten Anlagen ein dauerhafter Zugriff bestehen muss, um die Einhaltung der
___________ 32 33
Beschl. vom 25.7.2007 – 9 VR 19/07, juris Rn. 6. Ebd.
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im Planfeststellungsbeschluss enthaltenen Pflichten, insbes. von Schutzvorkehrungen zugunsten Dritter, sicherstellen zu können.34 Zur Eisenbahninfrastruktur gehören gem. § 2 Abs. 3 AEG Betriebsanlagen der Eisenbahn35, einschl. der Bahnstromfernleitungen. Die Aufzählung in § 2 Abs. 3 AEG ist wortidentisch mit derjenigen des § 18 AEG. Was zu einer Betriebsanlage einer Eisenbahn i. S. des § 18 AEG zählt, ist § 4 Abs. 1 EBO zu entnehmen36. Dazu zählen die Grundstücke, Bauwerke und sonstigen ortsfesten Einrichtungen der Eisenbahn, soweit sie unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zur Abwicklung oder Sicherung des Reise- oder Güterverkehrs auf der Schiene erforderlich sind, § 4 Abs. 1 S. 1 EBO. Der Schienenweg umfasst dabei neben dem Fahrweg auch die Steuerungs- und Sicherungssysteme des Fahrweges. Des Weiteren gehören dazu gem. § 4 Abs. 1 S. 2 und 3 EBO Nebenbetriebsanlagen und sonstige Anlagen der Eisenbahn, die das Be- und Entladen sowie den Zu- und Abgang ermöglichen oder fördern und Bahnanlagen der Bahnhöfe, der freien Strecke und sonstige Bahnanlagen37. Fahrzeuge gehören nicht zu den Bahnanlagen, § 4 Abs. 1 S. 4 EBO. Fraglich ist, ob ein Eisenbahnverkehrsunternehmen dauerhaften Zugriff auf die Infrastruktur hat. Gemäß § 2 Abs. 1 AEG erbringt das Eisenbahnverkehrsunternehmen Eisenbahnverkehrsleistungen. Es stellt gem. § 2 Abs. 2 AEG die Beförderung von Personen und Gütern auf der Eisenbahninfrastruktur durch ihm zur Verfügung stehende Fahrzeuge sicher. Für diese Tätigkeit kann es die Infrastruktur benutzen und hat gegenüber dem Infrastrukturbetreiber einen Anspruch auf Zulassung zur Benutzung der Infrastruktur. Die Voraussetzungen für den Zugang zum Netz der Deutschen Bahn AG richten sich nach den von der DB Netz AG jährlich neu herausgegebenen Nutzungsbedingungen38, welche ___________ 34
Ebd. Zu den Unterschieden zwischen dem umfassenderen Begriff der „Eisenbahninfrastruktur“ i. S. des § 2 Abs. 3 AEG zur „Betriebsanlage der Eisenbahn“ i. S. des § 18 AEG s. Kunz, Eisenbahnrecht, Loseblattsammlung, A 4.1, § 2 AEG Rn. 5 ff. sowie BT Drs. 12/4609 (neu), S. 100, 94. 36 Zu den Einzelheiten, dass der Begriff der Betriebsanlage der Eisenbahn dem Begriff der Bahnanlage entspricht vgl. Kunz, Eisenbahnrecht, Loseblattsammlung, A.11.1, Zu § 4 Abs. 1 EBO, S. 65. 37 Eine nicht abschließende Aufzählung von Eisenbahnbetriebsanlagen findet sich in der Planfeststellungsrichtlinie des Eisenbahn-Bundesamtes, Ausgabe 01/2012, Anhang 2 Nr. 1 (S. 81 ff.) unter: http://www.eba.bund.de/SharedDocs/-Publikationen/DE/PF/Planfeststellung/23_pf_richtlinien.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (8.12.2013). 38 Es ist zwischen den Schienennetz-Benutzungsbedingungen http://fahrweg.dbnetze.com/fahrweg-de/start/nutzungsbedingungen/snb/nutzungsbedingungen/snb/ (8.12.13) und den Nutzungsbedingungen für Serviceeinrichtungen http://fahrweg.dbnetze.com/fahrweg-de/start/nutzungsbedingungen/nbs/ (8.12.2013) zu unterscheiden. 35
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die DB Netz AG ihren Nutzungsverträge39 mit den einzelnen Eisenbahnverkehrsunternehmen zugrunde legt. Das Eisenbahnverkehrsunternehmen benutzt die Infrastruktur im Rahmen dieser vertraglichen Vorgaben und hat mithin Zugang und Nutzungsrechte nur insoweit, wie es im Vertrag mit der DB Netz AG bestimmt ist. Daneben ist sein Zugang von der Taktung anderer Züge auf dem Streckenabschnitt abhängig. Ist die Strecke mit einem anderen Zug belegt, besteht aufgrund des spurgeführten Verkehrssystems keine Möglichkeit, die betroffene Strecke mit eigenen Fahrzeugen zu befahren. Beides steht einem jederzeit möglichen und dauerhaften Zugriff auf die Infrastruktur entgegen. Des Weiteren ist auch nicht ersichtlich, weshalb ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, das ausschließlich Beförderungsleistungen mit ihm zur Verfügung stehenden Fahrzeugen anbietet, verpflichtet sein soll, Schutzvorkehrungen zugunsten Dritter, die wegen Beeinträchtigungen aus der Infrastruktur ergangen sind, umzusetzen. Ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen ist demgegenüber eine Eisenbahn, die gem. § 2 Abs. 1 AEG eine Eisenbahninfrastruktur betreibt. Das AEG unterscheidet zwischen Eisenbahninfrastrukturunternehmen, die Schienenwege betreiben (§ 2 Abs. 3a AEG)40, die eine Serviceeinrichtung betreiben (§ 2 Abs. 3c AEG) oder die sonstige Eisenbahninfrastruktureinrichtungen betreiben (§ 9 Abs. 1e S. 2 AEG). Gemäß § 2 Abs. 3a AEG umfasst das Betreiben von Schienenwegen deren Betrieb, Bau und Unterhaltung. Das liegt nahe, dass das „Betreiben“ einer Infrastruktur also den Betrieb, den Bau und die Unterhaltung der Eisenbahninfrastruktur beinhaltet. Mithin ist Aufgabe des Eisenbahninfrastrukturunternehmens die Bereitstellung und Bereithaltung der Infrastruktur damit Eisenbahnverkehrsunternehmen sie benutzen können. Damit geht einher, dass das Unternehmen dauerhaft auf die Infrastruktur zugreifen kann und muss. Zudem kann es durch diese Zugriffsmöglichkeit gewährleisten, dass Schutzvorkehrungen aus dem Planfeststellungsbeschluss gegenüber Dritten, die aus dem Vorhandensein der Infrastruktur herrühren, umgesetzt werden. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass das Eisenbahninfrastrukturunternehmen, welches Betriebsanlagen der Eisenbahn errichtet, betreibt und unterhält, Adressat eines Planfeststellungsbeschlusses ist und im Rahmen dessen berechtigt und ___________ 39
Die DB Netz AG schließt mit zugangsberechtigten Eisenbahnverkehrsunternehmen zum einen den Grundsatz-Infrastrukturnutzungsvertrag (Grundsatz-INV) und zum anderen einen Einzelnutzungsvertrag ab. Der Grundsatz-INV gilt sowohl für die Schienenwege als auch für die Serviceeinrichtungen http://fahrweg.dbnetze.com/ file/2761428/data/snb_2013_anlage_2.2.1.pdf“ snb_2013_anlage_2.2.1.pdf (8.12.2012), s. § 1 Abs. 1 Grundsatz-INV, und ist Bestandteil der Einzelnutzungsverträge über die jeweilige Nutzung des Schienenweges bzw. der Serviceeinrichtung, s. § 1 Abs. 2 Grundsatz-INV. 40 Der Betreiber der Schienenwege stellt einen Unterfall des Eisenbahninfrastrukturunternehmens dar.
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verpflichtet werden kann. Das heißt eine sogenannte „Betriebsregelung“ kann sich immer nur auf das Betreiben der Infrastruktur beziehen. Sie kann i. R. eines Planfeststellungsbeschlusses jedoch nicht gegenüber einem Eisenbahnverkehrsunternehmen zur Gestaltung des Betriebs von Fahrzeugen ergehen. Mithin kann Vorhabenträger nur ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen sein. 2. § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG Wenn sich in § 18 AEG ausdrücklich nichts zum Betrieb findet, dann ist nicht ausgeschlossen, dass über flankierende Vorschriften des Planfeststellungsrechts Betriebsregelungen im Planfeststellungsbeschluss aufgenommen werden können. Eine solche Regelung ist der § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG. Danach hat die Planfeststellungsbehörde dem Vorhabenträger Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind. Die Vorkehrungen und die Anlagen sind das wichtigste Mittel der Planfeststellungsbehörde, um einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen herbeizuführen41. Es geht also um Schutzvorkehrungen, die zur Vermeidung unzumutbarer Folgen des Vorhabens und der damit verbundenen Situationsveränderungen erforderlich sind42. Ihre Festlegung erfolgt vorgelagert vor solchen Vorkehrungen, die im Rahmen der Abwägung getroffen werden43. Die Schutzvorkehrungen des § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG finden sich als Nebenbestimmungen im Planfeststellungsbeschluss wieder44, soweit sie nicht bereits in den eingereichten Planunterlagen vorgesehen sind45. Sie können sich auf das planfestzustellende Vorhaben oder auf die betroffene Umgebung beziehen46. Adressat dieser Schutzvorkehrungen im Planfeststellungsbeschluss ist der Träger des Vorhabens. Anders als bei § 18 AEG, welcher der Behörde nur die Pflicht zur Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens für den Bau und die Änderung von Eisenbahnbetriebsanlagen auferlegt, wird die Planfeststel___________ 41 BT Drs 7/910, S. 89 (zu § 70 Abs. 2 S. 2 der Entwurfsfassung des VwVfG vom 18.7.1973, die wortidentisch mit § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG in der heutigen Fassung ist). 42 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 74 Rn. 141. 43 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 74 Rn. 141. 44 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 74 Rn. 142; Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 74 Rn. 168. 45 Vgl. auch Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, § 74 Rn. 42. 46 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 74 Rn. 143.
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lungsbehörde darüber hinaus in § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, die aus Anlass des Vorhabens zu bewältigen sind. Der Begriff „Anlagen“ ist weit auszulegen und umfasst laut Begründung zum VwVfG47 alles, „was geeignet ist, die Auswirkungen des Vorhabens auf Belange der Allgemeinheit oder Rechte Dritter aufzuheben oder zu vermindern“. Von der Rechtsprechung wird er dahingehend konkretisiert, dass davon das gesamte Spektrum der in Betracht kommenden sachdienlichen Maßnahmen erfasst ist48. Anlagen sind bauliche oder technische Anlagen, wie z. B. Lärmschutzwände, -wälle, Tunnel und Schutzpflanzungen49. Dazu gehören auch Ersatzwege oder neue Zufahrten, wenn vorhandene Verbindungen durch die Neuplanung unterbrochen werden50. Diesbezügliche Nebenbestimmungen beschränken sich auf die Errichtung und Unterhaltung solcher Anlagen und sind insoweit ausschließlich baulicher Art. Als Grundlage für eine betriebliche Regelung scheidet diese Fallgruppe des § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG daher aus. Unter Vorkehrungen werden hingegen alle sonstigen Maßnahmen zum Schutz vor Beeinträchtigungen Dritter subsumiert51. Demnach könnten aufgrund dieser Fallgruppe Vorgaben im Planfeststellungsbeschluss gemacht werden, die das Betreiben der Eisenbahninfrastruktur betreffen. Dazu führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass aufgrund von § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG auch betriebsregelnde Maßnahmen zulässig sind52. Allerdings gilt das nur, wenn diese vom Vorhabenträger gegenüber den Anlagennutzern in rechtlich zulässiger Weise durchgesetzt werden können53. In allen Fällen lagen dem Bundesverwaltungsgericht Beschlüsse über Verkehrsflughäfen zur Entscheidung vor. Die Fachplanung für die Benutzung des Luftraums zeichnet sich dadurch aus, dass sie zwischen der Planfeststellung für die Errichtung und Änderung von Flughäfen und der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung unterscheidet54. Konkret ging es in den Fällen um Schutzmaß___________ 47
BT Drs. 7/910, S. 89. BVerwG, Urt. vom 30.5.1984 – 4 C 58.81, juris Rn. 58 m.w.N.; Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89, juris Rn. 190. 49 Krappel, DVBl 2012, 674 (674 m.w.N.). Bezogen auch auf Vorkehrungen Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 74 Rn. 143, 145; Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 74 Rn. 169; Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, § 74 Rn. 43, 44. 50 BT Drs. 7/910, S. 89. 51 Krappel, DVBl 2012, 674 (674 m.w.N.). 52 BVerwG, Urt. vom 30.5.1984 – 4 C 58.81, juris Rn. 58; Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89, juris Rn. 190, 191; Urt. vom 27.10.1998 – 11 A 1/97, juris Rn. 97; Urt. vom 5.12.1986 – 4 C 13/85, juris Rn. 174. 53 Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89, juris Rn. 189. 54 s. o. unter IV. 48
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nahmen aus Gründen des Lärmschutzes, wie z. B. ein Nachtflugverbot, um Beschränkungen für den Flugverkehr am Wochenende und an Feiertagen etc.55. Die Entscheidungen56 leiten die Schutzmaßnahmen aus § 9 Abs. 2 LuftVG i. V. m. der dem § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG entsprechenden Regelung des Landesrechts ab57. Deshalb gibt es Stimmen, die darauf hinweisen, dass aufgrund von § 9 Abs. 2 LuftVG die Besonderheit herrscht, dass die Planfeststellung zwar anlagenbezogen ist, jedoch mit einer nicht nur den Bau, sondern auch den Betrieb betreffenden Genehmigung gekoppelt ist, weshalb Betriebsregelungen und -beschränkungen in die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung aufgenommen werden können58. Der Gesetzgeber hat Ende 1993 mit Einführung von § 8 Abs. 4 S. 1 LuftVG59 auch ausdrücklich die Besonderheit in der luftverkehrsrechtlichen Fachplanung normiert, dass betriebliche Regelungen Gegenstand der Planfeststellung sein können. Daraus leitet die nach 1993 ergangene Entscheidung des BVerwG ab60, dass betriebliche Regelungen nur insoweit Gegenstand der Planfeststellung sein können, wenn diese auch – bei einem vorausgelagerten Genehmigungsverfahren – bereits von der Genehmigungsbehörde zu treffen sind und damit grundsätzlich nicht planfestgestellt werden. Das lässt vermuten, dass vor dem Hintergrund des neu eingeführten § 8 Abs. 4 S. 1 LuftVG das BVerwG betriebliche Regelungen dann nicht als Gegenstand der Planfeststellung abgearbeitet wissen möchte, wenn sie in einem vorangegangenen luftverkehrsrechtlichen Genehmigungsverfahren abgehandelt wurden. Änderungen von in luftverkehrsrechtlichen Planfeststellungsbeschlüssen getroffenen betrieblicher Regelungen bedürfen des Weiteren gem. § 8 Abs. 4 S. 2 LuftVG nur einer Regelung entsprechend § 6 Abs. 4 S. 2 LuftVG und damit lediglich einer Änderung durch die luftverkehrsrechtliche Genehmigung. Aufgrund der Regelung in § 8 Abs. 4 S. 2 i. V. m. § 6 Abs. 4 S. 2 LuftVG kann mithin von einem Planänderungsverfahren abgesehen werden61. Das LuftVG sieht also vor, dass der Betrieb einer Flughafenanlage auch Gegenstand in der Planfeststellung sein kann und dass in Planfeststellungsbeschlüssen getroffene ___________ 55
Vgl. Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89, juris Rn. 191, 209. Bis auf das Urteil des BVerwG vom 5.12.1986 – 4 C 13/85, juris Rn. 174. 57 BVerwG, Urt. vom 30.5.1984 – 4 C 58.81, juris Rn. 58; Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89, juris Rn. 189; Urt. vom 27.10.1998 – 11 A 1/97, juris Rn. 97. 58 Dürr, in: Knack/Henneke, VwVfG, 9. Aufl. 2010, Vor § 72 Rn. 18; Blümel, VerwArch 83 (1992), 147 (155). 59 Durch Art. 4 Nr. 1d des Gesetzes zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege, i. d. F. d. B. vom 17.12.1993, BGBl. I S. 2123 (2128). 60 Urt. vom 27.10.1998 – 11 A 1/97, juris Rn. 97. 61 BT Drs. 12/4328, S. 22. So auch Ziekow, VerwArch 2008, 559 (562, 572 f.). A. A. von Feldmann/Groth, NVwZ 2004, 1173 (1173), wonach es daneben auch einer Änderung des Planfeststellungsbeschlusses gem. § 8 Abs. 1 S. 1 LuftVG bedarf. 56
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betriebliche Regelungen durch die luftverkehrsrechtliche Genehmigung abgeändert werden können. Ob vor dem Hintergrund der Regelung im LuftVG die o. g. Rechtsprechung auf eisenbahnrechtliche Planfeststellungen übertragen werden kann, ist nicht ohne Weiteres ersichtlich. Nach einer Ansicht62 schließt der Wortlaut von § 18 AEG Betriebsregelungen aus, weil Gegenstand der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung ausdrücklich nur der Bau oder die Änderung, nicht aber der Betrieb der Anlage ist. Soweit also zusätzlich zur allgemeinen Regelung des § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG keine spezielle Regelung in einem Fachplanungsgesetz hinzutritt, können demzufolge keine Betriebsregelungen als Schutzvorkehrung in eine eisenbahnrechtliche Planfeststellung aufgenommen werden. Nach einer anderen Meinung63 ist die Anordnung betriebsbezogener Maßnahmen aufgrund von § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Betrieb der Anlage Gegenstand der Planfeststellung (wie in § 8 Abs. 4 LuftVG) ist. Zum Wohl der Allgemeinheit und von Rechten anderer darf der erforderliche Schutz aus § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG auch durch Vorkehrungen betrieblicher Art vorgesehen werden. Zum einen gibt es das rein praktische Problem, dass Betriebsweisen des Eisenbahninfrastrukturunternehmens, welches den Schienenweg betreibt, nicht Gegenstand der Antragstellung und damit der eingereichten Unterlagen in einem Verfahren nach § 18 AEG sind. Das Betriebsprogramm des Vorhabenträgers für den Schienenweg ist Gegenstand der Planfeststellungsunterlagen ohne allerdings mit dem Beschluss genehmigt zu werden. Das Betriebsprogramm liegt lediglich der Lärmberechnung zugrunde, weil anhand des zu erwartenden Verkehrsaufkommens auf der Schiene, die zu erwartende Lärmbeeinträchtigung berechnet wird, um bei Überschreitungen ggf. Schallschutzmaßnahmen gem. §§ 41, 42 BImSchG i. V. m. 16. BImSchV im Beschluss festsetzen zu können. Nicht zu vernachlässigen ist auch der Umstand, dass es sich bei einem Schienenweg um ein linienförmiges Vorhaben handelt. Ein Flughafen stellt hingegen eine Anlage dar, welche räumlich auf einen Standort konzentriert ist. Auch, wenn die Belastungen der Nachbarschaft weiträumig sind, so sind sie im Unterschied zu der Eisenbahnanlage an einem Ort durch startende und landen___________ 62 Dürr, in: Knack/Henneke, VwVfG, 9. Aufl. 2010, Vor § 72 Rn. 10; Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 74 Rn. 155, 169; Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 268; Michler, VblBW 1998, 201 (209); Steenhoff, DVBl 1996, 1236 (1241); Schulze-Fielitz DÖV 2001, 181 (185). 63 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 74 Rn. 143. Wobei Bezug genommen wird auf den in Fn. 107 angeführten und unten unter E. IV. dargestellten Beschluss des BVerwG vom 24.1.2012 – 7 VR 13.11.
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de Flugzeuge gebunden64. Der Verkehr auf einer Eisenbahnanlage ist hingegen nicht auf einen Punkt beschränkt, so dass die Verkehrsgeräusche nicht an einen abgrenzbaren einzelnen Ort entstehen. Vielmehr bewegt sich der Lärm mit den Fahrzeugen mit und entsteht fahrzeuggebunden. Zum anderen ist Ausgangspunkt der Überlegung des BVerwG, dass dem Vorhabenträger solche betriebsregelnden Maßnahmen auferlegt werden können, welche er gegenüber den Flughafenbenutzern (den Fluggesellschaften) in rechtlicher zulässiger Weise durchzusetzen vermag. Statt der Einschränkung des Flugbetriebs durch eine dinglich wirkende Begrenzung durch Festlegungen zur zulässigen Art der Benutzung oder zur Flugkapazität hält es das BVerwG für geboten, statt dessen weniger einschneidend vorzugehen, und dem Flughafenbetreiber einzelne betriebsregelnde Maßnahmen aufzuerlegen und ihn damit anzuhalten, die für den Flughafenbenutzer verbindliche Benutzungsverordnung demgemäß auszugestalten65. Geeignet ist z. B. eine mögliche (indirekte) Steuerung des Flugbetriebes durch die Staffelung der Benutzungsgebühren, etwa nach Lautstärke der startenden und landenden Luftfahrzeuge, solange dadurch keine Kapazitätsbeschränkung erfolgt66. Dazu zählen z. B. Nachtflugregelungen. Als Infrastrukturbetreiberin und damit als diejenige, welche den Eisenbahnverkehrsunternehmen die Betriebsanlage der Eisenbahn zur Verfügung stellt, hat – zumindest für den Sektor der Eisenbahnen des Bundes – die DB Netz AG über die jährlich neu erscheinenden Nutzungsbedingungen67 sowie durch die Nutzungsverträge68 mit den einzelnen Eisenbahnverkehrsunternehmen die Möglichkeit auf die Eisenbahnverkehrsunternehmen als Anlagennutzer einzuwirken. Die Nutzungsbedingungen regeln den Zugang zu den Schienenwegen und Serviceeinrichtungen und deren Benutzung durch die zugangsberechtigten Eisenbahnverkehrsunternehmen. In der Anlage 1.669 zu den SchienennetzBenutzungsbedingungen finden sich u. a. Regelungen bei normaler Betriebsabwicklung (Nr. 3.4), Regelungen für Störungen in der Betriebsabwicklung (Störungen im Zugbetrieb, Unregelmäßigkeiten bei Bauarbeiten u. ä.; Nr. 3.5). Der Grundsatz-Infrastrukturnutzungsvertrag70 macht die Nutzungsbedingungen zum Vertragsbestandteil71, so dass in Bezug darauf privatrechtliche Vereinba___________ 64
von Feldmann/Groth NVwZ 2004, 1173, (1176). Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89, juris Rn. 190. 66 Ebd. Rn. 191. 67 s. o. Fn. 39. 68 s. o. Fn. 40. 69 http://fahrweg.dbnetze.com/file/2360610/data/snb_2013_anlage_16.pdf (8.12.13). 70 s. Fn. 39. 71 § 2 Abs. 1 S. 1 des Grundsatz-INV für die Schienenwege und § 2 Abs. 1 S. 2 des Grundsatz-INV für die Serviceeinrichtungen (Fn. 39). 65
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rungen zwischen der Infrastrukturbetreiberin DB Netz AG und den Eisenbahnverkehrsunternehmen vorliegen. Damit steht der Infrastrukturbetreiberin eine Möglichkeit zur Umsetzung betrieblicher Regelungen auf privatrechtlicher Ebene zur Verfügung. Eine Entscheidung über privatrechtliche Titel, wie aus vertraglichen oder dinglichen Ansprüchen, kommt aber nur dann in Betracht, wenn sich die Planrechtsentscheidung auf diese Titel auswirkt. Bleiben sie unberührt, bedarf es keiner Entscheidung; werden sie dagegen betroffen, werden diese Titel in der Regel ausgeklammert und der privatrechtlichen Entscheidung vorbehalten72. Soweit es also mit den Nutzungsbedingungen und den Nutzungsverträgen privatrechtliche Vereinbarungen gibt, welche den Zugang und die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur regeln, ist für diesen Fall keine Übertragung von betrieblichen Maßnahmen vom Anlagenbetreiber auf den Anlagennutzer durch eine Regelung in der Planrechtsentscheidung erforderlich. Damit korrespondiert, dass die Planfeststellung nur die öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Vorhabenträgern und den vom Plan Betroffenen gem. § 75 Abs. 1 S. 2 VwVfG regeln will, nicht jedoch die privatrechtlichen Beziehungen. Entgegenstehende private Rechte sind vor der Ausführung des Vorhabens gütlich (oder in einem Enteignungsverfahren) zu beseitigen73. Für die Aufstellung, Neufassung und Änderung der Nutzungsbedingungen hat sich die DB Netz AG an den §§ 14 ff. AEG und §§ 4 ff. der Eisenbahninfrastrukturbenutzungsverordnung (EIBV)74 zu orientieren. Hier ist fraglich, inwieweit Abänderung der Nutzungsbedingungen durch den Vorhabenträger aus Gründen des Lärmschutzes und gegenüber dem zugangsberechtigten Eisenbahnverkehrsunternehmen überhaupt vorgenommen werden können, ohne das es als Zugangsbeschränkung verstanden wird und den Grundlagen der §§ 14 ff. AEG oder der EIBV widerspricht. Zumal der Zugang zum Eisenbahnnetz einem grundsätzlichen Kapazitätsvorbehalt unterliegt75. Seit dem 1. Dezember 2006 obliegt es zudem der Bundesnetzagentur gem. § 4 Abs. 1 BEVVG i. V. m. § 14 f Abs. 1 S. 2 AEG die Nutzungsbedingungen zu überprüfen und ggf. abzuändern. Insoweit liegt es nahe, dass die Zuständigkeit der als Regulierungsbehörde auftretenden Bundesnetzagentur die Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde über Zugangs- und Nutzungsbedingungen in einem Planfeststellungsbeschluss zu entscheiden, ausschließt. Denkbar ist auch, dass die Lärmreduzierung durch eine Staffelung der Trassenpreise einer anderen Regelungsebene vorbehalten bleiben muss. So bedurfte ___________ 72 73 74 75
Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 74 Rn. 140. BT Drs. 7/910, S. 89 f. I. d. F. d. B. vom 3.6.2005, BGBl. I S. 1566. König/Hentschel, N&R 2006, 65 (65).
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das am 9. Dezember 2012 eingeführte Lärmabhängige Trassenpreissystem (LaTPS) für Schienengüterverkehr nicht nur der vertraglichen Einführung einer Preisdifferenz für laute und leise Güterzugfahrten seitens der DB Netz AG gegenüber den die Güterwagen verwendenden Eisenbahnverkehrsunternehmen, sondern darüber hinaus auch für Fahrzeuge mit leisen Bremsen (sog. Flüsterbremsen) einer am 5. Juli 2011 zwischen der DB AG und dem BMVBS abgeschlossene Grundsatzvereinbarung sowie einer vom BMVBS am 7. November 2012 bekannt gemachten und an die Wagenhalter adressierte Förderrichtlinie „Lärmabhängiges Trassenpreissystem“76, zu welchem wiederum die Europäische Kommission im Dezember 2012 die beihilferechtliche Genehmigung zu erteilen hatte. Als Ergebnis kann also festgehalten werden, dass es denkbar ist, dass Vorkehrungen betrieblicher Art aufgrund von § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG in Planrechtsentscheidungen aufgenommen werden können. Die dazu anhand des Luftverkehrsrechts entwickelte Rechtsprechung ist auf die eisenbahnrechtliche Planfeststellung aber nicht übertragbar. Soweit Vorkehrungen betrieblicher Art zwischen der Betreiberin der Eisenbahninfrastruktur und den Eisenbahnverkehrsunternehmen bereits privatrechtlich geregelt sind, bedarf es dazu keiner Regelung in einer Planrechtsentscheidung mehr. 3. § 41 BImSchG Gemäß § 41 BImSchG ist bei dem Bau oder der wesentlichen Änderung von Eisenbahnen sicherzustellen, dass durch diese keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Möglicherweise kann also zum Zwecke der Vermeidung von Verkehrslärm, der als schädlich eingestuft wird, eine betriebliche Regelung in die Planrechtsentscheidung aufgenommen werden. Das liegt dann nicht fern, wenn unter das „Sicherstellen“ oder das „Vermeiden“ betriebliche Regelungen subsumiert werden können. Der § 41 BImSchG regelt das einzuhaltende Schutzniveau bei der Herstellung von – nicht zu den Anlagen i. S. des BImSchG gehörenden (§ 3 Abs. 5 Nr. 3) – öffentlichen Verkehrsanlagen. Er greift ein, wenn durch eine bauliche Maßnahme am Schienenweg ein zusätzliches Verkehrsaufkommen auf dem Schienenweg77 erzeugt wird und als dessen Folge Verkehrsgeräusche in einem ___________ 76
http://www.bmvbs.de/cae/servlet/contentblob/97592/publicationFile/70793/foerde rrichtlinie-trassenpreissystem.pdf (10.12.2013). 77 Unter den Begriff Schienenweg i. S. des § 41 BImSchG fällt nur die Gleisanlage mit ihrem Unter- und Überbau einschl. der Oberleitungen. Damit ist er enger als der Begriff der Betriebsanlage der Eisenbahn i. S. d. AEG, der neben dem Schienenweg noch andere Anlagen erfasst, wie z. B. Bahnstromfernleitungen, Bahnsteige etc. Dazu aus-
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Gebiet geschaffen oder erhöht werden78, welche die in der 16. BImSchV konkretisierte Erheblichkeitsschwelle überschreiten. § 41 BImSchG richtet sich als Grundpflicht an denjenigen, der den Schienenweg errichtet79. D. h. von der Regelung sind nicht Eisenbahnfahrzeuge und die sie betreibenden Eisenbahnverkehrsunternehmen, sondern der Vorhabenträger und der Betreiber des Verkehrsweges, also das Eisenbahninfrastrukturunternehmen betroffen. Die Norm ist nicht an die Planfeststellungsbehörde adressiert80, so dass die Pflicht aus § 41 BImSchG unabhängig von der Durchführung eines etwaigen Planfeststellungsverfahrens besteht. Im Rahmen ihrer Planfeststellungstätigkeit ist die Behörde an diese Vorschrift gebunden. Es soll nur vor solchen Verkehrsgeräuschen geschützt werden, welche durch die Nutzung des Verkehrsweges entstehen81. Darunter fallen die Geräusche, die ein Schienenfahrzeug durch das Befahren des Schienenweges erzeugt82. Das Vermeiden im Sinne von § 41 BImSchG meint das Reduzieren von Emissionen und Immissionen83. Im 4stufigen System des Verkehrslärmschutzes84 sind Vermeidungsmaßnahmen i. S. des § 41 Abs. 1 BImSchG grundsätzlich Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes85. Darunter fallen bauliche Maßnahmen am Verkehrsweg selbst86, wie z. B. die Tieferlegung oder Einhausung von Verkehrswegen, oder bauliche Maßnahmen auf dem Ausbreitungsweg, wie z. B. Lärmschutzeinrichtungen in Form von Schallschutzwänden oder -wällen. Fraglich ist, ob Vorkehrungen zur Ausgestaltung des Verkehrsweges auch anderer als baulicher Art sein können. Diese Überlegung liegt nahe, weil solche Vermeidungsmaßnahmen umzusetzen sind, welche nach dem Stand der Technik möglich sind. Dieser umfasst gem. § 3 Abs. 6 BImSchG den „Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen“. Indem auf Betriebsweisen abgestellt wird, könnten danach auch betriebliche Maßnahmen als Vermeidungsmaßnahmen i. S. d. § 41 BImSchG in Betracht ___________ führlicher statt aller Jarass, BImSchG, 9. Aufl. 2012, § 41 Rn. 16 f. 78 Jarass, BImSchG, 9. Aufl. 2012, § 41 Rn. 3. 79 Ebd. Rn. 17. 80 Ebd. 81 Ebd. Rn. 28; GK-BImSchG Schulze-Fielitz, Loseblatt, § 41 Rn. 45. 82 GK-BImSchG Schulze-Fielitz, § 41 Rn. 45. 83 Jarass, BImSchG, 9. Aufl. 2012, § 41 Rn. 43. 84 Ausführlicher dazu Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 4 Rn. 29 m.w.N.; Erbguth/Schlacke, Umweltrecht, 3. Aufl. 2010, Rn. 37; Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 74 Rn. 178 ff. 85 Jarass, BImSchG, 9. Aufl. 2012, § 41 Rn. 43; GK-BImSchG Schulze-Fielitz § 41 Rn. 63; Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 3 Rn. 24. 86 GK-BImSchG Schulze-Fielitz § 41 Rn. 63.
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kommen87. Andererseits bezieht sich der Wortlaut auf Maßnahmen „nach dem Stand der Technik“88, was darauf hindeuten könnte, dass dem ein technisches Element immanent ist. Der Verkehrsbetrieb oder betriebliche Maßnahmen würden dann deshalb rausfallen, weil sie mit der (technischen) Ausgestaltung des Verkehrsweges nichts zu tun haben. Die Definition „Stand der Technik“ in § 3 Abs. 6 BImSchG wurde 2001 in Anlehnung an den Begriff der „besten verfügbaren Techniken“ aus Art. 2 Nr. 12 der Richtlinie 2008/1/EG89 neu gefasst90. Darunter fallen Techniken, welche angewandte Technologien sowie die Art und Weise umfassen, wie die Anlage geplant, gebaut, gewartet, betrieben und stillgelegt wird. Darunter sollen nicht nur technische Maßnahmen im engeren Sinne fallen, sondern sämtliche Arbeitsweisen im Anlagenbetrieb, insbesondere auch die Betriebsorganisation und Ausbildung des Personals, und die für Anlagen einer bestimmten Art bedeutsam sind. Im Regelungssystem des BImSchG ist der § 3 Abs. 6 im allgemeinen Teil und der § 41 im besonderen Teil des BImSchG geregelt. Unter Berücksichtigung dessen, dass die speziellere Regelung einer allgemeinen Regelung vorgeht, kann die Anwendung des § 3 Abs. 6 BImSchG nur soweit reichen, wie § 41 BImSchG auf der Tatbestandsseite den Anwendungsrahmen vorgibt. Der § 41 BImSchG ist anzuwenden, wenn Verkehrswege gebaut oder wesentlich geändert werden. Mithin können Vermeidungsmaßnahmen, welche am Stand der Technik zu messende Technologien und Arbeitsweisen umfassen, rechtsfolgenseitig nur solche sein, die bei der Bauplanung und Bauausführung der neu zu bauenden oder zu ändernden Verkehrsweg angewandt werden können. Der § 41 BImSchG setzt auf der Tatbestandsseite ausdrücklich nicht den Betrieb des Verkehrsweges als regelungsrelevant voraus. Es ist zudem einhellige Ansicht, dass eine Änderung des Eisenbahnbetriebs, z. B. durch verkehrslenkende bzw. verkehrsregelnde Maßnahmen, mit der Folge von verkehrsbedingten Lärmerhöhungen keine wesentliche bauliche Änderung i. S. des § 41 Abs. 1 BImSchG darstellt91. Das unterscheidet ihn von der Regelung in § 6 Abs. 4 S. 2 i. V. m. Abs. 2 S. 1 LuftVG, wonach bei der wesentlichen Änderung des Betriebes des Flughafens der Schutz vor Fluglärm angemessen zu berücksichtigen ist. Wenn aber ein Regelungsfall für den Verkehrsbetrieb über § 41 BImSchG ___________ 87
So Krappel, DVBl 2012, 674 (677); Klinger, UPR 2003, 342 (345). GK-BImSchG Schulze-Fielitz § 41 Rn. 64 ohne das genauer auszuführen. 89 Des Europäischen Parlaments und des Rates „Über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung“ vom 15.1.2008, Abl. EU, 29.1.2008, L 24/8. Vormals Art. 2 Nr. 11 der Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24.9.1996, Abl. EU, 10.10.1996, L 257/26. 90 BT Drs. 14/4599, S. 125; Jarass, BImSchG, 9. Aufl. 2012, § 3 Rn. 93. 91 Insoweit übereinstimmend Michler, VBlBW 1998, 201 (202). Engelhardt/Schlicht, BImSchG, 4. Aufl. 1997, § 41 Rn. 7. 88
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nicht eröffnet wird92, dann ist der Stand der Technik bezogen auf Betriebsweisen auch nicht auf den Prüfstand zu stellen und in entsprechende betriebliche lärmmindernde Vermeidungsmaßnahmen umzusetzen. Der Stand der Technik i. S. des § 3 Abs. 6 BImSchG ist bei der Festlegung von Vermeidungsmaßnahmen gem. § 41 Abs. 1 BImSchG also einschränkend heranzuziehen. Er kann nicht ohne weiteres dafür herhalten, um betriebliche Maßnahmen für den Verkehrsweg zu implementieren. Unabhängig davon wird der Ansicht, welche verkehrslenkende und verkehrsregelnde Maßnahmen aufgrund des § 41 BImSchG mit Hinweis darauf ausschließt, dass der Bau und die wesentliche (bauliche) Änderung von Verkehrswegen nur bauliche Vermeidungsmaßnahmen nach sich ziehen kann93, entgegengehalten, dass die Vermeidungsmaßnahme „bei“ Bau nicht aber „durch“ Bau- oder Änderungsmaßnahmen zur gewährleisten ist94. Der fehlende Begriff „Betrieb“ weist nur darauf hin, dass § 41 keine Dauerpflicht enthält, die auch während des Betriebes eingehalten werden muss95. Im Übrigen könnten Baupflichten ohne Berücksichtigung des Betriebes nicht bestimmt werden.96 Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass hier zwei Punkte kollidieren. Auf der einen Seite gibt es den rechtlichen Grundsatz, dass § 41 BImSchG allein im Zeitpunkt des Baus oder der wesentlichen Änderung des Verkehrsweges eingreift und keine Dauerverpflichtung begründet. Auf der anderen Seite ist dem tatsächlichen Umstand Rechnung zu tragen, dass Verkehrsgeräusche ausschließlich bei der Benutzung des Verkehrsweges, also während des Betriebes, entstehen und der Verkehrsweg dauerhaft betrieben wird. Dass § 41 BImSchG nicht als Dauerpflicht ausgestaltet ist, führt dazu, dass er nur beim Bau oder der wesentlichen Änderung des Verkehrsweges, nicht aber auch für die Folgezeit seiner Nutzung einschlägig ist97. Deshalb fallen lärmverstärkende Maßnahmen, die nur als Erhaltungs- oder Unterhaltungsmaßnahme einzuordnen sind, nicht in den Anwendungsbereich der Norm. Dazu passt, dass die Verpflichtung aus § 41 BImSchG mit der Inbetriebnahme des neuen oder geänderten Verkehrsweges und nicht zu einem späteren Zeitpunkt ___________ 92
So auch Blümel, VerwArch 83 (1992), 146 (162 f.). Blümel, VerwArch 83 (1992), 146 (162 f.); GK-BImSchG Schulze-Fielitz § 41 Rn. 64. 94 Jarass, BImSchG, 9. Aufl. 2012, § 41 Rn. 47; ders., UPR 1998, 415 (419); Klinger, UPR 2003, 342 (345). 95 Jarass, BImSchG, 9. Aufl. 2012, § 41 Rn. 47. I. E. auch Schulte, ZUR 2002, 195 (197); Jarass, UPR 1998, 415 (415). 96 Ebd. für betriebsregelnde Maßnahmen sprechen sich auch aus Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2013, § 10 VII Rn. 288. 97 Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 4 Rn. 70; BVerwG, Urt. vom 12.4.2000 – 11 A 18/98, juris Rn. 109 ff. = BVerwGE 111, 108 (120). 93
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einsetzt. Das wird durch die Rechtsprechung dahingehend konkretisiert, als das „bei der Planfeststellung (...) sicherzustellen (ist), dass zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme des (...) Schienenweges die (...) berechneten Beurteilungspegel (...) die Immissionsgrenzwerte (der 16. BImSchV) nicht überschreiten“98. D. h. die Verpflichtung des Vorhabenträgers ist in diesem Zeitpunkt endgültig und abschließend zu erfüllen und soll nicht auf später verschoben werden. Dann muss aber auch die Maßnahme eine sein, die zu diesem Zeitpunkt abschließend umgesetzt werden kann. Mit der Errichtung einer Lärmschutzwand wird der Vermeidungspflicht nachgekommen. Die Festsetzung der Lärmschutzwand ist eine bauliche Maßnahme, die zwar beim Betreiben der Infrastruktur relevant wird, weil sie den Schienenverkehrslärm dauerhaft abschirmt. Mit ihrer Errichtung kommt der Vorhabenträger seiner Verpflichtung aus § 41 BImSchG aber bereits abschließend nach. Auch anderen in der Planrechtsentscheidung getroffenen baulichen Maßnahmen ist immanent, dass sie einmalig durchzuführen sind und mit ihrer baulichen Ausführung die Vermeidungspflicht endgültig im Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Schienenweges umsetzen. Wenn bauliche Maßnahmen den Anforderungen des § 41 BImSchG genügen, bedeutet das nicht, dass das ohne weiteres auf betriebliche Maßnahmen übertragbar ist. Soweit der § 41 BImSchG keine Dauerverpflichtung konstituiert, ist es schwer nachvollziehbar, auf seiner Grundlage für die Dauer des Betriebes des Verkehrsweges lärmmindernde betriebliche Maßnahmen im Planfeststellungsbeschluss zu verankern. Diesen Maßnahmen ist immanent, dass sie erst nach der Errichtung oder wesentlichen Änderung, also beim Betreiben der Infrastruktur relevant werden und im Kern auf den Verkehrsbetrieb abzielen. Lärmmindernde betriebliche Maßnahmen sind zudem nicht nur einmalig und endgültig bei der Aufnahme des Betriebes auszuführen. Wenn gem. § 41 BImSchG die Vermeidungspflicht bereits mit der Errichtung des neuen oder geänderten Verkehrsweges abschließend zu erfüllen ist, dann kann das nicht für betriebliche Regelungen gelten, weil mit der Aufnahme des Betriebes diese Pflicht gerade nicht ihr Ende findet, sondern einen Anfang nimmt und auf unbestimmte Zeit dauerhaft einzuhalten ist. Abschließend ist festzuhalten, dass Festlegungen aufgrund von § 41 Abs. 1 BImSchG sich nur auf Maßnahmen beziehen, die baulich verwirklicht werden können. Nur diese sind im Zeitpunkt der Inbetriebnahme endgültig und abschließend umsetzbar und werden dadurch der Rechtsnatur des § 41 BImSchG, welcher keine Dauerverpflichtung für den Zeitraum nach der Inbetriebnahme statuiert, gerecht. Als Rechtsgrundlage für lärmmindernde betriebliche Maß___________ 98 BVerwG, Urt. vom 5.3.1997 – 11 A 25/95, juris LS Nr. 3 = BVerwGE 104, 123 (123, 144).
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nahmen ist er hingegen wenig geeignet. Zuzugeben ist, dass der Betrieb des zukünftigen Verkehrsweges auch die Baupflichten des Vorhabenträgers bestimmt. Aber eben nur diese Baupflichten können im Rahmen der Erteilung des Baurechts sinnvollerweise festgesetzt werden. 4. Abwägungsgebot Die Planrechtsentscheidung unterliegt auch im Eisenbahnrecht dem Abwägungsgebot. Danach sind die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Dazu ist es geboten, dass eine Abwägung überhaupt stattfindet, in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge eingestellt werden muss, und weder die Bedeutung der öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, der zu der objektiven Gewichtung einzelner Belange außer Verhältnis steht99. Ergebnis der Abwägung kann sein, dass Belange zurücktreten müssen oder Vorkehrungen zu erlassen sind. Danach ist es denkbar, dass wenigstens über das Abwägungsgebot einzelne betriebliche Regelungen als Schutzvorkehrungen festgesetzt werden können, wenn nur so die Abgewogenheit des Vorhabens hergestellt werden kann. Das OVG Bremen100 stellt in einer Entscheidung zur Trasse HannoverBremerhaven fest, dass es grundsätzlich dem Betreiber der öffentlichen Einrichtung obliegt, auf welche Weise er die Lärmminderung erreicht. Das Gericht hält sowohl betriebliche als auch bauliche Vorkehrungen für zulässig. Führen betriebliche Vorkehrungen zur Lärmminderung allerdings zu einer Beeinträchtigung der Funktion des Schienenweges (oder sind bauliche Vorkehrungen mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden), dann hat der Lärmbetroffene nur einen Anspruch auf Geldersatz für passive Schallschutzmaßnahmen. Als aktive betriebliche Vorkehrungen wurden die Herabsetzung der Zuggeschwindigkeiten und die Verringerung der Anzahl nachts verkehrender Züge in die Abwägung eingestellt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass diese Maßnahmen erhebliche negative Auswirkungen haben, weil sie die Schnelligkeit des Schienenverkehrs gravierend beeinträchtigen. Die Schnelligkeit ist von zentraler Bedeutung für die Konkurrenz zu anderen Verkehrsmitteln. Zudem besteht am wirtschaftlichen Betrieb des Schienenverkehrs ein öffentliches Interesse. Durch Geschwindigkeitsbegrenzungen und Reduzierung der Zugzahl würden zum einen die Systemleistung und die Wirtschaftlichkeit des Schienenverkehrs ernsthaft in Frage gestellt. Zum anderen wird dadurch die Verlagerung ___________ 99 100
BVerwG, Urt. vom 14.2.1975 – 4 C 21.74, juris Rn. 38 = BVerwGE 48, 56 (63). Urt. vom 19.1.1993 – 1 BA 11/92, juris Rn. 51 ff.
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auf den Verkehrsträger Straße bewirkt, was wiederum dort die Umweltbelastungen erhöht und damit auch unter dem Blickpunkt des Immissionsschutzes sinnwidrig wäre. Deswegen ist der Anliegerschutz vor Lärm nicht durch aktive betriebliche Regelungen, sondern durch die Entschädigung für passive Lärmschutzmaßnahmen zu gewährleisten101. Das Niedersächsische OVG102 spricht sich ebenfalls im Rahmen einer eisenbahnrechtlichen Planfeststellung zum Ausbau der S-Bahn Hannover für den Eisenbahnbetrieb regelnde Festsetzungen in Form von Geschwindigkeitsbeschränkungen für bestimmte Streckenabschnitte aus Gründen des Lärmschutzes aus103. Verkehrsregelnde Maßnahmen dieser Art kommen aber dann nicht in Betracht, wenn dadurch die Attraktivität des Schienenverkehrs gegenüber anderen, konkurrierenden Verkehrsmitteln und damit der Zweck des Ausbaus, ein schnelleres und effektiveres System des öffentlichen Personenverkehrs zu schaffen, in Frage gestellt werde. Auch der Bayerische VGH104 hat – für die Ausbaustrecke AugsburgMünchen – eine Geschwindigkeitsbeschränkung und die Festlegung einer maximal zulässigen Streckenbelastung mit dem Hinweis auf die schwerwiegende Beeinträchtigung der Funktion des Schienenweges abgelehnt. Das Gericht stellt darauf ab, dass durch die Geschwindigkeitsbeschränkung die Schnelligkeit des Schienenverkehrs und damit der wesentliche Faktor der Konkurrenz zu anderen Verkehrsmitteln beeinträchtigt werden. Zugzahlbegrenzungen würden zudem zu einer Verknappung des Zugangebots führen und dadurch die Attraktivität des Verkehrsmittels reduzieren. Der Bayerische VGH räumt also dem öffentlichen Interesse sowohl an einem wirtschaftlichen als auch an einem uneingeschränkten Betrieb des Schienenverkehrs den Vorrang ein. Für die Ausbaustrecke Uelzen-Stendal ließ das BVerwG105 offen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Anordnung einer Geschwin___________ 101 Dem BVerwG lag der Fall im Rahmen einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision vor. Es erklärte die Frage, ob Geschwindigkeitsbegrenzungen als Lärmminderungsmaßnahmen bei der Bahn aus Konkurrenzgründen grundsätzlich nicht in Betracht kommen können zu einer Tatfrage. Damit ließ das BVerwG sowohl die rechtliche Bewertung offen als auch die Revision nicht zu. Vgl. Beschluss vom 27.12.1993 – 7 B 121/9, juris Rn. 12. 102 Urt. vom 21.10.1998 – 7 K 3659/96 – juris Rn. 30. 103 Dabei bezieht sich das Gericht auf BVerwG, Urt. vom 5.12.1986 – 4 C 13/85, juris LS Nr. 12. In dem angeführten Leitsatz stellt das BVerwG ausdrücklich darauf ab, dass ein luftverkehrsrechtlicher Planfeststellungsbeschluss auch betriebsbezogene Regelungen enthalten darf (hier: Nachtflugverbot). Durch die ausdrückliche Einschränkung ist eine Übertragung dieses Leitsatzes auf andere als luftverkehrsrechtliche Fachplanungen wie oben unter E. II. dargestellt m. E. nicht möglich. 104 Urt. vom 15.1.2001 – 20 A 99.40024, juris Rn. 109, 110. 105 Urt. vom 27.10.1999 – 11 A 1/99, juris Rn. 20.
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digkeitsbegrenzung auf maximal 25 km/h im Bahnhofsbereich als betriebliche Regelung überhaupt Gegenstand einer eisenbahnrechtlichen Planfeststellung ist. Es stellte aber fest, dass die Belange des Betroffenen bis zu einer endgültigen Entscheidung über die Lärmschutzfrage hinreichend gewahrt sind, wenn bei der Inbetriebnahme der ausgebauten Strecke der Vorhabenträger vorerst gehalten ist, durch betriebliche Maßnahmen die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV sicherzustellen. In seiner aktuellsten Entscheidung zur Ausbaustrecke Oldenburg-Wilhelmshaven hält es das BVerwG106 aus Gründen des anliegerbezogenen Lärmschutzes bei einem auf die gesamte Strecke bezogenen einheitlichen Ausbaukonzept unter Gleichheitsaspekten bei einer zeitversetzten Planung und Errichtung in Abschnitten für geboten, einen auf die Übergangszeit bezogenen Lärmschutz – mittels Betriebszeitenregelung oder Geschwindigkeitsbeschränkungen – zu erwägen. Zusammengefasst ist festzuhalten, dass betriebliche Regelungen aus Gründen des anliegerbezogenen Lärmschutzes nicht von vornherein ausgeschlossen sind. Sie treten nur immer dann im Rahmen der Abwägung zurück, wenn dadurch die Funktion des Schienenweges und damit das öffentliche Interesse sowohl an einem wirtschaftlichen als auch an einem uneingeschränkten Betrieb des Schienenverkehrs erheblich beeinträchtigt sind. Der Betroffene ist in diesen Fällen auf Ersatzzahlungen für passive Schallschutzmaßnahmen beschränkt. Die Festsetzung von Betriebsregelungen ist aber dann denkbar, wenn für eine Übergangszeit – bis zur vollständigen Umsetzung der (baulichen) Lärmschutzmaßnahmen oder Fertigstellung aller Abschnitte einer Ausbaustrecke – der Lärmschutz der Anlieger sicherzustellen ist. Mithin besteht kein Anspruch auf dauerhafte, sondern allenfalls auf temporäre betriebliche Vorkehrungen und dann ausschließlich aus Gründen des Lärmschutzes. 5. Andere Vorschriften Bei den oben untersuchten Vorschriften und Grundsätzen handelt es sich um solche, welche typischerweise den Inhalt von Planrechtsentscheidungen ausmachen. Ihnen ist gemein, dass sie – neben einer Vielzahl von anderen Vorschriften und Grundsätzen – zwingend aufgrund normativer Vorgaben des Fachplanungsrechts oder im Wege der Abwägung in die Entscheidung einzustellen sind. Es sind aber auch andere normative Regelungen außerhalb des eisenbahnrechtlichen Fachplanungsrechts zu finden, welche Vorgaben für Genehmigungsverfahren in Bezug auf das Betreiben einer Eisenbahnbetriebsanlage treffen. Soweit diese abschließend sind, können sie einen Rückgriff auf § 18 AEG für die Berücksichtigung betrieblicher Regelungen ausschließen. ___________ 106 Beschl. vom 24.1.2012 – 7 VR 13.1, juris Rn. 16. Befürwortet durch Rubel, DBVl 2013, 469 (471), wenn es auf begründete Ausnahmefälle beschränkt bleibt.
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a) Genehmigung gemäß § 6 AEG In § 6 AEG sind die Voraussetzungen für die Aufnahme und Beendigung des Betriebs einer öffentlichen Eisenbahn geregelt. Danach bedarf ein Eisenbahnverkehrsunternehmen für das Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen, ein Halter von Eisenbahnfahrzeugen für die selbständige Teilnahme am Eisenbahnbetrieb sowie ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen oder Betreiber des Schienenweges für das Betreiben von Schienenwegen, Steuerungs- und Sicherungssystemen oder Bahnsteigen einer Genehmigung, vgl. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 und Abs. 3 AEG. Auf den ersten Blick liegt es nahe, dass über die in dieser Norm vorgesehene Genehmigung betriebliche Vorgaben gegenüber dem als Eisenbahninfrastrukturunternehmen auftretenden Vorhabenträger erlassen werden können. Als speziellere Vorschrift könnte sie dadurch einen Rückgriff auf die Planrechtsentscheidung nach § 18 AEG für solcherart Vorgaben entbehrlich machen. Auf den zweiten Blick stellt sich aber heraus, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung eine gewerberechtliche Genehmigung implementiert hat, um nach der Öffnung der Schienennetze für jedermann den Zugang zum Verkehrsgewerbe einheitlich zu regeln107. Indem die Tätigkeit als Eisenbahnunternehmen unter einen Erlaubnisvorbehalt gestellt wird, sollen sichere und zuverlässige Verkehrsangebote im Eisenbahnsektor sicher gestellt werden108. Grundlage der behördlichen Prüfung für die Erteilung der Betreibergenehmigung sind deshalb gem. § 6 Abs. 2 AEG die Zuverlässigkeit, finanzielle Leistungsfähigkeit und Fachkunde des Antragstellers als Unternehmer, welche eine sichere Betriebsführung gewährleisten sollen. Es müssen ausschließlich personenbezogene subjektive und nicht auch sachgebundene Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sein. Durch die Verknüpfung dieser subjektiven Voraussetzungen mit der Genehmigung für eine bestimmte Eisenbahninfrastruktur nach § 6 Abs. 3 Nr. 3 AEG wird jedenfalls weder nur der Betrieb einer bestimmten Anlage noch die Eröffnung des Betriebes der Anlage genehmigt109. Mithin regelt § 6 AEG nicht, wie ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen seine Infrastruktur im Einzelnen zu betreiben hat, sondern nur, ob das Eisenbahninfrastrukturunternehmen überhaupt das Gewerbe eines Eisenbahninfrastrukturbetreibers für eine bestimmte Eisenbahninfrastruktur ausüben darf. Aus ___________ 107 BT Drs. 12/4609 (neu), S. 97; Suckale, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEGKommentar, 1. Aufl. 2006, § 6 Rn. 1; Kunz, Eisenbahnrecht, Loseblattsammlung, A 4.1 § 6 AEG Rn. 1; Kramer, Das Recht der Eisenbahninfrastruktur, 2002, S. 177 f.; Ehricke, N&R 2010, 158 (160). 108 Suckale, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 1. Aufl. 2006, § 6 Rn. 3; Kunz, Eisenbahnrecht, Loseblattsammlung, A 4.1 § 6 AEG Rn. 2; Kramer, Das Recht der Eisenbahninfrastruktur, 2002, S. 178. 109 Kramer, Das Recht der Eisenbahninfrastruktur, 2002, S. 180 ff., 193.
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diesem Grund ist zum einen die zu erteilende Genehmigung kein Ort, um betriebliche Vorgaben zu treffen. Zum anderen wird die Möglichkeit, Betriebsregelungen für die Infrastruktur in Planrechtsentscheidungen vorzusehen, durch § 6 AEG nicht ausgeschlossen. b) Inbetriebnahmegenehmigung gemäß § 6 Abs. 1 und § 9 TEIV Gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 HS 1 der Verordnung über die Interoperabilität des transeuropäischen Eisenbahnsystems (TEIV)110 bedarf die erstmalige Inbetriebnahme eines strukturellen Teilsystems einer Genehmigung (sog. Inbetriebnahmegenehmigung). Das gilt gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 TEIV unbeschadet einer vorherigen Planfeststellung oder Plangenehmigung für das Vorhaben. Unter Inbetriebnahme ist die Gesamtheit aller Aktivitäten zu verstehen, durch die ein Teilsystem in seine bestimmungsgemäße Betriebsbereitschaft versetzt wird111. § 6 Abs. 1 TEIV setzt Art. 14 Abs. 1 der Richtlinien 96/48/EG112 und 2001/16/EG113 um, welche den Mitgliedstaaten vorschreibt, die Zulassung von strukturellen Teilsystemen proaktiv zu begleiten. Die Inbetriebnahmegenehmigung kann gemäß § 6 Abs. 10 TEIV zudem mit Nebenbestimmungen versehen werden, soweit dies zur Gewährleistung der Erfüllung der grundlegenden Anforderungen oder zur Gewährleistung der Sicherheit des Eisenbahnbetriebes erforderlich ist. In Satz 2 von § 6 Abs. 1 TEIV findet sich mithin eine normative Aussage über das Verhältnis einer Inbetriebnahmegenehmigung zu einer Planrechtsentscheidung. Der Verordnungsgeber geht davon aus, dass zum Zeitpunkt der Erteilung der Inbetriebnahmegenehmigung die Planrechtsentscheidung bereits vorliegt. Damit bringt er zum Ausdruck, dass die Inbetriebnahmegenehmigung von der Konzentrationswirkung der Planfeststellung ausgenommen ist114. Das legt nahe, dass Vorgaben zum Betreiben der Infrastruktur von der Planrechtsentscheidung ausgenommen sind. In der Begründung zur Vorgängerregelung115 § 4 Abs. 1 der Verordnung über die Interoperabilität des konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsys___________ 110
I. d. F. d. B. vom 05.7.2007, BGBl. I. S. 1305. BR Drs. 236/07, S. 52. 112 Vom 23.7.1996 über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems, vgl. Abl. EU Nr. L 235, S. 6. 113 Vom 21.3.2001 über die Interoperabilität des konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsystems, vgl. Abl. EU Nr. L 110, S. 1. 114 Vgl. auch Schäling, in: Kunz, Eisenbahnrecht, Loseblattsammlung, A 7.10, § 6 TEIV, S. 28. 115 Wortidentisch mit § 6 Abs. 1 TEIV; so auch BR Drs. 236/07, S. 52. 111
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tems (KonVEIV)116 zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2001/16/EG heißt es dazu: „Eine Inbetriebnahmegenehmigung ist grundsätzlich unbefristet. Darüber hinaus wird in Satz 2 klargestellt, dass die Planfeststellungsbehörde nicht über eine Inbetriebnahmegenehmigung für eine Infrastrukturmaßnahme nach dieser Verordnung entscheidet. Die formelle Konzentrationswirkung der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung bezieht sich ausschließlich auf Sachverhalte, die für die umfassende und abschließende Entscheidung über den zulässigen Bau oder die Änderung einer baulichen Anlage (=Betriebsanlage) erforderlich sind, soweit sie zum Zeitpunkt des Planfeststellungsverfahrens bekannt sind, nicht jedoch für den späteren Betrieb der Betriebsanlage. Daraus folgt, dass eine Genehmigung zur Inbetriebnahme eines strukturellen, der Infrastruktur zuzuordnenden Teilsystems nach der Richtlinie 2001/16/EG zusätzlich zu der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung erforderlich ist.“117
Die Begründung macht deutlich, dass der Verordnungsgeber ein zweistufiges Genehmigungssystem beabsichtigt hat und es neben der Planrechtsentscheidung über die Errichtung oder Änderung einer Eisenbahninfrastruktur einer weiteren Genehmigung bedarf, um diese Betriebsanlage ihrer angedachten Nutzung zuführen zu können118. Das legen auch die Regelungsinhalte beider Verwaltungsrechtsentscheidungen nahe119. Nicht nur, dass sich die Regelungswirkung der Planrechtsentscheidung mit der Errichtung oder Änderung der Eisenbahnbetriebsanlage erschöpft; sie ergeht zudem gem. § 18 c Nr. 1 AEG nur für einen bestimmten Zeitraum, innerhalb dessen der Vorhabenträger das Vorhaben umsetzen kann. Demgegenüber hat die Inbetriebnahmegenehmigung den grundsätzlich unbefristeten Betrieb der Anlage zum Gegenstand und hat damit den auf eine unbestimmte Zeit beabsichtigten Betrieb dauerhaft zu regeln. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die im Entwurf eingebrachte Formulierung von § 4 Abs. 1 S. 2 KonVEIV: „Dies gilt auch, soweit das Vorhaben zuvor Gegenstand eines Planfeststellungs- oder Plangenehmi___________ 116 117 118
S. 28.
I. d. F. d. B. vom 9.6.2005, BGBl. I S. 1653. BR Drs. 892/04, S. 18 f. Schäling, in: Kunz, Eisenbahnrecht, Loseblattsammlung, A. 7.10, § 6 TEIV,
119 Anders Schäling, in: ebd., Eisenbahnrecht, Loseblattsammlung, S. 29, welcher eine Integration der Inbetriebnahmegenehmigung in die Planfeststellung für denkbar hält, weil die Planfeststellung Anforderungen der TSI ohnehin berücksichtigen muss und es im Übrigen dem Bürokratieabbau entsprechen würde. Unstrittig ist, dass die Anforderungen der TSI auch schon i.R.d. Planfeststellung als zwingende Rechtsvorschriften zu beachten sind und nicht dem allgemeinen Abwägungsvorbehalt unterliegen. Der Ansicht von Schäling ist aber entgegen zu halten, dass die TSI i.R.d. Planfeststellung nur insoweit berücksichtigt werden können, wie es der Bau oder die Änderung der Eisenbahnbetriebsanlage erfordern. Zudem kann ein Gesetz nicht durch eine Rechtsverordnung abgeändert werden, so dass der Verordnungsgeber der TEIV das AEG nicht dahingehend abändern kann, dass der Regelungsumfang von § 18 AEG zukünftig auch die Inbetriebnahme nach § 6 TEIV umfasst. Das obliegt allein dem Gesetzgeber des AEG.
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gungsverfahrens war.“120 im Verordnungsverfahren abgeändert wurde in: „Dies gilt unbeschadet eines vorherigen Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahrens für das Vorhaben.“121 Die Änderung wurde damit begründet, dass die Ursprungsformulierung nahe legte, dass der Inhalt der Inbetriebnahmegenehmigung von den Festsetzungen einer Planrechtsentscheidung abweichen kann. Der Verordnungsgeber führt in seiner Begründung zur Änderung des Weiteren aus, dass dies nicht möglich ist, sondern der Satz 2 lediglich der Klarstellung dient, dass es einer Inbetriebnahmegenehmigung auch dann bedarf, wenn für das Projekt ein Planverfahren nach § 18 AEG durchzuführen ist.122 Aus dieser Formulierung könnte geschlussfolgert werden, dass eine Planrechtsentscheidung auch Inhalte regeln kann, die Gegenstand einer Inbetriebnahmegenehmigung sind und letztere solchartige Bestimmungen der Planrechtsentscheidung nicht abändern darf. Die nachgeschobene Begründung zur Korrektur des § 4 Abs. 1 S. 2 KonVEIV ist aber im Zusammenhang mit den o. g. Ausführungen des Verordnungsgebers zu sehen. Daraus geht hervor, dass der Betrieb der Infrastruktur immer einer gesonderten Genehmigung bedarf, weil die Planrechtsentscheidung ausschließlich den Bau oder die Änderung der Betriebsanlage regelt und der Inbetriebnahmegenehmigung Regelungen zum späteren Betreiben der Anlage vorbehalten sind. Diesen Gedanken hat der Gesetzgeber im Siebten Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften123 aufgenommen und in § 4 Abs. 2 AEG klargestellt, dass Eisenbahnen, Halter von Eisenbahnfahrzeugen oder Hersteller die Genehmigung zur Inbetriebnahme beantragen können, wenn in einer Rechtsvorschrift für die Inbetriebnahme einer Eisenbahninfrastruktur oder eines Fahrzeuges eine Genehmigung vorgeschrieben ist. Laut Begründung wollte der Gesetzgeber die bislang nur in der TEIV mit begrenztem Anwendungsbereich vorhandene Regelung – für die Berechtigung zur Antragstellung auf Erteilung einer Genehmigung zur Inbetriebnahme eines strukturellen Teilsystems – allgemeingültig in das AEG übernehmen124. Damit wird deutlich, dass das AEG die Regelung in § 6 TEIV hinnimmt und durch die Änderung des AEG nicht einschränken will. Zudem hat der Gesetzgeber die Änderung des AEG in diesem Zusammenhang nicht zum Anlass genommen, die Inbetriebnahme nach § 6 TEIV in § 18 AEG unterzubringen. Vielmehr führt er aus, dass „die Anforderungen an einen sicheren Bau (…) in der EBO sowie in der TEIV geregelt (sind) und (…) keiner weiteren gesetzlichen Regelung (bedürfen). Mit der neuen
___________ 120 121 122 123 124
Vgl. BR Drs. 892/04, S. 3. Beschl. des Bundesrates vom 17.12.2004, BR Drs. 892/04, S. 2. Ebd. I. d. F. d. B. vom 27.7.2012, BGBl. I S. 1421; dort Art. 1 Nr. 2. BT Drs. 17/8364, S. 8.
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Regelung wird deshalb die Verpflichtung für Eisenbahnen, Fahrzeuge und Zubehör sicher zu bauen, aufgehoben.“125
Wie der Begründung des Weiteren zu entnehmen ist, werden Fahrzeuge und Infrastruktur gleich behandelt. Für die Fahrzeug stellt der Gesetzgeber klar, dass „an die Antragsbefugnis (…) die Verantwortung dafür geknüpft (ist), dass Fahrzeuge zum Zeitpunkt der Genehmigung zur Inbetriebnahme sicher gebaut sind. Die Verantwortung bezieht sich demnach nicht auf den Ablauf des Bauprozesses, sondern auf das Bauprodukt.“126
Wird dieser Gedanke auch auf die Infrastruktur übertragen, was nicht abwegig ist, weil der Gesetzgeber beide Regelungsgegenstände zusammen abarbeitet, dann ist daraus auch für die Infrastruktur zu entnehmen, dass mit der durchgeführten Errichtung oder Änderung der Infrastruktur nicht nur ein Lebenssachverhalt abgeschlossen ist, sondern auch der Regelungsgehalt der Planfeststellung ausgeschöpft ist und zur Inbetriebnahme dieser Infrastruktur einer neuer Lebenssachverhalt zu betrachten und entsprechend mit einer Genehmigung neu zu regeln ist. Auch die Regelung in § 4 Abs. 3 S. 2 AEG, wonach Eisenbahnen zudem verpflichtet sind, die Eisenbahninfrastruktur sicher zu bauen und in betriebssicherem Zustand zu halten, legt nichts anderes nahe. Dabei handelt es sich nur um eine Klarstellung des Gesetzgebers dahingehend, dass in Fällen, in denen es keiner Inbetriebnahmegenehmigung bedarf, unabhängig davon die Verpflichtung für den Vorhabenträger besteht, die Infrastruktur sicher zu bauen.127 Von der Genehmigungspflicht des § 6 Abs. 1 TEIV umfasst sind die gemäß § 2 Nr. 2 TEIV in Anhang II der Richtlinie 2008/57/EG aufgeführten strukturellen Teilsysteme. Wie oben ausgeführt128 fallen darunter die strukturellen Bereiche „Infrastruktur“, „Energie“, „Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung“ sowie „Fahrzeuge“, vgl. Anhang II Nr. 1. a) der Richtlinie 2008/57/EG. Zur „Infrastruktur“ zählen gemäß Nr. 2.1 des Anhangs II Gleise, Weichen, Kunstbauten (Brücken, Tunnel usw.), zugehörige Infrastruktur in den Bahnhöfen (Bahnsteige, Zugangsbereiche unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Personen mit eingeschränkter Mobilität usw.), Sicherheits- und Schutzausrüstung. Das Teilsystem „Energie“ umfasst das Elektrifizierungssystem einschließlich Oberleitungen und bordseitiger Teile der Stromverbrauchsmesseinrichtungen, vgl. Nr. 2.2 des Anhangs II. Unter „Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung“ fallen laut Nr. 2.3 des Anhangs II alle erforderlichen Aus___________ 125 126 127 128
Ebd. Ebd. Ebd. s. o. II. 1.
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rüstungen zur Gewährleistung der Sicherung, Steuerung und Kontrolle der Bewegung von Zügen, die zum Verkehr im Netz zugelassen sind. Die nicht abschließende Aufzählung in Nr. 2 des Anhangs II zeigt eine weitgehende Identität mit den Anlagen, die unter den Begriff der Betriebsanlagen der Eisenbahn in § 18 AEG fallen. Im Bereich „Energie“ gehören dazu auch die Bahnstromfernleitungen und im Bereich „Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung“ sind solche Betriebsanlagen erfasst, die der Infrastruktur und nicht dem Fahrzeug zuzuordnen sind, wie z. B. Strecken- oder Bahnhofssicherungsanlagen. Vom Regelungsumfang der TEIV ist gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 4 TEIV allerdings nicht die Eisenbahninfrastruktur von Serviceeinrichtungen umfasst. Eine normative Aufzählung solcher Einrichtungen findet sich in § 2 Abs. 3 AEG. Die dort genannten Anlagen sind hingegen regelmäßig gemäß § 18 AEG planfeststellungsrelevant. Soweit damit nicht alle planfeststellungsbedürftigen Anlagen der TEIV unterfallen, bleibt der Umfang der für eine Inbetriebnahmegenehmigung gemäß § 6 TEIV zu berücksichtigenden Anlagen hinter dem Umfang der planfeststellungsrelevanten Anlagen zurück. Antragsberechtigt sind laut § 6 Abs. 2 S. 1 TEIV Eisenbahnen gem. § 2 Abs. 1 AEG, Halter von Fahrzeugen und Hersteller. Damit können sowohl Eisenbahninfrastrukturunternehmen als auch Eisenbahnverkehrsunternehmen i. S. v. § 2 Abs. 1 AEG einen Antrag stellen. Soweit aber nur das Eisenbahninfrastrukturunternehmen die Infrastruktur betreibt129, liegt es auch nur in ihrem Interesse, eine Inbetriebnahmegenehmigung für die Infrastruktur zu erlangen. Zudem wird nur sie die für die Antragstellung erforderlichen Unterlagen vorliegen haben. Soweit ein Eisenbahnverkehrsunternehmen vornehmlich Eisenbahnverkehrsleistungen erbringt, ist ein Interesse auf Erteilung der Inbetriebnahmegenehmigung für eine der o. g., der Infrastruktur zuzuordnenden Betriebsanlage nicht anzunehmen. Die Inbetriebnahmegenehmigung ist gemäß § 6 Abs. 1 TEIV für die erstmalige Inbetriebnahme eines Teilsystems zu erteilen. Diese Formulierung legt nahe, dass darunter nur solche Sachverhalte fallen sollen, in denen die Betriebsanlage ein Neubau i. S. v. § 18 AEG ist. Für eine umfangreiche Umrüstung oder Erneuerung eines strukturellen Teilsystems, die über den Austausch im Zuge von Instandhaltungsmaßnahmen hinausgeht, regelt § 9 TEIV, dass es hier auch einer Inbetriebnahmegenehmigung bedarf. Was einer umfangreichen Umrüstung oder Erneuerung von Betriebsanlagen unterfällt, ist gemäß § 9 Abs. 3 TEIV in der Anlage 3 der TEIV aufgezählt. Die dort geschilderten Sachverhalte sind überwiegend mit der Änderung einer Betriebsanlage der Eisenbahn i. S. v. § 18 AEG vergleichbar. Dabei ist allerdings nicht auszuschließen, dass Betriebsanlagen als planfeststellungsbedürftig eingestuft werden, aber § 9 TEIV ___________ 129
s. o. unter V. 1.
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nicht einschlägig ist, weil die in der Anlage 2 genannte Kostengrenze von 0,4 Millionen Euro nicht erreicht wird. Der Anwendungsbereich für die Erteilung einer Inbetriebnahmegenehmigung ist neben den o. g. Gründen auch noch aus weiteren Gründen eingeschränkt. Zum einen bedarf es einer Inbetriebnahmegenehmigung gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 HS 2 TEIV nur, wenn in den anwendbaren TSI nicht etwas anderes bestimmt ist. Zum anderen gilt die TEIV nur für die in der Karte in Anlage 1 zur TEIV abgebildeten Strecken. Die Netze des Regionalverkehrs sind gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 TEIV von der Regelung der TEIV ausgenommen. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass es einen vom Gesetzgeber des AEG respektierten Willen des nationalen Verordnungsgebers gibt, dass für planfeststellungsbedürftige infrastrukturbezogene Teilsysteme eine von der Planrechtsentscheidung getrennte Genehmigung für das Betreiben dieser Eisenbahnbetriebsanlagen erteilt wird. Die Regelungen für den späteren Betrieb der Anlage sollen einer gesonderten Inbetriebnahmegenehmigung vorbehalten bleiben. Der Planrechtsentscheidung ist es hingegen vorbehalten, die Anforderungen an den sicheren Bau und den Ablauf der Bauprozesse zu regeln. In der Inbetriebnahmegenehmigung gemäß § 6 TEIV können mithin betriebliche Regelungen erlassen werden. Aufgrund der Begründung des Verordnungsgebers ist des Weiteren davon auszugehen, dass die Regelungen für den späteren Betrieb der Anlage ausschließlich der Inbetriebnahmegenehmigung vorbehalten bleiben sollen. Das bedeutet umgekehrt, dass der spätere Betrieb nicht Gegenstand der Planrechtsentscheidung sein darf.
VI. Zusammenfassung Der Eisenbahnbetrieb umfasst das Bewegen von Eisenbahnfahrzeugen auf einer Eisenbahninfrastruktur und setzt das Zusammenwirken von Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen voraus. Betriebsregelnde Maßnahmen sind Eingriffe in den Regelverkehr, wenn es zu Störungen kommt und können die Zugfrequenz, Zuggeschwindigkeit, Zuganzahl etc. betreffen. Die Planfeststellung im Eisenbahnrecht ist eine Bauplanfeststellung. Adressat der Planrechtsentscheidung und aller darin enthaltener Festsetzungen ist der Vorhabenträger. Als Vorhabenträger tritt das Eisenbahninfrastrukturunternehmen auf, welches die Eisenbahninfrastruktur errichtet, betreibt und unterhält. Als Adressat und Vorhabenträger scheidet ein Eisenbahnverkehrsunternehmen hingegen aus. Festsetzungen in der Planrechtsentscheidung können sich in erster Linie nur auf das Betreiben der Infrastruktur selbst beziehen. Der § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG eröffnet keinen Anwendungsspielraum für betriebliche Vorkehrungen gegenüber dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen.
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Zum einen setzt die Planfeststellung gem. § 18 AEG einen Bauendzustand fest und hat nicht den Verkehrsbetrieb auf der Infrastruktur zum Regelungsgegenstand. Zum anderen sind – würde die Rechtsprechung des BVerwG zugrunde gelegt – betriebsregelnde Maßnahmen nicht ohne Weiteres seitens des Vorhabenträgers gegenüber den Eisenbahnverkehrsunternehmen durchsetzbar. Die den Nutzungsverträgen zugrundeliegenden Nutzungsbedingungen unterliegen der Kontrolle der zuständigen Bundesnetzagentur, was eine Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde für zumindest regulierungsrelevante Änderungen der Nutzungsbedingungen ausschließt. Des Weiteren sind privatrechtliche Verknüpfung zwischen Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eisenbahnverkehrsunternehmen aufgrund der Nutzungsverträge gegeben, so dass aufgrund des planfestgestellten Vorhabens ausgelöste diesbezügliche Differenzen dieser Ebene vorbehalten sind. Durch § 41 BImSchG bleiben Festsetzungen aus Gründen des Lärmschutzes auf bauliche Maßnahmen beschränkt, die zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Infrastruktur abschließend umsetzbar sind. Die Rechtsnatur des § 41 BImSchG, welcher gerade keine Dauerverpflichtung begründen soll, steht betrieblichen Vorkehrungen entgegen, weil diese einen Lebenssachverhalt regeln, welcher über den Bauendzustand des Vorhabens hinausgeht. Im Rahmen der Abwägung kann allerdings das Interesse an einer betrieblichen Verkehrsregelung überwiegen, wenn nicht der Systemleitung und der Wirtschaftlichkeit des Schienenweges ein größeres Gewicht einzuräumen wäre. Denkbar sind betriebliche Maßnahmen deshalb allenfalls für eine Übergangszeit bis zur Umsetzung geeigneter baulicher Maßnahmen zum Verkehrslärmschutz. Die Regelungen in der TEIV und in § 4 Abs. 2 AEG legen fest, dass es für die Inbetriebnahme für Strecken des TEN ein vom Planfeststellungsverfahren losgelöstes Inbetriebnahmeverfahren gemäß der TEIV gibt. Der Verordnungsgeber will Regelungen für den späteren Betrieb der Anlage von der Regelung der Planfeststellung ausgenommen wissen. Von der Inbetriebnahmegenehmigung sind nach dem Willen des Gesetzgebers Bauprozesse ausgeschlossen. Eine Verzahnung, wie es das Luftverkehrsrecht für die Planfeststellung und luftverkehrliche Genehmigung vorsieht, ist dem nicht zu entnehmen.
Konkurrierende Behördenzuständigkeiten nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens? Von Christoph Fischer
I. Einführung In der Zulassung planfeststellungsbedürftiger Großvorhaben spielen Fragen behördlicher Zuständigkeiten – soweit ersichtlich – keine herausgehobene Rolle. Zwar ist die Rechtmäßigkeit eines festgestellten Plans für ein raumbedeutsames Vorhaben regelmäßig an einer Vielzahl formeller und materieller Kriterien zu messen, die sich aus einem Geflecht von Normen ableiten, welche ihrerseits unterschiedlichen Normsetzungsebenen und -kompetenzen zuzuordnen sind. Der in einer solchen Konstellation latent gegebenen Gefahr divergierender Behördenentscheidungen und -zuständigkeiten begegnet der Gesetzgeber, indem er planungsrechtliche Zulassungsentscheidungen mit „Konzentrationswirkung“ (vgl. § 75 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwVfG) ausstattet. Danach ergeht die Zulassung des Vorhabens nicht nur im Rahmen einer einheitlichen Planungsentscheidung, es findet insoweit auch eine Zuständigkeitsverlagerung von den originär zuständigen Fachbehörden auf die Planfeststellungsbehörde statt. In diesem Stadium der Planfeststellung wird folglich selten um behördliche Zuständigkeiten gestritten.1 Konflikte beschränken sich zumeist auf Randbereiche des planfestgestellten Vorhabens, etwa die rechtliche Einordnung notwendiger Folgemaßnahmen.2 Wesentlich kontroverser diskutiert werden Zuständigkeitsfragen – so der Eindruck aus der Verwaltungspraxis –, wenn nach erfolgter Feststellung des Plans die Bewältigung rechtlicher Fragestellungen im Zusammenhang mit der Vorhabensrealisierung inmitten steht. Abgrenzungsfragen bei der Bestimmung behördlicher Zuständigkeiten im Kontext der Realisierung planfestgestellter Vorhaben können dabei in unterschiedlichen Konstellationen auftreten, welche nachfolgend beispielhaft eingeführt werden: ___________ 1
Z.B. OVG Münster, Urt. vom 15.3.2011 – 20 A 2148/09, Rn. 92 ff. (juris). BVerwG, Beschl. vom 3.8.1995 – 11 VR 22/95; Urt. vom 9.2.2005 – 9 A 62/03; Urt. vom 12.2.1988 – 4 C 54/84. 2
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Aus dem einschlägigen Fachrecht ergeben sich insbesondere im Zusammenhang mit der Verwirklichung von Großprojekten diverse Anzeigepflichten. So hat es die nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 des Sprengstoffgesetzes verantwortliche Person gemäß § 1 Abs. 1 der Dritten Verordnung zum Sprengstoffgesetz (3. SprengV) gegenüber „der zuständigen Behörde“ anzuzeigen, wenn mit explosionsgefährlichen Stoffen gesprengt werden soll. Wer im Zusammenhang mit projektbedingt erforderlichen Leitungsumverlegungen die Errichtung einer Gashochdruckleitung beabsichtigt, hat dies nach § 5 Gashochdruckleitungsverordnung (GasHDrLtgV) ebenfalls „der zuständigen Behörde“ gegenüber schriftlich anzuzeigen. Zuständigkeitsüberschneidungen drohen in solchen Sachverhaltskonstellationen, welche eine nachträgliche Anpassung der Genehmigungslage erforderlich machen. Dies gilt weniger für die weitgehend unproblematische Situation einer Planänderung im Sinne des § 76 VwVfG, als für den Fall des fachrechtlich zugelassenen Erlasses nachträglicher Inhalts- und Nebenbestimmungen. Ein Beispiel hierfür bildet § 13 Abs. 1 WHG, wonach eine wasserrechtliche Gestattung auch nachträglich mit Inhalts- und Nebenbestimmungen versehen werden kann, um nachteilige Wirkungen für andere zu vermeiden oder auszugleichen. In ähnlicher Weise gestattet es § 17 Abs. 1 S. 1 BImSchG, nachträgliche Anordnungen zu einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zu erlassen. Anlass für Kompetenzstreitigkeiten bieten zudem diejenigen Sachverhalte, welche durch das Auftreten rechtlicher Projekthindernisse im Anschluss an das Planfeststellungsverfahren gekennzeichnet sind. Als Beispiel mag hier die drohende Verletzung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände nach § 44 Abs. 1 BNatSchG ohne das Vorliegen einer erforderlichen Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG dienen. Ein weiterer Problemkreis eröffnet sich, sobald es angezeigt erscheint, die Einhaltung des vom Planfeststellungsbeschluss für die Verwirklichung des Vorhabens gesetzten Rechtsrahmens – erforderlichenfalls mit den Mitteln des Verwaltungszwanges oder eines ordnungsbehördlichen Einschreitens – durchzusetzen. Von Relevanz ist dies etwa dann, wenn die im Planfeststellungsbeschluss festgesetzten Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht oder nur unzureichend umgesetzt wurden.
Die dargestellten Fallkonstellationen verbindet die in der Verwaltungspraxis offenbar uneinheitlich beantwortete Fragestellung, ob im Einzelfall die fachgesetzlich jeweils originär zuständige Behörde oder aber die Planfeststellungsbehörde tätig werden muss. Im erstgenannten Fall einer gesetzlichen Anzeigepflicht kann jedenfalls der Träger des Vorhabens der problematischen Frage nach der behördlichen Zuständigkeit pragmatisch ausweichen, indem er die ihm obliegende Anzeigever-
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pflichtung „vorsorglich“ sowohl gegenüber der fachgesetzlich originär zuständigen Behörde als auch gegenüber der Planfeststellungsbehörde erfüllt oder jedenfalls hilfsweise die Weiterleitung an die zuständige Behörde beantragt. Aber auch im Übrigen handelt die – vermeintlich – unzuständige Behörde jedenfalls im Sinne des § 10 S. 2 VwVfG, wenn sie die Anzeige in sinngemäßer Anwendung des in § 17 a Abs. 2 GVG zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens an die tatsächlich zuständige Verwaltungsbehörde weiterleitet.3 Keinesfalls dahinstehen kann die Rechtsfrage der behördlichen Zuständigkeit allerdings dann, wenn die Befugnis oder Verpflichtung einer Behörde zu hoheitlichem Handeln im Raume steht. Aufgrund des im Recht der Vorhabenzulassung charakteristischen Dreiecksverhältnisses zwischen Behörde, Vorhabenträger und Drittbetroffenem stellt sich die Problematik der behördlichen Zuständigkeit aus unterschiedlichen Blickwinkeln dar: Der Vorhabenträger, welcher sich belastenden Verwaltungsakten ausgesetzt sieht, wird die formelle Rechtmäßigkeit entsprechender Verfügungen prüfen. Der Drittbetroffene, welcher ein behördliches Einschreiten gegenüber dem Vorhabenträger verlangt, hat sich mit der Frage nach dem „richtigen“ Anspruchsgegner zu befassen. Die in diesem Spannungsfeld agierende Behörde hingegen sieht sich – nicht zuletzt auch zur Meidung von Amtshaftungsansprüchen – verpflichtet, ihre Entscheidung zum Tätigwerden oder Unterlassen desselben rechtlich abzusichern. Die Relevanz des Konfliktes um eine sachgerechte Abgrenzung in Zuständigkeitsfragen lässt sich anhand der politischen Diskussionsbeiträge zu Fragen der Realisierung prominenter Großprojekte veranschaulichen: Auf die im Rahmen einer Kleinen Anfrage aufgeworfene Frage nach der Behördenzuständigkeit für die Kontrolle der Einhaltung von Festsetzungen des Planfeststellungsbeschlusses für den Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld antwortete die Regierung des Landes Brandenburg wie folgt: „Für die Kontrolle der Umsetzung der Auflagen der Planfeststellung zum Flughafenausbau und der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts sind je nach Themengebiet die Fachbehörden des Landes sowie das Eisenbahn-Bundesamt zuständig. Für die Auflagen des Lärmschutzkonzepts ist dies die luftrechtliche Planfeststellungsbehörde, das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft.“4
Anlässlich einer Kleinen Anfrage zum Projekt „Stuttgart 21“ nahm die Bundesregierung für den Bereich der bundeseigenen Verwaltung eine hierzu konträre Position ein. Auf die Frage, woraus sich die Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde für die Umsetzung von Auflagen aus dem Planfeststellungsbeschluss sowie für die Einleitung behördlicher Maßnahmen gegen mögliche Habitats-Zerstörungen ergebe, antwortete die Bundesregierung: ___________ 3 4
Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. (2012), § 3 Rn. 13. Landtag von Brandenburg, Drs. 5/4985, S. 6.
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„Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) hat als Planfeststellungsbehörde den Vollzug des von ihr erlassenen Planfeststellungsbeschlusses einschließlich der darin enthaltenen Auflagen zu überwachen. Das Einleiten behördlicher Maßnahmen kann sich aus dem Planfeststellungsbeschluss selbst oder aus anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben.“5
Ausgangspunkt der zu beobachtenden Unsicherheit über die Zuständigkeitsverteilung zwischen den verschiedenen Akteuren im Umfeld der Realisierung eines raumbedeutsamen Vorhabens bilden offensichtlich die speziellen Rechtswirkungen der Planfeststellung. Die durch § 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG gesetzlich angeordnete Konzentrationswirkung äußert sich in einer Zuständigkeits-, einer Verfahrens- und einer Entscheidungskonzentration.6 Damit entfällt das Erfordernis weiterer sonst notwendiger Entscheidungen anderer Behörden. Diejenigen Behörden, deren Entscheidungen durch den Planfeststellungsbeschluss ersetzt werden, verlieren ihre Wahrnehmungszuständigkeit und Entscheidungsbefugnis.7 Mithin findet eine Zuständigkeitsverlagerung auf die Planfeststellungsbehörde statt, welche auch die Tatbestandsvoraussetzungen des sog. sekundären Fachrechts zu prüfen und in der abschließenden Verwaltungsentscheidung zu beachten hat, während sich die Zuständigkeit der Fachbehörden auf die Abgabe von Stellungnahmen im Beteiligungsverfahren reduziert.8 Die empirisch nicht belegte Wahrnehmung der Rechtswirklichkeit mag dafür sprechen, dass in der Planungs- und Genehmigungsphase eines Großvorhabens oftmals ein recht vitales Interesse der Fachbehörden gegeben ist, auf die Vorhabenzulassung Einfluss zu nehmen und sich diesen Einfluss durch Vorbehalts- und Abstimmungsklauseln im Planfeststellungsbeschluss auch für die Realisierungsphase zu sichern. Bisweilen weicht diese aktive Beteiligung einer gewissen Zurückhaltung, wenn das Vorhaben zum politischen Streitfall wird oder „unangenehme“ behördliche Entscheidungen zu treffen sind. Vor dem Hintergrund einer solchermaßen gewandelten Interessenlage wird nicht selten eine eigene rechtliche Verantwortung für die Vorhabensrealisierung verneint und auf eine alleinige Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde verwiesen.9 Ziel dieses Beitrages ist es, rechtliche Ansatzpunkte für die Abgrenzung der gesetzlichen Zuständigkeiten einer Planfeststellungsbehörde nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens herauszuarbeiten.
___________ 5
Deutscher Bundestag, Drs. 17/4157, S. 4. Vgl. Ruttloff, UPR 2012, 328 (329); Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund, 2009, S. 133, 136; Wittreck, VerwArch 100 (2009), 71 (81). 7 BVerwG, NVwZ-RR 1999, 162. 8 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. (2012), § 75 Rn. 15; Hoppe/Schlarmann/Buchner/Deutsch, Rechtsschutz bei der Planung von Verkehrsanlagen und anderen Infrastrukturvorhaben, 4. Aufl. (2011), Rn. 282 ff. 9 Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 14/4166, S. 5; Drs. 14/6930, S. 5. 6
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II. Gesetzliche Entscheidungsvorbehalte 1. § 13 Abs. 1 WHG Eine erste Annäherung an das Problem ermöglicht die Befassung mit den Grundsätzen zur Erteilung wasserrechtlicher Gestattungen bei der Planfeststellung von Vorhaben, welche mit der Benutzung eines Gewässers verbunden sind. § 19 Abs. 1 WHG nimmt als lex specialis wasserrechtliche Gestattungen von der allgemeinen planfeststellungsrechtlichen Konzentrationswirkung des § 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG aus.10 Zwar hat die Planfeststellungsbehörde über die Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis oder Bewilligung zu entscheiden, wenn ein planfeststellungsbedürftiges Vorhaben mit der Benutzung eines Gewässers verbunden ist. Jedoch bildet die wasserrechtliche Gestattung für die mit dem Planvorhaben verbundene Gewässerbenutzung einen eigenständigen Entscheidungsbestandteil, welcher von der planfeststellungsrechtlichen Ersetzungswirkung nicht erfasst wird.11 Wasserrechtliche Erlaubnisse oder Bewilligungen zeichnen sich dementsprechend durch ein gewisses Eigenleben gegenüber dem Planfeststellungsbeschluss aus.12 Aufgrund der Besonderheiten des Wasserrechts, welche flexibel handhabbare Instrumentarien unverzichtbar erscheinen lassen, räumt § 13 Abs. 1 WHG die Möglichkeit ein, wasserrechtliche Gestattungen auch nachträglich mit Inhalts- und Nebenbestimmungen zu versehen – auch zu dem Zweck, nachteilige Wirkungen für andere zu vermeiden oder auszugleichen. Die darüber hinausgehende Widerruflichkeit von Erlaubnis und Bewilligung regelt § 18 WHG. Ergibt sich nach dem Abschluss des Planfeststellungsverfahrens das Erfordernis eines behördlichen Tätigwerdens auf Grundlage der genannten Vorschriften, so drängt sich die Frage auf, ob die für eine Erteilung wasserrechtlicher Gestattungen ausnahmsweise gegebene Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde über den Zeitpunkt der Beschlussfassung hinausreicht, der Planfeststellungsbehörde gewissermaßen auch eine „nachsorgende“ Begleitung des planfestgestellten Vorhabens obliegt. Diesbezüglich enthält § 19 Abs. 4 WHG eine eindeutige gesetzliche Regelung, wonach die Planfeststellungsbehörde über den Widerruf einer von ihr erteilten Erlaubnis oder Bewilligung sowie über den nachträglichen Erlass von Inhalts- und Nebenbestimmungen zu entscheiden hat. Die Kernfrage ist nun, ob sich aus § 19 Abs. 4 WHG ein allgemeiner Rechtsgrundsatz ableiten lässt oder ob diese Vorschrift eine Anomalie im Gefüge behördlicher Zuständigkeiten darstellt. ___________ 10 11 12
Vgl. Rutloff, UPR 2012, 328 (330). BVerwGE 125, 116 (279); 123, 241 (242 f.). Ossenbühl, DVBl 1991, 833 (837).
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2. § 17 Abs. 1 BImSchG Eine immissionsschutzrechtliche Komplementärnorm zu § 13 Abs. 1 WHG bildet § 17 Abs. 1 BImSchG. Danach können auch im Anschluss an die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nachträgliche Anordnungen getroffen werden, soweit dies zur Erfüllung der sich aus dem BImSchG und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen erforderlich ist. Für den Fall, dass der Planfeststellungsbeschluss eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 BImSchG „konzentriert“,13 stellt sich wie im Falle der wasserrechtlichen Gestattung das Problem der behördlichen Zuständigkeit für die Ausfüllung des Anordnungsvorbehalts.14 Eine dem § 19 Abs. 4 WHG vergleichbare Regelung der Behördenzuständigkeit enthält das BImSchG jedoch nicht. Im Unterschied zur wasserrechtlichen Gestattung nimmt die immissionsschutzrechtliche Genehmigung auch keine Sonderstellung gegenüber den allgemeinen Grundsätzen der Planfeststellung ein, d.h. ihre Erteilung erfolgt nicht nur „bei Gelegenheit“ der Planfeststellung, vielmehr nimmt diese gänzlich an der formellen Konzentrationswirkung des § 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG teil. Für die Bestimmung der Behördenzuständigkeit bleibt daher nur ein Rückgriff auf allgemeine Grundsätze. Für eine Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde könnte zunächst ein „argumentum a fortiori“ sprechen: Wenn die Planfeststellungsbehörde wie im Fall der wasserrechtlichen Erlaubnis bereits für den Erlass nachträglicher Anordnungen zu solchen Gestattungen zuständig bleibt, welche nicht der allgemeinen Konzentrationswirkung des § 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG unterliegen, so könnte dies erst recht für jene Genehmigungen gelten, welche im Planfeststellungsbeschluss gänzlich aufgehen. Für die These einer den Erlass des Planfeststellungsbeschlusses überdauernden Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde auch für fachrechtlich begründete Anordnungen ließe sich zudem an § 76 VwVfG anknüpfen, welcher für Änderungen des festgestellten Planes – gleich ob wesentlich oder nicht – bis zur Fertigstellung des Vorhabens die Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde voraussetzt. Fraglich ist zunächst, ob eine nachträgliche Anordnung gem. § 17 Abs.1 BImSchG unmittelbar unter das Tatbestandsmerkmal einer Planänderung im Sinne des § 76 VwVfG zu subsumieren ist – § 17 Abs. 1 BImSchG also im Anwendungsfall einer planfestgestellten Anlage lediglich als ein spezieller Fall der Planänderung zu betrachten ist – oder ob sich die Zuständigkeit ___________ 13
Beispiele bei Repkewitz, UPR 2003, 420 (421). Grundsätzlich gegen die Möglichkeit einer Anwendung von Rechtsgrundlagen des sekundären materiellen Rechts im Falle der Planfeststellung: Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 119. 14
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der Planfeststellungsbehörde für nachträgliche Anordnungen gem. § 17 Abs. 1 BImSchG zumindest im Wege eines Analogieschlusses herleiten lässt. Eine Planänderung im Sinne des § 76 VwVfG ist begrifflich immer dann anzunehmen, wenn nachträgliche Änderungen am festzusetzenden Teil des Planfeststellungsbeschlusses vorgenommen werden sollen.15 Dieses lässt sich für eine nachträgliche Anordnung nach § 17 Abs. 1 BImSchG jedenfalls nicht in allgemeiner Form bejahen. So können ohne weiteres auch betriebliche Anordnungen zum Regelungsinstrumentarium des § 17 Abs. 1 BImSchG zählen,16 welche dem Regelungsgegenstand des jeweiligen Planfeststellungsbeschlusses zumindest im Falle der sog. „Bauplanfeststellung“ grundsätzlich entzogen sind.17 Zudem sind die typischen Anwendungsfälle nachträglicher immissionsschutzrechtlicher Anordnungen gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie erst nach Inbetriebnahme der Anlage virulent werden und namentlich in der Betriebsphase einer BImSchG-Anlage den dynamischen Betreiberpflichten des Immissionsschutzrechts zur Geltung verhelfen sollen. Gerade in diesem Normalfall aber vermittelt die Anknüpfungsnorm des § 76 VwVfG keine generelle Regelungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde mehr, da diese Vorschrift lediglich bis zur Fertigstellung des planfestgestellten Vorhabens anwendbar bleibt. Auch aus Gründen der Gesetzessystematik kann die verfahrensmäßige „Einkleidung“ einer nachträglichen Anordnung nach § 17 Abs. 1 BImSchG in das Gewand einer Planänderung im Sinne des § 76 VwVfG nicht überzeugen: Das BImSchG selbst trennt deutlich zwischen dem Verfahren zur wesentlichen Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen gem. § 16 BImSchG sowie der nachträglichen Anordnung gem. § 17 Abs. 1 BImSchG.18 Gegen eine fortdauernde Allzuständigkeit der Planfeststellungsbehörde und für eine „Wiedereintrittspflicht“ der Immissionsschutzbehörde im Falle nachträglicher Anordnungen nach § 17 Abs. 1 BImSchG streiten darüber hinaus die allgemeinen Grundsätze der Gesetzesauslegung: Ausgehend vom Wortlaut des § 75 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwVfG wird im Planfeststellungsverfahren die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt. Neben der zu treffenden Planungsentscheidung ermöglicht der Planfeststellungsbeschluss somit auch eine Überwindung präventiver Verbote mit Erlaubnisvorbehalt. Im Zusammenhang mit der Vorhabenzulassung werden andere behördliche Entscheidungen, insbesondere öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse, Bewil___________ 15 16 17 18
Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. (2012), § 76 Rn. 5. Jarass, BImSchG, 9. Aufl. (2012), § 17 Rn. 25. Vgl. Blümel, VerwArch 83 (1992), 146 (149, 163). Jarass, BImSchG, 9. Aufl. (2012), § 17 Rn. 9.
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ligungen, Zustimmungen und Planfeststellungen entbehrlich, § 75 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VwVfG. Eine Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde für Maßnahmen über den das Vorhaben zulassenden Verwaltungsakt hinaus lässt sich dem Wortlaut des § 75 Abs. 1 S. VwVfG damit nicht unmittelbar entnehmen. Der Telos der für die Planfeststellung charakteristischen Konzentrationswirkung spricht ebenfalls nicht für eine Ausdehnung der im Falle eines Planfeststellungsverfahrens ausnahmsweise gegebenen Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde: Wesentlicher Inhalt jedes Zuständigkeitsrechtssatzes ist die Konstituierung des Zuständigkeitsrechtssubjektes, also die Bestimmung, wer für die Wahrnehmung der jeweiligen Aufgabe zuständig sein soll. Der Gesetzgeber wählt ein bestimmtes Zuständigkeitsrechtssubjekt aus, weil er davon ausgeht, dass gerade dieses am besten dazu geeignet ist, die jeweilige Aufgabe zu erfüllen.19 Die Konzentrationswirkung der Planfeststellung hat die Funktion, eine große Zahl paralleler Zulassungsverfahren mit der Gefahr divergierender Entscheidungen zu vermeiden und die Zulassungsentscheidung im Interesse einer zügigen, widerspruchsfreien Problembewältigung in der Hand der Planfeststellungsbehörde zu bündeln.20 Sowohl das Argument der Verfahrensbeschleunigung21 wie auch die Gefahr divergierender Behördenentscheidungen vermögen eine Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde für nachträgliche immissionsschutzrechtliche Anordnungen aber nicht mehr zu begründen. Entfallen somit in der Situation einer nachträglichen immissionsschutzrechtlichen Anordnung die maßgeblichen Gründe für eine Zuständigkeitsverschiebung von der sachnäheren22 Immissionsschutzbehörde auf eine mit begrenzter Allzuständigkeit ausgestattete Planfeststellungsbehörde, so darf angenommen werden, dass die originäre Zuständigkeit der Immissionsschutzbehörde für Maßnahmen nach erfolgter Planfeststellung wieder auflebt. Eine solchermaßen vorgenommene Abgrenzung zwischen der allein für die Zulassungsentscheidung gegebenen Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde und einer sich anschließenden Rückkehr zum Normalfall originärer Behördenzuständigkeiten entspricht überdies dem Stand der herrschenden Meinung zur Reichweite der Konzentrationswirkung bei Durchführung eines isolierten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens. Gemäß § 13 BImSchG schließt auch die Genehmigung nach § 4 BImSchG andere die Anlage betreffende behördliche Entscheidungen ein, insbesondere öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Zulassungen, Verleihungen, Erlaubnisse und Bewilligungen. Nach einhelliger Auffassung bezieht sich diese Konzentrationswirkung allein ___________ 19
Berger, VerwArch 100 (2009), 342 (358). Jarass, Konkurrenz, Konzentration und Bindungswirkung von Genehmigungen, 1984, S. 54. 21 Vgl. Becker, VerwArch 87 (1996), 581. 22 Vgl. BVerwGE 74, 315 (324 f.). 20
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auf die Genehmigung der jeweiligen Anlage. Im Anschluss an die Erteilung der Genehmigung fällt die Zuständigkeit zum Vollzug der öffentlich-rechtlichen Vorschriften außerhalb des Immissionsschutzrechts wieder an die zum Vollzug dieser Vorschriften zuständigen Behörden.23 Das nachfolgende Überwachungsverfahren in der Errichtungs-, Betriebs- und Stilllegungsphase ist daher von der Entscheidungskonzentration nicht mehr erfasst.24 Die „verdrängten“ Behörden sind insbesondere für nachträgliche Anordnungen nach den entsprechenden Vorschriften des sekundären Fachrechts zuständig.25 Somit bewirkt die immissionsschutzrechtliche Genehmigung grundsätzlich keinen Ausschluss der Fachbehörden von der Überwachung der Anlage innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches.26 Vielmehr müssen sie bei der Ausübung ihrer Kompetenzen das Vorhandensein der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung beachten.27 Es ist nicht zu erkennen, dass für die fachplanungsrechtliche Konzentrationswirkung etwas anderes gelten sollte als für die immissionsschutzrechtliche Konzentrationswirkung. Eine Verdrängung der Zuständigkeit der jeweiligen Immissionsschutzbehörde für die Anwendung des § 17 Abs. 1 BImSchG ist allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn die Vorschriften über die konzentrierende Zulassung selbst eine spezielle Regelung für nachträgliche Anordnungen enthalten.28 Beispielsweise lässt § 21 Abs. 2 S. 2 UVPG für die (systemwidrig) im UVPG geregelte Planfeststellung bestimmter Leitungsanlagen die Aufnahme, Änderung oder Ergänzung von Auflagen über Anforderungen an das Vorhaben auch nach dem Ergehen des Planfeststellungsbeschlusses zu. Vergleichbares gilt nach § 36 Abs. 4 S. 3 KrWG für planfestgestellte Abfallentsorgungsanlagen. Insgesamt ist es aber folgerichtig, wenn auch in der Literatur hinsichtlich der fachplanungsrechtlichen Konzentrationswirkung im Hinblick auf deren ___________ 23 OVG Lüneburg, Urt. vom 25.7.2011 – 4 ME 175/11, Rn. 4 (juris); Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 13 BImSchG Rn. 119; Wasiliewski, in: Koch/Scheuning/Pache (Hrsg.), GK-BImSchG, 28. Lieferung (Oktober 2010), § 13 Rn. 62; Guckelberger, in: Kotulla (Hrsg.), Bundes-Immissionsschutzgesetz, 17. Lieferung (Juni 2011), § 13 Rn. 75; Ziekow, VerwArch 99 (2008), 559 (564); BMU (Hrsg.), UGBKomE, 1998, S. 695. 24 Fluck, NVwZ 1992, 114 (117). 25 Jarass, BImSchG, 9. Aufl. (2012), § 13 Rn. 62; Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl, Krw-/AbfG, 2. Aufl. (2003), § 31 Rn. 86. 26 VG Potsdam, LKV 2002, 246 f.; Giesberts, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK § 13 BImSchG, Rn. 22; Guckelberger, in: Kotulla (Hrsg.), Bundes-Immissionsschutzgesetz, 17. Lieferung (Juni 2011), § 13 Rn. 76; Jarass, BImSchG, 9. Aufl. (2012), § 13 Rn. 20; Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 67. Lieferung (2012), § 13 BImSchG, Rn. 117; Wasiliewski, in: Koch/Scheuing/Pache (Hrsg.), GK-BImSchG, 28. Lieferung (Oktober 2010), § 13 Rn. 62. 27 BVerwG, NJW 1978, 1818; Giesberts, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK, § 13 BImSchG, Rn. 22; Guckelberger, in: Kotulla (Hrsg.), Bundes-Immissionsschutzgesetz, 17. Lieferung (Juni 2011), § 13 Rn. 76. 28 Czajka, in: Feldhaus, BImSchG, 2. Aufl., 170. Lieferung (2012), § 17 Rn. 32.
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zeitliche Reichweite ein ebenso restriktives Verständnis postuliert wird, wie im Falle der immissionsschutzrechtlichen Konzentrationswirkung.29 Danach werden von der durch § 75 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwVfG angeordneten Entscheidungskonzentration nicht erfasst der Feststellung des Planes nachgelagerte Verfahren wie z.B. Enteignungs- oder Vollstreckungsverfahren.30 Dieses Auslegungsergebnis trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde gemessen an dem im Übrigen herrschenden Gefüge fachbehördlicher Zuständigkeiten einen Ausnahmefall darstellt, Ausnahmeregelungen aber im Zweifel eng auszulegen sind.31 Jede Veränderung der Eigenverantwortlichkeit und Ausschließlichkeit der Zuständigkeitswahrnehmung verändert die gesetzliche Zuständigkeitsordnung und bedarf daher eines entsprechenden Rechtssatzes, d.h. bei (formell-)gesetzlicher Zuständigkeitszuweisung einer (formell-)gesetzlichen Regelung.32 Eine solche gesetzliche Regelung sah der Kommissionsentwurf für ein Umweltgesetzbuch vor, welcher mit der Vorhabengenehmigung nicht nur eine einheitliche Zulassungsentscheidung konzipierte, sondern auch solche Entscheidungen, welche den Bestand der Genehmigung berühren, der Genehmigungsbehörde vorbehielt.33 Nach § 126 Abs. 1 S. 1 UGB-KomE sollte die Genehmigungsbehörde nach Erteilung einer Vorhabengenehmigung zur Erfüllung derjenigen Pflichten, welche sich aus den umweltrechtlichen Vorschriften ergeben, entsprechende Anordnungen treffen können. Soweit eine Fachbehörde, deren Zuständigkeitsbereich durch die Vorhabengenehmigung berührt wird, eine nachträgliche Anordnung für erforderlich hält, wurde diese durch § 126 Abs. 4 S. 1 UGB-KomE darauf verwiesen, der Genehmigungsbehörde eine Anordnung vorzuschlagen. Ohne eine solche ausdrückliche gesetzliche Legitimation – wie sie auch dem eingangs besprochenen § 19 Abs. 4 WHG zu entnehmen ist – kommt eine Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde für nachträgliche Anordnungen – immissionsschutzrechtlicher oder anderer Art – de lege lata jedoch nicht in Betracht.
___________ 29 Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund, 2009, S. 139; a.A. Kirchberg, in: Ziekow (Hrsg.), Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 121. 30 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. (2012), § 75 Rn. 12; Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2010, § 75 Rn. 7; s.a. Heinze, Eisenbahn-Planfeststellung, 1997, S. 184. 31 „singularia non sunt extenda“, Papinian: Dig. 4040, 5, 23 § 3 a.E. u. 41, 2, 44 § 1. 32 Berger, VerwArch 2009, 342 (350, 359). 33 BMU (Hrsg.), UGB-KomE, 1998, S. 695.
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III. Nachträglich auftretende Projekthindernisse Eine spezielle Problematik verbindet sich mit denjenigen Fällen, welche durch das nachträgliche Auftreten rechtlicher Projekthindernisse umschrieben werden können. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Planfeststellungsbeschluss, welcher allein bis zum Projektbeginn mit einer Gültigkeitsdauer von 10 bis 15 Jahren versehen ist,34 von tatsächlichen Entwicklungen „überholt“ werden kann. So liegt es auf der Hand, dass insbesondere der betroffene Naturraum einem stetigen Wechsel unterliegt.35 Es kann daher nicht überraschen, wenn sich der zur Projektverwirklichung ansetzende Vorhabenträger im Realisierungszeitpunkt mit dem Vorkommen besonders geschützter Arten konfrontiert sieht, welche in der Planfeststellung keine rechtliche Würdigung erfahren haben, weil die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Kartierungen einen entsprechenden Nachweis nicht erbracht haben. In einer solchen Situation ist fraglich, ob die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG einer Projektrealisierung im Wege stehen können. Gegen das Vorliegen eines solchen Projekthindernisses spricht zunächst der Wortlaut des § 75 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwVfG, wonach durch die Planfeststellung die Zulässigkeit des Vorhabens im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt wird. Daraus wird im Allgemeinen abgeleitet, dass die durch den Planfeststellungsbeschluss ersetzten Genehmigungen, Ausnahmen und Befreiungen im Planfeststellungsbeschluss nicht explizit genannt werden müssen.36 Dies folgt bereits daraus, dass die einschlägigen Zulassungstatbestände nicht im Planfeststellungsbeschluss gebündelt, sondern vielmehr durch diesen ersetzt werden.37 Ist also die Zulassungsentscheidung mit Konzentrationswirkung ausgestattet und verstößt das Vorhaben gegen artenschutzrechtliche Verbote, so soll die Zulassung danach die erforderlichen artenschutzrechtlichen Ausnahmen oder Befreiungen ersetzen.38 Gegen die darauf gestützte Annahme einer Entbehrlichkeit gesonderter Ausnahmeerteilungen nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens wird die Rechtsprechung des EuGH angeführt, wonach die Mitgliedsstaaten sicherzustellen haben, dass jeder Eingriff, der die geschützten Arten betrifft, nur auf der ___________ 34
Vgl. § 9 Abs. 5 S. 1 LuftVG; § 18c Nr. 1 AEG. BVerwG, Urt. vom 12.8.2009 – 9 A 64.07, Rn. 91. 36 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. (2012), § 75 Rn. 12; Obermayer, VwVfG, 3. Aufl. (1999), § 75 Rn. 16; Vallendar, in: Beckscher AEG-Kommentar, 2006, § 18 Rn. 27 f. 37 Keller, NJW 1979, 1490. 38 Louis, in: Meeresnaturschutz, Erhaltung der Biodiversität und andere Herausforderungen im „Kaskadensystem des Rechts“, 2012, S. 66; Gellermann/Schreiber, Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen in staatlichen Planungs- und Zulassungsverfahren, 2007, S. 32. 35
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Grundlage von Entscheidungen genehmigt wird, die mit einer genauen und angemessenen Begründung versehen sind, in der auf die in der jeweiligen Richtlinie vorgesehenen Gründe, Bedingungen und Anforderungen Bezug genommen wird.39 An einer genauen und angemessenen Begründung in diesem Sinne fehle es jedenfalls dann, wenn die vorhabensbedingten Beeinträchtigungen einer bestimmten Art zum Zeitpunkt der Planfeststellung noch nicht erkennbar waren oder jedenfalls nicht erkannt wurden.40 Ebenso wird die Möglichkeit einer mit dem Planfeststellungsbeschluss im Hinblick auf zukünftige artenschutzrechtliche Konflikte vorauseilend erteilten – gleichsam „fiktiven“ – Ausnahmeerlaubnis mit der Begründung verneint, dieses führe insoweit zu einem strukturellen Vollzugsdefizit, als neu eingewanderte oder „entdeckte“ Arten in der Vorhabenzulassung keine Berücksichtigung finden würden.41 Im Ergebnis sei daher – auch unter Berücksichtigung von Gesichtspunkten der Bestandskraft und des Vertrauensschutzes – die nachträgliche Prüfung und ggf. Erteilung entsprechender Ausnahmegenehmigungen zu fordern.42 Folgt man dieser Auffassung, so stellt sich die Frage, ob die nachträglichen Ausnahmegenehmigungen im Rahmen eines schlichten Verwaltungsverfahrens seitens der zuständigen Naturschutzbehörde zu erteilen sind oder ob die Planfeststellungsbehörde hierfür ein Planergänzungs- oder Planänderungsverfahren durchzuführen hat. Für letzteres spreche insbesondere, dass die Entscheidung über die Erteilung einer (nachträglichen) artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung möglicherweise tief in das Geflecht der Abwägung des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses eingreife, so dass nur die Planfeststellungsbehörde zu dieser Entscheidung berufen sei.43 Bereits bei vordergründiger Betrachtung erscheint es jedoch paradox, Sachverhalte mit dem Instrumentarium des Planungsrechts bewältigen zu wollen, welche sich – der referierten Auffassung zufolge – den besonderen Rechtswirkungen der Planfeststellung weitgehend entziehen. Ein solches Vorgehen erweist sich nach der hier vertretenen Auffassung auch weder als rechtlich zwingend noch fachlich geboten: Von einer als Kontrollerlaubnis ausgestalteten Anlagenzulassung unterscheidet sich die Planfeststellung auf der Tatbestandsebene im Wesentlichen durch das Abwägungsgebot. Mit der an das Abwägungsgebot geknüpften Pflicht zur tatbestandsübergreifenden Berücksichtigung der Belange Dritter und ___________ 39 40 41 42 43
EuGH, Urt. vom 8.6.2008 – 9 A 14/07. Lieber, NuR 2012, 665 (666). Lieber, NuR 2012, 665 (667). Lieber, NuR 2012, 665 (668). Lieber, NuR 2012, 665 (670).
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der räumlichen Auswirkungen des planfestgestellten Vorhabens ist dieses tendenziell an insgesamt strengere Voraussetzungen geknüpft als ein vergleichbarer gebundener Zulassungstatbestand.44 Im Ergebnis verfügen daher die von einem planfeststellungsbedürftigen Vorhaben betroffenen Nachbarn über weitergehende Abwehrrechte als die von einem immissionsschutzrechtlichen Vorhaben Betroffenen.45 Seine innere Rechtfertigung bezieht das Abwägungsgebot daraus, dass es typischerweise für solche Vorhaben der öffentlichen Daseinsvorsorge gilt, welche der Vorhabenträger grundsätzlich nicht allein auf eigenen Grundstücken ausführen kann.46 Ist aber der Träger des Vorhabens in der Phase der Projektrealisierung mit dem Befund konfrontiert, dass ihm der Planfeststellungsbeschluss angesichts geänderter Rahmenbedingungen im Einzelfall möglicherweise keine allumfassende Gestattung zur Vorhabensrealisierung einräumt, so betrifft dies zunächst einmal nur jenen Teil des Planfeststellungsbeschlusses, welcher den Charakter einer Kontrollerlaubnis trägt. Die dem „janusköpfigen Rechtsinstitut“47 eines Planfeststellungsbeschlusses für eine raumbedeutsames Vorhaben ebenfalls eigene Planungsentscheidung wird durch ein Erfordernis zur Anpassung der Genehmigungslage nicht unmittelbar berührt. Selbstverständlich ist die drohende Verwirklichung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände generell geeignet, das Ergebnis einer planerischen Abwägung zu Lasten des Vorhabens zu beeinflussen. Maßgeblich für die Abwägungsentscheidung ist allerdings die Sach- und Rechtslage im ursprünglichen Zeitpunkt der Beschlussfassung. Dies folgt für die Bauleitplanung ausdrücklich aus § 214 Abs. 3 S. 1 BauGB. Nichts anderes gilt nach ständiger Rechtsprechung für die Abwägung im Recht der Fachplanung.48 Soweit ein Vorhaben vom Inhalt der bestehenden Zulassungsentscheidung gedeckt ist, bedarf es auch dann keiner erneuten oder modifizierten Zulassungsentscheidung, wenn seinerzeit die Auswirkungen dieses Vorhabens noch nicht berücksichtigt wurden. Die Planfeststellung ergeht zu einem bestimmten Zeitpunkt auf Grundlage einer Abwägung der zu diesem Zeitpunkt erkennbaren Belange; eine Pflicht zur ___________ 44 Durner, Konflikte räumlicher Planungen: Verfassungs-, verwaltungs- und gemeinschaftsrechtliche Regeln für das Zusammentreffen konkurrierender planerischer Raumansprüche, 2005, S. 306 f. 45 Gaentzsch, Planfeststellung als Anlagenzulassung, in: Festschrift für Otto Schlichter, 1995, S. 522. 46 Gaentzsch, Planfeststellung als Anlagenzulassung, in: Festschrift für Otto Schlichter, 1995, S. 524. 47 Schoen, Die Planfeststellung zwischen Kontrollerlaubnis und Planungsentscheidung – zur Dogmatik eines janusköpfigen Rechtsinstituts, 2003. 48 BVerwG, Beschl. vom 17.1.2013 – 7 B 18/12, Rn. 27; BVerwGE 120, 276 (283); 134, 308 (319).
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„Dauerabwägung“ besteht nicht.49 Folgerichtig hat auch die Durchführung eines Planänderungsverfahrens nicht zur Folge, dass damit die bereits bestandskräftigen Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses wieder zum Gegenstand einer erneuten gerichtlichen Überprüfung gemacht werden können. Ein Änderungsverfahren eröffnet Klagemöglichkeiten nur im Hinblick auf neue oder weitergehende Belastungen, nicht jedoch im Hinblick auf die Festsetzungen des bereits bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses.50 Sofern man dessen ungeachtet die nachträgliche Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung für erforderlich hält, so erscheint jedenfalls deren isolierte Erteilung durch die zuständige Naturschutzbehörde in einem schlichten Verwaltungsverfahren aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen zweckmäßiger zu sein: Die artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung dient zur Überwindung eines repressiven Verbots mit Befreiungsvorbehalt. Als zwingendes – sogar strafbewehrtes51 – Recht gehören artenschutzrechtliche Bestimmungen zu den Planungsleitsätzen, welche im Rahmen der fachplanungsrechtlichen Abwägung nicht überwindbar sind. Da die artenschutzrechtlichen Normen Elemente einer spezifisch planerischen Abwägung nicht erkennen lassen, beschränken sie sich nicht auf eine steuernde Beeinflussung des diesbezüglichen Entscheidungsprozesses, sondern bilden rechtliche Grenzen des planerischen Gestaltungsfreiraums aus, die einer abwägenden Überwindung unzugänglich sind.52 Ist jedoch bei näherer Betrachtung die Entscheidung über die Gewährung einer artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung der planerischen Abwägung entzogen und auf eine schlichte Ermessensausübung reduziert, so erscheint die Notwendigkeit einer Entscheidung durch die Planfeststellungsbehörde als weniger zwingend. Die Zweifel an einer Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde für die „nachsorgende“ Bewältigung artenschutzrechtlicher Probleme im Anschluss an den Erlass der planerischen Zulassungsentscheidung verfestigen sich, wenn man auf den Rechtsgrund einer Berücksichtigung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände in der Planfeststellung rekurriert. Anders als der gesetzliche Habitatschutz (§ 34 BNatSchG) statuieren die Vorschriften des gesetzlichen Artenschutzes primär keine Anforderungen an die Zulassung des Vorhabens. Vielmehr sind die artenschutzrechtlichen Verbote handlungsbezogen formuliert.53 Adressat der Verbote des besonderen Artenschutzes ist nicht die Zulas___________ 49
Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. (2012), S. 76. BVerwG, Urt. vom 17.9.2004 – 9 VR 3/04, Rn. 10 ff. (juris); VG Augsburg, Urt. vom 3.7.2012 – Au 6 K 10/1756, Rn. 30 (juris). 51 Vgl. § 71 Abs. 1 BNatSchG. 52 Gellermann/Schreiber, Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen in staatlichen Planungs- und Zulassungsverfahren, 2007, S. 32; Wolf, ZUR 2006, 505 (509); Gassner, NuR 2004, 560 (562); Füßer/Lau, NuR 2009, 445 f. 53 Lieber, NuR 2012, 665. 50
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sungsbehörde, sondern derjenige, der den Plan konkret umsetzen will.54 Der in § 44 Abs. 1 BNatSchG untersagte Eingriff wird somit nicht durch den Planfeststellungsbeschluss verwirklicht, sondern erst durch das Bauvorhaben, welches auf der Grundlage des Planfeststellungsbeschlusses realisiert werden soll.55 Stehen einem Planfeststellungsbeschluss bereits im Zeitpunkt seines Erlasses dauerhafte Hindernisse tatsächlicher oder rechtlicher Art entgegen, so ist dieser nicht vollzugsfähig und damit materiell rechtswidrig. Ein solches Vollzugshindernis kann sich – wie dargestellt – aus den artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen des § 44 Abs. 1 BNatSchG ergeben, weshalb dessen Tatbestandsvoraussetzungen bereits im Rahmen der Planfeststellung insoweit zu prüfen sind, als die Tatbestandsverwirklichung durch den Bau der Anlagen selbst zwangsläufige Folge des bestimmungsgemäßen Gebrauchs ist.56 Naturgemäß kann in diesem Verfahrensabschnitt allerdings nicht mehr geleistet werden als eine vorausschauende Ermittlung und Bewertung der Frage, ob die spätere Vorhabensrealisierung auf unüberwindbare artenschutzrechtliche Hindernisse treffen wird.57 In diesem Sinne handelt es sich bei einem Planfeststellungsbeschluss lediglich um eine – am „Maßstab der praktischen Vernunft“58 ausgerichtete – Momentaufnahme, angereichert um mehr oder weniger tragfähige Prognosen.59 Die Möglichkeiten der Planfeststellungsbehörde ihre Verwaltungsentscheidung bereits im Zulassungszeitpunkt gegenüber nicht konkret vorhersehbaren Planungshindernissen zu „ertüchtigen“, sind allerdings begrenzt: Zwar kann die Planfeststellungsbehörde möglichen Veränderungen der artenschutzrechtlichen Betroffenheiten nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses regelmäßig dadurch Rechnung tragen, dass sie im Planfeststellungsbeschluss ein naturschutzfachliches Monitoring oder eine qualifizierte begleitende ökologische Bauüberwachung anordnet.60 Zu Recht wird jedoch darauf hingewiesen, dass eine derartige Auflage dort an rechtliche Grenzen stößt, wo die artenschutzrechtlichen Konflikte – wie im Falle einer nachträglich zu erteilenden
___________ 54
BVerwG, Beschl. vom 25.8.1997 – 4 NB 12.97, Rn. 24 (juris). Ambrecht, BayVBl 2011, 396; VGH München, Urt. vom 30.11.2008 – 9 N 05.112, Rn. 39 (juris); OVG Koblenz, Urt. vom 13.2.2008 – 8 C 10368.07, Rn. 27 (juris). 56 Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (454). 57 Gellermann/Schreiber, Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen in staatlichen Planungs- und Zulassungsverfahren, 2007, S. 117; BVerwG, Urt. vom 25.8.1997 – 4 NB 12.97; Urt. vom 17.12.2002 – 4 C 15.01. 58 BVerwGE 131, 274; 133, 239. 59 Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (452). 60 BVerwG, Urt. vom 12.8.2009 – 9 A 64/07. 55
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Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG – einer Bewältigung durch rechtsförmliche Entscheidungen bedürfen.61 Zweifelhaft ist, ob die Planfeststellungsbehörde dem skizzierten Problem durch den Vorbehalt einer Entscheidung nach § 74 Abs. 3 VwVfG begegnen kann. Wie sich aus § 74 Abs. 3 Hs. 2 VwVfG schließen lässt, setzt ein ausnahmsweise zulässiger Konflikttransfer zumindest eine ansatzweise behördliche Antizipierung zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung voraus. Unerwartete Änderungen des Sachverhalts sind daher nur sehr eingeschränkt mit dem Instrumentarium des § 74 Abs. 3 VwVfG vorausschauend zu bewältigen. Der Versuch zur Bewältigung später auftretender artenschutzrechtlicher Konflikte mittels Entscheidungsvorbehalt würde zudem zu einer Determinierung späterer Entscheidungen über die ergänzende Erteilung von artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigungen führen, da die Planfeststellungsbehörde bereits im Zeitpunkt ihrer Ausgangsentscheidung abwägungsfehlerfrei ausschließen können muss, dass eine Lösung des offengehaltenen Problems durch die bereits getroffenen Feststellungen zur Disposition gestellt wird.62 Eine abschließende Lösung aller bei der Vorhabensrealisierung platzgreifender Probleme durch die Planfeststellungsbehörde kann bereits deshalb nicht entwickelt werden, weil es sich bei den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten um materielles Ordnungsrecht handelt.63 Eine Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde zum Vollzug ordnungsrechtlicher Vorschriften im Zusammenhang mit dem Realakt der Ausführung des genehmigten Planes ist aber nicht ersichtlich. Die Entscheidungskonzentration der Planfeststellungsbehörde beschränkt sich auf die vorherige Kontrolle eines präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt oder eines repressiven Verbots mit Befreiungsvorbehalt. Soweit es sich um eingriffsorientiertes Gefahrenabwehrrecht handelt und nicht um der Zulassungsprüfung vorgelagerte Kontrollmechanismen, bietet die formelle Konzentration keine Grundlage dafür, dass die Kompetenzen der für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörde auf die Planfeststellungsbehörde übergehen. Aus der Zuständigkeitsverlagerung kraft Konzentrationswirkung erwächst keine öffentlich-rechtliche Allzuständigkeit kraft Natur der Sache.64 Folgt man nun der einleitend dargestellten Auffassung, welche dem Vorhabenträger auch nach erfolgter Planfeststellung eine stetige Beobachtung der naturräumlichen Ausstattung seines Projektgebietes und ggf. auch die gesonderte Einholung weiterer Ausnahmegenehmigungen abverlangt, so sind diese nach ___________ 61
Lieber, NuR 2012, 665 (669). Lieber, NuR 2012, 665 (669). 63 Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (448, 452). 64 BVerwGE 125, 116 (286); s.a. OVG Münster, Urt. vom 8.6.2005 – 8 A 262/05, Rn. 85. 62
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dem zuvor Gesagten von der jeweiligen Naturschutzbehörde zu erteilen, da es der Planfeststellungsbehörde an der hierfür erforderlichen Zuständigkeit fehlt. Dieser Ansatz ist auch in rechtssystematischer Hinsicht überzeugend, weil Inkonsistenzen im Gefüge fachbehördlicher Zuständigkeiten vermieden werden. Es wäre nämlich nicht unmittelbar einsichtig, wenn nachträgliche Anordnungen aufgrund des sekundären Fachrechts z.B. nach § 17 Abs. 1 BImSchG wie zuvor gesehen durch die jeweils originär zuständigen Fachbehörden zu erfolgen hätten, die Zuständigkeit für eine nachträgliche Erteilung etwaig erforderlicher Ausnahmegenehmigungen wie z.B. nach § 45 Abs. 7 BNatSchG jedoch bei der Planfeststellungsbehörde verbleiben sollte. Eine solche Verzahnung von planungsrechtlicher Zulassungsentscheidung und ergänzenden Maßnahmen originär zuständiger Fachbehörden ist dem Recht der Planfeststellung durchaus nicht fremd: So bildet das Vorliegen der „erforderlichen behördlichen Entscheidungen“ nach § 74 Abs. 7 Nr. 1 VwVfG gerade die tatbestandliche Voraussetzung für den Entfall von Planfeststellung und Plangenehmigung, wenn andere öffentliche Belange von dem Vorhaben berührt sind. Für die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung bestimmt § 9 Abs. 1 S. 3 LuftVG ein Nebeneinander von Planfeststellung und Baugenehmigung. Bei der danach in einem „isolierten“ Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung hat die jeweilige Naturschutzbehörde bei der Würdigung der nach § 45 Abs. 7 BNatSchG tatbestandlich erforderlichen zwingenden Gründe des öffentlichen Interesses wie auch bei der pflichtgemäßen Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens zu berücksichtigen, dass der Vorhabenträger im Vertrauen auf die Vollzugsfähigkeit der planerischen Zulassungsentscheidung ggf. bereits Vermögensdispositionen getroffen hat. Ein „Hineinwachsen“ der dargestellten Sachverhaltskonstellation in eine Planänderung im Sinne des § 76 VwVfG – und infolge dessen eine Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde – kann erst dann angenommen werden, wenn eine erforderliche Ausnahmegenehmigung versagt wird, das Vorhaben also ohne Verstoß gegen ordnungsrechtliche Vorschriften nicht mehr wie geplant realisierbar ist und daher umgeplant werden muss. Vergleichbares gilt, wenn artenschutzrechtlich gebotene Projektänderungen mit planungsrechtlicher Relevanz erforderlich werden, etwa weil für die Realisierung von CEFMaßnahmen im Sinne des § 44 Abs. 5 S. 2 BNatSchG zusätzlicher Grunderwerb unabdingbar wird.
IV. Planbefolgung Neben der Erfüllung gesetzlicher Anzeigepflichten, fachgesetzlich zugelassener nachträglicher Anordnungen und der Erteilung separater Ausnahmegenehmigungen bilden Fragen der Planbefolgungspflicht einen weiteren Schauplatz möglicher Zuständigkeitsprobleme. Beispielhaft genannt seien an dieser
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Stelle Festsetzungen des Planfeststellungsbeschlusses, welche den Vorhabenträger entsprechend § 15 Abs. 2 BNatSchG zum Ausgleich oder Ersatz vorhabensbedingter Eingriffe in Natur und Landschaft verpflichten. Gemäß § 17 Abs. 7 S. 1 BNatSchG ist die Zulassungsbehörde verpflichtet, die frist- und sachgerechte Durchführung der Vermeidungs- sowie der festgesetzten Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich der erforderliche Unterhaltungsmaßnahmen zu prüfen. Trifft nun die Zulassungsbehörde die Feststellung, dass der Träger eines planfestgestellten Vorhabens die Festsetzungen des Planfeststellungsbeschlusses nicht oder nur unzureichend umgesetzt hat, wird sich in aller Regel zunächst der Versuch einer konsensualen Lösung unter Einbeziehung des Vorhabenträgers anschließen. Bleibt ein solcher Einigungsversuch allerdings erfolglos, so führt dies zwingend zu der Überlegung, in welcher Weise den einschlägigen Festsetzungen des Planfeststellungsbeschlusses möglichst effektiv, äußerstenfalls auch unter Anwendung von Zwangsmitteln zur Geltung verholfen werden kann. Naheliegend scheint hier ein Rückgriff auf das Instrument der Verwaltungsvollstreckung zu sein. Nach § 7 Abs. 1 VwVG ist die Zuständigkeit für die Vollstreckung von Verwaltungsakten der jeweiligen Erlassbehörde zugewiesen. Danach würde der Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde für die Feststellung des Planes auch jene für eine zwangsweise Durchsetzung der darin festgesetzten Ge- und Verbote, angeordneter Vorkehrungen und Schutzanlagen folgen. Eine im Wege der Verwaltungsvollstreckung erfolgende Durchsetzung von Festsetzungen des Planfeststellungsbeschlusses hätte allerdings die Zulässigkeit des Verwaltungszwanges zur Voraussetzung. Nach § 6 Abs. 1 VwVG kann ein Verwaltungsakt mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, der auf die Herausgabe einer Sache oder auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist. Es bedarf daher einer näheren Betrachtung, ob ein Planfeststellungsbeschluss der Verwaltungsvollstreckung überhaupt zugänglich ist. Der Tenor eines Planfeststellungsbeschlusses lautet im Kern regelmäßig „der Plan wird festgestellt“.65 Lediglich ein Teil des älteren Meinungsspektrums leitet daraus eine zumindest partiell feststellende Wirkung des Planfeststellungsbeschlusses ab.66 Die in Rechtsprechung und Literatur nahezu einhellig vertretene Auffassung knüpft an die überkommende Terminologie an, welche den Planfeststellungsbeschluss ursprünglich als „Gestaltungsverfügung“ bezeichnet hat.67 Als eine solche sei der Planfeststellungsbeschluss vorwiegend rechtsgestaltender Natur.68 Diese Charakterisierung als rechtsge___________ 65
Vgl. EBA PF-RL, Muster 27.1. Schotthöfer, BayVBl 1968, 345 f. 67 Fritsch, Handbuch der Eisenbahngesetzgebung im Deutschen Reich und in Preußen, 3. Aufl. (1930), S. 72. 68 RGZ 139, 136; BVerwGE 29, 282 (283); 38, 152 (156); OVG Münster, DVBl 1985, 408; Blümel, Die Bauplanfeststellung I, 1961, S. 178 f. (m.w.N.); Boewe/Geis66
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staltender Verwaltungsakt lässt sich normativ an der Vorschrift des § 75 Abs. 1 S. 2 VwVfG festmachen, wonach durch die Planfeststellung alle öffentlichrechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt werden. Die Gestaltungswirkung entfaltet sich in unterschiedliche Richtungen: Gegenüber dem Vorhabenträger ebenso wie gegenüber den Trägern öffentlicher Belange und privaten Dritten.69 Dem Vorhabenträger gegenüber gestaltet der Planfeststellungsbeschluss sowohl positiv als auch negativ: Positiv insoweit, als er durch die Begründung, Änderung und Aufhebung von Rechten des öffentlichen Rechts die Rechtsgrundlage für die Realisierung des Vorhabens und der damit verbundenen Wirkungen schafft; negativ insoweit, als der Vorhabenträger an den festgestellten Plan gebunden wird, sobald er zur Planverwirklichung ansetzt („Plangewährleistungsanspruch“).70 Gegenüber den Trägern öffentlicher Belange entfaltet der Planfeststellungsbeschluss eine Gestaltungswirkung insofern, als diese die Planfeststellung beachten müssen.71 Die Beziehungen zu den Privaten werden durch den Planfeststellungsbeschluss ebenfalls abschließend gestaltet, soweit es sich um öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen handelt.72 In § 6 Abs. 1 VwVG hat der Gesetzgeber in einer abschließenden Aufzählung die vier bereits genannten Arten von belastenden Verwaltungsakten bestimmt, welche allein der Verwaltungsvollstreckung zugänglich sind.73 Danach ist ein Verwaltungsakt nur vollstreckungsfähig, wenn er nicht nur gestaltender oder feststellender Natur ist. Ein gestaltender oder ein feststellender Verwaltungsakt bedarf nicht der zwangsweisen Durchsetzung bei Nichterfüllung, da er den Inhalt und Umfang seiner Rechtswirkung bereits in sich trägt.74 Der Planfeststellungsbeschluss selbst ist damit keine taugliche Grundlage für Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung. ___________ ler/Bues, in: Kölner Kompendium des Luftrechts, 2009, Bd. 2 Rn. 718; Guckelberger, Inhaltliche Abweichungen von bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlüssen, in: Ziekow, Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts, 2009, S. 189; Ronellenfitsch, VerwArch. 80 (1989), 92 (106); Ronellenfitsch, Die Verwaltung 23 (1990), 323 (351); Knack, VwVfG, 9. Aufl. (2010), § 74 Rn. 10; Obermayer, VwVfG, 3. Aufl. (1999) § 74 Rn. 19; Ruttloff, UPR 2012, 328 (329); Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. (2008), § 74 Rn. 19; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Aufl. (1995), § 41 Rn. 41; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. (2007), § 62 Rn. 120. 69 Vgl. Ziekow, VerwArch 99 (2008), 559 (565). 70 Boewe/Geisler/Bues, Kölner Kompendium des Luftrechts, Bd. II, Rn. 736. 71 Fischer, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 436; s.a. Berger, VerwArch 100 (2009), 342 (354) (Fn. 62, 67). 72 Ziekow, VerwArch 99 (2008), 559 (565). 73 Vgl. Sadler, VwVG/VwZG, 8. Aufl. (2011), § 6 VwVG Rn. 64. 74 App/Wettlaufer, Praxishandbuch Verwaltungsvollstreckungsrecht, 5. Aufl. (2007), § 7 Rn. 25.
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Etwas anderes kann allenfalls insoweit gelten, als die Beachtung von Nebenbestimmungen der planrechtlichen Zulassungsentscheidung in Rede steht. So enthält der Planfeststellungsbeschluss neben der Feststellung des Plans und der Entscheidung über Einwendungen zwar nicht notwendigerweise, aber doch regelmäßig auch die Anordnung von Schutzmaßnahmen (Schutzvorkehrungen und/oder Anlagen).75 Die Befugnis der Verwaltungsbehörde zum Erlass von Nebenbestimmungen ergibt sich entweder aus den allgemeinen Vorschriften des VwVfG oder aus den jeweils zu beachtenden Fachgesetzen.76 Von den in § 36 Abs. 2 VwVfG allgemein geregelten Nebenbestimmungen kommt – da Bedingung und Befristung naturgemäß weder vollstreckungsfähig noch vollstreckungsbedürftig sind77 – allein die Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG als Vollstreckungstitel in Betracht. Wird eine solche Auflage vom Vorhabenträger nicht erfüllt oder handelt er ihr zuwider, so besteht grundsätzlich die Möglichkeit, die Erfüllung oder Beachtung der Auflage nach den für Verwaltungsakte geltenden Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsrechts zu erzwingen; die Auflage stellt insoweit die Grundverfügung im Sinne von § 6 VwVG dar.78 Damit kommt es für die Vollstreckbarkeit von Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses entscheidend darauf an, ob diese als Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG zu qualifizieren sind. Mit einer Auflage wird dem Begünstigten des Hauptverwaltungsaktes ein Tun, Dulden oder Unterlassen auferlegt. Die Auflage ist eine zusätzlich mit dem Verwaltungsakt verbundene, selbstständig erzwingbare hoheitliche Anordnung, die ein Ge- oder Verbot enthalten kann und entsprechend ihrer Natur nur begünstigenden Verwaltungsakten beigefügt wird.79 Sie ist abzugrenzen von Inhaltsbestimmungen wie der sog. „modifizierenden Auflage“. Letztere ist keine Auflage im Rechtssinne, sondern faktisch eine Teilablehnung oder eine inhaltliche Modifikation des beantragten Verwaltungsakts. Die Behörde lehnt also den beantragten Verwaltungsakt ab und macht ein „Gegenangebot“. Dies erfolgt entweder in Gestalt eines „aliud“ – die Behörde genehmigt etwas anderes als beantragt wurde – oder eines „minus“ – sie genehmigt weniger als beantragt wurde.80 Für den besonderen Fall der Planfeststellung tritt als spezielle Variante sog. Schutzvorkehrung nach § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG hinzu. Danach hat Planfeststellungsbehörde dem Träger des Vorhabens Vorkehrungen oder Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die zum Wohl ___________ 75 76 77 78 79 80
Laubinger, VerwArch 77 (1986), 77 (78). Tegethoff, UPR 2003, 416. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. (2012), § 36 Rn. 71. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. (2012), § 36 Rn. 70. Henneke, in: Knack, VwVfG, 9. Aufl. (2010), § 36 Rn. 40. Hufen/Bickenbach, JuS 2004, 867 (869); a.A. Tegethoff, UPR 2003, 416 f.
die die die der
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Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf die Rechte anderer erforderlich sind. Die dogmatische Einordnung dieser Vorschrift ist allerdings umstritten. In der Rechtsprechung des BVerwG wird die Schutzauflage gem. § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG als ein „integraler Bestandteil“ der Planfeststellung behandelt.81 Die Literatur begreift diese Vorschrift teilweise als eine spezielle Ausprägung des planungsrechtlichen Abwägungsgebotes.82 Nach einer weiteren Betrachtungsweise ist die Anordnung von Schutzvorkehrungen nach § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG als Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG zu qualifizieren.83 Ebenso wird vertreten, bei der Schutzvorkehrung im Sinne des § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG handele es sich um eine Nebenbestimmung sui generis, welche insoweit über den Begriff der Nebenbestimmung hinausgehe, als sie ebenso wie eine sogenannte „modifizierende Auflage“ auch zu einer sachlichen Beschränkung oder Erweiterung des Vorhabens führen kann.84 Das Meinungsspektrum wird komplettiert durch differenzierende Auffassungen, wonach in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen sei, ob es sich bei der Schutzauflage nach § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG um eine „echte Auflage“ oder lediglich um eine Inhaltsbestimmung des Planfeststellungsbeschlusses handele.85 Eine umfassende Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung von Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses gegenüber dem Vorhabenträger im Wege der Verwaltungsvollstreckung vermittelt allein die These eines Äquivalenzverhältnisses zwischen Auflage nach § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG und Schutzvorkehrung gem. § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG, da lediglich sie die erforderliche Titelfunktion einschlägiger Festsetzungen zu begründen vermag. Diese These steht allerdings nicht nur im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung, sondern kollidiert auch mit dem Wortlaut des Gesetzes: Während nach § 36 Abs. 2 VwVfG der Verwaltungsakt „mit“ einer Nebenbestimmung ___________ 81 Klarstellend gegenüber BVerwGE 41, 178 (180): BVerwGE 91, 17 (19); s.a. Bickel, NJW 1979, 1490. 82 BVerwG, Urt. vom 12.8.1999 – 4 C 3/98; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 4. Aufl. (2009), Rn. 4513; s.a. Badura, Schutz Dritter durch Nebenbestimmungen einer Planfeststellung oder Genehmigung, in: Festschrift für Rudolf Lukes, 1989, S. 3 (7). 83 Boewe/Geisler/Bues, Kompendium des Luftrechts, Bd. 2 Rn. 771; Henneke, in: Knack, VwVfG, 9. Aufl. (2010), § 74 Rn. 18; Hofmann/Grabherr, Luftverkehrsgesetz, § 9 Rn. 28; Dürr, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. (2010), Kap. 36 Rn. 13.1; Küge, Der Planfeststellungsbeschluss und seine Anfechtbarkeit – Zugleich ein Beitrag zur Auslegung der §§ 74, 75 VwVfG, 1985, S. 172 f.; Mößle, BayVBl 1982, 193 (195); Vallendar, in: Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 18 Rn. 220. 84 Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. (2012), § 74 Rn. 97. 85 Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. (2008), § 74 Rn. 168; Hoppe/Schlarmann/Buchner/Deutsch, Rechtsschutz bei der Planung von Verkehrsanlagen, 4. Aufl. (2011), Rn. 656; Ronellenfitsch, VerwArch 80 (1989), 92 (106).
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erlassen werden darf, so erfolgt die Anordnung einer Schutzvorkehrung nach § 74 Abs. 2 S. 1 VwVfG „im“ Planfeststellungsbeschluss. Ein anderes ergibt sich auch nicht zwangsläufig aus der Formulierung des § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG, wonach dem Vorhabenträger Schutzvorkehrungen „aufzuerlegen“ seien. Aufgrund der Entstehungsgeschichte der Vorschrift wird angezweifelt, ob diese Wortwahl des Gesetzgebers tatsächlich den Schluss auf eine dem terminus technicus der Auflage in § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG synonyme Bedeutung zulässt. Eingedenk der Entstehungsgeschichte des § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG – die Regelung wurde Wortgleich aus den Parallelvorschriften der entsprechenden Fachgesetze entnommen – erscheine vielmehr der Schluss naheliegender, der Gesetzgeber habe sich beim „Abschreiben“ über die Rechtsnatur dieser Auflagenbestimmung keine besonderen Gedanken gemacht.86 Gewichtiger jedoch erscheint ein systematisches Argument: Danach wäre die Existenzberechtigung einer fachplanungsrechtlichen Sonderregelung in Gestalt des § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG in Frage zu stellen, wenn ihr gegenüber der allgemeinen Vorschrift des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG kein eigenständiger Regelungsgehalt beizumessen sein sollte. Im konkreten Falle des einführenden Beispiels der Festsetzung landschaftspflegerischer Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen spricht noch ein weiteres gegen eine Behandlung als Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG. Aus § 15 Abs. 2 S. 1 BNatSchG folgt zunächst eine unmittelbare gesetzliche Verpflichtung des Vorhabenträgers, unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen oder zu ersetzen. Gleichwohl ergibt sich für den Fall der Planfeststellung aus der Normierung des sog. „Huckepack-Verfahrens“ in § 17 Abs. 1 S. 1 BNatSchG, dass die Planfeststellungsbehörde zugleich die zur Durchführung des § 15 BNatSchG erforderlichen Entscheidungen und Maßnahmen zu treffen hat. Zur Vorbereitung dieser Entscheidungen und Maßnahmen hat der Vorhabenträger gem. § 15 Abs. 4 S. 1 BNatSchG unter anderem die erforderlichen Angaben über die vorgesehenen Maßnahmen zur Vermeidung, zum Ausgleich und zum Ersatz der Beeinträchtigung von Natur und Landschaft zu machen. Bei einem Eingriff, der aufgrund eines nach öffentlichem Recht vorgesehenen Fachplanes vorgenommen werden soll, hat der Planungsträger die erforderlichen Angaben im Fachplan oder in einem landschaftspflegerischen Begleitplan in Text und Karte darzustellen, § 17 Abs. 4 S. 3 BNatSchG. Der Begleitplan ist nach § 17 Abs. 4 S. 5 BNatSchG Bestandteil des Fachplanes.87 Daraus folgt, dass es sich bei den festzusetzenden Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen um integrale Be___________ 86
Engelhardt, BayVBl 1981, 389 f. Gellermann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 67. Lieferung 2012, § 17 BNatSchG, Rn. 15. 87
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standteile des festgestellten Planes handelt.88 Weil Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen somit nicht den Charakter einer selbstständig vollstreckbaren Auflage haben, fehlt es hier im Fall eines Umsetzungsdefizites an einem Vollstreckungstitel, welcher der Planfeststellungsbehörde die Durchsetzung der unter Anwendung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung festgesetzten Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen mit den Mitteln des Verwaltungszwanges ermöglichen würde. Im Ergebnis gilt daher, dass die Planfeststellung Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung gegenüber dem Vorhabenträger zwar im Einzelfall zur Anwendung bringen kann, dies allerdings das Vorliegen eines tauglichen Vollstreckungstitels zur Voraussetzung hat. Eine solche Titelfunktion kommt im Zusammenhang mit der Feststellung eines Planes allein „echten“ Auflagen im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG zu. Solche Auflagen können jedenfalls als Nebenbestimmung zur wasserrechtlichen Gestattung ergehen, da diese lediglich mit dem Planfeststellungsbeschluss verbunden ist, ansonsten jedoch den Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts folgt. Die im Zusammenhang mit der planerischen Zulassungsentscheidung relevanten Schutzvorkehrungen nach § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG gelten zumindest nach der Rechtsprechung des BVerwG nicht als Auflagen im Rechtssinne sondern als „integraler Bestandteil“ eines rechtsgestaltenden Verwaltungsaktes. In Ermangelung eines entsprechenden Vollstreckungstitels stellt der Verwaltungszwang daher kein taugliches Instrument zur rechtlichen Durchsetzung solcher Schutzvorkehrungen dar.
V. Ordnungsrecht Fraglich ist somit, ob Festsetzungen eines Planfeststellungsbeschlusses, welche unter einem Mangel der Vollstreckbarkeit leiden, zumindest mit den Mitteln des einschlägigen Ordnungsrechts zur Geltung verholfen werden kann. Im Beispielsfall einer defizitären Umsetzung festgesetzter Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ermächtigt und verpflichtet § 3 Abs. 2 BNatSchG die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden, die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zu überwachen und nach pflichtgemäßem Ermessen die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um deren Einhaltung sicherzustellen – soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Ein anderes bestimmt ist nach § 17 Abs. 7 S. 1 BNatSchG insoweit, als er im Falle der Vorhabenzulassung durch Planfeststellung die Prüfung der frist- und sachgerechten Durchführung der Vermeidungs- sowie der festgesetzten Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ein___________ 88
Vgl. EBA PF-RL, § 12 Abs. 2 Nr. 1.
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schließlich erforderlicher Unterhaltungsmaßnahmen der Planfeststellungsbehörde zuweist. Eine Sonderzuständigkeit der Planfeststellungsbehörde zum hoheitlichen Einschreiten aufgrund der naturschutzrechtlichen Generalklausel des § 3 Abs. 2 BNatSchG lässt sich dem § 17 Abs. 7 S. 1 BNatSchG hingegen nicht entnehmen. Wie bereits dargestellt leitet sich eine entsprechende Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde auch nicht aus der Konzentrationswirkung der Planfeststellung ab. Gilt es daher eine planwidrige Verwirklichung eines bestandskräftig planfestgestellten Vorhabens zu verhindern, ist dieses nicht Sache der Planfeststellungsbehörde, sondern der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörde.89 Diese kann – beispielsweise in den für die Eisenbahn- oder Luftaufsicht relevanten Fallgestaltungen – mit der Planfeststellungsbehörde identisch sein, zwingend ist dies jedoch nicht. Stellt also die Planfeststellungsbehörde in Ausübung ihrer Kontrollverpflichtung nach § 17 Abs. 7 S. 1 BNatSchG Defizite bei der Umsetzung von Maßnahmen des Landschaftspflegerischen Begleitplanes fest, so bleibt es Aufgabe der originär zuständigen Fachbehörde, den Vorhabenträger durch entsprechendes ordnungsbehördliches Handeln zur Beachtung der Festsetzungen des Planfeststellungsbeschlusses anzuhalten. Zwar wird die Bindung anderer Behörden an den Planfeststellungsbeschluss lediglich im Falle der enteignungsrechtlichen Vorwirkung explizit angeordnet.90 Aber auch darüber hinaus entfaltet der Planfeststellungsbeschluss als Einzelfallrechtssatz seine Gestaltungs- und Bindungswirkung gegenüber der jeweiligen Fachbehörde.91 Im Verhältnis zur Planfeststellungsbehörde hat sie den kompetenzgerecht ergangenen Hoheitsakt in der Weise zu respektieren, dass sie die darin getroffenen Regelungen ihren eigenen Entscheidungen zugrunde legen muss.92
VI. Zusammenfassung Das Problem der Bestimmung behördlicher Zuständigkeiten nach dem Abschluss eines Planfeststellungsverfahrens resultiert aus einem Regelungsdefizit hinsichtlich der zeitlichen Reichweite der im Fachplanungsrecht gesetzlich angeordneten Konzentrationswirkung. Als Behörden, die zu nachträglich eingreifenden Maßnahmen befugt sind, kommen sowohl die Planfeststellungsbehör___________ 89
Vgl. BVerwG, Beschl. vom 15.6.2011 – 7 VR 8/11, Rn. 6 (juris). Vgl. § 28 LuftVG, § 22 Abs. 2 S. 2 AEG. 91 Fischer, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rn. 436; s.a. Berger, VerwArch 100 (2009), 342 (354). 92 Vgl. Berger, VerwArch 100 (2009), 342 (354) m.w.N. 90
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den als auch die Fachbehörden in Betracht. Für den Anwendungsfall wasserrechtlicher Gestattungen obliegt der Erlass nachträglicher Anordnungen gemäß § 13 Abs. 1 WHG der Planfeststellungsbehörde. Wie der Vergleich mit der immissionsschutzrechtlichen Komplementärnorm des § 17 Abs. 1 S. 1 BImSchG zeigt, handelt es sich dabei jedoch nicht um einen verallgemeinerungsfähigen Rechtsgrundsatz. Nachträgliche Anordnungen aufgrund des sekundären Fachrechts sind grundsätzlich durch die originär zuständige Fachbehörde zu treffen. Gleiches gilt, soweit die Erteilung nachträglicher Einzelgenehmigungen für erforderlich gehalten wird. Für die behördliche Durchsetzung der sog. „Planbefolgungspflicht“ stellt das Verwaltungsvollstreckungsrecht nur im Einzelfall ein geeignetes Instrumentarium zur Verfügung. Die Anwendung des Verwaltungszwanges setzt das Vorliegen eines Vollstreckungstitels voraus, welcher im Regelungszusammenhang des Planfeststellungsbeschlusses die Anordnung einer Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG erfordert. Ob die von einem Planfeststellungsbeschluss umfassten Nebenbestimmungen regelmäßig als Auflage im Rechtssinne qualifiziert werden können, ist fraglich. Gleichwohl kann der Vorhabenträger mit ordnungsrechtlichen Mitteln zur Einhaltung der im Planfeststellungsbeschluss getroffenen Festsetzungen angehalten werden. Entsprechende Ordnungsverfügungen sind unter Berücksichtigung der im Planfeststellungsbeschluss konkretisierten Vorhabenzulassung durch die originär zuständigen Aufsichtsbehörden auf Grundlage des sekundären Fachrechts zu erlassen. Lediglich im Einzelfall kann die zuständige Aufsichtsbehörde mit der Planfeststellungsbehörde identisch sein.
Verzeichnis der Autoren Stefanie Thörner, Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr NRW, Düsseldorf Achim Goldmann, Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr NRW, Düsseldorf Dr. Lisa Teichmann, Rechtsanwältin, Malmendier Partners, Berlin Dr. Ulrich Hösch, Prof., Rechtsanwalt, Dr. Gronefeld Thoma und Kollegen, München Guido Kleve, Rechtsanwalt, DLA Piper, Köln Dr. Alexander Jannasch, RiBVerwG a.D., Leipzig Stephan Siegert, Verfahrensmanager Femern A/S, Kopenhagen Matthias Sauer, Regierungsdirektor, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin Dr. Heribert Schmitz, Ministerialrat, Bundesministerium des Innern, Berlin Dr. Georg Hermes, Univ.-Prof., Goethe-Universität Frankfurt am Main Dr. Dr. Wolfgang Durner, Univ.-Prof., Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Stefan Drygalla-Hein, LL.M., Bundesnetzagentur, Bonn Kim Paulus, Bundesnetzagentur, Bonn Sonja Noske, Bundesnetzagentur, Bonn Dr. Andreas Geiger, Rechtsanwalt, GSK Stockmann & Kollegen, München Rolf Rockitt, Regierungsdirektor, Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, Hannover Dr. Madeleine Hampel, Eisenbahn-Bundesamt, Bonn Christoph Fischer, Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft des Landes Brandenburg, Potsdam