Aktuelle Fragen des Fachplanungs-, Raumordnungs- und Naturschutzrechts 2007: Vorträge auf den Neunten Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 14. bis 16. März 2007 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.] 9783428527847, 9783428127849

Der vorliegende Band enthält die ausgearbeiteten Vorträge, die im Rahmen der 9. Speyerer Planungsrechtstage und des Spey

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German Pages 392 Year 2008

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Aktuelle Fragen des Fachplanungs-, Raumordnungs- und Naturschutzrechts 2007: Vorträge auf den Neunten Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 14. bis 16. März 2007 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.]
 9783428527847, 9783428127849

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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 192

Aktuelle Fragen des Fachplanungs-, Raumordnungsund Naturschutzrechts 2007 Vorträge auf den Neunten Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 14. bis 16. März 2007 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von

Jan Ziekow

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JAN ZIEKOW (Hg.)

Aktuelle Fragen des Fachplanungs-, Raumordnungsund Naturschutzrechts 2007

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 192

Aktuelle Fragen des Fachplanungs-, Raumordnungsund Naturschutzrechts 2007 Vorträge auf den Neunten Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 14. bis 16. März 2007 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von

Jan Ziekow

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 978-3-428-12784-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Der vorliegende Band fasst die Vorträge zusammen, die auf dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag am 14. März 2007 und den Neunten Speyerer Planungsrechtstagen vom 14. bis 16. März 2007 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer gehalten wurden. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltungen waren Vertreter aller Ebenen der Verwaltung, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Rechtsanwaltschaft, von Planungsträgern und -büros, der Wirtschaft und der Wissenschaft. Meine Sekretärinnen, Frau Erika Kögel und Frau Ruth Nothnagel, haben sachkundig die Formatierung des Bandes übernommen; hierfür sei ihnen gedankt. Darüber hinaus gebührt den Herren Dr. Alfred Debus, Dr. Thorsten Siegel und Dr. Alexander Windoffer herzlicher Dank für die Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung. Speyer, im November 2007

Jan Ziekow

Inhaltsverzeichnis Grundrechtsprobleme der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung Von Christian Heitsch, Trier …..........................................................................

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Flugbetrieb als Regelungsgegenstand der Fachplanung – Tatsächliche Grundlagen und rechtliche Beschränkungen Von Markus Deutsch und Andreas Kretzschmar, Frankfurt a.M. .......................

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Die Bewältigung von Prognoseunsicherheit bei planerischen Entscheidungen am Beispiel des Fluglärms Von Ulrich Hösch, München ..............................................................................

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Flugroutenfestlegung und Seveso II-Richtlinie Von Michael Kloepfer, Berlin ............................................................................

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Raumordnung und Flughafenplanung Von Alexander Jannasch, Leipzig ...................................................................... 127 Anforderungen an die landesplanerische Abwägung bei gebietsscharfer Standortausweisung Von Klaus-Peter Dolde, Stuttgart ....................................................................... 147 Natur- und Artenschutz im Verkehrswegeplanungsrecht: Aktuelle Rechtsprechung Von Ulrich Storost, Leipzig ............................................................................. .. 171 Faktische Europäische Vogelschutzgebiete, potenzielle FFH-Gebiete und Natura 2000-Gebiete in der Fachplanung Von Marius Baum, Wiesbaden ........................................................................... 199

Inhaltsverzeichnis

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Die Bedeutung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes für das Fachplanungsrecht Von Wolfgang Ewer, Kiel .......…........................................................................ 241 Monitoring bei der Durchführung von Plänen und Programmen der Raumordnung – Überlegungen zur planungspraktischen Umsetzung der Anforderungen der SUP-Richtlinie Von Theophil Weick, Kaiserslautern ................................................................... 259 Ziele und Konzentrationszonen in der Raumordnung Von Dieter R. Anders, Krefeld ........................................................................... 269 Das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben – ein Überblick Von Peter Schütz, Stuttgart ................................................................................. 289 Artenschutz in der Fachplanung Von Elisabeth M. Rademacher, München .......................................................... 307 Artenschutzrechtliche Regelungen bei Eingriffen und Vorhaben nach dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes Von Gerhard Adams, Bonn ................................................................................ 325 Auf dem Weg zu einem Umweltgesetzbuch? Stand und Perspektiven Von Christof Sangenstedt, Berlin ....................................................................... 339 Welche Folgen hätte die Einführung einer planerischen Vorhabengenehmigung? Von Lars Diederichsen, München ...................................................................... 369 Verzeichnis der Autoren ........................................................................................... 391

Grundrechtsprobleme der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung Von Christian Heitsch Der folgende Beitrag widmet sich der Bedeutung der Grundrechte auf Freizügigkeit und auf körperliche Unversehrtheit für die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung. Im ersten Teil soll dargelegt werden, dass Art. 11 Abs. 1 GG auch das Recht schützt, im bisherigen Lebenskreis zu bleiben, und dass Umsiedlungen im Zusammenhang mit der Planfeststellung von Flughäfen unter bestimmten Voraussetzungen Eingriffe in dieses Bleiberecht darstellen können. Der zweite Teil befasst sich mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Im Einzelnen wird der Schutzbereich dieses Grundrechts v. a. im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Beurteilung von Lärmbelastungen näher untersucht. Außerdem wird erläutert, weshalb der Planfeststellungsbeschluss einen Eingriff in dieses Grundrecht bildet, und welche Anforderungen sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die luftrechtliche Planfeststellung ergeben.

I. Umsiedlungen und Freizügigkeit 1. Das Bleiberecht als Gewährleistungsgehalt des Art. 11 Abs. 1 GG Gemäß Art. 11 Abs. 1 GG genießen alle Deutschen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Freizügigkeit bedeutet in Anlehnung an eine erläuternde Klausel, die im Parlamentarischen Rat letztlich zur Vermeidung von Redundanz abgelehnt wurde,1 das Recht, ungehindert durch die deutsche Staatsgewalt an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen.2 Wohnsitz ist die dauerhafte Niederlassung, Aufenthalt die vorübergehende Anwesenheit an einem Ort. Diese Garantie impliziert drei Elemente: Freiheit ___________ 1

Zur Entstehungsgeschichte des Art. 11 GG vgl. z. B. Michael Sachs, in: Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, 2006, 1130 ff. 2 BVerfGE 2, 266, 273; 43, 203, 211; 80, 137, 150.

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des Wegzugs, Freiheit des Zuzugs und den freien Zug selbst, also den Vorgang der Ortsveränderung.3 Art. 11 Abs. 1 GG schützt darüber hinaus auch das Recht, dort zu bleiben, wo man ist.4 Insofern umfasst der Schutzbereich des Art. 11 GG auch ein Recht auf Heimat. Diese Komponente gewinnt gerade in Zeiten, in denen die Tendenz zur Verbürokratisierung und Verplanung des Individuums aufgrund der Komplizierung der technisierten Industriegesellschaft offenbar unausweichlich ist, ihre Bedeutung für den Schutz des Bürgers. Es gibt Situationen, in denen das Bleiberecht wichtiger ist als das Recht auf Wegzug, Zuzug und Ortsveränderung. Im Einzelnen bedeutet dies für den Schutzbereich des Art. 11 GG, dass grundsätzlich kein Bürger gezwungen werden darf zu ziehen. Für den Schutz des Bleibens an einem Ort kommt es nicht auf die Dauer des Bleibens oder Verweilens an, sondern nur darauf, ob der Bürger – müsste er den betreffenden Ort verlassen – seinen Lebenskreis verändern müsste. Das Recht zum Ziehen gewinnt erst durch die Möglichkeit, an dem Ort der Wahl zu bleiben, seine fundamentale freiheitliche Bedeutung.5 Die Freizügigkeit und damit auch das Recht, im bisherigen Lebenskreis zu verbleiben, ist eine „Grundbedingung menschlicher Selbstverwirklichung“, die ihren Ausdruck auch darin findet, dass man Familie, Beruf, Eigentum, Freundeskreis, Vereins- und Sozialleben, natürliche Umgebung nicht irgendwo haben und behalten will, sondern am Ort eigener Wahl.6 Aus der Grundfreiheit, an jedem Ort des Bundesgebietes Wohnsitz und Aufenthalt zu nehmen, folgt auch das Recht, in dem angestammten Gebiet wohnen zu bleiben und nicht vertrieben zu werden.7 Deshalb ist das Recht, den bisherigen Aufenthalt beizubehalten, integraler Bestandteil des positiven Rechts auf Aufenthalt, ohne dass es der Kon___________ 3 Vgl. Christoph Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz – Kommentar, Band I, 5. Auflage 2005, Art. 11 GG, Rn. 24. 4 So auch Günter Dürig, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Stand: August 2005, Art. 11 Rn. 39; Detlef Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, 1970, 41; Albrecht Randelzhofer, in: Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung Oktober 1981, Art. 11, Rn. 55; Gusy (Fn. 3), Art. 11 Rn. 34; Jan Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 1997, 480; Ingolf Pernice, in: Horst Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Band I, 2. Auflage 2004, Art. 11, Rn. 17; vgl. ferner Susanne Baer, NVwZ 1997, 27, 28 ff, 30 f.; Rainer Hofmann, in: Dieter C. Umbach/Thomas Clemens (Hrsg.), Mitarbeiterkommentar zum GG, Art. 11, Rn. 29; Philip Kunig, in: Ingo v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 5. Auflage, 2000, Art. 11 GG, Rn. 18; vgl. ferner Hartmut Krüger/ Martin Pagenkopf, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Auflage, 2003, Art. 11 GG, Rn. 21. 5 Merten (Fn. 4), 41; Randelzhofer (Fn. 4), Art. 11 Rn. 57; ähnlich Ziekow (Fn. 4), 480, 487. 6 Randelzhofer (Fn. 4), Art. 11 Rn. 9 a. E.; Jan Ziekow, in: Karl Heinrich Friauf/ Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand Art. 11 GG, Rn. 29. 7 Vgl. Merten (Fn. 4), 26.

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struktion einer negativen Seite des Freizügigkeitsrechts bedürfte.8 Art. 11 GG steht damit in der Tradition der Weimarer Reichsverfassung, welche in Art. 111 Satz 1 das Recht gewährleistete, „sich an einem beliebigen Orte des Reiches aufzuhalten“. Das Bleiberecht wird in manchen literarischen Äußerungen soziologisch aufgeladen. Anknüpfungspunkt für dieses Bleiberecht sei, so wird gesagt, das gewählte soziale Umfeld, die Heimat. Der Heimatbegriff umfasse eine räumliche, eine soziokulturelle und eine subjektive Dimension. Er bezeichne eine räumlich-soziale Einheit mittlerer Reichweite, die durch aktive Teilnahme hergestellt werde.9 Diese soziologische Aufladung ist so lange unschädlich, wie Missverständnisse dahingehend vermieden werden, dass auch der Bestand der Heimat durch Art. 11 Abs. 1 GG geschützt sein könnte.10 Äußerungen des Bundesverfassungsgerichtes, wonach das Grundrecht „den freien Zuzug von Land zu Land, von Gemeinde zu Gemeinde“ gewährleiste,11 werden zum Anlass genommen, das Bleiberecht prinzipiell an Orte einer bestimmten Größe anknüpfen zu lassen. Auch systematische Überlegungen sollen es nahelegen, den Schutzbereich des Bleiberechtes auf eine bestimmte Ortsgröße zu begrenzen. Auf diese Weise lasse sich Art. 11 Abs. 1 GG eindeutiger von der Fortbewegungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG abgrenzen. Die erstgenannte Bestimmung schütze den Zuzug in die neue und den Abzug aus der alten Heimat, die letztgenannte schütze die Bewegungsfreiheit unabhängig vom Ziel. Werde Art. 11 Abs. 1 GG dagegen unterschiedslos auf alle Orte bezogen, sei er in Fällen berührt, die weder historisch noch systematisch noch mit Blick auf die Schranke des Art. 11 Abs. 2 GG zu ihm passten. Beispiele wären Hausverbote, Platzverweise, Festnahmen usw. Der Schutzbereich des Bleiberechtes aus Art. 11 Abs. 1 GG beziehe sich daher auf Orte, an denen Menschen miteinander auf Dauer leben. Jenseits des objektiven Elements der Größe enthalte der Schutzbereich auch noch ein subjektives Element, das über die Funktion der Identitätsstiftung des Heimatbegriffs vermittelt ist. Daher könne im Einzelfall das Selbstverständnis eines Grundrechtsträgers darüber Aufschluss geben, welcher Ort als sein freiwillig gewählter, identitätsstiftender, soziokultureller und gesicherter Lebenszusammenhang anzusehen ist. Der Eremit sei in seiner so ver___________ 8 So z. B. Ziekow (Fn. 6), Art. 11 GG, Rn. 58; Gusy (Fn. 3), Art. 11, Rn. 34; für Zuordnung des Bleiberechts zur negativen Freizügigkeit dagegen z. B. Randelzhofer (Fn. 4), Art. 11 Rn. 55. 9 Vgl. Pernice (Fn. 4), Art. 11 Rn. 17; näher Baer (Fn. 4), 29 f. 10 Unklar Baer, NVwZ 1996, 31: Mit der engen Fassung des Schutzbereichs soll einerseits keine Bestandsgarantie für Heimatorte verbunden sein, andererseits sei es dem Staat verwehrt, den einmal gewählten Heimatort ohne weiteres zu beseitigen; ablehnend zur Verwendung eines soziologischen Heimatbegriffs Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte, 21. Auflage 2005, Rn. 800. 11 BVerfGE 8, 95, 97.

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standenen Heimat ebenso geschützt wie der Großstädter. Die Größe des Lebenszusammenhangs könne im Einzelfall differieren, werde aber regelmäßig mit der einer Gemeinde oder eines Ortsteils zusammenfallen und über die einzelne Wohnung hinausgehen.12 Es scheint allerdings nicht erforderlich und aus Gründen der Regelungstradition auch nicht überzeugend, zur Vermeidung von Überschneidungen mit der Freiheit der Person den Schutzbereich der Freizügigkeit und des Bleiberechts grundsätzlich auf Orte einer bestimmten Größe zu beschränken; außerdem wirkt es gekünstelt, zunächst objektiv auf derartige Orte abzustellen, zur Vermeidung von Lücken im Grundrechtsschutz dann aber wieder ein subjektives Element einzuführen und dieses dann sogar den Ausschlag geben zu lassen. Als Abgrenzungskriterium zur Fortbewegungsfreiheit vorzugswürdig ist die Frage danach, ob sich die Inanspruchnahme der Bewegungsfreiheit innerhalb des Lebenskreises des Grundrechtsträgers abspielt – dann Schutz durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG – oder über den Lebenskreis hinausreicht – dann Schutz durch Art. 11 Abs. 1 GG. Das Bleiberecht schützt davor, infolge staatlichen Eingriffs den bisherigen Lebenskreis verändern zu müssen. Der Lebenskreis ist der unmittelbare Bewegungsspielraum alltäglicher Abläufe. Er muss in wertender Betrachtung der Bewegungsabläufe anhand zeitlicher, räumlicher, zweckbezogener und modaler Gesichtspunkte ermittelt werden.13 Auf diese Weise wird auch deutlicher, dass das Bleiberecht aus Art. 11 Abs. 1 GG nur das Verbleiben im bisherigen Lebenskreis, aber nicht den Bestand dieses Lebenskreises als solchen schützt. 2. Das Verhältnis des Bleiberechts zur Eigentumsgarantie Planungsbedingte Umsiedlungen sind bislang nur im Hinblick auf Art. 14 GG problematisiert worden. Dies wird jedoch der unterschiedlichen Schutzrichtung der Eigentumsgarantie einerseits und des Bleiberechts andererseits nicht gerecht. Vielmehr sind hier nach allgemeinen Regeln über die sog. Idealkonkurrenz mehrerer Grundrechte Art. 14 und Art. 11 GG nebeneinander anwendbar.14 Es liegt ein typischer Fall der Kumulation mehrerer Grundrechte vor. So ist der Bestand eines Hauses oder einer Wohnung, die im Laufe der Umsiedlung enteignet wird, zwar im Lichte des Art. 14 GG zu sehen. Entsprechend wird konstatiert, dass der Verlust der Verfügungsrechte über vermögenswerte Rechtspositionen, der einst im Freizügigkeitsrecht des Art. 111 ___________ 12 13 14

In diesem Sinne Baer (Fn. 4), 33. Ziekow (Fn. 6), Art. 11 GG, Rn. 45 ff. Zu den allgemeinen Regeln vgl. BVerfG, NJW 1979, 699.

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WRV berücksichtigt wurde, nunmehr in Art. 14 GG enthalten ist.15 Art. 11 Abs. 1 GG schützt daneben das Recht, im freiwillig gewählten, identitätsstiftenden, soziokulturellen, territorialbezogenen und gesicherten Lebenskreis zu verbleiben. Diese Freiheitsdimension ist zwar mit der eigentumsrechtlichen Position verknüpft, wird von ihr aber nicht in vollem Umfang erfasst. Die Position, im Umsiedlungsfall seien Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG und das Bleiberecht Art. 11 Abs. 1 GG nebeneinander zu berücksichtigen, bewegt sich auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Landverlust zugunsten wirtschaftlicher Unternehmen wurde zwar ausschließlich als Problem der Eigentumsgarantie gesehen. Die Fälle betrafen jedoch nicht den Verlust des Lebenszusammenhangs. Im Fall der Teststrecke Boxberg ging es um land- und forstwirtschaftliche Grundstücke.16 Der Fall der Enteignung zu Gunsten eines Energieversorgungsunternehmens betraf ein Ackergrundstück.17 Die Deichgrundstück-Entscheidung zu Art. 14 GG betraf nicht den Verlust, sondern das Verbot des Ausbaus eines Wohnhauses und die Legalenteignung einzelner unbewohnter Grundstücke.18 Im Gegensatz zu schlichten Enteignungsfällen sind Umsiedlungen durch eine weitere Freiheitsdimension als die objektbezogene gekennzeichnet. Jenseits des Eigentumsverlustes geht es um die Vertreibung aus dem Lebenskreis, dessen Beibehaltung in Art. 11 Abs. 1 GG gewährleistet ist. Der Schutz der Mobilität, die nicht über den alltäglichen Lebenskreis hinausgeht, ist dagegen von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG erfasst. Eigentum, das mit dem Lebenskreis verloren gehen kann, wird unter Art. 14 GG berücksichtigt.19 3. Eingriffsprobleme a) Einverständliche Umsiedlung des Enteignungsbedrohten als Eingriff aa) Ablauf der Umsiedlung Gewisse Schwierigkeiten bereitet die Frage, ob die sog. freiwillige oder sozialverträgliche Umsiedlung einen Eingriff in das Bleiberecht der Umsiedlungsbetroffenen darstellt. Dies ist nur für die Umsiedlungswilligen näher zu untersuchen. Hinsichtlich der „Umsiedlungsverweigerer“ könnte ein Eingriff nur über den infolge der Umsiedlung eingetretenen Wegfall des bisherigen Le___________ 15 Vgl. Philip Kunig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz – Kommentar, Band 1, 4. Auflage 1999, Art. 11 GG, Rn. 17. 16 Vgl. BVerfG, NJW 1987, 1251. 17 BVerfG, NJW 1984, 1872. 18 BVerfGE 25, 112, 117 f.; 24, 367. 19 So auch Baer (Fn. 4), 31 f.

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benskreises begründet werden. Diese Konstruktion ist aber nicht tragfähig, weil die Fortexistenz des bisherigen Lebenskreises nicht in den Schutzbereich des Freizügigkeitsrechts fällt.20 Zunächst sei in aller Kürze erläutert, wie eine derartige freiwillige Umsiedlung in der Praxis abläuft. Als Beispiel möge die Umsiedlung der Gemeinde Diepensee dienen, welche im Zeitraum 1999 bis 2004 aus Anlass der beabsichtigten Errichtung des Flughafens Schönefeld/BBI stattfand. Zunächst wurden im Landesentwicklungsplan Ziele der Raumordnung und Landesplanung formuliert, nämlich dass für den Ausbau des Flughafens Schönefeld die Flughafenfläche von entgegenstehenden Nutzungen freizuhalten und die Gemeinde Diepensee sozialverträglich umzusiedeln sei.21 Im Juni 1999 wurde zwischen den Flughafengesellschaftern (Berlin, Brandenburg und Bundesrepublik Deutschland), der Flughafengesellschaft und der Gemeinde Diepensee ein Umsiedlungsrahmenvertrag geschlossen. Dieser regelte die geschlossene und sozialverträgliche Umsiedlung des Ortes und räumte den Eigentümern, Mietern und Gewerbetreibenden Mitwirkungsrechte bei der Gestaltung des neuen Wohnumfelds ein. In Ausführung dieses Umsiedlungsrahmenvertrags schloss der Vorhabensträger bzw. eine von ihm beauftragte Projektgesellschaft in der Folgezeit mit den Betroffenen Einzelverträge. Dabei wurden ausnahmslos Entschädigungen für den bisherigen Bestand nach dem Grundsatz „neu für alt“ vereinbart. Die Betroffenen sollten als Ersatz für ihren alten Gebäudebestand am neuen Siedlungsort Neubauten gleicher Größe und Ausstattung erhalten. Für den Fall, dass mit einzelnen Betroffenen keine einvernehmliche Lösung zustande kommen sollte, stand von Anfang an die Möglichkeit im Raum, die Betroffenen unter Ausnutzung der enteignungsrechtlichen Vorwirkung der Planfeststellung (§ 28 Abs. 2 LuftVG) zu enteignen und sie auf die Enteignungsentschädigung zu verweisen.22 Die bei einvernehmlicher Regelung erzielbaren Konditionen für die Betroffenen waren sehr viel günstiger als die am Verkehrswert des Altbestands orientierte Enteignungsentschädigung. Nach Pressemeldungen gab es zunächst erheblichen Widerstand gegen die beabsichtigte Umsiedlung der Gemeinde.23

___________ 20

Siehe o. bei Fn. 10, 13. Verordnung über den gemeinsamen Landesentwicklungsplan Standortsicherung Flughafen vom 18.3.1999, GVBl. Bln. 1999, 121 ff., Ziele 1.1. und 4.5.1. 22 Quellen: Pressemitteilung der Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH vom 6.12. 2004, http://www.berlin-airport.de (Zugriff am 07.03.2007); Rückblick auf Umsiedlung Diepensee und Selchow, Sozialverträglichkeit, http://www.berlin-airport.de (Zugriff am 8.3.2007); Landtag Brandenburg, Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 1089, LT-Drs. 3/2911. 23 „Flughafengegner stellen Umzug in Frage – Räumung von Diepensee stößt auf Widerstand“, Berliner Zeitung, 4.2.1999, 27, http://www.berlinonline.de (Zugriff am 8.3.2007). 21

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bb) Vorliegen eines dem Staat zurechenbaren Eingriffs? Die Umzugswilligen geben in den Fällen einvernehmlicher Umsiedlung ihren bisherigen Lebenskreis zwar aufgrund einer Einigung mit dem Vorhabensträger oder der von ihm beauftragten Projektgesellschaft über die Umsiedlung auf. Dieser Vorgang spielt sich jedoch vor dem Hintergrund der vom Staat festgesetzten Raumordnungsziele und der im Gefolge der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung möglichen Enteignung ab. Ob der in dieser Weise von der öffentlichen Gewalt mit veranlasste Wegzug der Gemeindebewohner als Eingriff in das Bleiberecht anzusehen ist, bedarf näherer Untersuchung. Ein klassischer Eingriff, verstanden als zielgerichteter unmittelbar wirkender rechtlicher Befehl24 liegt nicht vor. Insbesondere stellt das Raumordnungsziel selbst keinen derartigen Eingriff dar. Denn es löst nicht für die Bürger, sondern nur für öffentliche Stellen und besondere juristische Personen des Privatrechts eine Beachtenspflicht aus (§ 4 Abs. 1, 3 ROG). Der Raumordnung fehlt es am sog. bodenrechtlichen Durchgriff. Erfordernisse der Raumordnung unter Einschluss der Ziele haben aus dem raumordnerischen Kompetenztitel keine unmittelbaren Bindungswirkungen für raumbedeutsame Maßnahmen und Vorhaben Privater.25 Die Beeinträchtigung des Bleiberechts beruht hier auf einer staatlichen Kettenverursachung,26 d. h. auf einem Verhalten nichtstaatlicher Akteure, welches seinerseits von einem Verhalten der öffentlichen Gewalt verursacht wurde. Die Voraussetzungen, unter denen kettenverursachtes Verhalten nichtstaatlicher Akteure, durch welches grundrechtliche Schutzgüter beeinträchtigt werden, dem Staat als Grundrechtseingriff zuzurechnen sind, bedürfen noch abschließender Klärung. Vielfach wird jegliche Zurechnung eines der bestimmenden Einflussnahme durch den Staat entzogenen Verhaltens anderer ausgeschlossen.27 Teils wird dagegen die Zurechnung zum Staat von Voraussetzungen wie der Finalität des staatlichen Verhaltens abhängig gemacht28 oder die Zurechnung darauf gestützt, ob die öffentliche Gewalt den Ereignisablauf beeinflussen ___________ 24 Zum Begriff des klassischen Grundrechtseingriffs für viele Christian Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 3), Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 265. 25 Vgl. Peter Runkel, in: Walter Bielenberg/Peter Runkel/Willy Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Stand 11.2006, § 4 ROG, Rn. 24. 26 Zum Begriff Michael Sachs, in: Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, 1994, 186. 27 BVerfGE 66, 39, 62 f.; dem folgend z. B. Georg Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, 81 f.; Albert Bleckmann/Rolf Eckhoff, DVBl. 1988, 373, 377 f. 28 Vgl. z. B. Karl Heinrich Friauf, DVBl. 1966, 729, 733.

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konnte29 oder ob staatliches Handeln eine Gefährdungslage für das grundrechtliche Schutzgut geschaffen hat.30 Damit werden Einzelaspekte aus der Diskussion aufgegriffen, die in anderen Rechtsgebieten über den mittelbaren Störer geführt wird. Eine umfassende grundrechtsdogmatische Untersuchung der Frage, unter welchen Voraussetzungen die öffentliche Gewalt für im Wege der Kettenverursachung bewirkte Grundrechtsbeeinträchtigungen verantwortlich ist, steht dagegen noch aus. Deshalb scheint es angezeigt, die Frage der Verantwortlichkeit nach Fallgruppen abzuarbeiten und dabei vom Bereich relativ gesicherter Erkenntnis zu umstrittenen Konstellationen fortzuschreiten.31 Anerkannt ist die Verantwortlichkeit des Staates für Grundrechtsbeeinträchtigungen aufgrund eines Verhaltens anderer, welches er durch wirksame und in Bezug auf die Herbeiführung der Grundrechtsbeeinträchtigung zwingende Anordnung veranlasst hat. Für die Kettenverursachung von Grundrechtsverursachungen außerhalb imperativer Einflussnahme kommt es auf die Finalität des Staatshandelns an. Diejenigen Grundrechtsbeeinträchtigungen, welche auf einem vom Träger öffentlicher Gewalt gezielt veranlassten Verhalten anderer beruhen, sind demnach dem Hoheitsträger zuzurechnen. Zur Begründung hierfür kann insbesondere auf das Polizeirecht verwiesen werden. Dort wird unter dem Stichwort „Zweckveranlassung“ diskutiert, ob ein vorsätzlich und gezielt herbeigeführtes Verhalten anderer dem Veranlasser zuzurechnen ist. Zwar wird heutzutage die polizeiliche Verantwortlichkeit des Zweckveranlassers eher mit Skepsis betrachtet.32 Dies erlaubt aber nicht den Schluss, dass der Bürger keines Schutzes gegen die öffentliche Gewalt bedarf, wenn diese einen anderen Akteur gezielt dazu veranlasst, Grundrechte zu beeinträchtigen. Die Grundrechtsbindung der auch außerhalb ihrer imperativen Befugnisse übermächtigen öffentlichen Gewalt darf grundsätzlich nicht dadurch unterlaufen werden, dass Grundrechtsbeeinträchtigungen der Bürger gezielt mit Hilfe des Verhaltens anderer verursacht werden.33 Als Instrument nicht imperativer, aber gezielter Verhaltenslenkung kommt namentlich das Inaussichtstellen von Vorteilen für das beeinträchtigende Verhalten oder von Nachteilen für sein Unterlassen in Frage.34 Die durch den Vorhabensträger oder durch die von ihm beauftragte Projektgesellschaft vor dem Hintergrund raumordnungsrechtlicher Zielfestlegungen bewirkte Umsiedlung einer Gemeinde stellt nach diesen Grundsätzen einen Eingriff in das Bleiberecht der Bewohner dar. Denn das Verhalten des Vorhabensträgers oder der Projektgesellschaft ist dem Staat als dem Zweckveranlas___________ 29 30 31 32 33 34

VGH Mannheim, DVBl. 1984, 881, 882. BGH, NJW 1971, 1881, 1883. So auch Sachs (Fn. 26), 187 ff., dort auch zum folgenden. Vgl. Christoph Gusy, Polizeirecht, 6. Auflage, 2006, Rn. 336 m. w. N. Sachs (Fn. 26), 190. Sachs (Fn. 26), 193.

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ser zuzurechnen. Wenn die durch Raumordnungsziel vorgegebene sozialverträgliche Umsiedlung nicht gelungen wäre, hätte dies im Planfeststellungsverfahren zu Nachteilen für den Vorhabensträger geführt. Denn die Planfeststellungsbehörde wäre verpflichtet gewesen, das Raumordnungsziel bei der Planfeststellung zu beachten (§ 4 Abs. 1 ROG). Wären die Bemühungen des Vorhabensträgers gescheitert, die Bewohner der Gemeinde in sozialverträglicher Weise zur Umsiedlung zu veranlassen, hätte dies infolge der Bindung der Planfeststellungsbehörde an das Raumordnungsziel die Abwägung zulasten des Vorhabens beeinflusst. cc) Bedeutung der Einigung mit den Umsiedlungswilligen Allerdings stellt sich die Frage, ob die unter dem Damoklesschwert der Enteignung letztlich erzielte Einigung als Grundrechtsverzicht oder besser gesagt als rechtserhebliche individuelle Verfügung über eine Grundrechtsposition35 anzusehen ist, welche die Verfassungswidrigkeit des Eingriffs in das Bleiberecht ausschließen würde. Gegen die Möglichkeit eines echten Verzichts auf ein Grundrecht, der das subjektive Recht zum Erlöschen bringt, spricht die Aufgabe der Grundrechte, allgemeingültige Bindungen der gesamten Staatsgewalt festzulegen. Freiheit und Autonomie des Einzelnen als Kernelemente des Grundrechtsschutzes lassen es aber als ausgeschlossen erscheinen, dass dem Einzelnen seine Grundrechtspositionen auch gegen seinen eigenen Willen unausweichlich aufgezwungen sein sollen.36 Deshalb wird unter Differenzierung nach der Art der Grundrechtsposition und ihrer Gefährdungen die Möglichkeit des Einzelnen anerkannt, bei prinzipiellem Fortbestand seiner Grundrechtsberechtigung aus den einzelnen Grundrechtsbestimmungen konkrete Einzelelemente des Grundrechtsschutzes in begrenztem Umfang aufzugeben. Die genauen Grenzen, innerhalb derer die Verfügung über Grundrechtspositionen rechtliche Anerkennung verdient, können nicht auf ein einheitliches Prinzip zurückgeführt werden – vorgeschlagen werden im Wesentlichen der Vorrang der (als zwingend erkannten) Gesetze einschließlich der jeweiligen Grundrechtsartikel, die Wesensgehaltsgarantie und die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte sowie das Ausmaß, in dem ein Grundrecht auch im öffentlichen Interesse gewährt ist. Statt mittels einheitlicher Prinzipien sind die Grenzen der Anerkennung durch ein nach Sachverhalt und betroffenem Grundrecht differenziertes Vorgehen zu ermitteln.37

___________ 35 36 37

Ausdrucksweise von Jost Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527, 531. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz (Fn. 4), Vor Art. 1 GG, Rn. 53. Pietzcker (Fn. 35), 533 ff., 542.

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Gerade in der hiesigen Konstellation besteht die Besonderheit darin, dass Grundrechtsverwirklichung und Verfügung über eine Grundrechtsposition in weitestem Umfang zusammenfallen. Die zwangsweise Vertreibung aus der bisherigen Heimat durch den Staat wäre ein Eingriff in das Bleiberecht. Die Einwilligung in die Umsiedlung in eine neue Heimat ist kein Verzicht auf den Schutz durch das Bleiberecht, sondern Gebrauch der Freiheit, Wohnsitz und Aufenthalt frei zu wählen.38 Dennoch sind Grenzen für die rechtliche Anerkennung einer Verfügung über das Bleiberecht und Probleme der Freiheitsvernichtung zu beachten, nämlich dort, wo das Einverständnis mit der Umsiedlung in Wahrheit nicht freiwillig erklärt wird, sondern auf unangemessenen Druck zurückzuführen ist. Dies wird der Fall sein, wenn die bei Verweigerung der Verfügung – d. h. des Wegzugs – zu erwartenden Nachteile außer Verhältnis zu den Vorteilen stehen, die infolge der Verfügung eintreten werden.39 Diese Grenzen sind allerdings in Fällen der unter dem Damoklesschwert der möglichen Enteignung vertraglich vereinbarten Umsiedlung nicht erreicht, geschweige denn überschritten. Denn bei Einhaltung der Anforderungen, welche sich aus Art. 14 Abs. 3 GG ergeben, ist die drohende Enteignung kein unangemessenes Druckmittel, um die Betroffenen zur vertraglichen Einigung darüber zu veranlassen, ihre bisherige Heimat aufzugeben. Damit beseitigt die rechtlich anzuerkennende Verfügung über das Bleiberecht die Verfassungswidrigkeit eines etwaigen Eingriffs in dieses Grundrecht. b) Eingriffe in das Bleiberecht durch die Planfeststellung? aa) Eingriff in das Bleiberecht des Enteignungsbetroffenen? Die luftrechtliche Planfeststellung ist kein imperativer Eingriff40 in das Bleiberecht, da sie denjenigen, deren bisheriger Wohnsitz sich auf der Flughafenfläche befindet, nicht gebietet, ihren Wohnsitz zu verlassen. Die bislang nur hinsichtlich der Enteignung diskutierte Vorwirkung der Planfeststellung bezieht sich bei näherem Hinsehen allerdings auch auf das Bleiberecht. Dies ergibt sich aus Folgendem: Eine grundrechtsrelevante Vorwirkung besteht, wenn sicher damit zu rechnen ist, dass bei ungehindertem Fortgang des Geschehens ___________ 38 Insofern besteht eine Parallele zur von Pietzcker, wie vorstehend, 544 f., herausgearbeiteten Fallgruppe der vertragsnahen Grundrechte (Eigentum und Berufsfreiheit). Auch dort sind Grundrechtsverwirklichung und Verfügung über Grundrechtspositionen nahezu deckungsgleich. 39 Strenger wohl Thorsten Koch, Der Grundrechtsschutz des Drittbetroffenen, 2000, 133: wenn der Betroffene bei Verweigerung der Zustimmung einen zusätzlichen Nachteil zu erwarten hat, welcher über den Nichterhalt des mit der Zustimmung verbundenen Vorteils hinausgeht. 40 Vgl. zum imperativen Eingriff Starck (Fn. 24), Art. 1 Rn. 265 m. w. N.

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die Grundrechtsbeeinträchtigung zu einem jedenfalls ungefähr bestimmbaren Termin eintreten wird.41 Mit Bestandskraft des luftrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses steht dem Grunde nach fest, dass der Beschwerdeführer zur Verwirklichung des planfestgestellten Vorhabens enteignet werden darf (§ 28 Abs. 2 LuftVG). Lediglich die Höhe der Entschädigung und die Modalitäten der Eigentumsübertragung sind noch Gegenstand des Enteignungsverfahrens, an dessen Ende der Enteignungsbeschluss und nach dessen Unanfechtbarkeit die Ausführungsanordnung steht.42 Diese bewirkt den Rechtsübergang und die Besitzeinweisung. Mit Unanfechtbarkeit des Enteignungsbeschlusses und Erlass der Ausführungsanordnung wird die zwangsweise Vertreibung des Betroffenen von seinem bisherigen Wohnsitz möglich, sofern er sich weigert, dem Enteignungsbegünstigten zum in der Ausführungsanordnung vorgesehenen Zeitpunkt den Besitz einzuräumen. Denn der unanfechtbare und ausgeführte Enteignungsbeschluss kann ggf. durch Verwaltungszwang vollstreckt werden; Voraussetzung des Zwangs ist nur die Unanfechtbarkeit des Grundverwaltungsakts.43 Und die zwangsweise Räumung und dauerhafte Vertreibung des Betroffenen von seinem bisherigen Aufenthaltsort wirkt in erheblichem Maße auf seine Selbstbestimmung ein. Sie wirkt sich nicht nur im unmittelbaren Lebenskreis des Betroffenen aus, sondern verlangt von ihm eine ganz andere Lebensgestaltung.44 Sie enthält ein Abzugsgebot und bildet daher einen klassischen Eingriff in das durch Art. 11 Abs. 1 GG geschützte Bleiberecht.45 Die Frage, ob die Inanspruchnahme des bisherigen Aufenthaltsorts für das Vorhaben dem Grunde nach zulässig ist, wird in den der Planfeststellung nachfolgenden Verfahrensstadien nicht mehr geprüft. Bereits mit Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses steht damit dem Grunde nach fest, dass der Betroffene, sofern er nicht freiwillig das Feld räumt, am Ende zwangsweise vertrieben werden darf. Den weiteren, zur Vertreibung des Betroffenen führenden Verfahrensschritten kann die Unzulässigkeit des Vorhabens nicht mehr entgegengehalten werden. Auch wenn das Verfahren von der Planfeststellung bis hin zur Vertreibung des Betroffenen mehrstufig ausgestaltet ist, muss es materiellrechtlich aus der Sicht des Betroffenen als Einheit angesehen werden.46 Dies ___________ 41

In diesem Sinne Koch (Fn. 39), 177. Auf Unterschiede der landesgesetzlichen Enteignungsvorschriften kann nicht eingegangen werden. Zugrundegelegt wurden §§ 35, 39 LEnteigG RP. 43 Vgl. – wiederum stellvertretend für die landesrechtlichen Regelungen – § 2 LVwVG RP. 44 Zu diesen Kriterien Ziekow (Fn. 6), Art. 11 GG, Rn. 48. 45 Zur Einstufung des Gebots oder Verbots des Zuzugs oder Abzugs als klassische Eingriffe vgl. Ziekow (Fn. 6), Art. 11 GG, Rn. 89 f. 46 Die Ausführungen zur Begründung der enteignungsrechtlichen Vorwirkung in BVerfGE 45, 297, 319 f., und BVerfGE 74, 264, 282 gelten sinngemäß für die Vorwirkung des Bleiberechts. 42

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rechtfertigt es, bereits den Planfeststellungsbeschluss als Eingriff in das Bleiberecht anzusehen. bb) Faktischer Eingriff durch unzumutbare Lärmeinwirkungen? Ein faktischer Eingriff in das Bleiberecht kann vorliegen, wenn Betroffene aufgrund unzureichender Regelungen des Lärmschutzes faktisch gezwungen sind, ihren bisherigen Wohnsitz aufzugeben, da er zu Wohnzwecken nicht mehr nutzbar ist. Ein Eingriff in die Freizügigkeit liegt immer dann vor, wenn der freie Zug einschließlich der Möglichkeit, im bisherigen Lebenskreis zu bleiben, durch gezielte oder unmittelbare rechtliche oder faktische Maßnahmen der öffentlichen Gewalt erschwert oder unmöglich gemacht wird.47 Mittelbare oder faktische Einflussnahmen auf den Willen zur Beibehaltung des Wohnsitzes können Eingriffe in das Recht auf Freizügigkeit sein, wenn sie objektiv geeignet sind, einen beherrschenden Einfluss auf die Willensentscheidung des Bürgers zu nehmen.48 Dabei ist es gleichgültig, ob jene „Einschränkungen“ für das ganze Bundesgebiet oder nur für einzelne seiner Teile gelten. Abzugrenzen sind Eingriffe in das Bleiberecht zwar von allgemeinen Regelungen, welche sich nicht final oder unmittelbar auf die Freizügigkeit beziehen, wohl aber Rückwirkungen auf deren Ausübung erlangen können. Letztere betreffen nicht den Grundrechtsschutz selbst, sondern lediglich dessen Voraussetzungen. Wo aus faktischen oder Rechtsgründen sich niemand aufhalten darf, kann es auch keinen freien Zug geben. Anders zu beurteilen sind die Situationen, in denen aufgrund eines Planfeststellungsbeschlusses ein faktischer Zwang ausgelöst wird, den bisherigen Lebenskreis zu verlassen, weil der weitere Aufenthalt in diesem Lebenskreis unzumutbar ist. Dies sind Fälle, in welchen in den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 eingegriffen wird.49 3. Fehlende verfassungsrechtliche Rechtfertigung Art. 11 Abs. 2 enthält für Eingriffe in das Recht auf Freizügigkeit einschließlich des Rechtes, im bisherigen persönlichen Lebenskreis zu verbleiben, einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt. Diese Rechte dürfen nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes und nur für ganz bestimmte Fälle eingeschränkt ___________ 47 Vgl. Gusy (Fn. 3), Art. 11 GG, Rn. 49; Kunig (Fn. 4), Art. 11, Rn. 19; Pernice (Fn. 4), Art. 11, Rn. 20. 48 Vgl. BVerfG, HFR 1981, 579; BVerfGE 110, 191. 49 Vgl. zur Differenzierung zwischen allgemeinen Regelungen und Eingriffen in die Freizügigkeit z. B. Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 3), Art. 11 GG, Rn. 49 am Ende.

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werden. Eine materielle Rechtfertigung von Eingriffen in das Grundrecht aus Art. 11 Abs. 1 GG ist nur möglich, wenn eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder wenn der Eingriff zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist. Art. 11 Abs. 2 GG erlangt seinen Charakter als limitierter Gesetzesvorbehalt durch die Aufzählung der „Fälle“, für welche Grundrechtseinschränkungen stattfinden dürfen. Er enthält demnach eine materielle Limitierung der Eingriffsgründe.50 Die Aufzählung jener Gründe ist abschließend („nur“). Sie kann nur durch grundgesetzliche Regelungen erweitert werden (z. B. Art. 17a GG), aber weder durch Analogie noch durch ergänzende Heranziehung verfassungssystematischer Schranken. Ermächtigungsgrundlagen wie etwa die polizeirechtliche Generalklausel oder die Vorschriften des § 9 Abs. 1, 2 LuftVG, welche einen über die im Grundgesetz abschließend aufgeführten Einschränkungsgründe hinausreichenden Tatbestand aufweisen, rechtfertigen Eingriffe in das Freizügigkeitsrecht einschließlich des Bleiberechts allenfalls, wenn kumulativ die gesetzlichen Anforderungen und zugleich eine der limitierenden Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 GG erfüllt sind.51 Eine Rechtfertigung etwaiger Eingriffe in das Freizügigkeitsrecht durch das öffentliche Interesse an der Verwirklichung eines planfestgestellten Flughafens scheidet daher aus.

II. Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit 1. Schutzbereich unter besonderer Berücksichtigung von Lärmwirkungen Körperliche Unversehrtheit erfasst tatbestandlich drei Schichten: Die Gesundheit im engeren Sinne, die psychisch-seelische Gesundheit im weiteren Sinne und die körperliche Integrität unabhängig von der Zufügung körperlicher oder seelischer Schmerzen. Erfasst ist zunächst die körperliche Gesundheit im engeren biologisch-physiologischen Sinne.52 Dies ist ein Zustand, in dem sich alle Organe und Organsysteme des menschlichen Körpers im physiologisch ___________ 50

Randelzhofer (Fn. 4), Art. 11 GG, Rn. 134, Gusy (Fn. 3), Art. 11 GG, Rn. 53. BVerfGE 2, 266, 282; Kunig (Fn. 4), Art. 11 GG, Rn. 20; Gusy (Fn. 3), Art. 11 GG, Rn. 53 a. E. 52 BVerfGE 56, 54, 75. 51

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funktionellen Zustand befinden.53 Die in medizinischen Lehrbüchern angegebenen Normbereiche beziehen sich auf den menschlichen Organismus im Ruhezustand. Die Überschreitung der Grenzen des Normbereichs ist für die Entstehung einer Erkrankung zwar eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Denn das zeitweilige Überschreiten normaler Werte für Blutdruck oder Körperkerntemperatur, Hormongehalt o. dgl. kann erst dann in eine Krankheit münden, wenn diese temporären Belastungen in dauernde Belastungen oder Beanspruchungen übergehen. Krankheit ist durch eine Regelwidrigkeit physiologischer Funktionen gekennzeichnet, die unter Umständen eine Behandlung erforderlich macht. Krankheit umfasst Störungen der normalen Funktion der Organe und Organsysteme des Körpers, die Gesamtheit aufeinanderfolgender, abnorm gearteter Reaktionen eines Organismus oder seiner Teile auf einen Reiz, Erscheinungen, die eine dauerhafte Abweichung von den Normgrenzen des physiologischen Gleichgewichts anzeigen und durch definierte endogene oder exogene Noxen verursacht werden können, sowie regelwidrige Körper- oder Geisteszustände mit der Folge von Behandlungsbedürftigkeit und/oder Arbeitsunfähigkeit. Krankheit kann nicht allein auf Beeinträchtigungen des physischen Wohlbefindens eingeschränkt werden, sondern umfasst auch psychosomatische Störungen. Die psychische Integrität ist durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG jedenfalls insoweit geschützt, als durch Einwirkungen auf die Psyche körperliche Effekte hervorgerufen werden können. Psychische Krankheiten lassen sich praktisch nie von physischen Bedingungen völlig ablösen. Schon deshalb ist der Auffassung zuzustimmen, dass „körperliche Unversehrtheit“ ganz allgemein auch das Freisein von „pathologischen Zuständen“ und somit auch von psychischen Krankheiten umfasst.54 Zwischen gesunder Reaktion und Krankheit gibt es einen Überlappungsbereich (pathophysiologischer Grenzbereich), in dem die Entscheidung, ob ein Zustand als gesund oder krank einzustufen ist, in der Einschätzung der entscheidenden Person liegt. Mit dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vereinbar ist es, weitergehend die körperliche Integrität auch als solche, unabhängig vom Vorhandensein körperlicher oder seelischer Schmerzen, in den Schutzbereich fallen zu lassen – dort heißt es gerade nicht „Gesundheit“, sondern „körperliche Unversehrtheit.“ Auf dieser Linie liegt es, wenn das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob eine anlässlich eines Strafverfahrens durchgeführte hirnelektrische Untersuchung (Enzephalographie) in die körperliche Unversehrtheit eingreifen kann, nicht von vornherein verneint hat. Vielmehr hatte es deshalb keine verfassungsrecht___________ 53 Vgl. Sondergutachten Umwelt und Gesundheit des Sachverständigenrats für Umweltfragen, BT-Drs. 14/2300, Tz. 19 ff. 54 Vgl. Hermes (Fn. 27), 223; ähnlich BVerfGE 56, 54, 75: Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schütze auch vor nichtkörperlichen Einwirkungen, die ihrer Wirkung nach körperlichen Einwirkungen gleichzusetzen seien.

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lichen Bedenken gegen eine derartige Untersuchung, weil ihm die „etwaige Belästigung durch diese Untersuchung nur geringfügig und damit zumutbar“ erschien.55 Der Sache nach hat das Bundesverfassungsgericht hier unter Hinweis auf die (offensichtlich) gegebene Verhältnismäßigkeit festgestellt, dass die hirnelektrische Untersuchung keine Grundrechtsverletzung ist. Auf dieser Linie liegt es auch, wenn das Bundesverwaltungsgericht Vorschriften über die Haartracht der Soldaten mangels jeglicher Anhaltspunkte für pathogene Effekte nicht als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit angesehen hat.56 Dagegen gehört das Freisein von jeglicher Art von potentiell pathogenen Störungen der körperlichen Identität auch zum Schutzbereich des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit. Von vornherein außerhalb des Schutzbereiches bleiben lediglich Störungen des sozialen Wohlbefindens.57 2. Eingriff a) Die Planfeststellung als Eingriffsakt Aufgrund ihrer gesetzlich angeordneten Gestaltungswirkung (§ 9 Abs. 1 S. 2 LuftVG) führt die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung zu Eingriffen in das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Gestaltungswirkung betrifft insbesondere alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zu sämtlichen Drittbetroffenen. Sie dient auch der Überwindung von rechtlich geschützten privaten Belangen Dritter und stellt sich insoweit als Eingriffsakt dar. Eine Planfeststellung, die im konkreten Fall auf einer hinreichenden Planrechtfertigung beruht, mit dem zwingenden Fachrecht vereinbar ist und die Anforderungen des Abwägungsgebots einhält, ist bestimmungsgemäß in der Lage, sich in dem für die Durchführung des Planvorhabens erforderlichen Maße über Rechte und rechtlich geschützte Belange Dritter hinwegzusetzen.58 Dieses vom positiven Gesetzesrecht nahegelegte Ergebnis entspricht auch Erkenntnissen der Grundrechtsdogmatik. Allerdings ist der Grundsatzstreit darüber, unter welchen Voraussetzungen gegen Grundrechtsbeeinträchtigungen von Seiten privater Dritter, welche vom Staat genehmigt oder geduldet werden, die Eingriffsabwehrfunktion des Grundrechts oder die grundrechtliche Schutz___________ 55

BVerfGE 17, 108, 114 f. BVerwGE 46, 1, 6 f. 57 Anders Martin Hermann, Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen im Lichte des Verfassungsrechts, 1994, 123 ff., 125, der auch Belästigungen außerhalb des Schutzbereiches lassen will. 58 BVerwG, DVBl. 1980, 292; vgl. bereits BVerwGE 55, 220, 227; Rudolf Steinberg/Thomas Berg/Martin Wickel, Fachplanung, 3. Auflage, 2000, § 5 Rn. 12 f. 56

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pflicht zum Tragen kommt,59 hier nicht zu vertiefen. Hinzuweisen ist aber auf Folgendes: Die Abgrenzung zwischen akzeptablem und inakzeptablem Freiheitsgebrauch der Anlagen- bzw. Flughafenbetreiber ist Sache der Gesetzgebung, die dabei Schutzpflichten zugunsten der von den nachteiligen Auswirkungen des Freiheitsgebrauchs Betroffenen beachten muss. Eingriffsabwehrender Grundrechtsschutz gegen Genehmigungen drittbelastender Vorhaben findet als grundrechtlicher Schutz gegen Eingriffe in konstituierte Rechtspositionen statt, d. h. auf der Grundlage positiv grundrechtsschützenden einfachen Rechts. Dies sind diejenigen einfachrechtlichen Vorschriften, die in Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten erlassen wurden.60 Gegen die behördliche oder gerichtliche Falschanwendung derartiger grundrechtsschützender Normen des einfachen Rechts kann grundrechtlicher Normanwendungsschutz gewährt werden. Dieser beschränkt sich als Schutz gegen grundrechtswidrige Nicht- oder Falschanwendung auf Norminhalte, die objektiv-rechtlich durch Verfassungsaufträge – grundrechtliche Schutzpflichten – veranlasst sind. Eine grundrechtswidrige Falschinterpretation einer grundrechtsschützenden Norm liegt vor, wenn die Norm bei der gewählten Interpretation einen Inhalt erhält, den die Gesetzgebung selbst nur unter Inkaufnahme eines Verfassungsverstoßes formulieren könnte, anders gesagt: Der – wäre er ausdrücklich formuliert – einen verfassungswidrigen Grundrechtseingriff darstellen würde. Soweit grundrechtsschützende Normen des einfachen Rechts fehlen, also nur geltend gemacht werden kann, dass die Gesetzgebung positive grundrechtliche Pflichten zum Schutz der Grundrechte gegen drittbelastende Vorhaben Privater nicht (ausreichend) erfüllt hat, versagt die Eingriffsabwehrfunktion der Grundrechte. Insoweit bleibt der Betroffene auf die grundrechtliche Schutzpflicht verwiesen, deren Erfüllung dann allerdings nicht Sache der Behörden und Gerichte, sondern der Gesetzgebung ist.61 Die fraglichen grundrechtsschützenden Normen im vorliegenden Zusammenhang sind § 9 Abs. 2 und § 9 Abs. 1 S. 2 LuftVG. Ob die von den Gesetzgebungsorganen beschlossene, aber noch nicht in Kraft getretene Novelle des Fluglärmschutzgesetzes62 eine auch für das Planfeststellungsverfahren maßgebliche Regelung der Lärmproblematik enthält, wäre ggf. gesondert zu prüfen.

___________ 59

Dazu z. B. Jürgen Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, 211 ff.; Dietrich Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, 89 ff., 101 ff., 123 ff.; Hermes (Fn. 27), 219 ff.; Johannes Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992, 35 ff., 90 ff. 60 BVerfGE 53, 30, 65 f. 61 Gertrude Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, 99 f., 118 ff., 199 ff., 202 f. 62 BT-Drs. 16/508, 16/3813; BR-Drs. 53/07 (Beschluß).

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b) Das Spektrum möglicher Beeinträchtigungen Für das Recht auf körperliche Unversehrtheit gilt der weite Eingriffsbegriff. Auch nicht finale, „faktische“ und mittelbare Beeinträchtigungen des Schutzguts sind danach Eingriffe.63 Die infolge der Gestaltungswirkung zugelassene Lärmeinwirkung eines Verkehrsflughafens stellt jedenfalls dann einen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit dar, sofern der Lärm zu Gesundheitsgefahren führt bzw. ein Ausmaß erreicht, welches das körperliche Befinden negativ verändert.64 Von einer Beeinträchtigung der Gesundheit bzw. von einer Verschlechterung des Gesundheitszustands ist auszugehen, wenn ein Befund gegeben ist, der ein objektivierbares Abweichen vom „Normalzustand“ bzw. zeitlich gesehen, vom Zustand vor der Einwirkung, im Sinne einer anatomischen oder biochemischen Veränderung zeigt. Das Gleiche gilt, wenn ein Befund gegeben ist, der eine geistig-seelische „Normabweichung“ bzw. Zustandsveränderung aufweist, ohne dass organische, körperlich begründbare Ursachen vorliegen müssen. In Zweifelsfällen kann insoweit danach gefragt werden, ob vom medizinischen Standpunkt aus Behandlungsbedarf besteht. Erfasst werden damit sowohl physische, als auch psychische Gesundheitsstörungen. Auf der Grundlage dieses Begriffs der körperlichen Unversehrtheit können sodann auch Grenzfälle zwischen bloßer Belästigung und gesundheitlicher Beeinträchtigung anhand eines objektivierbaren Maßstabs gelöst werden. Sicherlich kann auch die Medizin nicht immer eindeutige Abgrenzungskriterien zur Verfügung stellen. Gleichwohl lässt sich ein menschlicher Zustand anhand medizinisch-naturwissenschaftlicher Kriterien vielfach klar und nachvollziehbar als „gesund“ oder „krank“ bezeichnen. So sind etwa hochgradige Erregungs- oder Angstzustände, die nach der eine Wertung voraussetzenden Umschreibung durch das Bundesverfassungsgericht65 wohl der Zufügung von Schmerzen entsprechen würden und damit dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zuzuordnen wären, jedenfalls nach dem klinischen Gesundheitsbegriff vom Ärztestandpunkt aus als behandlungsbedürftig und damit als Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit zu qualifizieren. Das Gleiche gilt für lärminduzierte Hypertonie. Die „Eingriffsschwelle“ ist allerdings auch schon dann überschritten, wenn durch Lärm die körperliche Integrität, d. h. der ungestörte Ablauf biologischphysiologischer Vorgänge, mit potentiell pathogener Wirkung beeinträchtigt ___________ 63 Vgl. BVerfGE 66, 39, 16; Dietrich Murswiek, in: Michael Sachs (Hrsg.), GGKommentar, 3. Aufl., 2003, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 164. 64 Vgl. BVerfGE 56, 54, 75 ff.; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 GG, Rn. 155; Kunig (Fn. 4) Art. 2 GG, Rn. 63. 65 BVerfGE 56, 54, 75.

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wird, selbst wenn damit keine körperlichen Beschwerden verbunden sind.66 Effektiver Schutz der körperlichen Unversehrtheit ist zudem nur möglich, wenn nicht nur solche Verhaltensweisen, die darauf abzielen, das Schutzgut zu beeinträchtigen bzw. die diese Wirkung mit Sicherheit zur Folge haben, als Eingriffe angesehen werden. Vielmehr ist es erforderlich, auch die Verursachung des Risikos einer Schutzgutbeeinträchtigung als Eingriff zu qualifizieren. Unbeabsichtigte Schutzgutverletzungen – und darum geht es in der Regel – lassen sich nämlich nur dann vermeiden, wenn auch solche Verhaltensweisen unter Rechtfertigungszwang gestellt werden, von denen man nicht sicher weiß, dass sie den Verletzungserfolg herbeiführen werden, sich dieser Erfolg aber nicht hinreichend sicher ausschließen lässt (Risiken). Der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 S. 1 umfasst somit auch das Freisein von Risiken für die körperliche Unversehrtheit. Die Verursachung solcher Risiken ist ein Eingriff in dieses Grundrecht.67 Das bedeutet natürlich nicht, dass die Verursachung jedes noch so kleinen Risikos eine Grundrechtsverletzung darstellt. Dies ist aber eine Frage der Eingriffsrechtfertigung. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in ständiger Rechtsprechung der Sache nach bestätigt, ohne allerdings dogmatisch stets klar zwischen Eingriff und Eingriffsrechtfertigung zu unterscheiden.68 Auch lärmbedingte Schlafstörungen sind demgemäß als „Einwirkungen auf die körperliche Unversehrtheit“ anzusehen.69 Zwar ist bisher wissenschaftlich nicht eindeutig erwiesen, ob durch Fluglärm gestörter Nachtschlaf kausal zu langfristigen Gesundheitsstörungen führt und welcher Indikator einer Störung des Nachtschlafs die prognostizierte Schädlichkeit der Wirkung am besten oder überhaupt beschreibt.70 Die Mehrzahl der Lärmwirkungsforscher geht jedoch aus präventivmedizinischen Gründen von der Hypothese eines kausalen Zusammenhangs zwischen primär gestörtem Schlaf und langfristigen Gesundheitsstörungen aus. Die Frage nach dem „richtigen“ Indikator primärer Schlafstörungen ist untrennbar mit der nach wie vor nicht eindeutig beantworteten Frage verbunden, welche Funktionen der Schlaf eigentlich besitzt. Es wird vermutet, dass durch eine deutliche Absenkung des Energieverbrauchs der Ge___________ 66 So wohl auch Hermes (Fn. 27), 225, der das Schneiden der Haare gegen den Willen des Betroffenen als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ansieht. 67 Vgl. Murswiek (Fn. 59), 127 ff., insbesondere 131 ff. 68 Vgl. z. B. BVerfGE 49, 89, 141 f.; 51, 324, 346 f.; 53, 30, 51, 57; 56, 54, 76; 66, 39, 57 f. 69 BVerfGE 56, 54, 76; Hermes (Fn. 27), 225 f. 70 Zum Folgenden s. Mark Brink/Christoph Schierz, Mathias Basner/Alexander Samel/Manfred Spreng/Klaus Scheuch/Werner Stahel/Hans Bögli, „Bericht zum Workshop ‚Aufwachwahrscheinlichkeit‘ – Bestimmung lärminduzierter Aufwachwahrscheinlichkeiten in der Nachtlärmwirkungsforschung und Anwendung entsprechender Wirkungsmodelle für Prognosezwecke, ETH Zürich, 21./22.4.2006, 5 ff., 8 f. 9 ff. (Online: http://e-collection.ethbib.ethz.ch/show?type=bericht&nr=485, Zugriff am 8.3.2007).

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hirnzellen während bestimmter Schlafstadien die entsprechenden Reserven wieder ergänzt werden. Außerdem haben der Tiefschlaf und der REM-Schlaf Auswirkungen auf die für prozedurale und deklarative Lernprozesse bedeutsame neuronale Plastizität. Es wird davon ausgegangen, dass der Schlaf auch dann durch viele kurze Weckreaktionen fragmentiert und in seiner Erholungsfunktion beeinträchtigt werden kann, wenn keine Veränderung der Makrostruktur des Schlafes stattfindet. Eine relevante Störung des Schlafes ist insbesondere anzunehmen, wenn die Verweildauer in den tiefen Schlafstadien und im REM-Schlaf über ein bestimmtes Maß verkürzt oder wenn die Anzahl der Arousals oder Weckreaktionen über ein bestimmtes Maß erhöht wird. Vermutet wird auch, dass der Indikator „erinnerbares Erwachen“ über den Umweg der erlebten Belästigung eine psychosomatische Wirkung ausübt. Demgemäß sind langfristige tertiäre negative Wirkungen im Sinne von Gesundheitsstörungen oder kurzfristige sekundäre Wirkungen nach gestörtem Nachtschlaf anhand folgender Schlafstörungskriterien zu erwarten: x Verkürzung der Verweildauer im Tiefschlaf; x Verkürzung der Verweildauer im REM-Schlaf; x Verkürzung der Gesamtschlafzeit; x Zunahme erinnerbarer AWR; x Zunahme der EEG-AWR oder von EEG-Arousal. Bedeutsam ist noch, dass nur eine nicht kompensierbare, d. h. chronische Veränderung der Schlafstruktur auf lange Sicht gesundheitlich relevant ist. Eine vollständige zeitliche Kompensation des gestörten Schlafes in den Folgenächten findet allerdings nicht statt. Als Indikatoren für primäre Schlafstörungen gelten vor allem die im EEG objektivierbaren EEG-Arousal, EEG-Aufwachreaktionen und erinnerbares Aufwachen, die sich hinsichtlich ihres EEG-Musters gleichen, aber in ihrer Dauer unterscheiden. Bei der Aufwachreaktion handelt es sich eindeutig um eine relevante Änderung der Schlafstruktur. Fast alle anderen Schlafstörungsindikatoren schlagen sich in irgendeiner Form als EEG-Aufwachreaktion nieder. Somit beschränkt ein Schutzkriterium, das auf EEG-Aufwachreaktionen basiert, auch gleichzeitig die Anzahl erinnerbarer Aufwachreaktionen. Gezeigt werden konnte zudem, dass EEG-Aufwachreaktionen fast immer mit Herzfrequenzbeschleunigungen und Blutdruckanstiegen einhergehen, obwohl sich umgekehrt derartige vegetative Arousal nicht notwendigerweise im EEG zeigen müssen. Ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit in Form einer Schlafstörung liegt deshalb vor, wenn der Drittbetroffene aufgrund der Gestaltungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses Lärmeinwirkungen hinnehmen muss, welche die Anzahl der EEG-Aufwachreaktionen über das normale Maß hinaus erhöhen.

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3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung a) Eignung und Erforderlichkeit Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit steht unter einfachem Gesetzesvorbehalt. Materiellrechtliche Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen ergeben sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dies bedeutet für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich, dass die Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzguts geeignet sein muss, das Ziel oder Vorhaben, welches die Inkaufnahme von Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit rechtfertigen soll, zu verwirklichen; das Vorhaben selbst muss einem legitimen Gemeinwohlinteresse dienen. Die Beeinträchtigung muss ferner erforderlich sein. Es muss also an Alternativen fehlen, welche die Verwirklichung des verfolgen Zwecks in sachlich gleichwertiger Weise ermöglichen, aber die körperliche Unversehrtheit gar nicht oder weniger stark beeinträchtigen. Schließlich muss ein angemessenes, proportionales Verhältnis zwischen der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit einerseits und dem angestrebten Ziel oder Vorhaben bestehen. Der Eingriff muss also verhältnismäßig im engen Sinn bzw. zumutbar sein.71 Hinsichtlich der Legitimität des Gemeinwohlinteresses sowie hinsichtlich der Eignung und Erforderlichkeit steht der Gesetzgebung zur Wahrung ihrer Gestaltungsfreiheit ein Beurteilungsspielraum zu. Im Zweifel ist die entsprechende Einschätzung der Gesetzgebungsorgane zu respektieren. Anderenfalls würde der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Wegbereiter eines verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaats.72 Nach diesen Grundsätzen ist die Einschätzung der Gesetzgebung hinzunehmen, dass die Förderung des öffentlichen Interesses an hinreichend leistungsfähigen Luftverkehrsverbindungen auch Eingriffe in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit rechtfertigen kann. Die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist in der parlamentarischen Demokratie in erster Linie Aufgabe der Gesetzgebung, die hinreichender Handlungsfreiheit bedarf, um diese Aufgabe sachgerecht zu erfüllen. Diese funktionellrechtlichen Erwägungen gelten gegenüber Verwaltung und Rechtsprechung nicht in gleichem Ausmaß. Gegenüber Handlungen der Verwaltung und der Rechtsprechung, welche zu Eingriffen in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit führen, ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle deshalb intensiver. Spielräume für diese beiden Staatsfunktionen ergeben sich lediglich aus der Unschärfe der Kontrollmaßstäbe.73 Die Eignung eines Mittels für einen ___________ 71

Vgl. Hermann (Fn. 57), 143; Hermes (Fn. 27), 253 f. Karl-Peter Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 5. Auflage, 2005, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 316. 73 Zu den Kontrollmaßstäben Eberhard Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 571 ff. 72

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Zweck ist bereits gegeben, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit ist eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit nur dann zulässig, wenn sich der Zweck staatlichen Handelns, um dessen Erreichung willen die Beeinträchtigungen in Kauf genommen werden sollen, nicht gleichermaßen auch ohne die beeinträchtigenden Nebenfolgen oder zumindest mit weniger beeinträchtigenden Nebenfolgen verwirklichen lässt. Dies hat zunächst Bedeutung für die Auswahl des Standorts und der Konfiguration für einen Flughafen. Stehen mehrere Standorte oder Konfigurationen zur Verfügung, um einen den absehbaren Verkehrsbedürfnissen entsprechenden Flughafen zu errichten, so ist unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit derjenige Standort oder diejenige Konfiguration zu wählen, an dem die voraussichtlichen lärmbedingten Einwirkungen auf die körperliche Unversehrtheit die geringste Intensität haben: Wenn ein Standort oder eine Konfiguration in Frage kommt, welche es ermöglicht, gesundheitsschädliche oder gefährdende Einwirkungen völlig auszuschließen, muss dieser Standort oder diese Konfiguration gewählt werden. Das gleiche gilt, wenn eine Standort- oder Konfigurationsalternative möglich ist, durch die schlafstörende Lärmeinwirkungen vollständig verhindert werden können. Entscheidet sich der Antragsteller in diesen Situationen für einen anderen Standort oder für eine andere Konfiguration, hat die Planfeststellungsbehörde den Antrag abzulehnen, weil das Vorhaben mit nicht erforderlichen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit verbunden wäre. Belastungsverschiebungen von einer Gruppe Betroffener auf eine andere oder Reduzierungen der Anzahl Lärmbetroffener innerhalb derselben Kategorie (der gesundheitsschädlich, gesundheitsgefährdend oder durch Schlafstörungen Betroffenen), die sich aus der Wahl anderer Standorte oder Konfigurationen ergeben, sind dagegen für sich genommen nicht geeignet, die fehlende Erforderlichkeit von Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit zu begründen. Denn die körperliche Unversehrtheit weist einen besonderen personalen Gehalt auf. Sie wird „innegehabt“, nicht „ausgeübt“. Das Grundrecht schützt einen Zustand, der zwar auf arbeitsteilige Hilfen (z. B. Lebensmittelversorgung) angewiesen ist, sich aber nicht vom Individuum auf Gruppen oder institutionelle Ordnungen verschieben lässt. Dies ist eine Besonderheit des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit gegenüber anderen Grundrechten, welche es als personale Garantie ausweist.74 Aus dem Erforderlichkeitsgrundsatz folgt außerdem, dass der Betrieb eines Verkehrsflughafens nur solche gesundheitsbeeinträchtigenden Lärmemissionen verursachen darf, die zur Erreichung des mit dem Betrieb verfolgten Zwecks ___________ 74

Vgl. Hermann (Fn. 57), 146 f.; Peter Marburger, WiVerw 1981, 241, 246; Hermes (Fn. 27), 198.

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unumgänglich notwendig sind.75 Der Umfang des lärmemittierenden Flughafenbetriebs hat sich also an den tatsächlichen Verkehrsbedürfnissen zu orientieren. Nur diejenige gesundheitlich bedeutsame Lärmbelastung ist erforderlich, die durch den auf die tatsächlichen Verkehrsbedürfnisse beschränkten Betrieb ausgelöst wird. Dies gilt sowohl für den Betrieb insgesamt als auch für den Betrieb während bestimmter, besonders gesundheitsrelevanter und damit schutzbedürftiger Zeiträume (Nachtzeit). Innerhalb dieses Rahmens müssen außerdem alle gesundheitsbeeinträchtigenden Belastungen unterbleiben, die durch weitere Maßnahmen des aktiven und passiven Schallschutzes vermieden werden können. Aus dem Erforderlichkeitsgrundsatz folgt schließlich auch, dass dem aktiven Schallschutz durch Standortwahl und Betriebsregelungen ein Vorrang vor dem passiven Schallschutz zukommt.76 Diese Anforderungen gelten selbstverständlich für Fluglärmimmissionen, die gesundheitsschädigende oder gesundheitsgefährdende Wirkung haben.77 Sie gelten aber konsequenter Weise auch für solche Belastungen, die unterhalb der „Gefahrenschwelle“ ein Gesundheitsrisiko bedeuten; auch hinsichtlich solcher Beeinträchtigungen folgt aus dem Erforderlichkeitsprinzip eine Risikominimierungspflicht.78 b) Angemessenheit Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist zu klären, ob fluglärmbedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen, die zur Verwirklichung der mit der Errichtung und dem Betrieb des Verkehrsflughafens verfolgten öffentlichen Interesses als geeignet und erforderlich erscheinen, nicht außer Verhältnis zu den das Flughafenvorhaben rechtfertigenden Gründen stehen. Es geht um die Frage der Disproportionalität entgegenstehender Positionen. Ob ein solches Missverhältnis besteht, ist auf der Grundlage einer umfassenden Güterabwägung zu ermitteln.79 Das Bundesverfassungsgericht darf zur Wahrung der Funktionsverteilung gegenüber den Fachgerichten die Güterabwägung nicht in allen Einzelheiten nachprüfen. Es muss aber kontrollieren, ob eine sachgerechte Abwägung überhaupt stattgefunden hat und ob die hierbei zugrunde gelegten Bewertungsmaßstäbe der Verfassung entsprechen.80 Zur sachgerechten Abwägung gehört zunächst, dass die Intensität der zu erwartenden Lärmbelastung fachwissenschaftlich korrekt und mit zutreffenden Ausgangsdaten ermittelt wurde. Sofern die Planfeststellungsbehörde auf Kapazi___________ 75 76 77 78 79 80

Hermann (Fn. 57), 144 f. Vgl. BVerfGE 56, 54, 83 f.; vgl. ferner Hermann (Fn. 57), 144 f. BVerfGE 56, 54, 80. Vgl. Hermann (Fn. 57), 145. Hermann, wie vorstehend. BVerfGE 27, 211, 219.

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tätsbeschränkungen verzichtet, ist für die Ermittlung der Lärmbelastung die technisch mögliche Maximalkapazität des Flughafens zugrunde zu legen. Das Risiko einer schleichenden Verschärfung der Belastungssituation darf von vornherein nicht zu Lasten der Betroffenen gehen. Es widerspricht daher dem Angemessenheitsgrundsatz, wenn für die Lärmprognose nicht die Maximalkapazität, sondern das tatsächlich zu erwartende Verkehrsaufkommen zugrunde gelegt wird, und die Betroffenen darauf verwiesen werden, die Zunahme des Flugbetriebs und damit verbunden auch der Lärmbelastung mit Hilfe des vorhandenen Messnetzes zu verfolgen und ggf. einen Antrag auf nachträgliche Anordnungen zu stellen.81 Bei der Güterabwägung kommt dem Rang und dem Gewicht des grundrechtlich geschützten Rechtsguts entscheidende Bedeutung zu. Wenn das Bundesverfassungsgericht diesbezüglich in der Entscheidung zur Fristenlösung formuliert, „Die Schutzverpflichtung des Staates muß um so ernster genommen werden, je höher der Wert des in Frage stehenden Rechtsguts innerhalb der Wertordnung des Grundgesetzes anzusetzen ist“,82 so gilt dieser Grundsatz selbstverständlich auch für die Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter durch den Staat selbst. Die Wertigkeit und der Rang des geschützten Rechtsguts lässt sich aus seiner Beziehung und Nähe zur Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) als dem Mittelpunkt des Wertesystems der Verfassung gewinnen und bestimmen. Je mehr die gewährleisteten Freiheiten auf die Würde des Menschen bezogen sind, für sie essentiell sind und zu den „elementaren Bedürfnissen“ des Einzelnen zählen, um so stärker beeinflusst Art. 1 Abs. 1 GG die Gewichtung des Grundrechts innerhalb des Wertesystems des Grundgesetzes.83 Je mehr der gesetzliche Eingriff elementare Äußerungen der menschlichen Handlungsfreiheit berührt, um so sorgfältiger müssen die zur Rechtfertigung vorgebrachten Gründe gegen den Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden.84 In hervorragender Weise ist das menschliche Leben auf die Menschenwürde bezogen, denn „es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller Grundrechte“ und stellt deshalb „innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar“.85 Aber auch die körperliche Unversehrtheit des Menschen weist wegen ihres besonderen personalen Gehalts eine sehr enge Beziehung zur Menschenwürde auf.86 Neben der Bedeutung und dem Rang des grundrechtlich geschützten Rechtsguts ist ferner grundsätzlich auch die Intensität der Beeinträchtigung zu be___________ 81 82 83 84 85 86

So aber BVerwGE 125, 116, 239 ff. BVerfGE 39, 1, 42. BVerfGE 27, 81, 91; BVerfGE 39, 1, 43. BVerfGE 20, 150, 149. BVerfGE 39, 1, 42; BVerfGE 46, 160, 164. Hermann (Fn. 57), 146 f. m. w. N.

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rücksichtigen. Soweit infolge der Lärmeinwirkungen Beeinträchtigungen der Gesundheit von einigem Gewicht zu erwarten sind (z. B. Herz-KreislaufErkrankungen), müssen auch die Gründe dafür, dass solche Einwirkungen in Kauf genommen werden, hinreichend gewichtig sein. Deshalb würde es auf Bedenken stoßen, wenn durch eine Planfeststellung einzelne Betroffene deshalb gesundheitsgefährdenden Lärmeinwirkungen ausgesetzt werden, weil der Flughafen „hauptstadtnah“ liegen soll. Denn für die körperliche Unversehrtheit besteht – anders als für das Eigentum – keine wie auch immer zu definierende Sozialpflichtigkeit.87 Als intensiv anzusehen sind aber auch Lärmeinwirkungen, die zu immer wiederkehrenden Schlafstörungen mit der Folge chronischer Schläfrigkeit führen. Denn – um ein Beispiel von Murswiek88 zu paraphrasieren – für denjenigen, der tagsüber ständig schläfrig ist, sind z. B. die Grundrechte auf Berufsfreiheit, Schutz von Ehe und Familie oder Eigentum trotz unverminderter Geltung in ihrem praktischen Nutzen mehr oder weniger stark entwertet. Auch zur Rechtfertigung von Lärmeinwirkungen, die zu Schlafstörungen führen, bedarf es daher entsprechend gewichtiger Gründe. Diesem Erfordernis hat das Bundesverwaltungsgericht Rechnung getragen, als es die Zulassung von Nachtflugbetrieb einer besonderen Rechtfertigung unterworfen hat.89 Anzumerken bleibt noch, dass die Intensität einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit nicht durch einen Geldausgleich reduziert werden kann. Denn körperliche Unversehrtheit und Vermögen liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Sofern im Einzelfall unangemessene Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit (Gesundheitsgefährdungen, Schlafstörungen) zu erwarten sind, müssen diese mittels Schutzanordnungen real auf das zumutbare Maß reduziert werden. Eine auf § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG gestützte Regelung, welche den Anspruch auf passiven Schallschutz in einen Anspruch auf Entschädigung in Geld umwandelt, sofern die Kosten für den Schallschutz einen bestimmten Prozentsatz des Verkehrswerts von Gebäude und Grundstück übersteigen,90 ist daher prinzipiell nicht imstande, den gebotenen Schutz der körperlichen Unversehrtheit zu bewirken. Das gleiche gilt für eine Regelung, welche diejenigen, welche aufgrund der Gestaltungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses gesundheitsgefährdenden Lärmbeeinträchtigungen ausgesetzt sind, einen Anspruch auf Übernahme ihres Grundstücks gegen Geldausgleich zum Verkehrswert einräumt.91 Durch derartige Regelungen wird nur der – verfas___________ 87

Hermann (Fn. 57). Murswiek (Fn. 59), 169. 89 BVerwGE 125, 116, 198 ff. 90 Ohne Erwähnung der körperlichen Unversehrtheit gebilligt von BVerwGE 125, 116, 268 f. 91 Als taugliches Mittel für die Abmilderung von Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit angesehen in BVerwGE 125, 116, 249 ff. 88

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sungsrechtlich bei Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 GG verwurzelte – Wertverlust des Grundstücks ausgeglichen, aber nicht die Gesundheitsbeeinträchtigung abgemildert.

III. Zusammenfassung Das Grundrecht auf Freizügigkeit umfasst als integralen Bestandteil seiner positiven Seite auch das Recht, dort zu bleiben, wo man sich aufhält. Wegen der unterschiedlichen Schutzrichtung der Eigentumsgarantie und des Freizügigkeitsrechts sind beide Grundrechte in Fällen planungsbedingter Umsiedlungen nebeneinander anwendbar. Freiwillige Umsiedlungen beruhen auf Verträgen des Vorhabensträgers oder einer von ihm beauftragten Projektgesellschaft mit den bisherigen Bewohnern der künftigen Flughafenfläche. Der Staat ist daran nur insofern beteiligt, als er die Umsiedlung als Ziel der Raumordnung formuliert und für den Fall, dass mit einzelnen Betroffenen keine einvernehmliche Lösung zustande kommen sollte, das Instrumentarium der Enteignung gegen Entschädigung zum Verkehrswert des Altbestandes bereithält. Dennoch ist die Umsiedlung dem Staat unter dem Gesichtspunkt der Zweckveranlassung zuzurechnen. Sie bildet daher einen Eingriff in das Bleiberecht. Dieser ist allerdings in der Regel verfassungsgemäß. Denn die Verfügung der Bürger über ihre Grundrechtsposition beruht nicht auf unangemessenem Druck. Die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung stellt einen Eingriff in das Bleiberecht des Enteignungsbetroffenen dar. Denn ihre Vorwirkung erstreckt sich über den Enteignungsbeschluss und die Ausführungsanordnung hinaus bis hin zur ggf. notwendigen Zwangsräumung. Ein faktischer Eingriff in das Bleiberecht kann vorliegen, wenn Betroffene aufgrund unzureichender Regelungen des Lärmschutzes gezwungen sind, ihren bisherigen Wohnsitz aufzugeben, da dieser für Wohnzwecke nicht mehr verwendbar ist. Weil die Anforderungen des qualifizierten Gesetzesvorbehalts (Art. 11 Abs. 2 GG) nicht erfüllt sind, scheidet eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Eingriffe aus. Der Schutzbereich des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit umfasst das Freisein von Störungen der körperlichen Gesundheit im physiologischbiologischen Sinn, das Freisein von psychischen Krankheiten sowie unabhängig vom Vorliegen körperlicher oder seelischer Schmerzen das Freisein von potentiell pathogenen Störungen der körperlichen Integrität. Von vornherein außerhalb des Schutzbereichs bleiben lediglich Störungen des sozialen Wohlbefindens. Infolge ihrer Gestaltungswirkung (§ 9 Abs. 1 S. 2 LuftVG) stellt die Planfeststellung einen Eingriffsakt dar. Insbesondere stellt die infolge der Gestaltungswirkung zugelassene Lärmeinwirkung einen Eingriff in das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit dar, sofern der Lärm zu Gesund-

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heitsgefahren oder zu Risiken für die körperliche Unversehrtheit führt. Auch lärmbedingte Schlafstörungen sind als Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit anzusehen, wobei zusätzliche EEG-Aufwachreaktionen als maßgebliches Kriterium heranzuziehen sind. Materielle Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit ergeben sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Etwaige Gestaltungsfreiräume für Verwaltung und Rechtsprechung folgen aus der Unschärfe der verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstäbe. Die Erforderlichkeit zwingt dazu, denjenigen Standort oder diejenige Konfiguration zu wählen, welche die geringsten Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit durch Lärmimmissionen verursacht. Nicht erforderlich sind außerdem Beeinträchtigungen, die durch aktiven oder passiven Schallschutz verhindert werden können. Zur Beurteilung der Angemessenheit bedarf es einer umfassenden Güterabwägung aufgrund methodisch korrekt ermittelter Daten für die Lärmbelastung. Die Angemessenheit kann daran scheitern, dass die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit der Betroffenen außer Verhältnis zur Bedeutung der Gründe steht, welche für einen bestimmten Standort geltend gemacht werden. Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit können nicht durch Geldentschädigung oder durch Ansprüche auf Übernahme des lärmbelasteten Grundstücks zum Verkehrswert ausgeglichen werden.

Flugbetrieb als Regelungsgegenstand der Fachplanung – Tatsächliche Grundlagen und rechtliche Beschränkungen Von Markus Deutsch und Andreas Kretzschmar

I. Einleitung Die rechtlichen Auseinandersetzungen um die Projekte der luftrechtlichen Fachplanung konzentrieren sich auf das Dreiecksverhältnis zwischen dem als Kläger auftretenden Flugplatznachbarn, der Luftfahrtbehörde als der Beklagten und dem Zulassungsinhaber, dem beizuladenden Flughafenbetreiber. Dagegen kamen die Nutzer des Flughafens als Beteiligte in Gerichtsverfahren bisher nur selten vor1. Erst in jüngerer Zeit setzt sich die Rechtsprechung mit den Anforderungen der Nutzer näher auseinander2. Auf den ersten Blick überrascht das. Sie sind auf ihre Weise genau so betroffen wie die Anlieger. Die Nutzer sind nämlich die zentrale Ursache für einen der Hauptstreitpunkte im luftverkehrsrechtlichen Nachbarstreit, den Fluglärm. Sieht die Planfeststellungsbehörde zum Schutz der Lärmbetroffenen aktive Schallschutzmaßnahmen vor, bedeutet dies anders als im Straßen- oder im Eisenbahnrecht eine Einschränkung der Nutzung. Nutzer und Anlieger stehen damit in einer Art Austauschverhältnis: Beschränkungen, die den einen begünstigen, nehmen dem anderen Nutzungs___________

Die nachfolgenden Ausführungen sind eine vertiefende Darstellung des Vortrags vom 14. März 2007. Rechtsprechung und Literatur sind bis September 2007 berücksichtigt.

Markus Deutsch ist Partner der Sozietät Gleiss Lutz Rechtanwälte, Frankfurt, Andreas Kretzschmar Vorsitzender des Board of Airline Representatives in Germany e.VOM (BARIG). 1 BVerwG, Urt. vom 27.9.1993 – 4 22/93 – NVwZ-RR 1994, 189 (Befreiung von der Betriebspflicht); BVerwG, Beschl. vom 12.6.1998 – 11 B 19.98 – DVBl. 1998, 1184 (Nichtzulassungsverfahren Nürnberg; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 12.2.2007 – 12 A 9.06 – (Stilllegung Berlin-Tempelhof); VGH München, Urt. vom 30.9.1997 – 20 B 96.3228 u. a. – NVwZ-RR 1998, 623 ff (Betriebsbeschränkungen Nürnberg); Urt. vom 25.2.1998 – 20 A 97.40017 u. a., NVwZ-RR 1998, 490 ff. (Nürnberg). 2 BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – Nachtflugregelung München; Beschl. vom 19.5.2005 – 4 VR 2000.05 – Eilverfahren Leipzig; Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073/04 – BBI; Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001/06 – Hauptsache Leipzig; BayVGH, Urt. vom 3.12.2002 – 20 A 01.40019 u.a. – Nachtflugregelung München.

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möglichkeiten oder führen zu einer höheren Fluglärmbelastung. Aktive Schallschutzmaßnahmen betreffen zudem unmittelbar das eigentliche fachplanungsrechtliche Anliegen, die Bereitstellung und den Betrieb der Infrastruktur für den Luftverkehr. Deswegen müssen in der luftverkehrsrechtlichen Fachplanung die Anforderungen des Luftverkehrs berücksichtigt werden. Diese Anforderungen haben sich in den letzten dreißig Jahren in erheblichem Maße verändert. Beleg ist die geradezu rasante Zunahme des Luftverkehrs weltweit. Sie ist nicht zuletzt auf strukturelle Veränderungen auch im Luftverkehrsrecht zurückzuführen. Das wirft die Frage auf, welche Rolle diese rechtlichen Rahmenbedingungen und die auf ihrer Basis entstandenen tatsächlichen Verhältnisse bei der Zulassungsentscheidung über die Luftverkehrsinfrastruktur spielen. Vor allem geht es darum, inwiefern die Betriebsregelung diesen Entwicklungen Rechnung tragen kann oder gar muss. Zum besseren Verständnis werden zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen des Luftverkehrs und ihre historische Entwicklung näher betrachtet. In einem zweiten Schritt geht es darum, wie sich auf dieser Grundlage die tatsächlichen Gegebenheiten des Luftverkehrs heute darstellen. Im Anschluss daran ist unter Berücksichtigung der jüngeren Rechtsprechung zu klären, welche Rolle diese rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bei der Entscheidung über den Betrieb der Luftverkehrsinfrastruktur spielen.

II. Der rechtliche Rahmen für Luftverkehrsdienstleistungen Als internationaler Verkehr unterliegt der Luftverkehr wenig überraschend völkerrechtlichen Vorgaben. Von zentraler Bedeutung ist dabei der völkerrechtliche Grundsatz der Lufthoheit3. Er war bereits im Pariser Luftverkehrsabkommen vom 13. Oktober 1919 enthalten und räumt jedem Staat die vollständige und ausschließliche Staatsgewalt im Luftraum über seinem Gebiet ein. Internationaler Luftverkehr setzt daher die Einräumung von Rechten zur Luftraumnutzung voraus. 1. Die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg Auf der Grundlage dieses luftrechtlichen Fundamentalprinzips4 entwickelte sich der internationale Luftverkehr auf der Basis multilateraler Staatsverträge. Während das Pariser Luftverkehrsabkommen vor allem den Rahmen für den ___________ 3 Schwenk/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 3. Aufl. 2005, S. 5 f., dort auch zu den verschiedenen völkerrechtlichen Konzeptionen. 4 Schladebach, Luftrecht, 2007, Rdnr. 59.

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europäischen Bereich vorgab, entsprachen ihm auf dem amerikanischen Kontinent das Panamerikanische-Abkommen von Havanna vom 20. Februar 1928 und das Ibero-Amerkanische-Abkommen von Madrid vom 1. November 1926. Geprägt waren diese Abkommen durch einen starken regulatorischen Ansatz. Auf die Verkehrsnachfrage und die Verkehrsabwicklung, aber auch auf die Bodeninfrastruktur hatte dieser Ansatz keine großen Auswirkungen. Luftverkehr war damals noch kein Massenverkehr, der zu einer Planung der Verkehrsinfrastruktur nötigte. Die Zulassung von Flugplätzen in Deutschland stand systematisch der Genehmigung gefährlicher gewerblicher Anlagen näher als der Zulassung von Verkehrsanlagen5. Auch ein Flugplatzzwang bestand zunächst nicht. Er wurde erst 1935 eingeführt. Bei der Zulassungsentscheidung standen die Gefahren für und durch Start und Landung im Vordergrund6. Die wirtschaftlichen Anforderungen der Luftverkehrsgesellschaften an eine verkehrsgerechte Ausgestaltung der Infrastruktur spielten – soweit ersichtlich – keine ausschlaggebende Rolle. 2. Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg Obwohl der zweite Weltkrieg zu einem deutlichen Rückgang der zivilen Luftfahrt führte, zeigte die technische Entwicklung der Militärluftfahrt die Möglichkeiten auf diesem Sektor auf. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde daher immer deutlicher, dass in der Nachkriegszeit eine weltweite Neuordnung der Zivilluftfahrt unabdingbar werden würde. a) Das ICAO-Abkommen Auf Initiative der Vereinigten Staaten, deren Luftfahrtgesellschaften als einzige überhaupt zu einer nennenswerten Expansion in der Lage waren, trafen sich vom 1. November bis zum 7. Dezember 1944 54 Staaten zur Internationalen Zivilluftfahrt-Konferenz in Chicago. Das daraus hervorgegangene und am 7. Dezember 1944 unterzeichnete Chicagoer Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt (ICAO-Abkommen)7 stellt gemeinsam mit der Vereinbarung über den Durchflug im internationalen Fluglinienverkehr (Transitvereinbarung)8 bis heute die internationale Rechtsgrundlage für den Zivilluftverkehr ___________ 5 Überblick über die Entwicklung des Zulassungsrechts bei Delbanco, Die Änderung von Verkehrsflughäfen, 1998, S. 43 ff. 6 Delbanco (Fn. 5), S. 46. 7 BGBl. 1956 II S. 412. 8 BGBl. 1956 II S. 442, zu seiner Bedeutung: Birmanns, Internationale Verkehrsflughäfen, 2001, S. 82 ff. und S. 103 ff.

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dar. In den Verhandlungen standen sich das Interesse (vor allem der Vereinigten Staaten) an einer Liberalisierung des Luftverkehrs einerseits und das Beharren auf dem Prinzip der Lufthoheit gegenüber. Die Staaten, die eine funktionierende Luftverkehrswirtschaft erst aufbauen und die diese Bemühungen nicht durch den Wettbewerb etablierter Luftverkehrsunternehmen aus anderen Staaten – insbesondere aus den USA – gefährdet sehen wollten, setzten sich durch. Art. 6 des ICAO-Abkommens bestätigt, dass der planmäßige internationale Fluglinienverkehr über oder in das Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats nur mit der besonderen Erlaubnis des betroffenen Staats betrieben werden darf. Auch der sogenannte Gelegenheitsverkehr (dies ist insbesondere der touristische Charterverkehr) wurde zum Gegenstand einer vorherigen Erlaubnis für den Einflug in das Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates gemacht. Durchbrochen wird die Lufthoheit durch die in der Transitvereinbarung geregelten Rechte, das Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten ohne Landung zu überfliegen und das Recht, dort zu nicht gewerblichen Zwecken (also zu anderen Zwecken als zum Aufnehmen oder Absetzen von Fluggästen, Fracht und Post) zu landen. Dies sind die beiden sogenannten ersten Freiheiten der Luft9. Der Versuch einer weitergehenden Liberalisierung des planmäßigen internationalen Fluglinienverkehrs durch die Einräumung gewerblicher Verkehrsrechte scheiterte dagegen. Die Vereinbarung über den Internationalen Lufttransport vom 7. Dezember 1944, die eine solche Liberalisierung vorsah, wurde nur von wenigen Staaten unterzeichnet. Deutschland hat diese Vereinbarung nicht ratifiziert10. b) Die bilateralen Luftverkehrsabkommen Das ICAO-Abkommen und das Transitabkommen geben bis heute den Rahmen des internationalen Luftverkehrs vor. aa) Linienverkehr Sie werden durch bilaterale Luftverkehrsabkommen ergänzt, in denen die für den internationalen Linienverkehr unabdingbaren Verkehrsrechte vereinbart werden. Die Abkommen regeln das Recht, Fluggäste, Fracht und Post vom Heimatstaat des Luftfahrzeugs in einen anderen Vertragsstaat zu befördern und dort abzusetzen (dritte Freiheit der Luft), das Recht, Fluggäste, Fracht und Post dort aufzunehmen, um sie in den Heimatstaat des Luftfahrzeugs zu befördern (vierte Freiheit), sowie das Recht, Fluggäste, Fracht und Post zwischen dem anderen Vertragsstaat und dritten Vertragsstaaten zu befördern (fünfte Frei___________ 9 10

Schwenk/Giemulla (Fn. 3), S. 628 f. Schwenk/Giemulla (Fn. 3), S. 10.

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heit)11. Weltweit bestehen etwa 4.000 dieser völkerrechtlichen Verträge12. Sie sind die eigentliche Grundlage des gewerblichen Fluglinienverkehrs. Nicht zuletzt wegen des Beharrens der Vertragsstaaten des ICAO-Abkommens auf ihrer Lufthoheit sind sie trotz erheblicher Unterschiede im Detail durch drei Grundprinzipien geprägt13: Verkehrsrechte werden als Teil der staatlichen Souveränität nur bilateral selektiv bestimmten Partnerstaaten gewährt (Bilateralität). Die Einschränkung der Lufthoheit erfolgt auf der Grundlage des Prinzips der Gegenseitigkeit (Reziprozität). Den Luftfahrtunternehmen der beiden Vertragsstaaten muss in billiger und gleicher Weise Gelegenheit gegeben werden, auf festgelegten Fluglinien zu operieren (fair and equal opportunity). Die Verträge sehen daher Einschränkungen des Streckenzugangs, der Beförderungskapazität und – gegebenenfalls unter Einbeziehung der Preisbildungsmechanismen der International Air Transport Association (IATA)14 – der Preisgestaltung vor15. bb) Gelegenheitsverkehr Neben diesem hochkomplexen Netzwerk bilateraler Staatsverträge zur Regelung des weltweiten Linienflugverkehrs steht der Gelegenheitsflugverkehr. Anders als im Linienverkehr kam es für ihn nur selten zum Abschluss bilateraler Staatsverträge16. Gemäß Art. 5 Abs. 2 ICAO-Abkommen bedarf daher jeder Einflug im Gelegenheitsflugverkehr einer besonderen Genehmigung, die von Fall zu Fall oder für mehrere zusammenhängende Flüge erteilt werden kann. Dabei hat sich weltweit eine sehr liberale Handhabung durchgesetzt. Entscheidende Bedingung ist dabei die Wahrung der Gegenseitigkeit im Verhältnis zum Herkunftsstaat.

___________ 11 Schwenk/Giemulla (Fn. 3), S. 629 f.; Schladebach (Fn. 4), Rdnr. 76 ff.; daneben bestehen als sechste Freiheit das Recht, Fluggäste, Post und Fracht in einem Vertragsstaat aufzunehmen und nach einer Zwischenlandung im Heimatstaat des Luftfahrzeugs in einen Drittstaat weiterzubefördern (und umgekehrt), sowie die siebte Freiheit, Fluggäste, Post und Fracht zwischen zwei anderen Vertragsstaaten zu befördern und die achte Freiheit, Fluggäste, Post und Fracht innerhalb eines Vertragsstaats zwischen den vorhandenen Flughäfen zu transportieren (Recht auf Kabotage). 12 Núnez Müller/Schwendinger, ZLW 2006, 210, 221 f.; Schladebach/Bärmann, NZV 2006, 294, 295. 13 Jung, ZLW 1998, 308, 329; Schwenk/Giemulla (Fn. 3), S. 630 ff.; Schladebach (Fn. 4), S. 156. 14 Zu den Tarifen Schwenk/Giemulla (Fn. 3), S. 648 ff. 15 Ausführlich zu den Inhalten der Luftverkehrsabkommen und zu den verschiedenen Typen – Chicago, Bermuda I und Bermuda II; Open Skies – Schwenk/Giemulla (Fn. 3), S. 638 ff. 16 Jung, ZLW 1998, 308, 329.

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c) Die wirtschaftliche Struktur Diese rechtlichen Rahmenbedingungen hatten – trotz Nuancierungen im Einzelnen – folgerichtig erheblichen Einfluss auf die tatsächliche Marktordnung im Luftverkehr. Sie war geprägt durch nationale, zumeist staatseigene Fluggesellschaften und Infrastrukturen17. Der Marktzugang für ausländische Anbieter wurde regelmäßig beschränkt. Durch die staatliche Festlegung von Tarifen, Kapazitäten und Flugfrequenzen wachten die Vertragsstaaten darüber, dass keine ausländische Luftverkehrsgesellschaft einen Wettbewerbsvorteil erlangte. Das Ergebnis dieser Rahmenbedingungen war ein stark regulierter, dem Wettbewerb weit entrückter Markt mit Staatseigentum, massiven Marktzutrittsbeschränkungen und einer hoheitlich beeinflussten Tarifgestaltung. Die staatliche Subventionierung von Luftverkehrsgesellschaften und Infrastruktureinrichtungen war eine übliche Maßnahme. Mangels Wettbewerbs konnte sie nicht wettbewerbsverzerrend wirken18. Auch die Luftverkehrsunternehmen mussten deshalb nicht unbedingt wirtschaftlich handeln. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht stellen Luftfahrzeuge Produktionsanlagen dar. Unter Wettbewerbsbedingungen ist es ökonomisch sinnvoll, diese Anlagen möglichst zeitlich uneingeschränkt zu nutzen. Besteht aber kein Wettbewerb, ist der Zwang zu einer zeitlich umfassenden Nutzung der Flugzeuge deutlich geringer. Die staatliche Subventionierung und Unterstützung des Luftverkehrs gewährleistet, dass Anbieter nicht aus dem Markt ausscheiden. Die verkehrliche Erschließung mit Luftverkehr hing also weniger von den Marktumständen als von der staatlichen Tarif- und Förderpolitik ab. Die Versorgung der an den Flughafen angebundenen Regionen kann unter solchen Rahmenbedingungen losgelöst von der Wirtschaftlichkeit des Betriebs sichergestellt werden. Luftverkehr war eher eine Luxus-, auf keinen Fall aber eine Massendienstleistung. Folglich gab es auch wenig ökonomischen Druck, durch die Betriebsregelung an Flughäfen eine zeitlich möglichst wenig beschränkte Nutzung des Produktionsmittels Flugzeug zu gewährleisten. d) Infrastrukturrecht Diese Befunde schlagen sich folgerichtig in den rechtlichen Rahmenbedingungen der Infrastrukturbereitstellung und -nutzung nieder. Die Planungsentscheidungen sahen keine große Notwendigkeit, auf die wirtschaftlichen Belan___________ 17 Hofmann/Grabherr, LuftVG, Kommentar, Stand: August 2001, Einleitung A III 2. c.; Giemulla, in: Giemulla/Schmid/Mölls, Europäisches Luftverkehrsrecht, Stand: November 1995, Einführung, Rdnr. 4. 18 Schüßlburner, in: Frohnmeyer/Mückenhausen, EG-Verkehrsrecht, Kommentar, Stand: 2004, Kap. 55 Rdnr. 3.

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ge der staatlich geförderten Luftverkehrsgesellschaften einzugehen. Flughäfen und Flugplätze wurden weniger unter wirtschaftlichen als unter politischen Aspekten geplant und betrieben. Bezeichnenderweise thematisieren Planfeststellungsbeschlüsse bis in die siebziger und achtziger Jahre hinein kaum Fragen der Anforderungen der Luftverkehrsgesellschaften, Luftverkehrskonzepte und Fragen möglichst umfassender Bereitstellung von Betriebsmöglichkeiten19. 3. Die Phase der Liberalisierung Die Abkehr von einem derart streng regulierten Luftverkehrsmarkt zeichnet sich ab Mitte der siebziger Jahre ab. a) Die Liberalisierung in den Vereinigten Staaten Vorreiter waren die USA, die bereits 1944 im Rahmen des ICAO-Abkommens eine stärkere Wettbewerbsorientierung befürwortet hatten. Sie gaben mit dem Airline Deregulation Act von 1978 stufenweise die Kontrolle über Flugpreise und Streckenzugänge im Linienluftverkehr in den USA auf. Die Luftverkehrsgesellschaften erhielten freien Marktzugang und eine größere Flexibilität der Tarifgestaltung durch den Wegfall der Genehmigungspflicht für Tarife und die Hinwendung zu einem freien, an Angebot und Nachfrage orientierten Markt20. b) Die Auswirkungen auf den internationalen Luftverkehr Diese Liberalisierungstendenzen wirkten sich auch auf den internationalen Luftverkehr aus und förderten dort Wettbewerb. Die USA setzten in bilateralen Luftverkehrsabkommen zunehmend eine Lockerung der bisherigen Tarifpolitik durch. Nach der country of origin rule sollte ihr Vertragsstaat allenfalls noch bestimmen können, welche Tarife für den von seinem Land ausgehenden Verkehr Anwendung finden würden, nicht aber für den Verkehr aus den USA in sein Hoheitsgebiet. Noch weiter geht das Tarifmodell nach dem Prinzip des mutual disagreement, das die USA bei einigen europäischen Staaten durchsetzten. Danach werden die Tarife der Flugunternehmen bei den Luftfahrtbehörden hinterlegt und automatisch wirksam, wenn sie von diesen nicht innerhalb einer ___________ 19

Vgl. Planfeststellungsbeschluss vom 23. März 1971 für die Startbahn 18 West am Flughafen Frankfurt; HessStAnz 18/1971, 752. 20 Giemulla (Fn. 17), Einführung, Rdnr. 17; Maurer, Luftverkehrsmanagement, 4. Aufl. 2006, S. 13 f.

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bestimmten Frist außer Kraft gesetzt werden. Zulässig ist dies nur, wenn die Tarife Kampfpreischarakter oder diskriminierende Wirkung haben. Angesichts der Bedeutung der USA als Luftverkehrsmarkt war dies eine entscheidende Hinwendung weg von der Staatswirtschaft hin zu einer wettbewerblichen Struktur im internationalen Luftverkehr21. c) Die Entwicklung im europäischen Raum In Europa verlief die Entwicklung zögerlicher. Selbst die Gründung der auf dem freien Wettbewerb beruhenden europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1957 änderte an den staatswirtschaftlichen Strukturen des Luftverkehrs zunächst nichts. aa) Die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf den Verkehrssektor Obwohl der EWG-Vertrag von Anfang an die Einführung einer gemeinsamen Politik auf dem Gebiet des Verkehrs vorsah, hatte dies auf den Bereich des Verkehrs und insbesondere den des Luftverkehrs keine Auswirkungen22. Ein Grund dafür war das eigenständige Kapitel für die Verkehrs- und Transportpolitik in den Verträgen (Art. 70 ff. EG). Die gemeinschaftsrechtliche Praxis folgte damit einem Denkmodell, das dem Verkehr eine besondere Stellung, teilweise aus ökonomischen Gründen, teilweise aus Erwägungen der Raumordnung und des Umweltschutzes, einräumte23. Bereits in seinem Urteil vom 4. April 1974 trat der EuGH dem entgegen24. Nach seiner Auffassung unterlagen der Luftverkehr und die Seeschifffahrt den allgemeinen Vertragsvorschriften, insbesondere die Dienstleistungsfreiheit sei auch für diese Bereiche umzusetzen. Die Auffassung von den Besonderheiten des Luftverkehrs hat sich jedoch so verfestigt, dass die Mitgliedsstaaten und die Kommission aus dieser Entscheidung zunächst keine praktischen Konsequenzen zogen. Spätestens jedoch ___________ 21

Schwenk/Giemulla (Fn. 3), S. 648 ff. Dagtoglou, ZEuS 1999, 513, 514 der darauf hinweist, dass insbesondere der Luftverkehr zunächst ein integrationsfreier Raum blieb. 23 Wohlfahrt, in: Wohlfahrt/Eberling/Glaesner/Sprung, Die europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Kommentar zum Vertrag 1960, Art. 74 Anm. 4. Insbesondere der Vorbehalt des Art. 80 Abs. 2 EG für die Entscheidungsbefugnis einer qualifizierten Mehrheit des Rats zum Erlass eigener Vorschriften für Seeschifffahrt und Luftfahrt wurde lange Zeit so interpretiert, dass sowohl die Regelungen der Art. 70 ff. EG als auch die allgemeinen marktwirtschaftlichen Vorgaben des Vertrags für den Luftverkehr ohne eine entsprechende Anordnung des Rates nicht anwendbar waren. 24 EuGH, Urt. vom 4.4.1974 – Rs. 167/73, Slg. 1974, I-359, 29-33 – Französische Seeleute; dazu Giesecke, Nachtflugbeschränkungen und Luftverkehrsrecht, 2006, S. 77 f.; Dagtoglou, ZEuS 1999, 513, 516. 22

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nachdem das Europäische Parlament erfolgreich gegen den Rat Untätigkeitsklage erhoben hatte, weil dieser im Verkehrssektor noch immer keine Dienstleistungsfreiheit eingeführt hatte25, begann auch in Europa die Überführung des Luftverkehrs in wettbewerbliche Strukturen. Mit seinem Urteil vom 30. April 1986 schuf der EuGH endgültig Klarheit: Er bestätigte die Anwendbarkeit des gemeinschaftlichen Wettbewerbsregimes (Art. 81 – 86 EG) und der Beihilfevorschriften (Art. 87 – 89 EG) auf den Verkehrssektor und damit auf den Luftverkehr26. bb) Die drei Liberalisierungspakte Zaghafte erste Liberalisierungsschritte hatten sich noch auf den Verkehr zwischen den Regionalflughäfen beschränkt27, jedoch eine Reihe von Schutzmechanismen enthalten, die die bisherige Marktabschottung beibehielten. Das Nouvelles Frontières-Urteil war der Startschuss für die heutige Marktordnung des Luftverkehrs. Die Grundlagen dafür wurden in der einheitlichen europäischen Akte 1987 geschaffen. Die Liberalisierung erfolgte in drei großen Liberalisierungspaketen. Die beiden ersten Pakete 198728 und 1989/199029 waren ___________ 25

EuGH, Urt. vom 22.5.1985, Rs. 13/83, Slg. 1985, 1513, 1600 f. EuGH, Urt. vom 30.4.1986, verb.Rs. 209 – 213/84, Slg. 1986, 1425, Rdnr. 42, 45 – Nouvelles Frontières; vgl. auch EuGH, Urt. vom 11.4.1989 – Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 – Ahmed Saeed; dazu Dagtoglou, ZEuS 1999, 513, 516. 27 Richtlinie 83/416/EWG über die Zulassung des internationalen Luftverkehrs zwischen den Mitgliedsstaaten. 28 Verordnung (EWG) Nr. 3975/87 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen, ABl. EG Nr. L 374 vom 31.12.1987, S. 1; Verordnung (EWG) Nr. 3976/87 zur Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Luftverkehr, ABl. EG Nr. L 374 vom 31.12.1987, S. 9; Richtlinie 87/601/EWG über Tarife im Fluglinienverkehr zwischen Mitgliedsstaaten, ABl. Nr. 374 vom 31.12.1987, S. 12; Entscheidung 87/602/EWG über die Aufteilung der Kapazitäten für die Personenbeförderung zwischen Luftfahrtunternehmen im Fluglinienverkehr zwischen Mitgliedsstaaten und über den Zugang von Luftfahrtunternehmen zu Strecken des Fluglinienverkehrs zwischen Mitgliedsstaaten, ABl. EG Nr. 374 vom 31.12.1987, S. 19. 29 Verordnung (EWG) Nr. 2342/90 im Linienflugverkehr, ABl. Nr. L 217 vom 11.8.1990, S. 1; Verordnung (EWG) Nr. 2343/90 über den Zugang von Luftverkehrsunternehmen zu Strecken des innergemeinschaftlichen Linienflugverkehrs und über die Aufteilung gemeinschaftlichen Linienflugverkehrs und über die Aufteilung der Kapazitäten für die Personenbeförderung zwischen Luftverkehrsunternehmen im Linienflugverkehr zwischen Mitgliedsstaaten, ABl. EG Nr. L 217 vom 11.8.1990, S. 8; Verordnung (EWG) Nr. 2344/90 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3976/87 zur Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Luftverkehr, ABl. EG Nr. L 217 vom 11.8.1990, S. 15; Verordnung (EWG) Nr. 294/91 über den Betrieb von Luftfrachtdiensten zwischen Mitgliedsstaaten (ABl. Nr. L 36 vom 8.2.1991, S. 1; Verordnung (EWG) Nr. 295/91 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleis26

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im Wesentlichen noch den traditionellen bilateralen Strukturen der internationalen Luftverkehrsabkommen zwischen den Mitgliedsstaaten verhaftet. Mit dem dritten Liberalisierungspaket kam es dann jedoch im Jahr 1992 zu einem Paradigmenwechsel. Dieses Paket umfasst drei grundlegende Verordnungen. Ihre Bestimmungen geben allen EG-Luftfahrtunternehmen – und zwar unabhängig davon, ob es sich um Gelegenheits- oder Linienverkehr handelt – die Befugnis, Verkehrsrechte zwischen sämtlichen für den zivilen Luftverkehr offenstehenden Flughäfen und Flughafensystemen der Gemeinschaft auszuüben30, und zwar seit 1997 auch unter Einbeziehung des Verkehrs zwischen zwei Flughäfen in einem anderen Mitgliedsstaat als dem Herkunftsland der Fluggesellschaft (Kabotageverkehr)31. Die Kommission zog daraus für die Luftverkehrsgesellschaften weitreichende Schlussfolgerungen. Nach ihrer Auffassung gibt ihnen Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 2408/92 das Recht, nach ihren eigenen kommerziellen Entscheidungen zu arbeiten32. Auch die staatliche Einflussnahme auf die Preise wurde weitgehend zurückgenommen, Eingriffe der Mitgliedsstaaten sind nur noch in besonderen Ausnahmefällen möglich33. Zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen wurde auch die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen vereinheitlicht34. Damit wurde der Rechtsrahmen für einen der liberalsten Luftverkehrsmärkte weltweit gelegt. cc) Beihilfen im Luftverkehr Mit der Öffnung des europäischen Marktes und der Schaffung eines wettbewerblichen Rechtsrahmens musste zwangsläufig auch die bisherige Subventionspraxis auf den Prüfstand kommen. Unmittelbar nach Inkrafttreten des dritten Liberalisierungspakts wurden 1993 und 1994 verschiedene Umstrukturierungsmaßnahmen nationaler Luftverkehrsgesellschaften unter beihilferechtli___________ tungen bei Nichtbeförderungen im Linienflugverkehr, ABl. EG Nr. L 36 vom 8.2.1991, S. 5; VO (EWG) Nr. 1284/91 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3975/87 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen; ABl. Nr. L 122 vom 17.5.1991, S. 2; zu diesen Maßnahmen vgl. Schwenk/Giemulla (Fn. 3), 662 ff. 30 Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 vom 23.7.1992 über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs, ABl. EG Nr. L 240, S. 8. 31 Art. 3 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 2408/92. 32 Europäische Kommission, ABl. EG 1995 Nr. L 162, S. 25, 30. 33 Verordnung (EWG) Nr. 2409/92 vom 23.7.1992 über Flugpreise und Luftfracht, ABL. EG Nr. L 240, S. 15. 34 Verordnung (EWG) 2407/92 vom 23.7.1992 über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen, ABl. EG Nr. 1140, S. 1.

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chen Gesichtspunkten geprüft. Betroffen waren etwa Air Lingus35, der portugiesische Carrier TAP36, Air France37 und Olympic Airways38, aber auch Alitalia39. Die Haltung der Kommission wurde dabei zunehmend restriktiver40. Derzeit steht die Förderung von Billigfluggesellschaften auf Regionalflughäfen im Fokus der Beihilfepraxis41. Die im Dezember 2005 veröffentlichten gemeinschaftlichen Leitlinien für die Finanzierung von Flughäfen und die Gewährung staatlicher Anlaufbeihilfen für Luftfahrtunternehmen auf Regionalflughäfen42 machen deutlich, dass solche Beihilfen eng begrenzte Ausnahmefälle sein müssen. Sie belegen das Verständnis der Kommission vom Luftverkehrsmarkt als einem Wettbewerbsmarkt. d) Auswirkungen auf den internationalen Luftverkehr Das dritte Liberalisierungspaket hatte unmittelbare Auswirkungen auf den Abschluss bilateraler Luftverkehrsabkommen zwischen Mitgliedsstaaten und Drittstaaten, vor allem im Verhältnis zu den USA. Auch hier zeichnet sich eine zunehmende Liberalisierung ab. Nachdem Mitte der neunziger Jahre acht Mitgliedsstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, mit den USA OpenSkies-Abkommen unterzeichnet hatten, kam es zu einem Kompetenzkonflikt zwischen diesen Mitgliedstaaten und der Kommission. Auf die Klagen der Kommission stellte der EuGH in den Open-Skies-Urteilen43 fest, dass die Gemeinschaft die Kompetenz für den Abschluss von Luftverkehrsabkommen mit Drittstaaten in dem Umfang hat, wie die Organe im gemeinschaftsinternen Bereich Recht gesetzt und damit eine Vereinheitlichung bewirkt haben44. Dies war Anlass für ein Verhandlungsmandat des Rates an die Kommission, die Luftverkehrsabkommen entsprechend den Anforderungen des Art. 307 EG an die Vorgaben des Europarechts anzupassen. Die auf dieser Basis aufgenommenen Verhandlungen mit den USA über den Abschluss eines gemeinschaftsweiten Open-Skies-Abkommens wurden erfolgreich beendet: Am 30. April 2007 un___________ 35

Europäische Kommission, ABl. EG 1994 Nr. L 258, S. 26. Europäische Kommission, ABl. EG 1994 Nr. L 279, S. 29. 37 Europäische Kommission, ABl. EG 1994 Nr. L 254, S. 73. 38 Europäische Kommission, ABl. EG 1994 Nr. L 273, S. 22. 39 Europäische Kommission, ABl. EG 1997 Nr. L 258, S. 26. 40 Schüßlburner (Fn. 18), Kap. 55 Rdnr. 31 ff. 41 Soltész/Hildebrandt, in: Scholz/Moench, Flughäfen in Wachstum und Wettbewerb, 2007, S. 82 ff; zu Beihilfen für Flughäfen Dolde/Porsch, ZLW 2004, 3 ff. 42 ABl. EG 2005 Nr. C 312, S. 1 ff. 43 EuGH, Urt. vom 5.11.2002 – Rs. C-466-469/98, C-472/98, C-475/98, C-476/98 – EuZW 2003, 82. 44 Schladebach (Fn. 4), Rdnr. 244 f. 36

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terzeichneten die EU und die USA erstmals ein Abkommen, mit dem ein gemeinsamer transatlantischer Luftverkehrsraum geschaffen wird. Es sieht die Aufhebung von Beschränkungen bezüglich der Anzahl der Beförderer, die transatlantische Routen fliegen dürfen, vor. Die Luftverkehrsunternehmen aus der EU erhalten die Erlaubnis, ungeachtet ihres Heimatlandes von jeder europäischen Stadt in jede amerikanische Stadt zu fliegen. Umgekehrt können mehrere US-Fluggesellschaften europäische Flughäfen anfliegen. Auch die Beschränkung, die es nur vier Luftverkehrsunternehmen erlaubt, die Route zwischen Londons Flughäfen und den USA zu bedienen, wird aufgehoben. Ebenso wird künftig die Beförderung von einem Vertragsstaat in Drittstaaten gestattet. Das Abkommen wird im März 2008 in Kraft treten und zu einer erheblichen Ausweitung des Wettbewerbs führen. e) Auswirkungen auf Betriebsregelungen Die Schaffung eines Marktzugangsrechts blieb zudem nicht ohne Auswirkungen auf Maßnahmen des Lärmschutzes. Schon mit Erlass der VO (EWG) Nr. 2408/92 wurde deutlich, dass das Gemeinschaftsrecht Betriebsregelungen zwar zulässt, aber als Beschränkung des Rechts auf freien Streckenzugang versteht. Erste Regelungen zur Einschränkung des Fluglärms knüpften noch unmittelbar an der Eigenschaft von Flugzeugen an45 und führten zu einer Auseinandersetzung mit den USA vor der ICAO46. Mit der Richtlinie 2002/30/EG hat die Gemeinschaft die Fluglärmproblematik für Flughäfen mit mehr als 50.000 jährlichen Flugbewegungen ziviler Unterschallflugzeuge dezidiert aufgegriffen47. Das Ziel der Richtlinie ist es, einerseits einen langfristig tragbaren Ausbau der Flughafenkapazitäten sicherzustellen, andererseits aber auch dem Lärmschutzbedürfnis der Betroffenen ausreichend Rechnung zu tragen (Art. 1 Richtlinie 2002/30/EG). Sie übernimmt das von der 33. ICAO-Vollversammlung in Montreal im Jahr 2001 erarbeitete Konzept des Balanced Approach48. Mit dieser Entschließung fordert die ICAO die Vertragsstaaten auf, bei der Lö___________ 45 VO (EG) Nr. 2925/1999 des Rates zur Registrierung und zum Betrieb innerhalb der Gemeinschaft von bestimmten Typen ziviler Unterschallstrahlflugzeugen, ABl. EG Nr. L 115, S. 1 – Hushkit-Verordnung, nach der bestimmte Flugzeuge ab 1. April 2002 nicht mehr im Hoheitsgebiet der Europäischen Gemeinschaft eingesetzt werden durften; dazu Seebohm, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Fn. 18), Kap. 86 Rdnr. 20; Hobe/Stoffel, in: Hobe/Stoffel/Sparwasser/Voßkuhle, Rechtsgutachten über rechtliche Fragestellungen zur Umsetzung eines „Nachtflugverbots“ 2002, S. 207. 46 Zum Hushkit-Streit Kaufmann, ZLW 2001, 330 ff. 47 Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft, ABl. EG Nr. L 85 vom 28.3.2002, S. 40. 48 Resolution A 33-7 „Consolidated statement of continuing ICAO policies and practices related to environmental protection“.

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sung von Lärmproblemen an Flughäfen auf die reduction at source, land use planning and management, noise abatement operation and procedures and operational restrictions zurückzugreifen, also Maßnahmen der Lärmverminderung an der Quelle, der Landes- und Flächennutzungsplanung, lärmmindernde Betriebsverfahren und lärmbedingte Betriebsbeschränkungen einzusetzen. Betriebsbeschränkungen sollen dabei nicht als erstes Mittel, sondern erst dann angewandt werden, wenn die anderen Elemente des ausgewogenen Ansatzes in Übereinstimmung mit Appendix E der Resolution A 33-7 in Betracht gezogen worden sind49. Passive Schallschutzmaßnahmen sind in der Resolution zwar nicht ausdrücklich erwähnt, fallen aber nach Auffassung der ICAO unter die Maßnahmen der Landes- und Flächennutzungsplanung50. Die Richtlinie 2002/30/EG übernimmt den Balanced Approach in europäisches Recht51. Auch sie geht von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der einzelnen Elemente des ausgewogenen Ansatzes aus. Einen Vorrang einzelner Instrumente zur Bekämpfung der Fluglärmproblematik kennt sie nicht. Die Übernahme des Ansatzes der ICAO bedeutet, dass auch nach europäischen Recht Betriebsbeschränkungen nicht als erstes Element, sondern erst dann in Betracht kommen, wenn die anderen Elemente des ausgewogenen Ansatzes keinen weiteren Gewinn an Schutzgutsicherung mit sich bringen52. Insgesamt hat das europäische Recht eine tendenziell andere Sichtweise als die des nationalen Rechts. Es verlangt weniger die Rechtfertigung des Flugbetriebs als die Rechtfertigung seiner Beschränkung. Auf diesen Befund ist noch zurückzukommen. f) Die Auswirkungen auf den Luftverkehrsmarkt Die Liberalisierung des Marktzugangs in Europa hat zu bisher nicht dagewesenen Zuwächsen im Luftverkehr geführt53. Zwischen 1992 und 2005 ist die Zahl der Strecken innerhalb der Europäischen Union um 150 % gestiegen. Während es auf der einen Seite zu Konsolidierungen in Form von Unternehmenszusammenschlüssen und Allianzen kam54, entstanden auf der anderen Sei___________ 49

Giesecke (Fn. 24), S. 62. ICAO, Doc 9829 „Guidance on the Balanced Approach to Aircraft Noise Management“, First Edition 2004 Nr. 5.3.9: Dort sind Minderungsmaßnahmen (Mitigation instruments) als Beispiel für land use planning and management measures aufgeführt; vgl. auch Hobe/Stoffel (Fn. 45), S. 111; Gronefeld, in: Ziekow (Hrsg.), Beschränkungen des Flughafenbetriebs – Planfeststellungsverfahren – Raumordnungsrecht, 2004, S. 75, 80; Stoffel, ebda, S. 49 ff. 51 Sebohm (Fn. 45), Kap. 86 Rdnr. 47. 52 Giesecke (Fn. 24), S. 134, nach dem Betriebsbeschränkungen erst als ultima ratio angeordnet werden dürfen. 53 Vgl. Jung, ZLW 1998, S. 308 f. 54 Rösler, ZHR 170 (2006), 336. 50

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te neue Anbieter, die mit innovativen Konzepten die bisherigen Fluggesellschaften angriffen55. Ein Beispiel sind die Low-Cost-Carrier, die als paneuropäische Fluglinien nicht mehr wie die herkömmlichen Fluggesellschaften aus ihrem Heimatland heraus operieren, sondern sich flächendeckend in Europa ausbreiten. Der europäische Luftverkehrsmarkt vollzog damit nach, was nur knapp 15 Jahre zuvor der nordamerikanische Luftverkehrsmarkt nach dem Erlass des Airline Deregulation Acts vorgemacht hat. Dort traten bereits 1978 87 neue Airlines an. Die Preise fielen, die Passagierzahlen stiegen56. Flugreisen wurden vom Luxusartikel zum Massenkonsumgut. Dieser Befund trifft auch auf Europa und Deutschland zu. Anders als noch vor wenigen Jahren müssen sich die Luftverkehrsgesellschaften nun im Wettbewerb behaupten. Diese Tendenz wird sich mit der weiteren Liberalisierung fortsetzen.

III. Die Betriebskonzepte des Luftverkehrs Die Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen von einer stark regulierten, staatsnahen Erbringung von Luftverkehrsdienstleistung zu einem auf der internationalen, aber vor allem auf der europäischen Ebene wettbewerblich ausgerichteten Modell hat weitreichende Auswirkungen auf die Abwicklung des Verkehrs. 1. Effiziente Nutzung der Produktionsmittel In einer Wettbewerbsumgebung muss die Dienstleistung Lufttransport effizient produziert werden57. Das Flugzeug stellt aus unternehmerischer Sicht ein Produktionsmittel dar. Das Prinzip einer effizienten Produktion verlangt eine intensive zeitliche Nutzung des Produktionsmittels Flugzeug. Ziel ist es, durch die Erhöhung der Ausbringungsmenge an Produkten – also Flügen – die hohen Fixkosten des Produktionsmittels Flugzeug zu senken. Dies ist unerlässlich, um im Wettbewerb bestehen zu können. Dass Marktaustritte mit der Freigabe des Wettbewerbs nichts Ungewöhnliches mehr sind, zeigen Beispiele wie Sabena oder SwissAir. Der Zwang zu einer effizienten Produktion wird mit der weiteren Liberalisierung des Luftverkehrs zunehmen. Dabei findet die Produktion nicht etwa im quasi unbeeinflussten Raum statt. Sie wird bestimmt durch ex___________ 55

Clayton, in: Scholz/Moench (Fn. 41), S. 18. Maurer (Fn. 20), S. 13 f. 57 Zum Begriff der effizienten Produktion Wöhe, Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 22. Aufl. 2005, S. 328. 56

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terne Gegebenheiten, die den Rahmen für die Produktion der Luftverkehrsdienstleistung in den einzelnen Marktsegmenten bilden. 2. Externe Faktoren Die vielleicht bedeutsamsten externen Faktoren, die den Luftverkehr beeinflussen, sind die Zeitnischen, die sogenannten Slots. Ihre Zahl spiegelt die Kapazität des Flughafens wieder. Nach den allgemeinen Regeln des Weltluftverkehrs werden die Zeitnischen pro Flugplanperiode verteilt58. Die Luftverkehrsgesellschaft, die diese Zeitnische aber in der korrespondierenden vergangenen Flugplanperiode zu 80 % genutzt hat, erhält diese Zeitnische erneut. Gerade unter Wettbewerbsbedingungen sind Zeitnischen ein wertvolles immaterielles Wirtschaftsgut. Da die Zeitnischen für die Flugverbindungen auf dem Ausgangs- und Zielflughafen korrespondieren müssen, kann der Verlust einer Zeitnische erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben und eine Verbindung unmöglich machen. Der Verlust der Zeitnische ist gleichbedeutend mit dem Verlust des Zugangs zum Flughafen. Für die Luftverkehrsgesellschaften ergibt sich daraus unter den Rahmenbedingungen des Wettbewerbs die Notwendigkeit, die einmal erworbenen Zeitnischen zu nutzen. Unter Wettbewerbsbedingungen muss diese Nutzung möglichst effizient sein. 3. Passagierlinienverkehr Im Passagierluftverkehr haben sich auf dieser Basis das Drehscheibenmodell (Hub and Spoke- oder Hub-System) und die Punkt-zu-Punkt-Verbindungen etabliert. a) Hub-System Ein typisches Beispiel für eine durch den Wettbewerb angestoßene effiziente Produktionsstruktur für den Passagierverkehr (aber nicht nur für diesen) ist das Hub-System59. ___________ 58 Im internationalen Verkehr regeln die Verteilungsmechanismen die World Wide Scheduling Guidelines der IATA, in der EU ist die Verordnung (EWG) Nr. 95/93 des Rates über gemeinsame Regeln zur Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft vom 18. Januar 1993 (ABl. EG Nr. L 14, S. 1) zul. geänd. durch Verordnung (EG) Nr. 793/2004 (ABl. EG Nr. L 138, S. 50); dazu Geisler/Boewe, ZLW 2005, 532 ff.; ferner Deutsch/Stötzel, ZLW 2006, 186 ff. 59 Zu den unterschiedlichen Hub-Systemen vgl. den Überblick bei Maurer (Fn. 20), S. 372 ff.

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aa) Funktionsweise In diesem System werden die einzelnen Flugverbindungen speichenartig um einen zentralen Flughafen, den Hub, angeordnet. Die Passagierströme werden auf ihm gebündelt und dort neu auf Anschlussflüge verteilt60. Dabei versetzt ein hohes Umsteigeaufkommen die Bündelung von Passagieren aus verschiedenen Flughäfen die Fluggesellschaften in die Lage, einen Flughafen auch dann einzubinden, wenn mangels Originäraufkommens eine Punkt-zu-PunktVerbindung zwischen dem Hub und diesem Flughafen nicht wirtschaftlich wäre. Der zentrale wirtschaftliche Vorteil des Hub-Modells im Vergleich zu einem dezentralen Streckennetz mit Punkt-zu-Punkt-Verbindungen liegt darin, dass bei gleichbleibender Zahl von Flugbewegungen wesentlich mehr Verbindungen angeboten werden können61. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Würde man N = 50 Flughäfen durch Direktflüge direkt miteinander verbinden, dann müsste man N² + N = 2.550 Direktverbindungen bedienen. Eine Drehscheibe benötigt dagegen nur zwei N = 100 Zu- und Abbringerflüge, um über ein einmaliges Umsteigen weitere N² - N = 2.450 Verbindungen in das Flugnetz einzubeziehen. Um dies zu erreichen, müssen die ankommenden und abgehenden Flüge in sogenannten Umsteigewellen oder Knoten zusammengefasst werden. Diese zentralen Flüge sind ihrerseits in die Umsteigeknoten in anderen Hubs eingebunden. Die Wirtschaftlichkeit und Effektivität von Drehscheiben wird dadurch erheblich gesteigert. Die Umsteigezeit muss dabei möglichst kurz gehalten werden, damit der Hub für die Umsteigepassagiere attraktiv bleibt, weil sie ansonsten den Weg über andere Drehscheiben wählen62. Mit dem Abwandern der Passagiere verliert der Hub die Fähigkeit, Flughäfen ohne ausreichende Originärnachfrage einzubinden. Durch die Organisation der Flugbewegungen in Umsteigerwellen setzt das Hub-Konzept zudem einer zeitlichen Verschiebung einzelner Flüge enge Grenzen.

___________ 60 Maurer (Fn. 20), S. 378. Das Hub and Spoke Konzept setzte sich erstmals in den USA auf breiter Front durch. Erste Ansätze gab es allerdings schon Ende der zwanziger Jahre in Berlin, Beder, Flughafen Frankfurt am Main – Drehscheibe des Luftverkehrs, 1997, S. 17. 61 Siehe dazu die Darstellung bei Maurer (Fn. 20), S. 384 ff. 62 Zur Bedeutung der Umsteigezeit als Qualitätsmerkmal Booz Allen Hamilton, „Aero“-Dynamik im europäischen Flughafensektor, 2005, S. 4.

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Verknüpfung der Flugbewegungen in den Umsteigewellen schränkt zeitliche Verschiebbarkeit ein

Nordamerika Südamerika Südost-Asien Nahost-Afrika Indien

Nordamerika Südamerika Nahost

Nordamerika Nahost Indien Afrika Japan

China Nahost Japan

Hongkong China

China Japan Hongkong

Südost-Asien Südamerika Afrika

07:00 08:00 09:00 10:00 11:00 12:00 13:00 14:00 15:00 16:00 17:00 18:00 19:00 20:00 21:00 22:00 23:00 Uhrzeit (LT) Knoten:

I

II

III Deutschland/Europa Flüge

IV

V

VI

Interkontinental Flüge

Speyer, Luftverkehrsrechtstag 2007

Abbildung 1: Umsteigewellen

bb) Nutzungszeiten Systembedingt gibt es im Hub eine erhebliche Nachfrage nach Flügen in den Tages- und Nachtrandzeiten63. Gerade im Geschäftsreiseverkehr müssen die Knoten im Hub-Flughafen so organisiert werden, dass die Kunden entweder am späten Abend oder am frühen Morgen ankommen und so noch die von dem Hub-Flughafen abgehenden Regional- oder Kontinentalverbindungen nutzen können. Dies erlaubt es ihnen, möglichst früh am Arbeitstag ihren Zielort zu erreichen und diesen Arbeitstag noch effizient zu nutzen. Ein funktionierendes Drehscheibensystem setzt ferner voraus, dass die Ausgangs- und Zielflughäfen an den „Spokes“ eingebunden werden können64. Dies bedeutet, dass auf einem Zubringerflughafen der Flugbetrieb regelmäßig früher am Tagesbeginn/zu Ende der Nacht und noch vor Beginn der Hauptumsteigewellen auf dem HubFlughafen aufgenommen werden muss. Spiegelbildlich kann der Flugbetrieb am Abend auf den am Ende der Abbringerstrecken gelegenen Flughäfen erst ___________ 63 64

Beder (Fn. 60), S. 21. Vgl. Boewe, ZLW 2006, 634, 636 f.

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dann enden, wenn die letzte Umsteigewelle auf dem Drehscheibenflughafen bereits abgewickelt ist. Dies ist unerlässlich, um diese Flughäfen in das Verkehrskonzept einzubinden. b) Punkt-zu-Punkt-Verkehre Neben dem Hub-Verkehr erlangt der dezentrale Punkt-zu-Punkt-Verkehr zunehmend Bedeutung65. Punkt-zu-Punkt-Verbindungen werden angeboten, wenn die Nachfrage im Einzugsgebiet des Flughafens und damit der Verkehrsstrom ausreichend groß ist, um eine direkte Flugverbindung wirtschaftlich durchzuführen. Vor allem auf nationalen und kontinentalen Flugstrecken zwischen den großen Wirtschaftszentren können sich derartige Direktverbindungen etablieren. Auch hier spielen die Tages- und Nachtrandverbindungen gerade für den Geschäftsreiseverkehr eine große Rolle. Besondere Bedeutung gewinnt der Punkt-zu-Punkt-Verkehr im Geschäftsmodell der Low-Cost-Carrier (LCC)66. Es bietet nicht zuletzt aufgrund der Liberalisierung zunehmende Wachstumschancen67. Während die Hub-Systeme durch eine sehr hohe Komplexität gekennzeichnet sind68, ist der Punkt-zu-Punkt-Verkehr zwar deutlich einfacher zu organisieren, aber auf eine besonders hohe Ausnutzung der Flugzeuge und damit auf möglichst kurze Standzeiten angewiesen. 4. Touristik Ganz ähnliche Erfordernisse gibt es im klassischen Touristiksegment. Die Verkehrsabwicklung im touristischen Flugverkehr ist hier trotz wachsender Nachfrage nach Einzelreisen nach wie vor durch die Eingliederung in ein Gesamtkonzept der Urlaubsreise und die Nachfrage der großen Reiseveranstalter geprägt69.

___________ 65

Clayton (Fn. 55), S. 24. Clayton (Fn. 55), S. 18; The Boston Consulting Group, Airports – Dawn of a New Era, April 2004, S. 17; ausführlich zu diesem durch die Marktliberalisierung angestoßenen Geschäftsmodell Maurer (Fn. 20), S. 43 ff. 67 Maurer (Fn. 20), S. 412; Deutsche Bank Research, Zukunft der Drehkreuzstrategie im Luftverkehr, 2006, S. 9, gehen davon aus, dass sich beide Geschäftsmodelle letztlich am Markt etablieren werden. 68 Deutsche Bank Research (Fn. 67), S. 7. 69 Maurer (Fn. 20), S. 37. 66

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a) Das Verkehrstagekonzept Die touristischen Fluggesellschaften sind daher auf die Synchronisation ihrer Flugbewegungen mit den anderen Elementen der touristischen Dienstleistungserbringung angewiesen. Die Ankünfte und Abflüge im Zielgebiet müssen mit den Leistungen der anderen touristischen Dienstleister wie Hotels, Busunternehmer, Reedereien abgestimmt werden. Diese richten ihre Angebote nach dem sog. Verkehrstagekonzept ein. Dabei erfolgt die An- und Abreise der Gäste am gleichen Wochentag, um eine möglichst effiziente Abwicklung zu erreichen. Die Abläufe werden so eingerichtet, dass es zur Nachtzeit zu keiner Überschneidung der ankommenden und abreisenden Gäste kommt, damit nicht die doppelte Anzahl an Betten benötigt wird. Die Abwicklung erfolgt dabei so, dass die Urlauber durch die Reise möglichst wenig Urlaubszeit verlieren. Besonders stark nachgefragt sind daher die Frühankünfte im Zielgebiet bzw. die Spätankunft am Heimatflughafen, weil dadurch aus der Sicht des Reisenden mindestens ein halber, im Idealfall ein ganzer Urlaubstag gewonnen wird70.

Abbildung 2: Verkehrstagekonzept

___________ 70 Jünemann et al, Verkehrliche Auswirkungen und mögliche Maßnahmen bei Einführung eines Nachtflugverbotes am Flughafen/Main, 2001, S. 65; MPD-Group Ltd., Assessing the Economic Costs of Night Flight Restrictions, Februar 2005, S. 22.

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b) Hohe Umlaufzahl Im Massentourismus müssen die Fluggesellschaften große Flugkontingente in den geforderten Zeitenlagen mit den entsprechenden Abflugorten und Frequenzen anbieten können. Nur dann können sie die Flugreisen für die im Urlaubssegment unabdingbar niedrigen Preise durchführen71. Wettbewerbsfähig sind sie daher nur, wenn sie ihre Fixkosten durch eine hohe zeitliche Auslastung der Flugzeuge über mehrere Umläufe möglichst niedrig halten. Typische Umlaufmodelle sind die sogenannte Dreifach-Rotation auf der Kurzstrecke (Balearen) und die Zweifach-Rotation, die aus einer Kombination von Mittelund Kurzstrecke besteht. Nachtflüge gehören sind deshalb europaweit integraler Bestandteil des touristischen Verkehrsangebots72. In Verbindung mit der Nachfrage der Kunden, die möglichst keine Urlaubstage mit dem Reisen verbringen wollen, knappen Slotkapazitäten und den Streckendistanzen führt dies zu Beginn und Ende der Umläufe zu Abflügen und Ankünften in Mitteleuropa, die teilweise deutlich nach 24:00 Uhr bzw. deutlich vor 05:00 Uhr in der Nacht liegen. Schaffen die touristischen Anbieter dies nicht, drohen ihnen insbesondere im Verhältnis zu ihren Wettbewerbern aus den Zielgebieten massive Nachteile, die zu Marktaustritten führen können73.

Abbildung 3: Zweifach-Rotation

___________ 71 72 73

Maurer (Fn. 20), S. 36. MPD Group Ltd. (Fn. 70), S. 69. MPD Group Ltd. (Fn. 70), S. 22.

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5. Frachtbereich Der Frachtflugverkehr wird unter Wettbewerbsbedingungen ähnlich wie der Passagierverkehr als Drehscheibenverkehr organisiert. Andererseits ist er wie der touristische Luftverkehr in Produktions- und Transportketten, hier in die der Wirtschaft eingebunden. a) Nächtlicher Warentransport Dabei hat insbesondere die Globalisierung ebenso wie das Just-in-timeKonzept mit seinem Verzicht auf Lagerhaltung zu einer ständig wachsenden Nachfrage nach Luftfrachtdienstleistungen geführt. Die in der globalen Wirtschaft geforderte effiziente zeitintensive Auslastung der Produktionsanlagen führt zunehmend zu nächtlichen Transportvorgängen (Produktion am Tage, Logistik in der Nacht)74. Die Unternehmen wollen ihre Produkte oder Produktkomponenten idealerweise am Ende eines Produktionstages ausliefern. Sie sollen dabei so rechtzeitig am Zielort ankommen, dass sie am nächsten Tag ohne Zeitverzögerung beim Empfänger in dessen (Produktions-)Abläufe eingegliedert werden können (Nachtsprung).

Abbildung 4: Logistische Produktionskette

___________ 74

Jünemann et al. (Fn. 70), S. 36.

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b) Hub-Konzept Ähnlich wie im Passagierverkehr finden sich daher auch im Luftfrachtbereich Hub-Konzepte. Die Ware wird bei einem solchen System nach dem Ende der Tagesproduktion beim Kunden abgeholt. Sie wird im Straßentransport zum Flughafen gebracht und dort in den großen Frachtzentren der Spedition oder Luftfrachtgesellschaften konsolidiert. Bei Distanzen von mehr als 400 km erfolgt die Zubringung zum Hub-Flughafen über Gateway-Flughäfen. Die Flüge kommen dann ab Beginn der Nacht – nach 22:00 Uhr – an. Bei großen internationalen Frachtdrehscheiben trifft mit dem Zubringer-Verkehr der von den Interkontinentalverbindungen aus Amerika zurückkehrende Nur-Frachter-Verkehr mit den Waren für die Weiterverteilung in Europa ein. Diese Flugzeuge werden noch in der gleichen Nacht für den Rückflug nach Amerika oder den Weiterflug nach Asien eingesetzt.

Frachtdrehscheibe: Logistische Produktion nur mit Umläufen in der Nacht Abflüge USA, Asien und Afrika

Ankünfte USA und Europa

Road Feeder Services

22:00

Ankünfte Asien, Europa und Afrika

3:15

1:45

Abflüge Europa

4:45

Road Feeder Services

Uhrzeit (LT)

Europafüge

Interkontinentalflüge

Speyer, Luftverkehrsrechtstag 2007

Abbildung 5: Funktionsweise Fracht-Hub

c) Nachtsprung Gerade bei den Interkontinentalflügen machen sich die Versender die Zeitverschiebung zu nutze. Sie ermöglicht durch den Nachtsprung eine Auslieferung ihrer Waren am nächsten Morgen in den USA. Die gleiche Möglichkeit

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besteht bei Frachtflügen von Asien nach Europa75. In umgekehrter Richtung von Europa nach Asien wird ein erweiterter Nachtsprung durchgeführt. Bei ihm erfolgt die Auslieferung am Morgen des übernächsten Tages. Fracht, die zu Beginn der Nacht bzw. durch die am späten Abend bzw. am frühen Morgen ankommenden Frachter auf dem mitteleuropäischen Drehscheibenflughafen angeliefert wird, wird spätestens am nächsten Morgen teilweise im Straßentransport, teilweise aber auch per Lufttransport ausgeliefert. In letzterem Fall starten die Maschinen am Drehscheibenflughafen regelmäßig in der zweiten Nachthälfte am Hub, um an den Gateway-Flughäfen zwischen 05:00 Uhr und 06:00 Uhr zu landen. Ab ca. 04:00 Uhr kommen die die Flüge aus Asien am Drehscheibenflughafen an, deren Waren in die Auslieferung gehen. d) Express- und Standardfracht Anders als auf Passagierdrehscheiben sind Nachtflüge ein essentielles Kriterium für einen Fracht-Hub. Nur so kann der Frachtflugverkehr in die Produktions- und Logistikketten integriert werden. Diese Notwendigkeit besteht nicht nur deshalb, weil nachts ausschließlich Expressfracht transportiert wird. Einen reinen Expressfrachtverkehr gibt es nicht76. Entscheidend sind die vom Versender und Empfänger vorgegebene Transportzeit und die Konsolidation der Versandgüter. Ist bei konsolidierten Sendungen nur ein Gut Expressgut, wird letztlich die ganze Palette eilbedürftig. Wirtschaftlich sind dabei allerdings die Expressgüter entscheidend, denn sie werfen besonders hohe Erträge ab. 6. Anforderungen des Luftverkehrs Bereits dieser Überblick zeigt, dass die gewandelten rechtlichen Rahmenbedingungen ein vielfältiges Bild von Geschäftsmodellen hervorgebracht haben. Ihnen allen gemeinsam ist die Leistungserstellung unter Wettbewerbsbedingungen. Die Strukturen dieser Verkehre verursachen einen erheblichen Druck auf die Betriebszeiten von Flughäfen. In allen Verkehrssegmenten gibt es zeitliche Rahmenvorgaben, die für wettbewerbsfähige Dienstleistungen eingehalten werden müssen. Viele Flüge können nicht zu beliebigen Tageszeiten abgewickelt werden. Andernfalls sind sie nicht konkurrenzfähig oder es besteht schon gar keine Nachfrage nach solchen Flügen. Letztlich kann also die Beschränkung des Betriebs das Anbieten von Luftverkehrsdienstleistungen unwirtschaftlich machen kann. Betroffen sind dabei nicht nur die Flüge, die infol___________ 75

Jünemann et al. (Fn. 70), S. 35 f. Rieger, Der zukünftige Stellenwert der Luftfracht in logistischen Systemen, 2005, S. 154. 76

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ge der Betriebsbeschränkung selbst wegfallen. Ein Hub-Konzept kann aufgrund der Vernetzung der Verkehre schon durch den Wegfall weniger Flüge deutlich an Attraktivität einbüßen und Anbindungsqualität verlieren. Das Streichen eines Flugs betrifft auch bei Punkt-zu-Punkt-Verbindungen sowohl die vorgelagerte als auch die nachfolgende Flugbewegung. Können alle diese Flüge an einem Flughafen unter Wettbewerbsbedingungen nicht mehr gewinnbringend durchgeführt werden, werden sie eingestellt. Das hat unmittelbar Auswirkungen auf die verkehrliche Erschließung der betroffenen Region mit Luftverkehrsdienstleistungen, die das Fachplanungsrecht ermöglichen soll. Damit stellt sich die Frage, wie die Fachplanung die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen und Anforderungen zu verarbeiten hat.

IV. Folgerungen für die luftverkehrsrechtliche Fachplanung Dies ist in erster Linie eine Frage der Abwägung bei der Festsetzung der jeweiligen Betriebsregelung (§§ 8 Abs. 1, Abs. 4; 6 Abs. 1, Abs. 4 LuftVG). Zu klären ist zunächst, welche Bedeutung die tatsächlichen Rahmenbedingungen haben. Handelt es sich um rein private Belange, weil es nur um die wirtschaftliche Tätigkeit der von einer Betriebsregelung begünstigten Luftverkehrsgesellschaften geht, ist ihr Gewicht in der Planungsentscheidung geringer als wenn sie als (auch) öffentliche Belange zu qualifizieren wären. Wenn diese Frage geklärt ist, kommt es im nächsten Schritt darauf an, ob und inwieweit die entsprechenden Belange sich in der Planungsentscheidung gegenüber Belangen der Fluglärmbetroffenen durchsetzen können. Das ist gerade hinsichtlich der Nachtflüge von zentraler Bedeutung, für deren Zulassung die neuere Rechtsprechung die Anforderungen deutlich erhöht hat. 1. Öffentliches Interesse am Luftverkehr Das geltende Recht stellt für die Zulassung von Flughäfen mit der Planfeststellung ein Zulassungsinstrument bereit, das nicht nur gegenläufige Belange, sondern sogar entgegenstehende Rechte überwinden kann. Gerechtfertig ist dies grundsätzlich nur, wenn an der Bereitstellung der Luftverkehrsinfrastruktur ein öffentliches Interesse besteht. Im LuftVG erkennt der Gesetzgeber dieses öffentliche Interesse an77. Ähnlich wie die Straßen- und Schieneninfrastruktur einer Erschließung der angeschlossenen Region dient, so versorgt die Luft___________ 77 BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – S. 18; Urt. vom 7.7.1978 – IV C 79.76 – BVerwGE 56, 110, 119, vgl. auch BVerwG, Urt. vom 26.4.2007 – 4 C 12/05 – juris Rdnr. 52: Ziel der Verkehrsermöglichung und Erschließung.

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verkehrsinfrastruktur eine Region mit Luftverkehrdienstleistungen und bindet sie an das weltweite Netz des Luftverkehrs an. Allerdings betreibt der Staat – anders als im Straßenverkehr und anders auch als beim Schienenverkehr – nicht selbst die Luftverkehrsinfrastruktur. Flughafenunternehmer kann bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen (§ 6 LuftVG i. Verb. m. § 40 LuftVZO) mit staatlicher Genehmigung jede natürliche oder juristische Person werden. Er übernimmt nach Maßgabe der entsprechenden Zulassungsentscheidungen Errichtung und Betrieb der Luftverkehrsinfrastruktur. Die Bereitstellung der Verkehrsinfrastruktur reicht jedoch nicht aus, um die Erschließung mit Luftverkehr sicherzustellen. Anders als bei der Straße sind es nicht die Endnutzer, die die Luftverkehrsinfrastruktur in Anspruch nehmen. Ihre Nachfrage wird von den Luftverkehrsgesellschaften aufgegriffen, die dann ihrerseits diese Verkehrsnachfrage an den Flughafenunternehmer herantragen78. 2. Belange der Luftverkehrsgesellschaften Während anerkannt ist, dass der Flughafenunternehmer seine Infrastruktur im öffentlichen Interesse errichtet und betreibt, ist dies für die Luftverkehrsgesellschaften nicht eindeutig. Die Rechtsprechung schien bislang auszugehen, dass es sich bei den kommerziellen Interessen um rein private Belange handelt, die per se kein höheres Gewicht als andere private Belange haben79, ohne dies allerdings hinreichend klar zu sagen. a) Ertragswirtschaftliche Interessen Für einen rein privaten Belang spricht zumindest auf den ersten Blick, dass die Luftverkehrsunternehmen nicht nur privatrechtlich verfasst sind, sondern unter den Bedingungen des privaten Wettbewerbs operieren, nach ökonomischen Prinzipien handeln und wie jedes Unternehmen ertragsorientiert arbeiten. Das ist aber nicht nur bei den Luftverkehrsunternehmen so, sondern auch bei den Flughäfen. Bei ihnen ist jedoch anerkannt, dass das Interesse an einem wirtschaftlichen Betrieb ein öffentliches Interesse ist. Wenn die Versorgung mit Luftverkehrsdienstleistungen unter wettbewerblichen Rahmenbedingungen erbracht werden muss, kann dies nur funktionieren, wenn der Flughafen wirtschaftlich und mit Ertrag arbeitet. Die Wirtschaftlichkeit des Flughafenbetriebs ___________ 78

BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – S. 16. BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – S. 16; BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 – Rdnr. 280, 285; etwas weitergehend OVG Münster, Urt. vom 16.5.2007 – 20 D 9/06 AK – http://www.justiz.nrw.de, Rdnr. 160. 79

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dient der Aufrechterhaltung des Luftverkehrs und stellt damit einen öffentlichen Belang dar80. b) Die Mitwirkung der Luftverkehrsgesellschaften bei der Erfüllung der Verkehrsaufgabe Der Flughafenbetreiber kann jedoch die öffentliche Aufgabe der Versorgung und Erschließung mit Luftverkehr nicht alleine erfüllen. Die eigentlich am Transport interessierten Nutzer sind nicht nur auf den Flughafenunternehmer, sondern genauso auf die Unternehmen angewiesen, die die Transportleistung erbringen. Beide gemeinsam sind für die Erfüllung der öffentlichen Erschließungsfunktion notwendig81. Ein Luftverkehrsunternehmen steht aber vor allem aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen genauso im Wettbewerb wie die Flughäfen. Kann es keine ausreichenden Erträge erwirtschaften, hat dies Auswirkungen auf das Verkehrsangebot. Im ungünstigsten Fall fällt es weg. Unnötig zu sagen, dass diese Auswirkungen direkt auf den Flughafenbetreiber durchschlagen werden. Können also Luftverkehrsunternehmen an einem Flughafen in bestimmten oder gar allen skizzierten Luftverkehrssegmenten nicht wirtschaftlich operieren, ist die Verlässlichkeit des entsprechenden Verkehrsgeschehens genauso betroffen, wie wenn der Flughafenbetreiber dem Wettbewerb nicht standhalten kann82. Ihre wirtschaftlichen Interessen an einem Flughafenbetrieb, der ihnen einen entsprechenden unternehmerischen Ertrag ermöglicht, sind nicht nur private, sondern auch öffentliche Belange83. Das ist eine notwendige Folge eines rechtlichen Systems, das die Anbindung an die Luftverkehrsinfrastruktur und die Abwicklung des Verkehrsgeschehens den Regeln von Markt und Wettbewerb unterstellt84. Allerdings wird nicht jede Veränderung der Rahmenbedingungen an einem Flughafen Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit des Flugbetriebs haben. Dies hängt wiederum ab von der Verkehrsfunktion des Flughafens und der Art und Weise, wie das Luftverkehrsunternehmen ihn nutzt. Seine wirtschaftliche Betroffenheit ist aber jedenfalls dann zu bejahen, wenn es an dem Flughafen Flugzeuge stationiert oder dort sogar seine Heimatbasis hat, den Flugbetrieb also mit prägt. Die Konsequenzen dieses Befunds sind erheblich. Entscheidend für die Wirtschaftlichkeit ___________ 80 OVG Münster, Urt. vom 16.5.2007 – 20 D 9/06 AK – http://www.justiz.nrw.de, Rdnr. 160. 81 Die wirtschaftspolitischen Untersuchungen weisen auf diese Partnerschaft zwischen Luftverkehrsgesellschaften und insbesondere Hub-Flughäfen ausdrücklich hin, etwa The Boston Consulting Group (Fn. 66), S. 30. 82 OVG Münster, Urt. vom 16.5.2007 – 20 D 9/06 AK – http://www.justiz.nrw.de, Rdnr. 160. 83 A.A. Kupfer, ZLW 2006, 53, 63 f. 84 Das verkennt Kupfer, ZLW 2006, 53, 63 f.

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des Flugbetriebs sind die Rahmenbedingungen des Flughafens und damit die für seinen Betrieb geltenden Maßgaben. Sie müssen den Anforderungen an einen wirtschaftlichen Flugbetrieb genügen. Sie müssen den Verkehrsstrukturen Rechnung tragen, die sich im Wettbewerb herausbilden85. Diese Strukturen sind nicht statisch. Sie verändern sich mit dem Wettbewerb. Dieser Wettbewerb ist nicht nur ein nationaler, sondern mindestens ein europäischer, im Interkontinentalverkehr sogar ein globaler Wettbewerb. Alles dies ist je nach der Verkehrsfunktion der jeweiligen Luftverkehrsinfrastruktur zu beachten. c) Durchsetzungsfähigkeit der Belange Das bedeutet allerdings nicht, dass das Interesse der Luftverkehrsunternehmen an einem wettbewerbsfähigen Betrieb sich gegenüber gegenläufigen Belangen vor allem der vom Fluglärm Betroffenen immer durchsetzt. Dies ist – wie bei allen Belangen – eine Frage seines Gewichts und des Gewichts der widerstreitenden Belange im jeweiligen Planungsfall. Das öffentliche Interesse an einem wettbewerbsfähigen Flugbetrieb hat aber dann hohes Gewicht, wenn die Betriebsregelungen eines Flughafens diese Wettbewerbsfähigkeit so sehr in Frage stellen, dass die Luftverkehrsunternehmen in die Nähe der Existenzgefährdung geraten. Umgekehrt bedeutet dies nicht, dass jede Gewinnerwartung einer Luftverkehrsgesellschaft mit dem Gewicht eines öffentlichen Belangs in die Abwägung einzustellen ist. Ein öffentliches Interesse kann nur insoweit bestehen, als es um die Ermöglichung einer marktüblichen, wettbewerbskonformen Rendite geht. Dagegen lässt sich nicht etwa einwenden, das Recht sei mit der Ermittlung einer solchen Rendite überfordert. In netzförmigen Versorgungsindustrien wie der Telekommunikation oder im Gas- und Energiebereich sind derartige Ermittlungen an der Tagesordnung. Ein vergleichbarer Detaillierungsgrad wie in diesen Bereichen wird dem Planungsrecht ohnehin nicht abverlangt. Es kann sich bei der Bewertung der Renditeerwartungen auf verhältnismäßig einfache Vergleichsbetrachtungen beschränken. Vermeiden kann es solche Betrachtungen letztlich nicht, wenn das Interesse der Luftverkehrsgesellschaften an einer wettbewerbs- und marktkonformen Leistungserbringung auch ein öffentlicher Belang ist, dem unter Wettbewerbsbedingungen, zumindest aber unter einer immer liberaleren, wettbewerbsfreundlichen Regulierung Rechnung zu tragen ist. ___________ 85

Bisher ist dies nicht immer gelungen; s. BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – Rdnr. 71, das von einem speziellen Expressluftfrachtverkehr und einem sonstigen Frachtverkehr ausgeht, s. dagegen Jünemann et al. (Fn. 70), S. 101, die zeigen, dass pro Flug nur ein Anteil an Expressfracht befördert werden kann, Standardfracht als Beiladung aber für die Wirtschaftlichkeit zwingend ist.

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3. Die Abwägungsentscheidung Der Befund, dass das Interesse der Luftverkehrsunternehmen an einem wettbewerbs- und marktkonformen Betrieb ein öffentlicher Belang ist, führt im nächsten Schritt in eines der zentralen Problemfelder der Abwägung, nämlich der Frage, inwieweit sich dieser Belang gegenüber dem Interesse der Fluglärmbetroffenen durchsetzen kann. Dass diese Belange ihr Gewicht nicht zuletzt aus der jeweiligen Situation heraus bekommen, versteht sich von selbst. Je mehr Personen durch Fluglärm betroffen werden, desto höheres Gewicht hat der Belang, von Fluglärm verschont zu bleiben. Je bedeutender die Verkehrsfunktion eines Flughafens ist, desto gewichtiger werden die öffentlichen Belange für den Betrieb. Gelöst wird der Konflikt in der Abwägungsentscheidung über die Betriebsregelung. Trotz der Situationsbezogenheit lassen sich allgemeine Grundsätze für diese Entscheidung aufstellen. a) Tag (22:00 Uhr bis 06:00 Uhr) Am Tag kann sich das Interesse der Luftverkehrsgesellschaften am Betrieb regelmäßig gegenüber den Lärmschutzinteressen durchsetzen. Davon geht auch die Rechtsprechung aus. Das lässt sich im Umkehrschluss aus den Ausführungen des BVerwG zu Nachtflugbeschränkungen ableiten. Wenn Nachtflüge einer besonderen Rechtfertigung bedürfen, weshalb ein bestimmtes Verkehrssegment nicht befriedigend innerhalb der Tagesstunden abgewickelt werden kann86, heißt dies im Gegenschluss, dass die Durchführung von Flugbewegungen am Tag keinem erhöhten Rechtfertigungsdruck unterliegt. Bei ihrer Abwägungsentscheidung über den Tagesbetrieb muss die Planfeststellungsbehörde die Grenzen der fachplanungsrechtlichen Zulässigkeit und die Grundrechte der Betroffenen, insbesondere den Gesundheitsschutz (Art. 2 Abs. 2 GG), beachten. Sie kann diesen Belangen der Lärmbetroffenen am Tag im Regelfall aber abwägungsfehlerfrei durch passiven Schallschutz und finanzielle Kompensationsmaßnahmen Rechnung tragen und Flugbetrieb zulassen87. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Planfeststellungs- bzw. Genehmigungsbehörde eine entsprechende Verpflichtung hat. Je nach Verkehrsfunktion des Flugplatzes kann sie nach Maßgabe einer fehlerfreien Abwägung auch den Tagesbetrieb einschränken88. Wegen des Gewichts der fachplanerischen Aufgabe der Erschließung mit Luftverkehr setzt eine solche aber einen erhöhten Rechtferti___________ 86

Siehe dazu BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 – Rdnr. 286. BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332, 340 ff.; OVG Münster, Urt. vom 13.7.2006 – 20 D 87/05.AK – juris, Rdnr. 143. 88 Beispiele finden sich etwa bei Verkehrslandeplätzen, VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 19.11.1999 – 8 S 127/99 – ZLW 2000, 537 ff. 87

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gungsbedarf voraus. Vor allem muss bei einer Einschränkung des Tagesbetriebs sorgfältig geprüft werden, ob die mit einer solchen Einschränkung verbundene Reduzierung des Verkehrs nicht im Widerspruch zur Verkehrsfunktion des jeweiligen Flugplatzes steht. Eine Einschränkung des Betriebs wird daher allenfalls bei Verkehrslandeplätzen mit einer eher geringen Verkehrsfunktion in Betracht kommen. Beispiele sind etwa Beschränkungen in den Tagesrandzeiten oder am Wochenende. b) Nacht (22:00 bis 06:00 Uhr) Die eigentliche Konfliktsituation entsteht bei Nachtflugbewegungen. Hier prallen die Interessen der Luftverkehrsgesellschaften an einer möglichst uneingeschränkten Nutzung ihrer Produktionsanlage Flugzeug mit den Belangen der Lärmbetroffenen zusammen. Die Rechtsprechung hat hier die Anforderungen jüngst verschärft89. Nicht zu Unrecht ist die Rede davon, dass den Flughafenbetreibern insoweit der Wind ins Gesicht bläst90. Das nötigt die Praxis zu der Auseinandersetzung mit der Frage, ob auf der Basis der Rechtsprechung den Anforderungen an einen wettbewerbsfähigen Flugbetrieb Rechnung getragen werden kann. Dazu ist es erforderlich, die Entwicklung der Rechtsprechung nachzuzeichnen. aa) Zulässigkeit von Nachtflügen Das BVerwG ging bisher davon aus, dass das Luftverkehrsrecht kein absolutes Nachtflugverbot kennt, sondern vielmehr die Zulässigkeit nächtlicher Flugbewegungen voraussetzt91. Das zeigt § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG. Die dort vorgesehene Verpflichtung zur besonderen Rücksichtnahme auf das Ruhebedürfnis der Anwohner in der Nacht macht nur Sinn, wenn Nachts Flugbewegungen durchgeführt und Flughäfen betrieben werden dürfen. Einen Vorrang aktiver Schallschutzmaßnahmen lehnte das Gericht nach ständiger Rechtsprechung ab92. Betriebsbeschränkungen – so die Rechtsprechung – dürften nicht im Widerspruch zur widmungsgemäßen Verkehrsfunktion des Flughafens ___________ 89

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 u.a. – (Flughafen Schönefeld); Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – (Flughafen Leipzig/Halle); sich anschließend OVG Münster, Urt. vom 13.7.2006 – 20 D 87/05.AK, 20 D 89/05.AK – (Flughafen Münster Osnabrück); Urt. vom 16.5.2007 – 20 D 9/06 AK u.a. – (Flughafen Düsseldorf). 90 Gatz, jurisPR-BVerwG 6/2007 Anm. 1. 91 BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332, 369. 92 BVerwG, Beschl. vom 20.2.1998 – 11 B 37/97 – NVwZ 1998, 850, 851; anders BayVGH, Urt. vom 25.2.1998 – 20 A 97.40017 und 20 A 97.40018 – NVwZ-RR 1998, 490, 433.

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stehen93. Wenn dies der Fall ist, ist die Planungsentscheidung in sich widersprüchlich. Aussagen zu den Strukturen des Luftverkehrs lassen sich diesen Entscheidungen allenfalls in Nebensätzen entnehmen, wenn es etwa darum geht, dass eine nächtliche Betriebsbeschränkung an einem Flughafen ausreichend Gelegenheit geben müsste, die Verspätungsproblematik von Flugverkehr zu bewältigen94. Nur am Rande sei bemerkt, dass die entsprechenden Planfeststellungsbeschlüsse, die Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzung waren, überwiegend aus der Zeit vor der rechtlichen Liberalisierung des Luftverkehrs stammen, die Luftverkehrsgesellschaften noch überwiegend in staatlicher Hand waren und der Zwang des Wettbewerbs zur umfassenden Auslastung ihres Fluggeräts noch nicht so hoch war. bb) Erfordernisse des Nachtflugverkehrs Auf die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen des Luftverkehrs ist das BVerwG erstmals in zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2005 eingegangen. In seinem Urteil zur Erweiterung der Nachtflugregelung am Flughafen München95 hat das Gericht darauf hingewiesen, dass sich der Verkehrsbedarf im Luftverkehr in der Nachfrage nach gewerblichen Verkehrsdienstleistungen, die von den Luftverkehrsgesellschaften an die Flughäfen herangetragen werden, manifestiere. Der Umfang dieser Nachfrage bestimme die Anforderung an die Kapazitäten und das Betriebsregime eines Verkehrsflughafens. Ausdrücklich betont das Gericht in dieser Entscheidung, dass der Wettbewerbssituation der Flughäfen, bei der es nicht zuletzt um die Sicherung und Förderung von Wirtschaftsstandorten geht, im Rahmen der Planfeststellung Rechnung getragen werden kann. Daher seien vor allem die betrieblichen und wirtschaftlichen Erfordernisse des Nachtflugverkehrs, die sich aus der jeweiligen Verkehrsfunktion des Flughafens und seiner Stellung im Luftverkehrsnetz ergeben, abwägungsrelevant. Ganz ähnlich argumentiert es im Eilverfahren zum Ausbau des Flughafens Leipzig Halle96. Das Gericht weist dort darauf hin, dass die Festsetzung eines Nachtflugverbots dem Ziel der Schaffung des dort vorgesehenen Luftfrachtknotens diametral entgegenstehe, weil die Luftverkehrsgesellschaften ___________ 93 Zur widmungsgemäßen Verkehrsfunktion BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332, 368; Urt. vom 27.10.1998 – 11 A 1.97 – BVerwGE 107, 313, 327 f.; dazu Deutsch, Nachtflugverbote im Luftverkehr, in: Ziekow (Hrsg.), Beschränkung des Flughafenbetriebs – Planfeststellungsverfahren – Raumordnungsrecht, 2004, S. 1, 32; ablehnend gegenüber der Widmung Cloppenburg, DVBl. 2005, 1293 ff. 94 BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332, 367. 95 BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – S. 16 f.; kritisch dazu Kupfer, ZLW 2006, 53 ff. 96 BVerwG, Beschl. vom 19.5.2006 – 4 VR 2000.05 – S. 16; dazu Gatz, jurisPRBVerwG 16/2005 Anm. 5.

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für Expressfrachtflüge existentiell auf durchgehende Betriebszeiten angewiesen seien. Beide Entscheidungen tragen in ihren Grundaussagen den rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen, unter denen der Luftverkehr abläuft, Rechnung. cc) Schutz der Nachtruhe In den neusten Urteilen zu den Flughäfen Berlin Schönefeld vom 16. März 200697 und zu Leipzig/Halle vom 9. November 200698 nimmt das BVerwG jedoch eine deutlich restriktivere Haltung99 ein. (1) Rücksichtnahmepflicht Das Gericht stellt nicht mehr darauf ab, dass § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG mittelbar die grundsätzliche Zulässigkeit von Nachtflügen bestätige. Es entnimmt der Vorschrift eine Pflicht zur besonderen Rücksichtnahme auf die Nachtruhe der Bevölkerung und damit eine Gewichtungsvorgabe bei der planungsrechtlichen Abwägung100. Wichtig ist das Verständnis des Begriffs „Nachtruhe“. Das ist nicht der Schutz des nächtlichen Schlafes, sondern der Schutz einer nächtlichen Lärmpause101. Das Interesse der Bevölkerung, von nächtlichen Flugbewegungen verschont zu bleiben, erhält nach Auffassung des Gerichts durch § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG in der Abwägung einen Gewichtungsvorrang102. Aufgrund der lärmmedizinischen Erkenntnisse103 unterschei___________ 97 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 u.a. –; dazu Barth, ZUR 2006, 531 ff.; Boewe, ZLW 2006, 634 ff.; de Witt, DVBl. 2006, 1373 ff.; Boermann/Habekuß, DVBl. 2007, 234 ff.; Deutsch, NVwZ 2006, 878 ff. 98 BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 –; dazu Gatz, jurisPR-BVerwG 6/2007 Anm. 1. 99 Die Entscheidungen enthalten noch weitere kritisch zu würdigende Ausführungen, die hier nicht diskutiert werden können. Zu hinterfragen ist, ob die Änderung eines Flughafens tatsächlich jedes Mal zu einer vollständigen Neuentscheidung über die Betriebsregelung zwingt (so aber BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 – Rdnr. 285; Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – Rdnr. 70). Zweifel sind angebracht, nicht zuletzt im Hinblick auf die Eigentümerstellung des Flughafenbetreibers und seinen Bestandsschutz [zu der Eigentümerstellung Scholz, in: Scholz/Moench (Fn. 41), S. 39, 48 ff.]. 100 Kupfer, ZLW 2006, 51, 60; Hofmann/Grabherr (Fn. 17), § 29 b Rdnr. 2. 101 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 u.a. – Rdnr. 268; besonders deutlich im Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – Rdnr. 75. 102 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 u.a. – Rdnr. 268. 103 Griefahn/Jansen/Scheuch/Spreng, ZfL 2002, 121 ff.; dazu Dolde, ZfL 2003, 88, 122; Giemulla/Schorcht, ZLW 2004, 386 ff., 493 ff.; krit. aus lärmmedizinischer Sicht

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det das Gericht eine besonders schutzbedürftige Kernzeit zwischen 0:00 Uhr bis 05:00 Uhr und die weniger schutzbedürftigen Nachtrandstunden von 22:00 Uhr bis 00:00 Uhr bzw. von 05:00 Uhr bis 06:00 Uhr, wobei die Schutzwürdigkeit allerdings steigt, je näher die Flugbewegungen in den Randstunden an die Kernzeit herankommen. In beiden Zeitscheiben bedarf die Zulassung des nächtlichen Flugbetriebs einer besonderen Rechtfertigung. Ob sich die verkehrlichen Belange durchsetzen können, hängt von den standorttypischen Umständen, der Zahl der Lärmbetroffenen und dem Zeitraum, in dem die Flüge stattfinden, ab. In der Kernzeit sind Flüge nur gerechtfertigt, wenn ein wirklich gewichtiger nächtlicher Verkehrsbedarf vorliegt. Rein wirtschaftliche Interessen reichen nach Auffassung der Rechtsprechung nicht aus. Das BVerwG schließt dies aus der Tatsache, dass alle deutschen Flughäfen über mehr oder minder weitreichende Betriebsbeschränkungen in der Nacht verfügen104. In den verbleibenden Nachtrandstunden bedarf es plausibel nachgewiesener sachlicher Gründe, weshalb ein bestimmter Verkehrsbedarf oder ein bestimmtes Verkehrssegment nicht befriedigend innerhalb der Tagesstunden abgewickelt werden kann. Solche Gründe sind nach Meinung des Gerichts die Erfordernisse einer effektiven Flugzeugumlaufplanung, die Besonderheiten des Interkontinentalverkehrs sowie die Nutzung von Flughäfen als Home-Base oder als Wartungsschwerpunkt105. (2) Verbot mit Erlaubnisvorbehalt Mit diesen Anforderungen gibt das Gericht im Ergebnis seine bisherige Rechtsprechung auf, dass § 29 b Abs. 1 Satz 1 LuftVG die grundsätzliche Zulässigkeit von Nachtflügen bestätige106. Es legt den Gewichtungsvorrang zugunsten der Nachtruhe so aus, dass die Vorschrift sich einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt nähert. Das hat erhebliche praktische Auswirkungen. Für die Kernzeit hat das BVerwG am Flughafen Berlin-Schönefeld daraus als einzig rechtmäßige Abwägungsentscheidung ein Nachtflugverbot in der Kernzeit abgeleitet. Am Flughafen Leipzig/Halle hat das Gericht ein standortbezogenes besonders gewichtiges Interesse für die Durchführung von Expressfrachtflügen anerkannt. Nicht berücksichtigt hat es allerdings, dass in eine Frachtdrehschei___________ Maschke/Feldmann/Hecht, ZfL 2004, 59 ff.; zum DLR-Schutzkonzept de Witt, UPR 2006, 8 ff. 104 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 u.a. – Rdnr. 269, 280, 285; Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 Rdnr. 75 – Rdnr. 71 f. 105 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 – Rdnr. 287; Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 Rdnr. 75 – Rdnr. 74. 106 Im Schrifttum wird darauf hingewiesen, dass nun kaum noch Spielräume für Nachtflüge bestünden, Barth, ZUR 2006, 531, 533; von einem Plädoyer für ein grundsätzliches Nachtflugverbot spricht Boewe, ZLW 2006, 634, 635.

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be auch solche Zu- und Abbringerflüge einbezogen werden müssen, die keine Expressgüter befördern. Für das Passagiersegment und dort vor allem für die Low Cost Airlines und die touristischen Luftverkehrsgesellschaften zeichnet sich ab, dass ihre Verkehre in der Kernzeit nicht mehr zugelassen werden können. dd) Würdigung der Rechtsprechung Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung ist erforderlich. Vor allem sind ihre Prämissen zu hinterfragen. Die erste Prämisse der Rechtsprechung besagt, dass Schutzgegenstand des § 29 b Abs. 1 Satz 1 LuftVG nicht der Nachtschlaf, sondern die Nachtruhe ist. Die zweite Prämisse besteht darin, dass die Nachtflugbeschränkungen an den deutschen Flughäfen zeigten, dass sich jedenfalls im Linien-, im Charter- und Touristikverkehr Nachtflüge ohne Existenz gefährdende Einbußen außerhalb der Kernzeit der Nacht durchführen ließen. Beide Prämissen sind fragwürdig. (1) Inhalt des § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG Fraglich ist bereits, ob § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG tatsächlich eine allgemeine Lärmpause für den Luftverkehr verlangt. Bereits die Entstehungsgeschichte lässt Zweifel aufkommen. § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG wurde im Zusammenhang mit dem FlugLärmG im Jahr 1971107 in das LuftVG eingeführt. Dieses Gesetz stellte als Siedlungsbeschränkungsgesetz den passiven Schallschutz in den Vordergrund. Die Gesetzgebungsberatungen konzentrierten sich auf die Umsiedlung der Betroffenen, den passiven Schallschutz und auf die Möglichkeiten der Reduzierung des Triebwerkslärms108. Besondere Bedeutung hatte der passive Schallschutz in der Nacht. Das spricht nicht unbedingt dafür, dass der Gesetzgeber auf der anderen Seite in das LuftVG den Vorrang der nächtlichen Lärmpause einführen wollte. Es ist schwer zu erklären, warum ausgerechnet der Luftverkehr gewährleisten soll, dass nachts eine Lärmpause eintritt, wenn diese Lärmpause durch zahlreiche gegenläufige Entwicklungen, wie den Straßenverkehr, Schienenverkehr oder Freizeitlärm konterkariert wird109. Dafür könnten die Impulshaltigkeit und die hohen Spitzenpegel des Fluglärms sprechen. Ähnliche Werte kann aber beispielsweise auch nächtlicher Güterverkehr auf der Schiene annehmen. Auch der Hinweis auf die singuläre Stellung ___________ 107

BGBl. I S. 282. Vgl. BT-Drucks. V/355 S. 4 f.; und die Schriftlichen Berichte des Gesundheitsund des Innenausschusses BT-Drucks. V/4427. 109 de Witt, DVBl. 2006, 1373, 1378. 108

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des § 29 b Satz 2 LuftVG in den Vorschriften zum Schutz vor Verkehrslärm ist letztlich nicht überzeugend. Die Vorschrift stellt nicht generell auf den Schutz der Nachtruhe und damit auf eine Lärmpause, sondern auf den Schutz der Nachtruhe der Bevölkerung ab. Schutzwürdig und geschützt ist nachts aber in erster Linie der ungestörte Schlaf. Um diesen Schutz zu erreichen, muss das Verkehrsinteresse aber nicht grundsätzlich hinter dem Interesse an einer Lärmpause zurücktreten. Nicht von ungefähr hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit argumentiert, dass nachts grundsätzlich passiver Schallschutz zur Lösung der Lärmprobleme genüge110. (2) Nachtflugverbot als Standard Auch die Prämisse, die an allen deutschen Flughäfen vorhandenen Nachtflugbeschränkungen zeigten, dass der Passagierverkehr ohne Existenzgefährdung in der Nacht abgewickelt werden könne, ist fragwürdig. Zum einen verkennt sie, dass nicht an jedem deutschen Flughafen der Verkehr in der Nacht ausgeschlossen ist111. Die Beschränkungen bestehen vielfach in Lärm- oder Bewegungskontingenten oder gelten nur für bestimmtes Fluggerät. Tatsächlich kennen gerade die Flughäfen, die sich Low Cost Carrier oder touristische Fluggesellschaften als Stationierungsflughäfen ausgewählt haben, regelmäßig kein vollständiges Flugverbot in der Nachtkernzeit. Zum anderen hätte das Gericht zumindest auch die europäischen und die außereuropäischen Flughäfen zum Vergleich heranziehen müssen. Diese Flughäfen kennen zum Teil deutlich weiter reichende Flugmöglichkeiten als die deutschen Flughäfen. Für die Wettbewerbsfähigkeit vor allem der von deutschen Flughäfen aus operierenden Low Cost Anbieter und touristischen Fluggesellschaften hat dies perspektivisch erhebliche Konsequenzen. Sie müssen befürchten, dass die im europäischen Ausland stationierten Anbieter aufgrund der längeren zeitlichen Nutzung ihres Fluggeräts günstiger produzieren können und sie dadurch vom Markt verdrängen. Mittelfristig könnte ein Nachtflugverbot in der Kernzeit diesen Anbietern die Wettbewerbsfähigkeit nehmen. ___________ 110

VGH Kassel, Urt. vom 2.4. 2003 – 2 A 2646/01 – NVwZ-RR 2003, 729, 735. Verkehre – auch im Passagier- oder Touristiksegment – sind nach derzeitigem Stand zulässig an den Flughäfen Hannover, Hahn, Nürnberg, Paderborn, Köln und Frankfurt; Beschränkungen beziehen sich auf Bewegungsarten, Lärm- oder Bewegungskontingente und das eingesetzte Fluggerät. Im europäischen Ausland sind Nachtflüge möglich in Amsterdam, London, Paris, Madrid, in Manchester und Gatwick [insbesondere im Tourismusverkehr, vgl. MPD Group Ltd. (Fn. 70), S. 58]. Das gleiche gilt für die im Tourismusverkehr wichtigen Flughäfen Teneriffa Süd, Palma de Mallorca, Heraklion und Antalya. In den USA kennt von den 16 größten Flughäfen nur Minneapolis eine (freiwillige) Selbstbeschränkung, so ein Papier verschiedener Wirtschaftsverbände „Drohendes Nachtflugverbot in Frankfurt – Verschläft Deutschland den Wettbewerb?“ (http://www.barig.org /scripts/clsAIWeb.php? news_id=331). 111

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(3) Das Gemeinschaftsrecht Der mit dem Ansatz des Gerichts verbundene generelle Vorrang von Betriebsbeschränkungen in der Nacht wirft unter dem Aspekt der Harmonisierung mit den europarechtlichen Vorgaben Probleme auf. Das europäische Recht nimmt einen anderen Blickwinkel ein als die nationale Rechtsprechung. Es versteht Beschränkungen des Flugbetriebs als Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit. (a) Das Recht des freien Streckenzugangs Das Gemeinschaftsrecht räumt in Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 2408/92 den Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft das Recht des freien Streckenzugangs ein. Art. 8 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 2408/92 erlaubt den Mitgliedsstaaten u. a. aus Gründen des Umweltschutzes die Art und Weise des Streckenzugangs zu beschränken. Art. 9 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 2408/92 gestattet die zeitlich befristete Beschränkung bzw. die befristete vollständige Verweigerung von Verkehrsrechten u. a. auch zur Lösung von Umweltproblemen. Art. 9 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 2408/92 stellt Maßstäbe für eine solche – befristete – Beschränkung auf. Neben dem Diskriminierungsverbot dürfen die Beschränkungen die Ziele der Streckenzugangsverordnung nicht unangemessen beeinträchtigen und den Wettbewerb zwischen den Luftfahrtunternehmen nicht unangemessen verzerren. Vor allem dürfen sie nicht einschränkender sein als es zur Lösung der Probleme – insbesondere der Umweltprobleme – erforderlich ist. Diese Bewertung ist auch bei auf Art. 8 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 2408/92 gestützten Beschränkungen zu beachten112. Es gibt keinen Grund, an dauerhafte Beschränkungen geringfügigere Anforderungen zu stellen als an temporäre Maßnahmen, die den Luftverkehr viel weniger stark einschränken. Das Beschränkungsverbot ist jedoch nicht nur dann verletzt, wenn das gefährdete Schutzgut genauso wirksam durch Maßnahmen geschützt werden kann, die den innergemeinschaftlichen Verkehr weniger stark beschränken113, sondern es verlangt auch, dass eine Abwägung zwischen der Schwere der Beeinträchtigung der innergemeinschaftlichen Freiheit durch die mitgliedstaatliche Maßnahme und dem dadurch erzielten oder vernünftigerweise prognostizierten Gewinn an Schutzgut-

___________ 112

Niejahr, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Fn. 18), Kap. 51 Rdnr. 246. EuGH, Urt. vom 28.3.1995 – Rs. C-324/93 – Slg. 1995 I-563, 608; Urt. vom 10.11.1994 – Rs. C-320/93 – Slg. 1994 I-5257, 5264; Müller-Graff in: Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl. 2003, Art. 30 Rdnr. 135 m. w. N. 113

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sicherung erfolgt ist114. Ausdrücklich erkennt die Richtlinie 2002/30/EG in Erwägungsgrund 9 ein berechtigtes Interesse der Luftverkehrsbranche an kostengünstigen Lösungen zur Erreichung der Lärmschutzziele an. Diese Wertung zeigt, dass ein schematisches Verbot von Flugbewegungen auch in der Nachtkernzeit nicht mit dem Gemeinschaftsrecht zu vereinbaren ist. Je gravierender und weitreichender die Auswirkungen einer Betriebsbeschränkung auf die verkehrlichen Interessen und auf die Marktzugangsfreiheit der Luftverkehrsunternehmen sind, desto wichtiger wird die Frage nach dem zusätzlichen Schutzgewinn, den eine solche Beschränkung vermittelt. Selbst wenn man mit dem BVerwG an dem besonderen Gewicht der Nachtruhe in der Kernzeit festhält, ist diese Vorgabe vor allem von Bedeutung für die Gewichtung der Belange, die sich in den Nachtrandstunden für Flüge anführen lassen. (b) Der ausgewogene Ansatz Gegen den Vorrang von Bewegungsausschlüssen spricht auch die Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft115. Dass der deutsche Gesetzgeber sie nur hinsichtlich der Beschränkung des Zugangs von knapp die Vorschriften erfüllenden zivilen Unterschallflugzeugen in den §§ 48 a ff. LuftVZO umgesetzt hat, berührt ihre Anwendung im Rahmen der Abwägung nicht116. Für ihre Integration in die fachplanerische Abwägung besteht kein Regelungsbedarf. Dem Konzept des ausgewogenen Ansatzes (Balanced Approach) kann und muss nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie durch europarechtskonforme Auslegung Rechnung getragen werden. Die Elemente des ausgewogenen Ansatzes stehen dabei aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Wertungen grundsätzlich gleichrangig nebeneinander117. Prinzipieller Vorrang kommt keinem von ihnen zu. Zwar bedeutet dies nicht, dass das Gemeinschaftsrecht Beschränkungen des Flugbetriebs verbietet oder Nachtflugverbote untersagt. Mit dem vom Gemeinschaftsrecht übernommenen Prinzip des Balanced Approach ist aber ein Vorrang der Nachtruhe, verstanden als Vorrang eines Flugbewegungsverbots in der Nachtkernzeit, ___________ 114 EuGH, Urt. vom 30.4.1974 – Rs. 155/73 – Slg. 1974, 409, 428; Urt. vom 22.3.1983 – Rs. 42/82 – Slg. 1983, 1013, 1015; Müller-Graff (Fn. 113), Art. 30 Rdnr. 157; Europäische Kommission vom 12. Dezember 1989, ABl. EG 1989 Nr. L 337, S. 52. 115 ABl. Nr. L 85 vom 28. März 2002, S. 40. Sie gilt zwar nur für Flughäfen mit mehr als 50.000 Flugbewegungen in den vergangenen drei Jahren (Art. 2 a Richtlinie 2002/30/EG), das spricht aber nicht dagegen, ihre Wertungen generell zu übernehmen. 116 OVG Münster, Urt. vom 16.5.2007 – 20 D 9/06 AK – http://www.justiz.nrw.de, Rdnr. 191 f. 117 Erwägungsgrund 10 der Richtlinie 2002/30/EG.

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nicht zu vereinbaren. Das Gemeinschaftsrecht verlangt vielmehr, dass die einzelnen Elemente des Balanced Approach im Rahmen der Abwägung geprüft und bewertet werden. Kriterien für diese Prüfung hat die Richtlinie in ihrem Anhang II aufgestellt. Bei der Prüfung der einzelnen Instrumente ist jeweils zu klären, welchen zusätzlichen Schutzgewinn sie im Vergleich zum status quo bzw. in der konkreten Planungssituation vermitteln. Das gilt gerade im Hinblick auf den passiven Schallschutz. (4) Bewertung Der Ausgangspunkt der Rechtsprechung vom hohen Gewicht der Nachtruhe ist uneingeschränkt zu teilen. Zu begrüßen ist auch die Notwendigkeit, sich künftig mit dem Nachtflugbedarf stärker als bisher argumentativ auseinanderzusetzen. Die Begründung des Ergebnisses weckt allerdings erhebliche Zweifel. Zum einen sind seine Prämissen fragwürdig. Zum anderen setzt sich die Argumentation in Widerspruch zum europäischen Recht. Um Missverständnisse zu vermeiden: Selbstverständlich kann die Planfeststellungsbehörde zu dem Ergebnis kommen, dass ein Nachtflugverbot zu verfügen ist, wenn dies nicht im Widerspruch zur Verkehrsfunktion des Flughafens steht. Und selbstverständlich ist sie gehalten, nicht von vornherein einseitig auf passiven Schallschutz zu setzen. Nur wäre es genauso fragwürdig, in der Nachtzeit immer vorrangig einem Bewegungsausschluss das Wort zu reden. Das gilt vor allem dann, wenn der Bewegungsausschluss in der Kernzeit vorrangig die Passagierund damit vor allem die wenig geliebten118 Touristik- und Low Cost Verkehre betrifft. Auf diese Weise droht letztlich doch durch die Hintertür die vom BVerwG bisher zu Recht abgelehnte Prüfung nach der Berechtigung der Verkehre119 in die Zulassungsentscheidung eingeführt zu werden. Ob das wirklich einen Gewinn für den Lärmschutz bedeutet, ist zweifelhaft, denn eine solche Praxis liefe darauf hinaus, dass Nachts eher die tendenziell lauteren Frachtflüge abgewickelt werden dürfen, die mit deutlich leiserem Gerät durchgeführten Passagierflüge aber unterbleiben. 4. Praktische Umsetzung Da sich keine Änderung der Rechtsprechung abzeichnet, bedarf es für die Praxis der näheren Untersuchung, unter welchen Voraussetzungen Nachtflugbewegungen noch gerechtfertigt werden können. Die Planungsentscheidungen ___________ 118

Gatz, jurisPR-BVerwG 16/2005 Anm. 5 D. BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – S. 19; Beschl. vom 19.05.2005 – 4 VR 200005 – S. 16. 119

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können sich nicht mehr auf pauschale Erwägungen beschränken, sondern müssen die Zulassung der Flüge begründen120. a) Kein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt Auszugehen ist nach wie vor davon, dass § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG kein Nachtflugverbot mit Erlaubnisvorbehalt bedeutet. Für die Planfeststellungsbehörde geht es um die Identifikation der Belange, die den durch § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG vermittelten Gewichtungsvorrang in der Abwägung überwinden können. Im Vordergrund stehen die Verkehrsfunktion des Flughafens und die damit verbundene Versorgung des Einzugsgebiets mit Luftverkehrsdienstleistungen. Flughäfen, die vor allem Verkehren dienen, die – etwa aufgrund ihrer typischen Reichweite – eher am Tag abgewickelt werden können, können dabei eher beschränkt werden als Großflughäfen, die die interkontinentale Anbindung des Einzugsgebiets sicherstellen sollen, oder als Flughäfen, die eine Nachfrage nach ganz besonderen Verkehrssegmenten befriedigen, die auf Nachtflüge angewiesen sind. b) Vielfalt der relevanten Belange In einem zweiten Schritt sind die Belange zu klären, die sich überhaupt im Rahmen der Abwägung gegen den Vorrang der Nachtruhe durchsetzen können. Diese Belange sind nicht abschließend. Für die Nachtrandzeit hat das BVerwG dies hinreichend deutlich gemacht, indem es die Beispielhaftigkeit der Anforderungen von Interkontinentalflügen, der Umlaufplanung oder der Nutzung eines Flughafens als Wartungsschwerpunkt bzw. home base verdeutlicht121. Für die Kernzeit gilt nichts anderes. Auch dort sind die Belange nicht abschließend, die Nachtflüge rechtfertigen können. Das Erfordernis eines spezifischen standortbezogenen Grundes ändert daran nichts. Verlangt ist ein spezieller Grund für den Flughafen, der die Zulassung nächtlichen Verkehrs anstrebt.

___________ 120 Ekardt/Seidel, NVwZ 2007, 421, 422; de Witt, DVBl. 2006, 1373, 1379: Rechtfertigung ist eine Frage der geschickten Argumentation. 121 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 – Rdnr. 287; Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.04 – Rdnr. 74; so auch BayVGH, Urt. vom 28.9.2006 – 8 A 05.40032 u.a. – S. 26.

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c) Kernzeit aa) Verkehrliche Gründe Ein standortbezogener Grund, den das BVerwG als gewichtig genug ansieht, um Flüge in der Kernzeit zwischen 00:00 Uhr bis 00:05 Uhr zu rechtfertigen, sind Frachtflüge, bei denen der Markt den Transportvorgang während der Nachtzeit erwartet. Dies gilt sowohl im kontinentalen als auch im interkontinentalen Luftverkehr. Geht man davon aus, dass die Nachfrage einer bestimmten Verkehrsdienstleistung mit Nachtflügen verbunden ist, kann bei Flügen im Touristiksektor nichts anderes gelten. Dringende betriebliche Gründe können daher vorliegen, wenn die Luftverkehrsdienstleistung von Reiseveranstaltern nachgefragt wird, die ihre Kunden zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Zielgebiet bringen müssen und deswegen auf Nachtflüge angewiesen sind, und wenn die touristische Fluggesellschaft an diesem Flughafen – etwa wegen der großen lokalen Nachfrage – einen betrieblichen Schwerpunkt unterhält. bb) Objektive Gründe Dringliche Gründe können sich auch aus anderen objektiven Gelegenheiten wie Beschränkungen des Luftraums, Beschränkungen an einem Ziel- und Ausgangsflughafen oder wegen der beschränkten Verfügbarkeit von Zeitnischen ergeben. Andere Gründe können objektive Gefährdungslagen im Ziel- oder Ausgangsgebiet sein. So können dort möglicherweise Flüge an Flughäfen nur zu bestimmten Zeiten (Tageszeit) durchgeführt werden, weil Nachtreisen zu gefährlich werden. Dies kann wiederum in Verbindung mit den Distanzen dazu führen, dass Flüge zwangsläufig in den Nachtstunden in Mitteleuropa ankommen bzw. abgehen müssen. Der Belang, diese Gebiete über den Luftverkehr anzubinden, kann dann auch Nachtflüge in der Kernzeit rechtfertigen. cc) Wirtschaftliche Erwägungen Auch auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerwG gibt es schließlich Konstellationen, in denen wirtschaftliche Erwägungen Nachtflüge in der Kernzeit der Nacht rechtfertigen. Ein wesentliches Argument des Gerichts gegen die Zulassung dieser Flüge ist der Hinweis, die Beschränkungen an den Flughäfen zeigten, dass diese Flüge ohne Existenzgefährdung der Anbieter außerhalb der Kernzeit abgewickelt werden könnten122. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Nachtflüge in diesem Verkehrssegment auch in der Kernzeit zu___________ 122

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073/04 – Rdnr. 280.

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gelassen werden können, wenn es zu solchen Existenzgefährdungen – sei es beim Flughafen, sei es bei der Luftverkehrsgesellschaft – kommen kann. Bei letzterer wird dies allenfalls dann der Fall sein, wenn sie an dem jeweiligen Flughafen einen betrieblichen Schwerpunkt hat, ihn also in besonderem Maße nutzt. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig es ist, die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen des Wettbewerbs zu berücksichtigen. Andernfalls droht die Gefahr, dass infolge einer entsprechenden Betriebsbeschränkung die jeweilige Verkehrsaufgabe des Flughafens nicht mehr erfüllt werden kann. d) Nachtrandzeit Für die Nachtrandzeiten hat das BVerwG mit der Umlaufplanung, dem Interkontinentalverkehr und den Bedürfnissen des homebase carriers weitere Gründe anerkannt, die zumindest Flüge in den Nachtrandstunden rechtfertigen. aa) Verkehrsfunktion und betriebliche Belange Auch bei diesen Rechtfertigungsgründen spielt die Verkehrsfunktion eine entscheidende Rolle. Die zuvor beschriebene Drehscheibenfunktion eines Flughafens setzt Verbindungen gerade in den Randzeiten des Nachtflugverkehrs voraus. Flüge müssen noch in den ersten Nachtstunden landen bzw. letzten Nachtstunden starten können. Besteht diese Möglichkeit nicht, wird die Funktionalität zur Drehscheibe und damit die Qualität der Versorgung mit Luftverkehrsdienstleistungen beschränkt. Für die Zu- und Abbringerflughäfen, die keine Drehscheibenfunktion haben, heißt dies wiederum, dass ihre Einbindung in die Drehscheibe Nachtflüge rechtfertigen kann. Wenn dies für die Aufrechterhaltung einer Versorgung mit den entsprechenden Verkehren zulässig ist, kann dies an solchen Flughäfen sogar Flüge zumindest zu Beginn und Ende der Nachtkernzeit rechtfertigen. Ähnlich ist dies bei Punkt-zu-Punkt-Verkehren. Sie sind – gerade im Geschäftsreiseverkehr – auf die Nutzung der Tag- und Nachtrandzeiten angewiesen. Die Abwicklung dieser Verkehre setzt regelmäßig voraus, dass gerade noch in den ersten Nachtrandstunden am Ende des Tages Starts und Landungen stattfinden können. bb) Erschließungsfunktion Plausible Gründe können sich auch aus der konkreten Versorgungsfunktion am Flughafenstandort heraus ergeben. So kann etwa eine Region als Standortregion für Logistik – und/oder Produktionsunternehmen – im besonderen Maße auf Frachtflugbewegungen angewiesen sein. Ähnliches gilt für die lokale Nachfrage in großen Ballungsräumen nach Touristikdienstleistungen, die ent-

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sprechende Nachtflüge rechtfertigen können, weil ohne sie dieses Angebot und diese Qualität nicht aufrechterhalten werden kann. cc) Wirtschaftliche Belange Plausible nachgewiesene wirtschaftliche Belange des Flughafens, aber auch der Luftverkehrsunternehmen können Flüge in den Nachtrandzeiten ebenfalls rechtfertigen. Sie stehen letztlich auch hinter Gründen wie der Umlaufplanung oder den Erfordernissen der Wartung: Es ist für die Luftverkehrsgesellschaften unwirtschaftlich, an jedem Flughafen eine Wartungseinrichtung vorzuhalten. Eine besondere Rolle werden gerade hier die Wettbewerbsfähigkeit der Luftverkehrsgesellschaften und damit auch die nationalen und internationalen Wettbewerbsverhältnisse spielen. Die Aufrechterhaltung oder Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit kann als auch öffentlicher Belang Flüge in den Nachtrandzeiten rechtfertigen. e) Abwägungsentscheidung Nochmals: Das muss nicht bedeuten, dass sich diese dringlichen oder plausiblen Gründe im Sinne eines völlig uneingeschränkten Nachtflugverkehrs durchsetzen. Dies ist – bis zur Grenze der Widerspruchsfreiheit der Planungsentscheidung – letztlich eine Frage der Verkehrsfunktion des jeweiligen Flughafens. Bei einem Flughafen, der von seiner Konfiguration her als Drehscheibe geeignet ist und auch als solche genutzt wird, ist diese Verkehrsfunktion anders zu beurteilen als bei einem Flughafen, der weder diese Funktion hat noch Heimatbasis oder Wartungsschwerpunkt einer Fluggesellschaft ist. Umgekehrt bedeutet dies nicht, dass die zuständige Behörde nur die Wahl hat, Flüge zuzulassen oder auszuschließen. Der Hinweis des BVerwG auf die Nachtflugbeschränkungen an anderen Flughäfen zeigt, dass es durchaus Abstufungen auch bei den Betriebsbeschränkungen gibt. Sie reichen von Lärm- und Bewegungskontingentierungen über Beschränkungen hinsichtlich des Fluggeräts bis hin zu Nutzungsbeschränkungen oder -vorgaben beim Bahnensystem. Berücksichtigt die Behörde diese Möglichkeiten nicht, handelt sie abwägungsfehlerhaft.

V. Ausblick Die Entwicklung des Luftverkehrs hin zu einem wettbewerblich geprägten System, aber auch die jüngste Rechtsprechung zeigen, dass die luftverkehrsrechtliche Infrastrukturplanung sich intensiver als bisher mit den rechtlichen Rahmenbedingungen und den durch sie hervorgebrachten Geschäftsmodellen

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und betrieblichen Belangen des Luftverkehrs auseinander setzen muss. Der Daseinsvorsorgeauftrag der Infrastruktur, die Versorgung mit Luftverkehr sicherzustellen, funktioniert nur, wenn auch der Luftverkehr wettbewerbsfähig abgewickelt werden kann. Auch die Luftfahrtunternehmen werden sich in Zulassungsverfahren verstärkt einbringen müssen, um ihre Belange zu wahren. Anlass dazu besteht vor allem auf der Grundlage der neuen Rechtsprechung zu nächtlichen Flugbewegungen. Das BVerwG hat die Hürden für die Zulassung solcher Flüge deutlich erhöht. Vorhabenträger und Luftfahrtbehörden obliegt deswegen ein erheblicher zusätzlicher Ermittlungs-, Begründungs- und Prüfungsaufwand. Das ist nicht negativ zu bewerten, denn dass die Fluglärmbetroffenen berechtigte Belange geltend machen, wenn sie von (nächtlichem) Fluglärm verschont bleiben wollen, ist unstreitig. Die Prüfung verhindert, dass sie allzu schnell auf passiven Schallschutz verwiesen werden. Bedenken bleiben aber hinsichtlich der Schlussfolgerungen, die aus § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG gezogen werden. Die Zukunft wird zeigen, ob die Vorgaben ausreichend Spielraum für einen wettbewerbsfähigen Luftverkehr lassen und ob – jedenfalls in den Verkehrssegmenten der Low Cost Anbieter und der Touristik – eine entsprechende Versorgung mit Luftverkehrsdienstleistungen dauerhaft gewährleistet werden kann. Gelingen wird dies nur, wenn die von der Rechtsprechung zwar eingeschränkten, aber immer noch vorhandenen Spielräume bei der Betriebsregelung genutzt werden.

Die Bewältigung von Prognoseunsicherheit bei planerischen Entscheidungen am Beispiel des Fluglärms Von Ulrich Hösch

I. Einleitung Verkehrsflugplätze sind Einrichtungen der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur. Sie werden im allgemeinen Interesse als Einrichtung der Daseinsvorsorge betrieben.1 Ihre Benutzung dient der Befriedigung der Verkehrsbedürfnisse der Allgemeinheit. Entsprechend steht die Nutzung von Verkehrsflughäfen jedermann im Rahmen ihres Verkehrszweckes und ihrer Kapazität offen. Daher rechtfertigt vor allem der Verkehrsbedarf die Zulassung von luftrechtlichen Vorhaben nach §§ 6, 8 LuftVG.2 Der (prognostizierte) Verkehrsbedarf bildet auch die Grundlage für die Beurteilung und Bewältigung der von dem Flugplatz bzw. seinem Betrieb ausgehenden nachteiligen Wirkungen. Dies gilt insbesondere für die Belastung der Umgebung mit Lärmimmissionen. Die Verkehrsprognose bildet die Grundlage für die weitere Prognose der zu erwartenden Lärmbelastung, deren Zumutbarkeit zu beurteilen ist. Was die Nachbarn eines Flughafens als zumutbare Belastung hinzunehmen haben, wird auf der Grundlage zweier Prognosen und einer Bewertung ermittelt. Diese Ermittlung der zumutbaren Auswirkungen anhand einer „Prognosekette“ verteilt auch das Risiko zwischen den Nachbarn und dem Betreiber des Flughafens. Wird die gestellte Prognose verfehlt und der Flughafen in der Zukunft über den prognostizierten Verkehr hinaus genutzt, steht die gesteigerte Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses einem Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch der Nachbarn grundsätzlich entgegen. Dem Ausmaß der Belastung des Einzelnen mit Lärm wird erhebliche Bedeutung für sein Wohlbefinden und seine Gesundheit beigemessen. Zivilisations___________ 1 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Rdnr. 188 der Urteilsausfertigung; siehe auch Hofmann/Grabherr, LuftVG, Stand: Mai 2006, § 6 Rdnr. 12. 2 Vgl. BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 –, Rdnr. 36 der Urteilsausfertigung.

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krankheiten wie Stress oder Herzinfarkt sollen auch lärmbedingt sein. Die Bewältigung von Fluglärm mittels des Fachplanungsrechts ist daher ebenso ein gesellschaftliches Anliegen wie die Vorhaltung einer funktionsfähigen und effizienten Verkehrsinfrastruktur. Das Luftverkehrsgesetz enthält nicht nur Belange, die für das Vorhaben sprechen, sondern § 6 Abs. 2 S. 1, § 29b Abs. 1 LuftVG verlangen im Rahmen der Abwägung die angemessene Berücksichtigung von Fluglärm.3

II. Die Prognose Die Prognose ist ein Wahrscheinlichkeitsurteil über den Eintritt eines Ereignisses oder die Entwicklung eines Sachverhalts in absehbarer Zukunft. Sie ermöglicht es der Behörde trotz eines ungewissen Sachverhalts rechtlich verbindlich zu entscheiden. Die Prognose über die Entwicklung des Verkehrsaufkommens bestimmt das Gewicht der für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange. Die Prognose weist die Berechtigung des Vorhabens nach und bildet die Grundlage für die Bestimmung der zumutbaren Belastung Dritter und der Allgemeinheit mit den Auswirkungen des Vorhabens. Für die Prognoseentscheidung steht der Behörde ein Beurteilungsspielraum zu. 1. Die Prognosegrundlage Grundlage der Prognose ist der (gutachterlich) ermittelte Verkehrsbedarf. Die Behörde muss ihrer Entscheidung eine Prognose zugrunde legen, die auf einem zutreffend ermittelten Sachverhalt und einer geeigneten Methode beruht sowie ihr Ergebnis nachvollziehbar begründet.4 Für eine nachfolgende gerichtliche Beurteilung der Prognose durch die Gerichte ist es ohne Bedeutung, ob die Prognose durch die spätere tatsächliche Entwicklung bestätigt oder widerlegt wird.5 Anders als bei der Genehmigung gewerblich genutzter Anlagen auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 BImSchG ermittelt die Prognose für die Zulassung von Verkehrsanlagen nicht die „technisch mögliche Spitzenbelastung“ (genehmigte Kapazität), sondern die voraussehbare Durchschnittsbelastung des Ver___________ 3 Vgl. BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Rdnr. 268 der Urteilsausfertigung; OVG NRW, Urteil vom 13.7.2006 – 20 D 87/05.AK u.a. – Bl. 62 der Urteilsausfertigung. 4 BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 –, Juris Rdnr. 33. 5 BVerwG, Urt. vom 7.7.1978 – IV C 79.76 –, Juris Rdnr. 57.

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kehrsweges.6 Nur mögliche, nicht jedoch voraussichtliche Entwicklungen der Verkehrsmenge und -zusammensetzung dürfen bei der Prognose außer Betracht bleiben.7 Aufgrund der Prognose vorhersehbare Auswirkungen des Vorhabens vermögen nach Eintritt der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses grundsätzlich nur Planergänzungsansprüche auszulösen, § 9 Abs. 3 LuftVG, § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG. Dies gilt auch für die maximale Ausnutzung der errichteten Anlagen.8 2. Gründe für eine unsichere Prognose a) Prognosehorizont Eine gesetzliche Bestimmung, auf welchen Zeithorizont die Prognose zu erstrecken ist, fehlt. Nach § 75 Abs. 3 S. 2 2. Hs. VwVfG sind Anträge auf die nachträgliche Anordnung von Schutzvorkehrungen dreißig Jahre nach Herstellung des dem Plan entsprechenden Zustandes ausgeschlossen. Entsprechend trägt der Vorhabenträger je nach Bauzeit das Prognoserisiko vom Zeitpunkt der Planfeststellung etwa 32 bis 40 Jahre. Da bei der Prognose nicht auf eine technisch mögliche Maximalkapazität, sondern auf die wahrscheinlichen Entwicklungen abzustellen ist, bildet dieser „Maximalzeitraum“ keine geeignete Grundlage für die Prognose. § 9 Abs. 4 S. 1 LuftVG bestimmt, dass die von dem festgestellten Plan betroffenen Grundstückseigentümer die Übernahme ihrer Grundstücke verlangen können, wenn der Plan nicht innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt seiner Bestandskraft durchgeführt wird. Diese Bestimmung dient allein dazu, den Schwebezustand hinsichtlich der möglichen Inanspruchnahme des Grundstücks für den Eigentümer zu beenden.9 Nach § 9 Abs. 5 S. 1 LuftVG ist mit dem Vorhaben innerhalb von zehn Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit zu beginnen. Anderenfalls tritt der Planfeststellungsbeschluss außer Kraft, wenn er nicht einmalig für fünf Jahre verlängert wird. Für einen längeren Zeitraum als 15 Jahre lassen sich wissenschaftlich begründbare Prognosen nur ausnahmsweise erstellen, da die nicht vorhersehbare ___________ 6 BVerwG, Urt. vom 3.3.1999 – 11 A 9.97 –, Juris Rdnr. 63; BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Rdnr. 359 der Urteilsausfertigung. 7 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.03 –, Rdnr. 359 der Urteilsausfertigung; BVerwG, Urt. vom 21.3.1996 – 4 A 10.95 –, Juris Rdnr. 20. 8 BVerwG, Beschl. vom 16.12.2003 – 4 B 75.03 –, Bl. 11 der Beschlussausfertigung. 9 Hofmann/Grabherr, LuftVG, Stand: Mai 2006, § 9 Rdnr. 107 a. E.

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Entwicklung von Faktoren, die den Luftverkehr beeinflussen können, spätestens zu diesem Zeitpunkt überproportional zunimmt. Bestätigt wird der Prognosehorizont von 15 Jahren durch § 2 Abs. 6 FlugLärmG. Danach sind die Lärmschutzbereiche eines Flugplatzes ab Inbetriebnahme alle zehn Jahre zu überprüfen. b) Prognosemethodik Die mit der Prognose verbundene Unsicherheit beruht gerade darauf, dass es keine verbindliche Methode gibt, um den Verkehrsbedarf zu bestimmen, sondern nur Verfahren, die unter Zugrundelegung der bekannten Tatsachen auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Methode eine künftige Entwicklung als wahrscheinlich begründen können. Der prognostizierte Bedarf muss sich nicht aus einer tatsächlichen, aktuell feststellbaren Nachfrage ergeben, sondern darf es im Vorgriff auf künftige Entwicklungen ermöglichen, einer Bedarfslage gerecht zu werden, die zwar noch nicht eingetreten ist, aber bei vorausschauender Betrachtung in absehbarer Zeit mit hinreichender Sicherheit erwartet werden kann.10 Im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums hat die Behörde die „Dringlichkeit“ des Bedarfs im Verhältnis zu den Auswirkungen zu gewichten. c) Behandlung der Prognose Die Prognose hat sowohl im Rahmen der Rechtfertigung des Vorhabens als auch bei der Gewichtung der Belange im Rahmen der Abwägung Bedeutung. Die gerichtliche Kontrolle geht in diesen beiden Fällen aber unterschiedlich weit: Es erfolgt eine umfassende gerichtliche Überprüfung der Rechtfertigung. Allerdings beschränkt darauf, ob es sich um keinen groben, einigermaßen offensichtlichen Missgriff handelt, der etwa anzunehmen wäre, wenn das konkrete Vorhaben von der fachplanerischen Zielsetzung des Gesetzes unter keinem Gesichtspunkt mehr gedeckt ist.11 Nur wenn das Vorhaben gerechtfertigt ist, wird ein Abwägungsspielraum eröffnet. Die Kontrolle der Abwägung beschränkt sich darauf, ob die für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange vollständig ermittelt und angemessen bewertet und die Folgen des Vorhabens unter Berücksichtigung des der Behörde eingeräumten planerischen Ermessens angemessen bewältigt worden sind. Die Kontrolle der Abwägung ist erschwert,

___________ 10

BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 –, Juris Rdnr. 27, 29. BVerwG, Urteil vom 11.7.2001 – 11 C 14.00 –, NVwZ 2002, 350, 353; BVerwG, Urt. vom 24.11.1989 – 4 C 41.88 –, BVerwGE 84, 123, 131. 11

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wenn Prüfungsmaßstäbe wie der Begriff der Gesundheit oder der Unzumutbarkeit rechtlich nicht verbindlich konkretisiert sind.12 d) Sicherung der Prognose Schließlich trägt die zeitliche Komponente der ungewissen künftigen Entwicklung verbunden mit der Problematik, was auf dieser Grundlage eine unvorhergesehene Entwicklung ist, ebenso zur Ungewissheit bei wie missverständliche Formulierungen der Behörde.13

III. Anforderungen an die Abwägung im Rahmen behördlicher Zulassungsentscheidungen 1. Grundsätze der Abwägung Auch für die luftrechtliche Planfeststellung gilt das Gebot der gerechten Abwägung, § 8 Abs. 1 S. 2 LuftVG. Im Rahmen der Abwägung haben nicht alle Belange das gleiche Gewicht. Die Belange, die für das Vorhaben streiten, haben, was sich aus dem Zweck des Gesetzes, Flughafeninfrastruktur zu ermöglichen, und der in § 28 Abs. 1 LuftVG eingeräumten Enteignungsbefugnis ergibt, ein erhebliches Gewicht. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der auf dem planerischen Ermessen der Behörde beruhende Abwägungsvorgang nicht vollständig ergebnisoffen ist, sondern das beabsichtigte Vorhaben „lediglich“ auf seine Vereinbarkeit mit entgegen stehenden Belangen überprüft wird, solange sicher gestellt ist, dass im Falle der Unvereinbarkeit auch eine Beschränkung des Vorhabens nicht ausgeschlossen ist. Für die Abwägung bedeutet dies, dass die Zulassung eines Vorhabens grundsätzlich solange möglich ist, wie seine Folgen bewältigt werden können. Die mit der Zulassung des Vorhabens verbundenen Folgen sind also vorrangig zu bewältigen; sie stehen dem Vorhaben grundsätzlich nicht gleichrangig entgegen. 2. Gewichtungsvorgaben für den Abwägungsvorgang Im konkreten Einzelfall ist zu prüfen, ob die Behörde auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 S. 2 und in § 9 Abs. 3 LuftVG ihr planerisches Ermessen darauf be___________ 12

BVerfG, Beschl. vom 14.1.1981 – 1 BvR 612/72 –, BVerfGE 56, 54, 74 f. Vgl. BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04, Rdnr. 310 ff. der Urteilsausfertigung. 13

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schränken darf, die Folgen des zugelassenen Vorhabens durch Schutzauflagen zu bewältigen oder weitergehend bereits die Entstehung der Folgen nicht zulassen darf.14 (1) Durch Abwägung nicht überwindbare Schranken im Sinne absoluter Grenzen des planerischen Ermessens sind nur ausnahmsweise vorstellbar. Einem Planungsleitsatz „Es darf zu keiner Gesundheitsbeeinträchtigung kommen“ kann Genüge getan werden durch Nichtzulassung des Vorhabens, durch Beschränkung des Vorhabens oder durch Schutzauflagen. (2) Eine Gewichtungsvorgabe für die Abwägung kann den Enteignungsregelungen, § 28, § 12 LuftVG, entnommen werden. Sie werten das Vorhaben durch die Bezugnahme auf die Erfüllung einer dem Allgemeinwohl im Sinne von Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG dienenden Aufgabe auf und geben ihm als Vorhaben der Infrastruktur eine besondere Berechtigung. Ähnliches gilt für die Ausgleichsregelungen in § 74 Abs. 2 S. 3, § 75 Abs. 2 S. 4 VwVfG, nach denen die „Untunlichkeit“ von Maßnahmen zum unmittelbaren Schutz von Rechten Dritter keine unüberwindlichen Planungshindernisse begründet, sondern einen Ausgleich in Geld vorsieht. Hierdurch wird die Bedeutung des Gebots in § 9 Abs. 2 LuftVG relativiert. (3) § 6 Abs. 2 S. 1 LuftVG verlangt eine angemessene Berücksichtigung des Schutzes vor Fluglärm. Diese allgemeine Vorgabe zur Berücksichtigung von Fluglärm in der Abwägung ergänzt § 29b Abs. 1 S. 2 LuftVG dahin, dass auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen ist. Die besondere Rücksichtnahme auf die Nachtruhe umfasst nicht nur den Nachtschlaf, sondern auch die individuell unterschiedliche Gestaltung der Übergangszeiten des „Nachtrandes“.15 3. Abwägung und Folgenbewältigung Gegenstand des fachplanerischen Verfahrens ist das beantragte Vorhaben, wie es sich aus den eingereichten Unterlagen ergibt, § 73 Abs. 1 VwVfG. Die Behörde trifft im Rahmen dieses Antrages eine eigene planerische Entscheidung. Einen Zulassungsanspruch des Vorhabenträgers gibt es – anders als im Immissionsschutzrecht – nicht. In welcher Weise die Behörde das ihr eingeräumte planerische Ermessen ausübt (oder ausüben darf), ist im Einzelfall zu klären. Ein Planungsinitiativrecht steht ihr nicht zu. Ihre planerischen Möglich___________ 14 Vgl. hierzu BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Rdnr. 267, 268 der Urteilsausfertigung; BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 –, Rdnr. 65 der Urteilsausfertigung. 15 BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 –.

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keiten bewegen sich – abgesehen von der vollständigen Versagung16 – grundsätzlich im Rahmen des Antrags. Das kontrollierende Gericht hat keine Kompetenz zu eigener Planung, sondern nur zur Plankontrolle.17 a) Verkehrsbedarf Das Vorhaben wird durch die mit ihm verfolgte öffentliche Verkehrsfunktion der Anlage gekennzeichnet. Es handelt sich um die Einordnung des von dem Flughafen zu bewältigenden Verkehrs und der daraus resultierenden Dimensionierung der Anlagen und ihrer Benutzbarkeit, § 6 Abs. 3 LuftVG, § 38 Abs. 2, § 49 Abs. 2 und § 54 LuftVZO. Das Vorhaben zielt auf die Befriedigung einer bestimmten durch die Verkehrsprognose belegten Nachfrage. Es kann sich um eine tatsächliche aktuell feststellbare oder um eine sich bei vorausschauender Betrachtung in absehbarer Zeit mit hinreichender Sicherheit zu erwartende Nachfrage handeln oder um einen noch nicht absehbaren Bedarf (Vorratsplanung). Selbst eine Vorratsplanung muss nicht abwägungsfehlerhaft sein.18 Andererseits soll ein allgemeines Verkehrsbedürfnis vor dem Hintergrund von § 29b Abs. 1 S. 2 LuftVG nicht ausreichen, um Nachtflugbetrieb zuzulassen. Vielmehr soll nur ein standortspezifischer Nachtflugbedarf über § 29b Abs. 1 S. 2 LuftVG hinweg helfen bzw. ein „dringender“ oder ein „gewichtiger“ Grund für die Zulassung des Verkehrs sein.19 b) Lärmbelastung Die Zulassung des Verkehrs führt auch zu in die Abwägung einzustellende Lärmbelastungen bei den Anwohnern der Flugplatzanlage. Das Gewicht des Belangs der Lärmbelastung kann sich nach der Zahl der Betroffenen, nach dem

___________ 16

Vgl. hierzu: VGH BW, Urt. vom 28.2.2004 – 8 S 2004/04 (Konversionsgenehmigung Lahr); BayVGH Urt. vom 30.3.2006 – 22 A 01.40059 – zu § 28 PBefG (Straßenbahn durch den Englischen Garten). 17 BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89 –, BVerwGE 87, 331, 367, 369. 18 BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 –, NVwZ 2005, 933, 936: „Eine Nachtflugregelung, die im Vorgriff auf einen noch nicht absehbaren Bedarf erlassen wird, kann als reine ‚Vorratsplanung‘ abwägungsfehlerhaft sein.“ (Hervorhebung vom Verf.). Sie kann das Vorhaben also trotzdem rechtfertigen und sie ist nicht abwägungsfehlerhaft, wenn ihr keine gewichtigeren Interessen entgegenstehen. 19 BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 –, Rdnr. 71, 73, 74 der Urteilsausfertigung.

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Maß der bereits bestehenden oder einer beabsichtigten Belastung bemessen.20 Es steht im Verhältnis zu dem Gewicht des Verkehrsbedarfs. Grundlage für die Ermittlung der Lärmbelastung ist das Verkehrsaufkommen, das in einem überschaubaren Zeitraum zu erwarten ist.21 Eine Änderung des tatsächlichen Umfangs der Nutzung der zugelassenen Anlage bedarf keiner erneuten behördlichen Zulassungsentscheidung. Maßgeblich ist, ob der prognostizierte Verkehr jetzt eine Zulassung des Vorhabens rechtfertigt und wie spätere Abweichungen von der Prognose verfahrensrechtlich gesichert werden können (z.B. durch einen (nachbarschützenden) Auflagenvorbehalt, durch Lärm- oder Bewegungskontingente). Nach § 2 Abs. 6 FlugLärmG sind die Lärmbelastungen regelmäßig alle zehn Jahre zu überprüfen und die Schutzzonen und Lärmschutzbereiche gegebenenfalls neu festzusetzen. Im Übrigen führt die planfeststellungspflichtige Änderung des Flugplatzes zu einer Überprüfung auch des Bestandes in der Abwägung.22 c) Relation von Verkehr und Lärm Unter Beschränkung auf den Gesichtspunkt des Fluglärms ist in der Abwägung zu entscheiden, ob angesichts des ermittelten Verkehrsbedarfs das planerische Ermessen Maßnahmen erfordert, die über die Bewältigung der festgestellten Lärmbelastung durch Schutzmaßnahmen hinausgeht. Maßstab für die Ausübung des planerischen Ermessens ist insoweit die fachplanerische Zumutbarkeit. Es handelt sich um den Kern der hoheitlichen Tätigkeit der Behörde, auf Grund der ermittelten und gewichteten Belange darüber zu entscheiden, ob (und unter welchen Voraussetzungen) die planerische Konzeption des von dem Vorhabenträger beantragten Vorhabens unverändert bleiben kann. d) Grenzen des planerischen Ermessens bei der Bestimmung von Nebenbestimmungen Dem planerischen Ermessen der Behörde, das Vorhaben durch Nebenbestimmungen zu gestalten, sind Grenzen gesetzt. ___________ 20

Vgl. BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Rdnr. 283 der Urteilsausfertigung; BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 –, Rdnr. 71 der Urteilsausfertigung. 21 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Rdnr. 359 der Urteilsausfertigung. 22 Vgl. BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 –, Rdnr. 69, 70 der Urteilsausfertigung; BVerwG, Urt. vom 21.9.2006 – 4 C 4.05 –, Rdnr. 29 der Urteilsausfertigung; BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Rdnr. 359 der Urteilsausfertigung.

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Die Nebenbestimmungen haben zu gewährleisten, dass die für das öffentliche Wohl und zur Sicherung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren oder Nachteile notwendigen „Anlagen“ errichtet und unterhalten werden (§ 9 Abs. 2 LuftVG, § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG). Schon in Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit liegt es nahe, die Notwendigkeit einer Schutzanlage im Hinblick auf die noch zumutbaren Beeinträchtigungen zu bestimmen. Dabei hängt die Zumutbarkeit der Beeinträchtigung wiederum von der Bedeutung des fachplanerisch verfolgten Zwecks ab. Aus § 13 Abs. 1 des novellierten Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm folgt, dass die Maßnahmen des passiven Schallschutzes nicht mehr Gegenstand des planerischen Ermessens der Behörde sind, sondern sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Gem. § 8 Abs. 1 S. 3, 4 LuftVG n.F. sind die Werte des § 2 Abs. 2 FlugLärmG der Abwägung im Hinblick auf die Berücksichtigung des Fluglärms zugrunde zu legen. So könnte es nicht zulässig sein, die Lärmfolgen allein durch die gesetzlich vorgesehenen Schutzmaßnahmen (also zu Lasten der Anwohner) zu bewältigen. Es könnte geboten sein, zu Lasten des Vorhabenträgers die Nutzbarkeit der Anlage einzuschränken, wenn der angestrebte Verkehrszweck dies zulässt. Andererseits darf die Behörde aber keine planwidrigen, dem „Verkehrszweck“ des nachgesuchten Vorhabens widersprechende Schutzmaßnahmen festsetzen.23 Für die Bestimmung des Verkehrszweckes ist der durch die Genehmi___________ 23

BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89 –; Juris Rdnr. 197: „Eine generelle Reduzierung der planerischen Gestaltungsfreiheit zur Lösung des damit verbundenen Interessenkonflikts auf eine Verpflichtung zu aktivem Lärmschutz im Sinne eines absoluten Vorrangs von Schutzmaßnahmen zugunsten der Außenwohnbereiche lässt sich schon deshalb nicht begründen, weil deren Schutzbedürftigkeit je nach ihrer Lage und bestimmungsgemäßen Nutzung höchst unterschiedlich sein kann. Hinzu kommt, dass aktiver Lärmschutz in Form von betriebsregelnden Lärmkontingenten seinerseits abwägungserhebliche und damit zu bewältigende Probleme auslöst; er beeinträchtigt im Hinblick auf seine kapazitätsbeschränkende Wirkung möglicherweise den Widmungszweck des betreffenden Flughafens oder berührt internationale Übereinkommen über die Zuteilung von Fluglinien. Dabei handelt es sich ebenso um abwägungserhebliche Belange von erheblichem Gewicht wie bei der Schutzbedürftigkeit der Außenwohnbereiche, zumal die Planfeststellungsbehörde nicht zu planwidrigen Festsetzungen gezwungen werden kann, wenn und soweit etwa betriebsregelnde Lärmkontingentierungen dem Widmungszweck widersprechen. Schließlich gehört es ebenfalls zum Bereich der planerischen Gestaltungsfreiheit der Planfeststellungsbehörde, sich für eine der verschiedenen Möglichkeiten der Gewährung aktiven Lärmschutzes (Ausgestaltung des Vorhabens, betriebliche Regelungen, Festlegung bestimmter Flugwege, deutlich höhere Benutzungsgebühren für ‚laute‘ Flugzeuge) je nach den konkreten Erfordernissen und rechtlichen Möglichkeiten zu entscheiden oder auch die aktiven Lärmschutz bewirkenden Entscheidungen anderer Stellen bei ihrer Prüfung, ob (weiterer) aktiver Schutz zu gewähren ist, in die Abwägung einzubeziehen“ und Rdnr. 313: „Ein völliges Nachtflugverbot wäre mit der Widmung des Vorhabens als eines internationalen Großflughafens nicht zu vereinbaren. Eine Planungsentscheidung, die trotz eines solchen vorgegebenen Widmungszwecks aus Lärmschutzgründen ein absolutes Nachtflugverbot verhängen würde, wäre in sich widersprüchlich und demzufolge rechtswidrig.“

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gung konkretisierte oder zu konkretisierende Betrieb der Anlage ein maßgebliches Indiz. Dieses in einer (vorausgegangenen) Entscheidung bestimmte Abwägungsergebnis ist im Hinblick auf seine weitere Gültigkeit und einen gegebenenfalls eingetretenen Bedeutungswandel des Flughafens und seiner Nutzbarkeit zu bewerten und zu berücksichtigen.24 In diesem Zusammenhang kann auch die Qualifikation des Flugplatzes als Internationaler oder Regionaler Verkehrsflughafen, als Verkehrslandeplatz oder als Sonderflughafen bzw. die gemeinschaftsrechtliche Einteilung nach den Kategorien A bis D Bedeutung erlangen.25 e) Konsequenzen für die Behandlung von Fluglärmimmissionen in der Abwägung Die von dem Vorhaben ausgehenden Fluglärmimmissionen sind zu ermitteln und in Bezug zu dem Zweck des Flughafens zu setzen. Soll der Flughafen einem „kleineren Verkehr“ dienen, kann die Behörde die Fluglärmbelastung der Umgebung in einem größeren Maß durch betriebliche Regelungen beschränken als etwa bei einem Internationalen Verkehrsflughafen, der als Umsteigeflughafen oder Frachtdrehkreuz in besonderem Maße auch kontinentalem und interkontinentalem Flugverkehr dient oder zu dienen bestimmt sein soll. Durch die Ausübung ihres planerischen Ermessens kann die Behörde das Entstehen einer planungsrechtlichen Vorbelastung der Umgebung verhindern, wenn die Konzeption des Vorhabens eine solche Vorbelastung nicht erfordert. Sie muss diese Beschränkung des Vorhabens aber grundsätzlich nicht vornehmen, solange die Belastung der Umgebung zumutbar ist. 4. Angemessene Berücksichtigung des Schutzes vor Fluglärm durch das Vorhaben Anders als hinsichtlich der Erfordernisse der Raumordnung verlangt § 6 Abs. 2 S. 1 LuftVG nicht, dass das Vorhaben den Anforderungen an den Fluglärmschutz entspricht, sondern dass es den Schutz vor Fluglärm angemessen berücksichtigt. Das bestätigt, dass es sich um eine auf den Einzelfall bezogene Abwägungsentscheidung handelt. ___________ 24 Vgl. OVG NRW, Beschl. vom 26.6.2006 – 20 B 156/06.AK –, Bl. 9 der Beschlussausfertigung. 25 Vgl. auch BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 –, Juris Rdnr. 28. Im Flughafenkonzept der Bundesregierung vom 30.8.2000 etwa wird der Ausbau der Verkehrsflughäfen Frankfurt/Main und München als im nationalen Interesse liegend bezeichnet.

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§ 29b Abs. 2 LuftVG verpflichtet die Luftfahrtbehörden, auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Fluglärm hinzuwirken. Nach § 29b Abs. 1 S. 1 LuftVG sind beim Betrieb von Luftfahrzeugen vermeidbare Geräusche zu verhindern und die Ausbreitung unvermeidbarer Geräusche auf ein Mindestmaß zu beschränken, wenn dies erforderlich ist, um die Bevölkerung vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen durch Lärm zu schützen. Danach ist Fluglärm, der nicht vermeidbar und nicht beschränkbar ist, zumutbar. § 29b Abs. 1 S. 1 LuftVG setzt – vergleichbar der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung – den Betrieb des Vorhabens voraus und bestimmt daher, dass nicht vermeidbare bzw. nicht verhinderbare Immissionen grundsätzlich zumutbar sind. § 29b Abs. 1 S. 2 LuftVG ist im Kontext der Gesamtvorschrift zu lesen. Danach handelt es sich bei den unvermeidbaren, auf ein Mindestmaß beschränkten Immissionen um zumutbaren Fluglärm im Sinne von § 29b Abs. 2 LuftVG. Diese Vorgabe ist auch bei der Auslegung und Anwendung von § 29b Abs. 1 S. 2 LuftVG zu beachten. S. 2 enthält damit keine eigenständige Regelung, sondern bestimmt den Maßstab der Erforderlichkeit für ein Zeitsegment. Die Regelung geht insgesamt davon aus, dass erforderlicher Luftverkehr nicht zu unzumutbarem Fluglärm führt. Auf die Nachtruhe der Bevölkerung ist in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen. Bei der Gewichtung des „Schutzes der Nachtruhe“ ist zu berücksichtigen, dass „besonders Rücksichtnehmen“ zwar eine Steigerung zu „Rücksichtnehmen“ ist, aber nicht notwendig die Qualität eines Planungsleitsatzes hat und insbesondere kein Verbot von Luftverkehr in (Teilen) der Nacht mit Erlaubnisvorbehalt darstellt.26 Mit Inkrafttreten des geänderten Fluglärmgesetzes gibt es einen verbindlichen Maßstab für die zumutbare Lärmbelastung. Soweit die Entstehung der Belastung durch Bauverbote nicht erreicht werden kann, beschränkt sich das Fluglärmgesetz auf Maßnahmen des passiven Schallschutzes bzw. die Gewährung von Entschädigungen. a) Bewertung der Lärmbelastung Die Bewertung der ermittelten Lärmbelastung erfolgt bislang auf der Grundlage eines lärmmedizinischen Gutachtens nach § 40 Abs. 1 Nr. 12b LuftVZO. Das Fluglärmgesetz legt nunmehr – vergleichbar der 16. BImSchV – verbindliche Zumutbarkeitswerte fest. Hält man diese Werte für abschließend, ist die Erstellung eines lärmmedizinischen Gutachtens zur Bewertung der Ergebnisse des lärmphysikalischen Gutachtens nicht mehr sachgerecht. Das Problem der ___________ 26

Vgl. BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 – 4 C 51.89 –, BVerwGE 87, 331, 334/335 Leitsatz 14; vgl. aber auch Gatz, JurisPR-BVerwG, Anm. 1 unter D.: „Was die Zulassung von Nachtflugbetrieb angeht, weht den Flughafenbetreibern der Wind nunmehr ins Gesicht.“

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Bewertung der Lärmbelastung könnte sich aber zu der Frage der zumutbaren Zulassung von Luftverkehr verschieben. b) Zumutbarkeit als Sozialadäquanz (1) Bei dem Ausgleich von Verkehrsbedürfnissen und Lärmschutzinteressen im Rahmen der planerischen Entscheidung geht es um die Beachtung von Grenzen, die sich aus objektiven und subjektiven Rechtspositionen ergeben und den Gestaltungsspielraum der planenden Behörde begrenzen. Das Gericht prüft nicht die Zweckmäßigkeit der Planung, sondern nur, ob sie Grenzen einhält, die dem Vorhaben durch Rechte anderer gezogen sind. Die Unzumutbarkeit der von dem Vorhaben ausgehenden Auswirkungen ist eine solche im Interesse der Anwohner gezogene Grenze, § 9 Abs. 3 LuftVG. Die Behörde hat daher bei der Beurteilung der Auswirkungen des Vorhabens nicht eine Planungsgrenze erst bei der Verletzung von Grundrechten anzusetzen, sondern bereits im Vorfeld: der erheblichen Belästigung.27 Diese Grenze ist nicht handgreiflich, weil die Frage, was zumutbar ist, nicht pauschal beantwortet werden kann, sondern in Anbetracht des jeweiligen Einzelfalls durch die Behörde zu ermitteln ist.28 Für die behördliche Entscheidung kommt es maßgeblich auf die Grenze zur Unzumutbarkeit an, da nur ein Überschreiten dieser Grenze die Entscheidung fehlerhaft machen kann. (2) Nur bedingt erfolgversprechend ist die Suche nach festen allgemeingültigen Grenzwerten, die eine absolute Sicherheit vorspiegeln. Eine solche Sicherheit ist nur scheinbar zu erreichen. Die Diskussion um den Lärm im Allgemeinen und um den Fluglärm im Besonderen zeigt, dass durch Lärm bewirkte Störungen subjektiv sind. Die Grenze des Zumutbaren kann daher nicht mathematisch exakt durch die Bestimmung eines Grenzwerts ermittelt werden, sondern aufgrund wertender Beurteilung.29 Auch in der Lärmmedizin erfolgt die Bestimmung der zumutbaren Belastung u.a. anhand des Kriteriums, wie viel Prozent sich durch ein Ereignis belästigt fühlen. Die rechtliche Beurteilung der Schallimmissionen erfordert eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere unter Berücksichtigung der Eigenart der einzel-

___________ 27

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Rdnr. 250 der Urteilsausfertigung. Vgl. dazu OVG NRW, Urt. vom 13.7.2006 – 20 D 87/05.AK u. a. –, Bl. 45 f. der Urteilsausfertigung einerseits und BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Rdnr. 366 ff. der Urteilsausfertigung andererseits zur unzumutbaren Beeinträchtigung des Außenwohnbereichs. 29 BGHZ 148, 261, 264; BGH, NJW 2003, 3699; OVG NRW, Urt. vom 3.1.2006 – 20 D 118/03.AK u. a. –, Juris Rdnr. 56. 28

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nen Immissionen (Art, Ausmaß, Dauer, Häufigkeit, Lästigkeit) und der speziellen Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebiets.30 Ob ein solcher Grenzwert durch ein Parlamentsgesetz geschaffen wird oder sich auf der Grundlage wissenschaftlich unterlegter Verwaltungspraxis und -rechtsprechung bildet, ist hinsichtlich der psychologischen Wirkung auf die Betroffenen ohne erkennbaren Unterschied. Jemand, der sich bei einer Belastung mit einem äquivalenten Dauerschallpegel von 59 dB(A) gestört fühlt, wird dies nicht deshalb nicht tun, weil es ein Parlamentsgesetz gibt, das diesen Wert für zumutbar erklärt. Das beruht u.a. darauf, dass schon der Begriff „Lärm“ etwas Negatives impliziert. Würde man stattdessen von „Schall“ oder wie § 3 BImSchG von „Geräusch“ sprechen, könnte dies schon zu einer Versachlichung der Auseinandersetzung beitragen. Allein auf die Intensität des Schalls abstellend werden nämlich die Geräusche, die von Flugzeugen ausgehen, denen, die anlässlich von 31 Sport- oder Kulturveranstaltungen entstehen, die vom Betrieb von Fernseh32 oder Radiogeräten, von Kirchenglocken oder Feuerwehrsirenen33, von Fröschen im Garten34, Kuhglocken35 oder Papageien in Gartenvolieren36, aber auch von Kindern37 ausgehen, als Pegelwerte vergleichbar, ohne dass dies zu einem allgemeinen Schallgrenzwert führen würde. Starre Grenzwerte schränken das Gestaltungsermessen der Behörde ein. Im Hinblick auf die Bedeutung des jeweiligen Vorhabens für die Daseinsvorsorgeaufgabe „Infrastruktur“ wären durchaus auch unterschiedliche Zumutbarkeitswerte für die Umgebung denkbar. Dies zeigt sich schon an der gesetzlichen Privilegierung des militärischen Fluglärms und der richterlichen Diskri___________ 30

Vgl. BayVGH, Beschl. vom 22.11.2005 – 22 ZB 05.2679 –, BayVBl. 2006, 351; BVerwG, NJW 2003, 3360, 3361. 31 BGH, Urt. vom 26.9.2003 – V ZR 41/03 – Rockkonzert von kommunaler Bedeutung –, NJW 2003, 3699 ff.; BGHZ 111, 63 ff. – Volksfestlärm; BayVGH, Beschl. vom 22.11.2005 – 22 ZB 05.2679 –, BayVBl. 2006, 351f. 32 BVerwG, Beschl. vom 2.9.1996 – 4 B 152.96 – NVwZ 1997, 390 f.; BVerwGE 68, 62 ff.; VG Stuttgart, Urt. vom 21.12.2005 – 2 K 580/05 –, Juris. 33 BVerwG vom 29.4.1987 – 7 C 33.87 –, BVerwGE 79, 254, 262 f. 34 BGH, Urt. vom 20.11.1992 – V ZR 82/91 –, BGHZ 120, 239 ff.; BGH, Urt. vom 20.11.1992 – V ZR 81/91 –; VG München, Urt. vom 24.7.1996 – M 9 K 94.3615 –, Juris Rdnr. 41. ff. 35 VGH BW, Beschl. vom 7.3.1996 – 1 S 2947/95 –, Juris; AG Lindau, Urt. vom 19.8.1991 – C 507/91 –, Juris. 36 LG Zwickau, Urt. vom 1.6.2001 – 6 S 388/00 –, Juris Rdnr. 12 ff. 37 Vgl. BayVGH, Urt. vom 31.3.2006 – 22 B 05.1683 –, Juris Rdnr. 33 ff.; VG Lüneburg, Urt. vom 16.3.2005 – 2 A 27/04 –, Juris 2. Leitsatz; BayVGH, Beschl. vom 21.12.1994 – 22 B 93.2343 –, Juris Rdnr. 10.

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minierung des von Sonderflughäfen ausgehenden Fluglärms.38 Dem Anliegen der Betroffenen, von Fluglärm verschont zu bleiben, kann so in der Abwägung ein höheres Gewicht beigemessen werden, wenn es sich um einen Sonderflughafen und nicht um einen gemeinnützigen Flughafen handelt. Eine Gewichtung ist im Hinblick auf die Bedeutung des Vorhabens, aber auch hinsichtlich der Vorbelastung der Umgebung oder der zu erwartende Belastung auch innerhalb der Gruppe der gemeinnützigen Flughäfen denkbar.39 (3) Der Maßstab der Sozialadäquanz ist bei der Beurteilung von Lärm anerkannt. Die Verwendung dieses Maßstabes macht deutlich, dass es nicht allein auf die Perspektive des sich gestört fühlenden Bürgers ankommen kann, sondern auch auf das Allgemeinwohl. Im Bereich der Zumutbarkeit ist eine ausschließlich individualrechtliche Betrachtungsweise verfehlt. Was zumutbar ist, kann nicht nur aus der Perspektive des belasteten Bürgers bestimmt werden, sondern es ist vielmehr zu fragen, inwieweit die zugemutete Belastung auf Vorgängen beruht, die gesamtgesellschaftlich gewollt und erwünscht sind. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Qualifikation des Vorhabens, aber auch daraus, in welchem „herkömmlichen“ Rahmen sich das Vorhaben bewegt. Dieses Maß bestimmt nunmehr das Fluglärmgesetz. Entscheidend ist daher, in welchem Maß der entstehende Lärm sozialadäquat ist. Dies ist zumindest bei Vorhaben der Infrastruktur, die – wie Flughäfen – einen gesetzlichen Planungsauftrag für sich in Anspruch nehmen können, grundsätzlich zu bejahen. In diesem Zusammenhang ist auch den Versuchen, den Flughafen zu einem ordnungsrechtlichen Störer der Nachbarschaft zu machen, entschieden entgegenzutreten. Die Belastung mit Verkehrsgeräuschen mag von einzelnen als störend empfunden werden, dies macht aber weder den Flughafen noch seine Nutzer zu Störern, solange sie sich im Rahmen ihrer Zulassung bewegen. Der Ausgleich zwischen betroffenen Anwohnern und dem Flughafen sowie seinen Benutzern erfolgt aufgrund der fachplanerischen Abwägung und den Auflagen auf der Grundlage von § 9 Abs. 2 LuftVG. c) Kein Vorrang des aktiven Lärmschutzes (1) Das Bundesverwaltungsgericht schränkt das planerische Ermessen der Behörde durch das Gebot, die Kernzeit von 0:00 bis 5:00 Uhr grundsätzlich von Nachtflug frei zu halten, und die Maßgabe, die Zulassung von Nachtflug ___________ 38 Vgl. § 2 Abs. 2 Nrn. 3, 4 FlugLärmG; OVG NRW, Urt. vom 3.1.2006 – 20 D 118/03.AK u.a. –, Bl. 40 der Urteilsausfertigung; OVG Hamburg, Urt. vom 2.6.2005 – 2 Bf 345/02 –, NVwZ-RR 2006, 97, 105. 39 Vgl. die Ausführungen OVG Hamburg, Urt. vom 2.6.2005 – 2 Bf 345/02 –, NVwZ-RR 2006, 97, 105 li. Sp.

Die Bewältigung von Prognoseunsicherheit

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zwischen 22:00 und 24:00 sowie 5:00 und 6:00 Uhr durch plausibel nachgewiesene sachliche Gründe zu begründen, ein, weshalb ein bestimmter Verkehrsbedarf oder ein bestimmtes Verkehrssegment nicht befriedigend innerhalb der Tagesstunden abgewickelt werden kann. Die Nutzung der Nachtrandstunden soll – so das Gericht – durch die Erfordernisse einer effektiven Flugzeugumlaufplanung, die Besonderheiten des Interkontinentalflugverkehrs oder die Tatsache, dass der Flughafen Heimatflughafen oder Wartungsschwerpunkt einer Fluggesellschaft ist, begründet werden können. Bei der Begründung der Erforderlichkeit von Nachtflug dürfen auch Sekundäreffekte, wie die Generierung/Erhaltung von Arbeitsplätzen oder die Chance, als Kristallisationspunkt für die Folgeansiedlung von Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben zu dienen, Berücksichtigung finden.40 (2) Diese aktive Beschränkung der Nutzung von Verkehrsanlagen zu bestimmten Zeiten führt zu einer grundsätzlichen Übergewichtung der Lärmschutzbelange. Das Luftverkehrsgesetz enthält – ebenso wie die anderen Fachplanungsgesetze – keine zeitlichen Vorgaben für die Abwicklung des Verkehrs. Es geht grundsätzlich davon aus, dass die Infrastruktureinrichtung Flugplatz dem Verkehr 24 Stunden zur Verfügung steht. Insofern bedarf es einer besonderen Begründung, wenn die Nutzbarkeit der Anlage zeitlich beschränkt werden soll. Lärmschutz kann für eine solche Begründung geeignet sein. Eine rechtliche Grundlage hierfür kann § 29b Abs. 1 S. 2 LuftVG entnommen werden.41 § 29b Abs. 1 S. 2 LuftVG darf aber nicht zu einer Umkehrung der gesetzlich gedachten Verhältnisse führen. Die Fachplanungsgesetze gehen dem Grunde nach davon aus, dass sich ein durch den Bedarf gerechtfertigtes Vorhaben gegen die entgegenstehenden Belange durchsetzt, gegebenenfalls unter Festsetzung von ausgleichenden Nebenbestimmung. Sie folgen damit dem klassischen Aufopferungsgedanken, nach dem den Bürgern im Interesse des Allgemeinwohls eine besondere Belastung zugemutet werden darf. Sind solche betrieblichen, durch Abwägung zu bestimmenden Betriebsbeschränkungen nicht mit dem Zweck des Vorhabens zu vereinbaren, beschränkt sich die Abwägung der betroffenen Lärmbelange darauf, ob sie durch das gesetzlich vorgesehene Folgenbewältigungsprogramm (Maßnahmen des baulichen Schallschutzes, Entschädigungs- und Übernahmeansprüche) ausreichend erfasst werden. (3) Aus dem Fehlen einer § 41 Abs. 1 BImSchG vergleichbaren Vorschrift folgt auch kein Wertungswiderspruch im Vergleich zu der Beurteilung von ___________ 40

BVerwG, Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 –, Rdnr. 54 der Urteilsausfertigung. BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1073.04 –, Rdnr. 268 der Urteilsausfertigung; OVG NRW, Urteil vom 13.7.2006 – 20 D 87/05.AK u.a. – Bl. 62 der Urteilsausfertigung. 41

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Ulrich Hösch

Verkehrslärm an Straßen und Schienenwegen. Während an Straßen und Schienenwegen ein so genannter aktiver Lärmschutz dadurch bewirkt werden kann (und gem. § 41 Abs. 1 BImSchG grundsätzlich Vorrang vor Maßnahmen des passiven Schallschutzes hat), dass die Maßnahmen des baulichen Lärmschutzes an der Verkehrsanlage errichtet werden (Lärmschutzwände, Lärmschutzwälle, Einhausungen etc.), bestehen solche Möglichkeiten bei Fluglärm nur sehr eingeschränkt. Aktive Lärmschutzmaßnahmen werden in der luftrechtlichen Lärmdiskussion grundsätzlich mit Betriebsbeschränkungen gleichgesetzt. So verstandene Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes sind im übrigen Verkehrswegerecht nicht bekannt. Dort beschränken sich auch die gesetzlichen Regelungen des aktiven Schallschutzes grundsätzlich darauf, bauliche Maßnahmen an der Verkehrsanlage durchzuführen. Mit gewissen Einschränkungen sind Nutzungsbeschränkungen – etwa aufgrund des Straßenverkehrsrechtes – denkbar, z.B. mittels Geschwindigkeitsbeschränkungen. Betriebsregelungen einer Verkehrsanlage stehen in einer unmittelbaren Wechselwirkung mit dem Vorhaben. Sie beschränken die tatsächlich mögliche Nutzung im Interesse der Nachbarschaft auf ein bestimmtes Maß. Sie bewirken damit unmittelbar eine Beschränkung der Verkehrsleistungsfähigkeit der Anlage. Betriebsbeschränkungen als aktive Lärmschutzmaßnahmen stehen so in einem Spannungsverhältnis mit der „Widmung“ der Anlage zu einem bestimmten Gebrauch. (4) Betriebsbeschränkungen erfordern – anders als Maßnahmen des passiven Schallschutzes – eine Abwägung im Hinblick auf den Verkehrszweck des Flughafens. Eine Beschränkung des Verkehrs ist nicht nur eine Schutzmaßnahme zugunsten der Anwohner, sondern auch eine Einschränkung der bestimmungsgemäßen Nutzbarkeit der Anlage. Die Nutzungsbeschränkung als aktive Lärmschutzmaßnahme unterscheidet sich von den aktiven Lärmschutzmaßnahmen nach § 41 Abs. 1 BImSchG. Die Maßnahmen nach § 41 Abs. 1 BImSchG stellen gerade keine Betriebsbeschränkung dar, sondern lediglich baulichen Schallschutz an der Anlage. Eine Betriebsbeschränkung beeinträchtigt dagegen die Nutzbarkeit der Anlage, insbesondere ihren Verkehrszweck und ist deshalb auch mit den Interessen an der Benutzung der Anlage abzuwägen. d) Bestimmung der Sozialadäquanz durch das Fluglärmgesetz (1) Die Neuregelung des Fluglärmgesetzes entlastet die Behörde von der Bestimmung des zumutbaren Maßes an Fluglärm. Der Gesetzgeber ordnet jetzt die Festsetzung von Lärmschutzbereichen (unabhängig von einem konkreten Vorhaben) an und knüpft daran Ansprüche auf bauliche Maßnahmen des Schallschutzes bzw. Entschädigung.

Die Bewältigung von Prognoseunsicherheit

93

Daraus könnte aber, insbesondere wegen der regelmäßigen Überprüfung, geschlossen werden, dass die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Bedenken hinsichtlich des Rechtsschutzes der Anwohner erledigt sind. Diese Überlegung ergibt sich daraus, dass die Zulassung eines bedarfsgestützten Verkehrs die im Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm genannte Belastung rechtfertigt, und zwar auch, wenn auf dieser Grundlage in erheblichem Umfang Maßnahmen des baulichen Schallschutzes unmittelbar oder später notwendig werden. Die Regelung in § 4 Abs. 5 FlugLärmG spricht gerade dafür, dass eine Verkehrsmehrung auf einer genehmigten Anlage keine neue Genehmigungspflicht auslöst, sondern lediglich eine Lärmfolgenbewältigungspflicht. Das Fluglärmgesetz geht also gerade nicht davon aus, dass nur der konkret nachgewiesene Verkehr zugelassen werden darf, sondern auch ein auf der Grundlage einer fachgerechten Prognose voraussichtlich zu erwartender Verkehr. (2) Lärmschutzmaßnahmen dienen – wie das novellierte Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm belegt – der Folgenbewältigung. Zutreffend werden daher vorrangig Maßnahmen des passiven Schallschutzes, die die Verkehrsfunktion des Flughafens nicht beeinträchtigen, gewählt. Das Gewicht des Belangs Lärmschutz wird durch die Rechtfertigung des Vorhabens im Abwägungsvorgang von vornherein in dem Sinn relativiert. Lärmschutz ist grundsätzlich nicht geeignet, ein durch Abwägung nicht zu überwindendes Planungshindernis zu errichten. Zum Planungshindernis kann der Lärmschutz ausnahmsweise werden, falls die erforderlichen Lärmschutzmaßnahmen von dem Träger des Vorhabens nicht finanziert werden können oder die Auswirkungen in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie geeignet sind, – angesichts des Bedürfnisses nach Nutzung der Anlage – die gesetzlich vorgegebene Gewichtung zugunsten des Vorhabens in Frage zu stellen, also die angenommene Verkehrsbedeutung des Vorhabens gegenüber der Lärmbelastung zurücksetzen. Dies ist eine Frage des Einzelfalls. Insoweit boten die bisherigen Möglichkeiten, Maßnahmen des baulichen Schallschutzes auf der Grundlage der Fluglärmsynopse bzw. der aktuellen Lärmwirkungsforschung festzusetzen der Behörde einen nicht zu unterschätzenden Differenzierungsspielraum.42

IV. Ergebnis Durch die Neuregelung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm wird die Prognoseunsicherheit – soweit es die mit einer Verkehrsänderung verbundene Mehrbelastung mit Fluglärm betrifft, beseitigt. Das Gesetz bestimmt das zu___________ 42

Vgl. etwa die Konversionsgenehmigung des Luftamts Südbayern für den Regionalen Verkehrsflughafen Allgäu vom 9.7.2004 – 315.30-3736-MM-1 –.

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mutbare Maß der Lärmbelastung und ordnet ihre regelmäßige Überprüfung an. Die vom Bundesverwaltungsgericht festgestellte Gefahr, dass die Zulassung von Nachtflug vorzeitig erfolgt und damit Rechtsschutzmöglichkeiten von Anwohnern beschnitten werden, ist somit reduziert. Der Gesetzgeber hat die Zumutbarkeit von Lärmbelastungen verbindlich geregelt und auf die Überschreitung der gewählten Grenzen – wie beim Bau der anderen Verkehrswege – mit Maßnahmen des passiven baulichen Schallschutzes reagiert. Ebenso besteht weder eine zeitliche noch eine sachliche Vorgabe für die Bewertung der Nachfrage nach Luftverkehrsleistungen. Die Durchführung von Luftverkehr hat lediglich auf die Nachtruhe besondere Rücksicht zu nehmen. Dies bedeutet aber, dass Luftverkehr grundsätzlich auch nachts zulässig ist und keiner gesteigerten Rechtfertigung im Sinne einer Planrechtfertigung bedarf. Wenn eine methodisch nicht zu beanstandende Prognose bei vorausschauender Betrachtung ein bestimmtes Verkehrsaufkommen bestätigt, ist die Zulassung nächtlichen Luftverkehrs gerechtfertigt. § 29b Abs. 1 S. 2 LuftVG stellt keine neuen Anforderungen an die Rechtfertigung eines Vorhabens. Besonders Rücksichtnehmen bedeutet keinen grundsätzlichen Ausschluss von Verkehr, sondern das Gebot, vermeidbare Belästigungen zu vermeiden.

Anhang 1: Werte der Fluglärmsynopse I. Bewertungsgrenzen zur Vermeidung von Hörschäden (Gesundheit) Maximalpegel

Äquivalenter Dauerschallpegel

Kritischer Toleranzwert

Lmax = 115 dB(A)

Leq 24 h = 80 dB(A)

Präventiver Richtwert

Lmax = 95 dB(A)

Leq 24 h = 75 dB(A)

Schwellenwert

Lmax = 90 dB(A)

Leq 24 h = 70 dB(A)

II. Bewertungsgrenzen zur Vermeidung von extraauralen Gesundheitsschäden Maximalpegel

Äquivalenter Dauerschallpegel

Kritischer Toleranzwert

Lmax 16 h = 19 x 99 dB(A)

Leq 16 h = 70 dB(A)

Präventiver Richtwert

Lmax 16 h = 25 x 90 dB(A)

Leq 24 h = 65 dB(A)

Die Bewältigung von Prognoseunsicherheit

95

III. Bewertungsgrenzen zur Vermeidung erheblicher Belästigung Äquivalenter Dauerschallpegel Kritischer Toleranzwert

Leq 16 h = 65 dB(A)

Präventiver Richtwert

Leq 16 h = 62 dB(A)

Schwellenwert

Leq 16 h = 55 dB(A)

IV. Bewertungsgrenzen zur Vermeidung von Kommunikationsstörungen Äquivalenter Dauerschallpegel innen

außen

Kritischer Toleranzwert

Leq = 45 dB(A)

Leq = 62 dB(A)

Präventiver Richtwert

Leq = 40 dB(A)

Leq = 59 dB(A)

Schwellenwert

Leq = 35 dB(A)

Leq = 56 dB(A)

V. Bewertungsgrenzen zur Vermeidung der Störung von Erholung (außen) Äquivalenter Dauerschallpegel Kritischer Toleranzwert

Leq 16 h = 64 dB(A)

Präventiver Richtwert

Leq 16 h = 57 dB(A)

Schwellenwert

Leq 16 h = 50 dB(A)

VI. Bewertungsgrenzen zur Vermeidung von Schlafstörungen (Zweiteilung der Nacht) Maximalpegel (innen)

Äquivalenter Dauerschallpegel (innen)

Kritischer Toleranzwert

Lmax 22-6 h = 6 x 60 dB(A)

Leq 22-6 h = 40 dB(A)

Präventiver Richtwert

Lmax 22-1 h = 8 x 56 dB(A)

Leq 22-1 h = 35 dB(A)

Lmax 1-6 h = 5 x 53 dB(A)

Leq 1-6 h = 32 dB(A)

Lmax 22-6 h = 23 x 40 dB(A)

Leq 22-6 h = 30 dB(A)

Schwellenwert

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VII. Bewertungsgrenzen zur Vermeidung von Schlafstörungen (Gesamtnacht) Maximalpegel

Äquivalenter Dauerschallpegel

Kritischer Toleranzwert

Lmax = 6 x 60 dB(A)

Leq 8 h = 40 dB(A)

Präventiver Richtwert

Lmax = 13 x 53 dB(A)

Leq 8 h = 35 dB(A)

Schwellenwert

Lmax = 23 x 40 dB(A)

Leq 8 h = 30 dB(A)

VIII. Besonders schutzbedürftige Bereiche (maßgeblich sind präventive Richtwerte innen) tags Kindergärten

Leq = 36 dB(A)

Schulen

Leq = 40 dB(A)

Krankenhäuser

Leq = 36 dB(A) Lmax = 45 dB(A) Leq = 36 dB(A) Lmax = 51 dB(A)

Altenheime

nachts

Leq = 30 dB(A) Lmax = 40 dB(A) Leq = 32 dB(A) Lmax = 45 dB(A)

IX. Eckwerte zur lärmphysikalischen Berechnung Präventive Richtwerte

Kritische Toleranzwerte

Tags (06 bis 22 h)

Leq = 62 dB(A) Lmax = 25 x 90 dB(A)

Leq = 65 dB(A) Lmax = 19 x 99 dB(A)

Nachts (22 bis 06 h)

Lmax 22-1 h = 8 x 71 dB(A) Lmax 1-6 h = 5 x 68 dB(A) Lmax 22-6 h = 13 x 68 dB(A) Leq 22-1 h = 50 dB(A) Leq 1-6 h = 47 dB(A) Leq 22-6 h = 50 dB(A)

Lmax 22-6 h = 6 x 75 dB(A)

Kritischer Toleranzwert:

Leq 22-6 h = 55 dB(A)

Gesundheitsgefährdungen und/oder Gesundheitsbeeinträchtigungen sind nicht mehr auszuschließen. Die wissenschaftliche Begründung der Lärmwirkung ist vorhanden oder es besteht ein ausreichender wissenschaftlich begründeter Verdacht. Diese Toleranzwerte sind aus lärmmedizinischer

Die Bewältigung von Prognoseunsicherheit

97

Sicht zu unterschreiten. Ihre Überschreitung zwingt zu Maßnahmen der Lärmminderung. Präventiver Richtwert:

Bei Einhaltung dieses Vorsorgewertes sind Gesundheitsgefährdungen weitgehend ausgeschlossen. Beeinträchtigungen und Störungen können insbesondere bei sensiblen Gruppen auftreten. Die wissenschaftliche Begründung ist plausibel. Diese Werte sollten grundsätzlich nicht überschritten werden. Bei Überschreitung besteht Handlungsbedarf.

Schwellenwert:

Auf der Grundlage des Gebots, Lärm zu minimieren, sollten diese Werte langfristig angestrebt werden.

Quelle: Griefahn, Jansen, Scheuch, Spreng, Fluglärmkriterien für ein Schutzkonzept bei wesentlichen Änderungen oder Neuanlagen von Flughäfen/Flugplätzen, ZfL 2002, S. 171 ff.

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98

Anhang 2: Vergleich von Lärmwerten Ziff. 6.1 TA Lärm

GI

GE

MD, MI, MK

WA, WS

WR

schutzbedürftige Einrichtungen

§ 2 Abs. 1 16. BImSchV

§ 2 Abs. 2 18. BImSchV

Freizeitlärmrichtlinie

Fluglärm Synopse; PRW

FlugLG 2007*

tags:

70

70

62

60/65

nachts:

70

70

50

50/53/55

tags:

65

69

65/60

65/60

62

60/65

nachts:

50

59

50

50

50

50/53/55

tags:

60

64

60/55

60/55

62

60/65

nachts:

45

54

45

45

50

50/53/55

tags:

55

59

55/50

55/50

62

60/65

nachts:

40

49

40

40

50

50/53/55

tags:

50

59

50/45

50/45

62

60/65

nachts:

35

49

35

35

50

50/53/55

tags:

45

57

45

45

51-55

55-60

nachts:

35

47

35

35

45-47

50/53/55

* Das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm setzt Werte fest, ab denen eine Errichtung von Wohnungen (§ 5 Abs. 2 FlugLärmG) oder besonders schutzbedürftigen Einrichtungen (§ 5 Abs. 1 FlugLärmG) nicht zulässig ist. Die für diese Steuerung der Bauleitplanung bestimmten Werte bestimmen auch das Maß der zumutbaren Belastung, die ohne Schutzmaßnahmen hinzunehmen ist. (§ 13 Abs. 1 FlugLärmG und § 8 Abs. 1 S. 3, 4 LuftVG). Das Gesetz unterscheidet zwischen bestehenden und neu errichteten/wesentlich geänderten Flugplätzen. Anders als etwa bei der 16. BImSchV erfolgt keine Differenzierung nach Gebietstypen. Allerdings lässt sich im Umkehrschluss aus § 5 Abs. 1, 2 FlugLärmG schließen, dass Gebiete, die nicht dem Wohnen dienen, einer höheren Belastung mit Fluglärmimmissionen ausgesetzt sein dürfen.

Flugroutenfestlegung und Seveso II-Richtlinie Von Michael Kloepfer

I. Einführung Konflikte zwischen Flächennutzungen und Nutzungen des Luftraums durch den Luftverkehr sind in der Vergangenheit vor allem im Hinblick auf den Schutz vor Immissionen (insb. Lärm) aufgetreten und waren in dieser Form häufig Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen und höchstrichterlicher Entscheidungen. In jüngerer Vergangenheit ist jedoch auch verstärkt das absturzinduzierte Störfallrisiko ins Blickfeld geraten. Gemeint ist das durch einen Flugzeugabsturz hervorgerufene Risiko eines Störfalls in einer Anlage. Ein solcher Störfall in einem Chemiebetrieb kann Gefahren für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen in der Umgebung der Anlage und unter Umständen weit darüber hinaus zur Folge haben. Derzeit wird die Berücksichtigung dieses Risikos im Rahmen des Immissionsschutzrechts,1 im Raumordnungs2- und Bauplanungsrecht3, aber eben auch im Rahmen der Festlegung von Flugverfahren4 diskutiert. Da aus Zeitgründen hier nicht auf all diese Problemfelder eingegangen werden kann, war insoweit für den Gegenstand dieses Vortrags eine Auswahl zu treffen. Angesichts der kürzlich ergangenen Entscheidung des HessVGH5 über die Berücksichtigung ___________

Aus Zeitgründen konnten auf dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag am 14.3.2007 nur Teile des vorliegenden Beitrags vorgetragen werden. Der Beitrag ist überwiegend aus einem unveröffentlichten Rechtsgutachten entstanden, das der Verf. im Juni 2006 für die Fraport AG erstellt hat (im folgenden Rechtsgutachten Kloepfer). Die einschlägige Entscheidung des VGH Kassel (NVwZ 2007, 597 ff.) ist am 24.10.2006, also nach Erstellung des Rechtsgutachtens ergangen. Meinem Assistenten, Herrn Fabian Quast, danke ich für die wertvolle Mitarbeit. 1 Vgl. etwa Weidemann, StoffR 2006, 114 ff.; bereits Weidemann/Freytag, StoffR 2004, 225 ff. 2 Hendler, LKRZ 2007, 1 ff. 3 Weidemann, DVBl. 2006, 1143 ff. 4 Sellner/Scheidmann, NVwZ 2004, 267 ff. (Sellner war Prozessvertreter der Ticona); Hermanns/Hönig, NWVBl. 2006, 8 ff.; Repkewitz, VBlBW 2005, 1 ff. 5 NVwZ 2007, 597 ff.

100

Michael Kloepfer

dieses Risikos im Rahmen der Festlegung von Flugrouten soll im Folgenden die Berücksichtigung des absturzinduzierten Störfallrisikos in diesem Verfahren untersucht werden. Anschauliches Beispiel und Beleg für die praktische Relevanz des Problems der Berücksichtigung des absturzinduzierten Störfallrisikos ist der erwähnte Rechtsstreit zwischen der Ticona GmbH – einem Chemiebetrieb, in dem besonders gefährliche Stoffe anfallen – und dem Luftfahrt-Bundesamt. Gestritten wurde aus Anlass der Errichtung einer neuen Start- und Landebahn über die Festlegung von Abflugrouten vom Flughafen Frankfurt/Main. Die Ticona GmbH unterlag vor dem VGH, hat aber dagegen Revision eingelegt. Dieses Verfahren ruht jedoch inzwischen, um eine einvernehmliche Lösung zwischen den Beteiligten – einvernehmliche Standortaufgabe von Ticona GmbH gegen Entschädigung (s.u. I.) zu ermöglichen. Die festgelegten Flugverfahren würden dazu führen, dass das von der Ticona GmbH betriebene Chemiewerk bzw. das Werksgelände in Kelsterbach direkt oder seitlich mit geringem Abstand überflogen würde. Der Erwartungswert für einen absturzinduzierten Störfall liegt nach gutachterlichen Stellungnahmen bei ca. einem Ereignis in 60.000 Jahren. Das Staatliche Umweltamt Darmstadt nahm dieses Risiko zum Anlass, eine sicherheitstechnische Überprüfung der Anlage nach § 29a BImSchG anzuordnen, um Möglichkeiten zur Verringerung der Auswirkungen eines durch einen Flugzeugabsturz herbeigeführten Störfalles zu ermitteln. Die Ticona GmbH drohte somit Adressat von Anordnungen der Behörde zu werden, gerichtet auf bauliche und technische Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit im Falle eines Absturzes. Da dies mit erheblichem finanziellem Aufwand verbunden gewesen wäre, versuchte die Ticona GmbH, den Überflug des Werksgeländes zu stoppen. Sie erhob zu diesem Zweck Klage vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der die Flugverfahren normierenden speziellen Rechtsverordnungen, soweit diese zu einem Überflug ihrer Betriebsstätte führten. Das Luftfahrt-Bundesamt vertrat indessen die Auffassung, dass das absturzinduzierte Störfallrisiko bei der Festlegung von Flugverfahren gänzlich unberücksichtigt bleiben könne. Es stellte sich also die Frage, ob und inwieweit diese Absturzrisiken bei der Festlegung der Flugverfahren Berücksichtigung finden müssen. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden, indem zunächst der Regelungsgegenstand eines Flugverfahrens und dessen Rechtsgrundlagen aufgezeigt werden. Im zweiten Schritt sind dann die rechtlichen Determinanten der zu treffenden Entscheidung darzulegen, insbesondere das Verhältnis zu den Vorgaben der Richtlinie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (sog. Seveso II-Richtlinie).6 ___________ 6

Richtlinie 96/82/EG vom 3.2.1997, ABl. L 10 vom 14.1.1997, zuletzt geändert durch Richtlinie 2003/105/EG vom 31.12.2003, ABl. L 345 vom 31.12.2003.

Flugroutenfestlegung und Seveso II-Richtlinie

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II. Rechtsgrundlage und Verfahren Flugverfahren werden vom Luftfahrt-Bundesamt als Rechtsverordnungen festgelegt auf der Grundlage des § 32 Abs. 1 S. 1 Nrn.1 und 3 LuftVG i.V.m. § 27a Abs. 2 S. 1 LuftVO. Die Festlegung erfolgt mit der Zulassung von Instrumentenflugbetrieb bezogen auf einen Flughafen, wobei eine Änderung insbesondere durch Aspekte der Flugsicherheit, technische Veränderungen wie die Abschaltung einer Navigationsanlage oder Lärmschutzaspekte notwendig werden kann.7 Im Erlassverfahren ist der beratende Ausschuss nach § 32a LuftVG anzuhören, einer Anhörung der Fluglärmkommission nach § 32b LuftVG bedarf es hingegen jedenfalls nach dem Wortlaut der Norm nicht.8 Insbesondere ist auch keine Beteiligung der von dem Fluglärm betroffenen Gemeinden oder Bürger9 oder eine sonstige Beteiligung der Träger öffentlicher Belange erforderlich. Die das Flugverfahren festlegende Rechtsverordnung wird im Bundesanzeiger sowie in den „Nachrichten für Luftfahrer“ bekannt gemacht.

III. Flugverfahren als Verkehrsregelungen Bei den Flugverfahren handelt es sich um standardisierte technische Weisungen an die verantwortlichen Flugfahrzeugführer (§§ 2, 3 LuftVO) für die Bewegungslenkung im Flugraum.10 Diese gelten bei Flügen nach Instrumentenregeln, soweit keine Einzelfestlegung des Flugverlaufs erfolgt. Flüge nach Instrumentenregeln sind solche, bei denen die optische Orientierung des Flugzeugführers an der Umgebung in Form von Flug- und Bodensicht durch mittelbare Wahrnehmungen über die Geräte der Flugsicherungsausrüstung des Luftfahrzeugs weitestgehend ersetzt wird.11 Das Flugverfahren regelt – bezogen auf den jeweiligen Flugplatz bzw. einzelne Start- und Landebahnen – die Steuerung des Flugzeugs bei Start und Landung sowie das Verhalten bei Fehlstarts, fehlerhaftem Landeanflug und Verzögerungen der Landung (Warteverfahren).12 Die Flugverfahren sehen einzelne Peilungen (Meldepunkte und Anfangsflugfixe), Kurse und Mindesthöhen ___________ 7

Wysk, ZLW 1998, 285 (288). BVerwG, NVwZ 2004, 473 ff. = BVerwGE 119, 245 ff.; VGH Kassel, ZUR 2003, 298 (299), vgl. dazu auch Sydow/Fiedler, DVBl. 2006, 1420 ff. 9 BVerwG, NVwZ 2004, 473 ff. = BVerwGE 119, 245 ff.; VGH Kassel, ZUR 2003, 298 (299); vgl. dazu auch Sydow/Fiedler, DVBl. 2006, 1420 ff. 10 Wysk, ZLW 1998, 285 (286). 11 Wysk, ZLW 1998, 285; Meister, ZLW 2004, 23 (25). 12 Wysk, ZLW 1998, 285 (286); Stoermer, Der Schutz vor Fluglärm, 2005, S. 166. 8

102

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vor, die soweit möglich zu erfliegen sind.13 Bei Abflügen beispielsweise sind die Luftfahrzeugführer angewiesen, nach dem Abheben und dem Ende des flugbetrieblich erforderlichen Geradeausflugs Meldepunkte und Radiale (Kurse) zu erfliegen, bis zu einer Freigabe auf eine Mindestflughöhe zu steigen und Kontakt zu einer Flugverkehrskontrollstelle auf einer vorbestimmten Funkfrequenz zu halten.14 § 27a Abs. 2 LuftVO spricht insoweit von der Festlegung der Flugverfahren, „einschließlich der Flugwege, Flughöhen und Meldepunkte“. Diese Flugverfahren dienen der Verbindung des Flughafens mit dem übergeordneten Streckennetz. Die Anordnung der Verfahren wird durch das Ziel bestimmt, alle weiterführenden Navigationspunkte im umliegenden Streckennetz unabhängig von der zu benutzenden Bahnrichtung möglichst direkt erfliegen zu können.15 Bei dieser Zielsetzung ist allerdings vorrangig zu berücksichtigenden Zwangspunkten Rechnung zu tragen, die sich etwa aus Erwägungen der Flugsicherheit (z.B. Hindernissen) oder Standorten von Funkfeuern etc. ergeben können.16 Möglich ist es, dabei sowohl idealisierte An- und Abflugsrouten festzulegen (Bündelung) als auch die Flugverfahren über ein größeres Gebiet (Streuung) zu verteilen. Eine solche Streuung kann etwa durch die Festlegung höhenvariabler Abdrehpunkte bei Abflugstrecken erreicht werden, die zu einer großflächigen Auffächerung des Luftverkehrs führen.17 Auch bei der Flugspurenbündelung kommt es jedoch durch Navigationsungenauigkeiten, Toleranzen der Anzeigen der sich an Bord befindlichen Flugsicherheitsausrüstung und technisch bedingte unterschiedliche Steigraten der Luftfahrzeuge zwangsläufig zu Streuungsbereichen um die Ideallinien.18 Diese Abweichungen sind beim Anflug durch den ILS-Leitstrahl zwar geringer als beim Abflug. Auch werden diese Abweichungen im Zuge des technischen Fortschritts der Navigationsinstrumente verringert. Im Ergebnis sind sie allerdings nicht zu verhindern.19 Letztlich lassen sich damit auch im Wege der Flugspurenbündelung nur Flugerwartungsbereiche – mit der Ausdehnung oftmals mehrerer nautischer Meilen – im dreidimensionalen Raum, d.h. im Ergebnis „Flugräume“, festlegen und nicht trennscharfe Routen.20 ___________ 13

Wysk, ZLW 1998, 285 (286). Wysk, ZLW 1998, 285 (286). 15 Wysk, ZLW 1998, 285 (286); Stoermer, Der Schutz vor Fluglärm, 2005, S. 167. 16 Wysk, ZLW 1998, 285 (286). 17 Pfaff/Heilshom, NVwZ 2004, 412 (415 f.). 18 Wysk, ZLW 1998, 285 (286); Stoermer, Der Schutz vor Fluglärm, 2005, S. 168; Pfaff/Heilshom, NVwZ 2004, 412 (415). 19 Pfaff/Heilshom, NVwZ 2004, 412 (415). 20 Wysk, ZLW 1998, 285 (286); Stoermer, Der Schutz vor Fluglärm, 2005, S. 168; Pfaff/Heilshom, NVwZ 2004, 412 (415); Meister, ZLW 2004, 23 (27). 14

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Es handelt sich bei den Flugverfahren um „eine Sonderform rechtssatzmäßiger Verkehrsregelungen für Luftfahrzeuge“, die sich im Luftraum nach Instrumentenflugregeln bewegen.21 Die Flugverfahren sind also Verkehrsregeln, die gem. § 29 Abs. 1 S. 1 LuftVG „für die Sicherheit des Luftverkehrs“ getroffen werden, für den der Luftraum über der Bundesrepublik Deutschland im Übrigen aber kraft Gesetzes (vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 LuftVG) frei ist.22 Die Festlegung von Flugrouten unterscheidet sich damit wesentlich von der Errichtung baulicher Anlagen23 wie beispielsweise Straßen- oder Schienenverbindungen. Im Gegensatz zu Verkehrsregelungen für Landfahrzeuge haben technische Aspekte der Bedienung bei der Festlegung der Flugverfahren eine höhere Bedeutung erlangt, da die Fluggeräte ohne einen körperlich fixierten Verkehrsweg in drei Ebenen und notfalls ohne Sicht gesteuert werden müssen.24 Das einzuhaltende Flugverfahren wird dem Flugfahrzeugführer auf dem Flugplatzgelände von der Flugverkehrskontrollstelle zugewiesen und ist damit zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit und zur Erleichterung der Abwicklung des Flugverkehrs verbindlich einzuhalten.25 Die Flugverfahren sind Verkehrsregelungen, ähnlich wie sie auch für die anderen Verkehrsträger (insbesondere Kraftfahrzeuge, Bahnen, Schiffe etc.) existieren. Diese Verkehrsregelungen sind von den Wegeregelungen (über öffentliche Straßen, Eisenbahnanlagen, Binnenschifffahrtswege) streng zu unterscheiden, obwohl es selbstverständlich gewisse funktionale Verschränkungen und Andockpunkte gibt. Der entscheidende Unterschied des Flugverkehrs zu den landgebundenen Verkehrsträgern ist, dass es für die Luftfahrt (außerhalb der Bewegungen auf dem Flughafen) nur Verkehrsregeln, nicht aber Wegeregelungen gibt.

IV. Flugverfahrenfestlegung als Abwägungsentscheidung In materieller Hinsicht trifft das Luftfahrt-Bundesamt mit der Festlegung von Flugverfahren eine Regelung, „die mindestens eine gewisse Nähe zu Planungsentscheidungen aufweist“.26 Einen planerischen Einschlag hat die Flugroutenbestimmung jedenfalls insofern, als in der Umgebung des Flughafens ___________ 21 22 23 24 25 26

Wysk, ZLW 1998, 285 (286). BVerwG, NVwZ 2004, 473 (475) = BVerwGE 119, 245 (253). BVerwG, NVwZ 2004, 473 (475) = BVerwGE 119, 245 (253). So explizit Wysk, ZLW 1998, 285 (286 f.). So explizit Wysk, ZLW 1998, 285 (286 f.). BVerwG, NVwZ 2004, 1229 (1232) = BVerwGE 121, 152 (163).

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Lärmkonflikte bewältigt werden müssen.27 Zwar ist die Festlegung der Flugverfahren nach der maßgeblichen Ermächtigungsgrundlage (§ 32 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 und 3 LuftVG i.V.m. § 27a Abs. 2 LuftVO) nicht ausdrücklich als Abwägungsentscheidung ausgewiesen. Gemäß herrschender (aber argumentativ nicht unbedingt zwingender) Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts rechtfertige jedoch der hierbei bestehende Gestaltungsspielraum des Luftfahrt-Bundesamtes, nach Maßgabe raumbezogener Präferenzen von der Geltung des allgemeinen rechtsstaatlichen Abwägungsgebots auszugehen.28 Nach § 27c Abs. 1 LuftVG dient die Flugsicherung der sicheren, geordneten und flüssigen Abwicklung des Luftverkehrs. Dieser „im eigentlichen Kern sicherheitsrechtliche Charakter“29 verbietet es jedoch, über das rechtsstaatlich unabdingbar gebotene Maß an Abwägungsvorgängen hinausgehende Anforderungen an die Entscheidung des Luftfahrt-Bundesamtes zu stellen. Insbesondere sind nicht alle der im Bereich der Fachplanung zum Abwägungsgebot entwickelten Maßstäbe heranzuziehen.30 Es sind mithin nicht sämtliche nach Lage der Dinge in Betracht zu ziehende private Interessen, die überhaupt durch die Entscheidung berührt werden könnten, einzustellen, sondern nur solche, deren Berücksichtigung einfachgesetzlich vorgesehen oder sonst rechtsstaatlich unerlässlich ist.31 Die maßgebliche Frage ist daher, ob das absturzinduzierte Störfallrisiko aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder weil dies sonst rechtsstaatlich geboten ist, in die Abwägung eingestellt werden muss.

V. Verhältnis zur Flughafenplanung Zunächst ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Festlegung der Flugverfahren ihrem Inhalt nach entscheidend durch die vorangegangenen Entscheidungen nach § 6 LuftVG, sowie §§ 8 ff. LuftVG determiniert werden, d.h. durch die Planfeststellung und Betriebsgenehmigung. Allgemein wird man den Satz aufstellen können, dass sämtliche Auswirkungen des Betriebs des Flugplatzes, die sich zwingend aus dessen genehmigtem Betrieb ergeben, Teil dieser Zulassungsentscheidung sind.32 Sie unterfallen daher im Rahmen der Festlegung von Flugverfahren nicht der Entscheidungszuständigkeit des Luftfahrt___________ 27

BVerwG, NVwZ 2004, 1229 (1232) = BVerwGE 121, 152 (163). Grundlegend BVerwG, NJW 2000, 3584 (3585) = BVerwGE 111, 276 (280 f.). 29 BVerwGE 121, 152 (158 f.). 30 BVerwG, NVwZ 2004, 1229 (1230 f.) = BVerwGE 121, 152 (158 f.). 31 Vgl. auch Masing, NVwZ-Sonderheft 2005, 24 (29) und zum Umfang der erforderlichen Abwägung bei der Festlegung von Flugverfahren BVerwG, NVwZ 2004, 1229 (1230) = BVerwGE 121, 152 (157 f.). 32 Vgl. auch Hermanns/Hönig, NWVBl. 2006, 1 (9); Repkewitz, VBlBW 2005, 1 (8). 28

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Bundesamtes.33 Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Festlegung von Flugverfahren nur eine Verteilungsentscheidung dar,34 bei der das Luftfahrt-Bundesamt aus kompetenzrechtlichen Gründen darauf beschränkt ist, den (störenden) Luftverkehr zu verteilen, ohne die Störquelle selbst verändern zu können.35 Für die Festlegung der Flugverfahren in Bezug auf den Überflug von Störfallbetrieben folgt daraus: Aufgrund der durch die Flughafenplanung vorgegebenen Position der Start- und/oder Landebahn im Zusammenspiel mit den Normen der ICAO (International Civil Aviation Organization), unterfällt beim Landeanflug ab 5 NM (Nautical Mile = 1,85 km) vor der Landebahn und beim Start jedenfalls bis 2 NM ein entsprechender Bereich in gerader Verlängerung der Bahn nicht der Dispositionsbefugnis des Luftfahrt-Bundesamtes.36 Das absturzinduzierte Störfallrisiko ist innerhalb dieses Bereichs im Rahmen der Flughafenplanung zu berücksichtigen, nicht aber innerhalb des Verfahrens der Festlegung von Flugverfahren.

VI. Einfachrechtliche Abwägungsvorgaben Die Ermächtigungsgrundlage des § 27a Abs. 2 LuftVO lautet: „Das Luftfahrt-Bundesamt wird ermächtigt, die Flugverfahren nach Absatz 1 einschließlich der Flugwege, Flughöhen und Meldepunkte durch Rechtsverordnung festzulegen. Zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs sowie für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung kann das Flugsicherungsunternehmen im Einzelfall Flugverfahren durch Verfügung festlegen; die Dauer der Festlegung darf jedoch drei Monate nicht überschreiten“. Aus der Ermächtigungsgrundlage lässt sich mithin nicht auf die zu berücksichtigenden Belange schließen. Aus dem systematischen Zusammenhang, in den § 27a LuftVO vor dem Hintergrund des § 32 LuftVG hineingestellt ist, kann man jedoch folgern, dass es sich bei der Festlegung von Flugverfahren primär um ein sicherheitsrechtliches Instrument handelt.37 Dieses zielt in erster Linie auf die Verhinderung von Gefahren für den Luftverkehr, nicht durch den Luftverkehr. Ferner dient nach § 27c Abs. 1 LuftVG die Flugsicherung der sicheren, geordneten und flüssigen Abwicklung des Luftverkehrs. Im Ergebnis genießt die Sicherheit ___________ 33

Vgl. auch Hermanns/Hönig, NWVBl. 2006, 1 (9); Repkewitz, VBlBW 2005, 1 (8). Zur Verteilungsgerechtigkeit bei Umweltbelastungen s.a. Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006. 35 Hermanns/Hönig, NWVBl. 2006, 8 m.w.N. aus der Rechtsprechung. 36 Hermanns/Hönig, NWVBl. 2006, 8. 37 BVerwG, NVwZ 2004, 1229 (1230 f.). 34

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des Luftverkehrs als Abwägungsbelang überragende Bedeutung,38 gefolgt von der Flüssigkeit des Verkehrs. Hinzu kommt allerdings auch die Berücksichtigung von Lärmschutzbelangen (§ 29b LuftVG). Mit dieser Berücksichtigung von Lärmschutzbelangen wechselt der Gesetzgeber allerdings seinen Betrachtungsstandort. Abweichend von der Regel wird hier nicht der Luftverkehr selbst geschützt, sondern vor dessen nachteiligen Auswirkungen. Indessen bleibt dies eine Ausnahme. Insbesondere existiert keine Bestimmung, die explizit die Berücksichtigung von Absturzrisiken für Störfallbetriebe als Abwägungsbelang verlangt. Es stellt sich daher die Frage, ob sich aus der unmittelbaren Anwendung des Art. 12 Abs. 1 S. 3 der Seveso II-Richtlinie oder aus der Generalklausel des § 29 Abs. 1 S. 1 LuftVG die Pflicht des Luftfahrt-Bundesamtes ableiten lässt, die genannten Absturzrisiken für Betriebe im Sinne der Seveso II-Richtlinie in die Abwägungsentscheidung einzubeziehen.

VII. Vorgaben der Seveso II-Richtlinie 1. Allgemeines Die Seveso-Richtlinie erging in Reaktion auf den verheerenden Chemieunfall im Sommer 1976, durch den insbesondere die italienische Gemeinde Seveso von den Folgen des in großen Mengen freigesetzten Giftes Dioxin betroffen war. Die Richtlinie bezweckt nach Art. 1 die Verhütung schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen und die Begrenzung der Unfallfolgen für Mensch und Umwelt. Sie normiert vor allem Vorgaben zur Unfallverhütung und zur Begrenzung der Folgen eingetretener Unfälle. Der im vorliegenden Kontext maßgebliche Art. 12 Abs. 1 Seveso II-Richtlinie lautet: Überwachung der Ansiedlung „(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß in ihren Politiken der Flächenausweisung oder Flächennutzung und/oder anderen einschlägigen Politiken das Ziel, schwere Unfälle zu verhüten und ihre Folgen zu begrenzen, Berücksichtigung findet. Dazu überwachen sie

___________ 38 BVerwG, NVwZ 2004, 1229 (1230 f.); VGH Kassel, ZUR 2003, 298 (299); Meister, ZLW 2004, 23 (43); Koch/Wieneke, NVwZ 2003, 1153 (1160 f.); Sellner/Scheidmann, NVwZ 2004, 267 (272); Stoermer, Schutz vor Fluglärm, 2005, S. 170.

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a) die Ansiedlung neuer Betriebe, b) Änderungen bestehender Betriebe im Sinne des Artikels 10, c) neue Entwicklungen in der Nachbarschaft bestehender Betriebe wie beispielsweise Verkehrswege, Örtlichkeiten mit Publikumsverkehr, Wohngebiete, wenn diese Ansiedlungen oder Maßnahmen das Risiko eines schweren Unfalls vergrößern oder die Folgen eines solchen Unfalls verschlimmern können. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass in ihrer Politik der Flächenausweisung oder Flächennutzung und/oder anderen einschlägigen Politiken sowie den Verfahren für die Durchführung dieser Politiken langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebäuden und Gebieten, wichtigen Verkehrswegen (so weit wie möglich), Freizeitgebieten und unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders wertvollen bzw. besonders empfindlichen Gebieten andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt und dass bei bestehenden Betrieben zusätzliche technische Maßnahmen nach Artikel 5 ergriffen werden, damit es zu keiner Zunahme der Gefährdung der Bevölkerung kommt.“

2. Wichtiger Verkehrsweg i.S.d. Art. 12 Abs. 1 S. 3 Seveso II-Richtlinie Während Art. 12 Abs. 1 S. 1 der Seveso II-Richtlinie ein allgemeines Berücksichtigungsgebot enthält, normiert der Art. 12 Abs. 1 S. 3 also ein Abstandsgebot. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie – insbesondere das Abstandsgebot – kann auf Flugverfahren also nur bezogen werden, wenn diese „Verkehrswege“ und die Festlegung von Flugverfahren „eine Politik der Flächenausweisung, Flächennutzung oder andere einschlägige Politik“ im Sinne der Richtlinie sind. a) Wortlaut Ein Flugverfahren als Verkehrsweg (in der englischsprachigen Fassung der Richtlinie: „transport routes“, in der französischsprachigen Fassung „voies de transport“) anzusehen, ist nach dem Wortlaut zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, liegt aber nach dem oben dargelegten Regelungsgegenstand von Flugverfahren eher fern. Flugverfahren legen keinen Weg fest, sondern definieren praktisch einen Raum von bis zu mehreren Kilometern Durchmesser und Höhe. Sie sind ihrer Rechtsnatur nach Verhaltensanforderungen zum Zwecke der Sicherheit und Leichtigkeit des Flugverkehrs und keine dauerhaften Verkehrsverbindungen. Der Begriff des Verkehrswegs wird im allgemeinen Sprachgebrauch in erster Linie verwendet für körperliche Verkehrsverbindungen von einiger Dauer-

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haftigkeit und Präzision.39 Flugverfahren hingegen stellen nach oben Gesagtem im Einzelfall kurzfristig abänderbare Verkehrsregeln im grundsätzlich frei nutzbaren Flugraum dar. Es liegt damit gerade keine körperliche Verkehrsverbindung vor. Darüber hinaus werden bei den Flugverfahren entweder von vornherein größere Flächen festgelegt, die von den Flugfahrzeugen zu nutzen sind (Streuung) oder aber jeder idealisierten Route (Bündelung) ein Flugerwartungsbereich von bis zu mehreren Kilometern Breite zugeordnet.40 Eine parzellenscharfe Abgrenzung kann dabei nicht geleistet werden. Einen Flugerwartungsbereich mit bis zu mehreren Kilometern Ausdehnung in der Breite und vor allem auch in der Höhe, und damit also einen so großen Raum als Weg anzusehen, erscheint wenig überzeugend.41 Vor allem würden diese Verkehrswege Ausmaße annehmen, die das Abstandsgebot nicht handhabbar werden ließen.42 Allerdings führt § 27a Abs. 2 LuftVO aus, dass die Flugverfahren „einschließlich der Flugwege, Flughöhen und Meldepunkte“ zu regeln sind. Diese Verwendung des Begriffs „Flugweg“ im Zusammenhang mit der Festlegung der Flugverfahren könnte darauf schließen lassen, dass eine fehlende Verkörperung der Verkehrsverbindung für den Begriff des „Wegs“ in der deutschen Rechtssprache für die Qualifikation als Verkehrsweg unschädlich ist. Ebenso ließe sich daraus jedoch auch folgern, dass das Flugverfahren als Ganzes gerade auch unter Berücksichtigung der Dreidimensionalität im Zusammenhang mit der Flughöhe nicht mehr als Flugweg bzw. Verkehrsweg anzusehen ist, zumal die Verwendung eines Begriffs durch den deutschen Verordnungsgeber ohnehin allenfalls mittelbar Rückschlüsse auf die Verwendung durch den Richtliniengeber zulassen kann. Gemeint ist mit dem Begriff „Flugweg“ in Art. 27a Abs. 2 LuftVO augenscheinlich die Ideallinie. Ähnlich verhält es sich mit der Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, durch die Festlegung von Flugverfahren werde „einem Verkehrsweg vergleich___________ 39 Duden, Bedeutungswörterbuch, Band 10, S. 1034, Weg: „etwas, was wie eine Art Streifen – im Unterschied zur Straße oft nicht befestigt – durch ein Gebiet, Gelände führt und zum Begehen [und Befahren] dient.“ dort auch zu den weiteren Bedeutungen; vgl. auch Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Band 27, 1922, die darauf hinweisen, dass die Ursprungsbedeutung des Begriffs des Wegs „ein längsstreifen der erdoberfläche, der für den menschlichen verkehr hergerichtet ist (oder dazu regelmäszig benutzt wird)“ ist. Allerdings sind in der deutschen Sprache auch zahlreiche Verwendungen des Begriffs des Wegs in übertragener, nicht körperlicher Weise gebräuchlich (z.B. Lösungswege, Wege zum Glücklichsein, „Holzweg“ etc.). 40 Vgl. auch BVerwG, NJW 2000, 3584 (3586). 41 Ebenso nun VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (599); Hermanns/Hönig, NWVBl. 2006, 1 (10); a.A. der Sache nach Sellner/Scheidmann, NVwZ 2004, 267 (271 f.) und Repkewitz, VBlBW 2005, 1 (7 f.), jedoch gänzlich ohne Auseinandersetzung mit dem Begriff des Verkehrswegs. 42 Ebenso nun VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (599).

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bar“ ein mehr oder weniger breiter Korridor festgelegt.43 Zwar muss diese Aussage dahin verstanden werden, dass das Bundesverwaltungsgericht ein Flugverfahren nicht als Verkehrsweg ansieht, sondern eben nur als mit einem solchen „vergleichbar“. Letztlich lassen sich aus diesem Zitat jedoch keine sicheren Schlüsse auf die Auslegung bzw. das Verständnis einer Rechtsquelle des Europarechts ziehen. Die Urteilspassage bezog sich in keiner Weise auf die Seveso II-Richtlinie, sondern auf die Lösung von Lärmkonflikten nach Maßgabe des Luftverkehrsgesetzes44. Der Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 S. 3 Seveso II-Richtlinie mit dem Begriff des „Verkehrswegs“ spricht im Ergebnis gegen eine Berücksichtigung von Flugverfahren im Rahmen der Seveso II-Richtlinie. b) Systematik Diese Auslegung nach dem Wortlaut wird auch durch die systematische Auslegung des Art. 12 Seveso II-Richtlinie sowie durch den Normenkontext innerhalb der gesamten Richtlinie bestätigt. aa) Überschrift des Art. 12 Seveso II-Richtlinie „Überwachung der Ansiedlung“ Die Überschrift „Überwachung der Ansiedlung“ (in der englischsprachigen Fassung „land-use planning“, in der französischsprachigen Fassung „Maîtrise de l’urbanisation“) des Art. 12 der Seveso II-Richtlinie stellt durch den Begriff der Ansiedlung einen eindeutigen Bezug zur Überwachung der Flächennutzung her. Der Begriff der (An)Siedlung wird nur im Zusammenhang mit der Flächennutzung durch bauliche Anlagen verwendet, nicht aber im Kontext der Nutzung des Luftraums. Ein solcher Bezug zur Nutzung am Boden im Hinblick auf den Begriff des Verkehrswegs besteht nur, wenn man diesen als hinreichend dauerhafte Verkörperung einer Verkehrsverbindung begreift. Ein Flugverfahren kann bei solchem Verständnis des Verkehrswegs nicht darunter gefasst werden.

___________ 43 BVerwG, Urteil vom 24.6.2004, Az. 4 C15/03 unter 2.2.3.3 der Entscheidungsgründe. 44 Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2004, Az. 4 C15/03 unter 2.2.3.3 der Entscheidungsgründe.

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bb) Wortlaut Art. 12 Abs. 1a S. 1 Seveso II-Richtlinie: Vereinbarkeit „zwischen unter diese Richtlinie fallenden Betrieben und den in Absatz 1 genannten Gebieten“ Für die Erforderlichkeit eines Bezugs zur Bodennutzung spricht auch Art. 12 Abs. 1a S. 1 Seveso II-Richtlinie. Danach obliegt es der Kommission, „bis zum 31. Dezember 2006 in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten Leitlinien zur Definition einer technischen Datenbank einschließlich Risikodaten und Risikoszenarien aufzustellen, die der Beurteilung der Vereinbarkeit zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben und den in Absatz 1 genannten Gebieten dient.“45

Es sollen also nur Risikodaten hinsichtlich der Vereinbarkeit von (gefährlichen) Betrieben im Sinne der Richtlinie mit den in Abs. 1 genannten (zu schützenden) „Gebieten“ erhoben werden. Die Begrifflichkeit „Gebiet“ als Oberbegriff der in Abs. 1 aufgeführten schutzwürdigen Objekte stellt wiederum einen klaren Bezug zur Flächennutzung her. Die Erhebung von Daten über die Nutzung des Luftraums ist demgegenüber nicht erfasst, da sich der Luftraum nicht als zu schützendes „Gebiet“ beschreiben lässt. Wenn nun aber nur Risikodaten über die Vereinbarkeit von Betrieben und Flächennutzungen erhoben werden sollen, spricht dies dafür, dass der Normgeber im Rahmen des Abstandsgebots nur Gebiete und nicht auch den Luftraum erfassen wollte. Es wäre nicht nachvollziehbar, die Erhebung von Risikodaten nur hinsichtlich der Vereinbarkeit von Seveso II-Betrieben mit Flächennutzungen vorzusehen, nicht aber auch hinsichtlich des Luftraums. Ein sinnvoller Grund für eine solche Differenzierung ist nicht ersichtlich. cc) Wortlaut Art. 13 Abs. 5 Seveso II-Richtlinie Der Bezug des Art. 12 Abs. 1 der Seveso II-Richtlinie zur Flächennutzung geht in systematischer Hinsicht auch aus Art. 13 Abs. 5 Seveso II-Richtlinie 46 hervor. Art. 13 Abs. 5 Seveso II-Richtlinie sieht vor: ___________ 45 Engl. Fassung: „[...] risk scenarios, to be used for assessing the compatibility between the establishments covered by this Directive and the areas described in paragraph 1. Plans.“; franz. Fassung: „les risques et les scénarios d’accident, destinée à permettre l’évaluation de la compatibilité entre les établissements couverts par la présente directive et les zones décrites au paragraphe 1“. 46 Engl. Fassung: „Member States shall ensure that the public is able to give its opinion in the following cases: – planning for new establishments covered by Article 9, – modifications to existing establishments under Article 10, where such modifications are subject to obligations provided for in this Directive as to planning,

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Informationen über die Sicherheitsmaßnahmen [...] (5) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß die Öffentlichkeit in folgenden Fällen Stellung nehmen kann: –

Planungen der Ansiedlung neuer unter Artikel 9 fallender Betriebe,



Änderung bestehender Betriebe im Sinne von Artikel 10, soweit diese von Bedeutung in Bezug auf die in dieser Richtlinie vorgesehenen Anforderungen zur Flächennutzung sind,



Erschließungsmaßnahmen in der Umgebung bestehender Betriebe.

Art. 13 Abs. 5 3. Spiegelstrich der Seveso II-Richtlinie dient mit der Einräumung von Beteiligungsrechten der Öffentlichkeit ausschließlich im Rahmen von flächennutzungs-relevanten Planungen oder Genehmigungsverfahren der Durchsetzung der Sicherheitsbelange der Öffentlichkeit, indem so frühzeitig auf die Unvereinbarkeit von Nutzungsarten hingewiesen werden kann. Die Festlegung von Flugverfahren lässt sich nicht unter eine der aufgeführten Varianten fassen. Würde die Richtlinie aber auch die Festlegung von Flugverfahren erfassen, so wären auch in diesem Fall Beteiligungsrechte der Bevölkerung vorzusehen gewesen, was jedoch gerade unterbleibt. Auch diese Erwägung legt die Annahme nahe, dass es sich bei den in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie aufgezählten Schutzobjekten um bauliche Anlagen oder zumindest Gegenstände der Flächennutzung handeln muss. dd) Wortlaut Art. 9 Abs. 1 lit. e der Seveso II-Richtlinie Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, den Anlagenbetreibern die Erstellung eines Sicherheitsberichts aufzuerlegen. Neben Informationen zu internen Risiken und Konzepten zu deren Beherrschung werden auch Informationen verlangt, welche die Vereinbarkeit des Betriebs mit Flächennutzungen in der Umgebung betreffen. Diesbezüglich ist in Art. 9 Abs. 1 der Seveso II-Richtlinie unter der Überschrift „Sicherheitsbericht“ festgelegt: ___________ – developments around such existing establishments. Franz. Fassung: „Les États membres veillent à ce que le public puisse donner son avis dans les cas suivants: – établissement des projets de nouveaux établissements visés à l’article 9, – modifications d’établissements existants au sens de l'article 10, lorsque les modifications envisagées sont soumises aux exigences prévues par la présente directive en matière d’aménagement du territoire, – réalisation d’aménagements autour des établissements existants.“

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„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß der Betreiber verpflichtet ist, einen Sicherheitsbericht zu erstellen, in dem a) [...] e) ausreichende Informationen bereitgestellt werden, damit die zuständigen Behörden Entscheidungen über die Ansiedlung neuer Tätigkeiten oder Entwicklungen in der Nachbarschaft bestehender Betriebe treffen können.“

Der Sicherheitsbericht des Betreibers muss also die Informationen enthalten, die notwendig sind, um den Mitgliedstaaten ein Urteil über die Vereinbarkeit einer „Ansiedlung“ bzw. „Entwicklung in der Nachbarschaft“ mit dem gefährlichen Betrieb zu ermöglichen. Auch hier geht es nach dem Wortlaut (Ansiedlung, Nachbarschaft) wiederum einzig um Flächennutzungen in der unmittelbaren Umgebung, nicht aber um Nutzung des Luftraums. Es ist fernliegend, dass ein Richtliniengeber, der den Mitgliedstaaten eine valide Entscheidungsgrundlage nur für die Maßnahmen bezüglich Flächennutzungen in der Nachbarschaft verschafft hat, gleichwohl auch Flugverfahren erfassen wollte. Es kann mithin auch aus Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gefolgert werden, dass nur Flächennutzungen von Art. 12 Abs. 1 der Seveso II-Richtlinie geregelt werden sollten, nicht aber die Nutzung des Luftraums. Als Ergebnis der systematischen Auslegung kann festgehalten werden, dass Art. 12 Abs. 1 der Seveso II-Richtlinie und damit auch der Begriff des Verkehrswegs mit einem unmittelbaren Bezug zur Flächennutzung auszulegen ist. Der Begriff des Verkehrswegs im Sinne der Norm ist als eine verkörperte Verkehrsverbindung von einiger Dauerhaftigkeit zu verstehen. c) Entstehungsgeschichte und Erwägungsgründe des Art. 12 Seveso II-Richtlinie Ferner sprechen auch die Entstehungsgeschichte des Art. 12 Seveso IIRichtlinie und die diesen betreffenden Erwägungsgründe dafür, von einem Bezug der Norm, insbesondere auch des Begriffs des Verkehrswegs zur Flächennutzung auszugehen. Die Ursprungsfassung der Seveso II-Richtlinie vom 9. Dezember 1996 war ohne den Begriff des Verkehrswegs einzig auf die Flächennutzung ausgerichtet, und durch die Einfügung des Begriffs im Zuge der Änderungsrichtlinie vom 16. Dezember 200347 waren ausweislich der Erwägungsgründe keine wesentlichen Änderungen des Regelungsprogramms beabsichtigt.

___________ 47

Richtlinie 2003/105/EG, ABl. L 345 vom 31.12.2003, S. 97.

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aa) Ursprungsfassung Art. 12 Seveso II-Richtlinie vom 9. Dezember 1996 In der Richtlinie 82/501/EWG von 1982 (Seveso [I]-Richtlinie) waren keine Vorgaben für die Flächennutzungsplanung, etwa im Sinne eines Abstandsgebots, enthalten. In der Entschließung des Rates vom 16. Oktober 1989 wurde dann die Kommission aufgefordert, die Möglichkeit zu prüfen, in die Richtlinie Kontrollen der Flächennutzungsplanung unter besonderer Berücksichtigung der Folgen des Unfalls von Bhopal und später auch von Mexiko City aufzunehmen.48 Bei dem Chemieunfall im indischen Bhopal konnten aus einem Tank in einer Pestizidfabrik große Mengen hochgiftiges Methylisocyanat sowie Zersetzungs- und Reaktionsprodukte in die Luft entweichen. Schätzungen gehen infolgedessen von 2.000 bis 15.000 Todesopfern aus, davon ein Großteil unter den mehr als 100.000 Menschen, die in einem Radius von einem Kilometer rund um die Pestizidfabrik lebten. Um dieser Gefahr durch Betriebe im Sinne der Richtlinie für die umliegenden Gebiete – namentlich Wohnsiedlungen – zu begegnen, sah Art. 12 Abs. 1 der Seveso II-Richtlinie in der Ursprungsfassung vom 9. Dezember 1996 lediglich den Schutz von Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebieten und unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders wertvollen Gebieten vor. Dass die Ursprungsfassung der Seveso II-Richtlinie einzig auf den Schutz der baulichen Anlagen und bestimmter Naturflächen vor Seveso-Betrieben abzielt und damit einen deutlichen Bezug zur Flächennutzung aufweist, geht aus den Erwägungsgründen49 der Ursprungsfassung hervor: (4) Angesichts der Unfälle von Bhopal und Mexiko City, die aufgezeigt haben, welche Gefahren von gefährlichen Anlagen in der Nähe von Wohnvierteln ausgehen können, haben der Rat und die im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten mit ihrer Entschließung vom 16. Oktober 1989 die Kommission aufgefordert, in die Richtlinie 82/501/EWG Bestimmungen über die Überwachung der Flächennutzungsplanung im Fall der Genehmigung neuer Anlagen und des Entstehens von Ansiedlungen in der Nähe bestehender Anlagen aufzunehmen.

Festhalten lässt sich somit, dass die ursprüngliche Fassung der Seveso IIRichtlinie vom 9. Dezember 1996 vor dem Hintergrund der hohen Opferzahlen in unmittelbarer räumlicher Nähe zur chemischen Anlage von Bhopal, dem Schutz von Flächen und baulichen Anlagen vor potentiell gefährlichen Betrieben diente, indem eine räumliche Trennung verlangt wurde. Die Norm wurde mithin eindeutig im Hinblick auf die Flächennutzung im Sinne der Ansiedlung geschaffen, nicht aber bezogen auf die Nutzung des Luftraums über der Anlage. ___________ 48

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Abwehr der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, ABl. C 106 vom 14/04/1994, S. 4. 49 ABl. L 10 vom 14.1.1997, S. 13 ff.

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bb) Änderungsrichtlinie vom 16. Dezember 2003 Der Zweck der Ursprungsnorm ist eindeutig auf eine Veränderung der Praxis einzig der Flächennutzungsplanung und Zulassung von baulichen Anlagen in den Mitgliedstaaten ausgerichtet. Wollte man nun auch die Festlegung von Flugverfahren erfassen und damit den Anwendungsbereich der Norm erheblich erweitern, so müssten sich in der Änderungsrichtlinie vom 16. Dezember 200350 deutliche Hinweise darauf finden lassen. Jedoch lässt sich weder aus dem Wortlaut der Änderungsrichtlinie noch aus den Erwägungsgründen die Absicht zu einer solchen grundlegenden Umgestaltung der Norm entnehmen. Die Änderungsrichtlinie ergänzte Art. 12 Abs. 1 S. 3 der Seveso II-Richtlinie einzig um die Worte „Gebäuden und“ sowie „wichtigen Verkehrswegen (soweit wie möglich), Freizeitgebieten“. Diese Änderungen gehen auf eine Entschließung des Europäischen Parlaments zurück, das abweichend vom Vorschlag der Kommission – ohne nähere Begründung – Art. 12 Abs. 1 S. 3 der Richtlinie um den Begriff der Verkehrswege ergänzen wollte.51 Nach Auffassung der Kommission war die Formulierung Verkehrswege „in diesem Zusammenhang zu vage und sollte durch ‚größere Verkehrswege‘ ersetzt werden“.52 Schließlich wurde im gemeinsamen Standpunkt eine Einigung auf die heutige Formulierung der „wichtigen Verkehrswege“ erzielt.53 Die gesamte Änderungsrichtlinie diente ausweislich der Erwägungsgründe einer Anpassung der Richtlinie vor dem Hintergrund vor allem der Cyanidverseuchung der Donau infolge des Unfalls im Januar 2000 in Baia Mare (Rumänien) und des Unfalls mit Feuerwerkskörpern im Mai 2000 in Enschede (Niederlande).54 Obwohl zu diesem Zeitpunkt – spätestens seit den mit Flugzeugen verübten Terroranschlägen vom 11. September 2001 – die Gefahren eines Flugzeugabsturzes, insbesondere für chemische Anlagen zur Verarbeitung hochentzündlicher, giftiger oder sonst gefährlicher Stoffe offensichtlich waren, sah der Richtliniengeber die Seveso II-Richtlinie offensichtlich nicht als das richtige ___________ 50

Richtlinie 2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2003 zur Änderung der Richtlinie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen, ABl. L 345 vom 31.12.2003, S. 97. 51 Standpunkt des Europäischen Parlaments festgelegt in erster Lesung am 3.7.2002 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2002/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen – Doc. Nr. P5_TC1-COD(2001) 0257. 52 Vorschlag Kommission KOM 2002/0540 Endg., ABl. C 20E/2003, S. 255 ff. 53 Gemeinsamer Standpunkt, ABl. C 102E/2003, S. 1 ff. 54 Erwägungsgründe 2, 3, 5, 6, ABl. L 345 vom 31.12.2003, S. 97 ff.

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Instrument zur Begegnung dieser Gefahren an. Jedenfalls lassen sich in den Erwägungsgründen darauf keinerlei Hinweise finden. Die Einfügung des Begriffs des wichtigen Verkehrswegs sollte somit nicht dem Risiko von Flugzeugabstürzen auf Seveso II-Anlagen Rechnung tragen. Hätten jedoch durch die Aufnahme des Begriffs des wichtigen Verkehrswegs in Art. 12 Abs. 1 S. 3 der Richtlinie entgegen der Ursprungsfassung auch Flugverfahren als Risikoquellen mit einbezogen werden sollen, wäre damit eine bedeutsame Abkehr von dem vorher bestehenden Prinzip des Schutzes benachbarter baulicher Anlagen und Flächen durch hinreichende Abstände verbunden gewesen. Eine solche wesentliche Änderung stellt jedoch keine bloße „Präzisierung“, keine Klarstellung dar, wie es die Begründung der Richtlinie jedoch einzig ausweist. Eine solche wesentliche Änderung hätte zusätzlicher Begründung bedurft. Im Ergebnis spricht damit auch der Entstehungshintergrund der Norm unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe dafür, von einem solchen Bezug des Art. 12 Abs. 1 der Seveso II-Richtlinie zur Flächennutzung auszugehen und damit für den Begriff des Verkehrswegs das Vorliegen einer verkörperten, hinreichend dauerhaften Verkehrsverbindung zu fordern. d) Normzweck Legen – wie oben ausgeführt – Wortlaut, Systematik und Entstehungshintergrund des Art. 12 Abs. 1 S. 3 der Seveso II-Richtlinie es nahe, den Begriff des Verkehrswegs auf verkörperte Verkehrsverbindungen zu beschränken, könnte ein abweichendes Verständnis allenfalls durch den Zweck des Art. 12 Abs. 1 S. 3 der Richtlinie, d.h. durch eine teleologische Auslegung gerechtfertigt sein, die sich gegebenenfalls über den Wortlaut, das System und die Geschichte der Vorschrift hinwegsetzen würde. Ein Anhaltspunkt für eine solche teleologische Interpretation (wenn nicht sogar teleologische Normextension) wäre einzig gegeben, wenn die Störfallbetriebe nach dem Willen des Richtliniengebers selbst Schutzobjekte sein sollten. Denn ginge es beim Abstandsgebot auch darum, die Störfallbetriebe maximal vor externen Gefahrenquellen zu schützen, wäre es u.U. geboten, den Begriff des Verkehrswegs weit auszulegen und dann sogar Flugrouten darunter zu fassen.

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aa) „Wichtige Verkehrswege“ als Störer – Betriebe i.S.d. Richtlinie als Schutzobjekte des Art. 12 Abs. 1 S. 3 Seveso II-Richtlinie? Nach einer Auffassung55 sind die unter die Seveso II-Richtlinie fallenden Betriebe selbst Schutzobjekte des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie. Nur so könnten die im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter und die sonstige Umgebung von Störfallbetrieben mit der gebotenen Wirksamkeit vor Beeinträchtigungen geschützt werden.56 Nur auf diese Weise könne – so diese Ansicht – das Grundanliegen der Richtlinie, Störfälle in jeder Form möglichst zu vermeiden, erreicht werden. Eine Schutzwirkung zugunsten des gefährlichen Betriebs vor äußeren Gefahrenquellen im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie ergäbe sich aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 3 Nr. 5 der Richtlinie. Indem Art. 12 Abs. 1 S. 1 Bezug nimmt auf das allgemeine Ziel der Richtlinie, nämlich die Verhütung schwerer Unfälle, werde auch der Betrieb mitsamt den darin Beschäftigten selbst zum Schutzobjekt des Art. 12 Abs. 1. Der Begriff des schweren Unfalls bezeichnet nach Art. 3 Nr. 5 Seveso II-Richtlinie „ein Ereignis [...] das sich aus unkontrollierten Vorgängen in einem unter diese Richtlinie fallenden Betrieb ergibt, das [...] innerhalb oder außerhalb des Betriebs zu einer ernsten Gefahr für die menschliche Gesundheit und/oder die Umwelt führt[...]“.

Aus der Einbeziehung der Gesundheitsgefahr für Arbeitnehmer des Betriebs als Kriterium für das Vorliegen eines schweren Unfalls ließe sich ableiten, dass nicht nur Personen außerhalb der Anlage durch die Richtlinie geschützt werden sollen, sondern auch die in der Anlage beschäftigten Personen. Die Seveso IIRichtlinie beträfe damit – anders als der originäre Regelungsgegenstand des deutschen Immissionsschutzrechts – auch Fragen des Arbeitsschutzes. Da es nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 Ziel der Richtlinie sei, schwere Unfälle zu verhüten, sei es – so die geschilderte Auffassung – auch Zweck des gesamten Art. 12 Abs. 1 Seveso II-Richtlinie unter Einschluss der Sätze 2 und 3 des Abs. 1, Gefahren für die Mitarbeiter im Betrieb durch Zulassung anderer risikoreicher Flächennutzungen und eben auch Nutzungen des Luftraums, die den Betrieb gefährden, zu verhindern. Zudem wird versucht, eine Parallele zum deutschen Bauplanungsrecht für die Auslegung der Richtlinie fruchtbar zu machen. So sei es etwa im Bauplanungsrecht allgemein anerkannt, dass Abstandsverpflichtungen nicht nur dem Schutz der Umgebungsbebauung vor negativen Einwirkungen dienen. Vielmehr sei auch der Schutz des Anlagebetreibers selbst vor dem Heranrücken von ___________ 55

Sellner/Scheidmann, NVwZ 2004, 267 (269). Sellner/Scheidmann, NVwZ 2004, 267 (269); vgl. auch Repkewitz, VBlBW 2005, 1 (7 f.). 56

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störanfälligen Nutzungen am Boden bezweckt. Diese Wertung sei auch auf die Abstandsregelung nach der Seveso II-Richtlinie zu übertragen. Dieser Sichtweise zufolge sind die in Art. 12 Abs. 1 S. 3 der Richtlinie aufgeführten „wichtigen Verkehrswege“ nicht allein Schutzobjekte, sondern auch Gefahrenquellen für die Betriebe im Sinne der Richtlinie. Nach diesem Normverständnis wären Flugverfahren möglicherweise tatsächlich entgegen Wortlaut, Systematik und Entstehungshintergrund unter den Begriff des „wichtigen Verkehrswegs“ im Sinne des Art. 12 Abs. 1 S. 3 der Richtlinie zu fassen. bb) „Wichtige Verkehrswege“ als Schutzobjekte – Betriebe i.S.d. Richtlinie einzig als Gefahrenquellen des Art. 12 Abs. 1 S. 3 der Seveso II-Richtlinie (a) Diese Ansicht überzeugt aber nicht, denn sie schützt mit dem gefährdenden Betrieb den potentiellen Störer und belastet – außerhalb des unmittelbaren Flugerwartungsbereichs – die potentiellen Opfer. Sie stellt damit die Grundlagen des europäischen und deutschen Rechts der öffentlichen Sicherheit auf den Kopf. Diese Ansicht lässt den Schutz des potentiellen Störers vor den Folgen seines Tuns durch Eingriff in die Rechte Dritter erfolgen. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass die Regelung des Art. 12 Abs. 1 S. 3 der Seveso IIRichtlinie die dort aufgeführten Objekte – einschließlich der wichtigen Verkehrswege – soweit wie möglich vor den Gefahren, die von den Betrieben im Sinne der Richtlinie ausgehen, schützen, nicht aber den Störfallbetrieben maximalen Schutz gegen externe Risiken – etwa Flugverfahren – garantieren soll. (b) Dabei ist bereits die Prämisse der Gegenansicht unzutreffend, dass die Seveso II- Richtlinie zwingend extensiv auszulegen sei, da nur so dem Grundanliegen der Richtlinie, nämlich jegliche Störfälle möglichst zu vermeiden, genügt würde. Zum einen wurde der Transport gefährlicher Stoffe ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen (vgl. Art. 4), obwohl diese ebenfalls ein erhebliches Gefahrenpotential bieten und insoweit den von der Richtlinie erfassten Tätigkeiten in ihrem Risiko nicht nachstehen.57 Die Richtlinie dient mithin nicht der Risikominimierung in allen erdenklichen Konstellationen. Die Nichtanwendbarkeit der Richtlinie hat schließlich auch nicht zur Folge, dass ein Risiko unbewältigt bleibt. Vielmehr ist die Bewältigung dieser Risiken dann anderen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen oder dem nationalen Recht überlassen.58

___________ 57 58

Vgl. VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (599). Vgl. VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (599).

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(c) Zum anderen ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 S. 3 der Richtlinie, dass es sich bei den „wichtigen Verkehrswegen“ im Sinne der Richtlinie einzig um Schutzobjekte handelt. Es wird ein Abstand zwischen den Betrieben und gerade wichtigen Verkehrswegen gefordert. Diese Einschränkung auf wichtige Verkehrswege lässt sich nur erklären, wenn dadurch das Schutzbedürfnis zugunsten der Verkehrswege präzisiert werden soll. Der Begriff der Wichtigkeit stellt in einem positiven Sinne die Bedeutung, den funktionalen Wert eines Objekts heraus, beschreibt aber nicht in einem negativen Sinne die von diesem Gegenstand für Dritte ausgehende Gefahren. Die Wichtigkeit ist kein Risikomerkmal, sondern ein Schutzmerkmal. Dieses Verständnis ist auch deshalb angezeigt, da die Verkehrswege Teil der Aufzählung von Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebäuden und Gebieten, Freizeitgebieten und von – unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes – besonders wertvollen bzw. besonders empfindlichen Gebieten ist. All diese Gebiete sind von der Richtlinie ersichtlich als Schutzobjekte erfasst. Dies ergibt sich aus den jeweiligen Zusätzen (wertvoll, empfindlich etc.) sowie aus der Überlegung, dass keines der sonstigen Objekte überhaupt eine relevante Gefährdung eines Betriebs bewirken könnte. Die Norm nimmt damit eine klare Gegenüberstellung von den (gefährdenden) Betrieben im Sinne der Richtlinie einerseits und den oben aufgeführten Schutzobjekten andererseits vor. Sie zählt die wichtigen Verkehrswege zusammen mit den Schutzobjekten auf und stellt diese Aufzählung den Betrieben als Gefahrenquellen gegenüber. Da nicht ersichtlich ist, aus welchem Grund die zusammen mit den sonstigen Schutzobjekten den gefährdenden Betrieben gegenübergestellten Verkehrswege als einziges Objekt aus der Aufzählung als störender Faktor einzuordnen wäre, muss davon ausgegangen werden, dass die wichtigen Verkehrswege ebenfalls als Schutzobjekte anzusehen sind. Dieses Ergebnis wird auch durch den letzten Halbsatz der Norm bestätigt. Danach haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Abstände eingehalten und technische Maßnahmen der Anlagenbetreiber ergriffen werden, „damit es zu keiner Zunahme der Gefährdung der Bevölkerung kommt.“ Aus der Gegenüberstellung der Störfallanlagen und der schutzwürdigen Gebiete ergibt sich, dass mit dem Begriff der Bevölkerung die Bewohner bzw. Nutzer der umliegenden Gebiete gemeint sind.59 Dadurch wird nochmals klargestellt, dass Sinn und Zweck der Abstandsregelung und der ggf. zu ergreifenden Schutzmaßnahmen der Schutz der Bevölkerung der umliegenden Gebiete ist. (d) Dieser Schutz soll nach der Konzeption des Art. 12 Abs. 1 S. 3 sowie der gesamten Richtlinie mit zwei Mitteln erreicht werden, die miteinander korrespondieren: räumliche Trennung der ungefährlichen von den gefährlichen Flä___________ 59

Vgl. auch VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (600).

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chennutzungen einerseits und technische Maßnahmen des Betreibers andererseits.60 Hingegen soll der intendierte Schutz der Bevölkerung nicht durch die räumliche Trennung gefährlicher Nutzungen untereinander erreicht werden. (1) Dies zeigt unter anderem ein Blick auf Art. 8 der Richtlinie, der auf die Verhinderung eines sog. Domino-Effekts abzielt. Diese Gefahr eines DominoEffekts entsteht gerade aus der räumlichen Nähe von zwei oder mehreren Betrieben, wodurch ein Unfall in einem Betrieb Unfälle in den benachbarten Betrieben nach sich ziehen kann. Die Richtlinie zielt nun weder im Rahmen des Art. 8 noch an anderer Stelle darauf ab, dieses Nebeneinander gefährlicher Nutzungen zu verhindern. Für den Fall der räumlichen Nähe der Anlagen wird den Betreibern durch Art. 8 der Richtlinie einzig aufgegeben, sich über die Risiken auszutauschen und vor allem diesen externen Risiken bei der Aufstellung des eigenen Sicherheitskonzepts, Sicherungsberichts und internen Notfallplans angemessen Rechnung zu tragen. Lässt aber die Richtlinie ein Nebeneinander von gefährlichen Flächennutzungen zu, kann nicht argumentiert werden, dass durch die Richtlinie eine Trennung der Störfallbetriebe von gefährlichen Flächenbzw. Luftraumnutzungen erfolgen soll. Es ist allein dem Betreiber der Anlage aufzugeben, dass sein Sicherheitskonzept den externen Risiken Rechnung trägt. (2) Auch die Bezugnahme des Berücksichtigungsgebots nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie auf den Begriff des „schweren Unfalls“ in Art. 3 Nr. 5 lässt nicht die Störfallbetriebe um der Belegschaft Willen zum Schutzobjekt werden. Gegen eine solche Auslegung spricht zunächst – wie bereits angeführt – Art. 12 Abs. 1 Uabs. 2 letzter Hs., der ausdrücklich den Schutz der Bevölkerung der umliegenden Gebiete als (alleinigen) Schutzzweck des Art. 12 Abs. 1 normiert. Dieser Befund deckt sich auch mit der Regelung des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie, wonach die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Arbeitsumwelt, d.h. Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz gerade unberührt bleiben.61 Vor allem aber werden durch diese nach Wortlaut und Systematik gebotene Auslegung, Belegschaft und Besucher nicht schutzlos gestellt. Denn die Verpflichtung der Betreiber aus Art. 5 i.V.m. Art. 3 Nr. 5 der Richtlinie, Unfälle ohne Rücksicht darauf zu verhindern, ob sich die Unfallfolgen innerhalb oder außerhalb des Betriebs auswirken, bleibt unberührt.62 Der Betreiber ist somit im Ergebnis zur Abwendung von Schäden (auch) für die Belegschaft verpflichtet, ohne aus Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie ein subjektives Recht geltend machen zu können, bestimmte risikoerhöhende Flächennutzungen in der Nachbarschaft zu verhindern (vgl. z.B. Art. 8 der Richtlinie). ___________ 60 61 62

So nunmehr auch VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (599). Siehe auch VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (600). VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (599).

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Eine solche Auslegung ist auch mit dem Verursacherprinzip nach Art. 174 Abs. 2 S. 2 EG zu vereinbaren. Das Verursacherprinzip (engl. „the polluter shall pay“, franz. „le principe du polluer-payeur“) ist zunächst als Kostentragungsprinzip zur Internalisierung der externen Zusatzkosten zu verstehen. Derjenige, der eine Umweltbeeinträchtigung hervorruft, soll für diese zahlen, u.a. auch deshalb, um zur Verhinderung von Umweltbeeinträchtigungen ökonomisch anzureizen.63 Darüber hinaus wird aber auch mit Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH vertreten, dass es sich bei dem Verursacherprinzip – ebenso wie im deutschen Recht64 – um eine Regelung über die materielle Verantwortung des Verursachers für den Umweltschutz handelt.65 Durch das Verursacherprinzip werden somit nicht nur Maßnahmen gerechtfertigt, die dem Verursacher die Kosten für bereits eingetretene Umweltverschmutzungen auferlegen. Zulässig sind auch direkte rechtliche Vorgaben, die umweltbelastende Tätigkeiten einschränken bzw. kostenträchtige Verhaltensänderungen des Verursachers zur Folge haben.66 Insbesondere ist unerheblich, ob das Verhalten des Verursachers legal oder illegal erfolgt.67 Verursacher in diesem Sinne ist, „wer die Umwelt direkt oder indirekt belastet oder eine Bedingung für die Umweltbelastung setzt.“68 Zurechnungsgrund ist mithin irgendein kausalitätsbegründender Beitrag im Sinne der Äquivalenztheorie. Es ist somit ausreichend, wenn das Verhalten des in Anspruch Genommenen eine „conditio sine qua non“ für die eingetretenen Beeinträchtigungen dargestellt hat oder im Falle zu verhindernder Beeinträchtigungen darstellen würde.69 Vor diesem Hintergrund würde eine Belastung der Betreiber mit den Kosten für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen aufgrund der Gefahren für die Umgebung durch absturzbedingte Störfälle nicht gegen das Verursacherprinzip ver___________ 63 Callies, in: ders./Ruffert, EUV/EGV, 2. Aufl. 2002, Art. 174 EGV RN 35; Krämer, in: von der Groeben/Schwarze, Bd. III, 6. Aufl. 2003, EGV, Art. 174 EGV RN 51. 64 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2005, § 4 RN 42; Defls, ZUR 1999, 319 (323); Kluth, Jura 1991, 295. 65 Callies, in: ders./Ruffert, EUV/EGV, 2. Aufl. 2002, Art. 174 EGV RN 35; Schwarze, EU-Kommentar, 2002, Art. 174 EGV RN 21; Epiney, Umweltrecht in der europäischen Union, 2005, S. 103 f.; Kahl, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 174 EGV RN 83 mit Hinweis auf EuGH, Rs.293/97, Standley, Slg.1999, I-2603 RN 51; mit einem restriktiven Verständnis hingegen Krämer, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Bd. III, 6. Aufl. 2003, Art. 174 EGV RN 50. 66 Callies, in: ders./Ruffert, EUV/EGV, 2. Aufl. 2002, Art. 174 EGV RN 35; Schwarze, EU-Kommentar, 2002, Art. 174 EGV RN 21; Kahl, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 174 EGV RN 83; Epiney, Umweltrecht in der europäischen Union, S. 103 f. 67 Callies, in: ders./Ruffert, EUV/EGV, 2. Aufl. 2002, Art. 174 EGV RN 35; Kahl, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 174 EGV RN 81; Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, S. 103 f. 68 1. Aktionsprogramm der Gemeinschaft, ABl. 1973, C.112/1 (6). 69 Kahl, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 174 EGV RN 81; Callies, in: ders./Ruffert, EUV/EGV, 2. Aufl. 2002, Art. 174 EGV RN 34.

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stoßen, da das Betreiben der Anlage einen geeigneten Anknüpfungspunkt im Sinne der Äquivalenztheorie darstellt. Auch soweit man sich nicht auf dieses weite Verständnis der Verursachung stützt, sondern zusätzlich Verhältnismäßigkeitserwägungen fordern wollte, ergibt sich keine andere Sichtweise. Die Anlagenbetreiber trifft nicht lediglich eine untergeordnete Verantwortlichkeit, innerhalb einer weitreichenden Kausalkette mit gegenüber dem eigenen deutlich schwerwiegenderen Verursachungsbeiträgen. Zwar wären zusätzliche Sicherheitsanstrengungen ohne die durch das Luftfahrt-Bundesamt erfolgende Festlegung der Flugverfahren nicht erforderlich. Allerdings ist der Schutz der Umgebung erst aufgrund der durch die Betreiber gesetzten Risiken überhaupt erforderlich und nicht erst aufgrund des letztlich dem Gemeinwohl dienenden Luftverkehrs. Es kann mithin nicht als unverhältnismäßig gelten, die Betreiber in Anspruch zu nehmen, da diese den wirtschaftlichen Nutzen aus dem Umgang mit gefährlichen Stoffen ziehen.70 Art. 12 Abs. 1 der Seveso II-Richtlinie erfasst mithin die Störfallbetriebe nicht als Schutzobjekte. Der Schutz der Umgebung und auch der Belegschaft soll durch technische Maßnahmen des Betreibers und durch räumliche Trennung von gefährlichen und ungefährlichen Flächennutzungen erfolgen, nicht aber durch räumliche Trennung von gefährlichen Flächennutzungen untereinander. e) Flugverfahren keine wichtigen Verkehrswege i.S.d. Richtlinie Sind damit die Störfallbetriebe nicht Schutzobjekt der Richtlinie, so hat auch das schon begründete Ergebnis der Auslegung aus dem Wortlaut, der Systematik und der Entstehungsgeschichte des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie Bestand: Die Norm regelt einzig die Zuordnung von Flächennutzungen. Die Besonderheiten der Flugroutenplanung, insbesondere deren fehlender Flächenbezug und Unmöglichkeit der räumlichen Abgrenzung, schließen es mithin aus, Flugverfahren als Verkehrswege und die Festlegung von Flugverfahren als Politik der Flächenausweisung, Flächennutzung oder anderer einschlägige Politik im Sinne des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie anzusehen.71 Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass sich aus der Seveso II-Richtlinie keine Vorgaben für die Berücksichtigung des absturzinduzierten Störfallrisikos im Rahmen der Abwägungsentscheidung ergeben.72 ___________ 70

Vgl. VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (599). Vgl. VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (600). 72 So VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (600); das Gericht prüft gleichwohl – im Sinne einer Hilfserwägung –, ob bei Anwendbarkeit der Seveso II-Richtlinie die Flugroutenfestlegung richtlinienwidrig wäre (was das Gericht verneint). Diese an sich überflüssige 71

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VIII. Abstandsgebot aus § 29 Abs. 1 S. 1 LuftVG Darzulegen ist daher abschließend, ob sich § 29 Abs. 1 LuftVG die Pflicht zur Berücksichtigung der Absturzrisiken bei der Festlegung von Flugverfahren entnehmen lässt. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts dürften aufgrund des § 29 Abs. 1 S. 1 LuftVG „die Luftfahrtbehörden bei der Abwehr von ,Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs‘ nicht aus den Augen verlieren, dass Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch ,durch die Luftfahrt‘ drohen können“.73 Fraglich ist nun, ob daraus unmittelbar auf eine Pflicht zur Berücksichtigung von Absturzrisiken für Störfallbetriebe geschlossen werden kann. Dies würde voraussetzen, dass der § 29 Abs. 1 S. 1 LuftVG nach der Systematik von LuftVG und LuftVO bei der Festlegung von Flugverfahren überhaupt anwendbar ist und vor allem seinem Tatbestand nach Absturzrisiken im Rahmen des normalen Flugbetriebs für Seveso II-Betriebe auch tatsächlich erfasst. 1. Spezialität des § 11 LuftVO? Gegen eine Berücksichtigung von Absturzrisiken bei der Festlegung von Flugverfahren könnte zunächst der systematische Bezug zu § 11 LuftVO mit seiner Regelung über Luftsperrgebiete und Flugbeschränkungen sprechen.74 § 11 LuftVO ermächtigt das Bundesverkehrsministerium zur Festlegung von Luftsperrgebieten und Gebieten mit Flugbeschränkungen zur Abwehr von (abstrakten) Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere aber eben auch für die Sicherheit am Boden vor dem Luftverkehr. Luftsperrgebiete dürfen nicht durchflogen werden. Gebiete mit Beschränkungen dürfen nur im Rahmen der Beschränkungen oder nach Freigabe der Flugsicherung durchflogen werden. Fraglich ist also, ob § 11 LuftVO – wofür vieles spricht75 – abschließend die Berücksichtigung von Störfallrisiken normiert, so dass in anderen Verfahren eine Berücksichtigung dieser Risiken ausgeschlossen würde. Unter Zugrundelegung der Ansicht des VGH Kassel ist dies jedoch anders.76 Zwar ergäben sich nach Auffassung des Gerichts aus § 11 LuftVO sicherlich ___________ Prüfung dient offenkundig dazu, die Vorlagepflicht zum EuGH (wegen fehlender Entscheidungsrelevanz) zu vermeiden. 73 BVerwG, NVwZ 2004, 1229 (1231) = BVerwGE 121, 152 (159). 74 Hermanns/Hönig, NWVBl. 2006, 1 (9 f.). 75 Rechtsgutachten Kloepfer, S. 86 ff. 76 VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (603).

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Grenzen für den planerischen Gestaltungsspielraum des Luftfahrt-Bundesamtes. Es sei allerdings nicht ersichtlich, dass Sachverhalte, die Maßnahmen nach § 11 LuftVO rechtfertigen könnten, nicht auch bei den Entscheidungen des Luftfahrt-Bundesamtes berücksichtigt werden dürften.77 Nach Auffassung des Gerichts besteht insoweit bereits keine Kongruenz der Regelungsgegenstände.78 Während Luftsperrgebiete nur nach ausdrücklicher Zulassung durchflogen werden dürften, ließe die Festsetzung von Flugverfahren einzelne Überflüge über ein bestimmtes Gebiet grundsätzlich zu. Gegenüber der Festlegung eines Sperrgebiets erwiese sich insoweit die Festsetzung von Flugrouten als flexiblere Lösung. So könne ein Gebiet von Flugverkehr entlastet werden, ohne dass, wegen der zulässigen Abweichungen von der Normallinie, ein striktes Verbot verhängt würde.79 Die Möglichkeit zur Festlegung von Sperrgebieten und Gebieten mit Beschränkungen des Luftverkehrs nach § 11 LuftVO schließe es (nach Auffassung des VGH) damit im Ergebnis nicht aus, diese Risiken auch im Rahmen der Festlegung von Flugverfahren zu berücksichtigen. Diese Auffassung erscheint noch vertretbar, wenn gewiss auch nicht zwingend. 2. § 29 Abs. 1 S. 1 LuftVG Maßgeblich ist daher, ob Absturzrisiken für Betriebe im Sinne der Seveso IIRichtlinie unter die sicherheitsrechtliche Generalklausel des § 29 Abs. 1 S. 1 LuftVG gefasst werden können. Erforderlich wäre, dass das absturzinduzierte Störfallrisiko sich als Gefahr im Sinne des § 29 Abs. 1 S. 1 LuftVG darstellen würde. Eine Gefahr liegt nach allgemeinen Grundsätzen nur vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zukunft zu einer Schädigung eines polizeilich geschützten Rechtsguts führen wird.80 Zwar sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit und zeitliche Nähe des Schadenseintritts umso geringer, je größer die Bedeutung des Schutzgutes ist. Allerdings sind die Absturzrisiken (absturzinduzierte Störfallhäufigkeit) selbst bei einem Überfliegen in relativ niedriger Höhe regelmäßig derart gering, dass die Gefahrenschwelle bei weitem nicht erreicht wird. Es liegt zwar ein gewisses Risiko vor, aber keine Gefahr im Sinne der polizeilichen Generalklausel. Damit kommt § 29 Abs. 1 ___________ 77

Vgl. VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (603). Vgl. VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (603). 79 VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (603). 80 Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, Kap. E RN. 39 m.w.N. 78

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S. 1 LuftVG als Grundlage für derartige Erwägungen – bei die Gefahrengrenze nicht überschreitenden Flugroutenfestlegungen – nicht in Betracht. Anderer Auffassung ist der VGH Kassel81: Man könne aus der fehlenden Gefahr nicht folgern, dass das absturzinduzierte Störfallrisiko unterhalb der Gefahrenschwelle als Belang im Rahmen der zu treffenden Abwägungsentscheidung keinerlei Berücksichtigung bedürfe. Denn wenn bei der Festlegung von Flugverfahren in einem zumindest planungsähnlichen Verfahren generell Gefahren für Flächennutzungen zu berücksichtigen sind, habe man es als „rechtsstaatlich unabdingbar geboten“ anzusehen, bei der gebotenen Abwägung auch Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle zu berücksichtigen.82 Denn zwischen Risiken und Gefahren bestehe insoweit lediglich ein gradueller, jedoch kein struktureller Unterschied.83 Risiken seien freilich dann nicht mehr zu berücksichtigen, wenn sie sich nach Lage der Dinge von vornherein als so gering einstufen lassen, dass sie keinerlei Abwägungserheblichkeit erreichen. Jedenfalls Risiken, die sich – ausgehend von der Begriffstrias Gefahr, Risiko, Restrisiko – dem Restrisiko zuordnen ließen, seien mithin nicht in die Abwägung einzustellen. Überstiegen die Risiken dieses Maß und blieben unter der Gefahrenschwelle, so sei je nach Betroffenheit dieses Belangs eine entsprechende Gewichtung des Belangs vorzunehmen. Diese Auffassung überzeugt nicht, weil sie verkennt, dass das Vorliegen einer Gefahr, die Gefahrengrenze, eine substantielle Grenze des deutschen Sicherheitsrechts darstellt und der eindeutige Wortlaut des § 29 Abs. 1 S. 1 LuftVG nicht einfach überspielt werden darf. Letztlich bleibt diese Meinungsverschiedenheit freilich ohne Konsequenz, weil der VGH Kassel bei der Prüfung der Abwägung zum Ergebnis kommt, dass die Abwägung weder vom Ergebnis noch vom Abwägungsvorgang zu beanstanden sei. Offensichtlich soll diese – inhaltlich überflüssige und nur sehr kursorisch begründete – Erwägung die Entscheidung „revisionssicher“ machen.

IX. Fazit Im Falle des eingangs geschilderten Rechtsstreits zwischen der Ticona GmbH und dem Luftfahrt-Bundesamtes kam das Gericht letztlich zu dem Ergebnis, dass das absturzinduzierte Störfallrisiko zwar im Rahmen des rechtsstaatlich unabdingbar gebotenen Maß an Abwägungsvorgängen zu berücksich___________ 81 82 83

VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (603). Vgl. VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (603). Vgl. VGH Kassel, NVwZ 2007, 597 (603).

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tigen sei, jedoch im konkreten Fall – bezüglich der neuen Startbahn – vor allem hinter die Lärmschutzbelange der betroffenen Bevölkerung zurückträte. Als Ergebnis vorstehender Ausführungen kann danach festgehalten werden: Auch wenn die Seveso II-Richtlinie die Berücksichtigung des absturzinduzierten Störfallrisikos nicht verlangt, können diese Risiken im Rahmen der Flugroutenfestlegung – nach Auffassung des VGH – nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Im Einzelfall kann und wird dieser Belang jedoch zu Gunsten anderer Belange, insbesondere zugunsten des Lärmschutzes zurückzutreten haben. In einem solchen Fall trifft den Betreiber der Störfallanlage die Verpflichtung, entsprechende Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen. Diese Verteilung ist auch aus ökonomischer Perspektive angemessen, da der Betreiber den wirtschaftlichen Nutzen aus der Verarbeitung gefährlicher Stoffe zieht. Dies um so mehr, als es bei realistischer Betrachtung im geschilderten Fall vielleicht doch weniger um das grundsätzliche Problem Absturzrisiko kontra freie Luftfahrt ging als vielmehr auch ein Abfindungs- bzw. Kaufpreispoker mit schwerer juristischer Artillerie. Für die Insider nicht völlig überraschend, ist inzwischen bekannt geworden, dass die Fraport AG ihre Widersacherin Ticona GmbH mit einer großen Abfindung zur Standortverlagerung bewegen will. Im Zweifel hat nun das Unterliegen der Ticona GmbH im Rechtsstreit die Abfindungshöhe bzw. den Kaufpreis erheblich gedrückt. Jedenfalls dürfte der Ausgang des Prozesses die Verkaufsbereitschaft der Ticona GmbH erheblich befördert haben.

Raumordnung und Flughafenplanung Von Alexander Jannasch 1.1 Vor einem Jahr und damit während der 8. Speyerer Planungsrechtstage 2006 hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts das Urteil zum Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld beraten und am 16. März 2006 verkündet1. Kernpunkt meines Referats sind Aussagen in diesem Urteil zum Stellenwert von Raumordnung und Landesplanung bei der Standortentscheidung für einen Flughafen und ihr Verhältnis zur luftverkehrsrechtlichen Fachplanung. Sie sind für die luftverkehrsrechtliche Planung, aber auch für das allgemeine übergreifende Planungsrecht von besonderem Interesse. Der Titel „Raumordnung und Flughafenplanung“ ist natürlich plakativ verkürzt und genügt vielleicht nicht den Anforderungen an die wissenschaftliche Genauigkeit. So wird stets von Raumordnung und Landesplanung gesprochen und damit unter anderem die Aufteilung der Kompetenzen im Bundesstaat angesprochen. Das Wort Flughafenplanung nimmt ebenfalls auf unterschiedliche Ebenen Bezug. Zum einen ist damit eine übergeordnete fachliche Standortplanung angesprochen. Zum anderen bezieht sich der Begriff auf die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung sowie die luftverkehrsrechtliche Genehmigung einschließlich einer Betriebsgenehmigung. Eine derartige Genehmigung – genauer eine Änderung der Genehmigung – war beispielsweise Gegenstand des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. April 2005 zur Regelung des Nachtflugs beim Flughafen München.2 1.2 In meinem Referat werde ich mich auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beziehen, das in den letzten Jahren mit zahlreichen Verfahren aus dem Luftverkehrsrecht befasst war. Es sollen aber auch einige Aspekte weiter vertieft werden. Dabei soll ein Blick nach Europa nicht fehlen. Bis Ende 2006 erstreckte sich nach dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ___________ 1

BVerwG 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 – Entscheidungen des BVerwG sind auch über www.bverwg.de abrufbar. 2 BVerwG 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261.

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auch auf die Flughäfen in den neuen Ländern.3 Nach dem seither geltenden Recht ist dies nicht mehr der Fall.4 Flughäfen gehören nicht mehr zu den Projekten, für die eine derartige erstinstanzliche Zuständigkeit eines obersten Bundesgerichts, das ja in erster Linie als Revisionsgericht tätig zu sein hat, besteht. 1.3 In vorangegangenen Beiträgen ist der Eindruck erweckt worden, in den drei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur geänderten Nachtflugregelung für den Flughafen München,5 zum Ausbau des Flughafens BerlinSchönefeld6 und zum Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle7 würden unterschiedliche Rechtsgrundsätze aufgestellt, die man gleichsam gegeneinander ausspielen könne. Miteinander im Widerspruch stehende rechtliche Aussagen vermag ich demgegenüber nicht zu erkennen. Allerdings ist bei einer sorgfältigen Würdigung, die nicht Aufgabe dieses Referats ist, zu beachten, dass in den beiden erstinstanzlich zu entscheidenden Verfahren beispielsweise hinsichtlich des Nachtflugbetriebs sehr unterschiedliche Sachverhalte zu würdigen waren. Beim Flughafen Berlin-Schönefeld ist das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Planfeststellungsbehörde keinen standortspezifischen Nachtflugbedarf aufgezeigt hat, der im Unterschied zur Mehrzahl der anderen deutschen Flughäfen einen unbeschränkten Nachtflugbetrieb zu rechtfertigen geeignet wäre.8 Dem Planfeststellungsbeschluss zum Flughafen Leipzig/Halle lag demgegenüber ein gänzlich anderes Konzept zugrunde.9 Im Verfahren zum Flughafen München wiederum war das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsinstanz tätig und somit an die Feststellungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gebunden. Inzwischen hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nach der Zurückverweisung durch das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 28. September 200610 als Tatsacheninstanz eine neue Würdigung insbesondere des Bedarfs vorgenommen. Die gegen dieses Urteil erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. Februar 2007 zurückgewiesen.11 Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht auch das Problem, dass die großen europäischen Flug___________ 3

Vgl. hierzu eingehend Paetow, Erstinstanzliche Verfahren vor dem BVerwG, NVwZ 2007, 36. 4 Gesetz zur Beschleunigung von Planungsvorhaben für Infrastrukturvorhaben vom 9.12.2006, BGBl I, 2833; hierzu Otto, Das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, NVwZ 2007, 379. 5 Urt. vom 20.4.2005 – BVerwG 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261. 6 Urt. vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116. 7 Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 – zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen. 8 Urt. vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116, Rn 271. 9 Urt. vom 9.11.2006 – 4 A 2001.06 –. 10 VGH 8 A 05.40032 u.a. 11 BVerwG 4 B 2.07 – NVwZ 2007, 594.

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häfen miteinander in Konkurrenz stehen, nicht übersehen. Es ist indes davon ausgegangen, dass auf nahezu allen deutschen Flughäfen unter Einschluss der beiden Großflughäfen Frankfurt/Main und München der Flugverkehr während der gesamten Nachtzeit oder wenigstens in den Kernstunden der Nacht (0:00 bis 5:00 Uhr) Start- oder Landebeschränkungen unterliegt und dies auch im europäischen Ausland die Regel ist.12 Selbst internationale Drehkreuze wie London-Heathrow und Amsterdam machen in diesem Punkt keine Ausnahme.13 2. Flughäfen sind Bestandteil der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur. Sie werden in einer privatrechtlichen Organisationsform betrieben. Allerdings sichern sich die Bundesrepublik Deutschland, die Länder und zum Teil Landkreise und Gemeinden ihren Einfluss auf die Entscheidungen der privatrechtlich organisierten Betreibergesellschaften durch entsprechende Gesellschaftsanteile.14 Begrifflich kann man von Organisationsprivatisierung im Gegensatz zur Kapitalprivatisierung sprechen. Dem Flughafenkonzept der Bundesregierung vom 30. August 200015 kann entnommen werden, dass der Bund an den Flughafenbetreibergesellschaften in Berlin, Frankfurt, München und Köln/ Bonn beteiligt ist. Der so genannte Konsensbeschluss aus dem Jahre 1995 zum Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld, an dem der Bundesverkehrsminister Wissmann, der Regierende Bürgermeister Diepgen sowie der Ministerpräsident Stolpe mitgewirkt haben und der in der Diskussion um diesen Flughafen bis in die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht immer wieder angesprochen wurde,16 ist im Rechtssinn ein Entschluss im Rahmen der Meinungsbildung des Betreibers gewesen. An der Flughafengesellschaft Leipzig/Halle sind beispielsweise die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt, die beiden namensgebenden Städte sowie weitere kommunale Träger beteiligt. 3. Die Flughafenbetreiber stehen in einem mehrfachen Wettbewerb. Zum einen befinden sie sich als Anbieter von Flughafenleistungen in einem bundesund europaweiten, teilweise auch weltweiten Wettbewerb.17 Zum anderen geht es den betroffenen Regionen – dieser Begriff wird hier ganz allgemein verwendet – um die Sicherung und Förderung ihrer Wirtschaftsinteressen. Das hohe Gewicht, das in den Abwägungsentscheidungen für die Errichtung, Erweite___________ 12 Zu den Besonderheiten bei einem nach § 71 Abs. 2 LuftVG fiktiv planfestgestellten Flughafen siehe ferner das Urt. vom 21.9.2006 – BVerwG 4 C 4.05 – BVerwGE 126, 340 (Köln/Bonn). 13 Urt. vom 16.3.2006 – Rn 270. 14 Das Verhältnis zum Wettbewerbsrecht behandeln Dolde/Porsch, Öffentliche Finanzierung von Infrastrukturanlagen und europäisches Wettbewerbsrecht – dargestellt am Beispiel von Flugplätzen, ZLW 2004, 3. 15 Zu finden unter www.bmvbs.de. 16 Im Urteil BVerwG 4 A 1075.04 Rn 5. 17 BVerwG, Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261, 272.

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rung oder Erhaltung von Flughafeninfrastruktur angeführt wird, ist nicht das wirtschaftliche Interesse einer Betreibergesellschaft an einer auskömmlichen Rendite. Vielmehr geht es im Wesentlichen um das öffentliche Interesse an funktionsfähigen Verkehrseinrichtungen.18 4. Die Situation ist, wie der 4. Senat in seinem Urteil zur Nachtflugregelung am Flughafen München hervorhebt, ferner dadurch gekennzeichnet, dass weder auf europäischer noch nationaler Ebene eine rechtsverbindliche Flughafennetzund Bedarfsplanung existiert, die auftretende Kapazitäts- und Verteilungsprobleme auf der Grundlage einer luftverkehrspolitischen Gesamtkonzeption löst und einen „Verteilungskampf“ der Flughafenbetreiber in geordnete Bahnen lenkt19. Dies soll im Folgenden näher beleuchtet werden. 5. Die Sache sowie die Tradition der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer gebieten es, einen ersten Blick auf die europäische Rechtsordnung zu werfen. 5.1 Das Luftverkehrsrecht im Allgemeinen und das Recht der Planung, Errichtung und Erweiterung sowie des Betriebs von Flughäfen im Besonderen werden von zahlreichen Normen und Entscheidungen des Europarechts beeinflusst.20 Hier kann nur stichwortartig in Erinnerung gerufen werden: Das Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung bestimmt das Verwaltungsverfahren. Der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts war erst kürzlich im Urteil vom 7. Dezember 2006 zur CCT-Werft am Flughafen Frankfurt mit Einzelfragen der UVP-Pflicht befasst.21 Dabei ging es auch um die Klagebefugnis von Naturschutzverbänden. Dies ist zwar ein Thema, das Herrn Ziekow besonders interessiert,22 in diesem Zusammenhang aber ebenso wenig zu vertiefen ist wie die Kaskade von der Aarhus-Konvention über die Richtlinie der EG zum Umweltrechtsbehelfsgesetz.23 Die Regelungen des europäischen Naturschutzrechts einschließlich derjenigen zum Artenschutz können einem Vorhaben entgegenste___________ 18 Zu den Besonderheiten bei einem Sonderflugplatz, der einem Flugzeugwerk dient – Airbus Hamburg-Finkenwerder – s. das nach dem Referat ergangene Urt. vom 26.4.2007 – BVerwG 4 C 12.05 – zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen. 19 Urt. vom 20.4.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261, 272. 20 Jannasch, in: Bergmann/Kenntner (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 487 ff.; Schladebach, Europäisches Luftverkehrsrecht: Entwicklungsstand und Perspektiven, EuR 2006, 773. 21 Urt. vom 7.12.2006 – BVerwG 4 C 16.04 – zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen – CCT-Werft am Flughafen Frankfurt. 22 Vgl. beispielsweise Ziekow, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, in: ders. (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Luftverkehrs-, Fachplanungs- und Naturschutzrechts, 2006, S. 285 ff. 23 Vgl. hierzu den Beitrag von Ewer in diesem Band.

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hen. Auch das Wasserrecht einschließlich der Wasserrahmenrichtlinie mag zu beachten sein. Über den Einfluss der Seveso II-Richtlinie hat Herr Kloepfer referiert.24 Der Luftverkehr trägt in erheblichem Maß zum CO2-Ausstoß bei; auch auf dieses aktuelle Thema kann hier nicht weiter eingegangen werden. Die Auseinandersetzungen zwischen dem für die Umwelt zuständigen Kommissar und demjenigen, der sich für die Industrie einsetzt, erinnern allerdings daran, dass das Ressortdenken und das von Frido Wagener hervorgehobene Phänomen der Fachbruderschaften bei den Entscheidungsprozessen auf europäischer Ebene bis in die parlamentarischen Gremien hinein ein ganz besonderes Problem darstellt.25 Speziell den Luftverkehr betreffen mehrere Richtlinien, die die EG im Rahmen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) erlassen hat und die in erster Linie die Reduzierung des Triebwerklärms zum Ziel haben und damit den Lärm an der Quelle bekämpfen. Einen Kompromiss mit den Vereinigten Staaten stellt die Richtlinie über Betriebsbeschränkungen dar.26 Ihre Entstehungsgeschichte wird bei der Auslegung und Anwendung nicht außer Betracht bleiben dürfen. Von großer Bedeutung für den Luftverkehr sind die Richtlinien, die in einem dritten Pakt zum 1. Januar 1993 die Liberalisierung des Luftverkehrs herbeigeführt haben. Danach dürfen die Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft Verkehrsrechte auf den Strecken der Gemeinschaft ausüben. Nach einer Übergangszeit bis 1997 sind davon auch die reinen Inlandsflüge (sog. Kabotage) betroffen.27 Die alten staatsnahen Luftverkehrsunternehmen haben erhebliche Konkurrenz bekommen und bieten nun selbst – beispielsweise über das Internet – Tickets zu Preisen an, die früher unvorstellbar waren. Der Versuch von Mitgliedstaaten, ausländische Fluggesellschaften innerhalb eines Flughafensystems zu diskriminieren, ist unter anderem vom Europäischen Gerichtshof in seinem den nordwestlich von Mailand liegenden neuen Flughafen Malpensa betreffenden Urteil vom 18. Januar 200128 zurückgewiesen worden. Die für die Rechte der Fluggesellschaften wichtigste Richtlinie, Richtlinie 2408/92 begründet nach der Auffassung der Europäischen Kommission, die mir überzeugend erscheint, allerdings keine Rechte für Flughäfen. Hierzu hatte der klagende Flughafen Zürich vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg und ___________ 24

Vgl. den Beitrag von Kloepfer in diesem Band. Vgl. auch Jannasch (Fußn. 20), S. 479. 26 Richtlinie 2002/30/EG vom 26.3.2002, ABl. EG Nr. L 85 S. 40; zur Umsetzung vgl. die Achte Verordnung zur Änderung der Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 4.4.2005, BGBl I S. 992. 27 Gegenwärtig finden ferner Verhandlungen zwischen der EU und den USA mit dem Ziel eines „Open-Sky-Abkommens“ statt. Vgl. www.bmvbs.de. 28 Rs. C-361/98, Slg. 2001 I-385. 25

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dem Bundesverwaltungsgericht eine andere Auffassung vertreten.29 Hierzu ist zu erläutern, dass die Anwendbarkeit des Richtlinienrechts auf die Schweiz durch ein Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Luftverkehr erstreckt worden ist. 5.2 Nach Art. 154 Abs. 1 EU trägt die Gemeinschaft zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Netze in den Bereichen der Verkehrs- Telekommunikationsund Energieinfrastruktur bei. Zur Erreichung der in Art. 154 EU genannten Ziele stellt die Gemeinschaft Leitlinien auf, in denen Vorhaben von gemeinsamem Interesse ausgewiesen werden. Diese kann sie in näher geregelter Weise finanziell unterstützen (Art. 155 Abs. 1 EU). Ferner kann die Kommission in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten alle Initiativen ergreifen, die dieser Koordinierung nützlich sind.30 Auf dieser Grundlage sind die Entscheidungen Nr. 1692/96/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes31, geändert durch die Entscheidung Nr. 884/2004/EG vom 29. April 200432 ergangen. Nach Art. 3 Abs. 2 dieser Leitlinie umfasst die Verkehrsinfrastruktur Straßen-, Eisenbahn- und Binnenwasserstraßennetze, Meeresautobahnen, See- und Binnenhäfen, Flughäfen sowie andere verkehrsträgerübergreifende Knotenpunkte. Nach Art. 4 der Richtlinie stellt sie Netzpläne auf und schreibt sie fort. Bei Flughäfen werden nach Art. 13 die internationalen Netzpunkte, die Gemeinschaftsnetzpunkte sowie die regionalen Netzpunkte und die Zugangspunkte unterschieden. Die Auswahlkriterien werden in Abschnitt 6 des Anhangs II näher dargestellt. Danach sind für die Zuordnung die Passagierbewegungen oder Flugbewegungen maßgeblich. Diese Kriterien enthalten noch keine planerischen Entscheidungen; vielmehr wird an den jeweils vorhandenen Bestand angeknüpft. In einem weiteren Schritt werden die Spezifikationen für Vorhaben von gemeinsamem Interesse aufgeführt. Danach können für bestimmte dort näher aufgeführte Maßnahmen Finanzmittel der Gemeinschaft bereitgestellt werden. In einer neueren Informationsschrift erläutert die Kommission hierzu, welche Finanzierungsmöglichkeiten bestehen. Besonderen Wert legt sie bei linienförmigen Infrastrukturmaßnahmen ersichtlich auf grenzüberschreitende Verbindungen, die nach ihrer Auffassung in den Mitgliedstaaten nicht immer die aus europäischer Sicht gebotene Priorität erhalten. In die Liste der „vorrangi___________ 29

Vgl. BVerwG, Beschl. vom 4.5.2005 – 4 C 6.04 – BVerwGE 123, 322, 343. Vgl. hierzu Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 518 ff.; Wahl, Einige Grundprobleme im Europäischen Raumplanungsrecht, in: Planung. Festschrift für Werner Hoppe, 2000, S. 912, 922. 31 ABl. EG Nr. L 228 vom 9.9.1996, S. 1. 32 Entscheidung Nr. 884/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004, ABl. EG Nr. L 167 vom 30.4.2004 S. 1. 30

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gen Achsen und Projekte 2005“, mit denen nach Anhang III vor 2010 begonnen werden soll, sind soweit ersichtlich der (inzwischen fertig gestellte) Mailänder Flughafen Malpensa sowie der neue Lissaboner Flughafen Ota aufgenommen worden. In der Rechtsprechung der deutschen Gerichte zur Planfeststellung von Eisenbahn- und Straßenverbindungen hat der Umstand, dass ein Vorhaben Teil des transeuropäischen Netzes ist, ergänzendes argumentatives Gewicht erhalten. So haben der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts bei der Wiederertüchtigung der Anhalter Bahn in Berlin33 und der 4. Senat u.a. beim Neubau der Autobahn A 7134 (Erfurt-Schweinfurt) darauf hingewiesen, dass es sich jeweils um ein Ausbauvorhaben im Rahmen der transeuropäischen Netze handelt. Es wird jedoch deutlich, dass bei Flughäfen jedenfalls nach gegenwärtigem Stand des Gemeinschaftsrechts nicht von einer übergeordneten Entscheidung gesprochen werden kann, mit der planerische Prioritäten vorgenommen würden. Im Rechtssinne handelt es sich weder um eine die Mitgliedstaaten bindende fachliche Netzplanung noch gar um zusammenfassende, übergeordnete Raumordnung. Vielmehr kann man die Regelungen als Instrumentarium einordnen, das der Vorbereitung und Rationalisierung der Verteilung von Finanzmitteln zur Unterstützung der Mitgliedstaaten dient. Man sollte derartige Instrumentarien in ihrer Wirkung allerdings nicht unterschätzen. Auch in Deutschland hat Raumordnung und Landesplanung insbesondere in der Frühzeit mit dem Goldenen Zügel viel erreicht. Insofern könnte man von einer europäischen Planung im Werden sprechen, die die für das europäische Recht typischerweise zu beobachtende Dynamik entfalten wird. Die weitere Entwicklung europäischer Planungen wird mit Interesse zu beobachten sein. Gegenwärtig stellt die Europäische Kommission einen Aktionsplan für Kapazität, Effizienz und Sicherheit von Flughäfen in Europa auf. Damit soll den zu erwartenden Kapazitätsengpässen entgegengewirkt werden.35 5.3 Als Besonderheit soll noch die Konstellation beim Flughafen Zürich erwähnt werden, mit der das Bundesverwaltungsgericht befasst war.36 Der klagende Flughafen hatte dahingehend argumentiert, deutsche Stellen dürften ihn nicht schlechter behandeln, als beispielsweise den mit ihm in unmittelbarer ___________ 33 Urt. vom 24.9.2003 – BVerwG 9 A 69.02 – Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 39. 34 Urt. vom 11.1.2001 – 4 A 13.99 – Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 16 = BRS 64 Nr. 19. 35 http://ec.europa.eu/transport/air_portal/airports/doc/2006_communicaton_action_ plan_de.pdf. 36 Beschl. vom 4.5.2005 – BVerwG 4 C 6.04 – BVerwGE 123, 322, 327.

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Konkurrenz stehenden Flughafen München. Ein Recht auf eine derartige Gleichbehandlung lässt sich indes nicht begründen. Es besteht ohnehin kein Anspruch eines Flughafens auf die Benutzung bestimmter Flugrouten während der gesamten Betriebszeit. Im Übrigen hat das Luftfahrt-Bundesamt, das über die Flugrouten und Flugverfahren entscheidet, keinen Einfluss auf die Landesplanung und Siedlungsentwicklung im Ausland. Im Hinblick auf die vorangegangenen Beiträge sei noch darauf hingewiesen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht im genannten Urteil auch näher mit den Grundrechtspositionen eines Flughafenbetreibers sowie einer Fluggesellschaft auseinandergesetzt hat.37 6. Als nächstes ist die Ebene des Bundes zu beleuchten. 6.1 Die Änderung des Grundgesetzes im Rahmen der Föderalismusreform hat bekanntlich auch hinsichtlich der Raumordnung zu Änderungen bei der Gesetzgebungszuständigkeit geführt. Während das Recht der Raumordnung früher im Katalog der Rahmengesetzgebung zu finden war, besteht jetzt eine Befugnis des Bundes zur konkurrierenden Gesetzgebung und eine Befugnis der Länder zur Abweichung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG i.V.m. Art. 72 Abs. 3 Nr. 4 GG). Eine Auseinandersetzung mit den daraus resultierenden und zurzeit in der Literatur heftig diskutierten verfassungsrechtlichen Fragen kann hier nicht geleistet werden.38 Für das Luftverkehrsrecht besteht weiterhin eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG). Nach Art. 87d Abs. 1 GG wird die Luftverkehrsverwaltung in bundeseigener Verwaltung geführt. Ein Beispiel hierfür ist das Luftfahrt-Bundesamt, das unter anderem über Flugrouten und Flugverfahren zu entscheiden hat. Auf die nach Art. 87d Abs. 1 Satz 2 LuftVG mögliche privat-rechtliche Organisationsform und die vom Bundespräsidenten kürzlich abgelehnte Unterzeichnung39 des Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherheit40 ist hier nicht weiter einzugehen. Wichtig ist dagegen hervorzuheben, dass nach Art. 87d Abs. 2 GG den Ländern Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung als Auftragsverwaltung übertragen werden können. Davon ist im LuftVG in weitem Umfang Gebrauch gemacht worden. Zum Bereich der Auftragsverwaltung zählt unter anderem die Genehmigung von ___________ 37

A.a.O. S. 337. Vgl. hierzu Spannowsky, Die Grenzen der Länderabweichungsbefugnis gem. Art. 72 Abs. 3 Nr. 4 GG im Bereich der Raumordnung, UPR 2007, 41; Schulze-Fielitz, Umweltschutz im Föderalismus – Europa, Bund und Länder, NVwZ 2007, 249; Battis/ Kersten, Die Raumordnung nach der Föderalismusreform, DVBl. 2007, 153; Hoppe, Kompetenz-Debakel für die „Raumordnung“ durch die Föderalismusreform infolge der uneingeschränkten Abweichungszuständigkeit der Länder?, DVBl. 2007, 144. 39 Unterrichtung durch den Bundespräsidenten, BT-Drs. 16/3262. 40 BT-Drs. 16/240, 16/1161. 38

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Flugplätzen. An dieser Stelle findet sich allerdings der Vorbehalt: mit Ausnahme der Prüfung und Entscheidung, inwieweit durch die Ablehnung und den Betrieb eines Flughafens, der dem allgemeinen Verkehr dienen soll, die öffentlichen Interessen des Bundes berührt werden (§ 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG). Damit wird an § 6 Abs. 3 LuftVG angeknüpft, wonach die Genehmigung eines Flughafens, der dem allgemeinen Verkehr dienen soll, zu versagen ist, wenn durch die Anlegung und den Betrieb des beantragten Flughafens die öffentlichen Interessen in unangemessener Weise beeinträchtigt werden. 6.2 Im Bereich der Bundesfernstraßen wird die Infrastrukturplanung in erheblichem Maß durch Entscheidungen auf der Ebene des Bundes geprägt. Dem dienen die Instrumente des Fernstraßenausbaugesetzes, des Bundesverkehrswegeplans und der Linienbestimmung durch das zuständige Ministerium (BMVBS). Ähnliche Einflussmöglichkeiten bestehen bei Bundeseisenbahnen und Bundeswasserstraßen. Dagegen existiert eine rechtlich verbindliche Flughafenplanung als Teil der Raumordnung oder als übergeordnete Fachplanung des Bundes nicht. In der fachwissenschaftlichen Literatur wird mit guten Gründen eine übergeordnete Flughafennetzplanung gefordert.41 Auch eine Studie der Deutschen Bank, die eine Fehlallokation von Ressourcen durch den zunehmenden Ausbau von Regionalflughäfen beklagt, fordert eine „nationale Flughafenpolitik aus einem Guss“.42 6.3 Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in einem Urteil vom 28. Februar 200543 im Verfahren über eine Genehmigung für den Betrieb des Flughafens Lahr für den allgemeinen Verkehr dem Bundesverkehrswegeplan 2003 eine die Entscheidung über eine Genehmigung nach § 6 LuftVG rechtlich steuernde Wirkung beigemessen. In der Tat wird dort in einer Abbildung der Flughafen Lahr als Regionalflughafen erwähnt. Der Verwaltungsgerichtshof wollte der Ansicht der Behörden, diese Angabe trage nur informatorischen Charakter, nicht folgen. Der Bund habe damit vielmehr eine bewusste Entscheidung getroffen. Diese habe zur Folge, dass der früher (1995) erlassene Generalverkehrsplan des Landes Baden-Württemberg in diesem Punkt überholt sei und nicht herangezogen werden könne. Dabei verweist der Verwaltungsgerichtshof an sich zu Recht auf die eben erwähnte in § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG getroffene Regelung, wonach grundsätzlich die Länder die Verwaltungsaufgaben einschließlich der Genehmigung von Flugplätzen im Auftrag des Bundes ausführen, davon aber die Prüfung und ___________ 41

Ramsauer, Umweltprobleme in der Flughafenplanung – Verfahrensrechtliche Fragen, NVwZ 2004, 1041, 1043. 42 www.dbresearch.de. 43 8 S 2004/04, VBlBW 2005, 351.

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Entscheidung, inwieweit durch die Anlegung und den Betrieb eines Flughafens, der dem allgemeinen Verkehr dienen soll, die öffentlichen Interessen des Bundes berührt werden, ausgenommen ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision gegen das erwähnte Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zugelassen.44 Inzwischen hat sich das Verfahren allerdings nach Erteilung einer eingeschränkten Genehmigung erledigt.45 Allerdings scheint mir fraglich zu sein, ob der Bund durch die hier im Streit stehenden Aussagen unter 4.7 im Bundesverkehrswegeplan 2003 wirklich konkrete, sich auf einen einzelnen Flughafen beziehende öffentliche Interessen des Bundes im Sinne von § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG formulieren wollte. Denn einerseits ist davon die Rede, vor dem Hintergrund der steigenden Bedeutung des Luftverkehrs würden Bedarfsfeststellung und Planungen der Flughafeninfrastruktur in die Bundesverkehrswegeplanung „einbezogen“. Andererseits wird im folgenden Text verdeutlicht, dass sich die Bundesverkehrswegeplanung ausschließlich auf die Infrastrukturmaßnahmen an Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes, Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen erstreckt und damit das – überaus vernünftige – Ziel verfolgt, die Anbindung vorhandener Flughäfen auszubauen. Im Übrigen wird auf das Flughafenkonzept der Bundesregierung verwiesen. Dies könnte eher dafür sprechen, dass dem Bundesverkehrswegeplan keine für die Landesverwaltung maßgebliche Formulierung des öffentlichen Interesses des Bundes auf dem Gebiet des Luftverkehrs zu entnehmen ist. Davon ist damals übrigens auch das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ausgegangen, das den Behörden des Landes Baden-Württemberg mitgeteilt hatte, die Aufnahme des Verkehrslandeplatzes Lahr habe keine „planerische Verbindlichkeit“ sondern nur informatorischen Charakter und die planerische Zuständigkeit des Landes für Anlage und Betrieb von Flugplätzen sowie deren Anbindung bleibe unberührt. Der Flughafen Lahr ist übrigens ein illustratives Beispiel für den Konkurrenzkampf der Regionalflughäfen untereinander. Das zuständige Regierungspräsidium Freiburg hat die luftverkehrsrechtliche Genehmigung unter anderem unter Hinweis auf die zu erhaltende Leistungskraft der Flughäfen KarlsruheSöllingen, Strasbourg und Basel-Mulhouse-Freiburg versagt. Im Übrigen enthielt die Landesplanung von Baden-Württemberg leider keine sehr eindeutigen Aussagen. ___________ 44

BVerwG 4 BN 39.05. Zu einigen Hintergründen vgl. Sattler, Kannibalismus im Luftraum, Das Parlament vom 6./12. Juni 2006 (Nr. 23/24) S. 11. 45

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In anderen Fällen lässt sich eine deutliche Konkurrenz unter den Ländern feststellen. Dies gilt beispielsweise für die Flugplätze in Saarbrücken (Saarland) und Zweibrücken (Rheinland-Pfalz) sowie Kassel-Calden (Hessen) und Paderborn-Lippstadt (Nordrhein-Westfalen).46 6.4 Am 30. August 2000 hat das Bundeskabinett ein Flughafenkonzept der Bundesregierung beschlossen. Darin wird unter anderem die Notwendigkeit der Verknüpfung der Flughafenentwicklung mit der Planung der in der Hoheit des Bundes liegenden Bundesstraßen und Schienenwege betont.47 Ferner setzt es sich für einen Ausbau des Schienenverkehrs mit dem Ziel einer Verlagerung des Kurzstreckenflugverkehrs auf dieses Medium ein.48 Einige der im Flughafenkonzept 2000 formulierten Ziele sind jetzt in das Fluglärmschutzgesetz eingeflossen. Anderes ist in der Zwischenzeit überholt. So ist beispielsweise die damals noch beabsichtigte Privatisierung des Flughafens Berlin-Schönefeld bekanntlich gescheitert. Im Wesentlichen beibehalten wird das Modell der dezentralen Flughafenplanung. Zu einem dort angesprochenen nationalen Konzept für die Kapazitätsentwicklung des dezentralen Flughafensystems in Deutschland ist es bisher soweit ersichtlich nicht gekommen. Somit sehe ich noch einigen Forschungsstoff für Verwaltungswissenschaftler. Der Jurist hält einstweilen fest, dass es bei den zuweilen verschlungenen und nicht immer von außen durchschaubaren Pfaden des kooperativen Föderalismus bleibt. 49 7. Umso wichtiger werden damit die Möglichkeiten, Standortentscheidungen in der Landesplanung zu treffen. Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht in der Schönefeld-Entscheidung einige wichtige Grundsätze aufgestellt.50 7.1 Die Wahl eines Flughafenstandorts kann als raumordnerische Entscheidung auf der Ebene der Landesentwicklungsplanung getroffen werden. Der Ausbau eines Flughafens wie im Fall von Berlin-Schönefeld ist eine raumbe___________ 46

Vgl. hierzu die erwähnte Studie von db-research sowie DIE ZEIT vom 1.3.2007, S. 13 und Süddeutsche Zeitung vom 28.11.2006 S. 6. 47 Siehe 2.2.2. 48 Siehe 4.2.2 – auch unter Hinweis auf die TEN-Konzeption der EU-Kommission. 49 Vgl. hierzu Anlage 5 zum Flughafenkonzept der Bundesregierung. 50 Vgl. auch den Beitrag von Dolde in diesem Band sowie Beckmann/Ortloff, Bindung der luftverkehrsrechtlichen Genehmigungsbehörde an die Ziele der Raumordnung, NVwZ 2006, 981; Barth, Zum aktuellen „Schönefeld-Urteil“ des Bundesverwaltungsgerichts, ZUR 2006, 531; aus der früheren Literatur sei auf Steiner, Zur Standortfindung bei Verkehrsflughäfen, in: Grupp/Ronellenfitsch (Hrsg.) Planung – Recht – Rechtsschutz, Festschrift für Willi Blümel zum 70. Geburtstag, Berlin 1999, S. 549 ff., Ramsauer (Fußn. 41) und Erbguth, Luftverkehr und Raumordnung – am Beispiel der Flughafenplanung, NVwZ 2003, 144, verwiesen.

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deutsame Maßnahme i.S.v. § 3 Nr. 6 ROG, deren Zulassung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 LuftVG der Planfeststellung bedarf. Zielförmige Standortentscheidungen der Raumordnung und Landesplanung sind nach § 4 Abs. 1 Satz 1 ROG von öffentlichen Stellen bei ihren raumbedeutsamen Planungen zu beachten. Dies gilt auch für Planfeststellungen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Maßnahmen von Personen des Privatrechts, wie es bei Flughafenplanungen meistens der Fall ist (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Abs. 3 ROG). 7.2 Im Fall des Flughafens Berlin-Schönefeld findet sich die raumordnungsrechtliche Grundlage im Wesentlichen in § 19 Abs. 11 des Landesentwicklungsprogramms i.d.F. vom 1. November 2003 (LEPro 2003) und in den Aussagen Z 1 und 2 des Landesentwicklungsplans Flughafenstandortentwicklung (LEP FS) vom 28. Oktober 2003. Diese Regelungen sind das Ergebnis der gemeinsamen Landesplanung von Berlin und Brandenburg. Die Vorschriften lauten: § 19 Abs. 11 LEPro 2003: „Der im Gesamtraum Berlin-Brandenburg zu erwartende Bedarf an Luftverkehrskapazitäten soll durch rechtzeitige Bereitstellung vornehmlich innerhalb des bestehenden internationalen Flughafensystems, insbesondere unter Verringerung der Lärmbetroffenheit, gedeckt werden. Dabei soll der nationale und internationale Luftverkehrsanschluss für Berlin und Brandenburg möglichst auf einen Flughafen konzentriert werden. Hierbei soll eine enge räumliche Beziehung des Flughafens zum Aufkommensschwerpunkt Berlin mit kurzen Zugangswegen und unter Einbindung in das vorhandene Verkehrssystem, insbesondere zum Schienennetz und zum öffentlichen Personennahverkehr, angestrebt werden. Die für den Flughafen sowie für seine Funktionsfähigkeit notwendigen Flächen sollen gesichert werden …“ Z 1 LEP FS: „Zur Deckung des nationalen und internationalen Luftverkehrsbedarfes der Länder Berlin und Brandenburg ist der Flughafen Berlin-Schönefeld weiter zu entwickeln. Mit Inbetriebnahme der Kapazitätserweiterung am Standort Schönefeld sind die Flugplätze Berlin-Tegel und Berlin-Tempelhof zu schließen und ihre Flächen einer anderen Nutzung zuzuführen.“

Über den Stellenwert der Aussage zur Schließung des Flughafens Tempelhof und das Verhältnis zur Planfeststellung wird inzwischen in Berlin eine heftige Diskussion geführt. Z 2 LEP FS: „Für die Entwicklung des Flughafens Berlin-Schönefeld ist die Flughafenfläche entsprechend der zeichnerischen Darstellung von entgegenstehenden Nutzungen freizuhalten.“

Demgegenüber hatte sich die frühere rein Brandenburgische Landesplanung für den südlich von Berlin liegenden, bis nach der Wende von der sowjetischen Armee militärisch genutzten Standort Sperenberg ausgesprochen. 7.3 Die Planfeststellungsbehörde sah sich an diese Ziele als gebunden an. Dennoch überprüfte sie eigenständig nochmals die getroffene Standortwahl. Dieses Vorgehen veranlasste das Bundesverwaltungsgericht, die Bindungswirkungen der raumordnungsrechtlichen Standortentscheidung in der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung zu konkretisieren.

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Raumordnung ist auf die Ordnung und Entwicklung des größeren Raumes angelegt. Der Gesetzgeber hat der Raumordnung daher die Kompetenz zur überfachlichen und überörtlichen, zusammenfassenden (integrierenden) Gesamtplanung verliehen und dies mit einem Koordinierungs-, Ordnungs- und Entwicklungsauftrag verbunden (§ 1 Abs. 1 Satz 2 ROG; Art. 7 und 8 LplVertrag). Dieser Auftrag zielt auf den Ausgleich konkurrierender Ansprüche an die Raumnutzung. Neben der Koordination verschiedener fachplanerischer Ansprüche an den Raum kann die Landesplanung im Rahmen ihres Entwicklungsauftrags auch Ziele und Grundsätze der Raumordnung nach eigener Kompetenz und eigener Abwägung aufstellen. Dabei ist sie jedoch auf den Kompetenzbereich der überfachlichen und überörtlichen Planung beschränkt. Sie darf (ohne spezielle gesetzliche Ermächtigung) nicht an die Stelle der Fachplanung treten und deren Aufgaben übernehmen. Den Fachplanungsträgern muss zur Erfüllung der ihnen eingeräumten Planungsbefugnis ein ausreichender Planungsspielraum verbleiben. Es gehört zu den herkömmlichen Mitteln überörtlicher Koordination und Entwicklung, Raumfunktionen zu sichern, die an besondere Lagevorteile oder Standortbedingungen geknüpft sind. Die Träger der Landes- und Regionalplanung sind daher auch zu Standortausweisungen für raumbedeutsame Infrastrukturvorhaben ermächtigt (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ROG – Standorte und Trassen für Infrastruktur)51. Auch zielförmige Standortausweisungen der Landesentwicklungs- oder Regionalplanung bleiben jedoch hinsichtlich des Umfangs ihrer rechtlichen Bindungskraft und ihrer Detailschärfe den Aufgaben und Leitvorstellungen einer nachhaltigen Raumentwicklung verpflichtet. Sie dienen dem Ausgleich sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Ansprüche an die Raumnutzung (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 ROG). Sie enthalten für sich betrachtet und ohne die Anordnung weitergehender Wirkungen in Raumordnungsklauseln einzelner Fachgesetze (wie etwa § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB)52 keine den Inhalt und die Schranken des Eigentums unmittelbar bestimmenden Regelungen der Bodennutzung. Standortfestlegungen in einem Landesentwicklungs- oder Regionalplan müssen sich daher auf die Aussage beschränken, dass der ausgewählte Standort aus raumordnerischer Sicht geeignet und – nach einem raumordnerischen Alternativenvergleich – vorzugswürdig ist, um konkurrierende Raumnutzungen in einen dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ausgleich zu bringen. Private Belange sind, soweit sie auf dieser Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind, in der Abwägung bereits zu berücksich___________ 51 Vgl. hierzu BVerwG, Urt. vom 15.5.2003 – BVerwG 4 CN 9.01 – BVerwGE 118, 181 – Messe und Flughafen Stuttgart. 52 Zur Frage der Zulässigkeit von Normenkontrollverfahren s. jetzt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.4.2007 – BVerwG 4 CN 3.06 –.

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tigen (§ 7 Abs. 7 Satz 3 ROG). Dabei ist meines Erachtens eine sachgerechte Typisierung der privaten Belange zulässig. 7.4 Allerdings ist die gesetzliche Konzeption eines vertikalen Über- und Unterordnungsverhältnisses, die den funktionalen Zusammenhang von Raumordnung und kommunaler Bauleitplanung kennzeichnet, auf das Verhältnis von Raumordnung und (luftverkehrsrechtlicher) Fachplanung nicht übertragbar. Für die Bauleitplanung gilt das Anpassungsgebot nach § 1 Abs. 4 BauGB. Die Bindungswirkung, die § 5 Abs. 2 Satz 1 ROG a.F. (§ 4 Abs. 1 Satz 1 ROG 1998) den Zielen der Raumordnung in der Bauleitplanung zuweist, ist nicht im Abwägungsprogramm (§ 1 Abs. 6 BauGB i.d.F. vom 18. August 1997, § 1 Abs. 7 BauGB i.d.F. vom 23. September 2004 und 3. Mai 2005) zu suchen. Die raumordnungsrechtliche Zielbindung ist der gemeindlichen Abwägung „rechtlich vorgelagert“. Die Bindungen, die sich aus den Zielen der Raumordnung ergeben, sind „gleichsam vor die Klammer des Abwägungsprozesses gezogen“.53 Dieses Regelungsmuster vertikaler „Arbeitsteilung“ kann auf das Verhältnis zwischen Raumordnung (Landesplanung) und luftverkehrsrechtlicher Fachplanung nicht übertragen werden, weil das Luftverkehrsrecht eine dem Anpassungsgebot in § 1 Abs. 4 BauGB vergleichbare Unterordnung der Fachplanung unter raumordnungsrechtliche Zielvorgaben nicht kennt. Das Verhältnis zwischen Landesplanung und luftverkehrsrechtlicher Fachplanung ist nicht das einer vertikalen Planungshierarchie, sondern das einer arbeitsteiligen Aufgabenstruktur mehrerer Planungsträger, deren aufgabenspezifische Kompetenzen und Gestaltungsspielräume durch rechtliche Bindungen, Abstimmungsgebote und Beteiligungsverfahren miteinander verschränkt sind. 7.5 Die Rechtswirkungen zielförmiger Standortausweisungen der Landesplanung in der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung sind aus § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. § 3 Nr. 2 ROG sowie aus dem luftverkehrsrechtlichen Abwägungsgebot in § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG (vgl. auch § 6 Abs. 2 Satz 1 LuftVG) abzuleiten. Normativer Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Entscheidung des Bundesgesetzgebers, nur solchen raumordnerischen Planaussagen „verbindliche“ Kraft beizulegen, welche „abschließend abgewogene“ Festlegungen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums enthalten (§ 3 Nr. 2 ROG). Daraus ergibt sich: Beantragt der Vorhabenträger die Zulassung eines Flughafenvorhabens an dem von der Landesplanung festgelegten Standort, ist es weder Aufgabe der Planfeststellungsbehörde noch ist sie dazu befugt, die vorangegangene raumordnerische Abwägung durch eine eigene ergebnisoffene Abwägung der nach ___________ 53

Vgl. BVerwG, Beschl. vom 20.8.1992 – BVerwG 4 NB 20.91 – BVerwGE 90, 329, 332 und vom 14.5.2007 – 4 BN 8.07 – zur Veröffentlichung vorgesehen.

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ihrer Auffassung maßgeblichen Standortanforderungen zu ersetzen, zu bestätigen oder zu korrigieren. Die Planfeststellungsbehörde hat das Ergebnis des landesplanerischen Standortvergleichs als solches hinzunehmen. Das ist gerechtfertigt, weil die Wahl eines Standorts für einen Verkehrsflughafen vorrangig eine raumordnerische Entscheidung darstellt. Die Standortwahl hat weiträumige Auswirkungen auf die Siedlungs- und Freiraumstrukturen des Planungsraums und schafft Nutzungskonflikte, die in der Regel bereits auf der übergeordneten Ebene der Landesplanung ein öffentliches Planungsbedürfnis auslösen. Diese Aussage hat das Bundesverwaltungsgericht für den internationalen Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld getroffen. Im Regelfall lässt sich diese Aussage aber auch auf die erwähnten umstrittenen Regionalflughäfen übertragen. Wie ich dargestellt habe, existiert eine rechtsverbindliche Flughafennetzund Bedarfsplanung auf der Grundlage einer luftverkehrspolitischen Gesamtkonzeption weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene. Umso stärker ist die Bedeutung der Landesplanung zu gewichten. Hat ein Träger der Landesplanung seine Planungsbefugnisse in diesem Sinne wahrgenommen, wäre eine erneute ergebnisoffene Standortalternativenprüfung des Fachplanungsträgers mit dem gesamträumlichen Gestaltungsanspruch der Landesplanung nicht vereinbar. Sie würde auch dem vom Bundesgesetzgeber mit der verfahrensmäßigen Abschichtung raumbedeutsamer Standortfragen verfolgten Ziel zuwiderlaufen, die Komplexität räumlicher Planungen schrittweise zu reduzieren und die Planungsträger auf den nachfolgenden Planungsstufen zu entlasten. Beantragt der Vorhabenträger, ein konkretes Vorhaben an dem von der Landesplanung zielförmig festgelegten Standort im Wege der Planfeststellung zuzulassen, hat die Planfeststellungsbehörde keinen Anlass, im Rahmen der fachplanerischen (luftverkehrsrechtlichen) Abwägung eigene vergleichende Untersuchungen zur Eignung von Alternativstandorten vorzunehmen oder entsprechende Gutachten einzuholen. Einfluss auf die Formulierung zielförmiger Standortvorgaben können Fachplanungsträger und private Vorhabenträger über die auf Landesebene vorzusehende Beteiligung bei der Aufstellung von Zielen der Raumordnung (§ 7 Abs. 5 ROG) sowie über das u.a. für die Planfeststellung nach dem Luftverkehrsgesetz vorgesehene Widerspruchsverfahren nach § 5 ROG ausüben. Sie können ferner ein Zielabweichungsverfahren nach § 11 ROG einleiten. Für eine fachplanerische Abwägung von Standortalternativen bleibt Raum, wenn und soweit der Träger der Landesplanung sich zurückhält und beispielsweise unter Verzicht auf eine gebietsscharfe zielförmige Standortvorgabe einen Teilraum festlegt, in dessen Grenzen verschiedene Standorte für ein bestimmtes Infrastrukturvorhaben in Betracht kommen.

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7.6 Was folgt daraus für die Landesplanung? Die Anforderungen an Ermittlungstiefe und Abwägungsdichte des landesplanerischen Standortvergleichs werden einerseits durch die Aufgabenstellung der Raumordnung und andererseits durch den Detaillierungsgrad der jeweils angestrebten Zielaussage bestimmt. Je konkreter die Festlegungen eines Landesentwicklungsplans sind, umso schärfer sind die Raumverhältnisse im Umfeld der zu vergleichenden Standorte in den Blick zu nehmen. Das gilt insbesondere für die gebietsscharfe Ausweisung von Infrastrukturvorhaben, die – wie ein internationaler Verkehrsflughafen – Lärmbelastungen, Luftverunreinigungen, eine Zunahme der Belastungen des bestehenden Verkehrsnetzes und Eingriffe in Natur und Landschaft befürchten lassen. Auch an dieser Stelle begegnet uns erneut das Europarecht. Denn in der Abwägung sind auch die Erhaltungsziele und die Schutzzwecke der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (also der FFH-Gebiete) und der Europäischen Vogelschutzgebiete54 zu berücksichtigen (§ 7 Abs. 7 Satz 4 ROG). Für Raumordnungspläne, deren Aufstellung nach dem 20. Juli 2004 förmlich eingeleitet wurde, ist eine Umweltprüfung i.S.d. Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl EG Nr. L 197 S. 30 – Plan-UP-Richtlinie) durchzuführen (vgl. § 7 Abs. 5, § 22, § 23 Abs. 3 ROG i.d.F. des EuroparechtsanpassungsG Bau vom 24. Juni 2004, BGBl I S. 1359). Dabei sind unter Berücksichtigung der allgemeinen landesplanerischen Zielsetzungen auch Planungsalternativen zu untersuchen (§ 7 Abs. 5 Satz 3 ROG). Im Fall des Flughafens Schönefeld spielte die Frage, ob die Träger der Landesplanung die Lärmschutzbelange der betroffenen Anwohner im Vergleich des Standorts Schönefeld mit stadtfernen Standorten wie Sperenberg ausreichend berücksichtigt haben, eine herausragende Rolle55. 7.7 Andererseits ist deutlich hervorzuheben: Die Planfeststellungsbehörde trifft keine „positive“ Rechtspflicht zur Zulassung eines Flughafenvorhabens an dem von der Landesplanung zielförmig festgelegten Standort. Ziele der Raumordnung, die dem für das Luftverkehrsrecht zuständigen Fachplanungsträger eine bindende Realisierungsverpflichtung auferlegen, sind unzulässig, solange der Bundesgesetzgeber nichts Abweichendes geregelt hat. Eine derartige Sonderregelung enthält das Luftverkehrsrecht nicht. Nach geltendem Recht kann die Landesplanung zwar den Entscheidungsspielraum der Planfeststellungsbehörde durch eine abschließend abgewogene Standortentscheidung erheblich eingrenzen und festlegen, dass der festgelegte Flughafenstandort von ___________ 54 55

Vgl. hierzu auch den Beitrag von Storost in diesem Band. Vgl. dazu Abschnitt B. 5.2.3 des Urteils.

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anderen Raumnutzungen freizuhalten ist. Gleichwohl kann die Landesplanung nicht die für die fachplanerische Aufgabenstellung relevanten Fragen in der Weise an sich ziehen, dass sie dem Fachplanungsträger die Realisierung eines Flughafenvorhabens an einem bestimmten Standort rechtsverbindlich vorschreibt. Dies entnimmt das Bundesverwaltungsgericht folgenden Überlegungen: Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG sind bei der Planfeststellung alle von dem Vorhaben berührten öffentlichen, kommunalen und privaten Belange im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Dazu gehören Belange, die auf der Ebene der Landesplanung in dieser Ausprägung und Detailschärfe (noch) nicht erkennbar oder nicht von Bedeutung gewesen sind (vgl. § 7 Abs. 7 Satz 2 ROG). Es obliegt der Planfeststellungsbehörde, die Vorzüge, welche die Träger der Landesplanung mit ihrer Standortentscheidung verbinden, im Verhältnis zu den entgegenstehenden sonstigen öffentlichen oder privaten Belangen zu bewerten und zu gewichten, auf die sich das geplante Vorhaben nachteilig auswirken würde. Die schädlichen Immissionen eines Infrastrukturvorhabens können in der Regel erst abschließend ermittelt und eingeschätzt werden, wenn es im Planfeststellungsantrag des Vorhabenträgers konkretisiert worden ist. Die „raumordnungsexternen“ Belange können für sich betrachtet oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sein, dass sich die landesplanerische Standortwahl in der fachplanerischen Abwägung nicht durchsetzt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die Zulassung des konkreten Vorhabens an dem von der Landesplanung ausgewiesenen Standort in unverhältnismäßiger (unzumutbarer) Weise in private Schutzgüter wie Eigentum oder Gesundheit, in den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung oder in allgemeine öffentliche Belange (Wasserhaushalt, Bodenschutz, Natur und Landschaft) eingreifen würde. Der Fachplanungsträger hat ferner zu prüfen, ob nach der Aufstellung des Raumordnungsziels Entwicklungen eingetreten oder zu erwarten sind, die eine Realisierung der Zielaussagen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen auf unabsehbare Zeit unmöglich machen oder wesentlich erschweren würden. 7.8 Welche Möglichkeiten bleiben der Planfeststellungsbehörde? Wenn sie bei ihrer Abwägung zu dem Ergebnis gelangt, dass unüberwindbare Hindernisse oder überwiegende öffentliche und/oder private Belange dem Vorhaben am landesplanerisch ausgewiesenen Standort entgegenstehen, muss sie den Antrag des Vorhabenträgers, das Vorhaben an diesem Standort zuzulassen, ablehnen. Damit greift sie nicht in die raumordnerische Abwägung (§ 7 Abs. 7 Sätze 1 und 2 ROG) ein. Sie verletzt auch nicht ihre Beachtenspflicht aus § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ROG. Die Zielbindung erschöpft sich in der Pflicht der Planfeststellungsbehörde, die Zielaussage, der ausgewiesene Standort sei aus raumordnerischer Sicht geeignet und vorzugswürdig, als solche hinzunehmen. Die Beachtenspflicht verlangt nicht, eine auf Erfordernisse der Raumord-

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nung gestützte Standortentscheidung umzusetzen, wenn sich bei der anschließenden Detailplanung zeigt, dass das Vorhaben an Ort und Stelle technisch oder rechtlich nicht realisierbar wäre, der vorgesehene Standort sich aus anderen Gründen als ungeeignet erweist oder mit unverhältnismäßigen Eingriffen in private, kommunale oder allgemeine öffentliche Belange verbunden wäre. Das luftverkehrsrechtliche Abwägungsgebot (§ 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG) schließt die Ermächtigung ein, die raumordnerischen Gründe, welche die Standortentscheidung der Landesplanung tragen, zugunsten höher gewichteter gegenläufiger Belange zurückzustellen. In diesem Sinne können zielförmige Standortentscheidungen der Landesplanung in der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung aus spezifisch fachplanerischen Erwägungen „überwunden“ werden. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zur Zielbindung der Bauleitplanung, die dem strikten Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB unterliegt. Eine Parallele besteht hingegen zur fernstraßenrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der die gesetzgeberische Bedarfsentscheidung zwar als „feste Größe“ in die Abwägung nach § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG hineinwirkt, in der Abwägung jedoch durch andere Belange überwunden werden kann.56 7.9 Damit stellt sich die Frage: Wie lässt sich der Individualrechtsschutz verwirklichen? Im Planfeststellungsverfahren können die von der landesplanerischen Standortfestlegung betroffenen Anwohner ihre privaten Belange verteidigen und geltend machen, ihre Belange seien so gewichtig, dass der Antrag auf Zulassung des Vorhabens an dem landesplanerisch festgelegten Standort abzulehnen sei. Die Planfeststellungsbehörde muss diese Einwendungen zur Kenntnis nehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Eine Vielzahl inhaltsgleicher („paralleler“) Einwendungen Betroffener kann den privaten Belangen in ihrer Gesamtheit die Qualität eines öffentlichen Belangs Gewicht verleihen, den die Planfeststellungsbehörde in ihrer Abwägung gebührend zu berücksichtigen hat. Hinzu kommt, dass etwaige Abwägungsmängel bei der Zielfestlegung auf der Ebene der Landesplanung auf das nachfolgende Planfeststellungsverfahren „durchschlagen“. Eine ebenenspezifische Problemabschichtung ist einerseits nur effektiv, wenn sie Bindungen für die nachfolgende Entscheidungsebene erzeugen kann. Andererseits dürfen unter Rechtsschutzgesichtspunkten von vorgelagerten Planungsstufen, die dem Individualrechtsschutz nicht zugänglich sind, keine irreversiblen, nachteiligen Rechtswirkungen für den betroffenen Bürger ausgehen. Soweit erst die zur Außenverbindlichkeit führende Entschei___________ 56

390.

Vgl. BVerwG, Urt. vom 21.3.1996 – BVerwG 4 C 26.94 – BVerwGE 100, 388,

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dung auf der letzten Konkretisierungsstufe, der Zulassungsebene, den privaten Einzelnen in seinen Rechten verletzen kann, dürfen ihm Vorentscheidungen auf anderen Planungsebenen, die diese Rechtsverletzung vorbereiten, nicht als unangreifbar entgegengehalten werden.57 Soweit eine zielförmige landesplanerische Standortentscheidung, deren Zielbindung sich kraft der gesetzlichen Grundentscheidung in § 4 Abs. 1 und 3 ROG nicht auf private Betroffene erstreckt, inhaltlich in den Planfeststellungsbeschluss eingeht, muss sie daher aus Rechtsschutzgründen mit diesem zum Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung in der Form einer Inzidentkontrolle gemacht werden können. 7.10 Auf diesen Grundsätzen aufbauend hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil zum Flughafen Schönefeld die landesplanerische Abwägung eingehend überprüft. In diesem Zusammenhang hebt es bei der besonders wichtigen Problematik des Fluglärms hervor: Die Landesentwicklungsplanung kann zur Bewältigung voraussehbarer Lärmkonflikte an einem Standort nur die Mittel einsetzen, die ihr das Raumordnungsrecht zur Verfügung stellt. Diese Mittel beschränken sich im Wesentlichen auf die Festlegung der Siedlungs- und Freiraumstruktur und deren Konkretisierung in Gestalt von Planungszonen zur Siedlungsbeschränkung. Die Prüfung örtlicher Einzelheiten und die Erfüllung spezifisch fachgesetzlicher Anforderungen an ein wirksames und finanziell tragbares Lärmschutzkonzept bleibt der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens in der Planfeststellung vorbehalten, in der dem Vorhabenträger auch die erforderlichen technischen oder betrieblichen Schutzvorkehrungen aufzuerlegen sind. Die Landesplanung muss jedoch bereits auf ihrer Planungsebene vorausschauend prüfen, ob die Lärmschutzprobleme, die ihre Standortentscheidung auslösen wird, auf der Fachplanungsebene in diesem Sinne beherrschbar sein werden. Ist das nicht der Fall, obliegt es bereits der Landesplanung, einen anderen Standort zu suchen. Im Fall des Flughafens Berlin-Schönefeld befand sich das Bundesverwaltungsgericht in der eher ungewöhnlichen Situation, dass die maßgeblichen Inhalte des Landesentwicklungsplans „Flughafenstandortentwicklung“ bereits Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg gewesen waren. Dieses hatte den Plan für unwirksam erklärt.58 Das Bundesverwaltungsgericht hatte auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Landes die Revision zugelassen und diese war somit beim selben Senat anhängig. Daher konnte der Senat den Landesentwicklungsplan im Rahmen der bei ihm in erster und letzter Instanz anhängigen Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss zum Flughafen Schönefeld überprüfen. Eine derartige ___________ 57

Vgl. BVerwG, Urt. vom 19.7.2001 – BVerwG 4 C 4.00 – BVerwGE 115, 17, 30 m.w.N. 58 OVG Brandenburg, Urt. vom 10.2.2005 – OVG 3 D 104/03.NE – LKV 2005, 306.

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Konstellation wird es nach Wegfall der erstinstanzlichen Zuständigkeit jedenfalls im Luftverkehrsrecht in Zukunft nicht mehr geben können. 8. Als Fazit und Ausblick bleibt festzuhalten: Der Einfluss der europäischen Regelungen wird zunehmen. Ob der Bund die von vielen erwünschte Koordinierung ausbauen wird, bleibt abzuwarten. Die Raumordnung in den Ländern verfügt über ein hinreichend wirksames Instrumentarium zu einer vernünftigen übergeordneten Steuerung der Flughafenplanung. Die Bedeutung der Raumordnung ist erneut bestärkt worden.

Anforderungen an die landesplanerische Abwägung bei gebietsscharfer Standortausweisung Von Klaus-Peter Dolde

I. Beispiele 1. Hessischer Landesentwicklungsplan1 – Flughafen Frankfurt/Main Der Hessische Landesentwicklungsplan 2000 enthielt Aussagen zur Bedeutung des Flughafens Frankfurt am Main. Als Ziel der Raumordnung enthielt er folgenden Satz: „Hierzu ist eine Erweiterung über das bestehende Start- und Landebahnsystem hinaus zu planen und zu realisieren“. Der VGH Kassel2 erklärte diese Bestimmung wegen eines Abwägungsfehlers für nichtig. Sie lege eindeutig fest, dass die nachfolgenden Planungsstufen nicht zu einer NullVariante führen dürften, sie schneide deshalb alle entgegenstehenden Belange ab. Ihre Rechtmäßigkeit setze deshalb voraus, dass alle entgegenstehenden Belange auf der Ebene der Landesplanung abschließend abgewogen wurden. Daran mangelte es nach Auffassung des VGH. In einem zweiten Anlauf wurde eine Änderung des Hessischen Landesentwicklungsplanes 2000 auf den Weg gebracht3. Sie enthält unter anderem folgendes Ziel der Raumordnung: Zur Sicherung der langfristigen räumlichen Entwicklungsmöglichkeiten des Flughafens Frankfurt/Main werden die in der Plankarte dargestellten Flächen für die Erweiterung der Flughafenanlagen einschließlich einer neuen Landebahn als Vorranggebiete ausgewiesen, die von konkurrierenden Planungen und Nutzungen freizuhalten sind.

___________ 1

Verbindlich erklärt durch VO vom 13.12.2000, GVBl. 2001 I, S. 2. NVwZ 2003, 229. Krit. dazu Hendler, UPR 2003, 256, 261. 3 Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, Änderung des Landesentwicklungsplans Hessen nach § 8 Abs. 7 HLPG, September 2006; Antrag der Hessischen Landesregierung betreffend VO über die Änderung des Landesentwicklungsplans Hessen 2000 – Erweiterung Flughafen Frankfurt/Main, LT-Drs. 16/6057. 2

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2. Messe und Flughafen Stuttgart Der Verband Region Stuttgart wies in seinem Regionalplan nach einem aufwändigen Verfahren mit umfassender Alternativenprüfung einen Standort für die neue Landesmesse und Flächen für die Erweiterung des Flughafens Stuttgart im Maßstab 1:50.000 aus, und zwar als „Standort für regionalbedeutsame Infrastrukturvorhaben – Messe bzw. Flughafen“. Nach dem maßgebenden Plansatz war der Standort für die Landesmesse „zu sichern und von konkurrierenden Planungen und Nutzungen freizuhalten“. Der Normenkontrollantrag der Standortgemeinde wurde vom VGH Mannheim4 und vom Bundesverwaltungsgericht5 zurückgewiesen. 3. LEP Bayern 2003 – Flughafen München Das Landesentwicklungsprogramm Bayern 2003 bestimmt als Ziel der Raumordnung, dass zur dauerhaften Standortsicherung des Flughafens München kartographisch im Maßstab 1:100.000 bestimmte Flughafenentwicklungsflächen als Vorranggebiete festgelegt werden. Dadurch sollen andere, in Widerspruch dazu stehende raumbedeutsame Nutzungen ausgeschlossen werden. Es wird ausdrücklich klargestellt, dass mit dieser Festsetzung eine Vorentscheidung über Ausbauvorhaben nicht verbunden ist. Der VGH München6 wies dagegen gerichtete Normenkontrollanträge zurück. 4. LEP FS – Flughafen Berlin-Schönefeld Die Verordnung der Länder Berlin und Brandenburg vom 28.10.2003 über den Landesentwicklungsplan Flughafenstandortentwicklung7 machte unter anderem das Ziel der Raumordnung verbindlich, nach dem zur Deckung des Luftverkehrsbedarfs der Länder Berlin und Brandenburg der Flughafen BerlinSchönefeld weiter zu entwickeln ist. Die Flughafenfläche ist entsprechend der zeichnerischen Darstellung von entgegenstehenden Nutzungen freizuhalten. Das OVG Frankfurt/Oder8 hielt den LEP FS wegen verschiedener Abwägungsmängel für nichtig. Das Bundesverwaltungsgericht ist dem in seinen Ur___________ 4 5 6 7 8

NuR 2002, 291. BVerwGE 118, 181; dazu Köck/Bovet, ZUR 2004, 96. UPR 2006, 320. GVBl. Bbg II, S. 594; GVBl. Bln, S. 521. LKV 2005, 306.

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teilen vom 16.3.20069 zum Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Berlin-Schönefeld nicht gefolgt, es hat den Landesentwicklungsplan Flughafenstandortentwicklung für wirksam erklärt. Es hat zugleich entschieden, die Standortausweisung durch ein Ziel der Raumordnung binde die Planfeststellungsbehörde, diese habe insoweit keine Planungskompetenz. Die Planfeststellungsbehörde habe deshalb keine Standortalternativenprüfung durchzuführen10.

II. Rechtliche Einordnung Die skizzierten Beispiele und die unterschiedlichen Auffassungen der damit befassten Gerichte belegen, dass eine rechtliche Einordnung gebietsscharfer Standortausweisungen notwendig ist. Die Anforderungen an das Abwägungsgebot richten sich nach der rechtlichen Bedeutung dieser landesplanerischen Entscheidungen. 1. Aufgabe der Landesplanung a) Landesplanerische Standortausweisungen erfolgen regelmäßig als verbindliche Ziele der Raumordnung im Sinne von § 3 Nr. 2 ROG. Sie finden ihre Rechtfertigung und ihre Grenzen in der Aufgabe der Landesplanung. Diese Aufgabe hat das Bundesverwaltungsgericht in seinen Schönefeld-Urteilen beschrieben11: Danach ist Raumordnung auf die Ordnung und Entwicklung des größeren Raumes angelegt. Sie hat die Kompetenz zur überfachlichen und überörtlichen, zusammenfassenden (integrierenden) Gesamtplanung. Ihr Auftrag zielt auf den Ausgleich konkurrierender Ansprüche an die Raumnutzung. Neben der Koordination verschiedener fachplanerischer Ansprüche an den Raum kann die Landesplanung im Rahmen ihres Entwicklungsauftrags auch Ziele und Grundsätze der Raumordnung nach eigener Kompetenz und eigener Abwägung aufstellen. Dabei ist sie jedoch auf den Kompetenzbereich der überfachlichen und überörtlichen Planung beschränkt. Ohne spezielle, derzeit nicht bestehende gesetzliche Ermächtigung darf sie nicht an die Stelle der Fachplanung treten und deren Aufgaben übernehmen. Den Fachplanungsträgern muss zur Erfüllung der ihnen eingeräumten Planungsbefugnis ein ausreichender Planungsspielraum verbleiben. ___________ 9

BVerwGE 125, 116 Rn. 85 ff. Dazu Deutsch, NVwZ 2006, 878. BVerwGE 125, 116 Rn. 75 ff. 11 BVerwGE 125, 116 Rn. 63 f., siehe auch Vitzthum/März, VBlBW 1987, 364, 367. 10

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Danach sind die Details der Ausgestaltung eines Vorhabens und der Konfliktbewältigung nicht Aufgabe der Landesplanung. Sie sind nicht Gegenstand einer gebietsscharfen Standortausweisung. Die Regelung solcher Details würde der rahmensetzenden Funktion der Landesplanung widersprechen und ihren auf die überörtliche und überfachliche Planung beschränkten Kompetenzbereich überschreiten. b) Es gehört zu den herkömmlichen Mitteln überörtlicher Koordination und Entwicklung, Raumfunktionen zu sichern, die an besondere Lagevorteile oder Standortbedingungen geknüpft sind12. Die Träger der Landes- und Regionalplanung sind daher durch § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ROG und die entsprechenden Vorschriften der Landesplanungsgesetze ausdrücklich zu Standortausweisungen für raumbedeutsame Infrastrukturvorhaben ermächtigt. Auch solche Ausweisungen sind im Hinblick auf ihre rechtliche Bindung wie auch im Hinblick auf ihre zulässige Detailschärfe dem Auftrag der Raumordnung verpflichtet und durch diesen Auftrag begrenzt. Standortausweisungen für Infrastrukturvorhaben enthalten für sich betrachtet und ohne die Anordnung weitergehender Wirkungen in Raumordnungsklauseln der Fachgesetze keine den Inhalt und die Schranken des Eigentums unmittelbar bestimmenden Regelungen der Bodennutzung. Standortfestlegungen in der Landesplanung müssen sich deshalb auf die Aussage beschränken, dass der ausgewählte Standort aus raumordnerischer Sicht geeignet und – nach einem raumordnerischen Alternativenvergleich – vorzugswürdig ist, um konkurrierende Raumnutzungen in einen dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ausgleich zu bringen. Private Belange sind gem. § 7 Abs. 7 Satz 2 ROG in der Abwägung zu berücksichtigen, „soweit sie auf dieser Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind“. 2. Gebietsscharfe Ziele der Raumordnung Festlegungen in Raumordnungsplänen sollen nach überkommener Auffassung grundsätzlich übergemeindlich erfolgen, das heißt Ziele für mehrere Gemeinden bestimmen. Zulässig sind auch „gemeindescharfe Festlegungen“, die sich an die einzelne Gemeinde richten, sich jedoch einer innergemeindlichen Flächenfixierung enthalten. Solche Festlegungen sind in der Regionalplanung der Regelfall, z. B. im System der zentralen Orte. Gebietsscharfe Festlegungen beziehen sich auf konkrete Flächen einer Gemeinde, sie enthalten eine innergemeindliche Flächenfixierung. Durch gebietsscharfe Ziele der Raumordnung, insbesondere durch eine gebietsscharfe Standortausweisung, erfolgt ein teilweiser Zugriff auf die örtliche Planungsebene. Die Entscheidung über die Nut___________ 12

BVerwGE 125, 116 Rn. 65 unter Bezugnahme auf BVerwGE 118, 181.

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zung der Flächen innerhalb des Gemeindegebiets wird nicht von der Gemeinde getroffen, sondern vom Träger der Landesplanung. Daraus ergeben sich spezifische Abwägungserfordernisse. Parzellenscharfe Festlegungen sollen der Landesplanung generell verwehrt sein und nur der Bauleitplanung oder der Planfeststellung vorbehalten bleiben13. 3. Inhalt gebietsscharfer Standortausweisungen a) Gebietsscharfe Standortausweisungen erfolgen – wie die Beispiele zeigen – teilweise ausdrücklich auf der Grundlage von § 7 Abs. 4 Nr. 1 ROG und der entsprechenden Vorschriften der Landesplanungsgesetze. In diesen Fällen handelt es sich um die Ausweisung von Vorranggebieten. Diese sind dahingehend definiert, dass sie für bestimmte raumbedeutsame Funktionen oder Nutzungen vorgesehen sind und andere raumbedeutsame Nutzungen in diesem Gebiet ausschließen, soweit diese Nutzungen mit den vorrangigen Funktionen, Nutzungen oder Zielen der Raumordnung nicht vereinbar sind. Im Vorranggebiet hat die raumbedeutsame Funktion oder Nutzung Vorrang, für die das Gebiet ausgewiesen ist. Insoweit enthält das Ziel der Raumordnung eine gebietsinterne Ausschlusswirkung für andere Nutzungen14. Auch soweit gebietsscharfe Standortausweisungen nicht ausdrücklich als Vorranggebiete bezeichnet werden, haben sie in der Regel die gleiche Wirkung. Sie sollen – wie die Beispiele der Landesmesse und des LEP FS zum Flughafen Berlin-Schönefeld zeigen – an dem ausgewiesenen Standort konkurrierende Planungen und Nutzungen ausschließen. Insoweit handelt es sich um eine landesplanerische „Freihalteplanung“. b) Gebietsscharfe Standortausweisungen beschränken sich in der Regel nicht auf diese Freihaltefunktion gegenüber konkurrierenden Nutzungen. Sie enthalten vielmehr darüber hinausgehend eine positive und abschließende landesplanerische Entscheidung für den ausgewiesenen Standort mit Ausschlussfunktion für andere Standorte. Die gebietsscharfe Standortausweisung schließt nicht nur konkurrierende Nutzungen am Standort aus, sie enthält zugleich die Entschei___________ 13 BVerwGE 118, 181, 184 ff. im Anschluss an BVerfGE 76, 107, 119 ff.; siehe bereits Schmidt-Aßmann, Fortentwicklung des Rechts im Grenzbereich zwischen Raumordnung und Städtebau, 1997, S. 11 ff.; ders., VerwArch 71 (1980), 117 ff.; Vitzthum/ März, VBlBW 1987, 364, 368 ff., Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Stand November 2006, § 4 ROG Rn. 109 ff.; zur Unzulässigkeit parzellenscharfer Festlegungen Köck/Bovet, ZUR 2004, 96, 97; Brohm, DVBl. 1980, 117. 14 BVerwG, NVwZ 2005, 584, 585; VGH München, UPR 2006, 320 f.; Spannowsky, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Fußn. 13), § 7 ROG Rn. 103; Dolde, in: FS Kutscheidt, 2003, S. 345, 346 f.

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dung, dass das Vorhaben landesplanerisch nur am ausgewiesenen Standort zulässig sein soll, nicht jedoch an anderen, nicht positiv ausgewiesenen Standorten. Diese negative Ausschlussfunktion entspricht der Definition des Eignungsgebietes im Sinne von § 7 Abs. 4 Nr. 3 ROG und der entsprechenden Vorschriften der Landesplanungsgesetze15. c) Diese Ausschlussfunktion tritt auch dann ein, wenn sie – wie in den oben erwähnten Beispielen – nicht ausdrücklich tenoriert wird. Sie ergibt sich aus der landesplanerischen Entscheidung, unter verschiedenen in Betracht kommenden Alternativen eine landesplanerische Auswahl zu treffen. Das Bundesverwaltungsgericht16 hat deshalb bereits vor der Definition der Eignungsgebiete durch § 7 Abs. 4 Nr. 3 ROG entschieden, dass die positive landesplanerische Ausweisung eines Standortes zugleich eine Ausschlussfunktion in der Weise haben kann, dass sie das Vorhaben an anderen Standorten ausschließt. Dies gilt insbesondere für großflächige Vorhaben mit weitreichenden Auswirkungen. So hat das Bundesverwaltungsgericht in seinen Schönefeld-Urteilen17 entschieden, die Wahl eines Standortes für einen internationalen Verkehrsflughafen sei vorrangig eine raumordnerische Entscheidung. Daraus folgt nicht nur die Notwendigkeit einer landesplanerischen Alternativenprüfung, sondern auch die Ausschlusswirkung der landesplanerischen Standortausweisung. Das Vorhaben ist landesplanerisch nur am ausgewiesenen Standort zulässig, an allen anderen Standorten ist es landesplanerisch ausgeschlossen. 4. Bindungswirkung Maßgebend für das Abwägungsprogramm ist vor allem die Bindungswirkung, die gebietsscharfe Standortausweisungen als Ziele der Raumordnung entfalten. a) Andere Planungsträger sind gem. § 4 Abs. 1 ROG an die gebietsscharfe Standortausweisung durch Ziele der Raumordnung gebunden. Gemeinden sind darüber hinaus nach § 1 Abs. 4 BauGB verpflichtet, landesplanerische Standortausweisungen positiv umzusetzen, nämlich ihre Bebauungspläne in inhaltliche Übereinstimmung mit den Zielen der Raumordnung zu bringen. Ziele der Raumordnung können für die Gemeinden eine Planungspflicht begründen, in-

___________ 15

Dolde (Fußn. 14). NVwZ-RR 1997, 523 für den Regionalplan unter Bezugnahme auf BVerwGE 77, 300 zur Darstellung von Konzentrationszonen im Flächennutzungsplan. 17 BVerwGE 125, 116 Rn. 72. 16

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soweit besteht ein System vertikaler Arbeitsteilung. Die Bauleitplanung folgt inhaltlich den Zielen der Raumordnung18. b) Eine andere Arbeitsteilung besteht zwischen der Landesplanung und der Fachplanung: Für die Fachplanung gibt es keine § 1 Abs. 4 BauGB entsprechende Norm. Die Fachplanung ist nicht verpflichtet, Ziele der Raumordnung inhaltlich umzusetzen. Ziele der Raumordnung können deshalb keine Planungspflicht des Trägers der Fachplanung begründen19. Vielmehr sind gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 ROG Ziele der Raumordnung bei Planfeststellungen „zu beachten“. Dies bedeutet nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts20, dass eine gebietsscharfe landesplanerische Standortausweisung die Planfeststellungsbehörde bindet. Die Planfeststellungsbehörde habe das Ergebnis des landesplanerischen Standortvergleichs hinzunehmen, sie könne insoweit keine eigene ergebnisoffene Abwägung durchführen. Dies sei gerechtfertigt, weil die Wahl eines Standortes für einen internationalen Verkehrsflughafen vorrangig eine raumordnerische Entscheidung darstelle, die Standortwahl löse bereits auf der übergeordneten Ebene der Landesplanung ein öffentliches Planungsbedürfnis aus. Habe der Träger der Landesplanung eine gebietsscharfe Standortvorgabe als Ziel der Raumordnung bestimmt, sei die Planfeststellungsbehörde daran gebunden. Nur dies entspreche dem Ziel des Gesetzgebers, mit der verfahrensmäßigen Abschichtung raumbedeutsamer Standortfragen die Komplexität räumlicher Planungen schrittweise zu reduzieren und die Planungsträger auf den nachfolgenden Planungsstufen zu entlasten. Ein Abwägungsspielraum im Hinblick auf Standortalternativen verbleibe der Planfeststellungsbehörde allenfalls dann, wenn die Landesplanung keine gebietsscharfe zielförmige Standortvorgabe festlege, sondern nur einen Teilraum, in dessen Grenzen verschiedene Standorte für ein bestimmtes Infrastrukturvorhaben in Betracht kommen. In diesem Fall könne die Planfeststellungsbehörde innerhalb des landesplanerischen vorgegebenen Teilraums eine eigenständige Standortabwägung vornehmen. Diese auf die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung bezogenen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts können auf andere Fachplanungen über___________ 18 BVerwGE 125, 116 Rn. 66 ff. unter Bezugnahme auf BVerwGE 90, 329, insbesondere 333 f. und BVerwGE 119, 25 zu einer durch Ziele der Raumordnung bewirkten Planungspflicht; BVerwG, Beschl. vom 8.3.2006 – 4 BN 56/05. 19 BVerwGE 125, 116 Rn. 76. A.A. und durch das BVerwG überholt VGH Kassel, NVwZ 2003, 229, der eine von ihm angenommene durch die Landesplanung begründete Planungspflicht wegen eines Abwägungsfehlers für unwirksam hielt. Dazu Hendler, UPR 2003, 256, 261; vgl. auch Goppel, DVBl. 2000, 86. 20 BVerwGE 125, 116 Rn. 69 ff. Anders BVerwG, NVwZ 2003, 730, 732 und VGH München, NVwZ-RR 2006, 432, 433 für die Planung nach FStrG: Danach verkürzt die landesplanerische Trassenbestimmung für eine Bundesfernstraße die Alternativenprüfung der Planfeststellungsbehörde nicht.

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tragen werden. Sie zeigen, dass die landesplanerische Standortentscheidung nicht nur in der positiven Ausweisung eines geeigneten Standortes besteht, sondern auch in der abschließenden Zuweisung eines Vorhabens an diesen Standort und in der damit verbundenen Ausschlusswirkung für andere Standorte. Eine gebietsscharfe Standortausweisung beschränkt danach den Entscheidungsspielraum der Planfeststellungsbehörde im Hinblick auf den durch die Landesplanung vorgegebenen Standort21. Die landesplanerische Standortentscheidung ist bindend in der Weise, dass die Planfeststellungsbehörde keine eigene Standortalternativenprüfung durchzuführen hat. Sie hat allerdings zu prüfen, ob das konkrete Vorhaben am landesplanerisch vorgegebenen Standort planfeststellungsfähig ist oder nicht. Es obliegt der Planfeststellungsbehörde, die Vorzüge, die der Träger der Landesplanung mit der Standortentscheidung verbindet, im Verhältnis zu den entgegenstehenden sonstigen öffentlichen oder privaten Belangen zu bewerten und zu gewichten, auf die sich das geplante Vorhaben nachteilig auswirken würde. Es ist deshalb durchaus möglich, dass ein landesplanerisch positiv ausgewiesener Standort an spezifisch fachplanerischen Erwägungen „scheitert“. Zielförmige Standortentscheidungen der Landesplanung können in der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung aus spezifisch fachplanerischen Erwägungen „überwunden“ werden. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zur materiellen Zielbindung der Gemeinde in der Bauleitplanung, die dem strikten Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB unterliegt22. Auf der Grundlage dieser rechtlichen Einordnung der gebietsscharfen Standortausweisung ergeben sich folgende Anforderungen an die landesplanerische Abwägung:

III. Planrechtfertigung 1. Erforderlichkeit Ziele der Raumordnung sind gem. § 3 Nr. 2 ROG verbindliche Vorgaben in Form von abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festle___________ 21 BVerwGE 125, 116 Rn. 77 ff.; Deutsch (NVwZ 2006, 878, 879) bejaht die Verwerfungskompetenz der Planfeststellungsbehörde bei rechtswidrigen Standortfestlegungen und ihre Befugnis, bei einer nichtigen Standortfestlegung eine eigene Abwägung vorzunehmen. 22 Das BVerwGE 125, 116 Rn. 79 unter Bezugnahme auf BVerwGE 100, 388, 390) sieht eine Parallele zur Bindungswirkung der gesetzgeberischen Bedarfsentscheidung für die straßenrechtliche Planfeststellung.

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gungen in Raumordnungsplänen. Wie jede Planung unterliegen sie dem Gebot der Erforderlichkeit. Dies setzt eine ausreichende raumordnerische Rechtfertigung voraus. Die Ziele der Raumordnung müssen aus überörtlichen Raumordnungsinteressen erforderlich sein23. 2. Notwendigkeit der Planrechtfertigung In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist inzwischen geklärt, dass die Notwendigkeit der Planrechtfertigung nicht nur für Planungen mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung besteht. Im Urteil zum Flughafen Berlin-Schönefeld24 hat das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die klagenden Gemeinden entschieden, sie könnten eine Überprüfung der Planrechtfertigung beanspruchen, wenn sie substantiiert vortragen, durch das Vorhaben würden wesentliche Teile des Gemeindegebiets der gemeindeeigenen Planung entzogen, hinreichend gesicherte Planungen der Gemeinde würden unmöglich gemacht oder die Funktionsfähigkeit gemeindlicher Einrichtungen werde beeinträchtigt. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleitet. Im Urteil zum Flughafen Leipzig25 ging das Bundesverwaltungsgericht einen Schritt weiter. Die Planrechtfertigung sei ungeschriebenes Erfordernis jeder Fachplanung und eine Ausprägung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns, das mit Eingriffen in Rechte Dritter verbunden sei. Sie sei immer dann zu prüfen, wenn das Vorhaben mit Eingriffen in Rechte Dritter einhergehe. Art. 14 Abs. 1 GG schütze den Eigentümer auch vor mittelbaren Beeinträchtigungen seines Eigentums durch ein planfeststellungsbedürftiges Vorhaben. Auch derartige Eigentumsbeeinträchtigungen müssten dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Da Ziele der Raumordnung und gebietsscharfe Standortausweisungen Inhalt und Schranken des Eigentums nicht unmittelbar bestimmen und deshalb keine Inhaltsbestimmung des Eigentums sind, scheidet diese Begründung für die Notwendigkeit einer landesplanerischen Planrechtfertigung aus. Die Notwendigkeit der Planrechtfertigung ergibt sich jedenfalls im Hinblick auf betroffene Gemeinden dann, wenn wesentliche Teile ihres Gemeindege___________ 23 BVerwG, ZfBR 2006, 468; NVwZ 2005, 584, 586; VGH München, UPR 2006, 320, 322. Zur Erforderlichkeit einer Planung siehe auch BVerwGE 116, 144, 147; 120, 239, 241 f. 24 Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1001.04 – Rn. 194. 25 NVwZ 2007, 445, Rn. 33; ebenso Urt. vom 26.4.2007 – 4 C 12.05 – Rn. 45 (Airbus).

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biets einer gemeindeeigenen Planung entzogen werden bzw. hinreichend gesicherte Planungen unmöglich gemacht werden26. 3. Bedarfsprognose Die Notwendigkeit rechtzeitiger Vorsorge z. B. für die künftige Erweiterung eines Flughafens durch raumordnerische Planungen ist ein sachlich tragfähiger Grund für gebietsscharfe Standortausweisungen. Für eine Landesmesse oder für andere Infrastrukturvorhaben gilt dies gleichermaßen27. Die Bejahung eines solchen Bedarfs setzt eine entsprechende Bedarfsprognose voraus. Im Hinblick auf die Beschränkung der kommunalen Planungshoheit wäre es mit den Anforderungen an eine rechtsstaatliche Planung nicht vereinbar, einen Standort gebietsscharf ohne entsprechenden Bedarf auszuweisen. Die rechtlichen Anforderungen an die Bedarfsprognose haben die Besonderheiten der landesplanerischen Standortvorsorge zu berücksichtigen. Mit der landesplanerischen Standortausweisung wird nur über den Standort entschieden, nicht jedoch über die Zulassungsfähigkeit des Vorhabens. Diese Entscheidung bleibt den nachfolgenden Verfahren vorbehalten. Zu berücksichtigen ist weiter, dass zwischen der landesplanerischen Standortentscheidung und der Realisierung des Vorhabens ein größerer Zeitraum liegt als zwischen der Planfeststellung und der Realisierung des Vorhabens. Daraus resultiert die Zulässigkeit, wenn nicht gar die Notwendigkeit eines längeren Prognosezeitraums28.

IV. Allgemeine Anforderungen an die Abwägung 1. Landesplanerischer Durchgriff Die gebietsscharfe Standortausweisung durch Ziele der Raumordnung enthält eine innergemeindliche Flächenfixierung und beschränkt insoweit die Planungshoheit der betroffenen Gemeinde. Der landesplanerische „Durchgriff“ auf Gemeindegebietsteile ist im Hinblick auf die Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG an verfassungsrechtliche Voraussetzungen gebunden. Schränkt die Landesplanung die Planungshoheit einzelner Gemeinden ein, ___________ 26 BVerwG, NVwZ 2003, 1263, 1266 zum Regionalplan Landesmesse-Flughafen Stuttgart (insoweit in BVerwGE 118, 181, 183 nur gekürzt wiedergegeben) sowie VGH Mannheim, NuR 2002, 291, 294. 27 BVerwGE 118, 181, 186; VGH München, UPR 2006, 320, 322. 28 VGH München, UPR 2006, 320, 322 unter Bezugnahme auf BVerwG, NVwZ 2003, 1263, 1266.

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müssen nach herkömmlicher Rechtsprechung29 überörtliche Interessen von höherem Gewicht den Eingriff rechtfertigen. Der Eingriff in die Planungshoheit der einzelnen Gemeinde muss gerade angesichts der kommunalen Selbstverwaltung verhältnismäßig sein. Der landesplanerische Zugriff auf Teile eines Gemeindegebiets setzt voraus, dass überörtliche Interessen von höherem Gewicht den Eingriff rechtfertigen. Ob dies der Fall ist, ist anhand der konkreten Gegebenheiten im Wege der Güterabwägung zu ermitteln. Je stärker eine Gemeinde schon von ihrer geographischen Lage oder ihrem sonstigen Ausstattungspotenzial her einer Situationsgebundenheit unterliegt, desto eher sind die Eingriffe, die an dieses Merkmal anknüpfen, zuzumuten. Eine gebietsscharfe Standortausweisung setzt voraus, dass der Koordinierungsbedarf des Vorhabens im Hinblick auf überörtliche Belange die planerische Kraft einer Gemeinde übersteigt und dass sie deshalb Aufgabe der überörtlichen Landesplanung ist30. 2. Landesplanerischer Durchgriff als Ausnahme? Aus dieser Perspektive ist die gebietsscharfe Standortausweisung sozusagen eine rechtfertigungsbedürftige Ausnahme. Ob dies in dieser Form noch zutrifft, ist allerdings zweifelhaft. Raumordnung und Landesplanung erfolgen heute in großen Teilen durch gebietsscharfe Ziele der Raumordnung. Raumordnungspläne sollen nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 ROG unter anderem die anzustrebende Freiraumstruktur festlegen. Das Gesetz nennt beispielhaft großräumig übergreifende Freiräume und Freiraumschutz, Nutzungen im Freiraum wie Standorte für Sicherung, Aufsuchung und Gewinnung von standortgebundenen Rohstoffen. Solche Festlegungen können praktisch nur gebietsscharf getroffen werden. Dasselbe gilt für die nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 ROG zu sichernden Standorte und Trassen für Infrastruktur. Die in § 7 Abs. 4 ROG vorgesehene Ausweisung von Vorranggebieten, Vorbehaltsgebieten und Eignungsgebieten ist von Hause aus gebietsbezogen. Erholungsgebiete, Grünzüge, Grünzäsuren etc. werden traditionsgemäß gebietsscharf und damit unter Zugriff auf die kommunale Planungshoheit festgesetzt. Die Rechtsprechung hat dies bislang gebilligt, unter anderem unter Hinweis auf „standortspezifische Nutzungsarten“ und mit der Überlegung, solche Flächenfunktionszuweisungen könnten „aus der Natur der Sache“ nur gebietsscharf sein31. ___________ 29

BVerfGE 56, 289, 313 f.; 76, 107, 199 f.; 103, 332, 365 ff.; BVerwGE 118, 181, 184 ff.; BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1001.04 – Rn. 174. 30 BVerwGE 118, 181, 186. 31 BVerwGE 90, 329, 336 f.; 118, 181, 186.

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In seinem Urteil zur Landesmesse hat das Bundesverwaltungsgericht32 darauf hingewiesen, dass Standortausweisungen für Infrastrukturvorhaben wegen ihrer raumfreihaltenden Zielrichtung auf einen hohen Konkretisierungsgrad angewiesen sind. Sie könnten ihre Steuerungsfunktion nur bei hinreichender räumlicher Bestimmtheit entfalten. Die Aussageschärfe einer Standortausweisung hänge davon ab, welchen Koordinierungsbedarf das Vorhaben im Hinblick auf überörtliche und damit raumbedeutsame Belange auslöst und ob die planerische Kraft einer oder mehrerer Gemeinden ausreicht, diesen Bedarf zu bewältigen. Entscheidend seien die raumordnerischen Rahmenbedingungen und die raumstrukturellen Erfordernisse in der jeweiligen Planungsregion. Regionalplanerische Standortfestlegungen in einem großstädtischen Ballungsraum mit hoher baulicher Verdichtung erforderten im allgemeinen ein höheres Maß an Planungskoordination und räumlicher Bestimmtheit als Standortausweisungen in dünn besiedelten ländlichen Räumen. Der mit einer gebietsscharfen Standortausweisung verbundene hohe Konkretisierungsgrad sei durch die enge Verflechtung örtlicher und überörtlicher Belange in einem großstädtischen Ballungsraum und durch die Erfordernisse einer wirkungsvollen planerischen Gesamtkoordination auf begrenztem Raum bedingt und auch gerechtfertigt. Das Bundesverwaltungsgericht33 hat dazu resümierend festgestellt, Zulässigkeit und Grenzen gebietsscharfer Standortentscheidungen beurteilten sich nach der Aufgabenstellung der Raumordnungsplanung sowie im Hinblick auf die kommunale Planungshoheit nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme in mehrstufigen Planungsprozessen. 3. Bauleitplanung – Fachplanung Man wird hier – über die bisherige Rechtsprechung hinausgehend – unterscheiden müssen: a) Soweit eine landesplanerische gebietsscharfe Standortausweisung die Anpassungspflicht der betroffenen Gemeinde nach § 1 Abs. 4 BauGB auslöst, bedarf die gebietsscharfe Ausweisung besonderer Rechtfertigung. Wie bereits erwähnt, begründet § 1 Abs. 4 BauGB das Gebot, die Bauleitpläne materiell in Einklang zu halten mit den Zielen der Raumordnung. Daraus können sich Planungspflichten für die Gemeinde ergeben. Dieses Gebot greift insbesondere dort, wo die Raumordnung Standortausweisungen für Vorhaben trifft, die der kommunalen Bauleitplanung unterliegen. Insoweit nimmt die Landesplanung der Gemeinde einen Teil ihrer Entscheidungskompetenz, nämlich die Standortausweisung durch Bauleitplanung innerhalb des Gemeindegebiets. Diese ___________ 32 33

BVerwGE 118, 181, 186, 187 f. BVerwGE 118, 181, 189.

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„Hochzonung“ der abschließenden Standortentscheidung von der Ebene der Bauleitplanung auf die Ebene der Landesplanung bedarf im Hinblick auf die kommunale Planungshoheit besonderer Rechtfertigung. b) Anders ist die Ausgangslage bei gebietsscharfen Standortausweisungen für Vorhaben, für die das Fachplanungsprivileg des § 38 BauGB gilt. Diese Vorhaben sind der verbindlichen Standortentscheidung durch die Bauleitplanung entzogen. Die Standortentscheidung für diese Vorhaben im Rahmen der Planfeststellung hat die städtebaulichen Belange nur zu berücksichtigen, sie ist jedoch nicht an die Bauleitplanung der Gemeinden gebunden34. Die Hochzonung der Standortentscheidung in diesen Fällen auf die Ebene der Landesplanung nimmt deshalb der Gemeinde keine Kompetenz für die abschließende Standortentscheidung, weil der Gemeinde diese Kompetenz nach § 38 BauGB nicht zukommt. In diesem Fall findet vielmehr eine Kompetenzverlagerung von der Planfeststellungsbehörde auf die Landesplanung statt, weil die Planfeststellungsbehörde an die landesplanerische Standortentscheidung im oben wiedergegebenen Umfang gebunden ist. Im Anwendungsbereich des § 38 BauGB obliegt die Standortplanung nicht der Bauleitplanung. Die kommunale Planungshoheit ist nur insoweit betroffen, als widersprechende kommunale Planungen sich nicht durchsetzen. In diesen Fällen sind deshalb an die Zulässigkeit von gebietsscharfen Standortausweisungen im Hinblick auf die kommunale Planungshoheit geringere Anforderungen zu stellen als für die Standortentscheidungen, die die Anpassungspflicht des § 1 Abs. 4 BauGB auslösen. Gleichwohl bedarf es auch in diesen Fällen einer Begründung, warum die gebietsscharfe Standortfestlegung zur überfachlichen und überörtlichen Gesamtplanung zweckmäßig ist. Diese Begründung wird bei planfeststellungsbedürftigen Vorhaben von einigem Gewicht in der Regel leicht fallen. 4. Schlüssiges Bewertungskonzept Gebietsscharfe Standortausweisungen enthalten – wie bereits erwähnt – nicht nur eine positive Entscheidung für den ausgewiesenen Standort, sondern zugleich die Entscheidung, dass das Vorhaben an anderen Standorten landesplanerisch ausgeschlossen ist. Diese Ausschlusswirkung für den übrigen Planungsraum setzt ein schlüssiges Planungs- und Bewertungskonzept für das gesamte vom Ausschluss betroffene Gebiet voraus. Es muss hinreichende raumordnerische Gründe geben, das Vorhaben außerhalb des gebietsscharf ausgewiesenen Standortes auszuschließen. Die Grundsätze der Rechtsprechung zur ___________ 34

Zu § 38 BauGB siehe BVerwG, NVwZ 2007, 459 (luftrechtliche Genehmigung), grundlegend BVerwGE 70, 242.

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Steuerung von Anlagen zur Nutzung der Windenergie durch Ziele der Raumordnung35 sind entsprechend anzuwenden.

V. Abwägungsdichte 1. Landesplanerische Abwägung a) Die landesplanerische Abwägung ist nunmehr durch § 7 Abs. 7 ROG ausdrücklich vorgegeben, und zwar unter Einbeziehung der Grundsätze der Raumordnung, der Umweltprüfung (§ 7 Abs. 5 ROG) und des Umweltberichts, der Erhaltungsziele und der Schutzzwecke der FFH-Gebiete und der Europäischen Vogelschutzgebiete. Sonstige öffentliche Belange sowie private Belange sind in der Abwägung zu berücksichtigen, „soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind“. b) Die konkreten Anforderungen an die Abwägung, insbesondere an die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials und an die Gewichtung der betroffenen Belange sowie an die Konfliktbewältigung, richten sich nach Inhalt und Aufgabe der Landesplanung. Das Raumplanungsrecht umfasst eine Abfolge von Planungsentscheidungen mit fortschreitender Verdichtung der Regelungen auf Landes- und Regionalebene bis hin zu den konkreten Festlegungen auf Gemeindeebene oder in der Planfeststellung. Jeder der einzelnen Planungsstufen kommt die Aufgabe zu, die verschiedenen Fachinteressen, die auf dieser Stufe zusammentreffen, zu koordinieren. Die Anforderungen an das Abwägungsgebot sind entsprechend dem Auftrag, der Maßstäblichkeit, dem Inhalt, den Grenzen und den rechtlichen Wirkungen der Landesplanung zu bestimmen. Unterschiede auf den verschiedenen Planungsstufen bestehen vor allem im Hinblick auf die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials. Der Grundsatz, dass in die Abwägung an Belangen einzustellen ist, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, führt dazu, dass auf der Ebene der Landesplanung das Abwägungsmaterial sehr viel weitmaschiger ist als in der Bauleitplanung oder der Planfeststellung. Dies resultiert daraus, dass Raumordnungspläne rahmensetzende Planungen sind. Sie begründen keine Baurechte, sondern setzen den Rahmen für nachfolgende Planungsstufen. Die Landesplanung ist beschränkt auf die überörtliche und überfachliche Planung, nicht jedoch auf die Planung eines konkreten Vorhabens ___________ 35

BVerwGE 118, 181, 194 f.; 125, 116 Rn. 63, 74, 152 ff.; VGH München, UPR 2006, 320, 323; Hendler, UPR 2003, 256, 258. BVerwG, DVBl. 2006, 459; NVwZ 2003, 738 und 1261; BVerwGE 122, 109 und NVwZ 2003, 733 zum Flächennutzungsplan. Siehe auch Dolde, in: FS Kutscheidt, 2003, S. 345.

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und die Konfliktbewältigung vor Ort. Die „ebenenspezifische Abwägung“ erfordert nur eine Berücksichtigung der Belange in der Abwägung, die auf der Ebene der Raumordnung erkennbar und die auf dieser Planungsebene von Bedeutung sind. Die raumordnerische Abwägung ist deshalb in aller Regel keine „erschöpfende“ Abwägung36. c) Die durch § 7 Abs. 6 ROG vorgegebene Beteiligung öffentlicher Stellen und der Öffentlichkeit stellt in weit größerem Maße als bisher sicher, dass öffentliche und private Belange im Rahmen der Raumordnung erkennbar werden. Inwieweit sie für die landesplanerische Entscheidung von Bedeutung sind, lässt das ROG offen. Dies richtet sich nach den rechtlichen Wirkungen der gebietsscharfen Standortausweisung. 2. Anforderungen a) Je konkreter die landesplanerischen Festlegungen sind, umso schärfer sind die Raumverhältnisse in den Blick zu nehmen37. Gebietsscharfe Standortausweisungen enthalten die abschließende landesplanerische Standortentscheidung. Im Hinblick auf den Standort sind die Ausweisungen in hohem Maße konkret. Über den Standort wird eine endgültige Entscheidung getroffen, offen ist nur noch die Differenz zwischen Gebietsschärfe und Parzellenschärfe. Daraus resultieren Anforderungen an die Abwägung: Eine fehlerfreie Standortentscheidung setzt voraus, dass die mit dem Vorhaben verbundenen Lärmbelastungen, Luftverunreinigungen, die Zunahme der Belastungen des bestehenden Verkehrsnetzes, Eingriffe in Natur und Landschaft sowie sonstige für die strategische Umweltprüfung maßgebende Umweltauswirkungen in den Blick genommen werden. Dasselbe gilt selbstverständlich für die Erhaltungsziele und die Schutzzwecke der von der Planung betroffenen FFH-Gebiete sowie der Europäischen Vogelschutzgebiete38. b) Die landesplanerische gebietsscharfe Standortausweisung beschränkt sich auf die Aussage, dass der ausgewählte Standort aus raumordnerischer Sicht geeignet ist, konkurrierende Raumnutzungen und Raumfunktionen in einen dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ausgleich zu bringen39. Dieses Ausgleichsziel bestimmt die Zusammenstellung und die Gewichtung des Abwägungsmaterials. Die Prüfung örtlicher Einzelheiten und die Erfüllung der spezifischen fachgesetzlichen Anforderungen bleibt der Entscheidung über die Zu___________ 36 BVerwGE 118, 181, 194 f.; 125, 116 Rn. 63, 74, 152 ff.; VGH München, UPR 2006, 320, 323; Hendler, UPR 2003, 256, 258. 37 BVerwGE 118, 181, 194 f.; 125, 116 Rn. 74, 152 ff. 38 BVerwGE 118, 181, 186, 194 f.; 125, 116 Rn. 74. 39 BVerwGE 118, 181, 194 f.; 125, 116 Rn. 64.

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lässigkeit des Vorhabens in den nachfolgenden Stufen vorbehalten, z. B. der Entscheidung in der Bauleitplanung oder in der nachfolgenden Planfeststellung oder Genehmigung. In diesen nachfolgenden Verfahren sind dem Träger des Vorhabens die erforderlichen baulichen, technischen oder betrieblichen Schutzvorkehrungen aufzuerlegen40. c) Es ist deshalb nicht Aufgabe der Landesplanung, die landesplanerische Standortausweisung mit baulichen, technischen oder betrieblichen Schutzvorkehrungen abzusichern. Im Rahmen der Abwägung muss sich die Landesplanung nur vergewissern, dass das Vorhaben am ausgewiesenen Standort bei Ausnutzung der tatsächlich und rechtlich gegebenen baulichen, technischen und betrieblichen Schutzvorkehrungen zulassungsfähig ist. Sollte bereits auf der Ebene der Landesplanung absehbar sein, dass ein Vorhaben auf der Ebene der Planfeststellung an sonstigen öffentlichen oder privaten Belangen definitiv scheitern muss, weil die notwendigen Schutzvorkehrungen nicht zur Verfügung stehen, wäre eine landesplanerische Standortfestlegung rechtswidrig41. Eine abschließende Beurteilung der Umweltauswirkungen des Vorhabens ist auf der Ebene der Landesplanung weder möglich noch notwendig. Sie ist nur auf der Ebene der Planfeststellung oder der Genehmigung des Vorhabens unabdingbar, weil erst dort eine abschließende Entscheidung über die Zulassungsfähigkeit des Vorhabens und die zur Konfliktbewältigung notwendigen Schutzvorkehrungen zu treffen ist42. 3. Alternativenprüfung a) Im Rahmen der landesplanerischen Standortausweisung gelten die allgemeinen Grundsätze des Abwägungsgebots, angepasst an die spezifische Aufgabe der Landesplanung. Sowohl nach diesen allgemeinen Grundsätzen des Abwägungsgebotes als auch im Rahmen der strategischen Umweltprüfung sind unter Berücksichtigung der allgemeinen landesplanerischen Zielsetzungen Planungsalternativen zu untersuchen43. Dies stellt heute § 7 Abs. 5 Satz 2 ROG ausdrücklich klar. b) Der Träger der Landesplanung ist nach allgemeinen Abwägungsgrundsätzen somit verpflichtet, ernsthaft in Betracht kommende Alternativstandorte einer vergleichenden Prüfung aus raumordnerischer Sicht zu unterziehen. Er ist jedoch nicht verpflichtet, die Prüfung der Standortalternative bis zuletzt offen___________ 40

BVerwGE 125, 116, Rn. 155. BVerwGE 125, 116, Rn. 154 f. 42 BVerwGE 125, 116 Rn. 77 f. 43 BVerwGE 125, 116, Rn. 74, 98; BVerwG, NVwZ 2003, 1263, 1267 (in BVerwGE 118, 181 insoweit nicht abgedruckt). 41

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zuhalten und alle zu einem bestimmten Zeitpunkt erwogenen Alternativen gleichermaßen detailliert und umfassend zu untersuchen. Er braucht den Sachverhalt nur insoweit aufzuklären, wie dies für eine sachgerechte Standortwahl und eine zweckmäßige Gestaltung des Verfahrens erforderlich ist. Einen Alternativstandort, der ihm auf der Grundlage einer Grobanalyse als weniger geeignet erscheint, darf er in einem frühen Verfahrensstadium ausscheiden. Die Standortwahl ist nicht schon dann abwägungsfehlerhaft, wenn sich später herausstellt, dass eine zurückgestellte Alternative ebenfalls mit guten Gründen vertretbar gewesen wäre44. Es ist insbesondere nicht Aufgabe des Gerichts, durch eigene Ermittlungen und Wertungen ersatzweise zu planen und sich dabei von den Erwägungen einer „besseren“ Planung leiten zu lassen. Die Standortwahl ist erst dann rechtswidrig, wenn sich die verworfene Alternative entweder als die eindeutig vorzugswürdige Lösung hätte aufdrängen müssen oder wenn die Planungsbehörde infolge einer fehlerhaften Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen ist. Die Bewertung der privaten und öffentlichen Belange und ihre Gewichtung im Verhältnis untereinander macht das Wesen der Planung als eine im Kern politischen Entscheidung aus, sie ist deshalb nur im Hinblick auf die Einhaltung rechtlicher Schranken gerichtlich überprüfbar45. Erfüllt eine Alternative wesentliche landesplanerische Ziele nicht, kann sie wegen dieses Mangels aufgrund einer Grobanalyse ausgeschieden werden. Weitere Untersuchungen, z. B. zu Lärmemissionen und Lärmimmissionen, sind in diesem Fall nicht erforderlich, weil das Ergebnis solcher Untersuchungen für die Zielerfüllung unerheblich ist46.

VI. Einzelne abwägungserhebliche Belange 1. Bedarf Die gebietsscharfe Standortausweisung setzt nicht nur im Rahmen der Planrechtfertigung, sondern auch im Rahmen des Abwägungsgebots die Ermittlung des Bedarfs voraus, um die für das Vorhaben sprechenden Belange fehlerfrei gewichten zu können. Der Prognosezeitraum sollte länger sein als in der Planfeststellung, und zwar zum einen wegen der rahmensetzenden Funktion der gebietsscharfen Standortausweisung und zum anderen, weil zwischen der landes___________ 44 BVerwG, NVwZ 2003, 1263, 1267 (insoweit in BVerwGE 118, 181 nicht abgedruckt). 45 BVerwGE 125, 116 Rn. 98 unter Bezugnahme auf BVerwGE 100, 370, 383 f.; Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 102, S. 31; BVerwGE 48, 56, 63 f. 46 BVerwGE 125, 116, Rn. 152 f. unter Bezugnahme auf BVerwGE 100, 238.

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planerischen Standortausweisung und der Realisierung des Vorhabens ein größerer Zeitraum liegt als zwischen der Planfeststellung und der Realisierung des Vorhabens47. Für die rechtlichen Anforderungen an die Bedarfsprognose gelten die allgemeinen Grundsätze48. 2. Kommunale Planungshoheit a) Die gebietsscharfe Standortausweisung durch Ziele der Raumordnung kollidiert regelmäßig mit der kommunalen Planungshoheit49, weil sie den gleichen Raum beansprucht, der Gegenstand der Bauleitplanung ist. Dies gilt auch für die gebietsscharfe Standortausweisung für Vorhaben, für die das Fachplanungsprivileg des § 38 BauGB gilt. Zwar hat die Gemeinde insoweit keine Kompetenz zur Standortfestlegung durch Bauleitplanung, wohl jedoch die Kompetenz zur Bauleitplanung für die Fläche, auf der das Fachplanungsvorhaben vorgesehen ist. Jede gebietsscharfe Standortausweisung tritt deshalb und weil die Bauleitplanung gem. § 1 Abs. 4 BauGB den Zielen der Raumordnung anzupassen ist, in Konkurrenz zur kommunalen Planungshoheit. Konflikte können insbesondere bestehen mit verbindlichen Bauleitplänen, Planungsabsichten, städtebaulichen Leitvorstellungen der betroffenen Gemeinden. Die damit verbundenen Beschränkungen der Planungshoheit sind nur zulässig, wenn sie verhältnismäßig sind. Dies setzt voraus, dass sie durch überörtliche Interessen von höherem Gewicht gerechtfertigt sind. Die für das Vorhaben sprechenden Gründe, insbesondere der Bedarf, seine Dringlichkeit einerseits sowie die Beeinträchtigung der Planungshoheit andererseits, sind gegeneinander und untereinander abzuwägen. Entscheidend ist, in welchem Umfang kommunale Planungen, Planungsabsichten zunichte gemacht werden und welche Planungsspielräume nach der gebietsscharfen Standortausweisung durch die Landesplanung für die betroffene Gemeinde noch verbleiben50. Dies setzt eine hinreichend genaue Ermittlung der planerischen Vorstellungen der Gemeinde und ihrer Beeinträchtigungen voraus. b) Nach § 9 Abs. 2 Satz 2 ROG sind bei der Aufstellung der Regionalpläne Flächennutzungspläne und die Ergebnisse der von Gemeinden beschlossenen sonstigen städtebaulichen Planungen in der Abwägung zu berücksichtigen. Der Gesetzeswortlaut legt die Annahme nahe, dass nur „beschlossene“ Planungen zu berücksichtigen sind. Im Hinblick auf die Planungshoheit der betroffenen ___________ 47

VGH München, UPR 2006, 320, 322. BVerwGE 125, 116 Rn. 88 ff. 49 BVerwGE 118, 181, 184; Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1001.04 – Rn. 172 ff. 50 BVerwG, NVwZ 2003, 1263, 1267 f. (in BVerwGE 118, 181 nur teilweise abgedruckt); Urt. vom 16.3.2006 – 4 A 1001.04 – Rn. 172 ff. 48

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Gemeinden und im Hinblick auf Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG erscheint es fraglich, ob der Gesetzeswortlaut die Berücksichtigung städtebaulicher Leitbilder, die sich noch nicht in beschlossenen städtebaulichen Planungen niedergeschlagen haben, ausschließt. Die Träger der Landesplanung sind gut beraten, nicht nur beschlossene städtebauliche Planungen zu berücksichtigen, sondern auch solche Planungsabsichten, die sich im Sinne der bisherigen Rechtsprechung51 hinreichend verfestigt haben. 3. Lärm Im Rahmen der strategischen Umweltprüfung nach § 7 Abs. 5 ROG ist die Ermittlung der Lärmauswirkungen eines Vorhabens von zentraler Bedeutung. Dasselbe gilt nach dem allgemeinen Abwägungsgebot. Bei der landesplanerischen Prüfung von Standortalternativen muss der Träger der Landesplanung sich zumindest Klarheit über die flächen- und zahlenmäßige Größenordnung der Lärmbetroffenheiten an den in die Alternativenprüfung einbezogenen Standorten verschaffen. Bereits auf der Grundlage einer Grobanalyse der Siedlungsstrukturen ins Auge fallende, gravierende Unterschiede im Ausmaß der Lärmbetroffenheit muss er in die Abwägung einstellen. Eine numerisch-präzise Ermittlung der Anzahl der z. B. vom Fluglärm voraussichtlich betroffenen Einwohner ist jedoch nicht erforderlich, wenn offenkundige Disparitäten im Ausmaß der Lärmbelastung nach der Konzeption des Trägers der Landesplanung in der Abwägung kein ausschlaggebendes Gewicht besitzen. Auch auf der Ebene der Landesplanung sind die künftigen Lärmimmissionen der Standortalternativen nur dann näher zu untersuchen, wenn und soweit diese grundsätzlich geeignet sind, die planerischen Zielvorstellungen zu verwirklichen. Die Lärmauswirkungen einer bestimmten Standortalternative bedürfen deshalb keiner Detailprüfung mehr, wenn sich im Verlauf des Planungsprozesses abzeichnet, dass der Plangeber seine vorrangig verfolgten planerischen Ziele an diesem Standort nicht verwirklichen kann. Den Planungsträgern ist es auch in diesem Zusammenhang nicht verwehrt, die Prüfung auf diejenige Variante zu beschränken, die nach dem aktuellen Planungsstand und gemessen an seinen Planungszielen noch ernstlich in Betracht kommt52. Dies folgt aus der Rechtsprechung zur Bedeutung der Planungsziele und der Grobanalyse im Rahmen der Standortalternativenprüfung53: Erfüllt eine Alter___________ 51 BVerwG, NVwZ 2003, 1263, 1268 (insoweit in BVerwGE 118, 181 nicht abgedruckt); NVwZ 2003, 207; zusammenfassend Vallendar, UPR 2003, 41. 52 BVerwGE 125, 116 Rn. 152 f. 53 BVerwGE 100, 238, 249 f.; BVerwG, NVwZ 2003, 1263, 1266 (insoweit in BVerwGE 118, 181 nicht abgedruckt); Dolde, NVwZ 1996, 526, 528 f.

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native wesentliche Planungsziele nicht, kann sie deshalb ausgeschieden werden, ohne dass weitergehende Untersuchungen im Hinblick auf andere Gesichtspunkte notwendig sind. Eine numerisch-präzise Ermittlung der Anzahl der vom Lärm voraussichtlich betroffenen Einwohner ist deshalb für solche Alternativen entbehrlich, die wesentliche Planungsziele aus anderen Gründen nicht erfüllen. Allerdings kann nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts54 der zahlen- und flächenmäßige Umfang der privaten Lärmbetroffenheiten bei einem ballungsraumnahen Flughafen-Standort aus der überörtlichen und überfachlichen Sicht der Landesplanung so bedeutsam sein, dass Lärmschutzbelange die raumordnerischen Gründe, die für einen stadtnahen Standort sprechen, in Frage stellen. In einem solchen Fall muss sich der Träger der Landesplanung mit der Frage auseinandersetzen, ob die Umsetzung seiner Standortentscheidung im nachfolgenden Planfeststellungsverfahren aus Gründen des Lärmschutzes auf unüberwindbare tatsächliche oder rechtliche Hindernisse stoßen würde. Bestehen solche Hindernisse, kann der Standort nicht ausgewiesen werden, weil die Planung wegen dauerhafter tatsächlicher oder rechtlicher Hindernisse nicht realisiert werden könnte. In Zusammenhang mit Lärmimmissionen stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten der Konfliktlösung auf der Ebene der Landesplanung. Auch hier kann die Landesplanung nur die ihr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, nämlich die Festlegung von Siedlungs- und Freiraumstrukturen und deren Konkretisierung in Gestalt von Planungszonen zur Siedlungsbeschränkung. Die Prüfung örtlicher Einzelheiten und die Erfüllung spezifischer fachgesetzlicher Anforderungen an ein wirksames finanziell tragbares Lärmschutzkonzept nicht Gegenstand der Landesplanung. Sie bleiben der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens im nachfolgenden Zulassungsverfahren vorbehalten. Für die landesplanerische Standortausweisung genügt die Prüfung, ob die Lärmschutzprobleme, die die landesplanerische Standortentscheidung auslösen wird, auf der Ebene der Fachplanung beherrschbar sein werden. Sind die Probleme nicht beherrschbar, ist der Standort auch landesplanerisch ungeeignet. In diesem Fall muss die Landesplanung einen anderen Standort wählen55. Damit ist klargestellt, dass es nicht Aufgabe und auch nicht Kompetenz der Landesplanung ist, flugbetriebliche Beschränkungen, z. B. ein Nachtflugverbot, anzuordnen. Gleichermaßen ist die Landesplanung weder befugt noch ver-

___________ 54

BVerwGE 125, 116 Rn. 154 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zur Bauleitplanung und zur Fachplanung BVerwGE 116, 144, 147. 55 BVerwGE 125, 116 Rn. 154 f.; zust. Deutsch, NVwZ 2006, 878, 879.

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pflichtet, Maßnahmen des aktiven oder des passiven Schallschutzes anzuordnen56. 4. Luftverunreinigungen Die Ausführungen zu den Lärmimmissionen gelten gleichermaßen für die Bedeutung von Luftverunreinigungen im Rahmen der landesplanerischen Standortabwägung. 5. Eingriffe in Natur und Landschaft Eine landesplanerische gebietsscharfe Standortausweisung bewirkt keinen Eingriff in Natur und Landschaft im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes. Sie führt – anders als die Bauleitplanung – nicht zur Zulässigkeit eines solchen Eingriffs. Deshalb unterliegt sie nicht den Anforderungen an die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung. Es verstößt weder gegen Naturschutzrecht noch gegen das Gebot der Konfliktbewältigung, wenn die gebietsscharfe Standortausweisung nicht durch ein landesplanerisch abgesichertes Kompensationskonzept begleitet wird57. Die Auswirkung auf Natur und Landschaft sind selbstverständlich im Rahmen der Umweltprüfung und des Umweltberichts zu berücksichtigen und in die Abwägung einzubeziehen. 6. FFH- und Vogelschutzgebiete Gem. § 35 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG entfällt bei Raumordnungsplänen die Verpflichtung der Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG. Der Grund liegt darin, dass nach § 7 Abs. 7 Satz 4 ROG in der landesplanerischen Abwägung auch die Erhaltungsziele und der Schutzzweck der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der Europäischen Vogelschutzgebiete im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes zu berücksichtigen sind. Soweit diese erheblich beeinträchtigt werden können, sind die Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes über die Zulässigkeit und Durchführung von derartigen Eingriffen sowie die Einholung der Stellungnahme der ___________ 56 Ebenso Deutsch, NVwZ 2006, 878, 879. A.A. und durch das BVerwG meines Erachtens überholt Hermes, Rechtsfragen der Verankerung verbindlicher Ziele im Landesentwicklungsplan Hessen, Rechtsgutachten, 2006, S. 20 f., 42. 57 BVerwGE 118, 181, 195 ff.

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Kommission anzuwenden (§ 34 Abs. 2 bis 5 BNatSchG). Dadurch ist im ROG die Prüfung nach der FFH-Richtlinie ausdrücklich angeordnet. § 35 BNatSchG vermeidet eine Doppelregelung58. 7. Private Belange Klärungsbedürftig ist, inwieweit die Belange Privater in der landesplanerischen Abwägung bei einer gebietsscharfen Standortausweisung zu berücksichtigen sind. Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung in der Landesplanung besteht Gelegenheit für die Betroffenen, ihre privaten Belange für oder gegen einen bestimmten Standort vorzubringen. Diese Belange sind damit für den Träger der Landesplanung erkennbar. Die Frage ist, inwieweit diese Belange für die landesplanerische Standortentscheidung „von Bedeutung sind“. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts59 enthält die landesplanerische gebietsscharfe Standortausweisung eine abschließende landesplanerische Entscheidung, an die die Planfeststellungsbehörde im oben wiedergegebenen Umfang gebunden ist. Die Planfeststellungsbehörde kann die Zulassung des Vorhabens am gebietsscharf ausgewiesenen Standort wegen überwiegender öffentlicher und/oder privater Belange ablehnen. Sie kann jedoch keine eigenständige Alternativenprüfung durchführen. Dies hat zur Folge, dass die von dem Vorhaben Betroffenen in der Planfeststellung keine Standortalternativenprüfung mehr fordern können. Sie können ihre eigenen Belange nur noch im Hinblick auf die Ablehnung des Vorhabens am konkreten Standort oder im Hinblick auf notwendige Schutzvorkehrungen geltend machen. Dieses Defizit wird durch die Inzidentkontrolle der landesplanerischen Standortausweisung nicht ausgeglichen. Diese Inzidentkontrolle stellt nicht sicher, dass die privaten Belange bei landesplanerischen Standortentscheidungen ausreichend berücksichtigt werden. Die Inzidentkontrolle betrifft die landesplanerische Standortausweisung am Maßstab der Anforderungen des landesplanungsrechtlichen Abwägungsgebots. Soweit das landesplanerische Abwägungsgebot die Berücksichtigung privater Belange nicht umfasst, bleiben die privaten Belange bei der landesplanerischen Standortalternativenprüfung und bei ihrer Inzidentkontrolle unberücksichtigt. Gerade dies war Anlass für die Planfeststellungsbehörde im Verfahren Berlin-Schönefeld, im Planfeststellungsbeschluss eine eigene Standortalternativenprüfung durchzuführen, zumal die Standortalternativenprüfung im Planfeststellungsverfahren intensiv und ___________ 58

Meßerschmidt, BNatSchG, Stand Mai 2007, § 35 Rn. 23; Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2003, § 35 Rn. 13 f. 59 BVerwGE 118, 33, 44; BVerwGE 125, 116 Rn. 69 ff., 173 ff.

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kontrovers erörtert worden war. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesen Weg ausdrücklich verworfen. Die rechtliche Konsequenz kann schwerlich dahin gehen, im Rahmen der landesplanerischen Standortentscheidung alle abwägungserheblichen privaten Belange zu berücksichtigen, soweit sie für die Standortentscheidung von Bedeutung sein können. Es würde die Landesplanung weitgehend handlungsunfähig machen, wenn sie private Belange einzelner Betroffener prüfen und abwägen müsste, z. B. die Belange von mittelbar oder künftig enteignend betroffenen Grundstückseigentümern, Existenzgefährdungen landwirtschaftlicher Betriebe, Beeinträchtigung von Pachtverhältnissen, Erweiterungsabsichten von Betrieben u.ä. Die Berücksichtigung solcher Belange ist mit der Aufgabe der Landesplanung als einer überörtlichen und überfachlichen Planung nicht zu vereinbaren und deshalb von § 7 Abs. 7 Satz 3 ROG nicht gefordert. Andererseits können diese Belange im Rahmen der Standortentscheidung schwerlich vollständig „unter den Tisch“ fallen. Anders als bei der Ausweisung von Konzentrationszonen z. B. für Windenergieanlagen in Raumordnungsplänen60 können die betroffenen Eigentumsinteressen nicht in die Abwägung eingestellt werden, da sie sehr verschieden sind und deshalb typisiert nicht erfasst werden können. Typisiert können allenfalls der mittelbare Flächenverbrauch und mittelbare Wirkungen durch Lärm- und Schadstoffimmissionen für bestehende oder zulässige Nutzungen erfasst werden, nicht jedoch die Auswirkungen auf betriebliche Dispositionen und Planungen und auf die Wirtschaftlichkeit betroffener Betriebe. Außerdem steht die gebietsscharfe Standortausweisung ihr widersprechenden Vorhaben „strikt und unabdingbar“ entgegen und nicht – wie bei Anwendung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB – nur „in der Regel“. Es fehlt das vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen von § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB angenommene, grundrechtliche Bedenken ausräumende Korrektur61. Unabhängig von dieser bislang nicht geklärten Problematik wird die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die Planbetroffenen im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung in der Landesplanung zur Vermeidung von Nachteilen ihre privaten Belange bei der gebietsscharfen Standortausweisung geltend machen, insbesondere im Zusammenhang mit der Prüfung von Alternativen. Der Träger der Landesplanung ___________ 60

BVerwGE 118, 33, 44. BVerwGE 118, 33, 44 f. In NVwZ 2003, 730, 732 nahm das Bundesverwaltungsgericht dagegen an, die die Planfeststellungsbehörde bindende Festlegung der Trassenführung einer Straße durch Ziele der Raumordnung sei verfassungsrechtlich nur unbedenklich, wenn die privaten Belange der Grundeigentümer im Bereich der Trasse bereits bei der Zielfestlegung ausreichend berücksichtigt wurden (unter Bezugnahme auf BVerwGE 115, 17, 28 zur Bedeutung der Ziele der Raumordnung bei Anwendung von § 35 BauGB). Zweifelnd an BVerwGE 125, 116 insoweit auch de Witt, DVBl. 2006, 1376. 61

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steht dann vor der schwierigen Entscheidung, inwieweit er diese privaten Belange auf der Ebene der Landesplanung für bedeutsam hält. Sind sie nach seiner Auffassung abwägungserheblich, muss er sie in die Abwägung einbeziehen. Dies kann insbesondere im Hinblick auf den großen Geltungsbereich der Raumordnungspläne erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Hält er die privaten Belange nicht für abwägungserheblich, riskiert er, dass die landesplanerische Standortentscheidung wegen eines Abwägungsfehlers rechtswidrig ist. Die Frage bedarf dringend der Klärung, um die Handlungsfähigkeit der Landesplanung einerseits und den Rechtsschutz der privaten Betroffenen andererseits zum Ausgleich zu bringen. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erweckt zunächst den Eindruck, sie diene durch „Problemabschichtung“ der Effizienz der Landesplanung und der Planfeststellung. Sie kann jedoch zu einer erheblichen Behinderung der landesplanerischen Standortausweisung führen. Dies wäre ein zu hoher Preis für die vom Bundesverwaltungsgericht befürwortete „ebenenspezifische Problemabschichtung“ durch die Bindung der Planfeststellungsbehörde an die gebietsscharfe Standortausweisung.

Natur- und Artenschutz im Verkehrswegeplanungsrecht: Aktuelle Rechtsprechung Von Ulrich Storost

I. Problembeschreibung Die Planung von Straßen und Schienenwegen außerhalb bereits im Zusammenhang bebauter Gebiete ist ohne Eingriffe in Natur und Landschaft kaum vorstellbar. Deshalb steht außer Zweifel, dass dabei auch die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Rahmen der planerischen Abwägung eine erhebliche Rolle spielen. In diesem Rahmen erkennt ihnen der Gesetzgeber jedoch keinen abstrakten Vorrang zu1. Vielmehr bleibt es unverändert Aufgabe der Planungsbehörde, sich im Rahmen sachgerechter Abwägung selbst darüber schlüssig zu werden, welchen Belangen sie letztlich das stärkere Gewicht beimessen will2. Allerdings hat die Planungsbehörde auch die zwingenden Vorschriften des Natur- und Artenschutzrechts zu beachten, soweit nicht der in § 63 Satz 1 Nr. 3 BNatSchG normierte Bestandsschutz hiervon dispensiert3. Zwingend ist insbesondere die in § 34 BNatSchG bzw. entsprechenden Landesvorschriften normierte Pflicht, Projekte vor ihrer Zulassung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebiets zu überprüfen und die Zulassung zu versagen, wenn diese Prüfung zu einem negativen Ergebnis führt und § 34 Abs. 3 und 4 keine Ausnahme zulässt (Habitatschutz). Zwingend sind auch die in § 42 BNatSchG normierten artenschutzrechtlichen Verbote, die die Planungsbehörde nur mittels einer Befreiung nach § 62 BNatSchG überwinden kann (Artenschutz). Zusätzliche, wenn auch weniger strikte Bindungen folgen aus der na___________ 1

148.

Vgl. BVerwG, Urt. vom 7.3.1997 – BVerwG 4 C 10.96 –, BVerwGE 104, 144,

2 Vgl. BVerwG, Beschl. vom 15.10.2002 – BVerwG 4 BN 51.02 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 113 S. 54. 3 Dazu vgl. BVerwG, Urt. vom 22.11.2000 – BVerwG 11 A 4.00 –, BVerwGE 112, 214 ff. (zu § 38 Nr. 3 BNatSchG a.F.).

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turschutzrechtlichen Eingriffsregelung des § 19 BNatSchG bzw. entsprechender Landesvorschriften. Daraus folgt eine dreifache Staffelung spezifisch naturund artenschutzrechtlicher Hürden für die Verkehrswegeplanung, die über das allgemeine fachplanerische Abwägungsgebot wesentlich hinausgehen.

II. Habitatschutz 1. Gebietsauswahl Die in § 34 BNatSchG bzw. entsprechenden Landesvorschriften normierte Pflicht, Projekte vor ihrer Zulassung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebiets zu überprüfen, hat zunehmend an Bedeutung gewonnen. In der Rechtsprechung stand zunächst die Frage im Vordergrund, nach welchen Kriterien diese Gebiete auszuwählen waren. Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 4 der Vogelschutzrichtlinie bestimmte hierzu, dass die Mitgliedstaaten selbst die für die Erhaltung der in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführten Vogelarten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten erklären mussten. Dazu stellte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften fest, dass die Mitgliedstaaten bei der Auswahl dieser Schutzgebiete zwar über einen Ermessensspielraum verfügten. Dieser Spielraum beziehe sich jedoch nur auf die Anwendung der in der Richtlinie festgelegten ornithologischen Kriterien. Die Mitgliedstaaten seien deshalb verpflichtet, alle Gegenden zu besonderen Schutzgebieten zu erklären, die nach ornithologischen Kriterien am geeignetsten für die Erhaltung der betreffenden Arten erschienen4. Wirtschaftliche und freizeitbedingte Erfordernisse könnten dabei nicht berücksichtigt werden5. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies dahin konkretisiert, dass den Ländern bei der Gebietsauswahl ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum zustehe. Dieser beziehe sich nur auf die Frage, welche Gebiete nach ornithologischen Kriterien für die Erhaltung der in Anlage I aufgeführten Vogelarten zahlen- und flächenmäßig am geeignetsten seien. Eine Abwägung mit anderen Belangen finde nicht statt. Zu den Bewertungskriterien gehörten neben Seltenheit, Empfindlichkeit und Gefährdung einer Vogelart u.a. die Populationsdichte und Artendiversität eines Gebietes, sein Entwicklungspotential und seine Netzverknüpfung sowie die Erhaltungsperspektiven der bedrohten Art. Sei hieran

___________ 4 5

EuGH, Urt. vom 19.5.1998 – Rs. C-3/96 – Slg. 1998, I-3031 ff., Rn. 60 ff. EuGH, Urt. vom 2.8.1993 – Rs. C-355/90 – Slg. 1993, I-4221 ff., Rn. 18 f.

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gemessen die Nichtmeldung eines Gebiets fachwissenschaftlich vertretbar, sei sie von den Gerichten hinzunehmen6. Anders als die Vogelschutzrichtlinie sieht Art. 4 der Habitatrichtlinie die Ausweisung eines kohärenten europäischen ökologischen Netzes besonderer Schutzgebiete in einem dreifach gestuften Verfahren vor: In der ersten Stufe (Art. 4 Abs. 1) muss jeder Mitgliedstaat anhand bestimmter Kriterien für die auf nationaler Ebene vorzunehmende Beurteilung der relativen Bedeutung von Gebieten (Anhang III Phase 1) eine Liste von Gebieten vorlegen, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und einheimischen Arten des Anhangs II aufgeführt sind. Diese Listen sind der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zuzuleiten. In der zweiten Stufe (Art. 4 Abs. 2 und 3) legt die Kommission anhand bestimmter Kriterien für die Beurteilung der gemeinschaftlichen Bedeutung der in den nationalen Listen enthaltenen Gebiete (Anhang III Phase 2) in einem bestimmten Verfahren die Liste der Gebiete fest, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewählt wurden. In der dritten Stufe (Art. 4 Abs. 4) müssen die betreffenden Mitgliedstaaten die in dieser Liste bezeichneten Gebiete als besondere Schutzgebiete ausweisen und dabei die Prioritäten des Schutzes im einzelnen festlegen. Zur ersten Stufe stellte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ähnlich wie bei der Vogelschutzrichtlinie fest, dass ein Mitgliedstaat den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten, wie sie in Art. 2 Abs. 3 der Habitatrichtlinie genannt sind, nicht Rechnung tragen dürfe, wenn er über die Auswahl und Abgrenzung der Gebiete entscheidet, die der Kommission zur Bestimmung als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung vorgeschlagen werden sollen7. Da ein Mitgliedstaat bei Erstellung der nationalen Liste nicht genau und im einzelnen wissen könne, wie die Situation der Habitate in den anderen Mitgliedstaaten sei, könne er nicht von sich aus wegen Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur oder wegen regionaler oder örtlicher Besonderheiten Gebiete ausnehmen, denen auf nationaler Ebene erhebliche ökologische Bedeutung für das Ziel der Erhaltung zukomme, ohne damit die Verwirklichung dieses Ziels auf Gemeinschaftsebene zu gefährden. Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich in Anlehnung an die zu den Vogelschutzgebieten ergangene Rechtsprechung schon vorher im gleichen Sinne positioniert8. ___________ 6 BVerwG, Urt. vom 14.11.2002 – BVerwG 4 A 15.02 –, BVerwGE 117, 149, 155 f.; Urt. vom 15.1.2004 – BVerwG 4 A 11.02 –, BVerwGE 120, 1 ff., 6 f. 7 EuGH, Urt. vom 7.11.2000 – Rs. C-371/98 –, Slg. 2000, I-9235 ff., Rn. 23 ff. 8 BVerwG, Urt. vom 19.5.1998 – BVerwG 4 A 9.97 –, BVerwGE 107, 1 ff., 24; Urt. vom 27.1.2000 – BVerwG 4 C 2.99 –, BVerwGE 110, 302 ff., 308; Urt. vom 27.10.2000 – BVerwG 4 A 18.99 –, BVerwGE 112, 140 ff., 156.

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2. Vorwirkungen War hiernach die Auswahl und Abgrenzung von Europäischen Vogelschutzgebieten bzw. FFH-Gebieten in gewissen Grenzen materiellrechtlich determiniert, stellte sich die weitere Frage, welche Vorwirkungen aus der Erfüllung dieser materiellrechtlichen Vorgaben folgten, wenn ein Mitgliedstaat seiner Verpflichtung, diese Gebiete zu Vogelschutzgebieten zu erklären, nicht nachgekommen war bzw. solange die Entscheidung der Kommission über die Aufnahme eines Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung noch ausstand. Dazu stellte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften fest, dass Gebiete, die nicht zu Vogelschutzgebieten erklärt wurden, obwohl dies nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 4 der Vogelschutzrichtlinie erforderlich gewesen wäre, als „faktische Vogelschutzgebiete“ nicht der Schutzregelung des Art. 6 Abs. 2 bis 4 der Habitatrichtlinie, sondern der strengeren Regelung des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie unterlägen9. Die in Art. 6 Abs. 2 bis 4 der Habitatrichtlinie vorgesehenen Schutzmaßnahmen müssten nur für die Gebiete getroffen werden, die nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 3 dieser Richtlinie in die von der Kommission festgelegte Liste aufgenommen oder nach Art. 4 Abs. 1 oder 2 der Vogelschutzrichtlinie als besondere Schutzgebiete ausgewiesen worden seien. In Bezug auf Gebiete, die nach der Habitatrichtlinie als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bestimmt werden könnten und in den der Kommission zugeleiteten nationalen Listen aufgeführt seien („potentielle FFH-Gebiete“), seien die Mitgliedstaaten nach der Habitatrichtlinie nur verpflichtet, geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um die erhebliche ökologische Bedeutung zu wahren, die diesen Gebieten auf nationaler Ebene zukomme10. Dafür sei es erforderlich, keine Eingriffe zuzulassen, die die ökologischen Merkmale dieser Gebiete ernsthaft beeinträchtigen könnten11. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Anwendung des strengen Schutzregimes des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie auf faktische Vogelschutzgebiete in zahlreichen Entscheidungen angeschlossen12. Als faktisches Vogelschutzgebiet sei ein Gebiet allerdings nur dann zu qualifizieren, wenn es aus ornithologischer Sicht für die Erhaltung der im Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgeführten Vogelarten ___________ 9

EuGH, Urt. vom 7.12.2000 – Rs. C-374/98 –, Slg. 2000, I-10799 ff., Rn. 47 ff. EuGH, Urt. vom 13.1.2005 – Rs. C-117/03 –, Slg. 2005, I-167 ff., Rn. 26 ff. 11 EuGH, Urt. vom 14.9.2006 – Rs. C-244/05 –, NJW 2007, S. 61 ff., Rn. 41 ff. 12 BVerwG, Urt. vom 19.5.1998 – BVerwG 4 C 11.96 –, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 138 S. 151 f.; Urt. vom 31.1.2002 – BVerwG 4 A 15.01 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 168 S. 94; Urt. vom 14.11.2002 – BVerwG 4 A 15.02 –, BVerwGE 117, 149 ff., 154; Urt. vom 15.1.2004 – BVerwG 4 A 11.02 –, BVerwGE 120, 1 ff., 6; Urt. vom 1.4.2004 – BVerwG 4 C 2.03 – BVerwGE 120, 276 ff., 288. 10

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oder der in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Zugvogelarten von so hervorragender Bedeutung sei, dass es in dem Mitgliedstaat zu den zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebieten gehöre13. Ein Straßenbauvorhaben in einem solchen faktischen Vogelschutzgebiet sei demgemäß grundsätzlich unzulässig, wenn es durch die Verkleinerung des Gebiets zum Verlust mehrerer Brut- und Nahrungsreviere führen würde, die einem Hauptvorkommen einer der Vogelarten in Anhang I dieser Richtlinie dienten14. Ein solcher Verstoß könne allerdings in einem ergänzenden Verfahren behoben werden, indem gemäß Art. 7 der Habitatrichtlinie die Voraussetzungen für den Wechsel in deren Schutzregime geschaffen und die Schutz- und Ausnahmebestimmungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 dieser Richtlinie bzw. des § 34 BNatSchG nachträglich angewandt würden. Dies setze eine endgültige rechtsverbindliche und außenwirksame Erklärung eines Gebiets zum Vogelschutzgebiet voraus. Die Meldung eines Gebiets an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften und die einstweilige naturschutzrechtliche Sicherstellung des Gebiets reiche dafür nicht aus15. Den Schutz eines potentiellen FFH-Gebiets hat das Bundesverwaltungsgericht auch schon vor Aufnahme eines Gebiets in die der Kommission zugeleitete nationale Liste in Betracht gezogen, wenn für das Gebiet die sachlichen Kriterien nach Art. 4 Abs. 1 der Habitatrichtlinie erfüllt seien, die Aufnahme in ein kohärentes Netz mit anderen, bereits unter förmlichen Schutz gestellten Gebieten sich aufdränge und der Mitgliedstaat die Habitatrichtlinie noch nicht vollständig umgesetzt habe16. Zum Kreis potentieller FFH-Gebiete in diesem Sinne zähle ein Gebiet insbesondere dann, wenn die in ihm vorhandenen Lebensraumtypen im Sinne des Anhangs I oder Arten im Sinne des Anhangs II der Habitatrichtlinie eindeutig den in Anhang III (Phase 1) genannten Merkmalen entsprächen, so dass das Unterbleiben einer Gebietsmeldung, gemessen an diesen Kriterien, fachwissenschaftlich nicht vertretbar wäre17. Das Schutzregime in einem solchen potentiellen FFH-Gebiet werde jedoch grundsätzlich nicht durch Art. 6 der Habitatrichtlinie, sondern durch die Pflicht jedes Mitgliedstaates bestimmt, vor Umsetzung einer Richtlinie deren Ziele nicht zu unterlaufen und durch sein Verhalten keine vollendeten Tatsachen zu schaffen, welche später die Erfüllung der aus der Richtlinie erwachsenen Pflichten nicht mehr mög___________ 13 BVerwG, Urt. vom 31.1.2002 – BVerwG 4 A 15.01 –, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 168 S. 95 f. 14 BVerwG, Urt. vom 1.4.2004 – BVerwG 4 C 2.03 –, BVerwGE 120, 276 ff., 291 f. 15 BVerwG, Urt. vom 1.4.2004 – BVerwG 4 C 2.03 –, BVerwGE 120, 276 ff., 284 ff. 16 BVerwG, Urt. vom 19.5.1998 – BVerwG 4 A 9.97 –, BVerwGE 107, 1 ff., 21 f.; Urt. vom 27.1.2000 – BVerwG 4 C 2.99 –, BVerwGE 110, 302 ff., 308. 17 BVerwG, Urt. vom 31.1.2002 – BVerwG 4 A 15.01 –, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 168 S. 102.

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lich machen würde. Diese Vorwirkung sei darauf gerichtet, dass schutzwürdige Gebiete nicht zerstört oder anderweitig so nachhaltig beeinträchtigt würden, dass sie für eine Unterschutzstellung nicht mehr in Betracht kommen18. Soweit das Bundesverwaltungsgericht für potentielle FFH-Gebiete, deren spätere Aufnahme in die Gemeinschaftsliste sich aufdränge, die vorgezogene Anwendung des Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie für geboten erachtet hat19, ist dies durch die dargestellte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften überholt. Unberührt davon bleibt allerdings die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, dass bei Infrastrukturmaßnahmen in einem gemeldeten FFH-Gebiet, über dessen Aufnahme in die Gemeinschaftsliste die Kommission noch nicht entschieden hat, die Anlegung der materiellrechtlichen Maßstäbe des Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie jedenfalls in aller Regel einen „angemessenen Schutz“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs darstelle20. 3. Schutz der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der Europäischen Vogelschutzgebiete a) Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Durch Entscheidung vom 7. Dezember 200421 hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften eine erste Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung der kontinentalen biogeografischen Region festgelegt, die auch Deutschland erfasst. Die in diese Liste aufgenommenen Gebiete unterliegen damit gemäß Art. 4 Abs. 5 der Habitatrichtlinie den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 bis 4 dieser Richtlinie, und zwar unabhängig davon, ob der betreffende Mitgliedstaat seiner sich aus Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ergebenden Pflicht zur Ausweisung als besonderes Schutzgebiet und zur näheren Festlegung der Prioritäten dieses Schutzes bereits nachgekommen ist. Die sich unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Folgen dieses Habitatschutzes hat zunächst der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in einem Urteil vom 7. September 200422 klargestellt. Zugrunde lag ein Vorabentscheidungsersuchen in einem Rechtsstreit über Lizenzen für die ___________ 18 BVerwG, Urt. vom 19.5.1998 – BVerwG 4 A 9.97 –, BVerwGE 107, 1 ff., 22.; Urt. vom 27.10.2000 – BVerwG 4 A 18.99 –, BVerwGE 112, 140 ff., 156 f. 19 BVerwG, Urt. vom 17.5.2002 – BVerwG 4 A 28.01 –, BVerwGE 116, 254 ff., 257. 20 BVerwG, Beschl. vom 31.1.2006 – BVerwG 4 B 49.05 –, Buchholz 451.91 Europ.UmweltR Nr. 21. 21 ABl. EG Nr. L 382 S. 1 ff. 22 Rs. C-127/02, Slg. 2004, I-7405 ff.

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Herzmuschelfischerei in dem nach Art. 4 der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenen besonderen Schutzgebiet Wattenmeer. Dieses Schutzgebiet unterlag gemäß Art. 7 der Habitatrichtlinie kraft Gesetzes den Bestimmungen dieser Richtlinie. Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass die Herzmuschelfischerei unter den Begriff der „Pläne oder Projekte“ im Sinne von Art. 6 der Habitatrichtlinie fiel. Sodann beantwortete er die Frage, in welchem Verhältnis die Absätze 2 und 3 dieser Vorschrift zueinander stehen: Sei ein Plan oder ein Projekt nach dem speziellen Prüfungsverfahren des Art. 6 Abs. 3 genehmigt worden, so werde damit eine gleichzeitige Anwendung des Art. 6 Abs. 2 überflüssig. Denn die Erteilung einer Genehmigung nach Art. 6 Abs. 3 setze notwendigerweise den vorherigen Befund voraus, dass der Plan oder das Projekt das betreffende Gebiet als solches nicht beeinträchtige und daher auch nicht geeignet sei, erhebliche Verschlechterungen oder Störungen im Sinne von Art. 6 Abs. 2 hervorzurufen. Die Hauptbedeutung dieses Urteils liegt jedoch in der Klärung, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Kriterien die in Art. 6 Abs. 3 Satz 1 erwähnte FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Zu den Voraussetzungen führte der Gerichtshof aus, dass Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, immer dann einer Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen zu unterziehen seien, wenn sich nicht anhand objektiver Umstände ausschließen lasse, dass sie dieses Gebiet einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten erheblich beeinträchtigen könnten. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist in einer Vorprüfung zu ermitteln. Dabei stehe dann fest, dass Pläne oder Projekte das Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, wenn sie drohten, die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu gefährden. Dies sei im Lichte der besonderen Merkmale und Umweltbedingungen des betroffenen Gebiets zu beurteilen. Kurz gefasst: Ein Projekt ist immer dann auf seine FFH-Verträglichkeit zu prüfen, wenn sich nicht anhand objektiver Umstände ausschließen lässt, dass es die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele gefährden könnte. Liegt diese Voraussetzung vor, stellt sich die weitere Frage, nach welchen Kriterien die dann erforderliche eigentliche FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Hier treibt der Gerichtshof die schon bei den Kriterien der Vorprüfung gezeigte Strenge noch ein gutes Stück weiter: Unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse seien vor der Genehmigung sämtliche Gesichtspunkte des Planes oder des Projektes zu ermitteln, die für sich oder in Verbindung mit anderen Plänen oder Projekten die die für das betreffende Gebiet festgelegten Erhaltungsziele beeinträchtigen könnten. Die zuständigen Behörden dürften unter Berücksichtigung dieser Prüfung die Genehmigung nur erteilen, wenn sie Gewissheit darüber erlangt hätten, dass sich das Vorhaben nicht nachteilig auf dieses Gebiet als solches aus-

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wirke. Das sei dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran bestehe, dass es keine solchen Auswirkungen gebe. Die nationalen Gerichte seien unmittelbar durch das Gemeinschaftsrecht verpflichtet, die Einhaltung dieser rechtlichen Bindung zu prüfen. b) Bundesverwaltungsgericht Das Bundesverwaltungsgericht stand in einem Verbandsklageverfahren gegen den Neubau der Autobahn-Westumfahrung der Stadt Halle an der Saale („A 143“) vor der Aufgabe, diese strengen gemeinschaftsrechtlichen Obersätze auf einen fachplanungsrechtlichen Lebenssachverhalt anzuwenden. Gegenstand der streitigen Planfeststellung vom Mai 2005 war ein etwa 12 km langes Teilstück dieser Autobahntrasse, das im Naturpark „Unteres Saaletal“ zwei in die Liste der Kommission aufgenommene Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung queren, eines davon sogar direkt durchschneiden sollte: „Muschelkalkhänge westlich Halle“ und „Porphyrkuppenlandschaft nordwestlich Halle“. In seinem am 17. Januar 2007 verkündeten Urteil23 kam das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Planfeststellung trotz darin vorgesehener konfliktmindernder Maßnahmen nicht den strengen Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts genüge. Es begründete dies im wesentlichen wie folgt: In der vor der Planfeststellung vorzunehmenden FFH-Verträglichkeitsprüfung müsse der Träger des Vorhabens unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nachweisen, dass eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele der betroffenen Gebiete ausgeschlossen sei. Insoweit könnten zwar grundsätzlich auch Schadensminderungs- und Schadensvermeidungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Verbleibende Zweifel an der Wirksamkeit dieser Maßnahmen gingen aber zu Lasten des Vorhabens. Beständen aus wissenschaftlicher Sicht vernünftige Zweifel daran, dass das Vorhaben die Erhaltungsziele nicht beeinträchtigen werde, so dürfe die Planfeststellungsbehörde kein positives Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung feststellen. Vielmehr dürfe sie das Vorhaben dann nur aufgrund einer Abweichungsprüfung nach Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie zulassen. Bei dieser Abweichungsprüfung sei nachzuweisen, dass zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses die Durchführung des Vorhabens erforderten, denen durch eine die Schutzgebiete weniger oder gar nicht beeinträchtigende Alternative nicht genügt werden könne. Ferner sei nachzuweisen, dass alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zur Sicherung des Zusammenhangs des europäischen ökologischen Netzes besonderer Schutzgebiete ergriffen würden. Wenn in der vorangegangenen Verträglichkeitsprüfung nicht zu ___________ 23

BVerwG 9 A 20.05 – noch nicht veröffentlicht.

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allen sich konkret abzeichnenden Risiken die besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse abgerufen, dokumentiert und berücksichtigt worden seien, infizierten derartige Mängel auch eine nachfolgende Abweichungsprüfung. Denn dann lasse sich weder beurteilen, ob alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen und sichergestellt seien, noch könne das Gericht der Behörde bescheinigen, dass ihre Entscheidung den strengen Anforderungen an das Verhältnis zwischen der Beeinträchtigung der Schutzgebiete und den von ihr dafür geltend gemachten Gründen des öffentlichen Interesses genüge. Diesen rechtlichen Vorgaben trage der angefochtene Planfeststellungsbeschluss nicht ausreichend Rechnung. Im Zeitpunkt der Planfeststellung habe die Behörde nicht davon ausgehen können, dass die planfestgestellte Autobahntrasse die Erhaltungsziele der beiden von ihr durchquerten Schutzgebiete nicht beeinträchtigen werde. Wenn – wie hier – zu den Erhaltungszielen eines Schutzgebiets die Erhaltung eines günstigen Erhaltungszustands in diesem Gebiet vorkommender natürlicher Lebensraumtypen des Anhangs I der Habitatrichtlinie gehöre, umfasse dies auch den günstigen Erhaltungszustand der dafür charakteristischen Tier- und Pflanzenarten einschließlich charakteristischer Brutvogelarten. Soweit aus dem Urteil des 4. Senats vom 16. März 200624 unabhängig von den konkreten Erhaltungszielen des betreffenden Schutzgebiets anderes herzuleiten sein sollte, folge dem der 9. Senat nicht. Deshalb habe das Projekt allenfalls aufgrund einer Abweichungsprüfung zugelassen werden dürfen. Im an die Trasse grenzenden Teil eines der betroffenen Gebiete befinde sich zumindest ein prioritärer natürlicher Lebensraumtyp, dessen günstiger Erhaltungszustand zu den Erhaltungszielen dieses Gebiets gehöre. Dass das Projekt diesen Lebensraumtyp in keiner Weise beeinträchtige, sei nicht sichergestellt. Darüber hinaus sei im der Gebietsmeldung zugrunde liegenden Standard-Datenbogen ein weiterer prioritärer Lebensraumtyp als Erhaltungsziel aufgeführt, dessen Beeinträchtigung in der Verträglichkeitsprüfung nicht geprüft worden und ebenfalls nicht sicher auszuschließen sei. Infolgedessen habe der Beklagte in der Abweichungsprüfung als zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses nur nach Einholung einer Stellungnahme der Kommission geltend machen dürfen. Daran fehle es hier. Die vorgenommene Abweichungsprüfung sei insoweit schon deshalb defizitär, weil sie davon ausgehe, dass prioritäre Biotope und Arten nicht beeinträchtigt werden und weil ihr auch kein Datenmaterial für zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses im Zusammen___________ 24

BVerwG 4 A 1075.04, BVerwGE 125, 116 ff., 310 f.

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hang mit der Gesundheit des Menschen oder maßgeblichen günstigen Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt zugrunde liege25. Soweit sie auf den Verkehrsbedarf als anderen zwingenden Grund des öffentlichen Interesses abstelle, fehle es nicht nur an der gebotenen Stellungnahme der Kommission. Vielmehr habe der Beklagte mangels Vorlage des für seine Verkehrsprognose maßgeblichen Datenmaterials auch nicht nachvollziehbar die Einwände widerlegen können, die der Kläger – gestützt auf eine eigene Prognoserechnung – gegen die Notwendigkeit eines Autobahnbaus an dieser Stelle erhoben habe. Deshalb und wegen der Mängel der Verträglichkeitsprüfung könne auch nicht geprüft werden, ob den vom Beklagten für das Vorhaben geltend gemachten Gründen nicht durch eine die Schutzgebiete weniger oder gar nicht beeinträchtigende Alternative genügt werden könne26 und ob sichergestellt sei, dass alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zur Sicherung des Zusammenhangs des europäischen ökologischen Netzes besonderer Schutzgebiete ergriffen würden27. Die der Planfeststellung zugrundeliegenden Ermittlungen und Bewertungen könnten hiernach die Zulassung des Vorhabens nicht rechtfertigen. Dieses Defizit könne auch regelmäßig nicht durch nachträglichen Vortrag im Prozess aufgefangen werden, sondern erfordere ein ergänzendes Verfahren. Dieses müsse mit einer auf rechtlich einwandfreien Ermittlungen und Bewertungen beruhenden fachplanerischen Abwägung und einem entsprechenden neuen Bescheid abgeschlossen werden, der den festgestellten Plan im Ergebnis bestätigen, ändern, ergänzen oder aufheben könne. Demgemäß könne der auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gerichtete Hauptantrag wegen der Fehlerheilungsvorschrift des § 17 Abs. 6c Satz 2 FStrG a.F. keinen Erfolg haben. Denn es sei nicht auszuschließen, dass die festgestellten Mängel der Planfeststellung in einem solchen ergänzenden Verfahren geheilt würden. Deshalb stellte das Bundesverwaltungsgericht lediglich fest, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig sei und nicht vollzogen werden dürfe.

___________ 25 Zu der dabei erforderlichen konkreten Ermittlung und Bewertung der in eine Gesamtbilanzierung einzustellenden Gegebenheiten des Einzelfalles vgl. BVerwG, Urt. vom 27.1.2000 – BVerwG 4 C 2.99 –, BVerwGE 110, 302 ff., 314. 26 Zu der dabei zulässigen Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vgl. BVerwG, Urt. vom 17.5.2002 – BVerwG 4 A 28.01 –, BVerwGE 116, 254 ff., 267. 27 Zur insoweit bestehenden Möglichkeit, Einzelheiten einem ergänzenden Planfeststellungsbeschluss vorzubehalten, vgl. BVerwG, Beschl. vom 31.1.2006 – BVerwG 4 B 49.05 –, Buchholz 451.91 Europ.UmweltR Nr. 21 S. 7 f.

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III. Artenschutz Der gemeinschaftsrechtlich gebotene Habitatschutz kann hiernach im Einzelfall eine äußerst hohe Hürde der Verkehrswegeplanung bilden, die mit bloßer „Trauerarbeit“ nur schwer zu überwinden sein wird. Etwas niedriger liegt die Hürde des Artenschutzrechts, die ebenfalls erst in den letzten Jahren in den Blickpunkt des Fachplanungsrechts gerückt ist. 1. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Die artenschutzrechtlichen Verbote des § 42 Abs. 1 BNatSchG gehen über die Mindestvorgaben des Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie und des Art. 12 Abs. 1 der Habitatrichtlinie hinaus und sind insoweit gemeinschaftsrechtlich auch nicht zu beanstanden. Stein des Anstoßes auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene war dagegen die Ausnahmeregelung des § 43 Abs. 4 BNatSchG. Danach gelten die Verbote des § 42 Abs. 1 und 2 BNatSchG u.a. nicht für den Fall, dass die danach verbotenen Handlungen bei der Ausführung eines nach § 19 BNatSchG zugelassenen Eingriffs oder bei der Durchführung einer nach § 30 BNatSchG zugelassenen Maßnahme vorgenommen werden, soweit hierbei Tiere einschließlich ihrer Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten und Pflanzen der besonders geschützten Arten nicht absichtlich beeinträchtigt werden. Bereits im Oktober 2005 hatte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eine Ausnahmeregelung des britischen Rechts beanstandet, nach der Handlungen, die den Tod von Tieren oder geschützten Arten oder die Beschädigung oder Zerstörung ihrer Fortpflanzungs- und Ruhestätten verursachen, zulässig waren, wenn diese Handlungen als solche rechtmäßig waren: Eine solche Ausnahme, die auf der Rechtmäßigkeit der Handlung beruht, laufe dem Geist und Zweck der Habitatrichtlinie und dem Buchstaben von Art. 16 dieser Richtlinie zuwider28. In einem Urteil vom 10. Januar 200629 stand dann § 43 Abs. 4 BNatSchG aufgrund einer Vertragsverletzungsklage unmittelbar auf dem Prüfstand des Gerichtshofs. Dabei bekräftigte er seine bereits im genannten Verfahren zum britischen Recht geäußerte Auffassung, dass das in Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie normierte Verbot jeder Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- und Ruhestätten der in Anhang IV Buchst. a dieser Richtlinie genannten Tierarten nicht nur absichtliche, sondern auch unabsichtliche Handlungen erfasse30. Damit war § 43 Abs. 4 BNatSchG offensichtlich unvereinbar. ___________ 28 29 30

EuGH, Urt. vom 20.10.2005 – Rs. C-6/04 –, Slg. 2005, I-9017 ff., Rn. 113. Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53 ff. Ebd., Rn. 55.

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Ebenso bekräftigte er seine Auffassung, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der Habitatrichtlinie, die komplexe und technische Regelungen auf dem Gebiet des Umweltschutzrechts enthalte, in besonderer Weise dafür sorgen müssten, dass ihre der Umsetzung dieser Richtlinie dienenden Rechtsvorschriften klar und bestimmt seien. Die Ausnahmeregelung des § 43 Abs. 4 BNatSchG sei damit unvereinbar, weil sie für den Fall, dass Handlungen bei der Ausführung eines nach § 19 BNatSchG zugelassenen Eingriffs oder bei der Durchführung einer nach § 30 BNatSchG zugelassenen Maßnahme vorgenommen werden, nicht die Erfüllung aller Voraussetzungen des Art. 16 der Richtlinie sicherstelle31. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang sind noch zwei weitere Entscheidungen des Gerichtshofs: Im Jahre 2003 hat der Gerichtshof seine schon früher32 geäußerte Auffassung wiederholt, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie von den Verboten des Art. 5 dieser Richtlinie nur durch Maßnahmen abweichen dürfen, die eine hinreichend ausführliche Bezugnahme auf die in Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie genannten Punkte enthalten33. In einem Urteil vom 18. Mai 200634 stellte der Gerichtshof fest, dass das Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Habitatrichtlinie nur verwirklicht sein könne, wenn nachgewiesen sei, dass der Handelnde den Fang oder die Tötung eines Exemplars einer geschützten Tierart gewollt oder zumindest in Kauf genommen hat35. 2. Bundesverwaltungsgericht Das Bundesverwaltungsgericht wurde durch die archaische Strenge, mit der die Leitsätze dieser Rechtsprechung nicht nur für Jäger, Fallensteller und Strandurlauber36, sondern auch für die staatliche Genehmigungspraxis bei artenschutzrelevanten Vorhaben Geltung beanspruchten, kalt erwischt. Im Jahre 2001 hatte der 4. Senat in einem Rechtsstreit gegen die artenschutzrechtlich begründete Rücknahme einer Baugenehmigung die Auffassung vertreten, der Begriff „absichtlich“ in der dem § 43 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG entsprechenden Vorgängervorschrift des § 20 f Abs. 3 Satz 1 BNatSchG a.F. sei nach dem Zweck des Gesetzes in einem objektivierenden Sinne zu verstehen. Mit diesem ___________ 31

Ebd., Rn. 61. EuGH, Urt. vom 7.3.1996 – Rs. C-118/94 –, Slg. 1996, I-1223 ff., Rn. 21, 26. 33 EuGH, Urt. vom 16.10.2003 – Rs. C-182/02 –, Slg. 2003, I-12105 ff., Rn. 13. 34 Rs. C-221/04 (Kommission ./. Spanien). 35 Ebd., Rn. 71. 36 Dazu – noch ohne Bildung von Obersätzen – EuGH, Urt. vom 30.1.2002 – Rs. C-103/00 –, Slg. 2002, I-1147 ff., Rn. 36. 32

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Zweck unvereinbar seien nur gezielte Beeinträchtigungen von Tieren und Pflanzen. Nicht absichtlich seien dagegen Beeinträchtigungen, die sich als unausweichliche Konsequenz rechtmäßigen Handelns ergäben37. Noch im April 2005 hatte sich der 9. Senat dieser Auffassung in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren mit der Aussage angeschlossen, die in Vollzug eines Planfeststellungsbeschlusses unvermeidbaren Beschädigungen und Beeinträchtigungen besonders geschützter Tier- und Pflanzenarten geschähen grundsätzlich nicht „absichtlich“ im Sinne des § 43 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG38. Das dazu anhängige Hauptsacheverfahren39 wurde im Dezember 2005 durch einen Vergleich beendet, nachdem der Senat in der mündlichen Verhandlung zu erkennen gegeben hatte, er dürfte nach dem zum britischen Recht ergangenen Urteil des Gerichtshofs vom Oktober 2005 an der dem Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zugrundeliegenden Rechtsauffassung nicht mehr festhalten können. Auch der 4. Senat hat es in einem zum Flughafen Schönefeld ergangenen Urteil als fraglich bezeichnet, ob sich seine im Jahre 2001 verlautbarte Auffassung zum Absichtsbegriff des Bundesnaturschutzrechts im Lichte der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs aufrechterhalten lasse40. Weiter ging schließlich der 9. Senat in seinem Urteil vom 21. Juni 2006 zur Ortsumgehung Stralsund, die durch ein Brutrevier zahlreicher von den Verbotstatbeständen des § 42 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 BNatSchG erfasster europäischer Vogelarten führen sollte41. Vom Beklagten war vorgesehen, der Beeinträchtigung bodenbrütender Vogelarten durch folgende Maßnahme entgegenzuwirken: Außerhalb der Brutsaison sollte entlang des Trassenabschnitts, der im folgenden Sommer zur Bebauung vorgesehen war, eine Baufeldbefreiung durchgeführt werden. Dabei sollten alle relevanten Vegetations- und Reliefstrukturen entfernt werden, so dass eine Brutansiedlung bodenbrütender Arten im Trassenbereich verhindert würde und somit keine Möglichkeit des Verlustes oder der Zerstörung von Nestern oder Eiern nach Beginn der Bauarbeiten mehr bestand. Das Bundesverwaltungsgericht führte dazu aus, diese Maßnahme erfülle den artenschutzrechtlichen Verbotstatbestand des § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Unter „Brutstätten“ im Sinne dieser Vorschrift seien nämlich nicht nur von Vögeln gerade besetzte, sondern auch regelmäßig benutzte Brutplätze zu verstehen, selbst wenn sie – etwa während der winterlichen Abwesenheit von Zugvögeln – unbenutzt seien. Außerdem würden zahlreiche europäische ___________ 37

BVerwG, Urt. vom 11.1.2001 – BVerwG 4 C 6.00 –, BVerwGE 112, 321 ff., 330. BVerwG, Beschl. vom 12.4.2005 – BVerwG 9 VR 41.04 –, NVwZ 2005, S. 943 ff., 947. 39 BVerwG 9 A 63.04 („Ortsumgehung Grimma“). 40 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 –, BVerwGE 125, 116 ff., 315 f. 41 BVerwG 9 A 28.05, BVerwGE 126, 166 ff. 38

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Vogelarten, die im Vorhabengebiet außerhalb des Baufeldes brüteten, durch bau- und betriebsbedingte akustische und optische Störwirkungen des Vorhabens innerhalb ihrer Bruthabitate betroffen. Hierdurch werde der Verbotstatbestand des § 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG erfüllt. Der Beklagte hatte demgegenüber die Auffassung vertreten, wegen des planfestgestellten Kompensationskonzepts sei kein Verbotstatbestand verwirklicht. Der mit der Regelung des § 42 Abs. 1 BNatSchG verfolgte Artenschutz sei populations-, nicht individuumsbezogen zu verstehen. Populationsbezogene Beeinträchtigungen der geschützten Vogelarten seien jedoch von vornherein ausgeglichen, weil die völlige Baufeldbefreiung nach dem herbstlichen Wegzug der Vogelpopulation und die rechtzeitig vor ihrer Rückkehr erfolgte Herrichtung der Kompensationsmaßnahmen zu einer Umsiedlung bzw. einer sukzessiven Populationsverlagerung führe. Diese Sichtweise teilte der Senat nicht. Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nach § 19 Abs. 2 BNatSchG seien grundsätzlich nicht geeignet, die Verwirklichung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände nach § 42 Abs. 1 BNatSchG zu verhindern. Die Reduzierung der Verbotstatbestände auf populationsbezogene Beeinträchtigungen werde bereits der Systematik des Bundesnaturschutzgesetzes nicht gerecht. Die Bewahrung des aktuellen Erhaltungszustandes von Tierarten spiele danach erst im Rahmen einer Befreiung von Verbotstatbeständen des § 42 Abs. 1 BNatSchG gemäß § 62 Abs. 1 BNatSchG eine Rolle, der u.a. auf Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie verweise. Darüber hinaus sei die Auffassung des Beklagten mit den inhaltlichen Vorgaben des Gemeinschaftsrechts, dessen Umsetzung die §§ 42 ff. BNatSchG jedenfalls auch dienten, nicht vereinbar. Auch wenn dem Artenschutz eine gegenüber dem Habitatsschutz eigenständige Bedeutung zukomme, ständen beide in einem engen Zusammenhang, der durch die gemeinsame Regelung für beide Bereiche in der Vogelschutzrichtlinie bzw. der Habitatrichtlinie deutlich werde. Diese Regelungen seien darauf gerichtet, vorhandene Lebensräume geschützter Tierarten zu erhalten und ihre Beeinträchtigung zu vermeiden. Dem Schutz und der Erhaltung vorhandener Lebensräume komme danach Vorrang vor ihrer Verlagerung zu. Die Zulassung des Vorhabens trotz Erfüllung von Verbotstatbeständen des § 42 Abs. 1 BNatSchG lasse sich nicht auf die Legalausnahme des § 43 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG stützen. Der Senat sehe sich jedenfalls im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofs vom 10. Januar 2006 gehindert, die Ausnahmeregelung des § 43 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG anzuwenden, weil sie gegen sekundäres Gemeinschaftsrecht verstoße. Zwar beziehe sich die Feststellung des Gerichtshofs, diese Vorschrift setze Gemeinschaftsrecht nicht ordnungsgemäß um, auf Art. 16 der Habitatrichtlinie. Es sei auf der Grundlage dieser Entscheidung aber nicht erkennbar, dass im Hinblick auf die im vorliegenden Fall anzuwendende Vogelschutzrichtlinie etwas anderes gelten könnte. Denn der Gerichtshof habe in seinem Urteil beanstandet, § 43 Abs. 4 BNatSchG sehe keinen rechtlichen

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Rahmen vor, der mit der durch Art. 16 der Habitatrichtlinie eingeführten Ausnahmeregelung in Einklang stehe, weil die Vorschrift die Zulassung der Ausnahme nicht von der Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen dieser Vorschrift abhängig mache, sondern lediglich davon, dass Tiere, einschließlich ihrer Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten und Pflanzen besonders geschützter Arten nicht absichtlich beeinträchtigt werden. Hierdurch werde – unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des Art. 16 der Richtlinie im Rahmen der Entscheidung nach § 19 BNatSchG tatsächlich beachtet würden – die Richtlinie jedenfalls nicht hinreichend klar und bestimmt umgesetzt. Ebenso wie Art. 12 und 16 der Habitatrichtlinie bildeten Art. 5 und 9 der Vogelschutzrichtlinie ein geschlossenes Schutzsystem, dessen Anforderungen in der Regelung des § 43 Abs. 4 BNatSchG nicht vollständig zum Ausdruck kämen. Die Vorschrift stelle mithin nach ihrer Struktur die Anwendung des europäischen Prüfprogramms der Vogelschutzrichtlinie nicht sicher. Sie könne aufgrund des Anwendungsvorrangs des europäischen Gemeinschaftsrechts keine Grundlage für die Zulassung des Vorhabens bieten. Das gelte unabhängig davon, ob der Beklagte das europäische Prüfprogramm der Sache nach zutreffend abgearbeitet habe. Die Verbotstatbestände des § 42 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BNatSchG ständen der Zulassung des Vorhabens aber deswegen nicht entgegen, weil der Beklagte insoweit eine Befreiung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG gewährt habe. Die Ansicht der Kläger, eine Befreiung nach dieser Vorschrift sei ausgeschlossen, weil sie nicht als Ausweichlösung für den versperrten Weg über § 43 Abs. 4 BNatSchG dienen könne, teile der Senat nicht. Es handele sich vielmehr um eine eigenständige Entscheidungsmöglichkeit der Planfeststellungsbehörde, die ihr offen stehe, sofern § 43 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG nicht eingreife. Den europarechtlichen Bestimmtheitsanforderungen, wie sie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. Januar 2006 formuliert habe, trage § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG hinreichend Rechnung. Durch die unmittelbare Bezugnahme auf die Verbots- und Ausnahmetatbestände des einschlägigen Gemeinschaftsrechts sei – anders als bei § 43 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG – die vollständige Anwendung des europäischen Prüfprogramms sichergestellt. Die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG lägen vor. Die in dieser Vorschrift genannten Regelungen des Gemeinschaftsrechts ständen einer Befreiung nicht entgegen. Sie verstoße nicht gegen die insoweit allein in Betracht kommenden Verbote des Art. 5 Buchst. b und d der Vogelschutzrichtlinie. Art. 5 Buchst. b dieser Richtlinie verbiete die absichtliche Zerstörung oder Beschädigung von Nestern und Eiern und die Entfernung von Nestern. Sein Anwendungsbereich sei deutlich enger gefasst als der in § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG geregelte Verbotstatbestand. Insbesondere der enge Zusammenhang zwischen den Schutzobjekten Nestern und Eiern mache deutlich, dass Nester, die nicht mehr genutzt und auch nicht erneut genutzt werden, vom Verbotstatbestand nicht erfasst werden. Eine Einbeziehung sol-

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cher Nester in den Regelungsbereich von Art. 5 Buchst. b der Richtlinie könnte nicht dazu beitragen, das Schutzziel der Richtlinie, wildlebende Vogelarten zu erhalten, zu erreichen. Eine Beeinträchtigung von Eiern und aktuell genutzten Nestern im Trassenbereich sei dadurch ausgeschlossen, dass die Baufeldbefreiung nach Abschluss der Brutsaison und vor Beginn der neuen Brutsaison durchgeführt werde. Dass dabei Nester beschädigt oder zerstört werden können, die in der nächsten Brutsaison wieder benutzt würden, sei ebenfalls auszuschließen. Wie der Beklagte unwidersprochen dargelegt habe, brüteten im Trassenbereich nur solche Vögel, die ihre Nester in jeder Brutsaison jeweils neu bauen. Auch der Verbotstatbestand des Art. 5 Buchst. d der Vogelschutzrichtlinie sei nicht erfüllt. Eine absichtliche Störung, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit, sei danach verboten, sofern sie sich auf die Zielsetzung dieser Richtlinie erheblich auswirke. Eine solche Auswirkung sei mit Blick auf das Schutzziel der Erhaltung der wildlebenden Vogelarten sowie das in Art. 13 der Richtlinie festgelegte Verschlechterungsverbot nicht gegeben, wenn der aktuelle Erhaltungszustand der betroffenen Vogelarten sichergestellt sei. Das setze allerdings nicht den Schutz jeder lokalen Population voraus, sondern bedürfe einer gebietsbezogenen Gesamtbetrachtung, für die der Planfeststellungsbehörde, da insoweit ornithologische Kriterien maßgeblich seien, eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative einzuräumen sei. Das vom Beklagten vorgelegte Artenschutzgutachten sehe den aktuellen Erhaltungszustand aller betroffenen Vogelarten als gewahrt an, weil sich die vorhabenbedingten Störungen entweder aufgrund des Gefährdungs- oder Empfindlichkeitsprofils dieser Arten oder wegen der angeordneten Kompensationsmaßnahmen nicht auf die jeweilige Population auswirkten. Das werde im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt. Die Erteilung einer Befreiung sei aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls im Sinne von § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG gerechtfertigt. Das Vorhaben diene dem Gemeinwohl, weil es im Einklang mit den Zielsetzungen des Bundesfernstraßengesetzes stehe. Es sei im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen als vordringlicher Bedarf ausgewiesen und entspreche deswegen den Zielsetzungen des § 1 Abs. 1 FStrG. Die Gründe des Gemeinwohls überwögen auch die Belange des Artenschutzes. Dafür bedürfe es keiner in alle Einzelheiten gehenden Abwägung, insbesondere keiner Alternativenprüfung. Denn auf die Existenz anderweitiger zufriedenstellender Lösungen komme es erst im Rahmen des Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie an, der eingreife, wenn – anders als hier – Verbotstatbestände des Art. 5 dieser Richtlinie erfüllt seien. Es genüge deswegen, dass der gesetzlichen Bedarfsfeststellung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erhebliches Gewicht im Rahmen der Abwägung zukomme, während für den Artenschutz nach der nicht zu beanstandenden naturschutzfachlichen Einschätzung der Planfeststellungsbehörde mangels Verschlechterung der Gesamtsituation der betroffenen Vogelarten jedenfalls keine unwiederbringlichen Einbußen entständen.

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Der Beklagte habe die Befreiung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG auch wirksam und ermessensfehlerfrei erteilt. Allerdings habe er die Befreiung – nach schriftsätzlicher Ankündigung und Begründung – erst in der mündlichen Verhandlung des Gerichts erteilt. Aus diesem Umstand allein könnten die Kläger jedoch nichts herleiten. Für die Frage ihrer Rechtsverletzung komme es insoweit nur darauf an, ob die Befreiungsvoraussetzungen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Planfeststellung objektiv gegeben waren. Das sei der Fall. Auf dieser Grundlage sei der Beklagte nicht gehindert gewesen, im Wege einer nachträglichen Änderung den Planfeststellungsbeschluss um eine Befreiung zu ergänzen. Dass das Versäumnis der Erteilung einer Befreiung zum Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses einen zentralen Punkt dieser Entscheidung beträfe, der nicht in einem ergänzenden Verfahren und mithin auch nicht schon während eines gerichtlichen Verfahrens bereinigt werden könnte, weil er die Planung als Ganzes von vornherein in Frage stellt, sei schon deswegen nicht erkennbar, weil sich der Beklagte im Planfeststellungsbeschluss der Sache nach mit Fragen des Artenschutzes bereits auseinander gesetzt habe. Die erteilte Befreiung weise auch keine Ermessensfehler auf. Sie betreffe die Verbote des § 42 Abs. 1 BNatSchG und erfasse alle Vogelarten, bei denen – zum Teil im Sinne einer zulässigen Worst-Case-Betrachtung – ein Verbotstatbestand des § 42 Abs. 1 BNatSchG erfüllt sein kann. Die Begründung dieser Entscheidung, die auf die überwiegenden Gründe des Gemeinwohls und auf die vergleichsweise geringe Beeinträchtigung des Artenschutzes abstellt, lasse Ermessensfehler nicht erkennen.

IV. Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung Wegen ihrer fehlenden Determinierung durch das Gemeinschaftsrecht wesentlich leichter zu überwinden ist die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung des § 19 BNatSchG bzw. entsprechender Landesvorschriften. Danach ist der Verursacher eines Eingriffs zu verpflichten, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen (§ 19 Abs. 1 BNatSchG: Vermeidungsgebot) und unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege vorrangig auszugleichen oder – durch Ersatzmaßnahmen – in sonstiger Weise zu kompensieren (§ 19 Abs. 2 BNatSchG: Kompensationsgebot). Sind die Beeinträchtigungen weder zu vermeiden noch in angemessener Frist auszugleichen oder in sonstiger Weise zu kompensieren, darf der Eingriff nicht zugelassen werden, wenn die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft anderen Belangen im Range vorgehen (§ 19 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG: Naturschutzrechtliches Abwägungsgebot). Werden als Folge des Eingriffs Biotope zerstört, die für dort wild lebende Tiere und wild wachsende

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Pflanzen der streng geschützten Arten nicht ersetzbar sind, ist der Eingriff nur zulässig, wenn er aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt ist (§ 19 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG). Die Länder können dazu weitergehende Regelungen erlassen, insbesondere Vorgaben zur Anrechnung von Kompensationsmaßnahmen treffen und vorsehen, dass bei zuzulassenden Eingriffen für nicht ausgleichbare oder nicht in sonstiger Weise kompensierbare Beeinträchtigungen Ersatz in Geld zu leisten ist (§ 19 Abs. 4 BNatSchG). Das Verhältnis dieser Eingriffsregelung zum fachgesetzlichen Zulassungsrecht ist in der Rechtsprechung dahin geklärt, dass das Vermeidungsgebot die Planungsbehörde nicht zur Wahl der ökologisch günstigsten Planungsalternative zwingt42. Ob ein Vorhaben zulässig ist, muss zunächst anhand der materiellen Vorgaben des Fachgesetzes ermittelt werden. Die Eingriffsregelung ergänzt lediglich dessen Zulassungstatbestände. Sie enthält zusätzliche Anforderungen, die zu den fachgesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen hinzutreten. Sie verhindert als „sekundärrechtliches“ Instrument, dass die nachteilige Inanspruchnahme von Natur und Landschaft, die das Fachrecht gestattet, zu Lasten von Natur und Landschaft sanktionslos bleibt43. Für die Praxis ergibt sich daraus eine klare Reihenfolge: Die fachplanerische Abwägung umfasst ggf. auch eine Variantenuntersuchung. Kommen Alternativlösungen ernsthaft in Betracht, so hat die Planungsbehörde sie als Teil des Abwägungsmaterials in die Prüfung der von den möglichen Varianten jeweils berührten öffentlichen und privaten Belange einzubeziehen. Dabei sind die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege mit dem Gewicht in die Abwägung einzustellen, das ihnen aus ökologischer Sicht objektiv zukommt44. Dazu gehört die Verpflichtung, auch unter dem Blickwinkel von Natur und Landschaft der Frage nach schonenderen Alternativen nachzugehen. Zwar können diese Belange in der Konkurrenz mit gegenläufigen Interessen zurückgestellt werden. Natur und Landschaft dürfen dabei aber nicht stärker beeinträchtigt werden, als es zur Erreichung des Planungszwecks nötig ist. Lässt sich das mit dem Vorhaben verfolgte Ziel ohne Aufopferung anderer Interessen mit geringeren Nachteilen für Natur und Landschaft an anderer Stelle verwirklichen, so darf sich die Planungsbehörde nicht gleichwohl für die Alternative entscheiden, die intensivere in Natur und Landschaft eingreift. Erst recht setzt sich die Planungsbehörde in Widerspruch zum Abwägungsgebot, wenn sie einer Variante den Vorzug gibt, obwohl die Belange, die dafür sprechen, den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege, die sich dagegen ins Feld ___________ 42 43 44

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BVerwG, Urt. vom 7.3.1997 – BVerwG 4 C 10.96 –, BVerwGE 104, 144 ff.,146. Ebd., S. 147 f. BVerwG, Urt. vom 14.11.2002 – BVerwG 4 A 15.02 –, BVerwGE 117, 149 ff.,

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führen lassen, bei einer situationsbezogenen Gewichtung im Range nachgehen. Das Abwägungsgebot eröffnet zwar die Möglichkeit, einzelne Belange hinter andere zurückzustellen. Es entbindet aber nicht von der Verpflichtung, einen Ausgleich herbeizuführen, der den Erfordernissen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht wird. Das auf Schonung von Natur und Landschaft gerichtete Allgemeininteresse lässt sich im Konflikt mit den für eine konkrete Planung sprechenden Gesichtspunkten nur unter der Voraussetzung zurückstellen, dass entsprechend gewichtige Gründe dies rechtfertigen45. Genügt die Variantenwahl dem Abwägungsgebot, so ist insoweit auch für § 19 BNatSchG die Vorentscheidung gefallen. Das Vorhaben als solches oder seine räumliche Festlegung kann nicht bei der nachrangigen Prüfung der naturschutzrechtlichen Vermeidbarkeit von Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft wieder in Zweifel gezogen werden46. Nur dieses und kein anderes Vorhaben ist im Rahmen des § 19 Abs. 1 BNatSchG daraufhin zu untersuchen, ob es Beeinträchtigungen verursacht, die vermeidbar sind. Die durch die Inanspruchnahme von Natur und Landschaft am Ort des Eingriffs selbst zwangsläufig hervorgerufenen Beeinträchtigungen nimmt das Naturschutzrecht als „unvermeidbar“ hin. Auf der Stufe des Vermeidungsgebots kommen deshalb keine Maßnahmen mehr in Betracht, die das konkrete Vorhaben so umgestalten, dass es bei objektiver Betrachtung nicht mehr als vom Antrag des Vorhabenträgers umfasst angesehen werden kann47. Dies gilt insbesondere für jede mehr als nur geringfügige Abweichung der räumlichen Trassenführung. Bei dem Vermeidungsgebot handelt es sich zwar um striktes Recht, das einer Abwägung nicht zugänglich und dessen Einhaltung im Grundsatz gerichtlich voll überprüfbar ist48. Gleichwohl heißt dies nicht, dass der Vorhabenträger die Vermeidung von Eingriffswirkungen auf Natur und Landschaft um jeden Preis betreiben muss. Auch § 19 Abs. 1 unterliegt wie jedes staatliche Gebot dem Übermaßverbot: Der Mehraufwand für jeweils konkret in Betracht kommende Vermeidungsmaßnahmen und etwaige mit ihnen verbundene Belastungen für die Belange Dritter dürfen nicht außer Verhältnis zu der mit ihnen erreichbaren Eingriffsminimierung stehen49. ___________ 45 BVerwG, Urt. vom 7.3.1997 – BVerwG 4 C 10.96 –, BVerwGE 104, 144 ff.,151 f. 46 BVerwG, Urt. vom 14.11.2002 – BVerwG 4 A 15.02 –, BVerwGE 117, 149 ff., 161. 47 BVerwG, Urt. vom 19.3.2003 – BVerwG 9 A 33.02 –, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 173 S. 162. 48 BVerwG, Urt. vom 7.3.1997 – BVerwG 4 C 10.96 –, BVerwGE 104, 149 ff.,150; BVerwG, Urt. vom 19.3.2003, a.a.O. 49 BVerwG, Urt. vom 19.3.2003, a.a.O. S. 163 f.

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Auch bei der Anwendung des Kompensationsgebots in § 19 Abs. 2 BNatSchG bzw. den entsprechenden landesrechtlichen Regelungen steht der Planungsbehörde keine planerische Gestaltungsfreiheit zu. Bei der Anordnung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für die Inanspruchnahme von Natur und Landschaft ist sie an die Tatbestandsvoraussetzungen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung gebunden. Sind Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft im räumlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Eingriff ausgleichbar oder durch Ersatzmaßnahmen kompensierbar, so ist für eine planerische Abwägung, ob ausgeglichen oder kompensiert wird, kein Raum. Weist andererseits eine Fläche, auf der Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege durchgeführt werden sollen, nicht die im Gesetz bezeichneten Merkmale für Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen auf, so ist sie dem Zugriff der Planfeststellung für diesen Zweck von vornherein entzogen50. Ausgeglichen ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts wieder hergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder neu gestaltet ist (§ 19 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG). Ausgleichsmaßnahmen müssen damit so beschaffen sein, dass in dem von dem Vorhaben betroffenen Landschaftsraum ein Zustand herbeigeführt wird, der den früheren Zustand in der gleichen Art und mit der gleichen Wirkung fortführt. Dies erfordert nicht, dass sie im unmittelbaren Umkreis des Eingriffs ausgeführt werden. Es schränkt den räumlichen Bereich, in dem sie in Betracht kommen, aber insofern ein, als sie sich dort, wo die mit dem Vorhaben verbundenen Beeinträchtigungen auftreten, noch ausgleichend, d.h. durch Wiederherstellung eines für Natur und Landschaft gleichartigen und gleichwertigen Zustands im Hinblick auf die durch den Eingriff gestörten Funktionen des Naturhaushalts oder des Landschaftsbilds, auswirken51. Durch diesen funktionalen Zusammenhang zwischen Eingriff und Ausgleich wird, was Art und Ort angeht, die Abgrenzung der Ausgleichsmaßnahmen von Ersatzmaßnahmen gewahrt. Ersatzmaßnahmen dienen nach § 19 Abs. 2 Satz 3 BNatSchG dazu, die durch einen nicht ausgleichbaren Eingriff beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in gleichwertiger Weise zu ersetzen oder das Landschaftsbild landschaftsgerecht neu zu gestalten. Dafür reicht es, dass die Maßnahme ihrer Art nach geeignet ist, eine anderweitige Kompensation der Eingriffsfolgen herbeizuführen. Es genügt, wenn ein Zustand geschaffen wird, der den beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes gleichwertig ist. Dass die Maßnahme auf den Eingriffsort zurückwirkt, ist nicht erforderlich. Vielmehr reicht es aus, dass überhaupt eine räumliche Beziehung zwischen dem Ort des Eingriffs und der Durchführung der Ersatz___________ 50

BVerwG, Urt. vom 1.9.1997 – BVerwG 4 A 36.96 –, BVerwGE 105, 178 ff., 185. Vgl. BVerwG, Urt. vom 1.9.1997 – BVerwG 4 A 36.96 –, a.a.O.; Urt. vom 27.10.2000 – BVerwG 4 A 18.99 –, BVerwGE 112, 140 ff., 163. 51

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maßnahme besteht. Diesem Erfordernis des räumlichen Bezugs ist auch bei größeren Entfernungen jedenfalls dann genügt, wenn der Bereich, in dem Ersatzmaßnahmen durchgeführt werden sollen, durch bioökologische Wechselbeziehungen unmittelbar mit dem Eingriffsort verbunden sind52. Nach der Konzeption, die den Regelungen über Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zugrunde liegt, bedarf es bei dem Zugriff auf einzelne Grundstücke einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, die sämtliche Elemente des Übermaßverbots einschließt. Für Kompensationsmaßnahmen in Anspruch genommen werden dürfen zum einen nur solche Flächen, die sich zur Erreichung des naturschutzrechtlich vorgegebenen und naturschutzfachlich verfolgten Zwecks objektiv eignen. Dazu gehört u.a., dass sie aufwertungsbedürftig und -fähig sind. Diese Voraussetzung erfüllen sie, wenn sie in einen Zustand versetzt werden können, der sich im Vergleich mit dem früheren als ökologisch höherwertig einstufen lässt53. Anders als im Rahmen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots hat die Behörde bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Grundstücken nur einen begrenzten Spielraum. Sie braucht freilich nicht bereits jedem Hinweis auf andere Grundstücke nachzugehen, die zur Zweckerreichung gleich gut geeignet sind. Ihr ist indes verwehrt, auf weniger geeignete Grundstücke zurückzugreifen, soweit sie in der Lage ist, sich besser geeignete Flächen zu verschaffen. Der Zugriff auf privates Grundeigentum muss zur Erfüllung der naturschutzrechtlichen Kompensationsverpflichtungen ferner erforderlich sein. Daran fehlt es, sofern Kompensationsmaßnahmen an anderer Stelle ebenfalls Erfolg versprechen, dort aber bei einer Gesamtschau den Vorteil bieten, dass dem Betroffenen geringere Opfer abverlangt werden. Ein solcher Sachverhalt ist insbesondere gegeben, wenn der Vorhabenträger privaten Grund und Boden in Anspruch nimmt, obwohl er selbst oder ein sonstiger Rechtsträger der öffentlichen Hand Eigentümer von Grundstücken ist, die für Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen in Betracht kommen. Die mit Kompensationsmaßnahmen verbundenen nachteiligen Folgen dürfen schließlich nicht außer Verhältnis zum beabsichtigten Erfolg stehen. Die Nachteile dürfen die zu erwartenden Vorteile nicht überwiegen, und die Schwere der Beeinträchtigung muss vor dem Hintergrund des Gewichts der sie rechtfertigenden Gründe zumutbar sein. Diese Grenze kann überschritten sein, wenn durch Kompensationsmaßnahmen die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen gefährdet oder gar vernichtet wird54. Die Abwägungsentscheidung nach § 19 Abs. 3 BNatSchG bzw. den entsprechenden landesrechtlichen Regelungen bildet den Schlusspunkt der natur___________ 52 Vgl. BVerwG, Urt. vom 23.8.1996, Buchholz 407.4 § 19 FStrG Nr. 8 S. 9 f.; Gerichtsbescheid vom 10.9.1998 – BVerwG 4 A 35.97 – Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr. 25 S. 28 f. 53 BVerwG, Gerichtsbescheid vom 10.9.1998 –, a.a.O. S. 28. 54 BVerwG, Urt. vom 1.9.1997 – BVerwG 4 A 36.96 –, BVerwGE 105, 178 ff., 186.

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schutzrechtlichen Eingriffsregelung, die auf einer Stufenfolge aufbaut, bei der die Tatbestandsvoraussetzungen für jede Phase abschließend umschrieben sind. Für sie ist nach der gesetzlichen Systematik von zentraler Bedeutung, mit welchem Ergebnis die Kompensationsproblematik auf der ihr vorgelagerten Stufe abgearbeitet worden ist. Denn für eine Abwägung auf der Grundlage des § 19 Abs. 3 BNatSchG ist kein Raum, wenn im Sinne des § 19 Abs. 2 BNatSchG eine volle Kompensation in angemessener Frist gewährleistet ist. Die dem Vermeidungs- und dem Kompensationsgebot nachgeschaltete dritte Stufe der Eingriffsregelung, nämlich die naturschutzrechtliche Abwägung, wird nur unter der Voraussetzung relevant, dass ein Rest von nicht vermeidbaren und nicht in angemessener Frist kompensierbaren Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft übrig bleibt. Die dann nach § 19 Abs. 3 BNatSchG gebotene Abwägung hat sich daran zu orientieren, ob die Kompensationsbilanz dennoch ausreicht, um die mit dem Vorhaben verbundenen Anforderungen an Natur und Landschaft zu rechtfertigen. Je größer das Kompensationsdefizit in Relation zur Schwere des Eingriffs ist, desto mehr spricht dafür, dass die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege den für den Eingriff sprechenden Belangen im Range vorgehen und der Eingriff deshalb nicht zugelassen werden darf55. Insofern wirkt das Zulassungsverbot des § 19 Abs. 3 BNatSchG auf die fachplanerische Abwägung zurück. Es bindet das planerische Abwägungsergebnis, indem es eine durch planerisches Bewerten und Gewichten nicht überwindbare Schranke aufrichtet. Es zwingt die Planungsbehörde, ihr bisheriges Abwägungsergebnis zu überdenken und gegebenenfalls von dem Vorhaben Abstand zu nehmen, wenn nicht die gewichtigeren Gründe trotz verbleibenden Kompensationsdefizits für den Eingriff sprechen56. Sowohl auf der Stufe des Abwägungsgebots als auch auf der Stufe der Eingriffsregelung stellt sich die Frage nach dem materiellen Maßstab, an dem die Beeinträchtigung von Natur und Landschaft gemessen werden kann. Solange ein vom Gesetzgeber normativ vorgegebenes Bewertungsverfahren fehlt, können die Gerichte nur mit sehr allgemeinen Aussagen diese Lücke füllen. Auch daran hat sich das Bundesverwaltungsgericht mehrfach versucht: Eingriffe in Natur und Landschaft lassen sich nur dann zutreffend bewerten, wenn hinreichend aussagekräftiges Datenmaterial zur Verfügung steht. Deshalb muss der Planungsträger im Rahmen der Eingriffsregelung der Ermittlungsphase besonderes Augenmerk schenken. Das heißt aber nicht, dass er immer ein vollständiges Arteninventar erstellen muss. Die Ermittlungen sind so durchzuführen, dass sie eine sachgerechte Planungsentscheidung ermögli___________ 55 Vgl. BVerwG, Urt. vom 27.10.2000 – BVerwG 4 A 18.99 –, BVerwGE 112, 140 ff., 162. 56 Vgl. BVerwG, Urt. vom 27.10.2000 – BVerwG 4 A 18.99 –, a.a.O. S. 165; Urt. vom 31.1.2002 – BVerwG 4 A 15.01 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 168 S. 119.

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chen. Die Untersuchungstiefe hängt deshalb von der Art der Maßnahme und den jeweiligen naturräumlichen Gegebenheiten ab. Je typischer die Gebietsstruktur, desto eher kann auf typisierende Merkmale und allgemeine Erfahrungen abgestellt werden. Sind bestimmte Tier- und Pflanzenarten Indikator für die Biotopqualität und die Lebensraumanforderungen auch anderer Arten oder lassen bestimmte Vegetationsstrukturen sichere Rückschlüsse auf ihre faunistische und floristische Ausstattung zu, so reicht die gezielte Erhebung der insoweit maßgeblichen Daten aus. Denn das Recht nötigt nicht zu Ermittlungen, die keine zusätzlichen Erkenntnisse versprechen57. Gibt es dagegen Anhaltspunkte für das Vorhandensein besonders seltener Arten, wird dem im Rahmen der Ermittlungen nachzugehen sein58. Zu einer sachgerechten Abwägung nach § 19 Abs. 3 Satz 3 BNatSchG ist die Planungsbehörde darüber hinaus nur dann in der Lage, wenn sie sich Klarheit darüber verschafft, wie groß das Kompensationsdefizit ist59. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem zur Ortsumgehung Michendorf ergangenen Urteil vom 9. Juni 200460 folgende Grundsätze aufgestellt: Eine nachvollziehbare Umsetzung der aus der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung folgenden Vermeidungs-, Ausgleichs-, Abwägungs- und Ersatzpflichten setze ein ausreichendes Maß an Quantifizierung sowohl der Eingriffswirkungen als auch der Kompensationsmaßnahmen voraus, die im Planfeststellungsbeschluss auch offen gelegt werden müsse. Nur so könne festgestellt werden, ob die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung den rechtlichen Vorgaben gemäß abgearbeitet wurde. Dies sei für die Entscheidung der Planfeststellungsbehörde ebenso unverzichtbar wie für die durch das Vorhaben Betroffenen, die am Verfahren beteiligte Öffentlichkeit, die das Verfahren begleitenden anerkannten Naturschutzvereine und insbesondere auch für die gerichtliche Kontrolle61. In der Sache stehe der Planfeststellungsbehörde bei der Bewertung der Eingriffswirkungen eines Vorhabens und ebenso bei der Bewertung der Kompensationswirkung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, insbesondere was deren Quantifizierung betrifft, eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu. Die im Planfeststellungsbeschluss vorgenommenen Quantifizierungen bei Eingriffswirkungen und Kompensationsmaßnahmen seien daher nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich; sie seien vom Gericht hinzunehmen, sofern sie im Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und auch ___________ 57 BVerwG, Urt. vom 27.10.2000 – BVerwG 4 A 18.99 –, BVerwGE 112, 140 ff., 158 f.; Urt. vom 31.1.2002 – BVerwG 4 A 15.01 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 168 S. 115 f. 58 BVerwG, Beschl. vom 21.2.1997 – BVerwG 4 B 177.96 – Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr. 20 S. 13. 59 Vgl. BVerwG, Urt. vom 27.10.2000 – BVerwG 4 A 18.99 –, a.a.O. S. 163. 60 BVerwG 9 A 11.03, BVerwGE 121, 72 ff. 61 BVerwG, Urt. vom 9.6.2004 – BVerwG 9 A 11.03 –, BVerwGE 121, 72 ff., 83 f.

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nicht auf einem Bewertungsverfahren beruhen, das sich als unzulängliches oder gar ungeeignetes Mittel erweist, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden62. Um dies beurteilen zu können, müsse die Eingriffs- und Kompensationsbilanz im Planfeststellungsbeschluss hinreichend nachvollziehbar offen gelegt werden. Dies brauche, sofern gesetzlich nichts anderes vorgegeben ist, ebenso wenig wie die übrige Abarbeitung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung in einer standardisierten oder rechenhaften Weise zu erfolgen. Es genüge eine verbal-argumentative Darstellung, sofern sie rational nachvollziehbar ist und eine gerichtliche Kontrolle auf die Einhaltung der Grenzen jener Einschätzungsprärogative erlaubt63. Das für eine Verkehrswegeplanung zu erarbeitende naturschutzrechtliche Kompensationsmodell enthalte, soweit die Planfeststellungsbehörde darin unter Beachtung der gesetzlichen Rangfolge von Vermeidungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme eine Auswahl zwischen grundsätzlich gleich geeigneten Kompensationsmaßnahmen trifft, aber auch mit Rücksicht auf die naturschutzfachliche Abstimmung der Kompensationsmaßnahmen untereinander sowie im Hinblick auf die Berücksichtigung etwaiger multifunktionaler Kompensationswirkungen in erheblichem Umfang Elemente einer planerisch abwägenden Entscheidung. Fehler bei dieser Abwägung seien im Prozess nur beachtlich, wenn sie sich am Maßstab des § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG als erheblich erweisen64. Auch die naturschutzrechtliche Abwägung selbst sei, soweit sie sich im Zuge eines Planfeststellungsverfahrens vollzieht, rechtlich nicht voll determiniert65. Dies ergebe sich aus der engen Verknüpfung dieser Abwägung mit den vorgeschalteten Stufen der Eingriffsregelung und vor allem mit der durch Gestaltungsfreiheit geprägten fachplanerischen Zulassungsentscheidung. Schon bei der Bewertung der vorhabenbedingten Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft sowie der Kompensationswirkungen naturschutzrechtlicher Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen stehe der Zulassungsbehörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu, der eine entsprechend eingeschränkte gerichtliche Kontrolle entspreche. In welchem Umfang Kompensationsdefizite verblieben, hänge deshalb von der nicht voll überprüfbaren Einschätzung der Behörde ab. Eben diese Kompensationsdefizite bildeten den einen Pol der naturschutzrechtlichen Abwägung. Die behördliche Einschätzungsprärogative ___________ 62

Vgl. BVerwG, Urt. vom 27.10.2000 – BVerwG 4 A 18.99 –, BVerwGE 112, 140 ff., 159 f.; Urt. vom 31.1.2002 – BVerwG 4 A 15.01 –, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 168 S. 117; Urt. vom 9.6.2004 – BVerwG 9 A 11.03 –, BVerwGE 121, 72 ff., 84. 63 BVerwG, Urt. vom 9.6.2004 – BVerwG 9 A 11.03 –, BVerwGE 121, 72 ff., 84. 64 BVerwG, Urt. vom 9.6.2004, a.a.O. S. 85. 65 BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – BVerwG 9 C 1.06 – (Ortsumgehung Bad Laer).

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schlage mithin auf die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials durch und müsse folgerichtig auch bei deren gerichtlicher Kontrolle respektiert werden. Im Hinblick auf die Verknüpfung der naturschutzrechtlichen Abwägung mit dem fachplanerischen Zulassungsrecht seien Spielräume auch auf den weiteren Stufen dieser Abwägung anzuerkennen. Zwischen fachplanerischer und naturschutzrechtlicher Abwägung bestehe eine Wechselbezüglichkeit. Zum einen bilde die fachplanerische Ausgestaltung des Vorhabens nach Maßgabe des allgemeinen Abwägungsgebots die Grundlage für die Beurteilung der Eingriffsfolgen einschließlich der naturschutzrechtlichen Abwägung. Dies bedeute, dass die für das Vorhaben sprechenden Belange inhaltsgleich zum Gegenstand der allgemeinen und der naturschutzrechtlichen Abwägung würden. Bei den entgegenstehenden Belangen von Natur und Landschaft gehe es zwar im einen Fall – zunächst – um das Integritätsinteresse und im anderen Fall um das Ausgleichsinteresse. Letzteres könne in seiner Bedeutung aber nur auf der Basis des ersteren erfasst werden; auch insoweit sei das Material der naturschutzrechtlichen Abwägung eng mit demjenigen der fachplanerischen Abwägung verwoben. Zum anderen wirke § 19 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG mit seinem Untersagungsgebot auf das Ergebnis der fachplanerischen Prüfung zurück. Sollten Wertungswidersprüche vermieden werden, dürfe deshalb die naturschutzrechtliche Abwägung nicht losgelöst von der Ausfüllung der fachplanerischen Abwägungsspielräume erfolgen. Das schließe es aus, sie als eine nur gesetzliche Wertungen für den Einzelfall nachvollziehende Abwägung zu begreifen. Vielmehr stimme die naturschutzrechtliche Abwägung im Rahmen fachplanerischer Zulassungstatbestände in ihrer Grundstruktur mit der fachplanerischen Abwägung überein. Dem entspreche eine vergleichbare gerichtliche Kontrolldichte. Die Überprüfung habe sich zum einen darauf zu richten, ob die Behörde ihrer Abwägung alle nach Lage der Dinge in Betracht zu ziehenden Umstände zugrunde gelegt und ihr dabei eröffnete Einschätzungsspielräume vertretbar ausgefüllt hat; zum anderen sei zu prüfen, ob sie bei der Gewichtung und vergleichenden Bewertung die ihr gesetzten rechtlichen Grenzen beachtet hat66. Mit den prozessualen Folgen von Fehlern bei Anwendung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung hat sich das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls auseinandergesetzt: Sei die naturschutzrechtliche Abwägung fehlerhaft, wobei nur erhebliche Abwägungsfehler im Sinne des hier zumindest entsprechend anzuwendenden § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG von Belang seien, oder lägen sonstige Rechtsverstöße bei der Festlegung der gebotenen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vor, würden solche Fehler regelmäßig nicht die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses zur Folge haben. Dies ergibt sich jetzt aus § 75

___________ 66

BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – BVerwG 9 C 1.06 – (Ortsumgehung Bad Laer).

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Abs. 1a Satz 2 VwVfG67. § 75 Abs. 1a VwVfG sei ebenso wie § 17 Abs. 6c FStrG a.F. eine Ausprägung des Grundsatzes der Planerhaltung. Der 1. Halbsatz von Satz 2 der Vorschrift sieht bei erheblichen Abwägungsmängeln eine gestufte Fehlerfolgenregelung vor, die statt zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses zu einem ergänzenden Verfahren oder einer schlichten Planergänzung führt. Sinn und Zweck der Vorschrift entspricht es, stets nur die am wenigsten in das planfestgestellte Vorhaben eingreifende Rechtsfolge zu rechtfertigen, die eine ausreichende Fehlerbehebung sicherstellt68. Können die unterlaufenen Rechtsverstöße nur in einem ergänzenden Verfahren „geheilt“ werden, weil sie die Ausgewogenheit der Gesamtplanung betreffen oder ohne ihre vorherige Behebung mit Rücksicht auf die Belange Dritter die Umsetzung des Planfeststellungsbeschlusses im Übrigen nicht ins Werk gesetzt werden darf, ist nach § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG die Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses festzustellen. Dies ist freilich nur zulässig, wenn und soweit die konkrete Möglichkeit der Fehlerbehebung in dem ergänzenden Verfahren besteht. Genügt zur Fehlerbehebung jedoch die Verpflichtung zur Planergänzung, weil der Fehler die Ausgewogenheit der Gesamtplanung nicht betrifft, seine isolierte Behebung durchsetzbar ist und mit der Umsetzung des Planfeststellungsbeschlusses bereits zuvor ohne Verletzung der Rechte Dritter begonnen werden kann, kommt kein ergänzendes Verfahren in Betracht und erst recht nicht die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses. Damit hat § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG den schon zuvor in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht entwickelten Grundsatz aufgegriffen und festgeschrieben, dass ein Anspruch auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses dann nicht besteht, wenn der Rechtsfehler für die Planungsentscheidung insgesamt nicht von so großem Gewicht ist, dass dadurch die Ausgewogenheit der Gesamtplanung oder eines abtrennbaren Planungsteils in Frage gestellt wird und der Mangel durch Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um eine Schutzauflage behoben werden kann69. Dieser Grundsatz gilt nach der Michendorf-Entscheidung auch für die auf § 61 BNatSchG gestützte Klage eines anerkannten Naturschutzvereins. Die Funktion der Vereinsklage, Vollzugsdefizite im Naturschutzrecht zu vermeiden oder auszugleichen, die daher rühren, dass der gesetzlich gebotenen Berücksichtigung der Belange von Natur und Landschaft keine subjektiven Durchsetzungsansprüche Einzelner entsprechen, verlange nicht die Aufhebung des Plan___________ 67 Dazu vgl. BVerwG, Urt. vom 17.1.2007 – BVerwG 9 C 1.06 – (Ortsumgehung Bad Laer). 68 Vgl. BVerwG, Urt. vom 9.6.2004 – BVerwG 9 A 11.03 –, BVerwGE 121, 72 ff., 80 f. (zu § 17 Abs. 6c FStrG a.F.). 69 Vgl. ebd. S. 81.

Natur- und Artenschutz im Verkehrswegeplanungsrecht

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feststellungsbeschlusses, wenn es an einer gebotenen Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahme fehlt. Auf die stattdessen anzustrebende Planergänzung könne der Naturschutzverein freilich nur dann verwiesen werden, wenn diese Planergänzung auch im Klagewege durchgesetzt werden kann. § 61 BNatSchG ermögliche dies. Rechtsfehler bei der Erarbeitung des naturschutzrechtlichen Ausgleichs- und Ersatzkonzepts werden danach, jedenfalls bei der Klage eines anerkannten Naturschutzvereins, in aller Regel nicht die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder die Feststellung seiner Nichtvollziehbarkeit mit dem Verweis auf ein ergänzendes Verfahren rechtfertigen, sofern es sich um Einzelmängel handelt, die nicht das Gesamtkonzept in Frage stellen, und es keinen ernsthaften Zweifeln unterliegt, dass das erforderliche Ausgleichs- oder Ersatzpotential zur Behebung des Kompensationsdefizits für die Planergänzung im Grundsatz vorhanden ist. Sie bleiben allerdings auch nicht sanktionslos, sondern begründen für den Verein die gerichtlich durchsetzbare Möglichkeit der Planergänzung70.

V. Zusammenfassende Würdigung Sowohl die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften als auch die des Bundesverwaltungsgerichts sind durch das Rechtsstaatsprinzip an Gesetz und Recht gebunden. Sie nehmen diese Bindung auch dann ernst, wenn es um Natur- und Artenschutz im Verkehrswegeplanungsrecht geht. Insofern unterscheidet sich die Aufgabe der Rechtsprechung von der der Politik, die in Sonntagsreden das Artensterben in Deutschland beklagen und zu größeren Anstrengungen beim Natur- und Artenschutz aufrufen kann, ohne solchen Worten immer Taten folgen zu lassen. Wenn der Richtlinien- und Gesetzgeber aber ein solches politisches Programm doch in die Tat umsetzt und zu im Amts- oder Gesetzblatt verkündeten Normen umformt, muss die Politik damit rechnen, dass die Gerichte diese Normen so auslegen und anwenden, wie es dem Stufenbau der Rechtsordnung und den Regeln der juristischen Methodenlehre entspricht. Dies ist im Rechtsstaat ihre selbstverständliche Pflicht, auf deren Erfüllung sich jedermann verlassen können muß. Der Gerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht werden diese Pflicht auch in Zukunft mit Sicherheit ernst nehmen und nicht wegen vermeintlicher tagespolitischer Opportunitäten vernachlässigen. Darauf sollten sich die mit der Anwendung des Verkehrswegeplanungsrechts betrauten Organe der vollziehenden Gewalt von vornherein einstellen, selbst wenn dies bei der einen oder anderen Interessenvertretung Missfallen erregen mag. Denn gerade unter den Wettbe___________ 70

BVerwG, Urt. vom 9.6.2004 – BVerwG 9 A 11.03 –, BVerwGE 121, 72 ff., 82 f.

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werbsdingungen in einem gemeinsamen Markt darf nicht in Vergessenheit geraten, dass vor allem die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht den Rechtsstaat von den Praktiken einer Bananenrepublik unterscheidet.

Faktische Europäische Vogelschutzgebiete, potenzielle FFH-Gebiete und Natura 2000-Gebiete in der Fachplanung Von Marius Baum

Zentrales Instrument der europäischen Naturschutzpolitik ist nach der Konzeption der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (nachfolgend: „FFH-RL“) das kohärente europäische ökologische Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung „Natura 2000“, das sich aus den nach der FFH-RL und den nach der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (nachfolgend: „V-RL“) auszuweisenden „besonderen Schutzgebieten“ zusammensetzt. In Deutschland steht die vollständige Umsetzung beider Richtlinien nach und im Zuge der Novellen der Landesnaturschutzgesetze zur Anpassung an das noch rahmenrechtliche Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) von 20021 nunmehr unmittelbar an. In der Praxis der Fachplanung ist die Behandlung der europäischen Schutzgebiete inzwischen zu einem Arbeitsschritt geworden, der höchste Aufmerksamkeit und Sorgfalt verlangt. Gleichzeitig wurden die fachlichen Anforderungen in der Rechtsprechung sukzessive verschärft. Für die Naturschutzverwaltungen in den Ländern ist Natura 2000 so zu einer gewaltigen Herausforderung geworden. Unter dem Gesichtspunkt des Gebietsschutzes soll im Folgenden auf folgende Punkte eingegangen werden: 1. Die von der Rechtsprechung entwickelten vorläufigen Schutzregime für die künftigen Bestandteile des ökologischen Netzwerks „Natura 2000“; 2. „Natura 2000-Gebiete“; 3. einzelne Rechtsfragen des Art. 6 der FFH-RL.

___________ 1 Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften (BNatSchGNeuRegG) vom 25.3.2002 (BGBl. I S. 1193).

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I. Vorläufige Schutzregime Die Umsetzung des europäischen Biotopverbundes in den Ländern erfolgt unbestritten reichlich spät, berücksichtigt man, dass die Europäischen Vogelschutzgebiete gemäß Art. 18 Abs. 1 V-RL eigentlich bis zum 25. April 1981 und die so genannten „FFH-Gebiete“ gemäß Art. 4 Abs. 3 FFH-RL seit dem 5. Juni 1998 hätten feststehen und seit dem 5. Juni 2004 hätten ausgewiesen sein sollen. Die Rechtsprechung reagierte auf diese Verzögerungen mit vorläufigen Schutzregimen, den „faktischen Vogelschutz-“ und den „potenziellen FFH-Gebieten“. 1. Faktische Vogelschutzgebiete Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 4 V-RL haben die Mitgliedstaaten die für die im Anhang I dieser Richtlinie genannten Vogelarten „zahlen und flächenmäßig geeignetsten Gebiete“ zu Schutzgebieten zu erklären, dabei sind die jeweiligen Schutzerfordernisse dieser Arten zu berücksichtigen. Ebenso sind die Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete von im europäischen Raum regelmäßig auftretenden Zugvogelarten, die nicht im Anhang I der V-RL aufgeführt sind, nach Art. 4 Abs. 2 V-RL als Schutzgebiete auszuweisen. Vorgaben für die materiellen Schutzregime dieser Gebiete enthält diese Richtlinie in Art. 4 Abs. 4 Satz 1, der lautet: „Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Belästigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzungen dieses Artikels erheblich auswirken, (…) zu vermeiden.“ Was dies bedeutet, entschied der EuGH im „Leybucht-Urteil“2 unter dem Gesichtspunkt der mit einer Beeinträchtigung einhergehenden Verkleinerung eines europäischen Vogelschutzgebietes: Eine solche Verkleinerung darf nur bei Vorliegen „außerordentlicher Gründe“ erfolgen. Solche sind „Gründe des Gemeinwohls, die Vorrang vor den mit der Richtlinie verfolgten Umweltbelangen haben“. Dazu gehören nicht wirtschaftliche und freizeitbedingte Belange, wie sie in Art. 2 V-RL genannt sind. Dies bestätigte der EuGH dann im „Santoña-Urteil“3. Mit dem nach der V-RL erforderlichen rechtlichen Schutz waren insoweit der Bau einer Landstraße wegen des damit verbundenen Flächenverlustes, die Anlage von Teichanlagen, die Einleitung von Schmutzwasser sowie der nicht erfolgte Rückbau eines Deiches nicht vereinbar.

___________ 2 3

Rs. C-57/89, Slg. 1991, I-883, Tzn. 21 ff. Rs. C-355/90, NuR 1994, 521, Tz. 4.

Faktische Europäische Vogelschutzgebiete

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Nach dem Inkrafttreten der FFH-RL wurde dann das von der V-RL statuierte Schutzregime als „faktisches Vogelschutzgebiet“ tituliert. Hintergrund hierfür ist, dass Art. 7 FFH-RL den „Regimewechsel“ eröffnet, der ausgewiesene europäische Vogelschutzgebiete den Absätzen 2 bis 4 des Art. 6 der FFH-RL unterwirft, die insoweit an die Stelle von Art. 4 Abs. 4 S. 1 V-RL treten. Im „Basses Corbières-Urteil“4 entschied der EuGH dann – übrigens entgegen der Meinung der Kommission –, dass dieser Vorzug den Mitgliedstaaten nur zu Gute kommt, wenn sie ihrer Ausweisungsverpflichtung nachgekommen sind. Der EuGH verwies hierzu einerseits auf den Wortlaut des Art. 7 FFH-RL und andererseits auf Prinzipien, die als Sanktionsrechtsprechung bezeichnet werden können: Ein Mitgliedstaat darf aus seinem richtlinienwidrigen Verhalten für sich keine Vorteile ziehen, so aber werde sogar ein Anreiz zur Ausweisung geschaffen5. Begründet wird damit eine Logik, die naturschutzfachlich nicht wirklich zu verstehen ist: Gebiete sind aus Gründen des Naturschutzes auszuweisen, damit sie aus naturschutzexternen, in der Regel wirtschaftlichen Gründen leichter beeinträchtigt werden können. In diesem Zusammenhang ist jedoch hervorzuheben, dass es sich bei dem hohen, nahezu absoluten Schutzniveau für „faktische Vogelschutzgebiete“ um ein Spezifikum der V-RL und ihres Art. 4 Abs. 4 S. 1 handelt – es erwächst nicht aus Art. 10 EG. Ob die „faktischen Vogelschutzgebiete“ nur eine Entwicklungsstufe im Aufbau des Natura 2000-Netzwerks waren, bleibt abzuwarten. Die Kommission hat gegen die Bundesrepublik wegen unzureichender Meldung oder unzureichender Fachkonzepte in neun Bundesländern ein Zwangsgeldverfahren6 eingeleitet. Außerdem hat der EuGH im Urteil „Lauteracher Ried“7 die von Österreich im Hinblick auf die Praktikabilität des Vollzugs der Richtlinie naheliegende Ansicht, die Ausweisungsverpflichtung müsse zu einem bestimmten Tag einmal abschließend erfüllt sein, zu Gunsten einer rein naturwissenschaftlichen Sichtweise verworfen: Die Richtlinie enthalte keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Datum des Beitritts Österreichs zur EG – der 1.1.1995 – als entscheidender Stichtag herangezogen werden könne; ebenso werde die Ausweisungsverpflichtung nicht durch den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem bestimmten Zeitpunkt begrenzt. Damit droht eine Fortsetzung der „unheiligen Allianz“ der auf Rechts- und Planungssicherheit angewiesenen Infrastrukturplanung und denen, die das europäische Naturschutzrecht instrumentalisieren, um eben diese Infrastrukturvorhaben zu Fall zu bringen. ___________ 4 5 6 7

Rs. C-374/98, NuR 2001, 210, Tzn. 42 ff. Ebenda, Tzn. 51./52., 56. Az.: 2001/5117. Rs. C-209/04, NuR 2006, 429 Tzn. 43 f.

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Es bleibt daher die Frage bedeutsam, wie europäische Vogelschutzgebiete zu bestimmen bzw. zu identifizieren sind. In seinem Urteil im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Niederlande8 entschied der EuGH im Jahre 1998, dass die von BirdLife erarbeitete Liste von „Important Bird Areas“ aus dem Jahr 1989 („IBA 89“) ein „wissenschaftliches Beweismittel für die Frage enthält, ob der beklagte Staat seiner (Ausweisungs-)Verpflichtung nachgekommen ist.“ Die IBA 89 diente dem EuGH als „Bezugsgrundlage“, man könnte sie insoweit auch als ein „antizipiertes Sachverständigengutachten“ bezeichnen. Allerdings hätte der EuGH nicht auf die IBA-Liste zurückgegriffen, wenn die Niederlande ein eigenes Beweismittel hätten vorlegen können. Die deutschen Bundesländer haben hiernach eigene Gutachten, in der Regel durch ihre Fachanstalten, erarbeitet; das hessische Fachkonzept stammt beispielsweise von der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland in Zusammenarbeit mit der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) und dem Naturschutzbund (NABU). Fachliche Grundlage bildeten Daten, die insbesondere durch Kartierungen der regelmäßig vorkommenden Brutvorkommen im Zeitraum von 1997 – 2002 ermittelt wurden. In Einzelfällen, wenn diese Daten zur fachlichen Bewertung nicht ausreichten, wurde auch auf älteres Datenmaterial zurückgegriffen. Mit der Gebietskulisse sollten im Regelfall 20 v.H. der hessischen Population einer Art erfasst werden; bei gefährdeten oder seltenen Arten wurden mindestens 60 v.H. der Vorkommen erfasst. Insgesamt sind in Hessen für 133 Vogelarten nach Art. 4 Abs. 1 oder 2 V-RL Schutzgebiete auszuweisen. Für Arten mit Schwerpunktvorkommen wurden dann in der Regel die jeweils fünf besten Gebiete („TOP 5“) ausgewählt. Soweit weitere Gebiete mit mehr als 10 v.H. der Brut- oder Rastvorkommens existierten, wurden diese ebenfalls als Europäische Vogelschutzgebiete vorgesehen. In Bezug auf ubiquitär vorkommende Arten wurden die fachlichen Auswahlkriterien ergänzt (absolute Teilpopulation, Populationsdichte, Lebensraumqualität, Bündelungseffekte mit anderen relevanten Vogelarten)9. Im Ergebnis sind in Hessen 14,9 v.H. der Landesfläche als europäische Vogelschutzgebiete vorgesehen. Der Hessische VGH10 hat dieses Fachkonzept in seinem Urteil zur A380-Werft am Rhein-Main-Flughafen als hinreichend akzeptiert und im Hinblick darauf die Indizwirkung der IBA-Liste als „erheblich relativiert“ angesehen. ___________ 8

Rs. C-3/96, NuR 1998, 538 Tzn. 66 ff. Hessisches Fachkonzept zur Auswahl von Vogelschutzgebieten nach der Vogelschutzrichtlinie der EU, Frankfurt am Main, September 2004; verfügbar unter: http://www.hmulv.hessen.de/irj/HMULV_Internet?uid=e7e07118-ff12-701b-e592-63b5 005ae75d. 10 Urt. vom 28.6.2005, NuR 2006, 42, 44. 9

Faktische Europäische Vogelschutzgebiete

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Es ist offenkundig, dass die dauerhafte Anwendung dieser Kriterien gleichermaßen dauerhafte Anstrengungen in der ornithologischen Forschung verlangt. Gleichwohl dürfen die Anforderungen im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Verwaltungen einerseits, die Rechtssicherheit von Planungen, die wirtschaftliche Bedeutung von Infrastrukturvorhaben, aber auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen andererseits nicht überspannt werden. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass das BVerwG im Stralsund-Urteil11 unter Berücksichtigung des Urteils „Lauteracher Ried“12 die Grundsätze zur Behandlung von den Naturschutzverbänden behaupteter faktischer Vogelschutzgebiete bestätigt hat. Bereits in seinem Urteil zur B 173 (Lichtenfels/Kronach)13 hatte es wegen der vorangeschrittenen Netzbildung im Rahmen der richterlichen Vertretbarkeitskontrolle eine verringerte richterliche Kontrolldichte angenommen. Damit korrespondierend stiegen die prozessualen Darlegungserfordernisse für die Behauptung, „es gebe ein (nicht-erklärtes) ‚faktisches‘ Vogelschutzgebiet, das eine ‚Lücke im Netz‘ schließen solle. Bedeutsam ist außerdem, dass eine naturschutzfachlich unzutreffende Grenzziehung nach erfolgter Ausweisung nicht zur Konsequenz hat, dass das Gebiet in den Status eines „faktischen Vogelschutzgebietes“ zurückfällt: In dem Fall „Lauteracher Ried“ waren zwei Gebiete nicht in das Vogelschutzgebiet einbezogen worden, obwohl dies – wie der EuGH erkannte – fachlich und rechtlich erforderlich war. Der EuGH stellte aber – offensichtlich auch zur Überraschung der österreichischen Bundesregierung14 – die Anwendbarkeit der Ausnahmevorschriften des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL in Bezug auf das Lauteracher Ried überhaupt nicht in Frage; auch die Generalanwältin ging davon aus, dass das Regime der FFH-RL Anwendung finde15. Es ist absehbar, dass insbesondere Gegner von Infrastrukturvorhaben auch in der näheren Zukunft das „faktische Vogelschutzgebiet“ weiter argumentativ nutzen werden. Im Sinne der zitierten Rechtsprechung ist jedoch dringend zu fordern, dass die naturschutzfachlichen Anforderungen in diesem Zusammenhang nicht zu hoch angelegt werden. Wird künftig ein zusätzliches „faktisches Vogelschutzgebiet“ außerhalb der nunmehr in den Ländern zur Ausweisung vorgesehenen Kulisse oder eine naturschutzfachlich falsche Grenzziehung behauptet, so sollte die Verifizierung mit den zur Erfüllung der Berichtspflicht nach Art. 12 V-RL unternommenen Anstrengungen möglich sein. ___________ 11

Urt. vom 21.6.2006, Az.: 9 A 28/05, NVwZ 2006, 1161, 1162. EuGH, Rs. C-209/04, NuR 2006, 429. 13 Urt. vom 14.11.2004, Az.: 4 A 15/02, NVwZ 2003, 485. 14 Diese war insoweit von einem „faktischen Vogelschutzgebiet“ ausgegangen, siehe Schlussantrag der GA Kokott, Rs. C-209/04, Tz. 51. 15 Ebenda, Tz. 48. 12

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2. Potenzielle FFH-Gebiete Auch die FFH-Richtlinie konnte in Deutschland nicht fristgemäß umgesetzt werden: Die Meldung der Gebiete, die bis 1995 hätte abgeschlossen sein sollen, erfolgte ab dem Jahre 1998 und kam in Hessen im Jahre 2004, in anderen Ländern auf den Druck eines weiteren, inzwischen eingestellten Vertragsverletzungsverfahrens erst im Jahre 2006 zum Abschluss. In Bezug auf Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, die „FFH-Gebiete“, entwickelte das Bundesverwaltungsgericht die so genannten „potenziellen FFH-Gebiete“. Die Grundsätze des vorläufigen Schutzregimes für FFH-Gebiete sind differenzierter und komplexer als die der „faktischen Vogelschutzgebiete“. Während jene nämlich durch einen unilateralen Ausweisungsakt der Mitgliedstaaten entstehen, erfolgt die Errichtung von diesen in einem gestuften Verwaltungsverfahren: Zunächst haben die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 FFH-RL der EU-Kommission Gebiete vorzuschlagen, die nach rein naturschutzfachlichen Kriterien16 nach Maßgabe von Anhang III, Phase 1 der Richtlinie zum Schutz der in den Anhängen 1 und 2 genannten Lebensraumtypen und Arten zur Aufnahme in das Natura 2000-Netzwerk in Betracht kommen (nachfolgend: „Vorschlagsgebiete“). Konstitutiv ist aber erst die Aufnahme solcher Gebiete in die „Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“ durch die EU-Kommission nach Art. 4 Abs. 2 i.V. mit Anhang III, Phase 2 FFH-RL. Das Bundesverwaltungsgericht17 ging erstmals in seinen Entscheidungen zur A 20 aus dem Jahre 199818 von einem europarechtlichen Schutzregime für mögliche FFH-Gebiete aus. Es begründete dies allerdings nicht über das Institut der unmittelbaren Geltung von Richtlinien, sondern als eine Vorwirkung der FFH-RL. Im Urteil zur „A 44“19 umriss es die Grundsätze des vorläufigen Schutzregimes dann wie folgt: Drängt sich auf, dass ein naturschutzfachlich geeignetes Gebiet nach der Meldung von der Kommission in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen werden wird, richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL. Kann hingegen nicht sicher davon ausgegangen werden, dass das Gebiet in die Ge___________ 16

EuGH, Rs. C-371/98, NuR 2001, 206 („Severn Ästuar“). Siehe auch Rojahn, Verschlechterungsverbot und Verträglichkeitsprüfung in potentiellen FFH-Gebieten – Aktuelle Rechtsprechung des BVerwG, in: Spannowsky/ Hofmeister (Hrsg.): Der europäische Biotopschutz in der städtebaulichen Planung, Köln u.a. 2006, S. 121 ff. 18 Beschl. vom 21.1.1998, Az.: 4 VR 3/97 (4 A 9/97), NuR 1998, 261; Urt. vom 19.5.1998, Az.: 4 A 9/97, NuR 1998, 544, 549 f. 19 Urt. vom 17.5.2002, Az.: 4 A 28/01, NuR 2002, 739; Urt. vom 22.1.2004, Az.: 4 A 32/02, NuR 2004, 373. 17

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meinschaftsliste aufgenommen werden wird, so darf es nicht so nachhaltig beeinträchtigt werden, dass es für eine Meldung nicht mehr in Betracht kommt. Für die weitere Praxis sind zu den „potenziellen FFH-Gebieten“ insbesondere zwei Fragen bedeutsam: (1.) Wie sind von Deutschland an die EU-Kommission gemeldete Gebiete, die aber von dieser noch nicht als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gelistet wurden, in der Fachplanung zu behandeln?; und (2.) wie ist mit der Behauptung zu verfahren, ein Gebiet sei rechtsfehlerhaft nicht gemeldet worden oder hätte anders abgegrenzt werden müssen? a) Zum rechtlichen Status von deutschen Vorschlagsgebieten Das Verfahren der Meldung von Gebieten mit Vorkommen zu schützender Lebensraumtypen, Tier- und Pflanzenarten ist inzwischen abgeschlossen: Nachdem die EU-Kommission in ihren Entscheidungen aus 2003 und 2004 zunächst anfängliche Listen gemeinschaftlicher Bedeutung bekannt gegeben hatte, die noch unter dem Vorbehalt standen, dass für bestimmte Lebensraumtypen und Arten noch keine ausreichende Gebietsmeldung vorlag („initial list“)20, hat sie im Frühjahr 2007 Entwürfe weiterer Listen zur Vervollständigung der Gemeinschaftsliste vorgelegt. Allerdings ist zurzeit noch nicht sicher abzusehen, wann die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung endgültig im Amtsblatt der EU bekannt gegeben wird. Dem Vernehmen nach soll es in einigen Mitgliedstaaten in der atlantischen Region noch erhebliche Schwierigkeiten geben, sodass diese sich an der Erteilung des nach Art. 4 Abs. 2 Ua. 1 FFHRL erforderlichen Einvernehmens gehindert sehen. Daher bleibt die Frage einstweilen weiter relevant, welches Schutzregime auf Vorschlagsgebiete Anwendung findet21. Im Dragaggi-Urteil22 hat der EuGH im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des Art. 4 Abs. 5 FFH-RL und die der Kommission nach Art. 4 Abs. 2 Ua. 3 FFH-RL eröffnete Möglichkeit, ein Gebiet auch mit prioritären Vorkommen nicht in die Gemeinschaftsliste aufzunehmen, entschieden, dass die Schutzmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 – 4 FFH-RL „nur für die Gebiete getroffen werden müssen“, die bereits in die Gebietsliste aufgenommen wurden23. Daraus folge aber nicht, dass die Mitgliedstaaten die vorgeschlagenen Gebiete ___________ 20

Entscheidung der EU-Kommission vom 22.12.2003, Az.: K/2003/4957, ABL. der EU vom 21.1.2004, Nr. L 14/21 (alpine Region); Entscheidung der EU-Kommission vom 7.12.2004, Az.: K/2004/4031, ABL. der EU vom 28.12.2004, Nr. L 382/1 (kontinentale Region); Entscheidung der EU-Kommission vom 7.12.2004, Az.: K/2004/4032, ABL. der EU vom 29.12.2004, Nr. L 387/1 (atlantische Region). 21 Hierzu umfassend Kautz, NVwZ 2007, 666 m.w.N.; Hönig, NuR 2007, 249. 22 Rs. C-117/03, NuR 2005, 242. 23 Ebenda, Tz. 25.

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nicht vom Moment der Meldung an schützen müssten24. Erforderlich sei ein „angemessener Schutz dieser Gebiete“, d.h. es müssten „geeignete Schutzmaßnahmen zur Wahrung der (…) ökologischen Bedeutung“ der Gebiete ergriffen werden25. Auf Vorlage des Bayerischen VGH26 hatte der EuGH erneut über das vorläufige Schutzregime für Vorschlagsgebiete, wiederum mit Vorkommen eines prioritären Lebensraumtypen zu entscheiden. Für das Verständnis des EuGHUrteils ist insoweit jedoch bedeutsam, dass die Straßenbaubehörde keine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt hatte, weil das Gebiet überhaupt erst nach der Feststellung des Plans gemeldet worden war. Anders als in dem durch den Hessischen VGH zur A380-Werft zu entscheidenden Fall27, in dem die Planfeststellungsbehörde „um auf der sicheren Seite zu stehen“ eine Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL28 durchgeführt hatte, ging es also um die Frage, ob auch ein Weniger an Schutz europarechtlich zulässig ist29. Der EuGH entschied auf der Grundlage seines Dragaggi-Urteils: Die in Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL vorgesehenen Schutzmaßnahmen müssen nur für die Gebiete getroffen werden, die von der Kommission gelistet wurden30. Die weiteren Aussagen des Urteils dienen insoweit der Konkretisierung des gemeinschaftsrechtlichen Schutzregimes, wenn Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL nicht angewandt werden, bzw. – wie bei dem streitgegenständlichen Planfeststellungsbeschluss – nicht angewandt wurden: „Die Mitgliedstaaten dürfen … keine Eingriffe zulassen, die die ökologischen Merkmale eines nach den (in Anhang III Phase 1) genannten Kriterien bestimmten Gebietes ernsthaft beeinträchtigen könnten. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Eingriff die Fläche des Gebietes wesentlich verringern oder zum Verschwinden von in diesem Gebiet vorkommenden prioritären Arten führen oder aber die Zerstörung des Gebietes oder die Beseitigung seiner repräsentativen Merkmale zur Folge haben könnte.“31

___________ 24

Ebenda, Tz. 26. Ebenda, Tzn 27, 29. 26 Beschl. vom 19.4.2005, Az.: 8 A 02.40040, NuR 2005, 592. 27 Urt. vom 28.6.2005, Az.: 12 A 8/05, NuR 2005, 42, 45 f.; bestätigt durch das BVerwG, Beschl. vom 7.9.2005, Az.: 4 B 19/05, NuR 2006, 431. 28 Umgesetzt seinerzeit in § 20d des Hessischen Naturschutzgesetzes (HENatG), in der Fassung vom 16. April 1996 (GVBl, I S. 145); jetzt: § 34 des Hessischen Naturschutzgesetzes vom 6. Dezember 2006 (GVBl. I S. 619). 29 So ausdrücklich: BVerwG, Beschl. vom 7.9.2005, Az.: 4 B 19/05, NuR 2006, 431, 433. 30 EuGH, Rs. C-244/05, NuR 2006, 763 Tz. 36. 31 Ebenda, Tz. 46. 25

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Der EuGH argumentierte, dass die im „Severn Ästuar-Urteil“32 festgestellte Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Gebiete nach rein naturschutzfachlichen Kriterien an die EU-Kommission zu melden bezwecke, dieser eine umfassende Entscheidungsgrundlage bei der Erstellung der Liste zu geben. Diese Entscheidungsgrundlage dürfe in Folge der Beeinträchtigung dieser Gebiete nicht in Frage gestellt werden und so die Ziele des Art. 3 FFH-RL nicht gefährden33. Diese Begründung trägt zweifelsfrei in einem Fall wie dem der A 94, denn wenn keine Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL durchgeführt wird, besteht unzweifelhaft die Gefahr, dass – wie nachträglich vom Freistaat Bayern erkannt – nach europäischem Recht zu schützende Lebensräume und Arten zerstört werden. Wenn aber, wie im hessischen Fall der A380-Werft, eine solche Prüfung durchgeführt wird, besteht diese Gefahr nicht. Werden im Fall einer zulässigen erheblichen Beeinträchtigung Kohärenzsicherungsmaßnahmen geplant und entsprechend Art. 6 Abs. 4 FFH-RL an die Kommission gemeldet, besteht auch nicht die Gefahr einer verfälschten Entscheidungsgrundlage. Regelmäßig wird es im Hinblick auf die weit detailliertere Untersuchung im Rahmen der Umweltverträglichkeitsstudie so sein, dass der Kenntnisstand über das Gebiet sogar besser ist. Die Rechtsprechung des EuGH steht folglich Vorschriften in den Landesnaturschutzgesetzen nicht entgegen, in denen die Vorschlagsgebiete den gelisteten Gebieten gleichgestellt werden34. Im Hinblick die in der Literatur vertretende Gegenauffassung, die Vorschlagsgebiete ähnlich den faktischen Vogelschutzgebieten behandeln will35, ist darauf hinzuweisen, dass deren Schutz rechtsdogmatisch unmittelbar in dem, vom europäischen Naturschutzgesetzgeber inzwischen selbst als zu weitgehend erkannten Art. 4 Abs. 4 Satz 1 V-RL fußt; der Schutz der Vorschlagsgebiete ist demgegenüber in der Loyalitätspflicht des Art. 10 EG begründet. Jedenfalls spätestens nachdem inzwischen der Entwurf der Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung vorliegt und die Kommission insoweit ihre fachliche Entscheidung über die in die Liste aufzunehmenden Gebiete gefällt hat, besteht nach der Ratio des A 94-Urteils des EuGH überhaupt kein sachlicher Grund mehr, die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL auf (nunmehr auf der Entwurfsliste geführte) Vorschlagsgebiete zu verneinen. ___________ 32

Rs. C-371/98, NuR 2001, 206. EuGH, Rs. C-244/05, NuR 2006, 763 Tzn. 39 – 42. 34 Im Landesgesetz zur nachhaltigen Entwicklung von Natur und Landschaft von Rheinland-Pfalz (LNatSchG RP) vom 28. September 2005 (GVBl. S. 387) wird in den §§ 25 ff. nicht zwischen den bereits gelisteten und den bis dahin nur vorgeschlagenen FFH-Gebieten unterschieden; dazu: OVG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 4.7.2006, Az.: 8 C 11709/05 OVG, NuR 2007, 31, 33 f.; siehe auch: § 3 Satz 2 Nr. 5 HENatG; § 40 Satz. 1 des Baden-Württembergischen Naturschutzgesetzes vom 13. Dezember 2005, (GBl. 2005, S. 745, ber. GBl. 2006, S. 319). 35 Gellermann, NuR 2005, 433, 436; Louis/J. Schumacher, NuR 2005, 770. 33

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Auch besteht kein Zweifel, dass der vorliegende Entwurf der Kommission in Bezug auf Deutschland letztendlich als Entscheidung in Kraft treten wird: Die Bundesländer haben im Verfahren nach § 5 Abs. 2 EUZBLG über den Bundesrat die Zustimmung zur Erteilung des Einvernehmens nach Art. 4 Abs. 2 FFHRL beschlossen35a; die Bundesrepublik hat im Juni und Juli 2007 inzwischen das Einvernehmen erklärt35b. Ein Veränderungsverbot anzunehmen, bis die Entscheidung der Kommission im Amtsblatt bekannt gegeben sein wird, wäre daher ein reiner Formalismus, der angesichts der Tatsache, dass die europarechtlichen Verpflichtungen inzwischen erfüllt sind, auch vom Gedanken der Sanktionsrechtsprechung her nicht zu rechtfertigen ist36. b) Potenzielle FFH-Gebiete in Gestalt von fehlerhaft nicht gemeldeten oder falsch abgegrenzten Gebieten? Fraglich ist außerdem, wie künftig mit dem Argument umzugehen ist, ein Gebiet sei entgegen der Verpflichtung zur rein naturschutzfachlichen Gebietsauswahl nicht gemeldet oder abgegrenzt worden. Es ist nicht zu verkennen, dass gerade bei UVP-pflichtigen Genehmigungsverfahren die Gefahr besteht, dass in Folge der detaillierteren Kartierungen Datenlagen bekannt werden, die die Gebietsauswahl oder den jeweiligen Gebietszuschnitt in Frage zu stellen geeignet sind. Sowohl die unverhoffte Konfrontation mit dem Gebietsschutz, d.h. dem Erfordernis der Verträglichkeitsprüfung, als auch die „bloße“ Erweiterung des Untersuchungsrahmens in Folge einer Verschiebung der Gebietskulisse bergen jedoch für Planungsverfahren kaum vorherzusehende Risiken. Vor diesem Hintergrund gebietet es auch die Rechtssicherheit, dem Faktum des Abschlusses des Meldeverfahrens seine angemessene Bedeutung zuzuerkennen: Das Verfahren zur Erarbeitung der Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung steht nunmehr unmittelbar vor seinem Abschluss. Die nunmehr bekannt zu gebende Liste beruht auf den Ergebnissen des „Kontinentalen Seminars“ von Potsdam vom November 2002, der bilateralen Abstimmung von Bonn im Januar 2004 und der fachlichen Einschätzung, dass die nunmehr bekannte Natura 2000-Kulisse genügt, um das mit dem europäischen Biotopverbund verfolgte Ziel, günstige Erhaltungszustände der natürlichen Lebensräume und Arten von gemeinschaftlichem Interesse wiederherzustellen oder zu wahren, zu erreichen. Daher hat die EU-Kommission auch das ___________ 35a

BR-Drs. 232/07 für die kontinentale Region; BR-Drs. 288/07 für die atlantische Region; BR-Drcks. 367/07 für die alpine Region. 35b Schreiben des BMU vom 12.6.2007 für die kontinentale Region, vom 26.6.2007 für die atlantische Region und vom 31.7.2007 für die alpine Region. Im Hinblick auf eine beim VG Oldenburg anhängige Klage für das Einvernehmen für das Vorschlagsgebiet „Unterems und Außenems“ in der atlantischen Region noch nicht erteilt. 36 So bereits BVerwG, Beschl. vom 7.9.2005, Az.: 4 B 49/05, NuR 2006, 38, 40.

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Zwangsgeldverfahren37 wegen unzureichender Meldung von FFH-Gebieten eingestellt, weil die deutschen Meldungen nunmehr insgesamt „eine ausreichende Zahl von Gebieten“38 vorsehen. Hierzu ist zu erinnern, dass Art. 4 Abs. 1 Ua. 1 FFH-RL nicht verpflichtet, alle in Betracht kommenden Gebiete zu melden, sondern in Bezug auf die geeigneten Gebiete ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten besteht39. In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, dass das BVerwG bereits in seinem Urteil zur A 3840 noch während des Meldeverfahrens entschieden hat, ein potenzielles FFH-Gebiet sei nicht anzunehmen, wenn Äußerungen der Kommission keine Anhaltspunkte dafür bieten, dass das vermeintlich zu meldende Gebiet als FFH-Gebiet geeignet ist. „Potenzielle FFH-Gebiete“ in der Gestalt von fehlerhaft nicht gemeldeten Gebieten kann es danach nicht mehr geben. Aus den gleichen Gründen sollte auch der Zuschnitt der einzelnen Gebiete nicht in Frage gestellt werden, für den der Abschluss des Meldeverfahrens in gleicher Weise bedeutsam ist. Die Gebietsmeldung erfolgte auf Grundlage der Standarddatenbögen. Nach der Entscheidung der Kommission vom 18. Dezember 1996 über das Formular für die Übermittlung von Informationen zu den im Rahmen von Natura 2000 vorgeschlagenen Gebieten41 hatten die Standarddatenbögen neben Angaben über die im Gebiet vorhandenen zu schützenden Lebensräume, Tier- und Pflanzenarten u.a. auch Angaben über die Größe des Gebietes zu enthalten, ferner war eine Karte des Gebietes, wenn möglich in digitalisierter Form beizufügen. Insgesamt erhielt die Kommission so überaus detaillierte Angaben über jedes einzelne Gebiet, einschließlich der Grenzen. Daher darf davon ausgegangen werden, dass die rechtliche und fachliche Einschätzung der Kommission, dass die deutsche Gebietsmeldung den Anforderungen der FFH-RL genügt, sich auch auf die Grenzen der einzelnen Gebiete erstreckt. Es liegt in der Natur der Sache, dass insbesondere die fachliche Beurteilung des Zuschnitts eines Gebietes im Hinblick auf die Dynamik der Natur und angesichts von Kartierungen, die im Rahmen von Planungsverfahren in aller Regel weitaus detaillierter sind als für rein naturschutzfachliche Zwecke, fachlich angreifbar ist. Jenseits rechtsdogmatischer Fragen zum Vertrauensschutz handelt es dabei auch um ein Gebot der Rechtssicherheit, die als allgemeiner ___________ 37 Az.: 1995/2225; dem war die Verurteilung der Bundesrepublik in Rs. C-71/99, NuR 2002, 151 vorausgegangen. 38 Pressemeldung der EU-Kommission, IP/06/1396. 39 BVerwG, Beschl. vom 24.8.2000, Az.: 6 B 23/00, NVwZ 2001, 92. 40 Urt. vom 22.1.2004, Az.: 4 A 32/02, NVwZ 2004, 722, 727; in diesem Sinne bereits: Urt. vom 31.1.2002, Az.: 4 A 15/01, NVwZ 2002, 1103, 1107 („A 20/Wakenitz Niederung“). 41 Az.: 97/266/EG, EG-ABl. Nr. L 107, S. 1 ff.

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Rechtsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht anerkannt ist42. Daher darf das Urteil des VG Koblenz vom 17.4.200743 nicht unbesehen verallgemeinert werden. In diesem Fall hatte das rheinland-pfälzische Landesamt für Umwelt und Geologie seinen fachlichen Beurteilungsspielraum nachweislich nicht ausgeübt, weil es fälschlich davon ausgegangen war, im Bereich der nicht in das streitgegenständliche FFH-Gebiet einbezogenen Flächen sei bereits ein Tagebau genehmigt. Im Sinne der oben skizzierten Grundsätze der Rechtsprechung des BVerwG ist fragwürdig, ob die Verwaltungsgerichte nach Abschluss des Meldeverfahrens wirklich noch eine Kompetenz zur fachlichen Überprüfung der Gebietsgrenzen beanspruchen können. Jedenfalls wird man eine gerichtliche Kompetenz, die Grenzen eines Gebietes zu verwerfen, nur annehmen dürfen, wenn die Fachverwaltung auf falscher Tatsachengrundlage ihren fachlichen Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung zur Meldung eines Gebietes erkennbar nicht ausgeübt hat. In einem solchen Fall kann die Verpflichtung zur Korrektur eines Gebietes Beachtung der Grundsätze des EuGH-Urteils in Rs. C-191/0544 nur soweit gehen, dass in das Gebiet die Flächen einzubeziehen sind, die nach den bei der Gebietsauswahl gewählten Kriterien richtigerweise hätten einbezogen werden müssen. Anders als die V-RL sieht die FFH-RL in Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 ein gestuftes und terminiertes Verfahren zur Erarbeitung der Natura 2000-Kulisse vor. Einem solchen Verfahren liegt notwendigerweise das Verständnis zu Grunde, dass der im Entscheidungszeitpunkt erlangte Kenntnisstand maßgeblich ist. Demzufolge besteht im System der FFHRL keine Verpflichtung, Gebietsgrenzen neueren Erkenntnissen laufend anpassen – die Mitgliedstaaten sind allerdings rechtlich nicht gehindert, solche Änderungen freiwillig in Abstimmung mit der EU-Kommission vorzunehmen. Dem VG Koblenz ist freilich zuzustimmen, soweit es auch in Bezug auf die fälschlich ausgegrenzten Bereiche das Ausnahmeregime nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL für anwendbar hielt45.

II. Natura 2000-Gebiete Nach Art. 3 Abs. 1 der FFH-RL besteht das kohärente europäische ökologische Netz „Natura 2000“ aus den FFH-Gebieten und den Europäischen Vogelschutzgebieten. Seit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des BNatSchG vom ___________ 42 43 44 45

Craig/De Búrca, EU Law, 3. Auflage, Oxford 2003, S. 380 ff. Az. 1 K 2401/05 KO, NuR 2007, 367, 368. Siehe unten, Abschnitt II.4. Ebenda, S. 368 f.

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30. April 199846 werden beide Typen besonderer Schutzgebiete des europäischen Naturschutzrechts rahmenrechtlich einem einheitlichen Rechtsregime unterworfen47. Seitdem sieht das BNatSchG vor, Natura 2000-Gebiete entweder als Schutzgebiete nach dem 4. Abschnitt des Gesetzes auszuweisen oder in Übereinstimmung mit Art. 1 Buchst. l) FFH-RL auf die Schutzausweisung zu verzichten48. Diese Umsetzungsstrategie mag daher rühren, dass im Jahre 1998 fachlich überwiegend die Auffassung herrschte, die europäische Schutzgebietskulisse in Deutschland werde nur unwesentlich über die unter Naturschutz stehenden Gebiete hinausgehen. Hätte sie sich bestätigt und sich die Kulisse des Natura 2000-Netzwerks nicht so vergrößert wie es seit 2002 eingetreten ist, hätte dies in der Praxis im Wesentlichen eine – gleichwohl mühevolle – Änderung bzw. Anpassung der bestehenden Schutzverordnungen erfordert. Aktuell sind in Deutschland laut Natura 2000-Barometer der Kommission 9,9 v.H. der Landesfläche als FFH-Gebiete und 8,9 v.H. der Fläche als Europäische Vogelschutzgebiete gemeldet49; abzüglich der Überschneidungsflächen dürfte das Natura 2000-Netz damit zwischen 13 und 15 v.H. der Fläche einnehmen. In den Ländern ist die Meldesituation sehr unterschiedlich. So sind laut der Website des Bundesamts für Naturschutz – mit wohl nicht ganz aktuellem Stand – in Nordrhein-Westfalen nur 5,4 v.H. der Landesfläche als FFHGebiete gemeldet, in Rheinland-Pfalz als Spitzenreiter 12,6 v.H. der Landesfläche. Bei den Vogelschutzgebieten schwankt der Flächenanteil zwischen 2,8 v.H. im Freistaat Thüringen und 22 v.H. in Brandenburg. Anders als bei den FFH-Gebieten ist hier allerdings noch ein Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichender Ausweisung von Vogelschutzgebieten anhängig und haben die betroffenen Bundesländer noch weitere Ausweisungen angekündigt. Im Hinblick auf diese Unterscheide und die teilweise sehr beträchtlichen Flächenanteile des Natura 2000-Netzwerks haben nach 2002 in den meisten Ländern Überlegungen eingesetzt, wie der Gebietsschutz der beiden Naturschutzrichtlinien an diese Bedingungen angepasst umgesetzt werden kann. Hierzu sollen im Folgenden zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen der Gebietsausweisung dargestellt (1.), sodann auf die unterschiedlichen Vorstellungen in den Ländern eingegangen (2.) und dann die Errichtung des Natura 2000-Netzwerks in Hessen vorgestellt werden (3.). ___________ 46 Zweites Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 30. April 1998 (BGBl. I S. 823). 47 Siehe §§ 19a – 19f BNatSchG 1998/§§ 32 – 38 BNatSchG. 48 § 19b Abs. 3 bis 4 BNatSchG 1998 /§ 33 Abs. 2 bis 4 BNatSchG. 49 FFH-Gebiete: http://ec.europa.eu/environment/nature/nature_conservation/useful _info/barometer/pdf/sci.pdf; Vogelschutz: http://ec.europa.eu/environment/nature/na ture_conservation/useful_info/barometer/pdf/spa.pdf.

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1. Rechtliche Anforderungen an die Ausweisung von Natura 2000-Gebieten Die Erfordernisse an die Ausweisung von Natura 2000-Gebieten sind in erster Linie Urteilen zu Europäischen Vogelschutzgebieten zu entnehmen. Nach der Rechtsprechung von EuGH und BVerwG50 erfordert deren Ausweisung nach Art. 4 Abs. 1 und 2 V-RL eine Gebietserklärung und eine Schutz- und Erhaltungsregelung. Zu unterscheiden sind insoweit formelle und materielle Merkmale der Schutzregelung. a) Formelles Schutzregime Es muss einen hoheitlichen Erklärungsakt geben, durch den das Gebiet generiert wird, im Hochmoselübergang-Urteil hat das BVerwG insoweit eine „endgültige rechtsverbindliche Entscheidung mit Außenwirkung“ gefordert51. Der Rechtsprechung des EuGH sind im Einzelnen folgende Anforderungen an den Erklärungsakt zu entnehmen: Das jeweilige Schutzgebiet muss förmlich ausgewiesen werden52. Die Ausweisung muss „unbestreitbar verbindlich“, d.h. sie muss so ausgestaltet sein, dass niemand Zweifel an den Grenzen des jeweiligen Gebietes hegen kann53. Die Veröffentlichung muss die unwiderlegliche Vermutung begründen, dass die Normadressaten die Gebietsgrenzen kennen54. Ferner muss die EU-Kommission durch die Ausweisung in die Lage versetzt werden zu überprüfen, ob Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL eingehalten werden55. Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt ein Gebiet erst dann als ausgewiesen, wenn sein Status nicht mehr von äußeren (künftigen) Bedingungen (bspw. einem Gerichtsurteil in diesem Sinne) abhängig ist, d.h. die Ausweisung muss endgültig sein56. Dies kann als das formelle Schutzregime bezeichnet werden. Hierzu wird man außerdem noch die Festsetzung von Erhaltungszielen zählen müssen, denn nur so wird das Schutzregime des Art. 6 FFH-RL operabel und in Bezug auf Europäische Vogelschutzgebiete der Regimewechsel nach Art. 7 ___________ 50

Urt. vom 1.4.2004, Az. 4 C 2/03, NuR 2004, 524, 526. Ebenda. 52 In Rs. C-3/96, NuR 1998, 538 sah der EuGH das Erfordernis der „Ausweisungsverpflichtung“ als Folge der speziell ausgerichteten und verstärkten Schutzregelung des Art. 4 VS-RL (Tz. 57); nur durch Ausweisung von SPA könne das „Ziel der Bildung eines zusammenhängenden Netzes von besonderen Schutzgebieten gemäß Art. 4 Abs. 3 VS-RL“ erreicht werden (Tz. 58). 53 Rs. C-415/01, NuR 2004, 516 Tz. 24. 54 Ebenda, Tz. 22. 55 Rs. C-374/98, NuR 2001, 210 Tz. 53. 56 EuGH, Rs. C-240/00, Slg. 2003, I-2187 Rdnr. 19. 51

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FFH-RL ermöglicht57. Erhaltungsziele sind nicht für alle in dem jeweiligen Gebiet vorkommenden Lebensräume nach Anhang I sowie Tier- und Pflanzenarten nach Anhang II der FFH-RL festzusetzen, sondern nur für diejenigen, die in dem jeweiligen Gebiet geschützt werden sollen. Dies folgt bereits aus Art. 1 Buchst. l) FFH-RL, in dem „Besonderes Schutzgebiet“ definiert wird als ein Gebiet, in dem Maßnahmen zur Bewahrung oder Wiederherstellung günstiger Erhaltungszustände von Lebensraumtypen und Arten durchgeführt werden, „für die das Gebiet bestimmt ist.“ Im gleichen Sinne heißt es in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, zu vermeiden seien, erhebliche Verschlechterungen und Störungen von natürlichen Lebensräumen, Arten und deren Habitaten, „für die die Gebiete ausgewiesen worden sind.“ Mag auch die Entscheidung der EU-Kommission zum Inhalt der Standard-Datenbögen58 vorgesehen haben, dass sämtliche Vorkommen in diese einzutragen waren und hat der Bundesgesetzgeber „Erhaltungsziele“ in diesem Sinne in § 10 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG dementsprechend weit definiert, so geht dies doch über die klaren Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL und des Art. 1 Buchst. l) FFH-RL hinaus. Im Hinblick auf den erheblichen naturschutzfachlichen Einschätzungsbedarf59 und die durchaus auch unter Biologen, Geografen und Landschaftsplanern anzutreffende Meinungsvielfalt60 einerseits sowie die dynamischen Entwicklungsprozesse in der Natur andererseits wird man in diesem Zusammenhang allerdings nicht verlangen können, dass die Erhaltungsziele zu jedem Zeitpunkt den ökologischen Zustand der Gebiete widerspiegeln und den wissenschaftlichen Anforderungen genügen müssen, wie sie im Rahmen von Verträglichkeitsprüfungen verlangt werden61. Dies hätte schlicht zur Konsequenz, dass eine Vielzahl von Gebieten kaum wirksam ausgewiesen werden könnte. Die große Herausforderung bei der Erklärung der Schutzgebiete besteht in der kartografischen Darstellung der durchaus imposanten Schutzgebietskulisse62. Im Hinblick auf den insbesondere von Seiten der Fachplanung dringend erhofften Regimewechsel für „faktische Vogelschutzgebiete“ ist es beruhigend, dass formale Ausweisungsmängel, beispielsweise bei der Kartendarstellung, nach Auffassung der Generalanwältin Kokott diesen nicht vereiteln63. Auch wenn nach deutschem Recht eine Unschärfe bei der Grenzziehung zur Konsequenz hat, dass die Schutzgebietsverordnung in dem fraglichen Bereich un___________ 57

Vgl. BVerwG, Urt. vom 1.4.2004, Az. 4 C 2/03, NuR 2004, 524, 528. (Fn. 41). 59 Siehe hierzu beispielhaft: BVerwG, Urt. vom 17.1.2007, Az.: 9 A 20.05, NuR 2007, 336 Tz. 77. 60 Pointiert Stüer, DVBl. 2007, 416, 422. 61 Dazu unten; Abschnitt III.2. 62 Siehe dazu unten, Abschnitt II.3. 63 So die GA Kokott, Schlussantrag in Rs. C-209/04, Tz. 52. 58

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wirksam bzw. teilnichtig ist64 – mithin aus formalen Gründen eine rechtswirksame Ausweisung nicht bewirkt werden konnte –, ist diese Sichtweise für die Fachplanung angemessen, denn ein solcher Mangel bedeutet kein Hindernis für Verträglichkeitsprüfungen und kann relativ schnell geheilt werden. Es ist absehbar, dass diese Frage in der Praxis auch bedeutsam werden wird, denn in vielen Bundesländern wurden die Gebiete rein naturschutzfachlich abgegrenzt. Demgegenüber war und ist es bei der Ausweisung von Schutzgebieten nach dem BNatSchG üblich und von den Gerichten auch akzeptiert, nicht schutzwürdige Flächen im Interesse der Normklarheit in die Schutzgebiete einzubeziehen, um den Grenzverlauf beispielsweise an Straßen zu orientieren65. Ein solches Vorgehen hätte jedoch die Natura 2000-Kulisse nochmals erheblich vergrößert – in Hessen beispielsweise wäre der Flächenanteil auf ca. 25 v.H. der Landesfläche angewachsen. Auch aus der Perspektive des europäischen Naturschutzrechts und seiner Zielsetzungen ist an dieser Stelle eine gewisse Großzügigkeit durchaus gerechtfertigt, denn die formale Gebietsgrenze hat im Hinblick auf den Außenschutz der Gebiete und die Beschränkung des Schutzes auf die wertgebende Vorkommen eine weniger einschneidende Bedeutung als beispielsweise bei Naturschutzgebieten nach § 23 BNatSchG. b) Materielles Schutzregime Nach der Rechtsprechung des EuGH zu den Vogelschutzgebieten ist zunächst erforderlich, dass die Gebiete einen „Schutzstatus“ erhalten, der mit der Ausweisung des jeweiligen Gebietes wirksam wird66. Das ist die „Schutz- und Erhaltungsregelung“ im Sinne der Rechtsprechung des BVerwG bzw. das „materielle Schutzregime“. Der Schutzstatus muss geeignet sein, die Erreichung der Ziele der V-RL zu gewährleisten67, d.h. u.a. das Überleben und die Vermehrung der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Vogelarten sowie die Vermehrung, die Mauser und die Überwinterung der nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten sicherzustellen68. Ferner muss gewährleistet werden, dass die Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erfüllt werden können69. Auch wenn der Wortlaut dieser Vorschrift eine andere Deutung zulassen mag, ist der EuGH im Wattenmeer-Urteil zutreffend von ei___________ 64

OVG NRW, Urt. vom 2.10.1997, NuR 1998, 329, 331; BVerwG, Urt. vom 14.4. 1997, NuR 1997, 550. 65 Bayerischer VGH, Urt. vom 29.7.1992, NuR 1993, 328, 329; OVG RheinlandPfalz, Urt. vom 28.2.1996, NuR 1996, 629, 630. 66 Rs. C-415/01, NuR 2004, 516, Tz. 17. 67 Rs. C-96/98, NuR 2000, 206 Rdnr. 22. 68 Rs. C-415/01, NuR 2004, 516, Tz. 15. 69 Ebenda, Tz. 16.

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ner einheitlichen Erheblichkeitsschwelle im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL ausgegangen und hat das Verbot der Verschlechterung von natürlichen Lebensräumen und Habitaten der zu schützenden Arten ebenfalls auf nur erhebliche Verschlechterungen bezogen70. Dabei handelt es sich auch um ein Gebot der praktischen Vernunft, denn eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, gegen jedwede, auch unerhebliche Beeinträchtigungen vorzugehen, wäre unverhältnismäßig71, kaum vermittelbar und könnte in der Praxis schlicht nicht umgesetzt werden. Der Schutzstatus verlangt noch keine drittverbindliche Regelung. Daher war es im Fall „Lauteracher Ried“ für den Regimewechsel nach Art. 7 FFH-RL unschädlich, dass das innerstaatliche Recht Vorarlbergs bis 2003 mangels Umsetzung der V-RL kein gegen Private durchsetzbares Schutzregime enthielt72. Ebenso kam in dem Fall „Owenduff-Nephin Beg Complex“73 Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bereits zur Anwendung, obwohl Irland nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hatte, um eine ausreichende Vielfalt und Flächengröße der Lebensräume für das Schottische Moorschneehuhn zu bewahren bzw. das fragliche Gebiet vor Überbeweidung zu bewahren. Allerdings bleiben die Anforderungen des Gemeinschaftsrechts nicht auf die Ausweisung der Gebiete und die Einräumung eines Schutzstatus beschränkt, vielmehr sind die Mitgliedstaaten weiter verpflichtet, „konkrete“, d.h. auf das Gebiet bezogene Maßnahmen zu ergreifen74. Diese müssen auch rechtlich zwingenden Charakter haben – die Beschränkung auf Verträge, die wie Agrarumweltmaßnahmen nur einen Anreiz für naturschutzgerechte Bewirtschaftung schaffen sollen, deren Einhaltung aber letztlich – weil sanktionslos75 – in das Belieben der Vertragspartner gestellt ist, ___________ 70

Rs. C-127/02, NuR 2004, 788 Tz. 36. Louis, Bundesnaturschutzgesetz, Kommentar der §§ 1 bis 19f, 2. Auflage, Braunschweig 2000, § 19b Rdnr. 35; J. Schumacher/A. Schumacher, Bundesnaturschutzgesetz, Stuttgart 2003, § 33 Rdnr. 41 mit Fn. 32. 72 GA Kokott, Schlussantrag in Rs. C-209/04, Tz. 52. 73 EuGH, Rs. C-117/00, NuR 2002, 672 Tzn. 22 ff.; hierzu Füßer, NVwZ 2005, 144, 145 f. 74 Rs. C-166/97, NuR 1999, 501 Tzn. 25. So genügt ein allgemeines Verbot der Jagdausübung nicht, wenn das Europäische Vogelschutzgebiet so nur reflexartig geschützt wird; ebenso Regelungen im Wassergesetz, selbst wenn sie die erforderliche Erhaltung der Wasserressourcen sicherstellen können, weil sie auf die Wasserwirtschaft bezogen sind und insoweit nicht den umfassenderen naturschutzfachlichen Belangen der V-RL Rechnung tragen (Rs. C-96/98, NuR 2000, 206 Tz. 25). Umgekehrt ist es aber ausreichend, wenn Maßnahmen (Verbot des Bergsteigens), die auf eine geschützte Art/einen geschützten Lebensraumtyp zugeschnitten sind, auch sämtliche anderen in dem jeweiligen Gebiet zu schützenden Arten adäquat schützen (Rs. C-374/98, NuR 2001, 201 Tz. 19/20). 75 Im Sinne dieses Urteils stellt es keine Sanktion dar, wenn der einzige Anreiz zu vertragsgerechtem Verhalten – wie bei Agrarumweltmaßnahmen – darin besteht, andernfalls die eingenommenen Gelder zurückzahlen zu müssen. 71

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genügen nicht76. Das nationale Recht muss gewährleisten, dass die erforderlichen Maßnahmen ggf. auch zwangsweise gegen den Willen des Berechtigten durchgesetzt werden können, wie dem im Vertragsverletzungsverfahren gegen das Vereinigte Königreich wegen unzureichender Umsetzung der FFH-RL ergangenen Urteil zu entnehmen ist 77. Im Ergebnis bedeutet dies, dass bei Zulassungsentscheidungen im Rahmen des europarechtlich erforderlichen materiellen Schutzregimes zwischen dem ggf. im Hinblick auf Art. 7 FFH-RL abwägungsrelevanten Schutzstatus und nicht abwägungsrelevanten Maßnahmen zur Bewahrung oder Wiederherstellung günstiger Erhaltungszustände zu unterscheiden ist. Letztere sind dem Bereich der Verwaltung der Natura 2000-Gebiete zuzuordnen. Diese Sichtweise findet ihre Entsprechung in der FFH-RL, in der ebenfalls zwischen der Ausweisung der besonderen Schutzgebiete (Art. 4 Abs. 4 FFH-RL) und der Administrierung der Gebiete, bei der die „nötigen Erhaltungsmaßnahmen“ festzulegen sind (Art. 6 Abs. 1 FFH-RL), unterschieden wird. 2. Ausweisungsstrategien in den Ländern Nach dem „Hochmoselübergang-Urteil“78 des BVerwG wird die Erforderlichkeit, Europäische Vogelschutzgebiete förmlich auszuweisen, von niemandem mehr ernstlich bestritten. In einigen Ländern wird dieses Erfordernis im Hinblick auf Art. 1 Buchst. l) FFH-RL in Bezug auf FFH-Gebiete nicht gesehen, während andere von jeweils gleichen Voraussetzungen ausgehen. Anders als noch im Jahre 1998 wird die Unterschutzstellung durch Ausweisung von Schutzgebieten nach dem vierten Abschnitt des BNatSchG, insbesondere also von Naturschutz- oder Landschaftsschutzgebieten, inzwischen überwiegend nicht mehr für erforderlich gehalten79. Dieses Umdenken hat folgende Gründe: Das Natura 2000-Rechtsregime beansprucht, anders als Schutzgebiete nach dem vierten Abschnitt des BNat___________ 76

Rs. C-96/98, NuR 2000, 206 Tz. 26. Rs. C-6/04, NuR 2006, 494 Tz. 36; so auch Rehbinder, Rechtsfragen zu den Veränderungen in der deutschen Agrarumweltförderung durch Umsetzung der Direktzahlungs- und ELER-VO, in: Institut für Ländliche Strukturforschung (ifls), Gemeinsame Agrarpolitik (GAP): Cross Compliance und Weiterentwicklung von Agrarumweltmaßnahmen, F+E Vorhaben des Bundesamtes für Naturschutz – FKZ 805 88 001, S. 57 (noch unveröffentlicht), S. 57. 78 BVerwG, Urt. vom 1.4.2004, Az. 4 C 2/03, NuR 2004, 524. 79 Freilich präferieren die Naturschutzverbände weiterhin die Ausweisung von Schutzgebieten nach dem 4. Abschnitt des BNatSchG: Siehe das von NABU und BUND in Auftrag gegebene Rechtsgutachten, im Internet verfügbar unter: http://www.nabu.de/ imperia/md/content/nabude/europa/6.pdfgl. 77

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SchG80, keine abschließende Nutzungsregelung bei der Ausweisung, sondern überantwortet sie nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL dem Gebietsmanagement, sich im Einzelfall aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ergebenden Handlungsverpflichtungen der mitgliedstaatlichen Verwaltung und der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL81. Nach deutschem Naturschutzrecht wären demgegenüber aus den Erhaltungszielen konkrete Schutzzwecke und daraus abzuleitende Gebote und Verbote festzusetzen82. Soweit Natura 2000-Gebiete bereits bestehende Naturschutz- oder Landschaftsschutzgebiete einschließen, wäre praktisch immer eine Neuabgrenzung der Schutzgebiete erforderlich, die Schutzzwecke und die Gebote und Verbote der bestehenden Verordnungen müssten angepasst oder ergänzt werden. Dieses Vorgehen wäre angesichts der Tatsache, dass die Gebiete nach rein naturschutzfachlichen Kriterien auszuwählen waren83 und den Betroffenen bisher vor deutschen Gerichten keine Rechtsmittel gegen die Auswahl und Meldung der Gebiete zur Verfügung standen84, voraussichtlich sehr konfliktträchtig gewesen und hätte in erheblichem Umfang Ressourcen der Naturschutzverwaltung – aber auch der Verwaltungsgerichte – gebunden. In Hessen wurde beispielsweise davon ausgegangen, dass die Ausweisung der Gebiete in herkömmlichen naturschutzrechtlichen Verordnungsverfahren voraussichtlich sieben bis zehn Jahre gedauert hätte. Problematisch wäre dieses Vorgehen auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Erhaltung oder Verbesserung vieler zu schützender Lebensräume nicht selten die Fortführung leider nicht immer auskömmlicher Bewirtschaftungsweisen erfordert, also letztlich gefördert werden muss, will das Land nicht selbst bewirtschaften. Da die Kofinanzierung von Fördermaßnahmen durch die EU zum Ausgleich von Einkommensverlusten in Umsetzung der FFH- und V-RL im Rahmen des Art. 38 ELER-VO85 beschränkt ist und im Rahmen von Art. 39 ___________ 80

Siehe § 22 Abs. 2 BNatSchG. Dies veranschaulicht folgendes Beispiel: Die Realisierung einer Bauleitplanung im Landschaftsschutzgebiet verlangt in aller Regel die Aufhebung des Landschaftsschutzes und damit zumindest eine Teillöschung der Verordnung (also entweder Landschaftsschutz oder Realisierung des Vorhabens). Derselbe Bauleitplan wäre aber bei Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL im Natura 2000Gebiet zulässig, das seine Klassifizierung als solches nicht verlöre. 82 § 33 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG. 83 (Fn. 16). 84 Vgl. BVerwG, Beschl. vom 7.4.2006, Az.: 4 B 58/05, NuR 2006, 572; VG Frankfurt am Main, Beschl. vom 2.3.2001, Az.: 3 G 501/01 (1), NuR 2001, 414. Die Verwaltungsgerichte hatten die Auswahl und Meldung übereinstimmend als verwaltungsinterne Vorbereitungshandlungen ohne Außenwirkung qualifiziert, die nicht mittels der verwaltungsprozessualen Rechtsbehelfe angefochten werden konnten. 85 Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates vom 20. September 2005 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), ABl. der EU vom 21.10.2005, Nr. L 277/1. 81

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Abs. 3 ELER-VO i.V. mit Art. 4 Anhang III DirektzahlungsverpflichtungsVO86 eine – voll kofinanzierte – Förderung nur möglich ist, wenn die Leistungen der Landwirte „über die einschlägigen obligatorischen Grundanforderungen hinausgehen“, können sich Verbote oder Gebote in Verordnungen als kontraproduktiv erweisen87. Die Natura 2000-Gebiete sollen daher stattdessen vereinfacht, unter Beschränkung auf die europarechtlichen Erfordernisse ausgewiesen werden. Die vereinfachte Ausweisung ist Teil eines „Instrumentenmixes“. Sie unterscheidet sich von der herkömmlichen Schutzgebietsausweisung nach § 22 BNatSchG insoweit, als bei jener das formelle und das materielle Schutzregime in einem Rechtsakt, in der Regel einer Verordnung, geschaffen werden, bei dieser das Schutzregime aber auf verschiedene Rechtsakte verteilt wird: Das formelle Schutzregime, d.h. die Erklärung der Schutzgebiete, wird durch einen Hoheitsakt begründet. Die materiellen Schutzvorschriften sind in den Naturschutzgesetzen, anderen Rechtsvorschriften und auch abzuschließenden Verträgen enthalten. Der Vollzug der Vorschriften wird entsprechend den europäischen Schutzanforderungen durch die gebietsbezogen festzusetzenden Erhaltungsziele gesteuert. Nach den Novellierungen der Landesnaturschutzgesetze in den Jahren 2004 bis 2006 werden nunmehr in den Bundesländern folgende Modelle verfolgt: (1.) In Rheinland-Pfalz, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt werden Natura 2000-Gebiete einheitlich ausgewiesen. Vorreiter war das vom Hochmoselübergang-Urteil unmittelbar betroffene Rheinland-Pfalz, das im Mai 2004 die seinerzeit feststehende Natura 2000-Kulisse unmittelbar durch Gesetz auswies88. Dem folgte eine Landesverordnung, in der die Erhaltungsziele für die Gebiete festgesetzt wurden89. Den im Wesentlichen gleichen Weg beschreitet Thüringen90. In Hessen und Sachsen-Anhalt wird jeweils91, in Sachsen kann ___________ 86 Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 des Rates vom 29. September 2003 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe und zur Änderung bestimmter Verordnungen, ABl. der EU vom 21.10.2003, Nr. L 270/1. 87 Rehbinder (Fn. 77), S. 61 f., 82. 88 Drittes Landesgesetz zur Änderung des Landespflegegesetzes RP vom 12.5.2004 (GVBl. S. 255); jetzt: § 26 LNatSchG RP. Dieses Vorgehen ist im Hinblick auf die landesverfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 49 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 LV) nicht zu beanstanden: VerfGH Rheinland-Pfalz, Urt. vom 11.7. 2005, Az.: VGH N 25/04, NuR 2005, 704. 89 Landesverordnung über die Erhaltungsziele in den Natura 2000-Gebieten vom 18. Juni 2005 (GVBl. S. 323). 90 § 26a des Thüringer Gesetzes über Natur und Landschaft vom 30. August 2006 (GVBl. S. 421).

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eine Ausweisung durch Verordnung erfolgen92. Auch das Saarländische Naturschutzgesetz ist diesem Typus zuzuzählen, denn es enthält die Befugnis zur vereinfachten Ausweisung der Natura 2000-Gebiete durch eine Verordnung, allerdings will man dort weiterhin ggf. auch ganz ohne förmlichen Ausweisungsakt auskommen93. Die Länder in dieser Gruppe unterscheiden sich in den Punkten, ob das „Gebietsmanagement“ und spezifische Handlungspflichten der Verwaltung im Gesetz verankert sind – so in Rheinland-Pfalz und Hessen94 – oder ob die Gesetze hierzu keine weiteren Vorgaben enthalten. (2.) In Baden-Württemberg und Bayern werden zunächst nur die Vogelschutzgebiete vereinfacht durch Verordnung ausgewiesen95, in NordrheinWestfalen und in Schleswig-Holstein erfolgte deren Ausweisung unmittelbar durch Gesetz96. Für FFH-Gebiete bleibt es demgegenüber bei der Alternativität von Ausweisung als Schutzgegenstand entsprechend §§ 33 Abs. 2 und 3, 22 BNatSchG oder Verzicht auf eine förmliche Ausweisung entsprechend § 33 Abs. 4 BNatSchG. (3.) Die Naturschutzgesetze der Stadtstaaten und der Länder Brandenburg und Niedersachsen97 sehen demgegenüber weiterhin die Ausweisung der Natura 2000-Gebiete als Schutzgegenständen nach dem vierten Abschnitt des BNatSchG oder den Verzicht auf eine Ausweisung vor entsprechend § 33 Abs. 2 bis 4 BNatSchG vor. Die Vorschriften über die (vereinfachte) Inschutznahme der Natura 2000Gebiete in den jüngeren Landesnaturschutzgesetzen ergehen in Ausfüllung von § 33 Abs. 4 BNatSchG. Verfassungsrechtlich ist dieses Vorgehen der Länder ___________ 91 § 32 Abs. 1 HENatG; § 44a des Naturschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (NatSchG LSA vom 23. Juli 2004 (GVBl. S. 454), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.12.2005 (GVBl. S. 769, 801). 92 § 22 Abs. 6 des Sächsischen Naturschutzgesetzes vom 11.10.2004 (GVBl. S. 1601, ber. 1995, S. 106); zuletzt geändert durch Gesetz vom 9.9.2005 (GVBl. S. 259). 93 § 24 Abs. 4 des Saarländischen Naturschutzgesetzes vom 5. April 1996 (Amtsbl. S. 726). 94 § 25 Abs. 2 Satz 3 und 4, Abs. 3 LNatSchG RP; § 33 Abs. 2 bis 5 HENatG. 95 § 36 des Naturschutzgesetzes BW; Art. 13b Bayerisches Naturschutzgesetz in der Fassung vom 18. August 2005 (GVBl. S. 593), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.7.2005 (GVBl. S. 287). zuletzt geändert durch Gesetz vom 3.5.2005 (GV. NRW S. 522). 96 § 48c Landschaftsgesetz NRW vom 21. Juli 2005 (GV. NRW S. 568); § 29 Landesnaturschutzgesetz Schleswig-Holstein vom 6. März 2007 (GVOBl. 2007, 136). 97 § 34b des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes vom 11. April 2004 (GVBl. S. 155, ber. S. 267); zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.6.2005 (GVBl. S. 210) – das Niedersächsische Naturschutzgesetz hält jedoch für die Vogelschutzgebiete einen für den Regimewechsel nach Art. 7 FFH-RL ausreichenden Grundschutz bereit: Klooth/ Louis, NuR 2005, 438, 441 f.

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nicht zu beanstanden98, denn bei § 33 Abs. 2 bis 4 BNatSchG handelt es sich nach § 11 Satz 1 BNatSchG auch nach der Föderalismusreform um Rahmenrecht99. Hierzu ist zu erinnern, dass Rahmenrecht nach dem „JuniorprofessurUrteil“ des BVerfG100 auf „prägende Ausgestaltung“ durch die Landesgesetzgeber angelegt ist bzw. diese bei dessen Ausgestaltung „Raum für Willensentscheidungen in der sachlichen Rechtsgestaltung beanspruchen“ dürfen. Genau dieses geschieht, wenn die Länder in ihren Landesgesetzen die Umsetzungsvorschriften den unterschiedlichen Bedingungen und den regionalen Besonderheiten anpassen bzw. eine vorrangig konsensuale Umsetzungsstrategie verfolgen. 3. Errichtung des Natura 2000-Netzes in Hessen Beispielhaft sei nachfolgend die Errichtung des Natura 2000-Netzes in Hessen dargestellt: Mit dem Naturschutzreformgesetz101 wurde in § 32 Abs. 1 des Hessischen Naturschutzgesetzes (HENatG) die Ermächtigungsgrundlage für die Ausweisung aller hessischen Natura 2000-Gebiete in einer landesweiten Verordnung, der „Natura 2000-Verordnung“, geschaffen. Eine (Neu-)Ausweisung als Landschaftsschutz- oder Naturschutzgebiet darf nur erfolgen, wenn die der Verwaltung zur Verfügung stehenden hoheitlichen Instrumente den europäischen Schutzanforderungen nicht genügen102. Nach Abschluss und Auswertung der im Mai eingeleiteten Anhörung103 soll die Verordnung noch im Laufe des Jahres 2007 in Kraft treten. Mit ihr werden insgesamt 634 Gebiete – fünf Gebiete sind bereits vor dem Inkrafttreten des Naturschutzreformgesetzes104 als Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen worden – zu Natura 2000-Gebieten erklärt, indem die Gebietsgrenzen und die Erhaltungsziele festgesetzt werden. Mit der Verordnung wird die Verwaltung auch verkündungstechnisch eine Aufgabe bisher nicht bekannten Ausmaßes erfüllen: Ihr unmittelbarer Geltungsbereich wird sich auf 20,9 v.H. der Landesfläche, das sind ca. 440 000 Hektar erstrecken; erforderlich sind ca. 1500 Abgrenzungskarten, davon ca. 850 im Format DIN A0; auf den Karten sind ca. 12.500 km Grenzverlauf dar___________ 98

So auch Rehbinder (Fn. 77), S. 58 ff. Siehe Art. 125b Abs. 1 GG. 100 BVerfGE 111, 226. 101 Fn. 28. 102 § 32 Abs. 2 Satz 1 HENatG. 103 Der Entwurf der Natura 2000-Verordnung ist im Internet unter: http://natura2000 -verordnung.hessen.de/start.htm abrufbar. 104 § 32 Abs. 2 Satz 3 HENatG. 99

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zustellen; betroffen sind ca. 360 000 Grundstücke und schätzungsweise ca. 72000 Eigentümer (wobei davon ausgegangen wird, dass auf einen Eigentümer ca. 5 Grundstücke kommen); die Zahl der Nutzer ist unbekannt. Da die hessischen Verwaltungsgerichte es in der Vergangenheit teilweise äußerst genau mit den landesrechtlichen Anforderungen an die Ersatzverkündung genommen haben, wurde für diese Verordnung im Naturschutzreformgesetz nunmehr die Möglichkeit zur digitalen, ortsnahen Hinterlegung von Mehrausfertigungen des Kartenwerks geschaffen – d.h. die Verordnung wird in unveränderlicher digitaler Form mitsamt dem zugehörigen Kartenwerk bei den Landratsämtern und im Hinblick auf die Zumutbarkeit des Zugangs zu diesen Karten bei einigen zusätzlich ausgesuchten Stellen auf DVD zur Einsichtnahme bereitliegen105. Die Erhaltungsziele werden auf der Grundlage für das Land standardisierter Textbausteine an die Zustände in den einzelnen Gebieten angepasst formuliert. Da der Gebietsschutz für Natura 2000-Gebiete einem dynamischen Konzept folgt, wie das BVerwG zutreffend in seinem Urteil zur Westumfahrung Halle bemerkte106, kommt es im Ergebnis nicht darauf an, dass jedes einzelne Vorkommen eines Lebensraumtypen oder jedes Exemplar einer Tier- oder Pflanzenarten bzw. seiner Lebensstätten absolut geschützt wird, sondern das Gebiet ökologisch so ausgestattet ist oder sich in der Weise entwickelt, dass ein günstiger Erhaltungszustand der Schutzobjekte bewahrt oder wiederhergestellt werden kann. Die Erhaltungsziele werden daher nicht genaue Zielwerte enthalten, sondern verbale Zielbeschreibungen107, die jedoch rein naturschutzfachlich im Lichte dieses allgemeinen Schutzzwecks auszulegen sind. Dabei war wiederum darauf zu achten, dass die Erhaltungsziele nicht so formuliert werden, dass sie sich schädlich auf die Möglichkeiten zur Förderung der Landwirtschaft auswirken. Mit dem Inkrafttreten der Natura 2000-Verordnung sind die Natura 2000Gebiete auch endgültig ausgewiesen, denn Anträge auf verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle würden das Inkrafttreten dieser Verordnung nicht hemmen. ___________ 105

§ 6a Abs. 1 Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen und anderer Rechtsvorschriften vom 2.11.1971 (GVBl. I S. 258), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4.12.2006 (GVBl. I S. 619). 106 BVerwG, Urt. vom 17.1.2007, Az.: 9 A 20.05, NuR 2007, 336 Tz. 45. 107 Im FFH-Gebiet 4423-301 („Urwald Sababurg“) heißt es in Bezug auf den LRT 9110 (Hainsimsen-Buchenwald, Luzulo-Fagetum) beispielsweise „Erhaltung naturnaher und strukturreicher Bestände mit stehendem und liegendem Totholz, Höhlenbäumen und lebensraumtypischen Baumarten in ihren verschiedenen Entwicklungsstufen und Altersphasen“ und in Bezug auf den Eremiten (Osmoderma eremita) „Erhaltung von lichten, totholzreichen Laubwäldern, Kopfbaumbeständen sowie von Flussauen, Parkanlagen und Alleen mit einem ausreichendem Anteil alter, anbrüchiger und höhlenreicher Laubbäume.“

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Das materielle Schutzregime setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen: An erster Stelle sind hier freilich die gesetzlichen Schutzvorschriften zu nennen, insbesondere das gesetzliche Verschlechterungsverbot108 und das Erfordernis einer Verträglichkeitsprüfung für Projekte109. Hinzu kommen die allgemeinen Instrumente des Naturschutzes, insbesondere die Eingriffsregelung110, der gesetzliche Biotopschutz111 und der Artenschutz112. Besondere Bedeutung bei der Verwaltung der Natura 2000-Gebiete hat das „Gebietsmanagement“, für das in Hessen die auf der Ebene der drei Regierungsbezirke angesiedelten oberen Naturschutzbehörden zuständig sind113. In der Sache handelt es sich dabei um eine Fortentwicklung der Pflege von Naturschutzgebieten, die um die spezifisch europäischen Aufgabenstellungen angereichert wird. Im Rahmen des Gebietsmanagements erfolgt zunächst die Beobachtung des Zustands der Gebiete und ihrer Entwicklung („Monitoring“), die zur Erfüllung der Berichtspflichten nach Art. 17 FFH-RL und Art. 12 V-RL erforderlich sind. Auf den so gewonnenen Erkenntnissen aufbauend sind die geeigneten Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen von den oberen Naturschutzbehörden zu ermitteln und Maßnahmenpläne zu erarbeiten. Die Aufstellung der Maßnahmenpläne erfolgt – je nach Art des Gebietes – durch die Forstoder Landwirtschaftsverwaltung unter Beteiligung der betroffenen Landnutzer, der örtlich betroffenen Kommunen und von Vertretern der örtlichen Naturschutzverbände, unter fachlicher Begleitung der oberen Naturschutzbehörden, die auch die Produktverantwortung tragen114. In den Maßnahmenplänen werden die für das Gebiet geeigneten Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen festgesetzt, aber auch Maßnahmen, die als Kohärenzsicherungsmaßnahmen fachlich geeignet sind. Außerdem hat man sich in Hessen dafür entschieden, in das Gebietsmanagement auch nach dem Anhang IV der FFH-RL zu schützende Tier- und Pflanzenarten einzubeziehen. Für die Fachplanung ist das Gebietsmanagement darüber hinausgehend von Bedeutung, weil fortlaufend Kenntnisse und Daten über die Gebiete gewonnen werden, die Grundlage für Verträglichkeitsprüfungen sein werden. Auch werden durch ein erfolgreiches Gebietsmanagement letztlich Eingriffspotenziale geschaffen. ___________ 108

§ 33 Abs. 1 HENatG. § 34 HENatG. 110 §§ 12 ff. HENatG. 111 § 31 HENatG. 112 §§ 42 ff. BNatSchG in Bezug auf die nach dem Anhang II der FFH-RL zu schützenden Tiere und Pflanzen, die zumindest zu den „besonders geschützten Arten“ (§ 10 Abs. 2 Nr. 10 BNatSchG) zählen, sowie der „Grundschutz“ im Rahmen des allgemeinen Artenschutzes nach §§ 36 ff. HENatG. 113 § 33 Abs. 2 HENatG. 114 § 33 Abs. 2 Satz 2 bis 4, 3 HENatG. 109

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Soweit eine Steuerung der Nutzung erforderlich ist, soll diese in erster Linie auf der Grundlage von Verträgen mit den Bewirtschaftern erfolgen115. Daneben enthält das Hessische Naturschutzrecht jedoch auch spezifisch hoheitliche Handlungsverpflichtungen für die Naturschutzverwaltung: die Verpflichtung zur Regelung des Erholungsverhaltens in den Natura 2000-Gebieten116 und zum Einschreiten gegen erhebliche Störungen oder Beeinträchtigungen, soweit dies im Hinblick auf die Erhaltungsziele der einzelnen Gebiete erforderlich ist117. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass dieses Modell dem der englischen Naturschutzverordnung entspricht, die Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens gegen das Vereinigte Königreich in Rs. C-6/04 war und das die Kommission in Bezug auf die „Kontrolle potenziell störender Tätigkeiten“ für ausreichend erachtete118. In diesem Verfahren hatte der EuGH nur beanstandet, dass nach der Verordnung für Gibraltar Pflegemaßnahmen die Zustimmung des Grundeigentümers voraussetzten, mithin nicht zwangsweise durchgesetzt werden konnten119. Auch die Umsetzung nach den §§ 13 – 15 der Naturschutzverordnung von Vorarlberg120 entspricht dem und wurde in dem Vertragsverletzungsverfahren „Lauteracher Ried“121 nicht beanstandet. 4. Ende des Gebietsschutzes Für FFH-Gebiete enthält Art. 9 Satz 2 FFH-RL eine Regelung für die Aufhebung des Gebietsschutzes. Danach „kann (bei der regelmäßigen Beurteilung der Zielerreichung) die Aufhebung der Klassifizierung als besonderes Schutzgebiet in den Fällen erwogen werden, in denen die gemäß Art. 11 FFH-RL beobachtete natürliche Entwicklung (d.h. im Rahmen des Monitorings) dies rechtfertigt.“ Im Fall von FFH-Gebieten muss dies der Kommission vorbehalten bleiben, denn die Entklassifizierung bildet den Actus contrarius zur Listung eines Gebietes.

___________ 115

§ 33 Abs. 2 Satz 4 HENatG. § 33 Abs. 4 HENatG. 117 § 33 Abs. 5 HENatG. 118 Vgl. Rs. C-6/04, Schlussantrag der GA Kokott, NuR 2004, 587 Tzn. 15 und 16. 119 Rs. C-6/04, NuR 2006, 494 Tzn. 34 – 36. 120 Verordnung der Landesregierung zur Durchführung des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftsentwicklung, LGBl. Nr. 8/1998, 8/2001, 60/2001, 36/2003; verfügbar im Internet unter: http://www.vorarlberg.at/vorarlberg/land_politik/land/gesetzge bung/weitereinformationen/landesrecht/voris.htm. 121 Rs. C-209/04, NuR 2006, 439. 116

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Es kann überlegt werden, diese Vorschrift analog auf Vogelschutzgebiete anzuwenden. In einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Portugal hat der EuGH sich nunmehr erstmals zur Möglichkeit der Aufhebung eines Europäischen Vogelschutzgebietes geäußert. Danach soll die Aufhebung möglich sein, wenn ein Gebiet nicht mehr zu den „zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebieten“ gehört, wobei hier dieselben „ornithologischen Kriterien“ angewandt werden müssen, die bei der Identifikation des Gebietes galten122. Dies ist konsequent, weil die Entklassifizierung ungeeigneter oder weniger geeigneter Gebiete gewissermaßen Kehrseite der Dauerverpflichtung ist, die geeignetsten Gebiete auszuweisen. In diesem Zusammenhang ist außerdem bemerkenswert, dass der EuGH dem Schlussantrag der Generalanwältin Kokott in diesem Punkt nicht vollständig folgte, die eine Verkleinerung (eine Entlassung) aus dem Netzwerk Natura 2000 – außer in den Fällen der von Anfang an irrtümlichen Ausweisung – nur zulassen wollte, wenn die Verschlechterung auf objektiven, von dem Mitgliedstaat nicht zu beeinflussenden Umständen, wie beispielsweise einem Vulkanausbruch, beruht123.

III. Rechtsfragen der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL Die Verträglichkeitsprüfung nach den Absätzen 3 und 4 des Art. 6 FFH-RL ist nach dem Verständnis des EuGH offenkundig das zentrale Instrument, um die Natura 2000-Gebiete vor erheblichen Beeinträchtigungen zu schützen. In diesem Sinne bezeichnete das Gericht sie im Wattenmeer-Urteil124 als einen „Mechanismus des Umweltschutzes“ und sah sie als Ausfluss des Vorsorgegrundsatzes an. Für die Fachplanung folgte daraus, dass die in der Verträglichkeitsprüfung und im Ausnahmeverfahren angelegten „Spielregeln“ zur Lösung der Konkurrenz von Ökonomie und Ökologie125 zu Gunsten des Naturschutzes verändert wurden. Im Wattenmeer-Urteil126 verlangte der EuGH, dass die Verträglichkeitsprüfung „unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse“ durchgeführt wird. Dies hat zur Konsequenz, dass wissenschaftliche Erkenntnisdefizite zu Lasten des Vorhabens gehen: im Zweifel darf ein Vorhaben zunächst nur nach detaillierter Einzelprüfung zugelassen ___________ 122

Rs. C-191/05, Urt. vom 13.7.2006, Tz. 13 – die englische und französische Sprachfassung des Urteils einerseits und die deutsche andererseits weichen leicht voneinander ab. 123 Rs. C-191/05, Schlussantrag der GA Kokott, Tz. 14. 124 Rs. C-127/02, NuR 2004, 788, Tzn. 41, 44. 125 Schink, DÖV 2002, 45, 46. 126 Rs. C-127/02, NuR 2004, 788 Tz. 54.

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werden; dabei ist nicht auszuschließen, dass das Gebiet durch das zu beurteilende Vorhaben erheblich beeinträchtigt wird – d. h. es darf „aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteh(en), dass es keine solchen Auswirkungen gibt“127 –, nur zusätzlich unter den Voraussetzungen des Ausnahmeverfahrens nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL/§ 34 Abs. 2 bis 5 BNatSchG. In seinem Urteil zur Westumfahrung Halle128 hat das BVerwG das „strenge Schutzregime“ insoweit zu Recht im Zusammenhang potenzieller Fehlerquellen erörtert und festgestellt, dass die verfügbaren wissenschaftlichen Kenntnisse der Ökosystemforschung diesen Ansprüchen derzeit häufig noch nicht genügen. Damit diese Erkenntnisdefizite für die Vorhabenzulasung nicht zu unüberwindlichen Hürden werden, hat das BVerwG mehrere Wege gewiesen: Die Verwaltung kann auf der Grundlage einer Risikoprognose vorgehen, die regelmäßig in eine „Worst-Case-Betrachtung“ münden wird129. Dies kommt dem Bedürfnis der Planfeststellungsbehörden entgegen, die so, „um auf der sicheren Seite zu stehen“130, das vollständige Prüfprogramm von Verträglichkeitsprüfung und Ausnahmeverfahren in sich schlüssig abarbeiten können. Ferner besteht die Möglichkeit, im Rahmen eines Risikomanagements Maßnahmen zur Risikominimierung vorzusehen. Erforderlich sollen dann insbesondere in das Management integrierte Beobachtungsmaßnahmen sein sowie die Festsetzung von Korrektur- und Vorsorgemaßnahmen für den Fall, dass sich die Risikoprognose nachträglich als falsch herausstellt131. So wird eine überaus detaillierte und gründliche Befassung mit naturschutzfachlichen Fragestellungen auf wissenschaftlichem Niveau erforderlich, die die Anforderungen an die naturschutzfachliche Entscheidungsfindung des überkommenen deutschen Naturschutzrechts bei weitem übersteigt. Es ist offensichtlich, dass diese Entwicklung jüngsten gesetzgeberischen Bemühungen um eine Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren zuwiderläuft. Auch diese Aufgabe werden die Naturschutzverwaltungen und den Fachanstalten nunmehr – in der Regel in beratender Funktion – zu schultern haben. Dies ist zu berücksichtigen, bevor Erkenntnisdefizite, Bewertungsunsicherheiten und Engpässe vorschnell als verwaltungsseitige Obstruktion oder Unfähigkeit gebrandmarkt werden. Nachfolgend soll nunmehr auf einige ausgewählte Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Verträglichkeitsprüfung eingegangen werden.

___________ 127 128 129 130

42, 45. 131

Ebenda, Tz. 61. BVerwG, Urt. vom 17.1.2007, Az.: 9 A 20.05, NuR 2007, 336 Tz. 35 ff. Ebenda, Tz. 64. Siehe bereits: Hessischer VGH, Urt. vom 28.6.2005, Az.: 12 A 8/05, NuR 2006, BVerwG, Urt. vom 17.1.2007, Az.: 9 A 20.05, NuR 2007, 336 Tzn. 66, 55.

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1. Zur zeitlichen Geltung von Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL Die zeitliche Geltung des Erfordernisses zur Durchführung von Verträglichkeitsprüfungen ist in der Rechtsprechung des EuGH weitgehend geklärt: Die Verpflichtung beginnt gemäß Art. 4 Abs. 5 FFH-RL mit dem Zeitpunkt der Listung eines Gebietes durch die Kommission nach Art. 4 Abs. 2 Ua. 3 FFHRL132. Anders als bisher in Analogie zur EuGH-Rechtsprechung zur über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL)133, die insoweit auf den Zeitpunkt der Verfristung abstellte134, von vielen angenommen135, ist Stichtag für Verträglichkeitsprüfungen also nicht der 5. Juni 1998, als der Zeitpunkt, zu dem die Kommission nach dem Fahrplan der Richtlinie die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung hätte bekannt geben sollen (Art. 4 Abs. 3 FFH-RL). Stichtage sind vielmehr, stellt man auf die Tage der Bekanntgabe der Listen der Gebiete gemeinschaftlicher Bedeutung für die einzelnen biogeografischen Regionen im Amtsblatt der EU ab, der 21. Januar 2004 für die alpine, der 28. Dezember 2004 für die kontinentale und der 29. Dezember 2004 für die atlantische Region136. In dem Vertragsverletzungsverfahren „Lauteracher Ried“ ging es u.a. auch um die Frage, ob das streitgegenständliche Straßenbauvorhaben, für das das Genehmigungsverfahren am 8. März 1994, also vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft zum 1.1.1995, eingeleitet worden war, einer Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL i.V. mit Art. 7 FFHRL zu unterziehen war. Die Generalanwältin Kokott bejahte das Erfordernis einer Verträglichkeitsprüfung und betonte, dass die Durchführung der Verträglichkeitsprüfung als Zulassungshindernis zur Wahrung der Integrität der Gebiete einen „praktischen Nutzen“ habe.137 Der EuGH folgte dem ausdrücklich nicht, sondern stellte alleine darauf ab, dass das Genehmigungsverfahren vor dem Zeitpunkt des Beitritts eingeleitet worden war. Dies begründete der EuGH wie folgt: „Nur dieses formale Kriterium entspricht nämlich … dem Grundsatz der Rechtssicherheit und ist geeignet, die praktische Wirksamkeit einer Richtlinie zu erhalten. Der Grund hierfür ist, dass eine Richtlinie wie die Habitatricht___________ 132 Rs. C-117/03, NuR 2005, 242 Tz. 25 („Dragaggi“); Rs. C-244/05, NuR 2006, 762 Tz. 36 („A 94“) – siehe oben, Abschnitt I.1.a). 133 Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. EG Nr. L 175/40), zuletzt geändert durch Richtlinie 2003/35/EG vom 26. Mai 2003, ABl. EG Nr. L 156/17. 134 Rs. C-41/93, NuR 1995, 55. 135 Louis, BNatSchG (Fn. 71), § 19c Rdnr. 2. 136 (Fn. 20). 137 Rs. C-209/04, Schlussantrag der GA Kokott, Tzn. 55 ff.

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linie überwiegend Projekte größeren Umfangs betrifft, deren Durchführung sehr häufig viel Zeit erfordert. Es wäre nicht angebracht, dass Verfahren, die bereits auf nationaler Ebene komplex sind und die vor Ablauf der Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie förmlich eingeleitet wurden, durch die spezifischen Anforderungen der Richtlinie noch zusätzlich belastet und verzögert und bereits entstandene Rechtspositionen beeinträchtigt werden.“138 Dieser Begründung ist nichts hinzuzufügen, es bleibt nur zu hoffen, dass das Verständnis des Projektbegriffs sich in eben diese Richtung entwickeln wird. Daraus ist jedoch weiter zu schließen, dass die Verpflichtung zur Durchführung von Verträglichkeitsprüfungen für Projekte, die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung betreffen, europarechtlich nur für solche besteht, die nach dem Zeitpunkt der Listung beantragt werden139. Allerdings hindert dies die Länder nicht, die Verträglichkeitsprüfung auch für Projekte vorzusehen, die noch in Vorschlagsgebieten oder mit Auswirkung auf solche durchgeführt werden sollen140. Angesichts der Tatsache, dass die Zulassung eines Projekts nach § 34 BNatSchG eine Sanierungspflicht im Sinne der Richtlinie 2004/35/EG141 nach § 21a Abs. 1 Satz 2 BNatSchG142 ausschließt, handelt es sich insoweit auch nicht um eine überzogene Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, sondern liegen solche Regelungen sehr wohl auch im Interesse von Vorhabenträgern. 2. Zur erheblichen Beeinträchtigung im Sinne von § 34 Abs. 1 BNatSchG Für die Anwendung der Vorschriften über die Verträglichkeitsprüfung hat die „erhebliche Beeinträchtigung“ i.S. von § 34 Abs. 1 BNatSchG entscheidende Bedeutung. Sie steuert das Erfordernis einer Verträglichkeitsprüfung143, fer-

___________ 138

Rs. C-209/04, NuR 2006, 429 Tz. 57. A.A. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. vom 13.7.2006, Az.: 20 D 80/05, NuR 2007, 48. 140 Siehe oben, Abschnitt I.2.a). 141 Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABl. EU, Nr. L 143/56. 142 Siehe Art. 3 Nr. 4 des Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 666). 143 Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL/§ 10 Abs. 1 Nr. 11 oder 12 i.V. mit § 34 Abs. 1/§ 35 BNatSchG. 139

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ner entscheidet sie darüber, ob ein Vorhaben oder Plan nur nach Alternativenprüfung und nur im zwingenden öffentlichen Interesse zulässig ist144. Maßstab der Verträglichkeitsprüfung sind die für das jeweilige Gebiet festgesetzten Erhaltungsziele145. Der Schutzzweck eines Schutzgebietes nach dem vierten Abschnitt kann nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG hingegen nur dann Maßstab der Verträglichkeitsprüfung sein, wenn dieses nach § 33 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG ausgewiesen wurde, d.h. wenn der Schutzzweck aus den europarechtlichen Erhaltungszielen im Ausweisungsverfahren abgeleitet wurde. Wenn, wie in den meisten Ländern, Natura 2000-Gebiete über bestehende Schutzgebiete gelegt werden, ohne dass die Schutzgebietsverordnungen angepasst werden, kann § 34 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG keine Anwendung finden. Widersprechen sich der Schutzzweck einer rein nationalen Schutzgebietsverordnung und das Erhaltungsziel für ein europäisches Schutzgebiet, ist alleine letzteres im Hinblick auf den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen. Solange die Erhaltungsziele noch nicht durch eine Verordnung – soweit das jeweilige Landesrecht dies vorsieht – oder im Rahmen der Bestimmung eines Schutzzwecks festgesetzt sind, sind die Standard-Datenbögen, die der Gebietsmeldung zu Grunde lagen, heranzuziehen und auszuwerten146. Die FFH-RL enthält bekanntermaßen keine Definition der „erheblichen Beeinträchtigung“. Allerdings muss man darin nicht unbedingt eine Fehlleistung des Gemeinschaftsgesetzgebers erkennen147, denn Richtlinien sind nach Art. 249 Abs. 3 EG eigentlich nur „hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich“, den Mitgliedstaaten bleibt hingegen „die Wahl der Form und der Mittel“ überlassen. Freilich wird sich jeder Gesetzgeber in der EU im Hinblick auf die geradezu sklavisch auf den Wortlaut der Richtlinie abstellende Rechtsprechung des EuGH148 schwer tun, die Vorgaben der Richtlinie an die Verhältnisse in dem jeweiligen Mitgliedstaat angepasst, praxisgerecht umzusetzen. Die vom EuGH immer wieder eingeforderte „Genauigkeit“ der Umsetzung149 ist insoweit auch nicht im Sinne des rechtsstaatlichen Ideals der Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handels zu verstehen, sondern im Sinne von fehlerfreiem Abschreiben – doch dies sei hier nur am Rande erwähnt. In seinem Urteil zur Westumfahrung Halle ist das BVerwG mit Rücksicht auf eine ent___________ 144

Art. 6 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 FFH-RL/§ 34 Abs. 2 bis 5, § 35 BNatSchG. BVerwG, Urt. vom 17.1.2007, Az.: 9 A 20.05, NuR 2007, 336 Tz. 41; Schink, DÖV 2002, 45, 53; Jarass, NuR 2007, 371, 374. 146 BVerwG, Urt. vom 17.1.2007, Az.: 9 A 20.05, NuR 2007, 336 Tz. 75. 147 Siehe aber wohl Halama, NVwZ 2001, 506, 510. 148 Ein Höhepunkt dürfte das Urt. vom 10.5.2007 in Rs. C-508/04, NuR 2007, 403 sein. 149 EuGH, Rs. C-6/04, NuR 2006, 494 Tz. 25. 145

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sprechende Passage in dem Schlussantrag der Generalanwältin Kokott im Wattenmeer-Verfahren davon ausgegangen, dass „grundsätzlich … jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen erheblich (ist) und als Beeinträchtigung des Gebietes als solchen gewertet werden (muss)“150. Zur Begründung ging das BVerwG hierzu davon aus, dass die von der EU-Kommission im WattenmeerVerfahren vertretene Auffassung, eine „erhebliche Beeinträchtigung“ liege vor, wenn die Vereitelung von Erhaltungszielen oder die Zerstörung essenzieller Gebietsbestandteile drohe151, in der Rechtsprechung des EuGH „keine Resonanz gefunden habe“152. Diese Erkenntnis vermag jedoch nicht recht einzuleuchten, denn in dem besagten Urteil führt der EuGH aus, eine erhebliche Beeinträchtigung stehe fest, wenn die für das Gebiet festgelegten Erhaltungsziele gefährdet würden, was „namentlich im Licht der besonderen Merkmale und Umweltbedingungen des von solchen … Projekten betroffenen Gebietes“ zu beurteilen sei153. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ setzt daher nicht bereits an der bloßen thematischen Berührtheit eines Erhaltungszieles an, sondern ist erst dann gegeben, wenn unter Berücksichtigung der spezifischen Eigenheiten des Gebietes das jeweilige Projekt das Erhaltungsziel gefährdet. Berücksichtigt man, dass die Erhaltungsziele gebietsbezogen den Weg zur Bewahrung oder Wiederherstellung günstiger Erhaltungszustände der zu schützenden Lebensraumtypen und Arten weisen, ist eine erhebliche Beeinträchtigung dann zu bejahen, wenn nicht objektiv widerlegt werden kann, dass in Folge der Verwirklichung des Projekts das Erhaltungsziel in einer Weise betroffen ist, dass die Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der zu schützenden Lebensraumtypen oder Arten bedroht ist154. Folge der vom BVerwG nunmehr vertretenen Ansicht ist freilich, dass im Rahmen der Vorprüfung – nach allgemeinem Verständnis155 unterfällt die Verträglichkeitsprüfung in eine Vorprüfung und eine Detailprüfung – nur wenige Tätigkeiten und Maßnahmen als „FFH-verträglich“ eingestuft werden können. In einer Reihe der bisher ergangenen Urteile wurde dem Flächenverlust ein vergleichsweise hoher Stellenwert bei der Ermittlung der „erheblichen Beeinträchtigung“ beigemessen. So heißt es im Urteil des Hessischen VGH zum Planfeststellungsbeschluss für den Bau der A380-Werft am Rhein-Main-Flug___________ 150 151 152 153 154

42, 47. 155

Urt. vom 17.1.2007, Az.: 9 A 20.05, NuR 2007, 336 Tz. 41. Siehe Schlussantrag der GA Kokott in Rs. C-127/02, Tz. 82. Urt. vom 17.1.2007, Az.: 9 A 20.05, NuR 2007, 336 Tz. 41. EuGH, Rs. C-127/02, NuR 2004, 788 Tz. 39. Siehe auch: Hessischer VGH, Urt. vom 28.6.2005, Az.: 12 A 8/05, NuR 2006,

EU-Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Art. 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, S. 33; J. und A. Schumacher, in: Schumacher/FischerHüftle, BNatSchG, Stuttgart 2003, § 34 Rdnr. 15 ff.; Gassner, in: ders./BendomirKahlo/Schmidt-Räntsch, BNatSchG, 2. Auflage, München 2003, § 34 Rdnr. 15a f.

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hafen156, die „dauerhafte Flächeninanspruchnahme von FFH-relevanten Lebensraumtypen“ und die damit einhergehende Gebietsverkleinerung stelle „in der Regel eine erhebliche Beeinträchtigung dar“. Dieses im streitgegenständlichen Planfeststellungsbeschluss angelegte Vorgehen ist insbesondere damit zu erklären, dass der Flächenlust eine relativ einfach fassbare und nachvollziehbare Nenngröße ist, die über naturschutzfachliche Kenntnisdefizite hinweghilft. In diesem Punkt ist es zu begrüßen, dass das BVerwG, das sich bereits im Urteil zur A 17 (Nöthnizgrund) großzügiger gezeigt hatte157, im Urteil zur Westumfahrung Halle in dieser Frage im Hinblick auf das beim Gebietsschutz verfolgte „dynamische Konzept“ einen fachlicheren Blickwinkel eingenommen hat: Nicht jeder Flächenverlust ist danach erheblich, vielmehr ist in Bezug auf Arten deren Standortdynamik zu berücksichtigen, wenn sie es ermöglicht, Flächenverluste selbst auszugleichen158. Auch bei Lebensraumtypen darf deren Elastizität und Belastbarkeit berücksichtigt werden, eine Beeinträchtigung ist danach jedenfalls dann nicht erheblich, wenn der geschützte und in Anspruch genommene Lebensraumtyp trotz der vorübergehenden Störung nach kurzer Regenerationszeit stabil bleibt159. Auch wenn entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Naturschutzrechts der Erhaltung bestehender Lebensräume der Vorrang vor ihrer Verlagerung oder der Schaffung von Ersatzlebensräumen zukommen muss160, vermag dieser stärker fachliche Ansatz im Zusammenspiel mit der Möglichkeit, durch geeignete Maßnahmen das Beeinträchtigungspotenzial von Vorhaben unter die Erheblichkeitsschwelle zu senken161, die Zulassungsfähigkeit von Projekten durchaus auch zu erhöhen. Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn auf der Stufe der Minimierung der Eingriffsfolgen bereits Maßnahmen berücksichtigt werden dürfen, die nach der Eingriffsregelung des deutschen Naturschutzrechts der Kompensation des Eingriffs im Rahmen des § 19 Abs. 2 BNatSchG zuzurechnen wären. Das Urteil des BVerwG zur Westumfahrung Halle lässt dies seinem Wortlaut nach zu162. Im Fall der A380Werft am Rhein-Main-Flughafen wäre es daher durchaus denkbar gewesen, Flächenverluste aus der Betrachtung auszublenden und zunächst schlicht zu fragen, ob die betroffenen Populationen der Bechsteinfledermaus und des ___________ 156

Hessischer VGH, Urt. vom 28.6.2005, NuR 2006, 42, 47. BVerwG, Urt. vom 27.2.2003, Az.: 4 A 59/01, NuR 2003, 686, 689 – die Beanspruchung von 3 v.H. des zu schützenden „Labkraut-Eichen-Hainbuchenwaldes“ „(schlägt) kaum zu Buche“. 158 BVerwG, Urt. vom 17.1.2007, Az.: 9 A 20.05, NuR 2007, 336 Tz. 45. 159 Ebenda, Tz. 48. 160 Ebenda, Tz. 45. 161 Ebenda, Tz. 53. 162 Ebenda, Tzn. 52 – 54; enger: OVG Nordrhein-Westfalen, (Fn. 139), NuR 2007, 48, 49. 157

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Hirschkäfers in Folge der geplanten Maßnahmen stabil bleiben werden163. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass die wissenschaftlichen Anforderungen an den Nachweis des ökologischen Funktionierens der Maßnahmen und das wahrscheinlich nicht selten erforderliche Schutzkonzept einschließlich erforderlicher Beobachtungsmaßnahmen164 den Planungsaufwand nicht unerheblich vergrößern. Abschließend sei hierzu Folgendes kritisch angemerkt: Gegenstand der Rechtsprechung zur Verträglichkeitsprüfung waren bisher ausnahmslos Großvorhaben, die auch Projekte im Sinne der UVP-RL waren, und die regelmäßig auch durchaus politisch umstritten waren. Der Bau oder Ausbau von Autobahnen, Flughäfen oder einer Wartungshalle für ein Großflugzeug, aber auch die Herzmuschelfischerei, sind Vorhaben und Maßnahmen, die allesamt ihrer Größe nach geeignet sind, Natura 2000-Gebiete erheblich zu beeinträchtigen. Es ist aber sehr problematisch, wenn aus diesem Maßstab allgemeingültige Regeln abgeleitet werden und diese dann auf Maßnahmen angewandt werden, die im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Änderung des BNatSchG dem Erfordernis einer Verträglichkeitsprüfung unterstellt werden165. Dies gilt zunächst für Bauvorhaben land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, die im Rahmen des § 35 des Baugesetzbuchs privilegiert sind, aber auch für den land- und forstwirtschaftlichen Wegebau oder den Umbau von Feldwegen oder Leinpfaden zu Radwegen. Noch problematischer ist es, wenn künftig Tätigkeiten habitatrechtlich als Projekte behandelt werden müssen, die der täglichen Wirtschaftsweise in der Land- und Forstwirtschaft zuzurechnen sind. In all diesen Fällen steht der Aufwand einer Verträglichkeitsprüfung außer Verhältnis zum Schadensrisiko solcher Vorhaben und Tätigkeiten wie zu ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Ertragskraft. Es ist nicht zu bestreiten, dass der EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung vom Erfordernis einer Einzelfallprüfung ausgegangen ist166, daraus mögen sich auch Vorbehalte gegen Bagatellschwellen ableiten lassen167, gleichwohl ist hier eine Differenzierung dringend geboten. Fachlich lässt sich dies regelmäßig damit rechtfertigen, dass die in den Gebieten ausgeübten Nutzungsformen der Meldewürdigkeit der Gebiete offenkundig nicht entgegenstehen oder sogar für diese ursächlich waren, wie insbesondere eine naturnahe Waldwirtschaft füe meldepflichtige Waldlebensraumtypen. Rechtlich lässt sich dies im Hinblick auf Art. 2 V-RL und Art. 2 Abs. 3 FFH-RL, die fordern, dass ___________ 163 Für die Art Bechsteinfledermaus sieht der Planfeststellungsbeschluss des Bau eines „Fledermaus-Hopover“ an einer Straße und das Aufhängen geeigneter Nistkästen im angrenzenden Waldgebiet vor, für den Hirschkäfer wurden Stubben alter Eichen in ein geeignetes, angrenzendes Waldgebiet verbracht. 164 BVerwG, Urt. vom 17.1.2007, Az.: 9 A 20.05, NuR 2007, 336, Tzn. 54 f. 165 BT-Drcks. 16/5100, Art. 1 Nr. 2. 166 Rs. C-6/04, NuR 2006, 494 Tz. 46/47. 167 BVerwG, Urt. vom 17.1.2007, Az.: 9 A 20.05, NuR 2007, 336 Tz. 51.

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wirtschaftlichen Anforderungen Rechnung zu tragen ist, aber zusehends in Vergessenheit geraten, und das Verhältnismäßigkeitsprinzip rechtfertigen. 3. Zur Berücksichtigung von Summationswirkungen Nach § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG/Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ist bei der Verträglichkeitsprüfung eines Projekts auch dessen „Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten“ zu berücksichtigen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Summationswirkung aus Anhang III Nr. 1 der UVP-RL übernommen wurde. Allerdings ist auch diese Übernahme nicht unproblematisch, weil die Umweltverträglichkeitsprüfung nur darauf abzielt, die Umweltauswirkungen eines Vorhabens möglichst umfassend vor der Zulassungsentscheidung zu erfassen, während die FFH-Verträglichkeitsprüfung und die aus ihr abzuleitenden Konsequenzen Zulassungsvoraussetzungen bzw. -hindernisse sind. Soweit ersichtlich hatte sich in der Rechtsprechung bisher nur der Hessische VGH in seinem Urteil zur A380-Werft am Rhein-Main-Flughafen vertieft mit der Frage zu berücksichtigender Summationswirkungen auseinanderzusetzen168. In diesem Fall hatte der klagende Naturschutzverband behauptet, die Verträglichkeitsprüfung sei fehlerhaft erfolgt, weil auch der bereits projektierte Ausbau des Rhein-Main-Flughafens berücksichtigt werden müsse. Der Hessische VGH verneinte dies jedoch und akzeptierte im Ergebnis die Grundsätze der Abschnittsbildung im Planfeststellungsrecht169 auch für die Verträglichkeitsprüfung. Dies hat freilich zur Konsequenz, dass „der Vorhabenträger bei einer abgestuften Planung das Risiko (trägt), dass er auf einer Stufe das ihm eröffnete Eingriffspotenzial verbraucht, mit der Folge, dass weitere, aus seiner Sicht unter Umständen sogar vorrangige Projekte nicht mehr zugelassen werden können.“170 Daraus ist zunächst abzuleiten, dass die Summationswirkung von der Vorbelastung zu unterscheiden ist. Unter dem Gesichtspunkt der Vorbelastung sind die Auswirkungen eines Projekts, ggf. auch sein Zusammenwirken, mit anderen, in dem fraglichen Bereich bereits ausgeübte Nutzungen in die Verträglichkeitsprüfung einzubeziehen171. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Besonderheit, sondern um die unter dem Gesichtspunkt der „erheblichen Beeinträchtigung“ im Grunde stets zu beantwortende Frage nach dem im Hinblick ___________ 168

Hessischer VGH, Urt. vom 28.6.2005, NuR 2006, 42, 46. Hierzu Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 3. Auflage, München 2005, Abschnitt E, Rdnrn. 3874 ff. 170 Hessischer VGH, Urt. vom 28.6.2005, NuR 2006, 42. 171 A.A. Louis, BNatSchG (Fn. 71), § 19a Rdnr. 32, der auch bereits realisierte Projekte unter dem Gesichtspunkt der Summationswirkung behandeln will. 169

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auf die Ziele des europäischen Naturschutzrechts zulässigen Maß von Nutzungen in einem Gebiet172. Summationswirkung bzw. „Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten“ kann daher nur Zusammenwirken mit anderen zur Entscheidung stehenden oder noch nicht realisierten Projekten meinen. In diesem Zusammenhang bereitet zunächst die Ausweitung des Projektbegriffs auf kleinere, an sich nicht raumbedeutsame Maßnahmen im Zuge der Rechtsprechung des EuGH große Schwierigkeiten, denn diese unterliegen in der Regel keinem Genehmigungs- oder Anzeigeerfordernis. Auch passen die Kriterien der Verträglichkeitsprüfung schlicht nicht auf Tätigkeiten wie Holzernte, den Bau von Wegen im Rahmen der Land- und Forstwirtschaft oder den Grünlandumbruch173. Das vom Hessischen VGH so formulierte „Windhundprinzip“ war im Fall der A380-Werft unproblematisch, denn beide möglicherweise in die Betrachtung einzubeziehenden Projekte haben denselben Träger. Im Hinblick auf den Gleichheitssatz und grundrechtlich abgesicherte Rechtspositionen birgt die Anwendung dieses Prinzips allerdings Schwierigkeiten, wenn über die Zulassung von Projekten verschiedener Träger zu entscheiden ist. In solchen Fällen können im Extremfall beide Projekte zusammen unzulässig sein. Denkbar ist insbesondere aber auch, dass das Zusammenwirken beider Projekte die Festsetzung von Minimierungsmaßnahmen erforderlich macht, die jedoch nicht erforderlich wären, wenn ein Projekt bereits aus anderen Gründen nicht zulassungsfähig wäre. Im Grundsatz sollten daher in die Summationsbetrachtung nur solche Projekte bzw. Vorhaben einbezogen werden, die eine weit überwiegende Realisierungswahrscheinlichkeit kennzeichnet. Dies sind zugelassene, aber noch nicht realisierte Vorhaben, beantragte Vorhaben, die höchstwahrscheinlich zugelassen werden und künftige, noch nicht beantragte Vorhaben, die mit einem bereits zugelassenen Vorhaben eine wirtschaftliche Einheit bilden.174 Erforderlich wird damit eine Koordinierung von Genehmigungsverfahren, dafür muss zumindest eine Behörde den Überblick über alle in einem Gebiet laufenden Genehmigungsverfahren erhalten.

___________ 172

Siehe auch Hermann/Wagner, NuR 2005, 20, 26. Dies heißt gleichwohl nicht, dass derartige Tätigkeiten, begreift man sie nicht als Projekte, unkontrolliert ihre ggf. schädigende Wirkung entfalten können, vielmehr bieten der Vollzug von Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-RL ein hinreichendes Instrumentarium, um erforderliche Reglementierungen zu treffen, siehe § 33 Abs. 5 HENatG oder § 25 Abs. 3 LNatSchG RP. 174 Siehe hierzu die vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz im Auftrag der LANA erarbeiteten Empfehlungen zu Summationswirkungen von Projekten und Plänen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 11 und 12 BNatSchG. 173

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4. Zu der nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL erforderlichen Öffentlichkeitsbeteiligung Zwar unterfallen Vorhaben, die gemeinhin als dem Fachplanungsrecht unterliegend verstanden werden, weil sie regelmäßig der Planfeststellung bedürfen, bereits nach § 60 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG dem Erfordernis einer Verbandsbeteiligung. Gleichwohl kann die Frage, ob die Zulassung eines Projekts nach § 34 BNatSchG stets einer Verbandsbeteiligung bedarf, über die Summationsbetrachtung sich auch auf diese Verfahren auswirken. Eine Beteiligung der anerkannten Naturschutzbehörde ist nach der rahmenrechtlichen Vorgabe des § 60 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG u.a. bei Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von „sonstigen Schutzgebieten im Rahmen des § 33 Abs. 2“ vorzusehen. Die Verbote und Gebote, von denen befreit werden soll, müssen also in Schutzgebietsverordnungen zur Ausweisung von Natura 2000-Gebieten enthalten sein. Das OVG Sachsen-Anhalt hat nunmehr hierzu in zwei Beschlüssen175 die Auffassung vertreten, eine Befreiung von Verboten und Geboten zum Schutz von Natura 2000-Gebieten sei nicht nur eine Befreiung im eigentlichen Sinne176, sondern auch eine Ausnahmegenehmigung entsprechend der Voraussetzungen von § 34 Abs. 1 und 2 BNatSchG177. Während aber der Hessische VGH178 zu § 60 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG entsprechend der Konzeption der Norm entschieden hat, dass ein das Beteiligungsrecht begründendes Befreiungsverfahren erst durchgeführt werden könne, wenn das Natura 2000Gebiet als Schutzgebiet nach §§ 33 Abs. 2 und 3, 22 Abs. 1 BNatSchG ausgewiesen wurde, sieht das OVG Sachsen-Anhalt die Gefahr des „Leerlaufens“ der Vorschrift und will daher eine Zulassung nach § 34 BNatSchG beteiligungsrechtlich als eine Befreiung behandeln. Diese Sichtweise verkennt jedoch die Natur des Ausnahmeverfahrens. Solange nämlich von dem weiten, in § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG-E enthaltenen Projektbegriff ausgegangen werden muss, handelt es sich bei der Verträglichkeitsprüfung um ein Massenverfahren. Die nach § 34 BNatSchG zu treffenden Entscheidungen ähneln dabei mehr denen nach der Eingriffsregelung als einer Befreiung, die im deutschen Verwaltungsrecht nur in atypischen, vom Gesetzgeber nicht vorher gesehenen Fällen Anwendung findet. Auch wird verkannt, dass die Schutzgebietsverordnung nach § 19b Abs. 2 und 3 BNatSchG 1998/§ 33 Abs. 2 und 3 BNatSchG nicht der Umsetzung von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL dient, sondern des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL. Schließlich zwingt auch der Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH___________ 175 Beschl. vom 6.11.2006, Az.: 2 M 311/06, NuR 2007, 208; Beschl. vom 8.1.2007, Az.: 2 M 358/06, ZUR 2007, 246 ff. 176 § 58 Abs. 1 NatSchG LSA entspricht § 62 Abs. 1 BNatSchG. 177 § 45 Abs. 1 NatSchG LSA. 178 Beschl. vom 24.1.2006, Az.: 4 TG 2773/05.

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RL nicht zu diesem Verständnis, denn dort heißt es „gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.“ Richtigerweise wird man, wie die EU-Kommission179, daher davon auszugehen haben, dass nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL eine Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich ist, wenn dies auch nach der UVPRL der Fall ist. Dem genügt es, wenn das Landesrecht, wie in Sachsen-Anhalt, eine Beteiligung nach § 60 Abs. 2 Nr. 5 und 6 BNatSchG vorsieht. Ergänzend sei hier nur angemerkt, dass die Argumentation des Sachsen-Anhaltinischen OVG angesichts des eindeutigen Wortlauts des Landesnaturschutzgesetzes die Grenzen zulässiger Auslegung überschreitet. Hält das Gericht die Vorschrift für bundesrechtswidrig, so müsste es diese Frage mangels eigener Verwerfungskompetenz dem BVerfG im Verfahren der konkreten Normenkontrolle vorlegen. 5. Zum Erfordernis der Einholung einer Stellungnahme der Kommission nach § 34 Abs. 4 Satz 2 BNatSchG In seinem Urteil zur Westumfahrung Halle180 hat das BVerwG „für die weitere Sachbehandlung“ darauf hingewiesen, dass eine Stellungnahme der EUKommission nach § 34 Abs. 2 BNatSchG immer dann einzuholen sei, wenn ein FFH-Gebiet erheblich beeinträchtigt zu werden droht, das Vorkommen prioritärer Lebensraumtypen oder Arten aufweist. Dabei soll es nicht darauf ankommen, ob diese selbst beeinträchtigt werden. Das BVerwG beruft sich hierzu auf den Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 Ua. 2 FFH-RL und das „Wächteramt“, das die Kommission innehabe, um Fehlentwicklungen in den Mitgliedstaaten entgegenzuwirken181. Nicht zu bezweifeln ist, dass der reine Wortlaut der Richtlinie eine solche Auslegung hergibt. Allerdings beweist dieses Beispiel in aller Deutlichkeit, wie sehr es bei der Auslegung und Anwendung der FFH-RL erforderlich ist, sich zu besinnen, dass Richtlinien nur „hinsichtlich des zu erreichende(n) Ziels“ verbindlich sind182 und auch die FFH-RL nur bestimmte Zwecke verfolgt, die die Reichweite ihrer Vorgaben auch einmal begrenzen können. Nach dem Sinn und Zweck des Art. 6 Abs. 4 Ua. 2 FFH-RL kann eine Stellungnahme der Kommission nur erforderlich sein, wenn der prioritäre Lebensraumtyp oder die prioritäre Art selbst beeinträchtigt zu werden droht. Alleine die Tatsache, dass die zu schützenden Lebensraumtypen und Arten in der Regel ungefähr 30 v.H. der Schutzgebietsfläche einnehmen, spricht für dieses Ergebnis. Es werden also ___________ 179 180 181 182

EU-Kommission, (Fn. 155) S. 43. BVerwG, Urt. vom 17.1.2007, Az.: 9 A 20.05, NuR 2007, 336 Tzn. 116 ff. Ebenda, Tz. 117. Art. 249 Abs. 3 EG.

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in den Gebieten viele Tätigkeiten vorgenommen werde, die habitatrechtlich unbeachtlich sind, weil sie sich überhaupt nicht auf die geschützten Bereiche auswirken. Dies wird umso anschaulicher, wenn man berücksichtigt, dass FFHGebiete nicht selten so groß183 sind, dass Eingriffe in ihrem Gesamtbereich schlicht unvermeidlich sind. Nimmt man aber die Funktion des Wächteramtes der Kommission ernst, so muss sie überhaupt in der Lage sein, qualifizierte Stellungsnahmen abzugeben, wenn sie denn angerufen wird. Dies wäre der Kommission aber schlicht kaum möglich, müsste sie Anträge auf Stellungnahmen aus allen 27 Mitgliedstaaten bereits dann bescheiden, wenn ein Gebiet mit prioritären Vorkommen von einem geplanten Eingriff betroffen wäre, ohne dass diese selbst beeinträchtigt werden. Daher verwundert es nicht, dass auch die Kommission in ihrem Leitfaden zu Art. 6184 eindeutig die Auffassung vertritt, sie sei nur dann an einem Verfahren zu beteiligen, wenn „diese (prioritären) Lebensräume und Arten in Mitleidenschaft gezogen werden.“ In diesem Punkt ist auf eine schnelle Korrektur zu hoffen, weil sonst eine vollkommen überflüssige Verzögerung von Genehmigungsverfahren droht. 6. Zur Bestandskraft erteilter Genehmigungen In dem Vertragsverletzungsverfahren gegen das Vereinigte Königreich hatte die EU-Kommission im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL u.a. beanstandet, dass die Naturschutzverordnung in Gibraltar keine hinreichenden Überprüfungsvorschriften für bestehende Planungsrechte enthalte185. Der EuGH folgte dem zwar nicht, führte aber aus, dass eine Verpflichtung zur Überprüfung bestehender Baugenehmigungen ggf. auch auf Art. 6 Abs. 2 FFHRL gestützt werden könne186. In diesem Sinne hatte bereits die Generalanwältin Kokott in ihrem Schlussantrag ausgeführt: „Art. 6 Absatz 2 könnte daher möglicherweise auch angewendet werden, wenn bestehende Rechtspositionen geeignet sind, solche Verschlechterungen oder erhebliche Störungen auszulösen.“ Sie war dem jedoch nicht weiter nachgegangen, denn die Kommission hatte nicht in diesem Sinne vorgetragen187. Nimmt man eine diesbezügliche Handlungsverpflichtung an, wird diese jedoch durch den Vertrauensschutz begrenzt, bei dem es sich um einen allgemei___________ 183 Das hessische FFH-Gebiet „Laubacher Wald“ (5420-304) beispielsweise ist 9436,1 ha groß und weist auf ca. 55 ha Vorkommen prioritärer Lebensraumtypen auf, siehe Homepage des Hessischen Ministeriums für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz (http://www.hmulv.hessen.de). 184 EU-Kommission, (Fn. 155), S. 54. 185 ABl. der EU, Nr. C, 59/16. 186 Rs. C-6/04, Urt. vom 20. 10.2005, NuR 2006, 494 Tz. 59. 187 Rs. C-6/04, Schlussantrag der GA Kokott, NuR 2004, 587 Tz. 55.

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nen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts handelt188. In diesem Rahmen ist die so genannte „Legalisierungswirkung“ bestandskräftiger Genehmigungen189 zu berücksichtigen. Vom Vertrauensschutz umfasst sind danach die erheblichen Beeinträchtigungen von Lebensraumtypen und Arten, die von den Zulassungsbescheiden umfasst werden. Bei in Planfeststellungsverfahren zugelassenen Vorhaben geht dies im Hinblick auf § 75 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) sehr weit. Aber auch wenn das Vorhaben nach den Regeln der Eingriffszulassung genehmigt wurde, sodass für die Verletzung der Natur vom Verursacher ein Ausgleich zu leisten war, kann es durchaus problematisch sein, festzustellen, welche Beeinträchtigungen durch die Genehmigungsbescheide legalisiert werden und welche nicht. Die erhebliche Beeinträchtigung von Schutzgütern eines Natura 2000-Gebietes ist in solchen Fällen nur als eine spezifische naturschutzfachliche und -rechtliche Wertung der genehmigten Beeinträchtigung des Naturhaushalts anzusehen. Soweit das jeweilige Fachrecht, wie § 17 Bundesimmissionsschutzgesetz, nicht zu nachträglichen Anordnungen ermächtigt, wäre ein Vorgehen gegen die genehmigte „Störung“ nur unter der Voraussetzung des Widerrufs der Genehmigung, d.h. nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 oder 5 VwVfG möglich; freilich in der Regel nur um den Preis einer Entschädigungsleistung (§ 49 Abs. 6 VwVfG). Soweit jedoch eine Genehmigung ohnehin nur eine begrenzte Dauer hat, wie beispielsweise ein Hauptbetriebsplan nach § 52 Abs. 1 Bundesberggesetz, sollte im Regelfall dessen Ablauf abgewartet werden und die entsprechenden Erkenntnisse im neuen Verfahren berücksichtigt werden. Diese Sichtweise entspricht auch dem Wattenmeer-Urteil, in dem der EuGH von einem Vorrang der Verträglichkeitsprüfung im Verhältnis zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ausgegangen ist190.

IV. Fazit und eine Anmerkung zum Verhältnis des Gebietsschutzes zum Artenschutz der Naturschutzrichtlinien Natura 2000-Gebieten sind nach der Konzeption der FFH-RL eine Schutzkategorie eigener Art, deren einzelne Elemente gleichwohl aber im überkommenen deutschen Naturschutzrecht grundsätzlich bekannt sind. Sowohl für die künftige Administrierung der Gebiete als auch für die Fachplanung ist bedeut___________ 188

Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 2. Aufl., Baden-Baden 2005, S. LXXVII ff., 911 ff.; Craig/De Búrca, EU Law (Fn. 42), S. 380 ff. jeweils m.w.N. 189 BVerwGE 55,118, 121; Kloepfer, NuR 1987, 1, 13 ff. 190 Rs. C-127/02, NuR 2004, 788 Tz. 29, 37 f.

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sam, dass die Natura 2000-Schutzkonzeption anders als die von Naturschutzgebieten eine dynamische ist. Die Ausweisung als Schutzgebiet steht der Durchführung von Vorhaben daher als solche nicht entgegen, sondern macht sie von der Durchführung der Verträglichkeitsprüfung und ggf. des Vorliegens der Ausnahmevoraussetzungen abhängig. Dieses Schutzinstrument ähnelt der Eingriffsregelung des deutschen Naturschutzrechts, indem es die Integrität der Schutzgebiete bewahren soll. Dabei ist es jedoch in der Beschränkung auf die zu schützenden Objekte nach den Anhängen I und II der FFH-RL allerdings auf nur einen Teilbereich des Naturhaushalts beschränkt, den die Eingriffsregelung umfassend schützt191. Die beiden Instrumente unterscheiden sich jedoch in zwei wesentlichen Punkten: Entsprechend dem stärker wissenschaftlichen Ansatz der FFH-RL werden im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung wesentlich höhere fachliche Anforderungen gestellt, die sie – zumindest derzeit – zu einer nicht einfach zu überwindenden Hürde bei der Vorhabenzulassung machen. Auch sind die Zulassungsvoraussetzungen für nicht ausgeglichene Beeinträchtigungen nach dem Ausnahmeverfahren höher: § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG verlangt in Übereinstimmung mit Art. 6 Abs. 4 FFH-RL „zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“, während § 19 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG es genügen lässt, wenn die für das Vorhaben streitenden Belange denen des Naturschutzes „im Range vorgehen“. Zusammenfassend kann der Gebietsschutz daher als eine dynamische Schutzkonzeption beschrieben werden, die auf einen ökologisch-wissenschaftlichen Ansatz setzt, eine entsprechend den ökologischen Zielsetzungen hoheitlich geleitete Administrierung und Entwicklung der Gebiete verlangt und diese im Rahmen einer „qualifizierten Eingriffsregelung“ schützt. Der Ansatz von FFH- und die V-RL ist schutzgebietsbezogen, d.h. die Ziele der Richtlinien sollen in erster Linie durch das Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ verwirklicht werden. Die besondere Bedeutung des Netzwerks Natura 2000 und der zu seinem Schutz ergangenen Rechtsvorschriften wird jedoch relativiert, wenn nicht weitgehend aufgegeben, wenn dem Artenschutzrecht der Richtlinien von der jüngeren Rechtsprechung ein derart weitgehender Geltungsbereich zuerkannt wird. Im Hinblick auf den schutzgebietsbezogenen Ansatz ist es schlicht systemwidrig, wenn Arten, für die Schutzgebiete auszuweisen sind, nach den allgemeinen Vorschriften strenger geschützt werden als nach den spezifischen Regeln für Schutzgebiete nach Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFHRL: Der qualifizierte Gebietsschutz knüpft an der „erheblichen Beeinträchtigung“ an, das Artenschutzrecht ist demgegenüber seiner Natur nach eigentlich exemplarbezogen192. Die vom EuGH nunmehr anerkannte Möglichkeit, im Rahmen von Art. 16 Abs. 1 FFH-RL unter engen Voraussetzungen einzelne ___________ 191 192

Vgl. die Begriffsdefinition in § 10 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Vgl. BVerwG, Urt. vom 21.6.2006, Az. 9 A 28/05, NuR 2006, 779 Tz. 36.

Faktische Europäische Vogelschutzgebiete

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Exemplare und ihre Lebensstätten beeinträchtigende, im Hinblick auf den Erhaltungszustand aber neutrale Maßnahmen zuzulassen193, kann zwar bei Großvorhaben Erleichterung verschaffen. In der Masse der Fälle enthält das Artenschutzrecht aber höhere Zulassungsschranken als der Gebietsschutz. Auch wird der Regimewechsel nach Art. 7 FFH-RL ausgehöhlt, wenn alle unter Art. 1 VRL fallenden Vogelarten nach Art. 5 und 9 V-RL „im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten“ strenger geschützt werden als die im Anhang I V-RL aufgeführten Vogelarten, denen im System der V-RL durch die Ausweisung besonderer Schutzgebiete ein „besonderer Schutz“ zuteil werden soll194. Das Nebeneinander von Gebiets- und Artenschutz ist daher erkennbar systemwidrig und es greift zu kurz, darin schlicht „nichts Ungewöhnliches“ sehen zu wollen195. Da es auch gute Gründe dafür gibt, davon auszugehen, dass der Richtliniengeber dies so nicht gewollt hat196, bleibt zu hoffen, dass die Rechtsprechung zum Begriff der Absicht, als dem rechtsdogmatischen Ansatzpunkt, korrigiert wird.

___________ 193

EuGH, Urt. vom 14. Juni 2007, Rs. C-342/05. In Rs. C-57/89, Slg. 1991, I-883, Tz. 21 („Leybucht“) betonte der EuGH die besondere Bedeutung, die den Schutzgebieten im System der V-RL zukomme. 195 So Gassner, UPR 2006, 430. 196 Wolf, ZUR 2006, 505, 507; Müller, NuR 2005, 157, 161; Kautz, NuR 2007, 234, 236 f.; Gellermann, NuR 2003, 385, 394 sieht die Verträglichkeitsprüfung im Überschneidungsbereich von Anhang II und Anhang IV der FFH-RL als lex specialis. 194

Die Bedeutung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes für das Fachplanungsrecht Von Wolfgang Ewer Am 15.12.2006 ist das Umweltrechtsbehelfsgesetz in Kraft getreten. Die offizielle Lang-Bezeichnung Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG,1

lässt erkennen, dass es der Umsetzung gemeinschaftrechtlicher Vorgaben dient. Konkret geht es hierbei um die durch die Richtlinie 2003/35 nachträglich eingefügten Art. 10 a der UVP- und 15 a der IVU-Richtlinie, nach denen die Mitgliedsstaaten sicherzustellen haben, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit unter den im einzelnen genannten Voraussetzungen „Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten“.

Die Umsetzung ist verspätet erfolgt, da die Umsetzungsfrist bereits am 25.6.2005 abgelaufen war. Nach einem vorherigen Aufforderungsschreiben vom 28.7.2005 und einer mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 19.12. 2005 hat die Kommission dann im Juni 2006 das Vertragsverletzungsverfahren beim EuGH anhängig gemacht. Das Bestreben der Bundesregierung, ein Inkrafttreten des Gesetzes noch vor Ende des Jahres 2006 zu erreichen, hatte ihren Grund in einem Moratorium der Kommission, wonach in Fällen verspäteter Umsetzungen von Richtlinien, die bis zum 31.12.2006 erfolgen, keine Verhängung von Sanktionen erwirkt wird. Um die Bedeutung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes für das Fachplanungsrecht ermessen zu können, ist es von Bedeutung, – gegen welche Arten von Entscheidungen nach diesem Gesetz Rechtsbehelfe zulässig sind, ___________ 1

Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG vom 7.12.2006, BGBl. I. S. 2816.

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– unter welchen formellen und materiellen Voraussetzungen Verbände zur Einlegung von Umweltrechtsbehelfen befugt sind, – welche sonstigen Zulässigkeitsanforderungen bestehen, – wovon die Begründetheit von Umweltrechtsbehelfen abhängt, und – wie der schutznormakzessorische Ansatz sowie die Heilungsvorschriften des Gesetzes im Hinblick auf die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zu beurteilen sind.

I. Zum Kreis der zulässigen Verfahrensgegenstände § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG definiert den Anwendungsbereich des Gesetzes. Es soll hiernach Anwendung finden für Rechtsbehelfe – zum einen gegen Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die nach dem UVP, dem Bergrecht oder landesrechtlichen Vorschriften UVPpflichtig sind, und – zum anderen gegen BImSch-Genehmigungen für Spalte 1-Anlagen der 4. BImSchV, bestimmte wasserrechtliche Erlaubnisse und Planfeststellungsbeschlüsse für Abfalldeponien. Dabei dürfte der Gesetzgeber über die häufig geäußerte Absicht, gemeinschaftsrechtliche Vorgaben nur noch „1:1“ umzusetzen, hinausgegangen sein, indem er ohne gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung für UVP-pflichtig erklärte Vorhaben in den Anwendungsbereich einbezogen hat. Entsprechendes gilt für die Einbeziehung nicht IVU-pflichtiger Anlagen, die dennoch in Spalte 1 stehen. Aus diesem Grunde hat der Bundesrat vorgeschlagen, die Anwendbarkeit nach Nr. 2 auf solche Spalte 1-Anlagen zu beschränken, die auch von der IVU-Richtlinie erfasst werden.2 Eine solche Einschränkung würde aber in der Rechtspraxis zu erheblichen Normanwendungsproblemen führen. Aus diesem Grund sollte dem Vorschlag der Bundesregierung gefolgt werden und dieses Problem im Rahmen eines gesonderten Rechtssetzungsverfahrens dadurch ge-

___________ 2

Stellungnahme des Bundesrats und Gegenäußerung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz), BT-Drs. 16/2931, S. 1.

Die Bedeutung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes für das Fachplanungsrecht

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löst werden, dass solche Anlagen, die weder IVU- noch UVP-pflichtig sind, in Spalte 2 überführt werden.3 1. Nachträgliche Anordnungen zur Neufestlegung von Emissonsgrenzwerten Darüber hinaus ist besonders zu betonen, dass § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG Umweltrechtsbehelfe auch gegen Entscheidungen nach dem neuen § 17 Abs. 1 a BImSchG über nachträglichen Anordnungen zur Neufestlegung von Immissionsgrenzwerten zulässt, welcher durch das Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz in das Bundes-Immissionsschutzgesetz eingeführt wurde, das seinerseits ebenfalls der Umsetzung der Richtlinie 2003/35/EG dient. Dies geschieht vor dem gemeinschaftsrechtlich vorbestimmten Hintergrund, dass vor dem Erlass einer nachträglichen Anordnung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BImSchG, durch welche die Grenzwerte für Emissionen einer Spalte 1-Anlage neu festgelegt werden sollen, der die Anordnung im Entwurf öffentlich bekannt zu machen ist und Einwendungen im Sinne des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 1 und 2 BImSchG vorgebracht werden können.4 Die Schaffung dieser Möglichkeit von Umweltrechtsbehelfen gegen nachträgliche Anordnungen zur Neufestlegung von Immissionsgrenzwerten genehmigungsbedürftiger Anlagen stellt eine Neuerung dar, da hierdurch der Kreis der statthaften „Angriffsgegenstände“ von Umweltrechtsbehelfen nicht nur mehr Zulassungsentscheidungen umfasst, sondern darüber hinaus auf Aufsichtsmaßnahmen erstreckt wird. Dies stellt eine echte Besonderheit dar, da ansonsten Vollzugsentscheidungen keinen zulässigen Verfahrensgegenstand von Umweltrechtsbehelfen darstellen.5 2. Keine isolierte Anfechtbarkeit der Ergebnisse von Linienbestimmungs- und Raumordnungsverfahren Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 UmwRG bleiben neben § 44a VwGO auch § 15 Abs. 3 UVPG und § 16 Abs. 3 UVPG unberührt. Dies zielt auf zwei durch das ___________ 3 Stellungnahme des Bundesrats und Gegenäußerung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz), BT-Drs. 16/2931, S. 8. 4 Art. 2 Nr. 3 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für ein Gesetz über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35 (Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz) vom 4.9.2006, BT-Drs. 16/2492, S. 10. 5 Amtliche Begründung des Gesetzentwurfs, S. 10.

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Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz6 eingeführte Regelungen ab. Nach § 15 Abs. 5 UVPG kann „die Linienbestimmung nach § 16 Abs. 1 des Bundesfernstraßengesetzes und nach § 13 Abs. 1 des Bundeswasserstraßengesetzes […] nur im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die nachfolgende Zulassungsentscheidung überprüft werden“.

Eine entsprechende Regelung enthält § 16 Abs. 3 UVPG für das Ergebnis eines nach § 15 ROG durchgeführten Raumordnungsverfahrens. Diese Ergänzungen tragen den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen Rechnung, welche besagen, dass etwa die Linienbestimmung7 oder die Einhaltung raumordnungsrechtlicher Vorgaben8 nicht isolierter Klagegegenstand sein können, sondern nur im Anfechtungsrechtsstreit gegen den Planfeststellungsbeschluss inzident auf ihre Rechtmäßigkeit und auf die Auswirkungen etwaiger Rechtsmängel überprüft werden können. Zur Vermeidung von Gesetzesumgehungen sieht § 1 Abs. 1 Satz 2 UmwRG vor, dass das Gesetz auch Anwendung findet, wenn entgegen geltenden Rechtsvorschriften keine Entscheidung nach Satz 1 getroffen worden ist. Da abgesehen von der Anordnungen nach dem künftigen § 17a BImSchG betreffenden Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 keine auf den Erlass oder die Anfechtung von behördlichen Aufsichtsmaßnahmen gerichteten Rechtsbehelfe statthaft sind, – dürfte in derartigen Fällen für eine auf ein aufsichtsbehördliches Einschreiten gerichtete Verpflichtungs- oder Bescheidungsklage kein Raum sein, und – dürfte als zulässige Rechtschutzform mithin nur eine Feststellungsklage verbleiben.9 3. Ausschluss der Anfechtbarkeit von aufgrund verwaltungsgerichtlicher Urteile erlassenen Verwaltungsentscheidungen § 1 Abs. 1 Satz 4 UmwRG normiert, dass die Anfechtbarkeit der in Satz 1 genannten Entscheidungen oder etwaiger von Satz 2 erfasster Unterlassungen ___________ 6 Gesetz über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz) vom 9.12.2006, BGBl. I S. 2819. 7 BVerwG, Urt. vom 26.6.1981 – 4 C 5/78 –, BVerwGE 62, 342, 350. 8 BVerwG, Beschl. vom 15.7.2005 – 9 VR 43/04 –, Buchholz 406.14 § 4 ROG 1998 Nr. 1. 9 Amtliche Begründung des Gesetzentwurfs, S. 10.

Die Bedeutung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes für das Fachplanungsrecht

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dann nicht gilt, wenn eine Entscheidung im Sinne dieses Absatzes auf Grund einer Entscheidung in einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren erlassen worden ist. Diese Vorschrift, die § 61 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG nachgebildet ist,10 wirft verschiedene Probleme auf. Zunächst ist fraglich, ob der Rechtsbehelfsausschluss auch gilt, wenn die zuständige Behörde die Zulassungsentscheidung vor Eintritt der Rechtskraft eines vom Vorhabenträger erwirkten Verpflichtungsurteils erlässt. Hierauf geben die Gesetzgebungsmaterialien keine Antwort. Die Frage ist meines Erachtens jedoch zu verneinen, da man schon mit Blick auf § 167 Abs. 2 VwGO, also den gesetzlichen Ausschluss einer vorläufigen Vollstreckbarkeit des Verpflichtungsausspruchs eines verwaltungsgerichtlichen Urteils, wohl nur dann davon ausgehen kann, dass eine Zulassungsentscheidung „auf Grund einer Entscheidung in einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren erlassen worden ist“, – wenn der Erlass der Zulassungsentscheidung kausal auf denjenigen der gerichtlichen Entscheidung zurückzuführen ist und – wenn mithin diese ggf. vollstreckungsrechtlich durchsetzbar gewesen wäre. Auf den ersten Blick kommt diese Einschränkung auf rechtskräftige verwaltungsgerichtliche Entscheidungen den Umweltverbänden entgegen. Indes wird auf den zweiten Blick deutlich, dass eine Beachtung dieser Erkenntnis auch für die zuständige Behörde und den Vorhabensträger von erheblicher Bedeutung ist, da danach der Ausschluss der Anfechtbarkeit der Zulassungsentscheidung durch Umweltrechtsbehelfe nach § 1 Abs. 1 Satz 4 UmwRG nicht greift, wenn diese auch nur einen Tag vor Eintritt der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung erlassen wird. In diesem Fall würde es an dem Merkmal „auf Grund“ fehlen. Auch hier gilt daher der Grundsatz: Übertriebene Hektik führt selten zur Beschleunigung! Weiterhin ist zu klären, ob der Rechtsbehelfsausschluss als solcher mit den einschlägigen Richtlinienvorgaben vereinbar ist oder eine unzulässige Einschränkung der gemeinschaftsrechtlich determinierten Rechtsschutzmöglichkeiten darstellt. Ausgehen könnte man dabei von der Überlegung, dass es im Einzelfall trotz der Bindung aller Hoheitsträger an Recht und Gesetz zumindest theoretisch vorstellbar sein mag, dass sich Vorhabenträger und Zulassungsbehörde in informellen Gesprächen darauf verständigen, – dass der Zulassungsantrag von der Zulassungsbehörde mit einer evident fehlerhaften Begründung abgelehnt wird, und ___________ 10

Amtliche Begründung des Gesetzentwurfs, S. 11.

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– der Vorhabenträger daraufhin Klage erhebt und sich in deren Begründung ganz auf die Entkräftung des fehlerhaften Ablehnungsgrundes konzentriert, getragen von der gemeinsamen Hoffnung, dass das Verwaltungsgericht nicht unbeeindruckt von den von höchster Stelle ergangenen Appellen, keine ungefragten Fehlersuchen vorzunehmen, ohne tiefgehende Prüfung der Klage stattgeben möge, um dann „auf Grund“ dieses Urteils eine vor jeder Anfechtung durch Umweltrechtsbehelfe gefeite Zulassungsentscheidung erlassen zu können. Als Beispiel mag insofern vielleicht ein kommunalpolitisch höchst erwünschtes, aber umweltrechtlich nicht unkritisches Vorhaben und eine für die Zulassung eines Vorhabens zuständige kommunale Behörde dienen. Zur Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios ist vorwegschicken, dass es hierzu eigentlich nur kommen könnte, wenn auch von einer Öffentlichkeitsbeteiligung insgesamt abgesehen worden wäre, da sich anderenfalls Hinweise auf die entsprechende umweltrechtliche Problematik aus den für eine Umweltrechtsbehelfsfähigkeit nach § 2 Abs. 3 UmwRG ohnehin vorauszusetzenden Einwendungen und damit aus dem Verwaltungsvorgang entnehmen lassen würden, so dass sie vom Verwaltungsgericht schwerlich übersehen werden könnten. Dass das Gericht aber – das Erfordernis einer – im Einzelfall unterlassenen – Öffentlichkeitsbeteiligung und – die hierfür maßgebliche UVP- oder IVU-Pflichtigkeit als solche übersehen könnte, dürfte auch bei einem Verzicht auf ungefragte Fehlersuche schlechthin auszuschließen sein. Insbesondere aber ist zu bedenken, dass ausweislich – sowohl des zweiten Erwägungsgrundes als auch – einzelner anderer Vorschriften der Richtlinie 2003/35/EG (etwa Art. 2 Abs. 2 d), Art. 3 Nrn. 4 und 6, Art. 4 Nr. 3) die Einführung des Zugangs zu den Gerichten und damit der Umweltrechtsbehelfsfähigkeit im Sinne des Gesetzes maßgeblich darauf abzielt zu gewährleisten, dass die zuständigen Behörden die gemeinschaftlichen Umweltvorschriften einhalten, mithin das Handeln dieser Behörden und nicht etwa der Gerichte der Mitgliedsstaaten einer verstärkten Kontrolle durch die Öffentlichkeit unterworfen werden soll. Im Hinblick darauf ist von Gemeinschaftsrechtskonformität der in § 1 Abs. 1 Satz 4 UmwRG enthaltenen Ausschlussregelung auszugehen. Die dritte sich in diesem Kontext stellende Frage bezieht sich darauf, ob der Ausschluss der Rechtsbehelfsfähigkeit bei gerichtlichen Entscheidungen nach

Die Bedeutung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes für das Fachplanungsrecht

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§ 1 Abs. 1 Satz 4 UmwRG zum Erfordernis einer Beiladung von Umweltverbänden bei den zugrunde liegenden Betreiberklageverfahren führt. Im Ergebnis ist diese Frage aus meiner Sicht zu verneinen. Zunächst spricht gegen die Annahme einer obligatorischen Beiladung bereits der Umstand des Fehlens einer hierauf gerichteten ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Die Normierung einer solchen hätte aber mehr als nahegelegen, wenn der Gesetzgeber in den Fällen, in denen eine Umweltrechtsbehelfsfähigkeit nach § 1 Abs. 1 Satz 4 UmwRG ausgeschlossen ist, eine anderweitige prozessrechtliche Beteiligungsmöglichkeit für die in § 2 genannten Vereinigungen hätte eröffnen wollen. Ferner hat auch die Rechtsprechung die Beiladungsfähigkeit von Naturschutzverbänden verneint.11 Weiterhin spricht gegen eine generelle Verpflichtung zur Beiladung in entsprechenden Fällen auch der bereits erwähnte Umstand, – dass das Umweltrechtsbehelfsgesetz maßgeblich der Umsetzung der Vorgaben aus der Richtlinie 2003/35/EG zu dienen bestimmt ist,

– dass diese bezwecken will, dass die Öffentlichkeit durch Erleichterung der Zugangsmöglichkeit zum Gericht in stärkerem Maße als bisher sicherstellen kann, dass es durch die Zulassung von Vorhaben durch die zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten nicht zu einer Verletzung von Vorschriften des einschlägigen gemeinschaftlichen Umweltrechts kommt, und – dass es die Richtlinie daher nicht gebietet, prozessuale Handlungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit auch für den Fall vorzusehen, dass die zuständigen Behörden einem entsprechenden Zulassungsantrag für ein Vorhaben gerade nicht entsprechen, sondern diesen ablehnen, und dass die Entscheidung darüber, ob diese Ablehnung rechtens war, den Gerichten überantwortet ist. Schließlich streitet gegen die Annahme einer entsprechenden Beiladungspflicht die durch § 1 Abs. 1 Satz 4 UmwRG angeordnete Rechtsfolge selbst. Dies folgt daraus, dass es dann, wenn aufgrund des Umweltsrechtsbehelfsgesetzes Verbände i. S. d. § 2 UmwRG zu auf den Erlass von Entscheidungen gemäß § 1 Abs. 1 gerichtete Verwaltungsstreitverfahren stets beizuladen wären, der Normierung der Vorschrift gar nicht bedurft hätte, da – im Falle einer Beiladung die Verbände nach § 63 Nr. 3 VwGO Beteiligte des gerichtlichen Verfahrens wären, und

___________ 11

VGH Mannheim, Beschl. vom 4.3.1985 – 5 S 1899/84 –, UPR 1985, 223 f.

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– sie daher gemäß § 121 Nr. 1 VwGO ohnehin von der Bindungswirkung eines einer Betreiberklage stattgebenden rechtskräftigen Urteils erfasst werden würden, so dass ihnen in diesem Falle schon wegen des Prozesshindernisses anderweitiger Rechtskraft die Möglichkeit genommen wäre, gegen eine in dessen Vollzug erlassene Zulassungsentscheidung i. S. d. § 1 Abs. 1 UmwRG den Klageweg zu beschreiten.

II. Zur Verfahrensbefugnis von Vereinigungen § 2 UmwRG bestimmt, dass Vereinigungen, ohne eine Verletzungen in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Umweltrechtsbehelfe einlegen können, wenn sie entweder nach § 3 UmwRG anerkannt sind oder die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 UmwRG erfüllen. In dieser Hinsicht sind lediglich wenige Punkte erörterungsbedürftig, da die insoweit in § 3 UmwRG enthaltenen formellen und materiellen Voraussetzungen in weiten Teilen an § 59 BNatSchG angelehnt sind, so dass bei ihrer Auslegung auf die zur letzteren Bestimmung entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann. Nach Art. 3 Nr. 1 und Art. 4 Nr. 1 b der Richtlinie 2003/35/EG bleibt es ausdrücklich den Mitgliedsstaaten überlassen, die Voraussetzungen für die Anerkennung von Vereinigungen, denen ein Klagerecht zuerkannt wird, zu bestimmen. Da die in § 3 Abs. 1 Satz 2 UmwRG genannten Voraussetzungen sachgerecht sind, keinen diskriminierenden Charakter haben und zu keiner unangemessenen Beeinträchtigung des Zugangs zum Gericht führen, sind diese Regelungen unter gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. 1. Beschränkung auf privatrechtliche Vereinigungen Aus gemeinschaftsrechtlich vorgegebener Funktion der Kontrolle behördlicher – und damit staatlicher – Entscheidungen auf deren Vereinbarkeit mit dem gemeinschaftlichen Umweltrecht folgt, dass die Anerkennung im Hinblick auf den Grundsatz der staatsfreien und staatsfernen Sachwalterschaft nur Vereinigungen, die auf privatrechtlicher Grundlage gebildet sind, verliehen werden kann, nicht hingegen öffentlich-rechtlichen Zusammenschlüssen. Für das naturschutzrechtliche Verbandsklagerecht ist dies auch in der Rechtsprechung ausdrücklich anerkannt worden.12 ___________ 12 Vgl. am Beispiel des BNatSchG OVG Saarlouis, Beschl. vom 26.6.1985 – 2 R 269/83 –, NVwZ 1986, 320; Gassner, in: Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 59 Rn. 6.

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2. Einbeziehung von nicht rechtsfähigen Vereinigungen Die Beteiligungsfähigkeit von Vereinigungen im Rahmen des Umweltrechtsbehelfsgesetzes wird weder durch § 2 Abs. 1 und 2 noch durch § 3 UmwRG auf solche rechtsfähiger Art beschränkt. Aus diesem Grunde und ferner aufgrund der Systematik zum Naturschutzrecht, das in den §§ 58 Abs. 1, 60 Abs. 1, 61 Abs. 1 BNatSchG nur rechtsfähigen Vereinen die Anerkennung ermöglicht, als auch schließlich aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Zielsetzung, der Öffentlichkeit die gerichtliche Überprüfung entsprechender umweltrelevanter Entscheidungen zu ermöglichen, ist davon auszugehen, dass es sich insoweit um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers handelt. Dies entspricht im Übrigen dem allgemeinen Prozessrecht, das in § 61 Nr. 2 VwGO auch nicht rechtsfähigen Vereinigungen unter den dort genannten Voraussetzungen die Beteiligungsfähigkeit zuerkennt.13 3. Materielle Anforderungen an die Verfahrensbefugnis von Vereinigungen Durchaus von praktischer Relevanz ist, anders als bei der naturschutzrechtlichen Verbandsklage, die Beschränkung der Anerkennungsfähigkeit auf solche Vereinigungen, die nach ihrer Satzung ideell vorwiegend Ziele des Umweltschutzes fördern. Von einer Anerkennung ausgeschlossen werden insofern insbesondere von Gewerbetreibenden gebildete Vereinigungen, deren Mitgliedern es primär darum geht, zu verhindern, dass Mitbewerber aus einer Nichteinhaltung umweltschutzrechtlicher Vorgaben Wettbewerbsvorteile erzielen. Diese Regelung entspricht dem aus der Richtlinie 2003/35/EG abzuleitenden Verständnis, die Beteiligung der Verbände – im vierten Erwägungsgrund werden ausdrücklich „Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen“ genannt – als Unterfall der Beteiligung der Öffentlichkeit und damit als Wahrer von Allgemein- und nicht Partikularinteressen anzusehen. Diese Zielsetzung berücksichtigen auch die in § 3 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 UmwRG vorgesehenen Anerkennungsvoraussetzungen der Gemeinnützigkeit und der Eintrittsmöglichkeit für jedermann. Bezweckt wird hiermit, Mitwirkungsrechte, wie vom Bundesverwaltungsgericht für die vergleichbaren Be___________ 13 Zur Beteiligungsfähigkeit einer als nicht rechtsfähige Genossenschaft organisierten Wassergemeinschaft: BVerwG, Urt. vom 12.2.1997 – 11 A 66/95 –, Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 24; zu den Voraussetzungen der Beteiligungsfähigkeit einer nicht rechtsfähigen Vereinigung: VGH Mannheim, Beschl. vom 23.11.1973 – IV 275/73 –, ESVGH 24, 43 ff.; zur Beteiligungsfähigkeit einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts: VGH Mannheim, Beschl. vom 22.12.1992 – 8 S 2794/92 –, VBlBW 1993, 177.

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stimmungen des Naturschutzrechts festgestellt wurde, „nicht solchen Vereinen einzuräumen, die sich nur einem eingeengten, einseitig zusammengesetzten Kreis von Interessenten öffnen“ und „die einseitig an beruflichen, parteipolitischen oder vergleichbaren“, nicht auf den Umweltschutz bezogenen Kriterien orientiert sind.14 Die Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch den Verein darf außerdem nicht nur vorübergehend sein. In Kombination mit der in § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UmwRG normierten Mindestbestandsdauer einer Vereinigung von drei Jahren führt dies der Sache nach zum Ausschluss von ad hoc-Zusammenschlüssen. Nur Vereine, die allgemein die Ziele des Umweltschutzes oder bestimmter Teilbereiche des Umweltschutzes verfolgen und die mithin unabhängig von bestimmten Vorhaben agieren, werden daher die Möglichkeit haben, Rechtsbehelfe nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz geltend zu machen. Anerkennungsvoraussetzung ist gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UmwRG zudem, dass die Vereinigung eine „Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung bietet“, wobei „Art und Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit, der Mitgliederkreis sowie die Leistungsfähigkeit der Vereinigung zu berücksichtigen“ sind. Nicht vom Vorliegen der erforderlichen Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung wird man daher in Fällen ausgehen können, in denen eine Vereinigung zwar schon länger als die in Nr. 2 genannte Mindestzeit von drei Jahren besteht sie aber in dieser Zeit keinerlei nennenswerte Tätigkeiten in dem Aufgabenbereich, auf den sich ihr Anerkennungsantrag bezieht, ausgeübt hat. Da weiterhin gemäß § 3 Abs. 1 Satz 3 UmwRG in der Anerkennung der satzungsgemäße Aufgabenbereich, für den die Anerkennung gilt, zu bezeichnen ist, wird man verlangen müssen, dass Art und Umfang der bisherigen Tätigkeit zumindest teilweise in diesem erfolgt ist. 4. Das Verfahren der Anerkennung Im Falle einer Ablehnung eines Anerkennungsantrags ist gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 VwGO zunächst das Vorverfahren durchzuführen, da es sich bei dem nach § 3 Abs. 2 UmwRG für die Entscheidung über einen Anerkennungsantrag zuständigen Umweltbundesamt nur um eine Bundesoberbehörde und nicht um eine oberste Bundesbehörde handelt. Aufgrund des Charakters der Anerkennung als gebundener Entscheidung findet in einem nachfolgenden Klageverfahren im Wesentlichen eine Vollkontrolle statt. Eine Einschränkung gilt jedoch dann, wenn der Antrag mit der Begründung abgelehnt ist, dass der Antragsteller nicht die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UmwRG er___________ 14

BVerwG, Urt. vom 6.12.1985 – 4 C 55/82 –, BVerwGE 72, 277, 280.

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forderliche Gewähr bietet. Wegen des prognostischen Charakters dieser Voraussetzung beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung hier auf die Fragen, – ob die Behörde den maßgeblichen Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt hat, – ob sie die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte erkannt hat und – ob die Prognose der Behörde über den möglichen Verlauf der Entwicklung offensichtlich fehlerhaft ist.15 Zwar muss das Gericht bei der Beurteilung einer Verpflichtungsklage in der Regel auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner eigenen Entscheidung abstellen. Etwas anderes gilt nach der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung indes, wenn das anzuwendende materielle Recht vorschreibt, dass die Behörde eine Prognoseentscheidung zu treffen hat. In derartigen Fällen soll es nach besagter Rechtsprechung in der Natur der Sache liegen, dass der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Verwaltungsaktes maßgeblich ist.16 Da die Vorschriften über die Voraussetzungen und das Verfahren der Anerkennung erkennbar allein der Allgemeinheit und nicht einem spezifischen Kreis Dritter zu dienen bestimmt sind, ist eine stattgebende Anerkennungsentscheidung keiner Drittanfechtung zugänglich. Im Falle einer Anfechtungsentscheidung durch einen Umweltrechtsbehelf eines anerkannten Umweltverbandes wird daher insbesondere der beizuladende Vorhabenträger schon mangels diesbezüglicher Drittgerichtetheit nicht mit Aussicht auf Erfolg geltend machen können, dass die Anerkennung zu Unrecht erfolgt sei. 5. Zur Rechtsbehelfsfähigkeit von (noch) nicht anerkannten Vereinigungen Eine Vereinigung, die (noch) nicht nach § 3 UmwRG anerkannt ist, kann einen Umweltrechtsbehelf im Sinne des Gesetzes nur dann in wirksamer Weise einlegen, wenn die in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 UmwRG genannten Anforderungen vorliegen. Nach Nr. 1 ist in derartigen Fällen zu verlangen, dass nicht zu einem späteren Zeitpunkt im Laufe des Rechtsbehelfsverfahrens, son___________ 15 Vgl. die Urt. des BVerwG vom 15.4.1988 – 7 C 94/86 –, BVerwGE 79, 208, 213 f., und vom 27.11.1981 – 7 C 57/79 –, BVerwGE 64, 238, 242, sowie des VGH München vom 8.11.1995 – 4 B 95.1221 –, BayVBl 1996, 176, 177. 16 Vgl. BVerwG, Urt. vom 10.4.1997 – 2 C 11/96 –, Buchholz 270 § 18 BhV Nr. 3; anders noch das Urt. vom 15.4.1988 – 7 C 94/86 –, BVerwGE 79, 208, 214.

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dern bereits „bei Einlegung des Rechtsbehelfs“ die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt. Erhebt also beispielsweise ein im Januar 2007 gegründeter Umweltverband im Dezember 2009 Klage, so ist diese Klage schon wegen Nichterreichung der in § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UmwRG normierten Frist unzulässig und wird auch nicht im Januar 2010 nachträglich zulässig, weil die Vereinigung dann durch Zeitablauf die 3-Jahres-Frist erfüllt hat. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 UmwRG ist zusätzlich erforderlich, dass die Vereinigung einen Antrag auf Anerkennung gestellt hat und dass über diesen aus Gründen, die von ihr nicht zu vertreten sind, noch nicht entschieden ist. Hiervon wäre beispielsweise auszugehen, wenn eine Entscheidung über einen ordnungsgemäß gestellten und mit allen erforderlichen Nachweisen versehenen Antrag erst unangemessen lange Zeit nach Antragstellung getroffen wird; als Anhaltspunkt für die maßgebliche Zeitspanne kann insoweit der 3-Monats-Zeitraum aus § 75 Satz 2 VwGO herangezogen werden. Ob die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Satz 1 UmwRG vorliegen, ist von der Widerspruchsbehörde bzw. dem zuständigen Gericht der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die angegriffene Entscheidung i. S. d. § 1 UmwRG zu prüfen. Eine Aussetzung dieses Verfahrens bis zum bestandskräftigen Abschluss des Anerkennungsverfahrens muss bei privaten Vorhabenträgern regelmäßig schon im Hinblick auf das Gebot grundrechtssichernder Verfahrensgestaltung17 ausscheiden. Dieses würde nämlich verletzt werden, wenn der Prozess gegen die Zulassungsentscheidung nicht vorankommen könnte, weil in einem dritten Verfahren um die Frage des Vorliegens der Anerkennungsvoraussetzungen gestritten würde, mit der Folge, dass sich die Laufzeiten beider Verfahren addieren. Kommt es allerdings während des laufenden Umweltrechtsbehelfsverfahrens zu einer bestandskräftigen Ablehnung des Anerkennungsantrags, führt diese gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 UmwRG zur Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs.

III. Zu sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen Als weitere Voraussetzung der Zulässigkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs durch eine hierzu nach § 3 UmwRG anerkannte oder nach § 2 Abs. 2 UmwRG befugte Vereinigung normiert § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG u. a., dass diese geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften widersprechen, die dem Umweltschutz dienen, und die Rechte Einzelner begründen. ___________ 17

Vgl. hierzu grundlegend den Mülheim-Kärlich-Beschl. des BVerfG vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 –, BVerfGE 53, 30, 65.

Die Bedeutung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes für das Fachplanungsrecht

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1. Zum Erfordernis einer Verletzung von Vorschriften, die dem Umweltschutz dienen Unter Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen, sollen auch solche zu verstehen sein, „die nicht ausschließlich dem Umweltschutz dienen, sondern die beispielsweise sowohl dem Umweltschutz- als auch dem Arbeitsschutz dienen“.18 Dies ist zwar richtig; indessen beschränkt sich in diesem Falle die auf Grund eines Umweltrechtsbehelfs erwirkte gerichtliche Kontrolle auf den umweltschutzbezogenen Teil. 2. Zum schutznormbezogenen Rechtsschutzansatz Die Beschränkung der Umweltrechtsbehelfsfähigkeit auf Vorschriften, die Rechte Einzelner begründen, war im Gesetzentwurf des BMU aus der vorhergehenden Legislaturperiode noch nicht enthalten. Betrachtet man die Gesamtgenese der Regelung, so spricht viel dafür, – dass die Elternstellung des Bundesumweltministers – mangels Bestreitens der Vaterschaft – insoweit eine bloß fiktive ist und dieser – wie mancher betrogene Schicksalsgenosse – lediglich gute Miene zum bösen Spiel macht, – dass hingegen die wahren und offenbar deutlich potenteren Erzeuger der Vorschrift in ganz anderen Häusern residieren, und – dass als Kreißsaal für die – angesichts der anderenfalls westwärtig drohenden Koliken – frühzeitig eingeleitete Geburt kurzfristig der Sitzungssaal für Ressortabstimmungen herhalten musste. Als „Geburtshelfer“ fungierte dabei maßgeblich Prof. von Danwitz, der die im Ergebnis Gesetz gewordene Regelung in einem Gutachten für die deutsche Elektrizitätswirtschaft konzipiert hatte.19 Die Beschränkung der Umweltrechtsbehelfsfähigkeit auf Verstöße gegen Vorschriften, die Rechte Einzelner begründen, erscheint problematisch und

___________ 18

So ausdrücklich die amtliche Begründung zum Gesetzentwurf, S. 12. von Danwitz, Zur Ausgestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten bei Einführung der Verbandsklage anerkannter Umweltschutzverbände nach den Vorgaben der Richtlinie 2003/35/EG und der sog. Aarhus-Konvention, Rechtsgutachten für den VdEW e. V., Köln, Oktober 2006. 19

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dürfte jedenfalls dann nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein, wenn man sie im Sinne der zu § 42 Abs. 2 VwGO entwickelten Schutznormtheorie verstehen würde. In diesem Falle würde nämlich die durch die Verbände zu repräsentierende Öffentlichkeit auf diejenigen Klagemöglichkeiten beschränkt werden, die Nachbarn zur Verfügung stehen. Dies macht augenfällig ein Beispiel deutlich: Würde der Gesetzgeber die Regelungen über die naturschutzrechtliche Verbandsklage nicht fortgelten lassen, würden die Naturschutzverbände gestützt auf das Umweltrechtsbehelfsgesetz keine einzige altruistische Verbandsklage erheben können, mit der eine Verletzung von Vorschriften des materiellen Umweltrechts – etwa des europäischen Naturschutzrechts – geltend gemacht wird, da derartige Vorschriften gerade keine Rechte Einzelner begründen. Im Übrigen würde eine Anwendung der zu § 42 Abs. 2 VwGO entwickelten Maßstäbe dazu führen, dass der gesamte Vorsorgebereich der gerichtlichen Kontrollmöglichkeit der Öffentlichkeit entzogen wäre. Bedenkt man jedoch, dass der zugrunde liegende gemeinschaftsrechtliche Rechtssetzungsbefehl u. a. in Art. 15a der IVU-Richtlinie normiert ist und dass maßgebliche Regelungsgegenstände dieser Richtlinie – das Vorsorgeprinzip (hervorgehoben an vorrangiger Stelle – nämlich im Erwägungsgrund 1), – der Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung (Erwägungsgrund 9) und – die Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt (Erwägungsgrund 16) sind, so liegt es auf der Hand, dass eine solche Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten mit dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers nicht vereinbar ist.

IV. Geltung der fachrechtlichen Präklusionsvorschriften § 2 Abs. 3 UmwRG regelt, dass die Vereinigung, wenn sie im Verfahren nach § 1 Abs. 1 UmwRG Gelegenheit zur Äußerung gehabt hat, mit allen Einwendungen ausgeschlossen ist, die sie im Verfahren nach § 1 Abs. 1 UmwRG nicht oder nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können. Hierin ist ein Verweis auf die Einwendungsfristen des jeweils einschlägigen Verwaltungsverfahrens- bzw. Fachrechts, beispielsweise § 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG, zu erblicken. Mit der ausdrücklichen Anordnung eines Einwendungsausschlusses durch § 2 Abs. 3

Die Bedeutung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes für das Fachplanungsrecht

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UmwRG wird zugleich der Streit darüber, ob die Präklusionsvorschriften des Fachrechts auch bei Verbandsklagen anwendbar sind, obsolet.20

V. Zur Begründetheit von Umweltrechtsbehelfen Nach § 2 Abs. 5 Nr. 1 UmwRG ist ein Umweltrechtsbehelf begründet, wenn die angegriffene Zulassungsentscheidung gegen dem Umweltschutz dienende Rechtsvorschriften verstößt, die „Rechte Einzelner begründen“ und „für die Entscheidung von Bedeutung sind“. Aus dieser Verknüpfung folgt das Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen der Rechtswidrigkeit und der Verletzung individueller Rechte. Nicht zur Begründetheit eines Umweltrechtsbehelfs kann daher führen, dass eine Zulassungsentscheidung aufgrund von anderen Rechtsverstößen als solchen gegen drittschützende Normen rechtswidrig ist.21 Eine besondere Ausprägung hat dieser Grundsatz für Umweltrechtsbehelfe gegen UVP-pflichtige Bebauungspläne gefunden. Hier gilt nach § 2 Abs. 5 Nr. 2 UmwRG die Besonderheit, dass die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags hier ausnahmsweise nicht zu einer umfassenden objektiven Rechtskontrolle führt,22 sondern dass der Nomenkontrollantrag nur dann Erfolg haben kann, wenn die Festsetzungen des Bebauungsplans gegen Rechtsvorschriften verstoßen, „die dem Umweltschutz dienen“ und „Rechte Einzelner begründen“, und wenn „der Verstoß Belange des Umweltschutzes berührt, die zu den von der Vereinigung nach ihrer Satzung zu fördernden Zielen gehören“. Dabei dürfte ein non liquet darüber, ob ein vorliegender Verstoß gegen drittschützende Umweltschutzvorschriften auf das Abwägungsergebnis von Bedeutung gewesen ist, nach allgemeinen Grundsätzen zu Lasten des Antragstellers gehen.

___________ 20 Verneinend hinsichtlich § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG bei Klagen von Naturschutzvereinen BVerwG, Urt. vom 17.5.2002 – 4 A 28/01 –, DVBl. 2002, 1486, 1487. 21 Vgl. hierzu einerseits die Stellungnahme des Bundesrats und andererseits die Gegenäußerung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz), BT-Drs. 16/2931, S. 2 bzw. 10. 22 Vgl. zu der ansonsten im Normenkontrollverfahren inhaltlich uneingeschränkt bestehenden objektiven Rechtskontrolle BVerwG, Beschl. vom 28.10.2004 – 4 BN 44/04 –, zit. n. juris.

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VI. Zu den Heilungsvorschriften des § 4 UmwRG Die in § 4 UmwRG enthaltenen Möglichkeiten zur Heilung von Verfahrensfehlern dürfte mit dem einschlägigen Gemeinschaftsrecht vereinbar sein. Hiervon ist deshalb auszugehen, – weil Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35/EG von den Mitgliedsstaaten lediglich verlangen, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit instandgesetzt werden, in einem gerichtlichen oder sonstigen rechtsförmlichen Überprüfungsverfahren „die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten“ (Hervorhebung durch den Verfasser), – weil mithin nicht verlangt wird, dass dieses Verfahren im Falle einer erfolgreichen Anfechtung zwingend mit einer Aufhebung der Zulassungsentscheidung endet, – weil dem im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie formulierten Ziel, eine Beachtung der gemeinschaftlichen Umweltvorschriften zu erwirken, auch dadurch Rechnung getragen werden kann, dass bestimmte fehlerhafte Verfahrenshandlungen nachgeholt werden, sofern und soweit hierdurch der mit ihnen intendierte Zweck erreicht werden kann, und – dass deswegen auch unter teleologischen Gesichtspunkten nicht davon ausgegangen werden kann, dass den sich aus der Richtlinie ergebenden Anforderungen nur dadurch entsprochen werden kann, dass der nationale Gesetzgeber bei Verstößen gegen wesentliche Verfahrensvorschriften des UVPRechts als Rechtsfolge ausnahmslos die Aufhebung der angefochtenen Zulassungsentscheidung anordnet. Etwas anderes folgt auch nicht aus der UVP-Richtlinie. Zwar schreibt deren Art. 2 Abs. 1 vor, dass die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, damit „vor Erteilung der Genehmigung“ die UVP-pflichtigen Vorhaben einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. Jedoch hat der Europäische Gerichtshof zu der Frage, „welche Tragweite die Verpflichtung hat, dem Unterlassen einer Umweltverträglichkeitsprüfung des in Rede stehenden Projekts abzuhelfen“ in der Delena Wells-Entscheidung festgestellt: „Begrenzt durch den Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, sind derartige Maßnahmen beispielsweise die Rücknahme oder die Aussetzung einer bereits erteilten Genehmigung zu dem Zweck, eine Umweltverträglichkeitsprüfung des in Rede stehenden Projekts im Sinne der Richtlinie 85/337 durchzuführen.“23

___________ 23

EuGH, Urt. vom 7.1.2004 – Rs. C-201/02 –, Rn. 65 – Hervorhebung durch den Verfasser.

Die Bedeutung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes für das Fachplanungsrecht

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Auch das Abstellen auf eine bloße „Aussetzung“ – und nicht Aufhebung – der Zulassungsentscheidung spricht für die Vereinbarkeit der in § 4 UmwRG vorgesehenen Möglichkeit einer nachträglichen Heilung entsprechender Verfahrensverstöße mit den einschlägigen Vorgaben des Gemeinschaftsrechts.

VII. Abschlussbemerkung Im Hinblick auf die Art der anfechtbaren Entscheidungen, den Kreis der anfechtungsbefugten Vereinigungen und den Umstand, dass nicht nur mehr nur naturschutzrechtliche Vorschriften, sondern auch sonstige dem Umweltschutz dienende Bestimmungen Maßstabsnormen sind, ist schon jetzt absehbar, dass das Umweltrechtsbehelfsgesetz von erheblicher Bedeutung für die Praxis des Fachplanungsrechts sein wird. Dabei spricht viel dafür, dass es im Hinblick auf den mit Art. 15a der IVU-Richtlinie und Art. 10a der UVP-Richtlinie erkennbar intendierten Umfang der gerichtlichen Kontrolle entsprechender Zulassungsentscheidungen durch die Öffentlichkeit über kurz oder lang dazu kommen wird, dass sich die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit damit werden auseinandersetzen müssen, – ob ein Verständnis des Begriffs der Umweltrechtsvorschriften, „die Rechte Einzelner“ begründen, im Sinne der deutschen Schutznormtheorie mit den Anforderungen an eine richtlinienkonforme Umsetzung vereinbar ist, und – ob verneinendenfalls die Möglichkeit besteht, diesen Begriff in einer Weise auszulegen, der den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen genügt, insbesondere es ermöglicht, auch vorsorgerechtliche Vorschriften hierunter zu subsumieren. Sollte Letzteres verneint werden, so bliebe, um dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts Geltung zu verschaffen, wohl nur der Weg einer Vorlage an den EuGH, sofern dieser nicht schon zuvor aufgrund eines Vertragsverletzungsverfahrens mit der Materie befasst werden wird. Das Thema „Umweltrechtsbehelfsgesetz“ wird daher auch künftig an Spannung nicht verlieren.

Monitoring bei der Durchführung von Plänen und Programmen der Raumordnung – Überlegungen zur planungspraktischen Umsetzung der Anforderungen der SUP-Richtlinie Von Theophil Weick

I. Prüfung der Umweltauswirkungen als Baustein einer prozessintegrierten Vermeidungsstrategie Die Ausgestaltung der konkreten, planungspraktischen Umsetzung des Monitorings hängt ebenso wie die Ausgestaltung der Umsetzung der Prüfung der Umweltauswirkungen von dem zugrunde liegenden Planungsverständnis ab. Zentrale Aufgabe der Raumordnung ist die Umsetzung der Leitvorstellung nachhaltiger Raumentwicklung über die Koordination der siedlungs- und freiraumorientierten Nutzungsansprüche sowohl in qualitativer Hinsicht (Zuordnung und Verteilung der Art der Nutzung) als auch in quantitativer Hinsicht (Maß der Zuordnung und Verteilung). Wesentliche Zielsetzung hierbei ist die Erzeugung nachhaltiger Raumnutzungsmuster i.S. einer räumlichen Gesamtkonzeption, die zum einen ausreichenden Freiraum erhält, zum anderen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen besiedelter und unbesiedelter Fläche sichert und damit die Voraussetzung für eine ausreichende Umweltqualität schafft, die wiederum Voraussetzung für die Realisierung der Daseinsgrundfunktionen des Menschen ist (Funktionsbedingung).

___________

Überarbeiteter Auszug aus: Theophil Weick: Überlegungen zur planungspraktischen Umsetzung, in: Theophil Weick, Christian Jacoby, Stefan M. Germer (Hrsg.): Monitoring in der Raumplanung. Ansätze zur Überwachung der Umweltauswirkungen bei der Plandurchführung. Beispiele aus Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland. Erscheint 2007 in der Reihe Arbeitsmaterialien der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL). Auszugsweise Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Verlages der ARL.

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Theophil Weick

Dabei muss sichergestellt werden, dass x auf Ebene der Regionalplanung nur das gesteuert wird, was auf dieser Ebene auch zu steuern ist und nicht anderweitig besser gesteuert werden kann, x auf Ebene der Regionalplanung nur dann gesteuert wird, wenn Zieladressaten benannt werden können, x auf Ebene der Regionalplanung nur dann gesteuert wird, wenn das einsetzbare Instrumentarium auch hinreichende Steuerungswirkung zeitigt oder erwarten lässt. Die Prüfung der Umweltauswirkungen zielt demnach insbesondere auf räumlich und sachlich hinreichend konkrete, umwelterhebliche Standort-, Trassen- und Gebietsausweisungen, die den Rahmen setzen für UVP-pflichtige Vorhaben. Dabei muss es sich bei den Ausweisungen um Ziele der Raumordnung und ggf. – soweit räumlich konkretisiert – um Grundsätze handeln. Weitere Planinhalte werden nicht schwerpunktmäßig der Umweltprüfung unterworfen. Kern der Prüfung der erheblichen Umweltauswirkungen ist dabei – neben der Überprüfung des jeweiligen Handlungsansatzes – die Ausgestaltung der methodischen Vorgehensweise bei der Festlegung der Standort-, Trassen- und Gebietsausweisungen i.S. einer iterativen Kalibrierung des ausweisungssteuernden Kriterienbündels mit dem Ziel, erhebliche Umweltauswirkungen zu vermeiden, zu vermindern sowie ggf. auszugleichen1. Darüber hinaus dient die Prüfung der Umweltauswirkungen der Vorbereitung der Abwägungsentscheidung. Umweltauswirkungen sind daher nur in dem Umfang zu ermitteln, wie sie für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungserheblichkeit)2.

___________ 1

Hierzu vgl. Weick, T. (2005): Erste Erfahrungen mit der Umweltprüfung auf Ebene der Regionalplanung, in: Spannowsky, W.; Krämer, T. (Hrsg.): Die aktuellen Änderungen des BauGB sowie des ROG 2004 und die Auswirkungen auf die Praxis. Köln u.a., S. 73-80 sowie Weick, T. (2005): Schlanker Plan mit integrierter Umweltprüfung. Das Beispiel Westpfalz, in: Ziekow, J. (Hrsg.): Aktuelle Probleme des Fachplanungs- und Raumordnungsrechts 2004. Berlin, S. 311–324. 2 Vgl.: Stüer, B. (2005): Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts. 3. Auflage. München, Rdn. 828, S. 318.

Monitoring bei Plänen und Programmen der Raumordnung

261

Prüfung der Umweltauswirkungen als Baustein einer prozessintegrierten Vermeidungsstrategie Handlungsansatz mit Alternativenwahl zur Ausweisung von ...

Maßnahmen (entspr. RL-Anh. I; Bst. g)

JA Methodische Vorgehensweise Ermittlung und Festlegung von Ausweisungskriterien unter Einbeziehung von Umweltzielen (entspr. RL-Anh. I, Bst. e)

Abwägung und raumordnerische Transformation

NEIN

Erhebliche Umweltauswirkungen (entspr. RL-Anh. I Bst. f)

Prüfung der Umweltauswirkungen - Scoping - Generelle Abschätzung zur Bestimmung der Prüfkriterien für die - Tabellarische Gebietsprüfung

Ausweisung als ...

© PGW 07-2006

Abb. 1: Prüfung der Umweltauswirkungen als Baustein einer prozessintegrierten Vermeidungsstrategie

Von der Ausgestaltung der methodischen Vorgehensweise zu unterscheiden ist die Ausgestaltung der Abwägung, die nach den materiellrechtlichen Anforderungen der entsprechenden Belange zu erfolgen hat. D.h. unabhängig von der expliziten Einbeziehung von Umweltzielen sind alle abwägungsrelevanten Belange gleichgewichtig in den Abwägungsvorgang einzustellen. Erst in der Abwägungsentscheidung erfolgt die ebenen- und schutzgutspezifische Gewichtung; eine – von fachlicher Seite problematisierte3 – Veränderung des materiellen Gewichts der Umweltbelange geht mit der Umweltprüfung nicht einher. Während also in den Abwägungsvorgang alles einzustellen ist, was nach Lage der Dinge eingestellt werden muss, und alles miteinander und gegenein___________ 3

Vgl. Ritter, E.-H. (2005): Planungscontrolling: Konsequenz aus der Pflicht zur Strategischen Umweltprüfung, in: DÖV 2005, S. 931 f.

Theophil Weick

262

ander abzuwägen ist, geht es in der SUP um die Prüfung bestimmter erheblicher Auswirkungen des Plans oder Programms auf die Umwelt sowie um deren Vermeidung, Verminderung und ggf. Ausgleich (eingegrenzte Prüfung)4. Dabei geht es weder um die Prüfung sämtlicher Umweltauswirkungen noch gar um die Prüfung der Berücksichtigung sämtlicher Umweltziele. Die Ermittlung der zum Abwägungsmaterial gehörenden Umweltbelange wird begrenzt durch die Angemessenheit, Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit5.

II. Monitoring als Instrument zur Überwachung der Plandurchführung 1. Gegenstand und Ziel des Monitorings Gegenstand des Monitorings sind ausschließlich die erheblichen Umweltauswirkungen und zwar nur soweit sie aufgrund der Durchführung der Pläne und Programme eintreten; in erster Linie wird es sich um unvorhergesehene erhebliche Umweltauswirkungen handeln6. Ziel ist es, diese zu ermitteln, um in der Lage zu sein, geeignete Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Diese Abhilfemaßnahmen werden in erster Linie für nachfolgende fachplanerische Entscheidungen oder im Rahmen der Bauleitplanung in Betracht kommen bzw. in Zulassungsverfahren. Sie können aber auch zu einer Änderung bzw. Fortschreibung des Raumordnungsplans führen7. Bezüglich der „Durchführung der Pläne und Programme“ ist Folgendes anzumerken: Zwar dient die Überwachung i.d.R. der Feststellung der nutzungsbedingten Umweltauswirkungen und knüpft somit an den Zeitpunkt der Nutzungsaufnahme an8. Bedingt aber durch die hierarchische Stufung des deutschen Systems der räumlichen Gesamtplanung ist Durchführung gerade der höherstufigen Pläne und Programme schwerpunktmäßig immer Verwirklichung im nachfolgenden Verwaltungshandeln9 – und keine – wie auch immer geartete ___________ 4

Vgl. Schink, A. (2005): Umweltverträglichkeitsprüfung / Umweltprüfung, in: ARL (Hrsg.): Handwörterbuch der Raumordnung. Hannover, S. 1191 (1198). 5 Vgl. Stüer (Fn. 2), Rdn. 829, S. 318. 6 Bielenberg, W.; Runkel, P.; Spannowsky, W.; Reitzig, F.; Schmitz, H. (2005): Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder. Textsammlung und Kommentar. Berlin, RN 90. 7 Ebenda, RN 91. 8 Vgl. Bunzel, A. (2006): Monitoring in der Bauleitplanung, in: Naturschutz und Landschaftsplanung, H. 6, S. 180. 9 So auch Peters, H.-J.; Balla, S. (2006): UVPG-Kommentar. Baden-Baden, Rdn. 10 zu § 14 m, S. 282.

Monitoring bei Plänen und Programmen der Raumordnung

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– baulich-physische Umsetzung. Die Planverwirklichung findet in nachgelagerten Verfahren und/oder auf nachgelagerten Ebenen statt: Im Regelfall sind dies das Raumordnungsverfahren, fachrechtliche Zulassungsverfahren sowie die Verfahren der Bauleitplanung. Zwar lassen sich tatsächliche Umweltauswirkungen in ihrer Gesamtheit erst dann zuverlässig ermitteln, wenn auch die baulich-physische Umsetzung erfolgt ist; ein – eventuell Jahre dauerndes – Abwarten führt allerdings dazu, dass negative Umweltauswirkungen zu spät erkannt werden, um geeignete Abhilfemaßnahmen ergreifen zu können10. Sind aufgrund der Durchführung des Plans oder Programms erhebliche negative Umweltauswirkungen zu erwarten, so sind Maßnahmen zu benennen, die geplant sind, um diese Auswirkungen zu verhindern bzw. zu vermeiden. Von Bedeutung hierbei ist, dass es sich unter dem zugrundeliegenden prozessualen Planungsverständnis bei Vermeidungsmaßnahmen ausschließlich um die Ausgestaltung des Handlungsansatzes, einschließlich der Alternativenprüfung sowie der methodischen Vorgehensweise, handelt – also eine Änderung der Planfestlegung selbst darstellt – und nicht eine – wie auch immer gestaltete – Behandlung ihrer Auswirkung. Die Erheblichkeit bemisst sich dabei nach den im Rahmen der Umweltprüfung angelegten Maßstäben, die dort unter Heranziehung der entsprechenden Umweltschutzziele gem. Buchst. e des Anhangs I der SUP-RL planungsebenen-, gebiets- und schutzgutspezifisch festgelegt worden waren; die Anwendung der naturschutzfachlichen Begrifflichkeit scheidet daher aus. Unter unvorhergesehenen Umweltauswirkungen werden Umweltauswirkungen verstanden, die nach Umfang, Schwere (Maß) und ggf. Art von den Prognosen der Umweltprüfung abweichen. Während Maß also abstellt auf den prognostizierten Grad der Erheblichkeit (unerheblich/gering), stellt Art ab auf die unter der apodiktischen Annahme (erheblich/unerheblich) erstellte Prognose, wonach keine Erheblichkeit konstatiert wurde. 2. Durchführung des Monitorings Um unvorhergesehene negative Umweltauswirkungen bei der Durchführung eines Plans oder Programms rechtzeitig erkennen zu können, erscheint es zweckmäßig,

___________ 10

Roder, M. (2004) : Anforderungen der SUP-Richtlinie an ein Monitoring für Pläne und Programme, in: Bunzel, A.; Frölich, F.; Tomerius, S. (Hrsg.): Monitoring und Bauleitplanung – neue Herausforderungen für Kommunen bei der Überwachung von Umweltauswirkungen. Berlin, S. 16.

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– die Festlegungen, für die unter Berücksichtigung geplanter Verminderungsund Ausgleichsmaßnahmen keine verbleibenden erheblichen Auswirkungen prognostiziert wurden, dem Monitoring zu unterwerfen; hierbei geht es um die Überprüfung der Prognose hinsichtlich Umfang und Schwere der Umweltauswirkungen (Maß der Umweltauswirkungen) in Verbindung mit der Überwachung der Umsetzung der Verminderungs- und Ausgleichsmaßnahmen; daneben – die weiteren in der SUP schwerpunktmäßig untersuchten Festlegungen, für die – auch ohne den Einsatz von Verminderungs- und Ausgleichsmaßnahmen – keine verbleibenden erheblichen Auswirkungen prognostiziert wurden, dem Monitoring zu unterziehen; hierbei geht es in erster Linie um die Überprüfung der Prognose hinsichtlich Umfang und Schwere der Umweltauswirkungen (Maß der Umweltauswirkungen); sowie darüber hinaus – für sonstige Festlegungen, für die von vornherein im Rahmen des Scopings keine Erheblichkeit angenommen worden war und die deshalb in der Umweltprüfung nicht schwerpunktmäßig geprüft wurden, das Ergebnis des Scopings im Hinblick auf den ermittelten Prüfungsumfang der Umweltprüfung einem Plausibilitätstest zu unterziehen; hierbei geht es in erster Linie um die Evaluierung der Schwerpunktsetzung bei der Umweltprüfung (Art der Umweltauswirkungen). Für als verbleibend prognostizierten erheblichen Umweltauswirkungen ist das Monitoring hinsichtlich Umfang und Schwere (Maß) der Umweltauswirkungen obligatorisch. Liegen plan- oder programmaffine Monitoringergebnisse bzw. Erkenntnisse aus der SUP der nachgelagerten Ebene bzw. Verfahren vor, sind diese von den jeweiligen Behörden gemäß § 14m Abs. 3 UVPG auf Verlangen zur Verfügung zu stellen und vom Träger der überörtlichen Gesamtplanung zu berücksichtigen. Wie eingangs festgestellt, sind Gegenstand des Monitorings ausschließlich die Umweltauswirkungen, die aufgrund der Durchführung der Pläne und Programme eintreten. Voraussetzung für das Monitoring ist somit stets, dass ein nachweisbarer kausaler Zusammenhang zwischen beobachtbaren Umweltveränderungen und den Festlegungen von Plänen und Programmen angenommen werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es ausdrücklich nicht Aufgabe des Monitorings ist, Wissens- und Forschungslücken zu füllen.

Monitoring bei Plänen und Programmen der Raumordnung

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Das Monitoring erfordert auch nicht, dezidiert die Berücksichtigung von sämtlichen vorliegenden Umweltzielen über eine permanente und systematische Umweltbeobachtung11 zu überprüfen. Die für die Raumordnung bedeutsamen Umweltziele haben bei der Gestaltung der Kriterien zur Ausweisung von Festlegungen in den Plänen und Programmen einzufließen („ausweisungssteuernde Kriterienbündel“); damit wird angestrebt, den Grad der Erheblichkeit der Umweltauswirkungen von Planfestlegungen zu minimieren. Die Überwachung der Berücksichtigung der Umweltziele ist somit integraler Bestandteil des Ausweisungsprozesses. Umweltauswirkungen, die sich aufgrund von Abweichungen von den Vorgaben höherstufiger Pläne und Programme oder aufgrund ihrer Nichtbeachtung ergeben, stellen keine Umweltauswirkungen i.S. der SUP-RL dar und unterliegen damit nicht dem Monitoring dieser Pläne und Programme12. Denn: Abweichungen bedürfen eines förmlichen Verfahrens, das seinerseits die Umweltauswirkungen zu betrachten hat, wohingegen Nichtbeachtung schlicht als nicht gesetzeskonformer Akt zu qualifizieren ist. Ebenso wie bei der SUP selbst ist beim Monitoring von Plänen und Programmen ein besonderes Augenmerk auf die Überwachung kumulativer, d.h. vorhabenübergreifender Umweltauswirkungen zu legen. Die Vorgehensweise hat sich (z.B. hinsichtlich geeigneter Bezugsräume und Parameter) an der entsprechenden Methodik der Umweltprüfung zu orientieren. Für die Intensität des Monitorings gilt der Grundsatz, dass die Überwachung der Umweltauswirkungen bei der Durchführung des Plans sich an dem Detaillierungsgrad des Plans und seiner Stellung im Kontext des Planungssystems zu orientieren hat – im vorliegenden Fall an der Prüfung der Umweltauswirkungen eines schlanken und effektiven Plans als Baustein einer prozessintegrierten Vermeidungsstrategie. Zeiträume oder Intervalle, in bzw. zu denen die Überwachung durchzuführen ist, geben SUP-RL, UVPG oder ROG nicht vor; der Bezug zu „bei der Durchführung der Pläne und Programme“ verweist auf ein einzelfallbezogenes aktives Monitoring bei der Planverwirklichung im Verwaltungshandeln auf nachgelagerter Ebene bzw. in nachgelagerten Verfahren. Generell sollte die Überwachung in ein Planevaluierungskonzept zur Fortschreibung des Gesamtplanes eingebunden werden13. ___________ 11 Eine gegenteilige Auffassung vertritt Ritter (Fn. 3) S. 935, wobei er diese Auffassung herleitet durch eine m.E. nicht zulässige Gleichsetzung von systematischem Umweltmonitoring und Überwachung; hier S. 931. 12 Roder (Fn. 10) S. 19. 13 Vgl. auch Peters/Balla (Fn. 9), Rdn. 14 zu § 14m, S. 283.

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M onitoring als Instrum ent zur Ü berwachung der Plandurchführung

Ü berprüfung der Prognose hinsichtlich Um fang und Schw ere der U m weltausw irkungen (M aß der U m w eltauswirkungen) i.V. m it der Ü berw achung der Um setzung der Verm inderungsund Ausgleichsm aßnahm en

Überprüfung der Prognose hinsichtlich Umfang und Schwere der Um weltauswirkungen (Maß der Um weltauswirkungen)

Überprüfung der Festlegung des Untersuchungsrahmens - Plausibilitätstest des Scopings (Art der Umweltauswirkungen) Berücksichtigung plan- oder program m affiner Monitoringergebnisse nachgelagerter Ebenen bzw. Verfahren sowie sonstiger Erkenntnisse aus Umweltprüfverfahren, soweit sie im Zusam menhang mit der Plandurchführung stehen © PG W 07-2006

Abb. 2: Monitoring als Instrument zur Überwachung der Plandurchführung

3. Monitoring als integraler Teil der Planevaluierung Wie dargestellt, zielt das Regelwerk der SUP-RL im Kern auf die Ermittlung und Bewertung der aufgrund der Plandurchführung eintretenden erheblichen Umweltauswirkungen einschließlich der Benennung von Maßnahmen zu deren Vermeidung, Verminderung und Ausgleich sowie der Beschreibung von Maßnahmen zur Überwachung der Umweltauswirkungen. Wie – ebenfalls – dargestellt, kann der Gesamtansatz zur Umweltprüfung unter Beachtung der zeitlichen Abfolge der Einzelaktivitäten zerlegt werden in eine Prüfung der Umweltauswirkungen als prozessintegrierte Vermeidungsstrategie und in eine zeitlich nachgelagerte Überprüfung von Maß und Art der Umweltauswirkungen sowie der Überwachung der Umsetzung der Verminderungs- und Ausgleichsmaßnahmen. Bei der zeitlich vorgelagerten Aktivität kann man auch von einer ex-anteEvaluation sprechen, im Falle der zeitlich nachgelagerten Aktivität von einer laufenden bzw. ex-post-Evaluation14. ___________ 14

Vgl. Wollmann, H.: Evaluation, in: ARL (Hrsg.) (2005): Handwörterbuch der Raumordnung. Hannover, S. 274 f.

Monitoring bei Plänen und Programmen der Raumordnung

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So gesehen, stellt sich das Monitoring als integraler Bestandteil einer Planevaluierung dar. Prüfung der Umweltauswirkungen als Baustein einer prozessintegrierten Vermeidungsstrategie Handlungsansatz mit Alternativenwahl zur Ausweisung von ...

Maßnahmen (entspr. RL-Anh. I; Bst. g)

JA Methodische Vorgehensweise Ermittlung und Festlegung von Ausweisungskriterien unter Einbeziehung von Umweltzielen (entspr. RL-Anh. I, Bst. e)

Abwägung und raumordnerische Transformation

NEIN

Erhebliche Umweltauswirkungen (entspr. RL-Anh. I Bst. f)

Prüfung der Umweltauswirkungen - Scoping - Generelle Abschätzung zur Bestimmung der Prüfkriterien für die - Tabellarische Gebietsprüfung

Ausweisung als ...

Monitoring als Instrument zur Überwachung der Plandurchführung

Überprüfung der Prognose hinsichtlich Umfang und Schwere der Umweltauswirkungen (Maß der Umweltauswirkungen) i.V. mit der Überwachung der Umsetzung der Verminderungs- und Ausgleichsmaßnahmen

Überprüfung der Prognose hinsichtlich Umfang und Schwere der Umweltauswirkungen (Maß der Umweltauswirkungen)

Überprüfung der Festlegung des Untersuchungsrahmens - Plausibilitätstest des Scopings (Art der Umweltauswirkungen) Berücksichtigung plan- oder programmaffiner Monitoringergebnisse nachgelagerter Ebenen bzw. Verfahren sowie sonstiger Erkenntnisse aus Umweltprüfverfahren, soweit sie im Zusammenhang mit der Plandurchführung stehen

© PGW 07-2006

Abb. 3: Monitoring als integraler Bestandteil der Planevaluierung

Ziele und Konzentrationszonen in der Raumordnung Von Dieter R. Anders

I. Einleitung – Zur Funktionsweise von Konzentrationszonen Die Träger der Regionalplanung versuchen, Windkraftanlagen und Abgrabungen über Konzentrationszonen in Regionalplänen zu steuern. Für privilegierte Vorhaben ist die vom Bundesgesetzgeber Ende der 90er-Jahre geschaffene Möglichkeit zur Festlegung von Konzentrationszonen unter dem Begriff Planungsvorbehalt1 oder Darstellungsprivileg2 im Zusammenhang mit § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB bekannt geworden. Vorhaben im Außenbereich, die dort eigentlich privilegiert zulässig sind, sollen auf bestimmte Bereiche konzentriert werden. Konzentration in diesem Sinne bedeutet, dass diese Vorhaben nur noch in den Konzentrationsbereichen zugelassen werden dürfen, im übrigen gesamten Planungsraum – außergebietlich – aber verboten sind. Es geht um Flächenkontingentierung. Ganz überwiegend ist Raumplanung eine auf positive Festlegungen ausgerichtete Angebotsplanung. Vorranggebiete gehören nach der Grundkonzeption des § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ROG zu den positiven Festlegungen. Zwangsläufig ist mit dem Vorrang auch die negative Aussage verbunden, dass auf der betroffenen Fläche Nutzungen ausgeschlossen sind, die mit dem Vorrang unvereinbar sind. Die Vorrangaussage erstreckt sich auf die durch das Vorranggebiet betroffene Fläche. Sie wirkt sowohl positiv als auch negativ nur nach innen. Konzentrationsfestlegungen enthalten ebenfalls positive und negative Aussagen. Im Unterschied zu den Vorrangfestlegungen betrifft die negative Aussage hier jedoch nicht nur die Fläche, auf die sich auch die positive Aussage bezieht. Sie beschränkt sich auch nicht nur auf ein Verbot für unvereinbare Nut___________ 1

Zur Terminologie BVerwG, Urt. vom 13.3.2003, Az.: 4 C 4.02; BVerwGE 118, 33 = NuR 2003, 493 (494); BVerwG, Urt. vom 17.12.2002, Az.: 4 C 15.01, BVerwGE 117, 287; OVG Münster, Urt. vom 19.5.2004, Az.: 7 A 3368/02, Juris-Dok.-Nr.: MWRE204011998. 2 So BVerwG (Fn. 1); BVerwG, Urt. vom 19.9.2002, Az.: 4 C 10.01, BVerwGE 117, 44 = NuR 2003, 283.

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zungen. Die negative Aussage erstreckt sich bei der Konzentrationszone vielmehr auf die ansonsten vorrangige Nutzung selbst: Weil die konzentrierte Nutzung innerhalb der Konzentrationszone zulässig ist, ist sie außerhalb im gesamten Planungsraum verboten. Positive und negative Komponente bedingen einander3. Gerade in dieser nach außen wirkenden Verbotskomponente liegt das Charakteristikum der Konzentrationsfestlegung. Im Folgenden geht es nur um Fälle, in denen der Plangeber eine Konzentrationszone festlegen, also einem Vorranggebiet zusätzlich die außergebietliche Ausschluss- bzw. Verbotswirkung beilegen will. Da Konzentrationsfestlegungen außerhalb der Vorranggebiete ausschließlich negativ wirken, gelten an ihre Rechtfertigung besondere Anforderungen in Bezug auf die erforderliche Ermächtigungsgrundlage und die planerische Rechtfertigung.

II. Erforderlichkeit einer Ermächtigungsgrundlage Mit Einführung der Möglichkeit zur Festlegung von Konzentrationsfestlegungen zum 1.1.1997 stellte sich die Frage, ob eine spezielle gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist und welche Rechtsnormen den entsprechenden Anforderungen genügen4. Dass es einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf, wird generell nicht infrage gestellt. Das Erfordernis hierzu besteht wegen der von der Ausschlusswirkung betroffenen Grundeigentümer kraft Grundrechtswesentlichkeit bzw. weil der Übergriff des Trägers der Regionalplanung in die gemeindliche Planungshoheit aus Art. 28 Abs. 2 GG rechtfertigungsbedürftig ist5. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung zu Konzentrationsfestlegungen vom 13.3.2003 der noch beispielsweise vom

___________ 3 So BVerwG (Fn. 1), NuR 2004, 493 (494); BVerwG (Fn. 1), DVBl. 2003, 797 (799). 4 Statt vieler Anders/Collisy/Jankowski, Zulässigkeit von Abgrabungen außerhalb der Abgrabungsbereiche in Gebietsentwicklungsplänen – Ist der Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk Düsseldorf teilunwirksam?, (2001), S. 8 ff. und S. 11 ff.; Anders/Jankowski, ZUR 2003, 81 (82 f.); Bartlsperger, in: ARL (Hrsg.), Novellierung des Landesplanungsrechts, Nr. 266 (2000), S. 119 (123 f.; 129 f.; 144 f.); Schmidt, Wirkung von Raumordnungszielen auf die Zulässigkeit privilegierter Außenbereichsvorhaben, 1997, S. 98 ff. (insbesondere 106 ff., 150 f.); dies., DVBl. 1998, 669 (675 f.); Spiecker, BayVBl. 2001, 673 (681). 5 So VG Köln, Urt. vom 22.8.2006, Az.: 14 K 1718/03, n. v., UA, S. 12 f.

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8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Münsters vertretenen Auffassung6, dass § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB eine Ermächtigungsgrundlage für den Durchgriff des Trägers der Regionalplanung ins Bodenrecht liefere, eine klare Absage erteilt7. Auch das Raumordnungsgesetz8, das als Rahmenrecht der landesrechtlichen Umsetzung bedurfte, enthält erkennbar keine Ermächtigungsgrundlagen für Konzentrationsfestlegungen9. Es kommt insoweit auf das jeweils geltende Landesplanungsrecht an. Mit dem Inkrafttreten landesrechtlicher Normen können Rechtsgrundlagen geschaffen worden sein, wenn sie sich an den Gebietstypen des § 7 ROG orientieren10. Das ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Köln in Nordrhein-Westfalen mit der Neufassung des am 7.5.2005 in Kraft getretenen LPlG NRW geschehen. Denn § 13 Abs. 5 Satz 1 LPlG NRW 2005 berechtigt die Plangeber zur Festlegung von Vorrang- und Eignungsgebieten11. Die Frage, ob die Vorschriften der Vorgängerfassung des LPlG NRW aus dem Jahre 2001 die erforderliche Ermächtigungsgrundlage enthielten, ist für Konzentrationszonen von Bedeutung, die noch auf seiner Grundlage festgelegt worden sind. Denn das LPlG NRW findet in der Fassung von 2001 noch auf Pläne Anwendung, deren Aufstellung bis zum 20.7.2004 förmlich eingeleitet und bis zum 20.7.2006 abgeschlossen war (§ 51 Satz 3 LPlG NRW 2005). Dies trifft für die Gebietsentwicklungspläne Düsseldorf und Köln zu. Gemäß § 11 LPlG NRW 2001 wurden die Grundsätze und Ziele der Raumordnung und Landesplanung unter anderem in Gebietsentwicklungsplänen dargestellt12. Gemäß § 14 Abs. 1 LPlG NRW 2001 legten die Gebietentwicklungspläne auf der Grundlage des LEPro NRW und des LEP NRW die regionalen Ziele der Raumordnung und Landesplanung im Planungsgebiet fest13. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine spezielle landesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht erforderlich, wenn sich aus dem übrigen Landesplanungsrecht hinreichend bestimmt ableiten lässt, dass der Landesgesetzgeber auch Konzentrationsentscheidungen im Sinne von ___________ 6

So OVG Münster, Urt. vom 13.6.2002, Az.: 8 A 480/01, NuR 2003, 47 (49); VGH Kassel, Urt. vom 12.9.2000, Az.: 2 UE 924/99, NVwZ-RR 2001, 300 (301); ähnlich VG Lüneburg, Urt. vom 8.7.2003, Az.: 2 A 62/02, Juris-Dok.-Nr.: MWRE115100300. 7 BVerwG (Fn. 2), NuR 2003, 493 (494). 8 § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ROG i. V. m. § 7 Abs. 4 Satz 2 ROG. 9 Vgl. Anders/Collisy/Jankowski (Fn. 4), S. 8 ff. 10 So OVG Münster, Urt. vom 10.7.2003, Az.: 20 A 4257/99 (Kiesurteil I), JurisDok.-Nr.: JURE060015413, UA, S. 32 f. 11 Vgl. VG Köln (Fn. 5), S. 12 ff. 12 § 11 LPlG NRW 2001. 13 § 14 Abs. 1 LPlG NRW 2001.

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§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB hat zulassen wollen14. Für die §§ 11 und 14 LPlG NRW 2001 ist dies aber zu verneinen15. Der 20. Senat des Oberverwaltungsgerichts Münster hat die Frage bisher nicht beantwortet16. Das Verwaltungsgericht Köln hat die Auffassung, nach der die §§ 11 und 14 LPlG NRW 2001 keine Ermächtigungsgrundlage enthielten, in eingehender Auseinandersetzung bestätigt17. Es führt unter anderem aus, dass die darin enthaltene allgemeine Ermächtigung zur Planung mangels Bestimmtheit nicht den Anforderungen an Ermächtigungsgrundlagen genügt. Angesichts der mit einem gesamträumlichen Abgrabungsverbot verbundenen Eingriffsintensität genügt eine bloß allgemeine Ermächtigung zur Planung nicht. Dahinter steht die – zutreffende – Ansicht, dass eine allgemeine Ermächtigung zur Planung weder die Folgen des Eingriffs für die Betroffenen vorhersehbar werden lässt, noch die Reichweite des Eingriffs determiniert. Für seine Auffassung verweist das Verwaltungsgericht Köln auf den Bundes- sowie den Landesgesetzgeber in Nordrhein-Westfalen, die für Konzentrationsfestlegungen eine besondere, nicht lediglich allgemeine Ermächtigungsgrundlage für erforderlich halten. Beleg dafür sei zum einen die neu geschaffene entsprechende Ermächtigung im LPlG NRW 2005 selbst und die Existenz des § 7 Abs. 4 Satz 2 ROG n. F. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln ist nicht rechtskräftig. Eine Positionierung des Oberverwaltungsgerichts Münster zur Frage der Ermächtigungsgrundlage ist nur zwingend, wenn die zur Überprüfung gestellten Konzentrationsfestlegungen ansonsten den insoweit geltenden rechtlichen Anforderungen entsprechen. Da das Verwaltungsgericht Köln die Unwirksamkeit des Abgrabungsverbots im GEP Köln 2001 nicht allein auf die fehlende Ermächtigungsgrundlage gestützt hat, ist die Positionierung des Oberverwaltungsgerichts Münster mit Spannung zu erwarten.

III. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Konzentrationsfestlegungen Bevor ich auf zwei Beispiele zur Festlegung von Konzentrationszonen eingehe, bietet sich an, die Aussagen des Bundesverwaltungsgerichts zur Festlegung von Konzentrationszonen darzustellen, die es seit seiner grundlegenden Entscheidung vom 13.3.200318 getroffen hat. ___________ 14 15 16 17 18

So BVerwG (Fn. 1), NuR 2003, 493 (494). So Anders/Collisy/Jankowski, a.a.O. (Fn. 4), S. 8 ff. Vgl. OVG Münster (Fn. 10), S. 32 f. Vgl. VG Köln (Fn. 5), S. 12 f. BVerwG (Fn. 1).

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1. Kein Verstoß gegen höherrangiges Recht Danach war von Anfang an selbstverständlich, dass Konzentrationsfestlegungen nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen dürfen19. Dazu gehören etwa die Vorgaben des Landesplanungsrechts, die sich in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel aus dem Landesentwicklungsprogramm (LEPro) und dem Landesentwicklungsplan (LEP NW) ergeben20. 2. Gesamträumliches Planungskonzept Zentrale Forderung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein schlüssiges, gesamträumliches Planungskonzept, das sich sowohl auf die Positiv- als auch die Negativbereiche zu erstrecken hat. Will der Träger der Regionalplanung – Plangeber – privilegierte Außenbereichsvorhaben auf bestimmte Bereiche konzentrieren und sie ansonsten im gesamten Planungsraum generell ausschließen, muss er den Außenbereichsvorhaben in diesen Bereichen in substanzieller Weise Raum schaffen21. Der Plan muss sicherstellen, dass sich die gesamträumlich außergebietlich ausgeschlossenen Vorhaben innergebietlich gegenüber konkurrierenden Nutzungen durchsetzen22. Ich erlaube mir, diesen Zusammenhang mit dem Begriff Substanzgebot zu umschreiben. Die erforderliche positive Durchsetzungskraft und Fähigkeit, zur Erfüllung des Substanzgebots beizutragen, weisen nur Vorrang-, nicht Vorbehaltsgebiete auf23. Vorbehaltsgebiete vermitteln der ausgeschlossenen Nutzung im Rahmen der gebotenen Bilanzierung von Positiv- und Negativflächen24 gerade nicht die erforderliche positive Durchsetzungskraft und sind deswegen auch nicht fähig, zur Erfüllung des Substanzgebots beizutragen. Ob eine Konzentrationsfestlegung dem Substanzgebot genügt, ist nach einer quantitativen und qualitativen Betrachtung zu beurteilen25. Es kommt nicht entscheidend auf die Größenordnung an, in der Konzentrationszonen festgelegt ___________ 19

(800).

Vgl. BVerwG (Fn. 1), NuR 2003, 493 ff.; BVerwG, (Fn. 1), DVBl. 2003, 797

20 Vgl. OVG Münster, Urt. vom 24.5.2006, Az.: 20 A 1612/04 (Kiesurteil II), JurisDok.-Nr.: JURE060086722, UA, S. 34 f. 21 BVerwG (Fn. 1), NuR 2003, 493 (497). 22 BVerwG (Fn. 21). 23 BVerwG (Fn. 21); so auch schon VGH Kassel (Fn. 6), NVwZ-RR 2001, 300 (303). 24 BVerwG (Fn. 21). 25 Vgl. zum Flächennutzungsplan zusammenfassend OVG Lüneburg, Urt. vom 8.11.2005, Az.: 1 LB 133/04, hier zit. nach Juris-Dok.-Nr.: MWRE105930600.

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sind. Größen sind, isoliert betrachtet, als Kriterium ungeeignet26. Maßgeblich sind die tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Planungsraum. Die festgelegten Flächen sind nicht nur ins Verhältnis zur Größe des Planungsraums zu setzen, sondern auch zur Größe der Teile des Planungsraums, in denen die Verwirklichung der konzentrierten Nutzung – aus welchen planerisch tragfähigen Gründen auch immer – nicht in Betracht kommt27. Ausschlaggebend ist einerseits, dass der Plangeber kontingentieren darf und nicht verpflichtet ist, der konzentrierten Nutzung maximalen Raum zu verschaffen. Andererseits ist eine substanzielle Festlegung dann aber nicht mehr gewährleistet, wenn Anhaltspunkte die Annahme stützen, der Plangeber suche unter dem Deckmantel der Kontingentierung und Steuerung die Nutzung zu verhindern und weise nur zum Schein reine Feigenblätter aus28. Wo die Grenze zur unzulässigen Negativplanung verläuft, lässt sich nicht abstrakt bestimmen29. Die Planung muss überdies den allgemeinen Anforderungen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots gerecht werden30. Das Bundesverwaltungsgericht geht in Übereinstimmung mit dem überwiegenden Schrifttum hinsichtlich der gebotenen Abwägungsdichte31 davon aus, dass der Plangeber den Sachverhalt grundsätzlich detailliert zu ermitteln und die betroffenen Belange im Detail abzuwägen hat32. Der Plangeber kann sich allerdings zur Vereinfachung der Sachverhaltsermittlung der Typisierung und Unterstellung bedienen33. 3. Weiße Flächen Die Abwägung hat bei der Konzentrationsplanung grundsätzlich jeden potenziell geeigneten Teilraum einzuschließen. Blendet die Abwägung Teilräume aus, tritt die erstrebte gesamträumliche Ausschlusswirkung grundsätzlich nicht ein,34 und es verbleibt bei der innergebietlichen positiven Wirkung der Vor___________ 26

BVerwG (Fn. 1), BVerwGE 117, 287 (295). Siehe Fn. 25. 28 Siehe Fn. 25. 29 BVerwG (Fn. 1), BVerwGE 118, 33 (47). 30 BVerwG (Fn. 21); vgl. zum Flächennutzungsplan BVerwG (Fn. 1), NuR 2003, 365 (367); OVG Münster (Fn. 20), S. 34. 31 Dazu im Einzelnen Hoppe, in: Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, 2. Aufl. (2003), § 7 Rdn. 2; ders., DVBl. 2003, 1345 (1349 f.; 1353 f.); Hendler, UPR 2003, 256 (259); Anders/Jankowski (Fn. 4). 32 Vgl. BVerwG (Fn. 1), BVerwGE 118, 33 und die Angaben in Fn. 31. 33 So BVerwG (Fn. 1), NuR 2003, 493; dazu Anders, NuR 2004, 635; zu Prognosen des Plangebers VGH Mannheim, Urt. vom 6.11.2006, Az.: 3 S 2115/04, ZUR 2007, 92. 34 Für den Flächennutzungsplan vgl. BVerwG, Urt. vom 21.10.2004, Az.: 4 C 2.04, NVwZ 2005, 211 (212); OVG Münster, Beschl. vom 8.3.2004, Az.: 7 A 2391/03, ZfIR 2004, 395. 27

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rangfestlegungen. Die Abwägung ist ferner nicht nur auf die positiv festgelegten, sondern auch auf die ausgeschlossenen Standorte zu erstrecken35. Für eine gesamträumliche Ausschlusswirkung muss auch die Abwägung gesamträumlich sein. Gegenüber der Auffassung, dass das gesamte Planungskonzept wie ein Luftballon zerplatzt und die Ausschlusswirkung entfällt, wenn im Plangebiet nicht abschließend abgewogene weiße Flecken oder weißen Flächen auftreten36, hat das Bundesverwaltungsgericht eine differenzierte Position eingenommen37. Die Ausschlusswirkung kann auch dann eintreten, wenn der Plangeber zwar nicht für jede Fläche im Planungsraum eine regionalplanerische Entscheidung getroffen hat, er der konzentrierten Nutzung in den Vorrangbereichen aber gleichwohl substanziell Raum verschafft hat38. Die weißen Flächen dürfen mit anderen Worten nicht erforderlich sein, um der konzentrierten Nutzung substanziell Raum zu verschaffen. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts scheidet es aber aus, solche weißen Flächen als positive Konzentrationsflächen zu bilanzieren und als Gegengewicht zu den Ausschlussflächen auf die Waagschale zu legen39. Abgesehen von den Anforderungen des Substanzgebots darf der Verzicht des Plangebers auf eine regionalplanerische Entscheidung für bestimmte weiße Flächen nicht das gesamträumliche Planungskonzept infrage stellen. Über Flächen, die zur Erfüllung des Substanzgebots nicht erforderlich sind und keinen Einfluss auf das gesamträumliche Planungskonzept haben, kann der Plangeber von einer Entscheidung absehen. Kommt einer Fläche allerdings Bedeutung für den gesamten Planungsraum zu, darf der Plangeber sie aus dem gesamträumlichen Planungskonzept nicht ausblenden. Deswegen kommen manche Bereiche im Planungsraum als zulässige weiße Flächen in Betracht, während andere von vornherein für einen Entscheidungsverzicht ausscheiden. Der Preis für zulässige weiße Flächen besteht darin, dass die Ausschlusswirkung lediglich außerhalb der Vorrangbereiche, nicht aber auch auf den weißen Flächen eintritt40. Denn der Plangeber hat gerade keine Entscheidung ge___________ 35

Vgl. BVerwG (Fn. 1), NuR 2003, 493 (494). So Stüer, DVBl. 2005, 687 (691); wohl ebenso OVG Lüneburg (Fn. 25). 37 Vgl. BVerwG, Beschl. vom 28.11.2005, Az.: 4 B 66.05, NuR 2006, 504 (505); zum Flächennutzungsplan BVerwG (Fn. 34); vgl. a. OVG Koblenz, Urt. vom 6.2.2002, Az.: 8 A 11089/01, Juris-Dok.-Nr.: JURE 060008517. Vgl. a. OVG Münster, Urt. vom 24.5.2006, Az.: 20 A 1612/04, Juris-Dok.-Nr.: JURE060086722, UA, S. 37 zur nach landesrechtlichen Vorgaben erforderlichen Flächenreserve. 38 BVerwG (Fn. 37). 39 So wörtlich BVerwG, Urt. vom 21.10.2004, Az.: 4 C 2.04, DVBl. 2005, 379 (381). 40 Vgl. BVerwG (Fn. 37); OVG Koblenz, Urt. vom 8.3.2004, Az.: 8 A 11520/03, NuR 2004, 465 (466); OVG Koblenz (Fn. 37). 36

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troffen, die der Verwirklichung der konzentrierten Nutzung auf einer weißen Fläche als regionalplanerisches Verbot entgegensteht. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren trifft die Darlegungs-, Substantiierungs- bzw. materielle Beweislast dafür, dass der konzentrierten Nutzung trotz weißer Flächen gesamträumlich in substanzieller Weise Raum verschafft worden ist, die Behörde, die sich auf die Ausschlusswirkung beruft. Sie hat darzulegen, dass der konzentrierten Nutzung im Planungsraum gleichwohl substanziell Raum verschafft worden ist und trotz fehlender Abwägung des Plangebers hinsichtlich der weißen Flächen ein gesamträumliches Planungskonzept gleichwohl vorliegt.

IV. Die Entwicklung der Konzentrationsplanung am Beispiel der Gebietsentwicklungspläne Düsseldorf und Köln Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts lassen sich exemplarisch an den Regionalplänen für die Regierungsbezirke Düsseldorf und Köln illustrieren. Dabei werde ich mich im Wesentlichen auf einige der Planungsmängel beschränken, die von der Rechtsprechung gerügt worden sind. Diese Mängel stehen der Wirksamkeit der Konzentrationsplanung beider Regionalpläne entgegen und verhindern den Eintritt der jeweiligen gesamträumlichen Ausschlusswirkung. Wenn im Folgenden von Gebietsentwicklungsplänen die Rede ist, so liegt dies daran, dass man die Regionalpläne in Nordrhein-Westfalen bis zur Anpassung an den Sprachgebrauch der anderen Bundesländer im Jahre 2005 als Gebietsentwicklungspläne bezeichnete. Das wird auch gegenwärtig noch für die Regionalpläne der Regierungsbezirke Düsseldorf und Köln so gehandhabt. 1. GEP Düsseldorf 1999 Auf die Konzentrationsplanung im Regierungsbezirk Düsseldorf reagierte das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit seinem Urteil vom 8.7.199941. Das Gericht leitete einen zwingenden Versagungsgrund aus dem Umstand ab, dass die beantragte Nassabgrabung außerhalb der Abgrabungsbereiche lag, die im Gebietsentwicklungsplan Düsseldorf von 1986 festgelegt waren. ___________ 41

VG Düsseldorf, Urt. vom 8.7.1999, Az.: 8 K 2684/97, n. v.

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a) Weder Vorranggebiete noch Abwägung der Negativbereiche In seiner als Kiesurteil I bekannt gewordenen Berufungsentscheidung vom 10.7.2003 hat das Oberverwaltungsgericht Münster die Behörde unter Aufhebung des vorbezeichneten Urteils zur Neubescheidung des Abgrabungsantrags verpflichtet42. Während des Berufungsverfahrens hatte der GEP Düsseldorf 1999 den bisher gültigen GEP Düsseldorf 1984 abgelöst und diesen funktionslos werden lassen. Dem GEP Düsseldorf 1999 hat das Oberverwaltungsgericht Münster die Ausschlusswirkung abgesprochen, weil die für Abgrabungen positiven Festlegungen lediglich als Vorbehaltsgebiete ausgestaltet waren43. Erst als Vorranggebiete entfalten sie nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster die erforderliche Durchsetzungskraft gegenüber anderen Nutzungen und genügen den Anforderungen an Ziele der Raumordnung im Sinne des § 3 Nr. 2 ROG. Das Oberverwaltungsgericht diagnostizierte zudem eine defizitäre Abwägung, da unter anderem eine Berücksichtigung der Belange der von der Ausschlusswirkung Betroffenen nicht – und zwar schon konzeptionell nicht – erfolgt war44. Das Kiesurteil I veranlasste den Regionalrat in Düsseldorf zur 32. und 34. Änderung des GEP Düsseldorf 1999. Der Regionalrat beschränkte sich bei der Beseitigung der vom Oberverwaltungsgericht Münster gerügten Mängel jedoch darauf, die Vorbehaltsgebiete zu Vorranggebieten umzuetikettieren. Eine erneute Abwägung – insbesondere hinsichtlich der von der Ausschlusswirkung betroffenen Grundstücke – erfolgte nicht. b) Verstoß gegen höherrangiges Landesrecht Weitere Mängel des GEP Düsseldorf 1999 hat das Oberverwaltungsgericht Münster am 24.5.2006 obiter dicta im Kiesurteil II angesprochen45. Der GEP Düsseldorf 1999 verstößt dieser Rechtsprechung zufolge auch nach seiner 32. und 34. Änderung eindeutig gegen höherrangiges Landesplanungsrecht, weil er eine zentrale Forderung des Landesentwicklungsplans NordrheinWestfalen (LEP NRW) nicht erfüllt. Der LEP NRW verlangt vom Plangeber die Erarbeitung einer so genannten Reservegebietskarte46, die Ausgangspunkt für die Fortschreibung der Abgrabungsbereiche und nach dem Kiesurteil II des Oberverwaltungsgerichts Münster Grundlage für die langfristige Bewältigung ___________ 42 43 44 45 46

OVG Münster (Fn. 10). OVG Münster (Fn. 10), S. 29, 31 ff., 36 f. OVG Münster (Fn. 10), S. 38 ff. OVG Münster (Fn. 20). Ziel C.IV.2.1 und Ziel C.IV.2.2.3 LEP NRW.

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der zu bedenkenden Konflikte ist47. Die Funktion der Reservegebietskarte besteht nach dem LEP NRW darin, Lagerstätten gegenüber Nutzungen, die den Abbau der Bodenschätze infrage stellen, langfristig zu sichern48, und eine langfristige Ordnung der Gewinnung zu gewährleisten49. Mit der Forderung nach einer Reservegebietskarte konkretisiert der LEP NRW Anforderungen an die Abwägung bzw. an das gesamträumliche Planungskonzept. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster im Kiesurteil II stehen diese landesrechtlichen Anforderungen nicht zur Disposition des Plangebers50. Ihnen kommt die Funktion eines verbindlichen Planungsleitsatzes zu, den der Plangeber nicht durch Abwägung überwinden kann. Bis heute, circa acht Jahre nach Inkrafttreten des GEP Düsseldorf 1999, ist die Reservegebietskarte nicht erarbeitet worden, obwohl der Plangeber einer entsprechenden Aufforderung der Landesplanungsbehörde zur Vorlage binnen drei Jahren in der Genehmigung des GEP Düsseldorf 1999 beigetreten ist. Die Bezirksregierung Düsseldorf und der Regionalrat halten erklärtermaßen eine Dauerbeobachtung des Rohstoffmarkts in Form eines Monitorings für besser und die Reservegebietskarte für entbehrlich51. Diese Positionen von Bezirksregierung Düsseldorf und Regionalrat sind völlig unvertretbar. Nur der Landesgesetzgeber hat das Recht, Landesplanungsrecht zu ändern. Geltendes Landesplanungsrecht ist einzuhalten. Bezirksregierung Düsseldorf und Regionalrat könnten ebenso wenig aus der Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (SUP-RL52), die das Instrument des Monitorings in das europäische Umweltrecht eingeführt hat, eine Rechtfertigung für den Verzicht auf die Reservegebietskarte ableiten, wie aus dem neuen Landesplanungsgesetz Nordrhein-Westfalens, das die Bezirksplanungsbehörden seit 2005 zur Raumbeobachtung53 verpflichtet. Denn beides ändert zum einen nichts an dem Verstoß gegen die Vorgaben des gültigen LEP NRW. Zum anderen dient das landesplanerische Monitoring durch Raumbeobachtung entweder der Vermeidung von Fehlentwicklungen54 oder als Überwachungs-55 bzw. Kontrollinstrument56 ___________ 47

OVG Münster (Fn. 20), S. 38. C.IV.2.2.3 Abs. 3 LEP NRW. 49 OVG Münster (Fn. 20), S. 36. 50 Vgl. OVG Münster (Fn. 20), S. 35 f. 51 Vgl. Konze, in: MVEL (Hrsg.), Rohstoffsicherung (2002), S. 32 (44). 52 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 27.6.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl. EG Nr. L 197 vom 21.7.2001, S. 30; dazu Bovet/Hanusch, DVBl. 2006, 1345. 53 § 14 Abs. 7 Satz 1 LPlG NRW 2005. 54 Vgl. § 14 Abs. 7 Satz 3 LPlG NRW 2005; dazu Bovet/Hanusch, DVBl. 2006, 1345 (1349). 48

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bei der experimentellen Ersetzung des Genehmigungsverfahrens für Regionalpläne durch ein Anzeigeverfahren57. Der Unterschied zur Reservegebietskarte besteht darin, dass es beim Monitoring lediglich um die Überwachung der Folgen einer Planung geht, während die Reservegebietskarte nach der Konzeption des LEP NRW von Beginn an konstruktiver Bestandteil der Planung selbst ist. Die Reservegebietskarte nicht zu erarbeiten, verstößt zudem gegen das Abwägungsgebot, das der LEP NRW in Bezug auf die Rohstoffplanung konkretisiert. Ferner wird gegen die Maßgaben der Genehmigung des GEP Düsseldorf 1999 der Landesplanungsbehörde verstoßen, weil die Reservegebietskarte nicht fristgemäß bis Ende 2002 vorgelegt worden ist58. Spätestens seit dieser Zeit besteht auch ein Verstoß gegen das raumordnungsrechtliche Entwicklungsgebot des § 9 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ROG. Das Entwicklungsgebot verlangt vom Plangeber, den Regionalplan aus dem jeweiligen Landesentwicklungsplan, vorliegend also aus dem LEP NRW, zu entwickeln. Ohne Reservegebietskarte war eine Entwicklung aus dem LEP NRW nicht möglich. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster im Kiesurteil II hat der Plangeber mit der Ersetzung der Reservegebietskarte durch das unzulängliche Monitoring die Planungskonzeption des LEP NRW insgesamt verlassen59. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat zu den Ausführungen im Kiesurteil II bisher verlautbart, dass es sich lediglich um unverbindliche Hinweise handele, weil die Feststellungen nicht entscheidungstragend seien. Sie hat angekündigt, den GEP Düsseldorf 1999 trotz der vom Oberverwaltungsgericht Münster aufgeführten Defizite gleichwohl als wirksam zu behandeln und Vorhaben unter Berufung auf die – angebliche – Ausschlusswirkung des Gebietsentwicklungsplans weiter abzulehnen. Bezirksregierung Düsseldorf und Regionalrat lassen es damit auf ein Kiesurteil III ankommen und verzichten auf eine wirksame Steuerung der Rohstoffgewinnung.

___________ 55

Vgl. § 14 Abs. 6 Nr. 2 LPlG NRW 2005. Vgl. § 35 LPlG NRW 2005. 57 Vgl. dazu die „Experimentierklausel“ des § 35 Abs. 1 Satz 2 Spiegelstrich 1 LPlG NRW 2005. 58 OVG Münster (Fn. 20), S. 36. 59 OVG Münster (Fn. 20), S. 35 ff. 56

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2. GEP Köln 2001 Der GEP Köln 2001 wirft – obwohl für den räumlichen Geltungsbereich seiner Teilabschnitte eine Reservegebietskarte existiert – ebenso brisante Fragen auf. a) Defizite nach Verwaltungsgericht Köln Völlig zutreffend sprach das Verwaltungsgericht Köln den Konzentrationsfestlegungen im GEP Köln 2001, Teilabschnitt Region Köln, die Zielqualität ab60. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Köln scheitert die Zielqualität der Konzentrationsfestlegungen schon daran, dass der GEP Köln 2001 die Ausschlusswirkung unter einen Regel-Ausnahme-Vorbehalt stellt. Die Ausnahmen seien nicht entsprechend der Rechtsprechung zu den Regel-Ausnahme-61 bzw. den so genannten Soll-Zielen62 in einer für die Rechtsanwendung ausreichenden Weise bestimmt formuliert. Damit verbleibe den nachgeordneten Planungsträgern noch eine Vielzahl an Spielräumen zur eigenständigen Ausfüllung der in den Einschränkungen bzw. Ausnahmen von der Ausschlusswirkung enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe sowie zur eigenständigen Ausübung des darin eingeräumten Ermessens. Verbindliche Kriterien zur Ausfüllung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe bzw. zur Ausübung des Ermessens habe der Plangeber ersichtlich nicht vorgegeben63. Die Festlegungen erfüllen danach nicht die Voraussetzungen der Rechtsprechung an Regel-Ausnahme- bzw. SollZiele. Das Verwaltungsgericht Köln hält es mit den Anforderungen an Zielfestlegungen außerdem für unvereinbar, den Vorrang für die Gewinnung nichtenergetischer Bodenschätze in den Abgrabungsbereichen unter den Vorbehalt der Vereinbarkeit mit Geotopen, Biotopen und Bodendenkmälern zu stellen64. Nach den Festlegungen des GEP Köln 2001 darf in den Vorranggebieten die Rohstoffgewinnung nur dann erfolgen, wenn eine Inanspruchnahme von Geotopen, Biotopen und Bodendenkmälern nachweislich unvermeidbar ist. Damit habe der Plangeber gerade nicht festgelegt, dass die Rohstoffgewinnung anderen Nutzungen in Fällen der Unvereinbarkeit uneingeschränkt und ausnahmslos ___________ 60

VG Köln (Fn. 5), S. 17 f. Vgl. BVerwG, Urt. vom 18.9.2003, Az.: 4 CN 20.02, BVerwGE 119, 54, 165; i. e. Hoppe, DVBl. 2004, 478. 62 Vgl. OVG NRW, Urt. vom 6.6.2005, Az.: 10 D 145/04.NE, UPR 2005, 448. 63 Vgl. VG Köln (Fn. 5), S. 18. 64 Vgl. VG Köln (Fn. 5), S. 16 f. 61

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vorzugehen hat. Er habe der Rohstoffgewinnung damit keinen Vorrang eingeräumt65. Diese Auffassung trifft zu. Der Plangeber erstrebte die gesamträumliche Ausschlusswirkung, ohne die für eine abschließende Entscheidung in den Vorranggebieten erforderlichen Tatsachen zu ermitteln. Er griff in Bezug auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Bodendenkmälern in den Abgrabungsbereichen auch nicht zu einer Unterstellung. Den Weg aus dem Dilemma, einerseits eine gesamträumliche Ausschlusswirkung anzustreben, andererseits aber offensichtlich entscheidende Vorrangfragen mangels entsprechender Ermittlungen nicht abschließend beantworten zu wollen bzw. zu können, sollte die Formel von der nachweislichen Unvermeidbarkeit bringen. Dabei wurde verkannt, dass diese Formel den nachfolgenden Planungsebenen bzw. der Vorhabenszulassung gerade den Wertungsspielraum eröffnet, den eine Zielfestlegung mit ihrem abschließenden Charakter schließen soll. Der Wertungsspielraum stellt den Vorrang wieder unter Vorbehalt, so dass zwangsläufig die Rechtfertigung der gesamträumlichen Ausschlusswirkung scheitert. Dem regionalplanerischen vorbehaltlosen Verbot entspricht nur ein ebenso vorbehaltloser Vorrang in den Positivbereichen. Die volle gesamträumliche Ausschlusswirkung lässt sich mit ein bisschen Vorrang eben nicht rechtfertigen. Bestimmte Konfliktfelder von der planerischen Abwägung auszunehmen, hat der Regionalrat Köln in Bezug auf beispielsweise die Bodendenkmalpflege auch in den übrigen Teilabschnitten des GEP Köln praktiziert. Die Ermittlung von Tatsachen zu den mit der Rohstoffgewinnung potenziell in Konflikt stehenden Nutzungen wurde insoweit ganz bewusst ausgeklammert. Auch der Regionalrat Düsseldorf hat im Rahmen der Reaktion auf das Kiesurteil I einzelne Fragenkomplexe bewusst außer Betracht gelassen. Im Rahmen der 32. und 34. Änderung des GEP Düsseldorf 1999 hat er jeweils in einem Teil A bestimmte Vorbehaltsgebiete zu Vorranggebieten umetikettiert. In den jeweiligen Teilen B der 32. und 34. Änderung wurden einzelne Fragenkomplexe offen gelassen. So wurde im Rahmen von Teil B der 32. Änderung sachlich ausgeklammert, ob den Vorhaben der Rohstoffgewinnung innerhalb der Konzentrationszonen Vorrang vor den dortigen Vogelschutz- und FFH-Gebieten zukommt66. Diese Fragen sind auch durch die inzwischen gültige 32. Änderung Teil B nicht etwa geklärt. Denn nunmehr heißt es, dass bei Abgrabungsvorhaben, die eines der Vogelschutzgebiete einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten und Plänen erheblich beeinträchtigen könnten, im jeweiligen ___________ 65

VG Köln (Fn. 5), S. 16 f. Vgl. die Begründung zum Aufstellungsbeschluss der 32. GEP-Änderung – Teil A –, Vorlage vom 7.6.2004, Anlage 4, S. 7 ff. 66

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Zulassungsverfahren neben dem erforderlichen Nachweis der Zulässigkeit eine den ökologischen Erfordernissen der Vogelschutzgebiete entsprechende Rekultivierung sicherzustellen ist67. Ist der Nachweis der Zulässigkeit eines Vorhabens in einem Vogelschutzgebiet noch zu führen, kann es folglich – trotz seiner Lage im Vorrangbereich – dort unzulässig sein, so dass die Frage des Vorrangs letztlich wiederum dem Zulassungsverfahren überlassen bleibt. Auch aus formalen Gründen fehlt ein gesamträumliches schlüssiges Planungskonzept. Denn nach eigenem Bekunden des Regionalrats ergibt sich dies erst aus einer Gesamtbetrachtung der 32. Änderung mit den Beschlüssen zum Abgrabungsmonitoring unter Einbeziehung der 34. Änderung68. Da Teil B der 34. Änderung noch nicht in Kraft getreten ist, ist das Planungskonzept insoweit unvollständig. Ferner hat der Regionalrat in Düsseldorf die Berücksichtigung der Belange der Bodendenkmalpflege ausdrücklich dem fachplanerischen Verfahren überlassen69. Mit den Anforderungen an eine zielförmig festgelegte Vorrangentscheidung ist es jedoch unvereinbar, die essentiellen Konflikte der Planung nicht zu lösen. Dass – beispielsweise – Belange der Bodendenkmalpflege sich im Rahmen der Steuerung von Vorhaben der Rohstoffgewinnung aufdrängen, ist offensichtlich. Denn Abgrabungen können Belange der Bodendenkmalpflege mehr als nur geringfügig betreffen, weil Bodendenkmäler, die kraft Vorrangs für den Rohstoffabbau beseitigt werden dürfen, nicht an Ort und Stelle (in situ) erhalten werden können. Umgekehrt kann ein an Ort und Stelle erhaltenswertes Bodendenkmal die Gewinnung des Bodenschatzes in einer Lagerstätte unter Umständen völlig ausschließen. Damit erweist sich die Frage nach dem Vorhandensein von Bodendenkmälern für die Steuerung der Bodenschätzegewinnung als elementar. Angesichts der bisherigen Entwicklung im Regierungsbezirk Düsseldorf ist es auch wahrscheinlich, dass es zu elementaren Betroffenheiten kommt. Betroffenheiten, die – wie im Falle des GEP Düsseldorf 1999 – mehr als geringfügig und in ihrem Eintritt zumindest wahrscheinlich sind, sind abwägungsbeachtlich70. Die Betroffenheit der Bodendenkmalpflege war für den Plangeber bei seiner Entscheidung über den Plan auch gemäß § 7 Abs. 7 Satz 3 ROG erkennbar, zumal sie auf der Ebene der Regionalplanung vom ___________ 67

Vgl. Plansatz 3.12 Abs. 1 Nr. 7 GEP Düsseldorf 1999. Vgl. Beschlussvorlage vom 7.6.2004, Anlage 1 a, S. 4. 69 Vgl. die Synopse zur 32. Änderung des Gebietsentwicklungsplans für den Regierungsbezirk Düsseldorf aufgrund des Urteils des OVG Münster vom 10.7.2003 – Az.: 20 A 4257/99 (Erstelldatum 11.5.2004), Anlage 3 zur Sitzungsvorlage für die 14. Sitzung des Regionalrats am 8.7.2004, S. 14 f. 70 Vgl. BVerwG, Beschl. vom 9.11.1979, Az.: 4 N 1.78 u. a., BVerwGE 59, 87 (103). 68

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Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege auch zur Geltung gebracht worden sind. Nur Belange, die sich dem Plangeber nicht aufdrängen, weil der ordnungsgemäß beteiligte sachlich zuständige Träger sie im Aufstellungsverfahren nicht geltend gemacht hat, dürfen unberücksichtigt bleiben71. Sie waren deshalb zwingend in die Abwägung einzustellen, was eine entsprechende Ermittlung der insoweit bedeutsamen Tatsachen voraussetzt72. Der Regionalrat Düsseldorf hatte die Wahl, auf die Ausschlusswirkung zu verzichten oder das Vorhandensein von Bodendenkmälern aufzuklären, um den Vorranggebieten für die Rohstoffgewinnung dann Ausschlusswirkung beilegen zu können. Weder das eine noch das andere ist geschehen. Die Konsequenzen dieser Versäumnisse sind gravierend: Außerhalb der Vorrangbereiche wird jeder Abgrabungsantrag unter Hinweis auf die – vermeintliche – Ausschlusswirkung strikt abgelehnt. Innerhalb der Vorrangbereiche beruft sich das Rheinische Amt für Bodendenkmalpflege darauf, die Vorrangausweisung sei in Bezug auf Belange der Bodendenkmalpflege nicht als Ziel der Raumordnung verbindlich, weil insoweit mangels entsprechender Erkenntnisse eine abschließende Abwägung auf der Ebene der Regionalplanung unterblieben ist. Damit verschaffen die Konzentrationszonen des GEP Düsseldorf 1999 den im übrigen Planungsraum strikt ausgeschlossenen Vorhaben der Rohstoffgewinnung gegenüber der Bodendenkmalpflege gerade nicht die innergebietliche Durchsetzungskraft, die für eine Konzentrationsfestlegung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlich ist. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich vertrete natürlich nicht die Auffassung, dass der Plangeber eine Entscheidung über die Zulässigkeit eines konkreten Gewinnungsvorhabens trifft. Das geltende Recht verlangt ihm aber wegen der gewollten parzellenscharf und strikt wirkenden Verbotswirkung ab auszuschließen, dass der Verwirklichung einer auf Vorranggebiete konzentrierten Nutzung an diesem Standort unüberwindbare Hindernisse entgegenstehen (Frage des Ob). Diese positive Aussage muss sich – ebenso wie die negative – aus den konkreten örtlichen Gegebenheiten nachvollziehbar herleiten lassen73. Wenn Kenntnisse zu den konkreten örtlichen Gegebenheiten zu ermitteln sind, dann ist es eindeutig Aufgabe des Plangebers, beispielsweise Untersuchungen zum Vorhandensein von Bodendenkmälern anzustellen. Dürfte der Plangeber dies der Vorhabenszulassung überlassen, könnte sich nachträglich entweder herausstellen, dass die Verwirklichung von Gewinnungsvorhaben auf keiner Vorrangfläche durch Bodendenkmäler verhindert wird. Dann wirkt sich der Mangel des Planungskonzepts nicht aus. Oder es ___________ 71 72 73

Vgl. Ziekow, in: ders., Praxis des Fachplanungsrechts (2004), Rdn. 662. Vgl. Anders (Fn. 33). Für den Flächennutzungsplan BVerwG (Fn. 1), DVBl. 2003, 797 (799 f.).

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könnte sich herausstellen, dass Vorhaben wegen an Ort und Stelle zu erhaltender Bodendenkmäler in einer oder mehreren Konzentrationszonen nicht verwirklicht werden können. Dann steht das gesamte Planungskonzept auf dem Spiel: Kommt es für die Erfüllung des Substanzgebots auf die Nutzbarkeit der Flächen an, die infolge der überwiegenden Belange der Bodendenkmalpflege doch nicht die ihnen vom Plangeber fälschlicherweise zugedachte Vorrangwirkung entfalten, ist das Planungskonzept insgesamt fehlerhaft, und es entfällt die gesamträumliche Ausschlusswirkung. Nur wenn – trotz der gescheiterten Vorrangwirkung – immer noch genügend substanzieller Raum zur Verfügung stünde, würde dies keine Auswirkung auf die Planung insgesamt haben. Die mit solchen unterschiedlichen Varianten einhergehenden Unsicherheiten laufen de facto auf eine Planung ins Blaue hinein heraus, die der Gesetzgeber mit der Einführung des Darstellungsprivilegs ohne Zweifel nicht etablieren wollte. b) Nichtberücksichtigung des hochreinen weißen Quarzkieses Ein weiteres Defizit der Konzentrationsplanung des GEP Köln 2001 besteht darin, dass eine seltene Rohstoffart nicht berücksichtigt wurde. Im Raum Kottenforst/Ville des Regierungsbezirks Köln befinden sich mehrere Lagerstätten mit hochreinem weißen Quarzkies. Die Bezeichnung trägt dem Umstand Rechnung, dass dieser weiße Quarzkies einen weit über dem für die fachliche Qualifizierung von Quarzkies erforderlichen Mindestgehalt (von 80 %) liegenden Quarzitanteil aufweist: Weißer Quarzkies mit einem Reinheitsgrad von 96 % ist außerordentlich selten74. Angesichts eines europaweiten Bedarfs einerseits und der europaweit singulären Vorkommen im Raum Kottenforst/Ville andererseits ergibt sich ein exemplarisch zu betrachtender Komplex. Der hochreine weiße Quarzkies ist wegen seiner Reinheit, seinem Chemismus, seiner Druck-, Abrieb- und Feuerfestigkeit, seines Salz- und Säurewiderstands, seiner Oberflächenbeschaffenheit, der Kornform, der Härte und wegen seiner Farbe alleine bzw. wesentlich besser für bestimmte Anwendungen als anderer Quarzkies geeignet. Er wird vor allem als Filterkies für Brunnen, für die Trinkwasseraufbereitung und für Spezialanwendungen in der Feuerfestund Stahlindustrie eingesetzt. Hochreiner weißer Quarzkies könnte nach derzeitigen Erkenntnissen nur durch Material aus Südafrika surrogiert werden. Dementsprechend gehen die Bezirksregierung Köln und der Regionalrat in Köln davon aus, dass in Nord___________ 74

Vgl. zu einem Vorkommen mit 90 %iger Reinheit VGH Kassel (Fn. 6), NVwZRR 2001, 300 (301).

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rhein-Westfalen außer im Raum Kottenforst/Ville keine weiteren, vergleichbar abbauwürdigen Lagerstätten existieren75. Trotz der im Vergleich zur normalen Kiesgewinnung landes-, bundes- bzw. europaweit außerordentlich hohen Bedeutung hat der Regionalrat Köln für diesen hochreinen weißen Quarzkies keinen Abgrabungsbereich dargestellt. Die Standorte für diesen hochreinen weißen Quarzkies unterliegen damit dem Abgrabungsverbot des GEP Köln. Diese Abwägung ist offenkundig fehlerhaft, weil sie gegen Maßgaben des Landesplanungsrechts bzw. des Abwägungsgebots die Bedeutung der Lagerstätten grob verkannt hat. Im Einzelnen: Der LEP NRW76 setzt voraus, dass der Plangeber alle Rohstofflagerstätten nach ihrer Verbreitung im Planungsraum, ihrer Eignung für bestimmte Verwendungszwecke in Bezug auf Quantität (Mächtigkeit) und Qualität (Sand-Körnungs-Verhältnis77) erfasst78. Dabei sind auch die Lagerstättenverhältnisse einzubeziehen. Auf der Basis dieser Tatsachen ist die Bedeutung der Lagerstätte zu ermitteln. Der hochreine weiße Quarzkies im Raum Kottenforst/Ville nimmt hinsichtlich der vorbezeichneten Parameter eine singuläre Spitzenposition in Europa ein: Qualität und Lagerstättenverhältnisse sind hervorragend, der Verwendungszweck hochwertig. Dass dieser hochreine weiße Quarzkies nur an dieser Stelle in Europa anzutreffen ist, unterstreicht seinen exorbitanten Stellenwert in der Gruppe der nichtenergetischen oberflächennahen Rohstoffe. Erst nach Inkrafttreten des GEP Köln 2001 scheint die herausragende Bedeutung des hochreinen weißen Quarzkieses erkannt worden zu sein. Erst nach Inkrafttreten des GEP Köln 2001 beschäftigte sich der Regionalrat in Köln mit einem auf Quarzkiese bezogenen Teilkonzept für die künftige Darstellung dieser Lagerflächen, da die Versorgungssicherheit der Industrie insoweit unstreitig nicht mehr sichergestellt ist. Insoweit ist aber eine abschließende Entscheidung noch nicht getroffen. Das Verbot gilt nach wie vor. Plastischer kann die Dokumentation der Unvollständigkeit bzw. Lückenhaftigkeit des Planungskonzepts im bestehenden GEP Köln 2001 hinsichtlich des hochreinen weißen Quarzkieses nicht ausfallen. Es spricht alles dafür, dass der ___________ 75 Vgl. Bezirksregierung Köln, Regionalplanerische Prüfung „Quarzkies im Raum Kottenforst/Ville“, Mai 2006, S. 6. 76 Plansatz C.IV.3.4 f. LEP NRW – Hervorh. nicht im Original. 77 In einem Sand-Kies-Gemisch ist der wertvolle Anteil die Körnung (Kies) und der weniger wertvolle Anteil der Sand. Das Verhältnis von Kies und Sand wird in Prozenten angegeben. Eine 70 %ige Körnung bedeutet zum Beispiel ein Sand-Kies-Gemisch von 30 % Sand und 70 % Kies. 78 Das ist der Unterschied zur Windenergiegewinnung, bei der die naturgegebene Quantität des Windes (Windhöffigkeit) über die Eignung einer Fläche entscheidet. Vgl. nur VGH Mannheim, Urt. vom 6.11.2006, Az.: 3 S 2115/04, ZUR 2007, 92.

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Grund für die Unvollständigkeit bzw. Lückenhaftigkeit des Planungskonzepts im bestehenden GEP Köln in der – unzutreffenden – Unterstellung bestand, in Kottenforst/Ville sei wie andernorts im Planungsraum lediglich gewöhnlicher Kies und Sand anzutreffen. Zu solchen Unterstellungen darf jeder Plangeber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts greifen, um die Planung zu vereinfachen. Ebenso darf er der Vielgestaltigkeit des zu regelnden Bereichs typisierend Rechnung tragen79. Nur müssen Unterstellung und Typisierung sachlich zutreffend sein. Indem er den Abbau der in Europa einzigartigen Lagerstätten für hochreinen weißen Quarzkies infolge fehlerhafter Unterstellung verboten hat, liegt ein Abwägungsfehler vor, der auf den Bestand des gesamträumlichen Planungskonzepts in relevanter Weise durchschlägt. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu weißen Flächen80 kann an der Lückenhaftigkeit des Planungskonzepts im GEP Köln nichts ändern. Denn der Plangeber ist nach dieser Rechtsprechung lediglich dazu berechtigt, von einer regionalplanerischen Entscheidung in Bezug auf bestimmte Flächen abzusehen, wenn sein Planungskonzept der konzentrierten Nutzung auch ohne diese Flächen substanziell Raum verschafft. Im Fall des hochreinen weißen Quarzkieses hat der Regionalrat jedoch nicht auf eine Entscheidung verzichtet, sondern mit der Nichtdarstellung einer Konzentrationszone im Bereich Kottenforst/Ville seinen Abbau verboten. Obwohl auch der hochreine weiße Quarzkies zu den oberflächennahen nichtenergetischen Rohstoffen Ton, Festgestein und Kies und Sand gehört, hat der Regionalrat seiner Gewinnung in nicht haltbarer Weise an keiner Stelle des Planungsraums substanziell Raum verschafft. Weiße Flächen entbinden den Plangeber auch nicht von der Ermittlung und Beurteilung aller im Planungsraum vorhandenen Lagerstätten. Denn nur auf der Grundlage der dadurch gewonnenen Erkenntnisse kann er überprüfen, ob sein gesamträumliches Planungskonzept dem Substanzgebot auch schon dann genügt, wenn er über die ein oder andere Fläche noch keine regionalplanerische Entscheidung trifft. Von einer landesplanerischen Entscheidung auf den weißen Flächen kann der Plangeber ohne Gefährdung seines Plankonzepts also erst absehen, wenn er die vorhandenen Lagerstätten und deren Bedeutung zutreffend ermittelt und zutreffend beurteilt hat. Der Begriff der weißen Fläche ist daher – dem Wortsinn entsprechend – flächenbezogen zu verstehen. Er ist nicht in dem Sinne zu verstehen, dass der Plangeber sachliche Gesichtspunkte des gesamträumlichen Planungskonzepts unbeantwortet lassen darf. Der GEP Düsseldorf 1999 und der GEP Köln 2001 zeigen, welche Risiken der Plangeber eingeht, wenn er auf die gebotenen detaillierten Ermittlungen ___________ 79 80

Vgl. BVerwG, Urt. vom 13.3.2003 (Fn. 1); dazu Anders (Fn. 33). Siehe o. bei Fn. 38 (S. 270).

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verzichtet und sich auf Unterstellungen verlässt: Treffen diese Unterstellungen nicht zu, bringen sie das Planungskonzept insgesamt in Gefahr.

V. Zusammenfassung und ungelöste Fragen Die vorstehenden Beispiele zeigen, dass Konzentrationsfestlegungen im Vergleich mit der Angebotsplanung infolge der gesteigerten Rechtfertigungsanforderungen extrem fehleranfällig sind. Der Plangeber kann, sofern er die gesamträumliche Ausschlusswirkung erzeugen will, von einer detaillierten Bestandsaufnahme und Ermittlung der seiner Planung zugrunde liegenden Tatsachen nicht absehen. Nutzt er zur Vereinfachung die ihm eröffneten Möglichkeiten in Form der Unterstellung oder Typisierung, und erweisen sich seine Annahmen später als unzutreffend, werden seine Fehlannahmen nur dann nicht zur Fehlerhaftigkeit des Planungskonzepts und zum Entfallen der Ausschlusswirkung führen, wenn der konzentrierten Nutzung im Übrigen – dennoch – quasi aus Zufall – substanziell Raum verschafft worden ist. Das Beispiel des GEP Düsseldorf 1999 und des GEP Köln 2001 wirft einige weitere, bisher völlig ungelöste Fragen auf: 1. Wie ist der künftige Bedarf zu bemessen, wenn die Seltenheit einem Rohstoff europaweite Bedeutung verleiht? Muss dann eine kleine Region, in der dieser Rohstoff singulär vorkommt, den europäischen Bedarf decken? 2. Wie ist der Fall zu behandeln, in welchem die Vorgabe des Landesplanungsrechts für die Rohstoffsicherung von 2 x 25 Jahren aufgrund der geologischen Gegebenheiten zwar erfüllbar wäre, die geologisch am meisten geeigneten Vorkommen aber aus öffentlich-rechtlichen Gründen nur schwer erschlossen werden können, weil sie zum Beispiel teilweise von FFH-Bereichen überlagert sind?

Vorwort

Das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben – ein Überblick Von Peter Schütz

I. Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Anfang des 19. Jahrhunderts hat Friedrich Carl von Savigny in seiner berühmten Abhandlung „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ in Zweifel gezogen, dass die Zeit für eine Kodifikation des allgemeinen bürgerlichen Rechts reif sei. Auch in heutiger Zeit sind gelegentlich Zweifel daran angezeigt, ob der Gesetzgeber bei diesem und jenem, was er tut, ganz auf der Höhe ist. So ist am 17.12.2006 das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben (Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz)1 in Kraft getreten, das nicht ohne Schwächen ist. Der Titel des Gesetzes ist ein neuerliches Wortungetüm, das auch insoweit nahtlos an das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz2, das Planungsvereinfachungsgesetz3 und das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz4 anknüpft. Es steht damit in der Traditionslinie einer Reihe von Gesetzen, denen das Grundanliegen gemeinsam ist, insbesondere im Bereich der Infrastrukturplanung die Zulassungsverfahren zu beschleunigen, um Infrastrukturvorhaben schneller realisieren zu können5. Diesen Gesetzen liegt die Auffassung zugrunde, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland darunter leidet, dass Genehmigungsverfahren und die sich anschließenden Rechtsbehelfsverfahren – angeblich – übermäßig lange dauern. In ___________ 1

BGBl. I. 2833. Vgl. zu diesem Gesetz Otto, NVwZ 2007, 379 ff.; Wickel, UPR 2007, 201 ff.; Lecheler, DVBl. 2007, 713 ff.; Schröder, NuR 2007, 380 ff. 2 Vom 16.12.1991, BGBl. I, S. 2174. 3 Vom 17.12.1993, BGBl. I, S. 2123. 4 Vom 12.9.1996, BGBl. I, S. 1354. 5 Vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 16/54, S. 24.

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dieser etwas vereinseitigenden Perspektive6 ist alles, was bei Genehmigungsverfahren und sich anschließenden Rechtsbehelfsverfahren Zeitersparnis verheißt, von vornherein gut und richtig. Alles, was demgegenüber Zeit in Anspruch nimmt, tendenziell von Übel. Es ist hiergegen manches zu erinnern. Kursorisch ist zunächst darauf hinzuweisen, dass schon die Prämisse auch des hier in Rede stehenden Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes zweifelhaft ist. So hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem Sondergutachten zu dem Thema „Umweltverwaltung und Reformdruck“ vom Februar 2007 sehr deutlich herausgearbeitet, dass die Verfahrensdauer von Planungsverfahren gerade nicht signifikant als negativer Standortfaktor in Erscheinung tritt7. Auch von daher wird deutlich, dass der Beschleunigungsbedarf möglicherweise ein wenig überschätzt wird. Im Gegenteil: Die nach wie vor geltenden Verfahrensmaximen des Fachplanungsrechts8 zeigen, dass nicht alles dem Beschleunigungsgebot geopfert werden darf. Es bleibt nämlich bei dem Grundsatz der fairen Verfahrensgestaltung im Sinne einer fachbezogenen Integrität9. Dieser gebietet es, ein Verfahren nicht einfach durchzupeitschen. Es bleibt sodann bei der rechtsstaatlichen Funktion des Anhörungsverfahrens, die notwendige Informationsgrundlage für eine rationelle Planungsentscheidung zu schaffen.10 Dabei geht es auch um die Vermeidung inhaltlicher Fehler, die dann unterlaufen können, wenn komplexe Entscheidungslagen nicht ausreichend aufgearbeitet, sondern zu stark reduziert werden.11 Es bleibt weiter bei der grundrechtlichen Funktion des Anhörungsverfahrens, die Betroffenen zu informieren und ihnen rechtliches Gehör zu gewähren.12 Dem wird das Verfahren nur gerecht, wenn die Betroffenen eine substantielle Einflussmöglichkeit erhalten.13 Es bleibt auch bei dem Zweck des Anhörungsverfahrens, dadurch Akzeptanz zu vermitteln, dass der einzelne Betroffene zur bürgerschaftlichen Teilhabe an der Verwaltungsentscheidung befähigt wird.14 Und es bleibt schließlich bei der kompensatorischen Funktion des ___________ 6

Beispielhaft hierfür z. B. Ronellenfitsch, NVwZ 1999, 583, 584. Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltverwaltungen unter Reformdruck: Herausforderungen, Strategien, Perspektiven – Sondergutachten, Februar 2007, Rdnr. 244 ff. 8 Dazu Kipp/Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 20 Rdnr. 7 ff. 9 BVerwG, Urt. vom 5.12.1986 – 4 C 13.85 –, BVerwGE 75, 214, 230 f. 10 BVerwG, Urt. vom 14.12.1974 – 4 C 50.71 –, BVerwGE 44, 235, 240. 11 Wahl/Dreier, NVwZ 1999, 606, 611. 12 Wahl/Dreier, NVwZ 1999, 606, 611. Zum „Grundrechtsschutz durch Verfahren“ Grimm, NVwZ 1985, 365. 13 BVerwG, Urt. vom 5.12.1986 – 4 C 13.85 –, BVerwGE 75, 214, 226. 14 Ossenbühl, NVwZ 1982, 465, 466. 7

Das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben 291

Planfeststellungsverfahrens im Hinblick auf die schwach ausgeprägten materiellen Bindungen der planerischen Entscheidung: Das abwägungsdirigierte Fachplanungsrecht bedarf der verwaltungsverfahrensrechtlichen Umhegung, weil das Verfahrensrecht flankierend dazu beiträgt, die im Raum vorfindlichen Probleme substanziell aufzuarbeiten.15 Ähnliches lässt sich zum Rechtsschutz sagen, der ebenfalls immer im Verdacht steht, durch die von ihm beanspruchte Zeit den Wirtschaftsstandort zu gefährden. Hat eine funktionierende Verwaltungsgerichtsbarkeit – so lässt sich umgekehrt mit Storost16 fragen – nicht auch eine Stabilisierungsfunktion für den Wirtschaftsstandort? Und hat eine effektive Verwaltungsgerichtsbarkeit, die durch Artikel 19 Abs. 4 GG ohnehin geboten ist, nicht auch eine präventive Vorwirkung auf die Verwaltung und hilft so, Fehlentwicklungen zu vermeiden?17 Beschleunigung ist also durchaus nicht alles, jedenfalls dann nicht, wenn man diese Fragen nicht von vornherein verneint. Am Ende sei im Übrigen darauf hingewiesen, dass der Sachverständigenrat für Umweltfragen in dem oben bereits zitierten Sondergutachten festgestellt hat, dass der Gesetzgeber bisher Beschleunigungspotenziale ungenutzt gelassen hat. So beanspruchen sowohl der Verfahrensabschnitt bis zur Vollständigkeit der Antragsunterlagen als auch die Trägerbeteiligung (so genannte TÖB-Beteiligung) ein ganz erhebliches Zeitbudget, das einzuschränken bisher nicht in nennenswertem Umfang gelungen ist18. Hier bleibt also noch einiges Sinnvolle zu tun, das es möglicherweise erlaubt hätte, einiges weniger Sinnvolle zu lassen. Im Folgenden sollen einzelne Aspekte des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes näher beleuchtet werden. Insbesondere die Änderungen im Luftverkehrsrecht und im Recht der Energieleitungen (§§ 43 ff. EnWG) bleiben dabei ausgeklammert. Zitiert werden die Vorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetzes.

___________ 15

Ossenbühl, NVwZ 1982, 465, 466; Grimm, NVwZ 1985, 865, 867, 871. Storost, NVwZ 1998, 797, 805. 17 Schulze-Fielitz, in: Erbguth u. a., Planung. Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000, 997, 1005. 18 Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltverwaltungen unter Reformdruck: Herausforderungen, Strategien, Perspektiven – Sondergutachten, Februar 2007, Rdnr. 408. 16

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II. Einzelne Aspekte des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes 1. Allgemeines Das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz steht auch insoweit in der Tradition der Beschleunigungsgesetzgebung der 90er Jahre, als Änderungen in den einzelnen Fachplanungsgesetzen des Bundes vorgenommen wurden. Dies war bereits die Herangehensweise des Planungsvereinfachungsgesetzes, ehe dann das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz den Ertrag für die §§ 72 ff. des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes und damit für das Fachplanungsrecht allgemein fruchtbar gemacht hat. Auch die Innovationspotentiale des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes werden – in einem zweiten Schritt – zum Teil für das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht fruchtbar gemacht werden können. Es fragt sich allerdings, warum der Gesetzgeber dadurch, dass er einige Bereiche bundesrechtlich geregelter Planfeststellungsverfahren ausgespart hat19, weiter zur Zersplitterung des Fachplanungsrechts beigetragen hat.20 Im Verkehrsbereich etwa gelten nunmehr für Straßenbahnen andere, nämlich „nicht beschleunigte“ Regelungen als für Bundesfernstraßen, Eisenbahnen und Magnetschwebebahnen. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber durchaus auch handwerkliche Fehler unterlaufen sind. So verwies das Gesetz zur Begründung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Vorhaben in § 18 e AEG und § 17 d FStrG (jeweils neuer Fassung) zunächst auf einen § 50 Abs. 1 Nr. 5 VwGO. Diese Vorschrift befasst sich jedoch mit den Klagen gegen Maßnahmen und Entscheidungen nach § 44 a des Abgeordnetengesetzes und der Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages. Die eigentliche Zielnorm des Gesetzes ist daher auch gar nicht § 50 Abs. 1 Nr. 5 VwGO, sondern der durch das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz neu geschaffene § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO. Dort geht es um sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren und Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben betreffen, die in den einzelnen Fachplanungsgesetzen bezeichnet sind. Der „Fauxpas“ wurde inzwischen behoben21.

___________ 19

Bau von Abfalldeponien (§ 31 Abs. 2 KrW-/AbfG), Gewässerausbau (§ 31 Abs. 2 WHG), Bau von Straßenbahnen (§ 28 PBefG) und Rohrleitungsanlagen (§ 20 UVPG). 20 Kritisch hierzu Wickel, UPR 2007, 201 f. 21 Berichtigung vom 9. Mai 2007, BGBl. I, 691.

Das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben 293

2. Vorarbeiten Im Bereich der Bundesfernstraßen (§ 16 a FSrG), Eisenbahnen (§ 17 AEG), Magnetschwebebahnen (§ 3 MBPlG) und Energieversorgungsleitungen (§ 44 EnWG) gilt künftig, dass Vorarbeiten nicht nur zur Vorbereitung der Planung, sondern auch zur Vorbereitung der Baudurchführung zulässig sind. Der Begriff der Vorarbeiten22 bleibt dabei unverändert (siehe aber unten). Nach wie vor ist die Bauausführung selbst nicht Gegenstand der durch die entsprechenden Vorschriften begründeten Duldungspflicht23. Das Anliegen des Gesetzgebers war es aber, auch die Phase nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses zu erfassen24. Hintergrund ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses Grundlage für Vorarbeiten nur noch der Planfeststellungsbeschluss selbst sein konnte. Der Vorhabenträger war daher auf die vorzeitige Besitzeinweisung angewiesen, wenn er nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses noch weitere Untersuchungen durchführen wollte (etwa zur Zusammenstellung der Ausschreibungsunterlagen). War der Planfeststellungsbeschluss aus welchen Gründen auch immer nicht vollziehbar, so gab es keine Rechtsgrundlage für derartige Vorarbeiten25. Für die Ausdehnung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Vorarbeitenregelung auf die Phase nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses spricht, dass die vorzeitige Besitzeinweisung einen sehr viel engeren Adressatenkreis hat26. Sie ist nur für Flächen möglich, die nach dem Grunderwerbsverzeichnis und Grunderwerbsplan des Planfeststellungsbeschlusses für das Vorhaben vorübergehend oder endgültig in Anspruch genommen werden sollen. Vorarbeiten können sich demgegenüber auch auf Grundstücken als notwendig erweisen, die später nicht in Anspruch genommen werden müssen. Insoweit tat sich nach bisher geltendem Recht in der Phase nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses eine Lücke auf27. Diese Lücke hat der Gesetzgeber nunmehr geschlossen. ___________ 22

14 f. 23

Vgl. Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 17 Rdnr.

Vgl. BT-Drs. 16/54, S. 27; zur seitherigen Rechtslage BVerwG, Beschl. vom 7.8.2002 – 4 VR 9.02 –, NVwZ-RR 2003, 66, 67; Kirchberg, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rdnr. 58; Hönig, UPR 2001, 374, 376. 24 BT-Drs. 16/54, S. 27. 25 Beschl. vom 17.8.2002 – 4 VR 9.02 –, NVwZ-RR 2003, 66, 67; offen demgegenüber BVerwG, Beschl. vom 17.9.2002 – 9 VR 17.02 – n. v.; zum Ganzen: Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 17 Rdnr. 23 ff. 26 Vgl. hierzu BVerwG, Beschl. vom 17.9.2002 – 9 VR 17.02 – n. v. 27 Vgl. Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 17 Rdnr. 39.

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Gleichwohl begegnet die neue Regelung systematischen Bedenken. Sinn und Zweck der Vorschriften über die Vorarbeiten ist das Interesse an einem bestmöglichen erarbeiteten Abwägungsergebnis28. Die Vorschriften wollen den Vorhabenträger in den Stand setzen, die notwendige Informationsgrundlage für seine Planung zu schaffen29. Darum kann es nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses aber nicht mehr gehen. Die Abwägungsentscheidung ist bereits getroffen. Erstreckt man die Vorschriften über die Vorarbeiten nun auch auf die Vorbereitung der Baudurchführung – nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses –, so entfernen sich diese von ihrem eigentlichen Sinn und Zweck. Es fragt sich dabei auch, ob es wirklich gerechtfertigt ist, den Eigentümer, dessen Grundstück durch den Planfeststellungsbeschluss in Anspruch genommen wird, mit dieser Duldungspflicht zu belasten, obwohl der Planfeststellungsbeschluss ihm gegenüber nicht vollziehbar ist. Nicht vollziehbar ist ein Planfeststellungsbeschluss dann, wenn entweder eine Klage des Betroffenen nach allgemeinen Grundsätzen aufschiebende Wirkung entfaltet oder aber – im Falle des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung – ein Gericht diese wiederhergestellt hat. In beiden Fällen könnte man es durchaus auch für richtig halten, dass der Eigentümer keine Vorarbeiten zu dulden braucht. Unverändert bleibt die dogmatische Problematik, die Maßnahmen, die der Vorbereitung der Baudurchführung dienen, von den Maßnahmen abzugrenzen, die bereits Teil der Baudurchführung sind. Der Begriff „Vorbereitung der Baudurchführung“ könnte dazu verleiten, auch Maßnahmen, die bislang nicht mehr unter den Begriff der Vorarbeiten gefasst wurden (z. B. das Lagern des Baugeräts und des Baumaterials, Geländefreilegungsmaßnahmen und Rodungen, Grundwasserabsenkungen zur Grundwasserfreihaltung der Baustelle etc.30), unter den Begriff der Vorbereitung der Baudurchführung zu subsumieren. Der Gesetzgeber wollte aber wohl nur den zeitlichen Anwendungsbereich der Vorschriften über die Vorarbeiten erweitern, nicht auch den Begriff der Vorarbeiten selbst. Auf einen weiteren Gesichtspunkt ist hinzuweisen: Auf der Grundlage des bisherigen Rechts entsprach es der herrschenden Meinung, dass ein Betroffener, der sich gegen Vorarbeiten gerichtlich wehrt, keine Einwendungen gegen das geplante Vorhaben selbst vorbringen kann. Einer vorbeugenden Unterlassungsklage sollte keine Hintertür geöffnet werden. Die Planung war ja zum Zeitpunkt der Vorarbeiten nach bisheriger Rechtslage noch im Fluss und sollte ___________ 28

BVerwG, Beschl. vom 7.8.2002 – 4 VR 9.02 –, NVwZ-RR 2003, 66, 67. Kirchberg, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rdnr. 50. 30 Kirchberg, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rdnr. 58; Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 17 Rdnr. 17. 29

Das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben 295

keiner vorgezogenen Kontrolle unterworfen werden31. Kommt es nunmehr zu Vorarbeiten zur Vorbereitung der Baudurchführung in der Phase nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses, so ist dieser als Angriffsgegenstand bereits vorhanden. Man wird dann möglicherweise dem betroffenen Eigentümer erlauben müssen, den Planfeststellungsbeschluss beim Angriff auf die Bekanntgabe der Vorarbeiten32 einer Inzidentkontrolle zuzuführen. Sollte dies so sein, so hätte der Gesetzgeber dem Vorhabenträger möglicherweise Steine statt Brot gegeben. 3. Anhörungsverfahren a) Verbandsbeteiligung Ein Kernstück des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes sind die Regelungen zur Beteiligung von Vereinigungen. Damit sind nicht nur die nach den §§ 59, 60 BNatSchG anerkannten Vereine gemeint, sondern nunmehr auch die Vereinigungen, die künftig auf der Grundlage der §§ 2, 3 Umwelt-Rechtsbehelfegesetz anerkannt werden33. Diese insgesamt als „Vereinigungen“ bezeichneten Verbände unterliegen nunmehr, soweit der Anwendungsbereich des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes reicht, einem einheitlichen Verfahrensregime. Zu begrüßen ist, dass der Gesetzgeber dabei einige dogmatische Zweifelsfragen gelöst hat, so etwa die Frage einer erneuten Beteiligung von Vereinigungen im Falle der Antragsänderung nach § 73 Abs. 8 VwVfG (§ 18 a Nr. 6 AEG). Ebenfalls hierher gehört, dass der Gesetzgeber nunmehr die Vereinigungen der Betroffenenpräklusion unterwirft (§ 18 a Nr. 3 S. 1, Nr. 7 S. 1 AEG). Diese Regelung ist insoweit legitim, als bisher Zweifel darüber bestanden, unter welchen Voraussetzungen Verbände mit ihren Einwendungen ausgeschlossen sein können. Aus § 61 Abs. 3 BNatSchG wurde der Schluss gezo-

___________ 31 Hoppe/Schlarmann/Buchner, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen und anderen Verkehrsanlagen, 3. Aufl. 2001, Rdnr. 317; Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 17 Rdnr. 65 f.; vgl. auch Hess. VGH, Beschl. vom 17.7.2001 – 2 Q 777.01 –, DVBl. 2001, 1863, 1868 zu § 7 LuftVG a. F. 32 Zur Bekanntgabe der Vorarbeiten und zu der damit verbundenen Duldungsverfügung vgl. Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 17 Rdnr. 10, 44. 33 Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG – Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz – vom 7.12.2006, BGBl. I S. 2816; dazu Schlacke, NuR 2007, 8 ff.; Ziekow, NVwZ 2007, 259 ff.; Ewer, NVwZ 2007, 267 ff.

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gen, dass diese noch bis zur Unterzeichnung des Planfeststellungsbeschlusses Vortrag halten können, der dann auch berücksichtigt werden muss34. Die Rechtslage ist nunmehr eindeutig. Freilich wird nicht ganz zu Unrecht in Zweifel gezogen, ob es sachgerecht war, die Verbände gerade der Einwendungsfrist für Privatbetroffene zu unterwerfen35. Ein einzelner Betroffener mag innerhalb von zwei Wochen nach dem Ende der Auslegungsfrist in der Lage sein, sein Partikularinteresse vorzutragen. Die Verbände hingegen handeln im Gemeinwohlinteresse, sozusagen als Sachwalter von Natur und Landschaft, bzw. von anderen Umweltbelangen36. Dies erfordert bei sachgerechter Behandlung regelmäßig einen intensiveren Vortrag und eine vertieftere Auseinandersetzung mit den Planfeststellungsunterlagen. Es fragt sich, ob die Unterwerfung der Verbände unter die Einwendungsfrist für Privatbetroffene zur Folge haben wird, dass auch die Anforderungen an die Substantiierung der Verbandseinwendungen gesenkt werden. Diese Anforderungen waren nach der bisherigen Rechtsprechung recht anspruchsvoll37. Möglicherweise sind die Verbände nunmehr auch insoweit den Privatbetroffenen gleichzustellen mit der Folge, dass eine „Thematisierung“ des jeweiligen Umweltbelangs genügt38. Der – unbestreitbare – Beschleunigungseffekt wäre dann mit einem geringeren Sachbeitrag zur Problembewältigung erkauft39. Bemerkenswert ist die Regelung über die Benachrichtigung der Vereinigungen. Nach bisher herrschender Meinung mussten Naturschutzverbände über das planfeststellungsbedürftige Vorhaben von Amts wegen und im voraus individuell unterrichtet werden40. Nunmehr trifft das Gesetz die – erstaunliche – Regelung, dass die Benachrichtigung der Vereinigungen durch die ortsübliche ___________ 34

OVG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 9.1.2003 – 1 C 10187/01 –, NuR 2003, 441, 445; Gassner, in: Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 61 Rdnr. 29; Stüer, NuR 2002, 708, 713; Bönsel/Hönig, NuR 2004, 710. A. A. Kipp/ Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 20 Rdnr. 118 f. 35 Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltverwaltungen unter Reformdruck: Herausforderungen, Strategien, Perspektiven – Sondergutachten, Februar 2007, Rdnr. 292; Wickel, UPR 2007, 201, 203. 36 Vgl. Kipp/Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 20 Rdnr. 106. 37 BVerwG, Urt. vom 22.1.2004 – 4 A 4.03 –, DVBl. 2004, 655. 38 Zu den Anforderungen insoweit VGH Bad.-Württ., Urt. vom 9.10.2000 – 5 S 1882/99 –, VBlBW 2001, 278, 279; Urt. vom 9.10.2000 – 5 S 1885/99 –, VBlBW 2001, 315, 317. 39 Sinn der Verbandsbeteiligung ist gerade die „Mobilisierung von Sachverstand“ (vgl. z. B. BVerwG, Urt. vom 27.2.2003 – 4 A 59.01 –, NVwZ 2003, 1253, 1254). 40 VGH Bad.-Württ., Urt. vom 23.3.2001 – 3 S 134/00 –, NVwZ-RR 2001, 728, 729; Kipp/Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 20 Rdrn. 111.

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Bekanntmachung der Auslegung nach § 73 Abs. 5 Satz 1 VwVfG in den Gemeinden erfolgt, in denen sich das Vorhaben voraussichtlich auswirkt (§ 18 a Nr. 2 S. 2 AEG). Dies kann man nicht anders bewerten, als dass der Gesetzgeber die Verbände absichtlich schlecht behandelt. Die Anforderungen an die ortsübliche Bekanntmachung richten sich bekanntlich nach Landes- und Ortsrecht. Je nach ortsrechtlichen Gepflogenheiten kann auch die örtliche Bekanntmachung durch Aushang genügen41. Was die privaten Betroffenen angeht, mutet das Gesetz den ortsansässigen Betroffenen zu, die öffentliche Bekanntmachung in der jeweils landes- bzw. ortsrechtlich vorgeschriebenen Form zur Kenntnis zu nehmen. Nur die nicht ortsansässigen Betroffenen (Ausmärker)42 werden unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen individuell benachrichtigt. Den Verbänden wird nunmehr generell zugemutet, die jeweilige ortsübliche Bekanntmachung zur Kenntnis zu nehmen, obwohl keineswegs sichergestellt ist, dass die Verbände bei jedem umweltrelevanten Fachplanungsvorhaben stets „vor Ort“ vertreten sind. Eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Ausmärker auf „nicht ortsansässige Verbände“ dürfte ausscheiden, weil keine planwidrige Regelungslücke besteht, der Gesetzgeber vielmehr die Verbände bewusst schlecht behandelt hat. b) Ausmärker Das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz hat die Regelungen aus § 3 Abs. 2 Satz 2 VerkPlBG zu den nicht ortsansässigen Betroffenen verallgemeinert. Danach sind Ausmärker nur noch dann zu benachrichtigen, wenn Person und Aufenthalt bekannt sind (§ 18 a Nr. 4 AEG). Eine Ermittlungspflicht, wie § 73 Abs. 5 S. 3 VwVfG sie vorsieht, besteht in den vom Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz erfassten Fachplanungsbereichen nicht mehr. Freilich war diese Ermittlungspflicht auch bisher kein allzu großes Problem, da Einigkeit darüber herrschte, dass eine Pflicht zu unvertretbarem Aufwand nicht bestand. Eine Auswertung des örtlichen Grundbuchs bzw. der Grundsteuerlisten reichte danach aus43. Ganz frei von Bedenken ist die Verallgemeinerung des § 3 Abs. 2 Satz 2 VerkPlBG nicht. Die Gründe, welche die Beschleunigungselemente des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes rechtfertigen – der rasche Ausbau ___________ 41

Kipp/Schütz, in: Beck’scher AEG-Kommentar 2006, § 20 Nr. 62 m. w. N. Vgl. dazu unten b). 43 Stüer/Probstfeld, DÖV 2000, 701, 703; Kipp/Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 20 Rdnr. 69. 42

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der Infrastruktur in den neuen Ländern –, sind nicht ohne Weiteres verallgemeinerungsfähig. Im Übrigen ist es auch nicht ganz einzusehen, dass der Eigentümer eines Grundstücks, nur weil er nicht in der Auslegungsgemeinde wohnt, unter Umständen am Ende von einem ihn mit enteignender Vorwirkung betreffenden Planfeststellungsbeschluss erstmals im vorzeitigem Besitzeinweisungsverfahren erfährt. Ein gewisser Ermittlungsaufwand ist dem Planungsträger und der Anhörungsbehörde durchaus zumutbar und hätte sicherlich auch der verfahrensrechtlichen Schutzseite des Art. 14 GG besser entsprochen als die jetzt gefundene Regelung. c) Erörterungstermin Das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz sieht vor, dass ein Erörterungstermin nur noch fakultativ stattfindet (§ 18 a Nr. 5 S. 1 AEG). Die Anhörungsbehörde kann auf ihn verzichten44. Gründe, die einen Verzicht rechtfertigen, nennt das Gesetz – anders als noch die Entwurfsfassung der Bundesregierung45 – nicht46. Von einem ungebundenen Ermessen der Anhörungsbehörde wird man gleichwohl nicht ausgehen dürfen. Vielmehr gilt § 40 VwVfG47. Für eine entsprechende Anwendung des § 28 Abs. 2 VwVfG48 ist – abgesehen davon, dass mehrere Tatbestandsalternativen dieser Vorschrift nicht recht passen – kein Raum. Nach dem Gesetz gewordenen Wortlaut z. B. des § 18 a Nr. 5 S. 1 AEG ist der Verzicht auf den Erörterungstermin daher nicht nur in „harmlosen“ Fällen möglich, in denen keine Einwendungen erhoben worden oder niemand der verlautbarten Absicht der Anhörungsbehörde, auf einen Erörterungstermin zu verzichten, widersprochen hat, sondern auch bei umstrittenen Großprojekten. Hierauf zielte der Gesetzesvorschlag des Bundesrates49. Danach sollte auf den Erörterungstermin auch dann verzichtet werden können, wenn absehbar ist, dass dieser seiner Befriedigungsfunktion nicht gerecht werden kann. Freilich hat der Erörterungstermin nicht nur eine Befriedigungsfunktion, sondern stellt ein wesentliches partizipatives Element im Rahmen des Anhö___________ 44

Grundsätzliche Kritik bei Guckelberger, DÖV 2006, 97 ff. Vgl. z. B. § 18 a Nr. 5 b) AEG i. d. F. des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 16/54. 46 Kritisch hierzu Lecheler, DVBl. 2007, 713, 717. 47 Wird das Verfahrensermessen fehlerhaft ausgeübt, so wird dies freilich nur nach Maßgabe des § 46 VwVfG beachtlich sein. 48 So aber Lecheler, DVBl. 2007, 713, 717. 49 BR-Drs. 94/06, S. 46. 45

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rungsverfahrens dar50. Außerdem wird es sich die Anhörungsbehörde gerade bei umstrittenen Großprojekten häufig aus politischen Gründen gar nicht leisten können, auf den Erörterungstermin zu verzichten. Zweifelhaft ist, ob der vom Gesetz ermöglichte Verzicht auf den Erörterungstermin auch – gleichsam als Minus – die Möglichkeit eröffnet, einen auf bestimmte Einwender, Vereinigungen und Träger öffentlicher Belange beschränkten Erörterungstermin durchzuführen51. Dagegen spricht, dass das Gesetz wohl eher eine Alles-oder-Nichts-Regelung trifft. Entschließt sich die Anhörungsbehörde zur Durchführung eines Erörterungstermins, so muss sie ihn nach den verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften durchführen. Will sie dies nicht, so muss sie (ganz) auf ihn verzichten. Nach hier vertretener Auffassung übersieht der Gesetzgeber außerdem die Bedeutung des Erörterungstermins für eine sachgerechte Planung. In der Praxis werden im Erörterungstermin nämlich nicht nur häufig punktuelle Konflikte ausgeräumt. Es verhält sich darüber hinaus auch so, dass der bevorstehende Erörterungstermin beim Vorhabenträger noch einmal zu einer Anspannung der Kräfte führt und auf diese Weise Punkte klar herausgearbeitet oder bereinigt werden, die bislang die Planung noch angreifbar gemacht haben. Gerade diese „Vorwirkung“ des bevorstehenden Erörterungstermin auf den Vorhabenträger selbst sollte in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. d) Sonstiges Von den Änderungen des Planfeststellungsverfahrens im übrigen sollen nachfolgend nur zwei herausgegriffen werden: In den vom Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz erfassten Bereichen erstreckt sich die Auslegung nicht mehr auf die Gemeinden, in denen sich das Vorhaben (objektiv) auswirkt (§ 73 Abs. 2 VwVfG), sondern nur noch auf die Gemeinden, auf die sich das Vorhaben voraussichtlich auswirkt (§ 18 a Nr. 1 AEG). Hat die Anhörungsbehörde ihre hierdurch eingeräumte Einschätzungsprärogative52 sachgerecht wahrgenommen, so berührt es die Rechtmäßigkeit des Verfahrens nicht, wenn sich nachträglich herausstellt, dass in Wahrheit noch weitere Gemeinden betroffen sind. Kurios ist die Regelung zu den Antragsänderungen im Sinne des § 73 Abs. 8 VwVfG geraten. Insoweit ist es sicher sinnvoll, dass der Gesetzgeber nunmehr ___________ 50

Wickel, UPR 2007, 201, 204; vgl. auch Kipp/Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar 2006, § 20 Rdnr. 120 ff. 51 Otto, NVwZ 2007, 379, 380. 52 So Schröder, NuR 2007, 380, 381.

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ausdrücklich geregelt hat, dass auch die Versäumung der Einwendungsfrist im Antragsänderungsverfahren nach § 73 Abs. 8 VwVfG zur Präklusion führt (§ 18 a Nr. 6, Nr. 7 S. 1 AEG). Dies war nach bisherigem Recht nicht der Fall53. Ganz und gar nicht sinnvoll ist aber demgegenüber die Regelung z. B. in § 18 a Nr. 6 Satz 2 AEG n. F. Danach erfolgt die Benachrichtigung von der Antragsänderung und von der Frist zur Stellungnahme für Vereinigungen, die sich am Ausgangsverfahren nicht beteiligt hatten (sowie im Fall des § 73 Abs. 8 Satz 2 VwVfG) in entsprechender Anwendung von § 18 a Nr. 2 Satz 2 AEG n. F. In Bezug genommen ist damit die oben unter 2. bereits angesprochene Regelung, wonach die Benachrichtigung der Vereinigung durch die ortsübliche Bekanntmachung der Auslegung nach § 73 Abs. 5 Satz 1 VwVfG erfolgt. Damit hat der Gesetzgeber für die Antragsänderung nach § 73 Abs. 8 VwVfG unversehens die Pflicht zur ortsüblichen Bekanntmachung der Auslegung nach § 73 Abs. 5 Satz 1 VwVfG, d. h. aber: die Pflicht zur Auslegung der Antragsänderung eingeführt. Eine solche Pflicht zur Auslegung der Antragsänderung bestand bisher nur in Ausnahmefällen54. Ein Beitrag zur Verfahrensbeschleunigung ist die Regelung des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes daher nicht gerade. Man wird allerdings annehmen müssen, dass diese neuerliche Auslegung – außer in den Fällen des § 73 Abs. 8 Satz 2 VwVfG, in denen sie stets geboten ist – nur erforderlich ist, wenn es Vereinigungen gibt, die sich im Ausgangsverfahren nicht geäußert haben und deren Belange durch die Antragsänderung erstmals oder stärker als bisher berührt werden. Eine Unsicherheit hat der Gesetzgeber aber alle Mal in die praktisch bedeutsamen Regelungen zur Antragsänderung nach § 73 Abs. 8 VwVfG hineingetragen. 4. Plangenehmigung Der Gesetzgeber hat die Plangenehmigung in noch weiterem Maße der Planfeststellung angeglichen. Sie hat nunmehr umfassend die Rechtswirkung der Planfeststellung einschließlich der enteignungsrechtlichen Vorwirkung (§ 18 b Nr. 3 AEG). Die Plangenehmigung ist – nach wie vor – ausgeschlossen, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist. Sie kann allerdings – wie auch ___________ 53 Kipp/Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 20 Rdnr. 147; anders wohl Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl. 2005, § 73 Rdnr. 105 a. 54 Vgl. Kipp/Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 20 Rdnr. 142 f.

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schon bisher nach § 17 Abs. 1 a Satz 1 Ziffer 1 FStrG a. F. – auch dann erteilt werden, wenn Rechte anderer „nur unwesentlich beeinträchtigt“ werden (§ 18 b Nr. 2 AEG). Bislang war z. B. im Allgemeinen Eisenbahngesetz eine Plangenehmigung nur möglich, wenn Rechte anderer (gar) nicht beeinträchtigt wurden. Eine unwesentliche Beeinträchtigung z. B. des Grundeigentums kann vorliegen, wenn lediglich ein für die Gesamtnutzung unerheblicher Grundstücksteil für Verkehrsbauten beansprucht wird55. Es geht also um Fälle der Geringfügigkeit. Hinzuweisen ist darauf, dass die – im Bereich des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes nunmehr generell vorgesehene – enteignungsrechtliche Vorwirkung der Plangenehmigung sich nicht auf diese Geringfügigkeitsfälle der unwesentlichen Beeinträchtigung beschränkt. Auch bei durchaus erheblichen Flächeninanspruchnahmen kommt die enteignungsrechtliche Vorwirkung in Betracht, wenn nämlich der Betroffene sich mit der Inanspruchnahme seines Eigentums im Sinne des § 74 Abs. 6 Satz 1 Ziffer 1 VwVfG zwar schriftlich einverstanden erklärt hat, dann aber anschließend die Einigung über die Eigentumsübertragung noch scheitert. Der Betroffene ist in diesem Fall nicht schutzwürdig, weil er ja die schriftliche Einverständniserklärung nach § 74 Abs. 6 Satz 1 VwVfG abgegeben hat. Es ist ihm gegenüber legitim, in dem durchzuführenden Enteignungsverfahren die Plangenehmigung als verbindliche Grundlage heranzuziehen56. Der Gesetzgeber hat die Annäherung der Plangenehmigung an die Planfeststellung soweit getrieben, dass nunmehr auch die Bekanntgabe der Plangenehmigung den für die Planfeststellung geltenden Regeln folgt. Aus dem in den jeweiligen Vorschriften enthaltenen Verweis auf § 74 VwVfG (z. B. § 18 b AEG vor Nr. 1) ergibt sich, dass die Plangenehmigung nunmehr für zwei Wochen zur Einsicht auszulegen ist und dass Ort und Zeit der Auslegung ortsüblich bekannt zu machen sind57. Entgegen der bisweilen von Behördenvertretern geäußerten Auffassung handelt es sich dabei nicht um ein „Redaktionsversehen“ des Gesetzgebers. Aus der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung ergibt sich vielmehr eindeutig die bewusste Entscheidung, dass künftig eine Ausfertigung der Plangenehmigung nach ortsüblicher Bekanntmachung für zwei Wochen zur Einsicht auszulegen ist58. ___________ 55 BT-Drs. 12/4328, S. 38; Dürr, in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl. 1999, Kap. 35 Rdnr. 35.1; Ronellenfitsch, in: Marschall/Schroeter/Kastner, FStrG, 5. Aufl. 1998, § 17 Rdnr. 196. 56 Vgl. hierzu Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 22 Rdnr. 17 ff. 57 Vgl. auch Schröder, NuR 2007, 380, 382. 58 BT-Drs. 16/54 S. 28.

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Darüber hinaus ist nach der Gesetzesbegründung59 unter Umständen sogar eine öffentliche Bekanntmachung der Plangenehmigung zulässig. Dies ist nach § 74 Abs. 5 VwVfG dann denkbar, wenn die Plangenehmigung an mehr als 50 Betroffene zugestellt werden müsste. Ob in einem solchen Fall noch die Voraussetzungen einer Plangenehmigung vorliegen, darf aber bezweifelt werden. 5. Geltungsdauer und deren Verlängerung Ein wichtiges Element des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes ist die Regelung zur Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen sowie zur Möglichkeit, diese Geltungsdauer zu verlängern. Auch insoweit wurde die Plangenehmigung dem Planfeststellungsbeschluss gleichgestellt. Danach gilt: Wird mit der Durchführung eines Planfeststellungsbeschlusses oder einer Plangenehmigung nicht innerhalb von zehn Jahren begonnen, so tritt der Planfeststellungsbeschluss bzw. die Plangenehmigung außer Kraft, wenn die Zulassungsentscheidung nicht zuvor verlängert wurde. Eine Verlängerung ist um maximal weitere fünf Jahre möglich (§ 18 c AEG). Dogmatische Zweifelsfragen60 zum Beginn der Durchführung wurden dadurch ausgeräumt, dass eine der bisher herrschenden Meinung entsprechende Legaldefinition in das Gesetz übernommen wurde (§ 18 c Nr. 4, 1. Halbs. AEG). Der Gesetzgeber hat auch eine weitere Streitfrage entschieden. Wie es bereits bisher zutreffender Auffassung entsprach, unterbricht nach der nunmehr ausdrücklichen Regelung des Gesetzes eine spätere Unterbrechung der Vorhabensverwirklichung den Beginn der Durchführung nicht (§ 18 c Nr. 4, 2. Halbs. AEG). Im Falle des sogenannten „steckengebliebenen Vorhabens“ richten sich die Rechtsfolgen allein nach § 77 VwVfG. Der Planfeststellungsbeschluss tritt nicht automatisch nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums außer Kraft61. Die Erstreckung der maximalen Geltungsdauer einer fachplanungsrechtlichen Zulassungsentscheidung, mit deren Durchführung nicht begonnen wurde, von zehn auf fünfzehn Jahre dürfte auch Auswirkungen auf die Rechtsprechung zur Planrechtfertigung haben. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Auffassung vertreten, dass sich der zeitliche Erwartungshorizont für die ___________ 59

BT-Drs. 16/54 S. 28. Vgl. z. B. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 26.9.2003 – 5 S 1599/02 –, NuR 2004, 810, 811 f.; Schütz, UPR 2002, 172, 174. 61 Vgl. zur Diskussion nach seitherigem Recht Kipp/Schütz, in: Hermes/Sellner, Beck’scher AEG-Kommentar, 2006, § 20 Rdnr. 224. 60

Das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben 303

Vorhabenrealisierung aus der Geltungsdauer des Planfeststellungsbeschlusses einschließlich einer etwaigen spezialgesetzlich angeordneten Verlängerungsmöglichkeit ergibt. Daraus wurde – auf der Grundlage des bisher geltenden Rechts – zu Recht der Schluss gezogen, dass die Planrechtfertigung im Hinblick auf die fehlende Realisierbarkeit eines Vorhabens nur dann verneint werden konnte, wenn die Realisierung innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren ausgeschlossen erschien62. Es läge in der Konsequenz dieser Rechtsprechung, wenn der Realisierungshorizont für das Vorhaben auch bei der Prüfung der Planrechtfertigung nunmehr auf 15 Jahre erweitert würde. 6. Rechtsschutz Ein weiterer Schwerpunkt des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes ist die Regelung zur erst- und letztinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts in § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i. V. m. den Vorhabenkatalogen des Allgemeinen Eisenbahngesetzes, des Fernstraßengesetzes und des Wasserstraßengesetzes. Für Magnetschwebebahnen wurde die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts sogar ohne Ansehen des konkreten Vorhabens begründet. Die Regelung begegnet erheblichen Bedenken63. Ob die bundesweit ausgedehnte erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Vorhaben – das Modell ist aus dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz übernommen – wirklich einen Beschleunigungseffekt hat, lässt sich nicht sicher vorhersagen. Würden in einem engen zeitlichen Zusammenhang Klagen zu mehreren Großprojekten beim Bundesverwaltungsgericht anhängig, so könnte sich die Beschleunigung schnell als große Illusion erweisen64. Der Verfasser hat außerdem aus seiner Praxis heraus den Eindruck, dass die Oberverwaltungsgerichte in fachplanungsrechtlichen Angelegenheiten durchaus zügig arbeiten und selbst über umstrittene Großprojekte innerhalb angemessener Zeit entscheiden. Das Revisionsrisiko ist angesichts der restriktiven Zulassungspraxis auf der Grundlage der §§ 132 ff. VwGO ohnehin kein schlagendes Argument. Gegen die Ausdehnung der erst- und letztinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts werden bedenkenswerte verfassungsrechtliche Argumente vorgetragen, die sich aus Art. 95 Abs. 1 GG und aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. der Rechtsschutzgarantie des ___________ 62

BVerwG, Urt. vom 24.11.1989 – 4 C 41.88 –, BVerwGE 84, 123, 128; BVerwG, Urt. vom 20.5.1999 – 4 A 12.89 –, NVwZ 2000, 555, 558. 63 Vgl. hier nur Paetow, NVwZ 2007, 36 ff. – auch zum Folgenden. 64 Hierzu Hien, DVBl. 2006, 350, 351: „Staugefahr“ beim BVerwG.

Peter Schütz

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Art. 19 Abs. 4 GG ergeben. Der rechtfertigende Grund, der das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz getragen hat – nämlich die Sondersituation „Aufbau Ost“ – ist jedenfalls nicht bundesweit einsetzbar; ja es fragt sich sogar, ob dieser Grund in den letzten Jahren für die neuen Länder noch tragfähig war. Weitere Bedenken ergeben sich aus bundesstaatlichen Grundsätzen. Art. 92 GG gibt einen föderativen Gerichtsaufbau vor. Das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz hat demgegenüber zur Folge, dass über das Fachplanungsrecht letztlich unter Ausschluss der Ländergerichtsbarkeit entschieden wird – mit faktischer Bindungswirkung für all diejenigen Verfahren, die den Oberverwaltungsgerichten (und Verwaltungsgerichten) der Länder noch verbleiben. Hinzu kommt, dass wesentliche landesrechtliche Rechtsmaterien, z. B. im Naturschutz-, Wasser- oder Denkmalschutzrecht, nunmehr vom Bundesverwaltungsgericht zu behandeln sind. Auch hiervon geht für die an sich letztinstanzlich zur Auslegung des Landesrechts berufenen Oberverwaltungsgerichte eine faktische Bindungswirkung aus. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass ein Revisionsgericht – wie es das Bundesverwaltungsgericht nun einmal in erster Linie ist – auch darauf angewiesen ist, dass ihm bereits entsprechend rechtlich aufbereitetes Fallmaterial vorgelegt wird. Nur auf einer solchen Basis kann die Rechtsfortbildung gelingen. Gerade die Behandlung von Rechtsfragen mag aber leiden, wenn das Gericht sich mit dem Wust der Tatsachen herumschlagen muss. Immerhin besteht Hoffnung – der Bundestag hat in einer Entschließung die Bundesregierung aufgefordert, nach zwei Jahren einen Erfahrungsbericht über die Handhabung der erstinstanzlichen Verfahren vorzulegen und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuweisung der ausgewählten Verkehrsvorhaben an das Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen65.

III. Fazit Das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz erfasst nur einen Teilbereich der bundesrechtlich geregelten Fachplanungsbereiche. Es trägt damit zur Zersplitterung des Fachplanungsrechts bei. Eine Vereinheitlichung durch Übernahme der sinnvollen Regelungsgehalte des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes in die §§ 72 ff. VwVfG ist daher angezeigt.

___________ 65

Entschließung Nr. V des Bundestages, BR-Drs. 764/06.

Das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben 305

Das Gesetz schafft in einigen Punkten Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, insbesondere was die Beteiligungsrechte von Naturschutzverbänden und anderen Vereinigungen im Planfeststellungsverfahren angeht. Die Unterwerfung der Verbandseinwendungen unter die Einwendungsfrist für Privatbetroffene mag dabei einen Beschleunigungseffekt nicht verfehlen. Gleiches gilt für die Möglichkeit, auf den Erörterungstermin zu verzichten. Oben ist im Einzelnen dargelegt worden, weshalb diese Neuerungen gleichwohl nicht uneingeschränkt positiv beurteilt werden können. Sachgerecht war es sicherlich auch, im Falle der Antragsänderung nach § 73 Abs. 8 VwVfG eine präklusionsbewehrte Einwendungsfrist für Privatbetroffene und Verbände einzuführen. Hingegen war die Einführung einer Offenlage für Antragsänderungen (unter bestimmten Voraussetzungen) kontraproduktiv. Auch im übrigen bleibt der Eindruck zwiespältig, weil Beschleunigungseffekte durch Abstriche bei anderen Verfahrensmaximen erkauft wurden, ohne dass die Berechtigung hierfür ohne Weiteres auf der Hand läge. Durchgreifende Bedenken bestehen nicht zuletzt gegen die Einführung einer erst- und letztinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Vorhaben. Auch insoweit wurde zu Gunsten eines – behaupteten – Beschleunigungseffekts das bewährte rechtsstaatliche System allzu leichten Herzens verlassen.

Artenschutz in der Fachplanung Von Elisabeth M. Rademacher1 Lange Zeit wurde das Artenschutzrecht als „exotisches“ Rechtsgebiet angesehen und nahm sowohl in der wissenschaftlichen Diskussion als auch in der praktischen Bedeutung nur einen begrenzten Raum für sich in Anspruch. Die Urteile des EuGH, die in den letzten Jahren zum Artenschutzrecht ergangen sind, haben mittlerweile jedoch zu einem „Hype“ dieses Rechtsgebiets geführt. Das Artenschutzrecht ist in aller Munde und rückt damit mehr und mehr nicht nur in das Bewusstsein der juristischen Fachwelt, sondern auch von Politik und Öffentlichkeit. Spätestens seit der Entscheidung des EuGH vom 10. Januar 20062, durch welche Deutschland wegen der unzureichenden Umsetzung der FFH-Richtlinie3 durch das BNatSchG4 verurteilt wurde, hat diese Diskussion auch den Bereich der Fachplanung ergriffen. Die nunmehr erforderlich gewordene Novellierung des BNatSchG stellt den Gesetzgeber vor eine große Herausforderung, da dem europäischen Artenschutzrecht eine dem historisch gewachsenen nationalen Regelungssystem fremde Systematik zugrunde liegt. Auf lange Sicht und auch mit Blick auf die für 2008 geplante „große Novelle“ des BNatSchG5 stellt sich damit die grundlegende Frage, ob ein Transfer der europagerichtlichen Rechtsprechung in die nationale Rechtssystematik gewinnbringend ist und die Vollzugstauglichkeit des Artenschutzrechts gewährleistet oder ob eine Angleichung des BNatSchG an das System des Gemeinschaftsrechts unumgänglich ist. ___________ 1 Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung der Autorin wieder. Dr. Rademacher (geb. Mayr) ist Referentin für Artenschutzrecht am Bayerischen Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz. 2 EuGH, Urt. vom 10.1.2006, Rs. C 98/03, NuR 2006, 166. 3 Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen vom 21.5.1992, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20.11.2006; im Folgenden: FFH-RL. 4 Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) vom 25.3.2002, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.5.2007; im Folgenden: BNatSchG. 5 Darunter wird die Schaffung einer Vollregelung im bundesrechtlichen Naturschutz auf der Grundlage der neuen grundgesetzlichen Kompetenz verstanden.

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Der folgende Beitrag setzt sich – ausgehend von dieser Frage – mit der aktuellen Rechtsprechung des BVerwG sowie den Überlegungen des Bundes zur Novellierung des BNatSchG kritisch auseinander und gibt konkrete Hinweise zur fachlich und rechtlich korrekten Abarbeitung des Artenschutzes in Fachplanungen.

I. Das nationale Regelungssystem Das Artenschutzrecht gehört als eine wesentliche Säule des Schutzes von Natur und Landschaft zu den ältesten Bereichen des Naturschutzrechts. Schon im Reichsnaturschutzgesetz vom 26.6.19356 waren der flächendeckende Schutz und die Erhaltung von seltenen oder in ihrem Bestand bedrohten Pflanzen- und Tierarten verankert. Die Reichsnaturschutzverordnung vom 18.3.19367 hat diese allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen durch konkrete Verbotstatbestände näher ausgefüllt. Sinn der Verbote war es seit jeher, den gezielten menschlichen Zugriff auf geschützte Individuen und deren Lebensstätten zu untersagen. Schon damals wurde erkannt, dass dem mutwilligen Zerstören von Nestern oder dem gewollten Nachstellen durch Sammler eine andere artenschutzrechtliche Qualität zukommt als dem Bewirtschaften eines Feldes durch einen nichts ahnenden Landwirt8. Deshalb sah auch die Reichsnaturschutzverordnung bereits eine Legalausnahme für die ordnungsgemäße Nutzung des Bodens und für Kulturarbeiten vor9. Die zweite Säule des Naturschutzes, die bereits das Reichsnaturschutzgesetz statuierte, war der Schutz von Natur und Landschaft durch die Ausweisung von Schutzgebieten und Schutzobjekten10. Diese Beschränkung des Naturschutzes auf ausgewählte Reservate stand bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Kritik11. Jedoch erst mit Erlass des BNatSchG im Jahre 1976 fand die Eingriffsregelung bundesweit eine gesetzliche Verankerung. Damit war eine „reparierende“ Auffangregelung geschaffen, deren Ziel es ist, flächendeckend die durch nachteilige Maßnahmen bewirkte Verschlechterung des Zustands von Natur und Landschaft durch ein Folgenbewältigungsprogramm in der Bilanz ___________ 6 Reichsnaturschutzgesetz vom 26.6.1935, RGBl. I, S. 208; im Folgenden: RNatSchG. 7 Verordnung zum Schutze der wildwachsenden Pflanzen und der nichtjagdbaren wildlebenden Tiere (Naturschutzverordnung) vom 18.3.1936, RGBl. I, S. 48; im Folgenden: Reichsnaturschutzverordnung. 8 Wolf, ZUR 2006, 505 (506). 9 Vgl. § 1 Abs. 2 Reichsnaturschutzverordnung. 10 Vgl. § 1 Buchst. b bis d, §§ 12 bis 18 RNatSchG. 11 Louis, NuR 2007, 94.

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auszuschließen12. Mit der Eingriffsregelung stand nun – neben dem flächendeckenden Artenschutz – ein weiteres räumlich nicht begrenztes, kompensierendes Instrument zur Verfügung. Das Verhältnis der beiden Schutzinstrumente zueinander regelte der Bundesgesetzgeber in § 22 Abs. 3 BNatSchG 1976. Hiernach war die Ausführung von nach dem BNatSchG zugelassenen Eingriffen von den artenschutzrechtlichen Verboten ausgenommen. Sinn und Zweck dieser Regelung war es, die „Konflikte zwischen bestimmten rechtmäßigen Tätigkeiten und den (artenschutzrechtlichen) Verboten“13 zu regeln. Die Prüfung von Belangen des Artenschutzes war damit in die Eingriffsregelung verlagert. Artenschutzrechtliche Belange wurden bei naturschutzrechtlichen Eingriffen zunächst lediglich unter dem Tatbestandsmerkmal „Beeinträchtigung des Naturhaushalts“ geprüft14; unvermeidbare Beeinträchtigungen von geschützten Arten konnten demzufolge durch einen naturschutzfachlichen Ausgleich ohne weitere Anforderungen überwunden werden15. Eine Verschärfung der artenschutzrechtlichen Anforderungen im Rahmen der Eingriffsregelung erfolgte im Jahre 2002, als nach dem Vorbild der Länderregelungen von Bayern (Art. 6a Abs. 2 S. 2 BayNatSchG) und Brandenburg (§ 13 Abs. 2 BbgNatSchG) eine Modifikation der Abwägungsklausel für den Fall eingeführt wurde, dass durch den Eingriff für streng geschützte Arten nicht ersetzbare Biotope zerstört werden16. Sind also weder Ausgleichs- noch Ersatzmaßnahmen möglich, so führt ein Eingriff, der eine Zerstörung von nicht ersetzbaren Biotopen streng geschützter Arten mit sich bringt, seitdem stets zum Verbot des Eingriffs, es sei denn, dieser ist aus überwiegenden Gründen des öffentlichen Interesses geboten. Der nationale Gesetzgeber ist nach alledem davon ausgegangen, dass im Fall von naturschutzrechtlichen Eingriffen dem ubiquitär geltenden Artenschutz über das Folgenbewältigungsprogramm17 der ebenfalls flächendeckend geltenden Eingriffsregelung ausreichend Rechnung getragen wird. Dem liegt der grundlegende Sinn und Zweck des Artenschutzes zugrunde, nämlich nicht der Schutz eines einzelnen Exemplars, sondern die Erhaltung der jeweiligen Tier___________ 12

Louis, NuR 2007, 94. Begründung des Entwurfs eines ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 20.2.1986, BT-Drs. 10/5064, S. 22. 14 So ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrates über Rahmenvorschriften für Naturschutz und Landschaftspflege sowie zur Anpassung bundesrechtlicher Vorschriften an die Erfordernisse des Naturschutzes und der Landschaftspflege – Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG vom 24.7.1975, BT-Drs. 7/3879, S. 23. 15 Vgl. § 7 Abs. 2 BNatSchG 1976. 16 So auch Kommission, Guidance document on the strict protection of animal species of Community interest provided by the ‚Habitats‘ Directive 92/43/EEC, Final version, February 2007, II.3.1; im Folgenden: Guidance document. 17 BVerwG, Beschluss vom 31.1.1997, Az. 4 NB 27.96. 13

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oder Pflanzenart. Auch die individuenbezogenen Zugriffsverbote waren im nationalen Regelungssystem seit jeher nicht Sinn und Zweck des Artenschutzes, sondern lediglich ein Mittel zum Erhalt der Art an sich18.

II. Das europäische Regelungssystem Der Erlass der VS-RL19 im Jahre 1979, die den ersten Rechtsakt zum europäischen Naturschutz darstellt, war ein Meilenstein des Artenschutzes auf europäischer Ebene. Zur Erreichung ihres Ziels, nämlich der Erhaltung der Vogelarten in Europa20, setzt die VS-RL im Wesentlichen auf drei Säulen: den Schutz der Lebensräume der Vogelarten durch Ausweisung von Schutzgebieten, den Schutz der Individuen und ihrer Niststätten durch exemplarbezogene Zugriffs- und Handelsverbote sowie die art- und zeitbezogene Begrenzung der Jagd auf Vögel. Einen flächendeckend wirkenden Naturschutz außerhalb des Artenschutzes kennt die VS-RL nur in allgemeiner Form21; ein der Eingriffsregelung entsprechendes, kompensierendes Instrument für konkrete, Natur und Landschaft beeinträchtigende Maßnahmen außerhalb von Schutzgebieten, ist der VS-RL fremd. Auch die FFH-RL, die den europäischen Naturschutz im Jahre 1992 vervollständigte, beschränkt sich auf einen zweidimensionalen Naturschutz: den Schutz von ausgewiesenen Gebieten und den flächendeckenden Artenschutz22. Ein Naturschutz außerhalb von Schutzgebieten, der Vorgaben zur Kompensierung konkreter Veränderungen von Natur und Landschaft macht, ist der FFH-RL nicht bekannt. Der europarechtliche Naturschutz lässt also ein flächendeckendes, kompensierendes Instrumentarium zur Erhaltung des aktuellen Zustands von Natur und Landschaft vermissen23. Damit stellt er sich als wesentlich unflexibler dar als das nationale Recht. Die Vorteile und insbesondere die höhere Folgenbewältigungskapazität des Kompensationsge___________ 18

Vgl. nur § 2 RNatSchG. Dies kommt auch im heutigen § 39 Abs. 1 BNatSchG zum Ausdruck. 19 Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 02.04.1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/105/EG vom 20.11.2006; im Folgenden: VS-RL. 20 Vgl. Art. 1 Abs. 1 VS-RL sowie Erwägungsgrund Nr. 8. 21 Vgl. z.B. Art. 2, Art. 3 Abs. 2 Buchst. b VS-RL. 22 Beide Schutzsysteme stehen – wie schon die Differenzierung zwischen Anhang II- und Anhang IV-Arten zeigt – isoliert nebeneinander. Vgl. auch Kommission, Guidance document (Fußn. 16), I.2.3.b., a.A. Hösch, UPR 2006, 131 (133). 23 Lediglich gebietsbezogen hat in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL der Kohärenzausgleich als Form des Kompensationsgedankens Eingang gefunden. Im Übrigen beschränkt sich der flächendeckend wirkende Naturschutz auf allgemeine Vorgaben, vgl. z.B. Art. 2, 10, 11, 17 FFH-RL.

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dankens sind allerdings mittlerweile auch auf europäischer Ebene entdeckt worden. Grundsätzlich zu begrüßen ist daher, dass nun auch im Europäischen Artenschutzrecht versucht wird, durch sog. funktionserhaltende CEF-Maßnahmen24, die die Verwirklichung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände verhindern sollen, ein ähnlich flexibles Instrument zum Erhalt der Arten zu schaffen. Die Frage, ob bei einem flächenhaften Eingriff außerhalb von Schutzgebieten Belange des Artenschutzes unter Umständen sogar besser über eine flächenbezogene Folgenbewältigung als ein exemplarbezogenes Verbot gewahrt werden können, stellt sich im europäischen Rechtssystem dennoch nicht. Die aktuellen Diskussionen bewegen sich auf der Ebene der Auslegung und haben in die europäische Rechtssystematik (noch) keinen Eingang gefunden. Seit jeher stand daher § 22 Abs. 3 BNatSchG 1976 bzw. § 43 Abs. 4 BNatSchG 2002 in einem Spannungsverhältnis zur europäischen Rechtssystematik. Erstmals im Jahre 1987 äußerte sich der EuGH zu dieser Regelung und monierte deren Weite25. Die im Nachgang zur Verurteilung durch den EuGH erfolgte Beschränkung der Legalausnahme auf unabsichtliche Handlungen26 zog in der Praxis allerdings keine spürbare Änderung der Rechtslage nach sich. Denn auch bislang waren nur solche Handlungen als von der Legalausnahme erfasst angesehen worden, die als zwangsläufiger Nebeneffekt einer rechtmäßigen Handlung verwirklicht wurden. Eine absichtliche Handlung wurde indes nur bei zielgerichtetem Handeln bejaht27. Erst das Caretta-caretta-Urteil des EuGH vom 30.1.200228 sowie die Verurteilung Deutschlands durch den EuGH am 10. Januar 200629 machten das Aufeinanderprallen von nationalem und europäischem Rechtssystem unübersehbar.

___________ 24

CEF-Measures steht für „measures that ensure the continued ecological functionality of a breeding site / resting place“. Vgl. Kommission, Guidance document (Fußn. 16), II.3.4.d. 25 EuGH, Urt. vom 17.9.1987, Rs. 412/85, NuR 1988, 53 f. 26 Gesetz vom 6.8.1993, BGBl. I S. 1458. 27 BVerwG, Urt. vom 11.1.2001 – 4 C 6.00, NuR 2001, 385. 28 EuGH, Urt. vom 30.1.2002, Rs. C-103/00, Slg. 2002, I-1147 Rdnrn. 34 ff. 29 EuGH, Urt. vom 10.1.2006, Rs. C-98/03, NuR 2006, 166.

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III. Die Überlagerung der nationalen Rechtssystematik durch das Europarecht 1. Das Caretta-caretta-Urteil vom 30. Januar 2002 Erstmals im Caretta-caretta-Urteil vom 30.1.2002 hat sich der EuGH zum Absichtsbegriff geäußert. U.a. das Befahren der Fortpflanzungsstrände der streng geschützten Meeresschildkröte Caretta caretta mit Mopeds, das durch Verbotsschilder untersagt war, sah das Gericht als absichtliche Beeinträchtigung im Sinn des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL an. Absichtlich handelt hiernach also, wer den Handlungserfolg erkannt und die diesen bewirkende Handlung dennoch vorgenommen hat30. Mit Urteil vom 18.05.2006 hat der EuGH erweiternd klargestellt, dass die Inkaufnahme der Tatbestandsverwirklichung durch den Handelnden für ein absichtliches Tun genüge31. Damit wird man nun auch bei dolus eventualis ein absichtliches Handeln bejahen müssen32. Nun steht außer Zweifel, dass die Beschränkung der Legalausnahme des § 43 Abs. 4 BNatSchG auf unabsichtliche Handlungen einen europarechtlichen Hintergrund hat. Insofern erscheint es unumgänglich, zumindest in Bezug auf die europarechtlich geschützten Arten auf den vom EuGH geprägten Absichtsbegriff zurückzugreifen33. Doch die Übertragung des europäischen Absichtsbegriffs in das nationale Recht bereitet Schwierigkeiten und offenbart erneut unterschiedliche Regelungssysteme im europäischen und nationalen Artenschutzrecht: Während dem Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit im europäischen Recht eine tatbestandsbeschränkende Funktion zukommt, sind im nationalen Recht sämtliche, auch unabsichtliche artenschutzrechtlich relevante Handlungen grundsätzlich untersagt. Lediglich der Anwendungsbereich der Legalausnahme des § 43 Abs. 4 BNatSchG, also u.a. die Freistellung von nach dem BNatSchG zugelassenen Eingriffen, wird auf unabsichtliche Handlungen beschränkt. § 43 Abs. 4 BNatSchG hat damit die Aufgabe, den im nationalen Recht wesentlich weiteren Verbotstatbestand in bestimmten Bereichen auf das europäische Niveau zurückzuführen34. Die Übertragung des europäischen Absichtsbegriffs auf die Legalausnahme des § 43 Abs. 4 BNatSchG führt allerdings bei zugelassenen Eingriffen zu einem Dilemma: Denn gerade bei Fachplanungen muss sich der Planungsträger ___________ 30

So auch Kommission, Guidance document (Fußn. 16), II.3.1. EuGH, Urt. vom 18.5.2006, Rs. C-221/04, Rdnr. 71. 32 So zu Recht Kautz, NuR 2007, 234 (236). 33 So nun auch das BVerwG, Urt. vom 21.6.2006, Az. 9 A 28.05, Rdnr. 38. 34 A.A. offenbar Wolf, ZUR 2006, 505 (511), der in § 43 Abs. 4 BNatSchG den Art. 16 FFH-RL umgesetzt sieht. Vgl. hierzu näher Mayr/Sanktjohanser, NuR 2006, 412 (413). 31

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im landschaftspflegerischen Begleitplan intensiv mit den Auswirkungen des Vorhabens auf Natur und Landschaft auseinandersetzen. Zudem verlangt die Vorschrift des § 19 Abs. 3 S. 2 BNatSchG vom Planungsträger bei streng geschützten Arten ein besonderes Maß an Untersuchungstiefe, da die Zerstörung von nicht ersetzbaren Biotopen streng geschützter Arten die Schwelle der Eingriffszulassung weit nach oben schraubt. Kennt der Vorhabensträger jedoch die im Plangebiet vorkommenden Tier- und Pflanzenarten, so weiß er auch, dass bei der Ausführung des Eingriffs einzelne Exemplare dieser Arten getötet oder gestört bzw. einzelne ihrer Lebensstätten beschädigt oder zerstört werden können. Dann aber handelt der Planungsträger absichtlich und fällt aus dem Anwendungsbereich der Legalausnahme des § 43 Abs. 4 BNatSchG. Im Endeffekt verpflichtet die Eingriffsregelung den Vorhabensträger also zu einer Handlung, die ihm zwangsläufig die Freistellung von den artenschutzrechtlichen Verboten nimmt. Aus europarechtlicher Sicht ist die Rechtsprechung des EuGH hingegen durchaus nachvollziehbar: Das europäische Recht kennt keinen flächenbezogenen, kompensierenden Naturschutz außerhalb von Schutzgebieten. Ihm ist daher auch die Möglichkeit verwehrt, außerhalb von Schutzgebieten über einen flächen- und kompensationsbezogenen Ansatz Belange des Artenschutzes zu berücksichtigen. In der europäischen Rechtssystematik bleibt daher nur die Möglichkeit, die flächendeckend geltenden artenschutzrechtlichen Verbote auch auf den Bereich der Fachplanungen anzuwenden. Andernfalls blieben die Belange des Artenschutzes in Vorhaben außerhalb von Schutzgebieten bei konkreten Maßnahmen komplett unberücksichtigt. Für das nationale Recht bedeutet dies allerdings, dass die vom Bundesgesetzgeber vorgegebene flächen- und kompensationsbezogene Abarbeitung des Artenschutzes bei einem Eingriff in Natur und Landschaft in Bezug auf europarechtlich geschützte Arten nicht mehr haltbar ist. Das Caretta-caretta-Urteil des EuGH muss damit als erster Schritt einer Entwertung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung angesehen werden. 2. Das EuGH-Urteil vom 10. Januar 2006 Mit seinem Urteil vom 10.1.200635 hat der EuGH das bewährte Instrument der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung in einem weiteren Punkt geschwächt. In dieser Entscheidung hat das Gericht die unzureichende Umsetzung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. d und Art. 16 FFH-RL durch § 43 Abs. 4 BNatSchG ___________ 35

EuGH, Urt. vom 10.1.2006, Rs. C-98/03, NuR 2006, 166.

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festgestellt. Art. 12 Abs. 1 Buchst. d FFH-RL verbiete jede absichtliche und unabsichtliche Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten; § 43 Abs. 4 BNatSchG stelle jedoch deren unabsichtliche Beschädigung u.a. bei der Ausführung von zugelassenen Eingriffen gerade frei, ohne die Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL zu fordern. Durch die Ausdehnung des Lebensstättenschutzes auch auf unabsichtliche Handlungen verliert das artenschutzrechtliche Zugriffsverbot insoweit seinen ursprünglichen Zweck, zielgerichtete menschliche Zugriffe auf geschützte Lebensstätten zu untersagen. Das Verbot auch der unabsichtlichen, also fahrlässigen Zerstörung von Lebensstätten, verbunden mit der von der Kommission favorisierten weiten Auslegung des Begriffs „Lebensstätte“36, verwandelt den Charakter des artenschutzrechtlichen Lebensstättenschutzes in einen mehr flächenbezogenen Schutz des Lebensraums der Arten. Gerade dieser Schutz ist im nationalen Recht bereits über die Eingriffsregelung abgedeckt. Der EuGH verwehrt es dem nationalen Gesetzgeber jedoch mit seiner Entscheidung in aller Deutlichkeit, die Belange und Ziele des Artenschutzes bei Fachplanungen ausschließlich über das Instrument der Folgenbewältigung im Rahmen der Eingriffsregelung zu berücksichtigen. In einem weiteren Punkt ist damit der Schlagkraft der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung der Boden entzogen worden. Die durchaus herausfordernde Aufgabe des Bundesgesetzgebers ist es somit aktuell, die Vorgaben des EuGH unter Wahrung der deutschen Rechtssystematik in das BNatSchG zu integrieren und somit der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung ebenso wie der deutschen Systematik des Artenschutzrechts über die aktuelle „kleine Novelle“ des BNatSchG hinaus die Zukunft zu sichern. Der derzeitige Gesetzentwurf erfüllt diese Hoffnung allerdings nur begrenzt. In enger Anlehnung an das Guidance document der Kommission soll im fünften Abschnitt des BNatSchG eine Legalausnahme u.a. für zulässige Eingriffe geschaffen werden, die die artenschutzrechtlichen Verbote ausschließt, soweit die ökologische Funktion der vom Eingriff betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt werden kann. Dies soll auch durch sog. „vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen“ erfolgen können37. Grundsätzlich wird man diese Vorschrift inhaltlich begrüßen müssen, da sie den Kompensationsgedanken, der sich auch in Bezug auf den Artenschutz in der Eingriffsregelung über Jahrzehnte hinweg bewährt hat, beibehält und gesetzlich verankert. Damit könnte die Vorschrift u.U. auch der Eingriffsregelung neue Impulse verschaffen, da vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen hier bislang nur sehr zurückhaltend Anwendung finden. Allerdings hat sich der Bund bewusst gegen eine Integration dieser Vorschrift in die Eingriffsregelung ent___________ 36

Vgl. Kommission, Guidance document (Fußn. 16), II.3.4.b. Vgl. § 42 Abs. 5 des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 25.4.2007, BT-Drs. 16/5100. 37

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schieden38. Dies ist zu bedauern, zumal die Festsetzung von vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen zwangsläufig im Rahmen der Zulassung des Eingriffs festgeschrieben werden muss. Von daher hätte sich eine Verortung der Vorschrift in der Eingriffsregelung angeboten. Dies hätte der Eingriffsregelung europarechtliche Relevanz verliehen, ihre Zukunft im nationalen Naturschutzrecht gesichert und auch die Begründung erleichtert, wieso es sich bei der Eingriffsregelung um einen „allgemeinen Grundsatz des Naturschutzes“ im Sinn des Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG handelt39. Das artenschutzrechtliche Prüfprogramm der Eingriffsregelung wird durch die Verortung der Vorschrift im fünften Abschnitt des BNatSchG hingegen räumlich auseinander gerissen. Einfacher wird das nationale Artenschutzrecht damit mit Sicherheit nicht. Bis zum Inkrafttreten der Novelle des BNatSchG müssen die europarechtskonformen Zustände jedoch anhand der derzeitigen gesetzlichen Regelung von Rechtsprechung und Praxis geschaffen werden.

IV. Die Rechtslage bis zur Novellierung des BNatSchG Dem Gemeinschaftsrecht kommt Vorrang gegenüber dem nationalen Recht zu40. Der Widerspruch einer nationalen Vorschrift zum Gemeinschaftsrecht führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der entsprechenden Bestimmung; Gemeinschaftsrecht genießt gegenüber widerstreitendem nationalem Recht lediglich einen Anwendungsvorrang, nicht hingegen einen Geltungsvorrang. Dies bedeutet, dass die dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung nicht mehr zugrunde gelegt werden dürfen41. Die Schlussfolgerung, § 43 Abs. 4 BNatSchG sei in Bezug auf europarechtlich geschützte Arten demzufolge nicht mehr anwendbar, greift allerdings zu kurz, denn Richtlinien sind lediglich hinsichtlich ihres Ziels verbindlich. Sie überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel (Art. 249 EG). Dies hat auch für den Richtlinien widersprechendes nationales Recht zu gelten. Die nationalen Stellen sind daher verpflichtet, europarechtskonforme Zustände zu schaffen. Auf welche Weise dies geschieht, bleibt ihnen überlassen. Die Praktikabilität der Herstellung richtlinienkonformer Zustände durch Nichtanwendung des § 43 Abs. 4 BNatSchG muss in Zweifel gezogen werden. ___________ 38

Vgl. Lütkes, ZUR 2006, 513 (514). Es besteht dann kein Abweichungsrecht der Länder von der Bundesregelung. Damit wäre die bundesweite Geltung der Eingriffsregelung vorgegeben. 40 BVerfG, Beschl. vom 17.2.2000, Az. 2 BvR 1210/98. 41 BVerwG, Urt. vom 29.11.1990, Az. 3 C 77.87. 39

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Der Wille des nationalen Gesetzgebers spiegelt sich in der dargestellten Regelungssystematik wieder. Von Anfang an war es das Anliegen des Bundesgesetzgebers, eine bei Ausführung eines zugelassenen Eingriffs eintretende Verwirklichung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände – sowohl in Bezug auf europarechtlich als auch nur national geschützte Arten – freizustellen. Artenschutzrechtliche Belange wurden nach deutscher Rechtssystematik bei der Eingriffszulassung abschließend berücksichtigt. In Bezug auf die Freistellung von nur national geschützten Arten besteht naturgemäß kein Anwendungsraum für eine richtlinienkonforme Auslegung42. Hier bleibt daher § 43 Abs. 4 BNatSchG wie bisher anwendbar. Auch verbietet sich insoweit ein Rückgriff auf den vom EuGH geprägten Absichtsbegriff, da für eine Übertragung des europarechtlichen Absichtsbegriffs auf nur national geschützte Arten weder ein Bedürfnis noch – angesichts des eindeutigen Willens des Gesetzgebers – ein Auslegungsspielraum besteht43. Bei nur national geschützten Arten bleibt daher § 43 Abs. 4 BNatSchG bis zur Novellierung des BNatSchG anwendbar. Ebenso muss man zur Schlussfolgerung kommen, dass § 43 Abs. 4 BNatSchG in Bezug auf europarechtlich geschützte Arten keinen Anwendungsbereich mehr haben kann. An einer Übertragung des europarechtlich geprägten Absichtsbegriffs ins nationale Recht führt kein Weg vorbei44; auch aufgrund der Aussage des EuGH, auch die unabsichtliche Beeinträchtigung von Lebensstätten falle unter Art. 12 Abs. 1 Buchst. d FFH-Richtlinie, besteht für die Anwendung der Legalausnahme – bezogen auf europarechtlich geschützte Arten – kein Spielraum mehr. Die Diskussion verkürzt sich daher auf die Frage, ob diese gespaltene Anwendung des § 43 Abs. 4 BNatSchG ein gangbarer Weg ist, um eine Richtlinienkonformität herzustellen, oder ob auf eine unmittelbare Anwendung der Richtlinienvorgaben im Rahmen der Eingriffsregelung zurückzugreifen ist. Mit Wortlaut und Systematik des § 43 Abs. 4 BNatSchG wird man eine solche gespaltene Anwendung der Vorschrift nur schwer in Einklang bringen können. Der Gesetzgeber ging beim Erlass der Regelung von einer einheitlich anzuwendenden Vorschrift aus und hat nicht zwischen unterschiedlichen Schutzkategorien differenziert45. Hält man sich zudem die grundlegend unterschiedlichen Regelungstechniken von europäischem und nationalem Gesetzgeber vor Augen, so muss man bei dieser Frage zu einer unmittelbaren Anwendung der ___________ 42

Vgl. nur EuGH, Urt. vom 18.10.1990, Rs. C-297/88, Rdnr. 42. A.A. Gellermann, NuR 2007, 165 (167, Fn. 11) und offenbar Kratsch, NuR 2007, 27 (28). 44 So zu Recht Vogt, ZUR 2006, 21 (21); a.A. Müller, NuR 2005, 157 (163). 45 Mayr/Sanktjohanser, NuR 2006, 412 (414); Vogt, ZUR 2006, 21 (22). 43

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Richtlinienvorgaben im Rahmen der Eingriffsregelung gelangen, denn nur so wird der deutschen Regelungssystematik und der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung nicht der Boden entzogen. Als Vorbild könnte hier die hessische und sachsen-anhaltinische Regelung herangezogen werden, die diese Vorgehensweise bereits in Gesetzesform gegossen haben46. Ein Eingriff darf hiernach nur zugelassen werden, sofern die Vorschriften der Artt. 5 und 9 VS-RL sowie Artt. 12, 13, 16 FFH-RL gewahrt sind. § 43 Abs. 4 BNatSchG kann dann in Bezug auf zugelassene Eingriffe wie gewohnt und unter Rückgriff auf den national vom BVerwG geprägten Absichtsbegriff Anwendung finden. Die Systematik des BNatSchG bliebe so erhalten, da der Artenschutz im Rahmen der Eingriffszulassung geprüft werden würde47. Der Gegenmeinung, die die Anwendung von § 43 Abs. 4 BNatSchG lediglich für europarechtlich geschützte Arten verneint48, bleibt nur die Möglichkeit, über die Erteilung von Befreiungen nach § 62 BNatSchG die artenschutzrechtlichen Verbote im Einklang mit den Richtlinien zu überwinden. Verschiedene Gründe sprechen gegen diese Lösung: Die Vorschrift des § 62 BNatSchG wird entgegen ihrem Sinn und Zweck, nur atypisch gelagerte Sonderfälle zu erfassen, zum Regelfall. Im Ergebnis werden so bei nahezu jedem Eingriffsvorhaben artenschutzrechtliche Befreiungen erforderlich, für deren Erteilung in aller Regel eine andere Behörde als für die Zulassung des Eingriffs zuständig ist. Bei Eingriffsvorhaben, die keiner Konzentrationswirkung unterliegen, bringt die massenhafte Erteilung von Befreiungen ein kaum zu bewältigendes Arbeitsausmaß mit sich. Dies gilt selbst dann, wenn man mit der wohl h.M. artbezogene (und nicht individuenbezogene) Befreiungen zulässt49. Von besonderer Bedeutung ist jedoch, dass die Lösung über § 62 BNatSchG die Regelungssystematik des deutschen Naturschutzgesetzes durchbricht und die europäische Rechtskonstruktion – ausschließlich in Bezug auf europarechtlich geschützte Arten – in das nationale Gesetz zwängt. Dies widerspricht nicht nur dem Willen des deutschen Gesetzgebers, sondern höhlt v.a. die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung aus, deren Einführung im Jahr 1976 einen Meilenstein in der Entwicklung des Naturschutzes darstellte. ___________ 46 Die Richtlinienkonformität dieser Umsetzung hat das BVerwG bestätigt in seinem Urt. vom 17.1.2007, Az. 9 A 20.05 (Westumfahrung Halle), Rdnr. 158, Leitsatz Nr. 23. 47 Für die unmittelbare Anwendung der Richtlinien sprechen sich auch Trautner/ Kockelke/Lambrecht/Mayer, Geschützte Arten in Planungs- und Zulassungsverfahren, 2006, S. 33, aus. 48 Stüer/Bähr, DVBl 2006, 1155 (1157); Vogt, ZUR 2006, 21 (23). Gellermann, ZUR 2004, 87 (90), bezieht sogar nur national geschützte Arten mit ein. 49 Dies dürfte mit den Vorgaben des Europarechts (insbesondere Art. 9 Abs. 2 VSRL und Art. 16 Abs. 2 FFH-RL) in Einklang zu bringen sein. Zweifelnd: Wolf, ZUR 2006, 505 (512).

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Nach alledem spricht viel dafür, durch einen unmittelbaren Rückgriff auf die Vorschriften der Richtlinien bei der Eingriffszulassung europarechtskonforme Zustände zu schaffen50. Da die Ausnahmetatbestände der Richtlinien (Art. 16 FFH-Richtlinie und Art. 9 VS-Richtlinie) populationsbezogen ausgestaltet sind, wäre hier durch eine Erfassung auf Populationsniveau dem europäischen Artenschutz Genüge getan. Denn können die Ausnahmetatbestände des Art. 16 FFH- und Art. 9 VS-RL bejaht werden, so ist irrelevant, wie viele Individuen im Einzelnen von dem Eingriff betroffen sind. Auch wäre bei einer unmittelbaren Richtlinienanwendung die Nachweispflicht entsprechend dem in der Eingriffsregelung verankerten Verursacherprinzip auf den Antragsteller übergegangen. Diese obliegt bei der Lösung über § 62 BNatSchG an sich der Behörde, denn insoweit gilt der Amtsermittlungsgrundsatz des Art. 24 VwVfG51. Der Frage, wie bis zur Novellierung des BNatSchG ein richtlinienkonformer Zustand bei Eingriffen zu schaffen ist, hat sich das BVerwG im Jahre 2006 in zwei Entscheidungen angenommen. Es hat sich dabei für den Weg über §§ 42, 62 BNatSchG entschieden. 1. Das Urteil des BVerwG vom 16. März 2006 In seinem Urteil vom 16.03.200652 stellt das Gericht klar, dass aufgrund der Tatsache, dass die Eingriffsregelung das europäische Artenschutzrecht nicht vollumfänglich abdeckt und in Bezug auf europarechtlich geschützte Arten Zweifel an der Fortgeltung des vom BVerwG geprägten Absichtsbegriffs in § 43 Abs. 4 BNatSchG bestehen, § 42 Abs. 1 BNatSchG tatbestandlich unabhängig davon eingreifen kann, ob die in dieser Vorschrift bezeichneten Handlungen durch § 19 BNatSchG gedeckt werden oder nicht53. Das BVerwG gibt weiter vor, dass § 43 Abs. 4 BNatSchG in Bezug auf europarechtlich geschützte Arten bei zugelassenen Eingriffen keine Anwendung mehr finden kann. Der Artenschutz ist also über §§ 42, 62 BNatSchG und nicht über eine unmittelbare Anwendung der Richtlinien im Rahmen der Eingriffsregelung abzuprüfen. Ob dies auch für nur national geschützte Arten gelten soll, lässt das BVerwG offen. ___________ 50

Näher hierzu Mayr/Sanktjohanser, NuR 2006, 412 (415 f.). So im Ergebnis auch Louis/Weihrich, ZUR 2003, 385 (389). 51 So auch Wolf, ZUR 2006, 505 (512). 52 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006, Az. 4 A 1073.04 (Flughafen Berlin-Schönefeld). 53 BVerwG, Urt. vom 16.3.2006, Az. 4 A 1073.04, Rdnr. 569. Kritisch hierzu Kratsch, NuR 2007, 27 (28), der allerdings maßgeblich auf Auslegungsspielräume in den Richtlinien abstellt, die im derzeit geltenden BNatSchG jedoch (noch) keinen Einklang gefunden haben.

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Das BVerwG betont weiter den Individuenbezug der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände in den Richtlinien und spricht sich ausdrücklich gegen eine populationsbezogene Betrachtungsweise aus54. Lediglich die Abweichungstatbestände der Richtlinien nehmen auf die Populationen der Arten Bezug55. 2. Das Urteil des BVerwG vom 21. Juni 2006 Diese Ausführungen hat der 9. Senat des BVerwG im Urteil vom 21.6. 200656 bestätigt und weiter konkretisiert. So bekennt sich nun das BVerwG auch in Bezug auf die nationalen Verbotstatbestände ausdrücklich zum Individuenbezug57. Weiter stellt der Senat klar, dass er sich „im Hinblick auf das Urteil des EuGH vom 10.1.2006 gehindert (sieht), die Ausnahmeregelung des § 43 Abs. 4 S. 1 BNatSchG anzuwenden, weil sie gegen sekundäres Gemeinschaftsrecht verstößt“58. Dies gelte unabhängig davon, ob das europäische Prüfprogramm der Sache nach zutreffend abgearbeitet sei59. Zur Anwendbarkeit des § 43 Abs. 4 BNatSchG in Bezug auf nur national geschützte Arten enthält auch dieses Urteil des BVerwG keine Aussage. Das Gericht stellt weiter fest, dass § 43 Abs. 4 BNatSchG auch gegen die VS-RL verstoße, da Art. 9 VS-RL ebenfalls nicht ausreichend umgesetzt sei. Für die Praxis bedeutet dies also, dass auch bei Fachplanungen die individuenbezogenen Verbote des § 42 BNatSchG zu prüfen sind und ggf. eine Befreiung nach § 62 BNatSchG zu erteilen ist. Die Anwendung des § 43 Abs. 4 BNatSchG ist in Bezug auf europarechtlich geschützte Arten nach Ansicht des BVerwG nicht mehr möglich. 3. Die sog. „saP“ Diese doch recht komplizierte Rechtslage hat die Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern dazu veranlasst, in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz die so genannten „Vorläufigen Hinweise zur Aufstellung der naturschutzfachlichen Angaben zur speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung (saP)“ ___________ 54 55 56 57 58 59

BVerwG, Urt. vom 16.3.2006, Az. 4 A 1073.04, Rdnr. 570. BVerwG, Urt. vom 16.3.2006, Az. 4 A 1073.04, Rdnr. 578. BVerwG, Urt. vom 21.6.2006, Az. 9 A 28.05 (Ortsumgehung Stralsund). BVerwG, Urt. vom 21.6.2006, Az. 9 A 28.05, Rdnr. 36. BVerwG, Urt. vom 21.6.2006, Az. 9 A 28.05, Rdnr. 38. BVerwG, Urt. vom 21.6.2006, Az. 9 A 28.05, Rdnr. 38.

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zu erarbeiten60. Diese Hinweise stellen – basierend auf der aktuellen Rechtslage und der Rechtsprechung des BVerwG – dar, wie die naturschutzfachlichen Angaben für den Bereich des Artenschutzrechts bis zur Novellierung des BNatSchG abzuarbeiten sind61. Die sog. „spezielle artenschutzrechtliche Prüfung – saP“ ist ein gesonderter Fachbeitrag neben dem landschaftspflegerischen Begleitplan, der das im Einzelfall betroffene Artenspektrum über die allgemeine Eingriffsregelung hinaus einem gesonderten Prüfprogramm unterzieht. Beide Fachbeiträge stehen jedoch nicht isoliert nebeneinander; die in der saP behandelten Arten sind vielmehr als Teil von Natur und Landschaft auch im landschaftspflegerischen Begleitplan im Hinblick auf die Eingriffsregelung zu berücksichtigen. Dies erfordert, dass in der Bestands- und Konfliktanalyse des LBP auf die wesentlichen Ergebnisse der Beeinträchtigungsanalyse der saP verwiesen wird und die Maßnahmen, die sich aus der Prüfung und Rechtsfolgenbewältigung des speziellen Artenschutzes ergeben, mit den Schutz-, Vermeidungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen der allgemeinen Eingriffsregelung abzugleichen und zu einem Gesamtkonzept zu verschmelzen sind. Dieses Konzept muss beiden Aspekten voll gerecht werden und dabei das Ziel der Mehrfachfunktionen von Flächen verfolgen. Im Rahmen der saP sind alle Anhang IV-Arten, alle europäischen Vogelarten sowie die nur national streng geschützten Arten abzuarbeiten. Da in Bezug auf die europarechtlich geschützten Arten § 43 Abs. 4 BNatSchG keine Anwendung mehr findet, hat sich die naturschutzfachliche Prüfung insofern an §§ 42, 62 BNatSchG zu orientieren62. In Bezug auf die nur national streng geschützten Arten findet § 43 Abs. 4 BNatSchG in seiner bisherigen Auslegung (d.h. mit nationalem Absichtsbegriff) weiterhin Anwendung. Die artenschutzfachliche Prüfung beschränkt sich insoweit also wie bisher auf die Vorgaben der Eingriffsregelung, ergänzt um die Schutzvorschrift des Art. 6a Abs. 2 S. 2 BayNatSchG. Die Prüfung dieser Schutzvorschrift wird nun nicht mehr wie bislang im LBP, sondern künftig als Bestandteil der saP durchgeführt. ___________ 60

Abrufbar unter http://www.bayerisches-innenministerium.de/bauen/strassenbau/ veroeffentlichungen/16638/. 61 Auch die LANA hat hierzu die sog. „Hinweise der LANA zur Anwendung des europäischen Artenschutzrechts bei der Zulassung von Vorhaben und bei Planungen“ erarbeitet. Diese beschränken sich in ihren Ausführungen allerdings auf die Vorgaben der europäischen Richtlinien und berücksichtigen nicht den vom BVerwG betonten Individuenbezug des nationalen Rechts. Vgl. hierzu näher Dolde, NVwZ 2007, 7 (8); Kratsch, NuR 2007, 27 (29); Lütkes, ZUR 2006, 513 (517). 62 Zudem ist Art. 6a Abs. 2 S. 2 BayNatSchG in Bezug auf die europarechtlich streng geschützten Arten zu prüfen, sofern die Vorschrift im Einzelfall über die artenschutzrechtlichen Vorgaben hinausgehende Anforderungen aufstellt. Dies wird in aller Regel lediglich bei der Zerstörung nicht ersetzbarer Nahrungshabitate der Fall sein. So auch Kratsch, NuR 2007, 100 (106).

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Die nur national besonders geschützten Arten sind nicht Bestandteil der saP. Auch insoweit findet § 43 Abs. 4 BNatSchG weiterhin Anwendung, weshalb sich die artenschutzfachliche Prüfung dieser Arten wie bislang auf die Vorgaben der Eingriffsregelung beschränkt. Die nur national besonders geschützten Arten werden also als Bestandteil der Natur im Rahmen der Eingriffsregelung abgeprüft. Wie bisher werden dabei im Rahmen eines indikatorischen Ansatzes über vorhandene Biotopstrukturen und Leitarten Rückschlüsse auf die nach allgemeinen Erfahrungswerten vorhandenen Tier- und Pflanzenarten gezogen. Eine über diesen indikatorischen Ansatz hinausgehende vollständige Erfassung aller Tier- und Pflanzenarten hat das BVerwG aus Gründen der Verhältnismäßigkeit abgelehnt. Die Eingriffsregelung dient nicht einer allgemeinen Bestandsaufnahme. Gibt es allerdings Anhaltspunkte für das Vorhandensein besonders seltener Arten, so ist diesen im Rahmen der Eingriffsregelung nachzugehen. Insbesondere Arten der Roten Liste sind daher im Einzelfall vertieft zu betrachten63.

V. Artenschutz im Bauplanungs- und Baugenehmigungsrecht Nicht minder bedeutsam als das Verhältnis von Artenschutz und Eingriffsregelung ist die Frage, wie sich die Rechtslage in der Bauleitplanung und bei der Realisierung der Bauvorhaben darstellt. Zunächst ist vorwegzunehmen, dass das Urteil des EuGH vom 10. Januar 2006 entgegen einer weit verbreiteten Meinung bei diesem Thema nur in einem Randbereich relevant wird64. Der Frage, wie das Artenschutzrecht in der Bauleitplanung abzuarbeiten ist, hat sich das BVerwG bereits im Jahre 1997 angenommen. Mit Beschluss vom 25.8.199765 hat das BVerwG klargestellt, dass sich die artenschutzrechtlichen Verbote nicht an den Plangeber, sondern an den Planvollzieher richten, da erst dieser in die Natur eingreife. Dem Plangeber obliege es allein vorauszusehen, ob eine Befreiungslage vorliege. Ist davon auszugehen, dürfe der Plangeber in sie hineinplanen. Liegen die Voraussetzungen der Befreiungslage objektiv nicht vor, so ist der Bauleitplan nicht vollzugsfähig und damit städtebaulich nicht erforderlich, vgl. § 1 Abs. 3 BauGB. Die planende Gemeinde hat daher die Aufgabe, bei der Aufstellung des Bauleitplans im Wege einer Prognose abzuschätzen, ob objektiv das Bauvorhaben durch eine artenschutzrechtliche Befreiung legalisiert werden kann oder dem Vorhaben das Artenschutzrecht als dauerhaftes Hindernis entgegensteht. ___________ 63 64 65

BVerwG, Beschl. vom 21.2.1997, Az. 4 B 177.96. Richtig insoweit Köck, ZUR 2006, 518 (518). BVerwG, Beschl. vom 25.8.1997, Az. 4 NB 12/97.

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Mit dieser Aussage hat das BVerwG zugleich klargestellt, dass § 43 Abs. 4 BNatSchG bei der Genehmigung des Bauvorhabens grundsätzlich keine Geltung zukommt. Das ist nach dem geltenden nationalen Recht auch konsequent, da nach § 21 Abs. 2 BNatSchG die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung auf Vorhaben in Gebieten mit Bebauungsplänen nach § 30 BauGB, während der Planaufstellung nach § 33 BauGB und im Innenbereich nach § 34 BauGB keine Anwendung findet und deshalb kein „nach § 19 (BNatSchG) zugelassener Eingriff“ im Sinn des § 43 Abs. 4 BNatSchG vorliegt. Diese Schlussfolgerung hat das BVerwG in seinem Urteil vom 11.1.200166 allerdings relativiert und § 43 Abs. 4 BNatSchG auf Innenbereichsvorhaben für anwendbar erklärt. Das BVerwG bejahte die erweiternde Auslegung der Legalausnahme mit der Begründung, die Bebauung einer Baulücke im Innenbereich sei ein durch das Gesetz selbst zugelassener Eingriff i.S.d. § 20 f Abs. 3 S. 1 BNatSchG a.F.67, da der Gesetzgeber grundsätzlich entschieden habe, „dass eine nach § 34 BauGB zulässige Bebauung im Innenbereich nicht am Naturschutzrecht scheitern soll“68. Diese Aussage ist zu Recht auf Kritik gestoßen, da § 21 Abs. 2 BNatSchG lediglich den Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung regelt, nicht jedoch die Zulassung eines Vorhabens69. Neuerdings wird sogar eine Ausweitung dieser Aussage des BVerwG auf Vorhaben in Gebieten mit Bebauungsplänen nach § 30 BauGB und während der Planaufstellung nach § 33 BauGB befürwortet70. Schon allein aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 43 Abs. 4 BNatSchG wird man dies jedoch kritisch sehen müssen. Abgesehen davon muss hier das Urteil des EuGH vom 10.1.2006 Berücksichtigung finden. Selbst wenn man also der Auffassung des BVerwG für den Innenbereich folgen und diese ggf. ausweitend anwenden möchte, so kann das Urteil zumindest in Bezug auf europarechtlich geschützte Arten keine Anwendung mehr finden. Denn für diesen Bereich darf § 43 Abs. 4 BNatSchG zur Herstellung europarechtmäßiger Zustände nicht mehr herangezogen werden. Zur Ausführung des Vorhabens bedarf der Bauherr sodann einer artenschutzrechtlichen Befreiung nach § 62 BNatSchG71. Dies gilt auch im Innenbereich, zumindest soweit europarechtlich geschützte Arten betroffen sind. Dem Planungsträger kann die Befreiung in der Regel nicht erteilt werden, da diese auf etwas rechtlich Unmögliches gerichtet ist und daher in ihrer Tatbestands___________ 66

BVerwG, Urt. vom 11.1.2001 – 4 C 6.00, NuR 2001, 385. Heute § 43 Abs. 4 BNatSchG. 68 BVerwG, Urt. vom 11.1.2001 – 4 C 6.00, NuR 2001, 385, Rdnr. 23. 69 Vgl. Louis/Wolf, NuR 2002, 455 (466); Louis, in: Dolde, Umweltrecht im Wandel, 2001, 492 (530). 70 Kratsch, NuR 2007, 100 (101). 71 A.A. Kratsch, NuR 2007, 100 (107); Müller, NuR 2005, 157 (160). 67

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wirkung ins Leere geht72. Etwas anderes muss allerdings gelten, sofern die gemeindliche Erschließungshandlung bereits zu einer Verwirklichung der artenschutzrechtlichen Verbote führt. Freilich ist das Rechtsinstitut der Planung in die materielle Befreiungslage auch mit Schwierigkeiten behaftet. So leidet die Verlässlichkeit der bauplanungsrechtlichen Prognose insbesondere darunter, dass die Erteilung der artenschutzrechtlichen Befreiung auf einer Ermessensentscheidung der zuständigen Naturschutzbehörde beruht. Das Ermessen der Naturschutzbehörde wird durch die planerische Prognose nicht eingeschränkt. Zweifelsohne kommt deshalb der Äußerung der zuständigen Naturschutzbehörde im Planungsverfahren eine gewichtige Indizwirkung bei der Frage zu, ob das Vorliegen einer materiellen Befreiungslage bejaht werden kann oder nicht73. Hat die zuständige Naturschutzbehörde eine Befreiungslage bejaht, so ist sie an diese Beurteilung gebunden, solange sich die maßgebliche Sach- und Rechtslage nicht ändert. Nichtsdestotrotz kann die Planung in die materielle Befreiungslage stets nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Erteilung von Befreiungen feststellen – nicht zuletzt deshalb, weil zwischen Planungsstadium und Planverwirklichung einige Zeit vergehen kann, in der sich u.U. auch der zu beurteilende Sachverhalt ändern kann. Nach alledem ist zu begrüßen, dass der Bundesgesetzgeber bei der aktuell anstehenden Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes sich auch dieser Thematik angenommen hat und einen Gleichlauf von nach § 19 BNatSchG zulässigen Eingriffen und Bauvorhaben im Sinn des § 21 Abs. 2 BNatSchG anstrebt74.

___________ 72

Vgl. nur BVerwG, Beschl. vom 9.2.2004, Az. 4 BN 28.03. BVerwG, Urt. vom 17.12.2002, Az. 4 C 15.01 (zur Bauleitplanung in Landschaftsschutzgebieten). 74 Vgl. § 42 Abs. 5 des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 25.4.2007, BT-Drs. 16/5100. 73

Artenschutzrechtliche Regelungen bei Eingriffen und Vorhaben nach dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes Von Gerhard Adams Zu den Aufgaben des Artenschutzes gehören der Schutz und die Pflege der wild lebenden Tier- und Pflanzenarten in ihrer natürlichen und historisch gewachsenen Vielfalt, § 39 Abs. 1 Satz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG). Die §§ 39 und 40 BNatSchG weisen den Ländern die Aufgabe zu, u. a. den Schutz der Tiere und Pflanzen und ihrer Lebensgemeinschaften vor Beeinträchtigungen durch den Menschen zu gewährleisten. Für Arten, die durch Zugriffsaktivitäten oder den Handel gefährdet sind, enthält das BNatSchG Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind Tiere und Pflanzen durch den internationalen Handel gefährdet, unterliegen sie in der Regel zusätzlich den Ein- und Ausfuhrbeschränkungen der EG-VO 338/971. Die artenschutzrechtlichen Vorschriften gelten flächendeckend im gesamten Bundesgebiet; sie sind nicht auf ein Schutzgebietssystem beschränkt. Für die Planungspraxis sind aus dem Gesamtkomplex Artenschutz die in § 42 Abs. 1 BNatSchG genannten Zugriffsverbote relevant, also die Verbote, besonders geschützte Tiere und Pflanzen sowie deren Wohnstätten bzw. Standorte zu beeinträchtigen, oder auch bestimmte Tiere zu stören. Diese Zugriffsverbote spielten in der Vergangenheit bei der Genehmigung von Eingriffen kaum eine Rolle, weil § 43 Abs. 4 BNatSchG die Ausführung eines nach § 19 ___________

Der Vortrag bezieht sich auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung (BR Drs. 123/07). Vorschriften des Gesetzentwurfs werden mit BNatSchGE gekennzeichnet. Nach der Vortragsveranstaltung, am 30.3.2007 hat der Bundesrat zu dem Gesetzesentwurf Stellung genommen (BR. Drs. 123/07 [Beschluss]). Die Bundesregierung hat zwischenzeitlich am 25.4.2007 eine Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates beschlossen und diese mit dem Gesetzentwurf dem Bundestag zugeleitet. Der Entwurf ist als Bundestagsdrucksache 16/5100 in erster Lesung am 26.4.2007 im Bundestag beraten worden (Plenarprotokoll S. 9624 f., 9669 ff.). 1 Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates vom 9. Dezember 1996 über den Schutz von Exemplaren wild lebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels (ABl. EG Nr. L 61 S. 1 vom 3.3.1997) zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1332/2005 vom 9. August 2005 (ABl. EG Nr. L 215 S. 1).

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Gerhard Adams

BNatSchG zugelassenen Eingriffs von den Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverboten ausnimmt.

I. Rechtsprechung des EuGH Die Legalausnahme des § 43 Abs. 4 BNatSchG steht unter dem Vorbehalt, dass die Beeinträchtigung nicht absichtlich erfolgt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte den Begriff „absichtlich“ in einem objektivierenden Sinn verstanden. Verboten seien danach gezielte Beeinträchtigungen von Tieren und Pflanzen, nicht dagegen Beeinträchtigungen, die sich als unausweichliche Konsequenz rechtmäßigen Handelns ergeben2. Der Begriff der Absicht ist identisch mit dem aus Art. 5 der EG-Vogelschutzrichtlinie (VRL)3. Der EuGH hatte in seinem Urteil vom 17. September 1987 (Rechtssache 412/85) gerügt, dass die Legalausnahme für die land- und forstwirtschaftliche Bearbeitung insofern mit dieser Richtlinie nicht in Einklang stehe, als sie auch absichtlich begangene Handlungen von den Zugriffsverboten freistelle. Durch Einfügung eines Vorbehalts für absichtliche Handlungen wurde dieser Rüge abgeholfen4. Der Absichtsbegriff ist wiederum auch inhaltsgleich mit dem aus Art. 12 der FFH-RL5, da diese Richtlinie in den Beratungen auf der VRL aufbaute. Mit dem Urteil des EuGH Caretta caretta6 hat der EuGH zu verstehen gegeben, dass er für die Erfüllung des Absichtsbegriffs in Art. 12 Abs. 1 d der FFH-RL das Wissen um das Vorkommen der Arten ausreichen lässt, eine Zielgerichtetheit einer Beeinträchtigung ist nicht erforderlich7. Die EuGH-Rechtsprechung hat Diskussionen dazu ausgelöst, ob in der Planungspraxis wegen des regelmäßig vorhandenen Wissens über das Vorkommen von Arten Absicht der Handelnden gegeben, daher ___________ 2

BVerwG, Urt. vom 11.1.2001 (4 C 6.00) NuR 1988, 53. Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (ABl. EG Nr. L 103 vom 25. April 1979, S. 1 zuletzt geändert durch Akte über den Beitritt der Tschechischen Republik, Estlands, Zyperns, Lettlands, Litauens, Ungarns, Maltas, Polens, Sloweniens und der Slowakei, ABl. EG Nr. L 236 vom 23. September 2003, S. 676). 4 Vgl. nur Lorz/Müller/Stöckel, Naturschutzrecht, 2. Aufl. 2003, Rdz. 14 zu § 43. 5 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (ABl. EG Nr. L 206 vom 22. Juli 1992, S. 7 zuletzt geändert durch Akte über den Beitritt der Tschechischen Republik, Estlands, Zyperns, Lettlands, Litauens, Ungarns, Maltas, Polens, Sloweniens und der Slowakei (ABl. EG Nr. L 236 vom 23. September 2003, S. 676). 6 EuGH-Urteil vom 30. Januar 2002 gegen Griechenland (Rechtssache C-103/00 [Caretta caratta]). 7 Bestätigt hat der EuGH diese Auslegung im Urteil vom 18. Mai 2006 gegen Spanien (Rechtssache C-221/04); zum Absichtbegriff hat sich der EuGH ferner auch im Urteil gegen das Vereinigte Königreich vom 20.10.2005 (Rechtssache C 6/04) geäußert. 3

Artenschutzrechtliche Regelungen bei Eingriffen und Vorhaben

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die Legalausnahme des § 43 BNatSchG nicht anwendbar sei und die artenschutzrechtlichen Vorschriften zu beachten seien8. Zentrale Bedeutung für das hier vorgestellte Gesetzgebungsvorhaben hat eine weitere Entscheidung: Der EuGH hat am 10. Januar 2006 (Rechtssache C 98/03) entschieden, dass die Ausnahmeregelung in § 43 Abs. 4 BNatSchG nicht mit der FFH-RL in Einklang steht, weil unklar sei, ob die in § 19 BNatSchG enthaltene Eingriffsregelung die Voraussetzungen des Art. 16 FFHRL abbilde. Außerdem hat er die Regelung für mit Art. 12 Abs. 1 d der FFHRL unvereinbar gehalten, weil diese nach seiner Ansicht sowohl absichtliche wie nicht absichtliche Beschädigungen von Lebensstätten verbiete. Auch ohne Bewertung der EuGH-Urteile zum Absichtsbegriff bestand damit Novellierungsbedarf am geltenden Recht9. Damit besteht nun die Aufgabe, die Beanstandungen des EuGH-Urteils vom 10.1.2006 gegen Deutschland so schnell wie möglich zu beseitigen. Das Gesetzgebungsverfahren steht unter dem Druck, dass die Kommission jederzeit ein Zwangsgeldverfahren nach Art. 228 EGV einleiten kann. Dementsprechend ist Eile geboten. Die Arbeiten an dem Gesetzentwurf mussten gleichwohl zunächst den Abschluss der Föderalismusdebatte anwarten, da die Rahmengesetzgebungskompetenz u. a. für Naturschutz und Landschaftspflege Bestandteil dieser Diskussion war. Am 1.9.2006 ist die Änderung des Grundgesetzes in Kraft getreten, die nun Naturschutz und Landschaftspflege der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zuordnet. Dabei gehört der Artenschutz zu den Bereichen, in dem die Länder von der Bundesregelung nicht abweichen können (Art. 72 Abs. 3 GG). Die Bundesregierung hat unter Federführung des BMU ein „Erstes Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes“ erarbeitet, mit dem die Beanstandungen des EuGH-Urteils beseitigt werden sollen. Der Gesetzentwurf wurde am 14. Februar 2007 vom Bundeskabinett beschlossen und liegt gegenwärtig dem Bundesrat als Drucksache 123/07 zur Beratung vor10.

___________ 8

Vgl. nur Gellermann, Artenschutz in der Fachplanung und der kommunalen Bauleitplanung, NuR 2003, 385 ff.; Vogt, Die Anwendung artenschutzrechtlicher Bestimmungen in der Fachplanung und der kommunalen Bauleitplanung, ZUR 2006, 21 ff. 9 Zur Rechtslage in Bezug auf Planungsverfahren im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG vgl. nur Kratsch, Neuere Rechsprechung zum Artenschutz, NuR 2007, S. 27 ff m.w.N. 10 Zum aktuellen Sachstand vgl. Fn. *.

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II. Leitfaden der Europäischen Kommission Während die Europäische Kommission sich in der Umsetzung der FFH-RL nach deren Inkrafttreten zunächst auf die Errichtung des Netzwerks NATURA 2000 konzentrierte, hat sie – beginnend in der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts – Beschwerde- bzw. Klageverfahren gegen Mitgliedstaaten gestützt auf die artenschutzrechtlichen Bestimmungen der FFH-RL eingeleitet11. Wegen großer Rechtsunsicherheiten in diesem Bereich hat sie sich entschlossen, einen Leitfaden zu den Art. 12 und 16 der Richtlinie auszuarbeiten. Entwürfe dieses Leitfadens wurden mit den Mitgliedstaaten teilweise kontrovers diskutiert. Zusätzlich haben längere kommissionsinterne Abstimmungen dazu geführt, dass es nun einige Jahre gedauert hat, bis dieser Leitfaden in seiner endgültigen Fassung Ende Februar 2007 von der Kommission auf ihrer website eingestellt wurde12. Dieses „Guidance document on the strict protection of animal species of Community interest under the Habitats Directive 92/43/EEC“ ist ein Papier der Europäischen Kommission, d. h. es wird von ihr selbst verantwortet. Es stellt deren Rechtsansichten bei der Auslegung der Art. 12 und 16 FFH-RL dar. Eine förmliche Zustimmung der Mitgliedstaaten zu dem Papier wurde nicht erbeten. Da die Kommission die Einhaltung des EG-Vertrages wie des übrigen Gemeinschaftsrechts zu überwachen hat und erforderlichenfalls Vertragsverletzungverfahren einleitet, hat das Dokument entsprechende Relevanz. Der Leitfaden gibt an verschiedenen Stellen Interpretationshinweise, auf denen der Gesetzgebungsentwurf der Bundesregierung fußt. Besonders deutlich wird dies in einem Gebiet, das heute nicht zur Diskussion steht, nämlich der Umsetzung der artenschutzrechtlichen Vorschriften in der Land- und Forstwirtschaft13. Auch einige Grundgedanken der sog. Hinweise der LANa zur Anwendung des europäischen Artenschutzrechts bei der Zulassung von Vorhaben und bei Planungen14 entstammen dem Leitfaden. Damit komme ich zum Kern der Neuregelung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung: Zentral ist die Streichung des geltenden § 43 Abs. 4 BNatSchG, also die Streichung der Legalausnahme u. a. für die Ausführung nach § 19 BNatSchG zugelassener Eingriffe. Ohne diese Ausnahme gelten die artenschutzrechtlichen Vorschriften auch für Tatbestände, die unter die Eingriffsre___________ 11

Verfahren Caretta caretta (Fn. 6); gegen Deutschland u. a. Beschwerdeverfahren bzgl. des grenzüberschreitendes Gewerbegebiet Aachen-Heerlen oder der Universität Göttingen; beide Verfahren wurden später von der Europäischen Kommission. 12 URL: http://forum.europa.eu.int/Public/irc/env/species_protection/library?=/com mision_guidance/final_completepdf/_EN_1.0_&a=d. 13 § 42 Abs. 4 BNatSchGE. 14 Beschlossen auf der 93. LANa Sitzung am 29.5.2006 und gemäß des Beschlusses der 67. UMK vom 26./27. Oktober 2006 ergänzt.

Artenschutzrechtliche Regelungen bei Eingriffen und Vorhaben

329

gelung fallen. Diese Neuregelung gilt allerdings nicht für alle besonders geschützten Tier- und Pflanzenarten i. S. d. § 10 Abs. 2 Nr. 10 BNatSchG. Die Zugriffsverbote sollen vielmehr bei Eingriffen und in der Bauplanung nur für die aufgrund der beiden Naturschutzrichtlinien der Gemeinschaft besonders geschützten Arten gelten: Die europäischen Vogelarten und die im gemeinschaftlichen Interesse streng zu schützenden Tier- und Pflanzenarten des Anhangs IV der FFH-RL. Die weiteren besonders geschützten Arten, insbesondere die Arten der Anlage 1 der Bundesartenschutzverordnung, deren Schutz durch § 10 Abs. 2 Nr. 10 Buchstabe c vermittelt wird, werden von der Neuregelung nur randlich erfasst. Wie sehen nun die Zugriffsverbote aus? § 42 BNatSchGE ist in den Zugriffstatbeständen gegenüber dem geltenden Recht geringfügig verändert worden. Die Tatbestände sind im Wesentlichen inhaltsgleich, wenn auch begrifflich abgeändert, teilweise auch an den Tatbeständen des Richtlinienrechts orientiert. Nach wie vor werden vorsätzliche wie fahrlässige Handlungen erfasst. Als Ordnungswidrigkeit geahndet werden allerdings nur vorsätzliche Begehungsformen. Im Zuge der Diskussion der Vorschriften ist eine Reduzierung der Zugriffstatbestände auf absichtliche Begehungsformen gefordert worden. Der Begriff Absicht hätte im Hinblick auf die Entscheidungen des EuGH zum Absichtsbegriff15 seine Entsprechung im bedingten Vorsatz des Strafrechts gefunden. Eine Einschränkung auf bedingt vorsätzliche Tatbegehungen erschien nicht sinnvoll: Dafür lassen sich vier Gründe anführen: a) Art. 12 Abs. 1 d der FFH-RL verlangt einen Schutz der Fortpflanzungsund Ruhestätten auch vor nicht absichtlichen Beeinträchtigungen16. Bei vielen kleineren, wenig mobilen in Anhang IVa der Richtlinie genannten Tierarten (z. B. des Eremits) ist die Beeinträchtigung dieser Stätten zwangsläufig mit einer Verletzung oder Tötung der jeweiligen Exemplare verbunden. In diesen Fällen ist oft zugleich mit einem Verstoß gegen das Verletzungsoder Tötungsverbot auch ein Verstoß gegen das – auch nicht absichtlich zu realisierende – Verbot der Beeinträchtigung der Stätten gegeben. b) Ist bei der Realisierung von Vorhaben das Vorkommen geschützter Tierund Pflanzenarten bekannt – dies ist bei Bauvorhaben, denen entsprechende Untersuchungen vorausgehen, nahezu stets der Fall –, erfüllt jede Schädigungshandlung ohnehin den Absichtsbegriff des EuGH. c) Die Beschränkung auf vorsätzliche Begehungsformen nimmt den zuständigen Stellen die Möglichkeit, gegen fahrlässige Verletzungs- oder Störungshandlungen ordnungsrechtlich vorzugehen; dies erscheint unangemessen. ___________ 15

Vgl. Fn. 6 und 7. Vgl. oben EuGH-Urteil vom 10. Januar 2006 gegen Deutschland (Rechtssache C-98/03). 16

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d) Die artenschutzrechtlichen Vorschriften haben nach wie vor große Relevanz in ihrem originären Anwendungsbereich, der Verhinderung des Zugriffs durch private oder gewerbliche Sammel- und ähnliche Aktivitäten sowie durch Störungen oder Beeinträchtigungen. In dieser Form haben sie sich seit einigen Jahrzehnten bewährt. Die Erstreckung der Zugriffsverbote auf Eingriffstatbestände sollte daher nicht mit einer Reduzierung des Anwendungsbereichs im Übrigen einhergehen. Zwei Änderungen des Entwurfs an den Zugriffsverboten sollen hervorgehoben werden: 1. Das Störungsverbot ist an die Richtlinienvorgaben des Art. 5 b VRL und Art. 12 Abs. 1 b FFH-RL angepasst. Die Arten werden nicht mehr – wie bisher – an ihren Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtsstätten vor Störungen durch Aufsuchen, Fotografieren, Filmen oder ähnliche Handlungen geschützt. Vielmehr sollen diese Tiere – unabhängig von den genannten Stätten – nun während bestimmter, für das Überleben wichtiger Zeiten geschützt werden, nämlich während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten. Neu ist die Einführung einer Erheblichkeitsschwelle. Eine solche ist in Art. 12 Abs. 1 d der FFH-RL nicht vorgesehen, allerdings sieht die Europäische Kommission im Leitfaden die Möglichkeit, eine Schwelle für eine Störung einzuführen; nach ihrer Ansicht ist eine Störung ins Verhältnis zur Erhaltungssituation der Art und ihrer Überlebenswahrscheinlichkeit zu setzen17. Dagegen stellt das Störungsverbot der VRL ausdrücklich auf das Erreichen der Ziele der Richtlinie ab. Diesen Gedanken folgend, wird die Erheblichkeit in der Neuregelung von der Erhaltungssituation der lokalen Population abhängig gemacht. Eine lokale Population umfasst diejenigen (Teil-)Habitate und Aktivitätsbereiche der Individuen einer Art, die in einem für die Lebens(-raum)ansprüche der Art ausreichenden räumlich-funktionalen Zusammenhang stehen. Eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Überlebenschancen, der Bruterfolg oder die Reproduktionsfähigkeit vermindert werden, wobei dies artspezifisch für den jeweiligen Einzelfall untersucht werden muss18.

___________ 17

Leitfaden II.3.2a, Randnummern 38 f. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu Nr. 3 beschlossen, die Störungsverbote noch enger an den Richtlinientexten zu orientieren und für § 42 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 BNatSchGE folgende Fassung vorzuschlagen: „wild lebende Tiere der europäischen Vogelarten während der Brut- und Aufzuchtzeit sowie wild lebende Tiere der streng geschützten Arten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören.“ Die Bundesregierung hat dieser Maßgabe in ihrer Gegenäußerung nicht zugestimmt (BT Drs. 16/5100, Anlage 2 und 3). 18

Artenschutzrechtliche Regelungen bei Eingriffen und Vorhaben

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2. Die zweite erwähnenswerte Änderung ist die Einführung des Begriffs der „Fortpflanzungs- oder Ruhestätten“ in § 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchGE. Dieser ersetzt den bisherigen Begriff der Nist-, Brut- Wohn- und Zufluchtstätte des geltenden § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Der Begriff ist Art. 12 Abs. 1 Buchstabe d der FFH-RL entlehnt und deckt alle durch die bisherige Begrifflichkeit geschützten Funktionen in gleicher Weise ab. Er umfasst auch den Begriff der Nester aus Art. 5 Buchstabe d VRL. Was unter Fortpflanzungs- oder Ruhestätten zu verstehen ist, ist – wie bisher – für jede Tierart im Einzelnen zu klären. Hinweise und Erläuterungen enthält der Leitfaden der Kommission19. Die Kommission geht davon aus, dass Fortpflanzungsund Ruhestätten einen dauerhaften Schutz genießen, wenn sie regelmäßig benutzt werden, auch wenn sie aktuell nicht besetzt sind20. § 42 Abs. 5 des Entwurfs schränkt die Anwendung der Zugriffsverbote für nach § 19 BNatSchG zulässige Eingriffe ein. Dasselbe gilt auch für die nach den Vorschriften des Baugesetzbuches zulässige Vorhaben im Sinne des § 21 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG, nämlich: x Vorhaben in Gebieten mit Bebauungsplänen nach § 30 BauGB, x Vorhaben während der Planaufstellung nach § 33 BauGB und x Vorhaben im Innenbereich nach § 34 BauGB § 42 Abs. 5 BNatSchGE ist eine tatbestandseinschränkende Regelung im Hinblick auf die Zugriffsverbote des Abs. 1, die Vorschrift ist nicht als Ausnahme konstruiert. Einschränkungen gegenüber den Zugriffsverboten bestehen in zweierlei Hinsicht: 1. Auf der Ebene der erfassten Arten: Für Eingriffe und Vorhaben gelten die Zugriffsregelungen nur in Bezug auf die europäischen Vogelarten und die in Anhang IV FFH-RL gelisteten Arten. Dies ergibt sich aus § 42 Abs. 5 Satz 6 BNatSchGE21. ___________ 19

Leitfaden II.3.4.b) Randnummern 57 – 60. In seiner Stellungnahme zu 4. möchte der Bundesrat den Schutz der Lebensstätten nur dann einen ganzjährigen Schutz gewährleisten, sofern sie von Exemplaren derselben Art regelmäßig jedes Jahr aufs Neue genutzt werden. Diesem Vorschlag hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung nicht zugestimmt, vgl. BT Drs. 16/5100, Anlage 2 und 3. 21 Mit seinem Vorschlag zu 8. hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme die Geltung der artenschutzrechtlichen Regelungen auch für die Eingriffsregelung und die oben genannten Vorschriften des BauBG für die von den Naturschutzrichtlinien erfassten Arten präzisiert; diesem Vorschlag hat die Bundesregierung zugestimmt (BT Drs. 16/5100, Anlage 2 und 3). 20

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Für nicht von den beiden Naturschutzrichtlinien erfassten besonders geschützten Arten (§ 10 Abs. 2 Nr. 10 a [Arten der Anhänge A und B EG-VO 338/97] sowie c BNatSchG [Anlage 1 Bundesartenschutzverordnung]) gibt es allerdings einen artenschutzrechtlichen Mindestschutz auch bei Eingriffen und Vorhaben: Dies ergibt sich aus den Worten „zur Durchführung“ in Satz 6 in Verbindung mit der amtlichen Begründung zu dieser Vorschrift. Dort heißt es: „Sind andere als in Anhang IV der FFH-RL aufgeführte Arten oder europäische Vogelarten betroffen, liegt nach Satz 6 ein Verstoß gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nur vor, wenn die betreffende Handlung zur Durchführung des Eingriffs oder Vorhabens nicht geboten ist. Diese Reglung greift die Vorschrift des § 43 Abs. 4 a.F. und die dazu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung auf. Danach unterfielen solche Beeinträchtigungen nicht den artenschutzrechtlichen Verboten, die sich als unausweichliche Konsequenz rechtmäßigen Verhaltens ergaben (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2001 – 4 C 6.00). Mit der vorgesehenen Regelung soll klar gestellt werden, dass die Privilegierung von Eingriffen in Natur und Landschaft sowie Vorhaben im Sinne des § 21 Abs. 2 Satz 1 bei nach nationalem Recht geschützten Arten auch künftig dort ihre Grenze findet, wo Beeinträchtigungen z. B. im Rahmen von Baggerarbeiten ohne weiteres vermieden werden können, ohne die Durchführung des Eingriffs oder des Vorhabens als solche zu behindern.“ 2. § 43 Abs. 2 Satz 2 BNatSchGE stellt solche Zugriffshandlungen vom Verbot, Fortpflanzungs- oder Ruhestätten zu beeinträchtigen frei, bei denen die ökologische Funktionen dieser Stätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt werden können. Die Neuregelung basiert damit auf Überlegungen, wie sie in den Hinweisen der LANa zur Anwendung des europäischen Artenschutzrechts bei der Zulassung von Vorhaben und Planungen22 niedergelegt wurden. Basis für diese Überlegung ist, dass der Begriff der Fortpflanzungs- oder Ruhestätte zumindest europarechtlich weiter definiert werden kann. D. h. er kann statt eines einzelnen Tümpels auch ein System von Tümpeln für den Kammmolch als Fortpflanzungs- oder Ruhestätte betrachten. Verändere ich dieses System oder ein solches Netz am Rand durch Zerstörung einzelner Tümpel, ergänze ich das System aber an anderer Stelle, so dass netto derselbe Lebensraum zur Verfügung steht und die bisherigen Funktionen weiterhin erfüllt werden können, beeinträchtige ich eine derart verstandene Fortpflanzungs- oder Ruhestätte nicht. Ist also trotz Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung einzelner Nester, Bruthöhlen, Laichplätze etc. die ökologische Funktion der betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätte im räumlichen Zusammenhang weiterhin gewährleistet, liegt keine Beeinträchtigung vor. An der ökologischen Gesamtsituation des von ___________ 22

Vgl. Fn. 14.

Artenschutzrechtliche Regelungen bei Eingriffen und Vorhaben

333

dem Vorhaben betroffenen Bereichs darf im Hinblick auf seine Funktion als Fortpflanzungs- oder Ruhestätte keine Verschlechterung eintreten. Dazu kann es erforderlich sein, funktionserhaltende oder konfliktmindernde Maßnahmen zu treffen, die unmittelbar am voraussichtlich betroffenen Bestand ansetzen, mit diesem räumlich-funktional verbunden sind und zeitlich so durchgeführt werden, dass zwischen dem Erfolg der Maßnahmen und dem vorgesehenen Eingriff keine zeitliche Lücke entsteht23. Um dies zu gewährleisten, sollen neben Vermeidungsmaßnahmen nach Satz 4 auch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen nach § 19 Abs. 2 BNatSchG bzw. nach § 1a Abs. 3 BauGB angeordnet werden können. Satz 3 geht davon aus, dass dann, wenn im Sinne des soeben Ausgeführten sichergestellt ist, dass die ökologische Funktion der betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten ununterbrochen gegeben bleibt, Beeinträchtigungsoder Störungshandlungen, die unvermeidlich im unmittelbaren Zusammenhang mit den nach dem Vorgesagten zulässigen Einwirkungen auf Fortpflanzungs- oder Ruhestätten erfolgen, nicht die Verbotstatbestände des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 erfüllen. Satz 5 überträgt den Ansatz der Wahrung der ökologischen Funktionalität auf die Standorte wild lebender Pflanzen. Hier sind nur die Standorte der Arten des Anhangs IVb der FFH-RL gemeint24.

III. Ausnahme- und Befreiungsmöglichkeiten Der Gesetzgebungsentwurf führt eine Neuordnung in der Aufteilung zwischen den Tatbeständen der Ausnahme (§ 43 Abs. 8 BNatSchGE) und der Befreiung (§ 62 BNatSchGE) herbei. Die in öffentlichem Interesse in Betracht kommenden Umstände sind in § 43 Abs. 8 BNatSchGE konzentriert. § 62 BNatSchGE regelt künftig Befreiungen in ausschließlich privatem Interesse. § 43 Abs. 8 BNatSchGE macht die Erteilung einer Ausnahme von drei Voraussetzungen abhängig: 1. Dem Vorliegen eines der in § 43 Abs. 8 Satz 1 BNatSchGE enumerativ genannten Ausnahmegründe, 2. dem Fehlen einer zumutbaren Alternative (§ 43 Abs. 8 Satz 2, 1. Halbs. BNatSchGE) sowie ___________ 23

Vgl. Leitfaden II 3.4 b und d. Der Bundesrat hat eine Präzisierung von § 42 Abs. 5 Satz 5 BNatSchGE vorgeschlagen, vgl dazu Fn. 21. 24

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3. der Erhaltung des Status quo der betroffenen Population, d. h., durch die Erteilung der Ausnahme darf sich die Erhaltungssituation nicht verschlechtern (§ 43 Abs. 8 Satz 2, 2. Halbs. BNatSchGE). Eine Verweisung auf Art. 9 VRL und Art. 16 FFH-RL wie im geltendem Recht ist nicht mehr vorgesehen, da beide Ausnahmevorschriften durch die vorstehende Regelung in nationales Recht vollständig umgesetzt werden. Die in § 43 Abs. 8 Satz 1 BNatSchGE aufgelisteten Ausnahmegründe sind den Tatbeständen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL nachgebildet. Die Bundesregierung hat sich entschlossen, diesen Katalog an Ausnahmegründen für Zugriffsregelungen betreffend europäische Vogelarten vorzuschlagen. Zwar ist dies nicht unmittelbar durch Art. 9 der VRL abgedeckt, der einen weniger umfassenden Ausnahmekatalog enthält, u. a. Art. 2 dieser Richtlinie erlaubt indes eine entsprechende Anwendung der Ausnahmetatbestände des Art. 16 FFH-RL. Für Eingriffe und Vorhaben wird insbesondere der fünfte Ausnahmegrund in Betracht kommen: „aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art“. Die weiteren Ausnahmegründe werden eher selten in Betracht kommen. Nach § 43 Abs. 8 Satz 2. 1. Halbs. BNatSchGE darf keine andere zumutbare Alternative gegeben sein. In der Begrifflichkeit knüpft diese Vorschrift an den Wortlaut von § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG an, der die Kriterien für die Verträglichkeitsprüfung für Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung sowie für Europäische Vogelschutzgebiete festlegt. Die zumutbaren Alternativen beziehen sich in dieser Vorschrift auf eine Realisierung des Projekts an anderer Stelle oder mit geringeren Beeinträchtigungen für das Gebiet. In gleicher Weise ist die Formulierung „zumutbare Alternative“ in § 43 Abs. 8 Satz 2. 1. Halbs. BNatSchGE zu verstehen; die Alternativen beziehen sich auf die Beeinträchtigungen der geschützten Arten. Im Hintergrund dieser Regelung steht das Ausnahmekriterium „keine andere zufriedenstellende Möglichkeit“ in Art. 16 Abs. 1 c) FFH-RL. Dazu liegt bislang keine EuGH-Rechtsprechung vor. Die europäische Kommission macht im Leitfaden25 Ausführungen zu dieser Ausnahmevoraussetzung, basierend auf Entscheidungen des EuGH zur Ausnahmebestimmung des Art. 9 VRL. Sie vertritt dort die Auffassung, dass sich die Alternativen nach den geringstmöglichen Beeinträchtigungen für die betroffenen Anhang IV-Arten richten müssen26. ___________ 25

Abschnitt III. 2.2. Der Bundesrat in Nr. 13 a seiner Stellungnahme vorgeschlagen, die Wörter „zumutbare Alternative“ durch die Wörter „anderweitige zufriedenstellende Lösung“ zu ersetzen. Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung diesem Vorschlag nicht zugestimmt (vgl. BT Drs. 16/5100, Anlage 2 und 3). 26

Artenschutzrechtliche Regelungen bei Eingriffen und Vorhaben

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§ 43 Abs. 8 Satz 2, 2. Halbsatz stellt als weitere Ausnahmevoraussetzung das Erfordernis auf, dass sich die Erhaltungssituation der Population einer Art nicht verschlechtert. Diese Auslegung geht zurück auf die Ausführungen im Leitfaden27 der Europäischen Kommission. Danach darf die Ausnahmeentscheidung nicht dazu führen, dass sich der Status für die Population verschlechtert. Ausgleichsmaßnahmen können unter bestimmten Umständen genutzt werden, um die Auswirkungen auf Fortpflanzungs- oder Ruhestätten wettzumachen. Hintergrund dieses Erfordernisses ist die entsprechende Ausnahmevoraussetzung aus Art. 16 FFH-RL. Diese Vorschrift bedingt, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen müssen. Ob diese Voraussetzung so ausgelegt werden kann, wie dies die Europäische Kommission in ihrem Leitfaden vorschlägt und wie dies die Bundesregierung in § 43 Abs. 8 Satz 2 BNatSchGE versteht, ist Gegenstand der Prüfung durch den EuGH (Rechtsstreit der Europäischen Kommission gegen Finnland, Rechtssache C-342/05). In ihrem Schlussantrag vom 30.11.2006 teilt Generalanwältin Kokott die Rechtsausführungen der Kommission nicht; nach ihrer Auffassung darf eine Ausnahme nur erteilt werden, wenn die Populationen eine günstige Erhaltungssituation iSd Art. I Buchtstabe i) der FFH-RL aufweisen28. Ein Absehen von diesem Kriterium ist nach Ansicht der Generalanwältin nur unter ganz besonderen Umständen wie einer unmittelbaren Gefährdung höchster Güter wie menschliches Leben oder der menschlichen Gesundheit möglich, wenn diese der einzige Weg zur Gefahrenabwehr ist29. Die Generalanwältin bezieht sich insoweit auf die Grundsätze des sog. Leybucht-Urteils vom 28.2.1991 (Rechtssache C-57/89). Dieselbe Rechtsfrage ist auch Gegenstand eines Klageverfahrens gegen Österreich (Rechtssache C508/04). Auch in diesem Rechtsstreit vertritt Generalanwältin Kokott die Auffassung, dass es zur Umsetzung von Art. 16 FFH-RL nicht ausreicht, dass der jeweilige Bestand der betreffenden Tier- und Pflanzenarten […] nicht verschlechtert wird [vgl. Rdz. 65 – 68]. Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH in den Verfahren gegen Finnland und Österreich urteilt. Wie oben ausgeführt, regelt § 62 BNatSchGE im Gegensatz zum geltenden Recht die Befreiung nur im privaten Interesse, nicht mehr im öffentlichen bzw. Gemeinwohlinteresse. Die Neuregelung stellt darauf ab, dass die Durchführung der Verbote des § 42 BNatSchGE im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen. Mit unzumutbar sind die Fälle gemeint, die der Einzelne bei einer Abwägung der mit der Umsetzung der Verbote verbundenen Auswirkungen nach den Kriterien des Grundgesetzes und der primärrechtlichen Garantien des ___________ 27 28 29

Abschnitt III.2.3. Randnummer 41 des Votums. Randnummern 51 – 53 des Votums.

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EG-Vertrages nicht mehr hinzunehmen braucht. Unzumutbar ist z. B. die nicht mehr in den Bereich der Sozialbindung des Eigentums fallende Belastung unter Zahlung des erforderlichen Ausgleichs. Das Vorliegen einer nicht beabsichtigten Härte des bisherigen in § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a BNatSchG reicht allein nicht mehr aus, eine Befreiung zu gewähren30. Eine Befreiung kommt danach beispielsweise in Betracht, wenn ein Dach zwingend repariert werden muss, um ein Haus vor dem Verfall zu bewahren und es nutzbar zu halten, damit aber zwangsläufig die Beeinträchtigung einer Wochenstube von Fledermäusen oder von Vogelnestern verbunden ist. Die Neuregelung ist als Ermessensnorm ausgestaltet. Der Betroffene hat daher Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensprüfung, nicht aber einen unbedingten Anspruch. Durch Nebenbestimmung kann im Falle der Erteilung der Befreiung sichergestellt werden, dass der Betroffene etwa durch Ersatzmaßnahmen gleichwertige Zustände wiederherstellt. § 43 Abs. 8 Satz 3 weist auf die nach der FFH-RL und der VRL bestehenden Berichtspflichten Deutschlands gegenüber der Europäischen Kommission hin. Es ist Aufgabe der Länderverwaltungen, die Umstände der Ausnahmeerteilung sowie weitere Details dem Bund zur Weitergabe an die Kommission zu übermitteln. Die europarechtlichen Berichtspflichten dürften auch für die Erteilung von Befreiungen nach dem neuen § 62 BNatSchGE gelten. Im Rahmen der Eingriffsregelung wie im Bauplanungsverfahren sind Grundsätze dazu aufgestellt worden, welche Anforderungen an die Ermittlung des Vorkommens von betroffenen Tier- und Pflanzenarten gestellt werden31. Für einen aufgrund eines nach öffentlichem Recht vorgesehenen Fachplans vorgenommenen Eingriff gelten die Anforderungen des § 20 Abs. 4 BNatSchG. Der BNatSchGE stellt in Bezug auf artenschutzrechtliche Anforderungen keine zusätzlichen, spezifischen Anforderungen an die Erfassung europarechtlich geschützter Arten. Aus dem Verbotscharakter der artenschutzrechtlichen Vorschriften folgt allerdings, dass Anhaltspunkten für das Vorkommen der vom Eingriff bzw. der Planung betroffenen Arten des Anhangs IV FFH-RL sowie von europäischen Vogelarten nachzugehen, d. h. konkret zu prüfen ist, ob diese durch die Maßnahme betroffen sind. Kann die ökologische Funktion einer Fortpflanzungs- oder Ruhestätte aufrechterhalten werden, können sich Untersuchungen des relevanten Artenspektrums auf diese Stätten beschränken. Im Fall einer Ausnahme muss ein hinreichender Kenntnisstand zur jeweiligen Population und deren Erhaltungszustand vorhanden sein; weitergehende Unter___________ 30

Dementsprechend stimmte die Bundesregierung dem Vorschlag Nr. 16 in der Stellungnahme des Bundesrates nicht zu, in § 62 Satz 1 die Wörter „unzumutbare Belastung“ durch die Wörter „nicht beabsichtigte Härte“ zu ersetzen, vgl. BT Drs. 16/5100, Anlage 2 und 3. 31 Für umfangreiche Rechtsprechungshinweise vgl. Fischer-Hüftle/Schumacher, BNatSchG, 2003, § 19 Rn. 12.

Artenschutzrechtliche Regelungen bei Eingriffen und Vorhaben

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suchungen können auch unter diesen Umständen entbehrlich sein, wenn aufgrund der Maßnahme einschließlich evtl. Ausgleichsmaßnahmen sichergestellt ist, dass keine nachteiligen Änderungen auf Populationsebene zu befürchten sind. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Hinweise der LANa zur Anwendung des europäischen Artenschutzrechts bei der Zulassung von Vorhaben und bei Planungen32 Bezug genommen.

___________ 32

Vgl. Fn. 14.

Auf dem Weg zu einem Umweltgesetzbuch? Stand und Perspektiven Von Christof Sangenstedt

I. Neuer Anlauf für ein UGB Das Thema „Umweltgesetzbuch (UGB)“ steht seit einiger Zeit wieder ganz oben auf der umweltpolitischen Tagesordnung. Nach dem Koalitionsvertrag vom 18.11.2005 haben sich die die Bundesregierung tragenden Parteien vorgenommen, im europäischen und im deutschen Umweltrecht „ein hohes Schutzniveau für Gesundheit und Umwelt mit möglichst unbürokratischen und kostengünstigen Regelungen zu erreichen und so die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu stärken“. Wesentlichen Anteil hieran soll das UGB haben. Denn: „Das historisch gewachsene, zwischen verschiedenen Fachgebieten sowie zwischen Bund und Ländern stark zersplitterte Umweltrecht entspricht nicht den Anforderungen an eine integrierte Umweltpolitik.“ Deshalb, so der Koalitionsvertrag weiter, soll das deutsche Umweltrecht „vereinfacht und in einem Umweltgesetzbuch zusammengefasst werden“, wobei die verschiedenen Genehmigungsverfahren durch eine integrierte Vorhabengenehmigung ersetzt werden sollen1. Seitdem wird im Bundesumweltministerium (BMU) wieder mit Hochdruck an Regelungsentwürfen für ein Umweltgesetzbuch gearbeitet. Noch in dieser Legislaturperiode, so die Zielvorgabe, soll ein UGB verabschiedet werden. Sinn des vorliegenden Beitrags ist es, die Hintergründe, die Ziele und die Konzeption des Umweltgesetzbuchs sowie erste Regelungsüberlegungen darzustellen. Eingegangen werden soll aber auch auf die schwierigen Randbedingungen und die Realisierungschancen des Vorhabens. Denn obwohl das Projekt nach Verabschiedung der Föderalismusreform unter kompetenzrechtlich veränderten und insoweit, verglichen mit früheren Ansätzen, ungleich günstigeren Voraus___________ 1

Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (veröffentlicht auf der Website des Deutschen Bundestages unter http://www.bundestag.de/aktuell/archiv/2005/koalition/ vertrag.pdf), Abschnitt B 7.3, S. 55 f. Das Dokument trägt das Datum 11.11.2005, ist aber erst am 18.11.2005 von den Koalitionspartnern unterzeichnet worden.

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Christof Sangenstedt

setzungen an den Start geht, bleibt es eine nicht zu unterschätzende politische und rechtliche Herausforderung.

II. Die Bedeutung der Föderalismusreform für das UGB 1. Wer vom UGB redet, darf die Föderalismusreform nicht unerwähnt lassen. Erst die Neuordnung der Umweltkompetenzen hat den Weg für ein Umweltgesetzbuch frei gemacht. Zur Erinnerung: Kaum ein umweltrechtliches Reformvorhaben ist so nachdrücklich von allen Seiten gefordert worden, hat Politik, Rechtswissenschaft und Praxis seinerzeit so intensiv beschäftigt wie das UGB. Seit den 90er Jahren haben sich Bundesregierungen, gleich welcher Couleur, zum Ziel gesetzt, das Umweltrecht neu zu fassen und in einem Umweltgesetzbuch zusammenzuführen. Dabei wurden umfangreiche, auch heute noch richtungsweisende Vorarbeiten geleistet. Meilensteine auf dem Weg zum UGB sind der sog. „Professoren-Entwurf“ (UGB-ProfE), der von zwei mit Universitätsprofessoren besetzten Kommissionen in den Jahren 1990 (Allgemeiner Teil)2 und 1994 (Besonderer Teil)3 vorgelegt wurde, sowie der Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch (sog. „Kommissionsentwurf“ – UGBKomE)4. Diese 1992 vom BMU eingesetzte Expertenkommission, der neben Hochschullehrern auch „Praktiker“ unterschiedlicher Professionen (Richter, Rechtsanwalt, Behördenvertreter, Konzernbeauftragter für Umweltschutz eines Industrieunternehmens) angehörten, legte ihren umfangreichen Entwurf im September 1997 vor. Hierauf aufbauend erarbeitete das BMU bis zum Jahr 1999 Referentenentwürfe für ein Erstes Buch des Umweltgesetzbuchs (UGB I) und ein ergänzendes Einführungsgesetz5. Eine vertiefte Prüfung durch die Verfassungsressorts der Bundesregierung (BMI und BMJ) ergab dann jedoch, dass kompetenzrechtliche Hindernisse ei___________ 2 Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann unter Mitwirkung von Kunig, Umweltgesetzbuch – Allgemeiner Teil, Berichte des Umweltbundesamtes 7/90, 1990. 3 Jarass/Kloepfer u.a., Umweltgesetzbuch – Besonderer Teil (UGB-BT), Berichte des Umweltbundesamtes 4/94, 1994. 4 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1998. 5 Eingehend zur Entwicklung bis zum Referentenentwurf für ein UGB I Feldmann, Aktuelle Entwicklungen zum Umweltgesetzbuch, in: Bohne (Hrsg.), Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch, 2002, S. 13, 14 ff. Ein Arbeitsentwurf des BMU für ein UGB I vom 5.3.1998 ist abgedruckt in: Rengeling (Hrsg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch I, 1998, S. 273 ff.

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ner Fortführung des Projekts entgegenstanden. Unüberwindliche Probleme bereiteten nach dem Ergebnis dieser Prüfung insbesondere die sehr begrenzten Regelungsbefugnisse des Bundes in den Bereichen Wasser und Naturschutz sowie beim dazugehörigen Verwaltungsverfahren. Der Bundesgesetzgeber verfügte hier nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GG nur über eine Rahmenkompetenz. Auf dieser schmalen Kompetenzgrundlage konnten Kernelemente der UGB-Konzeption des BMU nicht umgesetzt werden6. Es ist zwar gelegentlich die Vermutung geäußert worden, die Berufung des Bundes auf mangelnde Gesetzgebungszuständigkeiten sei damals nur vorgeschoben worden, um von den „wirklichen“ politischen und sonstigen Widerständen gegen das Umweltgesetzbuch abzulenken7. Diese Behauptungen sind jedoch durch die spätere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 und Art. 75 GG, insbesondere die sog. „Juniorprofessur-Entscheidung“ vom 27. Juli 20048, widerlegt worden. Im Lichte dieser Judikatur dürfte es heute keinen Zweifel mehr daran geben, dass es wegen des „länderfreundlichen“ Zuschnitts der einschlägigen Kompetenznormen für den Bund seinerzeit nahezu ausgeschlossen war, Vollregelungen auf den Gebieten der Rahmengesetzgebung zu erlassen9. Not___________ 6

Feldmann (Fn. 5), S. 17 f.; Groß, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Umsetzung von EG-Umweltrecht, NWVBl. 2002, 289 ff., 292; Schulze-Fielitz, Umweltschutz im Föderalismus – Europa, Bund und Länder, in: Dokumentation zur 30. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e.V. Leipzig 2006, GfUBand 38, S. 35, 38. – Das Ergebnis der kompetenzrechtlichen Prüfung durch die Verfassungsressorts stieß seinerzeit – jedenfalls bei Umweltjuristen – auf allgemeine Ablehnung, zumindest aber Verwunderung (vgl. Sendler, Kodifizierung des Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch – Mehr Schwierigkeiten als Chancen?, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen 2000, 256, 261). Denn die Frage, ob der Bund über hinreichende Gesetzgebungskompetenzen für ein UGB verfügt, war zuvor sowohl von der Unabhängigen Sachverständigenkommission für ein Umweltgesetzbuch (vgl. UGB-KomE [Fn. 4], S. 613 f.) als auch von namhaften Rechtswissenschaftlern (z.B. Rengeling, Gesetzgebungskompetenzen für den integrierten Umweltschutz, 1998; ders., Die Bundeskompetenzen für das „UGB I“, in: Rengeling, Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch I, 1999, S. 237 ff.) eingehend geprüft und bejaht worden. Akzeptanz hat die restriktive Auslegung der Art. 72 und 75 GG hier erst gefunden, nachdem sie vom Bundesverfassungsgericht, beginnend mit dem sog. „Altenpflege-Urteil“ vom 24.10.2002 (BVerfGE 106, 62, 135 ff.), bestätigt worden ist (vgl. Kloepfer, Sinn und Gestalt des kommenden Umweltgesetzbuchs, UPR 2007, 161, 163). 7 Bohne, Das Umweltgesetzbuch vor dem Hintergrund der Föderalismusreform, EurUP 2006, 276 f.; Sendler (Fn. 6), S. 260 f., 262. 8 BVerfGE 111, 226 ff., Rdnr. 93 ff. Zur Bedeutung dieses Urteils, das in die laufenden Verhandlungen der Föderalismuskommission über die Neuordnung der Umweltkompetenzen „hineinplatzte“, für den weiteren Beratungsverlauf bei der Föderalismusreform Benneter/Poschmann, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen im Umweltbereich aus Sicht des Bundes, in: Holtschneider/Schön (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaats, 2007, S. 175, 181 f. 9 Zu den Konsequenzen für den Erlass integrativ angelegter Umweltvorschriften des Bundes Sangenstedt, Die Umsetzung der SUP durch das SUP-Gesetz, in: Erbguth (Hrsg.), Strategische Umweltprüfung (SUP), 2006, S. 77 ff.

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gedrungen musste das UGB daher bis zur Ausräumung der kompetenzrechtlichen Defizite auf Eis gelegt werden. Eine sinnvolle Alternative zu diesem Vorgehen gab es nicht. 2. Mit der am 1. September 2006 in Kraft getretenen Föderalismusreform sind nicht alle Kompetenzprobleme beseitigt worden, mit der die Umweltgesetzgebung in der Vergangenheit zu kämpfen hatte. Die Neuordnung der umweltbezogenen Gesetzgebungszuständigkeiten ist vielmehr Ausdruck eines verfassungspolitischen Gesamtkompromisses, dessen Beurteilung aus umweltpolitischer und -rechtlicher Sicht zwiespältig ausfällt10. Eine große Chance für mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit wurde insbesondere dadurch vertan, dass sich der Verfassungsgeber nicht dazu entschließen konnte, einen einheitlichen Kompetenztitel „Recht der Umwelt“ zu schaffen11. Mit Blick auf das Umweltgesetzbuch ergibt sich dennoch – trotz aller Mängel, Inkonsistenzen und Unklarheiten, die den Wert der kompetentiellen Umgestaltung im Umweltbereich schmälern – eine positive Gesamtbilanz. Denn durch die Verfassungsreform ist es in der Tat gelungen, die wesentlichen Kompetenzbarrieren, die der Verwirklichung eines UGB bislang entgegen standen, zu beseitigen12. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang vor allem drei Punkte: (1) Zentrale Umweltmaterien wie Luftreinhaltung, Lärm, Naturschutz, Wasser, Abfall und Bodenschutz sind von der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG befreit worden. Die Rahmengesetzgebung (Art. 75 GG a.F.) ist abgeschafft, Naturschutz und Landschaftspflege sowie Wasserhaushalt sind der konkurrierenden Gesetzgebung zugeschlagen worden. Damit kann der Bund jetzt erstmals auch auf naturschutz- und wasserrechtlichem Gebiet Vollregelungen treffen. Möglich wird dadurch insbesondere die bundesgesetzliche Einführung einer integrierten Vorhabengenehmigung, die sich 1999 beim UGB I als kompetenzrechtlich nicht realisierbar erwiesen hatte13. ___________ 10 Überwiegend kritisch Koch, Rechtliche Vorgaben für ein Umweltgesetzbuch: Verfassungsrecht, in: Kloepfer (Hrsg.), Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 21 ff.; differenzierend Schulze-Fielitz (Fn. 6), S. 48 ff.; überwiegend positiv Kloepfer, Föderalismusreform und Umweltgesetzgebungskompetenzen, ZG 2006, 250 ff. 11 Vgl. hierzu die engagierte Stellungnahme des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), Der Umweltschutz in der Föderalismusreform, Februar 2006 sowie Koch (Fn. 10), S.30; kritisch auch Kloepfer (Fn. 10), S. 259, 270. – Die Bundesregierung hatte zu Beginn der Verhandlungen einen einheitlichen Kompetenztitel „Recht der Umwelt“ im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung gefordert; dabei sollte den Belangen der Länder durch die Möglichkeit einfachgesetzlicher Öffnungsklauseln, insbesondere im Hinblick auf regionale Besonderheiten, Rechnung getragen werden. Dieser Ansatz wurde von den Ländern aber kategorisch abgelehnt; dazu näher Benneter/Poschmann (Fn. 8), S. 177 ff. 12 Eingehend dazu Benneter/Poschmann (Fn. 8), S. 187 ff. sowie Kloepfer (Fn. 10), S. 269 f.; Schulze-Fielitz (Fn. 6), S. 58. 13 Feldmann (Fn. 5), S. 17 f.; Groß (Fn. 6), S. 292.

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(2) Die Föderalismusreform hat aber auch den Ländern bei der Umweltgesetzgebung beachtliche Kompetenzzugewinne beschert. Mit dem neuen Kompetenztyp der Abweichungsgesetzgebung werden die Länder auf den Gebieten „Naturschutz und Landschaftspflege“ sowie „Wasserhaushalt“ durch eigene Rechtsvorschriften von bundesgesetzlichen Regelungen abweichen können, wovon wiederum bestimmte „abweichungsfeste Kerne“ ausgenommen sind (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 5 GG). Auch von Verfahrensrecht des Bundes können die Länder künftig grundsätzlich abweichen (Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG). Für das UGB hat die Einführung der Abweichungsgesetzgebung zur Folge, dass eine bundesweite Geltung seiner Vorschriften kompetenzrechtlich nicht durchgängig gewährleistet sein wird. Die Konsequenz aus dieser neuen Verfassungslage kann indessen nicht lauten, dass der Bund von dem Projekt UGB abrückt. Die den Ländern eröffnete Abweichungsoption stellt die Berechtigung eines Umweltgesetzbuchs nicht in Frage; sie unterstreicht allerdings die Größe der Herausforderung, vor der die Umweltpolitik bei diesem Vorhaben steht. Zwar dürfte die von Kritikern der Föderalismusreform befürchtete Aussicht, wonach sich im Wasser- und Naturschutzrecht künftig ein gesetzgeberisches Ping-Pong zwischen Bund und Ländern entwickeln könnte, ein eher theoretisches als realistisches Szenario darstellen14. Ähnliches gilt für die Sorge, ein Umweltgesetzbuch werde früher oder später zu einer Art „Schweizer Regelungskäse“ (d.h. vielseitig durchlöchert durch abweichende Landesvorschriften) degenerieren und damit seine Daseinsberechtigung verlieren15. Richtig ist hingegen, dass sich für den Bund unter dem Regime der Abweichungsgesetzgebung ein verstärkter Zwang zur präventiven Verständigung mit den Ländern ergeben wird. Tatsächlich dürfte die politische Attraktivität dieses neuen Kompetenztyps für die Länder weniger darin liegen, dass sie unerwünschte Bundesgesetze künftig durch selbst gestaltete Vorschriften überspielen können. Wesentlich bedeutsamer dürfte vielmehr sein, dass der Möglichkeit zur Abweichung von geplantem Bundesrecht ein latentes „Drohpotential“ innewohnt, mit dem die Länder Verhandlungsmacht und Einfluss auf die Bundesgesetzgebung gewinnen können16. Um im Wasser- und Naturschutzrecht Vorschriften mit stabiler bundesweiter Wirksamkeit treffen zu können, wird der Bund künftig jeweils in einen politischen Aushandlungsprozess mit den Ländern eintreten müssen, in dem die Regelungsinhalte son___________ 14 Zutr. Kloepfer (Fn. 10), S. 255; Schulze-Fielitz (Fn. 6), S. 57; a.M. wohl SRU, Umweltschutz in der Föderalismusreform (Fn. 11), Rdnr. 19; krit. auch Koch (Fn. 10), S. 29: ein „geltungsmächtiges“ UGB sei auf der Grundlage der neuen Kompetenzordnung nicht realisierbar. 15 So die Erwartung des SRU, Umweltschutz in der Föderalismusreform (Fn. 11), Rdnr. 20. 16 Bohne (Fn. 7), S. 286, 287; Kloepfer (Fn. 10), S. 269; ders. (Fn. 6), S. 169; Schulze-Fielitz (Fn. 6), S. 53 f., 56 f.).

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diert und auf ihre Abweichungsresistenz abgeklopft werden17. Beim UGB könnte exemplarisch zu besichtigen sein, wie dieser „neue Typus der Politikverflechtung“18 in der Praxis funktionieren wird. Voraussichtlich wird es sich um komplexe und schwierige Abstimmungen handeln, in die sich auch andere wichtige Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft einschalten werden. Ziel muss es sein, dabei einen möglichst breiten Konsens zwischen den Beteiligten herzustellen. Wenn dies gelingt, werden Abweichungsrechte für das UGB kein Thema sein. Abweichungen einzelner Länder werden sich dann nur in Ausnahmefällen rechtfertigen und politisch durchsetzen lassen, etwa wegen regionaler Besonderheiten, denen in einem Umweltgesetzbuch mit bundesweitem Fokus nicht hinreichend Rechnung getragen werden kann19. (3) Eine wichtige Rolle für die weitere Zeitplanung und das Arbeitsprogramm beim UGB spielen die für die Abweichungsgesetzgebung geltenden Übergangsvorschriften (Art. 125b GG). Ihnen lässt sich zunächst entnehmen, dass die neuen Abweichungsrechte der Länder nicht nur für Bundesgesetze gelten sollen, die nach dem Inkrafttreten der Föderalismusreform am 1. September 2006 erlassen worden sind, sondern auch für zu diesem Zeitpunkt bereits bestehendes „Altrecht“ des Bundes – und zwar erstaunlicherweise selbst für solche Vorschriften, die seinerzeit mit Zustimmung des Bundesrates ergangen sind. Während einer gewissen Übergangsphase, und das ist der zweite substantielle Gehalt des Art. 125b GG, sollen die Länder jedoch grundsätzlich20 noch ___________ 17

Schulze-Fielitz (Fn.6), S. 51 ff., insbesondere S. 54 und 57; Koch (Fn. 10), S. 26. – Dieser Effekt der Abweichungsgesetzgebung steht im deutlichen Widerspruch zu dem zentralen Ziel der Föderalismusreform, eine kompetentielle Entflechtung und klarere Verantwortungsteilung zwischen Bund und Ländern herbeizuführen; dazu SchulzeFielitz (Fn.6), S. 37 f.; kritisch zu dieser Entwicklung SRU, Umweltschutz in der Föderalismusreform (Fn. 11), Rdnr. 48. 18 SRU, Umweltschutz in der Föderalismusreform (Fn. 11), Rdnr. 48; ähnlich Kloepfer (Fn. 10), S. 269: „neue informale Verantwortungsverflechtungen“. 19 Eine Selbstbeschränkung der Länder bei der Wahrnehmung ihrer neuen Abweichungsbefugnisse entspräche auch dem erklärten Wunsch der Wirtschaft; vgl. dazu Wansleben, Das Umweltgesetzbuch aus der Perspektive der Wirtschaft, in Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit/Umweltbundesamt (Hrsg.), Herausforderung Umweltgesetzbuch, Tagung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am 16.2.2007 in Berlin, Reihe „Forum Umweltgesetzbuch“, Juli 2007, S. 14, 17. 20 Etwas anderes gilt dann, wenn der Bund in der Übergangsphase auf Gebieten der Abweichungsgesetzgebung neue Rechtsvorschriften erlässt oder bestehende Rechtsvorschriften ändert. Für diese Fälle ist eine rational nicht nachvollziehbare Differenzierung vorgesehen: Im Bereich des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 5 und 6 GG (d.h. aus dem hier interessierenden Umweltrecht auf den Feldern „Naturschutz und Landschaftspflege“ sowie „Wasserhaushalt“) dürfen die Länder nach Art. 125b Abs. 1 Satz 3 GG während des Übergangszeitraums lediglich von den neuen oder geänderten Bundesvorschriften abweichen; ändert der Bund dagegen während des Übergangszeitraums seine Verfah-

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keinen Gebrauch von ihren neuen Abweichungsbefugnissen machen dürfen. Durch diese Sonderregelung ist dem Bund ein gewisser zeitlicher Vorsprung eingeräumt worden, um mit einem UGB in Vorlage zu treten21. Das Zeitfenster ist allerdings nur kurz geöffnet: Beim Wasser- und Naturschutzrecht wird es spätestens am 01.01.2010 (Art. 125b Abs. 1 Satz 3 GG), beim Verfahrensrecht bereits ein Jahr früher, d.h. mit Ablauf des 31.12.2008 (Art. 125b Abs. 2 GG), wieder geschlossen. Diese Übergangsfristen haben für das UGB die Funktion eines „Moratoriums“, man könnte auch von einer lex UGB sprechen. Bund und Länder, so die dahinter steckende Idee, sollen ihre Reformanstrengungen im Umweltrecht jetzt gemeinsam auf das Umweltgesetzbuch konzentrieren und sich nicht in konkurrierenden Regelungsinitiativen verzetteln, wie es ohne solche Übergangsbestimmungen vielleicht der Fall wäre.

III. Das UGB als Herausforderung und Kraftakt Das BMU wird die durch die Föderalismusreform eröffneten Chancen nutzen. Noch in dieser Legislaturperiode, die im September 2009 endet, soll ein beachtliches und anspruchsvolles Regelungspaket verabschiedet werden. Diese Planung ist ehrgeizig und stellt gleich in mehrfacher Hinsicht für alle Beteiligten einen Kraftakt dar. Zum einen besteht ein immenser Zeitdruck. Konzepte und Regelungsentwürfe müssen sehr zügig erarbeitet und abgestimmt werden. Nach den Vorstellungen des BMU soll ein Referentenentwurf bereits im September 2007 vorgelegt, die parlamentarischen Beratungen sollen nach den notwendigen Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung, mit Ländern und Verbänden im Frühjahr 2008 eingeleitet werden. Damit könnte das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren bis Ende 2008 abgeschlossen werden, und eine Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt wäre im Januar/Februar 2009 erreichbar – vorausgesetzt, es kommt nicht zu einem Vermittlungsverfahren. Dieses äußerst enge Zeitkorsett ist zum einen der eben genannten „Moratoriumsregelung“ geschuldet; zum anderen gilt auch beim UGB der Erfahrungssatz, dass man als Bundesregierung gut beraten ist, wichtige Gesetzgebungsvorhaben nicht erst in der Endphase einer Legislaturperiode, die meist schon mehr oder weniger stark vom kommenden Bundestagswahlkampf beherrscht wird, in Angriff zu nehmen. Bei der Erarbeitung des Referentenentwurfs kann überdies nicht unbesehen an frühere Regelungsüberlegungen, etwa den Entwurf der Unabhängigen Sach___________ rensvorschriften, dürfen die Länder nach Art. 125b Abs. 2 GG von allen Verfahrensvorschriften des geänderten Gesetzes abweichen. 21 Benneter/Poschmann (Fn. 8), S. 188; Schulze-Fielitz (Fn. 6), S. 57.

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verständigenkommission oder den UGB I-Entwurf des BMU von 1999, angeknüpft werden. Diese Vorarbeiten sind zwar eine Quelle wertvoller Anregungen und Ideen, von denen das neue UGB vielfältig profitieren wird22. Gleichwohl besteht Aktualisierungsbedarf. Die heutige Umweltsituation unterscheidet sich – rechtlich und tatsächlich – z.T. beträchtlich von den Verhältnissen in den 90er Jahren. Obwohl seitdem nicht viel Zeit vergangen ist, geraten zunehmend Umweltmaterien ins Blickfeld, die damals noch nicht oder weniger stark im Fokus standen. Zukunftsfragen wie die globale Klimaerwärmung und der Einsatz erneuerbarer Energien erfordern den Einsatz neuartiger Strategien und Instrumente; hierauf muss ein modernes Umweltgesetzbuch zeitgemäße Regelungsantworten geben. Stetig gewachsen ist auch der Einfluss der europäischen und internationalen Umweltpolitik. Weite Teile des deutschen Umweltrechts werden heute maßgeblich von den Vorgaben supranationaler Übereinkommen sowie von Rechtsakten der EG geprägt. Diesem Wandel muss ein UGB Rechnung tragen. Insgesamt wird sich das neue Umweltgesetzbuch daher von früheren Vorstellungen ein Stück weit emanzipieren und eigene Wege beschreiten müssen. Schließlich ist das UGB eine nicht zu unterschätzende Kommunikationsaufgabe. Ein Gesetzgebungsprojekt dieses Kalibers kann heute nur erfolgreich sein, wenn es nicht hinter verschlossenen Türen, sondern in einem offenen und intensiven Dialog mit den Ländern und der Öffentlichkeit vorbereitet und auf den Weg gebracht wird. Deshalb werden die Arbeiten an den Regelungsentwürfen durch eine Vielzahl von Begleitaktivitäten flankiert. Dieser Prozess ist keine kommunikative Einbahnstraße, sondern dient dem gegenseitigen Meinungs- und Ideenaustausch. Das BMU stellt seine Überlegungen zur Diskussion und nimmt im Gegenzug seinerseits Anregungen, Vorschläge und Hinweise der Beteiligten „mit an Bord“. Ziel ist es, das UGB auf diese Weise bereits im Vorfeld des späteren förmlichen Beteiligungsprozesses auf eine möglichst breite Basis zu stellen23. Wichtigstes Diskussions- und Abstimmungsgremium im Bund-Länder-Verhältnis ist die unter dem Dach der Umweltministerkonferenz eingerichtete Bund-Länder-Arbeitsgruppe UGB (BLAG UGB). Das BMU hat daneben einen eigenen Projektkreis UGB ins Leben gerufen, dem Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Justiz, der Vorsitz des BLAG UGB, die großen Wirtschafts- und Umweltverbände, der DGB, die Kommunalen Spitzenverbände sowie namhafte Umweltjuristen und Vollzugspraktiker angehören. Hinzu kommt die Mitwirkung in diversen weiteren Fach- und Rechtsausschüs___________ 22 Kloepfer (Fn. 6), S. 161, bezeichnet das UGB sogar als eines der „am besten vorbereiteten Gesetzesvorhaben in Deutschland seit der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) im Jahre 1896“. 23 Zustimmend zu diesem Vorgehen Kloepfer (Fn. 6), S. 163; Wansleben (Fn. 19), S. 19 f.

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sen des Bundes und der Länder, in Arbeitskreisen auf Verbandsebene, auf Tagungen und Diskussionsveranstaltungen sowie im Rahmen von Fachgesprächen, Workshops und Seminaren, die sich derzeit allesamt intensiv mit dem Umweltgesetzbuch befassen.

IV. Gründe für ein UGB 1. In den 90er Jahren, als der UGB-Prozess aufgenommen und mit großem Enthusiasmus erste Entwürfe erarbeitet wurden, schien allenthalben Einigkeit darüber zu herrschen, dass für das Umweltrecht Kodifikationsbedarf besteht, dem in Gestalt eines Umweltgesetzbuchs abgeholfen werden muss. Umso größer war die Enttäuschung, als das Vorhaben 1999 auf Eis gelegt werden musste. Auch in den Folgejahren sind die Rufe nach einem UGB nicht verstummt. Diese Forderung wurde nicht nur von Vertretern der „Umweltszene“ – Umweltpolitikern, Umweltjuristen und Umweltverbänden – erhoben, sondern fand Eingang u.a. in Wahlprüfsteine großer Wirtschaftsverbände, Parteiprogramme und Koalitionsverträge24. Auch bei den Beratungen zur Föderalismusreform ist die Diskussion über die Neuordnung der Umweltkompetenzen maßgeblich von dem Wunsch bestimmt worden, die kompetenzrechtlichen Voraussetzungen für ein Umweltgesetzbuch zu schaffen25. Manche meinen deshalb, man könne „fast schon von einem ungeschriebenen Verfassungsauftrag, jedenfalls aber von einer deutlichen Verfassungserwartung für ein UGB“ sprechen26. Dies mag so sein, ist aber dennoch keine Gewähr dafür, dass das Projekt politisch durchsetzbar sein wird. Die Erfahrungen beim ersten Anlauf für ein UGB haben vielmehr gezeigt, dass seinerzeit nur ein Teil der öffentlichen Bekenntnisse zum UGB belastbar war. Als es ernst wurde mit der Umsetzung, zeigten sich plötzlich vielfältige Bedenken und Widerstände27. Es ist daher nicht auszuschließen, dass es auch diesmal zu einer ähnlichen Entwicklung kommen wird. Jedenfalls sind die Reaktionen bei einem Teil der früheren Befürworter, seitdem das Vorhaben wieder konkret in Angriff genommen worden ist, eher von Zurückhaltung als von Euphorie getragen. Insbesondere die Wirtschaft, die das geltende deutsche Umweltrecht jahrelang als kompliziert, überreguliert und bürokratisch gescholten hatte und einem UGB, das sich Transpa___________ 24

Vgl. Bohne (Fn. 7), S. 276. Benneter/Poschmann (Fn. 8), S. 177, 180, 182, 183, 187 ff.; Kloepfer (Fn. 6), S.163. – Auch im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, mit dem die Ergebnisse der Föderalismusreform umgesetzt worden sind, hat dieser Gedanke Eingang in die Begründung gefunden; vgl. BR-Drucksache 178/06, S. 16. 26 Kloepfer (Fn. 6), S. 163; ähnlich ders. (Fn. 10), S. 270. 27 Bohne (Fn. 7), S. 276 f. 25

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renz, Entschlackung und Vereinfachung des Umweltrechts auf die Fahnen geschrieben hat, aufgeschlossen gegenüber stehen müsste, zeigt sich skeptisch bis misstrauisch und erklärt dem staunenden Publikum, dass die Unternehmen mit den bestehenden Vorschriften eigentlich ganz zufrieden seien. Offenbar hat man sich dort inzwischen mit den umweltrechtlichen Verhältnissen arrangiert und zieht unvollkommene, aber in ihrer Unvollkommenheit bekannte Vorschriften einem nicht sicher kalkulierbaren neuen Umweltgesetzbuch vor28. Für das UGB ist damit die Legitimationsfrage aufgeworfen, konkret: Warum brauchen wir ein UGB, und was ist der Mehrwert eines Umweltgesetzbuchs gegenüber den geltenden Bestimmungen? 2. Tatsächlich gibt es für ein Umweltgesetzbuch viele gute Gründe, die den mit der Vorbereitung und Umsetzung dieses umfangreichen Kodifikationsvorhabens verbundenen Aufwand allemal rechtfertigen. Nutzen und Vorteile eines UGB können hier aus Raumgründen nicht umfassend dargestellt werden. Aufgezeigt werden sollen aber einige der wesentlichen Ansprüche und Regelungsziele, denen das künftige Umweltgesetzbuch gerecht werden soll. (a) Kodifikation – Zusammenführung und Konsolidierung des Umweltrechts Die bestehenden deutschen Umweltvorschriften sind historisch gewachsen und über zahlreiche Fachgesetze und Verordnungen verstreut. In ihrer Vielzahl und Vielfalt sind sie selbst für Fachleute nur noch schwer zu überblicken29. Auch die Systematik und Struktur der Bestimmungen, ihr materieller Regelungsgehalt und die verwendeten Begriffe weisen z.T. beträchtliche Unterschiede auf. Die Aufnahme der wichtigsten Umweltmaterien in ein Umweltgesetzbuch wird für größere Transparenz und klarere Strukturierung sorgen. Bezüge und Zusammenhänge zwischen verschiedenen Regelungen werden für den Rechtsanwender deutlicher und verständlicher. Mit der Zusammenführung muss aber auch eine Systematisierung, Bereinigung und Konsolidierung des geltenden Umweltrechts verbunden sein30. Der vorgefundene Vorschriftenbestand muss nach den Grundsätzen der besseren Rechtsetzung sinnvoll reduziert und zu einem möglichst geschlossenen, in sich harmonisierten, unbürokratischen und ___________ 28 Deutlich artikuliert bei Wansleben (Fn. 19), S. 14; ähnlich zurückhaltend auch die Stellungnahme des BDI vom 18.Mai 2006, Anforderungen der deutschen Industrie an ein Umweltgesetzbuch, veröffentlicht auf der BDI-Website unter http://www.bdionline.de/Dokumente/Stellungnahme-UGB.pdf. 29 Eingehend hierzu Bohne (Fn. 7), S. 277; anschaulich auch Kloepfer (Fn. 6), S. 161: „Vorschriftendschungel“. 30 Zum Wert einer Konsolidierung des bestehenden Umweltrechts im Rahmen eines UGB Bohne (Fn. 7), S. 288; Kloepfer (Fn. 6), S. 164.

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anwenderfreundlichen Rechtssystem umgestaltet und fortentwickelt werden31. Umweltrecht unter einem Dach und aus einem Guss – so könnte man dieses Kodifikationsziel beim UGB schlagworthaft umreißen. Einen hohen Wert bildet nicht zuletzt das stabilisierende und strukturbildende Potential der Kodifikation für die künftige Entwicklung des Umweltrechts. Mit dem UGB wird ein homogenes Regelungsgefüge entstehen, das auf Jahre hinaus für eine gewisse „Grundordnung“ und strukturelle Kontinuität beim Umweltrecht sorgen wird. Natürlich muss auch ein Umweltgesetzbuch offen sein für Neuerungen und notwendige Anpassungen an sich wandelnde politische, soziale, ökonomische und ökologische Verhältnisse. Bei solchen späteren Rechtsänderungen wird der Gesetzgeber dann jedoch im Zweifel Lösungen wählen, die sich harmonisch in das „System UGB“ integrieren lassen. Damit rückt die Umweltgesetzgebung aus der Beliebigkeit tagespolitisch motivierter Regelungsaktivitäten, die die Umweltrechtsordnung zum Flickenteppich disparater Einzelvorschriften zerfasern lassen, und gewinnt Solidität und Beständigkeit. Gerade in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Dynamik und Komplexität bietet ein zuverlässiger und dauerhafter Rechtsrahmen, wie ihn ein Umweltgesetzbuch verkörpert, ein wichtiges stabilisierendes Element, das den Akteuren die für ihr Handeln notwendige Orientierungs-, Planungs- und Rechtssicherheit vermittelt32. (b) Schaffung bundesweit einheitlicher Umweltanforderungen Mit dem UGB werden die Chancen, die die Föderalismusreform der Umweltgesetzgebung eröffnet hat, genutzt. Der Bund kann jetzt erstmals in allen wichtigen Bereichen des Umweltrechts auf breiter Front Vorschriften mit bundeseinheitlicher Wirkung erlassen33. Gewinnen werden hierdurch vor allem die Unternehmen, die künftig länderübergreifend und standortunabhängig mit denselben umweltrechtlichen Regeln und Anforderungen operieren können34. Für ___________ 31

Dazu näher unten IV.2.(6). Eingehend zu diesem Effekt eines UGB Kloepfer (Fn. 6), S. 166; andeutungsweise auch Bohne (Fn. 7), S. 288. 33 Von dieser Möglichkeit wird der Bund keinen umfassenden Gebrauch machen. Es ist nicht beabsichtigt, das deutsche Umweltrecht künftig vollständig auf Bundesebene und im UGB zu regeln. Da die umweltrechtlichen Sachgebiete, die nach Art. 72 Abs. 3 GG der Abweichungsgesetzgebung unterliegen, nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 und 32 GG zugleich Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung sind, steht es dem Bund hier frei, Teilmaterien ungeregelt zu lassen und die Ausgestaltung den Ländern zu überlassen. Dies bietet sich insbesondere dort an, wo es um Vorschriften mit starkem regionalem Bezug oder ähnliche Materien geht, die auf Landesebene sachnäher geregelt werden können. 34 Wansleben (Fn. 19), S. 17, hat deshalb aus der Sicht der Wirtschaft die „Hoffnung“ geäußert, dass die Länder nach dem Erlass eines Umweltgesetzbuchs darauf ver32

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die neuen Naturschutz- und Wasservorschriften des Bundes bildet die Aufnahme in das UGB den optimalen Einstieg in die Vollregelung. Denn damit können diese Rechtsgebiete mit ihrer Neufassung sofort von der Integrationsleistung und den Vereinfachungseffekten einer Umweltrechtskodifikation profitieren. (c) Stärkung des integrativen Umweltschutzes – Schutz der Umwelt in ihrer Gesamtheit Traditionell steht im deutschen Umweltrecht der Schutz einzelner Umweltgüter wie Luft, Wasser, Boden und Natur im Vordergrund. Diese Aufteilung widerspricht jedoch modernen fachlichen Erkenntnissen, nach denen die Umwelt als komplexes ökologisches Gefüge zu betrachten und in ihrer Gesamtheit – medienübergreifend – zu schützen ist. Maßnahmen zum Schutze der Umwelt dürfen sich daher nicht nur isoliert auf einzelne Umweltaspekte – z.B. die Reinhaltung der Luft oder des Wassers – konzentrieren, sondern müssen zugleich Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Umweltmedien und mögliche Belastungsverlagerungen von einem Umweltmedium in ein anderes einbeziehen35. Im Rahmen eines Umweltgesetzbuchs, das die verschiedenen Fachmaterien aufnimmt und unter einem Dach vereint, kann dieser gesamthaften Sichtweise naturgemäß besser und einfacher Rechnung getragen werden, als wenn integrative Erwägungen Fachgesetzen aufgepfropft werden, die nach ihrem traditionellen Zuschnitt eher medial ausgerichtet sind36. (d) Schaffung europatauglicher Umweltrechtsstrukturen Ein modernes, integrativ angelegtes Umweltgesetzbuch wird die Umsetzung europäischer Umweltrechtsakte in Deutschland wesentlich erleichtern. Das europäische Umweltrecht ist zunehmend integrativ ausgerichtet, d.h., seine Anforderungen haben meist nicht lediglich den Schutz einzelner Umweltgüter, sondern die Umwelt insgesamt im Blick. Medienübergreifende Umweltvorgaben der EG brauchen im Rahmen eines UGB nicht mehr wie bisher getrennt ___________ zichten, unter Nutzung ihres Abweichungsrechts grundlegend andere Regelungen einzuführen. 35 Eine instruktive Übersicht über die Leitidee des integrierten Umweltschutzes und ihre derzeitige Umsetzung im geltenden Umweltrecht findet sich im Sondergutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), Umweltverwaltungen unter Reformdruck, 2007, Tz. 27 ff. 36 Ähnlich Kloepfer (Fn. 6), S. 165: „weiteres Verbesserungs- und Harmonisierungspotential gegenüber dem Status quo, der strukturell suboptimal medienspezifische Hauptverknüpfungen hat“.

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und unter Auflösung bestehender Zusammenhänge in die verschiedenen Fachgesetze aufgenommen zu werden, sondern sie können einheitlich in das Umweltgesetzbuch eingestellt werden. Dadurch lässt sich die Umsetzung wesentlich unkomplizierter und europarechtsnäher gestalten, womit voraussichtlich auch Effektivitätsgewinne beim Vollzug zu erzielen sein werden37. Für die Übertragung des europäischen Umweltrechts gilt daher ebenfalls: Aufgabe der bisherigen Rechtszersplitterung, Übernahme aus einem Guss38. (e) Vereinfachung des Genehmigungsrechts, insbesondere Einführung einer integrierten Vorhabengenehmigung Die traditionelle Gliederung des deutschen Umweltrechts in einzelne Fachgebiete führt bei den Genehmigungsverfahren vielfach zu einem in der Sache unnötigen, administrativ umständlichen und für alle Beteiligten aufwändigen Parallelvorgehen. Komplexe umwelt- und wirtschaftsrelevante Vorhaben wie die Errichtung und der Betrieb von Industrieanlagen benötigen häufig eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung und eine wasserrechtliche Erlaubnis, für die jeweils unterschiedliche fachgesetzliche Prüf- und Entscheidungsprogramme gelten. Das bisherige Nebeneinander verschiedener Zulassungen soll im Rahmen des UGB durch eine „integrierte Vorhabengenehmigung“ abgelöst werden. Der Antragsteller hat es dann nicht mehr mit mehreren behördlich miteinander zu verzahnenden Prüf- und Entscheidungsprozessen zu tun. Er hat vielmehr nur noch bei einer Behörde ein Genehmigungsverfahren zu durchlaufen, in dem sein geplantes Vorhaben auf der Grundlage eines im Kern einheitlichen Genehmigungstatbestands umfassend unter allen zulassungserheblichen Gesichtspunkten beurteilt und – bei positivem Ausgang der Prüfungen – durch eine Genehmigung zugelassen wird. So ausgestaltet, ist die integrierte Vorhabengenehmigung eine echte Innovation39. Im Vergleich zur bisherigen Verfahrenstrennung bietet sie erhebliche Vorteile. Der Mehrwert dieses neue Genehmigungstyps besteht zum einen in seiner besseren Integrationsleistung. Die sachlich und europarechtlich gebotene medienübergreifende Umweltbetrachtung kann bei einem Genehmigungssystem, das nach den Prinzipien „eine Genehmigungsbehörde, ein Zulassungsverfahren, ein einheitliches Prüf- und Entscheidungsprogramm und eine Zulassungsentscheidung“ verfährt, einfacher und wirksamer als in separaten, ledig___________ 37 38

nen. 39

So die Erwartung von Kloepfer (Fn. 6), S. 165. Entsprechendes gilt für die Umsetzung internationaler UmweltschutzkonventioKloepfer (Fn. 6), S. 169.

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lich koordiniert durchgeführten Genehmigungsverfahren vorgenommen werden40. Zugleich wird dieser neuartige Genehmigungstyp sowohl auf Antragstellerals auch Behördenseite zu Effizienzgewinnen und spürbaren Entlastungseffekten führen. Zwar dürfen die Möglichkeiten weiterer Verfahrensbeschleunigungen angesichts der bereits sehr kurzen Genehmigungszeiten in Deutschland nicht überschätzt werden41. Gleichwohl ist zu erwarten, dass integrierte Zulassungsverfahren einfacher, unbürokratischer und konzentrierter vorbereitet und durchgeführt werden können, als dies in den herkömmlichen Prüf- und Entscheidungsprozessen möglich ist. Für den Antragsteller wird das Leben leichter, wenn er künftig statt mehrerer unterschiedlich ausgestalteter Verfahren nur noch ein Verfahren zu bedienen hat, für das einheitliche Regeln gelten, wenn er Antragsunterlagen nur noch einmal zu erstellen und vorzulegen hat und wenn Verhandlungen – oder im Konfliktfalle auch Auseinandersetzungen – nur mit einer Genehmigungsbehörde zu führen sind42. Profitieren wird aber auch die Verwaltung. Wenn bisherige Parallelverfahren zu einem einheitlichen integrierten Genehmigungsverfahren zusammengeführt werden und nur noch eine umfassende Zulassungsentscheidung aus der Hand einer Behörde ergeht, wird dies Konsequenzen für die Verwaltungsorganisation und die innerbehördlichen Abläufe haben. Gefordert sind dann administrative Querschnittseinheiten, die über Sachverstand und Fachkompetenz auf allen in die Entscheidung einbezogenen Umweltgebieten verfügen43. Die Bündelung bislang getrennter Facheinheiten „unter einem Dach“ ermöglicht kurze Wege, eine bessere Verknüpfung der Prüfungen, die Vermeidung unnötiger ___________ 40

Hierzu näher unten, Abschnitt VI. So auch SRU, Umweltverwaltungen (Fn. 35), Tz. 264 f. sowie resümierend Tz. 448: „Angesichts der erheblichen Verkürzungen der Verfahrensdauer in den letzten eineinhalb Jahrzehnten muss das Beschleunigungspotenzial, das sich ohne Qualitätseinbußen erreichen lässt, als weit gehend ausgeschöpft erachtet werden.“ Vgl. auch Ziekow/ Windoffer/Oertel, Evaluation von Regelungen zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren – Ein Ansatz zur Schließung einer Forschungslücke, DVBl. 2006, 1469, 1471 ff. 42 Ähnlich Kloepfer (Fn. 6), S. 165, der sich von vereinheitlichten und zusammengefassten Informationspflichten bei der integrierten Vorhabengenehmigung einen Abbau von Bürokratie verspricht. 43 Zu dieser Konsequenz integrierter Zulassungsverfahren Calliess, Vorgaben für ein Umweltgesetzbuch: Europarecht, in: Kloepfer (Hrsg.), Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 35, 65; Bohne (Fn. 7), S. 228; Kloepfer (Fn. 6), S. 165; vgl. auch den Diskussionsbeitrag von Wirtz bei Becker/Bosecke/Dadswell/Salzborn, Ziele, Inhalt und Nutzen eines Umweltgesetzbuchs: Zusammenfassung der Podiumsdiskussion, in: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit/Umweltbundesamt (Hrsg.), Herausforderung Umweltgesetzbuch, Tagung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am 16.2.2007 in Berlin, Reihe „Forum Umweltgesetzbuch“, Juli 2007, S. 29, 31. 41

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Doppelarbeit und eine Optimierung fachübergreifender Abstimmungsprozesse. Diese Rationalisierungs- und Effizienzwirkungen werden sich jedenfalls dann einstellen, wenn die Länder über Genehmigungsbehörden mit entsprechendem Zuschnitt verfügen, die mit den notwendigen personellen und sachlichen Mitteln ausgestattet sind44. Die geplanten Vereinfachungen bei den Genehmigungen und im Verfahren werden sich im UGB im Übrigen nicht allein auf die Einführung der integrierten Vorhabengenehmigung beschränken. Ergänzend sind weitere Maßnahmen geplant, mit denen bisherige Regelungen von überflüssigem Ballast befreit, flexibilisiert und modernen Erfordernissen angepasst werden sollen. Beispiele hierfür sind die verstärkte Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel im Verfahren (z.B. bei der Antragstellung und im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung), zusätzliche Erleichterungen für Vorhaben an EMAS-Standorten sowie Fristverkürzungen in vereinfachten Verfahren bei Anlagen mit geringer Umweltrelevanz. (f) Bessere Rechtsetzung – anwenderfreundliche Ausgestaltung des Umweltrechts Nur ein transparentes, inhaltlich nachvollziehbares und praxisnahes Umweltrechtssystem findet in der Öffentlichkeit Akzeptanz und kann seiner Orientierungs- und Steuerungsfunktion gerecht werden. Deshalb ist es eines der wichtigsten Anliegen des Projekts UGB, die Umweltvorschriften für ihre Anwender – Antragsteller, Vollzugsbehörden und Gerichte – klarer, verständlicher und in der Handhabung einfacher zu gestalten. Das Schlagwort „Bessere Rechtssetzung“ steht für ein umfangreiches Paket von Maßnahmen, die allesamt der Vereinfachung, besseren Zugänglichkeit und Praktikabilität des Umweltrechts dienen. Nur einige dieser Aspekte können hier genannt werden: x Kommunikations- und Vermittlungsprobleme ergeben sich beim geltenden Umweltrecht nicht selten schon aus einer lebensfernen Gesetzessprache und diffusen Begrifflichkeiten45. Während es bei technischen Normen mit engem fachlichem Bezug bis zu einem gewissen Grade in der Natur der Sache liegen mag, dass sich ihre Bedeutung nur für Experten erschließt, trifft man auf umweltgesetzlicher Ebene z.T. auf Vorschriften, die sprachlich unnötig ___________ 44 Vgl. SRU, Umweltverwaltungen (Fn. 35), Tz. 30, 412 mit Blick auf die Koordinationspflicht nach § 10 Abs. 5 Satz 2 BImSchG. 45 Aus Wirtschaftssicht hat Wansleben (Fn. 19), S. 15 f. darauf hingewiesen, dass es für das Umweltrecht im Unternehmensalltag von erheblicher Bedeutung ist, ob sich der Gesetzgeber einer klaren Gesetzessprache bedient.

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kompliziert oder vermeidbar schwer- bis unverständlich sind. Die Erscheinungsformen sind vielfältig. So sind bspw. einige Regelungen erkennbar in die Jahre gekommen, sie wirken antiquiert und bedürften dringend einer begrifflichen und inhaltlichen Auffrischung. Andere Vorschriften leiden an einer unreflektierten 1:1-Übernahme mehrdeutiger europarechtlicher Wortschöpfungen, deren Entschlüsselung den deutschen Adressaten Rätsel aufgibt. Eine Quelle von Irritation bildet ferner der Umstand, dass das Umweltfachrecht aufgrund seiner unterschiedlichen historischen Entwicklung z.T. verschiedene Bezeichnungen für gleiche oder ähnliche Sachverhalte verwendet; die hieraus resultierenden Verständnis- und Auslegungsprobleme können mit einer konsequenten begrifflichen Binnenharmonisierung ausgeräumt werden. Das UGB bietet die große Chance, zumindest einen Teil der geschilderten Mängel abzustellen und damit die Regelungsklarheit des Umweltrechts zu erhöhen. x Eine weitere Hypothek für die „Lesbarkeit“ umweltrechtlicher Bestimmungen sind regelungstechnische Barrieren. Für einige Juristen mögen Gesetzestexte, die mit zahlreichen Quer- und Rückverweisungen operieren, Ausdruck eines eleganten und regelungsökonomischen Gesetzgebungsstils sein. Für den Rechtsanwender ist es dagegen eine Zumutung, wenn er der Bedeutung eines Rechtssatzes nur über eine vielgliedrige Kette verstreuter und z.T. nur „entsprechend“ anzuwendender Einzelvorschriften auf die Spur kommen kann. Die Praxis erwartet vom UGB eine anwenderfreundliche Regelungstechnik, die eine einfache Identifikation des jeweiligen Normgehalts ermöglicht46. Zusammenhängende Materien sollten im UGB daher möglichst im Kontext und dergestalt geregelt werden, dass die Vorschriften „aus sich selbst heraus“ verständlich und vollziehbar sind. x Neben der begrifflichen ist die inhaltliche Binnenharmonisierung des Umweltrechts ein zentrales Thema für das UGB. Doppelregelungen sollen abgeschafft, sachlich nicht gebotene Regelungsdifferenzen beseitigt werden. Beispiel hierfür sind die unterschiedlichen Verfahrensvorschriften, die bislang bei umweltrechtlichen Zulassungen zur Anwendung kommen. Je nach Art der Genehmigung ist das Verfahren derzeit im BImSchG und in der 9. BImSchV, im UVPG, im VwVfG des Bundes oder in landesgesetzlichen Verfahrensordnungen geregelt, die zwar jeweils ähnliche, aber keineswegs deckungsgleiche Bestimmungen enthalten. Im UGB sollen die Verfahrensvorschriften für den Bereich der integrierten Vorhabengenehmigung zusammengeführt und mit Blick auf die besonderen Erfordernisse dieses Genehmigungstyps vereinheitlicht werden. Durch die Überführung in das UGB und durch innere Harmonisierung können etliche fachrechtliche Be___________ 46

So auch Wansleben (Fn. 19), S. 16.

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stimmungen „eingespart“ und der Vorschriftenbestand damit spürbar verringert werden. Für die Anwender bedeutet es eine wesentliche Erleichterung, wenn sich der Paragraphendschungel lichtet und mit kleinteiliger Regelungsvielfalt Schluss gemacht wird. x Eine letzte Fallgruppe bilden Umweltvorschriften, die sich unter vollzugspraktischen Gesichtspunkten als verfehlt erwiesen haben. Hierunter fallen einerseits Bestimmungen, deren Anwendung übermäßig kompliziert ist oder bei denen der Vollzugsaufwand außer Verhältnis zum Nutzen steht, andererseits aber auch Überregulierungen, die den Betroffenen keinen Raum für flexibles, situationsangepasstes Handeln lassen. Eine erhebliche Belastung für die Anwender bilden schließlich Regelungen, die Rechtsunsicherheit erzeugen oder nur schwer auszufüllende rechtliche Grauzonen eröffnen. Solche Vorschriften sind im Umweltrecht nicht selten. Insbesondere bei der Umsetzung politisch umstrittener europäischer Rechtsakte hat sich der Gesetzgeber in der Vergangenheit z.T. als unfähig oder unwillig gezeigt, für klare rechtliche Verhältnisse zu sorgen. Besonders krasse Beispiele finden sich etwa bei den Regelungen des UVPG über die UVP-Pflicht, von denen einige mehr Fragen aufwerfen als beantworten und für praktische Vollzugstätigkeit nahezu unbrauchbar sind. Ein UGB muss solche Problempunkte aufgreifen und für eine praxisgerechte und anwenderfreundliche Ausgestaltung sorgen. 3. Alles in allem bietet das Projekt Umweltgesetzbuch die einmalige Möglichkeit, das Umweltrecht insgesamt auf eine neue, den Anforderungen und Bedürfnissen der modernen Industriegesellschaft gerecht werdende Grundlage zu stellen. In der Kodifikation und Konsolidierung der Umweltvorschriften liegt zu-gleich ein erhebliches Innovationspotential. Zwar kann ein Umweltgesetzbuch die zunehmende Komplexität vieler Umweltprobleme und ihrer Ursachen nicht auflösen; es kann aber zu ihrer wirksamen und effizienten Bewältigung beitragen. Warum sollte sich Deutschland angesichts der aufgezeigten Verbesserungsmöglichkeiten auf umweltrechtlichem Terrain weiter mit suboptimalen Regelungen zufrieden geben? Gewarnt werden muss allerdings vor überzogenen Erwartungen – oder je nach Standort des Betrachters auch Befürchtungen. Es geht beim UGB nicht darum, das deutsche Umweltrecht von den bisherigen Füßen auf den Kopf zu stellen. Gefragt ist keine radikale Generalrevision, sondern eine maß- und sinnvolle Reform, die niemanden überfordert. Zwei Leitlinien geben dabei Orientierung: (1) Soweit sich bestehende Regelungskonzepte bewährt haben – wie z.B. das untergesetzliche Regelwerk zum Bundes-Immissionsschutzgesetz –, werden sie in das UGB übernommen.

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(2) Soweit Vorschriften überarbeitet und neu gefasst werden, darf dies nicht mit einem Abbau anspruchsvoller Umweltstandards verbunden sein. Der zweite Grundsatz ist übrigens nicht nur aus ökologischen Gründen vernünftig. Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten sind strenge Umweltanforderungen ein Gewinn. Sie schaffen einen hohen Anreiz für die Einführung umweltgerechter Technologien und Verfahren, stärken den Innovationsprozess und sind damit zugleich Motor für die Entwicklung neuer Leitmärkte. Der überzeugende Einsatz deutscher Produkte im eigenen Land befördert die Nachfrage in anderen Teilen der Welt. Dass ein überzeugendes Umweltgesetzbuch letztlich auch selbst zum Exportschlager, vielleicht auch zum Anknüpfungspunkt oder Ideengeber für eine europäische Umweltrechtsreform werden könnte, ist eine weitere Perspektive des UGB, auf die schon an anderer Stelle hingewiesen worden ist47. Deutschland könnte damit wieder an seine Vorbildfunktion im Umweltschutz in den 70er Jahren anknüpfen.

V. Das Regelungsprogramm 1. Das UGB ist ein umfangreiches Kodifikationsprojekt. Aus sachlichen wie zeitlichen Gründen48 ist es nicht möglich, noch in dieser Legislaturperiode – quasi „auf einen Schlag“ – ein umfassendes Umweltgesetzbuch zu realisieren. Es bedarf vielmehr eines schrittweisen Vorgehens49. Mit dem Regelungsprogramm für diese Legislaturperiode soll das Fundament für das Gesamtprojekt gelegt werden. Dabei sollen bereits wichtige Bereiche des Umweltrechts in das UGB eingestellt und auch neuen umweltpolitischen Herausforderungen wie dem Klimawandel Rechnung getragen werden. Neben einem einleitenden Teil, der u.a. die für das UGB maßgebenden Leitprinzipien zum Schutz von Mensch und Umwelt enthält, wird den Einstieg in das UGB vor allem das vorhabenbezogene Umweltrecht bilden, das die Zulassung und Überwachung wichtiger umweltrelevanter Vorhaben, von Industrieanlagen bis hin zu Deponien, steuert. Ferner sollen neue gesetzliche Bundesregelungen im Wasser- und Naturschutzrecht geschaffen werden. Weitere Umweltgebiete, die noch in dieser Legislaturperiode in das UGB einbezogen werden sollen, sind u.a. das Emissionshandelsrecht und das Recht der Erneuerbaren Energien50. ___________ 47 Bohne (Fn. 7), S. 279; Calliess (Fn. 43), S. 75; Kloepfer (Fn. 6), S. 166; Wansleben (Fn. 19), S. 19. 48 Hierzu bereits o. unter III. 49 Zust. Bohne (Fn. 7), S. 287; Kloepfer (Fn. 6), S. 167. 50 Zust. Bohne (Fn. 7), S. 289; Kloepfer (Fn. 6), S. 170.

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Warum sind für den Einstieg in das UGB gerade diese und keine anderen Materien ausgewählt worden? Mit der Aufnahme des vorhabenbezogenen Umweltrechts wird der Auftrag des Koalitionsvertrags zur Einführung einer integrierten Vorhabengenehmgung abgearbeitet. Zum vorhabenbezogenen Umweltrecht gehören nicht nur das Genehmigungsrecht, sondern auch „benachbarte Regelungsfelder“ wie behördliche Anordnungsbefugnisse und Überwachung, betrieblicher Umweltschutz sowie die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), die zusammen mit den Verfahrensvorschriften der integrierten Vorhabengenehmigung geregelt werden soll. Dieser Rechtsbereich bildet einen zentralen Baustein der Kodifikation, an den künftig viele weitere Bestimmungen anderer Teile des UGB anknüpfen können. Es ist deshalb sinnvoll, ihn an den Anfang zu stellen. Überdies gibt es gerade hier vielfältige Ansatzpunkte für eine Harmonisierung, Vereinfachung und Modernisierung des Umweltrechts. Mit der Aufnahme des Wasser- und Naturschutzrechts als besondere Teile des UGB macht der Bund von seinen erweiterten Gesetzgebungskompetenzen nach der Föderalismusreform Gebrauch. Wenn die durch das „UGB-Moratorium“ (Art. 125b Abs. 1 GG) gesetzte Zielmarke 200951 nicht ungenutzt verstreichen soll, muss der Bund noch in dieser Legislaturperiode handeln und an die Stelle der bisherigen Rahmengesetze WHG und BNatSchG neue bundesgesetzliche Vollregelungen setzen. Dies soll innerhalb des UGB geschehen. Die Regelungen des UGB zum „Klimaschutz“ und zu den „Erneuerbaren Energien“ werden Regelungsantworten auf die zukunftsbezogenen Umweltfragen geben, die uns derzeit wohl am intensivsten beschäftigen – die globale Klimaerwärmung und die Energiewende. Es wäre ein falsches Signal, wenn ausgerechnet diese Materien beim Einstieg in eine moderne Umweltrechtskodifikation ausgespart würden. Deshalb soll das Treibhausgasemissionshandelsgesetz (TEHG) in seiner dann aktuellen Fassung in den UGB-Entwurf für diese Legislaturperiode aufgenommen werden. Auch das Recht der Erneuerbaren Energien soll unter Berücksichtigung anstehender Änderungen einbezogen werden. 2. Die Arbeiten am UGB werden nach 2009 weitergehen. Aufgenommen werden sollen dann die Teile des Immissionsschutzrechts, die nicht dem Vorhabenrecht zuzuordnen sind, insbesondere der gebiets- und verkehrsbezogene Immissionsschutz, ferner der Schutz vor gefährlichen Stoffen, Anforderungen an Produkte und Ressourcenschutz, das Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht52, Bodenschutz, Altlasten und ggf. auch der Strahlenschutz (Schutz vor ___________ 51

Eingehend dazu o. unter II.2.(3). Mit Ausnahme des bereits in dieser Legislaturperiode geregelten Zulassungsrechts für Deponien als Teil des vorhabenbezogenen Umweltrechts. 52

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ionisierender Strahlung). Definitiv nicht in das UGB einbezogen werden soll das Kernenergierecht als fachgesetzlich geregelte „Auslaufmaterie“53. Neben dem eng gestrickten Zeitplan, der das Arbeitsprogramm dieser Legislaturperiode bestimmt, sprechen z.T. auch gesetzgebungsökonomische Gründe sowie mangelnde „UGB-Reife“ dagegen, die vorgenannten und andere Umweltmaterien schon beim jetzt anstehenden Einstieg in das Umweltgesetzbuch mit „an Bord zu nehmen“. Ein wesentlicher Faktor sind insbesondere absehbare Änderungen europäischer Umweltrichtlinien, so bspw. die Novellierung der Abfallrahmenrichtlinie. Hier gilt wie auch sonst bei den Arbeiten am Umweltgesetzbuch: keine unreflektierte Übernahme von bestehendem „Altrecht“ – Übernahme in das UGB erst nach gründlicher Überprüfung und Aktualisierung, auch im Lichte neuer europäischer Anforderungen. Ob und inwieweit das UGB künftig auch einmal Rechtsmaterien aufnehmen wird, die zwar eine hohe Umweltrelevanz besitzen, aber nicht zum klassischen Bestand des deutschen Umweltrechts zählen, ist eine seit Beginn der Überlegungen zur Schaffung eines UGB hochgradig umstrittene und politisch heikle Frage54. Im BMU gibt es derzeit keine Überlegungen, mit dem UGB die Grenzen der eigenen Ressortzuständigkeit zu überschreiten55. Gleichwohl ist zu erwarten, dass diese Debatte früher oder später erneut aufkommen wird – dies auch deshalb, weil die traditionelle Zuordnung einzelner Rechtsmaterien zum Umweltrecht oder einem anderen Rechtsgebiet häufig eher historische als sachbezogene Gründe hat56.

VI. Das Format der integrierten Vorhabengenehmigung 1. In der laufenden Debatte über das Umweltgesetzbuch steht vor allem eine Frage im Mittelpunkt, die bereits beim ersten Anlauf für ein UGB Gegenstand ___________ 53

Zust. Kloepfer (Fn. 6), S. 170. Vgl. zur Abgrenzbarkeit der Materie „Umweltrecht“ UGB-KomE (Fn. 4), Einleitung, S. 73. 55 So auch die Empfehlung von Kloepfer (Fn. 6), S. 163 56 Die Problematik einer Orientierung am jeweiligen Ressortzuschnitt zeigt sich exemplarisch bei der derzeitigen Ausgestaltung des Rechts der Leitungsanlagen. Soweit es sich dabei um Energieanlagen im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) handelt, werden sie dem Energierecht zugeordnet. Die Zulassung anderer Rohrleitungsanlagen gilt dagegen als umweltrechtliche Materie (vgl. §§ 20 ff. UVPG). Diese Differenzierung erscheint unter Umweltgesichtsgründen wenig einleuchtend. Ob es sich bei einer Gasleitung um eine Energieanlage im Sinne des EnWG oder um eine Rohrleitungsanlage nach § 20 i.V.m. Nr. 19.5 der Anlage 1 UVPG handelt, ändert nichts daran, dass die Errichtung und der Betrieb solcher Anlagen in beiden Fällen typischerweise mit vergleichbaren Risiken und Umweltauswirkungen verbunden ist. Dies spricht dafür, die Leitungsanlagen künftig einem einheitlichen Zulassungsregime, nämlich der integrierten Vorhabengenehmigung, zu unterwerfen. 54

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intensiver Diskussionen war: Brauchen wir überhaupt eine integrierte Vorhabengenehmigung, und wie soll dieser Genehmigungstyp ausgestaltet werden? In der Tat könnte die Antwort auf diese Frage entscheidend für das weitere Schicksal des UGB-Projekts sein. Zwar hat Bohne unlängst zutreffend darauf hingewiesen, dass die Berechtigung eines Umweltgesetzbuchs aus kodifikatorischer Sicht nicht von der Einführung einer integrierten Vorhabengenehmigung abhänge57. Richtig ist aber auch, dass die integrierte Vorhabengenehmigung im politischen Raum – so u.a. im Koalitionsvertrag58 und in der Begründung des Föderalismusreformgesetzes59 – stets als ein zentrales Element des UGB betrachtet worden ist. Ohne integrierte Vorhabengenehmigung – oder nur mit einem Genehmigungsinstrument ausgestattet, das den Namen „integrierte Vorhabengenehmigung“ nicht verdient – könnte der Kodifikationsanspruch des UGB für einen bedeutsamen Umweltbereich nicht oder nur unvollkommen eingelöst werden. Zum Abschluss dieses Beitrags soll deshalb noch einmal vertieft auf Sinn und Format der integrierten Vorhabengenehmigung eingegangen werden. 2. Beim gegenwärtigen Stand der Auseinandersetzung über den Mehrwert einer integrierten Vorhabengenehmigung lassen sich im Wesentlichen drei Positionen unterscheiden: Position 1 wird vor allem von einigen großen Wirtschaftsverbänden favorisiert. Sie stellen in Frage, dass für die Einführung einer neuen integrierten Vorhabengenehmigung Bedarf bestehe. Denn seit der Umsetzung der IVURichtlinie und der UVP-Richtlinie sei dieser Genehmigungstyp in Deutschland bereits geltendes Recht. Im Anlagenzulassungsrecht werde das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren weitgehend koordiniert mit anderen Genehmigungsverfahren (insbesondere solcher nach dem WHG) durchgeführt, womit zugleich ein hohes Schutzniveau für die Umwelt gewährleistet werde60. Als Position 2 lassen sich Vorstellungen zusammenfassen, die insbesondere in „Wasserrechtskreisen“ Anhänger finden. Danach soll künftig nur noch ein Genehmigungsverfahren bei einer Behörde durchgeführt und bei positivem Ausgang der Prüfungen nur noch eine Genehmigung erteilt werden. Die bisherige Koordination getrennter Genehmigungsentscheidungen, wie sie § 10 Abs. 5 Satz 2 BImSchG vorschreibt, würde hiernach im Rahmen eines Verfahrens unter dem Dach einer Behörde erfolgen. Grundlage dieser Genehmigung soll ___________ 57

Siehe Fn.7, S. 289. Siehe Fn. 1. 59 Siehe Fn. 25. 60 So BDI (Fn. 28), S. 3; ebenso der VCI in einem Positionspapier vom 16.11.2006; vgl. auch den Diskussionsbeitrag von Rebentisch in: Kloepfer (Hrsg.), Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 105 sowie Munk, Integrierte Vorhabengenehmigung und wasserwirtschaftliches Bewirtschaftungsermessen, in: Wasser und Abfall, Heft 3/2007, S. 40, 44. 58

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eine Zusammenschau der unverändert fortbestehenden Genehmigungstatbestände des Immissionsschutz- und Wasserrechts sein61. Zusätzlich wird erwogen, Optimierungs- und Öffnungsklauseln einzuführen. Damit würde es der Genehmigungsbehörde u.a. gestattet, im Einzelfall Abweichungen von den fachrechtlichen Genehmigungsanforderungen zuzulassen, soweit dies bei einer Gesamtbetrachtung zu einem Umweltgewinn führen würde. Auch nach der Position 3 sollen das Verfahren und die Entscheidung künftig bei einer Genehmigungsbehörde konzentriert werden. Anders als beim Vorschlag 2 soll das Prüf- und Entscheidungsprogramm der Behörde aber nicht verschiedenen fachgesetzlichen Genehmigungstatbeständen, sondern einem neuen übergreifenden Genehmigungstatbestand entnommen werden. Der integrative Charakter der Genehmigung soll hier also dadurch unterstrichen werden, dass die wesentlichen zulassungsrelevanten Gesichtspunkte, die bisher fachrechtlich getrennt geregelt sind, auf einer systematisch, strukturell und begrifflich harmonisierten Genehmigungsgrundlage zusammengeführt werden. Ansätze dieser Art finden sich schon im Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum UGB62 sowie im Referentenentwurf des BMU für ein UGB I von 199963. Auch nach den aktuellen Regelungsüberlegungen des BMU sollen die Genehmigungsanforderungen bei der integrierten Vorhabengenehmigung in einem im Kern einheitlichen Genehmigungstatbestand fixiert werden64. 3. Bei der Entscheidung, welchem der vorstehenden Integrationswege der Vorzug zu geben ist, müssen, um die Diskussion zu versachlichen und von unnötigem Ballast zu befreien, vorab zwei Dinge klargestellt werden: Die Auseinandersetzung über die Ausgestaltung der „integrierten Vorhabengenehmigung“ sollte erstens nicht als Streit um Begriffe geführt werden. Tatsächlich geht es um eine Sachfrage, nämlich um die Beurteilung der Leistungsfähigkeit und Praxistauglichkeit unterschiedlicher Integrationskonzepte. Solange die integrierte Vorhabengenehmigung noch nicht als eigenständiger, in bestimmter Weise definierter Zulassungstyp im Gesetz verankert ist, steht es jedermann frei, diesen Begriff auf alle möglichen Integrationsmodelle anzuwenden65. Üblicherweise werden als „integrierte Vorhabengenehmigung“ al___________ 61

Munk (Fn. 60), S. 42. Vgl. § 84 UGB-KomE (Fn. 4); zust. Calliess (Fn. 43), S. 65. 63 Vgl. § V 5 des BMU-Arbeitsentwurfs für ein UGB I vom 5.3.1998 (Fn. 5). 64 Auf die konkrete Ausgestaltung dieses Genehmigungstatbestandes kann hier nicht näher eingegangen werden. Eine Übersicht über verschiedene Regelungsmöglichkeiten findet sich bei Bohne (Fn. 7), S. 289 (Modelle 4 – 6). 65 Dazu Bohne (Fn. 7, S. 289), der sechs verschiedene Integrationsmodelle „mit steigender Verfahrens-, Entscheidungs- und materieller Integration“ identifiziert hat. Wahrscheinlich könnte man mit einiger Phantasie noch weitere Modelle kreieren. 62

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lerdings allein solche Genehmigungen bezeichnet, bei denen eine Behörde in einem Verfahren eine einheitliche Zulassungsentscheidung trifft66. Es geht zum zweiten auch nicht darum, dass nur ein bestimmtes Integrationsmodell in der Lage wäre, den EG-rechtlichen Integrationsanforderungen gerecht zu werden. Maßgebend für eine integrationsgerechte Ausgestaltung der Vorhabenzulassung sind auf europarechtlicher Ebene vor allem die UVP- und die IVU-Richtlinie67. Artikel 3 der UVP-Richtlinie bestimmt, dass die Umweltauswirkungen eines genehmigungsbedürftigen Projekts einschließlich der jeweiligen Wechselwirkungen in ihrer Gesamtheit68 ermittelt, beschrieben und bewertet werden müssen; das Ergebnis ist nach Artikel 8 der UVP-Richtlinie bei der Genehmigungsentscheidung zu berücksichtigen (so auch § 12 UVPG). Artikel 7 der IVU-Richtlinie schreibt, wenn an der Zulassung mehrere Behörde mitwirken, eine vollständige Koordinierung des Genehmigungsverfahrens und der Genehmigungsauflagen vor (so auch § 10 Abs. 5 Satz 2 BImSchG und § 7 Abs. 1 Satz 3 WHG). Aus diesen Vorgaben kann nicht geschlossen werden, dass parallele immissionsschutz- und wasserrechtliche Verfahren unter dem Regime der IVU- und der UVP-Richtlinie unzulässig wären und stattdessen eine Zentralisierung der Genehmigungsentscheidung bei einer Behörde zu erfolgen hätte69. Der EG-rechtliche geforderte Integrationsanspruch kann vielmehr auch im Rahmen paralleler Zulassungsverfahren eingelöst werden, soweit durch eine wirksame Koordination sichergestellt wird, dass die für die UVP notwendige Gesamtbewertung aller Umweltauswirkungen effektiv erfolgt70 und die Integrationsziele der IVU-Richtlinie – insbesondere Erreichung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt sowie Vermeidung der Verlagerung von Umweltbelastungen von einem Umweltmedium auf ein anderes71 – erfüllt werden72. ___________ 66

Kloepfer (Fn. 6), S. 169. Eingehend zur Entwicklung des Integrationsgedankens im europäischen Umweltsekundärrecht Calliess (Fn. 43), S. 48 ff. 68 Calliess (Fn. 43), S. 49 m.w.Nachw. Der Begriff der „Wechselwirkungen“ umfasst nicht nur die Verschiebung von Umweltbeeinträchtigungen von einem Umweltmedium auf ein anderes, sondern verlangt bei UVP-pflichtigen Großprojekten außerdem, dass die für die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung zuständigen Behörden umfassende ökosystematische Beurteilungen vornehmen, um genaue Erkenntnisse über die potentiellen Umweltauswirkungen zu gewinnen; so zutr. SRU, Umweltverwaltungen (Fn. 35), Tz. 28. 69 Zutr. Bohne (Fn. 7), S. 289; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Kommentar, Bd. I, § 10 BImSchG Rn. 104; Staupe, Die vollständige Koordination des Behördenhandelns gemäß IVU-Richtlinie, ZUR 2000, 368, 369. 70 Vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 4 und § 14 UVPG. 71 Vgl. Art. 1 und Art. 9 Abs. 3 sowie Erwägungsgründe 7, 8 und 14 der IVURichtlinie. 72 Staupe (Fn. 69), S. 369 f. 67

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Vor diesem Hintergrund würde man auf ein falsches Gleis geraten, wenn man die Diskussion über die Einführung einer integrierten Vorhabengenehmigung im UGB ausschließlich auf die EG-rechtlichen Integrationsanforderungen fokussieren würde. Natürlich sind nur Genehmigungslösungen diskutabel, die mit den Integrationsprinzipien der IVU- und UVP-Richtlinie vereinbar sind. Diese Richtlinien eröffnen dem Gesetzgeber jedoch eine breite Palette von Umsetzungsmöglichkeiten. Für die Frage, welcher dieser Wege bei der integrierten Vorhabengenehmigung beschritten werden soll, kommt es darauf an, die Genehmigungsvorschriften so zuzuschneiden, dass die Ausgestaltung der Integration nicht in Widerspruch zu anderen wesentlichen Zielen des Umweltgesetzbuchs gerät. Von Bedeutung sind hier insbesondere der Kodifikationsanspruch des UGB73, die angestrebte Vereinfachung der Genehmigungsverfahren74 und die Grundsätze der „Besseren Rechtsetzung“75. 4. In der Tat können integrative Erwägungen wesentlich leichter und unkomplizierter in den genehmigungsrechtlichen Prüf- und Entscheidungsprozess einbezogen werden, wenn die bisherige Koordination getrennter Zulassungsverfahren aufgegeben und durch eine Verfahrens- und Entscheidungskonzentration abgelöst wird. Eine prozedurale Genehmigungsstruktur, bei der nur noch eine Behörde über die Zulassung des Vorhabens entscheidet, ist dem derzeitigen Genehmigungssystem deutlich überlegen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es bei der Abstimmung paralleler immissionsschutz- und wasserrechtlicher Zulassungsentscheidungen zu Differenzen zwischen den beteiligten Genehmigungsbehörden kommt. In der Literatur ist im Zusammenhang mit der Koordinationspflicht nach § 10 Abs. 5 Satz 2 BImSchG darauf hingewiesen worden, dass der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde in dieser Vorschrift zwar die Aufgabe zugewiesen worden ist, eine vollständige Koordination der Zulassungsverfahren und der Inhalts- und Nebenbestimmungen vorzunehmen, dass es ihr aber grundsätzlich an den Befugnissen und Instrumenten fehlt, um auch in Konfliktfällen bestimmte Genehmigungsauflagen unmittelbar bei der wasserrechtlichen Zulassungsbehörde durchzusetzen76. Zur Klärung ___________ 73

Siehe oben IV.2.(1). Siehe oben IV.2.(5). 75 Siehe oben IV.2.(6). 76 Calliess (Fn. 43), S. 65; Koch/Siebel-Huffmann, Umsetzung der UVPÄnderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer Umweltschutzrichtlinien, NVwZ 2001, 1081, 1084; Staupe (Fn. 69), S. 371. – Das Problem wird auch nicht dadurch entschärft, dass die wasserrechtliche Genehmigungsbehörde nach den Landeswassergesetzen eine vergleichbare Koordinationspflicht trifft (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 3 WHG). Danach hat sich die Wasserbehörde zwar ihrerseits ebenfalls um eine Verständigung mit der Immissionsschutzbehörde zu bemühen. Jedoch fehlt es an Regelungen, wie Konflikte zwischen verschiedenen Zulassungsbehörden bei der Abstimmung von Inhalts- und Nebenbestimmungen aufzulösen sind. Unmittelbare Durchsetzungsmöglichkeiten bestehen 74

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solcher Situationen stehen nach geltendem Recht nur relativ umständliche Mittel und Wege zur Verfügung, die das Verfahren beträchtlich in die Länge ziehen können, etwa eine Einschaltung der nächst höheren gemeinsamen Behörde77. Aber auch bei weniger verwickelten Zulassungsvorgängen können Reibungsverluste und Mehraufwand vermieden werden, wenn nur noch eine Genehmigungsentscheidung durch eine Genehmigungsbehörde zu treffen ist. Die Entscheidungsfindung kann dann „unter dem Dach“ der Genehmigungsbehörde selbst stattfinden und so organisiert werden, dass notwendige fachliche Abstimmungen „auf kurzem Wege“ durchgeführt werden. Insgesamt würde eine Konzentration des Verfahrens und der Zulassungsentscheidung bei einer Behörde somit auf prozedural-organisatorischer Ebene Verhältnisse schaffen, die eine sachgerechte Integration wesentlich erleichtern78. Dass ein solches Vorgehen auch für den Antragsteller Vorteile mit sich bringt, ist bereits oben79 ausgeführt worden. Die Beibehaltung der bestehenden Genehmigungsstrukturen (Position 1) wäre diesem Ansatz unterlegen und sollte deshalb für das UGB nicht in Betracht gezogen werden. 5. Der Umstand, dass für die Durchführung eines Vorhabens künftig nur noch eine Zulassung von einer Behörde benötigt wird, garantiert für sich allerdings noch nicht, dass diese Genehmigung nicht nur formal „aus einer Hand“ ergeht, sondern auch inhaltlich eine Entscheidung „aus einem Guss“ darstellt. Um letzteres sicherzustellen, muss der Gesetzgeber zusätzlich dafür sorgen, dass das materielle Prüf- und Entscheidungsprogramm der Genehmigungsbehörde integrationsgerecht ausgestaltet ist80. „Integrationsgerechte Ausgestaltung“ bedeutet, dass der Genehmigungstatbestand und seine Bezugsvorschriften konsequent auf Verwirklichung der in der IVU- und UVP-Richtlinie festgelegten Integrationsziele ausgerichtet werden. Die einschlägigen Regelungen müssen daher so beschaffen sein, dass ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt gewährleistet wird, insbesondere nachteilige Wechselwirkungen und Belastungsverlagerungen zwischen den Umweltmedien rechtzeitig erkannt, ab___________ nur dort, wo eine der beteiligten Behörden der anderen nachgeordnet und damit ihren Weisungen unterworfen ist. 77 So die Gesetzesbegründung zu § 10 Abs. 5 BImSchG im Entwurf des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EGRichtlinien zum Umweltschutz (sog. „Artikelgesetz“), BT-Drucksache 14/4599, S. 128. 78 Zur verwaltungsorganisationsrechtlichen Komponente der integrierten Genehmigung sehr instruktiv Calliess (Fn 43), S. 62 ff., insbesondere S. 63: der Entscheidungsprozess müsse so organisiert werden, dass eine den Vorgaben des integrierten Umweltschutzes entsprechende medienübergreifende Kontrolle der durch Industrieanlagen und sonstige umweltbeanspruchende Projekte bewirkten Umweltbelastung ermöglicht werde. 79 Unter III.2.(5). 80 Calliess (Fn. 43), S. 65.

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gewogen und im Ergebnis möglichst minimiert oder sogar ausgeschlossen werden81. Die Behörden müssen m.a.W. durch die genehmigungsrechtlichen Vorgaben in die Lage versetzt werden, eine in sich geschlossene, konsistente, in materieller Hinsicht abgestimmte und ausgewogene Zulassungsentscheidung mit insgesamt hohem Umweltanspruch zu treffen. Dazu werden u.a. Bestimmungen benötigt, die festlegen, (1) welche Mindestanforderungen zum Schutz der verschiedenen Umweltgüter eingehalten werden müssen82, (2) von welchen zusätzlichen Anforderungen die Erteilung der Genehmigung abhängig gemacht werden kann und (3) ob zur Erzielung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt im Einzelfall Abstriche von bestimmten Umweltanforderungen zugelassen werden können, wenn die Einhaltung dieser Anforderungen bei einem konkreten Vorhaben zu unerwünschten Umwelteffekten führen würde. Damit rücken an dieser Stelle die Unterschiede zwischen den Positionen 2 und 3 ins Blickfeld. Bei der Auseinandersetzung mit ihnen ist zunächst festzustellen, dass die normativ-integrative Steuerung des behördlichen Prüf- und Entscheidungsprozesses natürlich auch im Rahmen eines Umweltgesetzbuchs nach dem bisherigen Regelungsmuster ausgestaltet werden könnte. Ein solches Vorgehen würde den Ansprüchen und Zielen des UGB aber erkennbar nicht gerecht und wäre daher wenig überzeugend. Die für die Zulassung eines Vorhabens maßgeblichen Anforderungen wären dann nämlich weiterhin verschiedenen immissionsschutz- und wasserrechtlichen Genehmigungstatbeständen zu entnehmen, die jeweils „medienspezifische Hauptverknüpfungen“83 besitzen, einer unterschiedlichen Systematik folgen und strukturell wie terminologisch stark differieren. Vorhandene Schwierigkeiten bei der Anwendung des geltenden Umweltrechts würden bei diesem Ansatz fortgeschrieben. Die Regelungen blieben hierdurch weit hinter den Möglichkeiten zurück, die ein Umweltgesetzbuch für den integrierten Umweltschutz bietet. Nochmals: Wesentliche Anliegen des UGB sind die Kodifikation des verstreuten und zersplitterten Umweltrechts sowie eine Harmonisierung und Vereinfachung seiner vielfältigen Bestimmungen84. Hierfür bieten gerade die geltenden fachgesetzlichen Genehmigungsvorschriften ein reichhaltiges Betätigungsfeld. Die Zulassungstatbestände des Immissionsschutz- und Wasserrechts haben sich historisch eigenständig entwickelt und weichen in ihrer Systematik, ___________ 81

Staupe (Fn. 69), S. 370. Das Integrationsziel der IVU-Richtlinie, ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu erreichen, bedeutet nicht, dass für sämtliche Umweltmedien ein gleichermaßen anspruchsvolles Schutzprofil festzulegen ist (Dietlein [Fn. 69], § 1 BImSchG Rn. 30). Zur genehmigungsrechtlichen Beurteilung eines Vorhabens ist es deshalb unverzichtbar, dass der Gesetzgeber in den Umweltvorschriften ausweist, welcher Schutzanspruch für die verschiedenen Umweltgüter jeweils gelten soll. 83 Formulierung von Kloepfer (Fn. 6), S. 165. 84 Vgl. o. unter IV.2.(1) und IV.2.(6). 82

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ihrem Aufbau und ihren Begrifflichkeiten erheblich voneinander ab. Das Immissionsschutzrecht sieht für die Zulassung von Anlagen eine gebundene Genehmigung vor; dabei sind die wesentlichen materiellen Genehmigungsvoraussetzungen in einem Katalog von Grundpflichten fixiert, die durch ein untergesetzliches Regelwerk ausgefüllt werden (vgl. § 6 Abs. 1 i.V.m. §§ 5 und 7 BImSchG). Der wasserrechtliche Erlaubnistatbestand ist demgegenüber offener und unkonturierter gefasst; er sieht als zentralen Versagungsgrund die „Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit“ vor und stellt die Erteilung der Erlaubnis im Übrigen in das pflichtgemäße Ermessen der Behörde (vgl. § 6 WHG). Bei einer näheren inhaltlichen Analyse kann indessen festgestellt werden, dass es zwischen den immissionsschutz- und wasserrechtlichen Genehmigungsregimen trotz äußerlicher Verschiedenheit eine Reihe sachlicher Gemeinsamkeiten gibt. Diese erschließen sich aus den dargestellten Gründen aber nur mühsam. Deshalb bietet es sich an, die traditionellen fachgesetzlichen Genehmigungstatbestände durch einen neuen übergreifenden Genehmigungstatbestand zu ersetzen. Dieser integrative Genehmigungstatbestand würde die bislang sektoral verankerten Anforderungen an die Zulassung umwelterheblicher Vorhaben zusammenführen, systematisieren, in eine einheitliche Struktur bringen und auch begrifflich harmonisieren. Er darf allerdings nicht durchgängig als „Einheitstatbestand“ konzipiert werden, sondern muss zugleich Raum für mediale Differenzierungen lassen, soweit fachspezifische Besonderheiten dies erfordern. So muss etwa mit Blick auf Gewässerbenutzungen weiterhin zum Tragen kommen, dass es sich bei der natürlichen Ressource Wasser um ein knappes Gut handelt, das für die Allgemeinheit von lebenswichtiger Bedeutung ist, staatlicher Bewirtschaftung bedarf und daher nicht Gegenstand individueller Nutzungsansprüche sein kann. Soweit es sich bei dem zuzulassenden Vorhaben um eine Bewässerbenutzung handelt oder eine Gewässerbenutzung Teil des Vorhabens ist, sollte es daher auch bei der integrierten Vorhabengenehmigung dabei bleiben, dass die Zulassungsentscheidung mit Blick auf die wasserwirtschaftlichen Belange im Bewirtschaftungsermessen der Genehmigungsbehörde steht85. Abgesehen von solchen Sonderaspekten würde die Vorhabenzulassung bei der integrierten Genehmigung jedoch einem im Kern einheitlichen Prüf- und Entscheidungsprogramm unterworfen. ___________ 85 Man kann allerdings darüber streiten, ob der Bewirtschaftungsaspekt bei der Festlegung der Genehmigungsanforderungen dazu zwingt, das bisherige wasserrechtliche Bewirtschaftungsermessen auf der Rechtsfolgenseite des Genehmigungstatbestandes beizubehalten, oder ob es alternativ möglich wäre, die Gewässerbewirtschaftung bei den Genehmigungsvoraussetzungen zu verankern und der Genehmigungsbehörde insoweit eine entsprechende „Einschätzungsprärogative“ oder einen Beurteilungsspielraum zu eröffnen. Vgl. dazu einerseits Kahl/Diederichsen, Integrierte Vorhabengenehmigung und Bewirtschaftungsermessen, NVwZ 2006, 1107 ff.; andererseits Munk (Fn. 60), S. 41 f.

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Die Zusammenführung in einem Tatbestand ist kein gesetzessystematischer Selbstzweck, sondern ein wesentlicher Beitrag zur praktischen Verwirklichung der materiellen Integration im Genehmigungsrecht. Deutlich wird dies vor allem dann, wenn man sich vor Augen führt, dass die Vorhabenzulassung typischerweise Ergebnis eines komplexen administrativen Abstimmungs- und Kommunikationsprozesses ist. An diesem Prozess wirken Vertreter verschiedener Behörden und Fachgebiete mit. Die beteiligten Arbeitseinheiten sind jeweils nur für bestimmte Teilaspekte des Genehmigungsvorgangs zuständig. Sie haben darauf zu achten, dass die von ihnen „verwalteten“ Fachbelange in die Prüfungen einbezogen werden und bei der Entscheidungsfindung möglichst nicht „auf der Strecke bleiben“. Die hierfür erforderlichen Abstimmungen können nur dann zu sachgerechten und ausgewogenen Resultaten führen, wenn für die Teilnehmer vollständige Transparenz über den zu beurteilenden Sachverhalt und den vorgesehenen Inhalt der beantragten Genehmigung besteht. Im geltenden Zulassungsrecht wird deshalb aus der Pflicht der Genehmigungsbehörden zur Koordination paralleler Zulassungsverfahren (§ 10 Abs. 5 Satz 2 BImSchG, § 7 Abs. 1 Satz 3 WHG) eine wechselseitige Verpflichtung zur Kommunikation und Information abgeleitet. Die mitwirkenden Behörden sollen sich gegenseitig umfassend über den ihnen bekannten Sachstand unterrichten, Zugang zu allen entscheidungsrelevanten Unterlagen verschaffen und geplante Inhalts- und Nebenbestimmungen austauschen86. Hierdurch soll bewirkt werden, dass die Genehmigungen inhaltlich miteinander in Einklang gebracht, also materiell integriert werden. Auch bei umfassender Sachverhaltskenntnis kann Integration allerdings nur dann optimal funktionieren, wenn zugleich auf allen Seiten Klarheit über die rechtlichen Anforderungen besteht, die für die zu treffende Zulassungsentscheidung maßgebend sind. Von Bedeutung ist diese genehmigungsrechtliche Transparenz insbesondere dann, wenn es aus der unterschiedlichen fachlichen Perspektive der Beteiligten zu Meinungsverschiedenheiten über die Notwendigkeit oder Berechtigung von Genehmigungsauflagen kommt. In solchen Konfliktfällen muss beurteilt werden, ob die umstrittene Nebenbestimmung zur Einhaltung genehmigungsrechtlich zwingender Anforderungen benötigt wird oder in einen Bereich fällt, in dem der Genehmigungsbehörde Entscheidungsspielräume – und damit auch Integrationsmöglichkeiten – eröffnet sind. Eine Verständigung über die rechtlichen Genehmigungsgrundlagen gehört bei der Entscheidungsfindung daher ebenso zum innerbehördlichen Kommunikationsprozess wie der gegenseitige Austausch notwendiger Sachinformationen. Genehmigungsrechtliche Transparenz ist im bestehenden Vorhabenzulassungsrecht nur schwer herzustellen. Die Aufspaltung der Materie auf verschie___________ 86

Dietlein (Fn. 69), § 10 BImSchG Rn. 104; SRU, Umweltverwaltungen (Fn. 35), Tz. 30; Staupe (Fn. 69), S. 371.

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dene fachgesetzliche Tatbestände führt dazu, dass sich die an der Entscheidung mitwirkenden Fachvertreter jeweils in unterschiedliche Genehmigungssysteme „eindenken“ und die dort geltenden Strukturen, Grundsätze und Anforderungen nachvollziehen müssen. Dies dürfte manchen überfordern. So wird es für einen „klassischen Immissionsschützer“ nicht ohne weiteres erkennbar sein, ob Genehmigungsauflagen der Wasserbehörde auf zwingenden wasserrechtlichen Erfordernissen beruhen oder dem wasserwirtschaftlichen Ermessen zuzuordnen sind. Umgekehrt werden Angehörige der Wasserbehörde nur bedingt Zugang zu dem weniger flexiblen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungssystem finden. Mangelnde Zugänglichkeit der rechtlichen Entscheidungsgrundlagen kann so zu einem Hindernis für eine wirksame Integration werden. Nur wer den rechtlichen Rahmen kennt, innerhalb dessen integrative Betrachtungen stattfinden können, ist in der Lage, die Entscheidungsspielräume zu bestimmen, die im konkreten Genehmigungsfall bestehen, und sie sachgerecht auszufüllen. Bei kompliziert ausgestalteten genehmigungsrechtlichen Verhältnissen, wie sie derzeit im Umweltrecht anzutreffen sind, ist hingegen zu befürchten, dass in der Praxis nicht materielle Integration, sondern ein nur formal verknüpftes Nebeneinander sektoraler Betrachtungen das Bild bestimmen wird. 6. Die vorstehenden Überlegungen führen zu einer eindeutigen Präferenz für die Position 3. Die mit dem UGB eröffnete Chance sollte genutzt werden, um mit der Einführung einer integrierten Vorhabengenehmigung für größere normative Klarheit im Genehmigungsrecht – insbesondere eine praxisgerechtere Ausgestaltung des integrativen Umweltschutzes – zu sorgen. Am wirksamsten kann dies dadurch geschehen, dass die bisher getrennten immissions- und wasserrechtlichen Genehmigungstatbestände in einem neuen übergreifenden Genehmigungstatbestand zusammengeführt und systematisch, strukturell und begrifflich soweit wie möglich harmonisiert werden. Die Genehmigungsanforderungen stellen sich innerhalb dieses integrativen Tatbestandes als im Kern einheitliches Prüf- und Entscheidungsprogramm dar. Öffnungen sind nur dort geboten, wo fachspezifische Besonderheiten bestehen, so beispielsweise beim wasserrechtlichen Bewirtschaftungsermessen, auf das auch in einer integrierten Vorhabengenehmigung nicht verzichtet werden kann.

VII. Resümee und Ausblick Der vorstehende Beitrag hat sich mit den Hintergründen, Randbedingungen und Regelungskonzepten „auf dem Weg zu einem Umweltgesetzbuch“ befasst. Der Titel endet mit einem Fragezeichen. Es ist in hohem Maße wünschenswert, das Fragezeichen durch ein Ausrufezeichen zu ersetzen. Mit dem Umweltgesetzbuch ist ein erheblicher Nutzen und Mehrwert verbunden. Dabei geht es nicht um akademische Schönheitspreise, sondern um

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praktische Verbesserungen, die den Bürgerinnen und Bürgern, den Unternehmen und den Behörden in vielfältiger Weise zugute kommen werden. Natürlich wird die Einführung eines UGB, wie jede andere Rechtsreform, zunächst mit gewissen Neuerungen und Umstellungen verbunden sein. Dieser Effekt wird aber nur vorübergehender Natur sein. Er ist im Übrigen unvermeidlich, wenn das UGB mehr sein soll eine bloße Gesetzessammlung. Wer jahrelang nach einfacheren und effektiveren Umweltgesetzen gerufen hat, darf sich jetzt nicht beschweren, wenn ihn die Politik beim Wort nimmt und die geforderten Maßnahmen ergreift. In der Sache gibt es keinen Grund, sich an hergebrachten Regelungen, die z.T. noch aus den 50er Jahren stammen, festzuklammern. Inhalte, Strukturen und Zusammenspiel der bestehenden Umweltvorschriften sind übermäßig kompliziert und selbst für Umwelt- und Rechtsexperten streckenweise nur schwer handhabbar. Mit dem UGB wird weder die Revolution noch das Chaos im Umweltrecht ausbrechen. Im Gegenteil: Die geplanten Änderungen sind vernünftig und werden der Praxis das umweltrechtliche Geschäft erleichtern. Mit der Zusammenführung und Harmonisierung der bislang verstreuten und disparaten Vorschriften unter dem übergreifenden Dach eines Umweltgesetzbuchs wird ein homogenes Regelungssystem entstehen, das für begriffliche Klarheit, Ordnung und strukturelle Kontinuität sorgen und den Rechtsanwendern größere Rechts- und Orientierungssicherheit verschaffen wird. Die Chancen für ein UGB waren noch nie so gut wie heute. Wir sollten alle Anstrengungen unternehmen, um das Umweltgesetzbuch jetzt auf den Weg zu bringen und zum Erfolg zu führen.

Welche Folgen hätte die Einführung einer planerischen Vorhabengenehmigung? Von Lars Diederichsen

I. Die integrierte Vorhabengenehmigung als Regelungsmodell 1. Das Kodifikationskonzept in der politischen Diskussion „Das historisch gewachsene deutsche Umweltrecht ist kompliziert und wenig transparent. Es ist zwischen verschiedenen Fachgebieten sowie zwischen Bund und Ländern stark zersplittert und entspricht nicht mehr den Anforderungen an eine moderne, integrierte Umweltpolitik“1. Nachdem die Föderalismusreform die Hürden von Bundestag und Bundesrat genommen hat2, ist der offizielle Grund entfallen, der trotz des Vorliegens elaborierter und bestens geeigneter Entwurfstexte3 noch Ende der neunziger Jahre zum (vorläufigen) Schei___________ 1 So die Einschätzung des für das UGB-Projekt federführenden Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, vgl. BMU-Pressedienst Nr. 175/06 zum Thema UGB vom 5.7.2006. 2 Das 52. Gesetz zur Änderung zur Änderung des Grundgesetzes (Entwurfsfassung in BT-Dr 16/813 vom 7.3.2006) wurde am 30.6.2006 durch den Bundestag mit wenigen Maßgaben angenommen (Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages in BR-Dr 462/06). Der Bundesrat stimmte in der Sitzung vom 7.7.2006 mit der erforderlichen 2/3Mehrheit zu. Die Verkündung im Bundesgesetzblatt erfolgte am 28.8.2006 (BGBl. I 2034). Siehe zur Entwicklung und den Reformzielen anschaulich Rengeling, DVBl 2006, 1537 ff. m.z.w.N. Das Echo in der Literatur zur Föderalismusreform ist bislang ganz überwiegend kritisch. Siehe etwa Degenhart, NVwZ 2006, 1209 ff.; Ekardt/Weyland, NVwZ 2006, 737 ff.; Epiney, NuR 2006, 403 ff.; Koch/Krohn, NuR 2006, 673 ff.; Knopp, NVwZ 2006, 1216 ff. Tendenziell positiv bewertet die Reform jedoch J. Ipsen, NJW 2006, 2801 (2806). 3 Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann/Kunig, Umweltgesetzbuch – Allgemeiner Teil, 1990 (2. Aufl. [1991]); Jarass/Kloepfer/Kunig/Papier/Peine/Rehbinder/Salzwedel/ Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch – Besonderer Teil; Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998; Arbeitsentwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 5.3.1998 für ein UGB I, zit. nach H.-W. Rengeling (Hrsg.), Auf dem Weg zu einem Umweltgesetzbuch I, 1999, S. 273 ff. Vgl. dazu die Beiträge in Bohne (Hrsg.), Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch, 2002; Di Fabio, NVwZ 1998, 329 ff.; Dolde, NVwZ 1997, 313 ff.; Fluck, NVwZ 1998, 1016 ff.; ders., ZAU 1998, 23 ff.; Hansmann,

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tern der Bemühungen um eine Kodifikation des nationalen Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch (UGB) geführt hatte4. Der Bund kann jetzt nach Art. 74 I Nrn. 29 und 32 GG auch auf den Gebieten des Naturschutz- und Wasserrechts Vollregelungen treffen. Zwar haben die Länder in gewissen Grenzen die Möglichkeit, hiervon abzuweichen, jedoch erst ab dem Jahr 20105. Die bis dahin verbleibende Zeit soll dafür genutzt werden, das wegweisende und „historische“ Projekt der Schaffung eines UGB nunmehr endlich in die Tat umzusetzen. Das Bundeskabinett hat in seiner Sitzung vom 5.7.2006 Eckpunkte dieses Gesetzgebungsvorhabens gebilligt. Danach sollen im Rahmen eines gestuften Vorgehens in dieser Legislaturperiode zunächst einmal zentrale Bereiche des vorhabenbezogenen Umweltrechts, insbesondere die so genannte „integrierte Vorhabengenehmigung“, geregelt werden6. Politisches Ziel einer Kodifikation des deutschen Umweltrechts ist u. a., die Zulassung von Vorhaben zu erleichtern und zu beschleunigen, indem die bislang heterogenen, umweltbezogenen Zulassungsverfahren durch eine integrierte Vorhabengenehmigung ersetzt werden. Bisher sind für die Zulassung eines ___________ ZAU 1998, 14 ff.; Köck, UPR 2002, 321 ff.; Kugelmann, DVBl 2002, 1238 ff.; Lange/Karthaus, in: Lange (Hrsg.), Gesamtverantwortung statt Verantwortungsparzellierung im Umweltrecht, 1997, S. 15 ff.; Masing, DVBl 1998, 549 ff.; Peters, ZUR 1998, 295 ff.; Rengeling, ZfV 1999, 322 ff.; ders., in: Festschrift für Feldhaus, 1999, S. 313 ff.; Schink, DÖV 1999, 1 ff.; Schlarmann, in: Festschrift für Hoppe, 2000, S. 837 ff.; A. Schmidt, ZUR 1998, 277 ff.; Schmidt-Preuß, DVBl 1998, 857 ff.; Scholten, DÖV 1997, 701 ff.; Schrader, ZAU 1998, 19 ff.; ders., NuR 1998, 285 ff.; Sellner, DVBl 2000, 778 ff.; Sendler, ZAU 1998, 9 ff.; Storm, NVwZ 1999, 35 ff.; Volkmann, VerwArch 89 (1998), 363 ff.; Wahl, NVwZ 2000, 502 ff.; Wickel, UPR 2000, 92 ff. Eingehend Beyer, Die integrierte Anlagenzulassung, 2001. Speziell für das Wasserrecht Hansmann, ZfW 1999, 238 ff. 4 Das BMU hat im Jahre 1999 die Arbeiten an einem UGB unter Hinweis auf nicht ausreichende Gesetzgebungskompetenzen des Bundes eingestellt, jedoch zugleich angekündigt, sie nach einer entsprechenden Änderung des Grundgesetzes fortzusetzen. Verschiedentlich wird jedoch (zu Recht) vermutet, die wahren Gründe für die Verschiebung des UGB seien nicht verfassungsrechtlicher, sondern politischer Natur gewesen, vgl. etwa Bohne in: ders. (Hrsg.), Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch, 2002, S. 184 ff.; Jarass, ZfU 2006, 1 (6 ff.). Stellv. für die im Schrifttum herrschende Auffassung, wonach der Bund auch nach der bisherigen Rechtslage über eine ausreichende Gesetzgebungskompetenz für die Schaffung eines UGB verfügt hätte, vgl. Rengeling, DVBl 1998, 997 ff.; demgegenüber skeptisch Berendes, ZfW 1999, 212 (215 f.). 5 Vgl. das so genannte Moratorium in Art. 125b I GG n. F. Sehr krit. dazu der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seiner Stellungnahme Nr. 10 „Der Umweltschutz in der Föderalismusreform“ vom Februar 2006, S. 11 ff. Krit. auch Grandjot, UPR 2006, 97 ff.; Stock, ZUR 2006, 113 ff. Für die Schaffung einer einheitlichen Umweltrechtskompetenz als Alternative Kloepfer, NuR 2006, 1 ff. 6 Siehe im Einzelnen das vom BMU unter dem 5.7.2006 veröffentlichte „Eckpunktepapier zum Umweltgesetzbuch“ unter www.bmu.de sowie jüngst Barth/Ziehm/Zschiesche, ZUR 2007, 295 ff.; Bohne, EurUP 2006, 276 (287 ff.); Gärditz, VerwArch 40 (2007), S. 203 ff.; Kloepfer, UPR 2007, 161 ff.; Steinkemper, in: Kloepfer (Hrsg.), Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 13 ff.

Welche Folgen hätte die Einführung einer planerischen Vorhabengenehmigung? 371

Vorhabens häufig mehrere parallele Genehmigungsverfahren zu durchlaufen. Dies betrifft insbesondere den Bereich Industrieanlagen. Sind diese, wie häufig, mit einer Gewässerbenutzung verbunden, muss bislang parallel zum immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren ein wasserrechtliches Zulassungsverfahren durchgeführt werden, da Erlaubnisse und Bewilligungen nach §§ 7, 8 WHG von der Konzentrationswirkung der Anlagengenehmigung gemäß § 13 BImSchG ausgenommen sind. Zwar sind beide Verfahren durch die Genehmigungsbehörde zu koordinieren (§ 10 Abs. 5 Satz 2 BImSchG). Dies gestaltet sich in der Praxis jedoch wegen unterschiedlicher Behördenzuständigkeiten und unterschiedlicher materieller Zulassungsstandards mitunter schwierig. Bekanntlich besteht bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 BImSchG ein Rechtsanspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Anlagengenehmigung, wogegen eine wasserrechtliche Gestattung versagt werden kann, wenn durch eine mit dem Vorhaben verbundene Gewässerbenutzung das Wohl der Allgemeinheit beeinträchtigt wird, und sei es nur durch die Einleitung einer aus Sicht der Wasserwirtschaft unerwünschten Entwicklung. Die immissionsschutzrechtliche Kontrollerlaubnis setzt materiell insbesondere die Erfüllung der Grundpflichten in § 5 BImSchG voraus, wogegen das Wasserrecht derartiges nicht kennt. Zielsetzung eines UGB I ist daher einerseits, eine Verfahrenskonzentration herzustellen, so dass nur noch eine Behörde über das Gesamtprojekt entscheidet. Ein Investor soll im Regelfall nur noch eine Genehmigung benötigen, um sein gesamtes Projekt zu verwirklichen. Das politische Kodifikationskonzept kann auf die Kurzformel gebracht werden: eine Behörde – ein Verfahren – eine Entscheidung7. Darüber hinaus wird angestrebt, durch die Schaffung eines einheitlichen, medienübergreifenden Genehmigungstatbestands auch eine stärkere Koordination auf der materiellrechtlichen Seite zu erreichen. Für Vorhaben soll eine medienübergreifende Umweltprüfung durchgeführt werden, wie sie durch die IVU-Richtlinie8 längst gefordert, jedoch bislang durch die unterschiedlichen Anforderungen der einzelnen Fachgesetze erschwert wird. Dabei stellt sich die Frage, ob und inwieweit eine Harmonisierung der verschiedenen Zulassungsan___________ 7 Siehe dazu Gabriel, in: FAZ Nr. 271 vom 21.11.2006, S. 14 sowie die Informationsbroschüre des BMU „Projekt Umweltgesetzbuch – Umweltrecht unter einem Dach“, Stand: Januar 2007, beides abrufbar unter www.bmu.de. 8 Richtlinie des Rates vom 24.9.1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung 96/61/EG, ABlEG 1996 L 257, S.26; umgesetzt durch das Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27.7.2001 (BGBl. I S. 1950). Dazu Koch/Jankowski, ZUR 1998, 57 ff.; eingehend Engelhardt, Die Umsetzung der IVURichtlinie in Deutschland, 2002; vgl. auch Schreiber, Das Regelungsmodell der Genehmigung im integrierten Umweltschutz, 2000.

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forderungen in einem einheitlichen Genehmigungstatbestand rechtlich möglich und sinnvoll ist. Dies wird exemplarisch anhand des wasserrechtlichen Bewirtschaftungsermessens diskutiert, das prinzipiell entweder auf der Tatbestandsseite oder auf der Rechtsfolgenseite zum Bestandteil einer integrierten Vorhabengenehmigung gemacht werden kann. Diese ambitionierte Konzeption der integrierten Vorhabengenehmigung ruft naturgemäß Unbehagen und Misstrauen im politischen Raum hervor, das sich aus verschiedenen Quellen speist. Befürchtet werden etwa ein Bedeutungsverlust des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts9 oder die Preisgabe der verfassungsrechtlich gebotenen Gewässerbewirtschaftung im Rahmen einer gebundenen Genehmigungsentscheidung. Aus Kreisen der Wirtschaft, denen das Konzept eigentlich zugute kommen soll, wird darauf verwiesen, das tradierte Zulassungsrecht habe sich im Wesentlichen bewährt, wogegen die Auswirkungen einer integrierten Vorhabengenehmigung auf wirtschaftliche Belange im einzelnen unabsehbar seien10. Angesichts der Vielgestaltigkeit von Anlagen und Genehmigungssituationen könne auf eine eigenständige wasserrechtliche Gestattung nicht verzichtet werden11. Diesen Bedenken ist innerhalb der im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gebildeten Projektgruppe UGB in jüngster Zeit dadurch Rechnung getragen worden, dass gegenüber früheren Arbeitsentwürfen die Struktur12 der integrierten Vorhabengenehmigung deutlich dem geltenden Recht angenähert wurde. Dies gilt auch für die Terminologie: Die integrierte Vorhabengenehmigung soll nunmehr als Genehmigung oder als planerische Genehmigung erteilt werden. Im Folgenden wird dieser aktuellen Begriffsbildung gefolgt, wobei in erster Linie die planerische Genehmigung behandelt wird. 2. Verhältnis zum bestehenden Fachplanungsrecht Einer planerischen Genehmigung sollen Abfalldeponien, Rohrleitungsanlagen, künstliche Wasserspeicher und Gewässerausbauten bedürfen. Näheres soll in einer noch zu erlassenden Rechtsverordnung (Vorhabenliste) geregelt werden. Für die integrierte Vorhabengenehmigung soll es ein eigenes Verfahrens___________ 9 So Breuer, Gutachten zum 59. Deutschen Juristentag Hannover 1992, B 82 ff.; Hoppe/Schlarmann, Die planerische Vorhabengenehmigung, 2000, S. 202 ff. 10 Siehe dazu Wansleben, in: Herausforderung Umweltgesetzbuch, Tagung des BMU am 16.2.2007 in Berlin, Dokumentation, S. 14 ff. (abrufbar unter www.bmu.de). 11 So die Überlegungen und Vorschläge des Verbands der Chemischen Industrie e.V. für ein Umweltgesetzbuch, Stand: 16.11.2006. 12 Siehe dazu näher unten II.

Welche Folgen hätte die Einführung einer planerischen Vorhabengenehmigung? 373

recht geben, das im Wesentlichen auf den geltenden Vorgaben der 9. BImSchV bzw. des Fachplanungsrechts aufbaut13. Die der planerischen Genehmigung zugeordneten Vorhaben unterfallen nach bisherigem Recht der Fachplanung14. In welchem Verhältnis die planerische Genehmigung zum bisherigen Fachplanungsrecht stehen soll, wird in den vorliegenden Entwürfen nicht ausdrücklich geregelt. Es ist davon auszugehen, dass für die genannten Vorhaben die planerische Genehmigung an die Stelle der bisherigen Planfeststellung bzw. Plangenehmigung tritt. Für die Erteilung einer planerischen Genehmigung soll auch ein entsprechendes Verfahrensrecht geschaffen werden, das gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG dem allgemeinen Fachplanungsrecht vorgeht. Soweit spezialgesetzliche Verfahrensvorschriften bestehen, müsste vermittels einer in die einzelnen Spezialgesetze einzufügenden Konkurrenzregelung der Vorrang der verfahrensrechtlichen Bestimmungen des UGB klargestellt werden. Rechtspolitisch drängt sich die Frage auf, ob das Institut der planerischen Genehmigung künftig über die oben genannten Vorhaben hinaus für alle umweltbezogenen Fachplanungsvorhaben gelten soll. Es würde dem programmatischen Ansatz vom „Umweltrecht unter einem Dach“ widersprechen und die Rechtseinheit gefährden, für die Umwelt beanspruchende Fachplanungsvorhaben anstelle einer planerischen Genehmigung – etwa nach Wahl des Vorhabensträgers – weiterhin eine Planfeststellung oder Plangenehmigung nach VwVfG oder Spezialgesetzen zuzulassen. Trefflich gestritten werden kann jedoch darüber, ob Verkehrsanlagen oder Vorhaben des Bergbaus einen die Unterwerfung unter das UGB rechtfertigenden, hinreichenden Umweltbezug aufweisen. In der Literatur ist etwa die Eigenständigkeit des Verkehrsanlagenplanungsrechts als Rechtsgebiet proklamiert worden, das nicht zum Umweltrecht im eigentlichen Sinne gehöre15. Diese Auffassung ist schon im UGB-Entwurf der Sachverständigenkommission vertreten worden16 und scheint auch dem aktuellen Entwurf für ein UGB I zugrunde zu liegen. Sie verträgt sich freilich nicht mit der, soweit ersichtlich, in der umweltrechtlichen Literatur ganz einhellig anerkannten Bewertung, dass es sich beim modernen Umweltschutz um eine Querschnittsaufgabe17 handelt, die deshalb bereits in zahlreiche, nicht primär ___________ 13

Hierauf wird im vorliegenden Zusammenhang nicht näher eingegangen. Vgl. für Deponien § 31 Abs. 2 KrW-/AbfG, für Rohrleitungsanlagen und Wasserspeicher § 20 UVPG i.V.m. Anl. 1 Nr. 19 bzw. § 43 Abs. 1 EnWG, für den Gewässerausbau § 31 Abs. 2 und 3 WHG. 15 So Hoppe/Schlarmann (Fn. 9), S. 190 f. 16 Vgl. die Einleitung zum UGB-KomE (Fn. 3), S. 73 und 93. 17 Vgl. nur Jarass, ZfU 2006, 1 (3); Reiner Schmidt/Wolfgang Kahl, Umweltrecht, 7. Aufl. (2006), § 1 Rn. 4. 14

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umweltrechtliche Regelungsbereiche integriert wurde. Auch im Bereich der Zulassung von Verkehrsanlagen ergibt sich regelmäßig die Notwendigkeit zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (bzw. bei planfeststellungsersetzenden Bebauungsplänen nach § 17 Abs. 3 FStrG einer strategischen Umweltprüfung), einer Verträglichkeitsprüfung für Natura 2000-Schutzgebiete, einer Abarbeitung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung, einer Problembewältigung in Bezug auf Immissionsgrenzwerte usw. Rechtssystematisch erscheint es daher wenig überzeugend, den Anwendungsbereich der planerischen Genehmigung dauerhaft auf Deponien, Rohrleitungsanlagen und Wasserspeicher sowie Gewässerausbauten zu beschränken. Wenn Rohrleitungsanlagen nach dem UGB-Entwurf einer planerischen Vorhabengenehmigung bedürfen, liegt dies zumindest auch für trassengebundene Infrastrukturvorhaben nahe. Diese Systematisierungsentscheidung muss jedoch letztlich dem Gesetzgeber überlassen bleiben. Im Hinblick auf die Bedenken aus Kreisen der Wirtschaft, eine Ersetzung des bewährten Fachplanungsrechts durch das völlig neue Institut der planerischen Genehmigung erzeuge eine erhebliche Rechtsunsicherheit und seine Folgen seien derzeit kaum absehbar, erscheint es allerdings auch vertretbar und sogar sinnvoll, zunächst einmal in den genannten Referenzbereichen erste Erfahrungen mit der planerischen Genehmigung zu sammeln, ehe diese auf weitere und – was im Lichte des Kodifikationskonzepts letztlich zwingend erscheint – schließlich auf alle mit mehr als unerheblichen Umweltauswirkungen verbundenen Fachplanungsvorhaben ausgedehnt wird.

II. Struktur der planerischen Genehmigung 1. Der Genehmigungstatbestand und seine Entwicklung Die inmitten stehende Frage, welche Folgen die Einführung einer planerischen Genehmigung hätte, ist natürlich vor allem von deren konkreter, rechtstechnischer Ausgestaltung abhängig. Die Struktur der planerischen Genehmigung hat sich im Laufe der Vorarbeiten zu einem Referentenentwurf für ein UGB I erheblich geändert, was verdeutlicht, dass bereits innerhalb der verschiedenen Fachabteilungen des BMU eine intensive Diskussion stattfand.

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a) Arbeitsentwurf für ein UGB I vom 05.03.1998 Das Rechtsinstitut einer planerischen Vorhabengenehmigung fand sich bereits im veröffentlichen18 Arbeitsentwurf des BMU für ein UGB I vom 5.3.1998. Danach war in § V 27 – Genehmigungsvoraussetzungen folgendes vorgesehen: (1) § V 5 Abs. 1 gilt mit der Maßgabe, dass die Vorhabengenehmigung nur erteilt wird, wenn 1. die durch das Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltauswirkungen im Vergleich zu den naheliegenden Vorhabenalternativen ermittelt, bewertet sowie gegeneinander und untereinander abgewogen worden sind, 2. das Vorhaben im öffentlichen Interesse erforderlich ist, 3. nach Einschätzung der Behörde die für das Vorhaben sprechenden Belange unter Berücksichtigung der vorgesehenen Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen die entgegenstehenden Belange überwiegen. In § V 5 waren folgende Genehmigungsvoraussetzungen für die seinerzeit sog. gebundene Vorhabengenehmigung vorgesehen: (1) Die Vorhabengenehmigung ist zu erteilen, wenn 1. zum Schutz von Mensch und Umwelt vor nachteiligen Umweltauswirkungen a) sichergestellt ist, dass die für das Vorhaben geltenden Grundpflichten erfüllt werden, b) Beeinträchtigungen von Naturgütern, die durch ihre Nutzung oder Gestaltung, insbesondere von Boden und Gewässern sowie von Natur und Landschaft entstehen können, nach Maßgabe der umweltrechtlichen Vorschriften vermieden, vermindert oder ausgeglichen werden, 2. die jeweiligen sonstigen Voraussetzungen für die Erteilung der Vorhabengenehmigung nach den umweltrechtlichen Vorschriften erfüllt sind, 3. andere für das Vorhaben geltende öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. (2) Ist das Vorhaben mit einer Gewässerbenutzung verbunden, ist weiterhin Genehmigungsvoraussetzung, dass der Benutzung nach pflichtgemäßem ___________ 18

Abgedruckt in Rengeling (Hrsg.), Auf dem Weg zu einem UGB I, 1999, S. 273 ff.

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Ermessen der zuständigen Behörde zu beurteilende Belange der Gewässerbewirtschaftung nicht entgegenstehen. b) Fortgeschriebene Arbeitsüberlegungen des BMU Nach § F 1 der fortgeschriebenen Arbeitsüberlegungen des BMU zum UGB I vom 16.7.2007 darf eine planerische Genehmigung nur erteilt werden, „wenn die materiellrechtlichen Anforderungen an die Erteilung einer Genehmigung nach § C 1 Abs. 1 UGB I vorliegen. Im Übrigen dürfen dem Vorhaben keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Belange entgegenstehen. Bei deren Prüfung sind alle von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange zu ermitteln, zu bewerten sowie gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen.“

Nach § C 1 Abs. 1 UGB I ist die integrierte Vorhabengenehmigung in Gestalt der Genehmigung zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass 1. die sich aus § B 5 und einer aufgrund des § B 6 erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden, 2. Eingriffe in Natur und Landschaft nach Maßgabe des X. Buches Umweltgesetzbuch vermieden, ausgeglichen, oder in sonstiger Weise kompensiert werden und die Anforderungen dieses Gesetzbuches sowie sonstiger umweltrechtlicher Vorschriften nicht entgegenstehen, und 3. andere öffentlich-rechtliche Vorschriften oder Belange des Arbeitsschutzes dem Vorhaben nicht entgegenstehen. In § B 5 UGB I ist ein deutlich an § 5 BImSchG bzw. an die oben zitierte Bestimmung in § V 5 UGB I des Arbeitsentwurfs 1998 angelehnter Grundpflichtenkatalog vorgesehen. Die planerische Genehmigung soll sowohl nach dem Arbeitsentwurf 1998 als auch nach den aktuellen Überlegungen des BMU eine vom bisherigen Planfeststellungsrecht deutlich abweichende und durch mehrfache Verweisungen und Anknüpfungen sehr komplexe Regelungsstruktur haben19. Sie stellt sich strukturell als eine Art Symbiose aus Kontrollerlaubnis und Planfeststellung dar. Der Genehmigungstatbestand setzt sich aus den Anforderungen für die Erteilung einer integrierten Vorhabengenehmigung in Gestalt der Genehmigung und einem modifizierten Abwägungsgebot zusammen. Damit wird konditional programmiertes Ordnungsrecht auf der einen mit final programmiertem Planungsrecht auf der anderen Seite verknüpft. ___________ 19

Krit. dazu Hoppe/Schlarmann (Fn. 9), S. 103, 107 f.

Welche Folgen hätte die Einführung einer planerischen Vorhabengenehmigung? 377

2. Folgen für die Rechtsanwendung Würde der aktuelle Arbeitsentwurf unverändert Gesetz, könnten sich daraus folgende Änderungen gegenüber dem geltenden Recht ergeben. a) Verkürzung des Abwägungsspielraums Das „Aufsetzen“ des Genehmigungstatbestands des § C 1 UGB I auf die Zulassungsvoraussetzungen für die planerische Genehmigung würde zu einer deutlichen Verkürzung des Abwägungsspielraums führen. Die Eröffnung des planerischen Gestaltungsspielraums der Genehmigungsbehörde hinge von der Erfüllung der Voraussetzungen für die Erteilung einer integrierten Vorhabengenehmigung in Gestalt der Genehmigung, insbesondere des in § B 5 UGB I enthaltenen Grundpflichtenkatalogs, ab. Neben den Grundpflichten dürfen weitere umweltrechtliche und sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften dem Vorhaben nicht entgegenstehen. Sämtliche als Glieder der Verweisungskette in den Tatbestand der planerischen Genehmigung inkorporierten materiellrechtlichen Voraussetzungen wären gleichsam der Abwägungsentscheidung als Planungsleitsätze bzw. als zwingendes Recht vorgelagert20. Auch eine Überwindung nicht kompensierbarer Eingriffe in Natur und Landschaft auf der Grundlage der nach § C 1 Abs. 1 Ziff. 2 UGB I zum gesetzlichen Tatbestand der planerischen Genehmigung gehörenden, naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung durch überwiegende, für ein Vorhaben sprechende Belange wie bisher21 wäre nach der aktuellen Fassung nicht mehr möglich, da § C 1 Abs. 1 Ziff. 2 UGB I als strikte Genehmigungsvoraussetzung ausgestaltet ist. Dies erscheint umweltpolitisch durchaus sinnvoll, sind doch Umweltbelange geradezu prädestiniert, um innerhalb der fachplanerischen Abwägung hinter für ein bestimmtes Vorhaben sprechende öffentliche Belange zurückgestellt zu werden. Hinzu kommt, dass erfahrungsgemäß auch der gesetzlich vorgeschriebene Eingriffs-Ausgleichs-Mechanismus in der Praxis nur bedingt funktioniert und hier häufig Vollzugsdefizite festzustellen sind. Um jedoch ein Ungleichgewicht der Belange in dem Sinne zu vermeiden, dass dringend benötigte Infrastrukturvorhaben aus Rechtsgründen nicht mehr durchgesetzt werden können, sollte sich die Bindung der planerischen Genehmigung an die Erfüllung umweltbezogener Grundpflichten durch den Vorha___________ 20

Krit. dazu Hoppe/Schlarmann (Fn. 9), S. 109 ff. De lege lata kommt den §§ 18 ff. BNatSchG bzw. den entsprechenden Landesregelungen eine Sperrwirkung in der Planfeststellung typischerweise nicht zu, vgl. dazu BVerwGE 125, 116 (300); BVerwGE 121, 72 (80); Kupfer/Wurster, Die Verwaltung 2007, 239 (261). 21

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bensträger darauf beschränken, einen den Anforderungen der IVU-Richtlinie entsprechenden, ökologischen Mindeststandard zu sichern. Der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung den Charakter als Planungsleitsatz zuzuweisen, ist dazu nicht veranlasst. § B 5 Abs. 1 Nr. 2 UGB I sollte daher um eine interne Abwägungsklausel nach dem Vorbild des § 19 Abs. 3 BNatSchG ergänzt werden. b) Einschränkung der Ausschlusswirkung und des Bestandsschutzes Die dynamischen Grundpflichten in § B 5 Abs. 1 UGB I würden zu einer Einschränkung der Ausschlusswirkung der planerischen Genehmigung bzw. des Bestandsschutzes für zugelassene Vorhaben gegenüber geltendem Fachplanungsrecht führen22. De lege lata hat der Inhaber einer bestandskräftigen Planfeststellung nur unter den engen Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 VwVfG, d.h. im Wesentlichen beim Eintritt von im Zulassungsverfahren nicht vorhersehbaren Auswirkungen seines Vorhabens, und innerhalb der Ausschlussfrist des § 75 Abs. 3 VwVfG nachträgliche Anordnungen auf Initiative Drittbetroffener zu befürchten. Demgegenüber führte die tatbestandliche Anknüpfung der planerischen Genehmigung an den dynamischen Begriff „schädliche Umweltveränderungen“ zwangsläufig dazu, dass jede Fortentwicklung beim Stand der Technik den Bestandsschutz zur Disposition der Aufsichtsbehörde stellt. Damit einher ginge eine Verpflichtung des Vorhabenträgers, sein Vorhaben ständig den fortschreitenden Standards der Grundpflichten anzupassen, so wie sie bisher für Industrieanlagen nach § 4 Abs. 1 BImSchG gilt. Dies wäre anders als im bisherigen Fachplanungsrecht auch durch Dritte erzwingbar. Nach der Konzeption des BMU soll insoweit dasselbe wie bei der integrierten Vorhabengenehmigung in Gestalt der Genehmigung gelten: Wird nach Erteilung der planerischen Genehmigung festgestellt, dass die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht ausreichend vor schädlichen Umweltveränderungen oder sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen geschützt ist, sollen nachträgliche Anordnungen getroffen werden. Damit würden Dritte, soweit sie Nachbarn des betreffenden Vorhabens sind, einen Anspruch auf Erlass einer nachträglichen Anordnung geltend machen können23, der nicht an die bisherigen, engen Voraussetzungen für die Durchbrechung des Bestandsschutzes bei fachplanerischen Entscheidungen gebunden ist. ___________ 22

Krit. dazu Hoppe/Schlarmann (Fn. 9), S. 133 f. Es ist anzunehmen, dass die Schutzpflicht in § B 5 Nr. 1 UGB I ebenso wie in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG drittschützenden Charakter haben würde, vgl. Hoppe/Schlarmann (Fn. 9), S. 124 f. 23

Welche Folgen hätte die Einführung einer planerischen Vorhabengenehmigung? 379

c) Privilegierung von Vorhaben im Rahmen der Abwägung Gegenüber dem Arbeitsentwurf 1998 verändert wurden insbesondere die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Abwägung. Die sehr differenzierten Abwägungsleitlinien in § V 27 Abs. 1 Nr. 1 UGB I 1998 hätten zwar im Ergebnis voraussichtlich nicht zu einer Verschärfung materieller Zulassungsstandards für die planerische Vorhabengenehmigung gegenüber dem geltenden Fachplanungsrecht geführt, wohl aber vermutlich höhere Anforderungen an die Alternativenprüfung zur Folge gehabt. Das Erfordernis, im Rahmen der Abwägung auch die Umweltauswirkungen eines Vorhabens im Vergleich zu den nahe liegenden Vorhabensalternativen zu ermitteln und zu bewerten, hätte dazu führen können, dass Vorhabensalternativen nicht mehr wie üblich schon in einem frühen Stadium des Verfahrens aus der weiteren Betrachtung ausgeschlossen werden können24. Hierdurch wäre die Komplexität des Verfahrens und damit zwangsläufig auch die Verfahrensdauer gestiegen. Auch hätte die Berücksichtigung „naheliegender“ Vorhabensalternativen durchaus mehr umfassen können als die nach bisheriger Rechtsprechung einzubeziehenden, sich aufdrängenden Alternativen. Die aktuellen Überlegungen verzichten dagegen auf nähere Anforderungen an die Alternativenprüfung. Die in der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die allgemeine, fachplanerische als auch an die besondere, naturschutzrechtliche Alternativenprüfung dürften daher im Verfahren zur Erteilung einer planerischen Genehmigung entsprechend gelten25. Auch das in der Literatur heftig kritisierte26 Überwiegenserfordernis der für das Vorhaben sprechenden Belange im Rahmen der Abwägung nach § V 27 Abs. 1 Nr. 3 UGB I 1998 ist förmlich ins Gegenteil verkehrt worden. Die Anforderungen an die Abwägung in den fortgeschriebenen Arbeitsüberlegungen sind erkennbar von dem Bemühen geleitet, den der planerischen Genehmigung unterfallenden Vorhaben zur Durchsetzung zu verhelfen. Die der Üblichkeit entsprechende Abwägungsklausel in Satz 3, wonach alle von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange gerecht abzuwägen sind, wird gleichsam dadurch relativiert und modifiziert, dass nach Satz 2 das Vorhaben zulässig ist, soweit keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Belange entgegenstehen. ___________ 24 BVerwGE 100, 238 (249 f.); BVerwG, NVwZ-RR 1996, 68; BVerwG, NVwZRR 1998, 297; BVerwG, NuR 2004, 520 (521), st. Rspr. 25 Siehe dazu etwa Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl. (2000), § 3 Rn. 121 ff. sowie jüngst EuGH, DVBl 2007, 379 ff.; BVerwG, NVwZ 2007, 581 ff. 26 Vgl. Hoppe/Schlarmann (Fn. 9), S. 108 f.

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Dies erinnert an die Formulierung in § 35 Abs. 1 BauGB und dürfte wie dort eine gewisse Privilegierung der im Wege der planerischen Genehmigung zuzulassenden Vorhaben gegenüber konfligierenden Belangen im Auge haben. Eine solche Fassung des Abwägungsgebots würde die Möglichkeit eröffnen, im Zuge einer Gesamtbilanzierung der vorhabensbedingten Auswirkungen eine planerische Genehmigung zu erteilen, obwohl die konfligierenden öffentlichen oder privaten Belange überwiegen, solange sie durch das Vorhaben nur beeinträchtigt, d.h. negativ berührt werden, ohne diesem direkt entgegenzustehen, d.h. zu widersprechen27. Ob öffentliche Belange einem privilegierten Außenbereichsbauvorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB entgegenstehen, ist nach mehreren Grundsatzentscheidungen des BVerwG „durch eine die gesetzlichen Vorgaben für den konkreten Einzelfall nachvollziehende, gerichtlich voll überprüfbare Abwägung zu ermitteln“, bei der allerdings „dem gesteigerten Durchsetzungsvermögen privilegierter Außenbereichsvorhaben gebührend Rechnung zu tragen ist“28. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange durch privilegierte Außenbereichsvorhaben reicht danach nicht aus, um eine beantragte Baugenehmigung abzulehnen. Vielmehr müssen die durch das Vorhaben betroffenen, öffentlichen Belange im Einzelfall so gewichtig sein, dass sie die Verwirklichung des betreffenden Vorhabens am konkreten Standort schlechthin ausschließen29. Vor diesem Hintergrund würde sich im Ergebnis gegenüber dem bisherigen Recht eine klare Gewichtungsvorgabe zugunsten der unter die planerische Genehmigung fallenden Vorhaben ergeben. Kehrseitig könnte jedoch eine Zulassungsentscheidung, die trotz Überwiegens der vom Vorhaben betroffenen Belange auf einer die gesetzliche Wertung nachvollziehenden Abwägung beruht, einer vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegen und damit die Anfechtungschancen Betroffener erhöhen, sofern man auch einem solchermaßen modifizierten Abwägungsgebot drittschützenden Charakter30 beimisst.

___________ 27

Rn. 3. 28 29 30

Siehe zu diesen Kriterien Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl. (2002), § 21 BVerwG, NVwZ 2002, 476 ff.; BauR 2002, 751 ff. Vgl. etwa VGH Mannheim, NuR 2001, 395 (397). Siehe dazu grundlegend BVerwGE 107, 215 f.

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III. Berücksichtigung wasserwirtschaftlicher Belange 1. Bisherige Entwicklung Intensiv diskutiert wurde und wird schon im Vorstadium eines Gesetzgebungsverfahrens zum UGB die Frage, ob und wie die verfassungsrechtlich gebotene Bewirtschaftung von Gewässern auch im Rahmen einer integrierten Vorhabengenehmigung in Gestalt der Genehmigung gewährleistet werden kann31. Hierzu wurden drei verschiedene Modelle vorgeschlagen. a) Modell A: Gebundene Entscheidung und Bewirtschaftungsermessen Das im BMU entwickelte Modell A sieht eine Regelung der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsspielräume der Behörden auf der Rechtsfolgenseite des Genehmigungstatbestandes als Ermessensentscheidung neben dem im Übrigen fortbestehenden Genehmigungsanspruch bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen vor. Das wasserrechtliche Bewirtschaftungsermessen soll danach trotz formaler Integration der wasserrechtlichen Zulassungsentscheidung in die Vorhabengenehmigung so bestehen bleiben wie bisher. b) Modell B: Beurteilungsspielraum statt Bewirtschaftungsermessen Das Modell B geht von einer Integration des Wasserrechts in die Vorhabengenehmigung unter „Verschmelzung“ der Zulassungsvoraussetzungen aus. Das wasserrechtliche Bewirtschaftungsermessen soll danach auf die Tatbestandsseite des Genehmigungstatbestandes verlagert und durch einen behördlichen Beurteilungsspielraum ersetzt werden. Ein Antragsteller würde dadurch auch für eine mit seinem Vorhaben verbundene Gewässerbenutzung einen Anspruch auf Genehmigung erhalten, wenn sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Frage, ob dies hinsichtlich der Belange der Gewässerbewirtschaftung der Fall ist, soll nach dem Modell B aber einem gerichtlich nur begrenzt überprüfbaren Beurteilungsspielraum der Genehmigungsbehörde überantwortet werden. Diesem Modell ähnlich war § V 5 Abs. 2 des Arbeitsentwurfs des BMU vom 05.03.1998 (s.o.). Auch wenn hier von „pflichtgemäßem Ermessen“ der zuständigen Behörde die Rede war, sollte die Ermessensausübung zum Bestandteil des von der Genehmigungsbehörde zu prüfenden Zulassungstatbe___________ 31

Dazu allgemein Wendenburg, in: Herausforderung Umweltgesetzbuch, Tagung des BMU am 16.2.2007 in Berlin, Dokumentation, S. 36 (39 f.).

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stands gemacht werden32. Nach einer neueren Spielart des Modells B, die positiv formuliert ist, ist die Genehmigung zu erteilen, wenn im Falle einer Gewässerbenutzung nach pflichtgemäßer Einschätzung der zuständigen Behörde zu beurteilende Belange der Gewässerbewirtschaftung gewahrt werden. c) Modell C: Bewirtschaftungsermessen und integrative Schlussprüfung Seitens der Länder Bayern und Rheinland-Pfalz wurde schließlich mit dem Modell C ein vermittelnder Vorschlag vorgelegt. Danach ist die integrierte Vorhabengenehmigung zu versagen, wenn eine durch sie miterteilte Genehmigung, Bewilligung oder Erlaubnis nach den Fachgesetzen versagt werden müsste und die Versagensgründe nicht durch zusätzliche fachübergreifende Auflagen und Bedingungen ausgeglichen werden können. Im Gegensatz zu Modell B soll das wasserrechtliche Bewirtschaftungsermessen erhalten bleiben, im Gegensatz zu den Modellen A und B wird jedoch auf eine Integration der einzelnen materiellrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen in die planerische Genehmigung verzichtet; diese sind vielmehr weiterhin dem jeweils einschlägigen Fachrecht zu entnehmen. Eine negative wasserwirtschaftliche Beurteilung soll aber im Rahmen einer sog. integrativen Schlussprüfung gemäß Art. 7 der IVU-Richtlinie daraufhin untersucht werden, ob wasserwirtschaftliche Versagensgründe im Einzelfall durch fachübergreifende Auflagen, Bedingungen oder Maßgaben eines anderen Fachrechts, die von der Genehmigungsbehörde festzusetzen sind, beseitigt werden können. So könne etwa eine Beeinträchtigung des Bewirtschaftungsziels „guter Zustand“ nach § 25a WHG durch Einleitung von Schadstoffen aus einer Abwasserbehandlungsanlage in ein Gewässer dadurch unterbunden werden, dass im Rahmen der Schlussprüfung durch die Genehmigungsbehörde Auflagen an eine Abluftreinigungsanlage auf der Grundlage des Immissionsschutzrechts gemacht werden, welche die Zuführung der betreffenden Schadstoffe zur Abwasserbehandlungsanlage und damit letztlich in das Gewässer vermeiden. d) Bewertung Für das Modell C spricht, dass die spätere Einbeziehung weiterer Vorhaben mit umweltbezogenen Auswirkungen in die integrierte Vorhabengenehmigung erleichtert und eine politisch hochsensible Verschmelzung von materiellem ___________ 32 Siehe dazu W. Kahl/L. Diederichsen, NVwZ 2006, 1107 (1109). In diesem Sinne auch Storm, NVwZ 1999, 35 (38); Wasielewski, NVwZ 2000, 15 (19); Wickel, UPR 2000, 92 (94 f.); ähnlich Schmitz/Olbertz, NVwZ 1999, 126 (131): „tatbestandlicher Ermessensspielraum“; Schrader, NuR 1998, 285 (289 f.): „tatbestandsseitige Beurteilungselemente“.

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Wasser- und Immissionsschutzrecht vermieden wird. Durch die behutsame Ergänzung des geltenden Fachplanungsrechts um eine ‚integrative Schlussprüfung‘ würden sich auch die rechtssystematischen Auswirkungen in überschaubaren Grenzen halten. Kehrseitig stellt sich allerdings die Frage, ob und inwieweit ein solches Ergänzungsmodell den erheblich weitergehenden politischen Zielsetzungen für die Kodifikation des Umweltrechts in einem UGB gerecht werden könnte. Das Modell B kommt fraglos der politischen Zielsetzung eines „Umweltrecht aus einem Guss und unter einem Dach“ am nächsten, enthält jedoch zugleich mit einer materiellen Konzentrationswirkung unter Einschluss des Wasserrechts den ambitioniertesten und sowohl juristisch wie politisch schwierigsten Ansatz, der eine zeitnahe Verwirklichung des Projekts Umweltgesetzbuch gefährdet. Zudem wären Probleme bei der späteren Einbeziehung weiterer Vorhaben, die ihrerseits wieder andere Zulassungsvoraussetzungen „mitbringen“, in die integrierte Vorhabengenehmigung zu erwarten. Der aktuelle Entwurf des BMU zur integrierten Vorhabengenehmigung in Gestalt der Genehmigung entspricht dem Modell A; die Modelle B und C wurden nicht berücksichtigt. In § C 1 Abs. 2 UGB I (s. o.) ist vorgesehen, dass die Erteilung der Genehmigung insoweit im pflichtgemäßen Ermessen (Bewirtschaftungsermessen) der Genehmigungsbehörde steht, als eine Gewässerbenutzung Teil des Vorhabens ist. Die umweltpolitische Zielsetzung einer einheitlichen Genehmigung in einem einheitlichen Verfahren wird damit formal erfüllt, materiell wird die integrierte Vorhabengenehmigung in Gestalt der Genehmigung gleichsam zu einem „Zwitter“ aus gebundener Entscheidung und Ermessensentscheidung, was für sich betrachtet jedoch keine besonderen Probleme aufwirft. Es ist ohnehin fraglich, ob und inwieweit unter dem Einfluss des EG-Rechts noch an der im nationalen Verwaltungsrecht überkommenen, kategoriellen Unterscheidung zwischen Beurteilungsspielräumen auf der Tatbestandsseite und Ermessensspielräumen auf der Rechtsfolgenseite festgehalten werden kann33. Die Unterschiede zwischen gebundener Entscheidung und Ermessensentscheidung sind in der Praxis zudem keineswegs so groß wie in der Theorie, weil die Genehmigungsbehörden angesichts des schon vorhandenen, integrativen Zulassungsrechts vielfältige Einwirkungen und Belange zu berücksichtigen haben, welche die Gebundenheit der letztlich zu treffenden Entscheidung deutlich relativieren34. ___________ 33

Siehe etwa Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. (2001), § 40 Rn. 8, 166; Ladeur, ZUR 1998, 245 ff. 34 So zu Recht Beckmann, NuR 2003, 715 (718); Kloepfer, NVwZ 2002, 645 (651). Ungeachtet dessen wird von der h.M. in Deutschland an der Unterscheidung zwischen Beurteilungsspielraum und Ermessen festgehalten, vgl. nur Ziekow, VwVfG, 2006, § 40 Rn. 12 ff., 46 ff. m. w. Nachw.

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Allerdings ist zu befürchten, dass die Zuordnung der einzelnen Prüfungspunkte durch eine solche Struktur gegenüber dem geltenden Recht schwieriger und intransparenter würde. Ein Teil der wasserrechtlichen Belange wäre auf der Tatbestandsseite zu prüfen (Gebot zur Vermeidung schädlicher Gewässerveränderungen als Bestandteil des Tatbestandsmerkmals schädliche Umweltveränderungen in § B 5 Nr. 1 UGB I sowie Gebot zur sparsamen Wasserverwendung in § B 5 Nr. 4 UGB I), wasserwirtschaftliche Gesichtspunkte wären dagegen auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen. Das Modell A läuft mit der Beibehaltung des wasserrechtlichen Bewirtschaftungsermessens neben der gebundenen Entscheidung über die sonstigen Zulassungsvoraussetzungen letztlich auf zwei zu treffende Entscheidungen hinaus, die lediglich formal von einer Behörde und in ein- und derselben Urkunde getroffen werden. Dies dürfte im Ergebnis nicht zu einer Vereinfachung und Beschleunigung umweltbezogener Zulassungsverfahren führen. Der Mehrwert einer integrierten Vorhabengenehmigung gegenüber dem bisherigen Recht lässt sich vor diesem Hintergrund durchaus in Frage stellen. Für die planerische Genehmigung ist eine entsprechende Regelung bislang nicht vorgesehen. In § F 1 Satz 1 UGB I werden ausdrücklich nur die in § C 1 Abs. 1 UGB I genannten Voraussetzungen, nicht jedoch das in § C 1 Abs. 2 UGB I geregelte Bewirtschaftungsermessen für entsprechend anwendbar erklärt. Es stellt sich daher für die planerische Vorhabengenehmigung weiterhin die Frage, auf welche Weise die Belange der Gewässerbewirtschaftung in die planerische Genehmigung einfließen können. 2. Das Verhältnis zwischen Planfeststellung und Wasserrecht Anlässlich eines luftverkehrsrechtlichen Planfeststellungsverfahrens hat das BVerwG unlängst bestätigt, dass aufgrund der rein formellen Konzentrationswirkung der Planfeststellung35 strikte Gebote oder Verbote, die sich aus dem im Einzelfall anwendbaren materiellen Recht ergeben, auch in der Planfeststellung als solche zur Geltung kommen und sich – sofern das maßgebende Fachrecht nicht, wie etwa in § 38 S. 1 BauGB, eine anders lautende Regelung enthält – „nicht zu bloßen Abwägungsposten abschmelzen lassen“36. Im Hinblick auf § 14 Abs. 1 WHG, wonach für ein Vorhaben, mit dem die Benutzung eines Gewässers verbunden ist, die Planfeststellungsbehörde über die Erteilung der Erlaubnis oder der Bewilligung entscheidet, sieht das BVerwG eine wasserrechtliche Zulassungsentscheidung als nicht von der Ent___________ 35

Schmidt/Kahl (Fn. 17), § 4 Rn. 41 m. w. Nachw. BVerwGE 125, 116 (278). Siehe auch BVerwGE 123, 241 ff.; dazu Hösch, NVwZ 2006, 665 ff.; ferner bereits BVerwGE 70, 242 (244); BVerwGE 85, 44 (46). 36

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scheidungskonzentration der Planfeststellung umfasst an. Obwohl Erlaubnis oder Bewilligung eine urkundliche Einheit mit dem Planfeststellungsbeschluss bilden, treten sie doch „als rechtlich selbstständiges Element neben die Planfeststellung“ und führen gegenüber dieser „ein rechtliches Eigenleben“37. Begründet wird dies damit, dass im Wasserrecht flexibel handhabbare Instrumente unverzichtbar sind, wogegen Planfeststellungsbeschlüsse eine hohe Änderungsresistenz aufweisen. 3. Konsequenzen für die planerische Genehmigung Die Entscheidung des BVerwG dürfte weitreichende Konsequenzen für das bestehende Fachplanungsrecht, aber auch für die planerische Genehmigung in einem UGB haben. De lege lata lässt sich daraus wohl nur der Schluss ziehen, dass die wasserrechtlichen Belange nicht Bestandteil der planerischen Abwägungsentscheidung sein können, sondern von der Planfeststellungsbehörde gesondert nach den wasserrechtlichen Maßstäben zu prüfen sind. Damit wird die besondere Bedeutung des Gewässerschutzes selbst bei planerischen Zulassungsentscheidungen deutlich gemacht. Das BVerwG zieht zur Begründung hierfür jedoch zumindest ausdrücklich keine verfassungsrechtlichen Erwägungen heran, sondern stützt sich auf die fachgesetzliche Regelung in § 14 Abs. 1 WHG sowie das Postulat der Unverzichtbarkeit flexibler Instrumente im Wasserrecht. Es dürfte den Schöpfern eines UGB dennoch freistehen, § 14 Abs. 1 WHG zu streichen und damit de lege ferenda eine umfassende Entscheidungskonzentration der planerischen Vorhabengenehmigung einschließlich wasserrechtlicher Gestattungen herbeizuführen, was der politischen Zielsetzung entspräche und daher rechtspolitisch sehr ratsam erscheint. Der notwendigen Flexibilität administrativer Steuerungsinstrumente im Wasserrecht könnte in diesem Fall dadurch Rechnung getragen werden, dass die hohe Änderungsresistenz, die auch für die planerische Vorhabengenehmigung grundsätzlich sinnvoll sein dürfte, bezüglich der darin mit entschiedenen Belange der Gewässerbewirtschaftung ausgeschlossen wird. Ein Beispiel hierfür bietet das geltende Luftverkehrsrecht. Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 LuftVG können flugbetriebliche Regelungen Gegenstand der Planfeststellung für den Neu- oder Ausbau eines Verkehrsflughafens sein, obwohl sie eigentlich Bestandteil der (gesonderten) Betriebsgenehmigung eines Flugplatzes nach § 6 LuftVG sind. § 8 Abs. 4 Satz 2 LuftVG sieht ergänzend vor, dass Änderungen von Betriebsregelungen, die in einem luftverkehrsrechtlichen ___________ 37

BVerwGE 125, 116 (280).

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Planfeststellungsbeschluss getroffen wurden, nur eine Änderung der Betriebsgenehmigung erfordern, mithin nicht von der Erfüllung der zu Recht sehr strengen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft von Planfeststellungsbeschlüssen nach § 75 Abs. 2 Sätze 2-4 und Abs. 3 VwVfG abhängig sind. Es stellt sich dann aber erneut die Frage, auf welche Weise sichergestellt werden kann, dass Belange der Gewässerbewirtschaftung bei der Erteilung einer planerischen Vorhabengenehmigung mit verfassungsrechtlich hinreichendem Gewicht Berücksichtigung finden. Eine Möglichkeit bestünde dabei darin, die wasserrechtlichen Belange auf einer der fachplanerischen Abwägung vorgelagerten Stufe anzusiedeln. Scheitert die mit einem Planvorhaben verbundene Gewässerbenutzung an einer unüberwindbaren wasserrechtlichen Zulassungshürde und lässt sich das Vorhaben ohne die Gewässerbenutzung nicht verwirklichen, so ist es nach Auffassung des BVerwG bereits de lege lata unzulässig, da es sich im Sinne des Planungsrechts als nicht erforderlich erweist38. Für den Normalfall wird jedoch davon auszugehen sein, dass wasserrechtliche Zulassungshürden nicht von vornherein unüberwindbar sind39. Dann besteht kein Anlass, wasserrechtliche Belange der fachplanerischen Abwägung a priori zu entziehen. Dies erscheint auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zwingend. Zwar dürfte für die planerische Vorhabengenehmigung nach dem UGB ebenso gelten, dass sich ein „Abschmelzen“ der Belange der Gewässerbewirtschaftung zu einfachen, ohne weiteres überwindbaren Abwägungsposten verbietet. Insbesondere eine Ausgestaltung als bloße Abwägungsdirektive, die nur eine Berücksichtigung von Belangen der Gewässerbewirtschaftung verlangt und diese uneingeschränkt und ohne gesetzliche Präferenzen – freilich im Rahmen der jeweiligen konkreten Planungssituation40 – dem Abwägungsgebot unterwirft41, wäre vor dem Hintergrund der aus staatlichen Schutzpflichten (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und dem Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG) ableitbaren be___________ 38

BVerwGE 125, 116 (280). So hat das BVerwG in der in Fn. 38 zitierten Entscheidung zum Flughafen BerlinSchönefeld wasserrechtliche Belange bezeichnenderweise bei der Prüfung der Planrechtfertigung nicht einmal erwähnt. Eine Reihe namhafter Autoren plädieren wegen der praktisch geringen Bedeutung bereits de lege lata für die Aufgabe des Instituts der Planrechtfertigung und die Integration der hier behandelten Aspekte in die Abwägung, vgl. Hoppe, UPR 1995, 202; Jarass, DVBl 1998, 1202 (1205); Wahl, NVwZ 1990, 434 f.; a.A. Niehuis, WiVerw 1985, 253 f.; Sanden/Vick, UPR 2006, 252 (258 f.). 40 Vgl. BVerwG, NVwZ 1997, 1213 (1214). 41 Vgl. BVerwGE 90, 329 (331); Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. (2004), § 4 Rn. 66 f., § 10 Rn. 32, 123. 39

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sonderen Wertigkeit öffentlicher Wasserbewirtschaftungsinteressen42 verfassungsrechtlich bedenklich. Ein besserer Schutz wäre möglicherweise durch ein Optimierungsgebot zu erreichen43. Ein Optimierungsgebot wäre zwar ebenfalls durch kollidierende Belange überwindbar44, würde jedoch eine gewisse Gewichtungsvorgabe enthalten und eine qualifizierte (und qualifiziert zu begründende) Auseinandersetzung mit den Belangen des Gewässer- und Umweltschutzes fordern45. Allerdings stoßen Optimierungsgebote aufgrund ihrer defizitären Operabilität und der damit verbundenen, rechtsstaatlich prekären Rechtsunsicherheit zunehmend auf Kritik46. Auch vom BVerwG wurde dieser Ansatz zur Lösung planerischer Konflikte in seiner neueren Rechtsprechung nicht weiter verfolgt47. Zudem erscheint auch hier aufgrund der Relativität des Optimierungsziels eine hinreichende Gewichtung wasserwirtschaftlicher Belange nicht sichergestellt. Die stärkste Absicherung von Belangen der Gewässerbewirtschaftung würde eine Ausgestaltung als Planungsleitsatz bewirken. Planungsleitsätze enthalten zwingendes Recht und können daher nicht im Wege der Abwägung überwunden werden48. Dies würde jedoch eine flexible planerische Konfliktbewältigung blockieren. Fragen der Gewässerbewirtschaftung, die de lege lata immerhin noch über eine Ermessensregelung berücksichtigt werden, müssten aus praktischen Gründen – wie im Rahmen des § 362 I Nr. 3a UGB-KomE bzw. wie oben im Modell B – in Beurteilungsspielräume verlagert werden49. Dies wäre letztlich der Transparenz der Genehmigungsentscheidung abträglich und würde die mit einer integrierten Betrachtung ohnehin einhergehenden Probleme einer Standardisierung der Genehmigungsanforderungen50 nur potenzieren, ohne dass hierbei ein Fortschritt gegenüber der bisherigen Rechtslage zu erkennen ___________ 42 Zur Bedeutung der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 20a GG für Abwägungsentscheidungen Schrödter, in: ders. (Hrsg.), BauGB, 7. Aufl. (2006), § 1 Rn. 128 f. 43 Vgl. BVerwGE 90, 329 (332). 44 Siehe BVerwGE 71, 161 (165 f.). 45 Kloepfer (Fn. 41), § 10 Rn. 123; vgl. auch Steinberg/Berg/ Wickel (Fn. 25), § 3 Rn. 6; Würtenberger, VVDStRL 58 (1999), 139 (153). 46 Etwa Bartlsperger, in: Festschrift für Hoppe, 2000, S. 127 (138 f.); Hoppe, NVwZ 2004, 903 (909); Schrödter (Fn. 42), § 1 Rn. 77b f.; Würtenberger, VVDStRL 58 (1999), 139 (160 ff.). 47 Vgl. BVerwGE 108, 248 (253): § 50 BImSchG als bloße „Abwägungsdirektive“; anders (Optimierungsgebot) noch BVerwG, NVwZ 1989, 151 (152). 48 Schrödter (Fn. 42), § 1 Rn. 76. Für das naturschutzrechtliche Ausgleichsgebot z. B. BVerwG, NVwZ 1993, 565 (569). 49 Vgl. UGB-KomE, Begründung, S. 1083; Hasche, JbUTR 1999, 159 (190). 50 Vgl. Wahl, NVwZ 2000, 502 (504, 507 f.).

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Lars Diederichsen

wäre51. Daher nimmt es nicht Wunder, dass Umweltschutzbelange trotz ihres hohen Stellenwertes auch bislang grundsätzlich weder als Planungsleitsätze noch als Optimierungsgebote behandelt wurden52. Hieran hat auch Art. 20a GG grundsätzlich nichts geändert, wenngleich die besondere Bedeutung des Umweltschutzes in der planerischen Abwägung differenziert und nach Art der Gefährdung berücksichtigt werden muss53. Eine Ausnahme gilt lediglich, soweit der umweltschützende Belang zugleich dem unmittelbaren Schutz der menschlichen Gesundheit vor durch Umweltbelastungen bedingten Gefährdungen dient54. Hierüber sollte auch im Rahmen eines UGB nicht hinausgegangen werden. Eine gesetzliche Determination der planerischen Abwägung kann schließlich noch dadurch erfolgen, dass der Gesetzgeber den Stellenwert einzelner Belange in der Phase der Gewichtung steuert, indem er diesen ein besonderes Gewicht und damit einen relativen Vorrang einräumt55. Insoweit erscheint es gerade im Hinblick auf die herausragende Bedeutung der Belange der Gewässerbewirtschaftung zielführend, aber auch ausreichend, eine angemessene Gewichtung innerhalb der Abwägung durch eine relative Vorrang- oder Präferenzregel sicherzustellen. Das BVerwG hat in den Entscheidungen zum Flughafen Berlin-Schönefeld dem besonderen Schutz der Nachtruhe in § 29b LuftVG die Qualität einer gesetzlichen Gewichtungsvorgabe für die Abwägung zuerkannt und auf dieser Grundlage die Planfeststellungsbehörde dazu verpflichtet, weiter gehende Nachtflugbeschränkungen zu erlassen. Bezogen auf § F 1 UGB I kommt daher ein Zusatz in Anlehnung an § 29b LuftVG in Betracht, etwa: „Bei der Abwägung ist auf die Belange einer nachhaltigen Bewirtschaftung von Gewässern zum Wohl der Allgemeinheit in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen“. Selbstverständlich sind auch andere, sinnentsprechende Formulierungen denkbar.

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Hasche, JbUTR 1999, S. 159 (192 f.) äußert sogar durchaus plausible Bedenken, die Konflikte könnten sich mit der Abstandnahme von mehreren rechtmäßigen Entscheidungsoptionen im Rahmen des Ermessens und der Verlagerung in eine komplexe administrative Beurteilung erhöhen. 52 Für § 1 VI Nr. 7 BauGB Hoppe, NVwZ 2004, 903 ff.; Schrödter (Fn. 42), § 1 Rn. 123. 53 Vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2003, 171; Schrödter (Fn. 42), § 1 Rn. 129. 54 Schrödter (Fn. 42), § 1 Rn. 76. 55 Vgl. J. Dreier, Die normative Steuerung der planerischen Abwägung, 1995, S. 116 ff.; Spieker, Raumordnung durch Private, 1999, S. 62 f.

Welche Folgen hätte die Einführung einer planerischen Vorhabengenehmigung? 389

IV. Änderungen in der Behördenstruktur Die Einführung einer integrierten Vorhabengenehmigung hätte schließlich wohl die Notwendigkeit zur Anpassung von Zuständigkeitsregelungen der Länder zur Folge. Zwar können im Rahmen eines UGB nicht ohne weiteres bestimmte Behördenstrukturen vorgegeben werden, da hierdurch in die Regelungskompetenz der Länder eingegriffen würde. Eine mit Verfahrens- und Entscheidungskonzentration oder ggf. sogar materieller Konzentration ausgestattete, integrierte Vorhabengenehmigung kann jedoch nur durch solche Behörden erteilt werden, deren eigene Zuständigkeit sämtliche von einem bestimmten Vorhaben betroffenen Fachgebiete umfasst und die über entsprechende Fachämter bzw. -abteilungen verfügen. Hierfür bieten sich – je nach Ausgestaltung der Behördenorganisation im jeweiligen Bundesland – die auf der oberen Ebene angesiedelten Behörden, d.h. Bezirksregierungen bzw. Regierungspräsidien an. Alternativ kommt die Schaffung spezieller Fachbehörden zur Erteilung integrierter Vorhabengenehmigungen in Betracht. Die Erteilung planerischer Genehmigungen sollte durch diejenigen Behörden erfolgen, die nach geltendem Recht für die Zulassung von Fachplanungsvorhaben zuständig sind, um das dort vorhandene Know How zu nutzen.

Verzeichnis der Autoren Gerhard Adams, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bonn Dieter R. Anders, Rechtsanwalt, Anders & Thomé, Krefeld Dr. Marius Baum, LLM., Hessisches Ministerium für Umweltschutz, ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Wiesbaden Dr. Markus Deutsch, Rechtsanwalt, Gleiss Lutz, Frankfurt a.M. Dr. Lars Diederichsen, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Nörr Stiefenhofer Lutz, München Dr. Klaus-Peter Dolde, Prof., Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Dolde & Partner, Stuttgart Dr. Wolfgang Ewer, Prof., Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Weissleder & Ewer, Kiel Dr. Christian Heitsch, Privatdozent, Universität Trier Dr. Ulrich Hösch, Prof., Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Dr. Gronefeld, Thoma & Kollegen, München Dr. Alexander Jannasch, Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig Dr. Michael Kloepfer, Univ.-Prof., Humboldt-Universität zu Berlin Andreas Kretzschmar, Chairman Bord of Airline Representatives in Germany (BARIG) e.V., Frankfurt a.M. Dr. Elisabeth M. Rademacher, LL.M. Eur., Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, München Dr. Christof Sangenstedt, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin Dr. Peter Schütz, Rechtsanwalt, Kasper Knacke Wintterlin & Partner, Stuttgart Dr. Ulrich Storost, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig Theophil Weick, Leiter der AG Monitoring der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL), Planungsgemeinschaft Westpfalz, Kaiserslautern