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German Pages 432 Year 2019
Jenny Lay-Kumar Aktivismus zwischen Protest und Gestaltungsraum
Sozialtheorie
Für Fynn, Lia und Jim
Jenny Lay-Kumar, geb. 1980, promovierte am Institut für Soziologie der Universität Freiburg. Sie forscht und lehrt zu Nachhaltigkeitswissen, -transformation und -bildung sowie zu nachhaltiger Unternehmenssteuerung.
Jenny Lay-Kumar
Aktivismus zwischen Protest und Gestaltungsraum Jugendumweltgruppen und ihr Verhältnis zum Klimaschutz
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Dissertation, 2017. Gefördert durch ein Promotionsstipendium der Deutschen Bundesstiftung Umwelt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: jessica costilla / Pixabay Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4735-8 PDF-ISBN 978-3-8394-4735-2 https://doi.org/10.14361/9783839447352 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Problemaufriss | 9 1
Theorie | 17
1.1 Stand der Forschung: Klimawandel- und Klimaschutzwissen von Jugendlichen | 17 1.2 Angrenzende Forschungsgebiete: Umweltbewusstseinsforschung, Umweltsoziologie und Umwelt(bewegungs)geschichte | 31 1.3 Theoretischer Rahmen | 42 1.3.1 Theoretische Positionierung | 42 1.3.2 Konzeptionelle Kritik an der doppelten Verengung von Klimawandel und Klimaschutz | 46 1.4 Forschungsmethode | 62 1.4.1 Fragestellung | 62 1.4.2 Methodologie | 65 1.4.3 Forschungsprozess | 71 2
Empirische Analyse von Wissensbeständen und Deutungsfiguren zu Klimawandel und Klimaschutz | 77
2.1 Deutungsfiguren zu Klimawandel | 81 2.1.1 Bewertungsunsicherheit im Kontext von Klimawandel | 83 2.1.2 Klimakatastrophe: eine protesttypische Deutungsfigur | 89 2.1.3 Bewertungssicherheit zu Klimawandel: eine gestaltungstypische Deutungsfigur | 93 2.2 Verantwortung für Klimaschutz | 98 2.3 Zwischenfazit Klimawandelkonzepte | 106 3
Protest und Gestaltungsraum machen | 119
3.1 Rekonstruktion der Orientierungsmuster Gestaltungsraum und Protest | 120
3.2 Doing Nature – gesellschaftliche Naturverhältnisse im Kontext von Protest und Gestaltungsraum | 129 3.3 Protest- und gestaltungstypische Praktiken | 139 4
Analyse von prägenden Strukturen | 161
4.1 Einfluss von Organisationsstrukturen | 162 4.2 Soziale Milieus gehen in spezifische Varianten von Protest und Gestaltungsraum ein | 178 5
Analyse | 197
5.1 Zusammenfassung der rekonstruktiven Analyse | 197 5.1.1 Analytische Zusammenfassung des Orientierungsmusters Protest | 199 5.1.2 Analytische Zusammenfassung des Orientierungsmusters Gestaltungsraum | 206 5.2 Reflexion zur Methodenwahl und den analytischen Perspektiven | 213 5.3 Vergleichende Analyse | 220 5.3.1 Vergleich mit qualitativen Studien | 220 5.3.2 Einordnung meiner Ergebnisse in die Forschung zu Klimawandel- und Klimaschutzwissen von Jugendlichen | 232 5.4 Anschlussfähigkeit | 237 6
Was Klimaschutz stark macht – 6 Thesen für den Klimaschutz | 249
Ausblick | 265 Danksagung | 269 Bibliographie | 271 Anhang | 293
Tabellen | 295 Anhang 1: Anschreiben an die Jugendumweltgruppen bei Mail | 297 Anhang 2: Leitfaden für Gruppendiskussion | 298 Anhang 3: Transkriptionsregeln | 298 Anhang 4: Linksammlung | 299 Anhang 5-12: Fallbeschreibungen | 301 Anhang 5: Fallbeschreibung Gruppe Kirsche | 301 Anhang 6: Fallbeschreibung Gruppe Erdbeere | 328 Anhang 7: Fallbeschreibung Gruppe Stachelbeere | 341 Anhang 8: Fallbeschreibung Gruppe Himbeere | 349
Anhang 9: Fallbeschreibung Gruppe Tomate | 365 Anhang 10: Fallbeschreibung Gruppe Gurke | 376 Anhang 11: Fallbeschreibung Gruppe Paprika | 390 Anhang 12: Fallbeschreibung Gruppe Kürbis | 423
Problemaufriss
Klimawandel ist in aller Munde. Die sozialwissenschaftliche Forschung hat Klimawandel in den letzten Jahren von einem Rand- zu einem Top-Thema gemacht. Doch in der Soziologie fristet die Klimawandelforschung weiterhin ein Nischendasein (Voss 2010, Crate/Nuttall 2016). Klimawandelwissen und Klimaschutzhandeln werden bislang vor allem theoretisch, auf Policy-Ebene oder auf Basis quantitativer Erhebungen diskutiert. Qualitativ-empirische Forschung zu Klimawandel und Klimaschutz bleibt weitgehend eine Leerstelle. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist der Trend zur drastischen Erhöhung des CO2-Ausstoßes ersichtlich (Brasseur et al. 2017, Voss 2010, Groß 2011). Seit 30 Jahren ist Klimawandel auch im massenmedialen Diskurs in Deutschland präsent.1 Die Berichte internationaler Klimaforschungsinstitute sind voll alarmierender und immer präziserer Zukunftsszenarien und warnen vor einer Klimakatastrophe (IPCC 2007, 2014). Wissenschaftler/innen fordern drastische Veränderungen im gesellschaftlichen Alltag, einen Richtungswechsel in Logiken, Praktiken und Infrastrukturen (Weller 2014, 2015a, Leggewie/Welzer 2009, Welzer et al 2009, Hänggi 2009, Bedall 2014, Garrelts/Dietz 2013). Es fehlt nicht an wissenschaftlichen Konzepten zur Umsetzung von Klimaschutz, von der internationalen Policy-Ebene bis hin zu Alltagspraktiken (WBGU 2016, 2014, Böschen et al. 2014, Brunnengräber 2011, Weller 2015, Ziesche 2013). 2015 wurde der internationale Pariser Klimarahmenvertrag unterzeichnet, die Umsetzung lässt auf sich warten. Die Bekanntheit des Begriffs Klimawandel ist enorm: Erwachsene wie Jugendliche sind fast flächendeckend mit dem Begriff Klimawandel vertraut und die große Mehrheit zeigt besorgt um die zukünftige Welt (s. 1.1). Dennoch
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1986 kam Klimawandel im Diskurs der deutschen Öffentlichkeit an. Damals schreckte die Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ mit der Titelstory „die Klimakatastrophe“ auf, mit einem Bild des Kölner Doms, der halb unter Wasser stand (DER SPIEGEL 1986, vgl. Voss 2010: 10, Groß 2011: 12).
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hält fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung Klimawandel für wissenschaftlich umstritten (s. 1.3.2). Eine Trendwende im gesellschaftlichen Alltag, im Sinne einer alltagspraktischen Integration von Klimaschutzempfehlungen ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Flächenverbrauch und Schadstoffemissionen der Deutschen steigen Jahr für Jahr weiter an (Weller 2014, Paech 2012, Luther et al. 2016). Durch die Warnungen der Klimaforschung ist „das Problembewusstsein gestiegen, die Veränderungsbereitschaft aber konstant geblieben“ (Welzer et al. 2010: 7). Klimawandel bleibt weitgehend ein abstraktes Thema, das für einen Großteil der Bevölkerung nicht von alltagspraktischer Bedeutung ist (Voss 2010, ufu 2009, Heidbrink 2010, Leggewie/Welzer 2009).2 Nur ein verschwindend kleiner Teil der Bevölkerung engagiert sich aktiv im Klimaschutz (IASS 2017, Brasseur et al. 2017). Auch die aktuelle Jugendgeneration, in deren zukünftige Lebensspanne die prognostizierten Klimafolgen fallen, weicht von diesem Trend nicht ab (Calmbach et al. 2016, Shell 2015, s. 1.1). Diese Problematik untersucht die sozial- und kulturwissenschaftliche Forschung unter dem Fokus auf die Kluft zwischen Wissen und Handeln, die seit Jahrzehnten Gegenstand der Umweltbewusstseinsforschung ist (s. 1.2.). Als Hauptgrund für die mangelnde Aktivität zugunsten von Klimaschutz gilt die mangelnde Greifbarkeit sowie der hohe Abstraktheitsgrad von Klimawandel, der zu Hilflosigkeit, Überforderung und Passivität führe (Welzer et al. 2010, Leggewie/Welzer 2009, Kuckartz 2011, 2010, Heidbrink 2010, Shell 2010). In meinem Forschungsprojekt verschiebe ich den Fokus und nehme eine innovative Perspektive ein: Statt ausführlicher zu erforschen, warum wenig Veränderung zugunsten von wirksamem Klimaschutz passiert, lenke ich die Aufmerksamkeit auf die Erwachsenen der Zukunft, die bereits jetzt engagiert sind. Ich untersuche die kollektiven Wissensbestände, Deutungsfiguren und Orientierungsmuster von Jugendumweltgruppen. Ich erforsche Jugendliche, denn sie sind die Erwachsenen der Zukunft, analog dazu, dass Klimawandel ein Phänomen ist, das maßgeblich in die Zukunft hineinreicht. Dabei nehme ich eine engagierte Position ein: Mein Anliegen ist es, nachhaltigen Klimaschutz stark zu machen (s. 1.3.1). Ein Umdenken hin zu starkem Klimaschutz benötigt zweierlei: Erstens eine konzeptionelle Rahmung, die Klimaschutz als breiten Handlungsraum entwirft, und zweitens die Erforschung von Akteur*innen, die sich
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Zu Beginn meines Forschungsprojekts (2013) wurde Extremwetter in Deutschland – außerhalb der Umweltbewegung – noch nicht in direktem Zusammenhang mit Klimawandel genannt. Diese Ausgangslage hat sich mittlerweile verändert, wurde jedoch noch nicht breit in der sozialwissenschaftlichen Klimawandelforschung rezipiert. Vgl. Brasseur et al. 2017.
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für Klimaschutz und eine sozial-ökologische Transformation einsetzen. Die Wissensbestände, Deutungen und Praktiken dieser Akteur*innen, Gruppen und Netzwerke sind bislang kaum erforscht. Beim Versuch, das Feld der Klimaschützer*innen in Deutschland einzugrenzen, stellt sich die Frage, wie sich dieses umreißen lässt. Wer betreibt Klimaschutz? Wie verhält sich Klimaschutz zu Umweltschutz und Naturschutz? Wer setzt sich zum Schutz von was ein und in welcher Organisationsform? Gerade im Kontext von Klimawandelforschung ist es wichtig, kritische Perspektiven einzubringen und wenig beleuchtete Wissensbestände und Praktiken sichtbar zu machen. Allerdings ist der größte Teil der Klima(wandel)forschung ist nicht als „freie Forschung“ einzustufen, die frei von Ideologien und politischen Erwartungen neue Erkenntnisse generiert (vgl. Voss 2010: 22). Denn sie ist weitgehend von Drittmittelgeber*innen und politischen Programm geplant (Voss 2010, Hänggi 2008, Brunnengräber 2008, Halfmann/Schützenmeister 2009). Umso wichtiger ist es, unabhängiger sozialwissenschaftlicher Forschung zu Klimawandel und Klimaschutz, abseits technischer Machbarkeit und Anpassungsforschung, Gewicht zu verleihen und sie im öffentlichen Diskurs sichtbar zu machen (s. 1.3). Es gibt bislang keine qualitativrekonstruktive Forschung zu Klimawandel- und Klimaschutzwissen von Jugendlichen. Auch aktuelle Forschung zu Jugendumweltgruppen gibt es nicht (s. 1.2). Dementsprechend ist mein Forschungsprojekt explorativ ausgelegt. Im ersten Kapitel entwickele ich einen theoretischen Rahmen, der eine konzeptuelle Kritik an gängigen Rahmungen von Klimawandel und Klimaschutz mit einer wissenssoziologischen Perspektive verbindet und mein methodisches Forschungsdesign einbettet. Zunächst stelle ich den Stand der Forschung zu Jugendlichen und Klimawandelwissen dar und zeige blinde Flecken auf (1.1 Stand der Forschung). Dann reiße ich die an meine Fragestellung angrenzenden Forschungsgebiete der Umweltsoziologie, Umweltbewusstseinsforschung und Umwelt(bewegungs)geschichte kurz an (1.2. Angrenzende Forschungsgebiete). Im theoretischen Rahmen mache ich zunächst meine wissenschaftliche und aktivistische Position sichtbar (1.3. Theoretischer Rahmen). Ich kritisiere ausgehend von Thesen der sozial-ökologischen Forschung (Becker/Jahn 2006, Brunnengräber 2008, Biesecker/Weller 2004), eine doppelte konzeptuelle Verengung im Diskurs um Klimawandel und Klimaschutz: Erstens die Trennung in naturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Fragestellungen entlang des Dualismus von Natur und Gesellschaft, die zur Arbeitsteilung „Natur- und Ingenieurswissenschaften first“ und Sozialwissenschaften „für die letzte Meile“ führt (Voss 2010: 25). In der Klimaforschung liegt bislang ein naturwissenschaftlicher
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Bias vor, der soziale und kulturelle Elemente unzureichend integriert (Crate/Nuttall 2016, Brunnengräber 2008, Welzer et al. 2010, Stengel 2011, Voss 2010). Zweitens mache ich sichtbar, welche blinden Flecken Problemlösungsansätze haben, die als sozial weiblich codierte Praktiken und Strukturen nicht mitdenken. Die verengte Perspektive auf Klimawandel hat gravierende Folgen für Klimaschutzkonzepte. Klimaschutz wird stark verengt, vor allem als Reduzierung von CO2-Emissionen. Er fällt damit großteils in das Aufgabengebiet internationaler Klimapolitik und wirtschaftlicher Produktionsbedingungen. Auf der Ebene individueller Handlungsoptionen bleiben nur individuelle Reduktionsstrategien wie Strom sparen und Mülltrennung sowie die normativ geladene Forderung, nachhaltiger zu konsumieren. Dies lässt sich mit einem Blick auf die Rahmung von Klimawandel in den quantitativen Studien zeigen. Die Fragen zu Klimawandel beziehen sich ausschließlich auf naturwissenschaftliche Wissensbestände (z. B. die Zuordnung des Kürzels CO2), Klimaschutz wird auf der Ebene individuellen Alltagshandelns verortet. Die abgefragten Strategien entsprechen einem (auch bereits verengten) Konzept von Umweltschutz als Vermeidung bzw. Verminderung von Schäden (vgl. Lay-Kumar 2016: 69f). Klimawandel wird implizit als Umweltthema gedeutet, das mit naturwissenschaftlichen Wissensbeständen zu verstehen und mit altbekannten Umweltschutzstrategien zu bekämpfen ist. Diese konzeptionelle Verengung kritisiere ich als Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse, Strukturen und Zuschreibungen, die Klimawandel hervorrufen. Im Kapitel 1.4. Forschungsmethode konkretisiere ich mein empirisches Forschungsdesign. Ich entwickele meine Fragestellung und erläutere, welche Anregungen ich aus dem Stand der Forschung einbeziehe. Mein Forschungsprojekt hat einen wissenssoziologischen Fokus. Ich untersuche nicht nur abstrakte, explizite Wissensbestände von jugendlichen Umweltschützern, sondern implizite kollektive Deutungsfiguren und Orientierungsmuster, die an ihre Erfahrungsräume gebunden sind. Dabei gehe ich von der Annahme aus, dass sich Problemsichten und die Bereitschaft zum Handeln in sozialen Erfahrungsräumen konstituiert (Voss 2010). Die Thematisierung von Klimawandel und Klimaschutz ist stark normativ aufgeladen. Deshalb wähle ich ein methodisches Design, das dieser Normativität Rechnung trägt und sich durch ein hohes Maß an Transparenz auszeichnet. Meine Forschung folgt dem qualitativrekonstruktiven Paradigma. Im folgenden erläutere ich meinen methodologischen Hintergrund, der eine wissenssoziologische und eine praxeologische Perspektive verbindet. Meine Forschungsfrage lautet: Welche Wissensbestände zu Klimawandel und Klimaschutz dokumentieren Jugendumweltgruppen zweier deutscher Umweltverbände?
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Ich habe Gruppendiskussionen mit acht Jugendumweltgruppen geführt, die über zwei große deutsche Jugendumweltverbände organisiert sind. Zu Beginn meines Forschungsprojekts gab es noch keine fest organisierten Jugendklimagruppen in Deutschland, weshalb ich Umweltgruppen befrage. 3 Ich verstehe Jugendumweltgruppen als soziale Lernräume und „Gemeinschaften der Weltdeutung“, in denen sich standortgebundenes Wissen aufbaut und verfestigt (Christmann 1997: 79; Plaß/Schetsche 2001, Asbrand 2009). Um nicht nur abstrakte Wissensbestände, sondern auch implizite Sinnstrukturen und Orientierungsmuster zu rekonstruieren, nutze ich das Gruppendiskussionsverfahren (Loos/Schäffer 2013) und die Dokumentarische Methode (Bohnsack 2014). In 1.4.3 Forschungsprozess mache ich meinen Feldzugang, meine Analyseschritte sowie Veränderungen in meiner Perspektive transparent. Im zweiten Kapitel stelle ich dar, was die Jugendumweltgruppen über Klimawandel wissen, welche Klimaschutzstrategien sie thematisieren und welche impliziten Deutungsfiguren ihre Wissensbestände rahmen. Ich stelle fest, dass die Gruppen große Differenzen in den Wissensbeständen, in der Einschätzung von Klimawandel und in der Relevantsetzung von Klimaschutz aufweisen. Ich rekonstruiere, dass sich die Kerndifferenzen auf zwei voneinander abweichende Orientierungsmuster zurückführen lassen: Protest und Gestaltungsraum. Die Wissensbestände der untersuchten Gruppen zu Klimawandel lassen sich in drei Gruppen aufteilen, die ich in den folgenden Unterkapiteln darstelle: 2.1.3 Bewertungsunsicherheit, 2.1.2 Klimakatastrophe – eine protesttypische Deutungsfigur und 2.1.3 Bewertungssicherheit – eine gestaltungstypische Deutungsfigur. In 2.2 analysiere ich, wie die Jugendgruppen über Verantwortung für Klimaschutz
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International formiert sich seit einem Jahrzehnt eine Klimabewegung, die deutsche Klimabewegung ist erst seit den frühen 2010er Jahren öffentlich sichtbar geworden (Garrelts/Dietz 2013, Bedall 2014, s. 5.3). Bislang gibt es auch kaum beständige, lokale Klimaschutzgruppen, sondern vielmehr Klimaaktivist*innen, die mit punktuellen Aktionen auf sich aufmerksam machen, vor allem rund um internationale Klima- und Wirtschaftsgipfel. Seit 2015 formiert sich eine Klimabewegung, die sich aus mehreren Netzwerken zusammen setzt, u.a. dem Bündnis „Ende Gelände“ (Sander 2017). Sie hat sich den Protest gegen Braunkohletagebau auf die Fahnen geschrieben und bekommt mit ihren Aktionen viel massenmediale Aufmerksamkeit bekommt (s. 6). Darüber hinaus gab es in den letzten fünf Jahren die Entwicklung hin zu KlimaNetzwerken und Klimacamps (s. 5.3). Zu Beginn meines Forschungsprojekts im Jahr 2012 bestand die deutsche Klimabewegung aus einem losen Netz von Aktivist*innen.
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sprechen. In 2.3 Zwischenfazit diskutiere ich meine empirischen Ergebnisse im Vergleich zu den quantitativen Jugendstudien. Im dritten Kapitel erläutere ich diese beiden Orientierungsmuster. Der Fokus liegt auf dem interaktiven Herstellen von gemeinsamen Deutungen im Rahmen der Gruppendiskussionen. Dabei stelle ich in 3.1 Rekonstruktion der Orientierungsmuster Gestaltungsraum und Protest zentrale Differenzen, Gemeinsamkeiten und typische Sinnstrukturen dar. In 3.2 Doing Nature zeige ich, welche Rolle kontrastierende Deutungen von Natur und Gesellschaft spielen. In 3.3 Protestund gestaltungstypische Praktiken fokussiere ich die Praktiken der Jugendgruppen und stelle typische Praktiken beispielhaft dar. Im vierten Kapitel gehe ich auf eine höhere Abstraktionsebene und zeige, wie Organisationsstrukturen und soziale Milieus die Orientierungen prägen. In 4.1 Organisationsstrukturen erläutere ich den Einfluss unterschiedlicher Organisationsstrukturen der Jugendumweltverbände auf implizite Wissensbestände/Wissenstransfers. In 4.2 Einfluss sozialer Milieus stelle ich dar, inwiefern die Orientierungen der Jugendlichen geprägt sind vom Einfluss ihres Elternhauses, ihres Herkunftsmilieus sowie ihres Bildungsmilieus. Im fünften Kapitel reflektiere und vergleiche ich die Ergebnisse meiner Analyse. In 5.1 Analytische Zusammenfassung bringe ich die Ergebnisse zu Klimawandel- und Klimaschutzwissen im Kontext der Orientierungen Gestaltungsraum und Protest zusammen und verbinde sie mit meinem theoretischen Rahmen. Ich analysiere, inwiefern es sich um genererationsspezifische, milieuspezifische und organisationsspezifische Prägungen handelt. In 5.2 Reflexion zur Methodenwahl und analytischen Perspektiven reflektiere ich die Limitationen, die meine Ergebnisse aufweisen aufgrund des gewählten Samples und der Methodik. In 5.3 Vergleichende Analyse spitze ich meine Ergebnisse weiter zu. Dabei kontrastiere ich meine Ergebnisse mit dem Stand der Forschung zu Umweltschutzgruppen und kollektiven Orientierungen von Jugendgruppen. Anschließend formuliere ich fünf Thesen zur Einordnung meiner Ergebnisse in die Forschung zu Klimawandel- und Klimaschutzwissen von Jugendlichen. In 5.4 Anschlussfähigkeit spanne ich eine Brücke zwischen meinen empirischen Ergebnissen und weiteren Theorien. Ich zeige, dass meine Ergebnisse weit über die Erforschung von kollektiven Orientierungen von Jugendgruppen hinaus anschlussfähig sind an ein breites Feld an Klimabewegungs-, Nachhaltigkeits- und Zukunftsforschung. Im sechsten Kapitel nehme ich eine normative Perspektive ein und formuliere sechs Thesen, die Klimaschutz stark machen. Dabei verbinde die Einsichten aus meinem empirischen Forschungsprojekt mit konzeptionellen Überlegungen
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aus einer aktivistischen Position. Abschließend stelle ich dar, welcher Forschungsbedarf sich aus meinem Projekt ablesen lässt.
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Theorie
1.1 STAND DER FORSCHUNG: KLIMAWANDEL- UND KLIMASCHUTZWISSEN VON JUGENDLICHEN Zahlreiche aktuelle Jugendstudien thematisieren Klimawandel und Klimaschutz und bieten empirische Vorarbeiten zu meiner Fragestellung. Es handelt sich um große quantitative Studien, meist sind Klimawandel und Klimaschutz ein kleiner Teil des Fragenkatalogs. Grundsätzlich besteht die Problematik, ob und wie Klimaschutzhandeln objektiv messbar ist. Es ist durch Fragebögen und Interviews nicht möglich, das reale Alltagshandeln der Befragten objektiv zu messen. Erfasst wird dabei, wie die Jugendlichen sich darstellen und welches Verhalten sie berichten. Die Verzerrung durch quantitative Fragetechniken behandele ich im Anschluss an die Ergebnisse der Jugendstudien. Darüber hinaus gibt es einige qualitative und Methoden-Mix-Studien. Keine dieser Studien fokussiert jugendliche Umweltschützer*innen und/oder arbeitet mit wissenssoziologischer, rekonstruktiver Methodik. Ergänzend nehme ich deshalb Bezug auf qualitative Vorarbeiten, die nicht Klimawandel thematisieren, aber die Wissensbestände von Umweltgruppen bzw. Jugendgruppen erforschen (Christmann 1997, Asbrand 2009, Fischer 2002). Folgende quantitative Studien beziehe ich in die Diskussion ein: die Shell-Jugendstudie (2010 und 2015), die BRAVO-Jugendstudie (2009), die Bertelsmann-Studie (2009) und die forsa-Studie (2009). Der Befragungsumfang und die Befragungstiefe dieser Studien ist eingeschränkt. Sie ermöglichen jedoch eine Einordnung, wo sich mein Sample im Vergleich zu anderen Jugendlichen verorten lässt. Die von mir befragten Jugendlichen sind – bis auf die Shell-Studie – älter als der Durchschnitt der genannten Studien, welche Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren befragen. Da es keine gesonderten Studien für ältere Jugendliche und junge Erwachsene gibt, verwende ich das vorhandene empirische Material. Es ist jedoch zu bedenken, dass sich die Wissensbestände zu Klimawandel und das dargestellte Klimaschutzhandeln in der Altersspanne zwischen zwölf und fünfundzwanzig Jahren stark unterscheiden.
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Ich beziehe mich v. a. auf die Shellstudie von 2010, denn nur in dieser Ausgabe gab es einen ausführlichen Fragenkatalog zu Klimawandel und Klimaschutz. Die quantitativen Jugendstudien zeigen, dass Jugendlichen die Problematik von Klimawandel und Klimaschutz vertraut ist. Die überwältigende Mehrheit kennt den Begriff Klimawandel: Laut Shell sind es 95% der Zwölf- bis Fünfundzwanzigjährigen (vgl. Shell 2010: 177). Die Jugendstudien stellen fest, dass sich die große Mehrheit der Jugendlichen Sorgen um die Zukunft macht und Klimawandel für ein Problem hält. Laut Shell 2010 stimmen 47% der Jugendlichen der Darstellung zu, Klimawandel sei ein großes Problem, sie machten sich Sorgen sowie glaubten, dass die zukünftige Welt radikal anders aussehen wird als die heutige (vgl. Shell 2010: 177f). Gleichzeitig äußert die große Mehrheit Zuversicht im Hinblick auf die Zukunft. Ob sich Jugendliche besorgt um das Klima der Zukunft darstellen, hängt laut Shell 2010 überraschenderweise wenig von Bildung und Schichtzugehörigkeit ab (vgl. Shell 2010: 178f). Beim Klimawandelwissen sind laut Shell, kontrastierend zur Besorgnis, unterschiedliche Herkünfte relevant: Das Wissen, was mit Klimawandel konkret gemeint ist und welche Prozesse damit verknüpft sind, fällt bei den Jugendlichen „je nach Bildungsgrad und Herkunftsschicht unterschiedlich aus … (was) angesichts der Komplexität der Vorgänge kaum überraschend [ist]“ (Shell 2010: 177).4 Die Jugendstudien verstehen unter Klimawandelwissen implizit naturwissenschaftliche Wissensbestände. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass das (naturwissenschaftliche) Wissen zu Klimawandel sehr lückenhaft ist und viele Jugendliche die standardisierte Abfrage von Zusammenhängen nicht korrekt beantworten können. Laut BRAVO ordnen nur 40% dem Kürzel CO2 die richtige Bedeutung zu (BRAVO 2009). Mehrere Studien stellen fest, dass viele Jugendliche über Detailwissen verfügen, das sie sich meist im Schulunterricht angeeignet haben, dieses jedoch nicht verknüpfen können (ufu 2009, Bravo 2009, Kromer/Rauscher 2007, Kromer/Hatwanger 2005). Die Shell-Jugendstudie 2010 entwickelt eine Typologie mit den Einstellungsdimensionen Klimawandelkritik, Klimafatalismus und Klimaoptimismus (vgl. Shell 2010: 180ff). 80% der Jugendlichen geben an, dass vor allem „der Mensch“ für Klimawandel verantwortlich sei und 63% stimmen zu, dass die Existenz der Menschheit bedroht sei. 36% der Befragten finden, Klimawandel werde übertrieben dargestellt, 14% glauben, es sei bereits zu spät für eine Lösung und weitere 14 % glauben, Wissenschaft und Technik brächten die Lösung, also sei keine Verhaltensänderung nötig (vgl. Shell 2010: 179). 53% der Befragten sind laut Shell der Gruppe der Klimawandel-Kritiker*innen zuzuordnen. 26% der Befragten werden der
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Bedauerlicherweise führt die Shell-Studie 2010 dieses Ergebnis nicht näher aus.
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Gruppe der Klimaoptimist*innen zugeordnet. In der Gruppe fatalistisch orientierter Beobachter*innen (21% der Befragten) stimmen 44% voll und 23% teilweise der Aussage zu, es sei zu spät, um gegen den Klimawandel etwas zu unternehmen. In keiner der drei Gruppen gibt es statistisch signifikante Effekte von Bildung und Schicht, so die Shell-Jugendstudie (vgl. Shell 2010: 182f). Die quantitativen Jugendstudien weisen widersprüchliche Ergebnisse auf, was den Einfluss von Bildung, Schicht und Geschlecht angeht. Die Shell-Jugendstudie, BRAVO und das Österreichische Institut für Jugendforschung bilanzieren, dass Bildung und Schicht geringen Einfluss auf die Einstellungen zu Klimawandel hätten. Die Bertelsmannstudie dagegen, die Jugendliche zu Nachhaltigkeit befragt, stellt Unterschiede fest. Mädchen, ältere Jugendliche und solche mit hoher Bildung seien eher besorgt um die Zukunft der Welt (vgl. Bertelsmann 2009: 7). An die Veränderungskraft von internationalen NGOs glauben tendenziell eher Mädchen und Jugendliche mit hoher Bildung, so Bertelsmann (vgl. Bertelsmann 2009: 12). Diese Ergebnisse decken sich mit den Ergebnissen verschiedener quantitativer Erwachsenenstudien. Laut Eurobarometer schätzen junge Befragte Klimawandel eher als ernstes Problem als Ältere (vgl. Eurobarometer 2008: 77f). Je höher das subjektive Informationsniveau ist, desto problematischer wird Klimawandel eingeschätzt (vgl. Eurobarometer 2008: 11 und 24f). Befragte mit höherem Bildungsabschluss, vor allem Studierende, benennen Klimawandel besonders oft als größtes Problem der Gegenwart. Politisch links Stehende halten Klimawandel häufiger für das größte globale Problem als rechts Stehende, was mit den Ergebnissen der Shell-Jugendstudie korreliert (vgl. Shell 2010: 177ff). Eine ältere Überblickstudie kommt zu ähnlichen, überraschend einheitlichen Ergebnissen in Bezug auf Alter, Bildung und politische Orientierung: jüngere Geburtskohorten, Personen mit höherer Schulbildung und politisch linksliberal Orientierte räumen demnach Umweltschutz ein höheres Gewicht ein (vgl. Diekmann/Preisendörfer 2001: 100). Die quantitativen Studien fragen auch Klimaschutz ab. Zu beachten ist, dass Klimaschutzstrategien sich ausschließlich auf individuelles Alltagshandeln beziehen und die gesellschaftliche Dimension von Klimaschutz, mitsamt ihren Handlungsoptionen, ignorieren. Ebenso klammern die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten Suffizienzorientierungen aus (s. 5.3). 5 Die Studien reduzieren
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Vgl. Lay/Westermayer 2014. z. B. die gezielte Beschränkung des Konsums und der Mobilitätsgewohnheiten oder die Bevorzugung von Praktiken des Tauschens, Teilens und selbst Machens, z. B. Urban Gardening, Solidarische Landwirtschaft, Foodsharing, Einmachen von lokal-saisonalen Erzeugnissen oder die Teilnahme an Kleidertauschparties und Repair Cafés.
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Klimaschutz damit auf individuelle Alltagspraktiken wie Energiesparen und Mülltrennung. Der Anteil an Jugendlichen, die sich in Initiativen oder Projekten für den Klimaschutz engagieren, ist sehr gering; laut Shell 2010 liegt er bei 9% (vgl. Shell 2010: 183f). Allgemein bewerten Jugendliche Klima- und Umweltschutz als wünschenswert, während es an Wissen über konkrete klimaschützende Maßnahmen fehlt, so die Methodenmix-Studie von WWF/ufu (vgl. ufu 2009: 26ff). Laut BRAVO interessieren sich 77% der Befragten für Klimaschutz, 82% würden sich bereit erklären, zugunsten von Klimaschutz auf individuelle Annehmlichkeiten zu verzichten. Gleichzeitig kennen nur 20% lokale Umweltschutzprojekte (BRAVO 2009). Zur Frage nach „klimafreundlichem Alltagshandeln“ geben 52% der Jugendlichen an, durch Stromsparen einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, 44% (der über 18-jährigen) versuchen demnach, dem Fahrrad gegenüber dem Auto den Vorzug zu geben. 27% werben laut Selbstaussage für klimafreundliches Verhalten im Freundeskreis. 9% engagieren sich in Klimaschutzprojekten und -initiativen, weitere 7% spenden für den Klimaschutz (vgl. Shell 2010: 183f). Laut Shell besteht jedoch ein „erhebliches latentes, bisher nicht aktiviertes Engagementpotential“, das aber eine hohe Distanz zu Politik aufweise (Shell 2010: 50; 142, Bertelsmann 2009: 17f). Differenziert nach den Einstellungsdimensionen zu Klimawandel ergeben sich sichtbare, jedoch nicht durchschlagende Unterschiede im Alltagshandeln: Jugendliche aus der Gruppe der Klimakritiker*innen sparen etwas häufiger Energie (59%) und wählen etwas häufiger das Fahrrad als Verkehrsmittel. Andere abgefragte Klimaschutzmaßnahmen, u. a. Kauf regionaler Produkte, Bevorzugung von Bahnreisen gegenüber Flügen und der Verzicht auf Fernreisen bleiben auch in dieser Gruppe einer Minderheit vorbehalten. Nur 11% der „Klimawandelkritiker*innen“ berichten von Klimaschutzengagement (vgl. Shell 2010: 184) – anders formuliert: selbst diejenigen, die Klimawandel kritisch sehen, engagieren sich selten. Das Eurobarometer 2008 kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Der Anteil derjenigen, die laut Selbstaussage gegen Klimawandel aktiv geworden sind, ist deutlich erhöht in der Gruppe, die besonders besorgt ist, ebenso bei denjenigen, die sich für gut informiert halten (vgl. Eurobarometer 2008: 27ff). Laut Eurobarometer sind diejenigen Klimaschutzaktivitäten besonders beliebt, die einen geringen persönlichen und finanziellen Aufwand erfordern: Mülltrennung, Energie- und Wassersparen, mit etwas Abstand die Reduzierung von Einwegprodukten. Deutlich weniger Zuspruch (unter 17 %) erhielten die Nutzung umweltfreundlicherer Verkehrsmittel, Kauf regionaler und saisonaler Produkte, Anbieterwechsel zu Ökostrom und Installation von Anlagen für regenerative Energie.
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Die überwiegende Mehrheit der Befragten des Eurobarometers (86%) geht davon aus, dass ihr Verhalten beim Umweltschutz eine Rolle spielt. 63% stimmen der Aussage zu, dass es „einen wirklichen Effekt auf den Klimawandel haben wird, wenn jeder sein Verhalten ändert“ (Eurobarometer 2008: 75). Doch zwischen dem hohen Zuspruch zu Klima- bzw. Umweltschutz und dem tatsächlichen Handeln besteht eine Kluft, bei Jugendlichen wie Erwachsenen (s.1.2). Nur ein kleiner Teil der Befragten nennt eine Vielzahl klimaschützender Maßnahmen im Alltag, vom geforderten radikalen Richtungswechsel in Richtung Klimaschutz kann keine Rede sein. Dass Klimawandel in den Köpfen angekommen ist, bedeutet noch lange nicht, sich persönlich in irgendeiner Verantwortung für den Kampf gegen den Klimawandel wahrzunehmen (vgl. Kuckartz 2010: 146). Zwar gibt die Mehrheit der befragten Jugendlichen und Erwachsenen an, dass der Klimawandel von Menschen verursacht ist. Die Verantwortung, Lösungen zur Begrenzung von Klimaschädigungen zu finden, schieben sie jedoch aus ihrem Einflussbereich heraus. Befragt nach Gründen, nicht selbst gegen den Klimawandel aktiv zu werden, geben die „nicht aktiven“ deutschen Befragten zu 42% an, dass Regierungen, Firmen und Industrie ihr Verhalten ändern müssten, nicht die Bürger*innen. 41% sagen, sie würden gerne etwas unternehmen, wüssten aber nicht, was. 30% denken, eine Verhaltensänderung ihrerseits hätte keinen Einfluss auf den Klimawandel, 18% meinen, Klimaschutzmaßnahmen seien zu teuer, während 13% wegen des Klimawandels nicht besorgt sind und deshalb keine Notwendigkeit zum Handeln sehen (vgl. Eurobarometer 2008: 79ff). Die Behauptung, nicht Bürger*innen, sondern Unternehmen, Regierungen und Organisationen müssten ihr Verhalten ändern, wurde von der Bertelsmann-Studie (2009) aufgegriffen. 21% der befragten Jugendlichen stimmten dem zu, 29% teilweise und 49% stimmten nicht zu. Im Unterschied zu den befragten Erwachsenen sehen die Jugendlichen stärker die Zivilgesellschaft in der Verantwortung. Gleichzeitig fordern drei Viertel der deutschen Jugendlichen und der Erwachsenen, die Wirtschaft solle sich stärker um Lösungen für die Probleme der Welt bemühen (vgl. Bertelsmann 2009: 14, Eurobarometer 2008: 45f). Nur die Hälfte der Jugendlichen sagt, ihr Engagement könnte einen Einfluss haben (vgl. Bertelsmann 2009:12). Es lässt sich die Tendenz herauslesen, dass Verantwortung jeweils abgeben wird: Die Erwachsenen weisen sie Wirtschaft und Politik zu, die Jugendlichen tun das weniger, sehen ihren eigenen Einfluss aber als sehr begrenzt an, d. h. sie schieben die Verantwortung und Veränderungskompetenz auf die Erwachsenenwelt. Wird die Jugendgeneration 2010 auch als pragmatisch und vorausschauend beschrieben (Shell 2010; 2015), so irritiert die Kluft zwischen Problematisierung von Klimawandel und mangelndem Klimaschutzhandeln. Eine nicht rein quanti-
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tative Befragung zeigt, dass Jugendliche auf die direkte Abfrage der Relevanz von Klimawandel eine hohe Wertung abgeben, die Problematik von Klimawandel und Klimaschutz jedoch im Alltag keine relevante Stellung einnimmt (vgl. ufu 2009: 32ff). Diese Ergebnisse lassen das vorgenannte Problembewusstsein für Klimawandel und die Handlungsbereitschaft für Klimaschutz fragwürdig erscheinen. Mit Kuckartz (2010) argumentiere ich, dass die quantitativen Fragetechniken einen verzerrten Eindruck entstehen lassen. Die Thematisierung von Klimawandel und Umweltschutz ist stark normativ aufgeladen (Christmann 1997; 2013). Standardisierte Abfragetechniken lassen die soziale Erwünschtheit von Umweltbewusstsein und Klimaschutz außer Acht (Kuckartz 2010, LayKumar 2016, Stengel 2011). Gerade bei der Abfrage von Alltagspraktiken ist davon auszugehen, dass die Befragten nicht ihre tagtäglichen Praktiken zu Protokoll geben, sondern sich an den Vorgaben orientieren (vgl. Kuckartz 2010: 150f). Allein das Ankreuzen von an Klimaschutzempfehlungen orientierten Handlungsweisen ist noch kein Klimaschutzhandeln (vgl. Kuckartz 2010: 144). Kuckartz analysiert, die Bürger*innen handelten nur symbolisch und folgten im Bezug auf substantielle Veränderungen der Devise „nicht hier, nicht jetzt, nicht ich“. Diese Analyse ergibt sich aus dem Vergleich der Daten des Eurobarometers 2008 mit denen der deutschen Umweltbewusstseinsstudie von 2006. Während das Eurobarometer mit einer Liste vorgegebener Antworten arbeitete, mussten die Befragten in letzterer ihre Aktivitäten selbst benennen. Zu Klimaschutz fiel den Befragten vor allem Mülltrennung ein (65%), mit großen Abstand auch Energiesparen und „sparsames Autofahren“ (Kuckartz 2010: 150). Andere Aktivitäten werden so selten praktiziert, dass sie den Befragten nicht spontan einfallen. Kuckartz‘ ernüchterndes Fazit ist, dass viele Menschen „nur auf mehr oder weniger symbolische Weise handeln, in dem die eine oder andere Handlung gelegentlich praktiziert wird“ (Kuckartz 2010: 150). Diese symbolischen Klimaschutzaktivitäten sind gepaart mit einer gewissen Selbstzufriedenheit der Bürger*innen in Bezug auf ihr Engagement, die sie in Befragungen bekunden (Kuckartz 2010, Lay-Kumar 2016). Eine auffallende Differenz dazu bildet die Gruppe der Deutschen, die Klimawandel für ein sehr ernstes Problem halten: Hier sind fast drei Viertel der Befragten der Meinung, die Bürger*innen seien nicht aktiv genug (vgl. Eurobarometer 2008: 45f). Drei Dimensionen spielen laut Kuckartz eine entscheidende Rolle für Nicht-Handeln: die räumliche und die zeitliche Dimension sowie der Mangel an Eigenverantwortung (vgl. Kuckartz 2010: 152-156). Erstens werde Deutschland räumlich nicht als vom Klimawandel bedrohtes Gebiet und die Umweltqualität in der näheren Umgebung nicht als gefährdet angesehen. Klimaprobleme bleiben in der Ferne. Zweitens vermischten sich Pessimismus in Bezug auf die Zukunft und die Sorge um
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die Lebensbedingungen nachfolgender Generationen mit der Überzeugung, dass zwar fundamentale Änderungen kommen müssen, jedoch noch nicht jetzt. Drittens sei die Übernahme von Eigenverantwortung schwach ausgeprägt – andere sollten handeln, Unternehmen, Politik und Mitbürger*innen. Zur Kluft zwischen Klimaschutzwissen und -handeln ist zu kritisieren, dass von der Einstellung der Befragten auf das Verhalten geschlossen wird und folglich der Fokus auf Hindernissen liegt, die die Umsetzung des Klimawissens vermeintlich blockieren. „Die Kluft besteht also zwischen dem tatsächlichen Handeln und dem beschönigenden Darüber-Reden.“ (Kuckartz 2010: 157) Die Ergebnisse der dargestellten Studien lesen sich mit Kuckartz dementsprechend: „Die aufgrund der überall mitschwingenden sozialen Erwünschtheit gewiss eher nach oben abweichenden Ergebnisse der europaweiten Surveys zeigen, dass 41% gar nichts in Sachen Klimaschutz tun und auch die in irgendeiner Form aktiven 59% [Stand Frühjahr 2009, J.L.K.] eher symbolisch handeln.“ (Kuckartz 2010: 158)
Diese Lesart lässt sich auch auf die Jugendstudien übertragen. So zeigte Shell, dass auch die Gruppe von Jugendlichen, die Klimawandel für ein großes Problem und eine existentielle Bedrohung halten, nur zu zwei Dritteln berichten, Energie zu sparen und kaum andere Klimaschutzmaßnahmen ergreifen (vgl. Shell 2010: 184). Trotz großer Sorge sind sie nicht bereit zu wesentlichen Veränderungen ihres Alltagshandelns. Nur Klimaschutzmaßnahmen, die nicht anstrengend oder aufwändig sind, werden berichtet und das von nicht einmal zwei Drittel der Besorgten. Der Anteil derjenigen, die sich aktiv im Klimaschutz engagieren, liegt auch in dieser Gruppe bei einem Zehntel. Die Shell-Studie bilanziert zu Klimawandel und Klimaschutz: „Aber selbst solch ein ‚Megathema‘ wie der Klimawandel taugt nicht als Anknüpfungspunkt für eine mögliche Repolitisierung Jugendlicher, insofern es im Grundsatz gesamtgesellschaftlich kaum noch konfliktfähig ist und jugendspezifische Aspekte jenseits eines abstrakten Verweisens auf die Perspektiven künftiger Generationen schwer darstellbar sind.“ (Shell 2010: 49f)
In der nachfolgenden Studie (2015) gibt es bereits keinen Fragenblock mehr zu Klimawandel. Andere globale Problemstellungen sind in den Vordergrund gerückt. Auch bleibt der Trend ungebrochen, dass Jugendliche positiv in die eigene Zukunft schauen, während sie die weltweite Entwicklung pessimistisch beurteilen.
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Die Ergebnisse von qualitativen Studien verschärfen die Einschätzung, dass die Kluft zwischen abstraktem Wissen und berichtetem Handeln größer ist, als die quantitativen Studien es darlegen (ufu 2009, Kromer/Hatwanger 2007, 2005).6 Die quantitativen Jugendstudien suggerieren, die überwältigende Mehrheit von Jugendlichen sei für Klimaschutz aktivierbar. Dem widerspricht die ufu-Studie (2009) im Auftrag des WWF: Die befragten Schüler*innenFokusgruppen nennen eine Reihe an Klimaschutzoptionen, z. B. Energie- und Wassersparen, umweltgerechte Mobilität und schonenden Umgang mit Ressourcen. Das Wissen zu Klimaschutz stammt überwiegend aus Medien (Fernsehen, Radio, Zeitungen, Zeitschriften, Internet), der Schule und in geringerem Umfang auch von den Eltern (vgl. ufu 2009: 23). Ein starkes Problembewusstsein steht neben einem niedrigen Aktivitätsniveau (vgl. Kromer/Hatwanger 2005: 38, ufu 2009: 39). Die Jugendlichen schätzen ihre eigenen Handlungsmöglichkeit als sehr gering ein, weshalb es nur “etwas bringe”, wenn alle mitmachten (vgl. ufu 2009: 26ff). Da dies aktuell nicht der Fall sei, kommen sie zu der Schlussfolgerung, dass es nicht dringend erforderlich sei, sich im Sinne von Klimaschutz zu verhalten. Schon gar nicht, wenn dies bedeuten würde, auf Bequemlichkeit und Luxus zu verzichten (vgl. ufu 2009: 28). Die Diskrepanz zwischen den abstrakten Darstellungen zu Klimawandel und Klimaschutz und den eigenen Prioritäten könnte kaum größer sei (vgl. ufu 2009: 32). Umwelt- bzw. Klimaschutz erweisen sich nicht als wesentliche Themen, außerhalb der Schule wird ihnen kaum Relevanz zugeschrieben (vgl. ufu 2009: 32, Kromer/Hatwanger 2005: 63). Jugendliche geben die Verantwortung für Umweltschutz an die Erwachsenen ab, so bilanziert das Österreichische Institut für Jugendforschung (Kromer/Hatwanger 2005) und die WWF-Studie: „Die Hauptverantwortung für Klimaschutz wird deshalb der Politik und den großen Konzernen zugeschoben. Erst wenn diese Gruppen aktiv etwas für das Klima tun, sind Kinder und Jugendliche bereit, auch ihren Teil zum Klimaschutz beizutragen.“ (ufu 2009: 39) Die Fokusgruppenstudie des Österreichischen Instituts für Jugendforschung (2007) zu Klimawandel und Klimaschutz zeigt, dass Jugendliche diverse theoretische Wissensbestände zu Klimawandel dokumentieren. Diese sind jedoch von
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Die ufu-Studie untersucht 60 Schüler*innen aus Berlin und dem Umland mithilfe von Fokusgruppen unterschiedlichen Alters. Es sind zwei Gruppen mit Zehn- bis Elfjährigen, eine Gruppe mit 14-15-Jährigen und eine mit der Altersgruppe 18-20. Ausgehend von der Hypothese, dass der Wissenstand zu konkreten Klimaschutzaktivitäten gering sei, wurde die Methode der Fokusgruppen angewendet. Zu problematisieren ist, dass von den berichteten Verhaltensweisen der Jugendlichen auf ihr tatsächliches Tun geschlossen wird, also das Erzählte als objektive Wahrheit angenommen wird.
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Verzerrungen und Fehlattributionen geprägt sind (Kromer 2007 zit. nach ufu 2009: 17).7 Sie benennen persönliche und ethische Verantwortung für Klima und Umwelt, die sich in Aktivitäten zu Bewusstseinsbildung und Aufklärung in ihrem Umfeld und in sozialem Engagement konkretisieren könnten (vgl. ufu 2009: 25). Es bleibt jedoch beim Konjunktiv – die Jugendlichen dokumentieren nicht, dass sie diese Aktivitäten durchführen. Für alltagspraktischen Umweltschutz spielt das Elternhaus eine tragende Rolle, die Eltern fungieren als (positive oder negative) Vorbilder für umwelt-/klimaschützende Routinen im Sinne von Mülltrennung und Strom bzw. Wasser sparen (vgl. Kromer/Hatwanger 2005: 50ff, ufu 2009: 35, Fischer 2002). Um eine milieu- und generationenspezifische Prägung meiner Jugendumweltgruppen zu erforschen, werfe ich einen Blick auf die Sinus-Jugendstudie (2016). Diese beschreibt ein Jugendmilieu als „sozial-ökologische Lebenswelt“, dem ca. neun Prozent der Jugendlichen angehören (vgl. Calmbach 2016: 131149). Es handelt sich um „nachhaltigkeits- und gemeinwohlorientierte Jugendliche mit sozialkritischer Grundhaltung und Offenheit für alternative Lebensentwürfe“ (Calmbach 2016: 131). Im Sinus-Lebensweltenmodell ist das sozialökologische Milieu als einziges ausschließlich im Bereich hoher Bildung angesiedelt und beinhaltet Jugendliche aus der mittleren bis oberen Mittelschicht (vgl. Calmbach et al. 2016: 33). Das normative Wertegerüst dieses Milieus basiere auf Demokratie, Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Sozialökologische Jugendliche verfügen demnach über ein großes Repertoire an sozi-
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Als Ursache für Klimawandel nennen die Jugendlichen Autoverkehr, Fabriken, teilweise die Abholzung des Regenwaldes und die Auflösung der Ozonschicht, sowie „Atomlöcher“ (ufu 2009: 17). Zugunsten des Klimaschutzes könnten sich die Befragten vorstellen, Ressourcen und Energie sparsam zu nutzen, die Autonutzung einzuschränken, Mülltrennung und -vermeidung zu praktizieren, auf den Kauf regionaler und fair gehandelter Produkte zu achten und Schadstoßausstoß zu verkleinern. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Kromer/Hatwagner 2005: Die Befragten (im Alter von 10-14 Jahren) verfügen über detailliertes Spotwissen, welches sie jedoch kaum in größere Zusammenhänge stellen können. Es findet sich ein stark simplifizierendes Verständnis von Umweltschutz, z. B. „Über den Rasen gehen ist Naturzerstörung, Zigaretten rauchen vergrößert das Ozonloch.“ (Kromer/Hatwagner 2005: 63). Dieses Spotwissen aus verschiedensten Bereichen werde durch mangelnde Einbettung oft fehlerhaft verknüpft und zu führt zu falschen Schlussfolgerungen, so die Einschätzung der Studie (vgl. Kromer/Hatwagner 2005: 129). Jugendliche verfügen demnach über ein starkes Problembewusstsein für Umweltschutz, ebenso wie ein niedriges Aktivitätsniveau (vgl. Kromer/Hatwagner 2005: 38).
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al- und systemkritischen Positionen (vgl. Calmbach et al. 2016: 133). Die Sinusstudie beschreibt die Jugendlichen als „sehr altruistisch“ orientiert und ausgestattet mit einem hohen normativen Sendungsbewusstsein (vgl. Calmbach et al. 2016: 131f, Calmbach et al. 2012: 67ff; Calmbach et al. 2011: 288f). Sie distanzierten sich ausdrücklich von materialistischen Werten und verstünden Verzicht nicht als „Zwang, sondern ein Gebot in der Überflussgesellschaft“ (Calmbach et al. 2012: 67). Die Sinusstudie beschreibt die Jugendlichen als sehr bildungsaffin. Es sei ihnen wichtig, „ihr Wissen, den eigenen Horizont und die Fertigkeiten zu erweitern“ (Calmbach et al. 2016: 136). Sie zeigten Interesse, sich Expert*innenwissen in Themenfeldern wie Politik und Geographie anzueignen. Darüber hinaus reflektierten sie ihre sozial privilegierte Position und forderten Solidarität. Erfolg definierten viele nicht über berufliche Karriere, sondern darüber, in der Welt „Gutes zu tun“. Dieses Milieu sei im Vergleich zu den anderen Milieus interessiert am politischen Tagesgeschehen und schenke umweltpolitischen Themen große Aufmerksamkeit (vgl. Calmbach et al. 2016: 148, 267ff). Bei der Bereitschaft sich zu engagieren ist das sozial-ökologische Milieu besonders initiativ (vgl. Calmbach et al. 2016: 148f). Christmann (1997) bildet mit ihrer wissenssoziologischen Studie „Ökologische Moral. Zur kommunikativen Konstruktion und Rekonstruktion umweltschützerischer Moralvorstellungen“ einen wichtigen Referenzpunkt. Christmann rekonstruiert die impliziten Sinnstrukturen und normativen Setzung von Umweltgruppen (1996, 1997a und b). Im Rahmen der ethnographischen Feldforschung in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren untersuchte Christmann die lokalen Umweltschutzgruppen einer süddeutschen Mittelstadt als lokales Segment der deutschen Umweltbewegung. Sie zeigt, dass Umweltgruppen ein soziales Milieu mit einer spezifischen Kommunikationsstruktur darstellen, die eine „gemeinsame Weltdeutung“ kommunikativ konstruieren (Christmann 1997: 97). Moralische Argumente und Verpflichtungen spielen eine wesentliche Rolle in der Kommunikation, auch wenn sie auf expliziter Ebene nebensächlich behandelt werden, in Rand- und Metakommentaren (vgl. Christmann 1997: 84f). Die moralisch geladenen Deutungsfiguren werden von Umweltgruppen interaktiv erarbeitet. Dabei lassen sich unterschiedliche Modi des Moralisierens unterscheiden: Sich-Beklagen, Sich-Entrüsten und Sich-Mokieren (vgl. Christmann 1997: 85-111). Dabei verbinden die Umweltgruppen eine elitäre Selbstinszenierung mit der Abgrenzung gegenüber anderen, die nicht aktiv würden, obwohl es Handlungsmöglichkeiten gäbe (vgl. Christmann 1997: 104). Christmanns Analyse nach eint die verschiedenen Strömungen innerhalb der Umweltbewegung eine grundsätzliche moralische Setzung und ein Auftrag:
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„Es werden nicht nur die Lebenseinstellungen und Lebensweisen anderer nach den Kriterien von ‚gut‘ und ‚böse‘ beurteilt, es geht vielmehr darum, die ‚Sünder‘ zur Umkehr – zur ‚gute Lebensweise – zu bewegen. Rousseau hat hierfür den Grundstein gelegt, die Lebensreformbewegung hat drauf (ideologisch und praktisch) ein Gebäude errichtet, und die heutige Ökologiebewegung ist in das Gebäude eingezogen, um es – den Natur- und Umweltschutzgedanken aufgreifend – wesentlich zu erweitern.“ (Christmann 1997: 63)
„Ökologisches Wissen“ und „ökologische Moral“ sind demnach eng verquickt. Umweltgruppen sind demnach Orte der kommunikativen Produktion von „umweltschutzrelevantem“ Wissen, das zwischen Expert*innenwissen und Religion oszilliert (Christmann 1992a). Mit kommunikativer Konstruktion bestimmter Weltbilder ist gleichzeitig eine Konstruktion entsprechender Selbstbilder verbunden (vgl. Christmann 1997: 189). In den von Christmann untersuchten Gruppen nimmt die Thematisierung der eigenen ethischen Motivation für den Umweltschutz wenig Raum ein. Christmanns Analyse bietet interessante Vergleichshorizonte in Bezug auf umweltgruppenspezifische Deutungsfiguren und Orientierungsmuster. Asbrand leistet mit ihrer qualitativ-rekonstruktiven Studie „Wissen und Handeln in der Weltgesellschaft“ eine wichtige Vorarbeit zum Wissen von Jugendgruppen zu Globalisierung und Entwicklung (Asbrand 2009). Sie analysiert mit Gruppendiskussionsverfahren und dokumentarischer Methode sowohl explizites, als auch implizites Wissen von Jugendlichen. Asbrand unterstreicht die Bedeutung von handlungspraktischem, kontextgebundenem Wissen und Lernräumen. Sie untersucht im Rahmen erziehungswissenschaftlicher Forschung Zugänge zu Wissen und Handeln von Jugendlichen im Kontext von Globalisierung. Mithilfe der dokumentarischen Methode vergleicht sie zwölf Gruppen, die sich im Schulunterricht mit Globalisierung beschäftigt haben und drei Gruppen, die sich außerschulisch mit Globalisierung befassen, darunter eine Jugendumweltgruppe und eine Jugendgruppe des attac-Netzwerkes. Sie fragt danach, wie Jugendliche sich Wissen aneignen, ob sie ihr Wissen zu Globalisierung als sicheres oder unsicheres Wissen inszenieren und ob sie reflexiv mit Nichtwissen umgehen (Asbrand 2009). Asbrand kommt zu dem Schluss, dass das Wissen über die Welt mit der Struktur des Engagements der Jugendlichen korreliert (vgl. Asbrand 2009: 234f). Die Wirkungskraft impliziten Wissens zeigt sich im unmittelbaren Zusammenhang zwischen erlebter Handlungspraxis und Wissen (vgl. Asbrand 2009: 235). Schüler*innen, die die Themen Globalisierung und Nachhaltige Entwicklung im Unterricht behandelt haben, verfügen im Bereich des kommunikativen Wissens über eine hohe Reflexionsfähigkeit, auch ihres Nicht-Wissens.
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Daraus erwachsen jedoch Skepsis, Passivität und Handlungsunsicherheit. Das im Unterricht vermittelte kommunikative Wissen bleibt abstrakt. Von dieser Passivität heben sich laut Asbrand die Aktivität und optimistische Zukunftsperspektive der außerschulisch aktiven Jugendlichen ab, die durch ihr Engagement über erfahrungsbasiertes Wissen zu nachhaltiger Entwicklung verfügen. Die Mitglieder einer attac- und einer Jugendumweltgruppe inszenieren ihr Wissen als sicher und exklusiv, Nichtwissen und andere Weltsichten werden ausgeblendet. Indem die Jugendlichen die Deutungsmuster und Lösungsoptionen der jeweiligen Organisationen unhinterfragt übernehmen, reduzieren sie Komplexität und erlangen Handlungssicherheit (Asbrand 2009). Asbrand entwickelt eine Typologie mit vier Hauptachsen: eine Typologie unterschiedlicher Handlungspraxis (bzw. Praktiken), eine Organisationstypik, eine Bildungsmilieutypik und eine Geschlechtstypik. Im Rahmen der Organisationstypik findet sich ein Zusammenhang zwischen der Struktur des Wissens und der Handlungsorientierung der Jugendlichen. Die unterschiedlichen Organisationsformen und Strukturen von Schulunterricht und außerschulischer Jugendarbeit haben Einfluss auf die Art, wie sich Jugendliche handlungspraktisches Wissen aneignen (vgl. Asbrand 2009: 142ff, 182ff). Die schulischen Strukturen sind demnach von Hierarchie und Distanz geprägt, die außerschulischen von Zugehörigkeit und Freiwilligkeit (vgl. Asbrand 2009: 182). Asbrand weist auf, dass es bildungsmilieutypische und geschlechtstypische Kontraste im Umgang mit Wissen und der Handlungsorientierung gibt (vgl. Asbrand 2009: 201ff). Charakteristisch für die Schüler*innengruppen sind abstraktes Reflektieren über Globalisierung und Thematisierung ihres Nicht-Wissens. Moralischen Ansprüchen begegnen die Schüler*innengruppen mit Entschuldigungsstrategien. Die Differenz zwischen expliziten Werten und Handlungspraxis kann nicht gelöst werden, es bleiben Skepsis, Passivität und Handlungsunsicherheit: „Mit dem Unterricht zum Thema Globalisierung wurden offensichtlich ... ethische Ansprüche kommuniziert, die im Alltag nicht umsetzbar sind. Das schulisch vermittelte Wissen bleibt kommunikativ-generalisiertes Wissen und kann nicht handlungspraktisch werden.“ (Asbrand 2009: 187) Von dieser Passivität heben sich die Aktivität und die optimistische Zukunftsperspektive der außerschulischen Gruppen ab (vgl. Asbrand 2009: 195ff). Diese verfügen in ihrer Orientierung über sicheres, exklusives Wissen. „Hintergrundunsicherheit wird absorbiert, indem mögliches Nichtwissen und andere Weltsichten als dasjenige Wissen, das durch die Organisation kommuniziert wird, in den Diskursen der Jugendlichen ausgeblendet werden.“ (Asbrand 2009: 200f) Nach Asbrand ist der Orientierungsrahmen der außerschulischen Gruppen die Zugehörigkeit zu einer Organisation, die Zugehörigkeit zum Milieu und Zugang zu exklusivem Wissen ermöglicht. In-
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nerhalb der Organisation prozessierte Information wird nicht mehr in Frage gestellt; so orientiert sich die Jugendumweltgruppe in ihren Handlungsoptionen an Programmen und Semantik des Umweltverbandes (vgl. Asbrand 2009: 195ff). Durch die Reduktion von Komplexität erlangen sie Handlungssicherheit. Diese Ergebnisse bieten eine exzellente Vergleichsmöglichkeit für meine Erforschung von Jugendumweltgruppen. Asbrands Bildungsmilieutypik ergibt unterschiedliche Handlungsorientierungen bei Gymnasiast*innen und Berufsschüler*innen. Gymnasialschüler*innen thematisierten unterschiedliche Perspektiven und potenzielle Handlungsoptionen gedankenexperimentell, was eine für das akademische Bildungsmilieu typische Reflexionspraxis darstellt. Sie argumentierten auf abstrakter Ebene politisch oder moralisch, ohne konkrete Handlungsnotwendigkeiten zu benennen. (vgl. Asbrand 2009: 208). Bildungsmilieutypisch ist der theoretisierende Weltzugang der Gymnasialschüler*innen, sowie ihr Streben nach Wissen und das Interesse an unterschiedlichen Perspektiven. Sie eignen sich Wissen über Globalisierung theoretisierend und reflexiv an. Ihre Handlungsorientierung benennt Asbrand als intellektuellen Aktionismus (vgl. Asbrand 2009: 232). Jugendliche mit nicht-akademischem Bildungshintergrund sind von praktischem Weltbezug geprägt, es findet sich keine den Gymnasiast*innen vergleichbare Reflexionspraxis (vgl. Asbrand 2009: 232): „Jugendgruppen mit nichtakademischen Bildungshintergrund erleben es als Überforderung, der Herausforderung einer nachhaltigen Gestaltung der persönlichen und gesellschaftlichen Zukunft mit individuellen Handlungsoptionen begegnen zu sollen.“(Asbrand 2009: 208) In Asbrands Sample konnten diese Jugendlichen nicht an eigene konjunktive Erfahrungen anknüpfen, aus denen sich Problemlösungen oder Zukunftsperspektiven ableiten lassen würden. Weiterhin entwickelt Asbrand eine Geschlechtstypik (vgl. Asbrand 2009: 209ff). Sie analysiert eine verdeckte Rahmeninkongruenz zwischen männlichen und weiblichen Jugendlichen betreffend der Handlungsorientierung vor dem Hintergrund von Unsicherheit. Die männlichen Jugendlichen denken eher im Sinne einer instrumentellen Orientierung: Handeln wird nur als sinnvoll erachtet, wenn ein Nutzen oder Zweckerreichung in Aussicht sind. Sicheres Wissen wird als Bedingung für Handlungssicherheit inszeniert, daraus resultierten Skepsis und Passivität (vgl. Asbrand 2009: 223). Weibliche Jugendliche halten laut Asbrand eher als männliche Jugendliche Handlungsoptionen für möglich und gehen konstruktiver mit Komplexität um (vgl. Asbrand 2009: 209). Ihre Handlungsorientierung ist prozessorientiert (vgl. Asbrand 2009: 223). Zwei weitere Punkte sind von Interesse: Asbrand schreibt familiärer Sozialisation eine relevante Rolle für die Entwicklung politischer Orientierungen zu (vgl. Asbrand
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2009: 229). Außerdem stellt sie fest, dass Moral für Jugendliche des Samples keine entscheidungsleitende Kommunikation darstellt und deshalb nicht handlungsleitend ist (vgl. Asbrand 2009: 209). Diese Ergebnisse sind als Vergleichsmöglichkeiten für meine Forschung interessant (s. 5.2). Die Vorarbeit von Fischer (2002) ist die einzige qualitative Studie, die schwerpunktmäßig Jugendumweltgruppen untersucht. Fischer arbeitet allerdings nicht mit Gruppendiskussions-verfahren, sondern fokussiert die Motivation ostdeutscher Jugendlicher, sich in einem der Jugendumweltverbände, die ich erforsche, zu engagieren (Fischer 2002).8 Die Studie hat keinen Bezug zu Klimawandel. Da diese ältere Studie Wissensbestände und Praktiken von Jugendumweltgruppen untersucht, ergeben sich Vergleichsmöglichkeiten zu meinen Gruppen und Kontrastierungen zu den bislang diskutierten Ergebnissen von Jugendstudien, die vor allem die Kluft zwischen Wissen und Handeln herausgehoben haben. Fischer analysiert, dass die Jugendumweltgruppen Wissensbestände zu Umweltschutz mit stark emotionaler und normativer Ladung belegen (vgl. Fischer 2002: 246). Komplexe Zusammenhänge werden demnach oft verkürzt dargestellt, dabei machen die Jugendlichen „wenig explizit, wer und was in welchem Maße und in welcher Form durch Umweltprobleme gefährdet wird“ (Fischer 2002: 196). Stark ausgeprägt ist eine emotionale Konnotation von Umweltzerstörung mit Trauer, Mitleid, Schmerz, Wut und Angst. Gleichzeitig sprechen die Jugendlichen von Liebe zu Tieren und Pflanzen sowie der Freude am Aufenthalt im Grünen (vgl. Fischer 2002: 196). Durch ihr Engagement erschließen sich für die Jugendlichen Handlungsmöglichkeiten: „Umwelt wird vom ‚Leidensthema‘ [Zitat einer jugendlichen Umweltschützerin, J.L.K.] zum Handlungsthema.“ (Fischer 2002: 218f). Die Motivation für den Umweltschutz besteht, so Fischer, erstens aus „Engagement um seiner selbst Willen“, zweitens aus der Identifikation mit der Umweltbewegung, drittens in der Selbstverortung als PionierIn („jemand muss ja anfangen“, Zitat einer jugendlichen Umweltschützerin, Fischer 2002: 215) und viertens in Erfahrungen, die „Spaß bringen“ (Fischer 2002: 213219). Neben Orientierungswissen zu Problemstellungen haben die Jugendgrup-
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Basierend auf der Grounded Theory untersucht Fischer Jugendgruppen des BUNDJugendverbands in verschiedenen ostdeutschen Orten. Methodisch verwendet sie Gruppendiskussionen, Einzelinterviews, Expert*innengespräche und teilnehmende Beobachtung. Die Studie gehört zur Handlungsforschung und ist psychologisch ausgerichtet, d. h. sie fokussiert Umweltbewusstsein und kognitiv und emotional begründete Motivation für Umweltengagement. Ein Schlüsselbegriff ist Identifikation, z. B. mit der Umweltbewegung als Gesamtheit (Fischer 2002: 215).
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pen den Anspruch, auch Know- How zu vermitteln, „die Zustände aktiv zu verändern oder zumindest die Bedrohungsgefühle zu bewältigen“. (Fischer 2002: 341)
1.2 ANGRENZENDE FORSCHUNGSGEBIETE: UMWELTBEWUSSTSEINSFORSCHUNG, UMWELTSOZIOLOGIE UND UMWELT(BEWEGUNGS)GESCHICHTE An meine Fragestellung angrenzende Forschungsgebiete sind die Umwelt(bewegungs)geschichte, Umweltsoziologie und Umweltbewusstseinsforschung. Die vorgestellten Studien und Metaanalysen beziehen sich auf die Konzepte von Umweltbewusstsein und Umwelthandeln, die zum Forschungsfeld der Umweltbewusstseinsforschung gehören (s. 1.1). Die zugrunde liegenden Forschungsperspektiven unterscheiden sich jedoch wesentlich, deshalb lohnt sich ein Blick auf die unterschiedlichen Ziele und Methoden. Die Umweltbewusstseinsforschung legt den Blick – anders als mein Forschungsprojekt – auf individuelles Bewusstsein (Kuckartz 2013, Lange 2000, 2011, Borgstedt/Reuswig 2010, Brand et al. 2002, Stengel 2011). Die Umweltbewusstseinsforschung bezieht sich methodisch auf quantitative psychologische Methoden, die bisweilen mit qualitativen Befragungen ergänzt werden. Über Fragebögen und psychologische Modelle werden Einstellungen und Bewusstseinszustände ermittelt (Lange 2011, De Haan/Kuckartz 2013, Kuckartz 2013, Kuckartz/Rheinganz 2006; 2007, Poferl et al. 1997, Preisendörfer/Diekmann 1996, Brand 2003, Buba/Globisch 2008). Repräsentative Studien, wie die im letzten Kapitel vorgestellten, werden von der Umweltbewusstseinsforschung in Metaanalysen interpretiert und evaluiert. Während die Umweltbewusstseinsforschung darauf abzielt, über Fragebögen und Modelle kognitive, affektive, normative Komponenten abzubilden und Umweltbewusstsein objektiv zu messen, gehe ich – mit dem qualitativrekonstruktiven Paradigma – davon aus, dass ich keine objektiven Aussagen machen kann, welches Bewusstsein die Untersuchten haben, sondern nur Aussagen darüber treffen kann, wie sie sich inszenieren bzw. welche Deutungen sie dokumentieren. (s. 1.4). Der Begriff Umweltbewusstsein beschreibt einen Komplex aus der Wahrnehmung von Umweltproblematiken, Einstellung, Werthaltung und Handlungsbereitschaft sowie persönlicher Betroffenheit (vgl. Stengel 2011: 190, Diekmann/Preisendörfer 2001: 100-105, Homburg/Matthies 1998: 49-61). Ein hohes Umweltbewusstsein führt, so die These, zu einer Handlungsweise, die der Sorge um die Umwelt Rechnung trägt. Die Annahme, dass aus
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hohem Umweltbewusstsein konsequentes Umweltschutzhandeln folgt, konnte jedoch nicht bestätigt werden (Stengel 2011, Kuckartz 2010, De Haan/Kuckartz 2013; 1996). Diese Feststellung führt zur Debatte um die Kluft zwischen Wissen und Handeln, bzw. um die Divergenz zwischen Umweltbewusstsein und umweltverantwortlichem Handeln (Kuckartz 2013; 2011, Kuckartz/Rheingans 2006, Lange 2000, Lehmann 1999). In Deutschland ist seit mehreren Jahrzehnten ein hohes Umweltbewusstsein zu messen, was sich jedoch nicht niederschlägt in politischen oder wirtschaftlichen Weichenstellungen oder breiten Trends zu umweltbewussten Lebensstilen (Kuckartz 2010, Stengel 2011, Diekmann/Preisendörfer 2001, Brand 2003). Statt bei der Erforschung einer Kluft zwischen Wissen und Handeln auf der Ebene von Individuen zu bleiben, wende ich meinen Blick auf kollektive Wissensbestände und Deutungsfiguren zu Klimawandel und Klimaschutz. Diese sind ein Ausschnitt aus der kontextgebundenen, diskursiven Verhandlung von Umwelt-Gesellschafts-Beziehungen und damit angrenzend an die Forschungsgebiete der Umwelt(bewegungs)geschichte und Umweltsoziologie. Welche Umwelt wollen wir schützen? Und was bedeutet Umwelt überhaupt? In welchem Verhältnis steht sie zu Gesellschaft? Umwelt und Natur sind nicht als „naturgegebene“ Begriffe zu verstehen, sondern als gesellschaftliche Deutungsfiguren (vgl. Lay-Kumar 2016: 68f). Hinter den vertrauten Begriffen Umwelt und Natur steckt sowohl in der Alltagssprache, als auch im wissenschaftlichen Gebrauch ein Bündel impliziter Deutungen, historischer Prägungen, machtförmiger Unterscheidungen und kultureller Weltbilder (Lange 2011, Radkau 2000). Weder Natur noch Umwelt lassen sich präzise definieren. Sie sind Symbole, die eine Synthese auf einer sehr hohen Ebene repräsentieren (vgl. Radkau 2000: 17, 2011). Der Begriff „Natur“ beinhaltet vielfältige Bedeutungsebenen und ist normativ geladen (Lange 2011, Radkau 2000, 2006). Während der Begriff der Natur trotz seiner Vieldeutigkeit eine Jahrtausende alte Sprach- und Kulturgeschichte hat, ist Umwelt ein junger Begriff. Der heute dominante Naturbegriff legt eine dualistische Unterscheidung von Natur und Kultur zugrunde (Becker/Hummel/Jahn 2011, Hofmeister/Mölders 2006, Lange 2011, Kropp 2002, Leggewie/Welzer 2009, s. 1.3). Der Begriff Umwelt wird auf verschiedenen Ebenen abweichend gerahmt: Als ontologische Setzung, als wissenschaftliche Gebietsaufteilung, als kollektive Deutungsfigur oder als Gegenstand, auf den erfahrungsbasierte Wissensformen Bezug nehmen (vgl. Becker et al. 2011: 87). Einfluss auf die Rahmung von Natur- bzw. Umwelt-Gesellschafts-Verhältnissen nehmen spezifische gesellschaftlichen (Macht-)Interessen, Überzeugungen und Institutionen, u. a. politische Strukturen und Machtverhältnisse, der technologische und wirtschaftliche Entwicklungsstand einer Nation, politisch-ideologische
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Ordnungsvorstellungen und historisch tradierte Deutungsfiguren (Lange 2011). Auch wissenschaftliche Verständnisse von Gesellschaft und Natur gehen aus historisch formierten und kontingenten Unterscheidungspraktiken hervor (vgl. Becker/Jahn 2006: 164). Wissenschaftliche Bearbeitungsmodi von Fragestellungen verweisen auf Interessen und standortgebundene Überzeugungen, Gebietsaufteilungen und Institutionen (vgl. Lange 2011: 23). Es gibt keine Soziologie ohne Naturbegriff oder Naturbild, doch bleiben diese Deutungen meist implizit (vgl. Kropp 2002: 30). Ich skizziere kurz die Entwicklung der umweltsoziologischen bzw. sozialökologischen Forschung, wobei ich die Positionen ausführlicher erläutere, die meine analytische Perspektive prägen. Die Erforschung von UmweltGesellschafts-Beziehungen ist mit normativen Erwartungen gefüllt, denn sie soll „im Sinne einer kritischen, aufgeklärten Tradition Wissen hervorbringen, das die Reflexion über gesellschaftliche Entwicklungen und Grundlagen postindustrieller Produktion und Lebensweise stimuliert“. (Diekmann/Jaeger 1996: 13. Die Soziologie hat ein schwieriges Verhältnis zu Umweltthemen (Groß 2011; 2006, Lange 2011). Nachdem die erste Moderne durch die Trennung von Natur und Sozialem den Gegenstandsbereich der Soziologie erst erschaffen hat, wurde die Betrachtung von ökologischen Themen jahrzehntelang als das „Außergesellschaftliche“ aus den Kernbereichen der Soziologie ausgeklammert und als „Bindestrichdisziplin“ in die Umweltsoziologie abgeschoben (vgl. Groß 2001: 17, Groß 2011: 12, Lange 2011: 19). Die Ausgliederung reifiziert die dualistische Trennung zwischen Umwelt und Gesellschaft durch umweltsoziologische Forschung bereits durch die Wahl des Begriffs Umweltsoziologie. Zudem reproduziert sie Hierarchien, indem Forschung zu sozial-ökologischen Fragestellungen als nebensächlich eingestuft wird (s. 1.3). Es gab in der frühen deutschen Soziologie zwar bereits Ansätze, die gesellschaftliche Naturverhältnisse als Wechselbeziehungen untersuchten, z. B. Marx‘ Konzept des Stoffwechsels und Webers Analyse der ökologischen Folgen des aufstrebenden Kapitalismus (vgl. Groß 2011: 11, Lange 2011: 37). Doch hauptsächlich hatte die frühe Soziologie das Ziel, gesellschaftliche Phänomene eben nicht mit außergesellschaftlichen, sondern mit sozialen Faktoren zu erklären (z. B. Durkheims „Der Selbstmord“ (1895), vgl. Dunlap/Catton 1978: 44). In Reaktion auf die Umweltbewegung(en) und neue soziale Bewegungen bekamen sozial-ökologische Fragestellungen vermehrt soziologische Aufmerksamkeit, denn die Gesellschaftskritik dieser Bewegungen – und die Frage nach ihrer gesellschaftsverändernden Kraft wurden Gegenstand soziologischer Forschung (Kropp 2002, Catton/Dunlap 1978, Brand 1985, Neidhardt/Rucht 1993). Seit den 1980er Jahren hat die Beschäftigung mit
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Umwelt-Gesellschafts-Verhältnissen eine neue Bekanntheitswelle erreicht, u.a. mit Becks „Risikogesellschaft“ (1986) und Luhmanns „Ökologische Kommunikation“ (1986), der erstmaligen Thematisierung von Klimawandel in den deutschen Massenmedien (Groß 2011, Radkau 2011, Lange 2011). Seit den 1990er Jahren hat sich die Umweltsoziologie – unter diesem Namen – in Deutschland etabliert (Lange 2011, Groß 2011). Zu diesem Zeitpunkt wurden ökologische Protestbewegungen bereits wieder schwächer, im öffentlichen Diskurs rückten neoliberale Globalisierung und dann neue globale Krisen und Kriege in den Vordergrund (Stengel 2011, Radkau 2011). So bekommt die umweltsoziologische bzw. sozial-ökologische Forschung immer noch nicht die Aufmerksamkeit, die ihr mit Blick auf zunehmende sozial-ökologische Krisenphänomene zustehen würde (Stengel 2011). Dabei ist zu präzisieren, dass es sich bei der Umweltsoziologie der vergangenen Jahrzehnte um eine Umweltsoziologie des Globalen Nordens handelt. Umweltsoziolog*innen fokussierten jeweils die Gesellschaften ihrer Nationalstaaten. So beziehen sich Dunlap/Catton explizit auf die US-amerikanische Gesellschaft und Forschung (vgl. Dunlap/Catton 1978: 42), im Zentrum der deutschen Umweltsoziologie steht die Gesellschaft Deutschlands (Lange 2011: 615). Der soziologische Betrachtungshorizont beschränkt sich damit auf klassische Industriegesellschaften, die eine historisch formierte „Naturblindheit“ in sich tragen (vgl. Brand/Reusswig 2001: 562; Lange 2011: 47). 9 Die Pluralität an Umwelt-Gesellschafts-Beziehungen, anderen historisch gewachsenen Naturkonzepten und sozial-ökologischen Krisenphänomenen im Globalen Süden blieb lange komplett ausgeblendet (vgl. Lange 2011: 47, 614; Kothari 2017). So schien Umweltschutz selbstverständlich ein First World Environmentalism zu sein, der sich auf den Schutz der Umwelt vor Menschen fokussiert, während ein Third World Environmentalism, der Menschen vor den Folgen einer degradierten Umwelt schützt, erst in den letzten Jahren auch wissenschaftliche Aufmerksamkeit bekommt (Lange 2016; 2011, Kothari et al 2014, Kothari 2016, Kothari et al. 2017). Für die Umweltsoziologie bzw. sozial-ökologische Forschung stellt sich damit die Frage, wie sie sich zu ihrem Untersuchungsgegenstand positioniert. Wie das Verhältnis von Umwelt und Gesellschaft zu verstehen ist, darum ringen seit Jahrzehnten naturalistische, konstruktivistische und vermittlungstheoretische
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So konstatieren Brand und Reusswig: „Je größer die Bevölkerung, je höher ihr materielles und energetisches Lebens- und Produktionsniveau, je mächtiger ihre technologische Basis und je ‚naturblinder' ihre Institutionen und ihre Kultur, desto stärker und destruktiver ist ihr Einfluss auf ihre natürlichen Lebensgrundlagen.“ (Brand/Reusswig 2001: 562).
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Positionen (Kropp 2002, Lange 2011, Becker/Jahn 2011). Es hat sich eine Vielzahl an hybriden Positionen entwickelt, weshalb ich die Hauptkonfliktlinien nur kurz umreiße, um meine eigene Verortung zu kontextualisieren. Essentialistische bzw. naturalistische Positionen gehen davon aus, dass es eine feststehende Natur gibt, die objektiv beschreibbar ist. Gleichzeitig soll aus dieser Beschreibung bestimmt werden, welche gesellschaftlichen Umgangsmodi mit der Natur angemessen sind oder nicht (vgl. Kropp 2002: 51ff, 246). Diese Denkrichtung findet sich in großen Teilen der Naturwissenschaften, jedoch auch in der Umweltbewegung, die von einem Eigenrecht „der Natur“ ausgeht (vgl. Radkau 2011: 581; Radkau 2000: 311f). Zum Naturalismus tendierende Positionen sehen „natürliche“ Kapazitätsgrenzen und Eigenlogiken als objektiv beschreibbar an. Zu problematisieren ist, dass die Standortgebundenheit wissenschaftlicher Erkenntnisse ausgeblendet wird und dass „Wirklichkeit an sich“ und „Wirklichkeit unter Beschreibung“ gleichgesetzt werden (vgl. Kropp 2002: 54ff). Doch die Interpretation von Daten und die Ableitung von Strategien von Problemlösungen erfolgen nicht im luftleeren Raum. Je nach Forschungsinteresse erscheinen Problemlagen in einem spezifischen Licht. Naturalistische Annahmen haben einen blinden Fleck in Bezug auf kulturell geprägte Formen von Naturaneignung und Reaktionen auf ökosoziale Problemstellungen (vgl. Kropp 2002: 55). Mischpositionen wie die von Catton und Dunlap fordern „a changed sense of what is real“ (vgl. Catton/Dunlap 1978: 42). Catton/Dunlap schließen aus gesellschaftlichen Veränderungen der vorausgegangenen 1960er und 1970er Jahre, dass eine neue Weltsicht nötig sei, die nicht mehr anthropozentrisch fundiert ist (vgl. Catton/Dunlap 1978: 42f). Sie fordern, die Soziologie müsse einen grundlegenden Paradigmenwechsel vollziehen, weg vom Human Exceptionalist Paradigm, hin zu einem New Ecological Paradigm. So seien für die meisten Soziolog*innen die Abhängigkeit von Ökosystemfunktionen, z. B. Grenzen ökologischer Ressourcen und Belastungsgrenzen, nicht Teil ihrer Weltsicht (Catton/Dunlap 2014). Es handelt sich um eine frühe Kritik von Wachstums-, Technik und Effizienzgläubigkeit in den Sozialwissenschaften. Das New Ecological Paradigm betont die Interdependenz von sozialen und ökologischen Systemen in einer Welt begrenzter Ressourcen (vgl. Catton/Dunlap 2014: 45). Ökonomischer Wachstum und „social progress“ könnten sich nur innerhalb dieser Grenzen entwickeln.10 Sozialkonstruktivistische Perspektiven werfen Catton und Dunlop vor, im Kern naturalistisch zu denken, da sie ökologische Grenzen als festste-
10 Vierzig Jahre später werden diese Einsichten eingebaut in ökonomische Modelle wie den Doughnut of Good Life (Raworth 2013, Leach et al. 2013, s. 6.), im Zentrum soziologischer Forschung sind sie jedoch immer noch nicht angekommen.
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hende Konstrukte annähmen und damit den Konstruktionscharakter von jeglichem Naturbegriff vernachlässigten (vgl. Kropp 2002: 26-39). Sozialkonstruktivistische und soziozentrische Ansätze haben sich als Korrektur zu naturalistischen Konzepten entwickelt (vgl. Kropp 2002: 72f, Lange 2011: 37). Sie wollen das „naturalistische Missverständnis“ der Umweltbewegung überwinden, dass „Natur als Maßstab gegen ihre Zerstörung“ nimmt (Beck 1988: 62ff): „jenen ökologischen Fehlschluss, der aus wissenschaftlich-ökologischen Problemdefinitionen gesellschaftliche Reaktionsweisen und Handlungsimperative ableiten möchte, ohne deren kulturellen Kontext oder die zugrundeliegende gesellschaftliche Prägung und Verzerrung gemäß bestehender Macht- und Dominanzverhältnisse in den Blick zu nehmen“ (Kropp 2002: 73).
So gehen wissenssoziologische Perspektiven grundsätzlich davon aus, dass es unmöglich ist, eine von gesellschaftlichen Deutungsfiguren unberührte Sicht auf die Welt, die Wahrheit oder „die Natur“ zu entdecken (Kropp 2002, Voss 2010). Wissen ist demnach immer standortgebunden und situiert und kann damit nicht zu objektiver Erkenntnis führen (Haraway 1995a, 1995b, 2000; Latour 2017, 2015, 2014, Knorr-Cetina 2009, 1984). Einige soziozentrische Perspektiven gehen jedoch so weit, unterschiedliche Naturverständnisse auf Verschiedenheiten in kulturellen Diskurslinien zu reduzieren und die stofflich-materielle Dimension bzw. die Existenz von Ökosystemen und Lebewesen außerhalb des Diskurses grundsätzlich zu ignorieren (vgl. Kropp 2002: 73f, Becker/Jahn 2006: 12ff). Die gängige dualistische Perspektive auf Natur und Gesellschaft wird in Richtung Gesellschaft aufgelöst, denn Natur wird als gesellschaftlich konstruiert verstanden (vgl. Kropp 2002: 84, Lange 2011: 37). Die Gefahr soziozentrischer Relativierungen besteht darin, Natur auf ein lästiges, passives Material der soziokulturellen Überformung zu reduzieren, bis nur noch ihre semiotische Erzeugung und diskursive Verhandlung übrig bleibt (vgl. Kropp 2002: 73; 171): „Als Ergebnis der [...] Relativierung unterschiedlicher Naturkonzepte scheinen verschiedenste Interpretationen von ‚Natur‘, ihren Gefährdungen und Notwendigkeiten gleichermaßen legitim – eben verschiedene kulturelle Konstrukte.“ (Kropp 2002: 118) Eine solche soziozentrische Perspektive ermöglicht es weder, machtförmige (Vernutzungs-)Logiken und Dualismen zu kritisieren, noch Kriterien für nachhaltige bzw. zukunftsfähige Umwelt-Gesellschafts-Beziehungen zu benennen (Kropp 2002, Becker/Jahn 2006). Gemeinsam ist naturalistischen und soziozentrischen Konzepten von Natur, dass sie die Unterscheidung zwischen Natur und Gesellschaft als selbstverständlich voraussetzen, von der Überzeugung ausgehend, es handele sich um zwei existentiell verschiedenen Seinsberei-
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che (vgl. Kropp 2002: 148). Als Korrektur dazu haben sich vermittlungstheoretische Positionen entwickelt. Sie üben eine doppelseitige Kritik am Naturalismus und am Kulturalismus, da beide Denkrichtungen machtförmig zwischen Gesellschaft und Natur unterscheiden und eine der beiden Seiten für determinierend prägend und eine für formbar erklären (vgl. Becker/Jahn 2006: 23f, Kropp 2002: 96). Vermittlungstheoretische Positionen zielen darauf ab, die tradierten Entgegensetzungen von Natur und Gesellschaft ebenso zu überwinden wie die Entgegensetzung von Naturalismus und Konstruktivismus (Becker/Jahn 2006, Brand/Kropp 2004, Kropp 2002, Groß 2001). Die sozial-ökologische Forschung schlägt mit den „gesellschaftlichen Naturverhältnissen“ ein Rahmenkonzept vor, dass Natur und Gesellschaft als wechselseitig konstitutiv versteht: „Natur“ kann nicht ohne einen Begriff von „Gesellschaft“ gedacht werden, ebenso verweist jeder Begriff von „Gesellschaft“ auf „Natur“ (Jahn/Becker 2006, Becker et al. 2011, Brunnengräber 2008, Groß 2011, Voss 2010). Der Dualismus von Natur und Kultur wird verworfen zugunsten der Einschätzung, dass „der ökologischen Krise der gesellschaftlichen Entwicklung keine isolierten ‚natürlichen‘ bzw. ‚äußeren‘ Problemlagen entgegenstehen, sondern dass diese Problemlagen vielmehr als Ausdruck einer immanenten und umfassenden Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse verstanden werden müssen“ (Brunnengräber 2008: 50).
Denn die Differenz zwischen Natur und Gesellschaft geht „aus gesellschaftlichen Unterscheidungspraktiken hervor und nicht aus ontologischen Setzungen und philosophischen Denkbewegungen“ (Becker/Jahn 2006: 119, Hervorhebung im Original, J.L.K.). Das ISOE (Institut für Sozial-ökologische Forschung, Becker/Jahn 2006, Becker et al. 2011) steht für eine vermittlungstheoretische Analyse, die Unterscheidbarkeit zwischen Natur und Gesellschaft voraussetzt, um die wechselseitige Bezogenheit erkennen zu können (vgl. Becker/Jahn 2006: 177, s. 1.3.1). Dabei betonen die Autor*innen, dass eine Unterscheidung zwischen Natur und Gesellschaft nicht zwangsläufig einen Dualismus impliziert und auch keine Hierarchisierung (vgl. Becker/Jahn 2006: 120; 177). Denn eine Aufbzw. Abwertung einer Seite „geschieht erst im praktisch-gesellschaftlichen Kontext“, in dem Entscheidungen getroffen werden (Becker/Jahn 2006: 120). Sie plädieren dafür, Unterscheidungen zu explizieren und ihre Folgen zu analysieren und damit selbstreflexiv vorzugehen (vgl. Becker/Jahn 2006: 13). Der Begriff gesellschaftliche Naturverhältnisse fokussiert die wechselseitige Bezogenheit:
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„Als gesellschaftliche Naturverhältnisse bezeichnen wir die dynamischen Beziehungsmuster zwischen Mensch, Gesellschaft und Natur. Sie gehen aus den kulturell spezifischen und historisch variablen Formen und Praktiken hervor, in und mit denen Individuen, Gruppen und Kulturen ihre Verhältnisse zur Natur gestalten und regulieren.“ (Becker et al. 2011: 77)
Weitere vermittlungstheoretische Konzepte fokussieren eher eine politikwissenschaftliche Governance-Perspektive auf gesellschaftliche Naturverhältnisse (Brunnengräber 2008) oder kritisieren die Begrifflichkeit „gesellschaftliche Naturverhältnisse“ aus der Perspektive der Akteur-Netzwerk-Theorie (Kropp 2002, Latour 2015; 2014).11 In der Gesamtheit von Perspektiven auf UmweltGesellschafts-Beziehungen liegen unterschiedliche Variationen von vermittlungstheoretischen Konzepten jedoch nah beieinander, insbesondere, was ihre kritische Analyse dominanter Deutungsfiguren und Logiken betrifft. Haraway (1995a, 1995b, 2000, 2003) dagegen sprengt die Diskussion um naturalistische und soziozentrische Perspektiven mit der „Neuerfindung der Natur“ als verwobene NatureCultures. Im Cyborg-Manifest proklamiert sie, die Unterscheidung in Kultur und Natur sei im Zeitalter der Technosciences obsolet geworden, hybride NaturKulturen seien auf dem Vormarsch (vgl. Harrasser 2001: 588, Haraway 1995a). Während Haraway in den Science-Technology-Studies breit rezipiert wird, hat ihre Perspektive in die Umweltbewegung und Bewegungsforschung kaum Eingang gefunden.12 Mit dem Aufkommen der Umweltbewegung haben die Begriffe Natur und Umwelt im öffentlichen Diskurs eine neue, politisch-normative Prägung erhalten, der Naturbegriff wurde „zur politischen Kategorie und Ökologie zur Chiffre für ein imaginiertes neues Verständnis der Beziehungen zwischen Gesellschaft und
11 So kritisiert Kropp, die sich als Vertreterin der ANT positioniert, am Konzept des ISOE, dieses drohe, durch die Unterscheidung in Materialität von Natur und Zeichenhaftigkeit von Gesellschaft (Becker/Jahn 2006, Jahn 1990) die Differenz von Natur und Gesellschaft zu reifizieren (vgl. Kropp 2002: 172f). Da meine Arbeit nicht den Fokus hat, unterschiedliche theoretische Ansätze untereinander abzuwägen, sondern gegenstandsbezogene Theorie auf Basis einer kritischen Perspektive auf gesellschaftliche Naturverhältnisse zu generieren, räume ich der Diskussion unterschiedlicher vermittlungstheoretischer Positionen keinen breiteren Raum ein. 12 In der sozial-ökologischen Forschung greifen die Autor*innen, auf die ich mich beziehe, Haraways Konzept des situierten Wissens explizit auf. (vgl. Becker/Jahn 2006: 13, Kropp 2002: 177ff)
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Natur“ (Becker/Jahn 2006: 51). Ein Blick auf das Feld der Umweltbewegung(en) und neuen sozialen Bewegungen zeigt, dass es sich um ein heterogenes Feld handelt, in dem es eine Vielfalt von Orientierungen und Zielen, Praktiken und Organisationsformen gibt (Radkau 2000; 2011). 13 Der Historiker Radkau zeigt, dass der Umweltbewegung keine übergreifende Systemlogik innewohnt; sie entwickelte sich in den letzten 40 Jahren „in Mäandern“ (Radkau 2011: 10). Es ist genau genommen unmöglich, die Umweltbewegung zu beschreiben. Es gibt eine Vielzahl von Geschichten und Ansätzen: „Aus Ökologie als solcher ergibt sich kein eindeutiger konkreter Imperativ (obwohl immer wieder dieser Eindruck erweckt wird).“ (Radkau 2011: 166). Zu problematisieren ist, wie vielfältig und unscharf die Begriffe Umwelt-, Natur- und Klimaschutz im „Zeitalter der Ökologie“ verwendet werden. Sie erweisen sich als so kontextabhängig und wandelbar, dass Umweltschutz als „Chamäleon environmentalism“ zu bezeichnet ist (Radkau 2011: 16ff; 613). Unterschiedliche Umweltverbände und Initiativen haben sich in unterschiedlichen historischen Kontexten entwickelt, ihre Motivation, Deutungsfiguren und Praktiken sind davon auch in der Gegenwart geprägt (vgl. Radkau 2011: 583; 609ff; 624f, s. 4.1). Die Umweltbewegung – als Sammelbecken unterschiedlicher Strömungen geht in weiten Teilen von einem Dualismus von Natur und Gesellschaft aus und folgt einer essentialistischen bzw. naturalistischen Perspektive auf Umwelt-Gesellschafts-Beziehungen (Radkau 2011, Mölders et al. 2004, Becker/Jahn 2006, Kropp 2002). Umweltschützer*innen verstehen sich oft als Fürsprecher*innen der Natur. Es ist jedoch eine heikle Frage, wer „für die Natur“ sprechen darf und ökologische Imperative vorgeben kann. Wer tritt aus welchen Gründen als Anwältin der Natur auf und wie legitimiert er/sie sich (Haraway 1995: Monströse Versprechen, 44ff; Mölders et. al 2004)? Hinter jeder Positionierung stehen eigene Schwerpunktsetzungen und Interessen. Die Bewertungskriterien für Natur-/Umweltschutz bleiben meist implizit, denn „in Sachen Umwelt [werden] oft existentielle Notwendigkeiten mit Fragen des persönlichen Geschmacks vermengt“ (Radkau 2000: 33). Der Umweltbewegung wohnt keine übergreifende Systemlogik inne, deshalb sind Prioritätsprobleme und Widersprüche charakteristisch. Entstanden aus „einem gesammelten Unbehagen“ (Radkau 2000: 306), will sie die Interessen der Sphäre der Natur stark machen. Welche Prioritäten „die Natur“ setzt, ist die
13 Ich verwende den Begriff „Umweltbewegung“ im Singular. Bei genauerer Betrachtung erweist sich diese Sammelbecken unterschiedlicher Strömungen (Radkau 2011, Eckert 2016, Niebert 2016). In meinem Forschungsprojekt erweist sich die Zugehörigkeit zu Umweltverbänden und Netzwerken als wesentlich, weshalb ich die Singularform für treffender halte.
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Frage. Die Umweltprioritäten variieren selbst innerhalb von Europa entsprechend landestypischer Problemstellungen: In Spanien sorgt Wassermanagement für Konflikte, dafür ist Biodiversität aufgrund der eher dünnen Besiedlungen kein Thema, anders als in dicht besiedelten Gebieten, wie dem Ruhrgebiet. In Italien geht es um den Schutz alter Kulturlandschaften und nicht um Wildnis, während in Russland Waldschutz keine Priorität hat, sondern Gewässerschutz (vgl. Radkau 2011: 176f). In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Gefährdung des Klimas durch den Treibhauseffekt als Priorität durchgesetzt (vgl. Radkau 2011: 580). Anders als andere Gefährdungen (wie Atomkraftwerke) hat Klimawandel viel weniger einen konkreten Ort, was sich als Hindernis für die Organisation von Protestaktionen erweist (Radkau 2011: 580f). Was das für Umwelt- bzw. Klimaschutzstrategien bedeutet, ist damit noch nicht gesagt. Konzeptuell betrachtet liegt der Ökobewegung eine naturalistische Basis zugrunde. Die belegt z. B. der BUND-Vorsitzende 1980 mit dem Ausspruch, Naturschutz baue „auf unverrückbaren ökologischen Grundgesetzen“ (zit. nach Radkau 2000: 308). Diese Position beinhaltet die Annahme, wir könnten aus Erkenntnissen aus der ökologischen Forschung Gesetze mit Handlungsanweisen entnehmen, die unverrückbar, also ohne historisch-kulturelle Prägung gelten würden. Ausgehend von der normativen Perspektive, dass Gesellschaften angesichts der ökologischen Krise radikal umstrukturiert werden müssen, rekurriert die Ökobewegung auf Modelle und Metaphern aus der wissenschaftlichen Ökologie, z. B. auf ein „natürliches Gleichgewicht“ und „ökologische Grenzen“ (vgl. Kropp 2002: 246). Argumentativ mischen sich naturwissenschaftliche Thesen, aus der Naturromantik abgeleiteten Vorstellungen von der Natur als höherem Wesen und popularisierte Schlagworte wie „nature knows best“ (vgl. Lange 2011: 25, Kropp 2002: 58, Radkau 2011: 264). Zudem wird – von Seiten der marxistisch und essentialistisch geprägten Politischen Ökologie – der Eigenwert der Natur betont: Umweltethik soll so formuliert werden, dass die „anthropozentrische Begründungsstruktur bisheriger Naturschutzansprüche so korrigiert werden soll, dass der Natur ein von Menschen unabhängiger Eigenwert (intrinsic value) zuerkannt wird. … Sind die Eigenwerte der Natur und ihrer Funktionsbedingungen erst einmal formuliert, werden sie dann der Gesellschaft zu gefälligen Berücksichtigung diktiert“ (Kropp 2002: 58).
Die Umweltethik systematisiert normative Positionierungen, indem sie zwischen biozentrischen und anthropozentrischen Argumentationssträngen unterscheidet (Ott 2010, Radkau 2011). Innerhalb der biozentrischen Ethik gibt es unterschiedliche Ansätze. Während die Tiefenökologie (De Jonge 2017, Lynch/Norris 2016,
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Macy 2013) das gesamte Ökosystem für schützenswert erachtet, fordern andere Argumentationen, nur auf leidensfähige Lebewesen Rücksicht zu nehmen (Ott 2010). Die eudämonistische Ethik dagegen hält die Natur für schützenswert in Hinblick auf das Glück, das Menschen im Naturerleben finden (vgl. Ott 2000 und 2010, Krebs 1997). Darüber hinaus gibt es antispeziezistische Positionen, die die Trennung in menschliche und nicht-menschliche Lebewesen ablehnen und dafür plädieren, den Begriff „Umwelt“ durch „Mitwelt“ (Meyer-Abich 1997) bzw. „naturecultures“ (Haraway: 2003) zu ersetzen. In der Umweltbewegung gibt es ein breites Feld an umweltethischen Positionierungen, die von radikal biozentrisch bis gemäßigt anthropozentrisch gehen (Radkau 2011). Radikal biozentrische Positionen fordern: „Der Mensch hat zurückzutreten, wenn es um das Überleben der Natur geht.“ (Foreman 1985, zit. nach Radkau 2011: 431). Anthropozentrisch sind dagegen Konzepte, die den Schutz von Menschen in den Vordergrund stellen, z. B. das Konzept Nachhaltiger Entwicklung (Radkau 2011, Ott/Döring 2008, Renn et al. 2007). Ursprünglich hat die Umweltbewegung das Konzept einer „idealen urtümlichen Lebensgemeinschaft zwischen Mensch und Natur im Herzen“ (Radkau 2000: 308). Hinzu kommt eine emotional geprägte Komponente: „Bei aller Berufung auf ökosystemare Zusammenhänge enthält doch jene Natur, um die es der Öko-Bewegung geht, in ihrem Innern vieles von der alten Göttin Natura, die man lieben und mit der man in der Phantasie Zwiesprache halten konnte. Das verrät sich in Leitbildern wie ‚Frieden mit der Natur!‘“ (Radkau 2000: 309)
Die aktuelle ökologische Wissenschaft dagegen demontiert nicht nur das alte Ideal einer „unberührten Natur“, sie macht eine Positionierung des eigenen Standorts notwendig: „Die ökologische Wissenschaft im strengen Sinne bietet weder eine Basis für Werturteile noch für Aktionsprogramme. Wenn alles mit allem zusammenhängt, jedes Handeln unbeabsichtigte Nebenwirkungen hat, die Natur auch ohne menschliche Einwirkungen in stetem Wandel ist und wir die unendliche Welt der Mikroorganismen ohnehin nicht auch nur annähernd überschauen: Woher bezieht da ein Öko-Prophet seine Autorität, wenn er mit düsterer Miene und dröhnender Stimme zur Buße ruft?“ (Radkau 2011: 582)
Eine solche Positionierung meines eigenen Standorts nehme ich im folgenden Kapitel vor.
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1.3 THEORETISCHER RAHMEN 1.3.1 Theoretische Positionierung Ich verstehe mein Forschungsprojekt als Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Forschung zu Klimawandel und Klimaschutz, die unabhängig von geplanten Drittmittelprojekten steht (vgl. Voss 2010: 22). Wie im letzten Kapitel angerissen, kann Klima- und Umweltschutz nicht auf objektive, unverrückbare Kriterien bauen. Er muss eine normative Komponente und Positionierung einbeziehen. Da das sozialwissenschaftlich erarbeitete Wissen in Diskurse und Wissensbestände eingeht, ist die Wahl des Forschungsgegenstands zugleich eine politisch-strategische Entscheidung: „Die Sozialwissenschaften sollten … ihre eigene Rolle in der Klimawandelforschung reflektieren, denn das von ihnen erarbeitete Orientierungswissen ist immer auch Verfügungswissen für andere, zu deren instrumentellem Gebrauch.“ (Voss 2010: 23) Die Wahl meines Forschungsgegenstands geht aus einer solchen Reflexion hervor: Ich will Wissensbestände generieren, die die gängigen Foki der naturwissenschaftlichen Klimaforschung und der Umweltbewusstseinsforschung kritisch aufarbeiten und ergänzen. Der Diskurs um Klimawandel und Klimaschutz weist eine starke Verengung auf. Mit meinem Forschungsprojekt will ich einen Beitrag leisten, die impliziten Logiken sichtbar zu machen, die diese Verengung verursachen und sie mit erweiterten Deutungsfiguren kontrastieren. Ich nehme zwei Kritikstränge auf, um diese Verengung sichtbar zu machen und Alternativen vorzuschlagen: die Kritik an machtförmiger Unterscheidung zwischen Umwelt und Gesellschaft und die geschlechtliche Codierung dieser Unterscheidung, die zur Abwertung von Strukturen und Praktiken führt, die als sozial weiblich codiert werden (s. 1.3.2). Ich verorte mein Forschungsprojekt im Rahmen der sozial-ökologischen Forschung, die einen „gesellschaftskritischen Grundimpuls“ setzt, indem sie machtförmige Unterscheidungspraktiken einer Kritik zugänglich macht (Becker/Jahn 2006: 23) Mit dem Schwerpunkt auf die Rekonstruktion von Deutungsfiguren, Praktiken und Orientierungsmuster nehme ich eine wissenssoziologische Perspektive ein, der eine konstruktivistische Perspektive zugrunde liegt (s. 1.4). In Abgrenzung zu rein konstruktivistischer Sozialforschung betrachte ich jedoch unterschiedliche Deutungsfiguren von Umwelt-Gesellschafts-Beziehungen nicht als völlig wertneutral, sondern positioniere mich als engagierte Forscherin, die Konzepte und Perspektiven für eine sozial-ökologische Transformation stark machen will. Ich gehe von der These aus, dass es keine neutralen, objektiven Wissensbestände und Positionen gibt,
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auch nicht für Forscher*innen, sondern dass wir stets situiertes, interessengeleitetes Wissen produzieren (Kropp 2002, Haraway 1995b): „‚Wissenschaftliches Wissen‘ bezeichnet nicht länger eine ‚Wahrheit‘, ausgesprochen von anonymen, objektiven Experten, sondern eine aus perspektivischen und benennbaren Standpunkten abgegebene Beschreibungen der Welt, die aus anderer Perspektive anders aussähe.“ (Kropp 2002: 177)
Deshalb ist eine Positionierung der eigenen Wissensproduktion und normativer Perspektiven wesentlich (Haraway 1995b).14 Meine engagierte Forschung verstehe ich im Anschluss an Haraway als „being inside history as well as being inside the wonder of the natural complexity“ (Haraway 2000: 26). Biographisch verorte mich als Kind der Umweltbewegung, analog zum „Bekenntnis“ des Umwelthistorikers Radkau, das er seiner Erforschung der „Ökologie-Bewegung“ vorweg stellt: „Um mit einem Bekenntnis zu beginnen: Als Anfang der 1970er Jahre die ersten ‚Umwelt-Initiativen‘ … aus dem Boden schossen, empfand ich schon bald: ‚Das ist meine (Hervorhebung im Original, J.L.K.) Bewegung!‘ “ (Radkau 2011: 7) Durch Elternhaus und soziales Milieu geprägt habe ich bereits als Kind, in den 1980er Jahren, an Umweltschutzaktionen teilgenommen, sei es dem Protest gegen Atomkraft oder der Gestaltung von begrünten Schulhöfen und -gärten. Umweltengagiert zu sein verstand ich als selbstverständlich. Seit dem Alter von elf Jahren bin ich in verschiedenen Initiativen und Netzwerken aktiv, die sich auf lokaler Ebene für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen. Die biographische Prägung impolitischen Öko-Milieu erforderte eine wissenschaftlich-professionelle Distanzierung und eine Neubestimmung meines Weltbildes.15
14 Haraway spitzt dies folgendermaßen zu: „Geschichte ist eine Erzählung, die sich die Fans westlicher Kultur gegenseitig erzählen, Wissenschaft ist ein anfechtbarer Text und ein Machtfeld, der Inhalt ist die Form. Basta.“ (Haraway 1995b: 75) 15 Eine ähnliche Erfahrung beschreibt mein Kollege Till Westermayer, der jedoch, anders als ich, sein Umweltengagement in der grünen Partei verortet: „(Als Jugendlicher) musste ich nicht lange darüber nachdenken, ob »grün« für mich die richtige Farbe ist. Politik interessierte mich immer schon, meine Eltern sind aktive grüne Gründungsmitglieder, ich war auch als Kind schon bei Infoständen oder auf Demos dabei, und natürlich wollte ich die Welt retten. Da lag die Entscheidung für ‚grün‘ ziemlich nahe. […] Was richtig und was falsch ist, war oft selbstverständlich, und nur im Grad der Radikalität hinterfragbar. Parteipolitik war für mich zuerst sozialer Raum, und erst im zweiten Schritt kam so etwas wie professionelle Distanz dazu; ein
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Sozialwissenschaftliche, konstruktivistische Denkstile und tendenziell essentialistische Deutungsfiguren der Umweltbewegung ecken aneinander an. Sie zu einer engagierten wissenschaftlichen Position zu verbinden, heißt für mich, theoretische soziologische Perspektiven und alltagspraktische aktivistische Erfahrungen konstruktiv zu verschränken (Lay/Westermayer 2014). Aus dem Umweltengagement nehme ich die Überzeugung mit, dass es einen Handlungsbedarf gibt mit Blick auf gegenwärtige sozial-ökologische Krisen. Und dass es sich lohnt, für eine zukunftsfähige Welt zu kämpfen. Von in der Umweltbewegung gängigen dualistischen und essentialistischen Natur-Kultur-Konzepten grenze ich mich ab. Eine sozialkonstruktivistische Perspektive ermöglicht es, sämtliche Weltsichten und Deutungsfiguren als standortgebunden und interessengeleitet zu verstehen. So lässt sich erstens die gängige Logik von TINA („there is no alternative“) durchbrechen und Alternativen zu dominanten Wachstums- und Vernutzungslogiken aufzeigen (s. 1.3.2). Zweitens ermöglicht die konstruktivistische Perspektive einen kritischen Blick auf die Deutungsfiguren innerhalb der Umweltbewegung und macht sichtbar, dass auch diese standortgebunden und interessengeleitet sind. Eine Gleichgültigkeit gegenüber sozial-ökologischen Krisen wie Klimawandel, der u. a. den Verlust von Biodiversität und die Verschärfung von Lebensbedingungen rund um den Globus mit sich bringt, lehne ich ab. Eine sozialkonstruktivistische Perspektive bewahrt davor, Grenzwerte (z. B. im Kontext der Erderwärmung) für natürlich gegeben zu halten (Brunnengräber 2008, Brunnengräber/Dietz 2013, Voss 2010). Aus engagierter Perspektive steht jedoch außer Frage, dass wir auf einem endlichen lebendigen Planeten mit endlichen Belastungsgrenzen leben, auch wenn die genaue Einschätzung von Grenzwerten etc. interessengeleitet und damit nicht objektiv feststellbar ist. Wann Grenzwerte überschritten sind, ist diskursiv ein Stück weit verhandelbar, aber nicht willkürlich und auch nicht unabhängig von materiell-stofflichen Gegebenheiten (s. 6). Bei Zielkonflikten im Kontext sozial-ökologischer Kontroversen werden immer auch moralisch-normative Fragen aufgeworfen. Ich vertrete die Position, dass diese diskursiv geklärt und nicht ontologisch oder ethisch vorweg entschieden werden können (vgl. Becker/Jahn 2006: 92). Somit rückt die aus meiner Sicht zentrale Aufgabe in den Mittelpunkt: ein kollektiver Aushandlungsprozess darüber, was für uns als Gesellschaft, in Deutschland, in Europa, im Globalen Norden, gutes Leben bedeutet und wie wir gesellschaftliche Naturverhältnisse ge-
Lernprozess, der nicht immer ganz einfach war.“ (Westermayer 2016: Nachdenken über Parteien I, Blogeintrag vom 8.10.2016, s. http://blog.till-westermayer.de/ index. php/2016/10/08/nachdenken-ueber-parteien-teil-i/).
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stalten wollen (s. 6.). Welche Umwelt, welches Klima wollen wir schützen und zu welchem Preis? Wieviel sind uns unsere aktuellen Lebensstile, Produktionsund Konsummuster wert, wenn sie in Konflikt geraten mit der (Dys-)Funktionalität von sozial-ökologischen Systemen? Durch die Verschränkung von alltagspraktischen Erfahrungen und sozialwissenschaftlichen Theorien komme ich zu der Position, dass Umwelt- und Klimaschutz über die Reduktion bzw. Vermeidung von Schäden weit hinaus geht und an den Ursachen nicht-nachhaltiger Wirtschafts- und Gesellschaftsentwürfe ansetzen sollte (s. 1.3.2). Im Feld von Umwelt-Gesellschafts-Theorien vertrete ich eine vermittlungstheoretische Position (s. 1.2.). Mein Forschungsinteresse geht weg von rein theoretisch-ontologischen Diskursen hin zur Frage nach den Konsequenzen, die unterschiedliche Rahmungen von Gesellschaft und Umwelt, Umwelt- und Klimaschutz haben für kollektive Gesellschaftsentwürfe, Praktiken und Strukturen (Kropp 2002).16 Um Umwelt- und Klimaschutz aus der gängigen konzeptuellen Verengung heraus zu holen, ist eine Kritik von dominanten gesellschaftlichen Naturverhältnissen und Geschlechterverhältnissen nötig (s. 1.3.2). Erst dadurch erschließt sich ein Handlungsraum, der eine sozialökologische Transformation hin zu einer zukunftsfähigen Welt möglich macht (s. 6). Eine ähnliches Deutungs- und Orientierungsmuster, die Gestaltungsorientierung, rekonstruiere ich im empirischen Teil, im Kontrast zu einer Protestorientierung (s. 2. und 3.) Meiner persönlichen Erfahrung nach ist langjähriges Umweltengagement jedoch nie nur protest- oder gestaltungsorientiert, sondern richtet sich je nach aktueller politischer Lage und lokalem Kontext mehr in Richtung Protest gegen Problemstellungen oder Erschließung von Gestaltungsräumen aus. Es besteht eine biographische Nähe zwischen meinem empirischen Forschungsgegenstand und meinem Engagement: Ich untersuche die kollektiven Orientierungen von Jugendumweltgruppen zweier Umweltverbände. Als Jugendliche habe ich zeitweise an Jugendgruppen der gleichen Verbände teilgenommen. Als Forscherin nehme ich eine wissenschaftliche Distanz zu den Deutungen und Überzeugungen der Jugendgruppen ein, ich verstehe mich nicht als
16 Mit Kropp kritisiere ich „die kapriziöse Vorrangstellung der per se unabschließbaren Diskussion um den epistemologischen Status von ‚Natur‘ in der Umweltsoziologie“ als fatal gegenüber der Herausforderung, sozial-ökologische Krisenerscheinungen zu erfassen und zu bearbeiten: „Sinnvoller erschiene es, prinzipielle Fragen nach der Objektivität (wissenschaftlicher) Beschreibungen von ‚Natur‘ zurückzustellen und stattdessen nach den Konsequenzen verschiedener Beschreibungen zu fragen.“ (Kropp 2002: 175)
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deren wissenschaftliche Vertreterin.17 Durch eine wissenssoziologische Perspektive lenke ich den Blick darauf, wie Jugendumweltgruppen Wirklichkeit konstruieren und welche Orientierungsmuster ihren konjunktiven Erfahrungsraum prägen (s. 1.4). Engagierte Forschung zu betreiben bedeutet für mich, einem bislang wenig belichteten Feld mit sozialwissenschaftlichen Methoden Aufmerksamkeit zu schenken und dabei ergebnisoffen auf meinen Forschungsgegenstand zu schauen, statt Beweise für normativ erwünschte Ergebnisse zu suchen (vgl. Lay/Westermayer 2014: 1f, Hirschauer/Amman 1999: 497). Für den empirischen Teil dieses Forschungsprojekts wähle ich mit der Dokumentarischen Methode eine qualitativ-rekonstruktive Methode, die sowohl meiner eigenen normativen Positionierung, als auch der Normativität des Forschungsfelds Rechnung trägt. Ich produziere gegenstandsbezogene Theorie zu Klimawandel- und Klimaschutzkonzepten, die die Lücke zwischen theoretischen Perspektiven und empirischen Studien schließt. Erst im letzten Kapitel nehme ich eine normative Perspektive ein und stelle dar, wie meine Ergebnisse für Klimaschutz(aktivismus) fruchtbar werden können. 1.3.2 Konzeptionelle Kritik an der doppelten Verengung von Klimawandel und Klimaschutz Die Thematisierung von Klimawandel und Klimaschutz im öffentlichen, medialen wie wissenschaftlichen Diskurs weist eine starke Verengung auf: technische und makropolitische Lösungsoptionen stehen im Vordergrund (Brunnengräber 2008, Beck et al. 2013, Lucas/von Winterfeld 2015). Da Klimaschutz als Umweltproblem kategorisiert wird, werden die gesellschaftlichen Ursachen von Klimawandel verdrängt sowie Lösungsansätze, die gesellschaftliche Strukturen adressieren. Auf welche Phänomene, Problemstellungen und Lösungsansätze die Klimaforschung ihren Blick richtet, ist weitgehend an politische Interessen gebunden und von Drittmittelgebern bestimmt. „Können sich Gesellschaften unter diesen Rahmenbedingungen darauf verlassen, das ‚Richtige‘ zu beobachten, wenn sie sich doch, wie es zumindest scheint, immer weniger an der Welt in ihrem So-Sein abarbeiten, sondern entlang ökonomischer, politischer und technologischer, also innergesellschaftlich generierter Entwicklungsdynamiken und Pro-
17 Damit grenze ich mich ab von Fischer (2002) und Jütting (1998), die in ihren Dissertationen zu Jugendumweltverbänden keine klare Distanzierung vornehmen.
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gramme, die gleichermaßen einengen, was Gesellschaften sehen wollen, wie sie Pfade vorzeichnen, wie Gesellschaften das Gesehene bewältigen wollen?“ (Voss 2010: 22)
Ist es möglich, dass die Industrienationen des Globalen Nordens im heutigen 21. Jahrhundert nicht in der Lage sind, die gegenwärtigen Entwicklungen – von ständig steigendem Ressourcenverbrauch, Bevölkerungsentwicklung, Überschreitung von planetarischen Belastungsgrenzen und daraus folgender sozialökologischer Krisen – angemessen wahrzunehmen und zu deuten, weil die historisch formierten kollektiven WahrnehmungsDeutungs- und Problemlösungsformen den Entwicklungen hinterherhinken (vgl. Welzer et al. 2010: 8, Steffen et al. 2015, WBGU 2014)? Aus Perspektive der sozial-ökologischen (Gender)Forschung ist diese Verengung kritikwürdig (Becker/Jahn 2006, Brunnengräber 2008, Hofmeister/Weller 2004, Biesecker/Hofmeister 2006 und 2008, Becker/Jahn/Hummels 2011). Denn die Beschränkung von Lösungsoptionen ist machtförmig geprägt und wurzelt in der Konstruktion von Dualismen und Hierarchien. Erstens die dualistische Trennung zwischen Natur und Kultur, die als „Leitsemantik des abendländischen Selbstverständnisses“ (Becker/Jahn 2006: 175) jegliche Thematisierung von gesellschaftlichen Naturverhältnissen prägt. Zweitens die Konstruktion von Geschlechterverhältnissen entlang dieses Dualismus, die zu einer Abwertung der als sozial weiblich etikettierten Sphäre führt (vgl. Becker/Jahn 2006: 224-228) sowie zur Unterschlagung reproduktiver Arbeit (Biesecker/Hofmeister 2006 und 2008). Erstens: Zu kritisieren ist das dominante Problemverständnis, das Klimawandel nicht als sozial-ökologisches Krisenphänomen, sondern als ökologisches Problem kommuniziert, dass ökonomisch zu integrieren ist (Adler/Schachtschneider 2010, Leggewie/Welzer 2009, Radkau 2011, Brunnengräber 2008). Dies führt dazu, dass sich die Frage nach der Problemwahrnehmung in Bezug auf Klima – unter Berücksichtigung des sozialen Konstruktionspotentials des Klimawandels – „zur Frage nach dem jeweiligen Naturbild, Gesellschaftskonzept und den Interessen- und Wertpräferenzen“ entwickelt (Brunnengräber 2008: 82). Die Zuordnung von Klimawandel als Umweltproblem erweist sich als folgenschwer. Die Begriffe „Umwelt“ und „Natur“ sind in spezifischen historischen Kontexten populär geworden und in spezifische Sprach- und Deutungsfiguren eingebunden. (vgl. Radkau 2011: 16ff). Bereits im deutschen Begriff „Umwelt“ manifestiert sich die historisch verankerte Ausgliederung von Umwelt aus der Welt, als etwas, das sie umgibt, ebenso im englischen und französischen Begriff „environment“ (vgl. Lay-Kumar 2016: 69; Becker/Jahn 2006: 55). Ein objektivistischer Umweltbegriff ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht kritikwürdig:
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„In dem Maße, wie sich die Vorstellung einer objektiv zu beschreibenden Umwelt in der Wissenschaft und auch in der Ökologiebewegung durchsetzt, geht die biotheoretische und anthropologische Einsicht verloren, dass sich die reflexiv zugänglichen Weltbeziehungen der Menschen nicht in gleicher Weise als artspezifische Umwelt fassen lassen wie bei den Tieren.“ (Becker/Jahn 2006: 147f)
Dem modernen global nördlichen Weltbild nach konstituiert das Handeln der Menschen die Gesellschaft als einen Realitätsbereich jenseits der Natur (Becker/Jahn 2006: 41). Die machtförmige Unterscheidung zwischen der „ewigen Natur“ und der „geschichtlichen Welt der Menschen“, der Kultur ist philosophisch durch Dualismen aufgeladen (vgl. Becker/Jahn 2006: 39; 175). Natur wird als Antithese zu Gesellschaft gebildet und lebt von Entgegensetzungen, wie natürlich vs. gesellschaftlich, natürlich vs. technisch und natürlich vs. zivilisiert (vgl. Kropp 2002: 98). Das Selbstverständnis modernen Gesellschaften beinhaltet implizit, dass sie sich von Einschränkungen und Bedrohungen „der Natur“ durch wissenschaftlich-technische Errungenschaften emanzipiert haben (vgl. Latour 1995: 130ff, Kropp 2002: 37, Stengel 2011). Natur wird entweder als schön und niedlich gedacht, wir denken an Bambi oder die Schwarzwaldidylle, oder als bedrohlich und unberechenbar, wie Taifune, Vulkanausbrüche und Virus-Epidemien. „Die Basisunterscheidung zwischen Natur und Gesellschaft erfolgt immer in Diskursen, in denen verschiedene Bilder der Natur oszillieren und in denen mit diesen Unterscheidungen zugleich Bewertungen und Hierarchisierungen vorgenommen und Begründungen für normative Naturvorstellungen geliefert werden.“ (Becker/Jahn 2006: 25)
Es handelt sich jedoch nicht nur um eine historisch formierte Unterscheidung, sondern um einen hierarchisch strukturierten Dualismus, der zulasten der als „Natur“ etikettieren Strukturen und Funktionen sozial-ökologischer Systeme geht (Becker/Hummel/Jahn 2011, Hofmeister/Mölders 2006). Die kollektiven Deutungsfiguren, die die Trennung und Hierarchie von Natur und Gesellschaft als selbstverständlich erscheinen lassen, sind eine der Ursachen dessen, was als „ökologische Krise“ bezeichnet wird (Leggewie/Welzer 2009, Welzer et al. 2010, Adler/Schachtschneider 2010, Hofmeister/Mölders 2006). Werden Natur und Gesellschaft als getrennte Sphären betrachtet, so fallen Schäden, die im Bereich der Gesellschaft verursacht werden (z. B. CO2-Emissionen, Wasserverschmutzung, saurer Regen, Bodendegradation), nicht mehr in die Sphäre, in der sie entstanden sind, sondern gehören zur Sphäre der Natur. Der Hierarchisierung
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von Natur und Kultur folgend, bekommen Schäden bzw. Schutzinteressen, die der Sphäre der Natur zugeordnet werden, einen untergeordneten Stellenwert zugewiesen. In diesem Sinne ist der Dualismus zwischen Natur und Gesellschaft handlungsleitend für Schadensereignisse aller Art und führt dazu, dass Naturrisiken an zuständige Abteilungen übertragen werden, statt mit gedacht und berücksichtigt zu werden (vgl. Leggewie/Welzer 2009: 32, Lay-Kumar 2016: 69f). Umweltschutz wird damit aus dem Kernbereich von Gesellschaft ausgelagert und Problemlösungen nicht dort gesucht, wo die Schädigungen entstehen, sondern es werden nur Schäden repariert oder vermindert. Umweltschutz bleibt damit blass und kraftlos (vgl. Lay-Kumar 2016: 68-72). Eine analoge Problematik trifft auf Klimaschutz zu. Doch ehe ich diese aufzeige, zeige ich mit dem zweiten Kritikstrang, dass Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Klimaschutz nicht nur durch die machtförmige Einteilung in Natur und Gesellschaft eingeengt werden. Zweitens: Sozial-ökologische Krisenphänomene wie Klimawandel werden dadurch verschärft, dass nicht nur hierarchisch zwischen Interessen von Natur und Gesellschaft unterschieden wird. Sondern auch dadurch, dass Problemstellungen, die als sozial weiblich codiert werden, entsprechend einem historisch ausgebildeten Schema eine nebensächliche oder untergeordnete Rolle zugewiesen bekommen (Becker/Jahn 2006, Hofmeister/Katz 2011). Dies betrifft sowohl die Problembeschreibungen, als auch Lösungsoptionen. „Das Vorrangigstellen und Abwerten betreffen dabei die mit der Natur-Kultur-Differenz verbundenen und geschlechtsspezifisch symbolisierten Basisunterscheidungen moderner westlicher Gesellschaften: dass öffentliche und wirtschaftliche Belange und Personen wichtiger sind als private, dass Produktions- und Technikbelange Vorrang haben vor Reproduktionsbelangen, dass bezahlte Arbeit mehr wert ist als unbezahlte Arbeit etc. Werden gemäß diesem Schema Problemdefinitionen getroffen, dann sind in gewissem Sinne die Problemlösungen bereits präjudiziert.“ (Becker/Jahn 2006: 228)
Ein kritischer Blick auf Geschlechterverhältnisse weitet somit die Perspektive auf sozial-ökologische Problemsichten und Lösungsoptionen. So interessieren im Kontext von Klimawandel und Umweltschutz folgende Fragen: Wie ist die Problemstellung Klimawandel gerahmt? Welche Disziplinen gelten als vorrangig für die Produktion von relevantem Orientierungs- und Transformationswissen? Gibt es Muster des Priorisierens und Abqualifizierens von Lösungsansätzen, die entlang geschlechtlich codierter Sphären und Strukturen verlaufen (vgl. Becker/Jahn 2006: 228)? Die kritische Beschäftigung mit der Bedeutung von
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Geschlechterverhältnissen in der Umweltforschung lässt sich bis in die 1970er Jahre zurück verfolgen (vgl. Weller 2004: 11). Die Natur-Kultur-Unterscheidung ist „als zentrale Ordnungskategorie des hegemonialen westlichen Denkens […] selbst geschlechtlich codiert“ (Becker/Jahn 2006: 227). Sie ist historisch gewachsen und führt zu einer Codierung von Personengruppen und Strukturen als männlich oder weiblich (vgl. Becker/Jahn 2006: 227f, Hofmeister/Katz 2011: 376). „Das Gegensatzverhältnis Kultur vs. Natur in der Verschränkung mit männlich vs. weiblich bildete in den abendländischen Kulturen durch Neuzeit und Moderne hindurch die Prämisse der Wissensgenerierung und Technikentwicklung, der Ökonomie und Politik.“ (Hofmeister 2007: 22) Mit dieser Unterteilung geht eine implizite Hierarchie einher, die als männlich codierten Strukturen oder Aktivitäten eine höhere Relevanz zuspricht, während als weiblich codierte Aktivitäten und Strukturen abgewertet und/oder unterschlagen werden. Mit der Konstruktion einer Trennung in die Sphären der Natur und der Kultur wird ein hierarchisches Bewertungsschema angelegt, dass als „natürlich“ und „weiblich“ etikettierte Strukturen abwertet und unterschlägt (Becker/Jahn 2006, Biesecker/Hofmeister 2008, Hofmeister/Mölders 2006). Im Kontext von Umweltschutz besteht die Gefahr, dass analog zu dieser Schematisierung die als „natürlich“ oder „weiblich“ codierten Strukturen bei Problemlösungsoptionen nicht berücksichtigt werden (vgl. Becker/Jahn 2006: 228). In Bezug auf sozialökologische Problemstellungen wie Klimaschutz bietet die Reflexion auf Geschlechterkategorien einen Indikator, ob auch gesellschaftliche Teilbereiche, die der Sphäre des Privaten zugeordnet werden, in die Problemlösung integriert werden, oder ob diese auf die Sphäre politischer und technischer Lösungen limitiert sind (vgl. Becker/Jahn 2006: 227ff). Eine genderkritische Analyse des Diskurses um Klimawandel und Klimaschutz steht bislang noch weitgehend aus – und kann in dieser Arbeit nur angerissen werden (Weller 2014, 2015a). Eine kritische Betrachtung des Diskurses um Nachhaltige Entwicklung hat dagegen bereits Tradition (Hofmeister/Weller 2004; Biesecker/Hofmeister 2006). Da es starke Analogien zwischen den Diskursen und Strategien gibt, stelle ich die konzeptionelle Kritik zu Nachhaltiger Entwicklung hier vor. Grundsätzlich ist zu kritisieren, dass Nachhaltigkeit oft als Umweltthema- und damit außerhalb der Sphäre der Gesellschaft gedacht wird. Dabei geht es grundlegend um die Frage, welche Strukturen und Aktivitäten als wertvoll und wichtig angesehen werden. Auf was bezieht sich Nachhaltige Ent-
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wicklung?18 Herrschaftsverhältnisse sind in die Logiken unserer ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen eingeschrieben. Ohne diese grundsätzlich zu kritisieren und zu verändern, ist keine Nachhaltigkeit – und auch kein effektiver Klimaschutz – möglich, so meine These. „Während die produktive Sphäre gesellschaftlicher Entwicklung mit Erwerbsarbeit, öffentlichem Raum, marktökonomisch vermittelten Prozessen und kultureller Männlichkeit verbunden wird, wird im Gegensatz dazu die ‚reproduktive‘ Dimension gesellschaftlicher Entwicklung mit (unbezahlter) Versorgungs- und Familienarbeit, Privatheit und kultureller Weiblichkeit verknüpft.“ (Hofmeister/Weller 2004: 5)
Ein Blick auf ökonomische Konzepte ist hilfreich, um die geschlechtlich codierten Sphären, Hierarchien und potentielle Lösungsoptionen sichtbar zu machen (vgl. Biesecker/Hofmeister 2006, Hofmeister/Mölders 2006). Die dominante ökonomische Wissenschaft stützt sich auf ein der Theoriebildung vorgelagerten Weltverständnis, das „ökologische Natur und soziale Lebenswelt mit der Versorgungsökonomie […] außerhalb dieser (Markt-)Ökonomie [verortet, als ...] unhinterfragte Voraussetzungen“ (Biesecker/Hofmeister 2003: 123). Wenn Wohlstand mit ökonomischem Wachstum gleichgesetzt wird und dieses mit einem Wachstum der Gewinne, die aus produktiver Arbeit abgeschöpft werden, dann ergibt sich aus dieser Ausgrenzung eine Schieflage, die Nachhaltigkeit unmöglich macht. Die mangelnde Wertschätzung reproduktiver Arbeit und Strukturen ist eine der Ursachen für die sozial-ökologische Krise, so die feministische Kritik (Biesecker/Hofmeister 2003, 2006). So wird reproduktive Arbeit nicht in die Preisbildung eingerechnet. Scheinbar billige Preise für Konsumgüter haben jedoch hohe verdeckte Kosten, z.B. die Ausbeutung von billigen Arbeitskräften im Globalen Süden und die Entstehung riesiger Müllberge (Carolan 2014). Doing gender bedeutet hier, zwischen wertvoller produktiver und unsichtbarer reproduktiver Arbeit hierarchisch zu trennen und als sozial weiblich codierte Arbeit auszubeuten (Schäfer et al. 2006). Übertragen auf die planetaren Ökosysteme bedeutet dies, die Produktivkräfte der Erde in Form von Ressourcen abzuschöpfen, ohne sie (monetär) in Wert zu setzen und der Regeneration Aufmerksamkeit zu schenken (Biesecker/Hofmeister 2003: 127f). Moderne Industriegesellschaften bedienen sich der planetaren Ökosysteme, die als „Um-Welt“ konzeptionalisiert werden, mit Selbstverständlichkeit als Rohstoffquelle und
18 M. E. schließt auch die Kritik am Ziel der Nachhaltigen Entwicklung oder Entwicklung daran an, dass nur die Entwicklung von als männlich codierten Strukturen berücksichtigt wird (Latouche 2009, D‘Alisa et al. 2016).
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Abfallsenke, während der Wert reproduktiver bzw. regenerativer Tätigkeiten unterschlagen wird (Biesecker/Hofmeister 2006, Lay-Kumar 2016). Diese Logik ermöglicht es z. B. private Mülltrennung oder Mehrweg-Getränkebecher als Umweltschutz, Klimaschutz oder sogar Nachhaltigkeitsstrategie zu loben, ohne die Müllproduktion, sowie die Logiken, die sie erst hervor bringen, als Ansatzpunkt für Umweltschutz zu nehmen. Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsstrategien, die die Dynamik geschlechtlich codierter Ausgrenzung vernachlässigen, weisen damit einen blinden Fleck auf, der angemessene Lösungsoptionen unmöglich macht. So zementiert der Diskurs um Nachhaltige Entwicklung Machtbalancen, die ökologische und soziale Ausbeutung beinhalten (Biesecker/Hofmeister 2003, 2006, Adler/Schachtschneider 2010). Entsprechend liegt der Fokus auf der Produktion „ökologisch korrekter“ Waren und Effizienzstrategien, reproduktive Arbeit in Form sorgender und wiederherstellender Aktivitäten wird jedoch nicht beachtet. Diese verengte Problemsicht trennt z. B. Produktion und Konsum voneinander, so dass die Aufgabentrennung zwischen Produzent*innen und Konsument*innen bestehen bleibt. Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Produktionsbedingungen und Konsummustern, Rahmenbedingungen, Marktmechanismen und Lebensstilen bleiben unsichtbar (vgl. Hofmeister/Weller 2004: 13). Gleichzeitig werden Konsum und Privatsphäre als entscheidend für Veränderungen und Umstellung in Richtung Nachhaltigkeit präsentiert (vgl. Hofmeister/Weller 2004: 3). Zwar bekommt die als sozial weibliche codierte Sphäre damit mehr Aufmerksamkeit. Dies bedeutet jedoch nicht die Auflösung von Herrschaftsverhältnissen. Doch da im dominanten Bewertungsschema die sozial weiblich codierte Sphäre eine untergeordnete Rolle spielt, wird die Verantwortung für Nachhaltigkeit weggeschoben von politischen Entscheidungen und Produktionsbedingungen, in die vermeintlich weniger wichtige Sphäre des privaten, individuellen Konsums. Diese Akzentverschiebung verdeckt, dass Nachhaltigkeit bzw. gutes Leben keine Frage individueller Vorlieben ist, sondern eine Frage von Gesellschaftsentwürfen, die Produktion und Konsum, Öffentliches und Privates gleichermaßen betreffen (Grunwald 2010, Muraca 2015). In den hierarchischen Geschlechterverhältnissen verbergen sich Selbstverständlichkeiten, die einer sozial-ökologisch und gender-gerechten nachhaltigen Entwicklung entgegenwirken. Nachhaltigkeit ist reduziert auf einen „enge(n), erwerbsarbeitszentrierte(n) Blickwinkel, in dem abstrakt ökonomische Wachstumsziele und Effizienzkalküle die Perspektiven auf eine neue, vorsorgeorientierte Konzeption von Gesellschaft und Wirtschaft noch verstellen“ (Hofmeister/Weller 2004: 10). Die Überwindung von Herrschaftsverhältnissen und Ausbeutung gelingt nicht durch veränderte Konsummuster und nachhaltige Produk-
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te, sondern erfordert das Zusammendenken von produktiven und reproduktiven Aktivitäten und Strukturen (vgl. Biesecker 2014: 67ff, Hofmeister/Weller 2004, Biesecker/Hofmeister 2008, Stengel 2011). Nachhaltigkeit bedeutet mit dieser Perspektiverweiterung, „ökonomische Ziele wie Wachstum und Effizienzorientierung […] nicht mehr unhinterfragt zu übernehmen, sondern … Marktökonomien werden auf diese Weise in soziale, kulturelle und ökologische Kontexte eingebettet. Dies bedeutet, Alltagserfahrungen und Alltagsanforderungen als Ausgangspunkt der nachhaltigen Entwicklung von Gesellschaft zu nehmen. Dazu ist ein breiter gesellschaftlicher, partizipativ angelegter Diskussionsprozess erforderlich, im Rahmen dessen Lebensqualität vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Entwicklung ausbuchstabiert würde.“ (Hofmeister/Weller 2004: 15)
Im Kontext von Klimawandel bedeutet die zweifache machtförmige Verengung, dass naturwissenschaftliche Perspektiven und ökonomisch-technische Lösungsansätze dominieren. Darüber hinaus sind Unsicherheiten und Normativität im Begriff enthalten. Eine kritische Perspektive auf Klimawandel und Klimaschutz hat, so meine These, folgende drei argumentative Stolpersteine zu beachten. Erster Stolperstein: Der Begriff Klimawandel und die Einordnung als Umweltproblem. Durch die Einteilung in Natur- und Sozialwissenschaften schreibt sich die Dichotomisierung von Natur und Gesellschaft fort. Naturwissenschaftlich messbare Tatbestände werden von sozialwissenschaftlichen Analysen getrennt behandelt, Klimawandel erscheint als Umweltkrise (Voss 2010, Brunnengräber 2008, Welzer et al. 2010). Während die eine Seite unhinterfragt von „der Natur“ spricht, beachtet die andere oft nur „das Soziale“ (vgl. Brunnengräber 2008: 49f). Dabei gelten als sozial männlich codierte naturwissenschaftliche Modelle und Szenarien als Maßstab, der Problemsichten und Lösungsoptionen vorgibt. Das „Klimaproblem“ soll von spezialisierten Expert*innen wissenschaftlichtechnisch definiert werden, mithilfe von Simulationen und Modellen (Voss 2010). Aus diesen Modellen ergibt sich eine Auswahl an Handlungsmöglichkeiten. Dabei entsteht die Illusion, dass wenn „die Wissenschaft“ spricht, „die Natur“ spricht, dass es also eine neutrale und nicht standortgebundene Wissenschaft gäbe, die ohne Eigeninteressen forscht und Empfehlungen gibt (vgl. Kropp 2002: 247). Das naturwissenschaftlichen Modellen zugrunde liegende „physikalisch-objektivistische Erkenntnismuster“ ist keineswegs objektive Wahrheit, sondern historisch-kulturell eingebettet und verwoben mit spezifischen historischen und technologischen Entwicklungen (vgl. Voss 2010: 17, Lange 2011). Wenn sozialwissenschaftliche Forschung die Deutungsfiguren, die naturwissen-
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schaftliche Wissensbestände umschließen, fraglos übernimmt, reifiziert sie nicht nur die Trennung in vermeintlich objektive Naturwissenschaft und subjektive Sozialwissenschaft. Sie schwächt auch ihre eigene Rolle, wenn sie die Einordnung übernimmt von Klimawandel als Umweltproblem, das soziale Folgen hat (so diskutiert bei Welzer et al. 2010, Leggewie/Welzer 2009, Beyerl 2010, Schützenmeister 2010). Stattdessen lässt sich Klimawandel rahmen als Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse sowie Geschlechterverhältnisse (Brunnengräber 2008, Görg 2010). Bei Klimawandel handelt es sich um eine Problemstellung, die in Bezug auf ihre wissenschaftliche Erfassung und gesellschaftliche Umgangsweisen zahlreiche Unsicherheiten aufweist (von Detten et al. 2012). Eine Voraussage zukünftiger Klimaveränderungen über Modelle und Szenarien erscheint aus wissenssoziologischer Perspektive schwierig. Klimamodelle können dynamische, nichtlineare Systemveränderungen wie das Überschreiten von unbekannten kritischen Schwellenwerten nicht adäquat berechnen (vgl. Voss 2010: 17f, Brunnengräber 2008: 71, Faber/Detten 2013). Hinzu kommen die grundsätzlichen Schwierigkeiten, die Komplexität der Interaktion zwischen intensiver Rohstoff- und Landnutzung, steigenden Schadstoffemissionen und Habitaten, Ökosystemen und Klima, inklusive Rückkopplungseffekten, wissenschaftlich zu erfassen und zu beschreiben (vgl. Faber/Detten 2013: 8). Die Folgen heutiger Nutzung und Emissionen auf das Klima treten zeitlich verzögert auf, womit sich heutige Schädigungen erst in der Zukunft vollziehen werden (Voss 2010, Brunnengräber 2008, Welzer et al. 2010). Die Zukunft ist jedoch per se nicht berechen- oder voraussehbar. Somit versuchen Klimaprojektionen „in einer Art Ersatzrealität“ Zukunftsszenarien darzustellen (Voss 2010: 19). „‚Den‘ Klimawandel als eine vom Menschen unabhängige Positivität, die sich mit den Methoden und Instrumenten der Naturwissenschaften in der Welt ‚dort draußen‘ nachweisen ließe, kann es aus Sicht der Sozialwissenschaften nicht geben. Keine Tatsache in der klimawissenschaftlichen Diskussion besitzt eine Aussagekraft unabhängig von sozialdiskursiven Bezügen. Der Nachweis der statistisch signifikanten Korrelation zwischen dem Anstieg der CO2-Konzentration und äquivalenten Treibhausgasen und der GMT (globalen Mitteltemperatur, J.L.K.) erhält erst durch das Geschichts- und Kulturwesen Mensch etwas Bedrohliches.“ (Voss 2010: 26)
Aus sozial-ökologischer Perspektive ist zu kritisieren, dass die naturwissenschaftliche Forschung versucht, ihrem Verständnis nach sicheres Wissen und objektive Fakten zu produzieren, dabei jedoch in einer Forschung verharrt, die versucht, Unsicherheit zu minimieren und immer genauere Szenarien herzustel-
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len (Crate/Nuttall 2016, Hänggi 2008, Voss 2010, Brunnengräber 2008).19 In der Kommunikation dieser Forschungsergebnisse wird jedoch nicht deutlich, dass es längst eine eindeutige Einschätzung von Klimaszenarien gibt: Menschliche Einflüsse verändern komplexe Klimaprozesse, was sich auf bestehende Ökosysteme irreversibel auswirkt und diese zum Kippen bringt (vgl. Voss 2010: 17f). Die Argumentation in Klimaforschung und -politik bezieht sich auf Grenzwerte, die zu politischen Implikationen führen. Dabei wird naturwissenschaftlichen Wissensbeständen eine überlegene Geltungskraft zugesprochen, statt sichtbar zu machen, dass die Interpretation von Messwerten und die Benennung von Grenzwerten nicht durch „die Natur“ – und auch nicht durch „die Naturwissenschaft“ - gemacht wird, sondern politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen (Macht-)Interessen folgt (vgl. Voss 2010: 26 ).20 So ist z. B. das ZweiGrad-Ziel, das im Pariser Klimavertrag 2015 festgelegt wurde, kein naturgegebener Grenzwert. Dahinter steht die politische Entscheidung, eine Erderwärmung von vermuteten 2°C in der globalen Mitteltemperatur zuzulassen, nicht mehr oder weniger (vgl. Brunnengräber 2008: 60ff). Eine prognostizierte Erderwärmung von unter 1°C oder 1,5°C anzupeilen, wäre in Bezug auf sozialökologische Krisen, z. B. Verlust von Habitaten und Biodiversität, Ressourcenknappheit, globalen Fluchtbewegungen, höchstwahrscheinlich sinnvoller, da weniger abweichend vom Status Quo. Doch politisch erscheint eine so niedrige weitere Erwärmung – und damit so geringe weitere Emissionen – unmachbar, weshalb sie auch aus naturwissenschaftlichen Modellen verbannt wird. Eine sozialwissenschaftliche Forschung, die solche Vorannahmen unhinterfragt übernimmt, nimmt sich die Chance, wesentliche kritische Fragen zu kollektiven Deutungsfiguren und Leitplanken zu stellen: Wie verarbeiten Gesellschaften die
19 Aus wissenssoziologischer Perspektive müssten die Parameter, die als Ausgangspunkt genommen werden, transparent gemacht werden und nicht nur die Ergebnisse. Eine reflexive und positionierte „Faktenaussage“ müsste nach Kropp folgenden Charakter annehmen: Nicht: „eine Veränderung von x zieht die Konsequenz von y nach sich“, sondern: „Gemäß unserer Vorannahmen T haben wir in unseren Untersuchungen a im Zeitraum b mit den Geräten c einen Zusammenhang von x und y beobachtet, der uns zu der Vermutung veranlasst, dass die konkrete Veränderung von x um x' zu den näher qualifizierten Konsequenzen y' führt. Dabei bleiben die Parameter d-f unberücksichtigt.“ (Kropp 2002: 254). 20 Deshalb hat die sozialwissenschaftliche Klimawandelforschung aufzuzeigen, „welches Netz von globalen Institutionen, Wissenschaftlern und Politikern, Messgeräten, Interessen usw. jene Szenarien hervorgebracht hat“, die sich in den IPCC-Berichten finden (Voss 2010: 26).
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naturwissenschaftlich dokumentierten Daten zu Klimawandel, wie betten sie diese in Deutungsmuster ein und und wie machen sie Klimawandel zu einer greifbaren gesellschaftlichen Realität (vgl. Grundmann/Stehr 2010: 904; Christmann 2012: 21)? Bis zu welchem prognostizierten Temperaturanstieg ist eine zukünftige Klimaerwärmung (dem Standpunkt einer spezifischen Gesellschaft zu einem spezifischen Zeitpunkt nach) akzeptabel und ab wann ist sie fatal? Diese Fragen können naturwissenschaftliche Szenarien nicht beantworten (vgl. Hänggi 2008: 31). Denn es ist eine gesellschaftspolitische Frage, welche Umwelt geschützt, gestaltet und erhalten werden soll. Oder anders herum: Wieviel Treibhausgase wollen wir als Gesellschaft emittieren, welche Folgen sind wir bereit, dafür zu tragen? „Was ist also der Gesellschaft die Bekämpfung der vom IPCC identifizierten Ursachen des Klimawandels im ökonomischen, aber auch im kulturellen und sozialen Sinne im Verhältnis zu anderen drängenden Problemen wert?“ (Voss 2010: 21) Und welche Folgen sind wir bereit, dafür anderen Nationen (v. a. im Globalen Süden), Ökosystemen und sozial-ökologischen Systemen zuzumuten? Eine kritische sozialwissenschaftliche Perspektive legt den Blick auf die Machtförmigkeit in gesellschaftlichen Naturverhältnissen, ebenso wie auf die Trennung und Hierarchisierung zwischen naturwissenschaftlichem und sozialwissenschaftlichem Wissen. Sie kontextualisiert Klimawandel als sozial-ökologisches Krisenphänomen und verbindet Klimamodelle mit politischen, sozialen und ökonomischen Wirkungsfaktoren (vgl. Brunnengräber 2008: 68). Dabei lenkt sie den Blick auf unterschiedliche Wissensbestände und Deutungsfiguren sowie gesellschaftliche Gestaltungsräume. Zweiter Stolperstein: Ich kritisiere die Begriffswahl „Klimawandel“, weil damit der Eindruck erweckt wird, es handele sich um eine klimatologische – und nicht sozial-ökologische – Problemstellung. Die Klimatologie erforscht Klimadynamiken, Klimawandel sind demnach „natürliche“ Schwankungen des Weltklimas über große Zeitskalen hinweg (Voss 2010). Gleiches gilt für den „natürlichen Treibhauseffekt“, der als klimatologische Basis aller Klimawandel gilt. Klimawandel und Erderwärmung sind damit in der Sphäre naturwissenschaftlicher Logiken zuhause und werden scheinbar wertfrei, rein beschreibend, benutzt. Um durch menschliches Handeln verursachte Klimaveränderungen zu beschreiben, ist es damit nötig, sie als „nicht-natürlich“ oder „anthropogen verursacht“ begrifflich von „natürlichen“ Klimaphänomenen abzugrenzen. Damit entsteht eine begriffliche Unklarheit, die verschleiert, wo die Ursachen für gravierende Klimaänderungen liegen. Denn das Phänomen des „anthropogenen Klimawandels“ gehört keineswegs zur Spezies Mensch im Allgemeinen, noch sind es alle Menschen, die Klimawandel verursachen. Klimawandel wurzelt in den wachstums-
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orientierten, fossilistischen, von einer kapitalistischen Verwertungslogik durchdrungenen Produktionsstrukturen, Konsummustern und Infrastrukturen, die sich seit der Industrialisierung in den Gesellschaften des Globalen Nordens entwickelt und verfestigt haben, und sich zunehmend auf den Globalen Süden ausdehnen (Weller 2014, Leggewie 2015, Voss 2010). Diese Logiken und Strukturen gehen zurück auf die machtförmigen Basisunterscheidungen zwischen Natur und Kultur, sozial männlich und sozial weiblich codierter Sphäre (Becker/Jahn 2006, Becker et al. 2011). Die gängige Begrifflichkeit lenkt davon ab, dass es sich um einen historischen Eingriff in das Klima, um eine Klimamanipulation, handelt, die maßgeblich das Anthropozän eingeleitet hat (Crutzen 2016).21 Der scheinbar beschreibende Begriff des Wandels macht unsichtbar, dass es sich um eine Klimamanipulation handelt. Auch die sozialwissenschaftliche Klimawandelforschung übernimmt allzu häufig diese Formulierung, ohne die impliziten Deutungsfiguren zur Explikation zu bringen, und reifiziert sie damit. Die gängige Formulierung „anthropogener“ bzw. „anthropogen verursachter Klimawandel“ führt zu zwei irreführenden Punkten. Erstens steht stets die Assoziation zum „natürlichen Klimawandel“ im Raum und damit die Frage, ob es sich nicht doch um ein „natürliches“ Klimaphänomen handelt. Obwohl die Klimaforschung seit über 50 Jahren einen Zusammenhang zwischen Schadstoffemissionen und Klimaveränderungen nachweisen und immer präzisere Aussagen über den Ist-Zustand machen kann (vgl. Voss 2010: 10, Hänggi 2008: 17ff), bleibt die Existenz eines anthropogenen Klimawandels im öffentlichen Diskurs umstritten. Knapp die Hälfte aller Deutschen äußern Zweifel an einer langfristigen globalen Erwärmung, drei Viertel hält Klimawandel für wissenschaftlich umstritten (IASS 2017, Schmitt et al. 2015). 22 Dabei spielen klimaskeptische Publikationen eine wesentliche Rolle. Denn diese zweifeln sogar innerhalb des verengten Verständnisses von Klimawandel und Treibhauseffekt an, dass der Mensch diesen signifikant beeinflusst. Sie beziehen sich dabei auf verbleibende Unsicherheiten in der Szenariomodellierung und nutzen aus, dass naturwissenschaftliche Forschung auf die Produktion von vermeintlich objektiven Fakten
21 Der Begriff der Klimamanipulation wird meist für Strategien des Geo-Engeneering benutzt (Schellnhuber 2015, Latif 2016). Ich verstehe darunter jedoch die aktuell entstehenden CO2-Emissionen und die damit verbundenen Prozesse der Ressourcennutzung, Ozeanversauerung, Abholzung, Degradierung von Böden etc., die auf das Klima einwirken. 22 Spätestens seit in den USA mit Donald Trump ein expliziter Klimawandel-Leugner zum Präsidenten gewählt wurde, ist das Leugnen von Klimawandel (wieder) salonfähig geworden. Dies zeigt sich auch im Bundeswahlkampf 2017.
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ausgerichtet ist. Klimaskeptiker*innen bedienen sich des massenmedialen Widerhalls ihrer Darstellungen und nutzen damit die Dynamik, dass die Gegenseite zunächst beweisen muss, dass es sich um ein „anthropogenes“ und nicht „natürliches“ Phänomen handelt (vgl. Voss 2010: 20, Brunnengräber 2008: 67f, Radkau 2011: 582, Weede 2016). Zweitens: Der Begriff „anthropogen“ ist ebenfalls irreführend. Nicht alle Menschen wirken in gleicher Weise auf das Klima ein, wie der Begriff „anthropogen“ suggeriert. Es gibt eine eindeutige historische Verantwortung frühindustrialisierter Gesellschaften (Chatterton et al. 2013, Bedall 2011, Newell et al. 2015, Garrelts/Dietz 2013, Kartha et al. 2010). Präziser wäre es, spezifische Sektoren (z. B. Energiegewinnung, Schwerindustrie, Massenkonsum) zu benennen, die die Erderwärmung antreiben (Stengel 2011). Der Begriff „anthropogen“ unterstellt, „der Mensch“ könne nicht anders, als Klimawandel zu verursachen (Voss 2010, Hänggi 2008, Brunnengräber 2008, Brunnengräber 2008). Es handelt sich also um eine klimadeterministische Deutungsfigur. Anstatt die Ursachen der Klimamanipulation zu kritisieren, verschiebt sich der Fokus in der Klimaforschung zunehmend auf Klimamodelle, Mitigation und Anpassung (Brunnengräber/Dietz 2013, Ott/Baatz 2015).23 Die klimadeterministische Perspektive hat zur Folge, dass nicht das Ausmaß an Schadstoffemissionen zukünftige Klimawandel bestimmt, sondern „das Klima oder der Klimawandel die Richtung menschlicher Handlung vorgibt: Die gesellschaftlichen Verhältnisse werden nicht zum Ausgangspunkt genommen, sondern zum Verschwinden gebracht“. (Brunnengräber/Dietz 2013: 224). Eine Folge dieser Darstellung ist, dass es so erscheint, als sei über Klimawandel bereits entschieden, als sei eine Klimakatastrophe unaufhaltsam (Radkau 2011, 2017). Während in der Alltagssprache sowie in den Medien von „dem Klimawandel“ gesprochen wird, werden mehrere Dinge miteinander vermischt: Klimaszenarien mit Bildern von aktuellen Extremwetterereignissen, Veränderungen des globalen Klimas mit „dem Treibhauseffekt“, heutige und zukünftige
23 Die Anpassungsforschung hat die Tendenz, top-down orientiert den Blick auf prognostizierte Klimafolgen zu richten und soziale Sachverhalte zu naturalisieren (vgl. Brunnengräber/Dietz 2013: 224). Die Vulnerabilitäts-Forschung hat sich zur Aufgabe gemacht, die Betroffenheit von Klimawandelfolgen entlang geographischer, sozialer, ökonomischer, ethnischer und Genderaspekte zu differenzieren (Brunnengräber/Dietz 2013, O'Brian 2007: Vulnerabilität, Beck et al. 2013). Es wäre möglich, diese Unterschiede mit einer intersektionalen Perspektive zu betrachten. Die Erweiterung der Perspektive auf machtförmige Verflechtungen, die in der Vulnerabilitätsforschung angelegt ist, hat sich jedoch bislang kaum in die Anpassungsforschung übersetzt (vgl. Brunnengräber/Dietz 2013: 226).
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Klimakatastrophen. Aus dieser Katastrophendarstellung speist sich ein fatalistischer Klimadeterminismus, der gesellschaftliche und politische Handlungsmöglichkeiten verschwinden lässt, im Zweifelsfall zugunsten großtechnischer Lösungen (Brunnengräber 2008, Hänggi 2010). Trotz starker Kritik an der Begrifflichkeit Klimawandel verwende ich diesen Begriff auch in meinem Forschungsprojekt zugunsten von Verständlichkeit und Anschlussfähigkeit. Ich verwende den Begriff Klimawandel ohne Artikel, um darauf hinzuweisen, dass es nicht „den Klimawandel“ gibt, sondern ein Set aus klimatischen Verschiebungen und den genannten Verursachungs- und Folgeprozessen. Dritter Stolperstein: Was bedeutet Klimaschutz? In der Kritik dominanter Klimaschutzkonzepte nehme ich eine engagierte Perspektive ein, die dafür plädiert, Klimaschutz stark zu machen und jenseits der beiden Verengungen zu denken. Ich gehe davon aus, dass die verengte Begrifflichkeit Klimawandel zu einer eingeschränkten Problemsicht und damit auch zu verengten Lösungen führt. Meine These ist: Eine Klimamanipulation kann nur erfolgen, weil die Belange der Gesellschaft als vorrangig gegenüber den Belangen der Natur bzw. des Klimas gelten, analog zur hierarchisch geprägten Basisunterscheidung von Natur und Kultur (Becker/Jahn 2006, Lay-Kumar 2016, Biesecker/Hofmeister 2006, Stengel 2011, Radkau 2000). Schutzinteressen, die der Sphäre der Natur bzw. dem Klima zugeordnet werden, haben keine Priorität (Becker/Jahn 2006). Durch die Trennung der Sphären scheinen Schäden, wie die Klimamanipulation, in die Sphäre der Natur zu fallen (vgl. Leggewie/Welzer 2009: 32). Es ist nur folgerichtig, dass sie – dieser Logik entsprechend – den Naturwissenschaften zugeschlagen und deren verengter Sichtweise bearbeitet werden. Die Trennung in sozial männlich und sozial weiblich codierte Strukturen führt zu einer weiteren Verengung: Die Logiken und Strukturen von Produktion, technischer Entwicklung und Wachstum erhalten eine so hohe Priorität, dass als weiblich codierte Praktiken und Strukturen kaum noch sichtbar erscheinen. Eine Auflösung beider Hierarchien lässt sich nicht durch internationale Abkommen und technische Lösungen erreichen. Nachhaltiger Klimaschutz muss sichtbar machen, wo und wie Klimawandel verursacht wird und Alternativen zu diesen Logiken entwickeln. So ist grundsätzlich zu kritisieren, dass Klimaschutz häufig auf das abstrakte Zwei-Grad-Ziel und Energiesparmaßnahmen reduziert wird und wenig greifbar ist (vgl. Radkau 2011: 16ff; 171ff; 580f, Brunnengräber 2008: 60ff). Der verengten Perspektive folgend, bedeutet Klimaschutz, die Erderwärmung zu
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bremsen, indem nur begrenzte Mengen an Schadstoffen 24 emittiert werden. Damit wird Klimaschutz verengt auf die Reduktion von Emissionen. Aufgrund einer historisch spezifischen Situation bevorzugen die Gesellschaften des Globalen Nordens naturwissenschaftlich-technische Lösungsansätze. Der so verstandene Klimaschutz weist folgende Strategien auf: Reduktion von Emissionen durch Umbau der Energiesysteme von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien, Pläne für gigantische Eingriffe ins Klimasystem über Geo-Engineering, Handel mit Emissions-Zertifikaten sowie den Umbau von Wirtschaftsstrukturen in Richtung Green Economy (IPCC 2014, Klepper et al. 2016, Adler/Schachtschneider 2010, Bedall 2011).25 Klimaschutz bedeutet in dieser Logik nicht, jene Produktions- und Herrschaftsverhältnisse zu thematisieren oder gar zu verändern, die die Erderwärmung fortwährend verursachen (vgl. Brunnengräber 2008: 53). Dabei bleibt fraglich, wie eine drastische Reduktion von Emissionen gelingen soll, die für Länder des Globalen Nordens wie Deutschland bei 8098% des aktuellen Verbrauchs liegen dürfte, wenn die Ziele des Pariser Klimavertrags eingehalten werden sollen (Endres 2016, Weimann et al. 2016, Geder/Schäfer 2016). Aus Klimagerechtigkeitsperspektive sollen die Nationen des Globalen Nordens einen größeren Beitrag zum Klimaschutz leisten als andere, da sie die historische Verantwortung für die Verursachung des gegenwärtigen Klimawandels haben (Chatterton et al. 2013, Robert/Parks 2009). Dies beinhaltet, dass sie finanziell für bereits bestehende Klimaschäden aufkommen und ihre Emissionen besonders stark senken sollen. Vom Standort des engagierten Klimaschutzes ist klar, dass für die Nationen des globalen Nordens eine drastische Veränderung von Prioritäten und Infrastrukturen, Produktionsweisen und Konsummustern
24 Dies bezieht sich v. a. auf Kohlendioxid, doch auch andere Stoffe, wie Kohlenmonoxid, führen zu einer Erderwärmung. Diese Stoffe werden oft als CO2-Äquivalente bezeichnet (Voss 2010, Weller 2014). Da es mir in dieser Arbeit nicht darum geht, die chemischen Stoffgruppen genauer zu klassifizieren, nenne ich CO2-Äquivalente Schadstoffe. 25 Inwiefern „erneuerbare Energien“, insbesondere Windkraft, Solar und Photovoltaik in der Produktion der Anlagen auch auf fossile Brennstoffe und andere endliche Materialien wie Kupfer und Seltene Erden angewiesen und deshalb nur eingeschränkt klimaverträglich sind, diskutiere ich an dieser Stelle nicht, verweise aber auf den effizienz- und wachstumskritischen Diskurs zu dieser Thematik (Paech 2012). Einen tieferen Einblick in die Produktionsbedingungen von Windkraft- und Photovoltaikanalagen konnte ich mir dank der exklusiven Führungen im Rahmen zweier DBUStipendiatenseminare verschaffen.
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nötig sein wird. Starker Klimaschutz benötigt eine umfassende sozialökologische Transformation, die über Green Economy und die Energiewende weit hinaus geht. Zudem hat starker Klimaschutz die Aufgabe, die konzeptuelle Trennung von sozial männlich und sozial weiblich codierten Strukturen zu überwinden. Analog zum Diskurs um Nachhaltige Entwicklung ist zu kritisieren, dass der dominante Diskurs um Klimaschutz die sozial weiblich codierte Sphäre für Lösungsoptionen kaum in Betracht zieht. Zwar wird wird von der Bevölkerung „klimafreundliches“ Alltagshandeln gefordert (Weller 2014). Klimaschutz im Alltag bleibt dabei jedoch verengt auf Praktiken, die auch unter Umweltschutz zu fassen sind: Der Verzicht auf Einwegbecher, der Konsum von „ökologisch korrekten Waren“, der Verzicht auf ressourcenschwere Mobilitätsformen (Weller 2014, 2015a, Hofmeister/Weller 2004, Stengel 2011). Gleichzeitig wird diesen Praktiken jedoch kaum Wirksamkeit zugesprochen, jedenfalls nicht im Vergleich zu politischen und technischen Lösungsansätzen, es bleibt bei einer Moralisierung der Privatsphäre und symbolischem Handeln (Grunwald 2010, Kuckartz 2010). Ausgeklammert bleibt die Aufwertung von sozial weiblich codierten Strukturen und Praktiken, sei es auf konzeptioneller Ebene, z. B. durch Inwertsetzung regenerativer Ökosystem-Leistungen in Bewertungsschemata, sei es auf der Ebene von Klimaschutzpraktiken. 26 Lösungsmöglichkeiten bieten nicht nur Konsum, sondern Praktiken des Teilens, Tauschens, Instandhaltens und Selber Machens, Care Arbeit inkl. Pflege von Netzwerken, bzw. Praktiken, die produktive und reproduktive Sphäre verbinden, im Sinne des Prosumierens (vgl. Lay/Westermayer 2014, Lay-Kumar 2016, Stengel 2011, Paech 2013). Klimaschutz konzeptuell stark zu machen, heißt die Verengung von Lösungsansätzen auf sozial männlich codierte Diskurse, Praktiken und Strukturen aufzulösen. Ebenso wie Umweltschutz ein vernetzender Begriff ist, der Teilbereiche wie Arten-, Boden-, Wald-, Wasser- und Arbeitsschutz integriert (vgl. Radkau 2011: 171f), lässt sich Klimaschutz erweitern bzw. integrieren. Praktiken und Strukturen, die die zweifache hierarchische Trennung überwinden und sich dem Erhalten und Gestalten widmen, könnten als Teil von Klimaschutz verstanden werden, oder umgekehrt: Klimaschutz könnte als Teilbereich in sie eingehen (s. 6.). Im öffentlichen Diskurs um Klimaschutz ist die Diskussion um
26 Z. B. die Einberechnung der Sauerstoff-Produktion des brasilianischen Regenwalds in das Brutto-Inlandsprodukt, das System der Zahlungen für Ökosystem-Dienstleistungen, die nicht ausgebeutet werden, in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern oder andere Bewertungsinstrumente (Grima et al. 2016).
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Geschlechterverhältnisse und Re-Produktivität noch kaum präsent. Sie findet sich jedoch – implizit oder explizit – im Rahmen von akademischen Debatten um gutes Leben und Postwachstumsgesellschaft, Care-Arbeit und Commons, die eine sozial-ökologische Transformation fokussieren (Biesecker 2014, Habermann 2011, Helfrich 2014). Ich stelle fest, dass der Begriff Klimaschutz dabei nicht im Zentrum steht – zu stark ist dieser mit der o. g. konzeptionellen Verengung konnotiert. Doch von Seiten der jungen Klima- und Umweltbewegung(en) entwickeln sich neue Protest- und Gestaltungsformen im Kontext von Klimaschutz, die möglicherweise neue Deutungsfiguren für starken Klimaschutz in sich tragen.
1.4 FORSCHUNGSMETHODE 1.4.1 Fragestellung Die dargestellten Vorarbeiten zur Klimawandelforschung und zu Wissensbeständen Jugendlicher werfen die Frage auf, was engagierte Jugendliche über Klimawandel und Klimaschutz wissen und wie sie dieses Wissen einbetten. Die zahlreichen quantitativen Jugendstudien ermöglichen eine große Breite in der Erforschung von jugendlichen Denk- und Handlungsmustern, jedoch wenig Tiefe. Mein Forschungsprojekt schließt diese Forschungslücke und schlägt eine Brücke zwischen konzeptuellen Rahmungen von Klimawandel und Klimaschutz und den impliziten Orientierungsmustern von jugendlichen Umweltschützer*innen. In Abgrenzung zu Studien aus der Umweltbewusstseinsforschung versuche ich nicht, Aussagen über das Bewusstsein, die Einstellungen oder die Wertorientierungen von Individuen zu machen. Ich reduziere meine Analyse auch nicht auf das explizite Wissen, das im Mittelpunkt quantitativer Abfragen oder qualitativer, aber nicht rekonstruktiver Studien steht. Mein Fokus liegt auf überindividuellen kollektiven Wissensbeständen und ihre Rahmung durch implizite Deutungsfiguren und Orientierungsmuster (Bohnsack 2014). Diese haben, so meine Vorannahme, im Kontext von Klimawandelwissen und Klimaschutzpraktiken eine besondere Relevanz. Denn abstraktes Wissen und Problembewusstsein genügen offensichtlich nicht, um die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu überwinden (s. 1.1, 1.2). Jugendumweltgruppen verfügen offensichtlich über Wissensbestände und Orientierungen, die sie zum Engagement für den Umweltschutz motivieren. Da es an empirischen Vorarbeiten fehlt, ist meine Forschungsprojekt explorativ ausgerichtet. Meine übergeordnete Fragestellung lautet: Welche Wissensbestände zu Klimawandel und welche Klimaschutzprakti-
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ken dokumentieren Jugendumweltgruppen zweier Jugendverbände in unterschiedlichen deutschen Großstädten? Ich lege den Fokus auf implizite Deutungsfiguren und Orientierungsmuster, ausgehend von Mannheims wissenssoziologischer These, dass nicht abstraktes, explizites Wissen die Weltentwürfe und das Handeln leitet, sondern erfahrungsbasiertes, implizites Wissen (Mannheim 1970, Bohnsack 2014). Im Kontext von Umwelt- und Klimaschutz wird immer wieder die Kluft zwischen Wissen und Handeln beklagt (Kuckartz 2010, 2011, Lange 2000, 2011). Ich gehe davon aus, dass praktisch erworbenes Handlungswissen im Kontext von Umweltengagement dazu beiträgt, diese Kluft zu verkleinern (Lay-Kumar 2016, Lay/Westermayer 2014, Leggewie/Welzer 2009). Aus dem Stand der Forschung zu Klimawandel und Klimaschutz ergibt sich die Frage, ob und inwiefern Klimawandel ein relevantes Thema für die Jugendumweltgruppen ist, zu dem sie einen lebensweltlichen Bezug herstellen, anders als die große Mehrheit der aktuellen Jugendgeneration (s. 1.1). Um die expliziten Wissensbestände der Jugendumweltgruppen einzuordnen im Vergleich zum Klimawandelwissen, das große Jugendstudien ermitteln, frage ich, was die Gruppen über Klimawandel wissen und wie sie über Klimaschutz diskutieren. Nachdem ich im theoretischen Rahmen eine Kritik formuliert habe an der einseitigen Aufmerksamkeit für naturwissenschaftliche Klimaforschung und am Fokus auf Unsicherheit in Bezug auf einen anthropogenen Klimawandel, untersuche ich genauer, wie die Jugendgruppen Klimawandel rahmen und wie sie mit unsicherem Wissen umgehen. Inwiefern gehen sie (wie in 1.3.2 kritisiert) von einer doppelt verengten Perspektive aus? Und in welcher Weise sprechen sie über die Verantwortung für Klimaschutz? Aus dem Stand der Forschung zur Umweltbewegung ergibt sich, dass umweltethische Argumentationsmuster relevant sind. Argumentieren die Jugendgruppen aus einer eher naturalistischen oder eher soziozentrischen Perspektive, dokumentieren sie eine eher biozentrische oder anthropozentrische Ethik (s. 1.2)? Um einer Verzerrung der Ergebnisse durch Fragetechniken vorzubeugen, stelle ich Klimawandel und Klimaschutz nicht von vorn hinein in den Mittelpunkt der Befragung, sondern lasse die Jugendgruppen im Rahmen von Gruppendiskussionen die Themen und Schwerpunkte rund um ihr Umweltengagement weitgehend selbst bestimmen (s. 1.4.2). Da im Diskurs um Klimawandel mangelnde Aktivität beklagt wird, interessiert mich, welche Art von Aktivitäten die Jugendumweltgruppen berichten, ob Klimawandel ein relevantes Aktionsthema ist und inwiefern die Gruppen ihre Aktivitäten als Klimaschutz bezeichnen.
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Mein methodisches Design trägt der Einsicht Rechnung, dass Problemsichten und Handlungsimpulse in konjunktiven sozialen Erfahrungsräumen entstehen (Voss 2010, Bohnsack 2014). Jugendumweltgruppen verstehe ich als kollektive Erfahrungsräume, in denen sowohl abstrakte Wissensbestände, als auch implizite, konjunktive Wissensbestände sowie Deutungsfiguren hergestellt und reproduziert werden (Schäffer 2003). Ich wähle eine qualitativ-rekonstruktives Forschungsdesign mit Gruppendiskussionen, dokumentarischer Methode und Dokumentenanalyse (s. 1.4.2). Mein Forschungsgegenstand sind Jugendumweltgruppen von zwei großen deutschen Jugendumweltverbänden, die über fest organisierte Strukturen in sämtlichen Bundesländern verfügen und Lokalgruppen in zahlreichen großen Städten haben. Die Erwachsenen-Dachverbände sind der Strömung des pragmatischen Umweltschutzes zu zuordnen und international vernetzt (vgl. Radkau 2011: 583; 609ff; 624f, Fischer 2002: 91-93). Mit Blick auf das zentrale Thema Klimawandel hätte es Sinn gemacht, Jugendklimagruppen zu befragen. Doch während der Vorarbeiten zu meinem Forschungsprojekt im Jahr 2012 gab es in Deutschland noch kaum fest organisierte Jugendklimagruppen. Die deutsche Jugendklimabewegung ist noch im Entstehen (Boese 2011, Schulmeister 2015, Garrelts/Dietz 2013). Junge Klimaaktivist*innen organisieren sich in Deutschland entweder über Netzwerke, die sich zu punktuellen Aktionen und Konferenzen treffen (Boese 2011: 68-72). Dabei handelt es sich jedoch um einen lockeren Verbund von Akteur*innen, ein gemeinsamer Erfahrungshorizont ist nur sehr bedingt gegeben. Oder sie organisieren sich über etablierte Jugendumweltverbände (Boese 2011: 69f). Dies überrascht insofern nicht, dass Klimaschutz oft als Unteraspekt von Umweltschutz verstanden wird. Mit diesem Hintergrundwissen habe ich als Sample Jugendgruppen der BUND-Jugend sowie Greenpeace gewählt, zwei der größten deutschen Jugendumweltverbände. Um eine gewisse Breite zu erreichen, habe ich acht Jugendgruppen in verschiedenen bundesdeutschen Großstädten befragt, je vier von Greenpeace und BUND-Jugend. Die Jugendlichen haben ein Alter von 14 bis 25 Jahren. Während die Greenpeace-Jugend Jugendlichen von von 14 bis 19 Jahren offen steht, sieht der BUND-Jugendverbands eine Altersspanne von 14 und 26 Jahren vor (s. 4.1). Bei den von mir befragten Gruppen handelt es sich um Realgruppen, die Teil eines Peer-Milieus sind (vgl. Asbrand 2009: 37, Schäffer 2003). Bei der Durchführung der Gruppendiskussionen folge ich dem Gruppendiskussionsverfahren (Loos/Schäffer 2013, Bohnsack 2013). Um Anonymität und Vertraulichkeit zu gewährleisten, nenne ich nur die Namen der Bundesverbände, jedoch nicht der Landesverbände oder Städte.
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1.4.2 Methodologie Der wissenssoziologischen Ausrichtung meiner Fragestellung folgend, habe ich eine wissenssoziologische Methodologie gewählt. Als rekonstruktive Auswertungsverfahren wähle ich das Gruppendiskussionsverfahren und die Dokumentarische Methode (Bohnsack 2017, Loos/Schäffer 2013, Loos et al. 2013, Bohnsack et al. 2010, Bohnsack et al. 2013: 9-32, Bohnsack/Nohl 2007, Bohnsack 2010b). Grundlegend ist die sozialkonstruktivistische Grundannahme, Denken und Handeln als sozial konstruiert zu verstehen (Berger/Luckmann 1969, Bohnsack 2014: 24f). In diesem Sinne verstehe ich die Wissensbestände und Orientierungen der Jugendlichen als Konstruktionen, die in Erfahrungsräumen der Umweltgruppen hergestellt und reproduziert werden. Das Ziel der dokumentarischen Interpretation ist es, die Aussagen der Beforschten nicht nur aus dem Erfahrungsraum, in dem sie expliziert werden, heraus zu verstehen (Bohnsack 2016: 60f, Mannheim 1980: 73f). Sondern es geht darum, die Aussagen zu interpretieren und damit das implizite, kontextgebundene Wissen zur Explikation zu bringen. Diese wissenssoziologische Analyse basiert auf zwei Grundannahmen: Erstens lassen sich nach Mannheim abstraktes, explizites, kommunikativgeneralisierbares einerseits und implizites, alltagspraktisches, konjunktives Wissen anderseits analytisch unterscheiden (Mannheim 1964, Bohnsack 2014, Bohnsack et al 2013: 10ff). Ich verwende für diese beiden Wissensformen die Begriffe abstraktes Wissen und implizites Wissen. Wenn ich den Zusammenhang zwischen impliziten Deutungen und dem Erfahrungsraum, in dem es generiert wird, betonen will, verwende ich den Begriff konjunktives Wissen (Mannheim 1964, Bohnsack 2003). Denn die Beforschten gehen nicht ohne vorhandenes implizites Wissen in die konjunktiven Erfahrungsräume, sie bringen implizite Prägungen mit, die wiederum die Wissensbestände und -prozesse in den Erfahrungsräumen prägen (vgl. Bohnsack 2014: 60f). Abstraktes Wissen beinhaltet theoretische, bewertende und reflexive Aussagen. Implizites Wissen ist atheoretisch and routinisiert. Es wird in Alltagssituationen angeeignet und strukturiert die Alltagspraktiken (vgl. Bohnsack 2014: 25f, Asbrand 2010: 231). Während abstraktes Wissen kommunikativ explizierbar und der Reflexion zugängig ist, erscheint implizites Wissen als selbstverständlich (vgl. Lay/Westermayer 2014: 4f). Implizite Sinnstrukturen sind kontextgebunden, erfahrungsbasiert und alltagspraktisch, sie schwingen zwischen den Zeilen mit (vgl. Degele 2004: 36; Lay/Westermayer 2014: 4-6, Lay-Kumar 2016: 72-74). Fraglos gegebenes Wissen ist nicht nur routinisiert, sondern auch normativ wirksam und setzt sich gegen Entzauberung zur Wehr (vgl. Degele 2004: 4f). Deshalb ist eine spezifi-
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sche Methodologie nötig, um implizites Wissen zu rekonstruieren. Durch Gruppendiskussionen lassen sich latente Sinnhorizonte sichtbar machen (vgl. Degele 2004: 34). Zweitens gehe ich davon aus, dass Gruppen über ein geteiltes Wissen verfügen, das sie in einen gemeinsamen Erfahrungshorizont einbetten (Mannheim 1980: 232). In Jugendgruppen entstehen durch die gemeinsame Kommunikation von Problemlagen gemeinsame Sinnhorizonte, „gemeinsame Erlebniszusammenhänge“ (Mannheim 1980: 78), in denen die Jugendlichen kontextgebundene Erfahrungen und implizites Wissen erwerben. Durch den gemeinsamen konjunktiven Hintergrund der Gruppe „können wir von Kollektivität ... der Gruppe sprechen“ (Bohnsack 1989: 11, 2014: 62f). Diese Kollektivität ist vielschichtig und führt zur mehrdimensionalen Bedeutung der Aussagen: Die nach Alter, sozialer Herkunft, Bildung und Geschlecht unterschiedlichen Erlebnisschichten der Gruppe lassen sich wissenssoziologisch rekonstruieren und als Vergleichshorizonte herausarbeiten (Bohnsack 1989: 11f). In meinem Forschungsprojekt rekonstruiere ich, welche Deutungsfiguren und Orientierungsmuster die Wissensbestände der Befragten prägen. Insbesondere interessiert der Transfer von Wissensbeständen und Deutungsfiguren im Rahmen von bestehenden Gruppen. Dafür greife ich auf die Analyse von Gruppendiskussionen zurück. Mein Fokus liegt auf der Analyse von kollektiven Deutungsfiguren und Orientierungsmustern. Ich verwende im Folgenden den Begriff der Wissensbestände, um sichtbar zu machen, dass ich nicht isolierte Wissensfragmente fokussiere, sondern Wissen als Bündel von Wissensbeständen untersuche (Reckwitz 2003, Wrana 2014). Ich trenne nicht zwischen scheinbar objektivem Faktenwissen und subjektiven Deutungen, sondern die Gesamtheit der Aussagen verstehe ich als kollektive, sozial hergestellte Wirklichkeitskonstruktionen (Bohnsack et al. 2017, Bohnsack 2010, 2014, Loos/Schäfer 2017). Den Begriff Deutungsfiguren wähle ich für kleinere Sinneinheiten, Orientierungsmuster für umfassendere Sinnhorizonte. Deutungsfiguren verstehe ich als „spezifisch strukturierte kollektive Wissensbestände, die sich anhand von sozialen Interaktionsprozessen, in denen Wissen transferiert wird, empirisch untersuchen lassen“ (Plaß/Schetsche 2001: 522). Deutungsfiguren sind eine spezifische Form sozialen Wissens, das als implizite Sinnstruktur die kollektive Wahrnehmung und das Handeln von Gruppen steuert (vgl. Degele 2004: 36). Orientierungsmuster sind Sinnstrukturen, die das kollektive Denken und Handeln in konjunktiven Erfahrungsräumen rahmen und Komplexität reduzieren (vgl. Lay-Kumar 2016: 73-79, Bohnsack 2014).27 Orien-
27 Im Artikel von 2016 verwende ich den Begriff Deutungsmuster in Anschluss an Degele (2004). Für dieses Forschungsprojekt habe ich mich entschieden, zwischen
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tierungsmuster verstehe ich als soziale Strukturen, die die (Problem-) Wahrnehmung und die Praktiken beeinflussen, indem sie Wissen in normative Deutungen und Erwartungen einbetten (Degele 2004, Plaß/Schetsche 2001). Die kollektiven Orientierungsmuster von Gruppen sind geprägt durch „soziale Schichten“ (Mannheim 1980), durch bildungs-, milieu- und generationenspezifische Prägungen. Orientierungsmuster rahmen nicht nur die Deutungen, sondern auch die Wissensorganisation und den Diskursverlauf in konjunktiven Erfahrungsräumen. Abbildung 1: Modell: kollektive Orientierungsmuster, Deutungsfiguren und konjunktiver Erfahrungsraum
Gruppendiskussionen sind besonders geeignet, um implizite kollektive Deutungsmuster zu Klimaschutz – der stark normativ und von sozialer Erwünschtheit behaftet ist – zu erforschen. Jugendumweltgruppen eignen sich besonders für Gruppendiskussionen, da sie aufgrund gemeinsamer Interessen und/oder Identitäten soziale Einheiten formen (vgl. Degele 2004: 37, Loos et al. 2013: 64ff). Der methodische Vorteil gegenüber Einzelinterviews ist, dass Gruppendiskussionen interaktiv artikulierte und gruppenspezifische Perspektiven sowie Handlungsnormen sichtbar machen und der soziale Kontext der Gruppe den relevanten Hintergrund bildet. Dies ermöglicht, kollektive Konstruktionen von Deutungsfiguren und Orientierungsmustern zu differenzieren, um zwischen kleinteiligeren und umfassenden Sinnstrukturen zu differenzieren.
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Wirklichkeit zu erforschen und öffnet den Blick auf prägende soziale Faktoren (vgl. Degele 2004: 36ff, Asbrand 2009: 231f, Bohnsack 1989: 11). „So entfalten … Gruppen, deren Mitglieder sich kennen und einen gemeinsamen Erfahrungshorizont haben, ein Thema entsprechend ihrem eigenen Sinnhorizont. Gruppendiskussionen eröffnen einen direkten Zugang zu kollektiv geteilten Orientierungen.“ (Degele 2004: 37) Um kollektive Orientierungen mithilfe des Gruppendiskussionsverfahrens zu rekonstruieren, ist es wesentlich, Realgruppen zu befragen (Degele 2004, Bohnsack 2010b). Unter Realgruppen verstehe ich Gruppen, die nicht erst für die Gruppendiskussion zusammen kommen, sondern deren Mitglieder einander kennen und durch gemeinsame Aktivitäten im spezifischen sozialen Kontext dieser Gruppe einen gemeinsamen Erfahrungshorizont haben (vgl. Degele 2004: 36, Loos/Schäffer 2013). Bei meinen Gruppen ist der gemeinsame soziale Kontext das Engagement im Jugendumweltverband. Da eine Realgruppe über konjunktive Wissens- und Erfahrungsbestände verfügt, sind die Aussagen nicht die Summe von Einzelmeinungen, sondern das Produkt kollektiver Interaktionen, das von den Gruppenmitgliedern gemeinsam elaboriert wird (Degele 2004: 37, vgl. Bohnsack 1997b: 493; Loos/Schäffer 2001:19-30). Nur in Ausnahmefällen vertreten einzelne Gruppenmitglieder Positionen, die nicht der kollektiven Orientierung entsprechen (Loos/Schäffer 2013: 64/71). Es kommt in Gruppendiskussionen häufig zu einer „Selbstvergessenheit“ des Diskurses, der latente Sinnhorizonte zur Sprache bringt bzw. kommen lässt (Degele 2004). Der Vorteil gegenüber einer Dokumenten- oder Medienanalyse besteht darin, dass bei Gruppendiskussionen die Prozesse der Sinnkonstruktion (und Ideologiebildung) rekonstruiert werden können und nicht nur die Ergebnisse: Wie und unter welchen Bedingungen werden Bedeutungen und Sinnkonstruktionen erzeugt, in welcher Weise erlangen sie soziale Geltung (Degele 2004: 37)? Für die Untersuchung von Umweltschutzpraktiken nutze ich die Dokumentenanalyse ergänzend zu den Gruppendiskussionen, um die Herstellung von Sinnstrukturen mit den schriftlich fixierten Ergebnissen zu vergleichen. In 1.4.3 Forschungsprozess erläutere ich, wie ich bei der Durchführung und Analyse der Gruppendiskussionen vorgegangen bin. Die Interpretation des empirischen Materials erfolgt mit der dokumentarischen Methode. Ziel der dokumentarischen Interpretation ist es, implizite, alltagsweltliche Sinnkonstruktionen („Commonsense“) zu rekonstruieren (vgl. Bohnsack 2014: 178ff, 212f, Mannheim 1980: 88ff). Die Analyseverfahren der dokumentarischen Methode eröffnen nicht nur den Zugang zum abstrakten Wissen, son-
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dern auch zum impliziten Wissen, das im Alltag handlungsleitend ist, und zu den kollektiven impliziten Orientierungen der Beforschten (Bohnsack et al. 2017: 9). Im Anschluss an Mannheim ist zu unterscheiden zwischen einer CommonsenseAnalyseeinstellung und einer wissenschaftlichen Analyseeinstellung (Mannheim 1980: 88ff, Bohnsack 2014: 59ff). Die wissenschaftliche Analyse bringt kein besseres Wissen hervor als das der Beforschten, sondern sie kommt durch die Analyse zu anderem, wissenschaftlich generiertem Wissen. Auch beim durch die Interpretation gewonnenen wissenschaftlichen Wissen handelt es sich um Konstruktionen, die an den Standort der wissenschaftlichen Beobachterin gebunden sind (vgl. Mannheim 1980: 230ff; 375ff, Bohnsack 2014: 51f). Die dokumentarische Methode unterscheidet zwischen immanentem und dokumentarischem Sinngehalt, also zwischen Sinngehalten, die explizit dargestellt werden, und den dahinter liegenden Sinnstrukturen (Bohnsack 2014: 62-68). Die Analyseeinstellung wechselt von Beobachtungen erster Ordnung zu Beobachtungen zweiter Ordnung, also vom Was zum Wie. Es geht also nicht darum, die Richtigkeit der Darstellungen und Positionen der Beforschten zu bewerten. Der Geltungscharakter der Aussagen wird während der Analyse suspendiert. Der Wechsel der Analyseeinstellung vom Was zu Wie ermöglicht es, die immanenten Aussagen der Beforschten nicht im Kontext gesellschaftlicher Normativität zu diskutieren, sondern den Fokus darauf zu legen, wie die Jugendgruppen Normativität herstellen und mit welchen Sinnstrukturen sie ihre Wissensbestände rahmen (vgl. Asbrand 2009: 41f, Bohnsack 2014: 60ff, Mannheim 1980: 88). Im Analyseprozess der dokumentarischen Interpretation werden immanenter und dokumentarischer Sinngehalt getrennt voneinander rekonstruiert. Der immanente Sinngehalt ist Gegenstand der formulierenden Interpretation, bei der die Themen der Gruppendiskussion paraphrasiert und in Ober- und Unterthemen strukturiert werden (Bohnsack 2014: 136f, Bohnsack et al. 2013: 15f). Interessante und interaktiv besondere dichte Passagen werden ausführlich bearbeitet. Im nächsten Schritt, der reflektierenden Interpretation, liegt der Fokus darauf, wie die Jugendgruppen über ein Thema sprechen. Der Rahmen des Gesagten kristallisiert sich erst vor dem Vergleichshorizont zu anderen Fällen heraus. Die reflektierende Interpretation rekonstruiert die impliziten Orientierungen der Gruppen. Die Orientierungsmuster lassen sich schrittweise über das Bilden von Gegenhorizonten vergleichen. Gegenhorizonte sind wesentliche Komponenten von Erfahrungsräumen. Die Gruppen nutzen positive bzw. negative Gegenhorizonte zur Abgrenzung, sie bieten damit den Rahmen der konjunktiven Erfahrungsräume. Die Gegenhorizonte werden zunächst gedankenexperimentell gebildet und sind damit an meinen Standort gebunden.
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Da Orientierungsmuster und Rahmen im Diskursverlauf prozesshaft entstehen, ist der nächste Schritt zur Explikation von Sinnhorizonten die Rekonstruktion des Diskursverlaufs (Bohnsack 2014: 140). Dazu gehört die Analyse der Dramaturgie, sowohl innerhalb von einzelnen Passagen als auch im gesamten Diskursverlauf. Darüber hinaus interessiert die Diskursorganisation: Wie sind die Redebeiträge unter den Teilnehmer*innen verteilt, wie sind Redebeiträge miteinander verschränkt? Die Gruppe wird dabei als Ganzes betrachtet und die Diskursorganisation als kollektiver Gruppenprozess (vgl. Loos/Schäffer 2013: 64f). Dabei kann es im Diskursverlauf zu Kontroversen kommen, in denen ambivalente Positionen arbeitsteilig vorgetragen werden. Realgruppen verhandeln kontroverse Themen jedoch immer vor einem kollektiv geteilten Erfahrungshintergrund, auch wenn sie sich in der Problembeurteilung nicht einig sein mögen (vgl. Loos/Schäffer 2013: 65). Im folgenden Analyseschritt werden formulierende und reflektierende Interpretation sowie die Analyse der Diskursorganisation zu einer Fallbeschreibung zusammen gesetzt. In der Fallbeschreibung charakterisiere ich die jeweilige Jugendgruppe und erläutere ihre zentralen Themen, ihren Modus Operandi sowie ihre Diskursorganisation mithilfe einer analytischen Nacherzählung der gesamten Gruppendiskussion. „In den Fallbeschreibungen sollte das Spannungsverhältnis zwischen der Sprachebene der Erforschten, der Diskursteilnehmer einerseits und derjenigen der Interpreten andererseits und damit die Fremdheitsrelation erkennbar bleiben und möglicherweise pointiert herausgearbeitet werden. Die Auswahl von Transkriptzitaten dient somit nicht allein dem Beleg und der Illustration der Interpretationen, sondern auch der Vermittlung dieser Spannung, die über den Standort und Erfahrungsraum der Interpreten mit deren Aspekthaftigkeit bisweilen eben soviel aussagt wie über den der Erforschten.“ (Bohnsack 2014: 142)
Die ausführlichen Fallbeschreibungen stellen einen Zwischenschritt dar. Im empirischen Teil stelle ich die Fälle anhand von stark komprimierten Fallbeschreibungen dar. Die ausführlichen Fallbeschreibungen finden sich im Anhang. In der komparativen Analyse ersetze ich gedankenexperimentelle Gegenhorizonte durch empirische Vergleichshorizonte (vgl. Bohnsack 2014: 139). Ich vergleiche die Orientierungen einer Gruppe sowohl fallintern als auch vergleichend. In der fallinternen Analyse untersuche ich typische Muster, die die Gruppe dokumentiert (vgl. Loos/Schäffer 2001: 63). In der fallvergleichenden Analyse untersuche ich, wie dasselbe Thema von unterschiedlichen Gruppen elaboriert wird. Dabei arbeite ich mit minimaler und maximaler Kontrastierung und ordne die Fälle als typische, untypische oder extreme Fälle ein (Corbin/Strauss 2008).
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Die dokumentarische Methode läuft auf die Entwicklung einer mehrdimensionalen Typologie zu. Die Typen werden als Idealtypen nach Weber verstanden, die Strukturen beschreiben, jedoch in ihrer idealen Form empirisch nicht vorzufinden sind (Bohnsack 2014: 146f). Dabei sollen unterschiedliche Typiken möglichst deutlich voneinander abgegrenzt werden. Um eine hohe Validität zu erreichen, sollen in jeden Fall möglichst alle Dimensionen der Typologie herausgearbeitet werden. Dies ist bei einem Sample von acht Fällen, die allesamt Jugendumweltgruppen darstellen, nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Denn die Fälle weisen große Ähnlichkeiten auf in Bezug auf prägende Faktoren wie Alter, Organisationszugehörigkeit und Bildungsmilieus; starke Kontraste innerhalb des Samples liegen nicht vor. Mit dem Versuch der Typenbildung würde ich den Blick übertrieben auf Kontrastierungen innerhalb einer relativ homogenen Gruppe legen. Folglich entwickele ich keine Typologie, sondern bewege mich auf einem etwas niedrigeren Abstraktionsniveau. Ich rekonstruiere kollektive Orientierungsmuster. Diese beschreiben die Sinnstrukturen, die die kollektiven Erfahrungsräume der Jugendumweltgruppen rahmen. Ich nutze maximale und minimale Kontrastierungen, um die Spannbreite innerhalb eines Orientierungsmusters aufzuzeigen. 1.4.3 Forschungsprozess Im ersten Jahr meines Forschungsprojekts (2014) habe ich mich mit der Erarbeitung des theoretischen Rahmens auseinandersetzt. Diesen Teil habe ich abgeschlossen, bevor ich mit der Durchführung der Gruppendiskussionen begonnen habe. Parallel dazu habe ich mich dem Feld der Jugendumweltverbände genähert, indem ich empirisches Material über Flyer, Homepages, Newsletter und Social Media-Auftritte gesammelt habe und Feldforschung bei einem Jugendumweltfestival betrieben habe (s. 2, 3.2). Zwischen Januar und Oktober 2015 habe ich die Gruppendiskussionen durchgeführt. Ursprünglich hatte ich geplant, jeweils eine Jugendgruppe der Greenpeace- und der BUND-Jugend in vier bundesdeutschen Großstädten zu befragen. Jedoch stellte sich – entgegen meiner Rechercheergebnisse über die Gruppenhomepages – heraus, dass in zwei der Städte keine aktive Gruppe der BUND-Jugend existierte, so dass ich auf zwei andere Städte ausweichen musste. Den Kontakt zu den Jugendumweltgruppen habe ich per Mail aufgenommen. Dabei habe ich die Adressen angeschrieben, die ich auf den jeweiligen Homepages der Jugendumweltgruppen gefunden habe. In dem Anschreiben habe ich den Jugendgruppen mitgeteilt, dass ich eine soziologische Studie zu Jugendumweltgruppen mache und selbst als Jugendliche in einer Jugendumweltgruppe aktiv war (Anschreiben s. Anhang). Die Gruppen-
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diskussionen fanden in den von den Jugendgruppen gewählten Räumlichkeiten statt (s. 2. Beschreibung der Gruppen). Bei der Durchführung der Gruppendiskussionen habe ich darauf geachtet, die Jugendumweltgruppen möglichst wenig durch meine Präsenz zu stören, um zu gewährleisten, dass sie die für sie relevanten Themen fokussieren und auf ihre jugend- und milieuspezifische Art, in ihrer eigenen Sprach- und Ausdrucksweise diskutieren (vgl. Bohnsack 2014: 203ff, Loos/Schäffer 2001: 51ff). Um in hohem Maße selbstläufige Gruppendiskussionen zu erwirken, habe ich die Gruppendiskussion wenig durch Fragen strukturiert und nicht in die Verteilung der Redeanteile eingegriffen (vgl. Bohnsack 2014: 224-228, Loos/Schäffer 2001: 57ff). Meine Fragen zielten darauf ab, die Gruppendiskussion am Laufen zu halten, bis auf je eine Frage zu Klimawandel und zu Klimaschutz (s. Leitfaden im Anhang). Ich habe die methodologische Fremdheitshaltung in der Tradition der Mannheimschen Wissenssoziologie genutzt, indem ich Fragen absichtsvoll vage formuliert und mein eigenes Vorwissen ausklammert habe (vgl. Bohnsack 2014: 226, Degele 2004). Die Gruppendiskussionen habe ich per Audiodateien aufgezeichnet und vollständig transkribiert. Um Anonymität und Vertraulichkeit zu waren, habe ich nicht nur die Namen der Teilnehmer*innen anonymisiert, sondern auch die Namen der Landesverbände und Städte, da ansonsten einzelne Teilnehmer*innen leicht zu identifizieren wären. Um kenntlich zu machen, welche Gruppen zum gleichen Jugendumweltverband gehören, habe ich die Gruppen der Greenpeace-Jugend mit den Namen Kirsche, Erdbeere, Himbeere und Stachelbeere versehen, die Gruppen der BUND-Jugend mit den Namen Tomate, Gurke, Paprika und Kürbis. Teilnehmerinnen wurden mit Tw maskiert, Teilnehmer mit Tm, erwachsene Teilnehmer des Dachverbands mit Em, mein Kürzel ist JL. Darüber hinaus wurden die Teilnehmer*innen mit Zahlen durchnummeriert, entsprechend der Sitzordnung während der Gruppendiskussion. Für die Transkription wähle ich Regeln, die zwischen dem vereinfachten Transkriptionsverfahren (vgl. Kuckartz et al. 2008, Dresing/Pehl: 20-23) und den Transkriptionsregeln von TiQ (Talk in Qualitative Social Research, Bohnsack 2014: 253f) liegen. Ich transkribiere wörtlich, umgangssprachliche Verschleifungen glätte ich ins Hochdeutsche. Wort- und Satzabbrüche behalte ich bei. Die Rechtschreibung, Groß- und Kleinschreibung und Interpunktion folgt den Regeln der bundesdeutschen Grammatik (Kuckartz et al. 2008). Laut gesprochene Worte sind fett markiert, betonte gesprochene unterstrichen. Schwer verständliche Wörter stehen in Klammern. Mikropausen und Pausen habe ich im Transkript markiert, ebenso Überlappungen und gleichzeitiges Sprechen (s. Transkriptionsregeln, Anhang 3). Wenn ich aus dem Transkript zitiere, sind Auslassungen mit (…) markiert. Der Analyseprozess verlief, dem rekonstruktiv-qualitativen Para-
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digmas entsprechend, nicht linear, sondern zirkulär. Über den gesamten Erhebungs- und Analyseprozess habe ich ein Forschungstagebuch geführt, in dem ich mehrmals wöchentlich mein Vorgehen dokumentiert und reflektiert habe. Weiterhin habe ich zwischen März 2015 und Oktober 2016 regelmäßig AnalyseTandems mit Forschungskolleg*innen durchgeführt, um mein methodisches Vorgehen zu kontrollieren und zu reflektieren. Darüber hinaus habe ich meinen jeweiligen Forschungsstand mehrmals im Doktorand*innenkolloquium von Prof. Nina Degele am Soziologischen Institut der Universität Freiburg und bei Stipendiat*innenseminaren der Deutschen Bundesstiftung Umwelt vorgestellt und diskutiert. Im Laufe der Analyse haben sich neben Wissensbeständen zu Klimawandel und Klimaschutz als zentrale Vergleichshorizonte Umweltschutzpraktiken heraus kristallisiert. Dementsprechend habe ich meine wissenssoziologische Analyse um eine praxeologische Perspektive erweitert. Mein Verständnis von der Verknüpfung von Wissensbeständen, Praktiken und Orientierungsmuster erläutere ich im Folgenden. Kollektive Orientierungsmuster sind meinem Verständnis nach nicht nur die Rahmung von Wissensbeständen und Deutungsfiguren, sondern sie interagieren mit Organisationsstrukturen, Stimmungen und Praktiken der Jugendgruppen.28 Ich gehe von einem wechselseitigen Verhältnis aus: Orientierungsmuster wirken als Rahmung, die bestimmte Strukturen, Stimmungen und Praktiken logisch bzw. selbstverständlich erscheinen lässt. Gleichzeitig wirken Praktiken, Stimmungen und Strukturen auf Orientierungsmuster ein, denn sie prägen die impliziten Sinnstrukturen, die in konjunktiven Erfahrungsräume generiert werden. Implizite Sinnstrukturen gehen wiederum in kollektive Orientierungen ein. So prägen und reproduzieren sich Rahmung und Gerahmtes wechselseitig. Orientierungsmuster weisen meinem Verständnis nach einen Richtungssinn auf, sie sind auf etwas gerichtet. Im Kontext meiner Forschung zu Jugendumweltgruppen erweist sich Luhmanns Darstellung zur Protestorientierung im Kontext der Umweltbewegung als hilf-
28 Die Vorannahme, dass Organisationsstrukturen einen wesentlichen Einfluss auf die kollektiven Orientierungen haben, entnehme ich Asbrands wissensoziologischer Studie zu Jugendgruppen im Kontext von Globalisierung (s. 1.1) sowie meiner Forschung zu sozial-ökologischen Praxisformen (Lay/Westermayer 2014, Lay-Kumar 2016). Die Analyse von Stimmungen ist inspiriert von Bude (2016). Sie findet sich als Element der Dokumentarischen Analyse unter dem Begriff der Dramaturgie (Bohnsack et al. 2014: 140f).
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reich (Luhmann 1994, 1996, s. 2.0). Demnach sind Protestbewegungen auf ein Dagegen gerichtet, um das sie kreisen. Wie ich in der rekonstruktiven Analyse zeigen werde, findet sich ein ähnliches Muster bei einem Teil meiner Gruppen. Ich ergänze diese Analyse von Protestorientierungen mit dem Begriff der Orientierungsmuster, um aufzuzeigen, dass es sich um ein Orientierungsmuster handelt, das aus konjunktiven Erfahrungsräumen entspringt und diese rahmt. Analog dazu entwickele ich das Orientierungsmuster Gestaltungsraum, das sich dadurch charakterisiert, dass es um ein Dafür kreist. Meine Analyse von Praktiken fokussiert die Umweltschutzaktivitäten bzw. aktionen, die die Jugendumweltgruppen berichten. Ich nutze die praxeologische Perspektive als analytisches Werkzeug, um implizites Wissen im Wechselspiel mit Handlungsvollzügen zu untersuchen (Reckwitz 2003). Dies ermöglicht zu untersuchen, wie konjunktives, erfahrungsbasiertes Wissen hergestellt wird. Die Praxistheorie richtet ihren Blick auf die Mikroebene sozialer Praktiken, die als Grundelemente des Sozialen die Gesellschaft strukturieren (Reckwitz 2013, Shove 2002, Shove et al. 2005, 2007). Im Kern bestehen Praktiken aus einem „routinisierten ‚nexus of doings and sayings‘ [Schatzki], […] (der) durch ein implizites Verstehen zusammengehalten wird“ (Reckwitz 2003: 290). Im Kontrast zu einer rein sozialkonstruktivistischen Perspektive bezieht die Praxistheorie Handlungsvollzüge und Materialität in die Analyse ein (vgl. Reckwitz 2003: 284). Gemeinsam ist beiden Perspektiven die Grundannahme, dass implizite kollektive Orientierungsmuster als ordnende Elemente des Sozialen fungieren, die es Akteur*innen ermöglicht, die Welt als geordnet wahrzunehmen und handlungsfähig zu werden (vgl. Reckwitz 2003: 288). „Die Praxistheorie begreift die kollektiven Wissensordnungen ... nicht als ein geistiges ‚knowing that‘ oder als rein kognitive Schemata der Beobachtung, auch nicht allein als die Codes innerhalb von Diskursen oder Kommunikationen, sondern als ein praktisches Wissen..., ein know how, ... ein praktisches Verstehen im Sinne eines ‚Sich auf etwas verstehen‘.“ (Reckwitz 2003: 289)
Praktiken sind keine einzelnen, punktuellen Handlungen, sondern Handlungsvollzüge, die eine wiedererkennbare und stabile Form haben, auch wenn sie sich in unterschiedlichen Kontexten vollziehen (vgl. Reckwitz 2013: 289, Lay/Westermayer 2014: 5). Praktiken sind demnach wiedererkennbar, denn sie weisen spezifische Arrangements auf. Inspiriert von Shove (2002, 2007) beschreibe ich die Elemente einer Praktik als Wissensbestände, Handlungsvollzüge
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und Material bzw. Organisationsstrukturen.29 Material beschreibt die Verknüpfung von Praktiken zu materiellen Elementen, aber auch zu technischen Systemen und Artefakten (Shove et al. 2007, Reckwitz 2003, Lay/Westermayer 2014). Dabei unterscheidet die Praxistheorie nicht zwischen Elementen, die als Natur oder als Gesellschaft codiert werden, was für eine Analyse von Klima/Umweltschutzpraktiken hilfreich, da nicht reifizierend, ist (Brand 2011: 175, Westermayer 2008). Ich beziehe auch Organisationsstrukturen in Material ein, da sich Organisationsstrukturen in materiellen Gegebenheiten wie Räumen, Informationsmaterialien, Zelten kristallisieren. Die Analyse der Verknüpfung von Wissensbeständen, Handlungsvollzügen und Material nutze ich, um zu rekonstruieren, welches Wissen und welche Deutungen in Umweltschutzpraktiken enthalten sind. Dabei verstehe ich Wissensbestände als Elemente einer Praktik so, dass es sich um ganz spezifische Formen praktischen bzw. atheoretischen, impliziten Wissens handelt (vgl. Reckwitz 2003: 292). Dieser Perspektive folgend, sind es nicht Akteur*innen, die Wissen „besitzen“, sondern „die Frage (lautet), welches Wissen in einer bestimmten sozialen Praktik zum Einsatz kommt“ (Reckwitz 2003: 292). Aus Praktiken lassen sich Wissensbestände rekonstruieren, über die diejenigen, die eine Praktik vollziehen, verfügen. Mithilfe dieser analytischen Perspektive lässt sich aus den Praktiken, die Jugendumweltgruppen dokumentieren, auf darin enthaltene Wissensbestände und Deutungen schließen. Begrifflich unterscheide ich zwischen Handlungsvollzügen und berichteten Aktivitäten (s. 3.3). Da ich durch meine methodische Entscheidung für Gruppendiskussionen und dokumentarische Methode wenig an konkreten Handlungsvollzügen der Jugendgruppen beobachtet habe, bezieht sich meine rekonstruktive Analyse auf die Aktivitäten, die die Jugendgruppen in den Gruppendiskussionen berichten. Es geht demnach nicht darum, was die Jugendgruppen „wirklich“ machen, sondern welche Wissensbestände in den berichteten Aktivitäten enthalten sind und in ihrem Vollzug reproduziert werden. Ich verstehe die Praktiken der Jugendumweltgruppen als Praxisformen, d. h. als Bündel von Praktiken, die
29 Shove nennt die drei Elemente images, skills und material. Images stehen dabei für den kollektiven Sinngehalt sozialer Praktiken (vgl. Shove et al. 2007: 13ff; 26f; Shove 2002: 21ff, Lay/Westermayer 2014: 5), weshalb ich sie mit Wissensbestände und Deutungen übersetze. Anstelle von Shoves Begriff skills (Shove 2005; 2002) verwende ich den Begriff der Handlungsvollzüge. Denn meine Analyse richtet den Blick weniger darauf, welche Fähigkeiten Vorbedingung sind, um eine Praxis durchzuführen, sondern darauf, welche Aktivitäten die Jugendgruppen darstellen und welche Handlungsvollzüge mit welchen Wissensbeständen und Material interagieren.
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miteinander auf spezifische Weise verknüpft sind (Lay/Westermayer 2014, Reckwitz 2003). Ich entscheide mich dafür, besonders typische Praktiken der Gruppen exemplarisch darzustellen. Diese trenne ich analytisch aus dem Geflecht an Praktiken und analysiere die drei Elemente Wissensbestände, Handlungsvollzüge und Material bzw. Strukturen. Diese stelle ich exemplarisch anhand von Aktivitäten dar, die die Gruppen in den Gruppendiskussionen darstellen. Da die Jugendgruppen ihre Aktivitäten im Rahmen der Gruppendiskussionen oft stark verkürzt darstellen bzw. sich wesentliche Informationen zu Material und Handlungsvollzügen aus dem Kontext ergeben, ergänze ich die Berichte der Gruppen durch Feldbeobachtungen und Dokumentenanalyse.
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Empirische Analyse von Wissensbeständen und Deutungsfiguren zu Klimawandel und Klimaschutz
Für die Wissensbestände zu Klimawandel und Klimaschutz erweist sich als prägend, in welche Deutungsfiguren sie eingebettet sind und welche Orientierungsmuster sie rahmen. Meine rekonstruktive Analyse zeigt eine zentrale Differenz zwischen den Gruppen der Umweltverbände Greenpeace und BUNDJugend. Die Greenpeace-Jugendgruppen orientieren sich an Protest, die BUNDJugendgruppen an einem kontrastierenden Orientierungsmuster, das ich Gestaltungsraum nenne. Auffällig ist, dass die Einordnung in die beiden Orientierungen entlang der Zugehörigkeit zu den Umweltverbänden Greenpeace und BUND-Jugend verläuft. Ich stelle dieses Ergebnis meiner Analyse von Orientierungsmustern vorweg, da es erlaubt, die Darstellungen zu Klimawandel und Klimaschutz vor den prägenden Sinnhorizonten der Jugendgruppen zu verstehen. Da die zentrale Differenz entlang der Zugehörigkeit zu den Umweltverbänden verläuft, ergibt sich folgende Einordnung der Fälle: Ich rekonstruiere jeweils zwei typische Fälle, einen Extremfall sowie einen untypischen Fall. Da ich für die Orientierungen Protest und Gestaltungsraum jeweils zwei typische Fälle rekonstruiere, reduziere ich die ausführliche Beschreibung von acht auf sechs Fälle. Das kollektive Orientierungsmuster Protest lässt sich mit Luhmann (1994) idealtypisch als Kreisen um ein „Dagegen“ beschreiben. Es handelt sich um „soziale Einheiten, die sich am Protest orientieren und dadurch eine bestimmte Distanz zur Gesellschaft und eine bestimmte eigene Struktur gewinnen“ (Luhmann 1994: 54). Statt eines binären Codes kreisen sie um das Thema ihres Protestes. Ich verstehe die Jugendumweltgruppen in diesem Sinne als soziale Systeme, die teilweise der Protestlogik folgen und „sich selber von der Umwelt abgrenzen,
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indem sie sich bestimmte Protestthemen herausgreifen und diese kommunikativ behandeln, so daß eine Kommunikation als zugehörig oder nicht zugehörig erkennbar ist“ (Luhmann 1994: 54). Das Protestthema der von mir untersuchten Jugendumweltgruppen ist Umweltzerstörung, „all diese schlechten Dinge auf der Welt“ (Kirsche, Z. 508), „Missstände“ (Stachelbeere, Z. 34) und die „Verbrechen“ der Konzerne (Erdbeere, Z. 94). Ich verwende den In-Vivo-Code die schlechten Dinge auf der Welt als analytischen Code, weil sie die Protestorientierung auf den Punkt bringen und die implizite Normativität hinreichend zur Geltung bringen. Dagegen sein bedeutet für diese Jugendumweltgruppen, gegen eine Dystopie zu kämpfen, in der Umwelt und Menschheit vernichtet werden. Sie entsprechen Luhmanns Beschreibung, dass Protestbewegungen an andere adressiert sind und deren Verantwortung anmahnen. Die Jugendumweltgruppen machen dabei eine Differenz auf zwischen „Wir und die Gesellschaft“ (vgl. Luhmann 1994: 55), die die Herstellung von Abgrenzung und Zugehörigkeit ermöglicht. Ich verwende die Anderen als analytischen Code, zusammenfassend für die Darstellungen der Jugendgruppen über „die Leute“, „andere“, „die“ – eine Gruppe, die sie nicht näher benennen, und die vor allem als Abgrenzungsfolie dient. Die Protest-Gruppen verweisen besonders häufig auf die Anderen. Die protestorientierten Jugendgruppen verstehen sich als Kämpfer*innen, die die bedrohte „Umwelt“ gegen die zerstörerische „Gesellschaft“ verteidigen, häufig unter Verwendung einer David-Goliath-Metapher. Die protestorientierten Gruppen gehen implizit davon aus, über das normativ richtige Wissen und die richtigen Handlungspraktiken zu verfügen, was sie von den Anderen unterscheidet. Die Darstellungen der protestorientierten Fälle sind häufig mit Stimmungen der Empörung und Verzweiflung verbunden, da sich – ihrer Perspektive nach – die Entwicklung einer dystopischen Zukunft kaum noch aufhalten lässt: „Eigentlich haben wir gar keine andere Möglichkeit als Dystopia.“ (Kirsche, Z. 1194) Folgende vier Fälle dokumentieren das Orientierungsmuster Protest (s. Tab. 4): Der typische Fall Kirsche ist eine Großstadtgruppe, die ich während der wöchentlichen Gruppenstunde in den Räumen des Dachverbands Obst befragt habe. Aus einer Gruppe von ca. 20 Jugendlichen, die Plakate für eine ProtestDemonstration malten, meldeten sich sieben Jugendliche (6 Tw, 1 Tm) zur Gruppendiskussion im Nachbarzimmer. Die Teilnehmer*innen waren zwischen 15 und 18 Jahren alt, der Altersdurchschnitt lag bei 16,9 Jahren. Der typische Fall Erdbeere, den ich verkürzt darstelle, ist eine Gruppe aus einer kleineren Großstadt, die ich während der wöchentlichen Gruppenstunde befrage. Da die Räume, die Greenpeace gewöhnlich nutzt, wichen wir auf ein Klassenzimmer in einer ökologisch geprägten Privatschule aus, zu der ein Gruppenmitglied den Schlüssel hatte. Die neun Teilnehmer*innen (6 Tw, 3 Tm)
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waren zwischen 14 und 19 Jahren alt, der Altersdurchschnitt lag bei 16 Jahren. In dieser Gruppe war ein Erwachsener anwesend, der als Ansprechpartner der örtlichen Greenpeace-Erwachsenengruppe stets an den Gruppenstunden teilnimmt. Während des Treffens fand ein veganes Picknick statt. Der Extremfall Stachelbeere ist eine Gruppe aus einer kleineren Großstadt, die ich unmittelbar vor der wöchentlichen Gruppenstunde in den Räumen des Dachverbands Obst befragt habe. Anwesend waren fünf Jugendliche (4 Tw, 1 Tm), die sich als harter Kern der Jugendgruppe verstehen. Die Befragung dieser Jugendgruppe wurde mir durch die Gruppe Kirsche empfohlen, da sie besonders radikal sei. Die Teilnehmer*innen waren zwischen 15 und 17 Jahren alt, der Altersdurchschnitt lag bei 16,2 Jahren. Der untypische Fall Himbeere ist eine Großstadtgruppe, die ich im Anschluss an die wöchentlichen Gruppenstunde in den Räumen des örtlichen Greenpeace Büros befragt habe. Die zwölf Teilnehmer*innen (9 Tw, 3 Tm) waren zwischen 14 und 19 Jahren alt, der Altersdurchschnitt lag bei 17 Jahren. Es war die einzige Gruppe, in der offensichtlich mehrere Mitglieder mit Migrationshintergrund dabei waren. Dies wurde ersichtlich, weil sie sich während der Gruppendiskussion mehrfach kurz in ihrer Muttersprache unterhielten. Die Jugendgruppen der BUND-Jugend orientieren sich an einem kontrastierenden Orientierungsmuster, das das ich Gestaltungsraum nenne und dessen Charakteristik ich kurz erläutere. Die Luhmannsche Beschreibung, dass Protestbewegungen um ein Dagegen kreisen, lässt sich auf den Idealtyp der Gestaltungsbewegung so übertragen, dass diese um ein Dafür kreist. Im Zentrum von „Dafür“ steht die Utopie einer „besseren Welt als Endprodukt“ (Kürbis, Z. 319). Ich verwende bessere Welt als analytischen Code, um sichtbar zu machen, dass die Gruppen sich auf eine normativ geprägte Deutung beziehen. Die Wissensorganisation der Gestaltungsraum-Gruppen charakterisiert sich durch ein interaktives Erarbeiten von Einschätzungen, entsprechend der Idee, eine bessere Welt gemeinsam zu gestalten. Der Weg dorthin orientiert sich an „den guten Alternativen, da, wo wir hinwollen, unsere Vision, unsere Utopie“ (Paprika, Z. 321-325). Diese Alternativen beziehen sich auf Alltagspraktiken und Praxisformen, experimentelle Settings und Infrastrukturen, die sich auf „utopischen Halbinseln“ (Habermann 2009) befinden. Es handelt sich um geschützte halboffene Settings, in denen mit „Alternativen zu Kapitalismus, Geld und Tauschlogik“ experimentiert wird (Habermann 2009: 7). Die Jugendgruppen charakterisieren diese als Orte, die „nicht ganz der Utopie, aber auch noch nicht ganz der Realität“ (Tomate, Z. 246-248) angehören. Die derart orientierten Gruppen inszenieren sich als visionäre Pionier*innen, die den per se noch offenen Zukunftsraum bearbei-
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ten, indem sie „die Veränderung leben, die man sich in der Welt wünscht“ (Gurke, Z. 180/181). Die gestaltungsorientierten Gruppen grenzen sich auf expliziter Ebene nur schwach von den Anderen ab, denn für die Gestaltung einer besseren Welt braucht es, der Logik der Gruppen nach, keine „Parallelwelt“, sondern „Connections zu anderen“ (Tomate, Z. 566-569). Die operationale Schließung der Gruppen funktioniert über die Settings, in die die konjunktiven Erfahrungsräume eingebettet sind. Die Gestaltungsraum-Gruppen stellen eine Aufbruchstimmung her, die sich durch ihren Fokus auf das Dafür ergibt, auf die bessere Welt, die im Kleinen, in ihrem konjunktiven Erfahrungsraum, bereits erfahrbar sein soll. Folgende vier Fälle dokumentieren das Orientierungsmuster Gestaltungsraum: Der typische Fall Tomate ist eine Gruppe aus dem periurbanen Raum einer Großstadt, die ich auf einem Jugendumweltfestival befragte. Einige Mitglieder waren ehrenamtlich in die Organisation des Festivals eingebunden, ich kannte sie vom meinem Festival-Besuch im Vorjahr. Die drei Teilnehmer*innen (2 Tw, 1 Tm) waren 16 bis 19 Jahre alt, der Altersdurchschnitt lag bei 17,3 Jahren. Der typische Fall Gurke, den ich verkürzt darstelle, ist ebenfalls eine Gruppe aus dem urbanen bis periurbanen Raum einer Großstadt, die ich auf demselben Jugendumweltfestival wie Tomate befragte. Auch diese Teilnehmer*innen kannte ich von der vorjährigen Feldforschung. Die drei Teilnehmer*innen (1 Tw, 2 Tm) waren 16 bis 21 Jahre alt, der Altersdurchschnitt lag bei 18,3 Jahren. Der Extremfall Paprika ist Großstadt-Gruppe, die als Vertreter*innen des Arbeitskreises „Klimaschutz“ auftraten, der Teil des örtlichen BUNDJugendverbands ist. Die Gruppendiskussion fand in den Räumen des Jugendumweltverbands statt. Die drei Teilnehmer*innen (1 Tw, 2 Tm) kamen eigens zu diesem Termin, der über Wochen im Voraus verabredet war. Sie waren zwischen 17 und 26 Jahre alt, der Altersdurchschnitt lag bei 22,6 Jahren. Der untypische Fall Kürbis ist eine Gruppe aus dem periurbanen Raum einer Großstadt, die ich während einer Vorstandssitzung des örtlichen Landesjugendverbands befragte. Die Gruppendiskussion fand im Elternhaus von einem der Mitglieder statt. Die sieben Teilnehmer*innen waren zwischen 17 und 22 Jahre alt, der Altersdurchschnitt lag bei 18,7 Jahren.
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Tabelle 1: Einordnung der Fälle
Protest Gruppen Obst Himbeere Kirsche Erdbeere Stachelbeere Gruppen Gemüse Kürbis Tomate Gurke Paprika
Gestaltungsraum
x x x x
typisch
untypisch
extrem
Fallbeschreibung in Kap.
x
2.1.1. 2.1.2 3.2 2.2.
x
2.1.1 2.1.3 3.2 2.1
x x x
x x x x
x x x
2.1 DEUTUNGSFIGUREN ZU KLIMAWANDEL Entgegen meiner Vorannahmen sind Klimawandel und Klimaschutz für Jugendumweltgruppen nicht durchgängig wesentliche Themen. Zu Beginn meines Forschungsprojekts entschied ich mich dafür, Jugendumweltgruppen zu befragen, weil ich davon ausging, dass diejenigen, die in Umweltschutzgruppen aktiv sind, einen Kontrast bilden zur Mehrheit der Jugendlichen, die – laut repräsentativen Jugendstudien – Klimawandel größtenteils nur problematisieren, jedoch nicht aktiv werden. Die untersuchten Jugendumweltgruppen dokumentieren keine einheitlichen Deutungsfiguren zu Klimawandel und Klimaschutz. In der Rekonstruktion von impliziten Sinnstrukturen zeigt sich, dass die argumentativen Stolpersteine, die ich im theoretischen Rahmen herausgearbeitet habe, bei einer Mehrheit der Jugendumweltgruppen zu Unsicherheit oder Hilflosigkeit führen. Bewertungsunsicherheit, Hilflosigkeit und/oder Fatalismus bestimmen die Sinnstrukturen der protestorientierten Jugendgruppen der Greenpeace Jugend. Die gestaltungsorientierten Jugendgruppen der BUND-Jugend dagegen zeigen sich bewertungssicher und fokussieren eigene Handlungsmöglichkeiten – bis auf den untypischen Fall Kürbis.
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Klimawandel ist allen ein geläufiger Begriff. Auf meine Frage, was sie über Klimawandel denken bzw. wissen, reagieren jedoch mehrere Gruppen irritiert.1 Die Frage nach der Einschätzung von Klimawandel wirkt auf einige Gruppen irritierend, weil sie die implizite Protestlogik durchbricht, gegen Klimawandel zu sein, ohne sich zwangsläufig näher damit zu beschäftigen, was dieses „dagegen“ bedeutet (s. 2.1.2). Auffällig (und für mich überraschend) ist, dass die Existenz eines anthropogenen Klimawandels unter jugendlichen Umweltschützer*innen nicht unumstritten ist (s. 2.1.1). Selbst Jugendumweltorganisationen halten es nicht für selbstverständlich, dass Klimawandel anthropogen verursacht ist. Die Thesen von Klimawandelskeptiker*innen verunsichern selbst diejenigen, für die bereits klar ist, dass sie sich für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen wollen. Während die Unsicherheit über die Bewertung von Klimawandel auf einer Seite des Kontinuums steht, stehen auf der andere Seite Gruppen, die sich intensiv mit Klimawandel beschäftigen und auf meine Frage „Mini-Referate“ zu Klimawandel halten (s. 2.1.3). Diese Gruppen charakterisiert, dass sie von der Problemanalyse schnell zu Lösungsansätzen, also zu Klimaschutzstrategien, kommen. Während meine rekonstruktive Analyse große Unterschiede in den Orientierungen der Jugendumweltgruppen hervorbringt, liegen sie bei einem Vergleich mit der gesamten Altersgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen nah beieinander (s. 1.1., 2.3). Für alle Jugendgruppen ist klar, dass sie Klimawandel als Problem rahmen und bereit sind, sich für Klima- und Umweltschutz einzusetzen, sowohl im Rahmen von Aktionen ihrer Umweltverbände, als auch auf der Ebene individueller Konsumentscheidungen. Diese Rahmenorientierungen überraschen nicht, da ich ausschließlich Jugendliche und junge Erwachsene befragt habe, die in Umweltverbänden aktiv sind. Die Jugendgruppen räumen der Thematisierung von Klimawandel und Klimaschutz in den Gruppendiskussionen eine unterschiedlich starke Relevanz ein: Alle Gruppen problematisieren auf meine Nachfrage Klimawandel. Doch nicht alle stellen einen Bezug zwischen Klimaschutz und ihrem Umweltengagement her. Die Frage danach, welche Relevanz die Gruppen Klimawandel und Klimaschutz zuschreiben, führt zu
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Etwa ein Drittel der Gruppen antworteten mit einer Bewertung, etwa ein Drittel gab eine Wissensantwort, etwa ein Drittel reagierte mit Unsicherheit oder internen Diskussionen. Mehrmals entstand eine längere Pause, in zwei Gruppen (Himbeere, Stachelbeere) fragen die Teilnehmer*innen, was mit der Frage gemeint sei. Möglicherweise war meine Frage („Was wisst ihr, was denkt ihr über Klimawandel?“, s. Leitfaden im Anhang), die ich absichtlich vage formuliert hatte, ungünstig gestellt, da sie sowohl eine Wissensantwort, als auch eine Meinungsäußerung abfragte.
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der umfassenderen Frage, im Rahmen welcher Deutungsmuster die Gruppen Klimawandel und -schutz thematisieren. Zunächst betrachte ich die Inszenierung von Sicherheit und Unsicherheit in der Bewertung von Klimawandel. Die drei Unterkapitel stehen für drei kontrastierende Deutungsfiguren von Klimawandel. Bei der Thematisierung von Klimawandel und Klimaschutz spielt soziale Erwünschtheit eine große Rolle. Klimaschutz ist mit einer hohen normativen Erwünschtheit geladen (Kuckartz 2011, Beyerl 2010, Welzer et al. 2010). So erlaubt es das Setting einer Gruppendiskussion im Kontext von Umweltschutz den Gruppen nicht explizit zu sagen, dass sie sich nicht für Klimawandel interessieren und finden, für die Lösung seien andere verantwortlich. Die Gruppen, für die Klimaschutz kein relevantes Thema ist, markieren dies durch Aussparungen, z. B. indem sie bei der Frage nach Aktionen der Gruppe nicht über Klimaschutzaktionen sprechen und insgesamt das Thema Klimawandel auf eine Antwort auf meine Frage begrenzen und stattdessen ausführlich über andere, für sie relevantere Themen, wie Empörung über Konzernpraktiken und Tierleid, diskutieren (s. 3.1, 3.2). Zwar bewegen sich die Gruppen alle in der Logik der Umweltbewegung, in der Verantwortungsübernahme „für die Umwelt“ groß geschrieben wird. So weist keine Gruppe die Verantwortung für Klimaschutz explizit von sich. Auf impliziter Ebene tendieren aber protestorientierte Gruppen dazu, den Anderen – als nicht genauer spezifizierte Gruppe, von der sie sich stark abgrenzen – die Verantwortung für Klimazerstörung zuzuschreiben sowie die Notwendigkeit, ihr Denken zu ändern. Sie dethematisieren gleichzeitig, ob sie eine Notwendigkeit sehen, selbst für Klimaschutz aktiv zu werden – ob auf individueller oder kollektiver Ebene. Im Kontrast dazu stellen gestaltungsorientierte Gruppen Klimawandel als „unsere Generationenaufgabe“ (Paprika, Z. 91) dar und beziehen ihr Alltagshandeln und/oder ihren Aktivismus auf Klimaschutz. Die kontrastierenden Deutungen zu Klimaschutz und Verantwortung analysiere ich in Kapitel 2.2. Verantwortung für Klimaschutz. 2.1.1 Bewertungsunsicherheit im Kontext von Klimawandel Die beiden untypischen Gruppen Kürbis und Himbeere stehen für Fälle, die sich durch die Thematisierung von unsicherem Wissen und fehlender Bewertungssicherheit charakterisieren. Die Unsicherheit, ob Klimawandel anthropogen verursacht ist, erweist sich als unerwarteter Stolperstein für die beiden Gruppen, die sich zu anderen Themen bewertungssicher zeigen und eine Vielzahl an Umweltschutzaktivitäten berichten. Als Konsequenz aus der Bewertungsunsicherheit dokumentieren sie Handlungsunsicherheit in Bezug auf Klimaschutz. Damit
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unterscheiden sie sich wesentlich von Gruppen, die entweder unsicheres Wissen (weitgehend) dethematisieren oder es reflektieren, ohne jedoch die Bewertungsund Handlungssicherheit zu verlieren. Während die Gruppe Kürbis Klimawandel als zu „abstrakt“ deutet und deshalb keinen Zugriff darauf erlangt, kommt es in der Himbeere um eine Kontroverse über die Aussagen von Klimaszenarien, die zu Verunsicherung führen. Die Fallbeschreibung der Gruppe Himbeere zeigt einen untypischen Fall in meinem Sample. Die Kontroverse um die Einschätzung von Klimawandel ist dadurch charakterisiert, dass zwei unterschiedliche Orientierungen aufeinander treffen: Die protesttypische Orientierung dagegen, die darauf zielt, Klimawandel als problematisch beurteilen und zu bekämpfen, und eine naturwissenschaftlichskeptische Orientierung. Die Gruppe Himbeere schreibt Klimawandel eine hohe Relevanz zu, kann sich aber nicht auf eine gemeinsame Bewertung einigen. Es stellt sich – wie später auch bei anderen Gruppen (Kürbis, Kirsche, Erdbeere) – heraus, dass die Gruppe sich noch nicht reflexiv mit Klimawandel befasst hat. Himbeere hat jedoch vor einiger Zeit eine (bereits durchgeplante) Aktion gegen Klimaschutz durchgeführt (s. 4.1). So selbstverständlich, wie die Gruppe davon ausgeht, dass Klimawandel allen vor Augen stehe („man bekommt das ja überall auch in den Nachrichten irgendwie mit“, Z. 478/479), so unsicher reagiert sie auf meine Frage, was sie über Klimawandel wissen und denken. Sie beziehen Klimawandel sogar auf eine Protestaktion, die sie durchgeführt haben, können jedoch die Zusammenhänge auf der Ebene expliziten Wissens nicht unmittelbar herstellen. Tm1: „Haben wir (1) haben wir eigentlich überhaupt schon mal so über Klimawandel direkt @2@ gesprochen? Also … wir haben uns mehr so auf (1) ja, auf Teile so versteift, also das mit dem Plastik, oder ...was war das noch? Ach, genau doch, das die ähm (1) mit so einer Ölplattform. (…) Tw1: Damit die da halt nicht mehr nach Öl bohren. Tm1: Ach, das ist ja auch so ein Teil der Sache. Also, damit die Meere nicht mehr verschmutzt werden und die Eisbären überleben und so weiter. Tw1: Ja und Erderwärmung und Treibhauseffekt. Tm1: Ja, genau, dieser. Ja, hängt ja alles miteinander zusammen.“ (Himbeere, Z. 459-477)
Himbeere vermischt dabei Plastikverschmutzung in den Meeren mit der Ölförderung in der Arktis, dem Aussterben von Eisbären und dem Treibhauseffekt zu
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einem umfassenden Kausalzusammenhang, der Teil des impliziten Wissens ist und daher nicht expliziert wird. Die Thematisierung von Klimawandelwissen erfolgt anhand von Bildern, die auf massenmediale Berichterstattung rekurrieren. Die Aufzählung von Klimawandelwissen erfolgt zunächst in einem Leierton, der darauf hindeutet, dass die Zusammenhänge als nicht besonders interessant und allgemein bekannt eingestuft werden. Zunächst will die Gruppe die Frage, was sie über Klimawandel wissen, übergehen und gleich zur Aktion übergehen, dem Informieren, „wie man konkret was dagegen tun könnte“ (Z. 489/490) (s. 3.3.). Der Teilnehmer Tm3, der am längsten in der Gruppe aktiv ist und einen Expertenstatus inne hat, wirft die vermeintlich sichere Bewertungsbasis um, indem er das kollektive Nichtwissen und die Unsicherheit in der Bewertung von Klimawandelszenarien thematisiert (s. 4.2). „Also, ich glaube, so richtig über den Klimawandel wissen wir nicht so richtig viel, aber äh (.) das liegt ja auch an den Quellen.“ (Himbeere, Z. 486/487) Er zielt auf den wissenschaftlichen Diskurs zur Unsicherheit von Klimamodellen ab, sowie der Schwierigkeit, daraus Handlungsimplikationen abzuleiten. Dadurch entsteht in der Gruppe eine Stimmung der Verunsicherung, die dazu führt, dass sie sich nicht mehr in der Lage sieht, über Klimawandel zu informieren.2 Es entwickelt sich ein oppositioneller Diskurs zwischen Tm3 und mehreren anderen Teilnehmer*innen, die eine klare Bewertung treffen wollen, um handlungsfähig zu bleiben. Letztere Orientierung ist nicht von einem erkenntnistheoretischem Interesse geprägt, sondern vom Interesse an konkreten, alltagspraktischen Strategien. Als Hemmschwelle wird thematisiert, dass das Wissen über zukünftige Auswirkungen von Klimawandel unsicher sei: „Wir wissen ja eigentlich gar nicht so genau, was es alles für Auswirkungen hat, … wir können ja nicht hellsehen, was alles Schlimmes passieren könnte.“ (Himbeere, Z. 504-507) Tm3 elaboriert seine Position, indem er die unsicheren Wissensbestände ausweitet auf das Forschungsgebiet der Klimatologie, auf die Entstehung von Erderwärmung im Allgemeinen und die Modellierung von Szenarien. Andere, neuere Teilnehmer*innen verstehen Tm3‘s Darstellungen und wissenschaftliche Wortwahl nicht. Sie verstehen Tm3‘s Aussage so, als wolle er Klimawandel verharmlosen bzw. klein reden. Die Gruppe Himbeere ringt um eine gemeinsame Deutung in einem zunächst antithetischen Diskurs, in dem zahlreiche Teilnehmer*innen durcheinander reden.
2
„Informieren“ ist die bevorzuge Praktik der Gruppe Himbeere. Aus welchen Wissensbeständen, Handlungsvollzügen und Material sich die Praktik des Informierens zusammensetzt, rekonstruiere ich in 3.3.
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Tm3: „Wir kennen ja noch nicht mal wirklich den Treibhauseffekt an sich, wir wissen, es gibt einen Treibhauseffekt und wir wissen auch, es gibt einen anthropogenen Treibhauseffekt, wir wissen gar nicht, in welchem Maß der stattfindet. (Z. 509/511). [Tm1: °Was das (ist)?° @(.)@ [Tw1: Der nicht natürliche, der durch uns stattfindet. [Tm1: Ah so, ja. Ob er stattfindet und ob er wirklich Auswirkungen auf unser Weltklima hat und wir vertreten so die (1)
Das wissen wir eben nicht! Wir vertreten die eine Meinung
und, die [Tw2: Doch, hat er! präventive, die präventive Meinung und wir verringern es (.) und für den Fall, dass er existiert, so wie das worst case Szenario es beschreibt, ähm versuchen wir, was dagegen zu tun, aber Tw8: Ah! [wütend] Tschuldigung! [°@3@° so richtig viel Ahnung darüber und fundierte Quellen haben wir eigentlich nicht dazu. Also, was heißt wir? Die Forschung, das ist so zweideutig.“ (Himbeere, Z. 509-530)
Es kommt zu einer Annäherung, da sich die Gruppe auf das Streben nach Wissen, inklusive dem „Hinterfragen von Informationen“ einigen kann. Während es sich bei der Darstellung Tm3‘s um die Inszenierung von Unsicherheit bei relativ hohem Kenntnisstand von naturwissenschaftlichen Fachdiskursen handelt, zeigen sich andere Teilnehmer*innen verunsichert, ob ihre Bewertung von Klimawandel als „schlimm“ nicht begründbar ist. Weil sie nur über medial vermitteltes, abstraktes Wissen zu Klimawandel verfügen, das sie – ihren Darstellungen nach – noch nicht reflektiert und prozessiert haben, lassen sie sich von Tm3‘s Darstellungen so verunsichern, dass sie sich nicht als bewertungskompetent sehen: „Ich wusste nicht, dass man nur denkt, dass es schlimm ist.“ (Himbeere, Z. 573). Aus der Reflexion von Nichtwissen und unsicherem Wissen kommen sie zur Handlungsunsicherheit. Innerhalb der Diskussion wird denjenigen, die sich zuvor noch nicht mit Klimawandelszenarien beschäftigt haben (und es handelt sich um eine Gruppe mit vielen Neumitgliedern), das implizite Wissen vermittelt, dass eine Bewertung von Klimawandel als „schlimm“ kaum möglich ist, da es an sicheren Wissensbeständen fehlt und die Beschäftigung mit Klimawandelszenarien nicht unmittelbar zu Bewertungssicherheit führt. Auch wenn die Gruppe reflektiert, dass diese Dynamik entsteht und zu Handlungsunsicherheit führt, gelingt es ihr vorerst nicht, zu anderen Deutungen zu kommen. So kritisiert ein Teilnehmer die Darstellung, eine sichere Einschätzung von Klima-
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wandel sei nicht möglich, da diese leicht zur Verharmlosung von Klimawandel führe; „Leute“ nutzten die Unsicherheit als Argument, um auf Klimaschutzmaßnahmen zu verzichten. Die eigene Unsicherheit verhindere, für Klimaschutz zu werben. „Manchmal hat man das Gefühl, wenn man … nicht alle Informationen hat oder genau weiß, wie jetzt die sozusagen wissenschaftliche Ansicht da ist, … man kann da irgendwie nicht irgendwie Leuten was drüber erzählen.“ (Himbeere, Z. 625-630)
Die Gruppe deutet die Verwirrung und Hilflosigkeit jedoch nicht als statischen Zustand, sondern sie versteht sich im Prozess des Strebens nach sicherem Wissen und Bewertungssicherheit, um auf dieser Grundlage gut informiert in die Aktion zu gehen. Wenn sie erst „Informationsquellen zusammen[ge]tragen“, „Informationen hinterfrag[t]“ und sich „eine eigene Meinung [ge]bilde[t]“ (Himbeere, Z. 339-541) haben, können sie ihrer Einschätzung nach an den Punkt kommen, aktiv für Klimaschutz einzutreten. Im Kapitel 4 zeige ich, inwiefern die Deutungsfiguren des untypische Falls Himbeere von den anderen Protestfällen abweichen, weil er durch ein abweichendes Milieu geprägt ist (s. 4.2.). Die Fallbeschreibung der Gruppe Kürbis zeigt einen untypischen Gestaltungsraum-Fall. Während die Gruppe sich bei anderen Themen bewertungssicher und handlungsorientiert inszeniert, deutet sie Klimawandel als so wenig greifbar und einschätzbar, dass sie keinerlei Zugriff darauf hat. Sie reproduziert in der Thematisierung von Klimawandel Unsicherheit und Hilflosigkeit. In der Passage zu Klimawandel mischen sich zwei Sinnstrukturen der Gruppe: Die Ablehnung von abstrakten Fragestellungen sowie die Ausrichtung an eigenem erfahrungsbasierten Wissen. Die Gruppe hat bereits zu Beginn der Gruppendiskussion eine Unterscheidung zwischen abstrakten und alltagspraktischen Themen aufgemacht und ihre Präferenz für alltagspraktische Aktivitäten betont. Die Thematisierung wird nach vierzig Minuten selbstläufiger Diskussion zu Umweltschutz- und Umweltverbandsthemen von mir initiiert. Die Gruppe rahmt Klimawandel als Thema, mit dem sie sich nicht beschäftigen. Im Erfahrungsraum der Jugendgruppe haben die Teilnehmer*innen Klimawandel bislang nicht thematisiert. Alle Teilnehmer*innen rekurrieren auf Wissensbestände, die sie außerhalb der Jugendgruppe erworben haben, eine gemeinsame Deutung fehlt. Bereits die explizite Rahmung macht eine fehlende Beschäftigung der Gruppe mit Klimawandel deutlich: „wir beschäftigen uns [in der Schule] nicht, also wir beschäftigen uns schon mit dem Weltklima“ (Z. 471).
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„Ich habe in der Schule noch Erdkunde und da beschäftigen wir uns nicht, also da beschäftigen wir uns schon mit dem Weltklima. … da haben wir uns unter anderem mit dem Strom El Niño beschäftigt, das ist auch so ein Naturphänomen, was man nur begrenzt bisher erklären kann. … man sagt, dass dieses Phänomen sich verändert, wenn sich das Klima langfristig ändert. … Aber da weiß halt auch niemand so genau, was da eigentlich passieren, könnte, wenn sich das Klima ändert, weil man sowieso nicht weiß, woher dieses El Niño-Phänomen kommt, ähm so dass, glaube ich, Klimawandel eine Sache ist, ähm die ist zwar abstrakt, also, wir wissen nicht, wie können wir jetzt anpacken, aber wir wissen äh, sie wird auch noch abstrakter sozusagen dadurch, dass wir nicht wissen, was kommen kann. … Und das macht es, glaube ich, so schwierig, zum einen, für einen selbst was dagegen zu tun, und zum anderen, andere Leute dazu zu bringen, was dagegen zu tun.“ (Kürbis, Z. 476-488)
Wie auch der Fall Himbeere rechnet Kürbis das Phänomen Klimawandel der Klimatologie zu. Sie vergleicht Klimawandel mit El Niño, das sie als „Naturphänomen“ darstellen, dass kaum erklärbar sei und dessen Ursachen unbekannt seien. Klimawandel ist demnach eine opake, abstrakte Gefahr, die am Horizont anrollt. Diese klimadeterministische Perspektive macht unsichtbar, wie gesellschaftliches Handeln mit Klimaveränderungen interagiert. Die Gruppe inszeniert ihre Wissensbestände als unsicher und defizitär, durch ständige Wiederholung von „man weiß nicht/wir wissen nicht“ und die Berufung auf das Wissen anderer (z. B. „in der Schule“, „man sagt“). Im Kontrast zur Gruppe Himbeere geht Kürbis implizit davon aus, dass es nicht möglich ist, sicheres Wissen über Klimawandel zu erlangen („man nur begrenzt erklären kann“, „niemand weiß“). Die vorhandenen abstrakten Wissensbestände (zum Abbrechen des Golfstroms oder langen Wintern in New York und Großbritannien) werden erdrückt von der Betonung des Nichtwissens und der Unsicherheit. Da greifbare Handlungsoptionen („es anpacken“) und die Perspektive für die Handlungspraxis fehle, sei es „so schwierig“, gegen Klimawandel einzutreten. An dieser Stelle thematisieren mehrere Teilnehmer*innen klimaskeptische Positionen bzw. die Unsicherheit in der Klimaforschung („dass sich die Forscher ja alle selbst noch nicht einig sind“, Z. 489). „Dass es halt ein sehr abstraktes Thema ist und dass sich die Forscher ja alle selbst noch nicht einig sind und niemand genau die Folgen berechnen kann … was man selbst tun kann, ist halt (.) auch begrenzt, also weniger Atomstrom äh weniger Strom, Kohle in die Luft blasen, weniger Strom verbrauchen.“ (Kürbis, Z. 489-494)
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Da die Gruppe die Beschäftigung mit „abstrakten Themen“ ablehnt, bedeutet die Einstufung von Klimawandel als „abstrakt“, dass sie der Thematik keine (praktische) Relevanz zusprechen. Dies erklärt sich aus der Handlungsorientierung der Gruppe, die auf konkrete Aktivitäten abzielt, die schnelle Erfolgserlebnisse bringen, z.B. die Veränderung der eigenen Ernährungsgewohnheiten. Die Gruppe Kürbis nennt keine Handlungsmöglichkeiten für Klimaschutz über den Verzicht auf Schädigungen hinaus (s. 2.2). Damit ist das Thema Klimaschutz für sie abgehakt. Doch darüber hinaus entwickelt die Gruppe eine Dynamik, die von der Reproduktion von Unsicherheit geprägt ist und jeglichen Bewertungs- und Handlungsspielraum auflöst. Schließlich erscheint selbst eine anthropogene Ursache von Klimawandel als unsicher („dass es gar nichts mit dem Menschen zu tun hat, durch die Konstellation der Sterne“ (Z. 569-571), die Gruppe kommt zu dem Schluss, „dass man noch viel zu wenig °darüber weiß, um (.) irgendwas darüber zu sagen°“. (Z. 583/584). Der Fokus auf Nichtwissen, die fehlende Selbstzuschreibung von Bewertungskompetenz sowie das Ausblenden von konkreten Klimaschutzoptionen verhindern bei dieser Jugendgruppe jegliche Aktivität zu Klimawandel, sei sie diskursiv oder praktisch. 2.1.2 Klimakatastrophe: eine protesttypische Deutungsfigur Im Kontrast zur Bewertungsunsicherheit der untypischen Fälle Himbeere und Kürbis inszenieren sich die typischen Protest-Fälle Kirsche, Stachelbeere und Erdbeere als bewertungssicher. Charakteristisch ist, dass sie fragmentartige Wissensbestände dokumentieren. Statt Zusammenhänge über inhaltliche Verknüpfungen herzustellen, fungiert Empörung als Kitt zwischen den Aussagen. Bei den typischen Protestgruppen geht die Orientierung am Dagegen einher mit einem Denkstil, der normativ gefärbt ist und mit Gut-Böse-Schematisierungen arbeitet. Die Jugendgruppen zeichnen eine David-Goliath-Metapher, in der sie als Öko-David mit dem Mut der Verzweiflung gegen den übermächtigen Goliath (als metaphorische Bündelung von skrupellosen Umweltzerstörer*innen) kämpfen (s. 3.1). In Bezug auf Klimawandel gehen sie davon aus, dass der Kampf bereits fast entschieden sei: Klimakatastrophen verstehen die Protest-Fälle als Fakt, nicht als prognostizierte Ereignisse, die in der Zukunft eintreten könnten. Sie sprechen von "Klimakatastrophen", ohne diese näher zu benennen. Dementsprechend zeigen sie sich hilflos gegenüber übermächtigen Gegner*innen: transnationalen Konzernen oder ganzen Nationen. Ihrer Darstellung nach gibt es keine Antagonist*innen zu diesen Gegner*innen außer ihnen. Internationale klimapolitische Verhandlungen kommen in ihrer Darstellung nicht vor. Wie sie zu dieser Einschätzung kommen, bleibt implizit. Die typischen Protest-Gruppen
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sind sich ihrer Bewertung von Klimawandel und der moralischen Verurteilung ihrer Gegner*innen völlig sicher. Die drei Gruppen variieren darin, mit welchen Gefühlsnuancen sie die dargestellte Empörung kombinieren. Im Fall Kirsche ist es Wut, bei Stachelbeere ist es eine fatalistische Weltuntergangsstimmung, bei Erdbeere Angst vor Klimawandel. Die Stimmung der Empörung wird durch die Gruppendynamik verstärkt und auf die Spitze getrieben. Beim Extremfall Stachelbeere schlägt die anfänglich inszenierte Motivation, „sich zu engagieren“ entgegen der Resignation der Erwachsenen und der Wille, „die Umwelt“ zu „retten“ beim Thema Klimawandel um in Fatalismus (s. 2.2.2, 3.1). Wo es keine Hoffnung auf Besserung und keine Handlungsoptionen gibt, dreht sich der Wille zur Weltverbesserung in ein Weltuntergangsszenario. Der typische Fall Erdbeere dagegen berichtet, Angst vor Klimawandel motiviere sie zum Engagement. „Als ich dann erfahren hab, wie @das halt so ist@ mit dem Klimawandel und alles, auch mal einen Film gesehen habe und so, dann hat mich das halt so voll schockiert und dann, als ich älter wurde, ähm (1) hab ich halt überlegt, ... zu Greenpeace zu gehen, und dann ähm habe ich das auch gemacht, weil ich es gut finde, da zu helfen, da was dagegen zu tun.“ (Erdbeere, Z. 41-45)
In dieser Darstellung erscheint klar, wie Klimawandel funktioniert und welche Folgen er hat. Das Engagement bei Greenpeace ist demnach eine angemessene Strategie, um gegen Klimawandel zu kämpfen. Auf meine Nachfrage, was sie über Klimawandel denkt, reagiert die Gruppe Erdbeere zunächst unsicher und irritiert. Es wird sichtbar, dass eine Auseinandersetzung mit Wissensbeständen zu Klimawandel bislang nicht stattgefunden hat (4.1). Die Fallbeschreibung der Gruppe Kirsche zeigt einen typischen Protest-Fall. Die Gruppe Kirsche dethematisiert jegliche Unsicherheit in der Einschätzung von Klimawandel und geht davon aus, dass Klimawandelfolgen in ihrer Lebenswelt spürbar sind (Z. 502-725). Ihre Darstellung ist von einer Gut-BöseSemantik geprägt, die ein Charakteristikum der Orientierung Protest ist. Die Gruppe verhandelt Klimawandel im Rahmen des Kampfes gegen Ignoranz und Umweltzerstörung. Auf meine Frage, wie die Gruppe über Klimawandel denkt und was sie darüber weiß, antwortet eine Teilnehmerin ohne zu zögern und mit empörter Stimmgebung. Sie tritt als Öko-David auf, die sich dank ihres elitären, normativ besseren Wissens scharf von der Ignoranz der Anderen abgrenzt:3
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Hinweis auf gendersensible Sprache: Ich verwende den Begriff „David“ als Teil der biblischen Metapher. Dieser ist jedoch nicht als männlicher Name, sondern als Sym-
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„Also, das erste, was mir dazu einfällt, ist mein Geografielehrer aus der neunten Klasse, der sich ernsthaft vorne hingestellt hat und gesagt hat: „Klimawandel ist nur eine Erfindung der Medien! Das existiert überhaupt nicht!“ @4@, [Prusten] Und ich so da gesessen habe und: „Also ich bin der Meinung, ich weiß mehr über Klimawandel und Klimaschutz als Sie und erzählen Sie doch nicht so einen Müll!“ Aber das kann man einem Lehrer natürlich nicht ins Gesicht sagen.“ (Kirsche, Z. 505-511)
Die schnelle und emotionsgeladene Antwort ist ein Gegenhorizont zu den Gruppen Kürbis und Himbeere, die unsicher und zögerlich antworten. Die eigenen Wissensbestände und Deutungen stellt Kirsche meist über Antithesen zu ihren Gegner*innen dar. Die Gruppe Kirsche verdichtet die Metapher des übermächtigen Goliaths, der die Welt in den Untergang treibt: „Es ist schon richtig schlimm, wie es steht um die Welt, eigentlich ist es klar, dass wir es kaum noch aufhalten können (.) und desto später wir handeln, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir es nicht aufhalten können (.) und dass wir aber, gerade die Politiker und die Lobbyisten und alle darauf einwirken, dass es immer weiter geht und immer stärker wird.“ (Kirsche, 616-619)
Kirsche zeigt sich weniger klimadeterministisch als die beiden untypischen Fälle, geht jedoch davon aus, dass gesellschaftliche Akteur*innen die Welt in eine Klimakatastrophe treiben, die dem Weltuntergang nah kommt. Dabei ist auffällig, dass die Gruppe ein breites Wissen über ihre Gegner*innen hat, jedoch selten konkretisiert oder spezifiziert, worauf sie sich bezieht. Im Fokus steht die Herstellung von Empörung, die sich im Kontext von Klimawandel in Richtung Katastrophenstimmung neigt. Einerseits inszeniert sich die Gruppe Kirsche als elitär Wissende, die über exklusive Informationen verfügen, gleichzeitig simplifiziert sie stark und reflektiert ihre Wissensquellen nicht.4 Sie versteht Medienberichte als Fakten, Klimakatastrophen passieren demnach ständig, auch in Deutschland im Jahr 2015: „Man hört auch so in den Nachrichten, gerade so im
bol zu verstehen. Deshalb verwende ich die Form „die David“, wenn es um Teilnehmerinnen geht. 4
So verweist sie mehrmals auf Studien zu Klimawandel. Die Inhalte der Studien werden nicht weiter wiedergegeben, die Gruppe begnügt sich mit Verweisen und diskutiert auch diese Ergebnisse nicht. S. Fallbeschreibung Kirsche im Anhang, vgl. 5.2.
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Sommer, dass es irgendwie eine Klimakatastrophe nach der anderen ist und dann heißt es, ja es ist irgendwie normal.“ (Z. 526-529) Die Gruppe Kirsche versteht Klimawandel als ökologische Katastrophe mit sozialen Folgen, die nur andere „Leute“ treffen, im Kontrast zu Fällen, die Klimawandel als Bedrohung des eigenen Lebens inszenieren (s. 4.2).5 „Dinge werden überflutet ... im normalen Alltag denkt man gar nicht so viel drüber nach, weil (.) wir merken es nicht, aber die Leute in den in, in ja, im Süden oder Leute, die am Meer wohnen oder Leute, die weniger Geld haben oder wo anders leben, ähm die merken das halt.“ (Kirsche, Z. 547-553)
Die Katastrophenstimmung wirkt sich auf die Wahrnehmung der Gruppe aus: Auch in Deutschland sei Klimawandel (im Jahr 2015) spürbar, in Form einer „Monsterüberschwemmung“ und „jeden Monat ungefähr einmal so einen Monstersturm“ (Z. 553-558). Kirsche thematisiert das dystopische Szenario, dass ihre Heimatstadt (in der norddeutschen Tiefebene) in Folge des Anstiegs des Meeresspiegels zu einer Hafenstadt werden könnte (Z. 565-591). Kirsche nennt das Szenario „[Stadt] am Hafen“ als Beispiel für die „Grundignoranz“ der „Leute“ (Z. 568), die sich über die Klimaerwärmung sogar freuen würden, weil es dann „ein bisschen wärmer“ werden würde. Für diese „Ignoranz“ würden sie „den Leuten am liebsten an die Gurgel springen“ (Z. 569). Tw3: „Und die alle: “Geil, dann haben wir einen Hafen!“, ist doch cool, dann können wir an die [Tw5: [Stadt] am Hafen, so ne? Tw6: Ja. Nordsee fahren, beziehungsweise müssen wir nicht mehr hinfahren, weil wir sind schon da.“ (Kirsche, Z. 581-583)
In der Darstellung von Kirsche geht es nicht darum, ob und inwiefern das Szenario „Stadt am Hafen“ realistisch ist und ob es durch einen anthropogen verursachten Klimawandel bedingt wäre. Die Deutung von Klimawandel als mit Sicherheit bereits stattfindendem, anthropogen verursachtem Phänomen mit
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Präzisiert wird nur, dass diese „Leute“ fern von ihnen sind und keinen Bezug zu ihrer Lebenswelt haben. Die Gruppe Kirsche deutet damit an, dass sie sich selbst in einer privilegierten Position befinden (s. 4.2). Eine Auseinandersetzung mit den Implikationen von Klimawandel für das Leben von betroffenen „Leuten“ schließt die Gruppe nicht an.
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katastrophalen Folgen versteht die Gruppe als selbstverständlich. Die Bekämpfung von Klimawandel ist gleichgesetzt mit der Bekämpfung der „Ignoranz der Leute“. Die Stimmung der Gruppe Kirsche kippt zunehmend ins Fatalistische. Denn als Problem sieht sie nicht nur die durch den Klimawandel drohende Sintflut, sondern die Überzeugungen der Anderen, die diese Sintflut verursachen (s. 3.). „Entweder … entscheidet sich China denn [im Rahmen der internationalen Klimaverhandlungen] dafür, dass die Erde überlebt oder entscheidet sie für diesen kurzfristigen Erfolg mit der Wirtschaft. Ja, das ist dann immer so als ob den Menschen das so ist: „ja, solange ich lebe … ist noch alles in Ordnung, danach ist, was danach kommt, ist mir dann scheißegal. Ja @(.)@ nach mir die Sintflut.“ (Kirsche, Z. 643-646)
2.1.3 Bewertungssicherheit zu Klimawandel: eine gestaltungstypische Deutungsfigur Die typischen Gestaltungsraum-Fälle Tomate, Paprika und Gurke reagieren nicht irritiert auf meine Fragen nach ihrer Einschätzung von Klimawandel und nach Klimaschutzstrategien. Die Gruppen gehen selbstverständlich davon aus, dass alle Teilnehmer*innen, inklusive mir, über Wissensbestände zu Klimawandel verfügen. Diese beinhalten nicht nur Orientierungswissen mit Bezug auf naturwissenschaftliche Modelle, sondern System- und Transformationswissen. Der Extremfall Paprika, der als Untergruppe auf Klimaschutz spezialisiert ist, vergewissert sich zu Beginn dieser gemeinsamen Wissens- und Bewertungsbasis.6 „Also, ich glaube, ich muss nicht damit anfangen, dass ich das [Klimawandel] als größte Bedrohung … ansehe, ich glaube, da sind wir uns schon einig.“ (Paprika, Z. 66-68) Die Gruppen rahmen Klimawandel vom ersten Satz an als sozial-ökologisches Krisenphänomen und rekurrieren nicht auf massenmedientypische Bilder. Sie nehme eine kurze, prägnante Problemanalyse zu Klimawandel vor und wenden sich unmittelbar Lösungsoptionen zu. Unsicheres Wissen thematisieren die Gruppen, lassen sich aufgrund ihrer festen Bewertungsbasis aber nicht aus der Fassung bringen. Sie stellen Klimawandel weder als sicher spürbar, noch als zu abstrakt dar. Sie legen den Fokus nicht auf den Kampf gegen Klima- bzw. Umweltzerstörung, sondern auf Klimaschutz als kollektive gesellschaftliche Aufgabe. Ein Blick auf Sprachfiguren und Semantiken erhellt
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In dieses „Wir sind uns einig“ bezieht die Gruppe mich implizit mit ein, ausgehend von meiner Positionierung als Umweltschützerin, die zu Klimawandel forscht. Zur Organisationsstruktur s. 4.1.
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die Bewertungssicherheit und den reflexiven Umgang mit Wissensbeständen: In allen drei Gruppendiskussionen verweisen sprachliche Formulierungen auf Fachwissen aus den Bereichen politische Bildung und/oder Klimawandelforschung. Die Teilnehmer*innen verfügen über erfahrungsbasiertes Wissen in Umweltschutzdiskursen, das aus mehrjährigem Engagement im Jugendumweltverband resultiert und teilweise mit akademischem Fachwissen angereichert ist (s. 4.2). Der typische Fall Gurke verhandelt Klimawandel innerhalb der Deutungsfigur, dass es wesentlich ist, nicht nur Probleme zu kennen, sondern auch Lösungen zu erarbeiten und in der Alltagspraxis umzusetzen. Klimawandel thematisiert Gurke selbstläufig, in der Elaboration dieses Orientierungsrahmens (s. 3.1). Auf meine Frage nach Klimawandelwissen hält ein Teilnehmer ein Kurzreferat, in dem er pointiert den Begriff Klimawandel einordnet, den anthropogen verursachten Klimawandel erläutert und öko-soziale Folgeszenarien skizziert. Die Gruppe Gurke dokumentiert akademisches Fachwissen im Bereich Ökologie sowie die Sorge um gleichermaßen Ökosysteme und Menschen (s. 3.1.1). Der Extremfall Paprika versteht sich als Teil der europäischen (Jugend-) Klimabewegung (s. 2.2.1, 5.2). Er diskutiert über 50 Minuten selbstläufig zu Klimapolitik, Umweltbewusstseinsforschung und historischen Transformationsprozessen. Klimawandel zu thematisieren bedeutet für Paprika über Klimaschutzoptionen und -hindernisse zu sprechen und diese historisch-politisch einzuordnen. Ihr sozialwissenschaftliches Wissen ermöglicht der Gruppe eine Reflexion auf der Metaebene, die zu Orientierung und Bewertungssicherheit führt (s. 2.2.1, 4.2 ). Beispielhaft ist die Kritik an der Konzeption des Begriffs „Klimawandel“. Statt der Frage, ob der Klimawandel noch aufzuhalten sei, gehe es darum, „immer in so Alternativszenarien [zu] denken“ (Z. 188). „Klima- also Wandel klingt für mich auch häufig so, ich mache den Lichtschalter an, dann gibt es einen Wandel der Helligkeit, dann ist es hell ..., aber das ist ja nicht der Fall beim Klimawandel, das ist ja ein fortschreitender Prozess, noch einer, der sich immer weiter verschlimmert. … Es ist nicht so, [Szenario] A oder B, sondern es ist die Wahl zwischen sehr schlimm und alles darunter. … hier versuchen wir ja quasi aktiv eine sehr große Bedrohung, gerade auch für unsere Zukunft, abzuwenden.“ (Paprika, Z. 190-206)
Damit nimmt Paprika eine Kritik an den impliziten Deutungen vor, die der Begriff Klimawandel enthält, und setzt diese in Bezug zu Klimaschutz (s. 1.3.). Sie macht sichtbar, dass der Begriff des Wandels zu Fehldeutungen führt und betont gesellschaftliche Handlungsspielräume, in denen die Möglichkeit, eine Klimaka-
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tastrophe abzuwenden, enthalten ist. Unter den von mir befragten Gruppen stellt Paprika einen Sonderfall dar. Die Fallbeschreibung der Gruppe Tomate zeigt einen typischen Gestaltungsraum-Fall. Sie deutet Klimawandel als wesentliches Thema, das sie einbettet in ihre zentrale Orientierung, die Gestaltung einer besseren Welt. Die Gruppe Tomate nennt Klimaschutz selbstläufig als Unterthema von Umweltschutz. Auf meine Frage nach Klimawandel nennt die Gruppe zuerst, worüber sie kein sicheres Wissen hat und was sie nicht interessiert: naturwissenschaftliche Klimawandelszenarien.7 „Ich glaube, dass es einen Klimawandel gibt, wie genau der sich ausformt, kann ich nicht genau sagen, es ist nicht mein Steckenpferdthema, @tatsächlich@ nicht.“ (Tomate, Z. 373/374) Es soll nicht um Klimaverschiebungen gehen, sondern um Verflechtungen von Ressourcenverbrauch, Kriegen, Migration und Gesellschaftsentwürfen. Die Gruppe Tomate legt den Fokus auf die soziale Dimension von Klimawandel und spricht ausführlich über Klimawandel im Kontext von Globalisierung, globaler Ungerechtigkeit und Verantwortung der „Industrienationen“. „Ich glaube, da hängt wahnsinnig viel dran, zum Beispiel auch diese ganzen Flüchtlingsströme, wir haben so viel Krieg wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr auf der Welt, und in Deutschland ist alles Friede, Freude, Eierkuchen, oder von mir aus auch Sojakuchen @(.)@ Das ist auch, auch eine Sache, die man beachten muss, wo man die Parallelen ziehen muss und das auch sehen sollte, nicht nur weil wir gerade eine reiche Industrienation sind, sagen, wir leben jetzt so weiter vor uns hin, weil wenn dann irgendwas kippt, dann geht es uns hier halt auch nicht mehr gut. Das ist dann ganz klar wieder dieser Egoismusgedanke.“8 (Tomate, Z. 374-381).
Klimawandel wird vom ersten Beitrag an mit sozialen Folgen verbunden, wie Krieg, Flucht und globaler Ungerechtigkeit. Die Gruppe Tomate stellt explizit eine Verbindung her zwischen dem gesellschaftlichen Alltag in Deutschland mit seinen Selbstverständlichkeiten („Friede, Freude, Eierkuchen“) und globalen
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Bemerkenswert ist, dass die Gruppe Tomate explizit betont, dass sie daran glaubt, dass es einen Klimawandel gibt. Damit bezieht sie sich implizit darauf, dass die Existenz von Klimawandel in der Gesamtbevölkerung nicht unumstritten ist. S. 5.3.
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Dieses Zitat ist von Juni 2015, noch bevor eine große Anzahl Geflüchteter in der zweiten Jahreshälfte nach Deutschland kam und die Stimmung zunehmend in Richtung Fremdenfeindlichkeit und Populismus kippte, womit der Begriff „Flüchtlingsströme“ eine negative Konnotation erhielt.
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Ungleichgewichten („Flüchtlingsströme“, „Krieg“). Dabei lässt sie offen, ob es sich eher um Kausal- oder Wechselbeziehungen handelt. Anders als die Protestgruppen nennt sie keine Schuldigen. Der Sprachstil wechselt zwischen flapsiger Umgangssprache und flüssiger Expert*innensprache.9 Klimawandel deutet Tomate als Gestaltungsraum für zukunftsfähige Gesellschaftsentwürfe: „Und ich glaube deshalb, dass Klimawandel eigentlich ein (.) sehr präsentes Etwas ist und (.) man sehr viele Ansatzstellen hat und er definitiv kommt, und man halt gucken muss, wie man damit umgehen möchte und umgehen kann und umgehen will.“ (Tomate, Z. 380382).
In dieser Darstellung schwingt die Deutung mit, handlungsfähig gegenüber Klimawandel zu sein („umgehen möchte, kann und will“) – ein starker Kontrast zur Hilflosigkeit anderer Gruppen. Die Formulierung „ein sehr präsentes Etwas“ verstehe ich als Abgrenzungsversuch gegenüber naturwissenschaftlichen Szenarien. Klimawandel versteht die Gruppe als Unterthema von Umweltschutz und belegt ihn mit den gleichen Deutungen: Es sei wichtig, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen und nicht „in den Tag hinein“ zu leben (Z. 390), sondern gutes Leben in globalem Maßstab zu gestalten. Die Gruppe verbindet Klimawandel mit ihrer Lebenswelt, indem sie von heutigen Problematiken (wie Kriege um Ressourcen) gedankenexperimentell auf Zukunftsszenarien schließt und diese rückbezieht auf die eigene Lebenswelt („wo man Parallelen ziehen muss“). Aus dieser Überlegung werden Zukunftsszenarien zu Klimawandel greifbar und haben Bezug zur eigenen Lebenswelt („dann geht es uns hier auch nicht mehr gut“, Z. 389). Die Folgerung: Den Umgang mit Klimawandel zukunftsfähig zu gestalten, gebiete schon das Eigeninteresse, „ein bisschen länger zu leben“ (Z. 214). Wie der Umgang mit Klimawandel aussehen sollte, legt die Gruppe nicht fest, sondern versteht dies als notwendigen kollektiven Aushandlungsprozess („und man halt gucken muss, wie man damit umgehen möchte und umgehen kann und umgehen will“, Z. 382-384). Die Teilnehmerin spricht abwechselnd von „man“ und „wir“, aber in der Kollektivform. Damit dokumentiert sie, dass sie Klimaschutz als kollektive Aufgabe versteht. „Dass man sehr viele Ansatzstellen hat“ (Z. 381) verweist auf eine Optionenvielfalt für Klimaschutz-
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Der eher flapsige Tonfall ist auf die Gesprächssituation zurückzuführen. Die Gruppendiskussion findet am letzten Morgen eines Jugendumweltfestivals statt (s. Kap. 1.4 zu Methode und Setting). Die Teilnehmer*innen frühstücken während des Gesprächs, nachdem sie – nach eigenen Angaben – nachts kaum geschlafen haben. Das Gespräch kann dennoch stattfinden, weil eine Vertrauensbasis zu mir besteht.
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strategien. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die keine „Ansatzstellen“ thematisieren, weil sie den richtigen Umgang mit Klimawandel implizit für schon feststehend halten. Die Differenzierung zwischen Wünschen, Möglichkeiten und Willen zum Handeln („möchten, können, wollen“) macht einen breiten Handlungsspielraum auf. Die Gruppe Tomate geht über eine allgemeine gesellschaftliche Verantwortung für Klimaschutz hinaus, indem sie die Relevanz von Klimawandel für ihre Generation unterstreicht (s. 2.2.1). Sie setzt die Situation ihrer Generation in einen historischen Kontext. Frühere Generationen der Umweltbewegung kämpften gegen Klimawandel, ohne von den Folgen betroffen zu sein: Die Gefahr blieb abstrakt. Diese Generation bekämpft demnach Klimawandel in dem Wissen, von den Folgen zukünftig betroffen zu sein, womit er greifbar wird. Die kommenden Klimawandelfolgen seien in Ansätzen schon spürbar („wir merken es jetzt schon“, Z. 401). „Ja, aber ich meine, wir sind jetzt die Generation, die die Folgen auch schon echt krass mitbekommen wird. Also, das können vielleicht unsere (.) keine Ahnung, die Umweltbewegung so ab den sechziger Jahren, da sind viele dabei, die werden die Folgen in der Art so krass gar nicht mehr mitbekommen. … Die haben es angefangen zu merken, da wird etwas kommen und das ist ein bisschen blöd. Aber wir sind die, die es auch schon wirklich merken, wir merken es jetzt schon.“ (Tomate, Z. 395-401).
Tomate empört sich zunächst kurz über Inkonsequenz im internationalen Klimaschutz im Rahmen internationaler Konferenzen. Sie räumt, im Kontrast zu den Protest-Gruppen Kirsche, Stachelbeere und Erdbeere, nicht ausführlicher Raum für eine Darstellung ihrer Gegner*innen ein, sondern fokussiert eigene Handlungsmöglichkeiten, entsprechend ihrer Orientierung an Gestaltungsraum. Die Gruppe spannt hier den Bogen von globaler Vernetzung zu lokalem Handeln. So biete die fortschreitende Technologisierung und Globalisierung neue Gestaltungs- und Vernetzungsmöglichkeiten. Aktuell sei die Entwicklung, dass im Rahmen von internationalen Jugendumweltverbänden „global mehr zusammen gearbeitet wird, dass es einfacher geht“ (Z. 475). Diese Darstellung zeigt, dass die Wissensbestände zu Klimawandel und Klimaschutz in größere Sinnhorizonte, Praktiken und Organisationsstrukturen eingebettet sind, welche auf sie einwirken.
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2.2 VERANTWORTUNG FÜR KLIMASCHUTZ Auch in Bezug auf die Deutungen von Klimaschutz gibt es Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den Gruppen. Eine Gemeinsamkeit – im Kontrast zu den Ergebnissen großer Jugendstudien – ist, dass alle Gruppen Klimaschutz für notwendig (und meist dringlich) halten. Fast alle Gruppen thematisieren selbstläufig Verantwortung im Kontext von Klimaschutz.10 Die Rolle von Verantwortung ist im Kontext von Klima- und Umweltschutz heikel. Verantwortungsübernahme ist mit hoher sozialer Erwünschtheit durchtränkt. Umweltschützer*innen verstehen sich oft selbstverständlich als verantwortlich dafür, „die Erde bzw. die Welt zu retten“ (s. 3.). Als verantwortlich für Umweltzerstörung bzw. -verschmutzung sehen sie die Anderen – ihnen wollen sie diese Verantwortung vor Augen führen. Wenn diese Logik in eine Protest-Orientierung eingebunden ist, wird es nicht als Widerspruch inszeniert, zu mehr Verantwortung aufrufen und gleichzeitig die Verantwortung zu handeln bei Anderen zu verorten. Für Jugendumweltgruppen steht außer Frage, explizit die Verantwortung für Klimaschutz von sich zu weisen. Die Gruppen, für die Klimaschutz nicht relevant ist, sparen Klimaschutz bei der Darstellung eigener Aktivitäten aus und dokumentieren extrem knappe, schwammige Antworten auf die direkte Frage nach Klimaschutzstrategien. Meine Analyse ergibt ein Kontinuum zwischen starker und extrem schwacher Verantwortungsübernahme bzw. auf impliziter Ebene zwischen Relevantsetzung und Dethematisierung. Die Kontrastierung verläuft weitgehend entlang der Deutungsfiguren Protest und Gestaltungsraum. Es ergibt sich die gleiche Gruppierung wie zu Klimawandelwissen: Die gestaltungsorientierten Fälle Paprika, Gurke und Tomate gruppieren sich zusammen auf der Seite „Verantwortung übernehmen“, ebenso ähnelt sich die Darstellung der protestorientierten Fälle Stachelbeere, Kirsche und Erdbeere, die eher zur Adressierung der Verantwortung an die Anderen tendieren. Die untypischen Fälle Kürbis und Himbeere fallen aus dem sich andeutenden Muster heraus und zeigen damit, dass es Kontinua zwischen den Orientierungen gibt. Im Kontext von Klimaschutz ähneln die beiden untypischen Fälle einander jedoch nicht, sondern unterscheiden sich deutlich. 11 Die Extrempositionen nehmen der Gestaltungsraum-
10 Nach Verantwortung für Klimaschutz hatte ich nicht explizit gefragt, sondern danach, auf welcher Ebene Klimaschutz zuerst ansetzen müsse (s. Anhang Leitfaden Gruppendiskussion). 11 Der Fall Himbeere steht in der Mitte des Kontinuums zwischen Verantwortungsübernahme und -abgabe. Der Fall Kürbis fällt durch die fast völlige Dethematisierung von
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Fall Paprika und der Protest-Fall Stachelbeere ein, die ich im folgenden vorstelle. Für die drei typischen Gestaltungsraum-Fälle Paprika, Gurke und Tomate ist selbstverständlich, Verantwortung für Klimaschutz zu übernehmen. Alle drei Gruppen bezeichnen Klimawandel als wesentliches Thema für ihre Generation (s. 2.1.3, 3.2): „Klimawandel ist das Thema für unsere Generation.“ (Gurke, Z. 155). Die diskursive Praxis der Gruppen ist – trotz drastischer Problemanalyse – durch eine positive Bezugnahme geprägt: nicht Kampf gegen Klimawandel, sondern das Thema für ihre Generation. Alle drei Gruppen spannen den Bogen von „global denken“ zu „lokal handeln“ und betonen die Relevanz von Makround Mikro-Ebene.12 Sie unterscheiden sich darin, auf welcher Ebene sie Klimaschutz hauptsächlich thematisieren. Die extreme Gruppe Paprika legt den Fokus auf internationale Klimapolitik und globale Lösungsansätze. Sie plant eine lokale Öffentlichkeitskampagne zur Verankerung von Klimaschutz in kommunalen Infrastrukturen (s. 3.3, 4.1). Die Gruppe Tomate betont, dass es „viele Ansatzstellen“ (Z. 381) für Klimaschutz gebe (s. 2.1.3). Sie verortet sich auf einer Mittelebene zwischen utopischen globalen Gesellschaftsentwürfen und lokalen Projekten, die Utopien im Kleinen ausprobierten (s. 3.3). Die Gruppe Gurke fokussiert Strategien auf der Mikroebene, die sie als alltagspraktische „Lösungen“ für globale Problemstellungen versteht (s. 3.1). Die Fallbeschreibung der Gruppe Paprika steht für einen extremen Gestaltungsraumfall. Sie versteht Klimaschutz als Aufgabe der Weltgesellschaft, in der ihre Generation eine besondere Verantwortung trägt: „dass es unsere Generationenaufgabe ist, da zu handeln“ (Z. 91). Die Verantwortung zu handeln bezieht Paprika sowohl auf globale Klimapolitik, die sie über ihr internationales Jugendklimanetzwerk mitgestalten wollen, als auch auf lokale Klimaschutzkampagnen. Die Gruppe Paprika ist die einzige Gruppe, die ausführlich über eigene Klimaschutzaktivitäten berichtet (s. 3.3). Die Teilnehmer*innen beziehen sich implizit
Klimaschutz durch das Raster hindurch, solange die Passage zu Klimaschutz isoliert betrachtet wird. S. 5.1. 12 Dies ist ein Gegenhorizont zur Fokussierung nur einer der beiden Pole, des globalen Handelns (typischer Protestfall Erdbeere) oder des lokalen Handelns (untypischer Gestaltungsraumfall Kürbis) bzw. des Handelns einzelner (extremer Protestfall Stachelbeere). Es besteht ein impliziter Bezug zur Maxime vernetzten Denkens „global denken, lokal handeln“ des Gründers des Internationalen Umweltverbands Friends Of The Earth. Vgl. Radkau 2011: 321ff.
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auf den konjunktiven geteilten Erfahrungsraum des europäischen Jugendumweltschutz-Netzwerks (Young Friends of the Earth Europe), welchem die BUND-Jugend angehört und in dem die Teilnehmer*innen seit mehreren Jahren aktiv sind.13 Sie verstehen sich als Pionier*innen der sozial-ökologischen Transformation, die alternative gesellschaftliche Entwicklungspfade vordenken, sich global vernetzen und lokale Klimapolitik vorantreiben (s. 3.3, 4.1). Die Gruppe Paprika nimmt als selbstverständlich an, über hinreichendes Orientierungs- und Systemwissen zu verfügen, um Klimawandel als „größte Bedrohung“ (Z. 66-68) einzuordnen. Ihr Fokus liegt auf Transformationswissen: „Es gibt dieses große Problem Klimawandel, das ist global, aber wie können wir eigentlich hier in [dieser Stadt] ganz konkret damit anfangen?“ (Paprika, Z. 58-60) Der Spannungsbogen von „global denken“ zu „lokal handeln“ („in dieser Stadt“) zieht sich als roter Faden durch die Gruppendiskussion. Die Gruppe stellt sich damit als wirkmächtige Gestalter*innen dar, im Kontrast zu Gruppen, die dokumentieren, verzweifelt gegen übermächtige Gegner*innen anzukämpfen. Bemerkenswert ist, dass Paprika – ebenso wie die protestorientierten Fälle Kirsche, Stachelbeere und Erdbeere – auch pessimistische Zukunftsszenarien sowie mangelndes Handeln der Anderen thematisiert. Sie verhandeln diese Themen jedoch innerhalb eines stark abweichenden Orientierungsrahmens. Die Gruppe Paprika stellt im im ersten Drittel der Gruppendiskussion Hoffnung – nicht Empörung – her. Zunächst thematisiert Paprika ihre Zweifel, „ob wir auch mit unserem Engagement den Klimawandel @(.)@ aufhalten können“ (Z. 146). Die Wirkkraft der Umweltschützer*innen sei begrenzt gegenüber irreversiblen Klimawandelfolgen einerseits und der „Lobby aus Kohle-, aus Öl-, aus Gasindustrie“ (Z. 163/164) andererseits. Es entwickelt sich jedoch kein David-Goliath-Szenario, sondern die Gruppe ordnet den Einsatz der Klimabewegung in breitere historische Zusammenhänge ein (Z. 214-282), wie den Fall der Berliner Mauer (in der gleichen Stadt), die ihnen Hoffnung machen: „Es gibt vielleicht ... einen gesellschaftlichen Wandel, an den man jetzt noch nicht denkt.“ (Z. 206/207). Ihr Klimaschutzengagement mache in jedem Fall Sinn, auch wenn noch keine konkreten Erfolge zu sehen seien. In diesem Kontext ist auch das (bereits in 2.1 genannte) Zitat zu verstehen: „Auch jeder kleine Schritt, den wir heute gehen, hilft uns auch, diesen großen Prozess [Klimawandel] wenigstens ein bisschen abzuschwächen, und das ist eine Sache, die ich unglaublich wichtig finde auch dabei, uns beim Engagement zu motivieren, zu sagen: Ok
13 Das Netzwerk Young Friends Of The Earth Europe engagiert sich stark im Bereich Klimapolitik und -gerechtigkeit. S. foeeurope.org/yfoee.
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nein, es ist nicht so, [Szenario] A oder B, sondern es ist die Wahl zwischen sehr schlimm und alles darunter. … hier versuchen wir ja quasi aktiv eine sehr große Bedrohung, gerade auch für unsere Zukunft, abzuwenden.“ (Paprika, Z. 190-209)
Die Gruppe beruft sich auf ihr Selbstverständnis, nicht nur gegen, sondern für etwas zu kämpfen und steigert sich in einer interaktiven Dynamik zu ihrer gemeinsamen Hoffnung auf eine bessere Welt, zu einer euphorischen Berufung auf „unsere[r] Vision, unsere[r] Utopie“ (Paprika, Z. 305-326) (s. 3.1). Die Gruppe Paprika zeigt sich zurückhaltend mit der Einschätzung von Klimawandel als bereits in Deutschland spürbares Phänomen – im Kontrast zur zweiten Hauptstadtgruppe, Kirsche, die aus den gleichen Gegebenheiten schließt, Klimawandel sei in ihrer Alltagswelt angekommen (s. 2.1.2). Die Teilnehmer*innen nutzen Wissensbestände aus ihren Studienfächern (Politikwissenschaft und Geschichte), um Klimawandel und die sozialen Bewegungen für Klimagerechtigkeit einzuordnen und zu bewerten (s. 4.2.). Ihr sozialwissenschaftliches Wissen ermöglicht der Gruppe eine Reflexion auf der Metaebene, die zu Orientierung und Bewertungssicherheit führt. „Was ich beim Thema Klimawandel total spannend finde, ist, dass es zwar auf den ersten Blick ein Umweltthema ist, aber ich glaube, dass da ganz viele andere Sachen mit rein spielen. Das heißt, wir fangen an und sagen Klimawandel und reden über Umwelt, aber wenn wir dann zum Beispiel auf die globale Ebene gehen, dann reden wir plötzlich gar nicht mehr über Umwelt, sondern auch über Nord-Süd-Gerechtigkeit oder um allgemein Gerechtigkeit: Was heißt eigentlich Verantwortung und wie weit zurück reicht historische Verantwortung? Oder wenn wir irgendwie hier in Europa auf eine kleinere Ebene gehen und sagen, wir wollen Energiewende, dann reden wir im ersten Moment über die Umwelt, aber dann kann so etwas wie erneuerbare Energien voll das demokratische Potential haben, wenn es plötzlich zu Community Energy wird, und ich mag das gern, wenn man sieht, dass es gar nicht so ein abgeschlossenes Thema ist, sondern dass es ganz viele, viele Querschnitte mit anderen Bereichen hat.“ (Paprika, Z. 364-376)
Klimawandel ist dieser Deutung nach nicht verengt auf klimatologische Beschreibungen, sondern ebenso ein soziales Phänomen, das Fragen von Klimagerechtigkeit und globaler Verantwortung ebenso umfasst wie lokale Klimaschutzstrategien, Infrastrukturmaßnahmen und zivilgesellschaftliche Initiativen. Ebenso wie bei der Gruppe Tomate ermöglichen die impliziten Deutungsfiguren von Paprika einen großen gesellschaftlichen Handlungsspielraum. Paprika dokumentiert eine Deutung von Klimaschutz, die nicht auf die Vermeidung von Schäden ausgerichtet ist, sondern auf die Verschränkung von Umweltschutz und gesell-
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schaftlicher Veränderung (s. 3.3, 4.1). Die Gruppe will nicht als klassischer Umweltverband verstanden werden, sondern gleichzeitig als „soziale Bewegung“, die eine gesamtgesellschaftliche Transformation ins Rollen bringen will (s. 5.). 14 Mit dieser Deutung sprengt sie die – auch in der Umweltbewegung gängige – Trennung in Umwelt- und gesellschaftliche Interessen (s. 1.3). Entsprechend ihrem Selbstverständnis als Teil der Klimabewegung betonen sie, sich gleichermaßen für Klimaschutz und globale Gerechtigkeit einzusetzen. Im Kontrast zur expliziten Verantwortungsübernahme für Klimaschutz stehen diejenigen Fälle, die Klimaschutz als Verantwortung der Anderen verstehen. Die protestorientierten Gruppen Stachelbeere, Kirsche und Erdbeere weisen die Verantwortung für Klimaschutz explizit oder implizit den Anderen zu. Bei der Analyse dieser Deutungsfigur ergibt eine minimale Kontrastierung eine Bandbreite von Orientierungen. Zwischen Verantwortungsübernahme und Verantwortung leugnen besteht ein Kontinuum, in dessen Mitte die Dethematisierung von Verantwortung steht. Der untypische Fall Kürbis ist in Bezug auf Klimaschutz anders orientiert als alle anderen Fälle.15 Er zählt Klimaschutz nicht zu den Bereichen, auf die sie Zugriff haben. Anders als die protestorientierten Gruppen adressiert Kürbis die Verantwortung für Klimaschutz nicht an andere. Vielmehr führt die völlige Bewertungsunsicherheit und Hilflosigkeit im Angesicht eines als abstrakt verstandenen klimatologischen Problems dazu, dass sie keine Handlungsspielräume für eigenes Klimaschutzhandeln sehen (s. 2.1.1.). Da die Gruppe Kürbis aufgrund eines verengten Problemverständnisses unter Klimaschutz nur individuelle, alltagspraktische Strategien zur Vermeidung von CO2Emissionen fasst, die außerhalb der Reichweite ihrer jugendlichen Lebenswelt liegen, z. B. Verzicht auf Autofahren und Solarzellen auf dem Eigenheim (Z. 510-525), ist sie in Bezug auf Klimaschutz handlungsunfähig. Wenn sie ihre
14 Die Deutungsfiguren von Paprika zu Klimawandel, Umweltschutz und sozialen Bewegungen erweisen sich als sehr interessant. Da es sich in meinem Sample nicht um ein typisches Orientierungsmuster, sondern einen Extremfall handelt, bleibe ich bei einer eher kurzen Beschreibung. Eine Publikation zum Orientierungsmuster Gestaltungsraum und dem spefizischen Modus Operandi ist in Arbeit. 15 Betrachtet man isoliert die Passage zu Klimawandel und Klimaschutz, könnte man argumentieren, dass die Gruppe Kürbis eine noch stärkere Extremposition einnimmt als Stachelbeere, weil sie nicht einmal länger über Klimaschutz sprechen. Kontextualisiert man die Passage jedoch in den Deutungszusammenhängen der gesamten Gruppendiskussion, lässt sich die Gruppe eher in der Mitte des Kontinuums einordnen. S. 5.1.
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alltagspraktischen Strategien in Bezug auf Ernährung und Mobilität als Teil von Klimaschutz rahmen würden, wie andere Gruppen der BUND-Jugend, würden sie ihre Aktivitäten als Klimaschutz verstehen. Es ist demnach keine Frage der Adressierung von Verantwortung, sondern eines verengten Problemverständnisses. Die starke Fokussierung auf Klimawandel als Problemstellung und die Adressierung der Verantwortung für Klimaschutz an die Anderen erweisen sich als Charakteristika der protesttypischen Orientierung, die ich im Kapitel 3 ausführlich herausarbeite. Die Protestgruppen Kirsche, Erdbeere, Stachelbeere gehen implizit davon aus, dass sie bereits genug gegen die Zerstörung der Welt kämpfen und Klimaschutz deswegen Aufgabe derjenigen ist, die aktuell gegen das Klima arbeiten. Sie nehmen an, kaum etwas ausrichten zu können, müsste doch der übermächtige Zerstörungs-Goliath in seinem Treiben gestoppt bzw. zum Umdenken bewegt werden (s. 2.1.2). „Da denken vielleicht diejenigen, die ziemlich krass daran beteiligt sind, dass der Klimawandel entsteht und weiter geht, vielleicht denken die nur an ihren Profit irgendwie so, denken die nur an ihr eigenes ... Geld verdienen oder so, und dann finde ich es halt total halt unverantwortlich, ich weiß nicht, ich rege mich halt richtig darüber auf.“ (Erdbeere, Z. 150-159)
Die Anderen müssten die Belange der „Natur“ ernst nehmen und ihre alltäglichen Konsumpraktiken ändern. Da die typischen Protestgruppen davon ausgehen, selbst bereits vorbildlich zu handeln, bleibt ihnen nur die Aufgabe, gegen Zerstörung und Ignoranz zu kämpfen und zu protestieren (s. 3.2, 3.3). Dies ist für die Protestgruppen nichts Neues. Nur stehen bei Klimaschutz – ihrer Darstellung nach – die Chancen, dass David gegen Goliath gewinnt, noch schlechter als bei anderen Umweltschutzthemen. Implizit schließen die protestorientierten Gruppen aus, dass Klimaschutz eine gesellschaftliche Transformation bedeuten könnte. Besonders extrem ausgeprägt ist die Dethematisierung einer eigenen Verantwortung bei der Gruppe Stachelbeere. Auch bei den typischen Fällen Kirsche und Erdbeere findet sich – in abgeschwächter Form – eine Argumentation, die auf expliziter Ebene zwar Verantwortungsübernahme für Klimaschutz fordert, jedoch dies implizit nicht auf sich selbst bezieht. Ob die Gruppen einen Konzern-Goliath als Gegner identifizieren oder die als faul und egoistisch bezeichneten Anderen – in jedem Fall sind es nicht sie als Umweltgruppen, die Klimaschutzhandeln in die Hände nehmen müssten, sondern die Anderen (s. 3.3). Es wird deutlich, dass für die Jugendgruppen Stachelbeere, Kirsche und Erdbeere Klimaschutz kein wesentliches Thema ist. Der untypische Fall Himbeere weicht von den anderen Fällen, die die Orientierung Protest teilen, deutlich
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ab, denn die Gruppe Himbeere schließt sich in die Verantwortung für Klimaschutz und die Notwendigkeit, ihre Alltagspraktiken zu verändern, explizit ein (s. 3.2, 3.3). Die Fallbeschreibung der Gruppe Stachelbeere zeigt einen extremen Protestfall. Die Gruppe inszeniert eine dystopische und fatalistische Perspektive auf Klimawandel. Aus der Diskussion geht hervor, dass die Gruppe sich nicht mit Klimawandel und Klimaschutz beschäftigt. Dementsprechend reagiert sie irritiert auf meine Frage und antwortet zunächst zögerlich. Sie steigert sich in ihrer Empörung und Verzweiflung über das verantwortungslose Handeln „des Menschen“ bis zum Kokettieren mit dem „kollektiven Selbstmord“ als „perfekte Lösung für die Welt“ (Z. 519-521). Die Verantwortung für Klimawandel schreibt sie „dem Menschen“ als Kollektiv zu, für Klimaschutz müsse „die gesamte Menschheit da irgendwie was tun“ (Z. 209/210). Dabei wird unsichtbar, welche Teile der Menschheit in welchen Anteilen die Verursachung von Klimawandel vorantreiben. Diese implizite Sinnstruktur lässt den Kampf gegen Klimawandel nahezu unmöglich erscheinen. Eine spezifische Verantwortung für den Globalen Norden oder ihre Generation verneint Stachelbeere implizit. Gleichzeitig inszeniert sie Klimawandel als nicht mehr abwendbare Sintflut: „Also meine Gefühle dazu sind irgendwie: Da hat sich der Mensch [überdeutliche Artikulation] ein ganz kleines wenig zu viel eingemischt. Ein bisschen zu viel Gott gespielt, so in die Richtung. Ein bisschen zu viel sich versaut, weil ähm wenn der Meeresspiegel ansteigt und ein paar Städte versinken, dann kann halt keiner was dagegen machen. Da kann man Staudämme bauen, aber das wird auf Dauer auch nichts ändern. Und dass es vielleicht ein wenig zu viel Bequemlichkeit war und man zu viel in Kauf genommen hat dadurch.“ (Stachelbeere, Z. 193-198)
Die Darstellung ist von einer stark emotional geprägten Stimmlage geprägt, die mit einer überdeutlichen Artikulation einhergeht. Dabei kommen mehrere rhetorische Stilmittel zum Einsatz, z. B. zweifach das Oxymoron „ein (ganz kleines) wenig zu viel“, das paradoxe Züge trägt und als Euphemismus zu verstehen ist. Es scheint, dass die Sprecherin sich der rhetorischen Figuren bedient, um ihre Stimmung der Verzweiflung in Bann zu halten. Denn sie beschreibt ein apokalyptisches Szenario, das ausweglos erscheint. Die Teilnehmerin spricht im Perfekt, der abgeschlossenen Vergangenheitsform („hat sich eingemischt, Gott gespielt, sich versaut“). Sie stellt es so dar, als wäre es bereits zu spät für Klimaschutz, indem sie vorweg nimmt, dass (der) Klimawandel in einem fatalen Szenario münden wird und es nicht gelingen wird, durch Klimaschutzmaßnahmen
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gegen zu steuern. Die Darstellung ist von einer religiösen Semantik geprägt, die typisch für die Sinnstrukturen des Extremfalls Stachelbeere ist (s. 3.2). Die Orientierungen der Gruppe prägt ein Selbstverständnis als Öko-Kämpfer*innen mit normativem Geltungsanspruch, die gegen Missstände kämpfen und die Anderen „die Augen öffnen“ (s. 3.2, 3.3). Während die Gruppe bei punktuellen Umweltund Tierschutzaktionen noch hofft, die Anderen „aufzuklären“ und sie zum Umdenken zu bewegen, dokumentieren sie keine Hoffnung für Klimaschutz („kann keiner was dagegen machen“). Die Forderung, die „gesamte Menschheit“ müsse in Aktion vertreten, verpufft in einer pauschalisierenden, normativ geladenen Schuldzuweisung ohne Handlungsoptionen. Auf meine Nachfrage, auf welcher Ebene Klimaschutz als erstes ansetzen müsse, antwortet die Gruppe Stachelbeere mit hoher interaktiver Dichte, prioritär sei die individuelle Ebene: „[lebhaft] Dass halt jeder für sich persönlich anfängt …. dass jeder für sich schaut, was kann er leisten und dann auch das Maximum leistet.“ (Stachelbeere, Z. 231-235) Das individuelle Anfangen bezieht sich implizit auf Konsummuster, die in Eigenverantwortung verändert werden sollen. Dabei dethematisiert Stachelbeere jegliche kollektive oder politische Dimension von Verantwortung, Klimaschutz wird in die private Sphäre geschoben. In der Logik von Stachelbeere ist es undenkbar, Klimaschutz als kollektive gesellschaftliche Aufgabe zu denken, da dies implizieren würde, dass die – von ihnen so stark kritisierten Anderen – Teil der Lösung wären. Den impliziten Deutungen der Gruppe nach verfügen sie bereits über die normativ richtigen Einstellungen und Konsummuster und versuchen aktiv, die Anderen zu überzeugen (s. 3.3). Es sind demnach die Anderen, die dafür verantwortlich sind, „für sich persönlich an[zufangen]“. Der Extremfall Stachelbeere zeigt, dass Bewertungssicherheit in Bezug auf die Ursachen von Klimawandel und Aktivität für Umweltschutz nicht zwangsläufig dazu führen, dass Jugendumweltgruppen sich für Klimaschutz einsetzen. Damit sie Klimaschutz als relevantes Feld einschätzen, muss es in ihren impliziten Sinnstrukturen Handlungsspielräume für gelingenden Klimaschutz geben.16
16 Besonders augenfällig wird die fatalistische Orientierung der Gruppe Stachelbeere beim Kontrastieren mit den Gruppen Paprika und Tomate. Diese Gruppen dokumentieren trotz der Einschätzung von Klimawandel als große Bedrohung Hoffnung und schreiben sich Handlungsmacht zu.
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2.3 ZWISCHENFAZIT KLIMAWANDELKONZEPTE Ich vergleiche zunächst meine Ergebnisse mit denen der großen Jugendstudien und verorte mein Sample im Gesamtkontext von Jugendmilieus und Orientierungen der heutigen Jugendgeneration. Dann fasse ich fünf Ergebnisse zusammen, die Wissensbestände der von mir befragten Gruppen zu Klimawandel und Klimaschutz charakterisieren. Abschließend diskutiere ich die von Weller und Kolleg*innen formulierte These, Klimawandel bedeute für Umweltaktivist*innen Umweltschutz in neuem Gewand (Krapf et al. 2013). Im Vergleich mit großen Jugendstudien weicht mein Sample deutlich von Mittelwerten repräsentativer Jugendstudien ab, insbesondere in Bezug auf Bildungsmilieus. Die von mir untersuchten Jugendlichen lassen sich dem sozialökologischen Jugendmilieu (Calmbach et al. 2017) zuordnen, das als einziges im Bereich hoher bis sehr hoher Bildung verortet ist. Die von mir untersuchten Jugendlichen und jungen Erwachsenen streben fast alle hohe Bildungsabschlüsse (Abitur, Studienabschluss) an. Ein Großteil der Jugendlichen dokumentiert, aus einem ökologisch geprägten Elternhaus zu stammen (s. 4.2).17 Von 49 Teilnehmer*innen sind 47 auf dem Gymnasium bzw. haben Abitur, eine Person ist auf der Realschule, eine auf der Gesamtschule. Drei Jugendliche haben die Schullaufbahn verkürzt (6%), im Alter von 16-17 Jahren studiert eine Person bereits, eine hat ein Schülerstudium aufgenommen und eine arbeitet im Rahmen eines Gap-Years im Bundestag. Diejenigen, die die Schule bereits abgeschlossen haben, haben ein Studium oder Freiwilliges Ökologisches Jahr aufgenommen (oder zunächst ein FÖJ und danach ein Studium). Von den über 17-Jährigen studieren sechs Teilnehmer*innen. Fünf (10%) haben ein Freiwilliges Ökologisches Jahr oder vergleichbare Tätigkeiten absolviert bzw. machen diese gerade, eine Person macht eine Ausbildung. Es handelt sich also um ein Milieu mit hoher Bildung (s. 4.2.). Die Berufswahl geht in Richtung umwelt- und sozialwissenschaftlicher oder „sozialer“ Berufe (FÖJ oder Studium der Politikwissenschaft, Geschichte, Erziehungswissenschaft, Physik, Naturschutz bzw. Umwelttechnik). Die von mir untersuchten Jugendgruppen dokumentieren sozial- und systemkritische Positionen und ein entsprechendes Sendungsbewusstsein, was typisch für das sozial-ökologische Jugendmilieu ist (vgl. Calmbach et al. 2017: 131; 133). Die im Stand der Forschung vorgestellten qualitativen und Methoden-
17 Während ich Alter und Schulbildung nach den Gruppendiskussionen explizit abgefragt habe, habe ich nicht nach der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht gefragt. Es gibt jedoch zahlreiche Hinweise, die ich in 4.2 soziale Milieus erläutere.
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Mix-Studien betonen die prägende Rolle der Familie für Klima- und Umweltschutzhandeln (ufu 2009, Fischer 2002, Kromer 2007, Kromer/Hatwagner 2005). Die Prägung durch das Elternhaus und Milieu, mit dem die Jugendlichen sich identifizieren, findet sich in meinen Daten nicht im Kontext von Klimaschutz, lässt sich jedoch über implizite Deutungsfiguren und Sinnhorizonte rekonstruieren (s. 4.2). Wenn ich die Ergebnisse meiner Daten mit repräsentativen Studien vergleiche, ergibt sich folgendes Bild: Die von mir befragten Jugendgruppen gehören zur sehr kleinen Gruppe von Jugendlichen, die sich laut Selbstaussage in Initiativen oder Projekten für Klima- bzw. Umweltschutz engagieren (9% laut Shell 2010: 183f). 18 Insgesamt ist im Kontrast zu den o. g. Jugendstudien bei den jungen Umweltschützer*innen eine Umkehrung der Relevanzzuschreibung festzustellen: Umwelt wird als sehr wichtig dargestellt, Interessen der (Konsum)Gesellschaft werden als nachrangig betrachtet. Dies erklärt sich aus der Wahl meines Samples, das sich ausschließlich aus Jugendumweltgruppen rekrutiert. Die Einschätzung der Jugendgruppen von Klimawandel als „eine der größten Bedrohungen“ (Paprika) stimmt überein mit der Einschätzung, die aus den Jugendstudien hervorgeht. Die großen Jugendstudien stellen fest, dass sich die große Mehrheit der Jugendlichen Sorgen um die Zukunft macht und Klimawandel für ein Problem hält (s. 1.1.). Die Feststellung, dass die meisten Jugendlichen nur über Spotwissen zu naturwissenschaftlich beschreibbaren Klimawandelprozessen verfügen, trifft auf die Jugendumweltgruppen eher nicht zu. Gerade (Protest-)Gruppen mit vielen neuen Teilnehmer*innen (Erdbeere, teilweise Himbeere,) dokumentieren eher fragmentartiges Wissen. Dieses geht jedoch über die in den großen Jugendstudien abgefragten Zusammenhänge weit hinaus. Mehrere Gruppen dokumentieren Expert*innenwissen zu Klimawandel, oft angereichert mit akademischen Wissensbeständen (Gurke, Paprika, teilweise Himbeere). Die Jugendumweltgruppen diskutieren u. a. über das mögliche Abbrechen des Golfstroms (Erdbeere, Stachelbeere, Himbeere), Folgen für unterschiedliche Weltregionen (Kürbis), Klimagerechtigkeit sowie globale Klimapolitik (Gurke, Tomate, Paprika). Vereinfacht dargestellt zeigt mein empirisches Material, dass diejenigen über komplexeres Wissen zu Klimawandel und Klimaschutz verfügen, die länger engagiert sind. Doch gibt es auch in meinen Daten große Unterschiede in den Wissensbeständen zu Klimawandel. Diese sind nicht auf Schulbildung zurückzuführen, da die Gruppen diesbezüglich sehr homogen sind. Vielmehr sind
18 Dies entspricht auch der Prozentzahl des sozial-ökologischen Jugendmilieus, dem Calmbach et al. in den letzten fünf Jahren zwischen 9 und 11 Prozent der Jugendlichen zugeordnet haben. Calmbach et al. 2013, 2016.
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Unterschiede darin begründet, ob die Gruppen Klimawandel und Klimaschutz als relevante Themen rahmen. Da ich in den Gruppendiskussionen soziale Milieus nicht explizit abgefragt habe, lassen sich milieuspezifische Prägungen nur durch Rekonstruktion impliziter Sinnstrukturen erfassen. Kontrastierende Formen der Wissensorganisation weisen auf die Rolle von Organisationsstrukturen und sozialen Milieus hin (s. 4.). Ich zeige in Kapitel 4.2, dass der Umgang mit Wissensbeständen zu Klimawandel in meinen Gruppendiskussionen milieuspezifische Charakteristiken aufweist. Mehrere Jugendgruppen (5/8) dokumentieren, ebenso wie Befragte der Jugendstudien, dass sie abstraktes Klimawandelwissen über die Massenmedien (v. a. Fernsehen) und die Schule erworben haben (vgl. Shell 2010: 177ff, Calmbach et al. 2016: 277ff). Die Typologie der ShellJugendstudie 2010, auf die von mir untersuchten Jugendgruppen übertragen, ergibt folgendes Bild: Die Einstellung Klimaoptimismus teilt keine der Gruppen. Sieben der acht Jugendgruppen sind der Einstellung Klimawandelkritik zuzuordnen, die die „reichen Industrieländer“ in der Verantwortung sehen (vgl. Shell 2010: 181). Nur der Extremfall Stachelbeere tendiert zum Klimafatalismus, wobei die Jugendlichen bei der Abfrage expliziter Werthaltungen möglicherweise Klimawandelkritik geäußert hätten, entsprechend der Verzerrung durch quantitative Abfragetechniken (s. 1.1.2).19 Zur Frage nach der Bedeutung von Klimaschutz braucht es zunächst eine Begriffsklärung: Was bedeutet Klimaschutz? Was wird alles dazu gezählt? Die großen Jugendstudien gehen von einer stark verengten Deutung aus (s. 1.3) und reduzieren Klimaschutz auf individuelle Alltagspraktiken wie Energiesparen und Mülltrennung. So klammern die Studien z. B. Suffizienzpraktiken in den Antwortmöglichkeiten komplett aus (s. 5.2).20 Die Studien kommen zum Ergebnis, dass Jugendliche Klima- und Umweltschutz als wünschenswert bewerten, während es an Wissen über konkrete klimaschützende Maßnahmen fehlt (vgl. ufu
19 Für den Vergleich mit der fatalistischen Orientierung der Gruppe Stachelbeere ist es interessant, dass laut Eurobarometer nur 63% der Bevölkerung der Aussage zustimmen, dass es „einen wirklichen Effekt auf den Klimawandel haben wird, wenn jeder sein Verhalten ändert“ (Eurobarometer 300, 2008: 75). Dies lässt sich so interpretieren, dass nur diejenigen Engagement für Klimaschutz für relevant halten, die davon ausgehen, dass es Veränderungspotential gibt. 20 Z.B. die gezielte Beschränkung des Konsums und der Mobilitätsgewohnheiten oder die Bevorzugung von Praktiken des Tauschens, Teilens und selbst Machens, z. B. Urban Gardening, Foodsharing, Einmachen von lokal-saisonalen Erzeugnissen oder die Teilnahme an Kleidertauschparties und Repair Cafés (vgl. Lay/Westermayer 2014). S. 5.2.
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2009: 26ff, Eurobarometer 2008). Die überwiegend kurze Thematisierung von Klimaschutzstrategien in den von mir untersuchten Gruppendiskussionen ist nicht so eindeutig einzuordnen. Sie ließe sich als Mangel an Wissen deuten, aber auch als Implizitheit von Wissen. Die Jugendumweltgruppen gehen selbstverständlich davon aus, dass individuelle Klimaschutzstrategien, also Aktivitäten und Lebensstile, die den Antwortmöglichkeiten in den Fragebögen entsprechen, allen im konjunktiven Erfahrungsraum so bekannt sind, dass sie nicht thematisiert werden müssen. Zunächst ist festzustellen, dass meine Jugendgruppen kaum die in den Studien abgefragten Praktiken bzw. Aktivitäten, wie Energie sparen und Müll trennen, thematisieren. Laut Eurobarometer sind diejenigen Klimaschutzaktivitäten besonders beliebt, die einen geringen persönlichen und finanziellen Aufwand erfordern: Mülltrennung, Energie- und Wassersparen, mit etwas Abstand die Reduzierung von Einwegprodukten (Eurobarometer 2008: 67f). Die von mir untersuchten Jugendgruppen setzen diese Aktivitäten – bis auf den untypischen Fall Ausnahme Himbeere (s. 4.2) – als selbstverständlich voraus und sprechen im Kontext von umwelt- bzw. klimafreundlichem Alltagshandeln ausführlich über Ernährung und Konsumgewohnheiten. Die Relevanz von veganer Ernährung und Reduzierung von Konsumgütern entspricht aktuellen Trends, z. B. in der LOHAS- und LOVOS-Szene (Stengel 2011, Rückert-John 2013, 2014, s. 5.2). Ich stelle im folgenden fünf vorläufige Ergebnisse vor, die ich aus der rekonstruktiven Analyse zu Klimawandel- und Klimaschutzwissen entnehme (s. 5.2). Erstens: Mit Blick auf die umweltaktivistische Positionierung der von mir untersuchten Jugendumweltgruppen überrascht, dass Klimawandel nicht für alle ein wesentliches Thema ist. Für die engagierten Jugendlichen ist Umweltschutz ein wichtiger und alltagsrelevanter Bezugspunkt, wie auch die verbindliche und längerfristige Teilnahme in den Umweltgruppen bzw. -verbänden zeigt. Darin weichen sie deutlich von den Befragten der großen Jugendstudien ab. Beim Thema Klimawandel zeigt sich eine Ambivalenz, die in gewisser Weise die Tendenzen widerspiegelt, die sich in den repräsentativen Studien zeigt: Etwa ein Drittel der Jugendgruppen (3/8) inszeniert sich bewertungssicher in Bezug auf Klimawandel und handlungsfähig in Bezug auf Klimaschutz. Es handelt sich um die typischen gestaltungsorientierten Fälle. Sie berichten von Aktivitäten, die sich explizit auf Klimawandel beziehen oder Klimaschutz als Unterthema von Nachhaltigkeit und globaler Gerechtigkeit einbeziehen (s. 3.3). Ein knappes weiteres Drittel der Gruppen (2/8) setzt Klimawandel relevant, jedoch vor allem in Verbindung mit der Sorge vor zukünftigen Entwicklungen (Erdbeere) und Bewertungsunsicherheit (Himbeere). Es sind zwei protestorientierte Fälle, ein
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typischer und ein untypischer. Für ein Drittel (3/8) der Gruppen stellt sich heraus, dass Klimawandel kein wesentliches Thema ist. Darunter sind ein typischer und ein extremer Protestfall sowie ein untypischer gestaltungsorientierter Fall. Die Gruppen Kürbis, Kirsche und Stachelbeere diskutieren nur kurz über Klimawandel, haben ihren Fokus jedoch auf andere Umweltschutzthemen, z. B. Protest gegen transnationale Konzerne (Kirsche), alltagspraktischen Umweltschutzstrategien (Kürbis) oder Tierschutz (Stachelbeere). Zweitens: In meinen Ergebnissen zeigen sich in meinen Daten deutliche Unterschiede in den Wissensbeständen zu Klimawandel, von Spotwissen und Wissensfragmenten über Expert*innenwissen hin zu akademischem Wissen. Dass es Unterschiede im Wissen gibt, überrascht nicht. Anders als bei den Ergebnissen der großen Jugendstudien liegt der Grund nicht darin, dass eine große Vielfalt an Bildungsmilieus und Herkünften vorliegt. Die Wissensantworten mehrerer Gruppen zur Erklärung von Klimawandel ähneln sich stark und hören sich an, als wären sie auswendig gelernt.21 Auffällig ist, wie stark alle protestorientierten Jugendgruppen (4/8) auf massenmedial weit verbreitete Bilder von Klimawandel rekurrieren, wenn sie ihr Wissen zu Klimawandel präsentieren – wie das Aussterben der Eisbären sowie punktuelle Extremwetterereignisse wie Hurrikans und Tsunamis. Dies entspricht der Darstellung, die der Dachverband Greenpeace International verwendet, welcher stark mit einprägsamen Bildern arbeitet (Hofmann 2008). Explizit nennen die Gruppen Fernsehberichte. Keine der Gruppen verweist explizit darauf, dass sie sich über das Internet informieren. Ich gehe davon aus, dass sie diese Informationsquelle für selbstverständlich halten und deshalb nicht erwähnen. Zudem zeigen einige Gruppen eher technikfeindliche Tendenzen, so dass es den Jugendlichen als uncool erscheinen könnte es zu thematisieren, falls sie sich hauptsächlich über das Internet informieren.22 Die beschriebenen Phänomene sind (bis auf Stürme) alle weit weg, Klimawandel ist diesen Bildern nach implizit etwas, das „irgendwo weit da draußen“ passiert.23
21 Es handelt sich um die Gruppen Stachelbeere, Kirsche, Himbeere, Erdbeere und Kürbis. Bemerkenswert ist, dass sich die Darstellung von Klimawandel im „Leierton“ auch bei Paprika findet, solange es um die allgemeine Problembeschreibung geht (s. 2.2.1). 22 Z. B. Kirsche zur Kritik am Kauf von Smartphones Z. 265-389. „Ich finde es viel schöner, wenn ich es nicht habe, dann habe ich nicht diese ganze Informationsmüllindustrie die ganze Zeit bei mir.“ (Z. 382/383) 23 Dies entspricht den Ergebnissen der Sinus-Studie: Klimawandel sei für Jugendliche weit entfernt, in anderen Erdteilen oder der fernen Zukunft. Typisch sei Puzzlewissen,
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Erst wenn es um den Handlungsbedarf oder persönliche Betroffenheit (in Form von Angst oder Wut) geht, wird die Intonation lebhafter. Dies deutet darauf hin, dass Klimawandel als allseits bekanntes und häufig thematisiertes Problem gedeutet wird, zu dem die Jugendumweltgruppen nicht zwingend Bezug haben. Die Differenz in den Wissensbeständen der Jugendumweltgruppen – so meine These – liegt weniger an Bildung oder sozialen Milieus, sondern darin, ob sie Klimawandel relevant setzen und sich im konjunktiven Erfahrungsraum der Umweltgruppen damit beschäftigen. Durch die Antworten der Gruppen lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, welche Gruppen bereits vor der Gruppendiskussion Klimawandel thematisiert haben. Irritation, Unsicherheit und deutlich voneinander abweichende Wissensbestände in den Gruppen (Himbeere, Kürbis, Erdbeere) verstehe ich als Hinweis darauf, dass eine vorgängige Beschäftigung nicht stattgefunden hat. Nur bei der Gruppe Paprika – dem AK Klimaschutz – ist sicher, dass Klimawandel und Klimaschutz Gegenstand ihrer Treffen ist. Nur zwei Gruppen (Paprika und Himbeere) dokumentieren ein Streben nach Wissen und geben an, sich in Folge der Gruppendiskussion ausführlicher mit Wissensbeständen beschäftigen zu wollen, die für sie noch unklar sind.24 Für viele Gruppen ist es nicht wesentlich, sich ausgiebig mit Klimawandel-Szenarien, Einflussfaktoren, aktuellen Entwicklungen sowie Ansatzpunkten für Klimaschutz zu beschäftigen. Für die Jugendumweltgruppen – die sich als Aktivist*innen verstehen und weniger interessiert sind an diskursiv-akademischen Standortbestimmungen – geht es weniger darum, tiefer in die Diskurse um Klimamodellierung, Szenarioanalyse und klimapolitische Strategien einzutauchen. Es ist von vornherein klar, dass sie „gegen Klimawandel“ sind. Gerade die Gruppen, die Klimawandel nur sehr knapp thematisieren, rahmen Klimawandel als ein Umweltthema unter vielen, und belegen es mit den gleichen Deutungsfiguren wie Umweltschutz, die Stoßrichtung ist bereits festgelegt durch die Orientierungsmuster Protest und Gestaltungsraum. Drittens: Überraschend ist, dass es große Unterschiede gibt in der Bewertungssicherheit, ob Klimawandel anthropogene Ursachen hat. Hier zeigt sich der große Einfluss klimaskeptischer Positionen, die selbst überzeugte jugendliche Umweltschützer*innen verunsichern (s. 5.1). Die Thematisierung von naturwissenschaftlichen Wissensbeständen zu Klimawandel führt bei den von mir untersuch-
das „sich für die Jugendlichen aber nicht zu einem schlüssigen Ganzen zusammen“ füge (Calmbach et al. 2016: 277). 24 Himbeere mit Klimawandel-Szenarien, Paprika mit Kritik an der Behauptung, die europäische Klimabewegung sei elitär, s. 4.2.
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ten Gruppen teilweise zu mehr Unsicherheit. Die Hälfte der Jugendgruppen (Himbeere, Erdbeere, Kürbis, Paprika) nimmt Bezug auf Studien, die den menschlichen Einfluss auf Klimawandel bestreiten. Sie unterscheiden sich jedoch darin, wie sie diese Studien beurteilen und ob sie sich dadurch in ihrer Bewertung von Klimawandel – oder gar in ihrer Handlungsfähigkeit – beeinträchtigt zeigen. Es ist zu beachten, dass Klimawandel auch im Bereich Wissenschaft und Medien mit großen Unsicherheiten thematisiert wird (s. 1.3). Die Unsicherheit, die von Seiten der Forschung vermittelt wird, strahlt gerade auf diejenigen aus, die nach Wissen über Klimawandel streben, jedoch noch über wenig Systemwissen verfügen, das die Einordnung erleichtert. Im Kontext von Bewertungsunsicherheit gibt es zwei Tendenzen: das Verharren in Unsicherheit oder das Streben nach sicherem Wissen (2.1.1). Gegenüber unsicheren Wissensbeständen dokumentieren die Gruppen unterschiedliche Umgangsweisen: Die einen legen den Fokus auf die Unsicherheit bzw. auf das, was sie nicht sicher wissen (können), die anderen betten unsicheres Wissen ein in größere Zusammenhänge, die sie als einschätzbar darstellen, und erlangen dadurch Bewertungssicherheit (2.1.3.). Wieder andere dethematisieren unsicheres Wissen weitgehend und füllen Wissenslücken mit normativen Setzungen und einer Stimmung der Empörung (2.1.2.). Im Kontext von Bewertungssicherheit gibt es zwei unterschiedliche Ausprägungen: Die Thematisierung oder Dethematisierung von unsicherem Wissen. Da Wissen über zukünftige Entwicklungen per se nicht sicher sein kann (Faber/von Detten 2013, Radkau 2017), ist es im Kontext von Klimawandel relevant, ob die Jugendlichen annehmen, dass über den zukünftigen Klimawandel bereits entschieden ist oder ob es sich um einen gestaltbaren Zukunftsraum handelt. Während einige Gruppen explizit sagen, womit sie sich nicht auskennen bzw. worin sie unsicher sind und ihre eigenen Wissensbestände kontextualisieren (2.1.3), blenden andere Gruppen unsicheres Wissen aus, indem sie pauschalisieren und Feindbilder inszenieren, was suggeriert, nicht nur das Problem bzw. die Feind*innen seien ohnehin bekannt, sondern auch Strategien, die darauf antworten (2.1.2). Viertens: Überraschend ist, dass die Mehrheit der Gruppen (5/8) Hilflosigkeit dokumentiert im Umgang mit den Phänomen Klimawandel. Die Hilflosigkeit betrifft nicht nur die beiden bewertungsunsicheren Gruppen (Kürbis und Himbeere), sondern auch die Gruppen, die Klimawandel als spürbare Wirklichkeit darstellen (Kirsche, Erdbeere, Stachelbeere). 25 Die typischen Protestgruppen
25 Es besteht m.E. eine Schwierigkeit in der Bewertung von „spürbar“. Während eine Studie aus dem Erhebungsjahr (2015) aussagt, Klimawandel sei mittlerweile auch in
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stellen Klimawandel als bereits spürbare Klimaverschiebung dar, die sie als Zeichen der nahenden Klimakatastrophe verstehen. Die Problematik ist damit nicht mangelnde Greifbarkeit, sondern Hilflosigkeit im Angesicht einer aufziehenden Katastrophe bei schwachen eigenen Handlungsmöglichkeiten. Fünftens: In Bezug auf die Verantwortungsübernahme für Klimaschutz gibt es große Differenzen zwischen den Gruppen, die für die typischen Fälle entlang der Deutungsfiguren Protest und Gestaltungsraum verlaufen. Zunächst erscheint überraschend, dass knapp die Hälfte der Jugendumweltgruppen die Verantwortung für Klimaschutzhandeln explizit oder implizit den Anderen zuweisen, darunter drei Protestfälle und ein Gestaltungsraumfall. Dies entspricht der Tendenz, die quantitative Studien feststellen: die Befragten problematisieren Klimawandel zwar hochgradig, beziehen die Verantwortung für Klimaschutz jedoch nicht auf sich (s. 2.2). Keine der Gruppen bewegt sich in der Argumentation, die die großen Jugend- und Erwachsenenstudien als typisch herausstellen: Im Abschieben der Verantwortung und Aktivität an „die Politik“ und „große Konzerne“ (vgl. ufu 2009: 39). Für die Jugendumweltgruppen gilt jedoch nicht, dass Umwelt- bzw. Klimaschutz für sie kein relevantes Thema ist. Die Jugendgruppen sprechen jedoch, anders als die Befragten der großen Studien, vom Standort der bereits Engagierten. Für sie ist selbstverständlich, dass sie kontinuierlich selbst aktiv sind, sei es im Protest gegen die schlechten Dinge oder dem Einsatz für eine bessere Welt. Die Protestgruppen inszenieren sich als aktive ÖkoKämpfer*innen, die selbstverständlich über vorbildliche Lebensstile verfügen. Der Protestorientierung entsprechend, adressieren sie die Verantwortung an die Anderen, deren Einstellungen und Lebensstile sie als falsch bewerten. Die typischen Protestfälle argumentieren zu Klimaschutz mit den gleichen impliziten Sinnstrukturen wie zu Umweltschutz (s. 3.). Dem gegenüber stehen die drei typischen gestaltungsorientierten Fälle, die Klimawandel explizit als „das Thema für unsere Generation“ (Gurke) darstellen und ihre Verantwortung betonen. Sie spannen Klimaschutzstrategien über alle Ebenen, von internationalen politischen Verhandlungen über nationale Vernetzung bis hin zu alltäglichen Handlungspraktiken. Diese Gruppen nehmen diese Perspektive jedoch nicht ausschließlich zu Klimaschutz ein, sondern gehen auch andere Themen, wie Verteilungsgerechtigkeit, nachhaltige Infrastrukturen und alternative Konsumformen auf ähnliche Weise an. Es wird somit deutlich, dass die Art, wie Jugendumweltgruppen Kli-
Deutschland spürbar, widersprechen andere dieser Einschätzung und betonen, dass die heute spürbaren Veränderungen Folge der Klimamanipulation vor einem halben Jahrhundert sind (Radkau 2011, Brasseur 2017, Hulme 2009).
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mawandel und Klimaschutz inszenieren, (bis auf untypische Fälle) idealtypisch steht für ihre Deutungsfiguren und Praktiken im Kontext von Umweltschutz. Meine Ergebnisse machen deutlich, dass Wissensbestände zu Klimawandel und Klimaschutz nicht zu verstehen sind ohne die Einbettung in größere Sinnhorizonte und Deutungsfiguren. Eine wesentliche Rolle spielt das Verhältnis von Klimawandel zu Umweltschutzkonzepten. Ich diskutiere zunächst die von Weller und Kolleg*innen formulierte These, dass Klimawandel für Mitglieder von Umweltverbänden Umweltschutz in neuem Gewand bedeutet (Krapf et al. 2013). Die qualitative Studie „Klimawandel im Alltag: Neue Impulse für nachhaltigen Konsum?“ fragt nach der Wahrnehmung von Klimawandel und Folgen für alltägliche Konsummuster für verschiedene gesellschaftliche Gruppen. Gezielt befragt wurden erwachsene Mitglieder aus einem Umweltverband. Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Mitglieder im Umweltverband Klimaschutz als Unterthema von Umweltschutz verstehen: „Die Diskussion über die globale Erwärmung wird von einem Teil der Befragten als eine Art Neuauflage des Diskurses um Umweltprobleme und damit als thematische Fortsetzung der vergangenen Debatten über Waldsterben, Atomkraft oder Globalisierung eingeordnet.“ (Krapf et al. 2013: 14) „Die Mitglieder im Umweltverband verstehen ihr – nach eigenen Schilderungen und Maßstäben – seit vielen Jahren praktiziertes umweltbewusstes Konsumverhalten überwiegend nicht als Reaktion auf den Klimawandel oder auf die Intensivierung der Klimawandeldebatte, sondern vielmehr als Beitrag zum Ressourcenschutz allgemein. Das folgende Zitat bringt diese Einschätzung beispielhaft zum Ausdruck: ‚Mein Thema ist nicht Klimawandel, sondern Ressourcenschonung insgesamt.‘“ (Krapf et al. 2013: 16)
Diese Rahmung hat zur Folge, dass die Mitglieder im Umweltverband keine größeren Veränderungen ihres Konsumverhaltens zugunsten von Klimaschutz berichten (vgl. Krapf et al. 2013: 16). Vielmehr dient die Diskussion über Klimawandel und Klimaschutz dazu, die eigenen Wertorientierungen zu bestärken und fungiert als weiterer Grund für das – nach eigener Darstellung – „bereits praktizierte umwelt- und ressourcenschonende Konsumverhalten“ (Krapf et al. 2013: 17). Für die Hälfte der von mir untersuchten Jugendgruppen trifft diese Logik zu, für die andere Hälfte nicht. Bevor ich die Hintergründe für diese zweigeteilte Antwort herausarbeite, halte ich ein Zwischenergebnis fest: Die Jugendumweltgruppen verstehen Klimawandel nur begrenzt als klassisches Umweltthema. Möglicherweise ist dieses Ergebnis jugendspezifisch geprägt: Viele Teilnehmer*innen meiner Gruppendiskussionen sind erst seit wenigen Monaten
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in den Jugendumweltgruppen aktiv und haben deshalb nicht die gleiche Perspektive auf Umweltschutz und wiederkehrende Themen und Logiken wie langjährig aktive Erwachsene (s. 5.2). Möglicherweise bringt die aktuelle Jugendgeneration auch eine neue Perspektive ein, indem sie Klimawandel nicht mit klassischen Umweltthemen (wie Ressourcenschutz und umweltfreundliches Alltagshandeln) verbindet, sondern mit Themen wie globaler Gerechtigkeit und alternativen Gesellschaftsentwürfen verbindet – oder sich zunächst einmal in einen Suchprozess begibt, wie sie mit einem Thema, das mit so großen Unsicherheiten belegt ist, konstruktiv umgehen kann. Wenn ich die von Weller beschriebene Logik von Klimawandel als Umweltschutz in neuem Gewand auf meine Fälle übertrage, komme ich zu einem zunächst irritierenden Ergebnis: Die Hälfte der Jugendgruppen (4/8) folgt explizit dieser Rahmung von Klimawandel. Dabei verläuft der Kontrast nicht entlang der oben (in 2.1 und 2.2) dargestellten Unterteilung in Gruppen anhand ihrer Wissensbestände und auch nicht entlang der Orientierungsmuster Protest und Gestaltungsraum. Wellers These trifft vielmehr auf die vier typischen Fälle in meinem Sample zu, jedoch nicht auf untypische Fälle und Extremfälle. Die vier typischen Fälle Kirsche und Erdbeere, sowie Tomate und Gurke rahmen Klimaschutz als Unterthema von Umweltschutz. Für die typischen Gruppen ist Umweltschutz ein wichtigerer und größer gerahmter Begriff als Klimaschutz, unabhängig davon, ob sie Klimawandel als wesentliches oder unwesentliches Thema einordnen. Je nachdem, ob sie Klimawandel vor dem Sinnhorizont Gestaltungsraum oder Protest verstehen, deuten sie das Phänomen als kaum abwendbare Katastrophe (s. 2.1.2) oder als Herausforderung, die kollektive Gestaltungsräume auf den Plan ruft (2.1.3). Klimaschutz ist Teil ihrer Umweltschutzstrategien, sei es Teil von Protesten oder Teil von Gestaltungsräumen. Entsprechend dieser Logik sprechen sie kaum explizit von Klimaschutz. Was jedoch nicht bedeutet, dass sie keine Aktivitäten berichten, die unter Labels wie „klimafreundlich“ oder „Klimaschutzaktionen“ passen (Weller 2014, 2015a, s. 3.3.).26 Wenn ich feststelle, dass für einige Jugendgruppen Klimaschutz kaum eine Rolle spielt, behaupte
26 Im Rahmen meiner rekonstruktiven Analyse geht es mir jedoch nicht um eine Bewertung, ob die Jugendumweltgruppen „klimafreundliche“ Alltagspraktiken aufweisen – denn das würde bedeuten, auf Basis meiner eigenen Deutungsfiguren und Präferenzen zu entscheiden, Einschlüsse und Ausschlüsse in der Rahmung von Klimaschutz zu produzieren. Entsprechend dem Paradigma der Dokumentarischen Methode suspendiere ich den den Geltungscharakter der Darstellungen. Hier geht es darum, die Logiken der Jugendgruppen zu rekonstruieren.
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ich damit nicht, dass die Gruppen keine „klimafreundlichen“ Aktivitäten praktizierten, sondern dass sie ihre Aktivitäten nicht in diese Rahmung einkleiden. Auch wenn die typischen Gruppen in meinem Sample Klimawandel als Umweltschutz im neuen Gewand verstehen, gehen ihre Deutungen weit auseinander, da sie Umweltschutz mit voneinander abweichenden Deutungen und Praktiken belegen. Es wäre zunächst schlüssig anzunehmen, dass diejenigen Jugendgruppen sich weniger hilflos gegenüber Klimawandel darstellen, die diesen als Unterthema ihres Hauptfokus‘ Umweltschutz einordnen. Die Inszenierung von Ohnmacht und Verzweiflung mit Blick auf Klimawandel verläuft jedoch nicht entlang dieser Grenze, sondern geht bei den typischen Fällen entlang der Kontraste zwischen den Protest-Gruppen der Greenpeace-Jugend und den Gestaltungsraum-Gruppen der BUND-Jugend. Für die untypischen Fälle Kürbis und Himbeere gilt nicht, dass sie Klimawandel als Unterthema von Umweltschutz rahmen. Ich komme zu dem Schluss, dass die Bewertungsunsicherheit und Kontroverse in Bezug auf Klimawandel bei den Gruppen Kürbis und Himbeere gerade darin begründet sind, dass Klimawandel nicht als klassisches Umweltthema gedeutet wird, für das es bereits bekannte Verarbeitungsweisen und Strategien gibt. Für die Gruppe Kürbis bleibt Klimawandel ein abstraktes Schreckensszenario, mit dem sie sich nicht beschäftigen, weil sie keinen Zugriff darauf hat, resultierend aus der Ablehnung „abstrakter“ Themen und der Darstellung, selbst keinen Beitrag zu Klimaschutz leisten zu können. Die Gruppe Himbeere kann sich nicht einigen, ob sie Klimawandel als „normales“ Umweltthema deutet, zu dem sie „Tipps geben“ können, oder als völlig neues Thema, das zunächst einen Suchprozess in Bezug auf Bewertung und Einordnung erfordert. Dies führt zu Verwirrung und Unsicherheit, die sich jedoch durch weitere Auseinandersetzung mit den Deutungen zu Klimawandel und Klimaschutz auflösen könnten. Auf die Extremfälle Stachelbeere und Paprika trifft die Logik, Klimawandel als Umweltthema unter anderen zu sehen, auch nicht zu. Beide Gruppen stehen mit ihren Orientierungen an gegenüberliegenden Enden des Kontinuums zwischen Protest und Gestaltungsraum, in dem sich die Jugendgruppen bewegen. Die Gruppe Stachelbeere ähnelt in ihrer Orientierung den typischen ProtestGruppen Kirsche und Erdbeere, die Stimmung der Ohnmacht und Verzweiflung ist jedoch bei ihnen verschärft. In der Logik der Stachelbeere ist Klimawandel kein typisches Umweltthema. Denn sie haben die Hoffnung für durchschlagenden Klimaschutz aufgegeben, nicht jedoch für Umweltschutz (s. 3.2). Selbst wenn Stachelbeere Aktionen macht, die andere Gruppen in den Kontext von Klimaschutz stellen, z. B. gegen TTIP oder gegen Kohlekraft, stellen sie nicht den Zusammenhang mit Klimawandel her, sondern rahmen sie als Kampf gegen
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Umweltverschmutzung und Tierquälerei (s. 3.3). Für die Gruppe Paprika gilt eine stark kontrastierende Logik: Sie rahmen Klimaschutz nicht als Umweltschutz in neuem Gewand, weil sie Klimaschutz als größeres Thema als Umweltschutz sehen, das sie mit Fragen der globalen Gerechtigkeit, historischen Verantwortung und demokratischen Prozessen verbinden (s. 2.2.). Aus der mehrjährigen Auseinandersetzung mit Klimawandel und Klimaschutz zieht Paprika die Schlussfolgerung, dass die Bezeichnung „Umweltverband“ für ihre Aktivitäten nicht mehr zutreffend sei, weil sie vielmehr Teil globaler sozialer Bewegungen seien (vgl. Lay-Kumar 2017b). Im Sinne von Kleins Formulierung zu Klimawandel „this changes everything“ (Klein 2014) führt die Beschäftigung mit Klimawandel und der Anspruch, „aktiv eine sehr große Bedrohung, gerade auch für unsere Zukunft, abzuwenden“ (Z. 190-206), dazu, dass es dem Fall Paprika nicht mehr um klassischen Umweltschutz geht, sondern darum, einen „bessere[n] Weg für die Gesamtgesellschaft“ (Z. 410) zu erschließen. Die wesentliche Differenz zwischen den Jugendgruppen liegt in den Sinnstrukturen des Protests oder des Gestaltungsraums. In der Deutung von Klimawandel liegt der Fokus der Gruppen auf Klimawandel als drohende Katastrophe oder auf Klimaschutz als Gestaltungsraum. Bei dieser Unterscheidung deutet sich eine Kontrastierung zwischen den Verbänden Greenpeace und BUND-Jugend an, die die Extremfälle einschließt. Wie ich in Kapitel 3 zeigen werde, liegen die Stimmung der Empörung bei den Protestfällen sowie die Stimmung der Hoffnung bei den Gestaltungsraumfällen nicht hauptsächlich in den Charakteristika der Thematik Klimawandel begründet, sondern sie werden im konjunktiven Erfahrungsraum der Jugendumweltgruppen verstärkt und reproduziert. Die Deutungsfiguren und Wissensbestände zu Klimawandel und Klimaschutz lassen sich wesentlich klarer verstehen, wenn ich sie vor den Sinnhorizonten der Orientierungsmuster Protest und Gestaltungsraum einordne. Meine Analyse ergibt, dass die kollektiven Orientierungsmuster der Jugendgruppen begrenzen, welche Deutungen und Umgangsweisen mit Klimawandel als denkbar oder undenkbar, machbar oder unmöglich erscheinen. Die Deutungsfiguren von Klimaschutz gleichen Folien, die vor einen breiten Deutungshorizont gespannt sind. Es zeigt sich, dass die Deutungen von Klimawandel und Klimaschutz nicht zu verstehen sind ohne die Orientierungsmuster, Praktiken und Infrastrukturen, die das Feld der Jugendumweltverbände formen.
3
Protest und Gestaltungsraum machen
Am Anfang des empirischen Teils habe ich Protest und Gestaltungsraum als zentrale Differenz in den Orientierungen vorgestellt. Während im Kapitel 2 der Fokus auf Wissensbeständen und Deutungsfiguren zu Klimawandel und Klimaschutz lag, fokussiere ich jetzt die interaktive Herstellung von kollektiven Orientierungsmustern. Die Orientierung an Gestaltungsraum oder an Protest erweist sich als prägend für die Funktionslogiken der Gruppen. Mir geht es weniger darum, bestehende Systeme zu beschreiben, als darum zu rekonstruieren, wie Protest und Gestaltungsraum gemacht werden, ganz konkret: wie sie in den Gruppendiskussionen reproduziert werden. Protest und Gestaltungsraum weisen sowohl eine Außen-, als auch eine Innenseite auf: an der Außenseite Praktiken im (halb-)öffentlichen Bereich, an der Innenseite die gruppeninterne Kommunikation. Ich stelle zunächst in 3.1 idealtypisch dar, was die Orientierungsmuster Gestaltungsraum und Protest ausmacht (3.1). Über allen Gruppendiskussionen schwebt die Übereinkunft, als Jugendumweltgruppen für „die Umwelt“ zu sein (s. 3.2). Die Argumentationsmuster der Jugendgruppen weisen große Differenzen auf in der Thematisierung dessen, was sie schützen wollen. Aus dieser Differenz habe ich die beiden zentralen Analysekategorien herausgearbeitet. Auf der expliziten Ebene schreiben die Gruppen Umweltschutz unterschiedliche Bedeutungen zu und berichten dementsprechend voneinander abweichende Aktivitäten. Auf der impliziten Ebene stellen sie Abgrenzung und Zugehörigkeit unterschiedlich her, denn sie nutzen andere Mechanismen der operationalen Schließung. Deutungsfiguren, Stimmungen, Abgrenzungsmechanismen und Organisationsstrukturen interagieren dabei. Es gibt Übergänge zwischen der expliziten Schwerpunktsetzung und der Stimmung, die die Jugendgruppen erzeugen, ebenso wie zwischen Einschlüssen und Ausschlüssen, die die Gruppen produzieren, und Aktionsformaten. Die unterschiedlichen Modi, wie „Natur“ bzw. „Umwelt“ und „Gesellschaft“ im Diskurs konstruiert werden, analysiere ich in 3.2 Doing Nature. In 3.3 Praktiken werfe ich einen Blick darauf, wie
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implizite Wissensbestände, Handlungsvollzüge und Material in den Praktiken der Jugendumweltgruppen zusammen spielen.
3.1 REKONSTRUKTION DER ORIENTIERUNGSMUSTER GESTALTUNGSRAUM UND PROTEST Alle vier Jugendgruppen der BUND-Jugend (Gemüse) dokumentieren das Orientierungsmuster Gestaltungsraum. Beim Gestaltungsraum handelt sich um den utopischen Raum einer besseren Welt, den die Gruppen im Geiste einer Pionierbewegung erschließen wollen. Dazu nutzen sie Nischen und utopische Halbinseln (Habermann 2011; 2009, s. 2.). Die gestaltungsorientierten Gruppen skizzieren auf expliziter Ebene eine ähnliche Problemanalyse wie die protestorientierten Gruppen, verfügen also über ein vergleichbares Orientierungswissen. In Bezug auf Umweltzerstörung und Klimawandel ist ihre Kritik nicht weniger scharf. Die Problemanalyse nimmt jedoch extrem viel weniger Raum in den Gruppendiskussionen ein und ist von anderen impliziten Sinnhorizonten begleitet. Die Gestaltungsraum-Fälle dokumentieren, sich mit unterschiedlichen Zielen und Bereichen von Natur-, Umwelt- und Klimaschutz bereits beschäftigt und eigene Schwerpunkte gesetzt zu haben. Typisch für die Gruppen ist, dass sie Problemstellungen kurz zusammenfassen, den Fokus jedoch auf Transformationswissen legen, konkret auf Lösungsansätze und eigene Handlungsmöglichkeiten (s. 2.1.3, 2.2.). Insbesondere wird die Problemanalyse nicht von einer Katastrophenstimmung begleitet, sondern von einer hoffnungsgeladenen Aufbruchstimmung. Nicht nur die explizite Ebene kreist um das Dafür – auch der Modus Operandi verweist auf die Hoffnung auf eine bessere Welt und den Anspruch, diese im Kleinen bereits zu leben. Der Logik der besseren Welt entsprechend ist es möglich, zugleich „Menschenschutz“ und „Umweltschutz“ zu betreiben, indem Umwelt-Gesellschafts-Beziehungen nachhaltig gestaltet werden (s. 3.2). Dieses Ziel ist deutlich weniger griffig als Protest gegen Missstände bzw. die Abwendung von Umweltzerstörung. Wer für etwas eintritt, muss jedoch ein Ziel bzw. ein Objekt der Fürsorge benennen. Dies erklärt mit Blick auf die explizite Ebene, warum die Gruppen ausführlich unterschiedliche Konzepte und Strategien für Umweltschutz elaborieren. Die Deutungsfigur des Gestaltungsraums beinhaltet einen offenen Raum, der noch zu gestalten und zu bearbeiten ist. Die utopische bessere Welt liegt in einer – per se noch ungewissen und gestaltungsoffenen – Zukunft. Auf impliziter Ebene geht es bei den Aushandlungsprozessen um Begriffe und Strategien und darum, eine gemeinsame Weltsicht und ein Gefühl der Hoffnung herzustellen, das bereits die Stimmung und die Kommuni-
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kationsformen einer besseren Welt in sich trägt (s. 3.3, 4.2).1 Der Kitt zwischen den gestaltungsorientierten Gruppen ist ein gemeinsamer Erfahrungsraum, der weit in ihre Lebenswelt hineinreicht, insbesondere über Freundschaften und Berufswahl (s. u. Fallvorstellung Gurke). In diesem wollen sie – so der implizite Anspruch – diese bessere Welt im Kleinen erproben und erleben. Für die Gestaltungsraum-Gruppen sind Utopien von ebenso funktionaler Bedeutung wie für die Protest-Gruppen ein Ziel des Protests. Denn sie bestimmen die Zielrichtung und geben Aufschluss darüber, an welchen Bausteine utopischer Lebens- und Gesellschaftsentwürfe sich die Jugendumweltgruppen bereits ausprobieren können. „Ich finde Utopien voll toll. ... Ich liebe es, mit Menschen da zu sitzen und mir auszumalen, wie es sein sollte. Und wie es sein könnte. Ganz fern von der Realität, und dann ganz einfach zu sagen: Ok, ja gut, dann machen wir halt! Machen wir halt!“ (Tomate, Z. 222225)
Die Gruppen gehen selbstverständlich davon aus, dass der Möglichkeitsraum für Utopien offen ist. Und sie inszenieren sich als Change Agents, als diejenigen, die die Veränderung in die Hand nehmen und pionierhaft in Taten umsetzen (Lay/Westermayer 2014, Blättel-Mink 2013, Rückert-John et al. 2013). Von einer Orientierung an Protest oder Kritik ohne Nennung von Alternativen grenzen sich die Gruppen klar ab: „Man braucht kritische Aktionen ... , wo man auf den Putz haut, allerdings gehört für mich zum Kritischen dazu, dass man auch einen Maßstab aufzeigt, wo man hin will. Dass man nicht nur sagt: ‚das ist schlecht‘, sondern ‚da wollen wir hin‘... die positiven, die guten Alternativen, da, wo wir hin wollen, unsere Vision, unsere Utopie.“ (Paprika, Z. 315-325)
Klimawandel erscheint in dieser Inszenierung als Herausforderung für die kollektive Zukunft, die Gestaltungsräume auf den Plan ruft. In diesen findet sich der Begriff „für/dafür“ in der Verbindung mit Klimawandel – eine semantische Kombination, die für die protestorientierten Gruppen undenkbar wäre, z.B. „Klimawandel ist das Thema für unsere Generation.“ (Gurke, Z. 155); „eine sehr große Bedrohung ... für unsere Zukunft, ab(zu)wenden“ (Paprika, Z. 190-206).
1
Während Protestgruppen und ihre Kommunikation (im Anschluss an Luhmann 1994, 1996) schon ausgiebig erforscht sind, gibt es wenig aktuelle Literatur zu den Kommunikationsformen junger sozialer Bewegungen, die sich an Gestaltungsraum orientieren.
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Bei aller Sorge um zukünftige Entwicklung verstehen es die typischen Gestaltungsraum-Gruppen als Aufgabe, „nicht die ganze Zeit der Schwarzmaler [zu] sein“ (Paprika, Z. 129), sondern die Hoffnung auf eine zukunftsfähige Welt (und den Sinn des eigenen Engagements) hoch zu halten und in „Alternativszenarien“ zu denken, in denen „jeder kleine Schritt“ bereits eine Verbesserung darstellt (Paprika, Z. 129; 188-210). Das Orientierungsmuster Gestaltungsraum zeige ich im Folgenden anhand der Fallvorstellung der Gruppe Gurke. Die Gruppe Gurke macht eine kurze, scharfe Problemanalyse. Diese wird jedoch nicht von einer Weltuntergangsstimmung begleitet, sondern von einer Aufbruchsstimmung, die sich aus dem Setting ergibt: einem Jugendumweltfestival, das den Titel „Wir schaffen das“ trägt. 2 Gurke folgt der Logik von global denken, lokal handeln. Sie denkt dieses Verhältnis von global zu lokal im Sinne von globale Probleme verstehen, lokale Lösungen gestalten. Typisch für das Verständnis von Umweltschutz als Gestaltungsraum ist der Fokus auf eigene Handlungsmöglichkeiten. Die Gruppe Gurke inszeniert ihr Engagement als Entwicklung von Hilflosigkeit zu Handlungsmacht.3 „Früher kannte ich irgendwie nur Probleme ... Erst dann, wenn man dann mit anderen Menschen zusammen kommt, entwickeln sich auch wirklich äh gute Ideen, wie man Sachen besser machen kann, und man kann diese Lösungen dann auch für sich in seinem Leben verwirklichen, und wird dann auch irgendwie mit sich selbst zufriedener, weil man (.) nicht nur Probleme sieht, sondern auch weiß, was man tun kann. Man fühlt sich nicht mehr dann so hilflos.“ (Gurke, Z. 68-79)
„Probleme“ bezieht sich auf ökologische und soziale Missstände. Die „anderen Menschen“ bezeichnet die Mitglieder der Gruppen bzw. Netzwerken, in denen sich der Sprecher seit Jahren bewegt. Die Anderen spielen darin nicht die Rolle
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Beim Setting handelt es sich um ein Jugendumweltfestival, das in diesem Jahr mit „Wir schaffen das – solidarisch Wirtschaften“ (in einem Wortspiel) betitelt ist. Ein Gruppenmitglied gehört zum Team der „Hauptorgas“ (Organisationsteam), die beiden anderen bringen sich über Workshops ein. S. Link Nr. 9 und Fallbeschreibungen von Tomate und Gurke im Anhang.
3
Dass weder die „Probleme“, noch die „Lösungen“ genauer benannt werden, macht sichtbar, dass wir uns in der Gruppendiskussion in einem Kontext von impliziten Deutungsfiguren der Jugendumweltverbände bewegen, in denen Sinnhorizonte implizit klar sind. Ähnliche Darstellungen gibt es bei Tomate und Paprika.
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von Gegner*innen, sondern als Mitwirkende an der Gestaltung von „Lösungen“. Durch zunehmendes Transformationswissen gelingt demnach eine Veränderung von Hilflosigkeit zu mehr Zufriedenheit und Selbstattribution von Handlungsmacht. Explizit wendet sich die Gruppe Gurke gegen die Vorstellung eines einzigen, perfekten Großkonzepts im Kontext von Klimawandel. Dass die „Lösungen“ für ein „Problem“, wie Klimawandel, einen Bezug zu ihnen selbst und ihrer Alltagspraxis haben, ist für die Gruppe Gurke implizit selbstverständlich. Sie folgt der Logik, dass aus dem Orientierungswissen zu abstrakten Problemstellungen alltagspraktische Entscheidungen folgen, sei es in Bezug auf Nahrungsmittelkonsum oder die Berufswahl. Typisch für die GestaltungsraumOrientierung ist, dass den Bogen „global denken“ zu „lokal handeln“ nicht nur vom Globalen zu Lokalen zu schlagen, sondern auch in die umgekehrte Richtung.4 Die Gruppe Gurke geht selbstverständlich davon aus, dass individuelle Konsum- und Lebensstilentscheidungen durch politische Entscheidungen flankiert werden müssten. Den Fokus legen sie auf eigene, alltagspraktische Handlungsmöglichkeiten: „Also das ist definitiv, da [für Klimaschutz] sollten die [Politiker*innen] was machen, aber allein schon jeder von uns kann ja was machen, indem er guckt: Wo kommen meine Nahrungsmittel her, was konsumiere ich?“ (Gurke, Z. 145/146 ) Dies geht einher mit der gestaltungstypischen Inszenierung als wirkmächtige Pionier*innen der Transformation, denn sie gehen davon aus, in der Lage zu sein, durch ihr Handeln transformierend zu wirken: „man sollte selbst die Veränderung leben, die man sich halt in der Welt wünscht“ (Gurke, Z. 181). Zwischen der Selbstattribuierung von Gestaltungsmacht und der Darstellung von alltagspraktischen Erfahrungen gibt es eine Dynamik, die sich durch die Gruppendiskussion zieht. Der Einsatz „für die Gesellschaft und für die Natur“ (s. 3.2) – und damit für eine bessere Welt – ist dabei verknüpft mit der eigenen Sinnfindung. Der Glaube daran, Teil der „Lösung“ zu sein, bringt eine Stimmung der Hoffnung – auch wenn die Lage der Welt sich laut der eigenen Bestandsaufnahme (noch) gar nicht zum Besseren, d. h. in die normativ gewünschte Richtung verändert hat. Die Orientierung an einem Dafür geht weit über das Engagement in der Jugendumweltgruppe hinaus und bietet Perspektiven für die Berufswahl, die sie als Beitrag zu einer besseren Welt versteht (Lay-Kumar 2017b). Eine vergleichbare Thematisierung erfolgt in allen
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Genau dieses Charakteristikum fehlt dem untypischen Fall Kürbis. Sie denken zwar von global denken zu lokal handeln jedoch nicht vom eigenen, alltagspraktischen Handeln zurück zu politischen oder gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. S. 3.3 und 5.1.
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drei anderen gestaltungsorientierten Gruppen, jedoch in keiner der protestorientierten Gruppen. Alle vier Gruppen der Greenpeace-Jugend folgen dem Orientierungsmuster Protest. Idealtypisch beinhaltet das Orientierungsmuster Protest den Fokus auf das Dagegen, auf die schlechten Dinge auf der Welt. Das Verständnis von Umweltaktivismus als Protest ist in der Umweltbewegung häufig anzutreffen (Luhmann 1994, 1996, Radkau 2011, Betz 2016). Das Orientierungsmuster der von mir untersuchten Jugendgruppen weist Charakteristika auf, die jugendtypisch, organisationstypisch und milieutypisch sind (s. 4.). Die protestorientierten Gruppen kämpfen gegen eine dystopische Zukunft, in der nicht nur das Überleben der Menschheit, sondern das „Überleben der Welt“ (Kirsche, Z. 617) gefährdet ist (s. 3.2). In den Gruppendiskussionen transferieren die Jugendlichen untereinander Wissen über „Missstände“ (Stachelbeere), „verbrecherische“ Konzernpraktiken (Erdbeere) und Verflechtungen zwischen Konzernen und Politik (Kirsche). Zwar kreist der Diskurs um das Dagegen bzw. die Gegner*innen, die Gruppen elaborieren jedoch selten ausführlich, auf welche Abläufe sie sich genau beziehen oder welche Alternativen sie befürworten. Für die Orientierung an Protest ist es von funktionaler Bedeutung, das Ziel des Angriffs klar einzugrenzen, Gegner*innen pointiert zu benennen und fokussiert loszuschlagen. Eine Diskursführung, die Pauschalisierungen und Gut-BöseSchematisierungen auf die Spitze treibt, ist demnach zielführend, um gezielt zu protestieren und attackieren. Je negativer die Gruppen die Lage der Welt einschätzen, desto drastischer formulieren sie und desto eher tendieren sie dazu, drastische Systemumwälzungen zu fordern. Wo fast alles verloren ist, könnte nur ein kompletter Wechsel des „Systems“ helfen.5 Der protesttypische Modus Operandi charakterisiert sich durch zugespitzte Darstellungen, die interaktiv mit einer Steigerungsdynamik elaboriert werden. Die gemeinsame Empörung über die schlechten Dinge auf der Welt und die Anderen ermöglicht die Herstellung von Zugehörigkeit über Abgrenzung. Die Protest-Gruppen verstehen sich als Kämpfer*innen, die die bedrohte Umwelt gegen die zerstörerische Gesellschaft
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Alle vier Gruppen Obst thematisieren einen solchen radikalen Systemwechsel, jedoch mit unterschiedlichem Radikalitätsgrad. Zu „Systemwechsel“, „Abschaffung“ oder den „Kampf gegen Kapitalismus“ s. die ausführliche Fallbeschreibung von Kirsche, (Kirsche, Z. 669; 679; 833; Z. 1354; Erdbeere, Z. 672/673; Stachelbeere, Z. 212, in den ausführlichen Fallbeschreibungen erläutert). Die Gruppe Himbeere thematisiert dies allerdings in einer ironischen Art. Um eine grundlegende Veränderung im Wirtschaftssystem zu erreichen, solle man „einfach das Geld ab[schaffen]“, was „fehlerlos“ funktionieren würde und „voll logisch“ sei (Himbeere, Z. 769-784).
3. Protest und Gestaltungsraum machen | 125
verteidigen. Aus dieser normativ aufgeladenen Dichotomisierung zwischen Umwelt und Gesellschaft entspringt die implizite Logik, dass es moralisch richtig ist, sich „für die Umwelt“ einzusetzen und dass die Gegenseite, die Gesellschaft bzw. die Anderen, moralisch schlecht sind. Nach Luhmann funktioniert die operationale Schließung bei Protestgruppen durch die Herstellung einer Differenz zwischen „Wir und die Gesellschaft“ (Luhmann 1994: 55). Alle von mir untersuchten protestorientierten Gruppen machen in ihrer Kommunikation eine klare Trennung zwischen sich und den Anderen, die als zerstörerisch, gierig und ignorant dargestellt werden. 6 Typisch für das Argumentationsmuster der Protestgruppen ist, die eigenen Wissensbestände und Deutungen für objektiv richtig zu halten und das eigene Wissen als elitär zu inszenieren, im Sinne eines unterdrücktem oder geheimen Wissens (s. 5.2). In der Protestlogik kommt es nicht darauf an, sich im Detail mit den Gegner*innen zu beschäftigen: „Monsanto war für mich immer schon so ein Begriff, das Böse, irgendwie.“ (Kirsche, Z. 877) Die Protestgruppen äußern Gut-Böse-Bewertungen beiläufig, womit sie diese als selbstverständlich geteilte Einschätzungen zu erkennen geben. Die Gruppen inszenieren sich als bewertungssicher in Bezug auf ihre Einschätzung (s. 2.1.2) und als handlungssicher in Bezug darauf, welche Schritte zur Bekämpfung der Missstände folgen sollten. Entsprechend der David-Goliath-Metapher geht es für Öko-David nicht darum, Goliaths Motive näher zu verstehen, sondern mit scharfer Waffe effektiv zu zielen und damit den übermächtigen Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen. Der konjunktive Erfahrungsraum konstituiert sich über die Herstellung von Empörung und Benennung von Missständen. Die Dynamik der Gruppen funktioniert über den Aufbau einer Stimmung der Empörung im Erfahrungsraum Jugendumweltgruppe, die in lautstarken Protestaktionen nach außen getragen wird. Wesentlich für alle vier Protest-Fälle ist die Identifikation mit ihrer Dachorganisation, die die Protest- und Informationskampagnen vorgibt (s. 4.1). Denn als einzelne Jugendliche inszenieren sie sich als hilflos und ohnmächtig (s. Fallbeschreibung Erdbeere). Erst wenn sie sich in Gruppen verbünden und über eine international berühmte Organisation vernetzen, kann ihr Protest, so ihre Hoffnung, „großflächig etwas verändern“ (Erdbeere). Die Metapher des (biblischen) Kampfes von David gegen Goliath findet sich im Gründungsmythos der Dachorganisation Greenpeace International, dem Kampf des Schiffes „Rainbow Warrior“ gegen übermächtige Walfangschiffe, auf die
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Der Grad der Radikalität bzw. Vehemenz normativer Deutungen, mit der diese Deutungen vorgetragen wird, variiert innerhalb der protestorientierten Gruppen. Züge dieses Idealtypus finden sich jedoch in allen Gruppen Obst (s. 3.2, 3.3).
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die Greenpeace-Jugendgruppen explizit oder implizit rekurrieren. 7 Die Jugendumweltgruppen sehen sich jedoch nicht in vorderster Front konkreter Kämpfe gegen übermächtige Konzerne, sondern verstehen ihren Kampf gegen Umweltzerstörung vor allem in der Durchführung von Protest- und Informationskampagnen. Ihre Aktionsformen sind auf öffentlichkeitswirksame Informations- und Protestkampagnen ausgerichtet, bei denen die Gruppen über Missstände informieren, aufklären und aufrütteln wollen (s. 3.3). Neben dem Kampf gegen den Konzern-Goliath mahnen die Greenpeace-Jugendgruppen die Verantwortung der Anderen für die Alltagspraxis an. Unter die Anderen fassen sie diejenigen, die sich ihrer Darstellung nach nicht „für die Umwelt“ einsetzen und mit ihrem Konsum- und Lebensstil zu Umweltzerstörung und Tierleid beitragen (s. 3.1 und 3.3). Die Protest-Gruppen gehen implizit davon aus, dass aus der Einsicht automatisch ein „Bewusstseinswandel“ folgen würde, der radikal veränderte Alltagspraktiken mit sich ziehen würde. Ich vermute, dass es einen Bezug gibt zum impliziten Wissen der Jugendlichen, von denen die meisten erst seit kurzem in der Jugendumweltorganisation aktiv sind (4.2). Die Protest-Gruppen gehen fest davon aus, dass aus dem normativ richtigen Wissen auch das richtige Handeln entspringen müsste. Was jedoch eine Stimmung der Verzweiflung aufkommen lässt, ist, dass ihre Aufklärungs- und Erziehungsversuche die Anderen nur begrenzt umstimmen. Die Fallvorstellung der Gruppe Erdbeere zeigt eine typische Protestorientierung. Die Jugendgruppe berichtet, die Angst vor Klimawandel und die Unzufriedenheit mit der Lage der Welt hätten sie zum Engagement motiviert (s. 2.1.2). „Als ich dann erfahren hab, wie @das halt so ist@ mit dem Klimawandel und alles, ... dann hat mich das halt so voll schockiert und dann ... hab ich halt überlegt, ... zu Greenpeace zu gehen, und dann ähm habe ich das auch gemacht, weil ich es gut finde, da zu helfen, da was dagegen zu tun.“ (Erdbeere, Z. 41-45)
Auf expliziter Ebene sind Empörung über Umweltzerstörung und Tierleid die verbindenden Themen der Erdbeere. Auf impliziter Ebene ist es die Überzeu-
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So endet die Gruppendiskussion des typischen Falls Kirsche mit der Elaboration der David-Goliath-Metapher und schließt mit den Worten: „Rainbow Warrior!“ (Kirsche, Z. 1651). Auch der untypische Fall Himbeere und der Extremfall Stachelbeere beziehen sich auf das Motto des radikalen, aber gewaltfreien Protests von Greenpeace. S. 4.1.
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gung, durch die diskursive Praxis des sich Empörens bereits gegen Unrecht zu kämpfen, und dabei selbst auf der normativ richtigen Seite zu stehen. Die Identifikation mit der internationalen Umweltorganisation Greenpeace ist hoch. Deren Selbstverständnis und Aktionsformate übernehmen die Jugendlichen selbstverständlich – so selbstverständlich, dass sie an keiner Stelle berichten, welche Aktivitäten sie als Gruppe durchführen. Die Gruppe Erdbeere bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Hilflosigkeit, Empörung und normativem Sendungsbewusstsein. Mit dem Fokus auf gigantische Problemstellungen stellt sie implizit eine Stimmung der Machtlosigkeit her, auch wenn sie explizit von „großflächiger Veränderung“ und „Kampf“ spricht (Erdbeere, Z. 39; 601, 749). Der Anschluss an die international bekannte Umweltorganisation Greenpeace erscheint als Lösung der Problematik, als Öko-David dem Zerstörungs-Goliath gnadenlos unterlegen zu sein. „Für die Umwelt einsetzen kann man sich am besten eben, indem man in einer Gruppe ist und gemeinsam was großflächig (.) verändern möchte.“ (Z. 38-39) „Ich finde es nur wichtig, irgendwas zu tun, bevor es überhaupt zu spät ist.“ (Erdbeere, Z. 165)
Der Fokus von Erdbeere liegt auf Protest im Kontext von Tierschutz. Sie elaboriert ausführlich vegane Ernährung, Konsumentscheidungen und Massentierhaltung. Erdbeere weist die Verantwortung zu Handeln Konzernen und den Anderen zu. Ziel dieser Gruppe mit vielen Neumitgliedern ist zunächst, untereinander Wissen zu transferieren darüber, „welche Konzerne jetzt wirklich was (.) verbrechen“ (Erdbeere, Z. 94/95). Die Gruppe Erdbeere dokumentiert eine protesttypische Deutung von „Umwelt“ und „Gesellschaft“ als Gegenpole, was sich auch in ihrer Deutungsfigur von Klimawandel nieder schlägt (s. 3.2, 4.2). In dieser sonst protestorientierten Gruppendiskussion kommt es zu einer Kontroverse, die die Orientierungen an Protest und Gestaltungsraum durch einen antithetischen Diskurs deutlich herauskommen lässt. Nach Eintritt der verspätet hinzukommenden Teilnehmerin Tw6 in die Gruppendiskussion kommt es zu einer Kontroverse. Denn Tw6 dokumentiert bereits in den ersten Sätzen eine Gestaltungsorientierung, die um das Dafür und eigene Handlungsmöglichkeiten kreist: „Ich finde es halt schön, nicht immer gegen (.), also zu sagen: das ist schlecht und Atomkraft ist schlecht und das alles ist schlecht, sondern eben an aktiven Beispielen zu zeigen: Hey, so geht es auch anders! Also habe ich zum Beispiel mal bei einem ... Solarworkshop
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mitgemacht … und so was finde ich halt voll schön, weil man den Menschen zeigen kann: Hey, so kann man was ändern und es geht voll einfach.“ (Z. 232-237)
Tw6 setzt dem Fokus auf „schlecht“ und „gegen“ eine Alternative entgegen, das Experimentieren mit alternativen Praktiken (z.B. Kochen mit Solarkocher), die sie stark positiv konnotiert. Sie widerspricht damit dem Kern der Protestorientierung, den die Gruppe jedoch beibehalten will, mit dem Fokus auf die Darstellung großer Probleme und der Notwendigkeit zu informieren, statt mit kleinräumigen Gestaltungsmöglichkeiten zu experimentieren. Andere Teilnehmer*innen verteidigen ihr Verständnis von Umweltschutz als Anprangern von Missständen: Tw3: „Ich bin auch irgendwie hier, um so zu zeigen irgendwie, dass ähm den Leuten, dass sie irgendwie ihre Welt kaputt machen. Also, sie machen nichts besser. Sie machen alles halt kaputt. Tw6: Aber ich finde es halt schwierig, den Leuten zu sagen: Ihr macht das kaputt! Ihr seid das! Also immer diese Vorwürfe.“ (Erdbeere, Z. 252-257)
Als Tw6 fortfährt, von lokalen Experimentierräumen wie Urbanen Gärten und Repair Cafés zu schwärmen („voll schön“) und diese mit der Erfahrung von Selbstwirksamkeit verbindet, schaltet sich ein (stets an den Gruppenstunden) teilnehmender Erwachsener ein. Er widerspricht der Jugendlichen („genau der falsche Ansatz“, Z. 368), und unterbricht sie mehrmals, womit er verhindert, dass die von Tw6 vertretene Gestaltungsorientierung in der Gruppe an Geltungskraft gewinnt (Erdbeere, Z. 358-369, s. 4.1.). Der Versuch misslingt, die Gruppendynamik und den Fokus weg von Problemstellungen und Empörung, hin zu Gestaltungsmöglichkeiten und Selbstwirksamkeitserfahrung zu steuern. Die Gruppe dethematisiert eigene Gruppenaktivitäten und Handlungsoptionen jenseits individueller Konsumstrategien zugunsten einer abstrakten Erörterung von Missständen. Im Kontext von Klimaschutz elaboriert die Gruppe das Selbstverständnis als informierte Öko-Avantgarde, die in Abgrenzung zu den „uninformiert(en)“ Anderen bereits über das normativ richtige Wissen, Bewusstsein und Handeln verfügt (Z. 582-585). Aufklärung und Erziehung sieht die Erdbeere dementsprechend als wesentliche Hebel, um die Anderen auf den normativ richtigen Weg zu bringen (s. 3.3, 4.2).
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3.2 DOING NATURE – GESELLSCHAFTLICHE NATURVERHÄLTNISSE IM KONTEXT VON PROTEST UND GESTALTUNGSRAUM Für engagierte Umweltschützer*innen gehört zum impliziten Wissen, was sie schützen wollen und welche Schutzstrategien für sie Priorität haben. Die kollektiven Orientierungsmuster beinhalten implizite Konzepte von Umwelt bzw. Natur und Gesellschaft, aus denen Prioritäten für den Umweltschutz hervorgehen, die in den Aktivitäten der Jugendgruppen handlungspraktisch werden. In den Gruppendiskussionen hatte ich neben Klimawandel explizit danach gefragt, was Umweltschutz für die Gruppen bedeutet. Sowohl thematisch, als auch auf der Ebene der Antwortmodi ist eine große Vielfalt festzustellen. Ob die Jugendgruppen die Frage nach der Bedeutung von Umweltschutz direkt beantworten können oder zunächst „schwimmen“, ermöglicht einen ersten Eindruck davon, ob sie sich mit der konzeptuellen Ebene von Umweltschutz beschäftigen. Die Thematisierung von Bildern von Umwelt bzw. Natur ist emotional und/oder normativ aufgeladen, entsprechend Christmanns Analyse, dass in der Umweltkommunikation „ökologisches Wissen“ und „ökologische Moral“ untrennbar verquickt sind (Christmann 1992a, s. 1.1). Protest- und gestaltungsorientierte Gruppen kontrastieren deutlich in der Art, wie sie Natur und Gesellschaft diskursiv herstellen. In meinen theoretischen Vorarbeiten hatte ich Umweltethik als eine der Analyseebenen gewählt (s. 1.3, 1.4). Aufgrund der bestehenden Vorarbeiten ging ich davon aus, dass die Differenzierung zwischen biozentrischen und anthropozentrischen Positionierungen verlaufen würde. Meine komparative Analyse ergibt jedoch, dass der Kontrast nicht entlang der Unterscheidung in biozentrische und anthropozentrische Ethik verläuft, sondern ob die Gruppen eine eher menschenfreundliche oder menschenfeindliche Ethik dokumentieren. Kontrastierende Ethiken verlaufen entlang der Orientierungsmuster Gestaltungsraum und Protest und verweisen auf unterschiedliche Sinnstrukturen zu Umwelt und Gesellschaft. Die Protest-Gruppen dokumentieren keine Zielvorstellung von Umweltschutz. Ihr Fokus liegt auf dem Verhindern von Umweltzerstörung, nicht auf Umweltschutz. Sie dethematisieren ihre Deutung von Umwelt bzw. Natur und setzen einen Natur-Kultur-Dualismus selbstverständlich voraus (s. 1.3). Die Deutung von Umwelt als Antithese zu Gesellschaft führt dazu, dass „für die Umwelt sein“ implizit bedeutet, gegen „die Gesellschaft“ zu sein. Die Gruppen Himbeere und Erdbeere führen bereits in der Einstiegsrunde eine Gegenüberstellung zwischen Gesellschaft und Umwelt ein. Sie stellen es so dar, dass sie sich zwischen Enga-
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gement „für die Umwelt“ oder „für die Gesellschaft“ bzw. „für Leute“ entscheiden mussten, dass sie unterschiedlichen Organisationen zuordnen, und dass sie sich „für die Umwelt“ entschieden haben. „An sich wollte ich was für die Umwelt machen, weil ich es am sinnvollsten für mich finde …: Wir können nicht ohne die Umwelt, aber die Umwelt kann ohne uns und ähm ich bin eigentlich schon relativ sozial engagiert, ….aber ich finde die Umwelt dann doch schon viel wichtiger und umfangreicher als so zwischenmenschliche Beziehungen. Ja und deshalb wollte ich eher etwas für die Umwelt machen und bin jetzt nicht zu amnesty international oder so gegangen.“ (Himbeere, Z. 25-32)
Diese Trennung entspricht dem dominanten dualistischen Verständnis von Gesellschaft und Umwelt bzw. Natur und Kultur. (vgl. 1.3). Die Hierarchie drehen die Jugendumweltgruppen allerdings um: „die Umwelt“ soll Vorrang vor gesellschaftlichen Interessen haben. Damit bewegen sie sich in der Rousseau‘schen Tradition, die die Naturschutz- und Umweltbewegung seit ihren Anfängen geprägt hat (Christmann 1997, Radkau 2011). Natur bzw. Umwelt denken die Gruppen als vorgängige, feststehende Kategorie, die von der Gesellschaft geschädigt wird und deshalb zu schützen ist. Die Begriffe „Umwelt“ und „Natur“ verwenden sie häufig als Synonyme, ebenso wie Klima-, Umwelt- und Naturschutz. Sie machen damit implizit deutlich, dass sie sich nicht mit Interessenund Zielkonflikten im Kontext von Klima-, Umwelt- und Naturschutz beschäftigen. Die Protest-Gruppen dokumentieren eine eher menschenfeindliche Ethik, die mit der Zuweisung von Verantwortung an die Anderen einher geht (s. 2.2). Die protestorientierten Gruppen deuten Gesellschaft als Gegenspielerin von Umwelt, wobei „Gesellschaft“ eine negative Konnotation trägt. Verknüpft ist dies mit einer Inszenierung der Anderen, die diese Gesellschaft ausmachen, als Verantwortliche für Umweltverschmutzung und Tierleid. Die Rolle der ProtestGruppen ist dabei ambivalent. Denn sie verstehen sich nicht als Teil der Umwelt bzw. Natur, wollen jedoch auch nicht Teil der Gesellschaft sein, deren Orientierungen und Praktiken sie verachten.8 Die Protest-Fälle fokussieren die Praktiken und Akteur*innen, gegen die sie kämpfen. Ihre Zielvorstellung von Umwelt-
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Im Kontrast zu anderen protestorientierten Umwelt- bzw. Klimaaktivist*innen, z. B. das Aktionsbündnis Ende Gelände, das seine Aktion im Juni 2017 kommentiert mit „We are nature defending itself.“. S. https://twitter.com/hashtag/EndeGelaende? src=hash, Zugriff am 29.12.2018.
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schutz entspricht der Deutungsfigur, „die Natur“ in Ruhe zu lassen. Sie reagieren großteils überrascht auf die Frage, was Umweltschutz für sie bedeutet. Sie dokumentieren ein naturalisierendes Bild von Umwelt bzw. Natur als Schönem und Gutem, das von der Menschenwelt zerstört wird. Die Beispiele für die wunderbare Umwelt und ihre Zerstörung haben keinen Bezug zur eigenen Lebenswelt, sie sind einzig aus Fernsehreportagen bekannt, z. B. das Aussterben der Eisbären, das Absterben des Great Barrier Riffs, die Abholzung von tropischen Regenwäldern. „Dass man immer wieder im Fernsehen oder so Dokus sieht, … wie zum Beispiel das Great Barrier Riff zerstört wird, ... dass wir so ganz faszinierende Sachen … niemals sehen werden, weil wir sie vorher schon kaputt gemacht haben, … das kann eigentlich nicht sein, da muss man halt irgendwas gegen machen und das ist dann für mich Umweltschutz, da wir quasi überhaupt versuchen, das zu erhalten, was diese Welt alles zu bieten hat.“ (Kirsche, Z. 57-66)
Umweltschutz bedeutet hier, Ökosysteme zu erhalten, was die Sprecherin gleichsetzt mit „irgendwas [da]gegen machen“. Aus der Dethematisierung von Umweltschutzprioritäten bei gleichzeitiger positiver Konnotation von „Natur“ lässt sich rekonstruieren, dass die Protest-Gruppen von einem idealisierenden Konzept von Natur ausgehen. Z. B. erzählt die Gruppe Kirsche mit begeistertem Tonfall von der „Natur um Tschernobyl“, die sich wunderbar erholt habe, seit keine Menschen mehr das verstrahlte Gebiet betreten würden. Tw2: „Das ist ja so eine Sache, dass man gesagt hat, Tschernobyl, dass ist ja so eine Megakatastrophe gewesen, wo man gesagt hat, dass alles verstrahlt, alle Menschen werden evakuiert ... Tw6: Da gibt es so eine der einzigen ... Regionen der Welt, wo Wildpferde frei leben, weil die halt einfach da den Platz haben und die Möglichkeit haben, und die können einfach damit leben, mit dieser Verstrahlung, die haben sich daran angepasst. Äh das soll jetzt nicht heißen, dass ich jetzt @gut @ finde, dass es verstrahlt ist oder so, ist natürlich eine Katastrophe, dass da so viele Menschen gestorben sind, und aber das ist irgendwo gut, dass da im nächsten Jahrtausend keine Menschen mehr leben werden, weil die Natur in Tschernobyl ist heute auf dem Stand des siebzehnten Jahrhunderts irgendwie. Ähm und das hat sich einfach in den letzten (.) zwanzig Jahren oder in den letzten Jahrzehnten so (1) °ich weiß nicht genau, wann das war?° [Tw6: °Vierzig (.) fünf (.) vierzig Jahre.° Ja, vor vierzig Jahren, in dieser Zeit (.) hat es sich einfach vom Stand des einundzwanzigsten auf den Stand des siebzehnten Jahrhunderts regeneriert, so viel mehr, so enorm viel
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stärker als die Menschen (.) denken und als die Menschen °es eigentlich sind°.“ (Kirsche, Z. 1373-1430)
Würden die Menschen die „Natur“ nicht stören, so würde diese schon ihren Lauf nehmen und keines Schutzes bedürfen, so die implizite Logik. Wie bereits bei der Thematisierung von Klimawandel gehen die Jugendlichen davon aus, über objektiv richtiges Wissen zu verfügen, so dass es nicht nötig ist zu reflektieren, wie sie ihr Wissen informieren. So meinen sie, die Lage „der Natur um Tschernobyl“ einschätzen zu können, liegen mit ihrer Datierung der Reaktorkatastrophe jedoch um mehr als 15 Jahre daneben.9 Gleichzeitig empören sie sich über Mitschüler*innen, die nichts über Tschernobyl wussten. Es geht der Gruppe Kirsche nicht um eine Einschätzung der öko-sozialen Implikationen der Reaktorkatastrophe, sondern um die Herstellung einer Stimmung, in der die Natur letztendlich über die Zerstörungsmacht der Menschen triumphiert. In dieser Logik gibt es keinen anderen Raum für Menschen, die die Umwelt bzw. Natur schützen wollen, als diese in Ruhe zu lassen und in der Menschenwelt gegen diejenigen zu kämpfen, die das Wunderwerk Natur zerstören. Es verwundert nicht, wenn im Anbetracht des dominanten Paradigmas, das Kultur über Natur hierarchisiert (s. 1.3), eine Stimmung von Ohnmacht und Zynismus vorherrscht. Einen erfahrbaren Handlungsraum, in dem positiv konnotierte Gesellschafts-UmweltInteraktionen erlebbar wären, schließt diese Logik implizit aus. Die ethische Argumentation der typischen Protest-Fälle scheint auf den ersten Blick biozentrisch. Im Zentrum der Darstellung steht jedoch nicht „Bios“, wie auch immer konzeptualisierte Interessen der Umwelt bzw. Natur bzw. Ökosysteme, sondern der Kampf gegen die Umweltsünder*innen. Dass ihnen das Wohlergehen von „Tieren und Pflanzen“ vorrangig ist gegenüber dem von Menschen, dokumentieren mehrere Protest-Gruppen. Tw1: „Also, ich denke auch nicht immer gleich sofort an die Menschen, wenn ich an Umweltschutz denke. Sondern auch an die Tiere, sogar mehr als an Menschen (.) [TN: @(3)@ Tw3: Auch an die Tiere. Ich weiß, dass mir (unverständlich wegen Lachen) [TN: @(2)@
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Die Gruppendiskussion fand im Februar 2015 statt, die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im April 1986. Zum Zeitpunkt der Diskussion war sie also knapp 29 Jahre, und nicht 40 oder 50 Jahre, her, wie Kirsche annimmt.
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Tw3: Ich denke dann halt immer ... an die süßen kleinen Schweinchen oder so oder (.). Die muss man halt irgendwie retten.“ (Stachelbeere, Z. 428-434).
Diese Logik geht im Extremfall so weit, dass das Aussterben der Menschheit wünschenswert bis witzig erscheint: Tw6: „Es könnte sein, dass die Menschheit stirbt, weil sie sich mit irgendwelchen Chemiecocktails so (.) ich finde die Vorstellung so, es ist so selber ans Bein gepisst, denk ich mir immer so, es ist so, ja toll. TN: [@(1)@ [Tw2: @Es wär so absurd, es wär beinah wieder witzig@.“ (Kirsche, 1092-1100)
Der Extremfall Stachelbeere transportiert eine besonders fatalistische, mit Verzweiflung angefüllte Stimmung. Dies ist begleitet von einer normativ stark geladenen Kommunikation mit religiösen Zügen, die zwischen „unschuldiger“ Tierund Pflanzenwelt und „schuldigen“ Menschen unterscheidet (vgl. Christmann 1992: 208-211, Radkau 2011: 582). Er richtet sich so stark auf das aus, wogegen er kämpft, dass er die Frage, was Umweltschutz für ihn bedeutet, zunächst nicht beantworten kann. Umweltschutz erscheint letztendlich als Paradox: „Deshalb finde ich ja auch Umweltschutz bis zu einem bestimmten Grad eigentlich unlogisch, weil da ja (man schützt sich ja) selber, dabei wäre es theoretisch besser, wenn wir letztendlich vernichtet werden.“ (Stachelbeere, Z. 513-517) Das „vernichtet Werden“ dreht der Extremfall anschließend in die aktive Form, den „kollektiven Selbstmord“: „Aber wieso wird darüber nicht nachgedacht, dass eigentlich die perfekte Lösung für die Welt einfach ein kollektiver Selbstmord wäre.“ (Stachelbeere, Z. 519-521) Menschen erscheinen demnach als Schädlinge, die sich am besten selbst eliminieren würden. Diese Deutung enthält die implizite Sinnstruktur, dass die Menschenwelt keine konstruktive Beziehung zur (Um-) Welt pflegen kann. Auch wenn die anderen drei Protestgruppen nicht zu so einer radikalen Deutung kommen, besteht das Dilemma darin, dass durch die Trennung und Hierarchisierung von Umwelt und Gesellschaft wenig Gestaltungsraum gegeben ist, in dem Gesellschafts-Umwelt-Beziehungen nachhaltig gestaltet werden könnten. Der Fokus der Aktivitäten liegt auf dem Aufhalten von Umweltzerstörung durch Praktiken des Informierens, wodurch die anderen zu Bewusstseins- und Verhaltensänderungen gebracht werden sollen. zu bringen (s. 3.3).
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Die Gestaltungsraum-Gruppen bauen keine Dichotomie zwischen Umwelt und Gesellschaft auf. Sie zielen darauf, Umweltschutz in gesellschaftliche Alltagspraktiken, Lebensstile und/oder Entwicklungspfade zu integrieren. Dabei erscheinen „Natur“ bzw. „Umwelt“ und „Menschen“ nicht als Gegenspielerinnen, sondern als aufeinander bezogene Kategorien. In der besseren Welt, auf die sie hin arbeiten, muss „Umwelt“ nicht mehr vor „Gesellschaft“ geschützt werden. 10 Es geht den gestaltungsorientierten Gruppen dementsprechend darum, zwischen verschiedenen Interessen im Rahmen von Natur-, Umwelt- und Klimaschutz abzuwägen und Lebensentwürfe so zu gestalten, dass sie nachhaltige Gesellschafts-Umwelt-Beziehungen ermöglichen. Implizit ist es für die Gestaltungsraum-Gruppen selbstverständlich, dass ethische Motive gleichermaßen auf Menschen und Tiere, Ressourcen und soziale Gerechtigkeit zielen, die in der Utopie einer besseren Welt harmonisch zusammenspielen: „Mir ist im Laufe meines Lebens klar geworden, dass ich eigentlich möchte, dass alles Leben auf der Welt gleich behandelt wird und auch die gleichen Chancen hat zu existieren. Und deswegen engagiere ich mich in dem Bereich und versuche eben, Tiere und Menschen (.) zu schützen und gleich zu behandeln.“ (Gurke, Z.188-191)
Im Kontrast zu den Protest-Gruppen betonen die Gestaltungsraum-Gruppen ihre Eigenverantwortung und weit weniger die Verantwortung der Anderen (s. 2.2.1). Die Konzepte von Umwelt-Gesellschafts-Interaktionen differieren unter den Gestaltungsraum-Gruppen stärker als unter den Protest-Gruppen. Alle vier Fälle dokumentieren eine vorgängige Beschäftigung mit den Kategorien Umwelt, Natur und Natur- und Umweltschutz und elaborieren ihre Deutungen von Umweltschutz und nachhaltigen Gesellschaftsentwürfen. Sie erarbeiten interaktiv, welche Bereiche sie zu Umweltschutz zählen und welche Prioritäten sie setzen. Vom Fokus auf lokalen Umwelt- und Naturschutz, den der ErwachsenenDachverband BUND setzt, grenzen sie sich ab.11 Denn es gehe nicht um den
10 Dies lässt sich in dem häufig von Umweltaktivist*innen zitierten Satz zusammenfassen: „I don't want to protect the environment, I want to create a world where the environment doesn't need protection“. In einer Welt, in der Umwelt nicht mehr geschützt zu werden braucht, wird Umweltschutz auf allen Ebenen mit gedacht. S. 6, vgl. LayKumar 2016: S. 70. 11 Auf Bundesebene verfolgt der BUND sowohl nationale als auch internationale Umweltschutz- und Umweltpolitik-Ziele, wie aus der Satzung ersichtlich ist (https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/bund/bund_satzun g.pdf). Die Landesverbände und Ortsgruppen fokussieren sich oft auf regionale und
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Schutz einzelner Tierarten und Habitate, sondern um einen breiteren Gestaltungsraum, der sozial-ökologische Utopien einschließt. Der untypische Fall Kürbis dokumentiert in Bezug auf Umweltschutzkonzepte und gesellschaftliche Naturverhältnisse eine typische Gestaltungsorientierung und grenzt sich klar vom limitierten Naturschutzverständnis des „Seniorverbands“ ab (Z. 56-73). Auf der Ebene der expliziten Darstellung variiert die Darstellung zwischen eher biozentrischen und eher anthropozentrischen Aussagen. Zwei Gestaltungsraumfälle, Gurke und Kürbis, beziehen sich stark auf einen Erfahrungsraum, den sie „in der Natur“ nennen und idealisierend beschreiben.12 Dabei entsteht jedoch kein Antagonismus zur „Gesellschaft“ bzw. „dem Menschen“. Die beiden Gruppen verweisen dabei auf die für die Umweltbewegung typische Metapher vom Einklang mit „der Natur“, die als Kraftspenderin auftritt (Radkau 2011, LayKumar 2017b). Die anderen beiden Gestaltungsraum-Fälle, Tomate und Paprika, dagegen argumentieren eher anthropozentrisch. Umwelt- bzw. Klimaschutz dient demnach der Gestaltung eines sicheren Lebensraums für die Menschheit. In ihrer Logik lässt sich Umwelt nicht von Gesellschaft getrennt betrachten, Umweltschutz bedeutet immer eine globale sozial-ökologische Transformation. Der Extremfall Paprika geht so weit, über eine Umbenennung von „Umweltver-
lokale Umwelt- und Naturschutzinteressen. Mehrere BUND-Jugendgruppen thematisieren die Ziele des Erwachsenenverbands in Abgrenzung zu ihren eigenen, z.B. „Pflöcke für Wildkatzen einschlagen“, „Vögel beringen“ oder „Wutreden“ gegen Windkraft zugunsten vom Schutz von bedrohten Feldermaus- und Vogelarten. S. Fallbeschreibungen der Gruppen „Gemüse“ im Anhang. 12 Die Gruppen Kürbis und Gurke sind dienigen, die am stärksten Naturschutz im Programm haben und damit auf erfahrungsbasiertes Wissen im Kontext von Naturschutzpraktiken zugreifen können, wie der Biotoppflege oder Vögel zählen im Wattenmeer. Ein genauerer Blick auf den Orientierungsrahmen, in dem die Gruppen Kürbis und Gurke „Natur“ verhandeln, zeigt, dass sie sich bei der positiven Konnotation auf „Natur“ als konkreten Erfahrungsraum beziehen. Es handelt sich bei Kürbis und Gurke um die beiden Gruppen, die einen gemeinsamen Erfahrungshorizont im Berufsfeld der Natur- und Umweltschutzpraxis teilen. Natur als Kraftspenderin, Umweltschutz als Sinnstiftung und alltagspraktische Umsetzung der Liebe zur Natur in nachhaltigen Lebensstilen, so lautet die Logik der beiden Gestaltungsraum-Fälle Gurke und Kürbis. Die stark positive Konnotation von „Natur“ als „Kraftquelle“ (Kürbis, Z. 434) bezieht sich nicht auf eine abstrakte „Natur“ als Ganzheit, sondern auf konkrete Erfahrungsräume. Meine These ist, dass die jungen Umweltschützer*innen Erfahrungen der Resonanz (Rosa 2016) gemacht haben und sich die positive Konnotation auf diese Erfahrungen bezieht.
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band“ in „soziale Bewegung“ nachzudenken (s. 2.2). Was alle GestaltungsraumGruppen gemeinsam haben, ist die Deutung von Umweltschutz als Bündel von Abwägungsfragen. Die Antworten bzw. Strategien stehen demnach noch nicht fest, sondern sind situationsspezifisch und lokal angepasst zu beantworten. Diesen Gruppen gemein ist der Fokus auf „das, was man selbst tun kann“ (Gurke, Z. 78). Auf der Ebene des Modus Operandi setzen die gestaltungsorientierten Gruppen diese Aushandlungsprozesse um die Bedeutungen und Prioritäten von Natur-, Umwelt- und Klimaschutz um, indem sie gemeinsame Definitionen und Bewertungen interaktiv erarbeiten. Die Aushandlungsprozesse über Perspektiven, Schutzinteressen und Strategien der Jugendumweltgruppen nehmen einen großen Raum in ihren Gruppendiskussionen ein. Besonders deutlich zeigt sich dies beim typischen Fall Tomate. Die Gruppe gliedert Umweltschutz in verschiedene Bereiche und verhandelt mit hoher interaktiver Dichte, welche Felder zu Umweltschutz gezählt werden (z. B. Tierschutz und Menschenrechte). Die Diskursorganisation ist von einer strukturierten Darstellung geprägt, die Hinweise darauf gibt, dass die Gruppe Erfahrung mit der Formulierung ihrer Ziele hat. Den Auftakt macht ein Zitat aus der Satzung des Jugendverbands: „Das Ziel der BUND-Jugend ist es, menschliches und anderes Leben in einer intakten Umwelt zu erhalten.“ (Tomate, Z. 319/320). Die Gruppe Tomate interpretiert dies als maximalen Handlungsspielraum, „weil das im Prinzip ja einfach alles ist, so wie Um- und Welt“ (Tomate, Z. 327). Implizit schließen sie darin ihre Lebenswelt ein und verstehen Umwelt damit nicht als Gegensatz zu Gesellschaft. Umweltschutz ist in dieser Logik eine Frage von persönlichen Präferenzen, aber auch ein Nebeneinander an Prioritäten: Tw1: „Man kann sich immer so die Themen rauspicken, die einen persönlich interessieren. Tm1: Aber da kann man auch so ein bisschen in Gruppen unterteilen, zum Beispiel Klimaschutz, Anti-Atom, Wald (.) Schutz der Wälder, was weiß ich, was es noch alles gibt.“ (Tomate, Z. 331-333)
Dieser Logik nach erschließen sich Prioritäten im Umweltschutz nicht aus sich heraus, sondern werden gemacht. Die Gruppe Tomate geht von einer anthropozentrischen Perspektive aus und versteht Umweltschutz im Sinne eines Third World Environmentalism als Schutz von Menschen, die als Basis eine möglichst „intakte Umwelt“ benötigen (Lange 2011).
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Tw1: „Dann ist auch wieder die Frage, wie und was [ist Umwelt] und es ist auch viel Definitionssache, zum Beispiel ob du Menschenrechte ... mit reinnimmst oder nicht, also theoretisch kannst du das ja unbegrenzt weiterführen. Weil das ist ja für Menschen in einer intakten Umwelt, und die Menschen gehören ja irgendwie auch zur Umwelt, auch wenn das so im klassischen Umweltschutz nicht mit drin ist. Tw2: Ich mache Umweltschutz wegen den Menschen.“ (Tomate, Z. 340-345)
Tomate reflektiert, dass ihre Deutung vom „klassischen Umweltschutz“ abweicht. In ihrer Logik ist das Ziel, das eigene Überleben bzw. das Überleben der Menschheit zu sichern, nicht gegenläufig zu den Interessen „der Umwelt“, sondern beide zu schützen ist Ziel der utopischen besseren Welt. Der Fokus der Aktivitäten ist dementsprechend die Gestaltung von Experimentierräumen, in denen nachhaltige Gesellschafts-Umwelt-Beziehungen ausgearbeitet und erprobt werden sollen. Eine komparative Analyse zwischen dem typischen Gestaltungsraum-Fall Tomate und dem extremen Protest-Fall Stachelbeere zeigt, wie sehr umweltethische Konzepte und gesellschaftliche Naturverhältnisse die Umweltschutzkonzepte prägen und Spielräume eröffnen bzw. verengen. Beide thematisieren die „egoistische“ Motivation im Umweltschutzengagement (Tomate, Z. 216; 380; Stachelbeere, Z. 382). Doch dieser Begriff ist eingebettet in zwei kontrastierende Deutungsfiguren und Ethiken. Die Gruppe Stachelbeere konzeptualisiert „die Menschen/den Menschen“ als maßlose Zerstörer*innen der unschuldigen Umwelt, die auf dem Planeten nur Unheil anrichten und am besten in den kollektiven Selbstmord gehen würden.13 In dieser Logik ist das „egoistische“ Interesse, als Mensch weiter zu leben, nur dadurch zu rechtfertigen, dass sie sich als Kämpfer*innen gegen die bestehenden Verhältnisse und als Retter*innen der leidenden Tiere engagieren. Im Fall von Tomate geht die Argumentation von einer eher anthropozentrischen Ethik aus, die Umweltschutz und Menschenschutz zusammen denkt. Die positive Konnotation des eigenen Lebens, des Lebens von Menschen allgemein und die von Umwelt schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander. 14 Demnach besteht der Konflikt nicht zwischen
13 Diese Darstellung ist besonders stark in der Passage zu Klimawandel zu finden, in der die Gruppe Stachelbeere mit einer religiösen Semantik das Handeln der Menschheit verurteilt („da hat der Mensch [[...]]zu viel Gott gespielt“ (Z. 193/194,), insbesondere das der Gesellschaft in Deutschland: „weil wir schieben die Schuld von uns weg … schieben“ (Z. 267-269). 14 S. Passage Tomate, Z. 387-392.
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Menschen und Umwelt, sondern zwischen Gesellschafts-Umwelt-Beziehungen, die nicht zukunftsfähig sind: „Ich habe hier eine Welt, in der ich gerne noch ein bisschen leben würde und ich sie ein bisschen so verändern möchte, wie ich will. Also (.) ganz klar auch egoistisch gedacht.“ (Tomate, Z. 216-280). Der Begriff „Egoismus“ fungiert für Tomate als Gegenbegriff zur Darstellung, „für die Gemeinheit/für andere“, also altruistisch, aktiv zu sein. Der Wille zur Gestaltung einer besseren Welt ist hier explizit mit Eigeninteresse verbunden. Die Darstellung, die Welt verändern zu wollen, „wie ich will“, erschließt erneut, dass Tomate Umweltengagement als Gestaltungsraum für zukunftsfähige Lebensentwürfe denkt, in dem die Prioritätensetzung nicht vorgegeben, sondern von eigenen Interessen und Aushandlungsprozessen geprägt ist. In diesem Kontext ist auch die Darstellung zu Klimawandel einzuordnen, dass Klimaschutz durch „Egoismus“ motiviert (Z. 380) – was bedeutet, Eigenverantwortung für die Zukunft zu übernehmen.15 Es lässt sich herausarbeiten, dass die Deutungen von gesellschaftlichen Naturverhältnissen einen immensen Einfluss darauf haben, wie die Jugendgruppen Umwelt- und Klimaschutz verstehen, welche Rolle sie sich selbst zuschreiben und wie sie in ihren Aktivitäten auf die Anderen – stellvertretend für die Gesellschaft – zugehen. Luhmanns Darstellung zum Kreisen um Protest in Teilen der Umweltbewegung (s. 1.3, 2.) weiter denkend, komme ich über die rekonstruktive Analyse zu der These, dass es sich das Kreisen um ein Dagegen oder Dafür wesentlich darüber entscheidet, ob eine Zielvorstellung von Umweltschutz funktional notwendig ist. Die Orientierung an Protest benötigt keine Zielvorstellung von Umweltschutz, da sie sich auf den Protest und Kampf dagegen fokussiert. Für das Füllen eines Gestaltungsraums ist dagegen wesentlich, sich über eine Definition von Umwelt und von Umweltschutzinteressen zu verständigen, da diese das Dafür ausmacht. Mit den Deutungen von Umweltschutz verbunden sind die Praktiken der Jugendumweltgruppen. Sie basieren auf diesen Sinnstrukturen und werden gerahmt durch die Orientierungsmuster Protest. Im folgenden Kapitel zeige ich, welche Aktivitäten die Jugendumweltgruppen berichten und welche Verknüpfungen von Wissensbeständen, Handlungsvollzügen und Material sich rekonstruieren lassen.
15 Eigenverantwortung ist ein zentraler Begriff für die Gruppe Tomate. Sie binden diesen an die Erfahrung in der Jugendumweltgruppe, dass durch eigenes Engagement Veränderung möglich ist: „Das ist etwas, was ich gelernt habe, jetzt in der Zeit [beim Jugendumweltverband], dass man selber etwas tun kann und es zwingend notwendig ist und es einem damit vielleicht auch besser geht.“ (Z. 194/195). S. Kap. 6.
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3.3 PROTEST- UND GESTALTUNGSTYPISCHE PRAKTIKEN Die Orientierungen Gestaltungsraum und Protest erweisen sich als prägend für die Praktiken der Jugendumweltgruppen. Nachdem ich die Deutungsfiguren als Teile sozialer Praktiken untersucht habe, interessiert hier die Verknüpfung von Deutungen mit Handlungsvollzügen. Die Jugendgruppen benennen ähnliche Problemstellungen. Da sie diese in abweichende Deutungen, Stimmungen und Organisationsstrukturen einbetten, leiten sich jedoch andere Aktivitäten und Aktionsformen ab. Es handelt sich um ein wechselseitiges Verhältnis zwischen Deutungen und Handlungsvollzügen: Deutungsfiguren wirken als Rahmung für Handlungsvollzüge, indem sie diese logisch bzw. selbstverständlich erscheinen lassen. Handlungsvollzüge wirken jedoch auch auf Deutungsmuster ein, da aus der Handlungspraxis erfahrungsbasiertes Wissen generiert wird, das als konjunktives, implizites Wissen die Deutungsmuster prägt. Aus praxeologischer Perspektive interessiert, wie sich Deutungen, Stimmungen und Handlungsvollzüge im konjunktiven Erfahrungsraum der Jugendumweltgruppen verschränken. Ich unterscheide begrifflich zwischen Handlungsvollzügen und berichteten Aktivitäten. Im folgenden fasse ich die berichteten Aktivitäten der gestaltungs- und protestorientierten Fälle kurz zusammen. Die Aktivitäten lassen sich analytisch als Praktiken des Informierens (Protest) und des Social Events Organisierens (Gestaltungsraum) fassen. Mithilfe einer komparativen Analyse mit minimalen Kontrasten arbeite ich heraus, wie typische, extreme und untypische Fälle diese Praktiken füllen. Die Protestorientierung der Greenpeace-Jugendgruppen ist davon geprägt, sie über ihre eigenen Aktivitäten viel weniger ausführlich und intensiv sprechen als über Missstände bzw. Problemstellungen. Luhmanns Analyse entsprechend, dass Protestbewegungen sich auf das Dagegen fokussieren, steht die Darstellung von Missständen und Gegner*innen im Vordergrund. Es ist Teil des impliziten Wissens der Gruppen, dass die Erörterung von Missständen in Verbindung steht mit (bereits vergangenen oder potentiell noch kommenden) Protestaktionen. Die beiden typischen Protestgruppen, Kirsche und Erdbeere, berichten auf expliziter Ebene nicht von konkreten Aktionen. Aus dem Setting heraus ergeben sich jedoch auf impliziter Ebene die Aktionen: Im Fall Erdbeere findet die Gruppendiskussion während einer Gruppenstunde statt, in der ein veganes Picknick gemacht wird. Im Fall Kirsche findet während des wöchentlichen Treffens die Vorbereitung auf eine Großdemonstration statt, es werden Protest-Plakate gemalt. Ein Teil der Teilnehmer*innen erklärt sich bereit, mit mir zu diskutieren,
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statt weiter Plakate zu malen. Die fehlende explizite Thematisierung von Aktivitäten erklärt sich aus der Organisationsstruktur und den Aktionsformen der Greenpeace-Jugend: Sie bekommen Kampagnen, Aktionstermine und Infomaterial von der zentralen Stelle des Dachverbands der Erwachsenenorganisation geschickt und schließen sich häufig den lokalen Aktionen der Erwachsenenorganisation an (S. 4.1). Auf der Ebene der Aktivitäten geht es darum, das – für normativ und objektiv richtig gehaltene – Wissen über Umweltzerstörung und Tierleid den Anderen zu vermitteln und im Zweifelsfall durch schockierende Inszenierungen aufzudrängen. Der Schwerpunkt liegt bei zwei der vier Gruppen (Stachelbeere und Erdbeere) auf Tierschutz. Nur die Gruppe Kirsche, die in der Bundeshauptstadt verortet ist, hat ihren Fokus auf Protestkampagnen gegen transnationale Konzerne und Verflechtungen von Wirtschaft und Politik.16 Die Protest-Gruppen thematisieren konkrete Konzernpraktiken, u. a. von transnationalen Konzernen wie Monsanto, Shell, Nestlé und McDonald‘s. Es ist davon auszugehen, dass sie entweder bereits an Protestkampagnen gegen diese teilgenommen haben oder vorhaben, zukünftig gegen sie zu protestieren. Der Extremfall Stachelbeere berichtet von konkreten Protestaktionen der Gruppe gegen Kohlekraft und TTIP. Der untypische Fall Himbeere berichtet von Aktionen gegen Shell und gegen Plastikmüll. Die typischen Protest-Gruppen fokussieren die schlechten Dinge auf der Welt und dethematisieren ihre eigene Handlungspraxis weitgehend. Denn implizit ist selbstverständlich, dass die Protestgruppen sich als moralisch gute Lebensstilavantgarde verstehen, die Verzicht bzw. Reduktion von Konsumhandeln vorlebt. Inwiefern der eigene Lebensstil dennoch von Privilegierung geprägt ist, dethematisieren diese Gruppen weitgehend (s. 4.2 Milieu).17 Die Protest-Gruppen sprechen der Praktik des Informierens eine zentrale Rolle zu. Ihr Anspruch und Ziel ist „zu informieren“ (Erdbeere, Z. 95; 520-531; 610), „die Mitmenschen [zu] informieren“ (Himbeere, Z. 116; 126, 148-159; 523; 538; 596; 931), „ein großes/allgemeines Umdenken“
16 Diese Unterschiede lassen sich möglicherweise auch über die geografische Verortung der Gruppen erklären. Wenn ich auch ausschließlich Gruppen aus deutschen Großstädten befragt habe, variieren die Aktionsfelder offenbar erheblich zwischen der Bundeshauptstadt und süddeutschen kleineren Großstädten. Da meine Kontrastierungen jedoch nicht auf eine geographische bedingte Typik hinweisen und mein Sample klein ist, verfolge ich diese Interpretation nicht weiter. 17 Umweltschutz auf Ebene der Alltagspraktiken heißt Verzicht, allerdings auf hohem Wohlstandsniveau. Die Gruppen dethematisieren jedoch weitgehend, dass die Voraussetzung für die Wahlfreiheit, solche Produkte zu kaufen, auch eine Frage der finanziellen Ressourcen bzw. Privilegien ist (Vgl. 4.2).
3. Protest und Gestaltungsraum machen | 141
(Kirsche, Z. 452;1303), „mehr zu schocken, mehr dazu zu bringen, selber zu denken“ (Stachelbeere, Z. 647). Sie inszenieren sich als diejenigen, die die Anderen mit dem normativ richtigen Wissen konfrontieren, „den Leuten Informationen zu geben“ (Stachelbeere, Z. 130-147; Z. 618-620; Z: 642-647). Die Forderung nach einem „Umdenken“ bezieht sich auf eine Veränderung in den Einstellungen bzw. Orientierungen der Anderen, die ihr Denken – und folglich auch ihr Handeln – ändern sollen. Die Jugendlichen gehen davon aus, über das normativ richtige Wissen und Handeln zu verfügen. Das heißt aber auch, dass sie nichts tun können, außer andere aufzuklären bzw. Druck auf Konzerne und Politik auszuüben. Innerhalb der Praktik des Informierens gibt es bei den Protestgruppen deutliche Variationen, sowohl was die Deutungen, als auch was die Handlungsvollzüge betrifft. Je stärker die Gruppen sich als radikale Öko-Kämpfer*innen inszenieren und sich von den Anderen abgrenzen, desto stärker wird die moralischaufklärerische Konnotation von Informieren (s. u. Extremfall Stachelbeere). Aus der Warte derjenigen, die über ein moralisch besseres Wissen verfügen, verstehen sich die typischen Protest-Gruppen als legitimiert, die Anderen zu konfrontieren, belehren oder sogar zum richtigen Handeln zu erziehen (s. 4.2).18 Auf der anderen Seite des Kontinuums, beim untypischen Fall Himbeere, nimmt informieren eher die Bedeutung von alltagspraktischen „Tipps“19 an, im Sinne davon, Wissensbausteine und Strategien anzubieten, die den Anderen bislang möglicherweise nicht zur Verfügung standen. Diese Unterschiede (im Sinne von minimalen Kontrasten) arbeite ich heraus anhand der komparativen Analyse zwischen dem extremen Protestfall Stachelbeere und dem untypischen Protestfall Himbeere. Beim Extremfall Stachelbeere formulieren sämtliche Teilnehmer*innen als Ausgangssituation für ihr Engagement die Notwendigkeit, sich „zu engagieren“ (Stachelbeere, Z. 9-24, 75, 170, 733). Sie gehen davon aus, über eine normativ und objektiv richtige Perspektive zu verfügen: „Dass man Dinge und Missstände realisiert, in der Gesellschaft, und (.) merkt, dass es so nicht weitergeht. Dass man irgendwie merkt, ... die [Erwachsenen] wollen nichts tun. Und dass man irgendwie eine Möglichkeit findet, Menschen so ein bisschen die Augen zu öffnen.“ (Stachelbeere, Z. 34-39) Stachelbeere inszeniert sich als Kreis elitär Wissender („ihr seht Missstände, die andere nicht sehen“, Z. 477-479), als dieje-
18 Den Stellenwert von Erziehung, den die Gruppen Stachelbeere, Kirsche und Erdbeere betonen, analysiere ich als milieuspezifische Prägung in 4.2. 19 „Wichtig ist es ja auch, den Leuten dann so Tipps zu geben, wie man ähm, wie man konkret was dagegen tun könnte.“ (Himbeere, Z. 489/490) S. 2.1.1.
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gen, die über die normativ richtige Perspektive verfügen („dass es so nicht weitergeht“, Z. 35). Daraus leitet sie implizit die Legitimation aus, den Anderen „die Augen zu öffnen“ (Z. 38/39, Z. 45/46, Z. 64/65) bzw. diejenigen aufzurütteln und zu schockieren, die resigniert oder zu bequem seien. Was die Gruppe zur Verzweiflung bringt, ist, dass die Anderen nicht die gleiche Perspektive auf Umwelt und Gesellschaft haben wie sie, ausgedrückt durch die Metapher des Sehens. 20 Unter diesen Bedingungen bedeutet informieren nicht nur, andere Menschen von den normativ richtigen Wissensbeständen und Deutungen zu überzeugen. Es nimmt auch eine ideologisch-religiöse Konnotation an, denn „den Menschen die Augen zu öffnen“ erscheint als einzige Möglichkeit, die drohende Apokalypse doch noch abwenden.21 Die sprachliche Darstellung stellt in meinem Sample einen Extremfall dar, ist jedoch typisch für die Organisation Greenpeace, die in ihrer Selbstdarstellung schreibt: „Die direkte Konfrontation mit Umweltsündern dient dazu, auf Missstände aufmerksam zu machen.“22 Während die Gruppe Stachelbeere auf expliziter Ebene darstellt, die Praxis des Informierens sei wirkungsvoll, dokumentiert sie implizit Frustration über die fehlende Einsicht der Anderen. Sie inszeniert ihre Erfahrungen mit Informationskampagnen so, dass ihnen Unwissen und Ignoranz entgegenschlagen. Ob bei den
20 Zu dieser Metapher gehören Begriffe, die zum semantischen Feld des Sehens und der Augen gehören, u. a. „ihr seht die gleichen Missstände“, den Anderen „die Augen zu öffnen“ (Z. 38/39, Z. 45/46, Z. 64/65) bzw. „Viele Menschen wissen das [dass sie Verantwortung haben für die Lage der Welt] eigentlich, was das bedeutet so, aber verschließen aus Bequemlichkeit einfach die Augen.“ (Z. 64/65) Über Gruppenaktivitäten hinaus berichten die Jugendlichen der Stachelbeere, im Alltag gegen „Missstände“ und für mehr „Bewusstsein“ zu kämpfen. Sei es gegen „Papierverschwendung“ in der Schule, gegen Freunde, die nicht „nachhaltig“ konsumierten oder gegen die eigene Mutter, die trotz der Aufklärung über Tierleid immer noch Wurst kaufe, nur mittlerweile heimlich (s. Fallbeschreibung). Der Kampf gegen Umweltzerstörung und Tierleid weitet sich damit auf das ganze Leben und gegen fast die ganze Welt aus. Für die Handlungspraxis bedeutet das, ständig im Alltag gegen Missstände zu kämpfen und sich daran aufzureiben, dass die Anderen beim für richtig geglaubten Handeln nicht mitziehen. Da die Jugendlichen nicht gegen die ganze Welt ankommen können, werden sie fatalistisch. 21 Es erinnert an den Aufruf der Zeugen Jehovas: „Erwachet!“. Auf die Ähnlichkeit in Semantik und Öffentlichkeitsarbeit wies mich meine Freundin Dr. Sarah Pohl hin, die über explizite und implizite Darstellungen der Zeugen Jehovas promoviert hat. Vgl. Pohl 2010. 22 https://www.greenpeace.de/historie, Zugriff am 13.12.2018.
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Aktionen zum Bienensterben, zu Kohleenergie oder zu TTIP (Stachelbeere, Z. 658-705) – Stachelbeere inszeniert die Interaktion mit den Anderen so, dass diese unwissend und ignorant seien.23 Sie stellen einen Strategiewechsel dar von „mit Informationen beliefern“ (Stachelbeere, Z. 344) zu „mehr zu schocken, mehr dazu zu bringen, selber zu denken“ (Stachelbeere, Z. 639), den sie kausal aus ihren Erfahrungen in der Öffentlichkeitsarbeit ableitet. „Dass wir auch überhaupt darauf gekommen sind, etwas Provokanteres zu machen, liegt auch dran, wenn man einfach nur flyert oder einfach so ein bisschen informieren will, spricht man die Leute auf der Straße an. Und teilweise gehen die einfach so strikt weiter (.) und gucken einen überhaupt nicht an oder (.) sagen nichts. Einfach total ignorant, was einem da entgegen kommt.“ (Stachelbeere, Z. 643-648)
Doch auch Aktivitäten, die mehr Aufmerksamkeit erzwingen sollen für die „Informationen“, die die Jugendgruppe vermitteln will, führen nicht zum gewünschten Ergebnis. Diese Darstellung findet ihren Höhepunkt in der Nacherzählung einer Anti-TTIP-Aktion auf dem Marktplatz der Stadt. Auf ihrer Homepage finden sich ein Text und Fotos.24 Die Jugendgruppe expliziert in der Gruppendiskussion nicht, um was für eine Aktivität es sich handelt und was das Ziel der Aktion war, deshalb beschreibe ich diese anhand von zusätzlichem Material. Der Protest gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP25 gehört zum
23 Die Gruppe spricht an dieser Stelle in abgerissenen Sätzen, die Zusammenhänge sind ohne Kenntnis der dargestellten Situationen nur zu erahnen. „Da sind total viele Leute hingekommen und haben gesagt: [[...]] „Kohlekraft? Was ist das? Was soll das sein?“ So in die Richtung. [[...]] So auch: „Bienen? Bienen. Ja ok, wenn jetzt die Bienen aussterben, gibt es keinen Honig mehr. Was soll mich das jetzt interessieren?“ So. [[...]] Bei der Kohle-Aktion. Ich habe da einen Typen vor mir gehabt, der meinte: „Wie? Ich dachte, Atomkraft wäre schlimm? Was ist denn mit Kohle?“ @Der, der wusste überhaupt nicht@, dass äh Kohleenergie genau so, also auch umweltschädlich ist.“ (Stachelbeere, Z. 664-694) 24 Die schriftlich fixierte Darstellung lautet: „Am 28. Februar haben haben wir mit Kostümen und Unterschriftenlisten bewaffnet den [städtischen] Marktplatz unsicher gemacht. Das Interesse an dem Thema steigt merklich. Wir konnten viele Menschen informieren und haben einige Unterschriften gesammelt.“ S. Link Nr. 10. 25 Das Freihandelsabkommen TTIP war in den Jahren 2014-16 ein kontrovers diskutiertes Thema mit hohem öffentlichen Interesse. Zur Darstellung des Greenpeace Dachverbands s. https://www.greenpeace.de/themen/landwirtschaft/gentechnik/die-spitze-
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dem vorgegebenen Themenspektrum von Greenpeace. Eine Symbolfigur für die Verschlechterung von Umweltinteressen durch die mögliche Umsetzung von TTIP ist das Chlorhühnchen. Die Stachelbeere nutzt diesen thematischen Rahmen, um darin ihr zentrales Thema einzubetten, den Protest gegen Tierleid. Die Aktion fand an einem Spätwintertag auf dem Marktplatz statt.26 Einige Gruppenmitglieder sammelten an einem Tisch mithilfe von Listen Unterschriften gegen TTIP, andere trugen Schutzanzüge und sprachen Passant*innen an. 27 Andere dagegen stellten symbolhaft die Chlorhühnchen dar, indem sie kaum bekleidet, in Plastikfolien gepackt, auf Kartons auf dem Boden kauerten. Der optische Eindruck sollte an eingeschweißte Hühnchen erinnern, wie sie im Supermarkt verkauft werden. Neben den kauernden Aktivist*innen lag ein Plakat mit der Aufschrift: „TTIP – schlechter Tipp“. Implizites Ziel der Aktion war es, über die Gefahren von TTIP aufzuklären und auf Tierleid im Kontext von Fleischproduktion aufmerksam zu machen. Die berichtete Aktivität wird auf der Homepage als geglückte Informationskampagne dargestellt: „Das Interesse an dem Thema steigt merklich. Wir konnten viele Menschen informieren.“ (Link Nr. 10) In der Gruppendiskussion dokumentiert die Gruppe Stachelbeere Frustration, die sie in einer interaktiven Steigerungsdynamik zuspitzt. Denn die Anderen seien nicht nur uninformiert, sondern ignorant und uneinsichtig. Sie verstünden nicht einmal, was das Ziel der Protestaktion sei. Tw2: „Oder als ich da eingeschweißt als Chlorhühnchen lag und die Leute mich gefragt haben, ob ich noch Luft bekomme. Tw4: Darum haben sie sich Sorgen gemacht! Aber nicht um TTIP, nein! Und um die Tiere auch [Tm1:
Nein!
Überhaupt nicht. nicht!
des-eisbergs, http://www.dw.com/de/greenpeace-stellt-ttip-papiere-f%C3%BCr-jedermann-ins-internet/a-19229066 vom 13.12.18. 26 Im Monat Februar. Auf den Fotos tragen die Passant*innen Winterjacken und Schals. S. Link Nr. 10. 27 Die Listen hat die Gruppe nicht selbst erstellt, sondern vom Erwachsenenverband
Obst geliefert bekommen. Dies ergibt sich aus der Darstellung: „Teilweise sammeln wir auch Unterschriften. [[...]] Wenn es Unterschriftenlisten gibt. [[...]]Wenn es so was gibt, dann machen wir das auch.“ (Stachelbeere, Z. 651657). Zu den Organisationsstrukturen und Material s. 4.1.
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Tw2: Die bösen, bösen Greenpeaceler, die haben mich da eingesperrt. Ich kriege keine Luft mehr. Nein. Tw1: Aber dieses: „Ist ihr denn nicht kalt?“ und „Braucht sie denn keine Luft?“. Aber gar nicht darauf geachtet, was da eigentlich [das Ziel war].“ (Stachelbeere, Z. 695-703)
Da die Adressat*innen der Aktion das Ziel der Jugendgruppe nicht verstehen und sich demnach nur Sorgen über Unwesentliches machen, misslingt der Versuch, mehr „Bewusstsein“ und Einsicht über die schlechten Dinge auf der Welt zu erzwingen. Selbst wenn die Jugendumweltgruppe zu drastischen Mitteln greift, um auf Umweltzerstörung und Tierleid aufmerksam zu machen, reagieren die Anderen nicht mit Einsicht. Die Praxis des Informierens führt nicht zum Erfolg, da sie in diesem Extremfall so stark von normativen Deutungen überformt ist, dass es nicht genügt, wenn die Anderen sehen, worauf sie aufmerksam gemacht werden, sondern die normativen Bewertungen und die Stimmung der Verzweiflung übernehmen müssten. Der untypische Protestfall Himbeere deutet die Praktik des Informierens deutlich kontrastierend. Der Anspruch scheint zunächst protesttypisch, über informieren „die Gedanken der Menschen zu ändern“. Himbeere strebt dabei jedoch – anders als die typischen Protest-Gruppen – keine umwälzende Systemveränderung an (s. 2.1.1), sondern fokussiert die Ebene alltagspraktischer Umweltschutzaktivitäten: „Ich glaube nicht, dass wir irgendwie so einen großen Unterschied machen, so jetzt groß was bewegen [in Bezug auf Klimawandel], ... es geht mehr darum, die Gedanken der Menschen sozusagen zu ändern.“ (Himbeere, Z. 143-146). Informieren bedeutet in der Logik der Himbeere, sich als Gruppe zunächst selbst zu informieren, also eine Problemstellung zu verstehen, Wissensbestände zu generieren und untereinander zu transferieren und auf dieser Basis die eigenen „Gedanken“ und Routinen zu verändern. Die Mitglieder der Himbeere geht dabei von ihrem eigenen Erfahrungshintergrund aus, als Neumitglieder erst nach und nach Interesse an Umweltthemen und Wissen über Umweltschutzstrategien erworben zu haben.28 „Vielleicht ist es bei vielen auch so, dass die das erste Mal hier hin kommen, nur aus dem Grund, weil auch andere Freunde hier sind, so zum Zeitvertreib, ist ganz lustig, aber dann so im Laufe der Zeit, ... erfährt man ja immer, immer mehr über so umweltpolitische Themen und dann wird vielleicht auch immer mehr das Interesse geweckt. Man weiß dann
28 Die Hälfte der Gruppe (sechs von zwölf Teilnehmer*innen) ist seit weniger als drei Monaten dabei. S. Tabelle 3 im Anhang.
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auch irgendwann so viel Bescheid darüber, und erkennt dann auch, wie wichtig es eigentlich ist, sich für die Umwelt einzusetzen.“ (Himbeere, Z. 106-118)
Demnach ist der Ausgangspunkt des Engagements kein politischer oder aufklärerischer Anspruch, sondern „Spaß“ in der Peergruppe zu haben (s. 3.3).29 „Bewusstsein“ zu entwickeln, bedeutet der Deutung der Himbeere nach, zunächst die eigenen Konsumgewohnheiten zu „hinterfragen“ und zu reflektieren. Im Kontrast zu den typischen Protestgruppen erscheint ein normativ richtiger Lebensstil nicht als vorgängige Bedingung für das Engagement, sondern Teil des Engagements ist dieser Darstellung nach die Bekämpfung des eigenen „inneren Schweinehunds“, der davon abhalte „etwas [zu] ändern“ (Himbeere, Z. 121; 136, 891-899). Die protesttypische Logik, dass ein „Umdenken“ nur die Anderen betreffe, ist beim untypischen Fall Himbeere aufgehoben. Die Darstellung geht auch nicht mit einer Stimmung der Verzweiflung einher über die schlechten Dinge auf der Welt, sondern ist mit ständiger Ironisierung und Lachen verbunden.30 Es ist charakteristisch für die Gruppe Himbeere, dass sie eigene Motivationsprobleme und Inkonsequenzen thematisieren und reflektieren (s. 2.1.1).31 Dies geht jedoch nicht mit einer Stimmung des Bußgangs einher, sondern einer fröhlichen Stimmung, begleitet von ironischen Überspitzungen und Lachen. Die Himbeere erwartet von sich nicht, dass sie makellos handeln, und erwartet es dementsprechend auch nicht von den Anderen. Fällt die Inszenierung als elitär Wissende und die düstere Stimmung des Weltuntergangsszenarios aus, so verändern sich auch die Handlungsvollzüge, die die Praktik des Informierens prägen. Die Gruppe Himbeere geht davon aus, dass „den Leuten“ (Himbeere, Z. 127, 159) wesentliche Informationen fehlen, um Problemsichten zu entwickeln und dementsprechend zu handeln. Dies ist ein deutlicher Kontrast zur Annahme, die Anderen würden vor den normativ richtigen Wissensbeständen die Augen
29 Es handelt sich um eine Gruppe, in der fast sämtliche Mitglieder berichten, über Freund*innen gekommen zu sein, die wiederum von Freund*innen dazu geholt wurden, was die Gruppe als „Kettenreaktion“ beschreibt: „Kettenreaktion [[...]] Eine wunderschöne Kette!“ (Himbeere, Z. 68-92) 30 Die Gruppe Himbeere formuliert unter Begeisterung und Lachen das „neue Motto von Greenpeace: gesund unzufrieden (Z. 870-880). Wichtig ist ihrer Darstellung nach, nicht einfach „unzufrieden“ zu sein: „@Super! Lass mal alle depressiv werden@, dann ändern wir was.“ (Himbeere, Z. 871/872). 31 Z.B. im Kontext von Klimawandel: „Und teilweise stört es mich an anderen, aber auch an mir selbst, dass man genau weiß, was teilweise abläuft mit dem Klimawandel, … aber die wenigsten tun wirklich was dagegen.“ (Himbeere, Z. 140-144)
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verschließen.32 Die untypische Gruppe Himbeere geht dabei von ihren lebensweltlichen Erfahrungen aus, die implizit erschließen lassen, dass die Teilnehmer*innen nicht im Öko-Milieu sozialisiert sind. Die Teilnehmer*innen Tw3 und Tw2 dokumentieren, dass sie es nicht für selbstverständlich halten, zu recyclen, Wasser zu sparen oder Müll zu trennen (Z. 123-126, Z. 159-169, s. 4.2). Keine andere Gruppe thematisiert diese Aktivitäten. Die Praktik des Informierens steht damit vor dem Sinnhorizont, dass „vielen“ die Wissensbestände und alltagspraktischen Handlungsvollzüge fehlten, um Umweltschutz zu praktizieren (Z. 100-420). Es fehlt dieser Logik nach nicht am normativ richtigen Wissen, sondern an alltagspraktischem Handlungswissen. Deshalb bedeutet informieren für die Himbeere „Tipps“ und „Handlungsanschlüsse geben“ für alltagspraktische Routinen, Konsum- und Lebensstilentscheidungen. Dabei geht es nicht um radikale Veränderungen, sondern darum, dass „jeder zumindest etwas macht“ (Himbeere, Z. 125). Bereits kleine Schritte brächten eine Veränderung in die richtige Richtung, so die Darstellung. Die Gruppe berichtet, sich mit unterschiedlichen Themen zu beschäftigen bzw. Aktionen gemacht zu haben, u. a. zu Wasser als „natürliche Ressource“ und Wassersparstrategien, Plastikverschmutzung in den Weltmeeren und der Vermeidung von Plastiktüten, sowie der Reduktion von Fleischkonsum. 33 „Großes Problem auch beim Umweltschutz ist, ... man fühlt sich nicht so super gut, wenn man jetzt Müll getrennt hat. … Sondern es ist mehr so: ich habe nicht etwas Schlechtes getan.“ (Himbeere, Z. 164-166). Himbeere thematisiert die Schwierigkeit, dass „nicht etwas Schlechtes [tun]“ nicht gleichzusetzen ist mit
32 Diese Darstellung findet sich nicht nur beim Extremfall Stachelbeere, sondern auch bei den typischen Protestfällen Kirsche und Erdbeere. Z. B. Im Kontext von Klimawandel: „Das ist einfach so eine Grundignoranz, … ich würde den Leuten am liebsten so an die Gurgel springen.“ (Kirsche, Z. 569/570), im Kontext von Tierleid in der Eier- und Milchproduktion: „Die Leute wissen es, aber es ist ihnen egal.“ (Erdbeere, Z. 512). 33 Himbeere wendet sich explizit gegen eine Ideologisierung von individuellen Konsumentscheidungen. So würde die Forderung nach Fleischverzicht nur zu „noch mehr Schuldgefühle[n]“ (Z. 174) führen. Die Teilnehmer*innen äußern Verständnis für diejenigen, die nicht auf Fleischkonsum verzichten – eine Darstellung, die für die typischen Protestgruppen undenkbar wäre: „Wenige Menschen würden jetzt unbedingt sagen: 'Ich verzichte komplett auf Fleisch', das ist halt schon so ein großer Schritt. Das ist halt auch schwer.“ (Z. 200-207). Eine Reduktion des Fleischkonsums und das „Umsteigen“ auf „Ökofleisch“ (Z. 243) seien bereits „ein Schritt in die richtige Richtung“ (Z. 246-252).
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„etwas Gutes tun“. Sie elaboriert dies jedoch nicht abstrakt, sondern mit Bezug auf das eigene Gefühl („man fühlt sich nicht so super gut“). Die Verhinderung der schlechten Dinge löst keine Euphorie aus. Dem Image des Mülltrennens als unsexy Verzichtshandlung mit moralischer Ladung will die Himbeere in ihren Aktionen mit Spaß und Ironie entgegen wirken. Nachdem sich die Gruppe ihrer Darstellung nach mit den Themen Plastik und Plastikverschmutzung beschäftigt hat, will sie in einer punktuellen, selbstorganisierten Aktion bemalte Stofftaschen an Passant*innen ausgeben, um „die Leute“ zum alltäglichen Verzicht auf Plastiktüten zu bewegen: „Bis die Leute dann halt zum Einkaufen vielleicht so eine Tasche mitnehmen, anstatt sich die ganze Zeit Plastiktüten geben zu lassen.“ (Himbeere, Z. 428/429) So plant sie eine Aktion, bei der sie selbst designte Stofftaschen mit Passant*innen gegen Plastiktüten tauschen will (Z. 401-455). Während der Gruppendiskussion bemalt die Gruppe die Stofftaschen. Die Gruppe zeigt sich begeistert von den Sprüchen und Wortspielen, die sie für die Taschen erfunden haben, u. a. „(k)ein Müllmeer“ bzw. „kein Müll mehr“ und „nicht so hastig mit dem Plastik“ (Z. 415-436). Im Kontrast zum Extremfall Stachelbeere setzt die Gruppe nicht auf moralische Appelle und eine schockierende Inszenierung, sondern auf Niedrigschwelligkeit und „nachhaltige Alternativen“ zu Konsumroutinen.34 Auf ihrer Homepage berichtet die Gruppe vom Erfolg ihrer Aktion, die an einem Sommertag auf der Einkaufsmeile der Stadt stattfand: „Innerhalb von knapp zwei Stunden war bereits keiner der 80 Beutel mehr übrig. Die meisten Passanten freuten sich über den Tausch und neben dem Schaffen eines Bewusstseins für das Konsumverhalten und die großen Plastikmüllmengen, entstanden außerdem viele interessante Gespräche. … Glücklich über den Erfolg unserer Aktion räumten wir auf. :)“ (Himbeere, Link Nr. 8)
Der untypische Protest-Fall Himbeere dokumentiert nicht nur andere Deutungen der Praktik des Informierens, aus einer schwächeren Abgrenzung gegenüber den
34 So schreibt die Gruppe als Grund für ihre Aktion auf ihrer Homepage: „Obwohl mittlerweile die wenigsten Läden noch Gratis-Einkaufstüten vergeben, sondern man meist etwas zusätzlich bezahlen muss, sieht man immer noch viele Menschen ihre Einkäufe in diversen Plastik-Tüten herumtragen. Genau diese Leute sprachen wir am 10.09.2016 an, um ihnen eine nachhaltige Alternative zu bieten.“ S. Link Nr. 8.
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Anderen resultieren Varianten von Informieren, aus denen zufriedenstellendere Erfahrungen resultieren.35 Die Gestaltungsraum-Orientierung der BUND-Jugendgruppen ist – im Gegensatz zur Protestorientierung – von einem Fokus auf eigene Handlungsmöglichkeiten und Aktivitäten geprägt, während Problemstellungen als bekannt vorausgesetzt werden. Die Gruppen kreisen um das Dafür, um die Gestaltung einer besseren Welt. Sie inszenieren sich als Pionier*innen, die wertvolle Vorarbeit leisten für zukunftsfähige Lebensstile und Gesellschaftsentwürfe. Die Gestaltungsraum-Gruppen verknüpfen ihre Zielvorstellung einer besseren Welt immer mit konkreten Aktivitäten, von den sie berichten. Sie betonen damit implizit die Umsetzbarkeit des großen Ziels einer besseren Welt in handlungspraktischen Strategien. Dabei stellen sie eine Aufbruchstimmung her. Von der Utopie einer besseren Welt ausgehend, lassen sich unterschiedliche Prioritäten und Praktiken ableiten, die sich in dieser Logik nicht widersprechen, sondern als verschiedene Wege auf ein gemeinsames Ziel hin gelten. Die Gestaltung dieser besseren Welt beginnt dieser Deutung nach bereits in der Gegenwart, sinnbildlich laufen alle Pfade darauf zu. Zentral ist dabei die Idee, dass es sich bei den Konzepten, Praktiken und Setting um Alternativen zum Status Quo handelt.36 Der Begriff der Alternativen ist in der Umweltbewegung – und in der sog. Alternativbewegung – stark verbreitet (Radkau 1985, Hollstein 1998, Meißner/Sarcowitz 2001, Wenke/Zilleßen 1978). Sämtlich Gestaltungsraum-Gruppen verwenden den Begriff der „Alternativen“, darunter fassen sie alternative Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle, alternative Praxisformen (Repair Café, Urban Gardening, Umsonstecken) und Lebensstile (Ernährung, Konsum, Mobilität), aber auch „eine andere Art von Gemeinschaft, also Umgang miteinander“ (Tomate, Z. 246).37 Der Zusammenhang zwischen ihren Aktivitäten und Umweltschutz gehört zum impliziten Wissen der gestaltungsorientierten Gruppen, das sie für so selbstverständlich halten, dass sie nicht explizieren: inwiefern vegan-vegetarische Kochevents, die Einrichtung einer Give Box, die Organisation eines Jugendfes-
35 Da die Aktion zu den Plastik-Tüten erst nach der Gruppendiskussion stattgefunden hat, kann ich dies nicht über diese Aktivität schließen, jedoch über andere Aktivitäten, die die Gruppe thematisiert. 36 Der Begriff der Alternativen kommt bei allen Gruppen Gemüse vor, z. B. „die positiven, die guten Alternativen, da, wo wir hin wollen, unsere Vision, unsere Utopie“ (Paprika, Z. 321-325). 37 Zu alternativen Praktiken, Praxisformen und Gemeinschaften s. Lay/Westermayer 2014, Habermann 2009, 2011, Baier et al. 2013, Meißner et al 2001, C. Lay 2001.
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tivals oder Begleitkonferenzen zu internationalen Klimaverhandlungen als Umweltschutzaktivitäten zu verstehen sind, bleibt im Sinnbild eines Streben für eine bessere Welt verborgen. Auf den Ebenen der Wissensorganisation und des Modus Operandi fällt eine spezifische Kommunikationsstruktur auf, die allen Gruppen des BUND-Jugendverbands gemeinsam ist und Zugehörigkeit herstellt (4.2, Lay-Kumar 2017b). Die Gestaltungsraum-Gruppen variieren in den dargestellten Aktivitäten deutlich stärker als die Protest-Gruppen. Der Extremfall Paprika weicht in den berichteten Aktivitäten deutlich von den anderen ab, da er als Arbeitskreis „Klimaschutz“ ein eingeschränktes Aktionsfeld hat. Die größere Varianz in den berichteten Aktivitäten lässt sich auf die dezentrale Organisationsstruktur des BUND-Jugendverbands zurückführen (s. 4.1). 38 Die Organisationsform zielt nicht auf punktuelle Aktionen, sondern auf lokale Projekte, die über einen längeren Zeitraum laufen und von den Jugendverbänden selbst entwickelt und durchgeführt werden. Die Unterscheidung zwischen Gruppenaktivitäten und individuellen Aktivitäten verschwimmt, da Alltagsgestaltung, Freundeskreis und Projekte bei den gestaltungsorientierten Gruppen interagieren. Die typischen Gestaltungsraum-Gruppen verstehen ihre Rolle als Pionier*innen einer sozialökologischen Transformation, die mit alternativen Lebensstilen und sozialen Innovationen experimentieren. Ein Großteil der Aktivitäten spielt sich in (halb)privaten Settings ab, z. B. Kochevents, mehrtägige verbandsinterne Treffen, Camps und Festivals. Die gestaltungsorientierten Gruppen verfolgen die Strategie, in geschützten Räumen aufzutanken und eine bessere Welt im Kleinen erlebbar zu machen, um von dort aus die Kraft zu nehmen, eine gesamtgesellschaftliche Transformation voranzutreiben.
38 Die kontrastierenden Schwerpunkte – eher global bei Paprika und eher lokal bei Gurke – lassen sich möglicherweise auch darauf zurückführen, dass die Gruppe Gurke, die lokales Handeln fokussiert, im periurbanen Raum verortet ist, und die Gruppe Paprika in der deutschen Bundeshauptstadt beheimatet ist und als konjunktiven Erfahrungsraum internationale Jugendumweltnetzwerke beschreibt. Ein weiterer Unterschied entsteht aus dem Settting der Gruppendiskussion: Während ich die Mitglieder von Paprika bei einem lang festenden Termin als Stellvertreter ihres AK Klimaschutz befrage, ergibt sich die Gruppendiskussion relativ spontan im Rahmen eines Jugendumweltfestivals, alle Mitglieder von Gurke sind mir vom letztjährigen Festivalbesuch bekannt. Paprika inszeniert sich deutlich stärker als Expert*innen und als Sprachrohr ihres Jugendverbands. Gurke dagegen erzählt eher von ihrer persönlichen Lebenspraxis, zu der die Aktivitäten in Jugendumweltverbänden dazu gehören.
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Für die komparative Analyse von Praktiken im Kontext von Gestaltungsraum wähle ich den Begriff Social Events Organisieren. Es fehlt wesentlich schwerer, die Aktivitäten der gestaltungsorientierten Fälle unter einen gemeinsamen Titel zu fassen, da sie so stark auseinander gehen. Ich vergleiche anhand von minimalen Kontrasten den typischen Gestaltungsraum-Fall Tomate und den untypischen Fall Kürbis. Innerhalb der Praktik des Social Events Organisierens gibt es bei den Gestaltungsraumgruppen deutliche Variationen in den Deutungen und Handlungsvollzügen, vor allem aber darin, inwiefern die Formate eher offen oder geschlossen sind. Die Praktik des Organisieren von Socials Events erläutere ich anhand der berichteten Aktivität, ein Jugendumweltfestival zu organisieren.39 Der typische Gestaltungsraum-Fall Tomate berichtet von verschiedenen Aktivitäten, die in die Praktik des Social Events Organisierens einzuordnen sind. Laut Eigendarstellung übernehmen die Teilnehmer*innen der Tomate in verschiedenen Settings Organisationsverantwortung: Sie organisieren jährlich stattfindende Festivals bzw. Aktionstage, zu denen primär Mitglieder des Jugendumweltverbands kommen, die jedoch explizit für alle offen sein sollen. Außerdem berichten sie von parallelen Aktivitäten an ihren jeweiligen Wohnorten.40 Es gibt somit eine Verschränkung zwischen den lokalen Aktivitäten, deren Präsentation auf dem Jugendumweltfestival und der Organisation von überregionalen, regelmäßigen Social Events wie dem Jugendumweltfestival. Z. B. gehört auf dem Jugendumweltfestival eine Verschenkecke zum Inventar.41 Über ihre Erfahrungen mit dem Organisieren und Einrichten von Verschenkecken tauschen sich die Teilnehmer*innen in Workshops auf dem Jugendumweltfestival aus, aber auch informell. Alle Aktivitäten zielen auf die Gestaltung einer besseren Welt ab, auf unterschiedlichen Organisationsniveaus. Die Gruppe Tomate expliziert ihre Aktivitäten in der Gruppendiskussion nicht, sondern aus dem Setting heraus gehen sie davon aus, dass die Aktivitäten und die Organisationsstruktur des BUND-Jugendverbands bekannt ist. In dieses
39 Ich verwende den Begriff des Festivals stellvertretend für ähnliche Aktionsformate, die auch die Namen Aktiven- oder Netzwerktreffen, Camp oder Kongress tragen. Der Begriff des Festivals betont den Spaßcharakter der Veranstaltung und ermöglicht eine leichtere Anonymisierung als andere Begriffe. 40 Die Gruppe Tomate trifft sich zwar in einer deutschen Großstadt, die drei Teilneh berichten jedoch, im periurbanen Raum zu wohnen. Dort organisieren sie regelmäßige offene Cafés, gemeinsame Kochabende mit Filmen und Diskussion und haben Verschenkregale bzw. Give Boxes eingerichtet. S. Fallbeschreibung im Anhang. 41 Zu den Prinzipien und Elemente der Verschenkenke bzw. der Praktik des Pflegens von Verschenkecken vgl. Lay-Westermayer 2014, Lay-Kumar 2017a.
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implizite Wissen schließt mich die Gruppe ein. Da das Setting der Gruppendiskussion ein Schlüssel zum Verständnis der Darstellungen ist, ergänze ich die Analyse durch Beobachtungen aus meiner Feldforschung.42 Die Gruppendiskussionen mit den typischen Gestaltungsfällen Tomate und Gurke führe ich auf einem Jugendumweltfestival. 43 Das Festival wird von zwei Jugendumweltverbänden in Kooperation organisiert, die im entsprechenden Bundesland große (thematische wie personelle) Überschneidungen aufweisen. Es handelt sich um ein Festival auf einem Zeltplatz im Naturschutzgebiet, das bereits seit knapp 20 Jahren stattfindet.44 Laut Selbstdarstellung „treffen sich hier viele junge Leute und genießen dieses unvergleichliche 5-tägige Festival - und das Umsonst und Draußen! ... Es gibt viele spannende Workshops zu umwelt- und sozialpolitischen Themen zum Informieren, Diskutieren und Aktiv werden. Außerdem finden eine Vielzahl an Alternativworkshops statt.“ (Link Nr. 9)
Mehrere der Jugendlichen der Gruppen Tomate und Gurke sind mir vom Vorjahr bekannt. Sie gehen durch diesen gemeinsamen Erfahrungshintergrund (und meine Vorstellung als langjährige Umweltaktivistin) selbstverständlich davon aus, dass ich, ebenso wie sie, mit den Deutungen und Handlungsvollzügen vertraut bin.45 Ein Social Event wie das Jugendumweltfestival zu organisieren beinhaltet das Experimentieren mit und Reflektieren über alternative Praxisformen (s. 5.3).46 In Handlungsvollzügen konkretisiert beinhaltet die Organisation eines Festivals über den Zeitraum von etwa einem halben Jahr: Emails zu schreiben, Vorbereitungstreffen abzuhalten, im Organisationsteam über die Programminhalte zu diskutieren, Protokolle zu schreiben, den Kontakt mit potentiellen Referent*innen, Musikbands, Kochgruppen und Teilnehmer*innen aufbauen (per Mail und/oder Telefon) und schließlich bei der Durchführung die Räume vorzubereiten bzw. Zelte aufzubauen, ggf. Workshops selbst durchzuführen und am
42 Bereits im Vorjahr habe ich an dem Festival teilgenommen, um dort mithilfe von teilnehmender Beobachtung das Feld der Jugendumweltengagierten zu untersuchen. 43 Da ich die Anonymität der Teilnehmenden wahre, verweise ich hier nicht auf den Namen des Festivals. S. Link Nr. 9. 44 S. Link Nr. 9. 45 Aus dem Setting heraus weiß ich, dass die drei Teilnehmer*innen der Gruppe Tomate miteinander befreundet sind. Zwei der drei Teilnehmer*innen sind im Vorstand des Jugendumweltverbands, eine dieser Personen ist im „Orga-Team“ des Jugendumweltfestivals, auf dem wir uns befinden. S. Fallbeschreibung im Anhang. 46 Zur Definition von Praxisformen s. 5.3 und Lay/Westermayer 2014.
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Ende der Zeit aufzuräumen.47 Die Mitglieder der Gruppe Tomate verstehen sich als Pionier*innen, die mit großem Einsatz gesellschaftliche Transformation gestalten wollen. Sie inszenieren ein Selbstverständnis als Aktivist*innen, die den Jugendverband prägen, Verantwortung übernehmen bzw. einen gewissen Überblick über die Strukturen haben (s. 4.1).48 Eigeninitiative und Selbstorganisation stellen sie als notwendige Bedingung für die Praktik des Social Events Organisierens dar. Die Selbstorganisation ist demnach mit hohem persönlichem Einsatz, aber auch emotionaler Bindung verbunden.49 „Hier [im Kontrast zum Engagement beim Rettungsschwimmen] mache ich es zwar auch wegen der Sache, aber ich komme auch gerne wegen den Leuten her.“ (Tomate, Z. 200/201). Die Zugehörigkeit zur Peer-Group bekommt hierbei eine ebenso hohe Relevanz wie die Inhalte. Aus der Praktik des Social Events Organisierens generiert die Gruppe Tomate dreierlei Erfahrungen, die miteinander verwoben sind: Erstens erwerben sie in einem geschützten Raum, auf einer utopischen Halbinsel (Habermann 2009), handlungspraktisches Wissen zu alternativen Praktiken, z. B. beim gemeinsamen Kochen in der Volxküche oder beim Repair-CaféWorkshop (Lay/Westermayer 2014).
47 Kleinteiligere Aktivitäten, wie die Organisation eines Cafés oder Aktionstags, beinhalten ähnliche Handlungsvollzüge, allerdings in deutlich kleinerem Rahmen. 48 So stellt eine Teilnehmerin dar: „Dann hat man die Rolle, dass man alle Felder überblickt, und dann so das typische Orga, und die Orgaarbeiten macht, im Sinne von: wir wissen, wo was läuft und machen es nicht selber und gleichzeitig hat der Vorstand natürlich auch die Rolle als Aktiver, wo er in irgendwelchen Sachen halt selber auch aktiv ist.“ (Tomate, Z. 159-162) 49 Die zunehmende Aktivierung läuft demnach über Menschen, die einen mitnehmen und Sicherheit geben, im Gegensatz zu einer Aktivierung über Themen. Selbstorganisation bedeutet, auch selbst dafür zu sorgen, dass neue Teilnehmer*innen zu den Social Events kommen. Alle Teilnehmer*innen betonen, dass sie zusammen mit Freund*innen zum Festival gekommen seien. Es zeigt sich auch, dass die Rekrutierung neuer Aktiver über informelle Information und Freundeskreise funktioniert. In dieser Darstellung in der Anfangspassage (Z. 8-22) findet sich bereits die Verquickung von Freundeskreis mit dem Jugendumweltverband, der für diese Gruppe (und insgesamt die Gruppen Gemüse) typisch ist. Z. B. beschreibt Tw1, auf dem „ganz klassische[n] Weg“ (Z. 8/9) zum Jugendumweltfestival gekommen zu sein, nämlich durch „Mund-zu-Mund-Propaganda“ und einige Leute, die sie „hierher geschleift“ hätten. S. Fallbeschreibung im Anhang.
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„Eine andere Art von Gemeinschaft, also Umgang miteinander, was ja auch immer wieder probiert wird zu leben, was man nicht ganz der Utopie zuordnen kann, aber auch noch nicht ganz der Realität. Zum Beispiel, was jetzt immer mehr im Kommen ist, solche Repair Cafés oder Umsonst-Ecken .... wie es ja auf Camps auch immer probiert wird zu leben und das dann halt auch ein bisschen mit in den Alltag zu nehmen, gerade aus den Utopien Wirklichkeit zu machen. Das sind dann halt auch Sachen, wo man weiterspinnen kann und nicht sofort für verrückt erklärt wird, wo es Spaß macht, ein bisschen zu träumen.“ (Tomate, Z. 246-254)
Explizit ist der Anspruch, dieses Erfahrungswissen in den Alltag zu nehmen, implizit heißt das, diese Erfahrungen darüber hinaus auf der Ebene von politischer Jugendpartizipation einzubringen.50 Zweitens berichten sie Erfahrung der Selbstwirksamkeit, denn sie erleben sich als kompetent, ein solches Event konzeptuell und praktisch zu organisieren und damit Veränderung zu gestalten (vgl. Lay-Kumar 2016: 77-79) „Man ist mit der Situation unzufrieden und möchte was ändern, … dann ändere ich da dran eben mal was und gebe die Verantwortung nicht ab, ich glaube, das ist etwas, was man lernen muss. ...das ist einfach etwas, was ich gelernt habe, jetzt in der Zeit (beim Jugendumweltverband), dass man selber was tun kann und es zwingend notwendig ist und es einem damit vielleicht auch besser geht.“ (Tomate, Z. 184-195)51
Drittens inszenieren sie die Erfahrungen im Kreis Gleichgesinnter als bestärkend.52 Aus der Überzeugung, eine bessere Welt im Kleinen gestalten zu können, will die Gruppe Tomate Andere zum Mitmachen einladen, eine sozial50 Der Begriff „politisch“ taucht an mehreren Stellen in der Gruppendiskussion der Tomate auf, es ist der Gruppe selbstverständlich, dass sie sich und ihr Handeln als politisch verstehen (Tomate, Z. Z. 114/115; 118), s. Fallbeschreibung im Anhang. „Politische Partizipation junger Menschen“ thematisieren sie selbstläufig und weisen ihr eine wesentliche Rolle für Veränderung zu. S. Fallbeschreibung im Anhang. 51 „In der Zeit“ verweist auf die vier Jahre, die die siebzehnjährige Teilnehmerin bereits Organisationsverantwortung im Jugendumweltverband übernimmt. S. Fallbeschreibung im Anhang. 52 Eine Teilnehmerin bezieht sich dabei auf Maslows Bedürfnispyramide. Die Zugehörigkeit zum Jugendumweltverband verbindet sie sowohl mit Grund-, als auch mit Selbstentfaltungsbedürfnissen: „Einerseits … Selbstverwirklichung, ich ändere was, ich präge irgendwas, was eigentlich auch ganz schön ist, aber auch so dieses Sicherheitsbedürfnis mit: ‚Ja, ich hab da meine Gruppe, wo ich hin kann‘.“ (Tomate, Z. 211213). S. Lay-Kumar 2017b.
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ökologische Transformation in Gang zu bringen: „Es hat keinen Sinn, eine Parallelwelt aufzuziehen, ohne jetzt die Connections zu anderen zu ziehen, sofern man vorhat, daran was zu ändern.“ (Tomate, Z. 567-569). „Andere“ erscheinen hier als außerhalb der eigenen Peer-Group, jedoch stellt die Gruppe sie nicht als negative Abgrenzungsfolie dar, sondern als notwendige Verbündete, um breitenwirksam Veränderung anzustoßen. In der Kontrastierung zum untypischen Gestaltungsraum-Fall Kürbis zeigt sich, dass der Anspruch, von utopischen Halbinseln aus Transformation anzustoßen, spezifisch für die typischen Gestaltungsraum-Fälle ist. Kürbis berichtet auch vom Organisieren von Social Events. Die Organisationsstrukturen und Aktivitäten sind weitgehend deckungsgleich mit dem typischen Gestaltungsraum-Fall Tomate. Kürbis organisiert z. B. „vegetarisch-vegane Kochabende“ und Camps.53 Diese Aktivitäten finden jedoch fast ausschließlich innerhalb des Jugendverbands statt, die es handelt sich nicht um Nischen, sondern um geschlossene Settings. Sie stellen ihre Erfahrungen mit Social Events Organisieren auch positiv dar, beziehen sie jedoch kaum auf eine umfassendere gesellschaftliche Veränderung, sondern auf Veränderung, die für die Mitglieder des Jugendumweltverbands erlebbar ist: „Der Verband an sich motiviert Leute im Verband.“ (Kürbis, Z. 338). Kürbis dokumentiert kein politisches Selbstverständnis. In ihrer Logik funktioniert „global denken, lokal handeln“ als Einbahnstraße: Sie leiten aus globalen Problemstellungen lokale Handlungsoptionen ab, verstehen sie jedoch nur sehr begrenzt als politisch. Sie bleiben in weitgehend geschlossenen Settings. Impliziter Anspruch ist, die Öko-Nische auszuweiten, jedoch weit weniger, in die Mitte der Gesellschaft zu wirken (s. 5.3). Innerhalb von Gestaltungsraum erscheint zunächst als großer Kontrast, dass drei Fälle (die typischen Fälle Tomate und Gurke und der untypische Fall Kürbis) die Praktik des Social Events Organisierens in den Mittelpunkt stellen, der extreme Gestaltungsraum-Fall Paprika dagegen die Praktik des Informierens. 54 Der extreme Gestaltungsraum-Fall Paprika berichtet von Aktivitäten, die Konzeptions- und Organisationsaktivitäten erfordern, entsprechend dem Organisieren von Social Events. Paprika zieht dieses Organisieren jedoch auf eine wesentlich größere Ebene als die anderen Gestaltungsraum-Gruppen. Paprika geht nämlich über die Schaffung einer besseren Welt über Nischen und temporäre Halbinseln
53 S. Fallbeschreibung im Anhang. 54 Diese Gruppen berichten auch vereinzelt von Praktiken des Informierens, diese nehmen jedoch keinen relevanten Raum in der Gruppendiskussion ein.
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(wie Festivals) weit hinaus. Sie hat einen Masterplan für eine bessere Welt, den sie als „konkrete Aufgabe“ (Z. 95) pionierhaft zur Umsetzung verhelfen will, mithilfe eines (von der Kommunalpolitik bereits vorgelegten) Klimaschutzplans, der die Bundeshauptstadt „klimaneutral“ machen soll.55 Als Arbeitskreis wollen sie diesem Plan mithilfe einer Öffentlichkeitskampagne zu Sichtbarkeit und konsequenter Umsetzung verhelfen. Diese Variante der Praktik des Informierens bietet sich zur komparativen Analyse mit den Aktivitäten der Protest-Gruppen an. Es ergibt sich ein maximaler Kontrast zwischen dem protestorientierten Extremfall Stachelbeere und dem gestaltungsorientierten Extremfall Paprika. Die Praktik des Informierens füllt die Paprika mit folgenden Deutungen und Handlungsvollzügen: Die Gruppe berichtet, dass sie als Arbeitskreis den Fokus auf eine Öffentlichkeitskampagne zu lokalen Klimaschutz hätten. Klimaschutz deuten sie nicht – einer Protestlogik folgend – als Vermeidung von Schäden. Dies würde – in der Logik der von mir untersuchten Protestgruppen auf Aufklären und Schocken als primäre Maßnahmen hinauslaufen, um die Anderen davon zu überzeugen, auf Aktivitäten zu verzichten, die die Gruppe als normativ schlecht bewertet. Paprika füllt die Praktik des Informierens zu Klimaschutz mit der Deutung, dass Klimaschutz eine gesamtgesellschaftliche Transformation erfordere. Die Gruppe Paprika inszeniert sich als Teil sozialer Bewegungen, die für „globale Gerechtigkeit“ eintritt. In die Idee einer besseren Welt schließen sie die Anderen mit ein. Es gehe ihnen bei Klima- bzw. Umweltschutz nicht um die Interessen von Eliten, weder national noch global, die von Klimaschutz profitierten.56 Sondern es gehe
55 Diesen formuliert sie wie ein Pressestatement: „Wir finden es gut, dass [diese Stadt] klimaneutral werden soll bis 2050 und äh sind natürlich jetzt gespannt, wie genau das aussehen soll und haben ein Interesse darüber, dass die Stadtgesellschaft darüber aufgeklärt wird, was dieses (.), was dieses (.) BEK ist und ähm wir wollen, dass die Stadtgesellschaft da mitzieht.“ (Paprika, Z. 33-36) Die Paprika setzt ihre Aktivitäten zum lokalen Klimaschutzplan explizit in den Kontext von Lösungen für das „große Problem Klimawandel“: „Zum Beispiel, wenn jetzt Ende November [in drei Wochen] hier in [dieser Stadt] der große Global Climate March ist, wäre das ja auch schön zu sehen: Ja, es gibt dieses große Problem Klimawandel, das ist global, aber wie können wir hier eigentlich hier in [Stadt] ganz konkret damit anfangen?“ (Paprika, Z. 58-60). 56 Die Gruppe Paprika wendet sich explizit gegen den „Vorwurf“, eine „elitäre europäische Klimabewegung zu sein“: „Ich fühle mich manchmal sogar ein bisschen angegriffen, wenn Leute sagen, [[...]] die europäische Klimaschutzbewegung … würde halt nicht zusammen kämpfen mit äh sozialen Bewegungen zum Beispiel im globalen Süden. Die … würden sozusagen nur ihre Kerninteressen verteidigen. [[...]] Da gibt es
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darum, dass „wir, wie ich glaube, zu Recht, überzeugt sind, dass es der bessere Weg für die Gesamtgesellschaft ist“ (Paprika, 397-410). Dem Selbstverständnis der Protestgruppen als Kämpfer*innen gegen die schlechten Dinge steht hier die Inszenierung als Pionier*innen für eine bessere Welt entgegen. Die Auswirkungen auf die spezifischen Praktiken des Informierens sind groß. Kontrastierend zur Protest-Variante des Informierens richtet sich die gestaltungsorientierte Paprika nicht gegen politische Maßnahmen (oder die Sphäre der Politik im Allgemeinen, s. 3.0), sondern setzt sich in positiver Beziehung zum kommunalpolitischen Plan eines Klimaschutzplans für die Bundeshauptstadt: „Wir finden es gut, dass [diese Stadt] klimaneutral werden soll bis 2050 und äh sind natürlich jetzt gespannt, wie genau das aussehen soll.“ (Paprika, Z. 33-35). Statt einem Kampf dem System setzen sie auf Partizipation und Unterstützung geplanter Infrastrukturveränderungen. Die Gestaltungsorientierung der Paprika schlägt sich auch in der Art nieder, wie sie die Anderen adressiert. Der GestaltungsExtremfall Paprika weist hier den maximalen Kontrast zum Protest-Extremfall Stachelbeere auf. Während die Stachelbeere den Anderen „die Augen öffnen“ will (Stachelbeere, Z. 38/39, Z. 45/46, Z. 64/65) und „mehr schocken, mehr dazu zu bringen, selbst zu denken“ (Stachelbeere, Z. 647), lautet das Ziel der Gruppe Paprika, „Lust (zu) machen“ auf Klimaschutz, konkret: auf die Umsetzung des hauptstädtischen Klimaschutzplans: „wir wollen Lust machen auf diesen Plan“ (Paprika, Z. 44/45). Paprika verwendet auch den Begriff des Aufklärens, sie geht jedoch nicht davon aus, über normativ besseres Wissen zu verfügen, sondern über einen Wissensvorsprung in Bezug auf noch wenig bekannte Zukunftspläne zu verfügen, der sich aus der intensiven Beschäftigung mit Klimapolitik und Umweltschutzstrategien ergibt. „Die große Gefahr ist eben, so war unsere Analyse, … wenn niemand Bescheid weiß, dann kann der Senat noch so schöne Pläne machen, wie er auch in den vergangenen Legislaturperioden immer wieder Pläne gemacht hat und ähm im Endeffekt hat er nie diese Klimaschutzpläne umgesetzt und deswegen wollten wir eine Öffentlichkeitskampagne machen, um die Leute darüber aufzuklären, dass es jetzt eben diesen Plan gibt, wir wollen ähm (.) Lust machen auf diesen Plan und das eben kritisch begleiten.“ (Paprika, Z. 40-45)
manchmal ähm einen Vorwurf an die europäische Klimabewegung, dass sie vielleicht in ihrem Klein-Klein irgendwie so Umweltschutz, dass es denen im Prinzip nur darum geht, dass ihre Wiesen sauber bleiben, so nach dem Motto. Und das fand ich neulich ganz schön heftig zu lesen. … Ich frage mich, ob wir auch sozusagen so eine verbiesterte, europäische ähm Klimabewegung sind? Also eigentlich habe ich nicht das Selbstverständnis.“ (Paprika, Z. 416-431).
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Im Kontrast zur protesttypischen Deutung von aufklären inszeniert sich die Paprika nicht als elitär Wissende im Sinne eines normativ besseren Wissens, mithilfe dessen sie die „uninformierten“ oder „ignoranten“ Anderen aufklären will. Stattdessen fordert die Gruppe an dieser Stelle, dass die Bevölkerung erfährt, was es mit dem bereits beschlossenen politischen Infrastruktur-Projekt auf sich hat. „Aufklären“ steht in Bezug zu „Stadtgesellschaft“ - dem Konzept, dass mündige Bürger*innen als Kollektiv an Politik und gesellschaftlichen Entwicklungen partizipieren. Die Wissensbestände zum Energie- und Klimaplan sollen nach den Zielen der Gruppe nicht elitär, sondern allen zugänglich sein. Die Gruppe berichtet, verschiedene Aktivitäten zu planen, um unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen: „Dass wir uns halt verschiedene Wege überlegt haben, wie man das machen könnte, … an einer Art Plakat oder Postkarten (zu) arbeiten, die man ähm nicht nur analog verteilen kann, sondern auch über soziale Netzwerke. Dann, dass wir sehr gerne ganz klassisches Straßentheater machen würden und das Thema auch auf die großen Demos in den nächsten Monaten bringen wollen.“ (Paprika, Z. 52-58)
Darüber hinaus soll es nicht bei abstraktem Wissen bleiben, sondern dieses soll anhand von „konkreten Lösungen“ anschlussfähig an Alltagspraktiken sein. Die Öffentlichkeitskampagne soll den Zielen der Paprika nach gerade diejenigen ansprechen, die bislang noch wenig erreicht wurden von Appellen zum Klimaschutz.57 Praktiken des Informierens beinhalten für die Paprika über die Öffentlichkeitskampagne hinaus auch Bildungsangebote und Social Events, die alltagspraktische Handlungsmöglichkeiten aufzeigen: „Im zweiten Schritt von dieser Öffentlichkeitskampagne wollen wir eben praktische Lösungen in den Vordergrund stellen für den (.) Klimaschutz, was man eben machen
57 Gerade weil die Gruppe Paprika davon ausgeht, dass beim abstrakten Problematisieren die Anderen nicht bis zur Alltagspraxis mitmachen: „Ich glaube, [die Einschätzung von Klimawandel als] eine große Gefahr [ist] [[...]] vielen Leuten nur sehr abstrakt bewusst, oder auf einer objektiven Ebene, sind sich [[...]] eigentlich alle darüber einig, dass wir [etwas geleiert] eine sehr große Gefahr haben, dass man etwas dagegen machen muss, dass man jetzt sofort handeln muss [Ende leiern], aber auf der subjektiven Ebene, wenn es darum geht, irgendwie konkret Aktion zu ergreifen, [...] konsequent Maßnahmen zu machen, dann springt auf einmal ein sehr, sehr großer Teil der Menschen ab, und ich glaube, dass [...] eine gewisse Lücke zwischen Handlung und Erkenntnis besteht.“ (Paprika, Z. 66-73). s. 2.1.
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kann.“ (Paprika, Z. 45-47); „Ich glaube, das wäre voll fatal, wenn man sagt, wir machen jetzt irgendwie nur die Öffentlichkeitsarbeit, aber wir haben zum Beispiel gar kein Angebot für Leute, so ein zum Beispiel so ein bisschen Handlungsanschlüsse zu geben … es gibt halt Sachen, die kann jeder machen.“ (Paprika, Z.735-737).
Da sich der Arbeitskreis noch in der Phase der konzeptuellen Entwicklung von Aktivitäten befindet, lässt sich nicht über eine Dokumentenanalyse feststellen, welche Aktivitäten die Gruppe bereits durchgeführt hat. Widerstände und Desinteresse der Anderen thematisiert die Gruppe nicht als Problem.58 Sie geht davon aus, dass es verschiedene Handlungsebenen gibt, von der Alltagspraxis bis zur politischen Einflussnahme und dass es für alle Möglichkeiten gibt, an einer besseren Welt mitzuwirken.59 Dies entspricht der Logik der Pionier*innen, die davon ausgehen, dass viele ihnen freiwillig folgen werden, wenn sie nur von der besseren Welt erfahren, die auf sie wartet, und einen Geschmack von ihr bekommen.
58 Vielmehr inszeniert sich die Gruppe Paprika als verständnisvoll gegenüber denjenigen, denen Klimaschutz zu abstrakt erscheine und denen der Anschluss an die Lebenswelt fühle. „Ich kann mir vorstellen, dass das so ist, weil das schon so weit weg wirkt [...]Wenn man möchte, zum Beispiel, wenn ich hier [in dieser Großstadt] lebe, kann ich sagen: Ja, vielleicht gibt es so etwas wie Klimawandel, ich kann das gar nicht unbedingt als direkte Gefahr erkennen … dann mache ich vielleicht doch nichts [für Klimaschutz].“ (Paprika, Z. 79-88) 59 Dies präzisiert sie folgendermaßen: „Ein bisschen Handlungsanschlüsse zu geben. Und am Ende dann immer überlegt, ok was, was kann ich denn jetzt zum Beispiel ab morgen machen, dass das, dieses Problem, was im ersten Moment so riesengroß erscheint so ein kleines bisschen besser wird? Und dann einfach das so runter zu brechen, weil zum Beispiel ein Handy ist, oder etwas zu Essen ist etwas, wo jeder in seinem Alltag etwas hat, da irgendwie den Leuten praktisch eben so den, den ersten Schritt in die Hand zu geben. Und zu sagen: Ja, wir wissen, es ist irgendwie groß und wir wissen, die ganze politische Ebene erscheint oft ganz, ganz komplex, aber es gibt halt Sachen, die kann jeder machen.“ (Paprika, Z. 735-738)
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Analyse von prägenden Strukturen
Strukturen erweisen sich als prägend für die kollektiven Orientierungsmuster Gestaltungsraum und Protest. Mit einer wissenssoziologischen Perspektive verstehe ich Strukturen als soziale Schichten, die geistige Schichten auf spezifische Weise prägen (Mannheim 1980, s. 1.4). Aus praxeologischer Perspektive kristallisieren sich Strukturen in materiellen Dingen und interagieren als Elemente von Praktiken mit Wissensbeständen und Handlungsvollzügen (s. 1.4). Der prägende Einfluss von Organisationsstrukturen liefert die Erklärung dafür, warum die Kontrastierung zwischen Protest- und Gestaltungsraum-Orientierung entlang der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Verbänden läuft. Denn diese Unterscheidung habe ich nicht vorausgesetzt, sondern sie ergab sich erst durch Kontrastierungen im Laufe des Analyseprozesses (s. 4.1). Es sind jedoch nicht nur die Organisationsstrukturen, sondern auch andere soziale Schichten, die die Orientierungen Protest oder Gestaltungsraum prägen. Die spezifische Art, wie die Jugendgruppen argumentieren, weist auch milieu- und generationsspezifische Züge auf. Mein Sample bringt einige Charakteristika mit. Einige davon sind auf den ersten Blick ersichtlich: Es handelt sich um Jugendgruppen, die großen Umweltorganisationen angehören, ihr Erfahrungsraum ist geprägt von regelmäßigen Treffen in gleicher oder sehr ähnlicher Zusammensetzung. Es gibt jugendspezifische Charakteristika, z. B. der starke Bezug auf die eigenen Eltern oder die eigene Erziehung sowie moralische Argumentation. Andere, wie die Prägung durch die Sozialisation im Öko-Milieu sowie die Zugehörigkeit zu einem eher wohlhabenden Milieu, erschließen sich erst durch Gegenhorizonte im Rahmen der rekonstruktiven Analyse.1 In diesem Kapitel arbeite ich milieu- und jugend-
1
Zum Begriff „Öko-Milieu“: Ich beziehe mich damit auf die Sinus-Milieus jugendlicher Lebenswelten, die ein sozial-ökologisches Jugendmilieu identifizieren (Calmbach et al. 2016), ebenso wie auf die Selbstbezeichnung der Jugendlichen als „Öko“. S. Fall Erdbeere, 4.1.
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spezifische Spezifika weitgehend innerhalb meines Materials heraus. Im folgenden Kapitel 5 vergleiche ich die Orientierungen und Prägungen meiner Jugendumweltgruppen mit anderen, ähnlichen wie abweichenden, Gruppen.
4.1 EINFLUSS VON ORGANISATIONSSTRUKTUREN Der Einfluss der Organisationsstrukturen geht über das Material und die Aktionsschwerpunkte weit hinaus. Er wirkt tief in die Zielsetzungen und Deutungen, sowie in die Modi der Wissensorganisation, die als Wissen zweiter Ordnung in die Wissensbestände einfließt. Und er beeinflusst, welche Abläufe und Handlungsvollzüge sich innerhalb des denkbaren Rahmens befinden. Die Organisationsstrukturen spielen eine große Rolle für die operationale Schließung der Gruppen und ergänzen diskursive Abgrenzungsprozesse. 2 Es zeigt sich, dass Ein- und Ausschlüsse bei den beiden Jugendverbänden umgekehrt funktionieren: Die protestorientierten Greenpeace-Jugend-Aktionsgruppen grenzen sich auf expliziter Ebene scharf von den Anderen ab (s. 2., 3.). Ihre Gruppenformate, die wöchentlichen Gruppenstunden, sind jedoch niederschwellig und leicht zu erreichen. Wer sich mit den Zielen und dem Selbstverständnis des Dachverbands Greenpeace identifiziert, kann sich leicht einer Gruppe anschließen und zeitnah an vorstrukturierten Aktionen teilnehmen. Die gestaltungsorientierten Gruppen der BUND-Jugend dagegen grenzen sich nur schwach von den Anderen ab und betonen, die Anderen auf den Weg in eine bessere Welt einzuladen. Die operationale Schließung erfolgt über die Hürde, die Gruppen zu erreichen und die halbprivaten Settings, in Form von Kochabenden oder kleinen Festivals. Zugang zu den Gruppen finden Jugendliche vor allem über Peer-Groups. Auch die dezentralen Organisationsstrukturen sind für Außenstehende nicht gleich zu durchschauen, aktionswillige Jugendliche könnten vom hohen Organisations- und Zeitaufwand in der Vorbereitung abgeschreckt sein. Die Greenpeace-Gruppen variieren in der Nennung von Themen weniger stark als die BUND-Jugendgruppen, denn sie kreisen alle um den Protest dagegen. Die Diskursorganisation ist in den BUND-Jugendgruppen insgesamt ähnlicher als in den Gruppen Greenpeace-Gruppen, sie orientiert sich daran, eine bessere Welt im Kleinen erlebbar zu machen. Aus den Gruppendiskussionen lässt sich rekonstruieren, dass die Verbände unterschiedliche Modi des Wissenstransfers, Aktionsformate und Verbandsstrukturen aufweisen. Diese ergeben
2
Zur operationalen Schließung im Kontext von Umwelt-Protestgruppen vgl. Luhmann 1994: 55f.
4. Analyse von prägenden Strukturen | 163
jedoch kein schlüssiges Bild, solange ich das Material auf die Gruppendiskussionen limitiere, denn im Rahmen des gemeinsamen Erfahrungshintergrunds explizieren die Jugendgruppen kaum, wie sie sich organisieren und welches Material zu ihren Aktivitäten gehört. Deshalb ergänze ich die Ergebnisse der Gruppendiskussionen durch eine Dokumentenanalyse von Homepages, Newslettern und Flyern sowie durch informelle Expert*innengespräche.3 Da ich mich für eine Anonymisierung entschieden habe, verweise ich nicht direkt auf die Homepages, denn damit wäre der Name jeweiligen Ortsgruppe erkennbar und die Anonymität ggf. nicht gewährleistet, sondern auf die Linksammlung im Anhang, die sämtliche Klarnamen enthält, die Zuordnung jedoch weniger evident macht. Ich bleibe bei dieser Analyse der Organisationsstrukturen nah an meinem empirischen Material. Im darauffolgenden Kapitel stelle ich Bezüge zu anderen Studien über die Verbände dar. Um die Rolle der Organisationsstrukturen für die konjunktiven Erfahrungsräume zu analysieren, stelle ich erstens die Unterschiede in den Settings der Gruppendiskussionen dar, die auf die Organisationsstrukturen verweisen. Zweitens zeige ich, wie die Organisationsstrukturen die Wissensorganisation prägen. Dabei stelle ich in einer komparativen Analyse zwei maximal kontrastierende Fälle gegenüber: den typischen Gestaltungsraum-Fall Tomate und den typischen Protest-Fall Erdbeere. Drittens analysiere ich die Wechselwirkungen zwischen Organisationsstrukturen und Praktiken. Dabei vergleiche ich die berichteten Klimaschutz-Aktivitäten des untypischen ProtestFalls Himbeere mit dem extremen Gestaltungsraum-Fall Paprika. Erstens: Bereits bei der Kontaktaufnahme fielen mir deutliche Unterschiede zwischen den beiden Jugendverbänden auf, die sich auf die Organisationsstrukturen zurückführen lassen. Die Homepages der Greenpeace-Jugendaktionsgruppen sind nahezu identisch, in ein identisches Design eingebettet und verlinkt über eine professionell gepflegte Homepage (greenpeace-jugend.de). Die dort namentlich angegebenen Ansprechpartner*innen antworteten innerhalb weniger Tage und luden mich ein, zu einer der wöchentlichen Gruppentreffen zu kommen, die in den jeweiligen Räumlichkeiten des lokalen Greenpeace-Büros stattfinden. Die Gruppendiskussionen fanden dort auch statt.4 Durchschnittlich wa-
3
U.a. habe ich auf dem Jugendumweltfestival im Sommer 2015 ein informelles Gespräch mit einer FÖJlerin geführt, die ein Jahr einen Landesjugendverband der BUND-Jugend unterstützt hat.
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Bei drei der vier Greenpeace-Jugendgruppen fanden die Gruppendiskussionen in den Räumlichkeiten der örtlichen Greenpeace-Erwachsenengruppe statt. Nur beim Fall Erdbeere war dieser Raum – unvorhergesehenerweise – bereits belegt, so dass die Ju-
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ren neun Teilnehmer*innen anwesend, der Altersdurchschnitt lag bei 16,6 Jahren. Die Teilnehmer*innen meiner Gruppendiskussionen waren zwischen 14 und 19 Jahre alt. Ein Großteil der Teilnehmer*innen war weniger als ein Jahr in der Greenpeace- Jugend aktiv, knapp die Hälfte kürzer als drei Monate, nur wenige mindestens zwei Jahre (s. Tab. 3 im Anhang). Erwachsene GreenpeaceMitglieder waren bei drei Diskussionen zumindest indirekt präsent: Bei der Gruppendiskussion mit Erdbeere diskutierte ein Erwachsener mit, der sich als Ansprechpartner von Greenpeace vorstellte, bei Himbeeere kamen Erwachsene mehrmals in den Raum, bei Kirsche arbeiteten sie im Nebenzimmer (s. ausführliche Fallbeschreibungen im Anhang). Bei der BUND-Jugend erwies es sich als wesentlich schwieriger, ein Treffen zu vereinbaren. Die Homepages, jeweils individuell gestaltet, waren teilweise dermaßen veraltet, dass die dort angegebenen Ortsgruppen nicht mehr existierten oder in Neugründung waren.5 Es dauerte bis zu fünf Wochen, bis ich Rückmeldung bekam und die Terminfindung erwies sich als schwierig, da die BUNDJugend weit seltener regelmäßige Gruppentreffen durchführt, sondern sich über Arbeitskreise, Gremienarbeit oder Aktionstage organisiert.6 Bis auf eine Gruppendiskussion – den untypischen Fall Kürbis – waren jeweils drei Teilnehmer*innen anwesend, von denen einige noch minderjährig, andere bereits erwachsen waren. Die Teilnehmer*innen meiner Gruppendiskussionen waren zwischen 16 und 26 Jahre alt, der Altersdurchschnitt lag bei 19,1 Jahren. Alle von mir befragten Teilnehmer*innen der BUND-Jugend waren länger als zwei Jahre im Verband aktiv, einige sogar mehr als fünf Jahre. Meine Analyse ergibt vier Hauptunterschiede in der Organisationsstruktur und Schwerpunktsetzung der gestaltungsorientierten BUND-Jugendgruppen und den
gendgruppe ausweichen musste. In Ermangelung anderer Möglichkeiten gingen wir schließlich in eine ökologisch orientierte Privatschule, von der eine teilnehmende Person einen Schlüssel hatte. 5
Link zur Verbandsstruktur: https://www.bundjugend.de/ueber-uns/verbandsstruktur/ vom 13.12.2018. Durch die dezentrale Organisationsstruktur und häufige Umstrukturierung oder Neubildung von Lokalgruppen sind nicht in allen offiziell auf Homepages genannten Gruppen aktiv bzw. bereit für Öffentlichkeitsarbeit. So kam es auch, dass ich nicht in den geplanten vier Großstädten Interviews mit Gruppen beider Verbände führen konnte, sondern andere Städte wählen musste, entsprechend der Gruppen, zu denen ich Zugang gewinnen konnte.
6
Zwei der Gruppendiskussionen fanden auf einem Jugendumweltfestival statt, eine in einer Privatwohnung und eine im Büro der BUND-Jugend in der Hauptstadt.
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protestorientierten Greenpeace-Jugendgruppen: eine zentralisierte Struktur bei der Greenpeace-Jugend versus eine dezentrale, basisdemokratisch orientierte Struktur bei der BUND-Jugend, die Vorgabe von Themen und Verantwortungsübernahme für Organisationsabläufe durch den (Erwachsenen-)Dachverband versus Hineinwachsen Jugendlicher in Organisationsverantwortung, themenoder projektbezogenes Arbeiten, sowie den Fokus auf öffentlichkeitswirksame Praktiken des Informierens versus dem Fokus auf Social Events in Nischensettings. Die Greenpeace-Jugendgruppen sind zentral organisiert über den Dachverband Deutschland, der Teil einer internationalen Organisation ist. Genau genommen handelt es sich der Greenpeace-Jugend nicht um einen eigenständigen Jugendverband, sondern um „Jugendaktionsgruppen“ (JAGs).7 Auf der zentralen Homepage der Jugendaktionsgruppen stellen sich diese nicht selbst vor, sondern werden aus Erwachsenenperspektive beschrieben: „[Sie]nehmen bei ihrer Mission kein Blatt vor den Mund. Sie provozieren, protestieren, agieren – friedlich, aber kompromisslos.“8 Die Jugendgruppen sind in allen Städten gleich organisiert: Sie treffen sich einmal wöchentlich im örtlichen Greenpeace-Büro, haben nahezu identische Homepages und bearbeiten ähnliche Themen. Überspitzt dargestellt funktionieren die Jugendgruppen nach einem Franchise-Konzept: Sie bekommen vom Dachverband Räume, eine Homepage und Kampagnenmaterial gestellt und sie erhalten Termine, zu denen sie an Aktionen teilnehmen können, sei es bundes-
7
https://www.greenpeace-jugend.de/index.php?s=jaggies, Zugriff am 13.12.2018. Die Kontaktadresse auf der Homepage führt nicht zu einer Jugendorganisation, sondern direkt zu Greenpeace Deutschland ([email protected]).
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https://www.greenpeace.de/mitmachen/aktiv-werden/jugend-ags,
(Zugriff
am
15.8.2016, Text wurde mittlerweile geändert.) Damaliger Text: „Streitbar statt politisch mundtot. Jugend-AGs, sogenannte JAGs stehen wie stützende Säulen für unsere Umweltarbeit. Die 14- bis 19-jährigen Aktivist*innen agieren in bundesweit 45 dieser AG's, eng angeschlossen an die jeweilige Greenpeace-Gruppe. Sie reden mit, statt Politikern die Entscheidungen für ihre Zukunft zu überlassen. Sie wollen weder Atommüll noch marode Zwischenlager, sondern das Ende der Castor-Transporte. Sie mögen keine Lebensmittel, die mit Gentechnik hergestellt wurden. Sie fordern von Ministern, das maßlose Überfischen der Meere zu stoppen und setzen sich dafür ein, dass Strom künftig nur aus erneuerbaren Energiequellen stammt. JAGs nehmen bei ihrer Mission kein Blatt vor den Mund. Sie provozieren, protestieren, agieren – friedlich, aber kompromisslos. Sie machen mit lauten Events auf sich und ihre politischen Forderungen aufmerksam.“
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weite Aktionen der Jugendgruppen, sei es zusammen mit dem örtlichen Erwachsenenverband. Typisch für den Verband Greenpeace sind bundesweite Protestaktionen, die von den jeweiligen Lokalgruppen durchgeführt werden. Die Jugendgruppen profitieren bei der Rekrutierung neuer Mitglieder stark von der professionellen Internetpräsenz und Organisation. Die „große Autorität von Greenpeace“ (Himbeere, Z. 99) führt zu einem großen Zulauf, denn jeder und jede glaubt zu wissen, wofür dieser Umweltverband steht. Auffällig ist, dass die JAGS – unabhängig davon, ob es typische, untypische oder extreme Fälle sind – die berühmten Slogans und Formulierungen des Dachverbands in die Gruppendiskussionen einbauen, z.B. „Greenpeace Warrior“ (Kirsche), „gewaltfrei protestieren“ (Himbeere), „Umweltsünder“, „über Missstände informieren“ (Stachelbeere).9 Die Greenpeace-Jugendgruppen sind die Jugendumweltgruppen, die im Internet am schnellsten zu finden sind und die sich am häufigsten treffen. So berichten Jugendlichen in drei der JAGs davon, über das Internet Zugang zu den Gruppen gefunden zu haben. Dadurch haben die Gruppen relativ hohe Mitgliederzahlen und es kommen oft neue Jugendliche dazu. Durch die Ausstattung mit Informationsmaterial, Slogans, Flyern und Fahnen ist anzunehmen, dass die Aktionen relativ einfach zu organisieren sind, weil das vorgefertigte Material bereits vorhanden ist.10 Häufig legt der Dachverband einen Termin für Protestaktionen fest, der bundesweit gilt.11 Die Jugendgruppen werden häufig von Mitgliedern der Erwachsenenorganisation begleitet. Wie eng die Zusammenarbeit ist, ist nicht explizit ersichtlich. Die Altersspanne des Greenpeace-Jugendverbands reicht von 14 bis 19 Jahren. Die Protest-Gruppen haben häufig die Orientierung „irgendwas dagegen tun“ (Erdbeere, Z. 165), gegen Unrecht zu kämpfen und die Anderen zu ermahnen, ihr Handeln zu ändern. Dazu passen
9
Zu den entsprechenden Slogans und Formulierungen s. https://www.greenpeace.de/ historie, Zugriff am 13.12.2018.
10 Darüber hinaus wählen einzelne Greenpeace-Jugendgruppen eigene Aktionsformate, wie einen Poetry Slam oder Naturerlebnistag. Im Vergleich zur BUND-Jugend ist das Themenspektrum deutlich enger gefasst und konzentriert sich auf Plastikverschmutzung und Meeresschutz, Konsumkritik, TTIP und Massentierhaltung. Dies zeigt ein Überblick über die Themen der vergangenen vier Jahre. https://www.greenpeacejugend.de. 11 Zwischen 2014 und 2017 waren das z.B. landsweite Proteste gegen TTIP und McDonald’s. Die Einträge auf den Greenpeace-Hompages sind mit mehrjährigem Abstand nur noch eingeschränkt bzw. nicht mehr erreichbar. S. https://www.greenpeacejugend.de/index.php?s=kampagnen, Zugriff am 13.12.2018.
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unaufwendige, vorgegebene Aktionen, die sich an vielen Orten gleichen und einen hohen Wiedererkennungswert aufweisen. Für das Ziel einer öffentlichkeitswirksamen Aktion ist es nicht notwendig, dass die Jugendgruppen sich intensiv thematisch und organisatorisch einbringen. Sie nehmen die Rolle der Ausführenden ein. Die Dachorganisation Greenpeace Deutschland hat einen festgelegten Themenkatalog von zehn bis fünfzehn Themen, zu denen – und zu keinen anderen – die Jugendgruppen Aktivitäten machen können, wie mehrere Jugendgruppen berichten.12 Die Erwachsenenorganisation gibt Informations- und Kampagnenmaterial heraus, legt Termine für bundesweite Protestkampagnen fest und organisiert bundesweite Aktivitäten, die von vielen JAGs durchgeführt werden.13 Die Greenpeace-Jugendgruppen weisen wenig Kenntnisse über die Organisationsstrukturen anderer Verbände auf, z. B. der BUND-Jugend.14 Bemerkenswert ist, dass sie auch in diesem Kontext davon ausgehen, über das „richtige“ Wissen über andere Verbände zu verfügen, obwohl ihre Spekulationen nicht den Tatbeständen entsprechen.15 Die Protest-Gruppen haben die Tendenz, selbstverständlich davon auszugehen, über das normativ richtige und formal korrekte Wissen
12 So die Gruppen Kirsche und Stachelbeere, s. Fallbeschreibung. https://www.greenpeace.de/mitmachen/aktiv-werden/jugend-ags, Zugriff am 15.8.2016, Text wurde mittlerweile geändert. Originaltext s. Linksammlung im Anhang. Der Themenkatalog des Dachverbands Greenpeace von 2015 ist nicht mehr online verfügbar, die Themen von 2018 finden sich unter https://www.greenpeace.de/, Zugriff am 13.12.2018. 13 Insofern ist Himbeere ein untypischer Fall, was am Beispiel der berichteten Aktivität des Informierens über Plastikverschwendung zu sehen ist, weil die Aktion von der Gruppe selbst organisiert wurde und Materialien (Taschen) selbst hergestellt wurden (s. 3.3). Sie bewegt sich jedoch im Feld der typischen Greenpeace-Themen. 14 Zur Vergleichbarkeit des Kenntnisstandes und der Positionierung gegenüber anderen Jugendverbänden habe ich in sämtlichen Gruppendiskussionen die Frage gestellt, was den jeweiligen Jugendverband von anderen Jugendumweltgruppen unterscheidet. S. Fragenkatalog im Anhang. 15 So sagen mehrere JAGs auf meine Frage nach der BUND-Jugend, diese sei „nur regional“ (Kirsche, Stachelbeere, Himbeere), mache „mehr Tierschutz“ (Kirsche) oder sei altersmäßig „jünger“ (Erdbeere), während ihr eigener Verband „international“ und „politisch“ (Kirsche, Stachelbeere, Erdbeere) sei. Keine dieser Darstellungen deckt sich mit der Selbstdarstellung des BUND-Jugendverbands bzw. mit den Daten, die ich über die Dokumentenanalyse recherchiert habe. S. Fallbeschreibungen von „Obst“ im Anhang.
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zu verfügen, ohne dieses nachzuprüfen oder die Standortgebundenheit ihres Wissens zu reflektieren (s.u. Wissenstransfers am Beispiel Erdbeere). Die Organisationsstrukturen des gestaltungsorientierten Verbands der BUND-Jugend sind dezentral geprägt (https://www.bundjugend.de/ueberuns/verbandsstruktur/). Die verschiedenen Gremien und Strukturen sind weniger leicht zu durchschauen, doch lassen sie sich über die explizite Darstellung auf der Homepage des Bundesjugendverbands nachvollziehen. Die BUND-Jugend existiert seit über 30 Jahren als unabhängiger Verband innerhalb des Bund Umwelt und Naturschutz (BUND), der wiederum zu einem internationalen Umweltschutznetzwerk Friends of the Earth gehört. 16 Die strukturelle wie inhaltliche Unabhängigkeit ist den Gruppen der BUND-Jugend sehr wichtig, wie mehrere Gruppen betonen (Kürbis, Tomate, Paprika). Der Fokus des Jugendverbands liegt – abweichend vom Erwachsenenverband - weniger auf Natur-, als auf globalem Umwelt- und Klimaschutz.17 Jedes Bundesland verfügt über einen Vorstand und eigene Spezifika. 18 Der Jugendumweltverband formuliert in seinen Richtlinien eine basisdemokratische Ausrichtung. Dementsprechend gibt es zahlreiche dezentrale Organisationsstrukturen und Arbeitskreise, die einer Hierarchisierung entgegen wirken sollen (Aljets/Ebinger 2016). Über die Einrichtung einer zentralen Delegiertenkonferenz soll eine gemeinsame Positionierung der BUND-Jugend auf Bundesebene erwirkt werden, die in Positionspapieren ausgehandelt und festgelegt wird.19 Die Altersspanne (14 bis 27 Jahre) ist deutlich größer als bei der Greenpeace-Jugend und bezieht junge Erwachsene ein.20
16 Gegründet wurde die BUND-Jugend 1984/1985, die Richtlinien für die BUNDJugend wurden im November 1985 auf einer Bundesjugendversammlung beschlossen. Diese Informationen stammen von der Homepage der BUND-Jugend. Extern sind sie nicht überprüfbar. https://www.bundjugend.de/ueber-uns/verbandsstruktur/. Zu den Richtlinien
der
BUND-Jugend:
https://www.bundjugend.de/wp-content/uploads/
Richtlinien-der-BUNDjugend-2017. Link zu Young Friends of the Earth Europe: www.foeeurope.org/yfoee. 17 Beispiele: Kürbis zu einzelnen Tierarten, Paprika zu Wutrede Windkraft. S. Fallbeschreibungen im Anhang. 18 So ist es typisch für den Landesverband, der zur Gruppe Kürbis gehört, eher geschlossene Settings wie Freizeiten anzubieten und politisch weniger aktiv zu sein, während es beim Landesverband, zu dem Paprika gehört, umgekehrt ist. 19 S. Fallbeschreibung im Anhang, Paprika Passage „Delegiertenversammlung“, s. Link Nr. 3. 20 Darüber hinaus verfügt die BUND-Jugend über hauptamtliche Mitarbeiter*innen. Diese werden vom Bundesvorstand bestätigt. Sie können nicht gleichzeitig Mitglieder
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Durch die große Altersspanne sind einige Engagierte bis zu zehn Jahre im Jugendverband aktiv. Damit verfügt der Jugendverband über junge Erwachsene, die über jahrelange Erfahrung und Prägung im konjunktiven Erfahrungsraum verfügen. Auch noch Minderjährige üben ein, Verantwortung zu übernehmen. Die BUND-Jugend arbeitet projektbezogen, d. h. es gibt Arbeitskreise, die über einen Zeitraum von Monaten bis mehreren Jahren Projekte umsetzen, von der Konzeption bis zur Durchführung. Bei einem Großteil der Aktivitäten handelt es sich um Social Events in halboffenen Settings (s. 3.3). Die Gruppe an aktiven Jugendlichen fluktuiert durch die Verbandsstruktur. Es gibt einen fließenden Übergang zwischen Jugendlichen, die Freizeiten besuchen, zwischen lokal Aktiven und Aktiven auf Landesebene sowie Aktiven im Vorstand. Die BUND-Jugend kooperiert häufig eng mit anderen Verbänden wie der Naturfreunde-Jugend. Teilweise verschwimmt die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Verbänden vollständig, wie bei den typischen GestaltungsraumFällen Tomate und Gurke, die ich auf einem Festival befragt habe, das offiziell von einem anderen Jugendumweltverband ausgerichtet wird.21 Durch die dezentrale Organisationsstruktur ist der Kontakt über Bundesländer hinaus teilweise gering, die Landesverbände wissen nicht unbedingt, welche Themen die anderen
im Bundesvorstand sein. So soll einer Machtkonzentration entgegen gewirkt werden. S. Richtlinien der BUND-Jugend 2017: 7. Zusätzlich arbeiten junge Erwachsene im Rahmen eines Freiwilligen Ökologischen Jahres oder des Bundesfreiwilligendienstes. Die Unterschiede in den Organisationsstrukturen unterschiedlicher Jugendumweltverbände erläutern die BUND-Jugendgruppen auf meine Frage hin (im Kontrast zu den Greenpeace-Jugendgruppen, die über die Organisationsstrukturen der GreenpeaceJugend im Vergleich zu anderen keine Auskunft geben). S. Fallbeschreibungen im Anhang. 21 In diesem Bundesland unterstützen sich die Aktiven beider Jugendverbände so stark, dass teilweise Vorstandsmitglieder des einen Verbandes auch Organisationsaktivitäten für den anderen Verband machen. So ist im Fall Tomate eine Teilnehmerin sowohl Vorstandsmitglied im Landesverband der BUND-Jugend, als auch „HauptOrga“ für das Festival, das offiziell von einem anderen Verband ausgerichtet wird. Diese Darstellung findet sich nicht nur in der Gruppendiskussion, sondern auch auf den Homepages und den Auftritten der Verbände in den sozialen Medien wieder, wo sie die Veranstaltungen des jeweils anderen Verbandes bewerben, als wären es ihre eigenen. Meine Feldforschung im Rahmen von zwei Jugendumweltfestivals, an denen ich durchgehend teilgenommen habe, bestätigt den Eindruck, dass es für die Jugendlichen keine Rolle zu spielen scheint, welcher Verband federführend ist, solange die Ausrichtung für eine bessere Welt stimmt.
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bearbeiten. Dies lässt sich an der deutlich abweichenden Schwerpunktsetzung innerhalb der Gruppen der BUND-Jugend illustrieren. So fällt dem untypischen Gestaltungsraum-Fall Kürbis zu Klimaschutz keinerlei Bezugspunkte oder Aktivitäten ein, während die – im angrenzenden Bundesland aktiven – typischen Gestaltungsraum-Fälle Gurke und Tomate sich bewertungssicher zeigen und zahlreiche Aktivitäten mit Klimaschutz verbinden (s. 2.1.1 und 2.1.3). Es ist festzustellen, dass die Aktivist*innen der BUND-Jugend wesentlich mehr über die Greenpeace-Jugend wissen als umgekehrt, was auch darin begründet sein kann, dass die Befragten der BUND-Jugend durchschnittlich wesentlich länger aktiv sind als die der Greenpeace-Jugend. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Verband der BUND-Jugend ein größeres Interesse an der Vernetzung mit anderen Jugendverbänden hat und sich deshalb mit den Themen und Aktionsformaten der anderen Jugendverbände ausgiebiger beschäftigt. Zweitens: Die komparative Analyse zwischen den typischen Fällen Tomate und Erdbeere zeigt, wie Organisationsstrukturen die konjunktiven Erfahrungsräume prägen und in unterschiedlichen Modi von Wissenstransfers sichtbar werden. Das Erlernen von Organisationsaufgaben und Erarbeiten von Projekten prägt die Sinnstrukturen der gestaltungsorientierten Jugendgruppen. Der Gestaltungsraum-Fall Tomate thematisiert ausführlich die Organisationsstrukturen im Kontext des Organisierens von Social Events (s. 3.3.). Zentrale Themen sind das Hineinwachsen in Verantwortung sowie die Darstellung komplexer dezentraler Organisationsstrukturen. 22 Die Thematisierung erfolgt selbstläufig am Anfang der Gruppendiskussion, die Teilnehmer*innen dokumentieren den Anspruch („ganz wichtiger Punkt“, Z. 169), wenig hierarchisch organisiert zu sein und Strukturen transparent zu machen. Aus der Schilderung, wie die Teilnehmer*innen zu ihrem Engagement kamen und welche Posten sie besetzen, geht ein komplexes Gefüge an Organisationsstrukturen hervor, dass einen dezentralen und ständig fluktuierenden Organisationsmodus erkennen lässt. Die Gruppe Tomate reflektiert, dass die Umsetzung ihres Anspruchs auf der Ebene der „Realität“ nicht immer gelinge. Die Verbandsstruktur basiert größtenteils auf ehrenamtlichen Engagement Jugendlicher und junger Erwachsener, dementsprechend gibt es häufige Veränderungen in der Zusammensetzung der Organisator*innen,
22 S. Fallbeschreibung Tomate im Anhang, Passagen „Einstieg“, Z. 22-125, und „Orgaarbeiten“, Z. 154-171.
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je nach deren individuellen Kapazitäten.23 Laut Tomate „lebt“ der Verband von einzelnen Aktiven, es gibt eine intensive emotionale Bindung und Zugehörigkeit unter den Aktiven. Die Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen, die sich besonders intensiv engagieren, werden als „prägende Generation“ bezeichnet, um die sich „Legenden“ ranken und denen die verbleibenden Jugendlichen „hinterher trauern“ (Z. 22-122). Es entsteht der Eindruck, dass der Arbeitsaufwand der Koordination und Organisation für die Anzahl an Aktiven zu groß sei: „Wir sind halt echt immer nur ein paar Leute.“ (Tomate, Z. 82). Häufige „Brüche“ führten dazu, dass die Jugendverbände der BUND-Jugend sich immer wieder „neu erfinden“ müssten. In der Gruppendiskussion von Tomate gibt es einen Transfer von Verantwortlichkeiten, verbunden mit dem Transfer von Wissen darüber, welche Aktivitäten im Rahmen der Praktik des Social Events Organisierens von welchen Abläufen und Organisationsprozessen begleitet werden (s. 3.3). Die Teilnehmer*innen dokumentieren keine Hierarchien im Geltungsanspruch ihres Wissens, alle Darstellungen und Positionierungen stehen gleichwertig nebeneinander. Die Teilnehmer*innen, die zugleich Freund*innen sind, unterhalten sich selbstläufig über ihre Zukunftsperspektiven. Der Modus Operandi charakterisiert sich durch eine freundschaftliche, lockere und manchmal flapsige Umgangsform unter Gleichaltrigen. Die am längsten aktive Teilnehmerin thematisiert, dass sie bald wegen ihres Schulabschlusses wegziehen werde und befürchte, dass es wieder zu einem „Bruch“ (Z. 122) auf Ebene der Vorstandsarbeit kommen würde. Erfahrungsbasiertes Wissen zur Organisation von spezifischen Social Events (z. B. Festivals oder die Fahrt zu einem Großevent) würden verloren gehen, wenn es nicht an nachfolgende Vorstandsmitglieder weiter gegeben werde. Darauf schlägt eine weitere Teilnehmerin mit euphorischem Tonfall vor, Mitglied des Vorstands zu werden. Gemeinsam planen die Teilnehmer*innen, wie spezifische Abläufe im Organisieren von Social Events in Zukunft organisiert werden können. Der Wissenstransfer ist begleitet von einer Aufbruchstimmung, die vor allem von der Teilnehmerin ausgeht, die von zukünftigen „Orgaarbeiten“ schwärmt: „[Enthusiastisch]: Das ist jetzt (.), Bus organisieren! Habe ich Bock.“ (Tomate, Z. 99-101). Als implizite Sinnstruktur erscheint selbstverständlich, dass die Jugendlichen in der Lage sind, komplexe Organisationsabläufe eigenverantwortlich zu organisieren und bereit sind, sich zeit- und ressourcenintensiv zu engagieren. Der informelle Charakter des Wissenstransfers, der während
23 Diese Schilderung findet sich auch in den Gruppendiskussionen von Kürbis und Paprika, übereinstimmende Darstellungen auf den Homepages des Bundesverbands sowie der Landsverbände. Link 3, 4, 5 und 6.
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einer Gruppendiskussion – beim Frühstück auf der Festivalwiese – stattfindet, steht im deutlichen Kontrast zum hierarchisch geprägtem Wissenstransfer beim Protest-Fall Erdbeere. Die dokumentierte Darstellung von Tomate lässt sich als typisch einstufen, denn auch in den anderen BUND-Jugendgruppen sind Teilnehmer*innen mit unterschiedlich langer Erfahrung, die miteinander befreundet sind und von fluktuierenden Aufgaben (z. B.) im Vorstand berichten. Auch wenn sie keine vergleichbaren Wissenstransfers dokumentieren, vermute ich, dass diese auf ähnliche Art stattfinden würden. Den maximalen Kontrast zu Tomate bildet der typische Protest-Fall Erdbeere. Bei Erdbeere handelt es sich um eine besonders junge Gruppe mit vielen neuen Teilnehmer*innen. Vor der Gruppendiskussion berichtet mir ein Teilnehmer, es habe gerade ein „Bruch“ stattgefunden, die Gruppe sei recht neu zusammengesetzt.24 Während der gesamten Gruppendiskussion ist ein Erwachsener (Em) anwesend, der sich als „Ansprechpartner“ vorstellt, der „quasi gezwungenermaßen immer mit dabei“ (Erdbeere, Z. 7) sei. Damit lässt er die Vermutung anklingen, dass sich „gezwungenermaßen“ auf ein Regelwerk der Umweltorganisation Greenpeace bezieht. Da bei den anderen drei Jugendgruppen von Greenpeace keine Erwachsenen an der Gruppendiskussion teilgenommen haben, liegt nahe, dass es kein entsprechendes formales Regelwerk gibt, sondern ein implizites Regelwerk, das der Erwachsene aufstellt. Durch die Nachfrage eines Teilnehmers (Tm1) wird deutlich, dass der Grund seiner Teilnahme in dieser Gruppenkonstellation noch nie Thema war. Auch auf Nachfrage expliziert Em nicht die Gründe, warum er stets bei den Gruppentreffen teilnimmt. Tm1: „Gezwungenermaßen. [Tm3: °Ich zwing ihn.° [Em: Ja. Tm1: Musst du wirklich immer kommen, oder? [Em: Nein. Also macht mir einfach Spaß und (.) ja. Ja. [Tm1: Ja. Gut. Tm3: Er macht sich gerne über APs [Ansprechpartner] lustig. TN: @Hehe.@“ (Erdbeere , Z. 8-15)
Der Verweis darauf, Em sei „Ansprechpartner“ der Greenpeace-Ortsgruppe, stattet ihn auf impliziter Ebene mit der nötigen Legitimation aus, auch wenn
24 Diese Information erhielt ich auf dem Weg von einem Raum zum anderen vor der Gruppendiskussion, ich habe sie im Memo aufgezeichnet.
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seine Interaktionen von einem Teilnehmer (Tm3) als „(sich) lustig machen“ kritisiert werden. Es handelt sich dabei um einen Teilnehmer, der sich selbst ebenfalls als „Ansprechpartner“, allerdings der Jugendgruppe, vorstellt. Er ist also derjenige, über den sich der Erwachsene lustig macht. Die Zuschreibung der Rolle „Ansprechpartner“ verweist implizit auf eine Hierarchie, bei der der „Ansprechpartner“ der Jugendgruppe jedoch in der Hierarchie weit unter dem stets präsenten „Ansprechpartner“ des Erwachsenenverbands steht. In den anderen Diskussionen der Protestgruppen wird eine derartig starke Einflussnahme nicht sichtbar. Em nimmt starken Einfluss auf die Diskursorganisation und inhaltliche Ausrichtung der Gruppe. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Passage, die ich in der Fallbeschreibung dargestellt habe (s. 3.1). Die Darstellung der Teilnehmerin Tw6, „schöne Projekte“ (Erdbeere , Z. 358-368), z. B. ein Repair Café, zeigten, wie Veränderung gestaltet werden könnte, kontert Em mit: „Wobei ich es da interessant finde, dass das genau der falsche Weg ist, bei so Sachen.“ (Erdbeere, Z. 369). Em nutzt dabei nicht nur eine richtig-falsch-Logik, sondern positioniert sich damit als elitär Wissender, der über ein normativ besseres Wissen verfügt als die Jugendlichen. Em relativiert zwar auf expliziter Ebene seine Einschätzung zu Repair Cafés im Laufe der Diskussion – nachdem sich herausstellt, dass er sich gar nicht auf Gegenstände bezogen hat, die laut Teilnehmer*innen im Repair Café repariert werden.25 Es bleibt auf impliziter Ebene jedoch sein Geltungsanspruch bestehen, er habe die Deutungshoheit über anzustrebende Aktivitäten und Orientierungen der Gruppe. Im Rahmen der Thematisierung von Klimawandel lässt Em zunächst die Jugendlichen ihre Einschätzungen darstellen. Dann ordnet er diese ein in defizitäre Wissensbestände, jene „in der Bevölkerung“ und in der Gruppe (Z. 209-215). Er bewertet diese aus der Position desjenigen, der in der Lage ist, Wissensbestände zu Klimawandel als richtig oder falsch einzuschätzen. Dabei rekurriert er auf seine Stellung „als angehender Lehrer beziehungsweise als Erwachsener“ (Z. 209): „Ich [habe] da gerade schon so ein paar Sachen mitbekommen, die nicht ganz so in Ordnung sind.“ (Erdbeere, Z. 214/215). Als Schlussfolgerung aus der Einschätzung, dass die Jugendgruppe über defizitäre Wissensbestände verfüge, kündet Em an, in der folgenden Sitzung einen „Fakten-Input“ (Z. 213) durchzuführen. Während auf der Ebene des expliziten Wissens von „Fakten“, „Propaganda“ und „nicht ganz in Ordnung“-Wissen gesprochen wird, generiert die Gruppe das implizite Wissen, dass diejenige Person, die über vermeintlich normativ richtige Wissensbestände verfügt, die Legitimation hat, abweichende Wissensbestände als defizitär zu bezeichnen und „aufzuklären“ (s. 3.3, 4.2).
25 S. Passage „Repair Café“, Z. 365-382. S. Fallbeschreibung Erdbeere im Anhang.
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Da in den anderen Gruppendiskussionen des Greenpeace-Jugendverbands keine Erwachsenen durchgehend anwesend sind, lässt sich infrage stellen, ob der Fall Erdbeere typisch ist. Doch zeigen meine Beobachtungen, dass die JAGs sich stets im Einflussbereich des Dachverbands treffen. Bei zwei Protest-Fällen (Kirsche und Stachelbeere) sind während der Gruppendiskussion Erwachsene in den Nebenräumen anwesend, beim Fall Himbeere interveniert ein Erwachsener zweimal, indem er den Raum betritt, um Gegenstände zu holen, und dabei das Geschehen kommentiert: „Ihr dürft ja auch, ihr dürft ja auch, ihr sollt ja auch diskutieren, wie ihr die Welt rettet. Aber nicht nur diskutieren, umsetzen!“ (Himbeere, Z. 219-221). Der Erwachsene sieht sich demnach in der Position, der Jugendgruppe zu erlauben, zu diskutieren, und sie gleichzeitig zu ermahnen, schnell zur Aktion über zu gehen.26 Die Parallele zu Erdbeere liegt im normativen Geltungsanspruch, mit dem die Erwachsenen der Jugendgruppe mitteilen, was sie zu tun und was zu lassen haben. In beiden Fällen lässt sich argumentieren, dass hier die Protestorientierung aufrecht erhalten werden soll. Auch wenn die Greenpeace-Jugendgruppen sich vereinzelt kritisch gegenüber der thematischen wie strukturellen Einschränkung des Jugendverbands durch den Erwachsenen-Verband äußern (Kirsche und Stachelbeere), gehen sie über eine abstrakte Kritik der bestehenden Verhältnisse nicht hinaus, so dass aus ihrer Kritik keine konkreten Veränderungsprozesse in Bezug auf Organisationsstrukturen erwachsen.27 Drittens: Die Organisationsstrukturen prägen die Praktiken der Gruppe über vorgegebenes Material und damit einhergehende Handlungsvollzüge. Im Rahmen der komparativen Analyse fällt auf, dass sämtliche gestaltungsorientierte Gruppen in den Gruppendiskussionen selbstläufig ihre Aktivitäten thematisieren. Sie setzen diese in Bezug zu den aufwendigen Konzeptions- und Selbstorganisationsprozessen, die einen Großteil der berichteten Aktivitäten des Social Events Organisierens ausmachen. Typisch für die Praktiken der gestaltungsorientierten BUND-Jugendgruppen ist, dass sie Aktivitäten in Verbindung mit Organisations- und Infrastrukturen darstellen (s. 3.3). Es gibt zwar routinierte Veranstaltungen wie das jährliche Jugendumweltfestival, doch da die Verantwortlichen häufig wechseln, kommt es zu keiner Professionalisierung. Ein Großteil der Aktivitäten bzw. Ressourcen ist bei den Gestaltungsraum-Gruppen in Selbstor-
26 Dies entspricht der Ausrichtung des Greenpeace Dachverbands, der sich explizit „Taten statt Warten“ verschrieben hat. Krüger, ehemaliges Führungsmitglied, schreibt, dass vielmehr gemeint sei „Taten statt Worte“ (Krüger 1996: 46), s. 5.2. 27 S. Fallbeschreibung Kirsche und Stachelbeere im Anhang.
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ganisationsprozessen gebunden. Die protestorientierten GreenpeaceJugendgruppen dagegen dethematisieren ihre Aktivitäten jedoch weitgehend bzw. bleiben sehr unspezifisch (s. 3.3).28 In einem protestorientierten Setting, in dem Hierarchien und Organisationsstrukturen dethematisiert werden, erscheint es selbstverständlich, dass die Jugendgruppen an den Aktionen teilnehmen, die gerade an der Tagesordnung sind, d. h. von der Dachorganisation vorgegeben werden, und in diesem Rahmen Aktivitäten durchführen, die zur Praktik des Informierens gehören. In der Praktik des Informierens enthalten sind Material und Infrastrukturen, die kaum explizit thematisiert werden, sich jedoch aus dem Kontext und der Dokumentenanalyse erschließen. Aus einigen Stellen im Material lässt sich rekonstruieren, dass die JAGs ihre Kampagnen mitsamt Flyern, Unterschriftenlisten, Buttons etc. meist nicht selbst erarbeiten und entwerfen, sondern fertige Sets an Kampagnenmaterial von Greenpeace Deutschland erhalten. So sagt die typischeProtestgruppe Kirsche auf meine Frage zu Unterschieden im Vergleich zur BUND-Jugendverband: „Die haben ganz viele Flyer selber geschrieben.“ (Kirsche, Z. 1642). Die folgende komparative Analyse zeigt, dass die unterschiedlichen Organisationsstrukturen der beiden Verbände jeweils Stärken und Schwächen haben. Dabei vergleiche ich die explizite Darstellung und die impliziten Sinnstrukturen zu den Klimaschutz-Aktivitäten, die die protestorientierte Greenpeace-Jugendgruppe Himbeere und die gestaltungsorientierte BUND-Jugendgruppe Paprika dokumentieren. In beiden Fällen handelt es sich um Kampagnen zu Klimaschutz, die spezifische Ausprägungen der Praktik des Informierens sind (3.3). Der deutliche Kontrast zwischen den beiden Varianten der Praktik des Informierens lässt sich auf die Organisationsstrukturen zurückführen. 29 Die ProtestGruppe Himbeere berichtet von einer Aktivität, die sie nicht selbst geplant hat und mit deren Inhalten sie sich kaum beschäftigt hat. Sie dokumentiert zwar erfahrungsbasiertes Wissen, kann jedoch die Zusammenhänge auf der Ebene abstrakten Wissens nicht herstellen, und dass, obwohl die berichtete Aktion erst
28 So sprechen sie von „Aktionen machen“ (Erdbeere) „aufklären“ (Stachelbeere) oder „auf Demos gehen“ (Kirsche). 29 Anders als in der komparativen Analyse zwischen dem Gestaltungsraum-Extremfall Paprika und dem Protest-Extremfall Stachelbeere liegt die Differenz nicht in der normativen Ladung von „informieren“, da die beiden hier verglichenen Gruppen informieren als „Handlungsanschlüsse geben“ und „sich eine Meinung bilden“ verstehen (s. 3.3).
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einige Monate zuvor stattgefunden hat. 30 Der Gestaltungs-Extremfall Paprika weist das andere Extrem auf: Die Gruppe befindet sich (laut Selbstdarstellung) seit mehreren Monaten im Findungsprozess, hat jedoch noch keine Aktionen durchgeführt, da die selbstorganisierte Entwicklung einer Öffentlichkeitskampagne inklusive der Konzeptions-, Planungs- und Organisationsprozesse so aufwendig und langwierig ist. Wie in 2.1.1 dargestellt, verbindet die Gruppe Himbeere meine Nachfrage zu Klimawandel mit einer Aktion, die sie einige Monate zuvor durchgeführt haben. Die Zusammenhänge kann sie jedoch kaum zuordnen: Tm1: „Was war das noch? Ach, genau doch, das die ähm (1) mit so einer Ölplattform. Wir haben doch (.) einmal dafür demonstriert, dass, äh in der Arktis ... zu so einer UNOMeeresschutzzone ähm hier umgebaut, hier eingerichtet wird. Tw1: Ja, damit die da halt nicht mehr nach Öl bohren. Tm1: Ach, das ist ja auch so ein Teil der Sache. Also, damit die Meere nicht mehr verschmutzt werden und die Eisbären überleben und so weiter... hängt ja alles miteinander zusammen.“ (Himbeere, Z. 459-477)
Die Gruppe erinnert sich noch daran, dass es sich um eine Protestaktion gehandelt hat („damit die da nicht mehr“), vermischt die Argumentation gegen Klimawandel jedoch mit ihrem aktuellen Thema, der Plastikverschmutzung in den Meeren. Himbeere setzt das Wissen um die Zusammenhänge als nicht relevant („hängt ja alles irgendwie zusammen“), Details zur Aktivität nennt sie nicht. Selbst die Akteur*innen, gegen die sich die Aktion richtete, werden nur „die“ genannt. Eine vorherige Beschäftigung mit Klimawandel hat nicht stattgefunden, das konjunktive Wissen, das die Gruppe aus der Protestaktion generiert hat, bietet kein Orientierungs- oder Systemwissen. Über zusätzliche Informationen, die ich über die Homepage und eine Analyse der Verbandsstrukturen gesammelt habe, erschließt sich, wie es möglich ist, dass die Gruppe Himbeere einerseits dokumentiert, sich als Gruppe noch nicht mit Klimawandel beschäftigt zu haben und sich als bewertungsunsicher inszeniert (s. 2.1.1), andererseits jedoch (als einzige protestorientierte Gruppe) von Aktivitäten zu Klimawandel berichtet. Auf der Gruppen-Homepage findet sich ein Bericht, dass es sich um eine bundesweite Aktion von Greenpeace handelte, die sich gegen Ölbohrungen in der Arktis und für die Einrichtung einer Meeresschutzzone richtete (Link Nr. 7). Die
30 Seit der Aktion sind neun Monate vergangen. Der Zeitraum erschließt sich über das Datum der Gruppendiskussion und die Datumsangabe zur Aktion auf der Homepage, Verweis Nr. 7.
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Jugendgruppen hatten die Aktion nicht selbst ausgewählt oder vorbereitet und geplant, sondern eine vorstrukturierte Protestaktion mit vorbereitetem Material – einer symbolischen Ölplattform aus Legosteinen, Warnwesten, Plakaten und Flyern – durchgeführt. Die Lego-Öl-Plattform wanderte quer durch Deutschland und wurde von Jugendgruppen in verschiedenen Städten präsentiert, was zu einer hohen öffentlichen Sichtbarkeit führte. Die Organisationsstruktur der Greenpeace-Jugend ermöglicht es, punktuelle Informationsaktivitäten mit dazugehörigem, professionell gestaltetem Material durchzuführen, ohne mit Konzeptions- und Planungsprozessen in Kontakt zu kommen. Für diese Variante der Praktik des Informierens genügt es offenbar, zu wissen, wie eine Protestaktion des international bekannten Umweltverbands abzulaufen hat, Orientierungsoder Systemwissen zum Protestthema spielen eine untergeordnete Rolle und werden auch durch den Vollzug der Praxis nicht vertieft. Der Gestaltungsraum-Fall Paprika weist dagegen umfassendes Orientierungsund Systemwissen zu Klimaschutz auf (s. 2.2, 3.3.). Doch auch für Außenstehende sichtbare Aktivitäten haben sie mit ihrer Öffentlichkeitskampagne noch nicht vollzogen, denn diese werde so gründlich ausgefeilt, dass sie mehrere Monate nach Beginn des Klimaschutzprojekts noch „in den Kinderschuhen“ (Paprika, Z. 48) steckt. Die Gruppe berichtet von vielfältigen Aktivitäten, die sie im Rahmen der Öffentlichkeitskampagne zum städtischen Klimaschutzplan konzipiert und plant (s. 3.3): „Dass wir uns halt verschiedene Wege überlegt haben, wie man das machen könnte, und das ist zum einen, … an einer Art Plakat oder Postkarten (zu) arbeiten ...Dann, dass wir sehr gerne ganz klassisches Straßentheater machen würden und das Thema auch auf die großen Demos in den nächsten Monaten bringen wollen. Zum Beispiel, wenn jetzt Ende November ähm hier in (dieser Stadt) der große Global Climate March ist, wäre das ja auch schön zu sehen: Ja, es gibt dieses große Problem Klimawandel, das ist global, aber wie können wir hier eigentlich hier in (dieser Stadt) ganz konkret damit anfangen?“ (Paprika, Z. 52-60, s. 2.1.1)
Im Mittelpunkt steht die eigene konzeptuelle Arbeit und das Abwägen unterschiedlicher „Wege“, die alle ermöglichen sollen, vom „Problem Klimawandel“ zu Lösungen zu kommen. Paprika verfügt über einen großen Fundus an Expert*innenwissen zu Klimawandel, Klimapolitik und Klimaschutzstrategien sowie Bildungsarbeit, den sie aus ihrem mehrjährigen Umwelt-Engagement sowie Wissensbeständen aus ihren Studienfächern und/oder Arbeitserfahrungen speist (s. 4.2).
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Die hohe Relevantsetzung von Aushandlungs- und Selbstorganisationsprozessen ist verbunden mit einem großen Zeitaufwand, um gemeinsame Positionen zu erarbeiten. Dies betrifft nicht nur den Arbeitskreis, sondern den gesamten konzeptuellen Bereich der BUND-Jugend, der ehrenamtlich von Jugendlichen und jungen Erwachsenen erarbeitet wird. Die Gruppe schreibt diesen Aushandlungsprozessen keinen „großen Impact nach außen“ zu, doch mache es „Spaß“ und trage zur Klärung der Positionierung bei, die der Jugendumweltverband vertrete (Z. 334-352). Wie auch die anderen BUND-Jugendgruppen spricht Paprika von „Wir“, wenn sie die Positionen des Jugendumweltverbands meint. Die Darstellung hat eine selbstironische Konnotation, wenn die Gruppe ihre Positionspapiere als „Pamphlete“ bezeichnet und über den fehlenden „Impact nach außen“ lacht (Z. 343-346).31 An dieser Stelle wird deutlich, wie stark die Organisationsstrukturen die Wissens- und Diskursorganisation der BUND-Jugend prägen. Auf expliziter Ebene zeigt sich eine Verbindung zwischen Aushandlungsprozessen und der Bewertungssicherheit („dass wir uns klar werden, welche Position wir vertreten“, Z. 352). Die impliziten Sinnstrukturen sind geprägt von Aushandlungsprozessen auf Augenhöhe und einem Wir-Gefühl, das mit Freundschaften, „Spaß“ und einer spezifischen Diskussionskultur verbunden ist (s. 3.3).32 Auf der einen Seite steht die Selbstattribution von Wirksamkeit, auf der anderen die geringe Sichtbarkeit des aufwändigen Engagements nach außen.
4.2 SOZIALE MILIEUS GEHEN IN SPEZIFISCHE VARIANTEN VON PROTEST UND GESTALTUNGSRAUM EIN Meine Ergebnisse zu den Orientierungsmustern Protest und Gestaltungsraum lassen sich in weiten Teilen auf andere Umweltgruppen, Klimaaktivist*innen und soziale Bewegungen übertragen (s. 5.2). Jedoch weisen die von mir untersuchten Gruppen milieuspezifische Prägungen auf, die zu spezifischen Ausformungen von Gestaltungsraum und Protest führen. Die Analyse von Milieus liegt quer zu den Orientierungsmustern Protest und Gestaltungsraum, die bei der vorherigen Analyse parallel zur Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Verbänden verlief. In der rekonstruktiven Analyse mit der Dokumentarischen Methode fallen bei Gegenhorizonten und Fallvergleichen einige Kontraste auf, die zu
31 S. Fallbeschreibung im Anhang, vgl. Lay-Kumar 2017b. 32 Diese Diskussionskultur zu erläutern, würde hier den Rahmen sprengen, eine Publikation dazu ist geplant.
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untypischen Konstellationen führen. Ich habe – anders als in repräsentativen Studien – wenige sozio-demographische Daten abgefragt. Da ich im Rahmen meiner explorativen Studie keine Gruppen befragt habe, die stark abweichende Orientierungen und Prägungen aufweisen, lässt sich keine Milieutypik erstellen. Es gibt jedoch einige interessante Hinweise darauf, welche Prägungen eine wesentliche Rolle spielen. Ich stelle im folgenden dar, wie sich erstens die Zugehörigkeit zum Öko-Milieu, zweitens zur (gehobenen) Mittelschicht und drittens zu einem Milieu hoher Bildung auf die spezifischen Ausprägungen von Protest und Gestaltungsraum auswirken. Ich nehme im Folgenden Kontrastierungen und Passagen, die ich bereits in den vergangenen Kapiteln dargestellt habe, wieder auf, betrachte sie jetzt aber unter dem Fokus auf soziale Schichten, die sich rekonstruieren lassen. Erstens rekonstruiere ich die Prägung durch eine Sozialisation im Öko-Milieu. Der Begriff „Öko“ ist eine explizite Selbstzuschreibung, er verweist gleichzeitig auf das sozial-ökologische Milieu (Sinus 2016). Wie bereits in 2.3 dargestellt, weisen zahlreiche Studien der Prägung durch Familie und Herkunftsmilieu eine wesentliche Rolle zu. 33 Meine Ergebnisse bestätigen, dass gerade jüngere Jugendliche sich stark darauf beziehen, was sie von ihren Eltern als „richtig oder falsch“ (s. u.) vermittelt bekommen haben. Die jüngeren Jugendlichen (14-16 Jahre) in meinem Sample finden sich ausschließlich in den Protestgruppen der Greenpeace-Jugend und sind meist kürzer als ein Jahr aktiv. Ich gehe davon aus, dass ihre Orientierungen stärker durch das Elternhaus geprägt sind als bei denjenigen, die über mehrjährige Erfahrungen im konjunktiven Erfahrungsraum der Jugendumweltgruppen verfügen. Gerade innerhalb des Orientierungsmusters Protest fällt ein deutlicher Kontrast zwischen den Fällen Kirsche, Erdbeere und Stachelbeere sowie dem untypischen Fall Himbeere auf. Es lässt sich rekonstruieren, dass unterschiedliche Milieuprägungen den Ausschlag geben für kontrastierende Sinnstrukturen innerhalb des Orientierungsmusters Protest. Wie in 2.0 dargestellt, ist ein wesentliches Spezifikum der Protestorientierung die Herstellung einer Differenz zwischen „Wir und die Gesellschaft“ (Luhmann 1994: 55). Bei den von mir untersuchten typischen Protestgruppen sehe ich einen deutlichen Zusammenhang mit der Relevantsetzung ihres Herkunftsmilieus. Die typischen Protestfälle inszenieren sich als moralisch überlegen und ihr Alltagshan-
33 Vgl. Kromer/Hatwagner 2005, ufu 2009, Kromer 2007, Fischer 2002, s. 1.1.
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deln als makellos.34 Dies geht einher mit einer Gut-Böse-Semantik, in der die Anderen als „ignorant“ und „asozial“ 35 und sie selbst als konsequente ÖkoKämpfer*innen erscheinen. Der untypische Protestfall Himbeere dagegen macht in der Kritik an Alltagspraktiken keine Grenzziehung zwischen dem eigenen und dem Handeln der Anderen auf (s. 3.3). Die typischen Protestfälle gehen davon aus, ihre Wissensbestände und Umweltschutzstrategien seien selbstverständlicherweise die richtigen. In ihrer Inszenierung als Öko-David im Kampf gegen eine Übermacht an Konzernen und ignoranten Anderen findet sich das Selbstverständnis einer kleinen Gruppe an Wissenden, die nicht die Augen verschließen vor den Missständen (s. 2.1.2, 2.2.2). 36 Die protesttypische Praktik des Informierens beinhaltet das implizite Wissen, als elitär Wissende die Anderen zum Umdenken bringen zu wollen (s. 3.3). So überrascht es nicht, dass alle Protestgruppen „Denken“ bzw. „Bewusstsein“ als Werkzeuge für Veränderung eine so große Rolle beimessen. Doch der aufklärerisch-moralische Anspruch der typischen Protestgruppen ergibt sich nur in Kombination mit einem elitären Selbstverständnis, über moralisch richtiges Bewusstsein und Alltagspraktiken zu verfügen. In Fallvergleichen zwischen den Protestgruppen fällt auf, dass die typischen Protestgruppen alle auf „Erziehung“ rekurrieren, wenn es um Veränderungspotentiale geht. Bei den typischen Protestgruppen geht die Thematisierung von Erziehung als Werkzeug für Veränderung einher mit einer stark positiven Inszenierung der eigenen Erziehung. Die drei Gruppen (Kirsche, Erdbeere, Stachelbeere) verweisen in diesem Zusammenhang auf ihr Herkunftsmilieu, in dem es selbstverständlich ist, sich „schon immer für die Umwelt“ (Kirsche) zu interessieren. Sie bezeichnen sich explizit
34 Mit der Thematisierung des Kaufs von bio, fairen und veganen Produkten oder aber dem Verzicht auf Konsum, s. 2.1.2 und 3.0 und Fallbeschreibungen Kirsche, Erdbeere und Stachelbeere. 35 Für eine genauere Analyse der Begriffe und ihrer impliziten Sinngehalte s. Fallbeschreibungen Kirsche, Erdbeere und Stachelbeere im Anhang. 36 Den Anderen sei im Kontrast dazu der drohende Weltuntergang egal, z. B. Kirsche: „Das ist dann immer so als ob den Menschen das so ist: „ja, solange ich lebe … ist noch alles in Ordnung, danach ist, was danach kommt, ist mir dann scheißegal. Ja, @(.)@ nach mir die Sintflut.“ (Z. 643-646). Eine ähnliche Darstellung findet sich auch beim Extremfall Stachelbeere in der Darstellung zu Klimawandel, „der Mensch“ habe „zu viel Gott gespielt“, s. 2.2 und 3.2.
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als „öko“ (Erdbeere, Stachelbeere). 37 Dementsprechend benutze ich „öko“ als Selbstbezeichnung bzw. In-Vivo-Code. Es sind gerade diese drei Gruppen, die die Rolle ihres Elternhauses für die Mitgliedschaft in der Jugendumweltgruppe betonen. Beispielhaft geben Teilnehmer*innen der typischen Protestgruppe Kirsche an: „Bei mir war das so, dass meine Eltern ganz viel auf so Anti-Atomkraft-Demos und sowas unterwegs waren und in dem Zusammenhang mein Vater so als Fördermitglied halt bei Greenpeace gewesen ist und ich das halt spannend fand.“ (Kirsche, Z. 11-13) „Meine Schwester und ihr Mann waren bei Greenpeace und dann dachte ich mir, ich kann auch mal hingehen.“ (Kirsche, Z. 23/24) „Ich habe mich auch schon immer für die Umwelt interessiert.“38 (Kirsche, Z. 25/27)
Der untypische Fall Himbeere dagegen berichtet, ebenso wie die typischen Gestaltungsraumfälle, über Freund*innen oder das Internet zur Gruppe gekommen zu sein.39 Der Einfluss des Peer-Milieus erweist sich bei diesen Fällen als prägend. Dies wirkt sich sowohl auf die Ausrichtung der Praktiken, als auch auf den Grad der Abgrenzung von den Anderen aus. Die typischen Protest-Fälle orientieren sich in ihrer Einschätzung der Lage der Welt, ihrer Protestorientierung sowie dem Selbstverständnis als Öko-Kämpfer*innen stark an ihren Eltern. 40 Beim Extremfall Stachelbeere zieht sich die Inszenierung, in der „Öko-Blase“ zu
37 Beispielhaft zur Selbstverortung als „öko“: „meine Familie ist auch, also das sind halt, ich würde uns schon alle als Ökos bezeichnen“ (Erdbeere, Z. 740); „ich bin auch relativ ökomäßig aufgewachsen“ (Stachelbeere, Z. 15/16) 38 In einer späteren Passage berichtet die teilnehmende Person, ihre Mutter sei Dokumentarfilmerin und habe sie bereits zum Dreh von Dokus mitgenommen, z. B. zu den Konzernpraktiken von Nestlé im Kontext von Trinkwasser in Südafrika. Auch in dieser Passage verweist sie auf ihr – scheinbar bereits immer vorhandenes - Wissen, „das ist doch immer so“ (Z. 1076), in diesem Kontext die Ausbeutung von Menschen in Afrika durch Großkonzerne. Kirsche, Z. 1076-1114. S. Fallbeschreibung im Anhang. 39 Ich schließe damit nicht aus, dass auch Teilnehmer*innen anderer Gruppen Prägungen aus dem Öko-Milieu aufweisen bzw. das Elternhaus eine wesentliche Rolle für das Interesse an Umweltschutz spielt. In den Gruppendiskussionen setzen sie ihr Herkunftsmilieu bzw. die Rolle ihres Elternhauses jedoch nicht relevant. 40 Z. B. Verweis, dass von klein auf mit den Eltern auf Protestdemonstrationen gegen AKWs gewesen zu sein, Diskussionen mit den Eltern geführt zu haben oder auch der Hinweis auf das Elternteil, dass einen Dokumentarfilm zur Aufdeckung von Konzernpraktiken gedreht habe. S. Fallbeschreibung im Anhang.
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leben, im Kontrast zur Welt der Anderen, als Fokussierungsmetapher durch die Gruppendiskussion (Stachelbeere, Z. 131; 257/258, 403/404, 494, 498). Ein Kontakt zu den stark negativ dargestellten Anderen (s. 3.) ist der Darstellung der Gruppe Stachelbeere kaum möglich, da man sich „ein bisschen abgekapselt fühlt, wenn man nicht in seiner Öko-Blase ist“ (Stachelbeere, Z. 494/495). Die typischen Protestgruppen gehen davon aus, dass das normativ richtige Bewusstsein etwas ist, das im Rahmen der Sozialisation bzw. Erziehung erworben wird – im Jugendalter also bereits fest verankert ist – und fortan zu normativ richtigem Handeln führt. „Wenn man nach dem Ansatzpunkt wirklich sucht, wenn es darum geht, um andere moralische Werte oder ein Umdenken oder so, ist es für mich immer so, dass man sagt, man fängt damit mit Kindern an. Man bringt Kindern bei, … was ist moralisch gesehen richtig, was ist falsch, was darf ich, was darf ich nicht …sonst ist es nachher einfach unglaublich schwierig, in einem Menschen so eine Veränderung noch zu bewirken.“ (Kirsche, Z. 1328/1333)
Implizit steht hinter dieser Darstellung das Selbstverständnis der Gruppen: Sie selbst haben eine Schlüsselrolle als diejenigen, die immer schon auf der moralisch richtigen Seite standen. Denn ihrer Darstellung nach verfügen sie von klein auf über die moralisch „richtigen“ Urteile und Wissensbestände. Beim untypischen Protestfall Himbeere fällt diese Logik aus. Feste „Meinungen“ bzw. Bewertungen nimmt die Gruppe nicht als vorgängig zum Engagement an, sondern sie erarbeitet Positionen erst. Eine Gut-Böse-Semantik, in der Problemstellungen und Gegner*innen implizit als bekannt gelten, ist nur schwach vorhanden. Die Gruppe inszeniert sich nicht als elitär Wissende und schon gar nicht als Vorbilder in Bezug auf ihre Alltagspraktiken. Stattdessen inszeniert sie sich als selbstkritisch, der „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ ist die Fokussierungsmetapher, die die Gruppendiskussion rahmt (s. 3.3). Es fehlt Himbeere auch das protesttypische Selbstverständnis, ohnehin auf der Seite „der Guten“ zu stehen, die im Kampf gegen den Zerstörungs-Goliath stehen. Zahlreiche Passagen in der Gruppendiskussion der Himbeere weisen darauf hin, dass die Gruppe sich nicht selbstverständlich dem Öko-Milieu zuordnet. „Meistens kommt man ja auch gar nicht auf solche Jugendgruppen. Also, dass es sie überhaupt gibt. … Und auch wenn man weiß, dass es sie gibt, dann findet man auch nicht direkt einen Anschluss, weil es kann schon beängstigend sein, in eine fremde Gruppe einfach so einzumarschieren, ohne jemanden zu kennen.“ (Himbeere, Z. 93-102).
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Dieser Darstellung nach sind Jugendumweltgruppen nichts, was Bezug zur eigenen Lebenswelt hat, die Verbindung zu den Gruppen ergibt sich eben nicht durch Elternhaus oder Freundeskreis, sondern die Jugendlichen müssen sich aktiv um den Zugang bemühen und eigene Hemmschwellen überwinden. Himbeere geht nicht davon aus, dass „umweltfreundliche“ Alltagspraktiken wie „Wasser sparen“ und „recyclen“ allen bekannt seien, ebenso wenig wie der Zusammenhang zwischen Ressourcennutzung und Umweltverschmutzung (s. 3.2). Informieren bedeutet in dieser Logik, Zusammenhänge sichtbar zu machen und „die Leute zu informieren, damit sie auch selbst sich eine Meinung bilden können“ (Himbeere, Z. 162/163, s 3.2), also Orientierungs- und Systemwissen zu verbreiten bzw. zu reflektieren. Über eine Feinanalyse der Passagen, in denen die Gruppe über Recycling, Wasser sparen und Fleischkonsum spricht, wird deutlich, dass zumindest ein Großteil der Teilnehmer*innen, die sich zu Wort melden, es nicht gewohnt ist, derartige Aktivitäten zu besprechen. Denn sie suchen nach Worten oder korrigieren ihre Darstellung, was von der Gruppe mit Heiterkeit, aber nicht mit Korrekturen aufgenommen wird. Tw3: „Niemand wird jetzt zum Beispiel, nicht jeder würde recyclen, nicht jeder würde Wasser sparen, aber wenn jeder zumindest etwas macht, … dann hilft es ja dann doch (.) viel, als wenn niemand nichts macht.“ (Himbeere, Z. 119) Tw2: „Ich denke, weniger Menschen würden jetzt unbedingt sagen: ‚Ja, ich verzichte komplett auf meine Ernährung‘, aber @so: ‚Ich verzichte komplett auf Fleisch‘@ und so, das ist halt schon so ein großer Schritt. [TN: @5@“ (Himbeere, Z. 200-206)
Die Jugendlichen dokumentieren, dass sie mit unterschiedlichen kulturellen Praktiken im Umgang mit Ressourcen vertraut sind. Es handelt sich um eine diverse, heterogene Gruppe. Einige der Jugendlichen inszenieren sich über ihr Styling als Teil des sozial-ökologischen Jugendmilieus (z.B. knallige Haarfarben), die meisten jedoch nicht. Einige kommen aus der Großstadt, andere aus dem Umland.41 Mehrere Jugendliche weisen einen Migrationshintergrund auf, was ich dadurch erschließe, dass sie während der Gruppendiskussion eine südosteuropäische Sprache miteinander sprechen. Durch die Herkunft aus unterschiedlichen Milieus und viele neue Teilnehmer*innen befindet sich die Gruppe in einem Suchprozess in Bezug auf ihre gemeinsame Identität, eine „Öko-Blase“ baut sich gar nicht erst auf. Obwohl in der Gruppe Himbeere auch Jugendliche
41 S. Fallbeschreibung im Anhang.
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sind, die Expert*innenwissen zu Umweltschutz und Klimawandel dokumentieren (s. 2.1.1, 4.3), entsteht keine Hierarchie in der Form, dass einige Wissensbestände als wertvoller inszeniert werden als andere. Stattdessen ist der Diskursverlauf durch Heiterkeit, Ironisierung und freundschaftlichen Umgangston geprägt.42 Im Kontrast zu den typischen Protestgruppen geht die Himbeere nicht davon aus, dass die normativ richtigen Wissensbestände automatisch zum richtigen Handeln führten. Sie inszenieren den „inneren Schweinehund“ als Hürde, um vom Wissen zum Handeln zu kommen. Verurteilungen der Anderen bleiben aus. Denn in der Logik der Himbeere liegt der Grund dafür, warum sie selbst oder die Anderen nicht stets konsequent umweltfreundlich handeln, nicht in Ignoranz oder Faulheit, sondern in der Schwierigkeit begründet, Alltagsroutinen zu verändern.43 Bleibt die Inszenierung als moralisch überlegene Wissens- und Lebensstil-Elite aus, kommt es zu keiner harten Abgrenzung oder Abwertung der Anderen. Dabei spielt die eigene Erfahrung eine tragende Rolle, dass moralisch aufgeladene Forderungen, das eigene Handeln zu ändern, z. B. sich vegan zu ernähren, nur zu „noch mehr Schuldgefühle[n]“ (Himbeere, Z. 169) führten. Eine moralisch aufgeladene Verurteilung lehnt die Himbeere explizit ab: „Dass das [Reduktion sowie Konsum von Biofleisch] erst mal wichtiger ist, als wenn man gleich sagt: ‚Wenn du nicht irgendwie vegan bist, dann bist du irgendwie ein schlechter Mensch.‘ “ (Himbeere, Z. 265-268). Informieren bedeutet in der Logik der Himbeere nicht, den Anderen normativ geladene Handlungsvorgaben vorzuschreiben, sondern eine Optionenvielfalt bekannt zu machen, ohne zu moralisieren. Auch die typischen Protestgruppen gehen implizit von ihren eigenen Erfahrungen aus, wenn sie „aufklären“ und „erziehen“ als Schlüssel für Veränderung betrachten. Neben einer „ökomäßigen“ Erziehung verweisen sie auf Ereignisse, bei denen sie über die schlechten Dinge auf der Welt aufgeklärt wurden und daraus beschlossen haben, sich zu engagieren.44 Die Protestgruppen explizieren nur in Ausnahmefällen, dass sie zu einem früheren Zeitpunkt Alltagspraktiken
42 S. Fallbeschreibung m Anhang. 43 Ein Großteil der Gruppe gibt selbst an, dass es ihnen nicht gelinge, auf Fleisch zu verzichten. S. Fallbeschreibung im Anhang, Passage „Fleisch essen“. Dies ist ein starker Kontrast zu den anden Protestgruppen, die alle ihre massive Abneigung gegen Fleischkonsum dokumentieren und für vegane Ernährung plädieren. 44 Z. B. berichtet in der typischen Protestgruppe Erdbeere eine Teilnehmerin, ein Film über Klimawandel habe sie zum Engagement in der Jugendumweltgruppe gebracht. S. Fallvorstellung Erdbeere in 3.1.
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ausgeübt haben, die sie heute kritisieren, z. B. Fleisch konsumiert zu haben.45 Es lässt sich jedoch rekonstruieren, dass durch Praktiken des Informierens bzw. Aufklärens innerhalb des Erfahrungsraums Jugendumweltgruppe die Teilnehmer*innen ihre Alltagspraktiken verändern, (ihrer Logik nach) von normativ gut zu vorbildlich, z. B. von vegetarischer zu veganer Ernährung.46 So berichtet die typische Protestgruppe Kirsche im Postskript: „In der Gruppe sind so ziemlich alle vegan, das ist sowas wie ein positiver Gruppendruck.“ Im konjunktiven Wissen der typischen Protestgruppen ist die Erfahrung enthalten, dass Erziehung und Aufklärung sie zu dem Bewusstsein und Handeln geführt hat, das sie für normativ richtig halten. Sie leiten aus ihrem Selbstverständnis als ÖkoKämpfer*innen, die auf der normativ richtigen Seite stehen, die Legitimation ab, die Anderen auf den vermeintlich richtigen Weg zu bringen oder sie zu erziehen. Die Praktik des Informierens nimmt dann die fast religiös geladene Bedeutung an, die Anderen durch „aufklären“ und „Augen öffnen“ zum normativ richtigen Denken zu bringen oder gar zwingen (s. 3.2). Beim Protestfall Erdbeere kommen eine autoritäre Wissensvermittlung (s. 4.1) und ein elitäres Selbstverständnis zusammen. Der stets anwesende Erwachsene inszeniert sich in der Rolle des Erziehungsberechtigten, indem er sich als Träger normativ richtigen Wissens darstellt, das ihn dieser Logik nach legitimiert, die Darstellungen der Jugendlichen zu bewerten und zu korrigieren. Em beschreibt sich nicht nur als „Ansprechpartner“, der hierarchisch strukturierten Wissenstransfer anleitet, sondern betont, dass er „als angehender Lehrer“ auch die Legitimation – und sogar Verpflichtung – habe, „Kinder“ zu erziehen. „Du bist als Lehrer heutzutage in der Pflicht, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern die Kinder auch zu erziehen.“ (Erdbeere, Z. 691/92). Auch in der Jugendumweltgruppe strebt Em an, die Jugendlichen zu den Orientierungen zu erziehen, die er für normativ richtig hält. Die Jugendgruppe dokumentiert ein ähnliches Verständnis ihrer eigenen Rolle: Sie weist dem „richtigen Wissen“ (Z. 691) einen hohen Stellenwert zu, mithilfe dessen sie die Anderen aufklären wollen: „Ich bin
45 Z. B. berichtet in der typischen Protestgruppe Kirsche der Teilnehmer Tm1 davon, früher Fleisch in den Schnellrestaurants gegessen zu haben, die die Gruppe gerade kritisiert. Die Gruppe geht jedoch nicht auf diese Darstellung ein, dementsprechend führt sie nicht zu einem weniger harten Blick auf die Anderen. S. Fallbeschreibung im Anhang. 46 Z. B. in der Gruppe Kirsche betont eine Teilnehmerin in der Vorstellungsrunde, bereits Vegetarierin gewesen zu sein, als sie zur Gruppe kam. S. Fallbeschreibung im Anhang.
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auch irgendwie hier, um so zu zeigen … den Leuten, dass sie irgendwie ihre Welt kaputt machen.“ (Erdbeere , Z. 252-254). Typisch für das elitäre Selbstverständnis der typischen Protestgruppen ist, dass sie ihre Wissensbestände nicht reflektieren und Wissensquellen nicht explizieren, im Kontrast zum untypischen Protestfall Himbeere und den typischen Gestaltungsraumfällen. So rekurrieren sie in Bezug auf Klimawandel völlig unkritisch auf Bilder aus dem Fernsehen, während sie sich ansonsten medien- und systemkritisch inszenieren. Die typischen Protestgruppen inszenieren sich dabei als Träger*innen von unbequemen, elitären Wissen oder sogar Geheimwissen, das sie im Verständnis, eine Gegenöffentlichkeit zu bilden, über Informationskampagnen „unter die Leute“ bringen und damit ein Umdenken einleiten.47 Würden die Anderen sich nur von ihnen informieren, aufklären und erziehen lassen und daraufhin zum normativ richtigen Handeln wechseln, so könnte die Zerstörung der Welt vielleicht doch noch aufgehalten werden. Im Sinnbild der David-Goliath-Metapher gesprochen, ist die Waffe von Öko-David zunächst das richtige Bewusstsein, mit der er die Funktionslogik von Goliath zerstören könnte. Inwiefern die eigenen Darstellungen und Prioritäten für Umweltschutzhandeln von den eigenen Interessen geprägt sind, d.h. die Standortgebundenheit des eigenen Wissens und der gewählten Strategien, dethematisieren die typischen Protestgruppen. Ich führe dies darauf zurück, dass sie sich auf der Seite des moralisch guten Öko-Davids verorten und damit vermeintlich über Zweifel und Rechtfertigungen erhaben sind. Dies führt zu blinden Flecken, die sich zum einen über einen Mittelschichtbias
47 Dies reicht vom Ausbleiben von Informationen über Produktionsbedingungen bis hin zu Verschwörungstheorien. Z. B. bei Stachelbeere die Kritik an fehlenden Informationen: „Es gibt einfach zu wenig Informationen darüber [Herstellungsmodi und Inhaltsstoffe von Produkten]. … Ich finde, dass auch viele, ja, sage ich mal, die bösen, bösen Medien einfach nicht transparent genug sind in solchen Dingen. … Die Politik, die Firmen, alle!“ (Stachelbeere, Z. 289-293). Z. B. bei Kirsche die Darstellung, dass „Umweltaktivisten“ oder Entdecker*innen umweltfreundlicher Technologien „einfach umgebracht“ würden: „Was ich auch mal so mitgekriegt habe, so dass es oft, ob es jetzt Umweltaktivisten sind oder Leute, die irgendwas Krasses entwickeln … einer, der hat ein Auto entwickelt, was komplett ähm umweltfreundlich ist und der war einfach einen Monat, … nachdem er das veröffentlichen wollte, war er einfach tot, ähm der wurde umgebracht. Und das wird dann so von den Leuten unter den Tisch gekehrt, davon hört man nichts in den Nachrichten, sondern diese Leute sind dann einfach tot, weil … das würde natürlich den ganzen Leuten schaden, und die werden einfach umgebracht.“ (Kirsche, Z. 784-797). Zu Verschwörungstheorien s. Passage „Krebs“ in Kirsche, s. Fallbeschreibung im Anhang.
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erklären lassen (s. u.), zum anderen über eigene Präferenzen, was Umweltschutzstrategien angeht. Beim Protestfall Kirsche fällt auf, dass er dazu tendiert, Umweltschutzstrategien mit zweierlei Maß messen: Während die Jugendlichen von den Anderen Einsicht und Konsumverzicht fordern, insbesondere in Bezug auf Kleiderkonsum und den Boykott von zahlreichen Unternehmen, problematisieren sie z. B. ihre eigenen Alltagspraktiken nicht, sondern stellen sich als Elite des Konsumverzichts dar. Mobilität, auch ein potentielles Umweltschutz- und Reduktionsthema, dethematisiert die Gruppe. So berichten zwei Teilnehmer*innen von Auslandsaufenthalten außerhalb des europäischen Festlands, die sie vermutlich mithilfe von (Fern-)Flügen absolviert haben. Auch berichtet eine Teilnehmerin in einem Nebensatz davon, dass sie mit einem Elternteil im Auto unterwegs war, während der Fokus auf expliziter Ebene auf dem Protest gegen die schlimmen Dinge liegt, mit der Darstellung „die Menschen bauen so viel Scheiße“: „Ich war mit dem Auto unterwegs mit meinem Vater zusammen, wir haben Autoradio gehört und es war einfach so eine Nachrichtensendung, … wo ich einfach so dachte, … scheiße, die Welt geht unter, es ist alles so sinnfrei und … die Menschen bauen so viel Scheiße, was soll man als Einzelner dagegen tun.“ (Kirsche, Z. 488-496).
Während die Alltagspraktiken der Anderen als Teil der Sintflut betrachtet werden, die die Welt in den Untergang treibt (s. 2.1.2), steht das eigene Alltagshandeln scheinbar in keiner Verbindung dazu. Diese spezifische Deutungsfigur schreibe ich einer Prägung zu, die sich auf die Herkunft aus dem Öko-Milieu bezieht. Ob auf materieller Ebene ein umweltfreundlicheres Alltagstagshandeln – im Sinne eines wesentlich geringeren Ressourcenverbrauchs bzw. Emissionen – vorliegt, spielt zumindest für die von mir untersuchten typischen Protestgruppen eine Rolle. Die Überzeugung, über ein moralisch besseres Gewissen und das normativ richtige Wissen zu verfügen, genügt für den Anspruch, die Anderen aufzuklären und zur Besserung aufzurufen. Im Rahmen des Orientierungsmuster Gestaltungsraum spielt der Verweis auf das Herkunftsmilieu eine untergeordnete Rolle. Gestaltungsraumfälle inszenieren zu einem bestimmten Grad ein elitäres Selbstverständnis, indem sie davon ausgehen, bei der Gestaltung einer besseren Welt pionierhaft voranzugehen. Im Kontrast zu den typischen Protestgruppen verorten sie das, was sie als Avantgarde auszeichnet, nicht auf der Ebene des (moralisch besseren) Bewusstseins, sondern auf der Ebene der Praktiken, die zur Gestaltung einer besseren Welt beitragen sollen. Die Gestaltungsraumgruppen beziehen sich stark auf den kon-
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junktiven Erfahrungsraum des BUND-Jugendumweltverbands, aus dem sie ein ausgeprägtes Wir-Gefühl beziehen (s. 3.1, 3.3, 4.1). Sie stellen die Gruppe als Schutzraum dar, der mit dem sozial-ökologisch geprägten Jugendmilieu korrespondiert. Ihrer Darstellung nach entspricht dies jedoch nicht ihrem Herkunftsmilieu. So stellt der typische Gestaltungsraumfall Tomate dar, sich die BUNDJugend als Bezugsgruppe gewählt zu haben („Ich habe da meine Gruppe, wo ich hin kann“, Z. 213), im Kontrast dazu, dass sie an ihrem Herkunftsort mit ihren Orientierungen abgesondert gewesen seien.48 Tomate betont, eine harte Abgrenzung zu den Anderen ermögliche keine umfassende Veränderung. Die Gruppe bewertet es als positiv, dass der Jugendumweltverband Schutzräume und Halbinseln biete, doch um Veränderung zu bewirken, sei es wesentlich, „Connections zu den anderen zu ziehen“ (Tomate, Z. 569). Der Extremfall Paprika inszeniert eine Distanz zu ideologischen Positionen oder ökomilieutypischen Distinktionspraktiken. Eine Hürde für ihr Engagement sei im Vorfeld gewesen, dass sie befürchtet hätten, nicht den normativen Ansprüchen anderer Umweltaktivist*innen zu entsprechen, sei es aufgrund fehlender Wissensbestände, „falscher“ Kleidung oder der Nutzung eines iPhones (Z. 98-161). Sie betonen, dass sie eine gesamtgesellschaftliche Transformation anstreben, für die politische Partizipation wichtiger sei als „hundert Prozent perfekt(e)“ Alltagspraktiken (Z. 100). Ein zu hoher moralischer Anspruch an sich und andere führe nur zu Überforderung und Frustration.49 Nur der untypische Gestaltungsraumfall Kürbis verweist explizit auf die Herkunft aus dem Öko-Milieu. Die Mehrzahl der Teilnehmer*innen berichtet, von ihren Eltern bei Kinder- oder Jugendfreizeiten des regionalen BUNDJugendverbands angemeldet worden und so zum Engagement gekommen zu sein. Diese Gruppe weist, ebenso wie die typischen Protestgruppen, eine starke Abgrenzung von den Anderen ab, die die Gruppe mit dem Begriff „Mainstream“ belegt: „Es kommt schon viel Gegenwind vom Mainstream.“ (Kürbis, Z. 371). Zwar inszenieren sie sich als „offen für alle“ (Z. 255). Jedoch zeigt sich, dass sich dies vor allem auf „offen für schräge Vögel“ (Z. 291) bezieht, also auf Umweltinteressierte, die nach Zugehörigkeit suchen. Die relativ starke Abgren-
48 Tw1: „Weil ich aus so einem Kaff komme, wo Politik ein Fremdwort ist.“, Tm1: „Da schließe ich mich an.“, Tw1: „Wo ich eigentlich schon seit zehn Jahren tot sein sollte, weil ich schon seit zehn, elf Jahren kein Fleisch mehr esse.“ (Tomate, Z. 117-123). 49 Dabei kritisieren sie explizit Positionen, wie sie vom extremen Protestfall Stachelbeere vertreten werden, und die den „kollektiven Selbstmord“ als Lösung stilisieren. „Am umweltfreundlichsten wäre es, wenn ich mich gleich erschieße.“ (Paprika, Z. 106/107).
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zung von den Anderen lässt sich ein Stück weit damit begründen, dass die Gruppe Kürbis sich in einem spezifischen Setting bewegt. Ihrer Darstellung nach lebt ein Großteil der Teilnehmenden an einem Wohnort, an dem ein extrem wohlhabendes und statusorientiertes Milieu dominiert (s. u.). Von diesem Milieu grenzen sie sich ab, indem sie den Fokus von Umweltschutz auf die Gestaltung alternativer, suffizienzorientierter Alltagspraktiken legen, z. B. gemeinsames Kochen, Gärtnern oder Reparieren (s. 5.2).50 Zweitens: Obwohl ich soziale Schicht nicht explizit abgefragt habe, geben die Gruppendiskussionen deutliche Hinweise darauf, dass die Jugendlichen Teil der Mittelschicht sind und größtenteils eher der oberen als der unteren Mittelschicht angehören. So thematisieren sie eher nebenbei Auslandsaufenthalte bzw. Schüleraustausch in Südafrika und Irland (Kirsche) oder nennen als Wohnort einen der wohlhabendsten Bezirke Deutschlands (Kürbis). In einer Gruppe (Erdbeere) gibt die Hälfte der Teilnehmer*innen an, Privatschulen zu besuchen. Ein Hinweis auf die Zugehörigkeit zur Mittelschicht ist, dass die Jugendlichen häufig den Anspruch dokumentieren, sich ausschließlich von Bio-Lebensmitteln und vegan zu ernähren.51 Der deutlichste Hinweis auf Privilegierung ist jedoch die Dethematisierung der Dimensionen Privilegierung und Deprivilegierung. Die spezifischen Ausprägungen von Protest und Gestaltungsraum bei den von mir untersuchten Jugendgruppen verweisen auf ein eher wohlhabendes Milieu. Dies zeigt sich sowohl in der Problemdarstellung, als auch darin, auf welcher Ebene die Jugendgruppen Lösungen verorten.52 Beim Orientierungsmuster Protest ist die Verantwortungszuschreibung an die Anderen besonders ausgeprägt. Die typischen Protest-Fälle fordern von den Anderen, konkrete Konsumstrategien zu unterlassen und andere zu wählen. Dabei geht es v. a. um den Boykott von Unternehmen, Konsumverzicht oder den Kauf von bio-fairen Produkten (s. 2.1.2, 2.2.2, 3.0, 3.2): „Ich sehe nicht ein, … Sachen (zu) kaufen, ... die halt einmal um die Welt geflogen sind, … das finde ich irgendwie asozial, das brauche ich nicht. ... Ich zahle dann halt lieber irgendwie das Doppelte, egal was es jetzt ist ... und habe dann dafür ein besseres Gewissen.“ (Kirsche, Z. 69-83)
50 S. Fallbeschreibung Kürbis im Anhang. 51 Dies betrifft Kirsche, Erdbeere und Gurke. 52 In der (umwelt)psychologischen Forschung findet sich für diese verengte Problemund Lösungssicht der Begriff des Mittelschichtsbias. Kiesl. 2014: 349f.
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Die Protest-Fälle dethematisieren jedoch weitgehend, dass die Voraussetzung für die Wahlfreiheit, solche Produkte zu kaufen, auch eine Frage der finanziellen Ressourcen bzw. Privilegien ist. Die typische Protestgruppe Erdbeere empört sich über weite Teile der Gruppendiskussion, die Anderen wollten nur billige Produkte kaufen bzw. orientierten sich an Statuskonsum, z. B. neuen Handys. Erst die Teilnehmerin Tw6, die durch ihre Gestaltungsorientierung für Kontroversen sorgt (s. 3.1), stößt eine Reflexion der privilegierten Position der Gruppe an: „Bei Konzernen gebe ich dir Recht [diese zu verurteilen], aber nicht bei Normalverbrauchern. Wir haben alle ganz gut Geld, aber nicht alle. Ich glaube, wir sind da schon in so einer Art Luxusstellung.“ (Erdbeere , Z. 681-681). Damit verweist sie implizit auf das Gruppensetting, eine Gruppenstunde mit veganem Picknick in den Räumlichkeiten einer ökologisch orientierten Privatschule, das den Anspruch, nur die normativ richtigen Produkte zu konsumieren, auf der Handlungsebene umsetzt. Daraufhin meldet sich die – ansonsten zurückhaltende – Teilnehmerin Tw3 zu Wort und weist darauf hin, dass die Frage nach dem Konsum von „Bio-Essen“ eben nicht nur eine Frage des Bewusstseins oder der normativ richtigen Orientierung sei, sondern auch eine Frage der finanziellen Ressourcen bzw. der sozialen Schicht, in der man sich wiederfinde. Sie verweist auf ihre eigene Herkunft aus einer weniger privilegierten Schicht: „Meine Mama ist Krankenschwester und mein Dad ist Elektriker, also meine Mama hat Hauptschulabschluss und mein Vater Realschule. Die verdienen nichts. Also, wirklich echt wenig und arbeiten auch wirklich viel und dann (.) wir kaufen schon Bio, aber es ist dann halt schon so, dass da wirklich fast das komplette [Einkommen] drauf geht. … Mit dem Bio-Essen, also ich finde es schon wichtig, aber es ist für manche Leute auch echt vom Preis her schwierig.“ (Erdbeere , Z. 715-725)
Es geht also nicht nur darum, den Kauf von Bio-Produkten als normativ richtig zu beurteilen, sondern auch um die finanziellen Ressourcen. Der ausschließliche Konsum von Bio-Produkten, der den anderen Gruppenmitgliedern selbstverständlich erscheint, impliziert in dieser Darstellung große Einschnitte. Diese Teilnehmerin hat auch im Blick, dass der von der Gruppe geforderte ethisch korrekte Konsum von bio-fairen Produkten „ein Geldproblem“ (Z. 730) darstellt. Die anderen Teilnehmer*innen von Erdbeere übergehen die in dieser Darstellung enthaltende Kritik daran, das normativ richtige Handeln allein an Bewusstsein zu koppeln. Denn für sie bleiben finanzielle Limitationen abstrakt, sie können es nicht an ihr erfahrungsbasiertes Wissen ankoppeln. Diese Dethematisierung von schichtgebundenen Limitationen ist ein deutlicher Hinweis auf den privilegierten Standort des Protest-Falls Erdbeere. Auch wenn die typischen
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Protestgruppen sich systemkritisch darstellen und „dem Kapitalismus“ den Kampf ansagen, ist soziale Gerechtigkeit – und damit die Reflexion ihrer wohlstandsgesprägten Standortgebundenheit – für sie kein Thema. Dies zeigt sich z. B. darin, wie der typische Protestfall Kirsche soziale Folgen von Klimawandel thematisiert: Er empört sich ausführlich über Klimawandel als ökologische Katastrophe, z. B. den Verlust von Biodiversität am Beispiel des Great Barrier Riffs. Nur in einem Satz erwähnt er gesellschaftliche Folgen für „die Leute“ (s. 2.1.2). Ein genauerer Blick auf die Darstellung zeigt, dass Kirsche unter „die Leute“ eine heterogene Gruppe fasst, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie mit Merkmalen belegt sind, die sie von der Jugendgruppe unterscheiden. „Dinge werden überflutet ... im normalen Alltag denkt man gar nicht so viel drüber nach, weil (.) wir merken es nicht, aber die Leute in den in, in ja, im Süden oder Leute, die am Meer wohnen oder Leute, die weniger Geld haben oder wo anders leben, ähm die merken das halt.“ (Kirsche, Z. 547-553)
Kirsche unternimmt keinerlei Versuch einer Perspektivübernahme, wie die Perspektive der „Leute im Süden“ auf Klimaschutz oder auf die eigenen Aktivitäten aussehen könnte (s. 5.2). Eine verschärfte Standortblindheit dokumentiert der extreme Protestfall Stachelbeere, der in Bezug auf Klimaschutz den eigenen privilegierte Standort und die eigene Handlungsmacht unterschlägt: „Ich glaube, dass man auch (.) nicht als Land an sich etwas bewegen kann, sondern dass da wirklich die gesamte Menschheit da irgendwas tun muss.“ (Stachelbeere, Z. 208212).Mit dieser Darstellung macht die Gruppe unsichtbar, dass die Ausgangspositionen für Klimaschutz für unterschiedliche Länder sehr weit auseinander gehen: Weder ist die „gesamte Menschheit“ gleichermaßen an der Verursachung von Klimawandel, in Form von Landnutzung und Emissionen, beteiligt, noch haben die Individuen die gleiche Handlungsmacht in Bezug auf politische Partizipation und individuelle Konsumentscheidungen (s. 1.3). Dies wird besonders deutlich in der Kontrastierung mit dem extremen Gestaltungsraumfall Paprika, der Klimagerechtigkeit und unterschiedliche Klimaschutzstrategien für den globalen Süden und Norden thematisiert, sich gedankenexperimentell in die Lebenswelt von Menschen hineinversetzt, die unter prekären Bedingungen zunächst ihre Existenz sichern müssen und reflektiert, inwiefern sie selbst als „elitäre europäische Klimaschutzbewegung“ erscheinen (Paprika, Z. 418-440). Insgesamt weisen die Gestaltungsraumfälle auch die Prägung durch ein eher wohlhabendes Milieu auf, dass ihnen erlaubt, mit alternativen bzw. nachhaltigen Alltagspraktiken zu experimentieren (s. 5.3). Jedoch reflektieren alle Gestaltungsraumfälle darüber, dass sich „nicht jeder“ einen Konsumstil leisten kann,
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der an „bio und fair“ orientiert ist.53 Der untypische Fall Kürbis problematisiert darüber hinaus, dass die Zugehörigkeit zu einem wohlhabenden Milieu Deutungsfiguren von Umwelt überformt: „Es ist auch interessant, wie verschieden die Bilder von Umwelt sind und was man für die Umwelt tun kann. … Unser [Land-]Kreis ist … [bundesweit] der zweitreichste …, wo dann die Kinder auch mit dem SUV zur Waldorfschule gefahren werden … in vielen Köpfen ist ja eigentlich, Waldorf, das sind ja so die Ökos … In anderen Kreisen oder bei anderen Waldorfschulen würde sich das keiner erlauben, mit dem SUV zu kommen, aber bei uns ist das halt °ganz normal°.“ (Kürbis, Z. 347-355)
Die starke Abgrenzung vom „Mainstream“, den der untypische Gestaltungsraumfalls Kürbis dokumentiert, erweist sich als Antwort auf die Alltagspraktiken des wohlhabenden Milieus, das ihre Lebenswelt prägt.54 Die typischen Gestaltungsraumfälle Tomate und Gurke berichten ihre Aktivitäten im Rahmen von Settings, die „umsonst und draußen“ (Untertitel des Jugendumweltfestivals) sind bzw. bevorzugen Praktiken, die ihrer „Utopie geldfreier“ (Tomate, Z. 272) entsprechen. Damit wird deutlich, dass die Prägung durch ein eher wohlhabendes Milieu bei den von mir untersuchten Gruppen nicht zwangsläufig zur Standortblindheit führt, im Fall der Protestorientierung jedoch häufig, da eine Reflexion der eigenen Deutungen und Prioritäten für Umweltschutzpraktiken ausbleibt. Gerade in der Verschränkung einer Prägung durch das Öko-Milieu und der Zugehörigkeit zu einem privilegierten Milieu führt die Protestorientierung zu einer stark verengten Perspektive. Dies zeigt der Protest-Fall Kirsche, in dem eine der Wortführerinnen, Tw6, sich über die „scheinheiligen“ Praktiken eines transnationalen Konzerns empört. Sie bewegt sich innerhalb der protesttypischen Orientierung, sich auf die schlechten Dinge in der Welt zu fokussieren, die Verantwortung der Anderen anzumahnen und „die Verbrechen der Konzerne“ (s. 2.0) anzuprangern. Tw6 berichtet von einem dreimonatigen Auslandsaufenthalt in einem Land auf dem afrikanischen Kontinent. Dort habe sie einen Elternteil
53 Dieses Motiv zieht sich durch alle Gruppendiskussionen der Gestaltungsraumgruppen und wird häufig mit kurzen Kontroversen verhandelt, in denen die Teilnehmer*innen unterschiedliche Perspektiven ergänzend thematisieren. S. Fallbeschreibungen Tomate, Gurke, Kürbis, Paprika. 54 Mehrere Mitglieder berichten, aus einem sehr wohlhabenden Landkreis zu stammen, wo „im Durchschnitt jeder zwei riesige Autos hat. Der Speckgürtel von [nahegelegene Großstadt].“ (Kürbis, Z. 339-341)
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begleitet, der einen Dokumentarfilm gemacht habe über die skandalösen Praktiken eines Großkonzerns. Sie berichtet von den Konzernpraktiken, von der Enteignung von Dorfgemeinschaften und der Frechheit, dass der Konzern sich mithilfe von Greenwashing – dem Verkauf von Wasserflaschen an enteignete Süßwasseranrainer – auch noch als „die Guten“ darstellten.55 Was Tw6 dethematisiert, ist, wie ihr Auslandsaufenthalt inklusive Langstreckenflug zu der Forderung nach radikalem Verzicht auf umweltschädliche Konsumpraktiken passt. So radikal die Gruppe im ersten Teil der Gruppendiskussion eingefordert hat, Individuen müssten die Verantwortung für ihre Konsumpraktiken (dort im Kontext von Kleider- und Lebensmittelkonsum) übernehmen, so wenig überträgt sie diese Forderung auf die eigenen selbstverständlichen, vom Elternhaus geprägten Lebensstile (vor allem Mobilität). Die eigenen Deutungen und Routinen werden in der typischen Protestorientierung kaum der Reflexion unterzogen, statt dessen herrscht eine Gut-Böse-Schematisierung vor, in der immer die Anderen schuld an den schlechten Dingen in der Welt sind. Drittens: Der Einfluss des Bildungsmilieus zieht sich durch alle Fälle. Wie in 2.3 dargestellt, lassen sich die von mir befragten Gruppen einem Milieu hoher bis sehr hoher Bildung zuordnen. Während fast alle Teilnehmer*innen das Abitur anstreben, haben 6% die Schullaufbahn verkürzt, 12 % studieren.56 Da ich keine Gruppen aus anderen Bildungsmilieus befragt habe, fällt ein Vergleich innerhalb meiner Erhebung aus. Im Vergleich zu anderen Aktivitäten von Jugendumweltgruppen bzw. Jugendklimanetzwerken (s. 5.) fällt auf, dass die von mir untersuchten Gruppen der Erörterung von abstrakten Problemstellungen eine zentrale Rolle zuweisen. Dies gilt für die Problemanalyse der schlechten Dinge auf der Welt im Rahmen der Protestorientierung, ebenso wie für die Gestaltungsorientierung, die die Gruppen zu einem großen Teil mit akademischen Konzepten für eine bessere Welt füllen. Durch einen Vergleich mit der Jugendstudie von Asbrand (2009) lassen sich diese Ergebnisse klar als bildungsmilieuspezifisch erkennen (vgl. 1.1). Asbrand stellt in ihrer Bildungsmilieutypik folgende Charakteristika für das gymnasiale Bildungsmilieu dar: Einen „theoretisierenden Weltzugang“, bei dem „gedankenexperimentelle theoretisierende Diskurse ohne konkrete praktische Konsequenzen“ im Zentrum stehen (Asbrand 2009: 172). Dieser gehe mit einem „intellektuellen Aktionismus“ einher (As-
55 Die Gruppe führt stattdessen fort, sich über die Praktiken von Konzerngiganten und die Scheinheiligkeit im Rahmen von Greenwashing zu empören (Z. 1062-1131). S. Fallbeschreibung im Anhang. 56 Das sind 6 von 49 Teilnehmer*innen und die Hälfte derjenigen, die bereits Abitur hat.
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brand 2009: 173f; 181ff). Asbrand kommt zu dem Schluss, dass bei den außerschulisch aktiven, gymnasial geprägten Gruppen der rein theoretisierende Weltzugang abgeschwächt ist im Vergleich zu Schulgruppen. Denn durch die „aktionistische Praxis“ komme konjunktives Wissen hinzu, das eine „erfahrungsbasierte Annäherung“ an Problemstellungen ermögliche (Asbrand 2009: 181f). Auf meine Protest- und Gestaltungsraumfälle lässt sich dies folgendermaßen übertragen: Die zentralen Themen, um die Protest- und Gestaltungsorientierung kreisen, die schlechten Dinge auf der Welt und die Gestaltung einer besseren Welt, erarbeiten die Fälle weitgehend theoretisierend, durch gedankenexperimentelle Darstellungen und Verweise auf abstrakte Problemstellungen oder Lösungsansätze (s. 2 und 3.). In der Kontrastierung zwischen den Orientierungen Protest und Gestaltungsraum fällt auf, dass die Protestfälle ihren Zugang zu den Themen Klimawandel und Umweltzerstörung über Theoretisieren erschließen, z. B. indem sie sich auf Medienberichte über Klimawandel beziehen und daraus eine Einschätzung ableiten. Auf ihre Lebenswelt rekurrieren sie nur, um beispielhaft die Ignoranz der Anderen darzustellen, und damit die Abgrenzung „Wir oder die Gesellschaft“ und eine Dynamik der Empörung zu verstärken. Der fehlende Bezug zur aktionistischen Praxis lässt sich mit Asbrand damit begründen, dass praktische Aktionen für gymnasial geprägte Gruppen einen geringen Stellenwert haben. Verstärkt wird dies jedoch durch die geringe Menge an erfahrungsbasiertem Wissen, das einer aktionistischen Praxis entspringt. Denn bei den Protestgruppen handelt es sich um Gruppen, in denen die Mehrheit der Teilnehmer*innen erst seit wenigen Monaten aktiv ist (s. Tab. 3). Der gemeinsame konjunktive Erfahrungsraum konstituiert sich also weniger aus gemeinsamen Aktionen im Sinne der Praxis des Informierens, sondern aus dem Theoretisieren über die schlechten Dinge auf der Welt. Die Gestaltungsraumfälle erarbeiten die Gestaltung einer besseren Welt auch in großen Teilen theoretisierend. Dabei beziehen sie sich jedoch häufig auf ihre aktionistische Praxis, die sie beispielhaft für die Konkretisierung der Gestaltung einer besseren Welt heranziehen. Z. B. kommt der typische Gestaltungsraumfall Tomate von der Thematisierung der „Utopien geldfreier“ zu ihrer Erfahrung im Organisieren eines geldfreien Festivals und der Einrichtung von „Umsonstecken“ (s. 3.3). Zur Praktik des Social Events Organisierens gehört sowohl der Austausch darüber, wie solche Experimentierflächen geschaffen werden können (im Sinne von best practice), als auch das konkrete Aufbauen von Material. Der Bezug zur eigenen Lebenswelt dient somit der Herstellung einer Stimmung der Hoffnung, die einhergeht mit dem Reden über die Verbreitung solcher Projekte, die die „Utopie geldfreier“ enthalten. Von dort aus geht die Gruppe Tomate zurück auf die Ebene des Theoretisierens. Die Unterschiede darin, ob ein theoretisierender Weltzugang durch kon-
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junktives Wissen aus der aktionistischen Praxis ergänzt wird, sind also im Rahmen des gleichen Bildungsmilieus darauf zurückzuführen, wieviel gemeinsame aktionistische Erfahrung die Jugendgruppen bereits gesammelt haben. In meinen Gruppendiskussionen gibt es über die typischen Wissensformen hinaus, die Jugendliche im Gymnasialkontext lernen, auch einen Einfluss von wissenschaftlich-akademischem Wissen und Weltzugängen. Dieser wird von den Teilnehmer*innen eingebracht, die bereits studieren. In fünf der acht Gruppen sind Studierende anwesend, in drei Diskussionen spielen akademische Wissensbestände eine große Rolle (Himbeere, Paprika, Gurke). Meine Ergebnisse lassen keinen einheitlichen Schluss zu, ob akademisch geprägtes Orientierungsund Systemwissen bei Jugendumweltgruppen zu mehr Bewertungs- und Handlungssicherheit führt (Paprika, 2.2.1) oder eher zu Bewertungs- und Handlungsunsicherheit (Himbeere, 2.1.1.). Denn dies hängt davon ab, ob die Gruppenmitglieder dieses Wissen teilen oder es von einzelnen in die Gruppe getragen wird. Noch entscheidender ist, ob das akademische Wissen sich ausschließlich auf Problemsichten bezieht oder auch auf Handlungsoptionen. Also: Ob es Bezug zu den eigenen Praktiken hat oder den Blick von der eigenen Handlungsmacht weg lenkt (s. 6.). Die Rekonstruktion von Strukturen und Milieus zeigt, in Bezug auf welche Dimensionen die Orientierungen der von mir untersuchen Jugendgruppen typisch sind: Typisch für hierarchische oder selbstorganisierte Organisationsstrukturen, jugendtypisch durch den Einfluss einer Sozialisation im Öko-Milieu, typisch für die Herkunft aus einem wohlhabenden Milieu und für ein gymnasiales bzw. akademisches Bildungsmilieu. Sie zeigen auch, wie die operationale Öffnung und Schließung der Gruppen, über die Diskurse hinaus, über Settings funktioniert.
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Analyse
Aus den empirischen Ergebnissen entwickele ich in diesem Kapitel gegenstandsbezogene Theorie. Ich abstrahiere dabei von den einzelnen Fällen und analysiere die Spezifika, die typische, untypische und extreme Fälle und schließe abduktiv auf Zusammenhänge, die hinter den Fällen und ihren Charakteristika liegen. Ich analysiere, welche Beziehungen zwischen Wissensbeständen, Deutungen, Stimmungen, Praktiken und Organisationsstrukturen sich aus meinen Fällen rekonstruieren lassen. Diese Ergebnisse binde ich zurück an die Analyse der Deutungsfiguren von Klimawandel und Klimaschutz (5.1). Ich vergleiche meine Ergebnisse mit denen der im Stand der Forschung genannten Studien (5.2) und zeige Anschlüsse an breitere Diskurse, Praktiken und soziale Bewegungen (5.3). Durch den Vergleich mit anderen Studien und Thesen lassen sich die Hypothesen, die ich generiere, erweitern oder zuspitzen.
5.1 ZUSAMMENFASSUNG DER REKONSTRUKTIVEN ANALYSE Meine rekonstruktive Analyse zeigt, dass Jugendumweltgruppen die Deutungsfiguren zu Klimawandel einbetten in übergreifende Orientierungsmuster. Diese Einsicht lässt sich auf andere Gruppen übertragen: Klimawandel ist wie eine Folie vor andere, umfassendere Orientierungsmuster gespannt. Klimawandelwissen ist viel mehr als die abstrakten naturwissenschaftlichen Wissensbestände, die in großen Jugendstudien abgefragt werden. Es ist auch nicht nur Klimabewusstsein, analog zu Umweltbewusstsein. Es geht auch nicht nur um die Angabe von Alltagspraktiken, die in Studien unter „Klimaschutz“ abgefragt werden. Implizite Wissensbestände zu Klimawandel und Klimaschutz sind untrennbar verbunden mit kollektiven Orientierungen, in die spezifische Verknüpfungen von Wissensbeständen und Stimmungen, Wissensorganisation und Praktiken
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sowie organisationale und soziale Prägungen eingehen. Meine Analyse zeigt, dass soziale Schichten (wie Bildung, Schicht und Milieu) zu gruppenspezifischen Variationen innerhalb von übergreifenden Orientierungsmustern führen, die auch innerhalb einer sozialen Bewegung variieren können. Eine solche Tiefenschärfe erreichen große, quantitative und Methoden-Mix-Studien nicht. Doch es liegt nicht nur an der Methodik, die zu Verzerrungen aufgrund von sozialer Erwünschtheit und Vorgabe von Antwortmöglichkeiten führt. Es ist auch die konzeptuelle Verengung von Klimawandel und Klimaschutz (1.3), die nur einen sehr kleinen Sinnhorizont und Handlungsspielraum in den Blick rückt. Durch mein exploratives Vorgehen und eine qualitativ-rekonstruktive Methodik habe ich weitgehend offen gelassen, was die Jugendgruppen thematisieren und wie sich die Gruppendynamik entwickelt. Über die Fragen zu Umweltschutz und Umweltschutzaktivitäten konnte ich implizite Sinnstrukturen erschließen, die sich als wesentlich erweisen. Meine Ergebnisse zeigen, dass gerade die Jugendgruppen Klimawandel und Klimaschutz wenig Relevanz zusprechen, die von einer verengten Perspektive ausgehen. Dies betrifft sowohl das Orientierungsmuster Protest, als auch Gestaltungsraum, wenn auch letzteres nur in einem (untypischen) Fall. Meine Ergebnisse zeigen auch, wie gestaltungsorientierte Gruppen über aktivistisches und akademisches Wissen Bewertungssicherheit erlangen und Gestaltungsspielräume für Klimaschutz weit aufmachen. Ich halte es für lohnenswert, einen genaueren Blick darauf zu werfen, was eine verengte und eine erweiterte Perspektive auf Klimawandel und Klimaschutz ausmacht. Meine Analyse kollektiver Orientierungsmuster zeigt ein komplexes Geflecht von wechselseitiger Beeinflussung von Wissensbeständen, Praktiken und Strukturen. Ein- und Ausschlüsse entstehen durch unterschiedliche Rahmungen des Gegenstands des Umweltengagements. Die Kontrastierung zwischen Protest und Gestaltungsraum verläuft entlang der beiden Jugendverbände, die sich nicht nur in thematische Foki, sondern auch in die Wissensorganisation und Praktiken einschreiben. Organisationsstrukturen stützen Orientierungen Protest und Gestaltungsraum, indem sie Feld verengen und schlagkräftig machen oder breit auffächern, aber das Rad stets neu erfinden. Teilweise konterkarieren organisationsspezifische Ein- und Ausschlussmechanismen und Praktiken die Darstellungen und Ansprüche der Jugendgruppen, wie ich an zahlreichen Beispielen gezeigt habe. In der Diskursorganisation spielt die Herstellung von Stimmungen eine große Rolle. Meine Analyse zeigt auch, dass Umwelt-Gesellschafts-Konzepte rahmen, welche Umwelt- und Klimaschutzstrategien die Gruppen für denkbar und möglich halten. Aus den Umweltschutz-Praktiken kristallisiert sich erfahrungsbasiertes Wissen, das in die Deutungsfiguren und Orientierungsmuster
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eingeht. Quer zu diesen Wechselwirkungen liegt der Einfluss von Milieus, der in unterschiedlichem Maße sichtbar wird. Ich fasse die spezifischen Verknüpfungen zunächst anhand der Idealtypen Protest und Gestaltungsraum zusammen, stelle die Spezifika untypischer und extremer Fälle heraus und zeige dann, welche Folgen sie für Wissensbestände und Deutungsfiguren zu Klimawandel und Klimaschutz haben. 5.1.1 Analytische Zusammenfassung des Orientierungsmusters Protest Beim Orientierungsmuster Protest ist das Kreisen um das Dagegen der zentrale Angelpunkt. Die Fälle unterscheiden sich darin, wie stark sie die Protestorientierung zuspitzen und gegen die Anderen wenden. Protest braucht – funktional betrachtet – keine Aushandlung, welche Umwelt zu schützen ist, weil sich alles um das Dagegen dreht. So dokumentieren die Protest-Fälle – anders als die Gestaltungsraum-Fälle – keine Aushandlungsprozesse, was Gegenstand ihres Umweltengagements sein soll und welche Aktivitäten am gewinnbringendsten erscheinen. Die Protest-Fälle sind dadurch schnell handlungsfähig, ihre Deutungsfigur von gesellschaftlichen Naturverhältnissen ist leicht verständlich, eingängig und in der Umweltbewegung üblich: Sie reproduzieren einen NaturKultur-Dualismus zwischen einer moralisch guten, leidenden Natur und einer Menschenwelt, die die schlechten Dinge auf der Welt erschafft. Die Deutung, dass die Gesellschaft die Natur zerstört, führt jedoch zu der Schwierigkeit, dass sich kein Gestaltungsraum öffnet für positiv konnotiertes gesellschaftliches Handeln jenseits von Verzicht auf und Kampf gegen die schlechten Dinge. Analytisch lässt sich die protesttypische Deutung von Umweltschutz als First World Environmentalism (Lange 2011) einordnen. Dieses Konzept denkt Umweltschutz vom privilegierten Standort von Menschen im Globalen Norden aus, die es sich leisten können, Umweltschutz nur als Schutz der Umwelt vor den Menschen zu denken, weil sie nicht zu der Gruppe Menschen gehören, die von den Folgen degradierter sozial-ökologischer Systeme direkt betroffen sind. Die Protest-Fälle kommen gar nicht darauf, dass Umwelt-/Klimaschutz anders gerahmt sein könnte denn als Schutz der Umwelt vor den Menschen. Damit nehmen sie sich jedoch die Handlungsmacht, Veränderung kollektiv gestalten zu können. Stattdessen steigern sie sich in eine Stimmung der Empörung, die im konstruktiven Fall in öffentlichkeitswirksame Protest-Aktionen mündet, im destruktiven Fall in Fatalismus und Resignation. Die Protest-Fälle machen eine harte Trennung zwischen sich und den Anderen auf. Durch diese Abgrenzung stellen sie Zugehörigkeit her, im Sinne einer ope-
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rationalen Schließung. Die Protest-Gruppen finden zudem Zugehörigkeit in der Identifikation mit der international bekannten Dachorganisation Greenpeace. Diese steht für eine hoch professionalisierte und strategisch durchdachte Kampagnenführung, die über eindrucksvolle Bilder und Slogans kommuniziert (Zelko 2014, 2015, 2017, Hofmann 2008). Organisatorisch betrachtet handelt es sich um einen „Öko-Konzern“ (Zelko 2014), der über eine hierarchische und zentralisierte Struktur verfügt. Die spezifische Prägung der Protest-Orientierung durch die Organisationsstrukturen von Greenpeace lässt sich mit der Metapher eines Speers erklären: Die hierarchische Organisationsstruktur führt zu einer noch stärkeren Zuspitzung der Protestorientierung: Weder thematisch noch in den Organisationsformen geht Greenpeace in die Breite, so dass ein hoher Wiedererkennungswert und ein niederschwelliger Einstieg möglich sind. Dies lässt sich mit der Form eines Speers verbildlichen, im Kontrast zur unscharfen Kreisform der Gestaltungsraumorientierung. Der Protest soll fokussiert sein, wie ein schlanker Speer, der den Konzern-Goliath effektiv treffen soll, als Analogie für die Aktionsform, die öffentlichkeitswirksam und einprägsam an vielen Orten gleichzeitig stattfindet. Wer gegen etwas ist, hat klare Feinde, die es zu stoppen gilt. Es erfordert nicht, einen großen Zusammenhang zu sehen oder zu wissen, wohin man will. Die Diskursorganisation ist vom Denkstil des Protest geprägt: Es geht um die Benennung von Gegner*innen, Zweifel oder abweichende Darstellungen laufen einer Zuspitzung entgegen. Deshalb ist die Diskursorganisation auch eher vom Überbieten in einer überspitzten Darstellung geprägt und bei Kontroversen geht es ums Recht haben, wobei die Logiken und Praktiken des Dachverbands Greenpeace der Maßstab sind, nach dem sich die typischen Gruppen richten. Die Aktionen der Protest-Fälle sind punktuell und werden vom Dachverband vorgefertigt, je nachdem, welcher Kampf gegen welche Gegner*innen gerade am aktuellsten ist. Doch die hierarchische Organisationsstruktur beinhaltet für die Jugendgruppen eine Abhängigkeit vom Erwachsenenverband, der die Spannbreite an Themen und Aktivitäten vorgibt. Die Erarbeitung eigener Konzepte und Orientierungen wird damit deutlich beschnitten. Die Analyse der Diskursorganisation und Wissenstransfers zeigt, dass die Organisationsstruktur das implizite Wissen der Protest-Fälle prägt: Sie übernehmen ideologische Denkmuster und hierarchische Strukturen unhinterfragt und tragen sie in ihren Praktiken weiter. Die Aktionen der Protest-Gruppen sind durch die Vorgaben des Dachverbands auf die Praktik des Informierens limitiert. Die Aktionen sind niedrigschwellig und leicht durchzuführen, sie erfordern wenig eigene Erarbeitung. Indem die Gruppen vorgegebene Themen, Formate und Materialien überneh-
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men, können sie schnell und zielsicher Protestkampagnen durchführen. Doch wenn die Aktionen implizit vielmehr auf die Konsumgewohnheiten der Anderen zielen als auf Konzernpraktiken oder politische Entscheidungen, stehen die Protest-Gruppen einer kaum eingrenzbaren Gegnerschaft gegenüber, die sich von ihrer aufklärerischen Mission wenig beeindrucken lässt. Die daraus resultierende Erfahrung beinhaltet keine Selbstwirksamkeit und heizt die Verzweiflung und Abgrenzung von den Anderen weiter an (Stachelbeere, 3.3). Im Kontrast dazu führen (untypische) weniger moralisch geladene Varianten des Informierens zu mehr Zufriedenheit. Denn es geht nicht um die Verhinderung der Apokalypse, sondern darum, spielerisch in Kontakt mit Anderen zu treten und niedrigschwellige Handlungsanschlüsse zu bieten (Himbeere, 3.3). Die Protestorientierung enthält eine Ambivalenz zwischen dem Anspruch, großflächig etwas zu verändern und der Inszenierung als entschlossene Kämpfer*innen einerseits, und der dokumentierten Hilflosigkeit und der ausbleibenden Selbstwirksamkeit beim Durchführen von Informationspraktiken andererseits. Einfach durchführbare Aktionen mit hohem Wiedererkennungswert führen also nicht automatisch zu Selbstattribuierung von Handlungsmacht oder Wirksamkeit. Eine Erklärung dafür ist, dass die Jugendlichen überwiegend erst seit kurzem aktiv sind und deshalb noch keine entsprechenden Erfahrungen berichten. Jedoch berichten auch diejenigen, die langjährig in Protestgruppen aktiv sind, nicht von Selbstwirksamkeitserfahrungen. 1 Sie inszenieren sich eher als besonders radikale Kämpfer*innen, die stark auf das Dagegen ausgerichtet sind. Meine These ist, dass es an der jugendverbandsspezifischen Ausprägung von Protest liegt, der konkrete Ziele und Etappenziele fehlen (s. 5.2). So bleiben die Gegner*innen selbst bei punktuellen Erfolgen von Protestkampagnen gefühlt übermächtig. Die beiden typischen Fälle (Kirsche und Erdbeere) fokussieren als Gegner*innen Großkonzerne, die einen klaren Angriffspunkt für Protestaktionen bieten, und kombinieren dies mit einer Systemkritik am Kapitalismus und einer Kritik der Einstellungen und Praktiken der Anderen in ihrem direkten Alltagsumfeld (Klassenkamerad*innen, Lehrer*innen, Nachbarn, Verwandte). In der Diskursführung weisen sie eine Steigerungsdynamik auf, in der sie sich mit immer dramatischeren und absurderen Beispielen übertrumpfen und eine Stimmung der Empörung herstellen. Solange die Darstellungen Bezug zu möglichen Protestaktionen haben, besteht die Möglichkeit, der Empörung ein Ventil zu verschaffen. Die Empörung über die schlechten Dinge auf der Welt wollen sie
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S. Fallbeschreibungen im Anhang: Tm2 in Erdbeere, Tw6 in Kirsche, Tw1 in Stachelbeere.
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über Protest- und Informationskampagnen nach außen tragen. Die typischen Fälle haben die Hoffnung, als Öko-David mit gezielten Schlägen KonzernGoliath zum Wanken zu bringen. Sie identifizieren sich stark mit der Dachorganisation, die es einzelnen Jugendlichen ermöglicht, sich in Gruppen zu organisieren und damit ihren Protest zu bündeln. Der Protestlogik entsprechend, adressieren sie ihre Forderungen nach einem anderen Denken und Handeln an die Anderen. Bei den typischen Fällen und dem Extremfall ist die Adressierung an die Anderen milieuspezifisch verstärkt. So geht mit ihrer Prägung im (wohlhabenden) Öko-Milieu ein elitäres Selbstverständnis einher. Die typischen und extremen Protestfälle sprechen von einem vermeintlich moralisch überlegenen Standort aus. Dies führt dazu, dass sie den Anspruch haben, die Anderen nicht nur über die schlechten Dinge zu informieren, sondern vielmehr aufzuklären und zu erziehen. Der Extremfall Stachelbeere dokumentiert eine radikale Variante der Protestorientierung. Hier erscheint der Zustand der Welt nahezu hoffnungslos, da die Gruppe gefühlt gegen die ganze Welt kämpft. Es ist dieser Logik nach nicht nur das System, die Politik, die Medien und die Konzerne - die Anderen erscheinen in allen Lebensbereichen ignorant und rücksichtslos gegenüber Umweltzerstörung und Tierleid. Die Logik, dass die Menschenwelt schuldig gegenüber der unschuldigen Umwelt und Tierwelt sei, geht bei Stachelbeere so weit, dass die Gruppe mit dem kollektiven Selbstmord als „perfekte“ Umweltschutzstrategie kokettiert. Die Gruppe schottet sich weitgehend in der „Öko-Blase“ ab und sieht Lösungen nur noch auf individueller Ebene. Die Gesellschaft als Kollektiv verschwindet in dieser Perspektive, politische und/oder zivilgesellschaftliche Veränderungsprozesse scheint es nicht zu geben. Wenn Stachelbeere in ProtestAktionen an die Öffentlichkeit tritt, geht es mehr darum zu schocken, da eine konstruktive Diskussionskultur mit den ignoranten Anderen unmöglich erscheint. In der Form ihres Auftretens und ihrer Wortwahl ähneln sie religiösen Gruppen, die eindringlich vor der Apokalypse warnen, wenn die Menschheit nicht bald die Augen öffnet. Der untypische Fall Himbeere weist auch das Orientierungsmuster Protest auf, jedoch in einer Ausprägung, die deutlich von den drei anderen Fällen abweicht. Bei Himbeere ist das elitäre Selbstverständnis kaum vorhanden, eine harte Abgrenzung fällt aus. Dieser Fall geht davon aus, dass alle – die Gruppe inklusive - zunächst selbstreflexiv ihr Denken und Handeln zu hinterfragen haben. Darüber ergibt sich dieser Logik nach die Einsicht, welche Alltagspraktiken nicht umweltfreundlich sind und wie dies Schritt für Schritt zu ändern ist. Himbeere führt auch die strikte Trennung zwischen Umwelt und Gesellschaft sowie Engagement „für die Umwelt“ oder „für die Menschen“ ein, weicht einer
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Abwertung einer von beiden Sphären jedoch aus. Sie fokussieren stark die Ebene konkreter Umweltschutzaktivitäten, im Sinne von protestieren und informieren sowie „Handlungsanschlüsse geben“ für „bessere“ Konsumstrategien. Durch die Kontrastierung zwischen Himbeere und den anderen Protestfällen wird erst sichtbar, wie stark das Herkunftsmilieu die Orientierungen und Praktiken prägt. In Bezug auf die Thematisierung von Klimawandel und Klimaschutz führen mehrere Charakteristika der Protestorientierung zu Hilflosigkeit und NichtBeschäftigung mit Klimaschutzpraktiken trotz großer Sorge und aktivistischer Orientierung. Alle Protest-Fälle legen den Fokus auf die Bedrohung durch Klimawandel, entsprechend dem Kreisen um das Dagegen. Der Annahme folgend, über objektiv und normativ richtiges Wissen zu verfügen, reflektieren sie massenmedial vermittelte Bilder nicht und fokussieren naturwissenschaftlich geprägte Bedrohungsszenarien. Sie übertrumpfen sich gegenseitig mit skandalösen Nachrichtenfragmenten und Katastrophenbildern, die durch normative Ladung und Empörung zusammen gehalten werden. Dabei setzen sie lokale Wettermeldungen in Bezug zu Klimakatastrophen, wobei sie zu Überspitzungen neigen. Dabei entsteht das Bild von Klimawandel als bereits stattfindender Katastrophe. Die Bilder, auf die die Protest-Fälle sich beziehen, lassen sich in Verbindung setzen mit den einprägsamen Bildern und Slogans, die ihr Dachverband massenmedial verbreitet. Z. B. das Bild vom Eisbär auf einer winzigen Eisscholle, das die Folgen bereits stattfindender anthropogener Klimaveränderungen für das Ökosystem der Arktis kondensiert. Die Verknüpfung aus einer hohen Identifikation mit dem Dachverband mit einem elitären Selbstverständnis prägt sich führt dazu, dass die Fälle ihr Wissen als objektiv richtiges, elitäres Wissen einstufen. Damit ist eine kritische Auseinandersetzung mit anderen Wissensbeständen, Deutungen und Strategien ausgeschlossen. Wenn die Empörung in dystopische Szenarien kippt, führt sie zu Verzweiflung und Fatalismus, die einer weiteren Beschäftigung sowie dem Entwerfen von Klimaschutz-Aktionen entgegen stehen. Die Protest-Gruppen neigen dazu, Klimawandel als ein Umweltproblem unter vielen zu sehen, auf das sie mit den gängigen Deutungsfiguren und Strategien antworten: Klimawandel rahmen sie als Umweltphänomen, das durch die Schädigung der Umwelt durch die Gesellschaft verursacht wird. Wenn sich nun „die Natur“ gegen die Menschen – und damit auch gegen sie – richtet, wie sollen sie damit umgehen? Die Gruppen reagieren mit den bekannten Antworten auf das, was sie als Umweltzerstörung konzeptualisieren: Verengung der Problematik durch eine Gut-Böse-Semantik und die Schaffung von Feindbildern, Adressieren der Verantwortung an die Anderen, jenem fiktiven Großteil der Gesellschaft, der
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in ihren Augen verantwortlich für Umweltzerstörung ist. Diese Zuspitzung ist bei anderen Protestthemen möglicherweise zielführend, im Kontext von Klimawandel führt sie zu Hilflosigkeit und Fatalismus. Denn es ist wesentlich schwieriger, klare Gegner*innen zu benennen und mit protesttypischen Praktiken anzugreifen. Die Dynamik der Empörung bringt immer mehr Missstände in den Blick, ohne dass Lösungen ins Spiel kämen. Das David-Goliath-Szenario bläht sich extrem auf: Gegner*innen bzw. Missstände gibt es (dieser Logik nach) bei Klimawandel überall, von ökologischen Katastrophen über Konzernpraktiken und politische Entscheidungen, individuelle Lebensstile bis hin zur fehlenden Anerkennung von Klimawandel als relevanter Problemstellung von Seiten der Anderen.2 Da sie in ihrer Selbstwahrnehmung bereits alles tun, um „der Umwelt“ nicht zu schaden und die Anderen aufzurütteln, können sie nur hilflos zusehen, wie der Kahn der Menschheit dem Untergang zusteuert. Die Deutungsfigur von Umweltschutz als Protest gegen etwas scheint bei anderen Umweltzerstörungsthemen deutlich besser zu funktionieren als bei Klimawandel. Im Kontext von Klimawandel führt diese Orientierung zu einer Stimmung, die von Hilflosigkeit, Angst und Fatalismus geprägt ist. Die protesttypische Logik, die Verantwortung an die Anderen zu adressieren, führt bei Klimawandel zu Hilflosigkeit, nicht Handlungsmacht. Diese Logik ist von funktionaler Bedeutung, wenn es um punktuelle Protest- und Boykottkampagnen geht, in denen die Anderen als Individuen aufgefordert werden, durch spezifische (Unterlassungs-)Handlungen Missstände zu beenden. Im Kontext von Klimawandel sind „die Schuldigen“ und das, was zu verändern ist, jedoch weniger klar zu umreißen, da die Verursachung von Klimawandel zutiefst in die mentalen wie materiellen Infrastrukturen der frühindustrialisierten Gesellschaften eingeschrieben sind, mitsamt den für die im Globalen Norden selbstverständlichen Produktionsweisen und Konsummustern, Infrastrukturen und politischen Rahmenbedingungen (s. 1.3). Die Protest-Gruppen schließen sich von potentiellen Gestaltungsmöglichkeiten und Einflussnahme zugunsten von effektiven Klimaschutz aus, wenn sie die Verantwortung den Anderen zuweisen. Die harte Abgrenzung von den Anderen, verbunden mit dem Selbstverständnis als vorbildliche Öko-Avantgarde, die über moralisch besseres Wissen und Lebensstile verfügt, dient den typischen Protestgruppen zur Selbstaufwertung. Da die Protest-Fälle sich so stark mit der Dachorganisation identifizieren und andere Welt-
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Die Folge – oder funktional gesehen: die Lösung – ist, dass sich die Protest-Gruppen überschaubareren Themen zuwenden, die sich punktuell bekämpfen lassen, z. B. Praktiken eines Konzerns, gegen den Protestaktionen machbar sind.
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sichten ausblenden, bemerken sie nicht, dass es andere junge Akteur*innen gibt, die auch protestorientiert gegen Klimawandel kämpfen (s. 5.2). Sie sind so stark in einem First World Environmentalism verankert, dass ihnen die Argumentation der Klimagerechtigkeitsbewegung (s. 5.2) – und damit der Anschluss an solche Bündnisse – undenkbar ist. Es zeigt sich, dass die Konstruktion von gesellschaftlichen Naturverhältnissen im Kontext von Klimawandel von hoher Relevanz ist: Eine dichotome Unterscheidungspraxis zwischen Umwelt und Gesellschaft, die mit einer Idealisierung von Natur und einer Dämonisierung der Anderen einhergeht, ist im Kontext von Klimaschutz mit Verzweiflung verknüpft (s. 2.1, 2.2). Durch die strikte Trennung und Hierarchisierung zwischen Umwelt und Gesellschaft, und damit auch zwischen sozial männlich und weiblich codierten Strukturen, können die Protest-Fälle keine gesellschaftlichen Handlungsräume ausmachen. Im Kontext von Klimawandel können sie der kommenden Katastrophe kein Gegenbild gegenüberstellen. Es fehlt ihnen eine positive Vision, die sie als Alternative zum Status Quo formulieren können und welche die eigenen Handlungsoptionen ins Blickfeld rückt. Die Gruppe Himbeere erweist sich gerade in Bezug auf die Thematisierung von Klimawandel und Klimaschutz als untypisch. Denn das Verständnis von Klimawandel als Umweltthema unter vielen, bei dem die Einschätzung und Strategien schon klar sind, kommt in der Gruppendiskussion zum Kippen. Damit verliert die Gruppe die zunächst dargestellte Bewertungssicherheit, denn sie sehen sich nicht in der Lage, über eine Problemstellung zu informieren, über die sie sich unsicher sind. Die Himbeere kommt dadurch nicht in das gleiche Fahrwasser wie die anderen Protestgruppen, die sich in einem David-Goliath-Szenario inszenieren, in dem sie den Kampf gegen die Zerstörung der Welt durch einen Klimawandel kaum noch gewinnen können. Da Himbeere sich noch im Suchprozess für die Bewertung von Klimawandel befindet, kommt sie auch nicht zur fatalistischen Einschätzung, zu wenig dagegen tun zu können. Aus der Bewertungsunsicherheit folgt für die Gruppe Himbeere zunächst Handlungsunsicherheit, da sie über alltagspraktische Handlungsanschlüsse im Kontext von Klimaschutz unsicher wird. Jedoch endet die Diskussion um Klimaschutz an diesem Punkt nicht, sondern die Gruppe beschließt, sich intensiver mit Klimawandel und Klimaschutz zu beschäftigen. Für diese Phase des Such- und Reflexionsprozesses genügt der Gruppe Himbeere der Vorsatz, sich als Gruppe weiter zu „informieren“: „Wenigstens haben wir schon mal die Motivation.“ (Himbeere, Z. 550) Es ist vorstellbar, dass sie – analog zum Thema Plastik – punktuelle Informations-Aktivitäten selbst entwickeln. Da Himbeere – im Kontrast zu den anderen
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Protest-Fällen – keine harte Abgrenzung zwischen sich und den Anderen aufmacht und sich aus der Kritik an mangelndem Klimaschutzhandeln nicht ausschließt, sind gesamtgesellschaftliche Bemühungen um Klimaschutz für sie eine denkbare Option. Durch die noch offene Suche nach einer angemessenen Problembeschreibung und Lösungsfindung inszeniert sich die Gruppe Himbeere nicht als weit entfernt vom Rest der Bevölkerung, von den Anderen. Es ist denkbar, dass sie sich in Folge dieses Suchprozesses in Richtung der Deutung von Klimaschutz als kollektivem Gestaltungsraum bewegen, in dem sie nach Strategien suchen, wie sie, aber auch die Anderen, zu effektivem, alltagspraktischen Klimaschutz beitragen können. 5.1.2 Analytische Zusammenfassung des Orientierungsmusters Gestaltungsraum Das Orientierungsmuster Gestaltungsraum ist charakterisiert durch das Kreisen um ein Dafür. Da eine zukünftige bessere Welt per definitionem unbestimmt ist, bleibt das Dafür zunächst wenig bestimmt. Es gibt ein Nebeneinander an Prioritäten und Aktivitäten, die sich alle als Pfade zum gewünschten Ziel verstehen lassen. Die Maxime „global denken, lokal handeln“ drückt die explizite Seite dieses Orientierungsmusters in einem Spannungsbogen aus, der sich auf das fiktive Zentrum einer besseren Welt bezieht. Die Gestaltungsraum-Fälle befinden sich in einem Suchprozess, der typisch für Gruppen und Initiativen sind, die eine sozial-ökologische Transformation bereits im Hier und Jetzt beginnen und leben wollen (vgl. Lay/Westermayer 2014: 2, Blättel-Mink et al. 2013, Baier et al. 2013). Für die Orientierung am Dafür ist es wesentlich, sich über gemeinsame Ziele und Teilziele zu verständigen. Dazu gehört die Abwägung von Schutzinteressen sowie die Wahl zwischen unterschiedlichen Strategieebenen und Aktivitäten. Durch die dezentrale Organisationsstruktur der BUND-Jugend ist wenig von vorn herein festgelegt. Der Logik des Gestaltens nach soll nicht vorgegeben sein, was der richtige Weg ist. Die Gruppen müssen und wollen selbst entscheiden, wofür sie sind, welche Aktivitäten sie priorisieren und auf welche Zielgruppen sie ihre Settings zuschneiden. Es sollen nicht andere für eine(n) wissen, was richtig ist, sondern die Jugendlichen wollen selbst der Wandel sein, den sie sehen wollen in der Welt. Dazu gehört, dass sie Verantwortung übernehmen für die Gestaltung zukunftsfähiger Gesellschaftsentwürfe und Lebensstile, entsprechend einer Politik in der ersten Person (Aljets/Ebinger 2016). Die Aktivitäten der Gestaltungsraum-Fälle sind durch die Breite der Gestaltungsorientierung gekennzeichnet, die dezentrale Struktur der BUND-Jugend führt zu unterschiedlichen länderspezifischen Variationen. Da bis auf das Kreisen um das
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Dafür wenig festgelegt ist, können es Praktiken des Social Events Organisierens oder des Informierens sein, die in Form kontinuierlicher Projekte angelegt sind, und unterschiedliche Handlungsebenen anvisieren. Die Gestaltungsraum-Fälle konstruieren gesellschaftliche Naturverhältnisse als Wechselbeziehung. Der Anspruch „für die Umwelt, für die Menschen“ aktiv zu sein, stellt keinen Widerspruch dar, sondern erweist sich als treibende Kraft. Alle Gestaltungsraum-Fälle thematisieren explizit, wie sie Umweltschutz verstehen und grenzen sich vom „klassischen Umweltschutz“, einem First World Environmentalism, ab (s. 5.2). Eine solche Positionierung erfordert eine vorhergehende theoretische und/oder aktivistische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen aktuellen Strömungen in der Umwelt-, Klimabewegung und neuen sozialer Bewegungen. Während es beim Orientierungsmuster Protest ein kurzer Weg von der Problembewertung zur Protestaktion ist, ist ein wesentlicher Teil des Gestaltungsraums das interaktive Aushandeln von Prioritäten und Strategien. Sie sind in ihrem Deutungs- und Handlungsspielraum nicht eingeschränkt. Auf der Ebene der Verbandsorganisation gibt es wenige Vorgaben von außen, denn der BUND-Jugendverband versteht sich als unabhängig vom Dachverband und basisdemokratisch organisiert (s. 4.1). Die andere Seite der Medaille ist, dass die Einarbeitung in die Umwelt-/Klimaschutzverständnisse, Aushandlungsprozesse und dezentralen Entscheidungsstrukturen aufwändig ist und schneller Handlungsfähigkeit entgegen wirkt. Sie erfordert eine intensive Beschäftigung mit den eigenen Zielen sowie Wissensbestände, die sowohl Orientierungs-, und System- als auch Transformationswissen beinhalten. Es überrascht nicht, dass die typischen Gestaltungsraum-Fälle sich auf akademische Wissensbestände beziehen, denn ohne diese ist es schwierig, sich im komplexen Geflecht sozialökologischer Problemstellungen und Lösungsansätze zurecht zu finden. Da die gewünschte Zukunft noch nicht fest umrissen ist und als gemeinsames Projekt angesehen wird, sind Aushandlungsprozesse positiv belegt (im Gegensatz zur Protestorientierung). Die konkrete Umsetzung von Projekten rückt in den Hintergrund, denn zunächst ist es erforderlich, ein Wir-Gefühl zu erzeugen. Da hinter der BUND-Jugend – anders als bei den protestorientierten Gruppen der Greenpeace-Jugend – eine deutlich weniger berühmte und leicht wiedererkennbare Dachorganisation steht und die Abgrenzung zu den Anderen auf expliziter Ebene schwach ausgeprägt ist, sind andere Mechanismen nötig, um die Gruppen operational zu schließen und Zugehörigkeit herzustellen. Für die Herstellung von Zugehörigkeit spielen die Organisationsstruktur und der Modus Operandi eine wesentliche Rolle. Die Verbandsstruktur der BUND-Jugend beinhaltet eine große Altersspanne, so dass die Jugendlichen über viele Jahre im
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Erfahrungsraum des Jugendumweltverbands bleiben und ihr konjunktives Wissen an nachfolgende Generationen von Jugendlichen weiter geben. Die selbstorganisierte Verbandsstruktur erfordert zeitintensives Engagement und eine große Verbindlichkeit, wenn es um die Verantwortung für dezentrale, längere Projekte mitsamt Projektentwicklung und -durchführung geht. Es sind wenige Engagierte, die ein so intensives Engagement kontinuierlich leisten. Diese kleine Gruppe ist durch einen gemeinsamen Erfahrungsraum eng zusammengeschweißt. Engagement, Freundeskreis und berufliche Orientierung sind aufs Engste verquickt. Es besteht ein Wechselverhältnis zwischen den engen sozialen Bindungen, dem intensiven Engagement für eine bessere Welt und dem Modus Operandi der Gruppen. Aus meinen Ergebnissen entwickele ich die These, dass zur Ausrichtung an einer besseren Welt ein anderer Modus Operandi gehört, ein „anderer Umgang miteinander“ (Tomate, Z. 246, s. 5.3). Der implizite Anspruch der Gestaltungsraum-Fälle ist, eine bessere Welt im Kleinen, im Hier und Jetzt, in den Gruppendiskussionen, erlebbar zu machen. Dazu gehört eine spezifische Kommunikationsform, die dadurch geprägt ist, dass die Teilnehmer*innen einander ausreden lassen, Rückfragen stellen um sicher zu gehen einander verstanden zu haben und Kontroversen ausdiskutieren. Sie sind darauf bedacht, Positionen zu entwickeln, in denen die gesamte Gruppe sich wieder findet und interpretieren kontroverse Darstellungen als spannend und inspirierend (Lay-Kumar 2017).3 Auf den Umgang mit Wissensbeständen wirken sich der Modus Operandi und der basisdemokratische Anspruch der Gestaltungsraum-Fälle folgendermaßen aus: Die Gruppen thematisieren und reflektieren ihre Einschätzungen, sichere und unsicheres Wissensbestände sowie Nicht-Wissen. Überspitzungen und Pauschalisierungen von einzelnen Teilnehmer*innen werden von den anderen Gruppenmitgliedern relativiert und/oder durch abweichende Einschätzungen ergänzt. Beim Extremfall Paprika wird Erarbeiten und Abstimmungen von Positionen fast zum Selbstzweck, der interessanter als die Umsetzung erscheint. Da bei den von mir untersuchten Gestaltungsraum-Fällen Aushandlungsund Organisationsprozesse im Vordergrund stehen, rückt die Umsetzung von Projekten und der Kontakt über die eigenen Nischensettings hinaus in den Hintergrund. Die operationale Schließung erfolgt über Organisationsstrukturen und
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Ich arbeite diese Analyse in dieser Arbeit nicht ausführlich aus. Eine Publikation zur ausführlichen Rekonstruktion des Modus Operandi der Gestaltungsraumorientierung ist in Vorbereitung. In den zitierten Passagen der Fälle Tomate und Paprika (2.1.3, 2.1, 3.2, 3.3, 4.2) lässt sich dieser Modus Operandi jedoch deutlich rekonstruieren, thematisiert unter Aushandlungsprozessen und Hoffnung herstellen.
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Settings, die deutlich höhere Zugangsschwellen haben als jene der ProtestGruppen. Der Anspruch, eine bessere Welt im Kleinen zu erschaffen und dabei als Pionier*innen der Transformation zu wirken, weist eine Schräglage auf. Transformation bedeutet im Wortsinn, dass etwas seine Form völlig verändert und in etwas Anderes übergeht. In den impliziten Sinnstrukturen der Gestaltungsraumorientierung findet sich diese Logik wieder: Sie streben mit ihrem Engagement eine Tiefenwirkung an, welche aktuell dominante Deutungen, Praktiken und Strukturen komplett verändert. Dass diese Tiefenwirkung aufgrund begrenzter Ressourcen kaum über die aktiven Mitglieder des Verbands hinaus geht und eine Breitenwirkung damit ausbleibt, nehmen sie in Kauf. Auf expliziter Ebene laden die Gestaltungsraum-Gruppen zwar die Anderen zum Mitmachen ein. Soziale Milieus kommen gewissermaßen durch die Hintertür herein: Indem der Jugendverband eine geringe Öffentlichkeitspräsenz hat und Treffen eher in privaten Settings erfolgen, erfolgt die Rekrutierung meist über das PeerMilieu, das einer (akademisch und aktivistisch geprägten) sozial-ökologischen Lebenswelt entspringt. Hier ist es nicht das Elternhaus, sondern der Freundeskreis, der darüber entscheidet, wer sich dem Jugendverband anschließt – und wer keinen Zugang zu den Erfahrungsräumen findet. Die typischen Fälle (Tomate und Gurke) fokussieren eine mittleren Handlungsebene: lokale Projektarbeit und überregionale Social Events. Explizit laden sie die Anderen ein, auf utopischen Halbinseln an einer besseren Welt zu arbeiten. Da die Settings einen halbprivaten Charakter haben, bleiben sie hauptsächlich unter Gleichgesinnten. Die Darstellung der typischen Fälle folgt dem Spannungsbogen von global denken zu lokal handeln und andersherum, von lokalen Lösungsansätzen zu globalen Problemstellungen (2.1.3, 3.1, 3.3). Der untypische Fall Kürbis fokussiert die Mikroebene der Alltagspraktiken (3.3). Er sieht diese Praktiken als Lösungsansätze für globale Problemstellungen. Ein Rückbezug – und damit eine Politisierung der Praktiken – findet nicht statt. Die Gruppe Kürbis fokussiert sich auf verbandsinterne Praktiken des Social Events Organisierens und hat wenig Kontakt über ihren Landesjugendverband hinaus zu Anderen. Selbst die Perspektiven der Bundesebene der BUND-Jugend (z.B. zu Klimaschutz) sind ihnen fremd.4 Somit verengt sich die Gestaltung einer
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Link zu BUND-Jugend-Kampagnen zu Klimaschutz: https://www.bundjugend.de/ kampagne/klimafasten/, https://www.bundjugend.de/thema/klima-energie/, Zugriff am 13.12.18. Die Kampagne „Klimafasten“ gab es bereits 2015, zum Zeitpunkt der Gruppendiskussionen.
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besseren Welt auf die Lebenswelt ihrer Peer-Group. Ein gesamtgesellschaftlicher Gestaltungsprozess liegt außerhalb der Perspektive von Kürbis. Der Extremfall Paprika fokussiert dagegen gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse mit Fokus auf Klimapolitik. Die Gruppe Paprika versteht sich als pionierhafte Vordenker*nnen von Klimaschutz, die einen Plan, ein Ziel und einen Maßstab haben, um einen „besseren Weg für die Gesamtgesellschaft“ zu gestalten (s. 2). Paprika macht ein großes Panorama auf, in dem sie den Bogen von der Ebene globaler Problemstellungen zu lokalen Lösungsansätzen in beide Richtungen durchspielen und ihr eigenes Engagement in den Kontext historischer Transformationsprozesse stellen. Dementsprechend dehnt Paprika ihr WirGefühl auf globale soziale Bewegungen aus, in das sie alle einbeziehen, die für eine bessere Welt eintreten. Begrenzt wird ihr Anspruch durch die aufwendigen Selbstorganisations- und Konzeptionsprozesse, die ihr neu gegründeter Arbeitskreis zu bewältigen hat, bevor er in nach außen sichtbare Aktion tritt. In Bezug auf das Zusammenspiel von Deutungen, Praktiken und Organisationsstrukturen komme ich zu einer zweischneidigen Einschätzung: Einerseits nehmen die gestaltungsorientierten Fälle keine verengte Perspektive auf Umweltschutz ein und elaborieren Deutungen, die dem neusten Stand der sozialökologische Forschung und neuer aktivistischer Bewegungen (wie die Klimagerechtigkeitsbewegung) entsprechen. Sie überwinden großteils die naturalistische Annahme in breiten Teilen der Umweltbewegung, für „die Natur“ zu sprechen und eigene Interessen unsichtbar zu machen. Die Gestaltungsraum-Fälle positionieren sich und begründen, wie sie ihre Prioritäten setzen. Durch die Erarbeitung von Deutungen und Entwicklung von Projekten im konjunktiven Erfahrungsraum generieren die Gestaltungsraum-Fälle erfahrungsbasiertes Wissen zu Wissenstransfers und Selbstorganisationsprozessen. Im Verlauf ihres mehrjährigen Engagements verändert sich ihre Perspektive (von „Problemen“ zu „Lösungen“), sie attribuieren sich Selbstwirksamkeit und transformative Handlungsmacht. Die von den Jugendgruppen beschriebene Erfahrung, mit dem eigenen Engagement einen Unterschied zu machen, schreibt sich in implizite, handlungsleitende Sinnstrukturen ein.5 Dies schätze ich als große Stärke der Gestaltungsorientierung ein. Andererseits entfalten die Wissensbestände, Praktiken und Erfahrungen der Gestaltungsraum-Fälle nur eine geringe Tragweite. Ihre öffentliche Präsenz ist verschwindend gering – so gering, dass noch nicht einmal andere Jugendum-
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Zu Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und Veränderung im Kontext sozialökologischer Praktiken bzw. Praxisformen s. Lay/Westermayer 2014, Lay-Kumar 2016, Lay-Kumar 2017.
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weltgruppen ihre Positionen und Aktivitäten kennen. Dies geht auf Kosten ihrer Wirkmacht, gesellschaftliche Diskurse und Deutungsfiguren zu prägen. Die Gestaltungsraum-Fälle sind in großen Teilen so stark mit ihren Aushandlungsprozessen, der Selbstorganisation und dem Aufbau eines Wir-Gefühls beschäftigt, dass sie die Anderen fast vergessen. Sie betonen zwar auf expliziter Ebene ihre Offenheit und laden Außenstehende zu ihren Veranstaltungen ein, außerhalb ihrer Kreise kommt diese Botschaft jedoch nicht an. Der Anspruch, eine sozialökologische Transformation zusammen mit den Anderen zu gestalten und gemeinsam auf den Geschmack einer besseren Welt zu kommen, läuft zu großen Teilen ins Leere, weil die Jugendlichen weitgehend unter sich bleiben. Die Thematisierung von Klimawandel und Klimaschutz weist bei den Gestaltungsraum-Fällen eine große Varianz auf. Die typische Gestaltungsorientierung geht einher mit Bewertungssicherheit in Bezug auf Klimawandel, Verantwortungsübernahme für Klimaschutz und eine Stimmung der Hoffnung. Im untypischen Fall Kürbis kommt es zur Nicht-Beschäftigung mit Klimaschutz aufgrund einer starken konzeptuellen Verengung und der Betonung von Unsicherheit. Die typischen Fälle und der Extremfall fokussieren nicht naturwissenschaftliche Klimawandelszenarien, sondern deuten Klimawandel als historisches und sozialökologisches Krisenphänomen (2.1.3, 2.2.1). Sie inszenieren sich als bewertungssicher, da sie Klimawandel einordnen in Orientierungs- und Systemwissensbestände, mit denen sie vertraut sind. Ob sie sich mit Klimawandel ausführlich beschäftigen oder nicht, spielt für diese Deutungsfigur keine wesentliche Rolle. Auch nicht, ob sie Klimawandel als Umweltschutz in neuem Gewand verstehen oder als Herausforderung, die alles andere verändert. Den Ausschlag gibt, dass sie Handlungsoptionen für Klimaschutz sehen. Die Fälle Paprika, Gurke und Tomate stellen eine Stimmung der Hoffnung her, dass eine Transformation hin zu zukunftsfähigen Welt gelingen kann. Sie legen den Fokus auf Handlungsoptionen, die innerhalb ihrer eigenen Gestaltungsmöglichkeiten liegen. Eine optimistische Perspektive auf Klimawandel ist dazu nicht notwendig. Die Gestaltungsraum-Fälle entwickeln eine Dynamik des Hoffnung Machens, in der sie den Blick immer wieder auf das Dafür, auf eine bessere Welt richten. Dabei erscheint jeder Schritt, mit dem sie auf diese bessere Welt zugehen, bereits lohnenswert (2.1). Bei den typischen Gestaltungsraum-Fällen findet keine Verengung von Klimaschutz statt. Weder liegt der Fokus auf der Vermeidung von Schäden, noch schieben sie die Verantwortung auf Politik und Konzerne, noch auf individuelle Lebensstile. Damit erschließt sich Klimaschutz als breites Handlungsfeld, das auf Makro-, Meso- und Mikroebene zu bearbeiten ist. Dazu gehörten als integra-
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ler Bestandteil gelingende Gesellschafts-Umwelt-Beziehungen, die sich in nachhaltigen Lebensstilen und globalen Gesellschaftsentwürfen niederschlagen. Indem sie Umweltschutz – und damit auch Klimaschutz – in gesellschaftliche Bezüge und alternative Praktiken hinein denken, haben sie darauf Zugriff. Klima- bzw. Umweltschutzhandeln wird zu einem Gestaltungsraum, in dem sie ihrem Verständnis nach Pionierarbeit leisten, sei es durch nachhaltige Alltagspraktiken, politische Partizipation oder das Vordenken von klimaverträglichen globalen Entwicklungspfaden. Der untypische Fall Kürbis zeigt, dass das Orientierungsmuster Gestaltungsraum keine hinreichende Bedingung ist, um Klimaschutz als Gestaltungsraum zu verstehen. Die Folgen der Nicht-Beschäftigung mit Klimawandel als „abstrakter“ Gefährdung und einer eingeengten Konzeptualisierung von Klimaschutz erweisen sich als immens. Trotz klarer Zielvorstellungen für eine sozialökologische Transformation (in Bezug auf Veränderung des Wirtschaftssystems und daran ausgerichtete Alltagspraktiken) gelingt es Kürbis nicht, einen Bezug zu Klimaschutz herzustellen.6 Die Bewertungsunsicherheit, ob Klimawandel mit Sicherheit als anthropogen verursacht einzustufen ist, lähmt die Gruppe. Die Gruppe stellt Ohnmacht diskursiv her, indem sie immer wieder betont, wie abstrakt Klimawandel sei und wie wenig Handlungsspielräume sie deswegen hätten. Dies ist verknüpft mit der Abwendung von als abstrakt gelabelten Problemstellungen zugunsten von alltagspraktischen Umweltschutzstrategien. Während bei anderen Umweltschutzthemen der Bezug zu Alltagspraktiken eine Vielzahl an Handlungsoptionen bietet, führt dies bei Klimawandel in eine Sackgasse. Der Bezug zur eigenen Alltagspraxis, sei es im Berufsfeld Naturschutz, sei es in Konsumstrategien, erweist sich als hilfreich für konkrete Naturschutzprojekte und alltagspraktischen Umweltschutzstrategien. Bei Klimaschutz funktioniert diese Logik bei Kürbis nicht. Dies liegt nicht nur in der Abwendung von abstrakten Problemstellungen begründet, sondern auch in einem stark verengten Verständnis von Klimaschutz (s. 2.1.1). Wer eine Schädigung noch nicht vornehmen kann, der kann auch nicht durch Verzichtsleistung einen Beitrag zum Ressourcenschutz leisten, so die immanente Logik. Gerade zu verblüffend ist, dass die Gruppe Kürbis von den gleichen Alltagspraktiken berichten wie Gurke, diese jedoch nicht als Klimaschutz verstehen, sondern als Umweltschutz labelt. Auf der Ebene der Deutungen fehlt die Verknüpfung zwischen Klimawandel und alltagspraktischem Klimaschutz. Durch große thematische Offenheit der
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Die Gruppe Kürbis berichtet von einer Fortbildung zu Postwachstumsökonomie, die sie organisiert haben, und davon, wie sie Suffizienz-Praktiken im Sinne von reduzieren, teilen und tauschen in ihrem Alltag verankern. S. Fallbeschreibung im Anhang.
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Gestaltungsorientierung und des Jugendverbands kommt es nicht zwangsläufig dazu, dass sich alle Gruppen mit Klimaschutz beschäftigen. Es bleibt jeder Gruppe überlassen, in der Nische der eigenen Lieblingsthemen und -aktivitäten zu bleiben, oder sich in gesellschaftliche Veränderungsprozesse aktiv einzumischen.
5.2 REFLEXION ZUR METHODENWAHL UND DEN ANALYTISCHEN PERSPEKTIVEN Meine rekonstruktive Analyse hat die Unterscheidung zwischen den Orientierungsmustern Protest und Gestaltungsraum in den Mittelpunkt gerückt. Vom Stand der Forschung ausgehend, hatte ich vor, mit drei Analyse-Perspektiven zu arbeiten: Wissenssoziologie, Umweltethik und Gender-Perspektive (s. 1.4). Die Analyse mit der dokumentarischen Methode hat aber keine wesentlichen Kontraste für umweltethische und Reproduktivitätskonzepte bzw. Orientierungen ergeben. Auch wenn ich diese analytischen Perspektiven bei der rekonstruktiven Analyse im Blick behalten habe, haben sie kaum zu starken Kontrasten innerhalb des Materials geführt. An dieser Stelle reflektiere ich meine Methodenwahl und nehme Umweltethik und Genderperspektive analytisch wieder auf. Mein ursprünglich geplantes Vorgehen weist die Schwierigkeit auf, dass ich einerseits analytische Schwerpunkte vorgegeben habe, andererseits Befragungs- und Analysemethoden gewählt habe, die nicht theoriegeleitet vorgehen, sondern wesentliche Kontrastierungen aus dem Sample heraus rekonstruiert. Mit der Befragungstechnik der Gruppendiskussionen habe ich ein sehr offenes Format gewählt, in dem die Jugendgruppen größtenteils - bis auf die Frage nach Klimawandel – selbst entscheiden, was sie thematisieren. Mit der Dokumentarischen Methode habe ich wesentliche Kontraste innerhalb des Samples herausgearbeitet. Mein Sample besteht jedoch nicht aus stark kontrastierenden Gruppen, sondern ausschließlich aus Jugendumweltgruppen. Innerhalb dieses Samples erweisen sich unterschiedliche Foki (dagegen oder dafür), Formen der Wissensorganisation, Konzepte gesellschaftlicher Naturverhältnisse, Praktiken der Jugendumweltgruppen und Organisationsstrukturen als stärkste Kontraste. Die Kontrastierung macht die Spannbreite innerhalb von Jugendumweltgruppen sichtbar, jedoch nicht deren spezifischen Standort im Vergleich zu anderen kollektiven Orientierungen und Positionierungen von Jugendgruppen. Bei einem anderen, breiteren Sampling hätten sich andere Kontraste ergeben. Dennoch lassen sich auch ohne starke Kontraste innerhalb des Samples interessante Aussagen treffen. Bei den folgenden Vergleichen ist zu beachten, dass ich die impliziten Sinn-
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strukturen der Jugendumweltgruppen mit expliziten Positionierungen anderer Akteur*innen vergleiche. In Bezug auf umweltethische Positionierungen lässt sich zeigen, dass es im Vergleich von Jugendumweltgruppen untereinander eine untergeordnete Rolle spielt, ob die Jugendgruppen eher biozentrisch oder anthropozentrisch argumentieren (s. 3.2). Wesentlicher ist der Unterschied, ob sie menschenfreundlich oder menschenfeindlich argumentieren, was auf ihre Umwelt-Gesellschaftskonzepte verweist und den großen Einfluss dieser auf die Orientierungsmuster Gestaltungsraum und Protest. Hier wird deutlich, dass die Kontrastierung zu deutlich abweichenden umweltethischen Positionen fehlt. Die von mir untersuchten Fälle liegen in den umweltethischen Positionen relativ nah beieinander. Dies lässt sich zeigen durch die Kontrastierung mit Positionierungen, die radikal biozentrisch oder anthropozentrisch sind. Biozentrische Positionen betonen nicht nur das „Eigenrecht der Natur“, sondern das Eigenrecht von Ökosystemen oder sogar des Planeten Erde (Radkau 2000, 2016, Kothari et al 2017). Dabei wollen radikal biozentrische Gruppen wie Earth First nicht nur „die Erde“ vor „den Menschen“ schützen, sondern aktiv menschliche Infrastrukturen zerstören (vgl. Radkau 2011: 429-433). Damit gehen sie über die tendenziell menschenfeindliche Argumentation der von mir untersuchten Gruppen hinaus. Selbst der extreme Protest-Fall Stachelbeere erscheint mit dem gedankenexperimentellen Elaborieren des „kollektiven Selbstmords“ als „perfekte Lösung“ (s. 3.1) noch deutlich weniger radikal als Gruppen, die auch auf der Ebene der Aktionen für Industriesabotage und Zerstörung von Infrastrukturen eintreten. Demgegenüber erscheint die Darstellung von Stachelbeere eher als jugendspezifisches Liebäugeln mit radikalen Positionen, die sie jedoch in keiner Weise in die Tat umsetzen wollen, sondern vielmehr als Ventil für Stimmungen von Frust und Verzweiflung, die aus erfolglosen Versuchen, die Anderen zum Umdenken zu bringen, entstehen (s. 2.2, 3.1, 3.2). Die Positionen der von mir untersuchten Jugendgruppen sind insgesamt eher Mischpositionen zwischen biozentrischen und anthropozentrischen Argumenten einzuordnen. Sie nehmen Menschen in den Fokus, selbst wenn sie als Fürsprecher*innen von „Tieren und Pflanzen“ auftreten. Dies zeigt sich in der Kontrastierung zu aktuellen biozentrischen Diskursen um die gesetzliche Anerkennung von Rechten für Ökosysteme, z. B. Flüssen (Kothari 2017). Noch stärker kontrastieren die Positionen der Jugendumweltgruppen von dominanten, stark anthropozentrischen Nutzungslogiken. Letztere verstehen Umweltschutz als technische Optimierung bestehender Produktionsweisen oder Infrastrukturen, ohne jegliche Kritik an den Wirtschaftssystemen und Lebensstilen, die einen Schutz von Ökosystemen bzw. die Reparatur von Umweltschäden
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überhaupt notwendig machen (Lay-Kumar 2016). Ein starker Kontrast ist zudem denkbar mit Jugendgruppen, die Interessen vertreten, die Umweltschutzinteressen zuwider laufen oder solche schlicht ignorieren.7 In Bezug auf Geschlechterverhältnisse stellt sich die Frage: Weisen die Problemsichten und Lösungsansätze der Jugendgruppen Verengungen auf, die entlang geschlechtlich codierter Trennungen verlaufen? Innerhalb meines Samples lassen sich deutliche Unterschiede rekonstruieren. Doch ebenso wie im Kontext umweltethischer Positionen fehlt eine Kontrastierung mit Gruppen, die stark abweichende Orientierungen dokumentieren. So lokalisiert sich meine Kontrastierung innerhalb eines kleinen Ausschnitts des Gesamtdiskurses, mit der Gefahr, dass Differenzen methodisch aufgebläht werden.Geschlechtlich codierte Verengungen in Problemsichten und Lösungsansätzen verlaufen bei meinen Fällen entlang der Orientierungsmuster Gestaltungsraum und Protest. Sie lassen sich analog zur Herstellung von gesellschaftlichen Naturverhältnissen rekonstruieren (s. 1.3, 3.1). Die Protest-Fälle stellen Umwelt und Gesellschaft als dualistisches Gegensatzpaar dar. Sie nehmen damit den Natur-Kultur-Dualismus auf, auch wenn sie die Hierarchisierung zwischen Umwelt und Gesellschaft auf expliziter Ebene umdrehen. Dieses Konzept beinhaltet eine Idealisierung von „Natur“ als das Gute, jedoch auch eine statische Vorstellung von Umwelt-GesellschaftsInteraktionen, da die Gesellschaft als Störfaktor gilt, während die „Natur“ sich selbst regenerieren würde, wenn man nur die Zerstörung durch die Menschen aufhalten würde. Hier deutet sich ein blinder Fleck an, da zwar reproduktive und regenerative Arbeiten der „Natur“ wertschätzend thematisiert werden, während reproduktive menschliche Tätigkeiten als Optionen der Problemlösung jedoch ausgeblendet werden (s. 3.1). 8 Diese Argumentation der Protest-Gruppen ist jedoch nicht durchgehend. Sie folgen nicht der gängigen Überzeugung, dass Umwelt- bzw. Klimaproblematiken sich durch großtechnische Strategien lösen lassen, sondern nennen politische, wirtschaftliche und private Strategien gleichermaßen (s. 3.0, 3.2). Bei der Thematisierung von Klimawandel fällt auf, dass die Protest-Gruppen fast ausschließlich eine naturwissenschaftliche Perspektive und massenmedial verbreitete Bilder von Klimawandel als Umweltkatastrophe (2.1.2), also ausschließlich als sozial männlich codierte Strukturen, wie naturwissenschaftlicher Forschung und öffentliche Berichterstattung, in die Problemdarstellung aufnehmen. Perspektiven und Praktiken, die aus sozial weiblich
7
Da ich keine Vorannahmen über Gruppen treffen will, zu denen mir keine Forschungsergebnisse vorliegen, verzichte ich an dieser Stelle auf Beispiele.
8
S. Passage zu Tschernobyl bei Kirsche, 3.1.
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codierten Strukturen hervorgehen, wie sozialwissenschaftliche Problemanalysen sowie alltagspraktische oder mit reproduktiver Arbeit verbundene Lösungsstrategien blenden die Protestgruppen aus. Typische Gestaltungsraum-Fälle dagegen thematisieren im Kontext von Klimawandel keine naturwissenschaftlichen Daten, sondern gesellschaftliche Lösungsansätze sowie individuelle Strategien für Klimaschutz, insbesondere in den Bereichen Konsum und Mobilität. Diese andere Perspektive begründet sich in ihren Umwelt-Gesellschafts-Konzepten. Der Gestaltungsraum, den sie aufmachen, basiert auf der Vorstellung, dass Umwelt schützen und Menschen schützen die gleichen Strategien erfordert, im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation (s. 3.1, 3.2). Der Blick auf die Utopien der Gestaltungsraum-Fälle zeigt, dass sie Gesellschaft und Umwelt, produktive und reproduktive Sphäre weitgehend zusammen denken. Eine bessere Welt bedeutet gleichzeitig, Ressourcen schützen und zu erhalten, sowie einen alternativen Gesellschaftsentwurf zu gestalten (s. 3.1). Ich halte es jedoch für problematisch, aus dieser Analyse zu schließen, dass die protestorientierten Jugendumweltgruppen konzeptuell genderblind sind, die gestaltungsorientierten jedoch nicht. Es lässt sich jedoch kritisieren, dass die Dachverbände der Jugendorganisationen in ihren Logiken sowohl Natur-KulturDualismen weitertragen, als auch als sozial weiblich codierte Lösungsoptionen für Klimaschutz ausblenden, indem sie vor allem auf die Energiewende und großpolitische Entscheidungen setzen, insbesondere der protestorientierte Dachverband Greenpeace.9 Die Protestgruppen übernehmen die genderblinden Problemdarstellungen und Lösungsstrategien des Dachverbands, der Klimaschutz auf öffentliche Protestaktionen und technische Lösungen (Energiewende) reduziert. Dabei spielt die Wissensorganisation der typischen Protest-Gruppen eine wesentliche Rolle, die dazu führt, dass Problemsichten und Handlungsoptionen kaum reflektiert werden (2.1.2, 3.0, 4.1). Die Gestaltungsraum-Gruppen haben als Jugendverband eine vom Dachverband abweichende Positionierung, die gerade im Kontext von Klimaschutz zu tragen kommt. Nur der untypische Fall Kürbis thematisiert in Bezug auf Klimaschutz die gleichen, auf individuelle Alltagspraktiken bezogenen Strategien wie der Dachverband, was zu mangelnder Handlungsfähigkeit und Abwendung führt (s. 2.1, 5.1).
9
Diese These lässt sich durch die Dokumentenanalyse und Sekundärliteratur belegen. Diese Ausführungen würden hier den Rahmen sprengen. Zum Dachverband Greenpeace vgl. Bedall 2011: 268ff, Boese 2011: 68ff, Zelko 2013, 2014, 2017. Auch die Homepages der Verbände zeigen diese Orientierung sehr deutlich. S. Links 1-11.
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Die Gender-Perspektive bringt ein weiteres interessantes Ergebnis mit Blick auf Reproduktivität und Praktiken der Jugendgruppen (s. 1.3). In Bezug auf Reproduktivitätskonzepte fällt zunächst auf, dass die Jugendgruppen keine Trennung in produktive und reproduktive Sphäre aufmachen. Analytisch lässt sich untersuchen, wie die Thematisierungs- und Dethematisierungsmodi in Bezug auf produktive und reproduktive Tätigkeiten einzuordnen sind. Dabei besteht jedoch die Gefahr, eine Trennung in beide Sphären künstlich zu produzieren bzw. das Konzept von zwei getrennten Sphären zu reifizieren. Ich gehe davon aus, dass die Deutungsfiguren zu Reproduktivität sehr viel deutlicher hervortreten würden in einer Kontrastierung mit Gruppen, die gänzlich andere Orientierungen aufweisen. Dabei interessieren sowohl Gruppen, die die reproduktive Sphäre, entsprechend dem dominanten Verständnis, dethematisieren bzw. unterschlagen, als auch Gruppen, die sich explizit einer Aufwertung der reproduktiven Sphäre verschreiben, z. B. Akteur*innen der Solidarischen Landwirtschaft bzw. des Vorsorgenden Wirtschaftens (Lay 2014, Habermann 2011, 2009, Helfrich 2014, Biesecker/Hofmeister 2006). 10 Sowohl Protest-, als auch GestaltungsraumGruppen verorten Problematiken und Handlungsoptionen im Umweltschutz in beiden Sphären und unterschlagen keine von beiden, im Gegensatz zum dominanten Diskurs zu nachhaltiger Entwicklung (1.3.). Z. B. problematisieren sie sowohl Produktionsbedingungen und Konzernpraktiken, die ich der produktiven Sphäre zuordne, als auch Konsumentscheidungen und Lebensstile, die ich der reproduktiven Sphäre zuordne (vgl. 3.1, 3.2).11 Ein Blick darauf, welchen Sphären die Praktiken der Jugendumweltgruppen zu verorten sind, führt zu folgendem Ergebnis: Die Protest-Gruppen fokussieren
10 Mir sind jedoch keine Jugendgruppen bekannt, deren explizite Positionierung sie als Untersuchungsgegenstand für die eine oder andere Positionierung qualifizieren würde. An dieser Stelle stellt sich die Problematik der Verzerrung durch Vorannahmen, wenn z. B. eine Gruppe der Jungen Liberalen oder Motorsportfans vorab als Vertreter*innen der Unterschlagung der reproduktiven Sphäre zugeordnet würde. S. Ausblick. 11 Dies zeigt sich v. a. in der Kontrastierung der globalisierungskritischen Jugendgruppe „Banane“, deren Orientierungen Asbrand analysiert und die ich im Kapitel 5.2 vorstelle. Diese Jugendgruppe macht eine ähnliche Problemanalyse, sieht jedoch Lösungen in der Sphäre des Politischen, Öffentlichen, während sie der Veränderung von Konsum- und Lebensstilen, die sie der privaten Sphäre zuschlagen, keine Wirkmacht zusprechen. Auf der Basis dieser Argumentation halten sie es z. B. nicht für nötig, individuell Marken bzw. Konzerne zu boykottieren, die für ihre nicht-nachhaltigen Praktiken bekannt sind.
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sich mit der Praktik des Informierens auf die öffentliche Sphäre, die entsprechend gängiger Kategorisierungen als sozial männlich betrachtet wird. Im Rahmen von Informationskampagnen rufen sie zur Veränderungen in produktiver wie reproduktiver Sphäre auf: zu veränderten Produktionsbedingungen und politischen Entscheidungen, ebenso wie zu anderen Konsumentscheidungen und Alltagspraktiken. 12 Während die typischen Protest-Gruppen ihre eigenen Alltagspraktiken weitgehend dethematisieren, lässt sich über implizite Sinngehalte rekonstruieren, dass sie es für selbstverständlich halten, einen ökologisch vorbildlichen Lebensstil zu leben.13 Meine Vermutung ist, dass sie in Bezug auf die private Sphäre für sich als aktive Umweltschützer*innen kaum Verbesserungsbedarf sehen, während sie milieuspezifische Lebensstile (z. B. Fernflüge) ausblenden (s. 4.2). Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass die ProtestGruppen auch gemeinsame Aktivitäten des Gestaltens durchführen, z. B. Netzwerken oder gemeinsames Kochen. Diese erwähnen sie jedoch im Rahmen der Gruppenstunde nur ganz am Rande. Es liegt auch im Aktionsformat und Selbstverständnis des Umweltverbands Greenpeace begründet, dass die Jugendumweltgruppen die Praktik des Informierens in den Vordergrund stellen. Die typischen Gestaltungsraum-Gruppen thematisieren vor allem Aktivitäten, die in privaten und halb-öffentlichen Settings stattfinden, entsprechend gängiger Kategorisierungen also der sozial weiblichen Sphäre zuzuordnen sind. Dabei spielen reproduktive Aktivitäten des Tauschens, Teilens, Selbermachens und Netzwerkens eine wesentliche Rolle (Lay/Westermayer 2014; Biesecker/Hofmeister 2008). Die Gestaltungsraum-Gruppen verstehen unter Umweltschutzstrategien auch Aktivitäten des Erhaltens und Gestaltens, z. B. Kochen, Gärtnern, Reparieren, Tauschen, Vernetzen (s. 3.2). Die Praktik des Organisierens von Social Events ist dementsprechend stark mit reproduktiven Aktivitäten gefüllt. Dementsprechend scheinen die Aktivitäten des GestaltungsraumFalls Paprika als untypisch für Gestaltungsraum-Praktiken (s. 3.2). Es stellt sich
12 Wenn ich die Protest-Fälle nicht untereinander kontrastiere, sondern als Gesamtheit sehe, gehen ihre Aktivitäten von Anti-TTIP-Aktionen (Stachelbeere) über Protestaktionen mit Aufrufen zu Boykott und Konsumverzicht (Kirsche, Erdbeere) bis zu Informationskampagnen über die Nutzung von Wasser, Konsumentscheidungen, Verhinderung von Überfischung sowie Aktionen zur Reduktion von Plastiktütennutzung (Himbeere). 13 Dies lässt sich rekonstruieren, z. B. über die Unterhaltungen im Rahmen des veganen Picknicks von Erdbeere oder das Post-Skript von Kirsche, wo sie davon berichten, dass „wir fast alle vegan sind“, was sie als „positiven Gruppendruck“ darstellen, s. Fallbeschreibungen im Anhang.
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jedoch heraus, dass die Gruppe Paprika als spezialisierter Arbeitskreis Teile der Aktivitäten thematisiert, die die anderen Gestaltungsraum-Gruppen kaum explizieren. Analog zu den Protest-Gruppen thematisieren auch die GestaltungsraumGruppen nicht die Gesamtheit ihrer Aktivitäten, sondern dethematisieren Aktivitäten, die sie für selbstverständlich halten. So berichtet keine der anderen Gestaltungsraum-Gruppen auf die Frage nach ihren Aktivitäten von Informations- und Protestaktivitäten. Aus Seitenbemerkungen und über die Dokumentenanalyse lässt sich jedoch rekonstruieren, dass sie sehr wohl an solchen Aktivitäten teilnehmen.14 Die typischen gestaltungsorientierten Fälle halten die Teilnahme an Großdemonstrationen oder die Präsenz über Informationstische bei Großveranstaltungen jedoch für so selbstverständlich, dass sie diese nicht erwähnen. Ich begründe dies mit einem Distinktionseffekt: Die BUND-Jugend grenzt sich implizit von anderen Jugendverbänden dadurch ab, dass sie nicht nur Protestund Informationsaktionen macht, sondern auch private und halb-öffentliche Aktivitäten. Dementsprechend legen die Gestaltungsraum-Gruppen ihren Fokus auf Praktiken des Social Events Organisierens. Da das Modell von Informationspraktiken und Forderungen zur Veränderung der produktiven Sphäre im Umweltschutzdiskurs das Schwergewicht hat, erscheint es ihnen möglicherweise nicht nötig, darauf einzugehen. Sie fokussieren sich auf die Gestaltung von Alternativen, ihr Markenzeichen. Die Übergänge zwischen produktiver und reproduktiver Sphäre erweisen sich als fließend: So beginnt politische Partizipation als Pflege von Netzwerken und weitet sich aus in den öffentlichen Raum (s. 2.1.3) oder die Öffentlichkeitskampagne zum städtischen Klimaschutzplan konkretisiert sich in privaten Lebensstilentscheidungen (s. 2.1.1).15 Die Analyse meiner Gruppen zeigt, dass die Frage, inwiefern Jugendumweltgruppen die Auflösung hierarchischer Geschlechterverhältnisse in ihren Problemlösungen und Umweltschutzpraktiken mitdenken, zu komplexen Antworten führt. Explizite und implizite Thematisierung überkreuzen sich bei den Orientie-
14 Z. B. thematisiert der typische Gestaltungsraum-Fall Tomate die Organisation des „Wir haben es satt-Bus“, ohne explizit zu erwähnen, dass dieser benötigt wird, um als Jugendumweltverband zur „Wir haben es satt“-Großdemonstration in die Bundeshauptstadt zu fahren, die über 500 km entfernt liegt. S. 4.1. Ein anderes Beispiel: der extreme Gestaltungsraum-Fall Paprika berichtet von einer Protestaktion gegen TTIP, s. Fallbeschreibung im Anhang. 15 Dies lässt sich detaillierter nachlesen in den Fallbeschreibungen von Tomate (zu politischer Partizipation) und Paprika (zum Klimaschutzplan und Alltagspraktiken), s. Anhang.
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rungsmustern Gestaltungsraum und Protest, während es auf der Ebene der berichteten Aktivitäten fließende Übergänge gibt. Durch die Methodenwahl der Gruppendiskussion kann ich keine Aussagen über die tatsächlichen Praktiken machen, nur über die Thematisierung von Praktiken. Auch hier zeigt sich, wie prägend die vorgegebenen Programme der Umweltverbände sind für das, was die Jugendgruppen als Umweltschutz thematisieren. Dabei spielen auch Distinktionseffekte eine Rolle: So will die Greenpeace-Jugend das Bild aktionistischer Öko-Kämpfer*innen vermitteln und nicht als „Kuschelgruppe“, der vor allem die Kommunikation untereinander und das gemeinsame Wohlfühlen und Kochen wichtig ist. 16 Die BUND-Jugend dagegen will ausstrahlen, ein Verband voller Freund*innen zu sein, die gut gelaunt den Weg für eine sozialökologische Transformation bereiten. Aktivitäten, die diesem Bild widersprechen, werden selbstverständlich trotzdem gemacht, jedoch scheinen sie in der Gruppendiskussion nicht der Erwähnung wert.
5.3 VERGLEICHENDE ANALYSE 5.3.1 Vergleich mit qualitativen Studien In diesem Kapitel vergleiche ich meine Ergebnisse mit anderen Studien. Erstens ordne ich die Orientierungsmuster Gestaltungsraum und Protest in die Umweltund Alternativbewegung ein. Zweitens vergleiche ich die Kommunikationsform mit anderen Umweltgruppen (Christmann 1996). Drittens vergleiche ich meine Ergebnisse ausführlich mit Asbrands Studie „Wissen und Handeln in der Weltgesellschaft“ (2009, s. 1.1). Im folgenden Unterkapitel ordne ich meine Ergebnisse vor dem Hintergrund großer Jugendstudien ein. Erstens: Protest ist im Kontext der Umweltbewegung ein bekanntes Muster und ist massenmedial sehr präsent. Die Ausprägung, die ich bei meinen Gruppen rekonstruiert habe, weist einige Spezifika auf. Es handelt sich um ein jugendspezifisch geprägtes Muster, der konjunktive Erfahrungsraum ist durch viele neue Mitglieder (bzw. einen häufigen Wechsel an Mitgliedern) geprägt. Zudem weist diese Form der Protestorientierung milieuspezifische Charakteristika auf: Ty-
16 Dabei erwähnt Stachelbeere ein Vernetzungstreffen mit anderen Lokalgruppen der Greenpeace-Jugend, Erdbeere picknickt während der Gruppendiskussion, Mitglieder von Kirsche und Himbeere sind nach dem Gruppen-Treffen zum gemeinsamen Kochen bzw. Essen verabredet, wie ich nach der Gruppendiskussion erfahre.
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pisch für ein gymnasiales Bildungsmilieu ist das gedankenexperimentelle Elaborieren von Problemstellungen (s. 4.2). Im Kontext von Umweltprotestbewegungen gibt es Varianten, bei denen der Fokus stärker auf den Aktionen liegt, entsprechend der Maxime „‚Taten statt Warten‘ (gemeint ist vor allem: Taten statt Worte)“ (Krüger 1996: 46). Gerade die Dachorganisation Greenpeace ist bekannt dafür. In ihrer historischen Entwicklung stellt sie eine Gegenbewegung dar zur Alternativbewegung der 1960er und 1970er Jahre (Zelko 2013, 2014, 2015, 2017, Radkau 2011). Die Dachorganisation steht seit ihrer Gründung für eine „gepflegte Utopielosigkeit [als] Bruch mit der Kultur der sozialen Bewegungen der Siebziger. … Damit entwickelte Greenpeace sich konträr zum Totalitätsanspruch des Politischen, seit 1968 … für die Kultur der sozialen und auch der beginnenden Ökobewegung bestimmend war, konträr aber auch zu deren Heilsperspektive.“ (Krüger 1996: 46f.)
Der Avantgarde-Anspruch bezieht sich dann weniger auf eine überlegene moralische Position als „auf ihren spezifischen Pragmatismus, mit dem (die Organisation) sich selbst und andere an Taten misst“ (Krüger 196: 40).17 Bei den von mir untersuchten typischen Protest-Gruppen wird die David-Goliath-Metapher verschärft durch den Einfluss des Ökomilieus, der das elitäre Selbstverständnis prägt, schon immer auf der Seite der normativ Guten zu stehen. Sie kämpfen nicht nur gegen einen Konzern-Goliath bzw. kapitalistische Systemlogiken, die umweltschädliche Konzernpraktiken hervorbringen, sondern weiten den Kampf aus auf die ignoranten Anderen. Damit kommt das David-Goliath-Szenario ins Kippen. Denn wenn – wie beim Extremfall Stachelbeere – die Gegnerin die ganze Menschheit ist, dann kann Öko-David nicht mehr gewinnen. Das Orientierungsmuster Gestaltungsraum ist im Kontext von Jugendumweltgruppen noch nicht beschrieben. Fischer (2002) ebenso Gruppen der BUND-Jugend untersucht, diese jedoch mit keinen anderen Gruppen kontrastiert und keine kollektiven Orientierungsmuster erarbeitet (s. 1.1). Ihre Ergebnisse passen zur von mir rekonstruierten Gestaltungsorientierung: Die Jugendlichen zeigen eine enge emotionale Bindung an „Natur“ mit Gefühlen von Trauer bis Liebe (vgl. Fischer 2002: 196; 217f). Zugehörigkeit, Spaß und Selbstwirksamkeit sind demnach wesentliche Elemente des Engagements und wirken motivierend. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Diskurse und Bewegungen, an die das Orientierungsmuster Gestaltungsraum sich anlehnt. Ein historischer Vorläufer ist
17 Möglicherweise handelt es sich dabei auch um eine jugendspezifische Ausprägung innerhalb der gleichen Organisation. Denn Jugendliche können noch nicht an den spektakulären Protestaktionen des Erwachsenenverbands teilnehmen.
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die Alternativbewegung (Hollstein 1998, Meißner et al. 2001). Hollstein (1998) beschreibt in Bezug auf die Alternativbewegung seit den 1950er Jahren Sinnhorizonte, die sich als Gestaltungsorientierung rahmen lassen. Typisch ist der Anspruch, sich nicht auf eine abstrakte Problemanalyse zu fokussieren, sondern alternative Gestaltungsoptionen ins Zentrum zu rücken. Markant ist auch der Anspruch, dabei bereits einen Geschmack einer besseren Welt zu vermitteln und „durch konkrete Praxis zu werben“: „So könne auch der Außenstehende experimentierend erfahren, was alternatives Leben bedeutet.“ (Hollstein 1998: 155). Die Veränderung soll nicht in einer abstrakten Zukunft liegen, z. B. über eine Veränderung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, sondern bereits in der Gegenwart den Weg Richtung Utopie weisen (Hollstein 1998: 156). Dies entspricht der Darstellung des typischen Gestaltungsraum-Falls Gurke: „jeder sollte ... die Veränderung leben, die man sich halt in der Welt wünscht“ (s. 3.2). Die von mir untersuchten typischen Gestaltungsraum-Gruppen weisen eine milieuspezifische Prägung auf, ihre Spielart von Gestaltungsraum ist stark von akademischem Wissen geprägt, das konzeptuelle Erarbeiten von Positionen nimmt einen großen Raum ein (s. 3.0, 4.2). So könnte auch bei Gestaltungsraum der Fokus stärker auf konkreten Aktivitäten liegen. Es ist jedoch auch den dezentralen Organisationsstrukturen zuzuschreiben, dass die Jugendgruppen einen großen Teil Organisations- und konzeptuelle Arbeit übernehmen, was dazu führt, dass sie sich nicht ausschließlich auf das Durchführen von Social Events und Experimentieren fokussieren können.18 Ein zur Gestaltungsorientierung analoges Orientierungsmuster findet sich gegenwärtig in Bewegungen und Denkansätzen wie dem Konvivialismus und dem Commoning (s. 5.3). Spezifisch für die Jugendumweltgruppen ist der Fokus auf Umweltschutz. Gemeinsam ist ihnen der Fokus auf eine bessere Welt, die nachhaltige gesellschaftliche Naturverhältnisse beinhalten soll und gleichzeitig durch ein anderes Miteinander geprägt ist. Auch wenn gestaltungsorientierte Bewegungen und Praktiken sich in den letzten Jahren stark ausgebreitet haben, sind sie massenmedial wenig präsent. Im Gegensatz zu Protestaktionen sind sie noch kaum als Aktionsform bekannt bzw. werden wenig ernstgenommen.19
18 Hier ist zu beachten, dass in meinem Sample der BUND-Jugendgruppen überdurchschnittlich viele Vorstandsmitglieder waren (ca. ¾ der Mitglieder), deren Aufgabe es ist, Organisationsaktivitäten zu übernehmen. Für andere Mitglieder des Jugendumweltverbands Gemüse heißt die Praktik weniger Social Events Organisieren, als an Social Events Teilnehmen. S. 3.2. 19 Z. B. wurde im Vorfeld des G20-Treffens im Juni 2017 in Hamburg ein Camp nicht genehmigt, weil es nicht dem Zweck des Protests entspricht, sondern der experimen-
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Zweitens: Die von mir untersuchten Jugendumweltgruppen dokumentieren eine Kommunikation, die typisch für die Umweltbewegung ist. Denn sie bedienen sich stark normativ geladener Sprach- und Deutungsfiguren, ähnlich wie die von Christmann (1997) untersuchten Erwachsenengruppen. Die moralische Verpflichtung, die Welt zu retten (bzw. es zumindest zu versuchen), ist eine selbstverständliche Grundannahme des Umweltengagements (und findet sich in den Slogans beider Jugendverbände). Ebenso wie bei Christmanns Forschung lässt sich bei meinen Gruppen eine Verquickung zwischen Wissensbeständen und normativen Setzungen feststellen (vgl. Christmann 1997: 79, Christmann 1992b). Laut Christmann nimmt die Thematisierung der eigenen ethischen Motivation für den Umweltschutz bei den Umweltgruppen wenig Raum ein (vgl. Christmann 1996: 186). Bei den von mir untersuchten Gruppen sind es kurze, aber wesentliche Passagen, in denen sie sich mit viel Emphase ethisch positionieren, oft in der Anfangsrunde oder in Kombination mit Gründen für das Engagement. Sie erheben den Anspruch, Teil einer Bewegung gegen die schlechten Dinge bzw. für eine bessere Welt zu sein.20 Ich halte dies für ein jugendspezifisches Ergebnis: Die Mitglieder der Jugendgruppen sind noch nicht so lange aktiv, häufig erst einige Monate, und sehen ihr Engagement und die Beweggründe als weniger selbstverständlich an, als die langjährig aktiven Erwachsenen, die Christmann erforscht hat. Die von Christmann untersuchten Umweltschutzgruppen dokumentieren protesttypische Deutungsfiguren: Sie sehen die Ursache der ökologischen Krise im falschen Handeln und übermäßigen Konsum der Anderen und zeichnen das Bild eines drohenden Weltuntergangs. „Eine Rettung wird nur für möglich gehalten, wenn sich in der Bevölkerung ein umfassender Bewusstseinswandel vollzieht.“ (Christmann 1996: 70). Christmann analysiert drei Formen des Moralisierens: Das Sich-Beklagen, das Sich-Entrüsten, das Sich-Mokieren. Sich-Entrüsten entspricht der Herstellung von Empörung, die ich als typisch für die ProtestGruppen rekonstruiert habe. Sich-Beklagen und Sich-Mokieren sind in den von mir untersuchten Gruppendiskussionen deutlich weniger vorhanden. Das SichMokieren stellt Christmann als typische Form moralischer Kommunikation bei langjährig Aktiven dar (vgl. Christmann 1997: 104ff). Es überrascht also nicht, dass es bei den von mir untersuchten Jugendgruppen nicht vorhanden ist. Sie
tellen Gestaltung alternativer Lebensentwürfe. S. Artikel „Gericht: Kein G-20-Camp im Stadtpark“ in der FAZ vom 24.6.17. „Zudem heißt es in der Begründung, das Vorleben einer 'alternativen' Lebensweise' sei an sich nicht versammlungrechtlich nicht geschützt.“ (FAZ, 24.7.2017: 1). 20 Gestaltungsraum-Fälle koppeln das oft mit Sinnfindung, vgl. Lay-Kumar 2017b.
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sind noch nicht so lange aktiv, dass sie von der Empörung zum resignativen Mokieren übergehen.21 Bei meinen Protest-Gruppen fällt auf, dass die Herstellung von Empörung stark interaktiv erarbeitet wird, wobei häufig langjährig aktive und neue Mitglieder sich die Bälle zuwerfen, indem sie in einer Steigerungsdynamik immer absurdere Missstände thematisieren (s. 2.1.2, 3.0). Damit stellen sie einen gemeinsamen konjunktiven Erfahrungsraum her, der durch die Orientierung am Dagegen geprägt ist. Das Moralisieren bzw. sich Empören ist eng mit dem Fokus auf die Anderen und die schlechten Dinge auf der Welt verbunden, die idealtypisch der Protestorientierung angehören. Ich gehe davon aus, dass das Moralisieren bei den von mir untersuchten Gruppen jugendspezifische Züge aufweist: Die Jugendlichen sprechen moralisch begründeten Entscheidungen (z. B. Konsumverzicht) hohen Wert zu. Meine These ist: Die (Protest-) Gruppen argumentieren mit Aufklärung über die schlechten Dinge auf der Welt, weil sie eine ebensolche Kommunikation zum Engagement geführt hat. Sie schließen dabei von sich auf andere: Informationen über Missstände haben sie zum Engagement bewegt, jetzt erhoffen sie, damit andere aufzurütteln und in Aktion zu bringen. Sie denken, dass für die Anderen Moral genau so entscheidend sei wie für sie, die Anderen bräuchten nur die entsprechenden Informationen. Deshalb wollen sie ihnen die Augen öffnen. Möglicherweise sind sie selbst noch nicht so lange über bestimmte Zusammenhänge informiert, was sich vermuten lässt, da die meisten weniger als ein Jahr bei der Umweltgruppe aktiv sind. Sie sehen sich möglicherweise als diejenigen, die jetzt verstanden haben, wie die Welt läuft, und wollen das anderen verständlich machen. Dies ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der moralischen Kommunikation in erwachsenen Umweltgruppen, wie sie z. B. bei Christmann zu finden ist. Ich widerspreche Christmanns These, dass alle Strömungen der Umweltbewegung nach folgendem Schema funktionieren: „Es werden nicht nur die Lebenseinstellungen und Lebensweisen anderer nach den Kriterien von ‚gut’ und ‚böse’ beurteilt, es geht vielmehr darum, die ‚Sünder’ zur Umkehr – zur ‚guten’ Lebensweise – zu bewegen.“ (Christmann 1997: 63). Dies begründe ich mit
21 Beim Sich-Mokieren fehlen Affektmarkierung und Dramatisierung, dafür inszenieren die Sprecher*innen emotionale Distanz, wissende Abgeklärtheit und eine resignative Haltung in Bezug auf Umweltschutzbemühungen (Christmann 1996: 111). Beim Sich-Entrüsten sind es laut Christmann auffällig häufig neue Gruppenmitglieder, die sich innerhalb ihrer ersten Gruppensitzung entrüsten, als wäre es ein Eintrittsritual (Christmann 1997: 95). Diese Dynamik lässt sich über einzelne Gruppendiskussionen kaum einschätzen, anders als bei Christmanns kontinuierlichen Untersuchung der Gruppen.
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einer wissenssoziologischen These, die Christmann selbst formuliert: Mit der kommunikativen Konstruktion von Weltbildern und Deutungen ist zugleich eine Konstruktion von Selbstbildern bzw. Selbstverständnissen verbunden (vgl. Christmann 1997: 189). Zwar passt Protest zum Selbstverständnis sich empörender Öko-Kämpfer*innen, nicht jedoch das Orientierungsmuster Gestaltungsraum. Heute sind andere Weltbilder und Kommunikationsmodi zu finden, als Christmann für die Umweltbewegung der 1980er und 1990er Jahre rekonstruiert. Ich gehe davon aus, dass sich das Orientierungsmuster Gestaltungsraum gerade in Abgrenzung zum bekannten Öko-Protest entwickelt hat. In den gestaltungsorientierten Jugendgruppen ist diese Abgrenzung deutlich nachweisbar: „Also, dass man nicht nur sagt: ‚das ist schlecht‘, sondern: ‚da wollen wir hin‘.“ (Paprika, Z. 305-324) Eine interaktive Herstellung von Empörung fällt bei ihnen aus. Vereinzelt empören sich Teilnehmer*innen, die anderen Gruppenmitglieder führen diese Empörung jedoch nicht weiter. Vielmehr besteht die Tendenz, einseitige oder pauschalisierende Aussagen zu relativieren, zu ergänzen oder zu kontrastieren und damit einer massiven Empörung entgegenzuwirken. Dies führt dazu, dass selten die Empörung gegen die schlechten Dinge im Vordergrund steht und der Fokus sich auf die Handlungsmöglichkeiten für eine bessere Welt richtet. Insofern gibt es der Gestaltungsorientierung eine deutliche Abwendung von ideologischer Darstellung.22 Zum Selbstverständnis als Pionier*innen passt nicht das moralische Verurteilen der Anderen. Vielmehr inszenieren die Gestaltungsraum-Gruppen den Anspruch, eine bessere Welt im Kleinen bereits erfahrbar zu machen und damit die Anderen einzuladen, ihnen auf dem Weg zu folgen. Drittens: Im Folgenden vergleiche ich meine Ergebnisse ausführlich mit Asbrands rekonstruktiver Studie, denn sie ähnelt meinem Forschungsprojekt stark in ihrer wissenssoziologischen Analyse, Methodik und der Erforschung von Jugendgruppen. Ich stimme Asbrands Hauptthese zu, dass die Strukturen der Lernräume die Wissensbestände und -organisation prägen. Auch der von ihr beschriebene Zusammenhang zwischen der Struktur des Wissens und der Handlungsorientierung der Jugendgruppen findet sich in meiner Analyse. Von Asbrands vier Achsen der Typologie, in die sie die Weltentwürfe und Handlungs-
22 Z. B. rahmt der Gestaltungsraum-Fall Kürbis die Darstellung von Nachbarn, die „mit dem SUV zur Waldorfschule fahren“ ( Z. 347-355) , nicht als schlechtes Handeln, sondern stellt dies als Beispiel von „unterschiedlichen Bildern von Umwelt“ im Rahmen des als „Öko“ benannten Milieus dar. Dabei fehlt jegliche Emotionalisierung. S. 4.2. Es geht nicht um „perfekt sein“ in Bezug auf Alltagspraktiken (s. Paprika, Fallbeschreibung im Anhang), sondern um gemeinsames Erarbeiten einer besseren Welt.
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praxis von Jugendlichen zu Globalisierung und Entwicklung einordnet, sind drei für meine Arbeit relevant: organisationstypische, bildungsmilieutypische und die Handlungspraktiken betreffende Spezifika (s. 1.1). Die Geschlechtstypik, die laut Asbrand eine „verdeckte Rahmeninkongruenz“ (Asbrand 2009: 209ff) zwischen männlichen und weiblichen Teilnehmer*innen erkennen lässt, findet sich bei meinen Gruppen nicht. 23 Ein möglicher Grund ist, dass ich ausschließlich gemischte Gruppen befragt habe, Asbrand jedoch sowohl gemischte Gruppen als auch Gruppen mit ausschließlich weiblichen bzw. männlichen Teilnehmer*innen. Die von mir untersuchten Jugendgruppen weisen einen theoretisierenden Weltzugang (vgl. Asbrand 2009: 62ff) auf, der durch ihr Bildungsmilieu geprägt ist (s. 4.2).24 Asbrand weist der Organisationstypik eine besondere Relevanz zu, da sie daraus Schlüsse für ihren Fachbereich Erziehungswissenschaft und das Globale Lernen ableitet. Die Kontrastierung zwischen schulischen und außerschulischen Lernräumen hat dementsprechend Gewicht für die Schlussfolgerungen über Lernarrangements. Während Asbrand die unterschiedlichen Organisationsstrukturen von Schule und außerschulischer Jugendgruppen herausarbeitet und zwischen verschiedenen Schultypen differenziert, bleibt die Darstellung der Organisationsstrukturen der außerschulischen Gruppen überraschenderweise eine Leerstelle. Ich widerspreche Asbrands Darstellung zu außerschulischen Lernräumen in mehreren Punkten, denn ich halte sie für verkürzt. Meine Analyse zeigt, dass kontrastierende Organisationsstrukturen auch im Rahmen außerschulischer Gruppen zu wesentlichen Differenzen führen. Asbrand weist dem Schulunterricht Organisationsformen zu, die Hierarchie und Distanz beinhalten, den außerschulischen Lernräumen dagegen Freiwilligkeit und Zugehörigkeit (vgl. Asbrand 2009: 182). Freiwilligkeit ergibt sich erst in Kontrastierung mit Schulunterricht, bei dem die Teilnahme nicht freiwillig ist, als wesentliches Merkmal außerschulischer Gruppen. Die Darstellung, dass der Lernraum Schulunterricht hierarchisch strukturiert sei, der Lernraum außerschulischer Gruppen jedoch
23 Da mir Asbrands Typologie bereits zu Beginn des Forschungsprojekts bekannt war, habe ich im Rahmen der rekonstruktiven Analyse überprüft, ob sich eine solche verdeckte Rahmeninkongruenz oder ähnliche Dynamiken in meinen Gruppendiskussionen finden. Dies ist jedoch nicht der Fall. 24 Wie auch bei Asbrand rekonstruiert, ist der Einfluss der Gymnasialprägung abgeschwächt, wenn die Gruppen zunehmend über erfahrungsbasiertes Wissen aus ihrer aktivistischen Praxis verfügen (s. 4.2). Bei meinen Jugendumweltgruppen besteht zudem ein Einfluss von akademischem Wissen, das durch studierende Teilnehmer*innen in die Jugendgruppen eingebracht wird.
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nicht, halte ich für verallgemeinernd. Es lohnt sich ein Blick auf die vielfältigen Organisationsstrukturen und Settings außerschulischer Jugendgruppen. Im Kontrast zum Schulunterricht sind sie zwar deutlich weniger hierarchisch, jedoch gibt es hier auch Differenzen – und auch bei Asbrands Gruppen überrascht eher, dass kein relevanter Unterschied zwischen den Organisationsstrukturen einer kirchlichen, einer gewerkschaftlichen, einer globalisierungskritischen und einer Jugendumweltgruppe erkennbar ist. Asbrand beschreibt, das außerschulische Engagement sei gekennzeichnet „durch gemeinsame Aktivität in einem Peermilieu, das nicht durch Erwachsene, sondern durch die Jugendlichen selbst gestaltet wird“ (Asbrand 2009: 200). Meine Ergebnisse zeigen dagegen, dass auch in außerschulischen Lernräumen unterschiedlich hierarchische Strukturen existieren und diese durchaus von Erwachsenen beeinflusst werden. Diese Strukturen mögen weniger vorstrukturiert und hierarchisch als im Lernraum Schulunterricht sein, jedoch wirken sie auf den Lernort Jugendumweltgruppe ein und prägen die impliziten Sinnstrukturen.25 Es ist also kein allgemeingültiges Charakteristikum außerschulischer Jugendgruppen, dass sie in einem Peer-Milieu selbst gestaltet werden. Asbrand übersieht, dass sich auch in außerschulischen Lernräumen hierarchische Strukturen in die Orientierungen einschreiben. Ein genauer Blick auf die Organisationsstrukturen und Praktiken im Feld der Jugendumweltgruppen zeigt, dass diese wesentliche Folgen für explizites wie implizites Wissen haben. Bei einem Blick auf Asbrands empirisches Material stelle ich fest, dass sie sich fast ausschließlich auf zwei außerschulische Gruppen bezieht: die globalisierungskritische Gruppe „Banane“ und die Jugendumweltgruppe „Marktplatz“ (vgl. Asbrand 2009: 163ff; 195ff, 200ff).26 Beide weisen
25 Hier ist zu unterscheiden zwischen jungen Erwachsenen (wie beim Verband der BUND-Jugend), die seit dem Jugendalter im Jugendverband aktiv sind und die Diskurse und Praktiken mitbestimmen, ihre Autorität jedoch mehr aus ihrer langjährigen Teilnahme ziehen als aus ihrem Status als Erwachsene. Dies geht einher mit einer dezentralen, basisdemokratisch organisierten Organisationsform, in der die Jugendgruppen ihre Themen und Aktivitäten jeweils selbst festlegen und erarbeiten. Demgegenüber steht die Rolle von Erwachsenen (bei der Greenpeace-Jugend), die in ihrer Funktion als Mitglieder des Dachverbands Einfluss nehmen, sei es durch unmittelbare Teilnahme an den Gruppentreffen, sei es durch die Vorgabe von Orientierungsmustern, Themen, Aktionen und Materialien (s. 4.1). 26 Es handelt sich um vier Gruppendiskussionen, davon drei mit Jugendlichen mit Gynmnasialhintergrund. Zwei weitere Gruppendiskussionen mit außerschulischen Ju-
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ähnliche Orientierungen auf, die Asbrand als idealtypisch für außerschulische Lernräume auffasst. Meiner Analyse nach handelt es sich in beiden Fällen um protestorientierte Jugendgruppen. 27 Das Orientierungsmuster Gestaltungsraum findet sich bei Asbrand nicht bei außerschulisch Aktiven. So entsteht eine verengte Darstellung, die nur das Orientierungsmuster Protest einbezieht mit den typischen Verknüpfungen von Wissensformen, Praktiken und Organisationsstrukturen. In meinen Daten weist jedoch nur die Hälfte der Fälle dieses Orientierungsmuster auf, während die Gestaltungsraum-Fälle gerade die Reflexion von Wissensbeständen und unsicherem Wissen dokumentieren (s. 2.1.3, 2.2.1, 3.1, 5.1). Das elitäre Selbstverständnis und das Ausblenden von unsicherem und Nicht-Wissen ist kein Charakteristikum von außerschulischen Jugendgruppen im Allgemeinen, sondern Teil des Orientierungsmusters Protest. Es ergibt sich ein Bündel aus
gendgruppen wurden nicht ausgewertet (Asbrand 2009: 56f). Demgegenüber steht die Analyse von zehn Gruppendiskussionen mit Schüler*innengruppen, sechs davon mit Gymnasialschüler*innen. 27 Während es sich bei der Gruppe „Banane“ um eine selbstorganisierte Jugendgruppe handelt, ist die Jugendumweltgruppe „Marktplatz“ eine zum Dachverband gehörende Jugendgruppe. In den Fallbeschreibungen der beiden Gruppen erweist sich, dass diese aus Elternhäusern kommen, die selbst eher wohlhabend sind und dem Öko-Milieu zuzuordnen sind (vgl. Asbrand 2009: 100, 229). Leider analysiert Asbrand nicht, welche Folgen diese Prägung für die Orientierungen hat. Die beiden von Asbrand untersuchten Gruppen „Banane“ und „Marktplatz“ weisen eine ähnliche milieuspezifisch geprägte Protestorientierung auf wie die von mir untersuchten typischen Protest-Fälle: Sie kreisen um Problemstellungen, berichten Informations- und Boykottkampagnen, inszenieren sich als moralisch überlegene Wissenselite und identifizieren sich stark mit ihrer Dachorganisation (vgl. Asbrand 2009: 104; 114f, 177; 164; 195ff, 200f). Sie dokumentieren ein elitäres Selbstverständnis, denn sie gehen davon aus, über das „richtige, wahre Wissen“ zu verfügen (Asbrand 2009: 107). Damit verbunden ist die starke Abgrenzung von den Anderen, „den Leuten“, die als „unintelligent“ dargestellt würden, während die Gruppen sich als exklusiv Wissende inszenieren (Asbrand 2009: 108; 165f). Mithilfe von „informieren“ wollen die beiden Gruppen demnach die Anderen zur „Übernahme der eigenen ‚richtigen‘ Weltsicht“ (Asbrand 2009: 165) überzeugen. Sie halten „ihr Wissen für objektiv gegeben; Nichtwissen sowie alternative Perspektiven werden als Unwissenheit exkludiert“ (Asbrand 2009: 163f; vgl. 200f). Sie reflektieren die von den jeweiligen Dachorganisation zur Verfügung gestellten Wissensbestände nicht und orientieren sich in der Darstellung ihrer Aktivitäten am Programm und Logiken der Verbände (Asbrand 2009: 195ff).
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dem Selbstverständnis, auf der normativ richtigen Seite zu kämpfen, dem unreflektierten Übernehmen von Semantiken und Programmen der Dachorganisation, einer hierarchischen Organisationsstruktur mit vorgefertigten Kampagnen, der Praktik des Informierens und der harten Abgrenzung von den Anderen. Gerade im Kontrast mit dem Orientierungsmuster Gestaltungsraum zeigt sich, dass sich die Organisationsstrukturen, Praktiken und Logiken nicht voneinander trennen lassen. Asbrands Vergleich zwischen den Lernarrangements Gymnasialunterricht und außerschulische Jugendgruppe hinkt, da nur protestorientierte Gruppen zur Kontrastierung zur Verfügung stehen. Asbrand kommt zu dem Schluss, dass nur im Gymnasialkontext die Reflexion von Wissensbeständen und Nicht-Wissen erlernt wird. Daraus schließt sie, dass Schule der Ort ist, an dem Reflexion über Wissensbestände, unsicheres Wissen und die Standortgebundenheit des Denkens stattfindet: „Dieser Vergleich unterschiedlicher Organisationsmilieus – schulischer Unterricht einerseits und außerschulische Jugendarbeit andererseits – macht deutlich, dass die Reflexion über die Begrenztheit und Perspektivität des Wissens ein Phänomen ist, das der Form und den Rahmenbedingungen des schulischen Wissenserwerbs geschuldet ist. … Das Streben nach Wissen und die Reflexion über Wissen und Nichtwissen, die sich bei den außerschulischen Gruppen so nicht findet, kann im Rahmen einer Organisationstypik als Merkmal der Schule beschrieben werden.“ (Asbrand 2009: 169)
Diese Analyse ist nicht haltbar, denn sie unterschlägt, dass es im außerschulischen Bereich andere Orientierungsmuster als das identifizierte Protest-Muster mit ideologischem Denkstil gibt.28 Im Rahmen von außerschulischem Engagement ist zwischen unterschiedlichen Organisationsformen und Lernarrangements zu unterscheiden; diese undifferenziert dem Lernort Schule gegenüber zu stellen, führt zu verkürzten Schlussfolgerungen und spricht außerschulischen Lernräume die Kompetenz ab, reflektiertes, situiertes Wissen zu generieren. Auch Asbrands Analyse des Umgangs mit Unsicherheit (Asbrand 2009: 183-199, s. 1.1) leidet unter der Verengung auf protestorientierte außerschulische Jugendgruppen. Denn so erscheint es, als ob nur die Wahl zwischen zwei Optionen bestehe: Reflexion über unsicheres Wissen in Kombination mit Skepsis und Handlungs-
28 Die von mir rekonstruierte Gestaltungsraum-Orientierung bei Jugendumweltgruppen ist nur eine davon. Es ist zu vermuten, dass es weitere Orientierungen sowie HybridOrientierungen zwischen Protest und Gestaltungsraum gibt, die sich durch reflexive Denkstile auszeichnen.
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unsicherheit bei Gymnasialschüler*innen oder Ausblenden von Nicht-Wissen und ideologisch geprägte Standortblindheit in Kombination mit Optimismus und Handlungssicherheit bei den außerschulischen Jugendgruppen. Doch es gibt nicht nur protestorientierte außerschulische Jugendgruppen. Ich kann zeigen, dass gestaltungsorientierte Jugendgruppen Reflexion und Handlungssicherheit verbinden. Die Gegenüberstellung von Handlungsunsicherheit und Ausblendung von Nichtwissen lässt sich nicht halten. Damit entfällt das Alleinstellungsmerkmal der Schule als einziger Ort der Reflexion von Nicht-Wissen und Standortgebundenheit. Asbrand kommt zu dem Schluss, dass sich die Vor- und Nachteile der Lernarrangements Schulunterricht und außerschulisches Engagement ausgleichen: Während der eine Lernraum Reflexionsfähigkeit ermöglicht, führt der andere zu Handlungssicherheit, beide gleichzeitig treten jedoch nicht auf. Die Lösung sieht Asbrand in der Verbindung des Lernarrangements Schule mit freiwilligen Engagement, also in Schüler*innenfirmen. Diese Gruppen kombinieren einen reflexiven Umgang mit Wissensbeständen mit Handlungssicherheit. Asbrand als Erziehungswissenschaftlerin kommt das Fazit, das die Kombination aus Freiwilligkeit und Schule zu den konstruktivsten Orientierungen führt, sehr gelegen. Meiner Analyse nach sind die von ihr als Vorbilder darstellten Schüler*innenfirmen typische Gestaltungsraum-Fälle.29 Schüler*innenfirmen als einzige Lösung aus dem Dilemma zwischen Handlungsunsicherheit und ideologischem Denken darzustellen, halte ich für eine eingeschränkte Perspektive. Denn sie übergeht die Vielfalt an außerschulischen Engagementformen und Lernarrangements und stellt eine Anbindung an den Lernraum Schule als zwingend dar. Asbrands Kontrastierungen zum Umgang mit Ungewissheit, Passivität und Optimismus ergeben eine spannende Einordnung meiner Ergebnisse. Die außerschulisch aktiven, protestorientierten Jugendgruppen dokumentieren eine optimistische Zukunftsperspektive und Aktivität, im Kontrast zur Skepsis und Passivität der in der Schule befragten Gruppen. Die Jugendumweltgruppe „Marktplatz“ bezieht ihren Optimismus aus der Darstellung erfolgreicher eigener Aktionen, die sie in Bezug setzt zu Erfolgen „der Umweltbewegung“ im allgemeinen
29 Denn sie weisen die entsprechenden Charakteristika auf: Sie entwickeln in einem selbstorganisierten Lernraum, dem Weltladen, Projekte für eine bessere Welt im Kleinen und organisieren diese selbst. Die Erfahrungen in diesem Lernraum beinhalten sowohl die Reflexion von Wissensbeständen, komplexe Perspektiven auf ihre Partner*innen im Globalen Süden als auch Handlungssicherheit und Selbstwirksamkeit (vgl. Asbrand 2009: 123ff, 131ff).
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(vgl. Asbrand 2009: 195).30 Einen solchen Optimismus dokumentieren die von mir untersuchten Protest-Gruppen kaum, insbesondere in Bezug auf Klimawandel zeichnen sie dystopische Zukunftsszenarien (s. 2.1.2). Die GestaltungsraumOrientierung beinhaltet den Fokus auf eine bessere Welt, doch in Bezug auf Klimawandel dokumentieren die Gruppen keinen ausgeprägten Optimismus. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Differenz zu erklären zwischen der optimistischen Zukunftsperspektive von Asbrands Protest-Gruppen und der pessimistischen Perspektive meiner Protest-Gruppen. Erstens: Klimawandel enthält ein Bedrohungsszenario, das jegliche Perspektiven in Richtung Pessimismus verschiebt.31 Fragen zu Globalisierung und Entwicklung haben eine neutralere Konnotation, so dass die Gruppen in ihrer Perspektive weniger beeinflusst werden. Daraus lässt sich schließen, dass die Frage nach Klimawandel insgesamt zu deutlich negativeren Zukunftsperspektiven führt als Fragen zu ähnlich gelagerten, aber anders konnotierten Themenkomplexen. Zweitens: Der Optimismus und die Aktivität, den Asbrand den außerschulischen Gruppen zuweist, entspringt der Kontrastierung mit Schüler*innengruppen, die sich skeptisch und unsicher inszenieren. Eine derartige Kontrastfolie liegt bei den von mir befragten Gruppen nicht vor. Ich halte es für wahrscheinlich, dass sich die Einschätzung der von mir befragten Gruppen durch den Vergleich mit Schüler*innengruppen relativieren würde. Die Protest-Gruppen erscheinen nur im Kontrast zu GestaltungsraumGruppen als dystopisch und hilflos. Im Vergleich zu Jugendlichen, die über den Schulunterricht hinaus über keinerlei Beschäftigung mit Klimawandel und Anknüpfungspunkte für Klimaschutz verfügen, zeigen sich die Protest-Gruppen jedoch kämpferisch, aktiv und gut informiert.
30 Im Fall der globalisierungskritischen Gruppe „Banane“ bezieht sich dies auf den Slogan ihrer Dachorganisation, „eine andere Welt ist möglich“, der auf der Ebene expliziten Wissens Bezug auf eine bessere Welt nimmt (vgl. Asbrand 2009: 104; 114f). Im Gegensatz zu der bei meinen Gruppen rekonstruierten Gestaltungsorientierung dokumentiert die Gruppe „Banane“ jedoch keine Konkretisierung dieses Ziels und hat auch nicht den Anspruch, diese bessere Welt im Kleinen – und in ihren Interaktionen – bereits zu leben. 31 Dafür spricht, dass auch die Gestaltungsraum-Gruppen, die ansonsten eine klar optimistische Perspektive dokumentieren, sich mit Blick auf Klimawandel sehr besorgt zeigen. Es ist möglich, dass die Gruppendiskussionen über die Fragen zu Klimawandel und Klimaschutz eine stärker pessimistische Tendenz angestoßen haben.
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5.3.2 Einordnung meiner Ergebnisse in die Forschung zu Klimawandel- und Klimaschutzwissen von Jugendlichen Im folgenden formuliere ich fünf Thesen, die meine Ergebnisse zu Wissensbeständen und Deutungsfiguren von Jugendumweltgruppen zusammenfassen. Zur Einordnung meiner Ergebnisse nehme ich Bezug auf die repräsentativen Jugendstudien und die vorläufigen Ergebnisse, die ich am Ende des zweiten Kapitels formuliert habe. Beim Rückbezug auf die Darstellungen großer Jugendstudien besteht die schon mehrfach thematisierte Schwierigkeit, implizite Sinnstrukturen mit expliziten Wissensbeständen zu vergleichen, sowie vorgegebene Antwortschemata mit offenen Frageformaten. Um adäquate Vergleichsmöglichkeiten zu haben, bräuchte es ähnliche Befragungs- und Auswertungsmethoden. Trotz dieser Ungleichheit lassen sich Ergebnisse formulieren, die eine Einordnung ermöglichen, wie die Orientierungen der Jugendumweltgruppen im Vergleich mit Gleichaltrigen einzuschätzen sind. Erstens: Die von mir untersuchten Jugendgruppen dokumentieren untypische Wissensbestände, die in aktivistische Orientierungsmuster eingebettet sind. Sowohl die Relevantsetzung von Umwelt(schutz)interessen, als auch ihre Wissensorganisation ist durch die Zugehörigkeit zu Jugendumweltverbänden geprägt. Darüber hinaus gibt es eine deutlich milieuspezifische Prägung, das durch hohe Bildung, der Zugehörigkeit zu einer wohlhabenden Schicht und häufig der Sozialisation im Öko-Milieu charakterisiert wird. In den Wissensbeständen zu Klimawandel und Klimaschutz gibt es eine große Spannbreite. Im Vergleich mit Jugendstudien lassen diese sich dennoch relativ nah beieinander einordnen. Denn selbst wenn die Jugendumweltgruppen ihr Wissen als defizitär darstellen, verfügen sie doch über ein breiteres und profunderes Wissen zu Ursachen und Wirkungsketten von Klimawandel als die große Mehrheit der Gleichaltrigen. Zweitens: Mein Ergebnis, dass die Jugendumweltgruppen mehrheitlich Hilflosigkeit im Umgang mit dem Phänomen Klimawandel dokumentieren, erscheint nur überraschend vor dem Hintergrund ihrer aktivistischen Orientierung und der Entschlossenheit, die sie im Kontext anderer Themen inszenieren. Vor dem Hintergrund anderer Studien lässt sich dieses Ergebnis so einordnen: Klimawandel erweist sich als Bedrohung so gigantisch, dass die große Mehrheit von Jugendlichen (und Erwachsenen) sich besorgt und hilflos zeigt. Besonders ist bei den Jugendumweltgruppen, dass dies mit einer hohen aktivistischen Handlungsbereitschaft einher geht. In der sozialwissenschaftlichen Klimawandelforschung wird oft dargestellt, die mangelnde Greifbarkeit von Klimawandel führe zu
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Hilflosigkeit und Überforderung (s. 1.). Diese These halte ich für veraltet. Zunächst ist es nicht mehr zutreffend, dass Klimawandel im deutschen Diskurs als wenig greifbar dargestellt wird. Die massenmediale Berichterstattung hat sich in der Mitte der 2010er Jahre verändert, Extremwetter in Deutschland wird zunehmend direkt mit Klimawandel in Bezug gesetzt (Brasseur et al. 2017). Zudem sind Klimaverschiebungen und Extremwetter in anderen Weltteile über massenmediale (und digitale) Berichterstattung mit eindrucksvollen Bildern präsent (s. 2.1). Wenn die Jugendumweltgruppen lokale Wetterveränderungen im Kontext von Klimawandel thematisieren, ist das eine Darstellung, die zunehmend typisch ist, die Jugendumweltgruppen haben diesen Trend nur (zeitlich) vorweggenommen. Den Allgemeinplatz, wenn Klimawandel greifbarer werde, würde dies zu weniger Hilflosigkeit und mehr Handlungsmacht führen, bestätigen meine Ergebnisse nicht. Denn es gibt zwei andere Motive, die Hilflosigkeit und Überforderung antreiben: Bewertungsunsicherheit und Klimadeterminismus. Bewertungsunsicherheit kann auch mit der Darstellung von greifbarem Extremwetter gekoppelt sein. Was die Überforderung antreibt, ist die Unsicherheit, ob Klimawandel mit Sicherheit anthropogen verursacht ist. Diese beruht auf eine massenmedialen Verbreitung von klimaskeptischen oder zwiespältigen Studien aus dem Feld der naturwissenschaftlichen Klimaforschung. Eine implizit klimadeterministische Perspektive findet sich bei den typischen und extremen Protest-Fällen. Denn dass Klimawandel greifbar wird, bedeutet ihrer Logik nach, dass die (für die Zukunft als möglich prognostizierte) Klimakatastrophe bereits stattfindet und mit überwältigender Macht die Welt überrollt. Ihre Perspektive enthält wenig Zukunftsoffenheit, da sie keine gesellschaftlichen Gestaltungsspielräume sehen. Das naturalistische Umweltschutzverständnis, die ‚gute Natur‘ vor der ‚bösen Gesellschaft‘ zu beschützen, greift nicht mehr, da ‚die Natur‘, die eigentlich das Gute symbolisiert, zur Gefahr wird. Überraschend ist also eher die Deutungsfigur von Klimaschutz als Gestaltungsraum. Den Grund, warum die typischen Gestaltungsraum-Fälle sich bei gleicher Problemanalyse deutlich weniger hilflos zeigen, verorte ich im Orientierungsmuster Gestaltungsraum. Denn dieses fokussiert Handlungsoptionen und richtet sich auf eine utopische bessere Welt aus. Da die Gestaltungsraum-Fälle ihre eigenen Praktiken als Pionierarbeit verstehen, sehen sie sich als handlungsmächtig und nicht hilflos. Trotz großer Sorge mit Blick auf Klimawandelprognosen stellen die Gruppen interaktiv eine Stimmung der Hoffnung her, die sich auf eine gestaltungsoffene Zukunft bezieht. Die Gestaltungsorientierung verhindert eine Fokussierung auf naturwissenschaftliche Klimamodelle und einer klimadeterministischen Deutungsfigur und mindert damit Unsicherheit und Überforderung.
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Im Vergleich zu anderen Jugendgruppen erscheinen auch die Protestgruppen nicht ungewöhnlich hilflos. Immerhin ist es laut Shell-Studie ein Drittel aller Jugendlichen, das sich fatalistisch in Bezug auf Klimaschutz zeigt (s. 1.1). Bei meinen Gruppen ist es nur eine von acht Gruppen, die in diese Richtung tendiert. Meine Vermutung ist, dass in der Kontrastierung mit fatalistischen Jugendgruppen selbst der Extremfall Stachelbeere aktivistisch und entschlossen wirken würde. Denn obwohl die Gruppe fast die ganze Menschenwelt als GegnerIn ausmacht, ist sie entschlossen, sich zu engagieren und nicht aufzugeben. Die anderen Protestgruppen dokumentieren – im Kontrast zur Passivität, wie sie Asbrand im Kontext von Globalisierung bei Schüler*innengruppen darstellt – ein hohes Maß an Kampfbereitschaft, mit der sie als Öko-David gegen übermächtige Feind*innen und die anrollende Klimakatastrophe ins Feld ziehen wollen. In der gedankenexperimentellen Kontrastierung mit anders orientierten Jugendlichen fällt der Unterschied zwischen Protest- und GestaltungsraumOrientierung kaum ins Gewicht, der Fokus verschiebt sich auf Bewertungssicherheit und Aktivität. Die Jugendumweltgruppen gehören zu der kleinen Minderheit an Jugendlichen, die sich kontinuierlich im Bereich Umwelt/Klimaschutz engagieren. Die aktivistische Prägung, gegen die schlechten Dinge bzw. für eine bessere Welt zu kämpfen, ist bei den Jugendumweltgruppen stärker als Unsicherheit und Resignation, die zur Passivität verleiten. Im Vergleich zu anderen Jugendlichen, in deren impliziten Sinnstrukturen Umweltschutz, Klimaschutz und/oder globale Gerechtigkeit keine größere Relevanz haben, sind auch die Jugendumweltgruppen, die keine Klimaschutz-Praktiken berichten, vermutlich leicht zu aktivieren. Durch diesen Vergleich lässt sich zeigen, welch große Rolle spielt, vor welchen Kontrasten und Vergleichsmöglichkeiten Aussagen getroffen werden. Drittens: Die Thematisierung von Klimawandel verschiebt, unabhängig vom Befragungsformat, die Zukunftsperspektive ins Negative. Bei den Jugendumweltgruppen ist – im Kontrast zur Shell-Studie – kein Auseinanderklaffen von persönlicher Zukunftsprognose und allgemeiner Zukunftsperspektive festzustellen (s. 1.1). Wenn die Jugendumweltgruppen Hoffnung herstellen, dann betrifft diese sowohl ihr eigenes Leben, als auch die kollektive Zukunft, auf der Basis nachhaltiger Umwelt-Gesellschafts-Beziehungen. Am anderen Ende des Kontinuums gehen die Jugendumweltgruppen davon aus, dass eine Klimakatastrophe sie auch persönlich treffen würde. Klimawandel und Lebenswelt denken sie nicht als getrennte Welt. Dies lässt sich damit erklären, dass sie Klima/Umweltschutz nicht ausgliedern und als Randthema deuten, sondern als zentrales, existentielles Thema.
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Viertens: In Bezug auf die Verantwortungsübernahme für Klimaschutz komme ich zu dem zunächst irritierenden Ergebnis, das die Hälfte der Jugendumweltgruppen die Verantwortung für Klimaschutz (explizit oder implizit) abgibt. Doch auch dies ähnelt nur vordergründig den Ergebnissen großer Jugend- und Erwachsenenstudien. Denn es gibt eine wesentliche Differenz in den Orientierungsmustern: Die Jugendumweltgruppen folgen nicht der Logik des „Nicht hier, nicht jetzt, nicht ich“ (Kuckartz 2010), welche eine mangelnde Bereitschaft zum Handeln und zur Veränderung von Lebensstilen ausdrückt. Es handelt sich vielmehr um eine typische Protestlogik: Die Jugendgruppen, die Verantwortung für Klimaschutz den Anderen zuweisen, gehen dagegen selbstverständlich davon aus, dass sie auf der Ebene der Alltagspraktiken (v. a. Konsumentscheidungen) bereits vorbildlich handeln. Dementsprechend sehen sie den Änderungsbedarf bei den Anderen, deren Lebensstile sie als falsch bewerten. Es bleibt bei der protesttypischen Fokussierung auf das falsche Handeln der Anderen, das zum Stoppen gebracht werden muss. Die Jugendgruppen dagegen, die der Gestaltungsraum-Logik folgen, beziehen den Veränderungsbedarf unmittelbar auf sich selbst und ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten. In beiden Fällen ist Verantwortung für Klimaschutz in die Logiken der übergeordneten Orientierungsmuster eingebettet. Fünftens: In Bezug auf Klimaschutz ist der Vergleich zwischen den Jugendumweltgruppen und den Jugendstudien erschwert durch die Vorgaben der quantitativen Studien, die Klimaschutzpraktiken auf individuelle Alltagspraktiken verengen (s. 2.3). Die von mir erforschten Jugendlichen thematisieren eine Vielzahl von Alltagspraktiken, die in den Studien als Klimaschutz gelabelt werden – sie rahmen diese jedoch meist nicht als Klimaschutz. Im theoretischen Teil habe ich die Frage aufgeworfen, ob die Jugendumweltgruppen eine verengte Perspektive auf Klimaschutz aufweisen, die entlang von Geschlechterverhältnissen Lösungsansätze präferiert oder ignoriert. Während in gängigen Diskurs um Klimaschutz großtechnische Strategien dominieren und gesellschaftliche Beteiligung als Problemursache und Lösung weitgehend ausgeblendet werden, ist es bei meinen Gruppen umgekehrt. Sozial männlich codierte Strategien wie Klimaverträge, Geo-Engeneering und Techniken zur Klimaadaption sind kaum Thema. Ich komme zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der Jugendgruppen (fünf von acht) Klimaschutz verengt denkt. Die Trennung verläuft jedoch nicht entlang einer hierarchischen Trennung in sozial männlich und sozial weiblich codierte Strategien, sondern entlang umweltverbandstypischer Logiken. Ich argumentiere hier mit Wellers These, dass für Mitglieder von (Erwachsenen-)Umweltverbänden Klimaschutz eine Neuauflage von Umweltschutz ist (2.3).
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Die gesellschaftliche Handlungsebene für einen umfassenden Klimaschutz fehlt dabei. Die verengte Perspektive der Jugendumweltgruppen verläuft entlang der Programme der Dachverbände von Greenpeace und BUND. 32 Die typischen Protestgruppen folgen dabei den Klimaschutzaktionen, die der Dachverband vorgibt. Diese richten sich auf den Kampf gegen Großkonzerne, der über gebündelte Protest- und Boykottaktivitäten läuft.33 Bei den Gestaltungsraum-Fällen ist es nur der untypische Fall Kürbis, der eine verengtes Klimaschutzverständnis dokumentiert. Mit den Deutungsfiguren des eigenen Jugendumweltverbands ist er nicht vertraut. Die von ihm genannten Strategien für Klimaschutz entsprechen den Vorlieben des (Erwachsenen-)Dachverbands: Klimaschutz als individuelle Einsparungen, als Verzicht auf Autofahren, Umstieg zu Öko-Stromanbietern und Aufstockung mit Solaranlagen (s. 2.2). Die verengten Strategien und Programme ignorieren weitere gesellschaftliche Handlungsfelder und begrenzen Klimaschutz auf die bekannten protest- und gestaltungsorientierten Strategien, die auch im Bereich Umweltschutz nur eine begrenzte Tragweite entfalten und bislang keine Trendwende für starken Klimaschutz eingeleitet haben. Die Verengungen, die die großen Umweltverbände durch ihre Rahmungen vorgeben, beinträchtigen auf diese Weise auch eine neue Generation von Umweltschützer*innen, für die Klimaschutz kein starkes Thema wird. Mit diesem Hintergrund erscheint außergewöhnlich, dass die typischen und extremen Gestaltungsraum-Fälle keine verengte Perspektive aufweisen, sondern
32 Die Einschätzung der Programme der beiden Dachverbände erfolgt auf Basis meines jahrezehntelangen Umweltengagements. Im Kontext von Klimaschutz hat sich der Diskurs seit Beginn meines Forschungsprojekts 2013 deutlich verändert. Zum Zeitpunkt der Befragungen (größtenteils in der ersten Jahreshälfte 2015) hatten weder BUND noch Greenpeace Klimaschutz als gesellschaftliche Aufgabe als zentrales Thema gesetzt, z.B. gedeutet als Klimagerechtigkeit. Die aktuellen Schwerpunkte lassen sich über die Homepages leicht überblicken. https://www.bund.net/ueber-uns/, https://www.bund.net/service/publikationen/publication-year/2014/,
https://www.
greenpeace.de/, https://www.greenpeace.de/#kampagnen, Zugriff am 13.12.2018. 33 Eindrücklich illustrieren lässt sich die Protestorientierung des Dachverbands Greenpeace in Blick auf Klimaschutz in einem Video zur Energiewende von Oktober 2016. Dieses stellt Klimaschutz als Kampf von gut gegen böse dar und stützt sich dabei auf die Symbolik und Sprache des Fantasy-Klassikers „Herr der Ringe“. https://stop-darktrade.org/de/ (nicht mehr erreichbar am 13.12.2018). Der Zugriff auf das Original ist nicht mehr möglich, lässt sich aber über folgenden Blogbeitrag nachvollziehen: https://www.zwentner.com/greenpeace-gegen-ttip-und-ceta-video/, 13.12.2018.
Zugriff
am
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Politisches und Privates, Makro-, Meso- und Mikroebene, Produktion und Konsum zusammen denken. Auch hierbei steht der Begriff Klimaschutz nicht im Vordergrund (außer beim Extremfall Paprika), sondern eine umfassende sozialökologische Transformation. Ich vermute, dass diese Deutungsfigur innerhalb der BUND-Jugend an Geltung gewinnt, denn diese greift (in den letzten Jahren zunehmend) die Diskurse und Perspektiven der europäischen Klima(gerechtigkeits)bewegung auf (s. 1.2, 5.3). Die Gestaltungsraum-Fälle Tomate, Gurke und Paprika geben eine Idee davon, wie eine nicht-verengte Perspektive auf Klimaschutz sich in expliziten und impliziten Sinnstrukturen, Praktiken und Vernetzungsaktivitäten konkretisiert. Insofern schätze ich sie als Vorreiter*innen für starken Klimaschutz ein.
5.4 ANSCHLUSSFÄHIGKEIT Die Orientierungen und Deutungsfiguren der von mir untersuchten Jugendumweltgruppen sind zwar untypisch im Vergleich zu den Ergebnissen großer Jugendstudien. Sie sind jedoch nicht völlig ungewöhnlich, sondern sind anschlussfähig an Bewegungen, Diskurse und Praktiken, die in den letzten Jahren zunehmend im Aufwind sind. Zum Thema Anschlussfähigkeit stellt sich erneut die Frage, was sich hinter den Begriffen Klima- und Umweltschutz verbirgt und welche übergreifenden Muster sie rahmen. Je nach Deutung ist Klimaschutz ein Umweltschutzthema, im Sinne eines First World Environmentalism, oder ein Gerechtigkeitsthema, im Sinne eines Third World Environmentalism, eine makropolitische Aufgabe oder eine Frage der Alltagspraktiken oder ein bisschen von all dem. Es gibt aktuell zwei Tendenzen, die Diskurse von Klimaschützer*innen bestimmen: Entweder wird Klimaschutz stark verengt auf die Eindämmung von Emissionen. Oder Klimaschutz wird sehr breit gefasst, als Teilaspekt einer sozial-ökologischer Transformation (s. 6.). Die Deutungsfiguren und Praktiken der von mir untersuchten Jugendgruppen sind anschlussfähig an ein breites Spektrum an Themen und Bewegungen: Erstens Kapitalismus- und Wachstumskritik sowie die Klimabewegung, zweitens suffizienzorientierte Praktiken, die über bekannte Umweltschutzpraktiken hinaus gehen, und drittens Ansätze, die Klimaschutz als Teil einer sozial-ökologischen Transformation verstehen. Erstens: Die Positionen, die die Jugendumweltgruppen vertreten, sind kapitalismus- und/oder globalisierungskritisch und/oder wachstumskritisch. Diese sind anschlussfähig an ein breites Feld von aktivistischen wie akademischen Positionierungen, die teils explizit Klimawandel in den Fokus nehmen, teils die „Öko-
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krise“ (Adler/Schachtschneider 2010, Biesecker/Hofmeister 2006) im Allgemeineren. Diese reichen von radikaler Herrschaftskritik im Sinne der Politischen Ökologie über Globalisierungskritik hin zu Konzepten für eine sozialökologische Transformation. Einschränkend ist zu sagen, dass die von mir untersuchten Protest-Gruppen keine theoretisch voraussetzungsvollen Konzepte thematisieren.34 Die Gestaltungsraum-Gruppen reißen Konzepte und Positionierungen an und setzen sie als bekannt voraus, ausführlich diskutiert diese jedoch nur der extreme Gestaltungsraum-Fall Paprika (s. 2.1).35 Die radikale Herrschaftskritik verortet die Gründe für „die ökologische Krise“ (Adler/Schachtschneider 2010: 25ff) in den gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen, die sie als konstitutiv für moderne kapitalistische Verhältnisse versteht und die demnach Menschen und Natur rücksichtslos ausbeutet (ASSÖ 2009, Görg 2010, Brunnengräber 2002, 2008, Brand 2008). Zahlreiche Darstellungen der Protestorientierung gehen in eine ähnliche Richtung, ohne sich jedoch auf akademische Theorien zu beziehen.36 Es ist vielmehr ein „heimatloser Antikapitalismus“37, der mit einer „Stimmung der Gereiztheit“ und des Fatalismus einher geht (vgl. Bude 2016: 23ff; 68ff, Markwardt 2016) und dem ein gegenhegemonielles Selbstverständnis innewohnt (Brand 2005, Bedall 2011). Die Gestaltungsorientierung tendiert zu einer abgeschwächten Herrschaftskritik, entsprechend dem Selbstverständnis als Pionier*innen verstehen sie ihre Praktiken weniger als gegenhegemonielle, sondern als Alternativ-Projekte, die als Pionier*innen des Wandels mittelfristig in die Mitte der Gesellschaft wirken (vgl. Lay/Westermayer 2014: 2ff, BlättelMink 2013, Rückert-John 2013). Diese tendiert zu einer „Stimmung der Partizipation, der Diskussion und der Kollaboration“, die mit Hoffnung und dem Glauben „zusammen Berge versetzen zu können“ einhergeht (Bude 2016: 77).
34 Die Kritik bleibt auf pauschale Verurteilungen „des Kapitalismus“ beschränkt, s. 3.1 und Fallbeschreibungen Kirsche, Erdbeere, Stachelbeere und Himbeere im Anhang. 35 Bei Tomate sind es globalisierungskritische Positionen und Utopien zu nachhaltiger Landwirtschaft und geldfreien Gesellschaftsentwürfen, bei Gurke Konzepte zu solidarischer Landwirtschaft und Verteilungsgerechtigkeit, bei Kürbis zu Postwachstumsökonomie. S. Fallbeschreibungen im Anhang. 36 Die Forderung der Protestgruppen nach einem Bewusstseinswandel bzw. „das Denken anregen“ lässt sich weiterdenken in Bezug zu Görgs Forderung, Räume zum Nachdenken zu eröffnen, um das gesellschaftliche Reflexionspotential zu erhöhen (vgl. Görg 2003, Adler/Schachtschneider 2010: 39ff). 37 Bude stellt den „heimatlosen Antikapitalisten“ den „entspannten Systemfatalisten“ gegenüber, ebenso wie „gereizten Konsumasketen“ den „Konsumvirtuosen“ (Bude 2016: 23ff; 68ff).
5. Analyse | 239
Mit Blick auf den Diskurs um Klimagerechtigkeit zeigt sich, dass die Darstellungen des Gestaltungsraum-Falls Paprika nur im Vergleich zu anderen Jugendumweltgruppen extreme Züge aufweisen. Im Rahmen der Debatte und Klimagerechtigkeit und Degrowth sind sie dagegen typisch. So dokumentiert Paprika eine große Vorsicht, Aussagen zum Handeln der Anderen zu machen. Sie will Klimapolitik in ihrem Land, in ihrer Stadt machen und betont, keine Aussagen machen zu können über Klimaschutzstrategien für andere Länder, insbesondere Länder im Globalen Süden.38 Sie vertritt damit eine Perspektive, die auch im akademischen Diskurs zu Degrowth und Klimagerechtigkeit stark gemacht wird (woraus wieder sichtbar wird, dass ihre Wissensbestände von diesem Wissen geprägt sind), z. B. auf der Degrowth Konferenz 2016 in Budapest (Lange 2016, Kothari 2016). 39 Die Degrowth- und Klimagerechtigkeits-Bewegungen 40 betonen, analog zur Gruppe Paprika, das Selbstverständnis als soziale Bewegung, die explizit das Ziel hat, eine gemeinsame Identität aufzubauen und zu stärken (vgl. Santarius 2016, Schmelzer 2016). Seit der Jahrtausendwende formiert sich zunehmend eine internationale Klimabewegung, die stark von jungen Akteur*innen getragen wird (Garrelts/Dietz 2013, Boese 2011). Die Klimabewegung weist sowohl protest- als auch gestaltungsraumtypische Charakteristika auf. Gemeinsames Ziel dieser heterogenen Bewegung ist die Abwendung von Klimawandel, primär durch verschiedene Formen des Protests (vgl. Garrelts/Dietz 2013: 22). Für einen Teil der Klimabewegung ist die Forderung nach Klimagerechtigkeit zentral (Bedall 2014, Garrelts/Dietz 2013, Schmelzer 2016). Darin enthalten ist eine Verbindung von First und Third World Environmentalism, der die ökologischen und sozialen Dimensionen von Klimawandel zusammen denkt, analog zu den Umwelt-Gesellschafts-Konzepten der Gestaltungsraum-Fälle. Innerhalb der Klima-
38 So begründen sie ihren Fokus auf lokale Klimapolitik u.a. folgendermaßen: „Weil es mir auch zu undurchsichtig ist, was das jetzt in anderen Ländern, zum Beispiel in China, ich war noch nie in China, ich habe keine Ahnung, was man da als Klimapolitik machen könnte, sinnvollerweise … deswegen finde ich es … sinnvoller … vor der eigenen Haustür zu kehren.“ Paprika, Z. 79-77. 39 Demnach sollten Akteur*innen des Globalen Nordens nicht ihre Konzepte von Entwicklung (bzw. Post-Development) und Degrowth in den Globalen Süden importieren, sondern Allianzen mit Konzepten und lokalen Praktiken im Globalen Süden eingehen (Lange 2016, Kothari 2016). 40 Ich verwende hier den Plural, da Degrowth- und Klimagerechtigkeits-Bewegung zwar große Schnittmengen aufweisen, jedoch nicht deckungsgleich sind. Vgl. Santarius 2016.
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bewegung gibt es Differenzen, ob Klimaschutz im Kontext einer radikalen System- und Herrschaftskritik gedacht wird (Adler/Schachtschneider 2010, Buko 2009, Brunnengräber 2008, Bedall 2014, Garrelts/Dietz 2013, D'Alisa 2016), die konzeptuell der Kapitalismuskritik der Protest-Gruppen und der PostwachstumsUtopie der Gestaltungsraumgruppen nahe steht. Oder ob Klimaschutz dem Paradigma der ökologischen Modernisierung folgt (vgl. Adler/Schachtschneider 2010, Bemann et al. 2014, Brand 2014), was der Position etablierter NGOs entspricht, darunter auch die Dachverbände Greenpeace und BUND (Kruse 2013, Kössler 2013, Bedall 2014). Es gibt einen jungen Teil der Klimabewegung, der sich als Jugendklimabewegung versteht und den Konflikt um Klimaschutz als Generationenkonflikt rahmt (Boese 2011, Schulmeister 2015, Garrelts/Dietz 2013). Die Jugendklimabewegung ist zugleich eine Bewegung für Generationengerechtigkeit (vgl. Schulmeister 2015: 19). Dies erschließt sich aus dem Zeitrahmen für Klimawandel, der vor allem für die Zukunft prognostiziert wird – eine Zukunft, die die heute Jugendgeneration noch erleben wird. Die Sorge um die Zukunft, die gleichermaßen eine Sorge um die eigene Zukunft und um zukünftige Generationen ist, spielt im Kontext von Klimawandel bei den von mir untersuchten Gruppen eine wesentliche Rolle (s. 2.1., 3.1).41 Dies lässt sich als jugendspezifische bzw. generationenspezifische Problematisierung einschätzen, die bislang noch keine Vormacht im öffentlichen Diskurs um Klimawandel errungen hat, in Zukunft jedoch zu einem wesentlichen Treiber von Klimaschutzinteressen werden könnte (s. 6.). Boese grenzt die Jugendklimabewegung explizit von Jugendbewegungen des 20. Jahrhunderts ab, insbesondere der Lebensreform-Bewegung und der 68-er-Bewegung: „Die Klimakämpfer sind dagegen viel pragmatischer. Sie verschwenden nicht Jahre auf ideologische Diskussionen über Kapitalismus – und nehmen dann trotzdem den Kampf gegen die mächtigsten Unternehmen des Kapitalismus auf … Die Jugend fragt nicht nach irren Dinge wie freier Liebe oder ‚Smash Capitalism‘. Sie will nur auf die Wissenschaftler hören.“ (Boese 2011: 27).
Die Situation deutscher Jugendklimaaktivist*innen ist dagegen eher untypisch: Anders als in anderen Ländern hat sich die deutsche Regierungspolitik offiziell
41 Gerade die typische Gestaltungsraum-Gruppe betont den Zusammenhang zwischen dem eigenen Leben, Klimawandel und der Annahme, dass „wir die Generation sind, die die Folgen auch schon echt krass mitbekommen wird“ (Tomate, Z. 396.) Darauf bezieht sich auch der „Egoismusgedanke“. S. 2.1.3 und 3.1 und Fallbeschreibung im Anhang.
5. Analyse | 241
dem Klimaschutz und der Energiewende verschrieben, was jedoch für die Rekrutierung einer aktivistischen Bewegung zum Hemmschuh wird, weil ein klarer Gegner fehlt (vgl. Boese 2011: 70ff). Zudem verfügt Deutschland über eine historisch gewachsene, starke Umweltbewegung, die jedoch wenig Raum für neue Ansätze und Perspektiven der Jugendklimabewegung lasse. „Ein deutscher Irrglaube …: Wir meinen, wir kennen die Klimaschützer schon. Die Klimabewegung sei das gleiche wie die Umweltbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre, wie Greenpeace, die Bundjugend, die Ökos, die Bundestagsabgeordneten der Grünen. Sie meckern über die EU-Richtlinien … blockieren gern Kohlekraftwerke und lassen sich ansonsten ganz gut ignorieren. … Wir merken nicht, dass rund um den Globus … junge Leute für ein intaktes Klima kämpfen. Sie wissen, mit den Werkzeugen der alten Umweltbewegung werden sie nicht weit kommen: Ein paar neue Gesetze, Richtlinien und Modellprojekte sind nicht genug.“ (Boese 2011: 16f).
Die deutsche Jugendklimabewegung schätzt Boese im internationalen Vergleich als deutlich konservativer ein, vor allem in Bezug auf die Organisationsstrukturen. Große Jugendumweltverbände, wie die von mir untersuchten Greenpeaceund BUND-Jugendgruppen, „die ihren Mutterorganisationen recht nahe (stehen), was Kultur und Aktionen angeht“, prägen die Szene (Boese 2011: 69). Für Netzwerke mit punktuellen Aktionen fehlten demgegenüber Kontakte und Ideen. Typisch für Deutschland sei, kritische Fragen zu stellen, sich jedoch nicht auf neue Organisationsformen einzulassen, es fehle der Enthusiasmus: „Man überlässt das Engagement den Profis.“ (Boese 2011: 70). Diese Einschätzung ermöglicht eine interessante Einordnung meines Samples und der Ergebnisse: Die von mir untersuchten Jugendgruppen sind alle Teil großer Jugendverbände, deren Logiken, Praktiken und Organisationsstrukturen sie prägen. Das Thema Klimawandel hat für die meisten keine herausragende Relevanz, der Anschluss an die internationale Jugendklimabewegung fehlt. Die Protest-Gruppen folgen stark der etablierten Protestkultur ihrer Dachorganisation und übernehmen deren Protestkampagnen zu Klimaschutz (s. 3.2), während die Gestaltungsraum-Gruppen teilweise auch international vernetzt sind und mit neuen Praktiken und Kooperationen experimentieren. Der in meinem Sample extreme bzw. ungewöhnliche Fall Paprika stellt sich als typische Aktionsform deutscher Jugendklimaaktivist*innen dar: Sie wählen die traditionelle Verbandsstruktur, vernetzen sich jedoch auch international, was sich in ihren Wissensbeständen und Deutungen, aber auch ihren Praktiken und Infrastrukturen niederschlägt (s. 2.2). In Deutschland gibt es jedoch auch andere junge Akteur*innen, die sich eher in Netzwerken organisieren, z. B. das Jugendnetzwerk „Klar zur
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Wende“ (www.klar-zur-wende.org) sowie das von jungen Akteur*innen, aber nicht Jugendlichen geprägte Aktionsbündnis Ende Gelände (Sander 2017, Bedall 2014, Kössler 2013). Diese Netzwerke verbinden die Orientierungsmuster Protest und Gestaltungsraum in jeweils spezifischen Verknüpfungen von Deutungsfiguren, Praktiken und Organisationsstrukturen, zu denen es jedoch noch keine qualitative Forschung gibt. Zweitens sind die Darstellungen meiner Jugendumweltgruppen anschlussfähig an die Forschung zu nachhaltigen Alltagspraktiken bzw. Lebensstilen, insbesondere an die aktuelle Forschung zu klimafreundlichem Konsum (Weller 2016, 2015, Scholl 2013, Littig 2016, Jaeger-Erben et al. 2017, Rückert-John et al. 2014, Rückert-John 2013). Wie in 2.3 dargestellt, thematisieren die jugendlichen Umweltschützer*innen neben den Praktiken in den Jugendumweltgruppen, welche Aktivitäten sie zu Umwelt- bzw. Klimaschutz zählen. Fast sämtliche Gruppen nennen vegane bzw. vegan-vegetarische Ernährung, außerdem regionale und faire Produktionsbedingungen. 42 Diese setzen sie teilweise explizit in Bezug zu Klimaschutz (3.0, 3.2). Die Protest-Gruppen fokussieren dabei den Konsum bzw. Boykott von Unternehmen bzw. Produkten, die sie als verantwortlich für Umweltzerstörung, Ausbeutung und Tierleid identifizieren (3.0, 3.1, 3.2). Sie thematisieren sowohl Alternativen zum gängigen Konsum, als auch den Verzicht auf Konsumgüter, von Plastiktüten bis neuen Kleidern. 43 Insgesamt nehmen die Begriffe „Verzicht“ und „Reduktion“, sowie „das brauche/mache ich nicht“ eine große Rolle ein in Bezug auf die Bereiche Konsum und Mobilität.44 Alternative Konsum- und Lebensstile sind sowohl anschlussfähig an gesellschaftliche Trends, als auch neue konzeptuelle Ansätze wie Suffizienz. Vegane Ernährung, Upcycling und Konsum von Vintage-Waren gehören zu den aktuel-
42 Alle, bis auf den extremen Gestaltungsraum-Fall Paprika. Ich gehe jedoch davon aus, dass dies im klimapolitischen Setting der Gruppendiskussion begründet lag. Hätte ich nach umweltverträglichen Alltagspraktiken gefragt, hätten sie vermutlich vegane Ernährung thematisiert. Dies vermute ich aufgrund der Themen auf der Homepage des Landesjugendverbands und den Newslettern rund um den Erhebungszeitraum. S. Link Nr. 6. 43 Z.B. keine Kleider, die „einmal um die Welt geflogen sind“ (Kirsche, Z. 70, S. 3.2). Oder Beschaffung neuer Kleider über Kleidertauschparties, s. Gurke und Paprika. Zu Plastiktüten vgl. Kürbis und Himbeere. 44 Z.B. berichten die Gruppen, nicht zu fliegen (Paprika, Z. 143) oder kein Smartphone kaufen zu wollen (Kirsche, Z. 255). Ausführlicher beschrieben in den Fallbeschreibungen der Gruppen im Anhang.
5. Analyse | 243
len Konsumtrends.45 Es fällt auf, dass gerade die Protest-Gruppen, die viele neue Teilnehmer*innen haben, vegane Ernährung als zentrales Thema formulieren (s. 3.2). Es geht ihnen jedoch nicht um symbolische Einzelhandlungen, sondern sie formulieren den Anspruch, dank eines moralisch besseren Bewusstseins anders zu konsumieren. Einen vergleichbaren Anspruch formuliert die LOHASBewegung (Martin 2016, Helmke et al. 2016, Stengel 2011, Jaeger-Erben 2014, Rückert-John 2014, s. 2.3). Die LOVOS-Bewegung46 dagegen fokussiert Reduktion bzw. suffiziente Konsum- und Lebensstile (Stengel 2011: 210ff, Bierhoff 2006: 166f, vgl. BUND/EHHD 2008). Konzeptuell lässt sich dies als Unterschied zwischen nachhaltigen und suffizienten Konsumstrategien und Lebensstilen fassen. Die Jugendumweltgruppen bewegen sich zwischen diesen beiden Orientierungen, mit Tendenz in Richtung Suffizienz. Analytisch lässt sich unterscheiden zwischen Konsumstrategien, die auf eine Moralisierung der Märkte zielen, indem sie Waren, deren Produktionsbedingungen sie ablehnen, boykottieren und bio und faire Waren gezielt kaufen (Stengel 2011, Stehr 2007). „Nicht ‚Kaufe weniger‘, sondern ‚Kaufe dir eine bessere Welt‘ lautet er Leitsatz der LOHA-Bewegung“. (Stengel 2011: 213). Suffizienzorientierte Strategien dagegen wollen Produktion und Konsum stärker zusammen denken, indem sie aus den Belastungsgrenzen der Ökosysteme Schlussfolgerungen ziehen, was und wieviel sie konsumieren können (Linz 2015, 2013, Stengel 2011). Suffizienz ist demnach die dringlichste Nachhaltigkeitsstrategie vor Konsistenz und Effizienz, da sie eine Reduktion des GesamtRessourcenverbrauchs und des Schadstoffoutputs bewirkt. In alltagspraktischen Strategien übertragen heißt diese Reduktion: weniger konsumieren, kürzere Wege, weniger neu kaufen oder bauen, statt dessen teilen, tauschen, instandhalten (Linz 2015, 2013, Stengel 2011, Paech 2013, Lay/Westermayer 2014, Baier et al. 2017, Baier et al. 2013). Es handelt sich dabei um eine Aufwertung reproduktiver Praktiken, ergänzt durch Nicht-Konsum. Dabei betonen Verfechter*innen von Suffizienz, dass eine kulturelle Umdeutung nötig ist, weg von dem negativ konnotierten Begriff des Verzichts, hin zur freiwilligen Selbstbeschränkung im Sinne einer Befreiung vom Überfluss, der Eleganz der Einfachheit oder gut leben (Paech 2013, Muraca 2014, Schneidewind/Zarhnt 2013, Stengel 2011). Grundsätzlicher geht es dabei um eine Neudefinition davon, wie Gutes Leben in kollektiven Deutungsfiguren gerahmt wird (Muraca, Schneidewind/Zahrnt 2013, D'Alisa 2016, Kothari et al 2014). Bei den von mir untersuchten Jugendgruppen
45 Und das ist den Jugendumweltgruppen auch bewusst. So spricht die Gruppe Tomate z. B. Davon, dass vegane Ernährung „gerade mega den Hype“ erlebe (Z. 306-313). 46 Kürzel für Lifestyle Of Voluntary Simplicity (Stengel 2011, Rückert-John 2013).
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gibt es einen deutlichen Kontrast zwischen Protest- und GestaltungsOrientierung: Die Protest-Fälle fordern explizit Verzicht und Reduktion auf individueller Ebene, verbunden mit einer Moralisierung von Konsumstrategien. Dabei fokussieren sie Nahrungsmittel- und Kleiderkonsum und tendieren damit zu einem milieuspezifischem Verständnis von Konsumkritik, das durch einen privilegierten Standort geprägt ist (s. 4.2). Die Gestaltungsraum-Fälle thematisieren auch individuelle suffizienzorientierte Konsumstrategien und Lebensstile, verstehen diese jedoch als Teil einer besseren Welt im Allgemeinen. Dies formulieren sie kaum explizit, gehen vielmehr davon aus, dass die entsprechenden Konzepte bekannt sind, auf die sie sich beziehen, u. a. Konzepte wie Postwachstumsgesellschaft (Kürbis, Paprika), gutes Leben (Tomate, Paprika) und alternative Wirtschaftskonzepte, die die Grenzen von Produktion und Konsum auflösen wollen, wie Solidarisches Wirtschaften (Gurke, Tomate). Die Praktiken der Jugendgruppen – vor allem der gestaltungsorientierten – sind anschlussfähig an die Forschung zu transformativen Praktiken bzw. sozial-ökologischen Praxisformen (Lay/Westermayer 2014, Weller 2015a, 2015b, Rückert-John et al. 2014, Blättel-Mink et al. 2013, Habermann 2011, Baier et al. 2017, Baier et al. 2013). Darunter fasse ich suffizienzorientierte Praktiken, die nicht auf individuelle Konsumstrategien abzielen, sondern auf kollektive Formen des (unkommerziellen) Co-Konsums, auf Commoning, reparieren, instandhalten und ähnliche Do It Yourself-Praktiken. Dabei handelt es sich um Praxisformen, die „im Hier und Jetzt neue, auf sozial-ökologische Transformation ausgerichtete Lebens-und Wirtschaftsweisen erproben“ (Lay/Westermayer 2014: 2). Sie interessieren, weil sie reproduktive Aktivitäten und Strukturen fördern, Suffizienz positiv deuten und darüber hinaus als Pionier*innen des Wandels das Potential haben, zu sozialen Innovationen zu werden (Lay-Kumar 2016, Lay/Westermayer 2014, Rückert-John Blättel-Mink et al. 2013, Leggewie/Welzer 2009). Zu sozial-ökologischen Praxisformen zähle ich u. a. Arrangements wie Urban Gardening, Repair Café, Umsonstecken bzw. Give-Boxes, Kleidertausch-Parties und Foodsharing (Lay/Westermayer 2014, Lay-Kumar 2016, Müller 2011, Baier et al. 2017, Baier et al. 2013). Die von Gestaltungsraum-Gruppen berichteten Praktiken des Social Events Organisierens beinhalten oft diese Praxisformen bzw. docken sich an diese an.47 Sie sind z.B. Bestandteil des Jugendumweltfestivals, auf dem ich die Gruppen Tomate und Gurke befrag-
47 Um diese Praxisformen dreht sich auch die Kontroverse innerhalb des Protest-Falls Erdbeere, s. 3.2, 4.1. Eine Teilnehmerin berichtet voller Enthuiasmus von Repair Cafés und Urban Gardening.
5. Analyse | 245
te, gemeinsame vegane Kochevents mit „geretteten“ 48 Lebensmitteln, Workshops mit Akteur*innen, die Repair Cafés oder Kleidertauschparties anbieten, sowie eine Umsonstecke.49 Diese Praktiken und Praxisformen sind anschlussfähig an die aktuelle Forschung zu sozialen Innovationen, Change Agents und Reallaboren (Lay-Kumar 2017, 2016, vgl. Rückert-John 2013, Blättel-Mink 2013, Schneidewind/Singer-Brodowski 2013). Drittens ist das von mir rekonstruierte Orientierungsmuster Gestaltungsraum anschlussfähig an Konzepte, die eine „Idee des Guten“ zu formulieren suchen (Markwardt 2016: 22). Auf konzeptueller Ebene gibt es eine weitere interessante Gemeinsamkeit der Gestaltungsorientierung mit Praktiken und Praxisformen, die sich als Commoning, Peer-Konsum bzw. konviviale Praktiken verstehen (Helfrich 2014, Baier et al. 2013, Habermann 2016; 2009, Adloff/Leggewie 2014, D'Alisa et al. 2016): Den Anspruch, über das Was hinaus ein anderes Wie, einen alternativen Modus Operandi zu praktizieren. Es geht zugleich um Inhalt und Form. Was bei den Gestaltungsraum-Gruppen der „andere Umgang miteinander“ (s. 3.3, 4.2) ist, die eine bessere Welt erlebbar machen will, findet sich im Begriff Konvivialismus explizit: „die Freude des Beisammenseins, (die) gute und freundschaftliche Kommunikation“ (Adloff/Leggewie 2014: 12). 50 Neben anti-utilitaristischen und wachstumskritischen Konzepten soll eine „neue Kunst des Zusammenlebens“ (so der Untertitel des Konvivialistischen Manifests) einen zukunftsfähigen Gesellschaftsentwurf eines Guten Lebens prägen (D'Alisa 2016, Caillé 2011, Latouche 2011, Muraca 2014, Paech 2013). Die gleiche Logik, nicht nur andere Praktiken und Infrastrukturen, sondern ein anderes Verhältnis zueinander, findet sich in der Debatte um Commoning und Care, wo eine „UmCARE zum Miteinander“ (Habermann 2016) ins Zentrum gerückt wird. Reproduktive Praktiken des Sorgens, Pflegens, Instandhaltens, Tauschens und
48 So die szenespezifische Bezeichnung von Lebensmitteln, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist und die vor dem Wegwerfen „gerettet“ wurden. S. Habermann 2011, 2006. 49 Diese Informationen entnehme ich meiner Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung auf dem Jugendumweltfestival 2014 und 2015, sowie der Dokumentenanalyse von Homepages und Newslettern. 50 Konvivialismus versteht sich „Kunst des Zusammenlebens (con-vivere), die Beziehung und Zusammenarbeit würdigt und es ermöglicht, einander zu widersprechen, ohne einander niederzumetzeln, und gleichzeitig füreinander und für die Natur Sorge zu tragen“ (Adloff/Leggewie 2014: 47). Der Konvivialismus bezieht sich explizit auf Illichs Konzept der konvivialen Technik (Illich 1975, D'Alisa et al. 2016).
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Teilens beinhalten demnach nicht nur einen ressourcenleichten und pfleglichen Umgang mit Dingen, sondern ein kollektives Beziehungsmuster, das auf Care basiert (Habermann 2016, Helfrich 2014). Es geht um eine neue „Kultur der Kooperation“ (Bayer/Embshoff 2015). Darin skizziert ist ein Gestaltungsraum, der die Utopie einer besseren Welt über andere Praktiken und Wirtschaftsformen zu konkretisieren sucht: Die Welt kann besser werden. … Gerade deshalb [wegen multipler Krisen, J.L.K.] macht es Sinn, dem Positiven Raum zu geben. Denn vielleicht eröffnet dieser Raum des möglichen Schönen neue Denk- und Handlungshorizonte, die das Hoffnungsvolle realistischer werden lassen. (Habermann 2016: 9).
Die Hinwendung zu (konkreten) Utopien (vgl. Muraca 2014: 14), die Gutes Leben sowohl auf andere Wirtschaftslogiken und Praktiken, als auch auf ein anderes Miteinander beziehen, erweist sich nicht nur als spezifisches Merkmal der gestaltungsorientierten Jugendumweltgruppen, sondern als Orientierungsmuster, das sowohl konzeptuell als auch in der Umsetzung aktuell an Bedeutung gewinnt. Dieses Orientierungsmuster lässt sich jedoch abgrenzen zu bereits lange bekannten Theorien im Geiste von Rudolf Bahro, der eine „Kultur der Genügsamkeit“ fordert, die über eine „persönliche Umkehr“ gehen soll und „in der eigenen Psyche“ beginnt (Adler/Schachtschneider 2010: 96f; 108f). Es gibt zwar Schnittmengen in Bezug auf Praktiken und konviviale Technik (vgl. Brand 2006, Illich 1975), doch die Settings machen den Unterschied. Der von Bahro inspirierte Ansatz sucht die Verwirklichung in der Gründung neuer Gemeinschaften, von der aus eine andere Gesellschaftsform und schließlich ein „neuer Mensch“ verwirklicht werden soll (Adler/Schachtschneider 2010: 95ff, 108ff, vgl. Bierhoff 2006, Bahro 2004, Hosang 2006, Brand 2006). 51 Sozialökologischen Praxisformen wollen, ebenso wie die gestaltungsorientierten Jugendgruppen, keine bessere Welt auf abgeschotteten Inseln aufbauen, sondern über Experimente mit alternativen Praktiken und Infrastrukturen über Halbinseln und in Nischen (vgl. Habermann 2009) hinaus wirken, „Connections zu Anderen
51 Z. B. das kommunitäre Wohn- und Lebensprojekt „Lebensgut Pommritz“. Dort sollen neben sozial-ökologischen Produktionsformen, wie es sie auch beim Solidarischen Wirtschaften
gibt,
„nicht-egoistische
Sozialformen“
erprobt
werden
(Ad-
ler/Schachtschneider 2010: 96). Der Ansatz hat zwar den Anspruch, nicht auf Abschottung, sondern auf Diffusion zu setzen, meint dies jedoch nicht in Bezug auf konkrete Milieus oder Nischen, sondern sieht „die Grenzlinie … quer durch jeden Menschen“ verlaufen (Hosang 2008: 38).
5. Analyse | 247
ziehen“ (Tomate). Für die meisten der oben dargestellten Praktiken und Praxisformen steht eine rekonstruktive Erforschung der impliziten Sinnstrukturen und Gruppendynamiken noch aus.
6
Was Klimaschutz stark macht – 6 Thesen für den Klimaschutz
In diesem Kapitel erarbeite ich sechs Thesen, die die theoretischen Perspektiven und empirischen Ergebnisse zusammenführen unter dem Fokus darauf, was Klimaschutz stark macht. Die Darstellung ist explizit normativ. Ich stelle dar, wie sozialwissenschaftliche Forschung und Klimaschützer*innen kommunizieren und agieren sollten, um Klimaschutz greifbar und wirkungsvoll zu gestalten. Dabei gehe ich von einem Wir aus, dass die wissenschaftliche, (umwelt)bildnerische und aktivistische Community meint, die ein Interesse an starkem Klimaschutz hat. Erstens: Wir brauchen einen anderen Umgang mit Wissensbeständen zu Klimawandel. Die Wissenschaft hat eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Die Wissensbestände, die sie generiert und präsentiert, sind niemals neutral, sondern blenden ein und aus, fokussieren den einen oder anderen Punkt und münden in unterschiedlichen Problemsichten und Handlungsempfehlungen. Die wissenschaftliche Perspektive auf Klimawandel ist bislang stark verengt, analog machtförmiger Trennungen in Natur- und Gesellschaftswissenschaften (s. 1.3). Die Sozialwissenschaften überlassen es bislang weitgehend den Naturwissenschaften, Aussagen über Klimawandel zu treffen. Sie beschränken ihre Rolle darauf, Wahrnehmung und Einstellungen von Klimawandel zu erforschen. Im Kontext von Klimaschutz bleibt die Trennung zwischen Klimapolitik in einer sozial männlich codierten Sphäre und individuellen Klimaschutzstrategien in einer sozial weiblich codierten Sphäre erhalten. Dabei reifiziert sozialwissenschaftliche Klimawandelforschung allzu oft die Trennung in Natur- und Sozialwissenschaften, und damit auch die Geschlechterverhältnisse, die Problemstellungen und Lösungsansätze abwertet, die der sozial weiblich codierten Sphäre zugeordnet werden. Ich plädiere für mehr situiertes Wissen (Haraway 1995b) in der Klimawandelforschung. Die Klimaforschung soll sichtbar machen, welche
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Vorannahmen und Interessen hinter ihrer Forschung stehen (s. 1.3). Wünschenswert ist, dass es mehr freie Forschung zu Klimawandel gibt, die nicht durch Drittmittelprojekte und Verknüpfungen mit politischen Interessen eingeschränkt ist. Es braucht eine engere Zusammenarbeit von Natur- und Sozialwissenschaften. So sollten naturwissenschaftliche Klimawandelszenarien in gesellschaftliche Bedeutungen eingebettet werden, so dass sie für breite Teile der (Welt-)Gesellschaft verständlich werden. Die Klimaforschung muss der Tatsache ins Auge sehen, dass ihre Ergebnisse zwar die Öffentlichkeit aufschrecken, jedoch Unsicherheit und Skepsis transportieren. Bislang ist es ihr nicht einmal gelungen, die Botschaft zu vermitteln, dass es sich beim globalen Klimawandel des letzten Jahrhunderts um eine anthropogen verursachte Klimamanipulation handelt, die in direkter Verbindung zur Nutzung fossiler Brennstoffe steht. Der aktuelle Stand der Klimaforschung deckt sich in keiner Weise mit der öffentlichen Wahrnehmung dieser. So spricht die Klimaforschung von 99%iger Wahrscheinlichkeit, dass ihre Annahmen korrekt sind, während knapp die Hälfte der Deutschen und die Hälfte der US-Amerikaner*innen laut Meinungsforschung Zweifel am Zusammenhang von Klimawandel und menschlichem Wirken haben (IASS 2017, Schmitt et al. 2015, Brasseur et al. 2017, Leuschner 2014). Selbst überzeugte jugendliche Umweltschützer*innen zeigen sich verunsichert über klimaskeptische Studien und nehmen an, die Wissenschaft sei sich uneinig über die Einschätzung von Klimawandel (s. 2.1, 5.1). Eine kritische wissenschaftliche Diskussion um Klimaszenarien ist wünschenswert. Jedoch sollte die Klimaforschung sich ihrer Außenwirkung bewusst sein und nicht nur thematisieren, was noch unsicher ist, sondern vor allem, was zu 99% sicher ist. Ein abstraktes Jonglieren mit Zahlen zukünftiger Erderwärmung und entsprechenden Szenarien bleibt unverständlich, solange sie nicht mit der Darstellung von greifbaren Implikationen für Ökosysteme und sozial-ökologische Systeme verbunden ist. Dabei geht es weniger darum, absolut präzise Zukunftsszenarien zu entwerfen und jegliche Unsicherheiten in der Modellierung zu minimieren. Sondern darum, den Handlungsbedarf sichtbar zu machen, der aus der Klimaforschung abzulesen ist: Ob sich das Weltklima letztendlich um 1,5°C, 2°C oder 2,5°C erwärmen wird, ist weniger wichtig als deutlich zu machen, dass jegliche Erderwärmung das komplexe Klimasystem verändert und Klimaveränderungen in jedem Fall zu veränderten Lebensbedingungen weltweit führen. Jegliche Klimaveränderung führt dazu, dass das komplexe Gleichgewicht von Ökosystemen ins Wanken gerät, ob es nun heißer oder kälter, trockener oder feuchter wird. Da wir als Menschen nicht außerhalb von Ökosystemen stehen, sondern in sozial-ökologischen Systemen mit ihnen verbunden sind, sind wir – zumindest global betrachtet – von Klimawandel immer betroffen. Die Verände-
6. Was Klimaschutz stark macht | 251
rung von Habitaten, Verlust von Biodiversität, Überschwemmungen und Dürren, Ozeanversauerung und Knappheit von Ressourcen wie Wasser und fruchtbarem Boden sollten uns nicht als abstrakte Szenarien präsentiert werden, sondern als Veränderungen, die alle Lebewesen betreffen, auch uns Menschen. Aus dieser Perspektive heraus gibt es keinen ungefährlichen anthropogen verursachten Klimawandel. Jeder Klimawandel ist gefährlich, somit besteht dringender Handlungsbedarf. Klimawandel passiert nicht einfach da draußen, Klimawandel wird von Menschen über Schadstoffemissionen forciert.1 Und diese Dynamik gilt es zu stoppen, unabhängig davon, bei wieviel Grad Erderwärmung eine Stabilisierung gelingt. Ich halte es für falsch, dass die Klimaforschung des IPCC so tut, als sei eine Erderwärmung von 1,5°C oder 2°C akzeptabel. Das IPCC macht sich damit abhängig von politischen Logiken, wonach eine geringere Erderwärmung politisch nicht durchsetzbar erscheint. Statt sich auf Zahlen und Modelle zu fixieren, und sich über verbleibende Unsicherheiten zu streiten, sollten Naturund Sozialwissenschaften eine klare Botschaft vermitteln: Anthropogen verursachter Klimawandel ist gefährlich, ein „Weiter so“ kann es nicht geben. Zweitens: In der Vermittlung von wissenschaftlichen Prognosen über massenmediale Kanäle brauchen wir mehr Klarheit. Der einseitige Fokus auf Bedrohungsszenarien ist gefährlich, denn Handlungsoptionen und Zukunftsoffenheit geraten aus dem Blick. Im Zusammenspiel von Wissenschaft und Medien sollten wir als Wissenschaftler*innen darauf achten, welche impliziten Sinnhorizonte und Stimmungen wir transportieren bzw. füttern. So halte ich es für eine große Gefahr, dass massenmedial die Botschaft vermittelt wird, der Klimawandel sei schon da. Denn diese Einschätzung führt zu Fatalismus und blockiert damit effektiven Klimaschutz. Es ist zu differenzieren zwischen den Folgen der bereits eingetroffenen Erderwärmung, die aus den Schadstoffemissionen und veränderter Ressourcennutzung von Beginn der Industrialisierung bis in die 1960er Jahre resultiert. Dies ist die Klimamanipulation der Vergangenheit, die sich gegenwärtig zeigt. Die dramatischen Nachrichten und Bilder von Extremwetter, Verlust von Habitaten (wie beim symbolischen Eisbären auf der Scholle) und Ressourcenknappheit sollten nicht als die bereits stattfindende Klimakatastrophe präsentiert werden, sondern in Bezug zu ihrer Verursachung genannt werden. Die Klimamanipulation, die wir als Weltgesellschaft aktuell herstellen, wird ihre Folgen erst in einem halben Jahrhundert zeigen. Und die daraus resultierenden
1
In diese Richtung geht auch die Argumentation von Latour (2017), wenn er fordert, dass Menschen sich nicht als Manager*innen des Planeten verstehen, sondern ihre aktive Rolle annehmen.
252 | Aktivismus zwischen Protest und Gestaltungsraum
Klimaveränderungen werden, den gängigen Klimaprognosen folgend, sehr viel drastischer und bedrohlicher sein als die bereits stattfindenden Klimaverschiebungen. Es geht darum, die Spannung auszuhalten zwischen riesigem Bedrohungsszenario einerseits und Handlungsspielräumen andererseits (Welzer et al. 2010). Dabei halte ich es für wesentlich, sichtbar zu machen, dass Szenarien nicht zwangsläufig eintreten, sondern nur dann, wenn die darin beschriebenen Entwicklungspfade beschritten werden. Diejenige Klimakatastrophe, die wir als Weltgesellschaft mit unserem heutigen Handeln produzieren, ist noch nicht da. Ob sie eintreten wird, hängt davon ab, wie wir zukünftig handeln. Über die Zukunft ist noch nicht entschieden (Radkau 2017). Was Klimaschutz stark macht, ist eine wissenschaftliche Kommunikation, die Bedrohungsszenarien schonungslos benennt und gleichzeitig bestehende Handlungsspielräume sichtbar macht. Engagierte Klimaforschung hat die Verantwortung, eine Vielzahl von Entwicklungspfaden und Handlungsoptionen im Kontext von Klimamanipulation und Klimaschutz sichtbar zu machen. Sie muss eine Transformative Literacy entwickeln: die Fähigkeit, in ungewissen sozialökologischen Veränderungsprozessen zu navigieren sowie einen hinreichenden Überblick und Bewertungssicherheit zu erlangen – gerade auch mit Blick darauf, dass über zukünftige Entwicklungspfade noch nicht entschieden ist (Schneidewind/Brodowski 2013, Radkau 2017). Mein Forschungsprojekt gibt relevante Hinweise, welche Perspektiven auf Klimawandel zum Einsatz für Klimaschutz führen. Ein ausschließlicher Fokus auf Klimawandel als Bedrohung bringt eine Stimmung der Empörung und der Hilflosigkeit mit sich, die Klimaschutz entgegen läuft, weil sie zu Überforderung, Fatalismus und Nicht-Beschäftigung führt. Es ist kein falscher Optimismus nötig, um Hoffnung herzustellen. Vielmehr braucht es einen Perspektivwechsel, der den Fokus auf vorhandene Handlungsoptionen verschiebt. Bei den Jugendumweltgruppen ist dies mit einer Stimmung der Hoffnung begleitet, sie trauen sich zu, die Verantwortung für eine zukunftsfähige Welt in die eigenen Hände zu nehmen und Verbündete zu suchen. In meiner Studie sind es nur die Gestaltungsraum-Fälle, die den Fokus auf Klimaschutz legen. Denkbar ist die Verbindung von Problemanalyse und Handlungsoptionen jedoch im Rahmen beider Orientierungsmuster, sowohl Gestaltungsraum als auch Protest (s. 5). Drittens: Wir brauchen eine neue Deutungsfigur für Klimaschutz. Das gängige Verständnis von Klimaschutz weist Verengungen und Trennungen auf, die einem effektiven Klimaschutz entgegen stehen. Klimaschutz konzeptuell stark zu machen, bedeutet die Auflösung der dualistischen Vorannahmen, dass Klimawandel ein Umweltproblem sei, das abgetrennt von der Sphäre der Gesellschaft
6. Was Klimaschutz stark macht | 253
denkbar ist. Es bedeutet die Ursachen der Klimamanipulation zu thematisieren und sichtbar zu machen, welche politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen Klimaschutz entgegen stehen. Klimawandel wurzelt in kollektiven Deutungsfiguren und Rahmenorientierungen, im wachstumsorientierten, fossilistischen, von einer kapitalistischen Verwertungslogik durchdrungenen Wirtschaftssystem, in den Produktionsbedingungen, Konsumgewohnheiten und Infrastrukturen der Gesellschaften des Globalen Nordens und zunehmend auch des Globalen Südens (s. 1.2, 5.2). Klimaschutz stark zu machen, heißt, ihn ins Zentrum gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Transformationsprozesse zu rücken. Es bedeutet auch den Abschied von einem First-World-Environmentalism, der Klimaschutz als Schutz eines natürlichen Systems vor dem Menschen versteht. Klimawandel ist auch und vor allem eine Bedrohung für die Menschheit. Solange ökologische und soziale Interessen vermeintliche Antagonisten bleiben, wird der Natur-Gesellschafts-Dualismus reproduziert und Klimaschutz bleibt lästiges Beiwerk. Starker Klimaschutz verbindet First- und ThirdWorld-Environmentalism, indem er Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit nicht gegeneinander ausspielt, sondern verbindet. Klimaschutz bedeutet auch Klimagerechtigkeit. Für uns Mitglieder der Gesellschaften des Globalen Nordens bedeutet globaler Klimaschutz, unsere historische Verantwortung für die Klimamanipulation in umso entschiedeneren Klimaschutzmaßnahmen auszugleichen. Doch es genügt nicht, Klimaschutz jenseits von Natur-Kultur-Dualismen und entsprechenden Umweltschutzkonzepten zu denken. Auch die konzeptuelle Trennung entlang von Geschlechterverhältnissen verengt und schwächt Klimaschutz (s. 1.2). Wirksamer Klimaschutz sollte nicht, wie bislang üblich, vor allem technisch und makropolitisch gedacht werden, während die moralische Verantwortung für alltagspraktischen Klimaschutz Konsument*innen in der Sphäre des Privaten zugeschoben wird. Eine Einteilung in sozial männlich codierte Strukturen und Aktivitäten als wesentlichen Ort für Klimaschutz und die Abwertung sozial weiblich codierter Strukturen und Aktivitäten als schmückendes Beiwerk ist nicht zukunftsfähig. Klimaschutz auf der Ebene von Produktion und Konsum, Privates und Politisches, Technik und Verbrauch sind zusammen zu denken. Und auch so zu kommunizieren. Die Ergebnisse meiner Studie zeigen, dass die Jugendumweltgruppen, die Klimaschutz nur in einer der beiden Sphären verorten, sich ihrer Handlungsmacht berauben. Sei es die typischen Protest-Fälle, die Klimaschutz als Kampf gegen Politik und Konzerne sehen und denken, selbst nichts tun zu können, außer die Anderen zu einem Bewusstseinswandel aufzufordern (s. 2.1.2,
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2.2, 5.1). Sei es der untypische Gestaltungsraum-Fall Kürbis, der Klimaschutz nur in der Sphäre des Privaten verortet. Klimaschutz reduziert Kürbis weitgehend auf Verzichtsleistungen (z. B. kein Auto fahren), die die Jugendlichen (noch) nicht erbringen können. Andere Maßnahmen liegen aus Kostengründen außerhalb der jugendlichen Reichweite (z. B. die Installation einer Solaranlage auf ihrem noch nicht existierenden Eigenheim). In beiden Varianten fehlt die Deutung von Klimaschutz als gesellschaftliche Aufgabe, der beide Sphären überspannt und verbindet. Im Kontrast dazu stehen die typischen Gestaltungsraum-Fälle, die die Maxime „global denken, lokal handeln“ anwenden auf Klimaschutz, jedoch auch die umgekehrte Bewegung mitdenken, also von lokalen Projekten zu deren Einfluss auf globale Prozesse. Sie deuten Klimaschutz als politische Aufgabe, als Herausforderung für Produktions- und Konsummuster und als mögliche Alltagsstrategie (2.1.3, 2.2, 3.1, 5.1). Durch diese Deutungsfigur eröffnet sich eine Vielzahl an Handlungsspielräumen und Optionen. So nehmen sich die Gestaltungsraum-Fälle als handlungsfähig für Klimaschutz wahr. Mehr noch: Sie sind davon überzeugt, eine klimagerechte bessere Welt bereits zu gestalten. Eine Zielvorstellung von Klimaschutz erweist sich als wesentlich – und sei das Ziel zunächst so unscharf wie eine utopische bessere Welt. Ich plädiere dafür, Klimaschutz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu rahmen, die unterschiedliche Handlungsebenen und Strategien umfasst, die auf ein gemeinsames Ziel weisen: eine klimagerechte Zukunft. Die Vermeidung eines abstrakten Bedrohungsszenarios reicht nicht aus, um starken Klimaschutz auf den Weg zu bringen. Dazu ist ein positives Leitbild nötig, dass über die Schadensbegrenzung und Verzicht weit hinaus weist (Radkau 2011). Wir brauchen Visionen einer zukunftsfähigen Welt, die (über Nischen hinaus) attraktiv und greifbar sind.2 Dazu ist es nötig, dass wir in einer gesamtgesellschaftlichen Debatte den Spannungsbogen halten zwischen dem Ausmaß der Bedrohung und dem dringenden Handlungsbedarf einerseits und andererseits der Hoffnung auf gelingenden Klimaschutz, auf eine zukunftsfähige Welt. Im Idealfall wird Klimaschutz so stark in gesellschaftliche Logiken und Sektoren integriert (z. B. Energie, Wirtschaft, Ernährungssysteme, Infrastrukturen), dass er nicht mehr als isoliertes Aufgabengebiet aufgefasst werden kann (WGBU 2014b, Brunnengräber 2014, Böschen et al. 2014). Dies bedeutet, die Trennung und Hierarchisierung von Umwelt und Gesellschaft, Produktion und Konsum vollständig aufzulösen. Keinen Klimaschutz mehr zu betreiben, son-
2
Ich beziehe mich dabei auf das Konzept der konkreten Utopie, auch wenn ich hier nicht von Utopien, sondern von kleinteiligeren Visionen spreche. Vgl. Muraca 2015.
6. Was Klimaschutz stark macht | 255
dern in einer Welt zu leben, in der das Klima nicht mehr geschützt werden muss – so lässt sich das analog zum Motto zahlreicher Umweltaktivist*innen ausdrücken: „I don‘t want to protect the environment, I want to create a world where the environment doesn‘t need protection.“ (Lay-Kumar 2016: 70). Die aktuelle Herausforderung besteht darin, einen Begriff für diese Form des Klimaschutzes zu wählen, der nicht gängige Verengungen implizit mitführt. Der Begriff Nachhaltigkeit war ursprünglich als konkrete Utopie konzipiert, in der Ökologie, Ökonomie und Soziales sich nicht länger gegeneinander ausspielen, sondern zusammen Zukunft gestalten (Gottschlich/Katz 2016: 5, Hauff 1987, Lange 2008, Stengel 2011). Im Lauf der Jahrzehnte wurde diese Utopie ausgehöhlt durch den Vorrang ökonomischer Interessen, so dass das Konzept der Nachhaltigkeit heute von engagiertem Standort aus ungern gebraucht wird. Ähnliches droht dem Begriff Klimaschutz, wenn Klimaschutzverträgen (wie dem Paris Agreement 2016) nicht bald greifbare Maßnahmen folgen. Aktuell gewinnt der Begriff der sozial-ökologischen Transformation an Beliebtheit, da ihm (noch) nicht die Vereinnahmung durch ökonomische Logiken droht.3 Ob der Begriff Klimaschutz, nachhaltige Entwicklung, sozial-ökologische Transformation oder Zukunftsfähigkeit genutzt wird, die Frage ist, was sich hinter diesen Sprachfiguren konzeptuell verbirgt. Um zu skizzieren, wie starker Klimaschutz aussehen könnte, plädiere ich dafür, sich auf den utopischen Kern des Begriff Nachhaltigkeit zu besinnen, der eine gestaltungsoffene Zukunft umreißt. Angestrebt ist ein ein gutes Leben für alle, mit den Dimensionen der globalen und intergenerationalen Gerechtigkeit (vgl. Gottschlich/Katz 2016: 3). Dies ist auch für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit zentral. Dieses Verständnis von Nachhaltigkeit lässt sich innerhalb von Raworths Modell des Doughnut of Good Life verorten. Um einen kollektiven Handlungsraum für die Menschheit zu modellieren, kombiniert Raworth (2012, 2016) die Konzepte der planetarischen Grenzen und der Sustainable Development Goals (SDG’s) zu einem Doughnut of Good Life (www.kateraworth. com/doughnut, Rockström et al. 2015, WBGU 2016, 2014, Bittner/Pyhel 2016).4
3
S.
Memorandum
sozial-ökologische
Transformation
2017:
https://www.gfn-
online.de/memorandum-2017 [21.9.2017]. 4
Die Vereinten Nationen verabschiedeten neue Ziele für die zukünftige Entwicklung, die die Millenium Goals ablösen und erstmals Entwicklung- und Umweltthemen zusammenführen: die Sustainable Development Goals (SDG‘s). Ziel Nr. 13 betrifft Klimawandel und lautet: „Vordringlich Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen zu ergreifen“. (WBGU 2014). Zudem führten die internationalen Klimaverhandlungen (COPs) im Dezember 2015 in Paris, nach Jahren
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Himbeere
11x Gymnasium, 1x kaufm. Gymnasium, 1x Schülerstudium (mit 16 J.)
6
3
3
Kirsche
7x Gymnasium, 1x Studium (mit 17 J.)
2
3
2
Erdbeere Stachelbeere
5x Gymnasium (davon 2x privates), 4x ökologisch orientierte Privatschule 5x Gymnasium
4 2
3 2
1 1
0
0
9 7
Gruppen Gemüse
Kürbis
5x Gymnasium/Abi, 1x Realschule, 1x Gesamtschule, 1x Studium, 1x FÖJ, 1x Gap-Year
3 4
Tomate
3x Gymnasium/Abi, 1x Ausbildung/Erzieher*in
2 1
Gurke
3x Gymnasium/Abi, 1x Studium
2 1
Paprika
3x Gymnasium/Abi, 1x Gap-Year (mit 17 J.), 2x Studium
2 1
Tabelle 4: Erhebungsdatum der Gruppendiskussionen Gruppe
Datum
Ort (anonymisiert)
Himbeere
19.01.15
örtliches Greenpeace-Büro
Kirsche
13.02.15
örtliches Greenpeace-Büro
Erdbeere
25.02.15
ökologisch orientierte Privatschule
Kürbis
12.04.15
Privatwohnung
Gurke
05.05.15
Festivalgelände
Tomate
06.05.15
Festivalgelände
Stachelbeere
18.06.15
örtliches Greenpeace-Büro
Paprika
07.10.15
örtliches BUND-Jugend-Büro
Anhang | 297
ANHANG 1: ANSCHREIBEN AN DIE JUGENDUMWELTGRUPPEN BEI MAIL Liebe (Name Ansprechpartner*in), liebe (Name Jugendumweltgruppe), Ich würde gern einen Gruppendiskussion mit euch führen, im Rahmen meiner Doktorarbeit an der Uni Freiburg. Als Umweltschützerin und Soziologin beschäftigt mich, warum manche Leute sich für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen und andere nicht. Statt über mangelndes Engagement zu jammern, will ich diejenigen erforschen, die bereits aktiv sind. Das seid u.a. ihr! Kurz zu mir: Ich schreibe seit einem Jahr eine Doktorarbeit in Soziologie und bewege mich an der Schnittstelle von Forschung und Engagement. Ich bin seit dem Alter von elf Jahren im Umweltschutz aktiv, erst bei einem Greenteam, später gegen Atomkraft und heute vor allem beim Urbanen Gärtnern Freiburg. Ich freue mich, wenn ihr euch Zeit nehmt für eine Gruppendiskussion mit mir. Die Gruppendiskussion ist ein offenes Format, das ihr aktiv gestaltet. Sie dauert ca. 45-60 min. und könnte an eines eurer montäglichen Treffen angedockt sein. Ich möchte erfahren, was euch zur (Gruppe) bringt, was Umweltschutz für euch bedeutet und was ihr konkret macht. Wenn ihr einverstanden seid, könnt ihr mir mehrere Terminvorschläge schreiben. Viele Grüße Jenny Lay [Hinweis: Ich habe im Mai 2015 geheiratet und trage seitdem den Doppelnamen Lay-Kumar. Das Anschreiben datiert auf Anfang 2015.]
298 | Aktivismus zwischen Protest und Gestaltungsraum
ANHANG 2: LEITFADEN FÜR GRUPPENDISKUSSION (Vorstellung ich + Gruppe, dabei alle ihren Namen sagen (für leichtere Spracherkennnung) + ich zeichne mir Sitzordnung auf.) • Wie seid ihr zur Gruppe gekommen? • Was bedeutet Umweltschutz für euch? (Bei AK Klimaschutz: Was bedeutet • • • •
Klimaschutz für euch?) Was macht ihr für Aktionen? Was wisst ihr, was denkt ihr über Klimawandel? Wo sollte Klimaschutz zuerst ansetzen, was ist am wichtigsten? Was ist das Besondere an eurer (BUND-Gruppe/JAG)? Was ist der Unterschied zu z.B. Greenpeace/BUND-Jugend?
Feste Fragen nach Abschluss der Gruppendiskussion: • Alter • Schule • Wie lange dabei?
ANHANG 3: TRANSKRIPTIONSREGELN (.) Mikropause (unter 1 Sekunde) (1) Pause, Angabe der Dauer in Sekunden @(.)@ kurzes Lachen @ Lachen, Dauer in Sekunden @nicht@ lachend gesprochen wir betont gesprochen die laut gesprochen °können° leise gesprochen [ Überlappendes Sprechen ( ) Aussage unverständlich, Länge der Klammer entspricht ungefähr der Länge des Textes (undeutlich) Aussage ist schwer verständlich, z.B. durch durcheinander Reden, Korrektheit der Transkription ist wahrscheinlich mhm zustimmender Laut
Anhang | 299
Wörtliche Transkription, umgangssprachliche Verschleifungen geglättet, z.B. „Ich reg mich halt richtig drüber auf.“ => „Ich rege mich halt richtig darüber auf.“ (Erdbeere, Z. 150-159)
ANHANG 4: LINKSAMMLUNG Hinweis: Es handelt sich um Homepages mit dem Stand von 28. August 2017, während ich die Jugendgruppen zwischen Januar und Oktober 2015 befragt habe. Themen und Mitglieder können sich seitdem verändert haben. Die zu diesem Zeitpunkt aktuellen Homepages habe ich mithilfe von Screenshots dokumentiert. Nr. 1: Link zu Dachverband Greenpeace: https://www.greenpeace.de/mitmachen/aktiv-werden/jugend-ags, [Zugriff am 15.8.2016, Text wurde mittlerweile geändert.] Damaliger Text: „Streitbar statt politisch mundtot. Jugend-AGs, sogenannte JAGs stehen wir stützende Säulen für unsere Umweltarbeit. Die 14- bis 19-jährigen Aktivistinnen und Aktivisten agieren in bundesweit 45 dieser AG's, eng angeschlossen an die jeweilige Greenpeace-Gruppe. Sie reden mit, statt Politikern die Entscheidungen für ihre Zukunft zu überlassen. Sie wollen weder Atommüll noch marode Zwischenlager, sondern das Ende der Castor-Transporte. Sie mögen keine Lebensmittel, die mit Gentechnik hergestellt wurden. Sie fordern von Ministern, das maßlose Überfischen der Meere zu stoppen und setzen sich dafür ein, dass Strom künftig nur aus erneuerbaren Energiequellen stammt. JAGs nehmen bei ihrer Mission kein Blatt vor den Mund. Sie provozieren, protestieren, agieren – friedlich, aber kompromisslos. Sie machen mit lauten Events auf sich und ihre politischen Forderungen aufmerksam.“ Nr. 2: Link zum Jugendverband Obst: https://www.greenpeace-jugend.de/index.php?s=jaggies Nr. 3: Link zur Verbandsstruktur der BUND-Jugend https://www.bundjugend.de/ueber-uns/verbandsstruktur/ Nr. 4: Link zur Verbandsstruktur der BUND-Jugend auf Landesebene (Bundesland Gruppen Tomate und Gurke): http://bw.bundjugend.de/vorstand/
300 | Aktivismus zwischen Protest und Gestaltungsraum
Nr. 5: Link zur Verbandsstruktur auf Landesebene (Bundesland Gruppe Kürbis): http://hessen.bundjugend.de/ueber-uns/jugendlandesvorstand/ Nr. 6: Link zur Verbandsstruktur auf Landesebene (Bundesland Gruppe Paprika): https://www.bundjugend-berlin.de/ueber-uns/vorstand/ Nr. 7: Screenshot Homepage Gruppe Himbeere, zu Aktion gegen Shell: https://www.greenpeace-jugend.de/index.php?s=jag_frankfurt Nr. 8: Link zu Text Homepage Gruppe Himbeere, zu Aktion „Taschentausch“: [Zugriff am 15.8.2016, Text nicht mehr aufrufbar.] http://greenpeace-frankfurt.de/index.php/jags/495-dertaschentausch?tmpl=component&print=1&layout=default&page= Damaliger Text: „Der Taschentausch. Obwohl mittlerweile die wenigsten Läden noch GratisEinkaufstüten vergeben, sondern man meist etwas zusätzlich bezahlen muss, sieht man immer noch viele Menschen ihre Einkäufe in diversen Plastik-Tüten herumtragen. Genau diese Leute sprachen wir am 10.09.2016 an, um ihnen eine nachhaltige Alternative zu bieten. So tauschten wir auf der Zeil mit den Passanten ihre Plastik-Tüten gegen Jutebeutel. Die Beutel hatten wir vorher mit Sprüchen wie "plasticfree" und "Nicht so hastig mit dem Plastik" unter aufweniger Arbeit besprayt. Innerhalb von knapp zwei Stunden war bereits keiner der 80 Beutel mehr übrig. Die meisten Passanten freuten sich über den Tausch und neben dem Schaffen eines Bewusstseins für das Konsumverhalten und die großen Plastikmüllmengen, entstanden außerdem viele interessante Gespräche. Nach den zwei Stunden Taschentauschen in der prallen Hitze, hatten wir viele Plastik-Tüten eingesammelt. Glücklich über den Erfolg unserer Aktion räumten wir auf. :)“ Nr. 9: Link zu Jugendumweltfestival (s. Gruppen Tomate und Gurke): http://www.najubw.de/projekte/aufstand/das_jugend_umwelt_festival_der_naju.php Nr. 10: Link zur Homepage Gruppe Stachelbeere, zu Aktion „TTIP“: https://www.greenpeace-jugend.de/index.php?s=jag_bremen Nr. 11: Link zu Darstellung TTIP durch den Dachverband Greenpeace:
Anhang | 301
https://www.greenpeace.de/themen/landwirtschaft/gentechnik/die-spitze-deseisbergs, Nr. 12: Link zu Darstellung TTIP und Aktionen durch den Dachverband Greenpeace: http://www.dw.com/de/greenpeace-stellt-ttip-papiere-f%C3%BCr-jedermannins-internet/a-19229066 Nr. 13: Link zu Video Greenpeace mit David-Goliath-Metapher: https://stop-dark-trade.org/de/
ANHANG 5-12: FALLBESCHREIBUNGEN Anmerkung zu den Fallbeschreibungen: Das Schreiben ausführlicher Fallbeschreibungen war Teil des Analyseprozesses. Um mein Vorgehen transparent zu machen und eine Kontexualisierung der zitierten Textpassagen zu ermöglichen, hänge ich die Fallbeschreibungen an. Es handelt sich um Arbeitsdokumente, die teilweise unvollständige Sätze und Stichworte sowie unregelmäßige Zitierweisen enthalten. Anhang 5: Fallbeschreibung Gruppe Kirsche Die Diskussion mit Kirsche fand in einem Raum des Büros von Greenpeace statt. Meine Kontaktperson hatte mich eingeladen, zur wöchentlichen Gruppenstunde zu kommen. Dort angekommen, treffe ich auf 15-20 Jugendliche, die Plakate malen für eine anstehende Großdemonstration. Ich stelle mich vor und meine Ansprechpartnerin fragt, wer Lust habe, mit mir zu diskutieren. Sie macht Werbung für die Diskussion, in dem sie erzählt, die Jugendgruppe habe vor einer Weile schon einmal eine Gruppendiskussion gemacht, das habe Spaß gemacht. Darauf melden sich sieben Jugendliche (6 Tw, 1 Tm), die zwischen 15 und 18 Jahren alt sind (Altersdurchschnitt: 16,9 Jahre), und gehen mit mir ein einen Nachbarraum. Zwei Teilnehmer*innen sind seit über zwei Jahren bei der Gruppe, drei Teilnehmer*innen über sechs Monate und zwei Teilnehmer*innen unter drei Monate. Es dauert ca. fünf Minuten, bis die Gruppendiskussion in Gang kommt. In der Folge diskutieren die Jugendlichen selbstläufig über eine Stunde. Nach über einer Stunde stelle ich noch zwei Fragen, die mich zur Vergleichbarkeit mit anderen Gruppen interessieren (zu Prioritäten im Klimaschutz und Unterschiede zur BUND-Jugend).
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Die Gruppe verfügt über geteilte kollektive Deutungsfiguren zu Umweltschutz als Protest und Kampf und über ein elitäres Selbstverständnis. Den Kampf gegen Zerstörung und für eine Erhaltung „der Umwelt“ versieht die Gruppe mit einer David-Goliath-Metapher: Tapfere Umweltaktivist*innen kämpfen gegen eine übermächtige Trias aus Konzernen, Lobbyist*innen und Politiker*innen. Die Gruppe grenzt sich scharf gegenüber „den anderen ab“, die sie als „faul“, „egoistisch“ und „asozial“ bezeichnen. Die diskursive Praxis ist von Empörung geprägt. Ihr Denkstil ist von einer Schwarz-Weiß-Darstellung geprägt. Die Gruppe inszeniert ihr Wissen als sicher. „Die Feinde“ sind demnach bekannt, auf Details kommt es nicht an. In der Diskursdynamik kommt es immer wieder zu oppositionellem Diskurs zur radikalen Ausrichtung. Einzelne plädieren für Verständnis für „die anderen“ oder eine Ausrichtung an Utopien. Diese Beiträge gehen aber „unter“, sie werden von der Gruppe jedoch nicht aufgegriffen oder elaboriert. In der Vorstellungsrunde (Z. 1-34) stellt die Gruppe sich als dem Öko-Milieu zugehörig dar. Zahlreiche Teilnehmer*innen berichten, über ihre Familie zum Umweltverband gekommen zu sein, einige über Freund*innen oder das Internet. Das Interesse an Umweltschutz stellt die Gruppe als vorgängig dar: „dass ich mich sowieso schon so für Umweltdinge interessiert habe“ (Z. 7/8). Über die Eltern sind das Interesse „Anti-Atom-Demos“, der Kauf bei Alnatura oder eine Fördermitgliedschaft bei Greenpeace selbstverständlich. Gleich drei Teilnehmer*innen verwenden die Bezeichnung „für die Umwelt“ (Z. 7/8, 25, 32) als Motivation. Mehrere Teilnehmer*innen berichten, dass sie bereits durch ihre Eltern geprägt waren und sie dann von Freund*innen oder Bekannten von der Jugendumweltgruppe erfahren haben. Dies macht deutlich, dass sie sich im „Öko-Milieu“ bewegen. Die folgende Passage (Z. 34-303) dreht sich um die Bedeutung von Umweltschutz, ausgehend von meiner Frage, was Umwelt- bzw. Klimaschutz für die Gruppe bedeutet. Die Gruppe kommt von einer kurzen Definition von Nachhaltigkeit und der Kritik an Umweltzerstörung auf die Verantwortung der Individuen für ihre Konsumhandlungen. Die Darstellung lebt von starken Abgrenzungen: einerseits die Wunschvorstellung und das eigene ethisch korrekte Handeln, auf der anderen Seite die Zerstörung der Welt und die ignoranten Anderen. Als Proposition stellt die Gruppe ihre Idealvorstellung dar: Menschen sollten „die Natur“ langfristig erhalten und dabei den Lebensstandard und das gute Leben zukünftiger Generation bedenken. Dies entspricht einer Wiedergabe der Nachhaltigkeitsdefinition aus dem Brundland-Bericht. Die Gruppe dokumentiert
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damit Expert*innenwissen zu Umweltschutzkonzepten. In diese Darstellung eingewoben ist eine Fundamentalkritik an den gegenwärtigen Verhältnissen: Nachhaltiges Handeln wird vor der Kontrastfolie des gegenwärtigen Modells dargestellt, die Kritik betrifft „alle“, „die Gesellschaft“, „die einzelnen Länder“. 38„dass man so lebt oder die Leute also dass Menschen so leben, dass die Natur eben auch wenn wir nicht mehr da sind noch gut da ist und dass vor allem unsere Kinder auch noch so leben können, also dass sie diesen Standard noch haben, dass sie gut leben können, aber nicht so darüber hinaus, wie wir es im Moment alle gerade tun, also die Gesellschaft, die einzelnen Länder, sondern dass halt alle Menschen nach uns noch so gut leben können, dass sie gut leben können.“ (Z. 38-43)
Die Darstellung lässt – meiner Einschätzung nach – den Eindruck entstehen, dass eine Orientierung an nachhaltigem Denken bzw. Handeln eigentlich selbstverständlich ist und dem gesunden Menschenverstand entspricht. Welche „Natur“ oder „Umwelt“ erhalten werden soll, thematisiert die Gruppe nicht. Die Gruppe formuliert die Proposition, Umweltschutz bedeute die „Erhaltung von was, was früher selbstverständlich war und jetzt immer mehr verloren geht“ (Z. 44/45), was traurig sei. Implizit bedeutet das den Kampf gegen Umweltzerstörung bzw. Akteur*innen, die „die Umwelt“ zerstören. Ein Gegenhorizont findet sich bei Tomate, wo die Formulierung „was immer mehr verloren geht“ zu einer Kritik an Pauschalisierungen führt. Umweltverschmutzung und Klimawandel setzt Kirsche gleichgesetzt. Die Gruppe Himbeere inszenieren sich als sicher in ihrer Einschätzung („das ist nicht cool“), wer verantwortlich für Zerstörung ist und zeichnet ein Schwarz-WeißSchema. Sie gibt eine klare Einordnung vor in Verursacher*innen („die verpesten ja die ganze Welt“) und Opfer („werden getroffen“). Die Bewertungssicherheit und klare Trennung in Schuldige und Unschuldige ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die Bewertungsunsicherheit dokumentieren (Kürbis, Himbeere) oder auf externe Schuldzuweisungen verzichten (Paprika). 51 Umweltverschmutzung führt dazu, dass … zum Beispiel in China keine Ahnung, die verpesten ja die ganze Welt, oder … durch den Klimawandel steigen die Seen ähm die Gewässer und das trifft dann hauptsächlich andere Städte, … gerade die Menschen, die eigentlich nichts dafür können, … und ich finde, das ist nicht cool. (51-56)
Die Gruppe elaboriert, dass Umweltschutz der Kampf gegen Zerstörung ist. Welche Strategien und Prioritäten im Vordergrund stehen, wird nicht expliziert: „da muss man halt irgendwas gegen [Umweltzerstörung] machen und das ist
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dann für mich Umweltschutz, da wir quasi überhaupt versuchen, dass zu erhalten, was was diese Welt was diese Welt alles zu bieten hat“ (64-66). Dieser Kampf kann auch über Verzichtsleistungen geführt werden, denn auf der Ebene der Strategien entspricht Umweltschutz, in den Deutungen der Gruppe, verantwortungsvollem Konsum. Die Gruppe dokumentiert ein elitäres Selbstverständnis: Sie stellen sich als moralisch überlegen dar, da sie über das richtige Wissen und das moralisch richtige Handeln verfüge. Diese Darstellung funktioniert über eine starke Abgrenzung zu „den Leuten“. Die Gruppe dokumentiert Unverständnis gegenüber deren alltagspraktischen Orientierungen. Dies elaboriert die Gruppe an zahlreichen Beispielen. Einfach entsprechend der Mode zu konsumieren, „find ich irgendwie asozial, das brauche ich nicht. Ich versteh das auch gar nicht eigentlich“ (Z. 71/72). Elaboration (gleiche TN): 82 „Ich zahl dann halt lieber irgendwie das Doppelte, egal was es jetzt ist und dann ist es so ... und hab dann dafür ein besseres Gewissen, … ich verstehe es halt einfach überhaupt nicht, wieso Politiker und so einfach so damit leben können und das so für so normal einfach so hinnehmen, so wie es ist und gar nicht so, ich versteh es einfach überhaupt nicht, wie es einen nicht interessieren kann.“ (Z. 82-86)
Durch die Betonung des Unverständnisses verstärkt die Teilnehmerin Tw6 die Abgrenzung zu „den Leuten“. Nicht nur, dass sie anders handele, sie könne nicht einmal die dahinter liegenden Orientierungen verstehen. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die Verständnis für Handlungsmuster äußern, in den Umweltverträglichkeit nicht die oberste Priorität ist (Himbeere, Paprika). Die Gruppe sieht die Individuen in der Verantwortung, da sie über ihren Konsum auch die Produktionsbedingungen und Verhältnisse akzeptieren, ein Gegenhorizont zu Erdbeere. Sie stellt sich gegen eine vermeintliche Alternativlosigkeit, denn man habe die Wahl. Sie elaboriert, dass „die anderen“ ignorant seien und von den Missständen nichts wissen wollten (82-304). Diese Darstellung ist von hoher interaktiver Dichte geprägt. Es kommt zu einem oppositionellen Diskurs, als einE TeilnehmerIn darstellt, sie habe früher kontrastierende Orientierungen gehabt und sich keine Gedanken über die Konsequenzen ihres Konsumhandelns gemacht: 110 „jetzt bin ich zwar Veganer, aber früher mochte ich Burger King und KFC [Kentucky Fried Chicken, Fastfoodrestaurant] und keine Ahnung, ich hab schon mal Massentierhaltung da gehört, aber mir war das, mir war das einfach mir war das einfach nicht wirklich
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bewusst, wenn ich zu Burger King gegangen bin, hab ich damit nicht Massentierhaltung assoziert, [Tw3: Aber ( ) Ich sag ja auch nicht sondern, keine Ahnung, leckere Burger! Und ich dachte nicht: ‚Hey! Ich tu was Schlechtes.‘“ (Z. 110-115) 123 dadurch, dass du's konsumierst, akzeptierst du damit auch diese Konsequenzen (8:01) [Tw5: Und du unterstützt es ja auch und du, ja genau, du unterstützt es [Tw3: Du unterstützt es Tw6: Du musst dir einfach überlegen, ob du damit leben kannst, ob du das akzeptieren kannst für dich. (123-129)
Die Gruppe inszeniert sich als radikal, sie akzeptiert keine ‚Ausreden‘ für nichtnachhaltiges Konsumhandeln. Dies entspricht der Deutungsfigur von Umweltschutz als Kampf und als Protest. Implizit ist für die Gruppe selbstverständlich, dass sie selbst „richtig“ handeln und der Änderungsbedarf nur bei den anderen bestehe. Damit elaboriert sie ein elitäres Selbstverständnis. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die darstellen, selbst inkonsequent zu sein oder nicht immer „das Optimalste zu tun“ (Himbeere). 130 „wir denken halt immer, es gibt keine Alternativen, … wenn wenn wir sozusagen immer alle auf alles achten würden, hätten wir wahrscheinlich am Ende gar nichts mehr an oder so, aber es gibt ja immer irgendwie auch Möglichkeiten, irgendwas zu machen oder wenigstens dann dagegen zu protestieren.“ (130-133) 202 „wäre ich die anderen Leute, würde ich auch ... irgend irgendwie mal darauf achten würden mit den Klamotten, wenn die wenn man irgendwas dagegen macht, also jetzt zum Beispiel diese Aktion so, das betrifft ja jetzt nicht nur die, die die Aktion machen, sonst würden wir sie ja nicht machen, können wir uns selber sagen, ok ich @kauf die Klamotten nicht@ oder ich gehe ich kauf jetzt eben die Genfutter MacDonalds-Sachen nicht, dann schön, bräuchten wir ja die Aktion nicht machen, es geht ja darum, dass wir die anderen ansprechen und dann bringt es ja auch was, wenn jeder vielleicht ein bisschen was macht, es ist das ja eigentlich auch schon viel, weil sie sind ja nicht wenige Menschen (12.34)´ Und wenn Tw: Wir wollen die Leute zum Nachdenken bringen Tw1: Ja genau, Denkanstoß man irgendwann mal nachdenkt, begreift man das auch irgendwann Tw1: Kommt man vielleicht selber drauf, es nicht zu kaufen. (202-216)
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Die Gruppe verwendet eine David-Goliath-Metapher, in dem sie darstellt, wie sie sich im Alltag gegen die Massen von „ignoranten Leuten“ stellt. Die Teilnehmer*innen elaborieren anhand von zahlreichen Beispielen, wie ignorant „die Leute“ seien. Die Dynamik entspricht einer Steigerung, in der eine Darstellung mit einer noch absurderen überboten wird. Dies betrefft die Klassenkamerad*innen, die ihren Fleischkonsum nicht reduzieren wollen (Z. 154-176), die Gastfamilie (Z. 197-196), die Großeltern (197-209), die Nachbarn (Z. 272-298). Umweltschutz wird in diesen Darstellungen auf Konsum reduziert und Konsum wiederum auf das Kaufen von Gegenständen, vor allem Kleidung und Handys. Dies entspricht dem Bereich von Konsum, auf den die Jugendlichen Zugriff haben. Kirsche thematisiert keine anderen Bereiche von Alltagshandeln, die für Umweltschutzhandeln bzw. nachhaltige Lebensstile relevant sind, z.B. Mobilität und Wohnen. M. E. Entspricht dies einem blinden Fleck: Die Gruppe nimmt nur die Optionen für Umweltschutzhandeln wahr, die für sie selbst relevant sind: Verzicht auf Mode und Statuskonsum (Handys) und Protest in Form von Kampagnen und Demonstrationen. Ein Gegenhorizont findet sich in der Gruppe Himbeere, die Alltagspraktiken wie Müll trennen, Wasser sparen und Fahrrad fahren im Kontext von Umweltschutzstrategien thematisieren. Ein Gegenhorizont ist auch die Thematisierung einer Mittelebene zwischen Protest gegen Konzerne und Politik und individuellen Konsumentscheiden. Diese Mittelebene thematisieren die Gruppen Tomate („Gesellschaft von innen verändern“) und Paprika („sozial-ökologische Transformation“). In der folgenden Passage (Z. 304-501) elaboriert Kirsche ihre Kritik an unnötigem Konsum und die Selbstinszenierung als radikale Öko-Avantgarde. Über die Ignoranz und als unnötig bewerteten Konsum kommt die Gruppe auf Handys und geplante Obsoleszenz, ebenso wie auf Innovationen, die die Reparatur von Smartphones ermöglichten (Z. 299-362). Die Darstellung erfolgt, im Kontrast zu Erdbeere, nicht mit Bezug auf das eigene Handeln (z.B. das Reparieren des eigenen Handys im Repair Café). Die Gruppe inszeniert sich als Vorbild, und im Sinne der Speerspitze der Ökobewegung als noch radikaler. Eine wesentliche Rolle als Vorbild spielt Tw6, die am längsten (seit drei Jahren) bei der Greenpeace-Jugend aktiv ist und ihren Lebensstil an zahlreichen Stellen als vorbildlich darstellt (im Kontext von Kleiderkonsum, Veganismus, Handybesitz). In dieser Passage wird die Standortgebundenheit der Gruppe sichtbar. Der Einfluss der Eltern wird an zahlreichen Stellen deutlich, z.B. bei der Deutung, der Verzicht auf Statuskonsum sei eine bewusste, spirituell geprägte Entscheidung. Als Beispiel nennt Tw6, dass ihre Mutter und sie auf ipads und Smartphones verzichten und sich darin gegenseitig darin bestärken, indem sie Sprüche einer „Philo-
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soph[in]“ - bzw. esoterischen Autorin – zitieren. Was man nicht habe, brauche man auch nicht. Diese Annahme macht eine Deutungsfigur des wohlhabenden Öko-Milieus sichtbar: Haben oder nicht haben sind demnach keine Fragen von finanziellen Mitteln, Infrastrukturen oder Teilhabe, sondern Fragen des Bewusstseins. Die Gruppe inszeniert sich so, dass die Lebensbedingungen und Orientierungen anderer gesellschaftlicher Schichten oder Milieus nicht bekannt oder zumindest nicht relevant sind. 244 „Das sagt mir meine Mutter immer, meine Mutter ist so'n bisschen, ich find immer, sie ist so'n bisschen öko, ähm und sie beschäftigt sich immer mit so vielen verschiedenen Philosophen [°@2@° und sie hat so nen Spruch, ich glaube von Byron Katie ist der, der ist so: „Woran merkt man, dass man etwas nicht braucht?“ Was man gerne hätte. Man hat es nicht. Und das sagt sie Tw5: °@(.)@ mir jedes Mal, wenn ich was kaufen will oder so, ich, ich denke da automatisch immer drüber nach, ich sage das auch immer zu [Tw5: Das stimmt. ihr, wenn sie irgendwas kaufen will, irgendwie sie wollte ein ipad kaufen und ich war so: ‚Hey, das brauchst du doch gar nicht, das hast du doch gar nicht, du kannst doch gut da ohne leben.‘ “ (244-255
Im gleichen Zug stellt Tw6 dar, wie „schön“ es für sie sei, kein Smartphone, sondern ein besonders altes Handy zu haben, das nie kaputt gehe und sie vor „diese[r] ganze[n] Informationsmüllindustrie“ (Z.363-385) schütze: „ich kann total gut ohne [Smartphone] leben. Ich find's eigentlich viel schöner, wenn ich das nicht habe“ (Z. 380-382). Während die Gruppe gängige Praktiken des „Mainstreams“ bzw. „der Leute“, z.B. „jedes Jahr ein neues Handy“ scharf kritisiert, stellt sie eigene, milieuspezifische, Praktiken nicht zur Debatte, z.B. Landstreckenflüge zugunsten eines Schüler-Auslandsjahres (Tw2) oder zur Begleitung der Eltern zum Dreh eines Dokumentarfilms (Tw6). Von unnötigem Konsum und der fehlenden Haltbarkeit von Gegenständen kommt die Gruppe auf eine radikale Systemkritik (Z. 418-439). Konzerne verdienten am Überkonsum, „die Industrie“ habe „so ein System“ geschaffen, das sich selbst am Laufen halte. Die Gruppe entwickelt das Bild vom übermächtigen System, das aus einem Filz aus Großkonzernen, Werbung, Lobbyismus und Politik bestehen und vor Gewalt gegen Gegner*innen nicht zurückschreckt.
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Damit elaboriert sie die David-Goliath-Metapher. Einzelne könnten gegen das System nichts tun, außer ihm keine weitere Nahrung durch „falsche“ Konsumentscheidungen zu geben. Über individuelle Konsumentscheidungen, teuere, langlebigere Produkte zu kaufen, könne man ein „gutes Gewissen“ haben, sich als TrendsetterIn fühlen und andere zur Veränderung motivieren: 425 Tw6: das ist so'n System [Tw1: die Industrie ja, die Industrie, da kann man einfach im Moment nichts gegen tun, man kann für sich selber entscheiden, gut ich geb jetzt [Tw1: °Geld!° keine Ahnung statt für hundert Euro kaufe ich mir für fünfhundert Euro irgendwas, keine Ahnung was, ähm und dann hält es zwar länger und ich kann irgendwie ein gutes Gewissen haben, aber es ist so, es wird immer oder im Moment ist es so, dass es halt [Tw1: °Ja.° so ne Minderheit ist, (Z: 425-434).
Tw6 stellt an dieser Stelle ihre Erfahrung dar, dass sie „total viel positive Reaktionen“ bekomme, also „die Leute“ beeindruckt von ihrem vorbildlichen Handeln seien. Die beiden am längsten Aktiven, Tw6 und Tw3, zeichnen im Folgenden ein Bild, das über das eigene vorbildliche Alltagshandeln und Engagement hinaus Kontakt zu Gleichgesinnten entstehe und ein Gruppengefühl entstehe und daraus eine Bewegung (435-456): „ dann merkt man, dann fühlt man sich gleich so als Gruppe“ (Z. 446/447), „Man fühlt sich nicht so hilflos!“ (Z. 449), „boah, es gibt irgendwie so eine Bewegung“ (Z. 450/451), Diese Darstellung ist von einer Steigerung geprägt, die Teilnehmer*innen sprechen mit zunehmender Euphorie. Es ist die einzige Passage, in der die Gruppe die Steigerungsdynamik auf etwas Positives bzw. eine Utopie (und nicht auf Missstände und negative Entwicklungen) anwendet. Die David-Goliath-Metapher wird darin aufgegriffen und verändert: Aus vereinzelten Öko-Aktivist*innen („Davids“) werden Gruppen und dann eine Bewegung, die einen „enormen Umschwung“ und „ein großes Umdenken“ in Gang bringe. Da in der Deutung der Gruppe „Umdenken“ und „Bewusstsein“ eine tragende Rolle spielen, hat der „Umschwung“ – die Ankündigung eines Umdenkens ihrer Generation – eine weitreichende Bedeutung, die das übermächtige System, den „Goliath“, zum Wanken bringen kann: „es gibt so, so nen enormen Umschwung glaube ich, so ein großes so Umdenken, so vor allem bei den äh jüngeren Generationen, so also die jetzt so studieren oder zur Schule gehen oder so“ (452/453). Zunächst einmal hat der Umschwung zur Folge, dass sich die scharfe Trennung zwischen den Umwelt-
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aktivist*innen bzw. der Sphäre des Umweltverbands und „den anderen“ ein Stück weit aufgelöst wird. Tw3 beschreibt „dieses total krasse AhaErlebnis“ (455/456), dass auch andere Menschen in ihrem alltäglichen Umfeld sich auf individueller oder politischer Ebene Umweltschutzhandeln praktizierten und damit „zwei getrennte Welten“ sich annäherten. 455 „das war für mich, für mich auch so dieses total krasse Aha-Erlebnis so bei mir so, weiß nicht, als ich hier angefangen habe vor zwei Jahren äh war ich noch … in der zehnten Klasse … da hatte ich immer so das Gefühl, ich bin hier so der einzige, der sich hier irgendwie für das Thema so interessiert, keine Ahnung. Und hab jetzt einfach ähm so in den letzten zwei Jahren, wo ich halt in der Oberstufe halt auch mit den anderen Leuten aus meinem Jahrgang zusammen bin, festgestellt, es gibt in meinem Jahrgang ungefähr eine Gruppe von fünfzehn Leuten, die zum Teil vegan leben, die ich dann auch mal auf Demos getroffen habe und so, und ich dachte so, hätte ich von denen nie, also hätte ich nie so erwartet, weil das für mich immer so zwei getrennte Welten waren, irgendwie so Greenpeace und halt so mein Alltag mit Schule und so. Und dann einfach festgestellt habe, ok, es gibt auch in meinem Alltagsleben Leute, die sich für die gleichen Sachen interessieren und die sich da auch einsetzen und engagieren.“ (Z. 455-466)
Die Erfahrung von Zugehörigkeit zu einer Bewegung wird als wesentlich beschrieben, denn sie helfe über die Verzweiflung über den Zustand der Welt hinweg. Die Teilnehmerin Tw3 führt aus, dass die Wahrnehmung, „nicht alleine“ zu sein, ihre helfe, wenn sie vor lauter katastrophalen Nachrichten den Eindruck habe „scheiße, die Welt geht unter“: 473 da gab es bei mir neulich so eine Situation, wo [Tw2: Ja. ich, ich weiß nicht, ich war im Auto unterwegs mit meinem Vater zusammen, wir haben Autoradio gehört und es war einfach so eine Nachrichtensendung, wo es um die Ukrainekrise ging, danach kamen die Wahlen in Griechenland und ähm noch ein drittes Thema so von dem Kaliber, wo ich einfach so dachte, so da saß und dachte, scheiße, die Welt geht unter, so ungefähr. Es ist alles so sinnfrei und die Menschen bauen, ah genau Pegida, Pegida war das dritte Thema, wo ich [Tw6: Es hat alles keinen Sinn mehr. Was mache ich hier eigentlich. dachte so, also die Menschen bauen so viel Scheiße äh was soll man, was soll man als Einzelner dagegen tun, und man immer wieder denkt, ok ich bin nicht alleine, wenn man auf so Demos [Tw6: Ja.
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unterwegs ist, es gibt noch so viele andere Menschen, die sich für die gleichen Themen interessieren, so.“ (473-486)
Es geht Kirsche nicht darum, dass sie durch den „Umschwung“ oder „das Umdenken“ zu einer anderen Bewertung der „Lage der Welt“ kommen. Die Bewertung „es ist alles so sinnfrei“ und „die Menschen bauen so viel Scheiße“, „es hat alles keinen Sinn mehr“ verändert sich nicht. Was sich verändert, ist der eigene Umgang mit der Situation. Anstatt sich passiv von den Nachrichten über Missstände deprimieren zu lassen – oder, wie Gruppe Stachelbeere, den „kollektiven Selbstmord“ als Ausweg zu sehen – stellt die Gruppe den Anspruch auf, „die Energie“ aus der Verzweiflung und dem Wunsch nach Veränderung zu nehmen und in die Aktion zu gehen, „mit irgend jemand ins Gespräch zu kommen oder so“. (487-499) Die Darstellung der Verzweiflung und die Einschätzung, „die Welt geht unter“, ähnelt der Darstellung in Gruppe Stachelbeere. Ein Gegenhorizont ist, dass Kirsche die Rettung vor dem Untergang über eine Bewegung an „Davids“ erhofft, während die Gruppe Stachelbeere sich in einem Fatalismus und kokettieren mit dem „kollektiven Selbstmord“ (Stachelbeere) ergeht. Ein Gegenhorizont sind Gruppen, die keine Angabe zum „Zustand der Welt“ machen oder sich als eher optimistisch inszenieren (Paprika, Tomate, Gurke). Interessant ist, dass in den Gruppen 1, in denen ausschließlich langfristig Engagierte (länger als zwei Jahre) diskutiert haben, die Darstellung deutlich stärker in Richtung Hoffnung geht. Demgegenüber stehen Gruppen, in denen zahlreiche „frisch Aktivierte“ sind, die ihre Verzweiflung und ihre Wut über Umweltzerstörung, Praktiken von Konzernen und Klimawandel zum Ausdruck bringen. In der folgenden Diskussion um Klimawandel, Umweltzerstörung, Konzerne, Greenwashing (502-1651) dominieren für die weiteren 50 Minuten (hier Min 26 von 73 Min.) Katastrophenstimmung und die Deutungsfigur von Umweltschutz als Protest und Kampf. Auf meine Nachfrage beginnt die nächste Passage (Z. 502-725), die sich um Klimawandel dreht. Die Passage ist geprägt von der Inszenierung von Katastrophenstimmung, Wut und Ohnmacht. Die Gruppe elaboriert weiter die Metapher des übermächtigen Goliaths, der die Welt in den Untergang treibt („es ist ein riesengroßer Teufelskreis“ (537-547), „es ist schlimm richtig schlimm, wie es steht um die Welt, wir können es kaum noch aufhalten“ (616-620)). Die Umweltaktivist*innen stehen ihrer Darstellung nach im Kampf gegen übermächtige Gegner*innen und ignoranten „Anderen“ . Die diskursive Praxis ist geprägt von der Herstellung von Empörung. Auf meine Frage, wie die Teilnehmer*innen über Klimawandel
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denken und wissen, antwortet die Teilnehmerin Tw3 ohne zu zögern und mit empörter Stimmgebung. Die schnelle und emotionsgeladene Antwort ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die Unsicherheit und Zögern dokumentieren. Tw3 zitiert einen ehemaligen Lehrer, der Klimawandel leugne und dass sie dem Lehrer gerne entgegen gehalten hätte, sie wisse mehr über Klimawandel und Klimaschutz als er. 505 Also, das erste, was mir dazu einfällt, ist mein Geografielehrer aus der neunten Klasse, der sich ernsthaft vorne hingestellt hat und gesagt hat, Klimawandel ist nur eine Erfindung der Medien! Das existiert überhaupt nicht! @4@, [Prusten] Und ich so da gesessen hab und: „Also ich bin der Meinung, ich weiß mehr über Klimawandel und Klimaschutz als Sie und erzählen Sie doch nicht so einen Müll!“ (.), aber das kann man einem Lehrer natürlich nicht ins Gesicht sagen, und äh ich weiß nicht, also was weiß ich dazu? (Z. 505-511)
Aus dieser Proposition geht folgendes hervor: Erstens elaboriert sie die DavidGoliath-Metapher: der übermächtige, ignorante Lehrer, der ignorant und unwissend ist, gegen die junge Aktivistin, die über Wissen und Strategien verfügt, in ihrer Position als Schülerin jedoch unterlegen ist und dem Lehrer nicht die Meinung „ins Gesicht“ sagen kann. Zweitens wird mit dieser Darstellung Empörung dargestellt, indem die Teilnehmerin ein Schwarz-Weiß-Denken vorgibt mit einer harten Abgrenzung zum den ignoranten, die „Lage der Welt“ leugnenden „anderen“. Die eigenen Wissensbestände und Deutungen werden nicht explizit dargestellt, sondern implizit durch eine Antithese gebildet. Die Wissensbestände zu Klimawandel, die die Gruppe im Folgenden darstellt, sind geprägt von der medialen Inszenierung von Klimawandel. Klimawandel wird mit „Katastrophen“ (mit erstickter Stimme gesprochen, Z. 512) gleichgesetzt. Einerseits dokumentiert die Gruppe, dass sie ihr Wissen aus dem Fernsehen entnimmt: „Was man dazu weiß, ist so alles, was man in den Nachrichten mitkriegt, so äh Klimawandel, so Bienensterben, die Arktis taut.“ (Z. 513/514). Die Gruppe versteht Medienberichte als Fakten und setzt Klimawandel mit Extremwetterereignissen gleich. Die Darstellung ist simplifizierend, die mediale Inszenierung wird nicht hinterfragt. Gleichzeitig inszeniert sich die Gruppe inszeniert sich als elitär Wissende und verweist mehrfach auf Studien. Die Inhalte der Studien werden nicht weiter wiedergegeben, die Gruppe begnügt sich mit Verweisen und diskutiert auch diese Ergebnisse nicht. Diese Darstellung bildet einen Gegenhorizont zu mehreren anderen Gruppen, die ihre Wissensbestände als unsicher darstellen (Kürbis) oder sie hinterfragen und um eine eigene Einschätzung ringen (Himbeere). Ein Gegenhorizont sind auch Gruppen, die eine Wissensantwort geben (Gurke) oder
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den Schwerpunkt auf Klimaschutz legen, analog zur Deutungsfigur von Umweltschutz als Gestaltungsraum (Tomate, Paprika). Auf die Darstellung der Gruppe Kirsche, mehr zu wissen als der Lehrer, folgt die Darstellung, dass Klimawandel im Alltag zwar spürbar sei, dies jedoch Bewusstsein erfordere. Tw6 nimmt ihre Einschätzungsfähigkeit ein Stück zurück, begründet dies jedoch ausschließlich mit ihrem Alter. Sie verbindet dabei die Spürbarkeit von Klimawandel mit den Wissensbeständen, die aus Studien von Umweltschutzorganisationen hervorgehen. Sie wechselt von der persönlichen Wahrnehmung zu Studienergebnissen zurück zur persönlichen Wahrnehmung. Dies verstärkt den Eindruck, dass sie ihrem Selbstverständnis nach über ein elitäres Bewusstsein verfügt. 514 Tw6: „ich glaube, hier so in Deutschland kriegt man das bewusst gar nicht so mit, was so passiert, aber wenn man, wenn man mal drüber nachdenkt, weil ich glaub, ich krieg das nicht so mit, weil ich noch zu jung bin dafür sozusagen. Wenn ich vor zwanzig Jahren so alt gewesen wäre wie jetzt ähm hätte ich das glaub ich mehr mitgekriegt, weil es gibt auch so ne Studie, ich glaub sogar von Greenpeace, ähm oder von verschiedenen Organisationen, wie sich eigentlich so das Weltklima so so ändert, und wie es teilweise viel wärmer wird und teilweise viel kälter und teilweise halt feuchter und sich das so komplett umtau, umdreht und es, es wird halt alles so extremer, ich find, das merkt man auch so'n bisschen.“ (Z. 514-521)
Die anderen Teilnehmer*innen bestätigen diese Wahrnehmung und heizen die „Katastrophenstimmung“ weiter an: „man hört auch so in den Nachrichten, gerade so im Sommer, dass es irgendwie eine Klimakatastrophe nach der anderen ist und dann heißt es, ja es ist irgendwie normal.“ [TN: Ja. (Z. 526-529)
Die Gruppe stellt dar, es sei „ein totaler riesiger (.) ja Teufelskreis“, der Zerstörung und Überschwemmungen bringe. Die Teilnehmer*innen verbinden ökologische Vorgänge mit sozialen Folgen, indem sie darstellen, dass „Leute“ davon betroffen sind. Es sind jedoch ausschließlich Gruppen von „Leuten“, zu denen sie nicht gehören bzw. die fern von ihnen sind: 543 Tw1:die Leute in den in, in, ja, im Süden oder Leute, die am Meer wohnen oder Leute, Tw3: In Gebieten, die generell schon so gefährdet sind (für) Katastrophen“(Z. 543546). die weniger Geld haben oder wo anders leben, ähm die merken das halt und ähm ja.“
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Diese Darstellung passt zum Selbstverständnis, privilegierte Vorkämpfer*innen zu sein. Eine Auseinandersetzung mit den Implikationen von Klimawandel für das Leben von betroffenen „Leuten“ scheint dafür nicht nötig zu sein. Ein Gegenhorizont sind Gruppen, die dokumentieren, sich für Klima- bzw. Umweltschutz einzusetzen, weil sie das eigene Leben sichern wollen (Himbeere, Tomate1, Himbeere). Ein Gegenhorizont in Bezug auf den Einsatz für Menschen im globalen Süden findet sich auch bei Paprika. Eine Teilnehmerin stellt dar, Klimawandel sei auch in Deutschland spürbar in Form einer „Monsterüberschwemmung“ und von „jeden Monat ungefähr einmal so einen Monstersturm“ (Z. 553-558). Gegenhorizonten zur Darstellung, dass Klimawandel auch in der eigenen Lebenswelt spürbar bzw. nachweisbar ist, finden sich in zahlreichen Gruppen. Ein maximaler Kontrast ist Gruppe Kürbis, die in dem Gebiet wohnt, wo es angeblich die monatlichen „Monsterstürme“ gibt und dokumentiert, Klimawandel sei für sie sehr abstrakt und in ihrer Lebenswelt in Deutschland nicht spürbar. In der nächsten Sequenz (Z. 565-591) bietet sich die Möglichkeit zur komparativen Analyse zwischen Kirsche und Kürbis. Beide thematisieren das Szenario, dass ihre Heimatstadt1 in Folge des Anstiegs des Meeresspiegels zu einer Hafenstadt werden könnte. Die Art, wie die Gruppen dieses Szenario thematisieren, variiert stark. Kirsche thematisiert das Szenario „[Stadt] am Hafen“ als Beispiel für die „ Grundignoranz“ der „Leute“ (Z. 568), die sich über die Klimaerwärmung sogar freuen würden, weil es dann „ein bisschen wärmer“ werden würde. Für diese „Ignoranz“ würde die Teilnehmerin Tw6 „den Leuten am liebsten so, am liebsten an die Gurgel springen“ (Z. 569). Eine andere Teilnehmerin führt aus, das Krasseste sei die Begeisterung der „anderen“ über das Szenario „[Stadt] am Hafen“: 581 Tw3: und die alle: “Geil, dann haben wir einen Hafen!“, ist [Tw5: [Stadt] am Hafen, so ne? Tw6: Ja. doch cool, dann können wir an die Nordsee fahren, beziehungsweise müssen wir nicht mehr hinfahren, weil wir sind schon da. (Z. 581-583).
Dieser Darstellung nach müssen die Umweltschützer*innen zunächst die „Ignoranz“ der „Leute“ bekämpfen, „alle“ gegen „wenige“ - auch hier wird die Metapher von David und Goliath implizit elaboriert, sie wird zur Herkules-Aufgabe. Der Gegenhorizont ist die Darstellung von Gruppe Kürbis, die die Formulierung „[Stadt] am Hafen“ als abstraktes Schreckensszenario darstellt. Im Folgenden steigert die Gruppe die Empörung und Wut über Klimawandel und Umweltzerstörung weiter. Die aktuelle Entwicklung gehe in die
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Falsche Richtung, so werde „Schreckliches mit noch Schrecklicherem“ (Z. Z. 606/607) ersetzt, z.B. Atomenergie durch Braunkohle. Die zentrale Aussage ist die Einschätzung, dass die „Lage der Welt“ fatal sei und eine Rettung kaum mehr möglich, zumal mächtige Interessengruppen dagegen stünden. Die Aussage „ist es klar, dass wir es kaum noch aufhalten können“ gleicht dem Hoffen auf ein Wunder und ist ein Gegenhorizont zur Darstellung von Gruppe Paprika, die stattdessen von Nutzen von historischen Chancen spricht. 616 „ es ist schon richtig schlimm, wie es steht um die Welt, eigentlich ist es klar, dass wir es kaum noch aufhalten können (.) und desto später wir handeln, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir es nicht aufhalten können (.) und dass wir aber, gerade die Politiker und die Lobbyisten und alle darauf einwirken, dass es immer weiter geht und immer stärker wird.“ (616-619)
Grund für diese Ausrichtung sei die falsche Prioritätensetzung, die eine Teilnehmerin mit ironischer Stimmgebung vorträgt: „die Wirtschaft ist ja auch dann so viel wichtiger als die Umwelt“ (Z. 633), was dazu führe, dass Klimaziele nicht eingehalten würden, mit fatalen Folgen: „entweder … entscheidet sich China denn dafür, dass die Erde überlebt oder entscheidet sie für diesen kurzfristigen Erfolg mit der Wirtschaft. Ja, das ist dann immer so als ob den Menschen das so ist: „ja, solange ich lebe … ist noch alles in Ordnung, danach ist, was danach kommt ist mir dann scheißegal. Ja @(.)@ nach mir die Sintflut.“ (Z. 643-646)
Die Bewertung der „Lage der Welt“ wird mit großer Sicherheit vorgetragen, wenn auch das Wissen, z.B. zu den hier thematisierten Klimaverhandlungen, bruchstückhaft ist. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die eine sichere Wissensbasis für notwendig halten, um Bewertungskompetenz zu erlangen (Himbeere, Paprika). Zu diesem Zeitpunkt der Diskussion folgen Argumente schnell aufeinander. Wissenselemente bzw. Themen werden nur angerissen, nicht ausformuliert. Die Gruppe „reimt sich“ den Rest zusammen, denn es geht nicht um eine logische Argumentationskette. Die stereotype Darstellungsweise dient dazu, ein schwarz-weißes Bild vom „Zustand der Welt“ zu verdichten: Die „Bösen“ (Wirtschaft und Politik) zerstören unsere Welt. Anhand der Sequenz zur Auslagerung der Atomsparte durch deutsche Stromkonzerne (Z. 659-724) lässt sich exemplarisch zeigen, mit welcher Diskursorganisation die Gruppe Empörung herstellt. Die Teilnehmer*innen lassen einander nicht ausreden, Wortfetzen gehen hin und her, es gibt eine starke Be-
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wertung, ohne dass sämtliche Teilnehmer*innen über die Wissensbestände verfügen, die nötig sind um zu verstehe, worüber die Gruppe sich empört. Die Gruppe dokumentiert kaum eine Vermittlung von Wissensinhalten, vielmehr zielt sie auf die Produktion von Empörung ab, die sich gegen die Konzernriesen (als Konkretisierung der Goliath-Figur) richtet. Die Beschreibung des Sachverhalts ist sehr unpräzise. Ohne bereits vorhandene Kenntnis der Vorgänge ist die Darstellung unverständlich, da bestimmte und unbestimmte Artikel verwendet werden ohne expliziten Bezug zu Objekten: „irgend ein Konzern“ hat „ihre Sachen“ „teilweise ausgelagert“, weil „das“ bald abgeschaltet werde, was der Grund sei, dass sie „es“ auslagern. Ob es beim Auslagern von „es“ um die Atomsparte geht oder um radioaktive Brennstäbe, ob es also um einen Unternehmenszweig geht oder um die Lagerung, spielt in der Diskussion kaum eine Rolle. Wesentlich ist, dass „wir als kleine Leute“ von den Konzernriesen skandalös und unverantwortlich behandelt werden. 660 Tw2: Ja, aber das Interessante ist ja jetzt, dass die Deutschen zum Beispiel jetzt diese. Um irgend ein Konzern, °RWE oder so? Keine Ahnung° hat doch jetzt seine Atomsparte irgendwie teilweise ausgelagert [Tw1: °Ja.° oder irgend, (.) das ist so (.) Eon, ja und das ist echt so, dass man mittlerweile denkt, ok die [Tm1: Das war Eon. lagern halt ihre, ihre Sachen aus, wo sie denken, das wird irgendwie sowieso in naher Zukunft jetzt (.) abgeschaltet oder muss abgeschaltet werden, deswegen lagern sie es aus und lassen das dann so, lassen diese Tochterfirma vielleicht pleite gehen oder irgendwie sowas und dann haben wir als kleine Leute °es sozusagen wieder an der Backe°. (34:35) [Tw3: Wie jetzt, die lagern das aus? [Tw1: Die wollen es doch verkaufen ne oder es abgeben? Durcheinander [Tm1: Es geht darum, (.) soll es es erklären? (1) Ja, die Firma geht Pleite und dann [Tw5. Was heißt denn auslagern? Tw1: Die lagern es aus als Tochtergesellschaft (.) wenn die das abspalten [Tw3: Aber warum habe ich es dann an der Backe? Tm1: muss es der Staat bezahlen. (1) Weil der Staat (.) wenn ne Firma insolvent geht, dann [Tw1: Ja. [Tw3: Wieso muss der Staat die Firma ( )? kommt der Staat ( ). Ja. [Tw1: So wie mit den Banken. Das passiert, dass wir den Schrott sozusagen
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[Tw3: Ja. [Tw2: Dann müssen wir dafür sorgen, dass der Schrott sozusagen Tm1: Dann zahlen wir den Atommüll. (34:54) [Tw3: Oh! (empört) (3) Tw2: Also ich mein, dass wir noch nicht mal [Tw1: Vor allem vor allem, wir zahlen den Atommüll, was passiert denn mit dem Atommüll? Er wird [Tw2: Ja wieder neu nach Rußland, irgendwo ins Nirgendwo verschifft und oder wir schicken ihn ( ) [Tm1: Ach so. @1@ [Tw4: Vielleicht ins Weltall schießen!
In der folgenden Passage (Z. 726-1300) wird der Kampf zwischen den Umweltschützer*innen und den Mächtigen der Welt – in Form der David-GoliathMetapher weiter elaboriert und dramatisiert. Klima- bzw. umweltfreundliche Innovationen würden unterdrückt, Erfinder*innen und Umweltaktivist*innen lebten in Lebensgefahr. Auch in dieser Passage fällt auf, dass die Jugendlichen ihre Informationen großteils aus dem Fernsehen beziehen und unhinterfragt für wahr halten, z.B. berichten sie über einen Kandidaten einer Quiz-Show, der ein innovative Solarzellen entwickelt habe, diese aber aufgrund von Patenten nicht auf den Markt bringen könne (Z. 726-754). Es folgt eine Steigerung der Dramatik: Innovationen würden nicht nur unterdrückt, Umweltaktivist*innen und Forscher*innen würden umgebracht. Dieses Wissen stellt die Teilnehmerin Tw6 als elitäres Wissen dar, das nicht über die Medien verfügbar sei. Die Herkunft dieser Wissensbestände thematisiert die Sprecherin nicht, das Dargestellte wird ohne Angabe von Quellen als wahr vorgetragen. Die Gruppe stellt dieses Vorgehen nicht in Frage, nicht an dieser Stelle und auch nicht an anderen Stellen (z.B. weiter unten, zu Krebs). Es entspricht dem Selbstverständnis als elitäre Vorkämpfer*innen, über wenig bekanntes Wissen zu verfügen und Zusammenhänge zu erschließen, die anderen unsichtbar sind. Die mächtigen Feinde der Umweltaktivist*innen seien „die großen Lobbyisten und Wirtschaftsleute, die oft auch natürlich ihre Hände auch in der Politik haben oder Politiker sind, nebenbei so oder andersrum“ (Z. 756-758). Diese Feinde bezichtigt die Sprecherin indirekt des Mordes, denn sie würden Menschen aus dem Weg räumen, die ihren Interessen schaden könnten. Auch sie
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selbst sei in Gefahr („das macht mir ein bisschen Angst“), wenn sie auch nicht direkt mit dem Tod bedroht werde („ich glaube nicht, dass ich irgendwie tot bin“), gehöre sie doch zu der Gruppe an „Umweltaktivist*innen“-Davids, die den Interessen der Wirtschafts-Goliaths im Weg stehe. Das Feindbild der mächtigen Feinde verdichtet die Sprecherin, indem sie „die ganze reiche Oberschicht“ als diejenigen darstellt, die von Klimazerstörung und Menschenleid profitieren. 755 Was ich auch mal so mitgekriegt hab, so dass es oft, also ob das jetzt Umweltaktivisten sind oder Leute, die irgendwas Krasses entwickeln (.) es gibt natürlich immer die großen Lobbyisten und Wirtschaftsleute, die oft auch natürlich ihre Hände auch in der Politik haben oder Politiker sind, nebenbei so oder andersrum, Politiker sind und nebenbei irgendwas in der Wirtschaft machen. Und diese Menschen, [Tw: Mhm. Mhm. @(.)@ die irgendwelche krassen Entwicklungen machen, sind einfach kurz nachdem sie irgendwas veröffentlicht haben, zum Beispiel gab's (.) ich meine, es war in Russland, ich will jetzt nichts Falsches sagen, aber (.) der hat ein Auto entwickelt, was komplett (.) ähm umweltfreundlich ist und der war einfach (.) nen Monat, nachdem er das veröff ähm nachdem er das veröffentlichen wollte, war er einfach tot, ähm der wurde umgebracht. Und das wird dann so von den Leuten untern Tisch gekehrt, davon hört man nichts in den Nachrichten, sondern diese Leute sind dann einfach tot, weil sie weil das natürlich dann der Automobilindustrie das würde natürlich den ganzen (.) Leuten schaden, und die werden einfach umgebracht und da denk ich mir immer so, das ist so das macht mir so ein bisschen Angst einfach, also ich glaube nicht, [Tw: Ja. Ja. dass ich irgendwie tot bin oder so, aber aber es es gibt einfach so viele Menschen, die Millionen damit [Tw: Es gibt so die Lösungen, aber es gibt nicht verdienen und Milliarden, dass einfach das Klima zerstört wird und dass dass Leute leiden und so und die [Tw: Ja. haben halt kein Interesse daran, dass sich was ändert und dass ist glaub ich das Problem, dass diese [Tw3: Und die einfach für für, ja. ganze reiche Oberschicht einfach überhaupt kein Interesse daran hat. (755-780)
Die Gruppe elaboriert im Folgenden ein weltweites System, das auf „de[m] pure[n] Egoismus“ (Z. 785) fuße. Machtstrukturen und System verhinderten Veränderung (Z. 802-813). Die Darstellung ist auch an dieser Stelle sehr unpräzise, wird aber vom Rest der Gruppe verstanden, was auf eine gemeinsame
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Orientierung hinweist. Z.B. „Es gibt irgendwelche Sachen, (.) da sind Strukturen drin, die ähm (.) sozusagen eigentlich nicht so sein dürften, aber die sind total wie selbstverständlich da drin.“ (Z. 807/808) Die Gruppe verzichtet auch an dieser Stelle darauf, zu thematisieren oder zu explizieren, wie diese Systeme und Strukturen funktionieren, denn dies ist in den Orientierungen der Gruppe selbstverständlich. Die Gruppe ist sich einig, dass eine internationale Lösung notwendig sei.“Die Darstellung ähnelt der Gruppe Stachelbeere, wobei Kirsche sich weniger fatalistisch zeigt. Gegenhorizonte sind Darstellungen, ohne Feindbilder oder Machtverhältnisse. Kirsche beschreibt ihren Orientierungsrahmen – den Kampf zwischen ÖkoDavid und Wirtschafts-Goliath – in folgender Fokussierungsmetapher: Eine sozial-ökologisch nachhaltige Welt sei möglich – diese Formulierung erinnert an den Wahlspruch im linken Spektrum bzw. von attac „eine andere Welt ist machbar“/“otro mundo esta possible“, sie werde jedoch von „den Großen“ blockiert. 815 Ich glaube, es wäre eigentlich überhaupt kein Problem, eine Welt zu haben, die ökologisch und nachhaltig und sozial und so ist, das [TN: Mhm. Problem ist einfach, dass die Leute oder die Großen, so die Politik, die Wirtschaft, also generell die ganze Industrie, die wollen das nicht, also die versuchen, das alles zu blockieren. Und das Problem ist nicht, dass [Tw5: Ja ja, genau. wir keine Lösung haben oder dass es zu teuer ist, das Problem sind die Leute, die sich dagegen stemmen. (Z. 815-823)
Im folgenden elaboriert die Gruppe das Feindbild, dass „die Großen“, die „Bösen“ die Welt beherrschten. Dabei nennt die Gruppe die Namen zahlreicher Konzerne, ähnlich wie bei Gruppe Erdbeere. Auf eine Differenzierung legt die Gruppe immer weniger wert, sie hat sich jetzt „heiß geredet“ in ihrem SchwarzWeiß-Denkstil. Z.B. „Monsanto war für mich immer schon so ein Begriff, das Böse, irgendwie, Nestlé ist es ja auch, aber das gehört alles den gleichen Leuten.“ (Z. 844-847), „der Kapitalismus frisst seine Gegner“ (Z. 1016). Die Gruppe nennt persönliche Bemühungen, sich diesem Goliath zu entziehen, die jedoch winzig und hoffnungslos erscheinen vor dieser Übermacht, die selbst die Biobranche korrumpiere: 859 Ich, also ich ich versuche immer, (.) das zu essen, so im Bioladen zu kaufen, auf dem Markt, auf dem Markt zu kaufen, das ist gar nicht so richtig möglich, glaub ich [Tw3: Das
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wäre für mich auch mal so eine Frage, wem, wem gehören eigentlich diese Biofirmen eigentlich? Tw6: Ja, das ist wahrscheinlich auch irgendein Scheißverein! (859-867)
Die Gruppe beschreibt die Zustände und Entwicklungen häufig als „traurig“. Dieses „traurig“ bezieht sich jedoch nicht auf die individuell-persönliche Emotionen, sondern es ist eine Bewertung der „Lage der Welt“. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die Traurigkeit oder Angst auf sich als Individuen beziehen, z.B. Gruppe Erdbeere mit der Angst vor Klimawandel. Kirsche führt weiter, dass auch „die Medien“ politisch beeinflusst und gekauft seien, also der Metapher nach auch Goliath unterstehen (Z. 950-1017). Überraschenderweise orientiert sie sich in der Darstellung von Thema an den Mainstream-Medien, die sie gleichzeitig heftig kritisieren. Beispielhaft zeigt sich hier, dass Tw6 oft Dinge/Fakten behauptet, ohne transparent zu machen, woher sie die Info hat und für wie glaubwürdig die Quelle einzustufen ist. Sie geht einfach davon aus, die Wahrheit zu kennen – und dokumentiert keinen Zweifel an der objektiven Richtigkeit ihres Wissens. Dies ist ein starker Kontrast zu den Gruppen Himbeere und Kürbis. Dies elaborieren sie anhand von Printmedien und Fernsehnachrichten. Auch an dieser Stelle kommt es der Gruppe nicht auf Detailwissen an, sie bleiben bei einem Thema nun selten länger als drei Sätze. Um darzustellen, wie eine Zeitung von Politikern gekauft ist, ist es ihnen nicht wichtig zu benennen, welche Position die „gekaufte“ Person innerhalb der Zeitung und innerhalb einer Partei hat. Die Überzeugung zu wissen, dass es einen Filz von Medien und Politik gibt, genügt, um weiter zum nächsten Statement der Empörung zu gehen. Bei der Vermittlung dieser Wissensbestände und Orientierungsmuster spielen offensichtlich die Eltern eine Rolle. Die Gruppe dokumentiert, wie ihre Eltern dieses Wissen mitsamt Schwarz-Weiß-Denkstil transferieren. 985 Tw6: bei Zeitungen ist es auch ein Problem, was heißt Problem? Ich denk mir mal, dass (.) es gibt zum Beispiel, was war das? Ich glaub, die [Zeitungsname], die ist (.) vom (.) Chef oder vom Vorsitzenden der AfD [Partei „Alternative für Deutschland“], wird die rausgegeben. … Und das ist so enorm (.) ... °Ich weiß nicht genau.° [… Gleichzeitiges Sprechen mehrerer Teilnehmer*innen ...] Irgendwie hatten wir es davon neulich, mit mit meiner Mutter hab ich mich darüber unterhalten. Ich weiß nicht, wie der heißt. (.) Ähm auf jeden Fall, das ist auch so enorm in so ner politischen Hand und die schreiben da natürlich auch nur das, was (.) für sie wirtschaftlich gut wäre oder politisch gut wäre und ich glaub, das ist bei ganz, ganz vielen Parteien so.“ (993-1002)
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Die Empörung geht weiter über Greenwashing (Z. 1017-1131) und scheinheilige Hilfskampagnen Prominenter (Z. 1017-1038). Im Rahmen der Empörung über Greenwashing-Kampagnen von Konzernriesen - entsprechend der Metapher: Goliath gibt sich einen grünen Anstrich – berichtet Tw6 von einem dreimonatigen Aufenthalt in einem südafrikanischen Land (1039-1056). Sie habe einen Elternteil begleitet, der einen Dokumentarfilm gemacht habe über die skandalösen Praktiken eines Großkonzerns. Die Sprecherin berichtet von den Konzernpraktiken, von der Enteignung von Dorfgemeinschaften und der Frechheit, dass der Konzern sich mithilfe von Greenwashing – dem Verkauf von Wasserflaschen an enteignete Südwasseranrainer – auch noch als „die Guten“ darstellten. Was die Sprecherin dethematisiert, ist, wie ihr Auslandsaufenthalt inklusive Langstreckenflug zu der Forderung nach radikalem Verzicht auf umweltschädliche Konsumpraktiken passt. Was die Sprecherin dethematisiert, ist, wie ihr Auslandsaufenthalt inklusive Langstreckenflug zu der Forderung nach radikalem Verzicht auf umweltschädliche Konsumpraktiken passt. So radikal die Gruppe im ersten Teil der Gruppendiskussion eingefordert hat, Individuen müssten die Verantwortung für ihre Konsumpraktiken (dort im Kontext von Kleider- und Lebensmittelkonsum) übernehmen, so wenig überträgt sie diese Forderung auf die eigenen selbstverständlichen, vom Elternhaus geprägten Lebensstile (vor allem Mobilität). Man könnte überspitzt sagen: sie empören sich über Greenwashing, betreiben es aber selbst. So radikal die Gruppe im ersten Teil der Gruppendiskussion eingefordert hat, Individuen müssten die Verantwortung für ihre Konsumpraktiken (dort im Kontext von Kleider- und Lebensmittelkonsum) übernehmen, so wenig überträgt sie diese Forderung auf die eigenen selbstverständlichen, vom Elternhaus geprägten Lebensstile (vor allem Mobilität). Die Gruppe führt stattdessen fort, sich über die Praktiken von Konzerngiganten und die Scheinheiligkeit im Rahmen von Greenwashing zu empören (Z. 1062-1131). Dabei übertreffen sich die Teilnehmer*innen mit empörenden Darstellungen und treiben diese ins Absurde. Dies beinhaltet das Gedankenexperiment, die Menschheit könne aussterben, weil sie zu viele „Chemiecocktails“ in die Gewässer eingelassen habe. Mit großer Heiterkeit verkündigt die Gruppe, „@Es wäre so absurd, es wäre beinah wieder witzig@, wenn sich „die Menschheit“ „so selbst ans Bein gepisst“ hätte (1078-1106). Nach zahlreichen Beispielen verdichtet die Gruppe die Einschätzung der „Lage der Welt“ auf einer Metaebene und bringt damit die Konklusion zur Deutung von Umweltschutz als Protest und Kampf. Die aktuelle Entwicklung lasse „keine andere Möglichkeit als Dystopia“ (Z. 1157) zu. „Den Menschen“ sei „eigentlich schon bewusst, dass sie die Erde so gut wie zerstört haben“. Implizit
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steht darin der aussichtslose Kampf der Öko-Davids gegen Goliath, der die Welt zugrunde treibt. 1149 [Tw2: Das ist total witzig (52:50), wenn man sich die Entwicklung von Dystopia und Utopia, also diese Zukunftsversion, dass man entweder (.) es die gute Zukunft gibt oder die schlechte Zukunft, also die ideale [TN: Mhm. oder die total negative. Und ähm es ist da (.) es hat damit angefangen, dass alle Menschen nur an Utopia dachten sozusagen und dachten, ja die Zukunft wird auf jeden Fall besser, wir werden irgendwas entwickeln, was super toll ist, und in den letzten Jahren hat sich das halt immer mehr, (.) also in den letzten Jahrzehnten hat sich das immer mehr gewendet zu ähm zu (.) ja, eigentlich haben wir gar keine andere Möglichkeit als Dystopia sozusagen. Und das ist, ich weiß nicht, traurig, ich meine, man müsste doch eigentlich in die Zukunft positiv gucken, damit man wahrscheinlich auch in der in der, was jetzt gerade ist, in der Gegenwart, fröhlicher leben, so in etwa. (53:35) [Tw4: Aber den Menschen ist es ja eigentlich schon (.) ja den Menschen [Tw1: Hoffnungsvoll. ist es eigentlich schon bewusst, dass sie die Erde so gut wie zerstört haben (.) es ist ja schon die Suche nach einem neuen Planeten. (Z. 1149-1165)
Die Weiterführung der Passage bringt eine Wendung, die zeigt, wie stark die Prägung durch das Elternhaus ist (Z. 1149-1224). Eine geplante Mission zum Mars wird von der Gruppe zunächst als Beispiel für Absurdität und Verantwortungslosigkeit eingeführt. Als eine Teilnehmerin berichtet, ihre Mutter habe Interesse an der Teilnahme, ändert sich der Ton von Empörung zu Fassungslosigkeit und Staunen. Inhaltlich verschiebt sich die Diskussion von der Zerstörung der Erde zur Faszination über unbekannte Welten im Universum. Die neuste Teilnehmerin in der Runde (Tw4) empört sich über die Suche nach einem neuen Planeten, eine andere Teilnehmerin bringt als Steigerung der Absurdität ins Spiel, dass eine One-Way-Mission zum Mars geplant sei. Während Tw4 schon empört „Oh“ ruft, berichtet Tw6 lachend, ihre Mutter würde gern an dieser Mission teilnehmen, sie sei nun mal eine „Abenteurerin“ (Z. 1172-1174). Auch sie finde „die Vorstellung unglaublich toll, irgendwie so mega faszinierend, dass es (.) weil es gibt ja Forscher, die sagen, also es gibt total viele Theorien, aber dass der Mars mal irgendwas Erdartiges war, was irgendwie dem oder dass er vielleicht irgendwie so ne Vorstufe ist oder so ist, wie die Welt“ (Z. 1196-1199). Nachdem die Gruppe sich zuvor als so radikal für einen bescheideneren Konsumstil bzw. individuelle Suffizienz ausgesprochen hatte, überrascht zunächst, dass es keine Verurteilung gibt gegenüber dem Wunsch, auf den Mars zu fliegen, der in Sachen Umweltunverträglichkeit die Grenzen der Vorstellung
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sprengt. Die Handlungsabsicht der Mutter wird ausgenommen vom Bewertungsschema, nun steht die individuelle Suche nach Glück und Abenteuer im Zentrum. Von der Mission zum Mars kommt die Gruppe zurück zum Thema Klimawandel (Z. 1223-1298). Zunächst geht es vom Wüstenplaneten Mars zur Desertifizierung. Die Gruppe elaboriert mit hoher interaktiver Dichte „natürliche“ und „von den Menschen“ gemachten Klimaveränderungen. Die Problematik bestehe darin, dass „die Natur kaum eine Möglichkeit hat, sich anzupassen (Z. 12591262), „und der ist einfach zu stark, der Einfluss von den Menschen“ (Z. 1272). Auch an dieser Stelle zitiert Kirsche eine Studie, die Veränderungen im Wachstum verschiedener Meerestiere durch den Klimawandel beschreibt. Sie dokumentiert damit den hohen Stellenwert von Wissen bzw. der „richtigen“ Wissensbestände, ohne die Herkunft und Einschätzung der Glaubwürdigkeit von Informationen zu thematisieren. Die Gruppe geht implizit davon aus, dass sie über „die richtigen“, wahren Wissensbestände verfügen. Dies ist ein maximaler Kontrast zur Gruppe Himbeere, die der Einschätzung von Wissensbeständen im Kontext von Klimawandel eine wesentliche Rolle zuweisen. Ebenso ist es ein starker Kontrast zur Gruppe Paprika, die ausführlich über die Bewertung von Strategien und Selbstverständnis diskutieren. Eine neue Passage (1301-1566) beginnt auf meine Frage, wo Klimaschutz ansetzen muss. Die Gruppe nennt ein „allgemeines Umdenken“ als höchste Priorität, . Vom Umdenken komme sie auf kontrastierende Werte und dann zu Erziehung als Ansatzpunkt. Die Darstellung von Erziehung als Hebel für „moralisch richtiges“ Handeln findet sie ebenso bei Gruppe Erdbeere und Gruppe Stachelbeere. Kontraste sind der Fokus auf gesellschaftliche Transformation oder einer Fokussierung auf dem Alltagshandeln der Einzelnen. Die Gruppe sieht als höchste Priorität ein „allgemeines Umdenken … in der Mehrheit der Menschen“ (13031308), weg von Ignoranz (die bereits ausgiebig elaboriert wurde) und Mitläufertum. Die Darstellung, ein verändertes Bewusstsein sei die höchste Priorität, teilt Kirsche mit den anderen Gruppen 2. Die Logik, die die Gruppe dokumentiert, ist bemerkenswert. Sie beginnt mit der Notwendigkeit einer Änderung des Systems bzw. Kapitalismus, die sich „automatisch“ vollziehen würde, wenn es „ein Umdenken geben würde“. Die Ausrichtung an den Werten Kooperation, Miteinander und Glück träte an die Stelle einer Orientierung an Geld, Macht und Konkurrenz. Der Ansatzpunkt des Umdenkens liege in der Erziehung, d.h. in der Vermittlung von „moralischen Werten“ im Sinne von „moralisch richtigem“ und „falschem“ Handeln. Diese Wendung kommt etwas überraschend, nachdem es die ganze Diskussion um die Kritik an bestehenden Praktiken und Verhältnissen
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ging. Ich gehe hier von einer impliziten Sinnfigur aus. Für die Gruppe ist völlig klar, dass eine zukunftsfähige Welt nicht nur anderes Handeln von Politik und Konzernen braucht, sondern auch andere Werte. Da die gemeinsame Handlungspraxis der Gruppe aber Kritisieren und Protestkampagnen ist, hat dieser Aspekt wenig Platz. Passt aber dazu, dass TN sich aneinander schmiegen, sich gegenseitig Zöpfchen flechten und danach zusammen kochen. 1311 Tw1: irgendwie das [Tw5: Kapitalismus. System allgemein müsste sich auch ändern, was glaube ich auch, wenn es ein Umdenken geben würde automatisch ( ) (59:07) [Tw1: Also, auch generell find ich, dass die Werte, also wir haben (.) das heute ist ganz viel auf Geld, genau Macht und äh Konkurrenz und dass wir viel mehr auf dieses (.) Kooperation, ähm also auf diese äh [Tw6: Ja °Miteinander° menschlichen Dinge viel mehr zurückkommen, also auf dieses Zusammenleben, auf diese, dass wir Spaß [Tw: °Ja.° haben, dass wir glück, glücklich sind, und nicht Geld, weil Geld macht nicht glücklich, so. Tw: °Ja.° Tw3: Ja, und ich weiß nicht, es ist so diese Sache, wenn man nach dem Ansatzpunkt wirklich sucht, das ist für mich immer so, wenn es um darum geht, um andere moralische Werte oder ein Umdenken oder so, ist es für mich immer so, dass man sagt, man fängt damit mit Kindern an. Man bringt Kindern bei, was für moralische We, also man man lernt ja als kleines Kind schon, was ist moralisch gesehen richtig, was ist falsch, was darf ich, was darf ich nicht … man muss es den kleinen Kindern schon beibringen, sonst ist es nachher einfach unglaublich schwierig, in einem Menschen so so so ne Veränderung noch zu bewirken, (1332/1333) (.) (1311- 1333)
Implizit steht dahinter das Selbstverständnis der Gruppe: Die Lösung sind Menschen, die bereits über die „richtigen“ moralischen Urteile und Wissensbestände verfügen und mit dieser kontrastierenden Orientierung das System aus Gier, Macht und Geld zum Wanken bringen könnten. Die Gruppe sieht in den moralisch überlegenen Öko-Kämpfer*innen den David, der eine winzige Chance hat, den Giganten Goliath zu besiegen und damit die Zerstörung der Welt aufzuhalten. Ihre Stellung als elitär Wissende ergibt sich daraus, dass sie bereits über die „richtigen“ Werte verfügen, denn sie haben „als Kind schon“ gelernt, „was ist moralisch gesehen richtig, was ist falsch“. Die Gruppe geht selbstverständlich davon aus, zu „den Guten“ zu gehören. Die frühzeitige Vermittlung eines
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Schwarz-Weiß-Denkstils passt auch zu der Sicherheit, mit der die Gruppe ihre Bewertungen inszeniert und dazu, dass sie diese Bewertungen nicht hinterfragen. Die Notwendigkeit, bei kleinen Kindern anzufangen, da es sonst „unglaublich schwierig“ sei, birgt einen impliziten Verweis auf den konjunktiven Erfahrungsraum der Gruppe: Die Gruppe hat ja schon elaboriert, dass „die Leute“ so „ignorant“ seien. An dieser Stelle wird deutlich, dass die eigene Erfahrung lautet, dass es „unglaublich schwierig“ ist, durch die Dialog und Protest die „anderen“ zu überzeugen und ein „allgemeines Umdenken“ in Gang zu bringen. In dieser Interpretation erscheint die harte Abgrenzung gegenüber den „anderen“ als Frust über den mangelnden Erfolg im Versuch, ein Umdenken zu erreichen und damit das System Goliath zu Fall zu bringen und die Welt zu retten. Eine Teilnehmerin verdichtet die Problemanalyse in der Antwort auf die (in der Schule gestellte) Frage, was den Planeten am meisten bedrohe. Es sei „Konsum ... dieses Überkonsumieren, und äh vor allem dieses Kaufen, kaufen, kaufen, dieses kap, dieses kapitalistische Denken, und einfach, diese Werte der Menschen, dieses Gier und und Egoismus“ (1367-1372). Der Kampf David gegen Goliath sei beinahe aussichtslos, denn es sei „verdammt unrealistisch“, dass „die Menschen einfach generell ihr Konsumverhalten einschränken“, „weil das halt den Konzernen und so halt stark schaden würde“ (Z. 1357-1361). Das Feindbild „die Konzerne und so“ hat die Gruppe mittlerweile so stark elaboriert, dass es als unnötig scheint, es näher zu präzisieren. Die Gruppe simplizifiert noch stärker: „Was bedroht unseren Planeten am meisten? Menschen.“ (Z. 1373/1374). Diese Darstellung bietet einen Gegenhorizont zu Gruppen, die nicht so stark verallgemeinern, sondern stärker präzisieren, welche Menschen was einschränken müssten bzw. weniger „die Konzerne“ als Feindbild ins Auge fassen, sondern eine politische und gesellschaftliche Lösung in den Vordergrund stellen (Paprika, Tomate, Gurke, Himbeere). Im Folgenden (ab Z. 1377) empört sich die Gruppe erneut über Umweltzerstörung und die Ignoranz der „anderen“, u.a. im Kontext von Tschernobyl. Von Menschen als Problem kommt die Gruppe zum Verschwinden der Menschheit durch Atomstörfälle. Die Gruppe dokumentiert Spotwissen und stört sich nicht daran mit unsicherem, teilweise sachlich inkorrektem Wissen zu operieren-Z.B. wissen die Jugendlichen nicht, wann der Reaktorunfall von Tschernobyl war (Z. 1394-1430). Sie schätzen, es sei vierzig bis fünfzig Jahre her, während zum Zeitpunkt der Gruppendiskussion (im Januar 2015) knapp 29 Jahre vergangen waren. Trotz dieser Unsicherheit glauben die Teilnehmer*innen aber, einschätzen zu können, in welchem Maße sich das Ökosystem vor Ort generiert. Es geht der Gruppe nicht darum, präzise Wissensbestände zu transferieren, sodern ge-
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naues eine vorgefertigte Meinung zu festigen. Die Gruppe dokumentiert das Bild einer reinen, Natur, die sich ohne den Einfluss von Gesellschaft selbst regeneriert bzw. heilt (als Gegenbild zur Zerstörung durch die Menschen). Sie schwärmen davon, dass es dort große Herden von Wölfen und Wildpferden gebe. 1419-1426 „die Natur in Tschernobyl … hat sich einfach in den letzten (.) zwanzig Jahren oder in den letzten Jahrzehnten so (1) °ich weiß nicht genau, wann das war?° Ja, vor vierzig Jahren, [Tw2: °Vierzig (.) fünf (.) vierzig Jahre.° in dieser Zeit (.) hat es sich einfach vom Stand des einundzwanzigsten auf den Stand des siebzehnten Jahrhunderts regeneriert, einfach nur die Natur.“
Die Gruppe elaboriert, dass es an innovativen Ideen „um eine bessere oder eine grünere Welt zu schaffen“ nicht fehle. „Dieses umweltfreundlich machen“ müsse „man einfach zulassen“. Wenn „die ganzen, das System, die Gesellschaft, äh die Politiker, die Medien“ das nicht verhinderten und „ die Leute ein Umdenken haben, ich glaub, dann °würde nichts mehr im Weg stehen, so.°“ (Z. 1432-1440). Die Darstellung, dass es genug konkrete Strategien gebe um „eine bessere Welt“ zu schaffen, ist ein Gegenhorizont zur Gruppe Stachelbeere, die auch die Deutung von Umweltschutz als Protest und Kampf vertritt, aber keine Hoffnung für eine „bessere Welt“ zeigt, sondern Fatalismus dokumentiert. In der Gruppe Kirsche kann sich der Fokus auf Hoffnung bzw. eine „bessere Welt“ nicht durchsetzen. Die Gruppe empört sich über weiter die „Ignoranz“ der anderen und grenzt sich damit als elitär Wissende ab. Diese Orientierung zieht sich als roter Faden durch das Dokument, sie wird immer wieder selbstläufig thematisiert. Kontrastierenden Deutungen gegenüber setzt sich als dominierende Deutung durch. An dieser Stelle empört sich die Gruppe über eine Klassenkameradin, die nichts von Tschernobyl wusste (Z. 1452-1480): „Wie krass, wie kann man so was nicht mitkriegen. Also, wie kann man solche Dinge nicht wissen“ (Z. 1460-1463). Mit dieser Darstellung dokumentiert die Gruppe, dass sie Wissensbestände zu Umweltkatastrophen/Umweltschutzthemen für selbstverständlich hält und macht damit ihren milieuspezifischen Standort sichtbar. 1469 Tw6: „So was wie Tschernobyl oder so was, da ist ja jedes Jahr Jahrestag, da kommt dann auf Arte eine Doku, … wenn man dann einmal ins Fernsehen guckt, dann °sieht man's automatisch° (.) und ich [Tw1: Die meisten Leute gucken so was nicht. Tw6: glaub, die meisten Leute gucken Fernsehen. [Tw1: Aber den falschen Sender. (Z. 1469-1479)
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Schließlich kommt Kirsche auf eine Parallele zwischen Klimawandel und der Erkrankung Krebs. Bei beiden würden nur die Symptome behandelt, statt der Ursachen. Von Verstrahlung durch Atomkraftstrophen kommt sie auf Krebs. Dabei stellt Tw6 eine Verschwörungstheorie dar: Krebs sei eigentlich eine natürliche Krankheit, die einer Grippe ähnele, doch weil die „Krebsindustrie“ profitieren wolle, werde sie „falsch“ behandelt. Auch hier zieht sich das Muster durch, dass die Teilnehmerin davon ausgeht, über elitäres, subversives Wissen zu verfügen, das sie als wahr darstellt, ohne sichtbar zu machen, wie ihr Wissen informiert wurde: 1515 „Das wird so hochgespielt, für mich, muss ich ehrlich sagen, (.) ist Krebs (.), ich (.) also ich habe so was gelesen, von so einem Forscher oder einem Mediziner, der äh ja Verbot bekommen hat zu (.) praktizieren, weil er gegen die Krebsindustrie war und der hat halt gesagt, Krebs … wird nur nicht bei den Ursachen bekämpft, sondern sie wird (1) bei der Wirkung bekämpft.“ (1515-1518). Statt diese Darstellung zu diskutieren, kommt die Gruppe auf die Parallele zu Klimawandel: 1526 „Tw1: Das ist auch, auf die Natur kann man das auch beziehen, ne? Wir bauen äh, (.) wir machen nicht, dass der Klimawandel weniger wird oder aufhört, sondern wir bauen lieber nen Deich, damit das Wasser nicht überläuft. (.) Das ist das Gleiche.“ (1526-1528)
Die Gruppe kommt zu der Konklusion, dass Klimawandel und fatale Krebserkrankungen aus „falschem“ Handeln der Gesellschaft entstehen, die von „natürlichem“ Klimawandel oder Krebsverlauf klar zu trennen sind. Damit zieht sich der Schwarz-Weiß-Denkstil durch, er ermöglicht es der Gruppe, alle Themen einzuordnen und zu bewerten. Auf meine Fragen nach Unterschieden zwischen den Jugendgruppen beginnt die letzte Passage (1569-1651). Die Gruppe dokumentiert Unsicherheit über die Aktivitäten der anderen Gruppen, auch innerhalb ihrer Stadt. Sie halten es für möglich, dass zur BUND-Jugend mehr Tierschutz macht oder zur Partei „Die Grünen“ gehört. Bemerkenswert ist diese Darstellung im Vergleich zur Gruppe Paprika. Diese kennt den Jugendverband Kirsche und sagt, dass sich die Gruppen regelmäßig bei Aktionen treffen würden. Das Nichtwissen über den anderen Jugendverband ist also einseitig. Die Gruppe unterschiedliche thematische Foki der beiden Umweltverbände. Diese sind von unterschiedlichen Organisationsformen durchdrungen. Die BUND-Jugend mache „mehr schriftlich“ und habe „auch ihr eigenes Kochbuch gemacht. ... Oder die haben ganz viele Flyer selber geschrieben (.) und wir machen halt mehr Aktionen.“ (1584-1587). Aus dieser Darstellung geht hervor, dass die Greenpeace-Jugend seine Flyer nicht selbst schreibt. Im folgenden
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grenzt sich die Gruppe von Parteijugenden ab, die „politisch gebunden“ seien, ebenso wie von der WWF-Jugend, der sie „den Vorwurf machen, ok die sind (.) zu stark, also gehen eine zu starke Kooperation mit irgendwelchen Firmen, Unternehmen ein“ (Z. 1600-1602). Ihre Gruppe dagegen sei „politisch und halt auch finanziell quasi ungebunden und unabhängig von (.) Unternehmen und Politik“ (Z. 1602/1603). Die Betonung dieser Distanz zu „Unternehmen und Politik“ passt dazu, dass die Gruppe diese Akteur*innen als „die Bösen“ darstellt. Ihrer Selbstdarstellung nach ist die BUND-Jugend „eher regional“ und auf Naturschutz ausgerichtet, die kontrastierende Ausrichtung des Jugendverbands 1 kennt Kirsche offensichtlich nicht. Ihr Verband widme sich im Kontrast zu einer regionalen Ausrichtung den „großen Themen“ (Z. 1622). Eine Teilnehmerin kritisiert die Struktur des eigenen Verbands als „zentralisiert“ und „autoritär“. Dabei nutzt sie die Struktur der BUND-Jugend als Vergleichsfolie. Sie geht davon aus, der BUND sei nicht international – was sachlich nicht korrekt ist (s. Tomate und Paprika). 1625 „Wir haben ja eine total zentralisierte Struktur. Und wir machen eigentlich das, was [Stadt, wo Leitung von Greenpeace Deutschland sitzt] sagt, beziehungsweise die machen, was die International, also Greenpeace International macht, und äh der BUND ist halt weniger autoritär und die haben (.) können deswegen auch ein Kochbuch machen, weil die haben keinen von oben, der ihnen sagt, was sie machen müssen.“ (Z. 1625-1629) Diese Darstellung steht der oben proklamierten Unabhängigkeit entgegen. Die anderen Teilnehmer*innen reagieren erschrocken auf diese „Anti-Greenpeace“-Darstellung. Damit dokumentieren sie, dass sie selbstkritische Äußerungen nicht gewöhnt sind bzw. dies außerhalb ihrer gewohnten diskursiven Praxis liegt. Denn diese zielt auf die ständige Kritik „anderer“ und dethematisiert jegliche eigener „Schwachstellen“. Die Gruppe rundet die Diskussion ab, indem sie die Einschränkung durch die Organisation Greenpeace durch ihre historische Entwicklung erklärt (1630-51). Der Verband habe eben „zwölf, zwanzig Hauptthemen“, die sich aus dem anfänglichen Fokus auf Atomkraft und Meere entwickelt hätten. Die restliche Gruppe sieht es demnach nicht als Problem an, dass sie „halt so auf bestimmte Themen festgelegt“ seien (Z. 1643/1644). In der Konklusion dokumentiert die Gruppe, dass ihr Selbstverständnis und ihre zentrale Orientierung, der Kampf von Öko-David gegen Goliath, mit dem Gründungsmythos von Greenpeace übereinstimmt:
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1658 Tw2: dass die nur ein kleines Schiffchen hatten und dagegen gesegelt sind, um die aufzuhalten. Tw1: Rainbow Warrior! (1658-1650)
Nachdem das Aufnahmegerät ausgeschaltet ist, erzählen mir die Teilnehmer*innen noch einige Minuten weiter, wobei sie ihren individuellen Zugang zur Gruppe und die Veränderung ihrer Alltagspraktiken in den Mittelpunkt stellen. So berichtet Tw2, dass die meisten Jugendlichen sich noch nicht vegan ernährten, wenn sie zur Jugendumweltgruppe kämen, teilweise sogar „Fleischesser“ seien. Doch im Laufe einiger Monate würden sie „Veganer werden“, so sei es auch bei ihr gewesen. „In der Gruppe sind so ziemlich alle vegan, das ist sowas wie ein positiver Gruppendruck.“ Die Veränderung der eigenen Alltagspraktiken von „schlechten“ hin zu „guten“ ist also ein Prozess, den die Gruppe zum Zeitpunkt der Gruppendiskussion als erfolgreich abgeschlossen sieht, weshalb sie jetzt „die anderen“ vom „richtigen“ Handeln überzeugen wollen. Auf meine Frage, ob die Gruppe weitere Jugendumweltgruppen empfehlen kann, nennt sie unter Begeisterung die Gruppe Stachelbeere, weil diese „total radikal und konsumkritisch“ seien. Zudem hätten sie „ihre Dreds schon so oft mit Directions (besonders intensive Haar-Färbung, J.L) gefärbt, dass sie ganz ausgebleicht sind“, was sich aus dem Kontext heraus als Merkmal von Coolness bzw. Zugehörigkeit zu einer Subkultur verstehen lässt. Anhang 6: Fallbeschreibung Gruppe Erdbeere Die Gruppendiskussion mit der Gruppe Erdbeere fand im Rahmen des wöchentlichen Gruppentreffens statt. Da der Raum, den die Gruppe sonst nutzt, belegt war, suchten wir einige Zeit nach einem Raum, um schließlich in einer ökologisch orientierten Privatschule einzutreffen, zu der eine teilnehmende Person den Schlüssel hatte. Bei der Gruppendiskussion waren 9 Jugendliche anwesend (3 Tm und 6 Tw, von denen eine verspätet kam). Die Jugendlichen sind zwischen 14 und 17 Jahren alt (Altersdurchschnitt: 16 Jahre, Median: 17 Jahre) und damit deutlich jünger als der Altersdurchschnitt der Gruppen (17,4 Jahre). Zudem war bei der Gruppendiskussion ein Erwachsener (von der örtlichen GreeenpeaceErwachsenengruppe) anwesend, der nach Eigenaussage stets bei den Treffen dabei ist. Die Gruppendiskussion findet im Rahmen eines veganen „give and take“-Essens statt. Die Gruppe ist in einer Phase der Neuformierung, sechs der neun Teilnehmenden sind kürzer als sechs Monate dabei. Die Gruppendiskussion kommt zögernd in Gang, weshalb ich sie zu Beginn stärker durch Fragen strukturiere. Das Eintreffen von Tw6 führt zu einer deutlicher Veränderung und
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Belebung der Diskussion. Die Gruppe springt zwischen Themen und verwendet häufig kontroverse Darstellung. Es gibt kaum einen gemeinsamen Nenner, außer dass Engagement und Kampf gegen Konzerne wichtig ist. Dies entspricht einer Deutungsfigur von Umweltschutz als Protest. Erwachsener Em beeinflusst Dynamik und Themen stark, er inszeniert sich als Experte und „Erzieher“. Der zentrale Orientierungsrahmen der Gruppe ist Motivation durch Angst vor Umwelt- bzw. Klimakatastrophen. Gruppe weist die Verantwortung zu Handeln Konzernen zu und thematisiert keine konkreten Aktionen. Zwischen Em und der Teilnehmerin Tw6, die später dazu kommt, gibt es einen antithetischen Diskurs zu Problem- versus Lösungsorientierung. Auf der Ebene von Umweltschutzfelder bevorzugt die Gruppe Tierschutz und elaboriert ausführlich vegane Ernährung und Massentierhaltung. Die Vorstellungsrunde (Z. 2-89) iniitiert Em, indem er Teilnehmende zum Sprechen auffordert. Das weist darauf hin, dass es in dieser Gruppe gewöhnlich ist, dass der Erwachsene die Diskursführung in die Hand nimmt. Laut Selbstdarstellung ist Em „quasi gezwungenermaßen immer dabei“ (Z. 8). Auf Nachfrage ändert er die Darstellung in „Nein. Also macht mir einfach Spaß und (.) ja.“ (Z. 16/17) Seine Anwesenheit Wird von Jugendlichen nicht infrage gestellt, obwohl sein Verhalten von Jugendlichen kritisch beschrieben wird („er macht sich gern über APs lustig“): 20 Tm3: Er macht sich gerne über APs [Ansprechpartner] lustig. 21 Tm1: Mhm 22 TN: @Hehe.@ (Z. 20-22)
Die Einstiegspassage (Z. 23-88), in der ich danach frage, wie die Teilnehmenden zur Jugendumweltgruppe gekommen sind, macht zweierlei deutlich: Erstens, die Autorität des internationalen Umweltverbands wird als selbstverständlich gegeben gesetzt, Strukturen und Begrenzungen nicht infrage gestellt: „ich (.) hab einfach (.) hatte einfach Lust, mich da (.) für die Umwelt zu (.) einzusetzen und (.) kannte halt Greenpeace, so klar, Greenpeace ist halt Greenpeace und so @(.)@“ (26-28). Die Zugehörigkeit zu einer großen Organisation ist in der Orientierung der Gruppe wesentlich, um „großflächig“ Veränderung anzustoßen (Proposition). Ein Gegenhoriont ist die Darstellung von Tomate, die betonen, dass sie „wegen der Sache und wegen der Leute“ aktiv sind. Ein weiteres Gegenhorizont ist der Fokus auf Umweltschutz als Durchdringung des Alltagshandelns bzw. der Lebenswelt (Kürbis, Gurke). Zweitens, das Elternhaus spielt eine wesentliche Rolle für die Aktivierung. Die Jugendlichen ordnen sich explizit
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dem Öko-Milieu zu. Zwei Jugendliche berichten, dass sie durch die Angst vor Klimawandel aktiv geworden sind. Auf der Ebene der Diskursorganisation unterstreicht Em seine Rolle des Strukturgebers: Er fordert die Jugendlichen auf, nicht gleichzeitig zu sprechen und Essen auszupacken, weshalb zwischen den Redebeiträgen längere Pausen entstehen, in denen Essen ausgepackt wird etc. Meine Frage nach der Bedeutung von Umwelt- bzw. Klimaschutz eröffnet die nächste Passage (Z. 89-112). Auch hier lässt die Gruppe sich die Struktur von Erwachsenen vorgeben, mit der Nachfrage an mich, ob sie durcheinander reden dürfen (Z. 91). Die Gruppe elaboriert keine gemeinsame Deutungsfigur von Umweltschutz. Als Proposition wird formuliert, es sei wichtig, sich über die Verbrechen der Konzerne zu informieren (Z. 93/42). Umweltschutz bedeute Verantwortung für die nächsten Generationen, das Engagement helfe, das Gefühl von Machtlosigkeit zu überwinden, sagt eine andere Teilnehmende. Auch die Deutung von Umweltschutz als Verzichtsleistung wird angesprochen. Ein anderer Teilnehmer bezeichnet Umweltschutz „nur ein Teil des gesamten Engagements“ (Z. 111/112). Dies ist ein Gegenhorizont von Gruppen, die eine gemeinsame Deutung von Umweltschutz formulieren, z.B. als Aufzeigen von Missständen oder als Gestaltungsraum. Eine selbstläufige Diskussion kommt noch nicht in Gang, deshalb folgt kurz darauf meine nächste Frage. Die folgende Passage dreht sich um Klimawandel (Z.123-186). Ich knüpfe an die bereits dokumentierte Thematisierung von Klimawandel an und frage danach, was die Gruppe über Klimawandel denkt. Die Darstellung der Gruppe charakterisiert sich durch Unsicherheit und Angst. Die Gruppe rahmt Klimawandel als Bedrohung für sie selbst, da er nicht kontrollierbar sei. Die Darstellung von Angst vor Klimawandelfolgen bzw. Klimakatastrophen elaboriert die Gruppe, es gibt eine hohe interaktive Dichte. Deutungsfigur von Klimawandel als kommender Katastrophe. Gegenhorizont: Unsicherheit in der Bewertung von Klimawandel (Kürbis, Himbeere). Von der eigenen Angst vor der Unkontrollierbar von Klimawandel kommt die Gruppe zur Verantwortungszuschreibung an profitorientierte Konzerne und dann zu den Folgen für Tiere und Pflanzen, die leiden. Auf den Einschub eines Teilnehmers, es litten auch Menschen, stellt die Sprecherin ihre Prioritätensetzung dar: 161 Tw3: @Ja, also ich mag halt Tiere lieber als Menschen@. (4) TN: @(5)@, Oho! (161/162)
Die Gruppe thematisiert im folgenden nicht, welches Verständnis von Umweltschutz sie haben. „Ich finde es nur wichtig, irgendwas zu tun, bevor es überhaupt zu spät ist. Also @(2)@ ja.“ (Z. 165) bringt die Orientierung der Gruppe auf den
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Punkt. Es geht nicht um eine Abwägung verschiedener Umweltschutzinteressen (Gegenhorizont: Kürbis) oder die Ausrichtung an Utopien bzw. Lösungen (Gegenhorizont: Tomate, Gurke, H1H). Die Deutung von Umweltschutz entspricht einem „Hauptsache, etwas tun, bevor es zu spät ist“. Die Gruppe sieht eine klare Notwendigkeit zum Hahndeln, die sie in Bezug setzt mit der Darstellung, Klimawandel sei durch ausbleibende Winter und heiße Sommer auch in ihrer Lebenswelt spürbar. Klimawandel rücke näher und „bedroht einen“ (Z. 176/177). Das Thema „Angst vor Klimawandel“ wird damit elaboriert. Ein Gegenhorizont dazu ist die Darstellung, dass Klimawandel sehr abstrakt bzw. lebensweltlich nicht greifbar sei. Die Thematisierung von Klimawandel wird abgebrochen, als die Teilnehmerin Tw6 hinzu kommt. Mit Tw6‘s Eintreten in die Diskussion verändert sich die Dynamik. Die Diskursorganisation verläuft zunehmend ungeordnet. Bereits in der ersten Interaktion gehen Tw6 und Em in Opposition zueinander. Tw6 bietet der Gruppe ihren Beitrag zu Büffet, vegane Pizza, an. Em inszeniert sich stark ablehnend und angewidert (u.a. verdreht er die Augen). Als nächstes will Em seine Perspektive darstellen „als Erwachsener und angehender Lehrer“ (Z. 197). Er inszeniert sich damit als Experte und grenzt sich von den anderen Teilnehmenden, die alle noch nicht volljährig sind, als „Erwachsener“ ab. Ich unterbreche ihn, um Tw6 zu begrüßen und sie über die Gruppendiskussion zu informieren. Em setzt im Anschluss zum zweiten Mal an. Er positioniert sich als Erwachsener und Lehrer, der über das Wissen und die Bewertungskompetenz verfügt, die ihm ermöglichen einzuschätzen, dass „ein Großteil der Bevölkerung“ und auch die Gruppenmitglieder nicht bzw. defizitär über Klimawandel informiert seien. 209 Em: Was ich als angehender Lehrer beziehungsweise auch als Erwachsener etc. ähm problematisch sehe, was ich heute eben auch mitbekommen habe, dass einfach ähm (.) wenig Informationen beziehungsweise im Großteil der Bevölkerung gar keine Informationen zu dem Thema da sind, weil Klimawandel einfach ein extrem kompliziertes Thema ist. Und [an die Gruppe gerichtet] ich werde euch noch mal einen ähm kleinen Faktenähm Input geben zum Thema Klimawandel. Steht jetzt auf meiner Gedankenliste. Weil ich gerade schon so ein paar Sachen mitbekommen habe, die nicht ganz so in Ordnung sind. (Z. 209-215)
In den folgenden Abschnitten gibt es einen antithetischen Diskurs zu verschiedenen Themen. Auf der Ebene der Diskursführung ist die Selbstinzenierung von Em zu beachten. Er mischt sich zunehmend in die Diskussion ein und „macht Stimmung“ gegen Tw6‘s Beiträge. Ob es um konzeptuelle Deutungen von Um-
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weltschutz und Umweltschutzstrategien geht oder um das konkrete Essen: Em zieht immer wieder Tw6‘s Position in Zweifel, unterbricht sie und widerspricht ihr. Meine Deutung ist, dass Em sich als Führungsfigur versteht, die inhaltlich, aber auch stimmungsmäßig den Ton vorgibt. Tw6 positioniert bereits mit den ersten Wortbeiträgen sich als aktive, kritische Diskutantin mit Potential zur Meinungsführerin (Z: 218-232). So fragt sie direkt nach, was der Diskussionsgegenstand sei. Auf meine Antwort, es gehe um Klimawandel, fragt sie nach, was gemeint sei. Die Antworten der anderen Gruppenmitglieder geben Aufschluss darüber, dass sie als Ziel der Gruppendiskussion verstanden haben, ihre „Meinung“ und „Vorstellungen“ darzustellen. Tw6 präsentiert darauf ihre Orientierung, die im Kontrast zur vorherigen Darstellung der Gruppe steht: Sie wolle weg von einer negativen Bewertung bzw. Problemorientierung, hin zum Ausprobieren von Alternativen und konkreten Projekten, zu denen sie erfahrungsbasiertes Wissen präsentiert (Proposition). 232 Tw6: Ähm, ja, ich finde es halt schön, nicht immer gegen (.), also zu sagen: das ist schlecht und Atomkraft ist schlecht und das alles ist schlecht, sondern eben an aktiven Beispielen zu zeigen: Hey, so geht es auch anders! Also habe ich zum Beispiel mal bei einem Solar-, also unabhängig von Greenpeace, bei einem Solarworkshop mitgemacht, wo wir selber Solarkocher gebaut haben, die man eben auch großflächig benutzen kann und so was finde ich halt voll schön, weil man den Menschen zeigen kann: Hey, so kann man was ändern und es geht voll einfach. (Z. 232-237) Mit dieser Proposition dreht Tw6 den bisherigen Orientierungsrahmen um, weg vom Angst vor Klimakatastrophen und Empörung über die „Verbrechen der Konzerne“, hin zu konkreten Aktivitäten im Sinne der Deutungsfigur von Umweltschutz als Gestaltungsraum. Mehrere Gruppenmitglieder, darunter Em, bevorzugen es zu thematisieren, wogegen sie sind. Sie knüpfen an an vorherige Aussagen zu Tierschutz und elaborieren die Sinnfigur, dass die Menschen „ihre Welt kaputt machen“. In dieser Deutung bedeutet Umweltschutz das Aufzeigen von Missständen und „den anderen“ die Augen öffnen (Parallele zu Stachelbeere): „Und ich bin auch irgendwie hier, um so zu zeigen irgendwie, dass ähm den Leuten, dass sie irgendwie ihre Welt kaputt machen.“ (Z. 251/251). Tw6 geht in Opposition zu dieser Darstellung: „Aber ich finde es halt schwierig, den Leuten zu sagen: Ihr macht das kaputt! Ihr seid das! Also immer diese Vorwürfe.“ (Z. 255/256). In dieser Gruppendiskussion kommt es als einziges zu einer Kontroverse zu Deutungsfiguren von Umweltschutz . Ein Gegenhorizont ist, dass die Deutungsfigur „Umweltschutz als Aufzeigen von Missständen“ ohne Kontroverse dargestellt wird, z.B. bei Stachelbeere. Ein weiterer Gegenhorizont ist, dass die Darstellung von Umweltschutz als konkretem Handlungsraum, die Tw6
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präsentiert, ohne Kontroverse geteilt wird, z.B. bei Tomate, Paprika. Tw6 formuliert als Gegenentwurf zu „Vorwürfe“ machen, Potentiale sichtbar zu machen, mit „Fakten umgehen, die halt spannend sind“ (Z. 258). Im folgenden Abschnitt widerspricht Em Tw6, mehrere Teilnehmer*innen unterbrechen sich gegenseitig. (Z. 261-282). Die Diskursorganisation zeigt, dass Em die Deutungshoheit bzw. den Status des Bestinformierten für sich beansprucht. Er verschiebt den Fokus von einer grundsätzlichen Diskussion (Missstände aufzeigen vs. Potentiale aufzeigen) hin zum Rechthaben in Bezug auf „Faktenwissen“. Eine andere Teilnehmerin versucht, den Fokus zurück zu schieben zum Thema/zur Handlungspraxis des Informierens: „Uns ging es ja um die Idee von, uns ging es ja nicht um den Fakt, sondern das Fakten geben.“ (Z. 278). Die Gruppe diskutiert jedoch weiter über „Fakten“. Indem Em Tw6 mehrmals unterbricht und ihr widerspricht, verhindert er, dass ihre Deutungsfigur (Umweltschutz als konkreter Gestaltungsraum, Potentiale aufzeigen) in der Gruppe an Geltungskraft gewinnt. In den nächsten Abschnitten wiederholt sich das Diskursmuster, wenn auch mit anderen Themen. Der nächste Abschnitt dreht sich erneut um Tw6‘s vegane Pizza (Z. 282-327). Tw6 bietet den Teilnehmenden ihre Pizza an, einige greifen zu. Em verstärkt seine ablehnende Darstellung, indem er sich als Experte inszeniert. Mit Verweis auf berufliche Expertise behauptet er, wenn etwas angepriesen würde, könne es nicht gut sein. Er elaboriert damit seine Ablehnung gegenüber Tw6. Die Gruppe steigt darauf jedoch nicht ein. Im folgenden dreht sich die Diskussion weiter um vegane und nicht-vegane Lebensmittel (Z. 296-311) . Die Gruppe elaboriert ihr Umweltschutzinteresse, den Tierschutz, mit der Darstellung von Tierleid und skandalösen Praktiken von Konzernen. Als sich ein Teilnehmender über die Praxis von Konzernen empört, dass Tierüberreste in zahlreiche Lebensmittel als Geschmacksverstärker gemischt würden (Z: 296-298), kontert Em mit einer naturalistischen Naturschutzkonzept. Die Teilnehmende finden dies jedoch nicht überzeugend, sondern lachen bzw. widersprechen. Tm1: Es werden halt alle möglichen Geschmacksverstärker reingemischt, wie Schweineborsten oder (.) irgendwelche ähm Fischüberreste und Wildkram, genau wie bei fast allen Chips und [Em: Ey, aber sei doch mal froh, [Tw (ironisch): Jetzt sei doch mal positiv, ja! Ich meine doch nur! Em: Das Zeug wird wenigstens dann noch verwertet, wie früher bei den Indianern, alles muss [TN: @4@
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Tm2: Das ist genau so wie beim Pelz, wenn man sagt: Ja, Pelz ist gut, weil da wird ja wenigstens der Rest noch verwertet, nur das ist so, dass immer genau dafür nur produziert wird und mehr Überreste da sind. (Z. 296-306).
Em vertritt eine plakative Meinung und differenziert auch nicht, wenn die Jugendlichen ihn auf kontrastierende Wissensbestände aufmerksam machen. Im folgenden Abschnitt geht es weiter um die Bewertung der Pizza, die die Teilnehmenden während der Diskussion essen (Z. 213-327). Nachdem mehrere Teilnehmende den Geschmack gelobt haben, bietet Tw6 sie erneut Em an. Em weigert sich und verteidigt seine Haltung: „Ja, weißt du, ich musste jetzt etwas zerstören, ich bin nicht jemand, der unbedingt mit dem Strom schwimmt.“ (Z. 320/321) Die Jugendlichen kommentieren diese Aussagen nicht. Sie wirken jedoch zunehmend genervt von Ems Selbstinszenierung, was sich auch daran zeigt, dass sie auf seine Beiträge nicht eingehen. Im folgenden Abschnitt ist die Gruppe auf der Suche nach einem thematischen roten Faden. Auch hier zeigt die Diskursführung, dass Em die thematische Richtung vorgeben will, selbst wenn die Jugendlichen über etwas anderes diskutieren wollen. Da die Gruppe selbst am Suchen ist, erweist sich Em‘s Richtungsgebung als entscheidend, im folgenden diskutiert die Gruppe über Informationen bzw. informiert sein. 331 Tw2: Was war jetzt das Thema? TN: @7@ Em: Die Kurzlebigkeit von Informationen. Tm2: Nein, das war nicht unser Thema. Tm3: Nein, genau, was ich sagen wollte, ähm, was Em vorhin gesagt hat wegen (.), dass so viel, dass nicht viel Information, (Z. 331-336)
In der folgenden Passage (Z. 333-417) gibt es eine lose thematische Reihung von Themen, die die Kontroverse zwischen kontrastierenden Deutungsfiguren von Umweltschutz und den entsprechenden Handlungspraxen widerspiegeln. U.a. elaboriert die Gruppe die Themen Informationen, vegane Ernährung, Verbrechen der Konzerne und konkrete Projekte, die positive Veränderung brächten. Die Teilnehmenden zeigen sich unsicher in der Bewertung von Informationen, z.B. zu Klimawandel. „Deshalb komme ich da manchmal ein bisschen durcheinander, was wirklich Fakten sind und was halt nur Propaganda ist.“ (Z. 344/345). Eine Teilnehmende elaboriert das Thema Hilflosigkeit, indem sie darstellt, es gebe „so viele negative Nachrichten, ich finde, … gefühlt achtzig
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Prozent“ (Z. 348-350). Es sei „erdrückend“ und steigere nur das Gefühl von Hilflosigkeit. Deshalb sei es wichtig, „ein bisschen so, was Tw6 gesagt hat, wegen so, dass man eben auch so positive Sachen sehen muss, damit man eben das weiter machen kann. Also, dass man eben zum Beispiel auch sieht, ja, was hat man schon verändert, und auch so kleine Sachen schon als Erfolg sieht.“ (Z. 355/356). In der Diskussion gibt es an dieser Stelle eine Wende von der Betonung „negativer Nachrichten“ hin zur Notwendigkeit, „positive Sachen“ und konkrete Projekte. Darauf hin elaboriert Tw6 den Ansatz, den sie bei ihrem Eintritt in die Diskussion begonnen hatte: den Bezug auf erfahrungsbasiertes Wissen zu lokalen Projekten, die „positive Veränderung bringen“: Urban Gardening-Projekte, der Solidarischen Landwirtschaft oder Repair Cafés. Erneut gibt es einen antithetischen Diskurs mit Em, der widerspricht. Tw6 verbindet die Erfahrung, dass neben der Veränderung, die durch ein solches Projekt angestoßen werde, auch die eigene Motivation steige. Em nennt „so Sachen“ „genau der falsche Weg“. Dabei ist zunächst nicht zu erkennen, worauf er sich bezieht. In der Diskursabfolge kann sich das auch auf Tw6‘s letzten Satz beziehen, die Motivation durch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. 365 Es ist einfach schön, wie viel (.), also vielleicht ist es auch einfach nur ein winzig kleines Stück, aber wie viel sich einfach (.) ändert und wie viel es auch an der eigenen Einstellung ändert, also an Motivation und so. Em: Wobei ich es da interessant finde, dass das genau der falsche Weg ist, bei so Sachen. Tw6: Findest du? (Z: 365-369)
Erst auf Nachfrage äußert Em, dass er sich auf die Reparatur von alten Gegenständen bezieht. Er geht implizit davon aus, dass in Repair Cafés alte Kühlschränke repariert werden, was nicht energieeffizient sei (Z. 370-372). Em inszeniert sich als Vertreter von Expert*innenwissen und belehrt die Jugendlichen. Mehrere Teilnehmende widersprechen, in Repair Cafés würden keine Kühlschränke repariert, sondern Handys, Drucker und Fahrräder. Von Druckern kommt die Gruppe auf geplante Obsoleszenz. Die Passage endet mit der Aufforderung eines Teilnehmen, die Gruppenmitglieder sollten sich einen Film zu geplanter Obsoleszenz anschauen, was der Handlungspraxis des Informierens entspricht. Ein Gegenhorizont ist, von der Erörterung von Problematiken und Themen hin zu einer praktischen Umsetzung zu kommen. Ein Gegenhorizont ist auch, dass die Gruppe reflektiert, welche Wissenbestände sie erörtern bzw. generieren. Die Gruppe dethematisiert eigene Gruppenaktivitäten zugunsten eine abstrakten Erörterung von Problemen. Die Versuche von Tw6, über erfahrungsbasiertes Wissen aus lokalen Projekten zu berichten, werden von Em unterbun-
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den. Dethematisiert werden auch Machtverhältnisse zwischen Erwachsenem und Jugendgruppe. In der folgenden Passage thematisiert die Gruppe ihr Milieu (418-465) und das Interesse an Umweltschutz. Die Passage beginnt selbstläufig mit der Darstellung einer Teilnehmenden, Öko werde von ihrer Generation zunehmend akzeptiert, wobei: „Es kommt natürlich auch drauf an, denke ich, in welchem Bildungs-, also Milieu man sich °befindet, klar°. (Z. 424/425). Auf meine Nachfrage nach dem Milieu berichtet die Teilnehmerin, sie sei auf einer privaten Mädchenschule, ihre Familie seien „Ökos“. Die Teilnehmenden, die erzählen, auf staatliche Schulen zu gehen, berichten eher, sich in einer Außenseiterposition zu befinden. In der folgenden Passage (Z. 507-583) elaboriert die Gruppe ihr Selbstverständnis und ihre Abgrenzung vom „Mainstream“. Sie grenzen sich von Mitschüler*innen ab, die entweder ignorant seien oder sich zwar für Themen wie Veganismus interessierten, jedoch aus dem abstrakten Wissen keine praktischen Konsequenzen ziehen würden. Die Gruppe inszeniert sich als Avantgarde, die informierter ist als der „Mainstream“, eine „eigene Meinung hat“ und aktiv die moralisch richtigen Konsumentscheidungen fällt:„dass es voll wichtig ist, vielleicht dass man so eine eigene Meinung hat und dass man die sich eben bildet, ohne sich von irgend jemand so beeinflussen zu lassen oder halt. Also, sich wirklich selber Gedanken zu machen“ (Z. 519-523) Implizit findet sich das Deutungsmuster, dass durch die richtigen Informationen das richtige Handeln folgt. Auf diese Darstellung hin frage ich, woran es liegt, dass die Teilnehmenden aktiv sind und andere nicht von der Absicht zur Aktion kommen (Z. 433-356). Ein langjährig aktiver Teilnehmer begründet dies mit schulischem Druck. Engagement sei Arbeit und erfordere Einsatz, dagegen machten die Lehrer*innen Druck, sich ausschließlich auf die Schule zu konzentrieren. Er dokumentiert ein Selbstverständnis als Aktivist auch gegen Widerstände: „Aber mir ist es halt wichtig genug, dass ich dieses, diese Anstrengung auf mich nehme. Und es ist mir eigentlich auch wichtiger als mein Abi letztendlich, was zu verändern und was zu bewegen.“ (Z. 570-571) Von anstrengendem Engagement kommt die Gruppe auf „Faulheit des Menschen“, die am Beispiel unangenehmer Entscheidungen im Kontext von Klimawandel dargestellt wird: „generell (.) beim Klimawandel, bei selber Entscheidungen treffen, die vielleicht unangenehm sind, ist es halt einfach so, dass der Mensch faul ist und (.) sich dann denkt: Ja ok, das betrifft mich jetzt nicht direkt“ (Z. 583-585) Die selbstläufige Thematisierung von Klimawandel beginnt mit dieser Überleitung von Faulheit zu Klimaschutzhandeln. Implizit elaboriert die Gruppe hier auch das Selbstverständnis als informierte Avantgarde und Öko-Kämpfer, die entgegen dem Mainstream keine Unbequemlichkeit und Arbeit scheut, um sich
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zu engagieren. Die Gruppe inszeniert sich als kompetent, sowohl die Wissensbestände „der anderen“ als defizitär zu beurteilen („uninformiert“), als auch ein Pauschalurteil über „den Menschen“ zu sprechen. Damit dokumentieren sie implizit ein elitäres Selbstverständnis, denn sie nehmen sich von mangelndem Wissen und Faulheit selbstverständlich aus. Ein Gegenhorizont ist die Thematisierung des eigenen „inneren Schweinehunds“ und unsicherem Wissen (s. Gruppe Himbeere und Gruppe Paprika). Zum Selbstverständnis als Elite passt die Darstellung, bei Klimawandel seien „wir“ in der „westlichen Welt“ sowohl verantwortlich, als auch „wir sind aber die einzigen, die wirklich etwas dagegen machen können“ (Z. 595). Das entspricht einer Deutungsfigur bzw. einem Selbstverständnis der Gruppe als aktive Minderheit, die sich der Verantwortung stellt, nicht faul und ignorant ist, sondern sich entgegen aller Widrigkeiten für eine „großflächige Veränderung“ (Zitat Gruppe Einstieg) einsetzt. Es folgt ein oppositioneller Diskurs von Tw6, die fehlendes Klimaschutzengagement anders begründet: die Leute hätten „keine Lust“, weil sie sich „nicht vorstellen [können], dass solche Dinge Spaß machen können“ (Z. 601/602). Kontrastierend zur Bewertung der Faulheit beschreibt Tw6 „die Leute“ als „wohlergehensorientierte Menschen“, die sich mit anderen Klimaschutzformaten durchaus motivieren lassen würden (Z. 607). Tw6 expliziert die – in diesem Erfahrungsraum gängige – Deutung von Umwelt-/Klimaschutzengagement: Es sei Arbeit, Anstrengung, Kampf: „Aber das ist irgendwie immer noch mit, eben mit Arbeit, mit informieren, mit ganz viel Kampf, den man eben durch die Schule und durch andere Dinge einfach nicht schafft“ (Z. 609-611). Um diese Deutung zu verändert, plädiert sie für eine Umorientierung auf niederschwellige, kleine Projekte, die Spaß machen. Ihre Aussage bleibt von der Gruppe unkommentiert. Die Gruppe entwickelt keine Einigkeit über die Orientierung. Tw6‘s Vorschlag, kleine, alltagsnahe Projekte mit Spaßfaktor zu fokussieren, steht zum einen der Struktur des Umweltverbands entgegen, der auf zentralisierte, großflächige Kampagnen setzt. Zum anderen steht er der Deutungsfigur „Umweltschutz als Protest“ bzw. „Umweltschutz als Kampf“ entgegen, die in der Gruppe mehrheitlich vertreten wird. Auf meine Nachfrage „Auf welcher Ebene muss Umwelt-/Klimaschutz am dringlichsten ansetzen?“ (Z. 615) beginnt eine neue Passage. Die Gruppe geht nur kurz auf meine Frage ein, dann elaboriert sie weiter ihr zentrales Thema, die Kritik an den „Verbrechen der Konzerne“ (Zitat Einstieg „was Konzerne verbrechen“ Z. XX). Die Gruppe nennt keine Priorisierung von Ebenen, sondern mit hoher interaktiver Dichte: „Überall … weil wir zu lange gewartet haben…. Es ist ja nicht eine Ebene oder ein Ort oder ein Thema, was man nun verändern muss,
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sondern es jetzt irgendwie alles. Weil alles miteinander zusammenhängt.“ (Z. 619-623). Auf meine erneute Nachfrage sagt eine Teilnehmerin: „man kann immer bei sich selber anfangen“ (Z. 626). Diese sehr pauschalen Antworten sind ein Gegenhorizont zur Darstellung in anderen Gruppen, die verschiedene Ansatzpunkte bzw. Felder aufzählen (u.a. Himbeere, Gurke) Über die nächsten 20 Minuten elaboriert die Gruppe ihre Empörung über Praktiken der Konzerne, faule Konsument*innen und das System Kapitalismus (keine Volltranskription, Z. 640- 688). Dabei wird deutlich, dass individuelle, normativ richtige Konsumstrategien als das non plus ultra angesehen werden, gleichzeitig aber großer Zweifel herrscht, inwiefern es wirksam ist, „nicht alle“ machen (Z. 645). Die Darstellung der Jugendlichen führt in ein Patt: Die Konzerne seien gewieft (z.B. mit Greenwashing-Kampagnen), alles orientiere sich an „billig“, die „Leute“ seien faul, die Herausforderung riesig. Letztendlich stünden hinter „egal, welche[m] Problem“ die gleichen Ursachen: Profitgier und Egoismus. Die Gruppe inszeniert sich als Öko-Avantgarde, die sich bemüht, in einem falschen System das ethisch Richtige zu tun, was jedoch unmöglich sei. Dabei nimmt der am längsten Aktive Jugendliche, Tm2, die Führungsrolle ein: „Ich versuche, so weit wie möglich, möglichst „gut“ zu leben, möglichst auf alles zu achten, aber es ist unmöglich. Alles richtig machen geht nicht“. (Z. 685/659) Neben ethisch korrektem, d.h. veganem, bio-fairen Konsum gehört dazu das Engagement im Umweltverband, denn laut Tm2: „Für mich ist das Engagement bei Greenpeace Teil des Kampfes gegen den Kapitalismus.“ (Z. 672/673). Beim sich Empören über Konzerne nennt die Gruppe zahlreiche Konzerne, die als Hauptverantwortliche dargestellt werden. Zum normativen Anspruch beim individuellen Konsum weist Tw6 auf die Standortgebundenheit ihrer Perspektive hin und benennt das Deutungsmuster, das die Gruppe eint: sie sind eine Öko-Avantgarde, die sich aus einer privilegierten Position heraus für Umweltschutz einsetzt: „ Wir haben alle ganz gut Geld, aber nicht alle. … Ich glaube, wir sind da schon in so einer Art Luxusstellung, ist auch gut so, weil wir dann irgendwie von einer ganz anderen Sicht da drauf schauen können, aber eben, was du gesagt hast, ich glaube, man muss die Schuld, oder nicht die Schuld, zumindest die Ursache bei den Konzernen sehen und da versuchen, sehr viel zu machen.“ (Z: 678-683). Die Gruppe grenzt sich an dieser Stelle von anderen Jugendlichen ab, die ihr Geld statt in ethisch korrekten Konsum lieber in Statuskonsum investiere wie Handys, Fernseher und Fernflüge. Von der eigenen Außenseiterposition kommt die Gruppe auf die Frage, wie man die Orientierung der anderen ändern könnte: durch Erziehung (Z. 688-712). Die Deutung, dass Erziehung eine wesentliche Stellschraube für Umweltschutz
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ist, findet sich auch bei zwei weiteren Gruppen 2 (KIRSCHE, Stachelbeere). Ein Gegenhorizont ist die Annahme, dass alternative Lebensstile oder eine sozialökologische Transformation wesentliche Stellschrauben/Ansatzpunkte sind (s. Alle Gruppen 1). In dieser Passage spielt der Erwachsene Em erneut eine Führungsrolle und inszeniert sich als „Erziehungsberechtigter“ (d.h. berechtigt zur Erziehung anderer Kinder/Jugendlicher). Während eine Teilnehmerin problematisiert, man könne nicht Eltern sagen, wie sie ihre Kinder erziehen sollten, plädiert Em dafür: 689 Tw5: Aber das ist natürlich scheiße, weil man kann doch nicht den Eltern sagen: Erzieht mal euer Kind [Em: Doch, kann man! Und zwar aufgrund dessen, du bist als Lehrer heutzutage in der Pflicht, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern die Kinder auch zu erziehen. (Tw6 will etwas sagen, aber er übertönt sie) Und das ist heutzutage als Lehrer deine Aufgabe, weil die Eltern sehen ihre Kinder heute mit Ganztagsschule vielleicht noch ein Viertel bis ein Drittel des Tages. Ansonsten sind die Kinder in der Schule. Oder Schlafen. (Min. 1:09:40) (Z: 689-695)
Implizit rechtfertigt Em mit seiner Darstellung, dass er als Lehrer eine Erziehungsaufgabe habe, auch seine Einflussnahme in der Gruppendiskussion (inhaltlich und in der Diskursführung). Die Teilnehmer*innen dokumentieren, dass die Überzeugung, dass Erziehung ein wesentlicher Hebel sei, auf ihrer eigenen Sozialisation beruht: „da denke ich, eigentlich könnte man dadurch etwas verändern, weil ich halt auch in dem Sinne erzogen wurde, dass ich eben so hier gelandet bin.“ (Z. 697/698). Die Gruppe nimmt dabei keine kritische Distanz zur eigenen Erziehung ein. U.a. gehen die Teilnehmer*innen davon aus, die pädagogische Kompetenz verschiedener Lehrer*innen bewerten zu können und stellen ihre Eltern als Vorbilder dar: „Zum Beispiel, mein Vater und meine Mutter sind Waldorflehrer, die haben halt Ahnung von Pädagogik“ (Z. 710/711). In die Inszenierung als Öko-Avantgarde aus dem wohlhabenden Ökomilieu (einer als Ökohauptstadt bekannten Stadt) schiebt Tw3 einen oppositionellen Diskurs ein, in dem sie sich als nicht zugehörig zu diesem Milieu darstellt. Sie positioniert sich als Mitglied der unteren Mittelschicht, deren Familie sich BioEssen kaum leisten könne: 714 „Und zwar auch das Bio-Essen, ich sehe das schon auch so wie ihr, mit dem „man kann es sich schon leisten“, aber, also ich kann jetzt nur von mir sprechen …Und wenn wir dann noch Bio dazu kaufen, wir machen es, aber es ist halt so, dass meine Eltern, meine Mama ist Krankenschwester und mein Dad ist Elektriker, also meine Mama hat
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Hauptschulabschluss und mein Vater Realschule. Die verdienen nichts. Also, wirklich echt wenig und arbeiten auch wirklich viel und dann (.) wir kaufen schon Bio, aber es ist dann halt schon so, dass da wirklich fast das komplette drauf geht. Also, ich kriege halt auch nicht jeden Monat neue Klamotten, was mich persönlich jetzt auch nicht stört, aber ich finde halt schon so manche, also das mit dem Bio-Essen, also ich finde es schon wichtig, aber es ist für manche Leute auch echt vom Preis her schwierig. (Z. 714-722)
Die anderen Teilnehmenden antworten darauf, es gehe ja nicht darum, immer Bio zu essen, sondern um das Bewusstsein. Der sich als Wortführer inszenierende Tm2 nimmt in Folge Tw3 explizit aus seiner Kritik aus: „aber ich meine, (.) wenn man den Kindern, ich rede jetzt nicht [an Tw3] von dir, aber es gibt einfach viele Eltern, die ihren Kindern dann ein iphone sechs kaufen, [Tw3: Ja, ja, klar Drei Wochen, nachdem es neu auf dem Markt ist, und dann sagen sie: „Wir haben kein Geld, um Bio-Essen zu kaufen.“, das ist Schwachsinn.“ (729-733)
Der oppositionelle Diskurs zum Thema „sich Bio leisten können“ führt nicht zwar Spaltung der Gruppe in Milieus, da die Rahmenorientierung erhalten bleibt – die Kritik an „den anderen“ - wie die Konklusion von Tw3 zeigt: „wir haben so viele, die halt immer so sagen, ja, sie können sich das und das nicht leisten und das und das nicht, haben jeden, jedes halbe Jahr so ein neues Handy …. „Ok, vielleicht habt ihr einfach (.) kein Gefühl dafür“, weil also, ich habe mir mein Handy halt selber bezahlt, aber das konnten die halt nicht so verstehen. (Z. 735-742) In der abschließenden Passage frage nach Unterschieden zwischen der Greenpeace-Jugend und anderen Jugendverbänden, u.a. der BUND-Jugend (Z. 744776). Nur Tm2 antwortet und festigt damit seine Rolle als Wortführer, die anderen dokumentieren, sich nicht auszukennen. Tm2 kennt demnach Mitglieder des anderen Jugendverbands, es gebe keine großen Unterschiede. Greenpeace mache internationale Kampagnen, die vor Ort aufgrund vorhandener Materialien und Presseauftritt einfach umzusetzen seien. Die BUND-Jugend sei jünger und mehr regional ausgerichtet, er habe einen „anderen Ansatzpunkt“ (Z. 758) . Eine klare Abgrenzung gibt es dagegen zu einem anderen Jugendverband, der mit Konzernen zusammenarbeite, was Tm2 inakzeptabel findet. Damit Konklusion zum Kampf gegen Umweltzerstörung und Konzerne.
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Anhang 7: Fallbeschreibung Gruppe Stachelbeere Die Gruppendiskussion mit Stachelbeere findet eine Stunde vor der wöchentlichen Gruppenstunde statt, in den Räumen der Organisation 2. Es nehmen fünf Jugendliche teil (vier Tw, ein Tm). Die Teilnehmer*innen sind zwischen 15 und 17 Jahre alt (Altersdurchschnitt: 16,2 Jahre) und damit deutlich unter dem der Altersdurchschnitt der Gruppen. Die Diskussion mit der Gruppe Stachelbeere war mir empfohlen worden durch durch Gruppe Kirsche empfohlen worden mit der Bemerkung: „Die sind cool! Und total konsumkritisch. Und haben ihre Dreds schon mit so vielen Farben gefärbt, dass sie ganz ausgebleicht sind.“ Auf meine Kontaktaufnahme reagierte meine Kontaktperson prompt und schrieb, die Gruppe Kirsche habe schon vom Gespräch mit mir erzählt. Bei der Gruppendiskussion war die Kontaktperson nicht anwesend, sie hatte jedoch den anderen Mitgliedern Bescheid gegeben. In der Gruppendynamik nahmen die Teilnehmer*innen unterschiedliche Rollen ein. Die Gesprächsführung bestimmten Tw1 und Tw2. Tw1 wurde als am längsten Aktiver (länger als zwei Jahre) eine Führungsrolle zugesprochen, Tw2 (seit einem dreiviertel Jahr dabei) inszenierte sich als emotional und „leidenschaftlich“. Die beiden Teilnehmer*innen diskutierten oft kontrovers und nahmen gegenläufige Positionen ein. Diese antithetische Diskursführung lässt sich – als Gegenhorizont zu Gruppe Erdbeere nicht auf Antipathien und kontrastierende Orientierungen zurück führen – sondern die Teilnehmer*innen erarbeiteten ambivalente Orientierungen in antithetischen Diskursen. Tw1 und Tw2 betonten, dass sie Freundinnen seien, u.a. zeigten sie mir, dass sie jeweils Haarsträhnen (Dredlocks) der anderen in ihre Haartracht eingeflochten hatten. Tm1 stellte sich als Freund von Tw1 und der Kontaktperson dar, er sei seit einem Jahr dabei. Tw3 und Tw4 sind Freundinnen, die erst vor zwei Monaten zur Gruppe gestoßen sind. Sie zeigen sich zurückhaltend, jedoch reagiert Tw4 freudig auf fatalistische Darstellungen. Die Gruppe prägt ein Selbstverständnis als Aktivist*innen mit normativem Geltungsanspruch, die gegen Missstände kämpfen und den Anderen die Augen öffnen. Der Diskursverlauf ist von einer steigenden Dynamik geprägt. Mit meinen Fragen zur Bedeutung von Umweltschutz und Klimawandel kann die Gruppe wenig anfangen. Sie beschäftigen sich nicht auf konzeptioneller Ebene mit Schutzinteressen im Kontext gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Die gemeinsame Orientierung der Gruppe ist der Kampf gegen Tierquälerei. Dazu gehört, sich über Missstände in der Tierhaltung aufzuregen und vor allem über Leute, die nicht umdenken wollen. Aktionen, mit denen Leute geschockt werden sollen, runden das Bild ab. Z.B. Aktion zu TTIP (im Februar 2015), wo Jugendliche als
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Masthühnchen in Plastikfolie auf dem Marktplatz liegen (Foto s.u.). Zu dieser Aktion berichten TN von ihrem konjunktiven Wissen: Die vorbeigehenden Leute haben demnach nur Mitleid mit Aktivist*innen, nicht mit Tieren, auf die aufmerksam gemacht werden soll => implizit: Leute sind ignorant und unverständig, nicht mitfühlend. Sich selbst inszenieren sich als mitfühlend, moralisch richtig handelnd, aber auch verzweifelt, zweifeln an Sinn des Engagements und kokettieren mit Selbstmord. In der Gruppe entsteht Zugehörigkeit, die im Kontrast dazu steht, sich „abgekapselt zu fühlen“. Aktion/ Orientierung: Menschen auf Missstände aufmerksam machen, schocken. Ziel ist dabei implizit: andere zur Verhaltensänderung motivierend, entsprechend ihrer Überzeugungen. Elitäres Selbstverständnis: Die Mitglieder der JugendUmweltgruppe wissen, was richtig ist, die anderen sollen sich dementsprechend verhalten. Die Gruppe hebt in der Einstiegsrunde die Notwendigkeit hervor, sich „zu engagieren“ (Nennung dieser Formulierung durch sämtliche fünf TN), z.B. „das Gefühl, wir müssen was machen, wir wollen uns engagieren“ (Z. 24/25). Auf die Frage, was für sie Klima- bzw. Umweltschutz bedeutet (Passage Z. 29-66), folgt zunächst eine lange Pause (7 Sek.) und die Antwort: „Ich muss erst darüber nachdenken“ (Z. 31). Die Gruppe diskutiert nicht, was Umwelt für sie bedeutet und formuliert keine Schutzkonzepte – ein Gegenhorizont zu mehreren Gruppen 1. In dieser Passage nennen sie dreimal die Formulierung „Menschen/Leuten die Augen zu öffnen“ (Z. 38/39, Z. 45/46, Z. 64/65), ausgehend davon, dass sie „Dinge und Missstände realisier[en], in der Gesellschaft, und (.) merk[en] dass es so nicht weitergeht“ (Z. 34/35) in Abgrenzung zu „viele[n] Menschen [, die das] gar nicht realisieren“ (Z. 50), resigniert oder zu bequem seien. Aus dieser Inszenierung als elitär Wissende leitet die Gruppe ihren Anspruch ab, den Anderen „die Augen zu öffnen“, was impliziert, dass sie selbst einen Vorsprung an Bewusstsein bzw. Einsicht haben. Auf meine Frage, weshalb sie anders ticken als die anderen, ist sich die Gruppe zunächst einig, dass es an „Erziehung“, „Bildung“ bzw. „Bewusstsein“ liege (Z. 70-85). Die Gruppe elaboriert dabei ihr Selbstverständnis als „Ökos“ (über den Hinweis auf die Dredlocks mehrerer TN, Z. 81-82), das sie bereits vor Beginn der Aufnahme über ihr Styling angedeutet haben. Die Begriffe „Erziehung“ und „Öko-Blase“ ziehen sich als roter Faden durch die Gruppendiskussion und werden selbstläufig an verschiedenen Stellen elaboriert.
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In der folgenden Passage (Z. 106 -177) elaboriert die Gruppe Stachelbeere die Kritik an den Anderen, die die die „Augen verschließen“. Z.B. führt ein Teilnehmer einige Mitschüler*innen an, die sich auf den Standpunkt stellten, Umweltschutz „bringt jetzt sowieso nichts mehr“ (Z. 108). Die Gruppe antwortet mit hoher interaktiver Dichte und bestätigt, auch sie hörten häufig „es ist mir egal“ bzw. „es geht mich nichts an“ (Z. 110-123). Dabei betonen sie, dass die Positionierung der Anderen unhaltbar bzw. unerträglich ist: „es kann den Leuten nicht egal sein“ (Z. 115). In dem Spannungsfeld zwischen einer klaren normativen Einschätzung der Lage der Welt und dem Desinteresse der Anderen sieht sich die Gruppe als verantwortlich, aufzurütteln und zu informieren: 140 „Und wenn du dich nicht informierst, dann hast du keine Ahnung und hast auch das Gefühl, es geht mich nichts an. Aber wenn man jemandem dann sagt: Hier schau, das ist ein Teil von deinem Leben und das geht dich auch was an und du bist auch betroffen, dann @(.)@ ändert sich auch das Denken vielleicht ein bisschen mehr. (Z. 140-145).
Die Gruppe kritisiert auch diejenigen, die ihr Engagement lobten, jedoch selbst nicht aktiv würden. Die einseitige Kritik an den Anderen ist ein Gegenhorizont zu Gruppe Himbeere, die auch die eigene Passivität kritisiert, sowie zu Gruppen, die nicht die Praxis des Informierens, sondern des gemeinsamen Alltagshandelns in den Vordergrund stellen (Gurke, Kürbis, Tomate). Die Gruppe Stachelbeere kritisiert – oft eher implizit – diejenigen, denen „einfach genug [ist], ihr eigenes Leben auf die Reihe zu bekommen“ (Z. 163). Dieses führt sie auf „Erziehung“ zurück, die entscheidend sei dafür, wo Menschen ihre „persönlichen Grenzen“ ziehen (Z. 160-177). Auch hier inszeniert die Gruppe eine Abgrenzung zwischen den bequemen Anderen und sich selbst als hoch engagierten Aktivist*innen: 173 „Bei manchen Menschen ist es mit sozialem Engagement vorbei, wenn sie mal einmal in der Woche einem Obdachlosen 50 Cent geben, und dann ist es für sie genug. Und andere Leute verzweifeln in ihrem Unglück, weil sie sich wirklich nicht überall engagieren können und nicht alle Probleme lösen können.“ (Z. 173-176)
Die nächste Passage dreht sich um Klimawandel (Z. 179-220), initiiert durch meine Nachfrage. Die Diskussion um Klimawandel und Klimaschutzstrategien geht insgesamt sechs Minuten lang, anregt durch zwei Fragen von mir. In der Gesamtdiskussion mit einer Länge von 50 Minuten taucht Klimawandel nur in dieser Passage auf. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die Klimawandel selbstläufig thematisieren und ausführlich darüber diskutieren. Die Gruppe Stachelbeere elaboriert Klimawandel im Rahmen der Thematisierung von Bequem-
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lichkeit und fehlender Verantwortungsübernahme. Klimawandel ist offensichtlich kein zentrales Thema für die Gruppe, denn auf meine Nachfrage folgt eine lange Pause (9 Sekunden), die Gruppe antwortet nur zögerlich. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die Klimawandel als zentrales Thema markieren (Paprika, Gurke) oder sofort los reden. Tw1 zählt zunächst auf, welche Phänomene sie mit Klimawandel assoziiert, dabei spricht sie zögerlich und stockend. 188 Klimawandel im Sinne von Temperaturanstieg auf der ganzen Welt, so natürlich Abschmelzen der Polarregion und Anstieg des Meeresspiegels, ähm Erwärmung des Wassers, also viele Naturkatastrophen., Tsunamis, Hurricans und es ist auch nicht ganz so geil für den Golfstrom. (Z. 188-192)
Die Dynamik ändert sich, als Tw1 ihre Meinung zu Klimawandel darstellt. Auffällig ist, dass Tw1 an dieser Stelle die Artikulation wechselt von umgangssprachlich und flapsig zu einer sehr deutlichen Aussprache und Betonung von „ein bisschen, ein wenig“, wodurch diese Formulierungen als Euphemismen erkennbar werden. 193 Also meine Gefühle dazu sind irgendwie: Da hat sich der Mensch ein ganz kleines wenig zu viel eingemischt. Ein bisschen zu viel Gott gespielt, so in die Richtung. Ein bisschen zu viel sich versaut, weil ähm wenn der Meeresspiegel ansteigt und ein paar Städte versinken, dann kann halt keiner was dagegen machen. Da kann man Staudämme bauen, aber das wird auf Dauer auch nichts ändern. Und dass es vielleicht ein wenig zu viel Bequemlichkeit war und man zu viel in Kauf genommen hat dadurch. (Z. 193-198)
Mögliche Verbindung: Bequemlichkeit. Aus Bequemlichkeit in fatale Lage gekommen, Konsequenz: Menschen müssen aus Bequemlichkeit herausgerissen werden, indem ihnen die Augen geöffnet werden durch schockierende Informationen und Aktionen Die anderen Teilnehmer*innen zeigen sich unsicher, ob der Einfluss „des Menschen“ auf den Klimawandel so eindeutig belegbar sei (Z. 200-210), jedoch diskutiert die Gruppe die verschiedenen Positionen nicht aus, im Kontrast zu Gruppe Himbeere, die ausführlich über Belege und Zweifel zum anthropogen verursachten Klimawandel diskutieren. Auf expliziter Ebene betont die Gruppe, Klimawandel sei „wirklich halt in Verantwortung der Menschen“ (Z. 203) und dass „die gesamte Menschheit da irgendwie was tun muss“ (Z. 209/210). Jedoch nennen sie keinerlei Handlungsebenen oder Strategien, die Ausführungen bleiben kurz und wage. Tm1 thematisiert die Verantwortung für Klimawandel und Klimaschutz: „so, wie wir [die
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Menschen] dafür [Klimawandel] verantwortlich sind, sollten wir auch unser Bestes versuchen, um äh das aufzuhalten“ (Z. 203/204). Tw2 schränkt die Verantwortung zu handeln jedoch ein, indem sie betont, dass das „Wir“– das Tm1 auf „Verantwortung der Menschen“ bezogen hat – nicht die eigene Gruppe meint, sondern „die gesamte Menschheit“. Die Darstellung, die „gesamte Menschheit“ müsse sich bewegen, stellt einen Gegenpart dar zur in der Gruppendiskussion durchlaufenden Darstellung, „die Menschen“ seien zu bequem, um sich gegen Umweltzerstörung einzusetzen. Tw2 verstärkt die Argumentation, die Verantwortung liege auf der Makroebene durch die Thematisierung des „Kapitalismus“. Ihre Argumentation endet in der Kritik an den „herrschenden Zuständen“, die jedoch sehr schwammig formuliert sind: „Weil es nicht sein (.) kann, … dass in einem Land solche Zustände herrschen und in einem anderen Land aber Zustände wie bei uns zum Beispiel.“ (Z. 210-216). Die Teilnehmerin bleibt bei einer wagen Problembeschreibung, verweist jedoch nicht auf Lösungsoder Handlungsoptionen. Die Forderung nach kollektiver Verantwortungsübernahme verpufft in einer pauschalisierenden Kritik ohne Handlungsanschlüsse. 208 Aber ich glaube, dass man mhm auch (.) nicht als Land an sich etwas bewegen kann, [TN: Ja. sondern dass da wirklich die, die gesamte Menschheit da irgendwie was tun muss. Weil es nicht sein (.) kann beziehungsweise sein sollte, klar, man muss da immer noch [TN: Mhm. Den Kapitalismus mit einrechnen und dass die Produkte für uns produziert werden und so weiter [TN: @(.)@ und so fort, dass, dass in einem Land solche Zustände herrschen und in einem anderen Land aber Zustände wie bei uns zum Beispiel. (.) Versteht ihr, worauf ich hinaus will? Tw3: Ja. Tw1: Schon. Tw2: °Ja.° (Z. 208-218)
Auf meine Nachfrage, auf welcher Ebene Klimaschutz als erstes ansetzen müsse (Passage Z. ), antwortet die Gruppe mit hoher interaktiver Dichte, prioritär sei die individuelle Ebene: „bei jedem selbst“ (Z. 224), „Jeder muss seine Prioritäten, würde ich mal sagen, ein bisschen zurückschrauben und gucken, dass er halt möglichst nachhaltig lebt“ (Z. 226/227).
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231 „Und [lebhaft] dass halt jeder für sich persönlich anfängt …. nicht in diese Ausrede verfällt, sondern dass jeder für sich schaut, was kann er leisten und dann auch das Maximum leistet.“ (Z. 231-235)
Die Priorisierung der individuellen, „persönlichen“ Ebene ist ein Kontrast zu vorhergegangenen Kritik an den „bequemen“ Anderen. Gegenhorizonte sind die Priorisierung der wirtschaftlichen Ebene (Gruppe Himbeere) oder der kollektiven Ebene gesellschaftlicher Entwicklungspfade (Gruppe Paprika). Die Darstellung der Gruppe Stachelbeere ist charakterisiert durch unscharfe Formulierungen, z.B. Z. 251“Ja, genau, und dann halt zu schauen: Was kann ich leisten? Zu was bin ich halt auch in gewisser Weise fast schon gezwungen?, also in Deutschland zum Beispiel, wenn man zur Schule geht, ist man natürlich gezwungen, ein gewisses Maß an Papier zu verbrauchen und das alles. Aber dass man halt für sich selber schaut, was kann ich einschränken, was kann ich tun? Ähm, wie kann ich schauen, so wenig wie möglich zu verbrauchen? Und wenn das jeder tut, sind wir alle schon mal einen ganz schönen Schritt weiter.“ (Z. 251-255)
Vor allem in der Kontrastierung mit anderen Gruppen wird deutlich, wie unpräzise die Stellungnahme zu Klimawandel und Klimaschutz ist, z.B. im Vergleich zu den Gruppen Paprika und Tomate. Die Formulierungen „der Mensch hat sich … zu viel eingemischt, … zu viel Gott gespielt … zu viel sich versaut … kann keiner mehr etwas dagegen machen“ zeigen eine fatalistische Einschätzung von Klimawandel. Sie formulieren nicht nur eine Dystopie (in Bezug auf zukünftige Entwicklung), sondern stellen die Lage so dar, als sei es bereits zu spät. Dieser Eindruck entsteht durch die Pauschalisierung „der Mensch“ und die Verwendung des Perfekts („hat sich ...“, der abgeschlossenen Vergangenheitsform. In Bezug auf wirkungsvolle Klimaschutzstrategien macht die Gruppe Stachelbeere deutlich, dass sie sich überhaupt nicht als handlungsmächtig sehen. So stellt Tw2 dar, dass „ man mhm auch (.) nicht als Land an sich etwas bewegen kann, sondern dass da wirklich die, die gesamte Menschheit da irgendwie was tun muss“ (Z. 208/209). Schon die nationale Ebene von Klimaschutz („als Land an sich“) erscheint als zu wenig wirkmächtig, dass Individuen oder kleine Gruppen einen Unterschied machen könnten, ist implizit ausgeschlossen. Gleichzeitig geht die Gruppe davon aus, dass Klimaschutz „bei jedem selbst“ (Z. 224) ansetzen müsse. Dass die Formulierung „die gesamte Menschheit … was tun muss“ eine fatalistische Einschätzung ist, zeigt sich durch das Bild, das die Gruppe Stachelbeere
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in der Gruppendiskussion von den Anderen zeichnet: diese seien bequem, nur auf das eigene Wohl fixiert und verschlössen die Augen vor Umweltzerstörung und Leid. Dass diese Anderen sich als „gesamte Menschheit“ besinnen und zur konsequenten Aktion aufraffen werden, ist in der impliziten Orientierung der Gruppe mehr als unwahrscheinlich. Insgesamt ergibt sich der Eindruck/zeigt sich bei der Analyse impliziter Sinnstrukturen, dass die Gruppe Stachelbeere sich nicht mit Klimawandel beschäftigt und Klimaschutz abhakt, da sie die Lage fatalistisch einschätzt und sich keine Handlungsmacht zuschreibt. Besonders augenfällig wird die fatalistische Orientierung der Stachelbeere beim Kontrastieren mit den Gruppen Paprika und Tomate. Diese Gruppen dokumentieren trotz der Einschätzung, dass Klimawandel eine große Bedrohung ist, Hoffnung und schreiben sich Handlungsmacht zu. Die Gruppe Paprika geht davon aus, dass „hier ja quasi aktiv [versuchen] eine sehr große Bedrohung, gerade auch für unsere Zukunft, abzuwenden“ (Z. 204-205), die Gruppe Tomate spricht von Klimawandel als einem Gestaltungsraum: „man halt gucken muss, wie man damit [Klimawandel] umgehen möchte und umgehen kann und umgehen will“ (Z. 382-384). Ab Z. 385 ist die Fallbeschreibung nur in Stichworten verfasst. Die Gruppe Stachelbeere war die vorletzte Gruppe, die ich befragt und analysiert habe. Zu diesem Zeitpunkt ließ sich durch die fortgeschrittene Analyse der anderen Gruppendiskussionen bereits einschätzen, dass die Gruppe Stachelbeere einen Extremfall darstellt. Im folgenden habe ich die Stichworte aus der formulierenden und reflektierenden Interpretation zusammen gesetzt, wobei die reflektierende Interpretation kursiv gesetzt ist. Interessante Zitate sind eingefügt. Abschließend folgt eine analytische Einschätzung des Falls. 235-250 Kritik der Konsumgesellschaft, Frage nach Herkunft von allen Produkten, ökologischer Fußabdruck (hohe Zustimmung) Diskursorganisation: Diskussionsmuster auffällig: hohe Zustimmung/Einigkeit der Gruppe, oft zu Aussagen, die eher pauschal/schwammig sind. 250-256 jeder sollte schauen, was er leisten kann, um sich einzuschränken 257-263 Menschen außerhalb Öko-Blase denken nicht nach über Produktion, zwingen globalen Süden schlechte Lebensbedingungen auf Auffällig, dass Formulierungen oft unscharf sind, z.B. „das wir den Ländern das nicht aufbrummen können, was weiß ich, ihr müsste das runterfahren“ „oder dass die so leben, weil wir es wollen“ (262-64) – sind nur durch Hintergrundwissen zu Kritik an Nord-
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Süd-Ungleichheit – Konsumkritik zu verstehen. Gruppe bleibt bei Andeutungen, scheinen sich darin zu verstehen 262 die Umweltverschmutzung, die da herrscht, eigentlich für uns passiert. Dass wir den Ländern dann nicht aufbrummen können, was weiß ich, ihr müsst das runterfahren Tw1: Oder (dass die so) leben, weil wir es ja wollen. (Z. 262-265)
266-270 „Wir schieben Schuld von uns weg“ - Schuldzuweisung zu „Wir“ (unklare Adressierung) 270-274 Parallele zu „Tierfleisch“ (Proposition: Schuld – Unschuld Tiere) Durch Bezeichnung „Tierfleisch“ positioniert sich Tw2 als Gegnerin von Fleischkonsum, markiert mit Wort bereits ihre Abneigung gegen Fleischessen. Die Gruppe dockt Umweltschutz an die Lebenswelt an. Sie überträgt ihren Anspruch an Umweltschutzstrategien (Verzicht) aber mit moralischer Bewertung auf alle (keine Pluralität der Ansätze: alle sollen ihren ökologischen Fußabdruck prüfen. Keine Mittelebene gesellschaftlicher Veränderung.) - Das hat was damit zu tun, dass sie sich als abgekapselt von den Anderen darstellen, ohne Resonanz, und deshalb auch nicht auf die anderen setzen. Meine Interpretation: was erst aussieht wie Toleranz, ist eher Beziehungslosigkeit und Fatalismus. Meine Einschätzung ist: Einzelne Aussagen wie „Mensch hat zu viel Gott gespielt“ nicht als so problematisch, erst die Ballung machtes. Man könnte auch formulieren: Wenn sie verbal sehr scharf formulieren, wollen sie damit – normativ geladen – die Dringlichkeit und die Radikalität der erforderlichen Veränderung sichtbar machen. die Schärfe in der Formulierung (das verbale Schwert) steht für die Dringlichkeit zu handeln, die die Gruppe sieht. Bei Gruppe Stachelbeere ballt sich die Semantik um Schuld-Verantwortung-Kampf gegen Ignoranz. Vgl. Christmann: „Die Sünder zum Umkehren bewegen.“ Gruppe Stachelbeere hat keinen konkreten Gegner als Angriffspunkt, ganze Welt als Gegner. Da sie nicht gegen die ganze Welt ankommen können, werden sie fatalistisch. Dialektik zwischen individueller Verhaltensänderung des Lebensstils und Änderung politischer Rahmenbedingungen ist einseitig aufgelöst. Es kommt bei allen aufs Individuelle an (unpolitisch). Umweltschutz bedeutet auf Missstände hinzuweisen Für die Handlungspraxis bedeutet das, ständig im Alltag gegen Missstände zu kämpfen und sich daran aufzureiben, dass „die anderen“ da nicht mitziehen. Die anderen, das sind Klassenkameraden und Nachbarn, sogar die eigenen Eltern. Nicht überraschend, dass die Gruppe sich fatalistisch und verzweifelt darstellt.
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Die Gruppe Stachelbeere wechselt zwischen radikalen Ansichten und Schuldzuweisungen, elitärem Wissen, und „das muss jeder für sich wissen“. Es kommt mir vor, dass sie viele der Theorien, die sie anbringen, nicht ganz durchdrungen haben. Z.B. zu Erich Fromm: radikale Orientierung am Sein setzen sie gleich mit „nackt rumlaufen“ (36:03). Auffällig ist auch gemeinsamer Gruppenhorizont: TN kommen bei Darstellung zentraler Ansichten oft ins Stottern/Schwimmen, darauf die anderen TN: wir verstehen, was du meinst. Gegenseitige Verstärkung: „genau, genau“ Sie scheinen es selbstverständlich zu finden, dass sie sich am Angebot von Greenpeace orientieren, z.B. die Kampagnen aufgreifen, Flyer verteilen, Unterschriften sammeln (40:30) Ganz grundsätzlich scheinen sie davon auszugehen, dass die anderen Leute etwas verändern müssten: sie müssen die Augen geöffnet bekommen, selbst denken, anders handeln etc. Aktivismus heißt in dem Fall nicht, seine eigene Lebensgestaltung zu verändern, da diese implizit bereits fehlerlos bzw. schuldfrei inszeniert wird, sondern die anderen dazu anzuhalten. Anhang 8: Fallbeschreibung Gruppe Himbeere Die Gruppendiskussion mit der Gruppe Himbeere findet statt im Rahmen ihrer wöchentlichen Gruppenstunde in den Räumen des Umweltverbands 2. Es nehmen 12 Jugendliche teil (9 Tw, 3 Tm). Die Gruppe hat sich bereits für eine Stunde getroffen, einige Teilnehmer*innen malen nebenher weiter an Materialien für die nächste Aktion, eine Kampagne gegen Plastiktüten und Meerverschmutzung. Die Jugendlichen erzählen, so viele Leute seien sie sonst selten. Die Teilnehmer*innen wirken gut gelaunt und anfangs etwas nervös. Der Umgang mir gegenüber ist freundlich-distanziert. Es ist die einzige Gruppe, in der mich die Jugendlichen siezen. Die Teilnehmer*innen sind zwischen 14 und 19 Jahre alt (Altersdurchschnitt: 17 Jahre). Sechs der 12 Jugendlichen sind kürzer als drei Monate dabei. Eine Sonderrolle kommt dem Teilnehmer Tm3 zu, der am längsten dabei ist. Obwohl er einer der jüngsten ist, ist er seit drei Jahren dabei. Er fällt durch längere, von wissenschaftlicher Sprache geprägte Beiträge auf. Bei der Abfrage der soziodemografischen Daten nach der Gruppendiskussion berichtet er, ein Schülerstudium zu betreiben (Schüler ohne Abi an der Uni). Tw2 und Tm2 geben wesentliche Gesprächsimpulse. Sie sind erst seit 2 Monaten dabei und stellen die Verbindung her von der Sichtweise „noch nicht Engagierter“ zu „engagierte Umweltschützer*innen“. Die Gruppendiskussion wird viermal durch
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Mitglieder des Erwachsenenverbands 2 unterbrochen, die Gegenstände in den Raum bringen oder herausholen wollen. Die Gruppe Himbeere unterscheidet sich in mehreren Charakteristika von den anderen Gruppen. ,Es handelt sich um die einzige Gruppe, die sich selbst als teilweise passiv inszeniert und kritisiert. Der Kontrast ist besonders deutlich zu anderen Gruppen 2, die sich scharf von „den anderen“ abgrenzen und diese für ihre Orientierungen und ihr Handeln verurteilen. Die Gruppe 2 zieht keine harte Trennlinie zwischen den nicht Engagierten und sich – der „Mainstream“ ist kein Gegenhorizont. Das ist ein Kontrast zu fast allen anderen Gruppen, vor allem Kirsche, Stachelbeere und Kürbis. Die Gruppe befindet sich in einem gruppendymanischem Prozess, da viele neue Teilnehmer*innen dabei sind. Es handelt sich um mehrere Grüppchen, die untereinander durch Freundschaften vertraut sind. Darüber hinaus ist die Gruppe Himbeere die einzige Gruppe, die nicht explizit oder implizit auf die Herkunft aus dem Öko-Milieu verweist. Während in allen anderen Gruppen einige Teilnehmer*innen von der Rekrutierung über die Familie berichten, berichtet diese Gruppe ausschließlich davon, über Freunde gekommen zu sein. Sowohl auf expliziter, wie impliziter Ebene dokumentieren die Jugendlichen, sich außerhalb der „Öko-Blase“ (s. Stachelbeere, Erdbeere) zu befinden. Die Darstellung der Gruppe Himbeere steht in Kontrast zu anderen Jugendgruppen, die ihre Zugehörigkeit zum eher wohlhabenden „Öko-Milieu“ für selbstverständlich halten (z.B Erdbeere, Stachelbeere, Kirsche ). Im Rahmen der „Öko-Blase“ (Tw2 in Stachelbeere), in der diese Jugendgruppen sozialisiert sind, werden Mülltrennung und Wasser sparen nicht thematisiert, sondern vegane Ernährung und der Kauf von fair gehandelter Kleidung bzw. Konsumverzicht (und auch die als selbstverständliche Alltagspraktiken) Die Gruppe befindet sich im Prozess der Herstellung gemeinsamer Deutungen, z.B. zur Bewertung von Klimawandel, Fleischkonsum, und dem Umgang mit Thema Überbevölkerung. Dabei treffen drei Deutungsfiguren aufeinander: Erstens die Deutungsfigur „Umweltschutz als Durchdringung der Lebenswelt“ mit der Handlungspraxis „Tipps geben“, zweitens die Deutungsfigur „Umweltschutz als Verzichtshandlung“ mit der Handlungspraxis „Verzichten“ (v.a. auf Fleischkonsum) und drittens die Deutungsfigur „Umweltschutz als Anprangern von Missständen“ mit der Handlungspraxis „informieren“. Die Verbindung dieser drei Deutungsfiguren ziehen die Teilnehmer*innen, indem sie an ihr konjunktives Wissen anknüpfen, dass zunächst ein „Bewusstsein“ für Umweltproblematiken entstehen müsse, aus dem dann konkrete Handlungen erfolgten, die wiederum zu weitreichender Veränderung führten. Als Gegenspieler zu dieser Handlungsorientierung präsentiert die Gruppe den „inneren Schweinehund“, der dazu
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verleite, Problemsichten „beiseite zu schieben“, und im Alltagshandeln keinen Verzicht zu leisten. Der Kampf gegen den „inneren Schweinehund“ ist die Fokussierungsmetapher der Gruppe. Auf der Ebene der Diskursdynamik fällt auf, dass die Gruppe auf eine straffe Diskursführung achtet. Mehrmals machen Teilnehmer*innen die Gruppe darauf aufmerksam, dass sie abschweifen, bzw. fragen mich, wie meine letzte Frage hieß. Charakteristisch für die Gruppe ist Lachen als Zustimmung und Ironisierung. Es gibt mehrere Kontroversen, die meist durch Ironie entschärft werden. Die erste Passage (Z. 1-99) dreht sich um den Kontakt zur Jugendgruppe. Hier wird Tm3‘s Sonderrolle sichtbar, denn die anderen Teilnehmer*innen fordern ihn auf, anzufangen. Er antwortet jedoch sehr knapp und allgemein: „ich habe von Greenpeace gehört und bin da hingegangen“ (Z. 21). Die Gruppe antwortet darauf mit Lachen und ironischem „Wow!“ (Z. 20/21). Die anderen Teilnehmer*innen beschreiben, wie sie entweder durch Freund*innen oder gemeinsam mit Freund*innen Kontakt zur Jugendgruppe bekommen haben. Die gemeinsame Rahmenorientierung ist der Einsatz „für die Umwelt“ (Z. 24/37/42). Was „für die Umwelt“ bedeutet, ist Teil des selbstverständlichen, impliziten Wissens. Die eigene Motivation, sich für Umweltschutz zu engagieren, beschreibt Tw2, die mit einer Freundin im Internet nach einer Jugendumweltgruppe gesucht hat. Dabei beschreibt sie die „Logik“, die Umwelt könne ohne die Menschen leben, aber nicht die Menschen ohne die Umwelt. Daraus leitet sie die Entscheidung ab, sich im Bereich Umwelt und nicht im sozialen Bereich zu engagieren. Dies ist ein Gegenhorizont zur Darstellung von Tomate. Diese Gruppe nennt die gleiche „Logik“, leitet daraus aber keine Priorisierung von Umwelt über Soziales ab, sondern einen Paradigmenwechsel im Umweltschutz. 24 „an sich wollte ich was für die Umwelt machen, weil ich es am sinnvollsten für mich finde, weil ähm also, für mich ist es (.) lebe ich nach der Logik: Wir können nicht ohne die Umwelt, aber die Umwelt kann ohne uns. Und ähm ich bin eigentlich schon, schon relativ sozial ähm also engagiert, im Sinne von, dass ich halt auch Leuten helfen möchte und allem, aber ich finde die Umwelt dann doch schon viel wichtiger und umfangreicher als so zwischenmenschliche Beziehungen. Und ja, deshalb wollte ich eher etwas für die Umwelt machen und bin jetzt nicht zu amnesty international oder so gegangen.“ (Z. 25-33) Andere Teilnehmer*innen berichten, wie sie über Freunde zur Gruppe gekommen sind, die wiederum über andere Freunde aktiviert wurden: „Eine wunderschöne Kette!“ (Z. 68). Die Runde wird unterbrochen durch einen Erwachsenen, der in den Raum kommt und den Briefkastenschlüssel haben will. Die Unterbrechung wird mit lautem Lachen kommentiert (@8@, Z. 70). Die Teilneh-
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mer*innen elaborieren, dass sie ohne den „Anstoß“ von Freund*innen nicht aus Eigeninitiative zur Jugendumweltgruppe gekommen wären. An dieser Stelle wird die Fokussierungsmetapher des passiven „inneren Schweinehunds“ von Tm2 eingeführt: „ich würde schon sagen (.) also zum Beispiel ich hab mich auch vorher schon für Umwelt interessiert und auch für Politik und so, aber ich wäre jetzt nicht von alleine, glaube ich, darauf gekommen, wenn ich nicht diesen sozusagen Anstoß gehabt hätte von anderen Leuten.“ (Z. 81-84).
Tw2 geht noch einen Schritt weiter, denn sie stellt dar, es fehle nicht nur der „Anstoß“, sondern der „Anschluss“ an die Gruppen. Tw2 beschreibt dies in der „man“-Form. Dass sie dies auf ihre eigene Erfahrung bezieht, ist implizit klar, da sie erst seit zwei Monaten bei der Gruppe dabei ist. Ihre Freundin (Tw9), die zum ersten Mal dabei ist, bestätigt diese Wahrnehmung. Z. 93 „Tw2: Meistens kommt man ja auch gar nicht auf solche Jugendgruppen. Also, dass es sie überhaupt gibt. Tm1: Vielleicht sollten wir ein bisschen Werbung machen. Tm3: Das wäre eigentlich auch @mal ein guter Punkt@. Tw1: Ja, aber wir sind ja genug Menschen. Tm2: @Es passen nicht mehr Leute in diesen Raum rein.@ Tw2: Und auch wenn man weiß, dass es sie gibt, dann findet man auch nicht direkt einen Anschluss, weil es kann schon beängstigend sein, in eine fremde Gruppe einfach so ein zu marschieren, ohne jemanden zu kennen. Tw9: Ja, das stimmt. Also wir beiden [Tw 9 und Tw3] sind mit [Tw2] hergekommen.“ (Z. 93-102)
Hier treffen zwei Darstellungen aufeinander, die aber nicht kontrovers diskutiert werden: Die einen kommen über Freunde, d.h. für sie ist die Gruppe nicht komplett fremd. Andere dagegen berichten, dass sie nichts von der Gruppe wussten, bis sie aktiv (im Internet) danach gesucht haben. Beide Darstellungen sind Gegenhorizonte zur Dethematisierung von Hemmschwellen für das Engagement (Kirsche, Kürbis). Die nächste Passage dreht sich um die Frage, was Umwelt- und Klimaschutz für die Gruppe bedeutet (100-420). Die Gruppe betont zunächst den emotionalen Bezug zu Umwelt bzw. die Relevanz von Umweltschutzhandeln. Sie thematisiert im Folgenden, es gelte, ein Problembewusstsein herstellen, Leuten Tipps zu
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geben, alltägliche „Anschlüsse“ für Umweltschutzhandeln anbieten, hin zur Deutungsfigur von Umweltschutz als Verzichtsleistung. Diese elaboriert die Gruppe anhand des Themas Verzicht auf Fleischkonsum. Abschließend kommen sie auf die konkrete Aktion gegen Plastik, für die gerade Taschen bemalt werden. Die Gruppe geht selbstverständlich davon aus, dass Umweltschutz auf einen Bezug zur Lebenswelt herunter gebrochen werden muss. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die Umweltschutz ausschließlich als „Aufzeigen von Missständen“ (Stachelbeere) verstehen und „großflächige“ Veränderungen (Erdbeere) oder einen „Systemwechsel“ (Kirsche, Erdbeere) anstreben. Auf die Frage, was Umwelt- bzw. Klimaschutz für sie bedeutet, antwortet die Gruppe Himbeere als einzige nicht zunächst mit einer Sachantwort, sondern versteht „Was bedeutet … ?“ im Sinne von „Wie viel bedeutet es euch?“ bzw. welchen Stellenwert Umweltschutz für sie hat. 106 „Tm1: Alles. @3@ Tm1: Ja, viel. Sonst wären wir ja nicht hier. Tm2: Erklär, [Tm1]! Tm1: Ähm, nein (.) [Tm8: °@ Alles! Mein ganzes Leben dreht sich darum. @° Tm1: Also, man erfährt ja auch, (.) vielleicht ist es bei vielen auch so, dass die das erste Mal hier hin kommen, nur aus dem Grund, weil auch andere Freunde hier sind, so zum Zeitvertreib, ist ganz lustig, aber dann so im Laufe der Zeit, wenn man das dritte, vierte, fünfte Mal kommt, erfährt man ja immer, immer mehr über so umweltpolitische Themen und so allgemein. Und dann wird vielleicht auch immer mehr das Interesse geweckt. Man weiß dann auch irgendwann so viel Bescheid darüber, und erkennt dann auch, wie wichtig es eigentlich ist, sich für die Umwelt einzusetzen. Ja.“ (Z. 106-118)
Dieser Darstellung nach sind Wissensbestände zu „umweltpolitische[n] Themen“ nicht zwangsläufig dem Engagement vorgängig, sondern das Wissen und die Zuschreibung von Relevanz werden im konjunktiven Erfahrungsraum Jugendumweltgruppe erst hergestellt. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die Wissensbestände zu und Interesse an Umweltschutz als vorgängig darstellen (z.B. Kirsche). Dass die Wissensbestände und das Problem-„Bewusstsein“ für Umweltschutzhandeln nicht selbstverständlich vorhanden seien, elaboriert die Gruppe im Folgenden. Die Teilnehmer*innen gehen davon aus, dass es für „die Leute“ nicht naheliegend ist, alltägliche, niederschwellige Umweltschutzstrategien (z.B. Wasser sparen) zu praktizieren. Deshalb sei es wichtig, „die Mitmenschen“ zu informieren und ihnen „einen Anschluss“ anzubieten. Tw3 und Tw2
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dokumentieren, dass sie es nicht für selbstverständlich halten, zu recyclen, Wasser zu sparen oder Müll zu trennen (Z. 123-126, Z. 159-169). Keine andere Gruppe thematisiert diese Praktiken. Damit dokumentieren die Teilnehmer*innen, dass ihrem konjunktiven Wissen nach Recycling keine Selbstverständlichkeit ist, sondern etwas, worüber Menschen zunächst informiert werden und darüber nachdenken müssen. Wenn sich die Menschen eine Meinung gebildet haben, werden sie auch konkrete Schritte einleiten, steht implizit dahinter. Mit „aber wenn jeder zumindest etwas macht (Z. 125) wird deutlich, dass die Jugendlichen keine radikalen Verhaltensänderungen von ihren Mitmenschen erwarten. Ein bisschen ist deutlich besser als nichts und zeigt Wirkung, so die Darstellung. Diese Deutung von Umweltschutz als „viele kleine Schritte“findet sich in ähnlicher Form bei mehreren Gruppen 1. Gegenhorizonte sind die Deutungen „Umweltschutz erfordert einen Systemwechsel“ und „bei Umweltschutz geht es nicht um die individuelle Handlungsebene“. Die Gruppe geht davon aus, dass „den Leuten“ wesentliche Informationen fehlen, um Problemsichten zu entwickeln und dementsprechend zu handeln. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die darstellen, „die anderen“ wüssten Bescheid, seien aber ignorant (z.B. zu Tierleid Erdbeere, Stachelbeere). Z.123 „niemand wird jetzt zum Beispiel, also nicht jeder würde recyclen, nicht jeder würde Wasser sparen, aber wenn jeder zumindest etwas macht, also wenn jeder das macht, was ihn anspricht, dann hilft es ja dann doch (.) viel, als wenn niemand nichts macht.“ (Z. 123-126) 159 „viele Leute wissen auch nicht darüber Bescheid, wie gewissen Dinge ablaufen und jetzt zum Beispiel, wo wir davor darüber geredet haben, wo das Wasser eigentlich herkommt … und ich finde, das ist ... wichtig, die Leute zu informieren, damit sie auch selbst sich eine Meinung bilden können, dazu.“ (Z. 159-163)
Die Gruppe stellt hier die Deutungsfigur von „Umweltschutz als Aufzeigen von Missständen“ in Kombination mit „Umweltschutz als Durchdringung der Lebenswelt“ dar. Zunächst müssten die Leute informiert werden über Problemstellungen und alltägliche Handlungsoptionen. Die Gruppe inszeniert ihre Handlungspraxis als „informieren“ und „Tipps geben“. Dies ist ein Gegenhorizont dazu, „die Leute“ schockieren, aufklären oder des als „moralisch Richtigen“ belehren zu wollen (Stachelbeere, Kirsche). Ebenso wie zahlreiche andere Jugendgruppen stellt die Gruppe Himbeere dar, dass zum „Informieren“ gehöre, „die Gedanken der Menschen zu ändern“. Als Gegenhorizont zu den anderen Gruppen 2 inszeniert die Gruppe Himbeere keine scharfe Trennlinie zwischen ihrer Alltagspraxis und der „anderen“. Die Jugendlichen verwenden in diesen
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Passagen „man“ sowohl für eine nicht-definierte Gruppe anderer Menschen, als auch für sich selbst. Die Aufgabe, zu informieren und „Anschlüsse zu bieten“, verbinden die Jugendlichen mit der eigenen Alltagserfahrung: „Meistens kommt man ja auch gar nicht auf solche Jugendgruppen. Also, dass es sie überhaupt gibt.“ (Tw2, Z. 81/82); „Und auch wenn man weiß, dass es sie gibt, dann findet man auch nicht direkt einen Anschluss“ (Tw2, Z.90/91); „manche Haushalte machen ja noch nicht mal Mülltrennung oder so was, und dass man zum Beispiel so einen Anschluss denen geben kann, dass es nicht so viel Arbeit ist, aber man denen erklärt, wie es geht.“ (Z. 160/163)
Der „innere Schweinehund“ verleite zu Trägheit und dazu, bekannte Problemstellungen „ganz einfach beiseite [zu] schieben“. Diese Darstellung bezieht die Gruppe explizit sowohl auf sich selbst, als auch auf andere. Die selbstkritische Darstellung ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die eigene Antriebsschwierigkeiten oder Inkonsequenzen dethematisieren. Die Thematisierung des „inneren Schweinehundes“ wird im ersten Teil der Diskussion als Proposition eingeführt und wird am Ende mit einer Konklusion abgerundet. In zahlreichen Beispiele elaboriert die Gruppe das Thema. In diesem Kontext thematisiert die Gruppe Klimawandel und Klimaschutzhandeln: 131 Tm2: „Ich glaube auch, Umweltschutz, … das Problem mit dem Klimawandel gerade, ähm scheint so ein großes Problem zu sein, das äh so extreme Folgen haben kann, … dass es auch wichtig ist, sich, glaube ich, dafür einzusetzen, ich glaube, dass halt (.) man es ganz einfach auch beiseite schieben kann und einfach irgendwie nicht hin gucken kann. Und ich glaube, dass es deswegen gerade wichtig ist, sich dafür einzusetzen, weil es so ein Ding ist, wo man den inneren Schweinehund @(.)@ besiegen muss und selber aktiv werden muss. … Und teilweise stört es mich an anderen, aber auch an mir selbst, dass man genau weiß, was teilweise abläuft mit dem Klimawandel, … aber (.) die wenigsten tun wirklich was dagegen.“ (Z. 131-136)
Selbst wenn alltagspraktische Strategien bekannt sei, seien sie wenig attraktiv. So sei ein „großes Problem auch beim Umweltschutz“, „man fühlt sich nicht so super gut, wenn man jetzt Müll getrennt hat“. Es sei vielmehr der Verzicht darauf, „etwas Schlechtes“ zu tun (Z. 165-166). Auf die Thematisierung des Verzichts auf „etwas Schlechtes“ fordert eine Teilnehmerin (Tw1) einen anderen (Tm2) auf, Vegetarier zu werden. Darauf antwortet er: „Noch mehr Schuldgefühle.“ (Z. 207/208). Inkonsequentes Handeln bzw. dem „inneren Schweinehund“ zu folgen führt demnach zu Schuldgefühlen. Das implizite Wissen, dass
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Tm2 sich nicht vegetarisch ernährt, dokumentiert, dass die Jugendlichen über die Gruppe hinaus miteinander vertraut sind. Im Folgenden (Z. 160-284) verhandelt die Gruppe den Verzicht auf Fleischkonsum als Umweltschutzstrategie. Dies entspricht der Deutungsfigur von Umweltschutz als Verzichtshandlung. Auf der Ebene der Diskursdynamik fällt auf, dass die Jugendlichen zwar oppositionell diskutieren, es jedoch nicht in eine Polarisierung von Vegetarier*innen gegen Fleischkonsument*innen kommt. Argumentative Spitzen werden durch Ironie und Lachen entschärft. Während diejenigen, die sich zum Fleischkonsum bekennen, Bewunderung für die konsequente Verzichtshandlung der Vegetarier*innen dokumentieren, plädieren Teilnehmer*innen, die sich als Vegetarier*innen positionieren, für Fleisch aus artgerechter Handlung. Diese Diskursführung ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die vegetarische bzw. vegane Ernährung als selbstverständlich darstellen und sich gegen „die anderen“, die Fleisch konsumieren, empören (Stachelbeere, Erdbeere, Kirsche). Bemerkenswert ist die Darstellung von Tw3, die dokumentiert, dass sie nicht auf dem Öko-Milieu kommt, wo vegetarische Ernährung nicht als ungewöhnlich angesehen ist: 200 „Weil, ich denke, wenige Menschen würden jetzt unbedingt sagen: „Ja, ich verzichte komplett auf meine Ernährung“, aber @5@ @So: „Ich verzichte komplett auf Fleisch“@ und so, das ist halt schon so ein großer Schritt. [Tm2: Ja. Das ist halt auch schwer.“ (Z. 200-207)
An dieser Stelle spielt Tm2 „den Ball zurück“ an Tw1, indem er sie auf ihre Standortgebundenheit hinweist: „Für manche, für manche Menschen, ich meine, [an Tw1 gewendet], für dich kommt es sicher nicht so extrem vor, weil du noch nie so ein großer, ich sag jetzt mal, Fleischesser warst.“ (Z. 207-209) Damit dokumentiert er, dass er ihre Essensvorlieben kennt und sie möglicherweise aus der Zeit kennt, bevor sie Vegetarierin wurde. Die Tatsache, dass Tm2 neu in der Gruppe ist, wird völlig überlagert durch sein Wissen über die mit ihm befreundeten Gruppenmitglieder. Während dieser Passage kommt erneut ein Erwachsener herein, der etwas ablegen will. Auffällig an seinem Auftreten ist, dass er nicht nur mitten in die Diskussion „platzt“, sondern direkt seine Position zum Führen der Gruppendiskussion mitteilt. Mit den Begriffen „dürfen“ und „sollen“ positioniert er sich als Autoritätsperson, die der Gruppe Vorschriften machen kann. Er schränkt den Handlungsrahmen der Gruppe weiter ein, indem er betont, die
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Gruppe solle „nicht nur diskutieren“, sondern seine Erwartung „die Welt [zu] rette[n]“ auch „umsetzen“. 218 JL: Wir machen gerade eine Gruppendiskussion. EM: Ihr dürft ja auch, ihr dürft ja auch, ihr sollt ja auch diskutieren, (.) wie ihr die Welt rettet. [TN: @(.)@ Aber nicht nur diskutieren, umsetzen! TN: Ja, ja. (Z. 218-222)
Die Teilnehmer*innen kommentieren die erneute Störung nicht, sondern kehrt unmittelbar zurück zur Diskussion um Fleischkonsum. Diese selbstläufige Thematisierung zeigt, dass es sich um ein zentrales Thema handelt. Die Gruppe diskutiert darüber, wie sinnvoll das „Umsteigen“ auf „Ökofleisch“ (Z. 243) und die Reduktion von Fleischkonsum sind. Auch hier elaborieren die Teilnehmer*innen als zentralen Punkt, das „Bewusstsein“ zu ändern und aus einer „bewussten“ Entscheidung weniger Fleisch zu essen als „Schritt in die richtige Richtung“ (Z. 246-252). Sie stellen zwar Reduktion als gute Strategie dar – und elaborieren die Deutungsfigur „Umweltschutz als Verzichtsleistung“ – erteilen einer radikalen Forderung zum Konsumverzicht (s.Kirsche) eine Absage. Dies entspricht der Deutung von „Umweltschutz als Durchdringung der Lebenswelt“. 265 Tm2: Ja, aber das das erst mal wichtiger ist, als wenn man gleich sagt: (1) [Tw2: Täglich mehrmals „Wenn du nicht irgendwie vegan bist, dann bist du irgendwie (.) ein schlechter Mensch.“ [TN: @(.)@ Tw1: Nein, natürlich nicht, das geht ja schon in die, @in die richtige Richtung@. (265269)
Vom Verzicht auf Fleisch kommt die Gruppe auf die Ökobilanz von Fleisch. An dieser Stelle mischt sich der Teilnehmer Tm3 zum ersten Mal ein. Sowohl sprachlich, als auch inhaltlich weichen seine Beiträge von denen der anderen Teilnehmer*innen dieser Gruppendiskussion ab. Er verwendet eine wissenschaftlich geprägte Sprache und vermeidet es, direkte Bewertungen auszusprechen: „humanitäre Gründe“, „Agrarprodukte“, „ob man es vertreten kann“. Mit seinem Beitrag verbindet er ökologische und soziale Dimensionen von Umweltschutzpraktiken, hier konkretisiert auf Fleischkonsum:
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297 Tm3: Es geht ja gar nicht nur um die Umwelt, sondern auch, es gibt ja auch humanitäre Gründe, warum man auch Vegetarismus oder Veganismus betreiben sollte, also wenn man sich überlegt, dass ein Kilogramm Fleisch enorm viel Getreide oder ähm andere Agrarprodukte verwendet werden müssten und sich dann auf der anderen Seite überlegt, dass ähm ein Großteil der Weltbevölkerung Hunger leidet … , dann muss man sich ja auch überlegen, ob man es vertreten kann, hier ein Luxusprodukt zu essen. (Z. 297-303)
Die Gruppe geht auf den Beitrag nicht direkt ein, führt ihn aber thematisch weiter, indem sie im folgenden über Lebensmittelverschwendung und Verteilungsgerechtigkeit diskutiert. Es kommt zu einem oppositionellen Diskurs zwischen Teilnehmer*innen, die sich für einen gemäßigten Fleischkonsum aussprechen und solchen, die Fleischkonsum insgesamt ablehnen. Dabei wird eine Polarisierung dennoch vermieden, da die Teilnehmer*innen immer wieder von Generalisierungen zurück auf ihre persönliche Positionierung kommen. Z.B. teilt Tw1 mit, dass sie sich mit Richtlinien für Tierhaltung nicht beschäftige und die Fragestellung „vereinfache“, da sie sich für einen Verzicht auf Fleischkonsum entschieden hat: 379 „ich vereinfache es, glaube ich, auch, auch einfach weil, jetzt muss ich mich halt nicht drum kümmern, ob es gutes Fleisch ist oder nicht, sondern einfach gar, gar keins essen, dann muss ich mich nicht mehr darum kümmern. (379-381)
Schließlich einigt sich die Gruppe darauf, dass es gesetzliche Rahmenbedingungen gebe und brauche, die Massentierhaltung und damit gesundheitlich und ethisch bedenkliche Tierhaltung verhinderten. In der folgenden Passage (Z: 401-455) schwenkt die Gruppe Himbeere selbstläufig zur geplanten Aktion „(k)ein Müllmeer“ und dem Bemalen der Taschen. Die Gruppe zeigt sich begeistert von den Sprüchen und Wortspielen, die sie für die Taschen erfunden haben, u.a. „(k)ein Müllmeer“ bzw. „kein Müll mehr“ und „nicht so hastig mit dem Plastik“ (Z. 415-436). Sie elaborieren die Deutung, dass Umweltschutz an alltagspraktische Aktivitäten anzudocken hat. Nachdem sich die Gruppe ihrer Darstellung nach mit den Themen Plastik und Plastikverschmutzung beschäftigt hat, will sie in einer konkreten Aktion bemalte Stofftaschen an Passant*innen ausgeben, um „die Leute“ zum alltäglichen Verzicht auf Plastiktüten zu bewegen: „Bis die Leute dann halt zum Einkaufen vielleicht so eine Tasche mitnehmen, anstatt sich die ganze Zeit Plastiktüten geben zu lassen.“ (Z. 428/429) Als einige Teilnehmer*innen sich über die Sprüche auf den
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Taschen belustigen, fordern mehrere Teilnehmer*innen die Gruppe auf, zurück zum Thema zu kommen und fragen mich nach der Ausgangsfrage (Z. 446-455). Die nächste Passage (Z. 456-650) dreht sich um Klimawandel. Die Gruppe dokumentiert Unsicherheit, sowohl in Bezug zu Wissen über Klimawandel, als auch in der Bewertung von Klimawandelszenarien. Es kommt zu einer Kontroverse, in wie weit es möglich ist, Klimawandel als problematisch zu bewerten. Dabei gibt es einen oppositionellen Diskurs zwischen Tm3, der eine wissenschaftlich-skeptische Perspektive vertritt, und mehreren anderen, die eine klare Bewertung treffen wollen, um dadurch handlungsfähig zu werden. Die Frage: „Ihr habt vorhin schon angesprochen, Klimawandel und ihr wollt Leute informieren. Äh, was wisst denn darüber, oder welche Informationen wollt ihr denn gern an die Leute weitergeben?“ (Z. 456-458) führt zunächst zu Unsicherheit und einer Aufzählung von „Teilaspekten“. Die Gruppe gibt an, sich noch nicht „direkt“ mit Klimawandel beschäftigt zu haben, sondern sich auf „Teilaspekte versteift“ zu haben. Die Gruppe zählt auf, was sie mit Klimawandel in Verbindung bringt: eine Aktion der Gruppe gegen Ölbohrungen in der Arktis, Meeresverschmutzung, das Überleben der Eisbären, die Erderwärmung und Treibhauseffekt (Z. 462-476). Diese Passage zeichnet sich durch eine hohe interaktive Dichte aus, denn die Teilnehmer*innen ergänzen die Stichworte, die andere nennen. Die Gruppe geht bei keinem der Themen ins Detail, es ist zunächst eine Reihung von Begriffen. Die Gruppe dokumentiert, über „die Nachrichten“ über Klimawandel informiert zu sein: „man bekommt ja überall auch in den Nachrichten irgendwie mit, dass das die Erde immer und immer ein bisschen wärmer wird und das die Meere, äh dass die Gletscher und äh ja, auch die Pole schmelzen“ (Z. 478- 480). Tm3 begründet, ihr fehlendes Wissen über Klimawandel liege „an den Quellen“ (Z. 487). Der Rest der Gruppe geht nicht auf dieses Argument ein, sie bevorzugen es, konkrete Handlungsmöglichkeiten für Klimaschutz zu thematisieren. Ihre Orientierung ist nicht von einem erkenntnistheoretischem Interesse an Klimawandelforschung geprägt, sondern vom Interesse an konkreten, alltagspraktischen Strategien, die sie als „Tipps“ verbreiten wollen: „Wichtig ist es ja auch, den Leuten dann so Tipps zu geben, wie man ähm, wie man konkret was dagegen tun könnte.“ (Z. 489/490). In der Folge diskutiert die Gruppe über die Reduktion von „Autofahren“ und empört sich über diejenigen, die „fünf Minuten Strecken mit dem Auto“ (Z. 495/496) fahren würden. Als Hemmschwelle wird thematisiert, dass das Wissen über zukünftige Auswirkungen von Klimawandel unsicher sei: „wir wissen ja eigentlich gar nicht so genau, was es alles für Auswirkungen hat, … wir können ja nicht hellsehen, was alles Schlimmes passieren könnte“ (Z. 504-507). Implizit besteht ein Bezug zum
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Orientierungsrahmen, dass Umweltschutz Bezug zum Alltag haben muss, denn abstrakte Problemstellungen könne man, wie in der Proposition formuliert, „ganz einfach beiseite schieben“ (Z. 133/134). Tm3 führt diese Darstellung noch weiter, indem er das unsichere Wissen nicht nur auf Zukunftsszenarien bezieht, sondern auf die Entstehung von Klimawandel und Dynamiken: „Wir kennen ja noch nicht mal wirklich den Treibhauseffekt an sich, wir wissen, es gibt einen Treibhauseffekt und wir wissen auch, es gibt einen anthropogenen Treibhauseffekt, wir wissen gar nicht, in welchem Maß der stattfindet.“ (Z. 509/511). Tm3 vertritt ein wissenschaftlich-skeptisches Erkenntnisinteresse, was sich zeigt an den Aussagen „die Forschung ist so zweideutig“, „wir vertreten die präventive Meinung“ und „wie es das Worst-Case-Szenario beschreibt“ (Z. 516-529). Er spricht nicht von Klimawandel, sondern vom „Treibhauseffekt“. Die anderen Teilnehmer*innen reagieren irritiert bis wütend, denn sie verstehen seine Aussage so, als wolle er den anthropogen verursachten Klimawandel verharmlosen bzw. klein reden. Es entwickelt sich ein antithetischer Diskurs, in dem zahlreiche Teilnehmer*innen durcheinander reden. Während es sich bei der Darstellung Tm3‘s um die Inszenierung von Unsicherheit bei relativ hohem Kenntnisstand von Fachdiskursen handelt, zeigen sich andere Teilnehmer*innen verunsichert, ob ihre Bewertung von Klimawandel als „schlimm“ nicht begründbar ist und stellen ihren eigenen Wissensstand als unzureichend dar. Im Folgenden wechselt die Gruppe zwischen der Darstellung von mangelndem Wissen und Bewertungsunsicherheit und dem Versuch, zu einer eindeutigen Bewertung zu kommen, hin und her (Z. 519-575). Während einige Teilnehmer*innen darauf beharren, dass „man weiß, dass es schlimm sein wird“ (Z. 568), beharren andere darauf, dass man wisse, der Treibhauseffekt „hat Auswirkungen, aber wie die wirklich sind, das weiß man nicht“ (Z. 590/591). Innerhalb der Diskussion wird das Wissen hergestellt, dass eine Bewertung von Klimawandel als „schlimm“ kaum möglich ist, da es an sicheren Wissensbeständen fehlt und diese auch nicht durch eine wissenschaftliche Beschäftigung zu erlangen sind. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die sicheres Wissen – ob mit oder ohne Bezug zur Forschung – herstellen. Auch wenn die Gruppe reflektiert, dass diese Dynamik entsteht und zu Handlungsunsicherheit führt, gelingt es ihr nicht, zu anderen Deutungen zu kommen. So kritisiert Tm2 die Darstellung, eine sichere Einschätzung von Klimawandel sei nicht möglich. Sie möge inhaltlich „im Ansatz“ korrekt sein, sie sei jedoch „ein bisschen gefährlich“, denn sie führe leicht zur Verharmlosung von Klimawandel, da „Leute“ die Unsicherheit nutzen würden, um auf Klimaschutzmaßnahmen zu verzichten (Z. 600-603). An dieser Stelle wird die Diskussion ein drittes Mal von Erwachsenen des Umweltverbands unterbrochen (Z. 618-620). Tm2 elaboriert danach weiter,
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dass das Streben nach umfassenden Wissen zu Handlungsunsicherheit führe. Es sei nicht möglich, „Leute“ zu Klimawandel zu informieren, „wenn man selbst so unsicher wirkt“. Im schlimmsten Fall dominiere die „Angst“, nicht „qualifiziert ... darüber zu reden“. 634 „Manchmal hat man das Gefühl, wenn man irgendwie nicht äh, nicht alle Informationen hat oder genau weiß, wie jetzt die sozusagen wissenschaftliche Ansicht da ist, dass man dann das Gefühl hat, man kann da irgendwie nicht irgendwie Leuten was drüber erzählen oder man kann irgendwie nicht, wenn man selbst so unsicher wirkt: „Ja, ich weiß es jetzt auch nicht so genau, wie das jetzt ist, aber so ungefähr habe ich das verstanden“, und dann fühlt man sich immer so unsicher dabei, ich weiß auch nicht, vielleicht bin das auch nur ich, aber (.). Oder dann hat man auch manchmal Angst, ja irgendwas dafür irgendwie zu sagen oder so, wenn man das Gefühl hat, man ist nicht sozusagen qualifiziert irgendwie darüber zu reden oder so.“ (Z. 635-634)
Einige Teilnehmer*innen stimmen dem zu, es gelingt der Gruppe jedoch nicht, eine gemeinsame Bewertung von Klimawandel zu entwickeln. Sie einigt sich jedoch auf eine gemeinsame negative Bewertung von Ölbohrungen (Z. 633-639) und schlägt damit den Bogen zur gemeinsamen Handlungspraxis der Gruppe, dem Protest gegen Ölbohrungen, die sie am Anfang der Passage thematisiert hat. Die nächste Passage (Z. 651-733) dreht sich um Spannungen zwischen ökologischen und sozialen Zielsetzungen, elaboriert am Thema „Überbevölkerung“. In diese Passage fällt die vierte Unterbrechung durch Erwachsene. Die Gruppe kommt von Ölbohrungen zu erdölhaltigem Dünger zur Ernährung der Weltbevölkerung und der Problematik von „Überbevölkerung“. Die Annahme, es gebe zu viele Menschen auf der Welt und „man braucht man eben dieses Erdöl, um überhaupt so viele Menschen ernähren zu können“ (Z. 660) ist ein Gegenhorizont zu Gruppe Tomate, die Visionen einer nachhaltigen Landwirtschaft für eine größere Weltbevölkerung thematisiert. Diese Passage ist von Empörung geprägt, die durch ironische Überspitzung und Lachen entschärft wird. Die Entschärfung von Empörung durch Ironie ist ein Gegenhorizont zu einer Dynamik, die die Empörung immer weiter entfacht (Kirsche). 663 „wenn das so weitergeht, dann geht es auch irgendwann [TN: Ja. nicht mehr weiter @(.)@. Tw2: Ja, ich finde [Tm1: Alles hat ein Ende. [Tw1: Nur die Wurst hat zwei. @4@“ (Z. 663-669)
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Mit den Nachfragen: „Wollen wir ein neues Thema anfangen?“ (Z. 734) und „Wie viele Fragen gibt es noch?“ (Z. 737) beginnt eine neue Passage (Z. 734900). Die Nachfrage macht deutlich, dass die Gruppe die Diskursführung straff organisiert und im Blick behält, dass es sich um eine Interviewsituation handelt. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die die Interviewsituation nicht thematisieren und weit über eine Stunde diskutieren (Kirsche, Erdbeere). Die Passage dreht sich darum, auf welcher Ebene Klima- bzw. Umweltschutz ansetzen soll. Die Gruppe Himbeere nennt mehrere Ebenen, führt diese jedoch nicht detailliert aus. Sie ist sich einig, dass Veränderung zunächst auf der „wirtschaftlichen Ebene“ ansetzen muss. Genannt werden auch Politik und Medien. Tm3 dominiert diese Passage mit seiner Darstellung, der entscheidende Hebel liege bei der Wirtschaft. Diese werde durch „den Markt“ gesteuert, der wiederum von allen Konsument*innen gesteuert werde. So führe eine Änderung in „unser[em] Gedankengut“ und Konsumhandeln letzendlich zu wirtschaftlicher Veränderung. 757 „Theoretisch kann nur die Wirtschaft was daran ändern, aber die Wirtschaft reagiert äh [Tm2: Ja. über den Markt und wenn die Interessen des Marktes sich verändern, wird ,werden auch die Richtungen der Firmen sich ändern und ähm deswegen ist es ganz sinnvoll, (.) den Markt zu verändern, und der Markt sind eigentlich wir und ahm wenn wir also unser Gedankengut ändern oder das Gedankengut der Gesellschaft und alle plötzlich anders denken und anders handeln und ein anderes Verhalten bekommen, ökonomisch gesehen, wird auch auf lange Sicht ahm die Politik darauf reagieren und auch die Wirtschaft.“ (Z. 757-764)
Die Priorisierung einer „wirtschaftlichen“ Veränderung ohne Systemwechsel ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die das Wirtschaftssystem ändern wollen, ebenso wie zu Gruppen, die die individuelle Ebene oder die Ebene gesellschaftlicher Transformation betonen. Im folgenden schlägt die Gruppe in ironischer Art vor, man solle „einfach das Geld ab[schaffen]“, was „fehlerlos“ funktionieren würde und „voll logisch“ sei (Z. 769-784). Dies ist ein Gegenhorizont zu einer erst gemeinten, stark vereinfachten Vorstellung von „Lösungen“, wie „Kapitalismus abschaffen“. Die Gruppe einigt sich darauf, dass es zentral sei, das „Denken“ zu ändern. Dabei sprechen sie sowohl in der dritten Person („muss so das, das Denken der Menschen verändern“, Z. 792), als auch in der ersten Person Plural („wir müssen unser Denken ändern“, Z. 800). Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen,
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die ausschließlich das Denken der anderen Menschen ändern wollen (Kirsche, Stachelbeere, Erdbeere). Kritisches Denken, so die Konklusion der Gruppe, sei der zentrale Hebel. Dabei formulieren sie unter Begeisterung und Lachen das „neue Motto von Greenpeace“ (Z. 880): „gesund unzufrieden“ (Z. 874-878). Wichtig ist ihrer Darstellung nach, nicht einfach „unzufrieden“ zu sein: „@Super! Lass mal alle depressiv werden@, dann ändern wir was.“ (Z. 871/872). Mit dieser Darstellung wenden sie sich gegen Verzweiflung und Zynismus, als Gegenhorizont zum Kokettieren mit dem „kollektiven Selbstmord“ (Stachelbeere). Sie grenzen sich ebenfalls ab von einer Einstellung des bequemen „beiseite Schiebens“ von Problemsichten. Die Gruppe kommt von der Darstellung der Notwendigkeit, die Gesellschaft zu verändern, auf die Konklusion der Fokussierungsmetapher des Kampfes gegen den „inneren Schweinehund“. Tw2 greift die Formulierung von Tm2 auf (Z. 134), es gelte, den inneren Schweinehund zu bekämpfen. Es gelte, „sich bewusst“ zu werden, einen kritischen Blick zu entwickeln, der sich auch auf die eigenen Handlungsmuster bezieht. Zum Kampf gegen den „inneren Schweinehund“ gehört die Reflexion und Bewertung ihres eigenen Handelns als „nicht gerade das Optimalste“ und die Schlussfolgerung, „etwas ändern“ zu wollen. Die Motivation, sich zu engagieren, wird als Folge von Einsicht beschrieben. „Nicht mehr immer alles hin[zu]nehmen“ hat einen impliziten Bezug zum „einfach beiseite Schieben“ von „großen Problemen“ wie Klimawandel und der Notwendigkeit, den „inneren Schweinehund besiegen“ (Z. 131-137). Aus dem Willen, „etwas [zu] ändern“, folgt demnach das aktive Engagement, das wiederum den Anspruch hat, zu einer Verbesserung der Welt beizutragen. Die Passivität des „inneren Schweinehundes“ bleibt jedoch präsent in der konjunktiven Form des „ankämpfen möchte“ und „ändern möchte“. 891 Tw2: „Und irgendwie so, so wie er damals gesagt hat mit innerem Schweinehund [Tm2: @Damals!@ Damals vor zehn Jahren, weißt du noch? Ja, wenn man, wenn man sich schon dem [@2@ bewusst ist, dass man halt auch dagegen ankämpfen möchte. Ich mein, das ist ja erst mal schon, nachdem man nicht immer alles hinnimmt und ähm sich bewusst wird, dass man gerade jetzt nicht das Optimalste tut, jetzt ich meine, nicht einfach stur und egoistisch weiter, [@2@ also sein Leben fortführt, sondern auch etwas ändern möchte.“ (Z. 891-899)
Die Deutung, Veränderung laufe über ein verändertes Denken, wird gestärkt durch die Darstellung der konjunktiven Erfahrung im Lernraum der Jugendum-
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weltgruppe. Die Teilnehmer*innen gehen immer wieder von ihrer eigenen Erfahrung aus, sie hätten zunächst den „Kampf mit dem inneren Schweinehund“ führen müssen, um aktiv zu werden und würden weiter gegen Passivität und das „beiseite Schieben“ zu Problemsichten „ankämpfen“. Auf den Wunsch nach Veränderung folge Aktivität, die sich sowohl auf die eigene Alltagspraxis bezieht, als auch auf Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen der Jugendumweltgruppe. Im empirischen Material finden sich mehrere Gegenhorizonte zu dieser Darstellung: Erstens die Selbstdarstellung als konsequente Aktivist*innen ohne jegliche innere Widerstände oder Brüche im Alltagshandeln, zweitens der Kampf gegen den „Schweinehund“ der anderen, also die Forderung, ausschließlich „die anderen“ müssten umdenken bzw. erzogen werden (Kirsche, Erdbeere) und drittens als Gegenhorizont zur „gesunden Unzufriedenheit“ die Darstellung des „kollektiven Selbstmords“ als „Lösung“ (Stachelbeere). Die letzte Passage (Z: 901-956) thematisiert den Unterschied zwischen den beiden Jugendumweltverbänden, initiiert von meiner Nachfrage. Die Passage ist von einer hohen interaktiven Dichte geprägt. Die Teilnehmer*innen dokumentieren, dass sie verschiedene Gründe hatten, zur Greenpeace-Jugend zu kommen. Zentral sei die Größe, die Autorität und die Erreichbarkeit des Verbands: „da hat man halt so die die große Autorität von Greenpeace, dann spricht man im Namen von Greenpeace, man kann handeln im Namen von Greenpeace und das ist halt viel, es ist schon gewichtiger … bei Greenpeace weiß man genau schon, was die wollen.“ (Z. 910915)
Darüber hinaus sei die Gruppe Himbeere „die aktivste Jugendgruppe“ im Umweltbereich und leicht erreichbar. Mehrere Teilnehmer*innen berichten, sie hätten sich auch für andere Verbände interessiert, doch „da war nichts zu erreichen“ (Z. 933). Die Gruppe sei „echt so die erste Adresse, wo dann auch Leute waren und wo man auf Leute getroffen ist (Z. 941/942). Einige Teilnehmer*innen betonen inhaltliche Differenzen zum BUND. Dieser gehe eher „das Praktische, Regionale“ an und betreibe Naturschutz, im Kontrast dazu „macht man bei Greenpeace auch mehr so Politisches und Internationales und versucht auch wirklich, die Meinung der Leute zu ändern und sie zu informieren“ (Z. 946-948). Zudem differenziere der Jugendumweltverband 1 nicht so stark zwischen Jugend- und Erwachsenengruppe, deshalb könne es zu Altersspannen von über fünf Jahren kommen, während sich die Teilnehmer*innen in ihrer Gruppe, unter Gleichaltrigen wohler fühlten (Z. 950-956). Die ausführliche, interaktiv geprägte Darstellung der Wahl der Jugendumweltgruppe ist ein Kontrast zu
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Gruppen, die die Antwort sehr knapp halten bzw. keine (zutreffenden) Informationen zum anderen Verband nicht dokumentieren (Kirsche, Stachelbeere). Anhang 9: Fallbeschreibung Gruppe Tomate Die Gruppe besteht aus drei Mitgliedern eines BUND-Landesjugendverbands. Die Gruppendiskussion findet am Rande eines kleinen Jugendumweltfestivals statt, an dem ich mit meinen Kindern teilnehme. Das Jugendumweltfestival trägt in diesem Jahr den Titel im dem Wortspiel „Solidarisch wirtschaften/Wir(t) schaffen das!“. Das Festival ist von einem ehrenamtlichen Team getragen, es ist kostenfrei bzw. auf Spendenbasis, die Verpflegung wird durch eine vegane Volxsküche zum Mitmachen getragen. Ich habe mich dort mit Mitgliedern der Jugendorganisation 1 zu einer Gruppendiskussion verabredet. Bereits im Vorjahr habe ich an dem Festival teilgenommen und ero-epische Gespräche mit engagierten Jugendlichen derselben Jugendorganisation geführt. An der Gruppendiskussion nehmen 3 Jugendliche teil (2 Tw, 1 Tm), die zwischen 16 und 19 Jahren alt sind (Altersdurchschnitt: 17,3 Jahre). Sie sind seit mindestens drei Jahren im Jugendumweltverband 1 aktiv. Meine Kontaktperson, Tw2, bittet zwei weitere Aktive des Jugendverbands, mit ihr zusammen die Gruppendiskussion zu führen. Die Teilnehmerin Tw1 lädt sie gezielt ein, denn sie sei sehr interessant, da sie trotz jungen Alters schon so lange aktiv sei (seit ca. sechs Jahren). Der Teilnehmer Tm1 gesellt sich spontan dazu. Er zeigt nicht das Selbstverständnis als einer der Hauptverantwortlichen im Jugendverband, sondern als kontinuierlich engagierter Teilnehmer. Er ist, anders als die beiden anderen, nicht Mitglied des Landesvorstands. Die Teilnehmer*innen der Gruppendiskussion sind mir durch Begegnungen auf dem Festivalgelände bekannt. Die Jugendlichen sich zu einem Gespräch am Morgen bereit erklärt, obwohl sie übernächtigt sind. Die Atmosphäre ist von Vertrautheit und Zugehörigkeit geprägt. Die Gruppendiskussion der Gruppe Tomate zeichnet sich durch ein hohes Maß an Selbstläufigkeit aus. Tw1 hat einen besonderen Status zugesprochen, sie ist die Expertin, langjährige Aktivistin und Wortführerin der BUND-Jugend Ba-Wü. Tw2, die ich zuerst fürs Gespräch gefragt hatte, sagte mir, dass wir unbedingt Tw1 mit dabei haben sollten. Ich kannte sie bereits vom Vorjahr. Tm1 hat sich vermutlich wegen Tw1 dazu gesetzt, denn er und Tw2 scheinen sich weniger zu kennen. Tw1 füllt in der Gruppendiskussion die Rolle der Wortführerin aus. Sie spricht am meisten, drückt sich differenziert aus und weiß genau, was sie sagen will. Davon, dass sie Schlafmangel hat, ist ihre Ausdruckskraft nicht beeinträchtigt, an ihrer Heiserkeit merke ich den fehlenden Schlaf. Sie wechselt fließend zwischen Jugend-
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sprache und politischen Fachausdrücken, wägt Argumente ab („einerseits, andererseits“), die anderen stimmen ihr fast immer zu. Man merkt, dass sie Übung in politischen Diskussionen hat, sie tritt selbstsicher auf. Tw2 zeigt sich begeistert und engagiert, sie bewundert Tw1 und will mehr Verantwortung übernehmen. Tm1 ist eher ruhig, folgt dem Gespräch aufmerksam und nickt oft. Er schaltet sich ein, wenn es um erfahrungsbasiertes Wissen geht, das er bei seiner Ortsgruppe des Jugendumweltverbands gesammelt hat, zum Beispiel Planung und Bau der „Givebox“. Nach der Einstiegsfrage und der Darstellung, wie sie zum Umweltfestival gekommen sind, beginnen die Jugendlichen über die aktuelle Situation im Landesverband zu sprechen und warten nicht auf Fragen von mir. Sie besprechen während der Gruppendiskussion auch Orga für den „Wir-habenes-satt-Bus“ und für das kommende Jahrestreffen. Die Gruppendiskussion wird gerahmt von der Deutungsfigur, dass Umweltschutz Gestaltungsraum bedeutet. Das Engagement im Jugendumweltverband ist geprägt durch Verantwortungsübernahme einzelner, die Veränderung anstoßen (Change agents). Die Gruppe versteht sich selbst als solche Change Agents. Bereits bei der Einstiegsfrage positioniert sich Tw1 als „Urgestein“ mit langjähriger Erfahrung im Jugendumweltverband. Sie beschreibt, auf dem „ganz klassische[n] Weg“ (Z. 8/9) zum Jugendumweltfestival gekommen zu sein, nämlich durch „Mund-zu-Mund-Propaganda“ und einige Leute, die sie „hierher geschleift“ haben. Sie selbst bringe auch jedes Jahr neue Leute mit. Auch die anderen beiden Teilnehmer*innen betonen, sie hätten schon länger von dem Festival gewusst und seien von „ein paar Leuten“ eingeladen worden, mit zu kommen. In dieser Darstellung findet sich bereits die Verquickung von Freundeskreis mit dem Jugendumweltverband, der für diese Gruppe (und insgesamt die Gruppen 1) typisch ist. Es zeigt sich auch, dass die Rekrutierung neuer Aktiver über informelle Information und Freundeskreise funktioniert. Der erste Teil der Gruppendiskussion (Z. 22-180) dreht sich um die Strukturen im Landesverband, zu dem die Mitglieder der Gruppe Tomate gehören (Proposition). Diese Passage entsteht selbstläufig. Sie macht das Selbstverständnis der Gruppe deutlich: als Aktivist*innen, die den Landesjugendverband prägen und Verantwortung übernehmen bzw. einen gewissen Überblick über die Strukturen haben. Es wird deutlich, wie stark die Organisationsstrukturen des Jugendverbands der Gruppen 1 auf Verantwortungsübernahme und Engagement der Jugendlichen basieren. Aufhänger für die Passage (Z. 22-34) ist die Frage, wie die Jugendlichen zum Jugendumweltfestival gekommen sind. Daraus entspinnt sich eine Diskussion zwischen Tw1 und Tw2, ab welcher Altersgrenze die Teilnahme am Festival möglich ist. Es wird offensichtlich, dass es keine
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festgeschriebene Altersgrenze gibt, sondern diese von den Jugendlichen interaktiv ausgehandelt wird. Durch die Darstellung von informellen Regeln wird ein konjunktiver Erfahrungsraum abgesteckt, den die Jugendlichen teilen und mit dessen Tiefenstrukturen sie unterschiedlich vertraut sind. Als nächstes thematisieren die Teilnehmer*innen die stetige Veränderung des Jugendverbands. Tw2 konfrontiert Tw1 mit der Einschätzung, Tw2 trauere der „guten alten Zeit“ hinterher, was diese bejaht (Z.35-55) . Das Hinterhertrauern von Tw1 ist als Referenz zu verstehen zum konjunktiven Erfahrungsraum des Landesjugendverbands, der mit positiven Erfahrungen verknüpft ist. Diese Passage ist von einer freundschaftlichen, leicht flapsigen Sprache geprägt, die zeigt, dass Tw2 und Tw1 in einem freundschaftlichen, vertrauensvollen Verhältnis stehen. Die Jugendlichen stellen als wesentliches Merkmal ihres Jugendverbands dar, dass regelmäßige Brüche die Gruppe zu Selbstverantwortung und Neuerfindung zwingen (Elaboration von Verantwortung). Dies konkretisieren die Teilnehmer*innen an der Verantwortungsübernahme für die jährliche Busfahrt zur „Wir haben es satt“-Großdemonstration in Berlin. Der gemeinsame Orientierungsrahmen der Gruppe zeigt sich darin, dass sie nur von „dem Bruch“ sprechen und implizit wissen, um welchen Bruch, in welchem Zeitfenster es sich handelt. Ich habe nachgefragt, wann der Bruch kam (Z. 49). Tw1 beantwortet die Frage und erklärt die Hintergründe (Z. 50-55): Es sei vor vier Jahren gewesen, die bislang prägende „Generation“ sei über 25 Jahre alt geworden, implizit bedeutet das: damit zu alt für den Jugendverband. Tw1 macht damit implizit deutlich, dass sie bereits so lange beim Jugendverband aktiv ist – zu diesem Zeitpunkt hatte sie das offizielle Mindestalter für den Jugendverband von 14 Jahren noch nicht erreicht. Tw1 positioniert sich damit nicht nur als „Urgestein“, sie berichtet auch, dass Erzählungen über „die Alten“ bzw. „Legenden“ über die ehemals Aktiven innerhalb des Jugendverbands weiter gegeben würden. Ihrer Darstellung nach kamen wenig junge Aktive nach. Auf diese Darstellung folgt eine selbstläufige Passage, in der die Jugendlichen strukturelle Gründe für das NichtEngagement erörtern (55-125). Wiederkehrendes Element ist die Reflexion von Organisationsstrukturen sowie die Positionierung als Aktivist*innen, die Verantwortung übernehmen und nach Überblick streben. Die Darstellung von persönlichen Schwierigkeiten bzw. Hürden für das Engagement ist bei Gruppe Tomate ausgeprägt, während die meisten anderen Gruppen (außer Himbeere) persönliche Schwierigkeiten bzw. Konflikte im Kontext ihres Engagements dethematisieren. Die Gruppe geht von der Einschätzung aus, dass weniger junge Aktive in ihrem Jugendverband nachkommen. Den Grund dafür suchen sie im Bildungssystem,
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das wenig Zeit für außerschulisches Engagement lasse. Diese Einschätzung wird anhand der eigenen Erfahrungen konkretisiert. Ein Gegenhorizont zu dieser Darstellung ist die Annahme, dass Nicht-Aktive kein Interesse bzw. keine Motivation zum Engagement haben. Die Darstellung, „die anderen“ seien zu faul oder zu selbstbezogen, um sich zu engagieren, findet sich in mehreren Gruppendiskussionen der Gruppen 2 (Stachelbeere, Erdbeere, Kirsche). Ein möglicher Gegenhorizont ist auch, an der Attraktivität des Angebots durch den Jugendumweltverband zu zweifeln. Die Teilnehmer*innen dieser Gruppendiskussion sind jedoch überzeugt davon, dass das Engagement in ihrem Verband Spaß macht und einen persönlichen Mehrwert hat, den sie im Laufe der Gruppendiskussion entfalten (Freundschaften, Selbstwirksamkeitserfahrung, Persönlichkeitsbildung). Tw1 führt das Thema ein, dass es schwierig sei, sich neben der Schule zu engagieren. Die Lehrer*innen seien gegen außerschulisches Engagement. Es werde „einem halt auch immer von allen möglichen Leuten eingebläut wird: Mach nicht so viel!“ (Z. 58/59). Diese Darstellung konkretisiert Tw1 anhand ihrer eigenen Erfahrungen. Die Entscheidung, sich intensiv zu engagieren, ist demnach mit Widerständen verbunden. Um Verantwortung zu übernehmen, sei es erforderlich, kontinuierlich dabei zu sein. Die Thematisierung von Schwierigkeiten erfolgt innerhalb der Deutung, dass der Jugendverband auf intensiv Engagierte angewiesen ist, die viel Verantwortung übernehmen. Diejenigen Aktivist*innen, die trotz Widerständen stark engagiert ist, werden Teil der Legendenbildung. Tw2 konkretisiert die Bedeutung einzelner Aktiver für die Gruppe, indem sie aufzählt, von welchen Leuten ihre lokale Jugendumweltgruppe „lebt“. Im folgenden (Z. 77-96) gehen Tw1 und Tw2 zahlreiche zur Zeit abwesende Aktive durch und bringen sich auf den neusten Stand, wo diese sich befinden und was sie machen. Tw1 fasst die Problematik zusammen, dass der Landesverband und die Ortsgruppen auf intensiv Engagierte angewiesen sind: „Wir sind halt echt immer nur ein paar Leute“ (Z. 82). Vom Reden über Freunde bzw. Aktive kommt die Gruppe zur Reflexion der Veränderungen im Jugendverband und die Frage der Verantwortungsübernahme (Z. 77-100). Durch den Übergang von Schule zu Studium, Wegzug und Auslandsaufenthalte gebe es immer wieder „einen Bruch“, das habe sie bereits mehrmals erlebt. Auf diese Darstellung fragt Tw2 mit begeistertem Tonfall: „Soll ich doch in den Vorstand kommen?“ (Z. 92), was Tw1 bejaht. Diese Dynamik gibt Aufschluss über Organisationsstrukturen des Landesverbandes: Es ist ein Hereinwachsen in Verantwortung. Jüngere Aktive wachsen nach und nach in Verantwortung hinein. Wenn Verantwortungsträger*innen den Jugendverband verlassen, nehmen Jüngere ihren Platz ein,
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ausgehend von der Überzeugung, dass der Verband vom Engagement einzelner lebt. An dieser Stelle im Diskursverlauf bringt Tw1 die Proposition zu einer Kehrseite der Verantwortung: Das Entstehen von Hierarchien, das sie ablehnt. Bei der Organisation des großen Jahrestreffens gebe es zwar ein OrganisationsTeam, letztendlich werde ihr aber die Verantwortung für die Konzeption überlassen: „Es ist eigentlich nicht meine Idee, dass ich das inhaltliche WorkshopProgramm allein bestimmen darf.“ (Z. 104/105). Tw2 bestätigt, dass sie diese Problematik auch so sieht. Sie stellt die komplementäre Sicht dazu dar: Sie traue sich die Konzeption und Organisation von Workshops und Kongressen nur eingeschränkt zu: „ich mache lang nicht so viel wie du und bin schon manchmal überfordert“ (Z. 106/107). Diese Passage zeigt, welch hohes Maß an Verantwortung und Selbstorganisation im Landesverband der Tomate gefordert ist. Zudem habe auch Tw2 Schwierigkeiten, Schule und Engagement zu verbinden. Der Diskursverlauf nimmt im Folgenden (Z. 133-125) die umgekehrte Richtung: von der Verantwortungsübernahme im Jugendverband zurück zu Freunden: Die Verbindung von Jugendumweltverband und Freunden bzw. Lebenswelt ist ein zentraler Orientierungsrahmen der Gruppe. Tw2 stellt als Einschränkung ihres Engagements dar, dass sie auch Freunde außerhalb des Jugendverbandes, die sogar „ überhaupt gar nichts mit Politik zu tun haben“ (Z. 114/155). In dieser Darstellung wird das Selbstverständnis der Gruppe deutlich: politisch und im Umweltschutz engagiert zu sein ist so selbstverständlich, dass es betont werden muss, wenn andere Leute bzw. Freunde nicht diese Orientierung haben. Tw1 grenzt sich stark von ihrem Herkunftsumfeld ab, indem sie darstellt, dass sie an ihrem Wohnort den Status einer Exotin habe. Dort sei „ Politik ein Fremdwort“ (Z. 118) und Vegetarismus nicht akzeptiert. In Folge dessen habe sich der Freundeskreis hin zu ihrem Engagement verschoben. Das Engagement im Jugendumweltverband löst dieser Darstellung nach die Problematik auf, mit den eigenen Orientierungen im Abseits bzw. in Konfrontation mit dem „Mainstream“ zu stehen. Die Darstellung, dass die Jugendumweltgruppe ein Erfahrungsraum der Zugehörigkeit ist, findet sich auch in anderen Gruppendiskussionen. Auf meine Frage nach Aktivitäten der Gruppe beginnt eine neue Passage (Z.126180). Auch die Darstellung von Aktivitäten verbindet die Gruppe mit der Thematisierung von Organisationsstrukturen: Aktivitäten werden als Eingehen in Strukturen erzählt. Der Gegenhorizont wäre eine Darstellung von Aktivitäten ohne Beschreibung der Strukturen, die sie hervorbringen. Tw1 schildert ihre Aktivistinnen-Karriere der letzten 10 Jahre (ab dem Alter von sieben Jahren) als
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Eingehen in die Strukturen: „dann kam ich in diese ganze [Name des Umweltverbands]-Maschinerie rein“ (Z. 134/135). Die zunehmende Aktivierung läuft demnach über Menschen, die einen mitnehmen und Sicherheit geben, im Gegensatz zu einer Aktivierung über Themen. Tw1 schildert, wie sie zunehmend mehr Verantwortung in Projekten übernommen hat. Dabei elaboriert sie das Thema, dass mit zunehmender Verantwortung auch Hierarchien entstehen, denen der Jugendverband versucht, entgegen zu wirken. Tw1 inszeniert ihr Selbstverständnis und die Forderung nach transparenter Rollenverteilung im Landesverband. In der Darstellung werden zwei Dinge deutlich: Tw1s Bestreben, Organisationsstrukturen transparent zu machen und zu optimieren und ihre Rolle als Wortführerin. 159 „dann hat man dann eher so die Rolle, dass man alle Felder überblickt, und dann so das typische Orga, und die Orgaarbeiten macht, im Sinne von: wir wissen, wo was läuft und machen es nicht selber und gleichzeitig hat der Vorstand natürlich auch die Rolle als Aktiver, wo er in irgendwelchen Sachen halt selber auch aktiv ist, so das macht man dann in der Rolle, weil ich aktiv bin und nicht, weil ich Landesvorstand bin, das muss man ein bisschen trennen, um einfach die Rollen klar zu machen. Weil ich will nicht, wenn ich [das Jahrestreffen] mit organisiere, mache ich das nicht, weil ich im Landesvorstand bin, sondern weil ich [Jahrestreffen]-Orga bin. Das ist eigentlich ein ganz wichtiger Punkt, dass man nicht irgendwie wichtiger ist, weil man im Landesvorstand sitzt, wo wir auch dran arbeiten. Dass man nicht deshalb mehr Verantwortung hat, sondern vielleicht weil ich das zum vierten Mal mache. …. Also klar, wie es gerne wäre und wie es @dann in Realität ist@, das ist eine Diskrepanz.“ (Z. 159-172)
Auf meine Frage, was die Quelle ihrer Motivation ist, beginnt die Gruppe eine neue Passage (Z. 180-235). Die Gruppe verbindet dabei eine Problemdarstellung („unzufrieden mit der Situation“) mit der Erfahrung, dass durch Verantwortungsübernahme und Aktivismus im Jugendverband Veränderung möglich ist. Die Fokussierungsmetapher ist ein Scharnier zwischen der Notwendigkeit zur Veränderung, Handlungsmacht und Selbstwirksamkeitserfahrung. Tw1 stellt ihre Erfahrung so dar, dass es möglich ist, Unzufriedenheit zu überwinden, indem man Verantwortung übernimmt und aktiv für eine Veränderung eintritt. So werde nicht nur Veränderung angestoßen, sondern es wirke sich auch auf die persönliche Zufriedenheit aus: „man ist mit der Situation unzufrieden und möchte was ändern, das habe ich jetzt gut, bei mir (.) übertragen letztendlich auf die Schule, ich bin mit meiner Situation in der Schule unzufrieden, ok, dann ändere ich da dran eben mal was und gebe die Verantwortung nicht
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ab, ich glaube, das ist etwas, was man lernen muss. ...Dann bin ich, sage ich mal, selber für meine Situation verantwortlich und ich glaube, das machen halt sehr wenige. Ohne mich da jetzt irgendwie über andere Leute stellen zu wollen, aber das ist einfach etwas, was ich gelernt habe, jetzt in der Zeit, dass man selber was tun kann und es zwingend notwendig ist und es einem damit vielleicht auch besser geht.“ (Z. 184-195).
Der Jugendumweltverband biete zugleich einen Rahmen „wie eine zweite Familie“, die durch ein „gemeinsames Ziel“ verbunden ist, wo die Jugendlichen mit ihren Wertorientierung akzeptiert werden. Dies wird kontrastiert mit einem Engagement, das „nur wegen der Sache“ sei: „Hier mache ich es zwar auch wegen der Sache, aber ich komme auch gerne her wegen den Leuten her.“ (Z. 200/201). In der Konklusion dieser Fokussierungsmetapher („das man etwas ändern kann und es zwingend notwendig ist und es einem damit vielleicht auch besser geht“ Z. 195) verbindet Tw1 die Erfüllung von Selbstverwirklichung, Streben nach Veränderung und Zugehörigkeit als Motivation für das Engagement im Jugendumweltverband: „einerseits so dieses Bedürfnis, nicht so direkt, aber schon ein bisschen Selbstverwirklichung, ich ändere was, ich präge irgendwas, was eigentlich auch ganz schön ist, aber auch so dieses Sicherheitsbedürfnis mit: „Ja, ich hab da meine Gruppe, wo ich hin kann“.“ (Z. 211-213). Hier deutet sich die Deutungsfigur von Umweltschutz bzw. Umweltengagement als Gestaltungsraum an. Anschließend an diese Passage formuliert Tw2 einen anderen Aspekt zur Frage nach Motivation: Die Orientierung an „Lösungen“ bzw. Utopien. „Ich finde Utopien voll toll. So, wenn man sich so aus, ich liebe es, mit Menschen da zu sitzen und mir auszumalen, wie es sein sollte. Und wie es sein könnte. Ganz fern von der Realität, und dann ganz einfach zu sagen: Ok, ja gut, dann machen wir halt! Machen wir halt!“ (Z. 222-225)
Die zentrale Deutungsfigur besteht in der Kombination von „Ausmalen von Utopien“, konkretisieren und anfangen („Gestaltungsraum“). Gegenhorizonte sind die Dethematisierung von Lösungen, die Orientierung an Dystopien und das Fehlen einer Verbindung zwischen Utopien und eigenem Handeln. Auf diese Aussage von Tw2 folgt eine Selbstironisierung. Die Gruppe bezieht sich auf einen Running Gag, der mir unverständlich bleibt. Es geht um „Rettet die Kokosnuss“ (vermutlich eine Referenz an Monty Pythons satirische Komödie „Ritter der Kokosnuss“) und provoziert Lachen und Durcheinanderreden. Darauf hin frage ich nach einem Beispiel für eine Utopie. Auf meine Frage der Konkretisierung nennt die Gruppe zunächst utopische Entwürfe, dann zunehmend konkrete
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Beispiele, die in Berichten von konkreten Gruppenprojekten münden. Damit schlägt die Gruppe einen Bogen von der Unzufriedenheit, „etwas ändern wollen“ über utopische Lösungsansätze und lokale Projekte bis zur eigenen Handlungspraxis. Die Welt wird als veränderungsoffen dargestellt, die Umsetzung von Utopien als möglich. In der Darstellung von Utopien sind ökologische und soziale Dimensionen aufs Engste verknüpft. Tw2 nennt eine „gelungene Landwirtschaft“ und Ernährungssicherheit „für 12 Milliarden Menschen, was ja durchaus möglich ist“ (237/238), was die Gruppe mit Beiträgen zu gerechter Verteilung bestätigt. Tw1 nennt einen „anderen Umgang miteinander“ und schwenkt von der Ebene der Utopie zu Experimenten im Sinne von utopischen Halbinseln: „was man nicht ganz der Utopie zuordnen kann, aber auch noch nicht ganz der Realität“ (Z. 246). Sämtliche Teilnehmer*innen mischen sich an dieser Stelle ins Gespräch und berichten einander begeistert von Repair Cafés und Umsonst-Ecken, Verschenk-Bücherregalen und „Free Boxes“ in verschiedenen deutschen Städten. Die Gruppe erzählt eine positiv verstärkende Dynamik von lokalen Projekten, die sie motivieren. Tm1 berichtet davon, dass seine Ortsgruppe eine „Free Box“ selbst gebaut hat. Es folgt eine Reflexion und Bewertung dieser Projekte. Diese verwirklichten „ein kleines Stückchen zum Beispiel von der Utopie geldfreier“ und förderten nichtkommerzielle Formen von Konsum. Zudem zeigten sie einen „solidarischeren Umgang miteinander“ (Z. 271-275). An dieser Stelle kommt es zu einer Kontroverse mit einer lebhaften Diskursdynamik (Z. 275-290). Auslöser ist die Formulierung von Tw1, dass ein solidarischer Umgang miteinander immer mehr verloren gehe. 275 „solidarischer Umgang miteinander. Was immer mehr verloren geht, also was [Tw2: So was mag ich nicht. Solche Sprüche: „immer mehr verloren geht“ und (.) das hat irgendwie so den Anschein Tw1: Früher war alles besser? Tw2: Ja! Und das das ist, ich glaube, dass es nie (.) dass es nie irgendwie gut war und nie irgendwie perfekt wird, aber Tw1: Ich glaube, das kann man auf Teilbereiche anwenden, also man darf das nicht so pauschal sagen, und das war wahrscheinlich auch eher weil ich gerade sehr müde bin und einen Spruch gebracht habe. [Tw2: Nein, aber das hört man in dem Zusammenhang wirklich total oft. „Wird immer schlimmer“ oder [Tw1: Also, ich glaube, man muss das differenzieren, aber manche Sachen werden tatsächlich immer schlimmer, aber [Tm1: Dafür werden andere Sachen immer besser. Also
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Tw1: Genau. Deshalb meinte ich auch, man muss das differenzieren. Tw2: Genau.“ (Z. 275-290).
Die Gruppenmitglieder stellen sich so dar, dass sie Wert legen auf eine differenzierte Darstellung und wenden sich gegen Schwarz-Weiß-Denken. Das ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die Schwarz-Weiß-Denken in keiner Weise problematisieren (Paprika, G1N, teils Gurke). Die Gruppe kommt zur Konklusion (270-290), dass die Förderung von Projekten bzw. Praxisformen wie Give Box als utopische Realexperimente hilfreich ist, weil sie Utopien lebensweltlich umsetzen. Auch hier verknüpft die Gruppe soziale und ökologische Dimensionen von Nachhaltigkeit implizit (bzw. trennt nicht). Sie konkretisieren Projekten bzw. füllen sie mit erfahrungsbasiertem Wissen (Give Box). Im folgenden reflektieren sie den Einfluss von sozial-ökologischen Praktiken auf der Metaebene und äußern sich gespannt auf zukünftige Entwicklungen und Trends (301-315). Die Gruppe geht von einem Trend mit positiver Bewertung aus: „Öko“ verbreite sich. Kontrast zu Kirsche, die auch über Öko-Trend sprechen, aber mit negativer Bewertung, im Kontext von Greenwashing und Sorge über Abflauen des Trends. Mit meiner Nachfrage zur Bedeutung von Umweltschutz beginnt eine neue Passage (Z. 315-366). Die Gruppe gliedert Umweltschutz in verschiedene Bereiche und verhandelt interaktiv, welche Felder zu Umweltschutz gezählt werden. Die Diskursorganisation ist von einer strukturierten Darstellung geprägt, die Hinweise darauf gibt, dass die Gruppe Erfahrung mit Öffentlichkeitskommunikation hat. Eingebettet wird die Darstellung in die Deutungsfigur von Umweltschutz als Gestaltungsraum. Den Auftakt macht ein Zitat aus der Satzung des Jugendverbands, das Umweltschutz als die Erhaltung „von menschlichem und anderem Leben in einer intakten Umwelt“ definiert. Es handelt sich um einen an Gestaltungsräumen ausgerichteten Umweltschutz, während andere Gruppen als Gegenhorizont Umweltschutz als Protest gegen Missstände und Zerstörung verstehen. Es gebe die Möglichkeit, Aktivitäten zu Unterthemen von Umweltschutz nach persönlichen Interessen zu wählen, womit die Deutung von Umweltschutz als Gestaltungsraum elaboriert ist. Ein Gegenhorizont ist die Annahme, dass Umweltschutz ein festgelegtes, normativ erforderliches Handlungsfeld umfasst. Die Gruppe verhandelt, ob Tier- und Menschenrechte Teil von Umweltschutz sind und wie sich dies argumentativ begründen lässt, z.B. ob die Arbeit von Amnesty International in die Randbereiche von Umweltschutz falle (Z. 340-360). Dies stellt einen Gegenhorizont dar zu Gruppe Himbeere, die zwischen Umweltschutz und Sozialem trennt. Amnesty International dient dort als Abgrenzungsfolie zu Umweltschutzhandeln. Dabei benennen beide Gruppen
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in diesem Kontext die gleiche Devise: „Nicht die Natur braucht uns, … sondern wir brauchen die Natur“ (Z. 385/386).1 Die Teilnehmer*innen leiten daraus die Notwendigkeit für einen Paradigmenwechsel im Umweltschutz ab im Sinne von präventivem Umweltschutz (s.u. „an unsere Nachkommen denken“, Z. 385-395). Die Gruppe Tomate betont, dass sie Umweltschutz wegen der Menschen machen (Z. 346), ein Kontrast zu mehreren Gruppen 2, die Tier- und Pflanzenschutz bevorzugen. In der nächsten Passage (Z. 368-598) geht es um Klimawandel. Auf meine Frage, was sie über Klimawandel denken, reagieren die Teilnehmer*innen zunächst unsicher. Sie thematisieren kurz unsicheres Wissen zur Ausformung von Klimawandel und wenden sich dann der Verantwortung für Klimaschutzhandeln zu. Ihre Perspektive auf Klimawandel entspricht der Deutungsfigur „Umweltschutz als Gestaltungsraum“, denn sie stellen Klimawandel „sehr präsentes Etwas“ dar, bei dem ist „man sehr viele Ansatzstellen hat und er definitiv kommt, und man halt gucken muss, wie man damit umgehen möchte und umgehen kann und umgehen will“ (Z. 382-384). Der Ansatz, über den Umgang mit Klimawandel zu verhandeln und aktiv zu gestalten, passt zur Handlungspraxis der Gruppe Tomate. Analog zur o.g. Verantwortungsübernahme im Jugendumweltverband elaboriert die Gruppe Verantwortung für Klimawandel in Abgrenzung zu einer Mentalität des „in den Tag Lebens“. Klimawandel erfordere ein neues Umweltschutzkonzept, dass Verantwortung für zukünftige Generationen mitdenke. Diese Darstellung verbindet die Gruppe einer Reflexion zur Umweltbewegung und mit einem Bezug zu ihrer Altersgruppe: „Wir sind jetzt die Generation, die die Folgen auch schon echt krass mitbekommen wird.“ (Z. 395/396). Die Gruppe elaboriert weiter das Thema Verantwortung. Sie beziehen sich dabei auf die politische Ebene internationaler (Klima-)Politik und den G-7-Gipfel, der gleichzeitig stattfindet (Juni 2015 in Deutschland). Die Verantwortung von deutscher Politik und Klimaschutzhandeln versteht die Gruppe implizit als kollektive Verantwortung, sie sprechen von „wir“ bzw. „wir hier in Deutschland“. Sie wenden sich gegen ein „staatentechnisches“ Vorgehen und plädieren für internationale bzw. europäische Klima- und Umweltschutzmaßnahmen. Das Selbstverständnis der Gruppe entspricht der Devis „global denken, lokal handeln“. Sie berichten, dass innerhalb ihres Jugendumweltverbands eine internationale Vernetzung bereits stattfindet, so dass „Klimaschutz über die Grenzen rausgeht“ (Z. 484). Vom globalen Klimaschutz kommen die Jugendlichen zur Proposition einer weiteren Sinnfigur, die zu „Umweltschutz als Gestaltungsraum“ gehört, der aktiven Partizipation und des Kontakts zu anderen Lebenswelten. Sie positionie-
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ren sich gegen die Abwendung von Politischen und der Abschottung in einer „Parallelwelt“. „Ein bisschen Parallelwelt, um sich zu erholen … ist … ganz nett“, aber „man muss, man kann nur etwas an einem System ändern, wenn man darin involviert ist“ (Z. 489-492). An dieser Stelle gibt es eine hohe interaktive Dichte und Zuspruch. Eine „patentierte Lösung“ gebe es nicht. Spannung halten zwischen auftanken in Öko-Nische und involviert sein in globale Themen/Umweltkonflikte. Gegenhorizont: Kontrast zu BUND Hessen, die nur vom Auftanken sprechen, Klimawandel ist ihnen zu abstrakt/kompliziert. Ähnlich: Paprika. Angedockt sein an „normale Welt“: auch Gurke. Es gibt mehrere Gruppen, die auch von verschiedenen Ansatzpunkten sprechen. Achtung: bloße Aufzählung bedeutet nicht Pluralismus! JAG Berlin nennt auch mehrere Ansätze, die gehören jedoch alle zum Kampf gegen das Kartell der Bösen (Konzerne, Politik, Lobby) wichtiger Punkt. Die nächste Passage erfolgt selbstläufig nach einer kurzen Störung durch eine Megaphon-Durchsage. Die Teilnehmer*innen reflektieren ihre Erfahrungen als Umweltaktivist*innen und stellen ihre Rolle nach ‚Nachwuchsaktivist*innen‘ in den Kontext der Umweltbewegung. Tw1, die sich ausführlich mit „politische[r] Partizipation junger Menschen“ auseinander gesetzt hat, stellt dar, dass sich „die Möglichkeiten der Beteiligung ändern“ (Z. 507). Zwischen globaler Vernetzung im Internet und lokalen Gruppen mit gemeinsamem Erfahrungshintergrund gehe es darum, Strategien zu verknüpfen: öffentliche Präsenz durch „auf die Straße gehen“, Internet-Petitionen und Experimentieren mit alternativen Lebensstilen. In der Reflexion über Strategien für eine schlagfertige Umweltbewegung zeigt sich das Selbstverständnis der Gruppe als aktive, politische Gestalter*innen, die global denken und lokal handeln. Auf der Ebene der Diskursorganisation baut Tw1 durch ihre Reflexionen ihre Führungsrolle weiter aus. In der folgenden Passage diskutiert die Gruppe die Veränderung der Strukturen und Organisationsverantwortung im Landesverband nach dem zukünftigen Ausscheiden von Tw1 und einem anderen Aktiven. Die Gruppe elaboriert die stete Veränderung von Organisationsstrukturen und die Bedeutung des Engagements intensiv Engagierter. Die Gruppe werde „Weitermachen. Und uns neu erfinden, so wie immer.“ (Z. 513). Auch hier zeigt sich, wie durch das Ausscheiden von Aktiven die Organisationsverantwortung informell übergeben wird. Tw2 möchte mehrere Organisationsaufgaben übernehmen, Tw1 informiert über Abläufe, gibt Tipps und betont die Relevanz davon, Organisationswissen weiter zu geben: ,„Wir unterhalten uns da irgendwann vorher [vor der thematisierten Aktion] . Und das ist ja genau das Ding, dass man die Sachen weiter geben muss.“ (Z. 548/549).
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Dies entspricht dem Selbstverständnis der Gruppe, nicht-hierarchisch zu gestalten. In der abschließenden Passage (Z. 556-589) reflektiert die Gruppe ihre lokalen Gruppenstrukturen mit dem Fokus auf den Umgang mit Verantwortung für Organisationsstrukturen und der Offenheit für Neue. Dies passt zu den Deutungsfiguren des Gestaltens und „Connections“ behalten zu anderen Lebenswelten. Tw2 reflektiert die Besonderheiten ihrer Ortgruppe in einer süddeutschen Kleinstadt im Kontrast zum Selbstverständnis der Aktiven im Landesverband. Während die Aktiven der Landesjugend „mehr politisches Selbstverständnis haben“, seien in der Ortsgruppe viele, die „nicht unbedingt in dieses Öko-Bild reinpassen … die finden es halt irgendwie cool und machen mit“ (Z. 559-562). Die Gruppe betont die Wichtigkeit verschiedener Ebenen: Auf der Ebene des Landesverband eher die politische Arbeit mit Gleichgesinnten, und die Offenheit für Neue, die nicht aus dem Öko-Milieu stammen, in der lokalen Jugendgruppe. „Es hat keinen Sinn, eine Parallelwelt aufzuziehen, ohne jetzt die Connections zu anderen zu ziehen, sofern man vorhat, daran was zu ändern (Z. 567-569) ist die Fokussierungsmetapher und fungiert als Konklusion dieser Deutungsfigur. Abschließend begeistert sich die Gruppe für die Vision eines bunten „Cafés Kunterbunt“. Offenheit/sich nicht abschotten einerseits, Gleichgesinnte andererseits. Diese Orientierung könnte ganz wichtig sein für das Gesamtverständnis: Gruppe gestaltet mehrere Ebenen: Gleichgesinnte, sehr politisch, und Offenheit/Nicht-Abschotten. Kontrast zu Obst-Gruppen, aber auch zu Kürbis. Anhang 10: Fallbeschreibung Gruppe Gurke Die Gruppendiskussion fand im Rahmen eines Jugendumweltfestivals statt. Eine Besonderheit dieser Gruppe ist, dass die Teilnehmer*innen zwei verschiedenen Jugendumweltverbänden angehören. Die Jugendumweltverbände 1 und Y arbeiten in diesem Bundesland so eng zusammen, dass sich die Teilnehmer*innen bei Veranstaltungen stark überschneiden bzw. die Mitglieder auch teilweise Verantwortung übernehmen bei Veranstaltungen des jeweils anderen Jugendumweltverbands. Das Jugendumweltfestival, auf dem wir uns treffen, wird vom Jugendverband Y ausgerichtet. An der Gruppendiskussion nehmen drei Teilnehmer*innen (2 Tm, 1 Tw) teil. Sie sind zwischen 16 und 21 Jahren alt (Altersdurchnitt: 18,3 Jahre). Davon ist ein Mitglied im Jugendverband Y und zwei Mitglieder des Jugendverbands 1. Alle drei sind seit über zwei Jahren in einem Umweltschutzverband aktiv.
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Das Setting der Gruppendiskussion wirkt sich deutlich auf die Diskussion und mein Verhältnis zu den Interviewten aus, deshalb lege ich es zur Transparenz offen. Meine Kontaktperson ist Tm1, ich habe ihn bereits im Vorjahr auf dem Jugendumweltfestival kennengelernt und Kontakt mit ihm gehalten. Er erklärt sich bereit, zwei weitere Teilnehmer*innen für die Gruppendiskussion zu suchen. Die beiden anderen Teilnehmer*innen kenne ich auch bereits aus dem Vorjahr, wo ich im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung gemeinsam mit ihnen Workshops besucht habe. Die drei Teilnehmer*innen kennen sich über Aktivitäten der Jugendumweltverbände im süddeutschen Raum. Sie sind aber keine feste Gruppe. Dennoch eignet sich die Gruppe für eine Gruppendiskussion, denn sie haben einen gemeinsamen Erfahrungsraum im Kontext der Jugendumweltverbände. Wie sich im Verlauf der Gruppendiskussion zeigt, verfügen sie über die gleichen Deutungsfiguren und Sinnhorizonte. Die Teilnehmer*innen verstehen das Setting eher als Gruppeninterview. Die Gruppe hat keine Streitthemen und wenig Kontroversen, sie hören einander interessiert zu und ergänzen einander. Da es sich nicht um eine Gruppe handelt, die regelmäßig miteinander diskutiert, entsteht erst nach einer Weile eine selbstläufige Diskussion, nachdem ich die Teilnehmer*innen ausdrücklich eingeladen habe, sich ins Gespräch einzuhaken. Eine Dynamik entsteht beim Thema Klimawandel und Klimaschutz. Das Jugendumweltfestival trägt in diesem Jahr den Titel im dem Wortspiel „Solidarisch wirtschaften/Wir(t) schaffen das!“. Das Festival auf einem „Naturcampingplatz“ ist von einem ehrenamtlichen Team des Landesjugendverbands Y getragen, es ist kostenfrei bzw. auf Spendenbasis, die Verpflegung wird durch eine vegane Volxsküche zum Mitmachen getragen. Tm2 gehört zum Organisationsteam des Festivals. Die Teilnehmenden haben mich über zwei Festivals häufig gesehen und ordnen mich als zugehörig zur Subkultur der „Öko-Szene“ ein. Dieser Eindruck wird verstärkt dadurch, dass ich mit meinen drei Kindern auf dem Festivalgelände zelte. Die Gruppendiskussion findet auf dem Festivalgelände statt, teilweise in Anwesenheit meines vierjährigen Kindes. Damit ist ein gemeinsamer Sinnhorizont von Engagement im Kontext von Umweltschutz sowie Zugehörigkeit zum Öko-Milieu vorab festgelegt. Dadurch, dass es sich nicht um eine feste Gruppe mit regelmäßigen Treffen handelt, berichten sie nicht von Gruppenaktivitäten. Sie verfügen jedoch über eine gemeinsame Handlungspraxis, entsprechend ihrer Rahmenorientierung von „Umweltschutz als Durchdringung der Lebenswelt“. Da sie keine Gruppe und auch nicht ein und denselben Verband repräsentieren, zeichnen sie sich durch weniger Sendungsbewusstsein in Bezug auf ihre Verbandsaktivitäten aus. Dies ist ein Gegenhorizont zu den Mitgliedern der Gruppe Tomate, die im gleichen
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Setting befragt wurden, jedoch als Vertreter*innen des BUND-Jugendverbands antworten und ein Sendungsbewusstsein als change agents dokumentieren. Zwei Merkmale charakterisiert die Gruppendiskussion von Gruppe Gurke: erstens verbinden die Teilnehmenden Umweltschutz mit ihrem eigenen Alltag bzw. der Lebenswelt und zweitens stellen sie dar, wie sich durch das Engagement von einem Fokus auf Probleme zu einem Fokus auf Lösungen kommen. Implizit geht die Gruppe von der Deutung aus, dass andere Menschen sich möglicherweise auch für sozial-ökologische Themen interessieren würden, wenn sie an den positiv konnotierten Erfahrungsraum andocken würden, von dem aus die Gruppe berichtet. Dies wird deutlich an der Darstellung im Diskursverlauf: die eigene Aktivierung erfolgte demnach über Freunde und Familienmitglieder, die „begeistert berichten“ bzw. sie „zum Glück reingezogen“ haben. Als Scharnier zwischen Problemen und Lösungen fungiert die Erzählung der eigenen Erfahrung, dass „man selbst zufriedener“ werde, wenn man von „Problemen sehen“ zu „Lösungen kennen“ kommt. Bei der Vorstellungsrunde (Z.1-18) berichten zwei Teilnehmende, über Freund*innen bzw. Klassenkamerad*innen zum Jugendumweltfestival gekommen zu sein. Tw1 berichtet, dass ihre Schwester „ sobald ich alt genug war, hat sie mich dann mitgenommen und hat mich da @reingezogen@, zum Glück“ (Z. 9/10). Bemerkenswert ist, dass Tm1 berichtet, dass bereits sein erstes Festival von Verantwortungsübernahme und aktiver Gestaltung geprägt war. Bereits vor der ersten Teilnahme am Jugendumweltfestival sei er dem „Orga-Team“ beigetreten, motiviert durch eine Freundin, die „mir halt immer begeistert davon erzählt [hat]“ (Z.12). Er ist zum dritten Mal beim Festival dabei, die anderen beiden zum zweiten Mal. Die nächste Passage dreht sich um das Jugendumweltfestival und die Bedeutung seines Titels als „Aufstand“ (20-32). Auf meine Frage, warum das Jugendumweltfestival ihrer Meinung nach „Aufstand“ heiße, beginnt die Gruppe eine Erörtung von globalen Problemstellungen und Lösungsansätzen. Dabei verbindet sie soziale und ökologische Themen immer wieder. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die ökologische und soziale Themen explizit trennen (s. Himbeere). Die Passage beginnt mit der Proposition der Deutungsfigur „von Problemen zu Lösungen“, hier angedeutet mit „aktuelle(n) Problematiken … gehen … in eine komplett andere Richtung“ . Es gäbe „ganz viele Vorträge zu (.) sozial und ökologisch relevanten Themen hier“ (Z. 22), auf dem Festival
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„setzt [man] sich ja auch kritisch mit ähm aktuellen Problematiken in Gesellschaft und Politik auseinander, und die gehen halt oft in eine komplett andere Richtung, als das, was derzeit auch praktiziert wird (.) in der Welt.“ (Z. 24-26); „Ja, es sind ja schon immer so revolutionäre Gedanken, die halt schon darauf aufmerksam machen, was eben nicht funktioniert in der Welt. Und dadurch auch ein bisschen so ein Aufstand.“ (Z. 27/28).
Diese Darstellung zeigt implizit, dass die Jugendlichen sein Selbstverständnis als „kritisch“ und politisch haben. Die selbstverständliche Positionierung als politisch findet sich ebenso bei Gruppe Tomate und Hauptstadt, ein Gegenhorizont zu Gruppen, die eine große Distanz zu „Politik“ bzw. „Poliker*innen“ haben (z.B. Stachelbeere, Kirsche, Kürbis). Die Teilnehmer*innen sprechen von radikalen Gegenentwürfen zum Status Quo („in eine komplett andere Richtung“) und „revolutionäre Gedanken“. Dies bezieht sich implizit aber nicht auf einen „Systemwechsel“ (Kirsche) oder „Kampf gegen den Kapitalismus“ (Erdbeere), sondern auf die Kenntnis von sozial-ökologischen Problemstellungen und Lösungsansätzen, denen die Teilnehmer*innen revolutionäres Potential zusprechen. Tw1 richtet den Fokus zunächst auf eine Problemsicht, auf das, „was eben nicht funktioniert in der Welt“ (Z. 28). Auf meine Rückfrage, was nicht funktioniere, bleibt die Teilnehmerin zunächst auf der Ebene der Workshops beim Festival: „gerade im ökologischen Bereich, da gibt es ja so viele Themen. Ähm die ganzen Workshops sind ja so vielseitig. Ähm, klar halt, Klimawandel, immer wieder dabei.“ (Z. 32). Mit der selbstläufigen Nennung von Klimawandel als wesentliche Problematik – zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Diskursverlauf – markiert die Gruppe, dass sie Klimawandel eine zentrale Bedeutung zuschreiben. Dies ist außerdem bei den Gruppen Paprika, Himbeere und Erdbeere der Fall. Ein Gegenhorizont ist, Klimawandel erst auf meine Nachfrage zu thematisieren. Tm2 elaboriert die Darstellung von „was nicht funktioniert in der Welt“. Er formuliert eine globale Problemstellung, in deren Zentrum die Verantwortung „des Menschen“ für nicht nachhaltiges Handeln steht: „dass der Mensch einfach über seine Verhältnisse lebt und seine Lebensgrundlage zerstört in dem er halt die Natur ausbeutet, und ähm irgendwann, wenn es so weiter läuft, eben keine Lebensgrundlage mehr da ist für die Menschen, und dass einfach sozial Schwächere oder allgemein Menschen mit weniger Bildung oder weniger Geld in der Gesellschaft stark benachteiligt werden.“ Diese Darstellung enthält zweierlei: erstens eine Pauschalbewertung über das Handeln „des Menschen“ (im Singular), die sich sowohl auf ökologische, als auch soziale Missstände bezieht bzw. diese verbindet. Zweitens nimmt sie implizit Bezug auf den zum Diskurs um Nachhaltige Entwicklung, planetarische Grenzen und den ökologischen Fußabdruck, die in den Begriffen
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„über seine Verhältnisse“, „Lebensgrundlage zerstört“, „ausbeutet“, „irgendwann … keine Lebensgrundlage mehr da ist“ angedeutet werden. Die Kombination aus alltagssprachlicher, flapsiger Simplifizierung und Bezug zu wissenschaftlichen Diskursen ist charakteristisch für die Darstellungen von Tm2. Im Kontext von einer lockeren Diskussion auf dem Aufstand spricht er nicht wissenschaftliche Sprache, sondern eher vereinfachende Sprache, die auch für die nicht-wissenschaftlich orientierte Aktivist*innen gut verständlich ist. Gegenhorizonte sind stark pauschalisierende Darstellungen wie „sowieso fast schon zu spät“ (Kirsche), ebenso wie eine akademische Sprache (bei Paprika). In Bezug auf die Verbindung von ökologischen und sozialen Dimensionen ist ein Gegenhorizont eine starke Trennung der Sphären. Im anschließenden Satz stellt Tm2 dar, man bekomme auf dem Jugendumweltfestival „ein Gefühl dafür vermittelt“ (Z. 39). Ich frage nach, was es bedeutet, „das Gefühl vermittelt“ (Z.40) zu bekommen. Implizit steckt da m.E. drin, dass es eben nicht nur reine Sachinformationen sind, sondern ein konjunktiver Rahmen, in dem die Problematiken nicht deprimierend oder radikalisierend wirken (wie bei anderen JAGs), sondern zur Ausrichtung an einem Engagement in konkreten lokalen Projekten führen. Wenn ich davon ausgehe, dass der Rahmen des Lernraums stärker prägt als die Sachinhalte, was sagt das dann aus? Dass das Setting („Wir schaffen das“) mit der Lösungsorientierung/Gestalten stark verbunden ist. Die Gruppe beantwortet die Frage damit, dass sie neue Wissensbestände generieren im Sinne von „Hintergrundwissen“ (Z.52). Sie expliziert nicht, was mit „ein Gefühl dafür“ bekommen gemeint ist. Es ist davon auszugehen, dass das Wissen um das Setting des Lernraums für sie so selbstverständlich ist, dass es implizit bleibt. Tm2 führt aus, wie das Erlangen neuer Wissensbestände funktioniert: „nach und nach versteht man dann Zusammenhänge und möchte etwas verändern, und bekommt auch so den inneren Drang, etwas zu tun, sich selbst zu engagieren, und zu versuchen, nicht nach diesem Prinzip zu leben, dass die Erde und die Menschen so ruiniert“ (Z. 43-47). Das Verstehen ist demnach gekoppelt mit der intrinsischen Motivation zu handeln und seinen Lebensstil bzw. seine Handlungen an einem konstrastierenden „Prinzip“ auszurichten. An dieser Stelle expliziert die Gruppe noch nicht, welche Konsequenzen die neuen Wissenbestände für ihren Lebensstil bzw. ihre Handlungen hat und welche Ebenen damit gemeint sind. Die Elaboration erfolgt in der folgenden Passage. Mit „die Erde und die Menschen“ erfolgt erneut die Kopplung der ökologischen und sozialen Sphäre. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die ihr Umweltschutzinteresse
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auf „Tiere und Pflanzen“ fokussieren (so der Wortlaut bei Stachelbeere und Erdbeere). Tw1 führt weiter, dass das Jugendumweltfestival „inspirierende Gedanken“ und „Hintergrundwissen“ liefert. Anstatt nur zu wissen, „das Thema ist nicht gut oder Fracking ist nicht gut“, sei es hilfreich zu wissen, „warum ist das nicht gut?“ (Z. 48-52). Dies ermögliche es, in Diskussionen „mit anderen Leuten … Argumente ein[zu]bringen“. Das Interesse, zu Themen, zu denen die Jugendlichen bereits klar positioniert sind, auf der Ebene von Fachwissen zu durchdringen (vgl. Paprika, Kontroverse Himbeere), bietet einen Gegenhorizont zu Gruppen, die den Fokus auf bewerten und bekämpfen legen, ohne Interesse für die Wissensbestände, die hinter ihren Urteilen liegen (Kirsche, Stachelbeere). Das ist ein wichtiger Punkt für die komparative Analyse. Auch wie die Gruppe „andere(n) Leuten“ darstellt, ist ein Gegenhorizont zu anderen Gruppen. Wie im folgenden Abschnitt elaboriert wird, findet die Gruppe es selbstverständlich, Diskussionen mit „anderen Leuten“ bzw. „Menschen im normalen Umfeld“ zu führen. Die „Leute“ werden nicht näher spezifiziert, aber auch nicht als Abgrenzungsfolie genutzt oder abgewertet, wie das bei anderen Gruppen der Fall ist (Abgrenzung: Kürbis, Abgrenzung + Abwertung: Kirsche, Stachelbeere, Erdbeere). Die Formulierung „normales Umfeld“ verweist darauf, dass Auf meine Nachfrage, inwiefern die Gruppe die neuen Informationen nach dem Festival weiter verwertet (Z. 54/55), antworten alle drei Jugendlichen bejahend: „Natürlich.“ (Z. 57) Ihre Rolle als Multiplikator*innen finden sie selbstverständlich. Tm1 führt aus, welche Schwierigkeiten sich ergeben, wenn er versucht, andere „aufklären“. Eine vergleichbare Darstellung findet sich bei anderen Gruppen. Während andere Gruppen die Praxis des Informierens mit normativer Notwendigkeit begründen („was richtig und was falsch ist“, Kirsche), stellt Tm1 den Bezug zu seiner eigenen Aktivierung für den Umweltschutz dar: „irgendwo hat es ja auch bei uns angefangen“. Damit elaboriert er den Orientierungsrahmen der Gruppe „von Problemen zu Lösungen kommen“, hier beschreiben als „von Informationen zu Handlungsbedarf kommen“. Diese Darstellung ist als erfahrungsbasiertes Wissen gerahmt. Z. 58 ich versuche in meinem normalen Umfeld, also die Menschen, die ich in meinem Leben so treffe, äh auch ein bisschen aufzuklären, was aber relativ schwierig ist, weil die da meistens nicht so offen sind. Die Menschen, die schon von alleine aus zu so einem Ort kommen, wo sie Informationen darüber erhalten, ja und, man versucht trotzdem, sein Bestes zu geben und die ein bisschen (.) zu informieren und denen einfach auch Informa-
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tionen zu geben, so dass sie vielleicht auch irgendwann mal zu irgendeinem Handlungsbedarf kommen. Weil irgendwo hat es ja auch bei uns angefangen. (Z. 58-65)
Bemerkenswert ist – im Kontrast zur Darstellung anderer Gruppen – die Darstellung der „anderen“. Indem Tm2 von „normalem Umfeld“ spricht, normalisiert er die Orientierung der „anderen“, die sich nicht für die Informationen interessierten. Dass es sich bei den Informationen um Wissensbestände zu sozialökologischen Problemstellungen bzw. Umweltschutzstrategien handelt, geht hervor aus dem Bezug von „Informationen“ zu „sozial und ökologisch relevanten Themen“, die beim Jugendumweltfestival erarbeitet werden. (Z. 22) Tm2 bewegt sich in seinem „normalen Umfeld, also [den] Menschen, die ich in meinem Leben so treffe“ (Z. 58/59), seiner Selbstdarstellung nach, eher nicht innerhalb der „Öko-Blase“, in der sich andere Jugendgruppen explizit und implizit situieren (Stachelbeere, Erdbeere, „Öko-Blase“ ist eine Selbstbeschreibung aus Stachelbeere). Nachdem eine Pause (5 sek) im Gesprächsverlauf entsteht, frage ich nach: „Wo hat es denn angefangen?“ (67). Damit beginnt eine neue Passage (63-91), in der die Gruppe ihren zentralen Orientierungsrahmen „durch Engagement von Problemen zu Lösungen kommen“ elaboriert. Tm2 stellt zunächst dar, wie sich seine Perspektive durch die Erfahrungen im konjunktiven Erfahrungsraum verändert haben. Er sagt nicht explizit, dass es sich um den Erfahrungsraum der Jugendumweltverbände handelt, dies ergibt sich jedoch aus dem impliziten Sinngehalt und macht deutlich, welche zentrale Rolle dieser Erfahrungsraum für die Teilnehmer*innen hat. Eine vergleichbare Darstellung einer „Aktivist*innen-Karriere“ gibt es bei der Gruppe Tomate. Diese bildet einen Gegenhorizont dadurch, dass die Strukturen des Jugendverbandes 1 eine wesentliche Rolle einnehmen. Die hier vorliegenden Darstellung beginnt nicht mit dem Eintritt in einen Jugendumweltverband. Wesentlich ist hier die Elaboration des Orientierungsrahmens „von Problemen zu Lösungen kommen“, deshalb berichtet Tm2 ab dem Zeitpunkt, an dem er „Probleme kannte“. Dabei beschreibt er die Entwicklung von einer Phase der Unzufriedenheit über die Auseinandersetzung mit Ideologien hin zur Entwicklung von alltagspraktischen Lösungen, mit der Zufriedenheit und Handlungsfähigkeit einhergehen. Eine wesentliche Rolle spielt in dieser Darstellung, „mit anderen Menschen zusammen (zu) kommen“, denn „ erst dann“ würden sich „gute“, umsetzbare Ideen entwickeln. Wirkungsvolle Ideen und Strategien werden demnach im konjunktiven Lernraum gemeinsam entwickelt. Die Darstellung, dass die Jugendlichen selbst innovative Konzepte und Strategien entwickeln und diese umsetzen, ist ein Gegenhorizont. Erstens zu Gruppen, die dem konjunktiven Erfahrungsraum der Jugendgruppe keine Lernfunktion zuschrei-
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ben, zweitens zu Gruppen, die „Lösungen“ oder „Ideen“ gar nicht thematisieren (Stachelbeere, Kontroverse in Erdbeere) und drittens zu Gruppen, die die Entwicklung von innovativen Lösungen anderen zuschreiben (Kirsche). 68 Also bei mir, das ist schon eine ganze Weile her [Tm2 ist Anfang 20]. Ich war schon relativ früh unzufrieden, wie ungerecht Menschen behandelt wurden, und früher kannte ich irgendwie nur Probleme, und (.) ja, habe mich dann mit irgendwelchen Ideologien auseinander gesetzt, die halt irgendwie etwas komplett anderes sind, wie Kommunismus oder so. Ähm aber man merkt dann auch mit der Zeit, dass es nicht ganz so einfach ist, einfach eine andere Ideologie auf den Tisch zu legen: so machen wir das, ähm und man sieht dann halt die Probleme, aber man kennt von sich aus noch nicht so wirklich Lösungen. Man hat vielleicht so ein paar Ideen, aber man (.) kennt halt nicht wirklich Lösungen. Und erst dann, wenn man dann mit anderen Menschen zusammen kommt, entwickeln sich auch wirklich äh gute Ideen, wie man Sachen besser machen kann, und man kann diese Lösungen dann auch für sich in seinem Leben verwirklichen, und wird dann auch irgendwie mit sich selbst zufriedener, weil man (.) nicht nur Probleme sieht, sondern auch weiß, was man tun kann. Man fühlt sich nicht mehr dann so hilflos. (Z. 68-79)
In dieser Darstellung finden sich weitere Gegenhorizonte. Gegenhorizont: Kritik an Ideologien, Ausrichtung von Lösungen an Strategien, die anschlussfähig sind an die eigene Lebenswelt (Kontrast zu „großflächig etwas ändern“, Erdbeere), Thematisierung einer Entwicklung innerhalb des Engagements, erfahrungsbasiertes Wissen: Zufriedenheit, Handlungsfähigkeit (ähnlich bei Tomate, kontrastierend Stachelbeere, Kirsche). Die anderen Teilnehmer*innen stimmen dem zu, nachdem ich sie eingeladen habe, „ein[zu]haken, wenn euch dazu etwas einfällt“ (80/81). Sie elaborieren die zentrale Metapher, das Scharnier zwischen Problem und Lösung. Tw1, die fünf Jahre jünger ist als Tm2, nimmt dabei die Position einer Aktivistin ein, die (noch) beim Fokus auf „Probleme“ ist und kaum weiß, welche „Lösungen“ sie vorantreiben könnte: „Ja, ich finde halt auch, man sieht immer nur die Probleme, aber man ist irgendwie so (.), man weiß gar nicht, wie man es irgendwie selber anders lösen könnte.“ (Z. 82/83). Tm1 schließt sich dem an, indem er die Problematik des Sehens von Problemen anschließt: Wenn, dann müsste es ja auch relativ radikal vonstatten gehen, (.) so für viele Sachen. Jetzt [Tw1: Ja. Mit der Erderwärmung und solchen Sachen. (Z. 84-86)
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„Lösungen“ - implizit bezogen auf die zuvor thematisierten sozial-ökologischen Problemstellungen – müssten radikal „vonstatten gehen“. In der Formulierung „vonstatten gehen“ steckt die Idee einer Eigendynamik der Lösungen, im Kontrast zu einer durch Akteur*innen herbeigeführten Veränderung, wie sie als Gegenhorizont von anderen Gruppen dargestellt wird. Tw1 ergänzt: „Und meistens sind das dann ja so kleine Sachen, die sich dann aufsummieren, um irgendwie ein Problem zu lösen. Und nicht irgendwie so ein Konzept, das perfekt ist.“ (87/88) Diese Darstellung unterstreicht, dass die Gruppe – trotz der Deutung, dass „Probleme“ radikale „Lösungen“ bräuchten – damit nicht großflächige Lösungsstrategien meint, sondern viele, kleine lebensweltliche Strategien. Explizit wendet sich Tw1 gegen die Vorstellung, es gäbe „ ein Konzept, das perfekt ist“. Dies ist ein Gegenhorizont zum Konzept von großflächigen Lösungen, z.B. der Abschaffung „des Kapitalismus“ (s. Erdbeere). Die Gruppe ist sich in dieser Deutung einig, sie entspricht ihrer Deutungsfigur von „Umweltschutz als Durchdringung der Lebenswelt“. Tm1 merkt jedoch kritisch an, dass die Bevorzugung von „kleine[n] Sachen, die sich dann aufsummieren“ eine Strategie sei, die „kannst du aber nicht allen Menschen verkaufen“ (Z. 90). Warum er es kritisch sieht, legt er nicht offen. Da die anderen Teilnehmer*innen zustimmen, scheint es in ihren Deutungsmustern klar zu sein. Die folgende Passage (84-132) dreht sich um Klimawandel und Klimaschutz. Nachdem „Erderwärmung“ selbstläufig genannt wurde, frage ich nach, was die Gruppe über Klimawandel weiß und denkt (Z. 93-96). Die Gruppe Gurke benennt Klimawandel als zentrales Thema. Die Passage weist eine relativ hohe interaktive Dichte auf. Zunächst antworten sie mit einer Wissensantwort in Form Darstellung der Zusammenhänge von Klimawandel, dann kommen sie auf soziale Folgen und Verantwortung. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die ausschließlich (Schul-)Wissen (Kürbis) oder ausschließlich eine Bewertung vortragen (Stachelbeere, Erdbeere). Anders als andere Gruppen antworten die Teilnehmer*innen nicht zögernd, sondern inszenieren ihr Wissen und ihre Bewertung als sicher. Auf der Ebene der Formulierungen wechselt Tm2 in seiner Darstellung zu Klimawandel und Klimaschutz zwischen Expert*innensprache und Umgangssprache. Er verkettet soziale und ökologische Problematiken miteinander und leitet eine Zukunftsszenario ab. Dies entspricht einer Dystopie. Die Einschätzung ist jedoch nicht so negativ, wie die der Gruppen Kirsche und Stachelbeere. Die dargestellten Wissensbestände zur Dynamik von Klimawandel sind präziser als bei anderen Gruppen, die ihre Angst vor Klimawandelfolgen bzw. einer Klimakatastrophe in den Vordergrund stellen (Erdbeere, Stachelbeere, Kirsche). Die Deutung, dass Klimawandel radikale Veränderung brauche,
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ging meiner Frage bereits zuvor. Im folgenden grenzt Tm2 zunächst anthropogen verursachten Klimawandel von einer langsamen Klimaveränderung ab. Verursacher sei „der Mensch“, der 100 „zu viel äh Treibhausgase emittiert und auch ähm Speicherkapazitäten, wie Moore, zerstört, so dass sehr viel ähm CO2 austritt und Methan. Und das führt halt äh dazu, dass sich einfach die Erde immer mehr erhitzt und in einem (.) sehr ungewöhnlichen, also in einem schnellerem Tempo, als es von Natur aus passieren würde, und dadurch bekommen wir halt die Probleme, dass wir in Zukunft auf (.) Ernteausfälle hinsteuern, dass wahrscheinlich viele Menschen schon früher sterben, durch Hitzeschlag, und dass allgemein Wasserknappheit herrschen wird, und dann wird unsere Gesellschaft wahrscheinlich noch mehr ineinander zusammen brechen, und wieder die Starken die Schwachen ausnehmen.“ (Z. 100-109)
Die Thematisierung von Wasserknappheit greift Tm1 auf. Er bricht damit die Problematik Klimawandel(folgen) herunter auf ein konkretes Beispiel und macht damit sichtbar, dass er über Fachwissen verfügt. Diese Darstellung entspricht der Deutungsfigur „global denken, lokal handeln“, auch wenn Tm1 an dieser Stelle keine Handlungsempfehlungen formuliert. Die Nennung eines nationales, „nahen“ Problems im Kontext von Klimawandel stellt einen Gegenhorizont dar zur Nennung von „fernen“ Problemen, z.B. das Aussterben der Eisbären (Himbeere) und der Überflutung von Städten im globalen Süden (Kirsche), ebenso wie zur Dethematisierung konkreter Beispiele (Stachelbeere). Tm1 und Tm2 diskutieren kurz über die Bewertung der Wasserknappheit in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern. Hier deutet sich eine milieuspezifische Thematisierung an: Tm1 und Tm2 haben sich für das Berufsfeld Umwelt- und Naturschutz entschieden und studieren entsprechende Studiengänge. 110 Tm1: Wobei in Deutschland sind wir ja schon beim Status der Wasserknappheit. Tm2: Ja, aber im Verhältnis zu anderen Ländern geht es uns noch sehr gut. (9:20) Tm1: Ja, vor allem, weil wir das halt gut verteilen können, aber (.) so viel Wasser haben wir hier [Tm2: Ja. Gar nicht. (110-114)
Im folgenden führt die Gruppe die Dialektik von „global denken – lokal handeln“ weiter, indem sie zunächst zurück auf die globale Ebene geht und diese mit lokalem Handeln für den Klimaschutz verbindet. Die Gruppe plädiert für Verantwortungsübernahme für Klimawandel. Tw1 nennt Klimawandel „das
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Thema für unsere Generation“ (Z. 115). Mit dieser Formulierung bewertet sie implizit Klimawandel als zentrales Thema für sich und die Gruppe, aber auch für alle Gleichaltrigen. Auf der Ebene des „Wie“ interessiert, dass die Formulierung durch eine positive Bezugnahme geprägt ist: Tw1 spricht nicht vom „Kampf gegen Klimawandel“ (als Gegenhorizont), sondern „Thema für unsere Generation“. Dies impliziert die Deutungsfigur von Klima- bzw. Umweltschutz als Gestaltungsraum. Klimaschutz müsse sowohl auf der Ebene der Politik voran gebracht werden, als auch auf der Ebene lokalen Handelns. Die Betonung „auch Politik [ist] total wichtig“, die „kleine[r] Ebene“ reiche nicht aus spricht dafür, dass die Gruppe sich im Kontinuum von „global denken – lokal handeln“ implizit auf der Seite des lokalen Handelns verortet. Die Verzahnung von „ von oben“ und „ von unten“, von top down- und bottom up-Prozessen, sei für effektiven Klimaschutz wesentlich. Dies ist ein Gegenhorizont zur Fokussierung nur einer der beiden Polen, des globalen Handelns (Erdbeere) oder des lokalen Handelns (Kürbis) bzw. des Handelns einzelner (Stachelbeere). 115 Tw1: Ich denke halt, Klimawandel ist das Thema für unsere Generation, weil das ist so das größte Problem, das wir zu behandeln haben. Und deswegen ist da auch Politik halt total wichtig halt damit verbunden. Dass halt auch da was passiert und nicht (.) irgendwie auf so kleiner Ebene, natürlich schon auch, aber auch, dass einfach von oben (.) ja ähm Gesetze gemacht werden, die das halt °eindämmen°, die ganzen CO2-Ausstöße und, es gibt ja so viele Faktoren, die da reinspielen. (Z. 115-199).
Tm2 ergänzt diese Sichtweise, indem er konkretisiert, was er unter die Verantwortungsübernahme auf politischer Ebene versteht. Die „Hauptemittenten, … die das alles ausstoßen“ bezeichnet implizit die politische Führung der Nationen des globalen Nordens. Dass nicht transnationale Unternehmen die Hauptverantwortung zugewiesen wird (als Kontrast zu Kirsche, Erdbeere), ergibt sich aus dem Bezug „dass von oben (.) ja ähm Gesetze gemacht werden“. Die Gruppe dokumentiert einen positiven Bezug zu politischen Lösungen (ebenso Tomate und Paprika), im Kontrast zur Darstellung, „den Politikern“ zu misstrauen (Kirsche). Tm2 kritisiert Akteur*innen, die klimaschädliches Handeln praktizieren, er konkretisiert jedoch nicht, ob er sich auf Konzerne oder Individuen oder andere bezieht – im Kontrast zu anderen Gruppen, die „Schuldige“ namentlich nennen. Er thematisiert eine Verantwortungsethik, in der sich Handeln nicht rein an Optionen ausrichtet, sondern an ethischen Maßstäben. Die Darstellung, dass Akteur*innen „ungestraft“ auf Kosten anderer, die sich „nicht wehren können“, handeln, ähnelt thematisch der Darstellung der „Verbrechen der Konzerne“ (Erdbeere), die Rahmenorientierung ist jedoch völlig anders. Anschließend
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problematisiert Tm2 die mangelnde Sichtbarkeit von klimaschädlichem bzw. klimaschützendem Handeln. 120 Tm2: Ja. Vor allem, dass die Hauptaus(.) -emittenten, also die das alles ausstoßen, auch mal Verantwortung für Taten äh übernehmen, das wäre ein wichtiger Punkt. Weil das ist ja wieder so eine Sache, wo einfach Leute Dinge tun, weil sie es nicht, weil sie es können, auf Kosten von vielen anderen (.) und äh machen es halt ungestraft, weil die anderen sich nicht wehren können. Weil das, [TN: Mhm. Mhm. so ein Bedürfnis, sehr schwierig zu artikulieren ist. Weil das irgendwie nicht so etwas ist wie ein Brot, das man einfach sieht, das ist (.) ja. (Z. 120-126)
Im folgenden greift Tw1 die Problematik der mangelnden Kalkulierbarkeit der Folgen auf, indem sie Klimawandel mit der Spätlagerung von „Atommüll“ vergleicht. Für beide Problematiken gelte, dass sie „ noch für Generationen später Auswirkungen“ hätten, und diese Folgen in der Gegenwart mitzudenken seien: „und da einfach an die nachfolgenden, nachkommenden Generationen zu denken. °Das ist halt auch wichtig.°“ (Z. 142). Auf meine Frage, auf welche Ebene Klimaschutz prioritär ansetzen muss, beginnt eine neue Passage (Z. 135-197). Die Gruppe elaboriert die Klimaschutzstrategie, eine politische Weichenstellung mit vielen kleinen Lösungsansätzen zu kombinieren. Dabei kommt sie von globalen Lösungsansätzen auf das eigene, lokale Handeln. „Die Politik“ solle verbindliche Verträge aushandeln und Gesetze erlassen, die Unternehmen zwingen, Emissionen auszugleichen. Gleichzeitig sei es möglich, auf individueller zu handeln. Diese Handlungsfähigkeit betont Tm2 gleich zweimal hintereinander und verleiht ihr damit Nachdruck: „da gibt es viele Ebenen, da kann der Mensch, also jeder Verbraucher für sich, schon handeln“ (Z. 135/136), „Also das ist definitiv, da sollten die [Politiker] was machen, aber allein schon jeder von uns kann ja was machen, indem er guckt: Wo kommen meine Nahrungsmittel her, was konsumiere ich?“ (Z. 145/146). Mit dieser Darstellung macht er die eigene Handlungsfähigkeit stark. Es kommt zu einem oppositionellem Diskurs, bei dem Tw1 und Tm1 Einwände gegen diese Darstellung einbringen. Nicht alle Menschen machten sich die entsprechenden Gedanken und nicht alle Menschen könnten es sich leisten, sich solche Gedanken zu machen. Um auf solche Gedanken zu kommen, brauche es Lernräume wie das Jugendumweltfestival. Tm2 schränkt ein und konkretisiert: in den „Hauptemissionsländer[n], also die westlichen Länder, haben wir eigentlich schon alle Möglichkeiten, uns Gedanken darüber zu machen und auch frei zu
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handeln. So dass wir selbstbestimmt so leben können, dass es eigentlich relativ klimaverträglich ist.“ (Z. 157-161). Die anderen stimmen dieser Darstellung zu, die die Handlungsfähigkeit im Kontext von „global denken, lokal handeln“ betont. Tw1 schränkt weiter ein, mit einer Darstellung, die ökologische und soziale Komponenten zusammen denkt: 168 „aber ich denke, dieses Bewusstsein, im Einklang mit der Natur und nicht auszubeuten und biologisch und fair zu sein, das kann man einfach nicht so ähm verbreiten. Klar natürlich, aber irgendwie muss das auch von der Politik was kommen, weil die Menschen sind halt nicht so, dass sie das von alleine unbedingt denken und ähm durchziehen. Zumindest nicht alle, nicht der Großteil.“ (Z. 168-172)
Diese Darstellung ist ein Das Bemühen um eine differenzierte Darstellung ist ein Gegenhorizont zu einer ideologischen Darstellung mit klaren Feinbildern. Dies ist ein Gegenhorizont zur Deutungsfigur, die anderen Menschen bzw. „der Mensch“ sei „faul“, „gierig“ bzw. „egoistisch“ (Kirsche, Stachelbeere, Erdbeere, Himbeere). Für die Gruppe Erdbeere ist charakteristisch, dass sie keine Feinbilder aufbauen. Durch die Gruppendiskussion zieht sich die Deutungsfigur, auf das „Bewusstsein, im Einklang mit der Natur und nicht auszubeuten und biologisch und fair zu sein“ (Z. 168) und die entsprechenden alltagspraktischen Handlungsmuster müsse man erst mal kommen. Bei ihnen selbst „hat es ja auch irgendwo angefangen“, wurden sie in Lernräume wie das Jugendumweltfestival „reingezogen“ und kamen sie von Problemsichten auf alltagspraktische „Lösungen“. Im Mittelpunkt steht die eigene Auseinandersetzung mit Problemstellung und „Lösungen“, die im konjunktiven Erfahrungsraum unterstützt werden. Die Darstellung des Lernens von Wissensbeständen und Alltagspraktiken im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation stellt einen Gegenhorizont dar zu einer statischen Selbstdarstellung, die impliziert, dass alle normativ richtigen Wissensstände und Praktiken selbstverständlich bekannt sind und durchgeführt werden (Kirsche, Stachelbeere, Erdbeere). Auf die Darstellung hin, viele Menschen machten sich keine Gedanken über ihren Lebenstil bzw. würden „biologisch und fair“ nicht „durchziehen“ , frage ich nach, was die Teilnehmer*innen motiviert, sich einzusetzen und einen anderen Lebensstil zu wählen (Z. 175/176). Die Teilnehmer*innen geben als Begründung ethische Motive, die sie auf sich persönlich beziehen. Dabei verknüpfen sie anthropozentrische und biozentrische Positionen in der Ausrichtung, dass „alles Leben gleich“ zu behandeln ist, und verbinden erneut soziale und ökologische Problemsichten. Zentral ist in der Darstellung der Teilnehmer*innen, dass ihnen etwas „klar“ wurde und sie darauf hin Veränderung angestoßen haben. So
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stellt Tw1 dar, sie orientiere sich daran, ihr Handeln an ihre Vorstellungen einer besseren Welt anzupassen. Sie beschreibt den Weg zum Lernen von abstraktem Wissen zu normativen Entscheidungen hin zur alltäglichen Umsetzung am Beispiel veganer Ernährung: ich finde halt, jeder sollte so leben, wie er sich halt (.), da gibt es auch so schöne Sprüche dazu, man sollte die Veränderung leben, die man sich halt in der Welt wünscht, und äh ja, ich lebe jetzt vegan, zum Beispiel, und ähm für mich (.) wenn man dann die Argumente hört und so, dann wird einem eben klar, dass man es für richtig hält – oder wurde für mich eben klar. Und dann habe ich mich dazu entschlossen und solche Gedanken kommen eben auf dem Aufstand. Und da wird man erst so kritisch (.), wird erst so kritisch darüber gedacht, und man muss sich eine Meinung bilden zu Sachen, ähm und kommt dann erst auf die Projekte, die man vielleicht selber auch an sich verändern könnte. (Z. 180-187).
Die Entscheidung für eine vegane Ernährung wird ohne kämpferische Semantik oder normative Forderungen vorgetragen, im Kontrast zu Erdbeere und Stachelbeere. Auch Tm2 spricht von einem Prozess des „klar Werdens“: Mir ist im Laufe meines Lebens klar geworden, dass ich eigentlich möchte, dass ähm alles Leben auf der Welt gleich behandelt wird und auch die gleichen Chancen hat zu existieren. Und deswegen engagiere ich mich in dem Bereich und versuche eben, Tiere und Menschen (.) zu schützen und gleich zu behandeln.“ (Z. 188-191) Er bezieht die Forderung nach Chancengleichheit auf unterschiedliche Lebensstandards in Ländern des globalen Nordens und Südens: „ Und ich denke, dass die aber das gleiche Recht haben wie wir, genauso gut zu leben. Und wenn das heißt für uns, dass wir einen Schritt zurücktreten müssen … dann sollten wir das auch tun. (Z. 193-197)
Die nächste Passage (Z. 200-232) dreht sich um die Frage, welche Natur die Teilnehmer*innen schützen wollen. Darauf geben die drei Teilnehmer*innen unterschiedliche Antworten. Tw1 bringt ein konkretes Beispiel, sie will die Regenwälder schützen. Tm2 erklärt, er wolle „die Natur im Allgemeinen schützen“, mit der Erläuterung, „in Europa heißt es zwar dann eigentlich, Kultur schützen, weil wir in dem Sinne hier keine Natur haben“ (Z. 209-213). Zentral ist für ihn eine positive Beziehung zu dem, was er unter Natur versteht: „es ist einfach sehr erholsam, in der Natur zu sein“. Er bezieht dies auf das Beispiel Begrünung der Stadt und fügt scherzhaft hinzu: „°@Weg mit den Straßen!@°“ (Z. 217/218). Tw1 bestärkt diese positive Konnotation: „Für mich ist die Natur schon so ein Ort, wo man einfach auch (.) ja, sich selber irgendwie auch finden kann und sich total erholen kann und einfach (.) das ist auch so ein Gefühl von
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Freiheit für mich, wenn ich in der Natur bin.“ (Z. 223-225). Tm1 stellt sich weniger ‚naturverbunden‘ dar und benennt als Schutzinteresse die Sicherung von Lebensgrundlagen (Z. 229) Die explizite Darstellung eines emotionalen Bezugs zu „Natur“ ist eine Besonderheit der Gruppe Gurke. Die letzte Passage (Z. 233-257) geht um Umweltschutzhandeln im Alltag. Ich frage nach Umweltschutz-Aktivitäten im Alltag der Teilnehmer*innen, weil ich durch Vorgespräche bereits weiß, dass zwei Teilnehmer*innen ein entsprechendes Studienfach gewählt haben. Tm1 und Tm2 thematisieren ihre Berufswahl im Bereich Natur- und Umweltschutz mit den Studienfächern „Landsschaftsplanung und Naturschutz“ sowie „Umweltschutztechnik“. Tm2: „Ich studiere Naturschutz, also mein ganzes Leben ist eigentlich darauf ausgerichtet, ähm meine Ideale alle möglichst gut zu verwirklichen.“. Im Bereich Lebensmittelkonsum müsse es „leider da auch Kompromisse geben, ähm weil einfach in unserer Gesellschaft manche Dinge nicht so funktionieren“, z.B. die Lebensmittel ausschließlich vom Bauern zu beziehen. Ansonsten engagiere er sich „auch in meiner Freizeit viel, ähm übernehme Vorstandstätigkeiten, ja, das ist einfach (.), ich habe irgendwann erkannt, dass es einfach mir den Sinn im Leben gibt, wenn ich etwas für die Gesellschaft und für die Natur, und vor allem auch für mich selbst, tun kann. Weil wenn ich draußen bin, und viel mit der, in der Natur tue, geht es mir einfach (.) viel besser.“ (Z. 243-246) Tw1, die noch die Schule besucht, beschreibt alltägliche Konsumentscheidungen: „im Alltag, dass ich einfach klar darauf achte, dass ich irgendwie Bio kaufe und eben ähm meine Kleider beim Basar oder so eben kaufe oder Kleiderschenkparties mache.“ (Z. 251253) Die von Tm2 dokumentierte Konklusion „ich habe irgendwann erkannt, dass es einfach mir den Sinn im Leben gibt, wenn ich etwas für die Gesellschaft und für die Natur, und vor allem auch für mich selbst, tun kann.“ (Z.245/246) rundet die Diskussion ab. Anhang 11: Fallbeschreibung Gruppe Paprika Die Gruppendiskussion findet in den Räumen des örtlichen BUNDJugendverbands statt. Der Landesverband des Stadtstaates in der Hauptstadt hat ein eigenes Büro und ist in Arbeitskreisen organisiert. Ich treffe mich mit drei Mitgliedern des AK Klimaschutz, die eigens zur Gruppendiskussion mit mir kommen. Die Teilnehmer*innen (2 Tm, 1 Tw) sind zwischen 17 und 26 Jahre alt. Sie sind zwischen drei und zehn Jahre beim Jugendumweltverband aktiv. Im Altersdurchschnitt (22,6 Jahre) ist die Gruppe deutlich älter als andere Gruppen (Altersdurchschnitt der Gruppen gesamt: 17,4 Jahre). Die Differenz liegt bei liegt
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mehr als fünf Jahren. Alle Teilnehmer*innen haben die Schule bereits abgeschlossen. Zwei davon studieren Sozialwissenschaften, die dritte Person arbeitet im Bundestag für eine ökologisch orientierte Partei. Die Teilnehmer*innen waren schon bei der BUND-Jugend aktiv, bevor sich der AK gegründet hat. Zwei von ihnen sind Mitglieder des Landesvorstands. Die Stimmung ist freundlich und sachlich. Die Teilnehmer*innen hören einander aufmerksam zu und es entstehen zahlreiche Denkpausen. Sie fallen einander selten ins Wort. Die Diskussion verläuft selbstläufig; ich stelle in einer Stunde nur vier Fragen. Der Diskussionsstil und die Themen machen deutlich, dass der gemeinsame Erfahrungsraum der Gruppe geprägt ist vom gemeinsamen Engagement im Bereich Klimaschutz. Der Gruppenzusammenhalt ist weniger von Freundschaft geprägt (als Gegenhorizont zu Tomate und Kürbis), als von gemeinsamen Werten und Visionen. Alle drei Teilnehmer*innen sind an der internationalen Vernetzung des Jugendverbands 1 auf europäischer Ebene intensiv beteiligt. Aus diesem Rahmen ergibt sich der Orientierungsrahmen. Die Gruppendiskussion weist mehrere Besonderheiten auf, die durch das Setting und die Organisationsstruktur des Jugendverbands Paprika bedingt sind: Erstens handelt es sich um die einzige Jugendgruppe, die sich explizit mit Klimaschutz beschäftigt. Bei meiner Anfrage an den AK Klimaschutz war bereits klar, dass die Themen Klimawandel und Klimaschutz eine wesentliche Rolle spielen würden. Ich stelle die Fragen anders als bei anderen Gruppen und komme nicht über Umweltschutz auf Klimawandel und Klimaschutz, sondern frage direkt nach der Bedeutung dieser für die Gruppe. Zweitens treffe ich mich nicht mit der ganzen Gruppe, sondern nur mit drei Mitgliedern, die sich extra die Zeit nehmen, um mit mir zu diskutieren. Aus diesem Setting heraus verstehen sie sich als Sprachrohr der Gruppe, weshalb sie möglicherweise ein stärkeres Sendungsbewusstsein dokumentieren, als es bei einer Diskussion mit dem gesamten AK – oder in einem anderen Setting des Jugendverbands 1 – der Fall gewesen wäre. Drittens ist durch meine Anfrage beim Arbeitskreis, der eine spezifische Zielsetzung verfolgt, die Themenwahl eingeschränkt. Der AK Klimaschutz macht Öffentlichkeitsarbeit für Klimaschutz im Rahmen lokaler Politik. Daher berichtet die Gruppe wenig über die Themen Mobilität, Ernährung und Landwirtschaft, Konsum und Flucht und Migration, denen sich andere Aks im BUND-Landesjugendverband widmen. Die Gruppe dokumentiert die Deutungsfigur von „Umweltschutz als Teil sozialer Bewegungen“ und ein Selbstverständnis als Agent*innen, Pionier*innen bzw. „Pfadfinder*innen“ für eine sozial-ökologischen Transformation. Sie verstehen sich als engagierte Wissenschaftler*innen, denn ihre Argumentation
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bauen sie auf akademischen Wissensbeständen auf. Das Selbstverständnis, komplexe politische, historische und ökonomische Sachverhalte einordnen und bewerten zu können, stellt einen maximalen Kontrast zur Ohnmacht dar, die die typischen Gruppen 2 inszenieren. Die Ausrichtung am Kämpfen „für“ etwas ist wesentlich für das Selbstverständnis der Gruppe und ein Gegenhorizont zum Selbstverständnis anderer Gruppen als Kämpfer*innen „gegen“ etwas (Erdbeere: gegen „die Verbrechen der Konzerne“ und das System Kapitalismus, Kirsche: gegen Goliath aus Konzern- und Polik-Filz, Stachelbeere: gegen Missstände). Für etwas eintreten gehört zum Selbstverständnis der BUND-Jugend, so wie gegen etwas sein zum Selbstverständnis von Greenpeace JAGs gehört. allerdings gehört für mich zum Kritischen dazu, dass man auch einen Maßstab aufzeigt, wo man hin will. Also, dass man nicht nur sagt „das ist schlecht“, sondern „da wollen wir hin“.
Eine wesentliche Denkfigur ist der Bogen, den die Gruppe von „global denken“ zu „lokal handeln“ spannt. Im Kontext von Klimaschutz spielt eine wichtige Rolle, dass die Gruppe eine Zielvorstellung von Klimaschutz bzw. Klimapolitik hat. Dieses Ziel bleibt meist implizit, da es für die Gruppe selbstverständlich ist, klingt jedoch an einigen Stellen mit stark emotionalem Klang an („unsere Utopie, unsere Vision“, Z. 318-325). Die Teilnehmer*innen stellen sich dar als Akteur*innen und Visionär*innen in breiten Netzwerken. Sie grenzen sich weniger von anderen Akteur*innen ab, als dass sie die Zusammenarbeit (oder Bereitschaft dazu) betonen. Aus dieser Erfahrung ziehen sie laut Selbstdarstellung wiederum Motivation und sehen sich bestärkt darin, dass „man [als Jugendumweltverband] nicht so allein steht“ (Z. 396/397) Das ist ein starker Kontrast zum sich „abgekapselt“ Fühlen (Gruppe Stachelbeere). Die Gruppe beschreibt als Motivation für Umwelt- bzw. Klimaschutz, dass sie einen Unterschied machen, etwas auf die Beine stellen wollen. Implizit verstehen sie sich als aktive Gestalter*innen, ein Gegenhorizont zur Passivität bzw. dem Kampf gegen den „inneren Schweinehund“(Gruppe Himbeere). Die Gruppe Paprika stellt als selbstverständlich dar, dass Umweltschutz/politik ihre Lebenswelt durchdringt. Zwischen den Zeilen erwähnen sie, dass sie zu vielen politischen Veranstaltungen gehen (z.B. gegen TTIP, zweimalige Nennung in der Diskussion), mit Freund*innen Umweltthemen diskutieren und sich beruflich in diese Richtung orientieren. Dies ist ein Gegenhorizont zu anderen Gruppen, deren Teilnehmer*innen sich als „abgekapselt“ darstellen (Stachelbeere), Jugendverband und Alltag „getrennte Welten“ nennen (Kirsche) oder
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beschreiben, dass sie im Heimatort kein Verständnis für ihre vegetarische Ernährung bekommen (Tomate). Als Strategien für eine sozial-ökologische Transformation globalen Maßstabes favorisiert die Gruppe eine Einflussnahme auf verschiedenen Ebenen: internationale Klimapolitik, lokale Klimapolitik, Verbandsarbeit, Bildung sowie die Durchdringung des Alltags mit nachhaltigen Lebensstilen. Die zentrale Deutungsfigur ist „Umweltschutz als Gestaltungsraum“. Innerhalb dieses Gestaltungsraums betonen sie die Perspektive „Global denken – lokal handeln“. Lokal handeln bezieht die Gruppe Paprika nicht vorrangig auf „öko-korrektes“ individuelles Handeln, sondern auf ein gemeinsames Umsteuern auf einen anderen gesellschaftlichen Entwicklungspfad, beginnend mit ihrer Heimatstadt. Die Gestaltung gesellschaftlicher Veränderung sieht auch Gruppe Tomate als wesentlichen Angelpunkt. Ein Gegenhorizont ist – innerhalb der Deutungsfigur „Umweltschutz als Gestaltungsraum – der Fokus auf die individuelle Alltagsebene bei Gruppe Kürbis (Verzicht auf Plastiktüten beim Einkauf, veganvegetarische Ernährung). Ein starker Kontrast besteht zu Gruppen, die Veränderung ohne die gesellschaftliche Dimension denken (Stachelbeere, abgeschwächt: Kirsche, Erdbeere). Die Argumentation der Gruppe Paprika ist durch zahlreiche Beispiele und Berichte von erfahrungsbasiertem Wissen geprägt. Sie grenzt sich wesentlich schwächer von den Anderen ab als andere Gruppen (Stachelbeere, Kirsche, Erdbeere, Kürbis, jedoch stärker als Gurke). Eine Besonderheit ist, dass sie sich auch von anderen Umwelt-/ Klimaschutzgruppen abgrenzt, die „nur meckern“ bzw. „schlechte-Laune-Kampagnen“ machen. Charakteristisch ist, dass die Gruppe Verständnis äußert für diejenigen, die nicht im Klimaschutz aktiv sind, und das Nicht-Handeln theoretisch erklärt, z.B. durch die Kluft von Wissen und Handeln oder die mangelnde Greifbarkeit von Klimawandel. Ihr Selbstverständnis entspricht dem von engagierten Nachwuchswissenschaftler*innen bzw. politiker*innen. Die Gruppe inszeniert ein Selbstverständnis als Expert*innen bzw. als Sprachrohr des Jugendverbands. Die implizite Orientierung der Gruppe ist „Klimapolitik machen“. Sie verstehen sich als Arbeitskreis für lokale Klimapolitik, den meisten Raum nimmt in der Gruppendiskussion jedoch internationale Klimapolitik ein. Aus dem konjunktiven Erfahrungsraum des internationalen Jugendklimaschutz-Netzwerks ergibt sich, dass die Teilnehmer*innen es für selbstverständlich halten, von internationaler Klimapolitik und dem Standort der Klimabewegung zu denken und zu sprechen. So nimmt die Diskussion über die Kritik an der europäischen Klimabewegung als elitär großen Raum ein. Dieser Orientierungsrahmen passt zur sozialen Schicht, der die Gruppe entspringt. Zwei Teilnehmer*innen studieren, einer arbeitet im Bereich Politik.
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Alle drei übernehmen seit mehreren Jahren Verantwortung im Jugendumweltverband. Die Gruppe verfügt über eine starke „Wir-Identität“, die über den AK und den Landesverband hinaus reicht. Die Gruppe ist es gewöhnt, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Zwei von ihnen sind im Vorstand, der dritte seid 10 Jahren bei der BUND-Jugend, sie sind Öffentlichkeitsarbeit gewöhnt Sie sprechen Expert*innen- bzw. sozialwissenschaftliche Sprache und reflektieren viel, stellen ihr Selbstverständnis dar etc. In Nebensätzen positionieren sie sich als gut informiert und vernetzt. So ist ein Teilnehmer bereits darüber informiert, dass ich zuvor bei anderen Landesverbänden des Jugendverbands 1 zur Gruppendiskussion war. Er erklärt mir nach der Diskussion Unterschiede in der Ausrichtung der Landesverbände. Während Jugendverband Kürbis viele Freizeiten veranstalte, lege der örtliche Landesjugendverband den Fokus auf Politik. In der Diskursführung wechselt die Gruppe zwischen der Thematisierung Expert*innenwissen mit akademischer Sprache und erfahrungsbasierten Beispielen, passend zum Selbstverständnis, den Bogen von großen zu kleinen Themen zu spannen („global denken – lokal handeln“). In der Vorstellungsrunde (Z. 1-62) berichten die Teilnehmer*innen, dass sie bereits bei der BUND-Jugend aktiv waren, bevor der AK Klimaschutz gegründet wurde. Nachdem alle drei Erfahrungen auf internationalen Begleitkonferenzen zu den Klimavertragskonferenzen (COPs) gemacht haben, haben sie mit anderen den AK gegründet, „damit wir uns da eben Raum nehmen ... in [dieser Stadt] fokussiert zu Klima arbeiten zu können“ (Z. 20-22). Auf meine Nachfrage, was der AK mache, stellt die Gruppe dar, dass es Öffentlichkeitskampagnen zum städtischen Klimaschutz geben soll. Der AK habe sich die Aufgabe gesetzt, den städtische Energie- und Klimaplan (BEK) bekannt zu machen. Die Gruppe erklärt, was der BEK ist und was ihre Ziele im Zusammenhang mit dem Plan sind. Sie bewerten die Pläne für die Lokalpolitik als positiv. Die Bewertung von politischen Plänen bzw. Vorgehen als positiv ist ein Gegenhorizont zur stereopypen, negativen Darstellung „der Politik“ bzw von „Politikern“ (z.B. Kirsche). Sprachlich fällt auf, dass die Darstellung wie ein Pressestatement klingt: sie hat eine klare Struktur und logische Folge in Sätzen (im Kontrast zum Springen von Thema zu Thema). Die Gruppe betont ihre eigene Position bzw. Bewertung: 32 „Das ist ein Plan vom Senat, der Senat möchte klimaneutral werden und wir finden es gut, dass [diese Stadt] klimaneutral werden soll bis 2050 und äh sind natürlich jetzt gespannt, wie genau das aussehen soll und sind, haben ein Interesse darüber, dass die Stadtgesellschaft darüber aufgeklärt wird, was dieses (.), was dieses (.) BEK ist und ähm wir wollen, dass die Stadtgesellschaft da mitzieht. (Z. 32-36)
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Die Gruppe inszeniert sich als kompetent, die politische Situation in der „Stadtgesellschaft“ einzuschätzen und Maßnahmen zu ergreifen, um die eigenen Ziele – konsequenten lokalen Klimaschutz – in diesem Kontext zu fördern. Es bestehe „die große Gefahr … so war unsere Analyse“ (Z. 40/41) dass der Plan unbekannt bleibe und letztendlich nicht umgesetzt werde. Diese Einschätzung begründet die Gruppe mit der Erfahrung „der vergangenen Legislaturperioden“, in der lokalpolitische Pläne nicht umgesetzt worden seien (Z. 40-43). Damit lokale Klimaschutzstrategien umgesetzt würden, wählt die Gruppe die Strategie, zu informieren und zu begleiten: „wir wollen ähm (.) Lust machen auf diesen Plan und das eben kritisch begleiten“ (Z. 44/45). Die Gruppe stellt sich damit als wirkmächtige Gestalter*innen dar, im Kontrast zu Gruppen, die dokumentieren, verzweifelt gegen übermächtige Gegner*innen anzukämpfen (Kirsche, Stachelbeere). Über das Informieren und „kritische Begleiten“ hinaus will die Gruppe „im zweiten Schritt von dieser Öffentlichkeitskampagne“ praktische „Lösungen … für den Klimaschutz“ sichtbar machen, „was man eben machen kann“ (Z. 4547). Klimaschutz bedeutet in dieser Deutung Politik zu machen und eigene Lösungsansätze zu entwickeln. Die Gruppe strebt an, dass „die Stadtgesellschaft da mitzieht“. Den Begriff der „Stadtgesellschaft“ setzt die Gruppe als bekannt voraus. Das „Mitziehen“ setzt voraus, dass die Bevölkerung „aufgeklärt“ ist. Der Begriff des „Aufklärens“ hat an dieser Stelle eine andere Bedeutung als bei den Gruppen 2 (wer benutzt ihn auch?). Es geht nicht um ein elitäres Wissen, über das die Gruppe verfügt und mithilfe dessen sie die „uninformierten“ oder „ignoranten“ Anderen aufklären will. Stattdessen fordert die Gruppe an dieser Stelle, dass die Bevölkerung erfährt, was es mit dem bereits beschlossenen politischen Infrastruktur-Projekt auf sich hat. „Aufklären“ steht in Bezug zu „Stadtgesellschaft“ - dem Konzept, dass mündige Bürger*innen als Kollektiv an Politik und gesellschaftlichen Entwicklungen partizipieren. Die Wissensbestände zum Energie- und Klimaplan sollen nach den Zielen der Gruppe nicht elitär, sondern allen zugänglich sein. Darüber hinaus soll es nicht bei abstraktem Wissen bleiben, sondern dieses soll anhand von „konkreten Lösungen“ anschlussfähig an die Lebenswelt sein. Die Handlungspraxis der Öffentlichkeitsarbeit steht zunächst im Kontrast zu den anderen BUND-Jugendgruppen. Da der AK nur einen Teil des Landesjugendverbands abdeckt, widerspricht es nicht dem Orientierungsrahmen, den die BUND-Jugendgruppen teilen. Die Darstellung von eigenen „Lösungen“ ist ein Gegenhorizont zum reinen Informieren über Missstände (Kirsche, Stachelbeere), aber auch zum Verteilen von vorgefertigen Materialien für konkrete Umwelt- und Klimaschutzstrategien (Himbeere). Die Gruppe stellt dar, dass sie auf „klassische“ und neue Strategien setze. Sie wollen demnach Postkarten erarbeiten, die sie „nicht nur analog […]
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sondern auch über soziale Netzwerke“ (50/51) verbreiten wolle. Hinzu komme „ganz klassisches Straßentheater“ und Präzenz auf „den großen Demos in den nächsten Monaten“. Mit dieser Darstellung dokumentiert die Gruppe, dass sie Wissenbestände über verschiedene Aktionsformen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit hat. Sie inszenieren sich damit als Expert*innen im Bereich Umweltschutzkampagnen, die souverän und selbstorganisiert agieren. Die Gruppe konkretisiert ihre Vorgehensweise an ihrem Beispiel: 58 „Zum Beispiel, wenn jetzt Ende November [in drei Wochen] hier in [dieser Stadt] der große Global Climate March ist, wäre das ja auch schön zu sehen: Ja, es gibt dieses große Problem Klimawandel, das ist global, aber wie können wir hier eigentlich hier in [Stadt] ganz konkret damit anfangen?“ (58-60).
Diese Darstellung ist die Proposition zum Orientierungsrahmen „global denken, lokal handeln“, die die Gruppe als roten Faden durch die Gruppendiskussion zieht. Bei der Darstellung fallen nicht nur auf der Ebene des Was, sondern auch des Wie einige Charakteristika auf. Diese zeigen sich bereits in der ersten Passage und ziehen sich durch das Dokument durch. Die Gruppe versteht sich als Sprachrohr des AKs (und indirekt auch des Landesjugendverbands 1) und spricht in der ersten Person Plural („Wir“). Die Darstellung erfolgt strukturiert; die Gruppe stellt dar, dass sie ihr Vorgehen im Voraus geplant („unser Ausgangspunkt war“, „im zweitens Schritt“) und abgewogen hat („dass wir uns halt verschiedene Wege überlegt haben“, Z. 52). Umgang miteinander: Besondere Diskursführung: „acht geben“ auf andere, eigene Redeanteile thematisieren: Die TN beziehen sich aufeinander, sagen „korrigiert mich, wenn es nicht aktuell ist“ oder „sorry, jetzt habe ich lang geredet“ - Reflexiv Teilnehmer*innen denken oft länger über ihre Beiträge nach, die anderen fallen aber auch nach vier oder sieben Sekunden nicht ins Wort, wenn sie sehen, jemand ist noch am Denken. Bei der Wahl der Formulierungen fällt auf, dass sie stark auf die Wir-Identität und Konsensfindung bedacht sind. In dieser Passage sind das folgende Formulierungen: „damit wir uns da eben Raum nehmen“, „dass wir uns da gründen“, „ wir haben ganz am Anfang … darauf verständigt, dass wir eben zum städtischen Klimaschutz etwas machen möchten“, „jetzt habe ich @viel geredet@“ (Z. 49/50), „ihr müsst mich korrigieren, weil ich letztes Mal nicht da war, wenn ich irgend etwas erzähle, was nicht aktuell ist“ (Z. 53/54). 61„Tw1: Habe ich was vergessen? Tm1: Dem ist eigentlich nicht mehr viel hinzu zu fügen, nein. (61/62)
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Dies passt zum Anspruch des Jugendverbands 1 als basisdemokratisch und zum Selbstverständnis, Agent*innen der sozial-ökologischen Transformation zu sein. Die Gruppe dokumentiert im Umgang miteinander andere Sprach- und Sinnfiguren: eine alternative Art, miteinander umzugehen, kontrastierend zu dominanten Umgangsformen, aber auch zum Habitus der Öko-Kämpfer*innen. Mit meiner Nachfrage „Was denkt ihr denn eigentlich über Klimawandel?“ beginnt eine neue Passage (Z. 63-346). Die Gruppe Kirsche dokumentiert die Deutungsfigur von Klimaschutz als Handlungsraum, im Rahmen sozialer Bewegungen. Die zentrale Orientierung ist Streben nach Wissen bzw. das Ideal des umfassenden Wissens (wie Gruppe Himbeere). Dementsprechend zeigen sich die Teilnehmer*innen vorsichtig mit vorschnellen Aussagen und bemühen sich um Verständnis für die Anderen, die sich nicht im Klimaschutz engagieren bzw. Angst vor Veränderung haben. Die Gruppe setzt den Rahmen gemeinsamer Deutungen, indem sie sagt, worüber „wir nicht diskutieren“ brauchen, was selbstverständlich sei: die Einigkeit über die Einschätzung von Klimawandel als größte Bedrohung. Wissensbestände zu Bewertung und Entstehung von Klimawandel setzt die Gruppe als gegeben voraus. Indem die Gruppe in der ersten Person Plural („Wir“) spricht, setzt sie eine gemeinsame Orientierung voran, in die sie mich als Forscherin einbezieht. Diese Darstellung von Bewertungssicherheit steht im Kontrast zu Gruppen, die Unsicherheit zur Existenz eines anthropogenen Klimawandels dokumentieren (Kürbis) oder sich über die Bewertung nicht einig sind (Himbeere). 66 “Also, ich glaube, ich muss nicht damit anfangen, dass ich das [Klimawandel] als größte Bedrohung, oder als eine sehr große Bedrohung, mit ansehe, ich glaube, da sind wir uns schon einig.“ (Z. 66/67) „Diese[r] große Katastrophe- et cetera-Gedanke ... muss ja die Basis für jeden solchen Gedanken [über Klimaschutz] sein“ (Z. 78/79) .
Die Gruppe setzt auch voraus, dass „viele Leute“ über die entsprechenden Wissensbestände verfügen und auch davon ausgesehen, „dass man jetzt sofort handeln muss“ (Z. 69-71). Die Annahme, dass „die anderen“ informiert und sich der Problemstellung „bewusst“ sind, ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die davon ausgehen, dass „die anderen“ (gerade in Bezug auf Klimawandel) unwissend bzw. ignorant seien (Erdbeere, Kirsche, Stachelbeere). Die Gruppe Paprika geht dagegen davon aus, dass die Hauptproblematik nicht in fehlendem Wissen oder Bewertungskompetenz liegt, sondern in der Kluft zwischen „objektiver“ und „subjektiver Ebene“ (Z. 69/72) bzw. der „ Lücke zwischen Handlung und Erkenntnis“ (Z. 75). Diese Darstellung macht die Standortgebundenheit der Gruppe sichtbar, die offensichtlich in einem spezifischen Milieu operiert (großstäd-
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tisch, interessiert am Weltgeschehen). Die Teilnehmer*innen grenzen sich von denjenigen ab, die sich abschotten und nicht wissen wollen, wie problematisch Klimawandel ist. Gleichzeitig äußern sie Verständnis für die Angst der „Leute“ vor Veränderung, das sie durch gedankenexperimentelles Hineinversetzen in „andere“ und Reflexion von Problematiken (z.B. Kluft Wissen und Handel) auf Metaebene konkretisieren. Mit der Darstellung, dass die mangelnde Greifbarkeit eine der Hauptproblematiken im Kontext von Klimaschutzhandeln ist, verweist die Gruppe implizit auf die sozialwissenschaftliche Literatur zu Klimawandel (s. Theorieteil) und dokumentiert Expert*innenwissen. Die Gruppe verzichtet darauf, ihre Darstellung normativ einzufärben und von „Schuld“ oder „Ignoranz“ zu sprechen, ein Kontrast zu anderen Gruppen. Sie problematisiert, dass nur ein geringer Teil „der Menschen“ bereit sei, „konkret Aktion zu ergreifen“ und „konsequent Maßnahmen zu machen, dann springt auf einmal ein sehr, sehr großer Teil der Menschen ab“ (72-74). Die Gruppe versucht, sich die Perspektive der Anderen zu erklären, anstatt sie zu bewerten: „Ich kann mir vorstellen, dass das so ist, weil (.), ja weil das schon so weit weg wirkt, oder nicht?“ (Z. 79/80). Diese Orientierung zieht sich durch das Dokument und ist ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die keinerlei Perspektivübernahme gegenüber den Anderen bemühen und deren Nicht-Handeln als „faul“ bzw. „egoistisch“ bezeichnen (Kirsche, Erdbeere, Stachelbeere). Die Gruppe betont, dass Klimaschutz eine kollektive Aufgabe ist und bezieht dies explizit auf ihre Generation: „dass es unsere Generationenaufgabe ist, da zu handeln“ (Z. 91). Im folgenden verbindet sie die Problematik des fehlenden konkreten Handelns mit wissenschaftlichen Ergebnissen zu „kurz- und langfristigem Handeln“. Mit dieser Darstellung betont die Gruppe ihr Selbstverständnis als engagierte Wissenschaftler*innen. 91 „Es ist irgendwie ganz, ganz klassisch wie vielleicht beim Club of Rome ähm mit dem Limits to Growth, ähm da haben die ja auch schon festgestellt, es gibt irgendwie diese Langzeitwirkungen … und die, ich finde, das trifft weiterhin zu, … dass es da so ein Problem gibt irgendwie zwischen kurzfristigen Sichten und langfristigem Handeln.“ (9196).
Diese theoretische Problematisierung verbindet der Sprecher mit seiner persönlichen Erfahrung: ihn erstaune, „wie wenig“ bei „Bekannten“, außerhalb des Jugendumweltverbands Klimaschutzhandeln „auf der Agenda steht“. Er würde auch gefragt, ob es sicher sei, dass „die Menschen dafür [für Klimawandel] verantwortlich“ seien (Z. 97-102). Die Gruppe dokumentiert, dass es für sie selbstverständlich ist, sich über Klimawandel zu informieren und um Klima-
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schutz zu kümmern. Denn sie kritisiert, wenn „Leute“ dies nicht tun: „Manche Leute informieren sich auch gar nicht und machen es sich ganz schön leicht und kümmern sich auch gar nicht richtig drum.“ (Z. 101/102). Damit wird in Ansätzen sichtbar, welche Vorstellung von Klimaschutz bzw. welchen Anspruch an die Anderen die Gruppe hat, wie sie im Laufe der Gruppendiskussion dokumentiert: zunächst das Streben nach Wissen um Klimawandel und Klimaschutzstrategien, die kollektive Verantwortungsübernahme und die Partizipation an einer gesellschaftlichen Transformation globalen Maßstabs im Sinne einer sozialökologischen Transformation, mit lokal spezifischen Klimaschutzstrategien. Die Ebene individueller Klimaschutzstrategien im Sinne von nachhaltigem Konsum spielt dabei eine untergeordnete Rolle, ein Gegenhorizont zu zahlreichen Gruppen, die neben dem Protest gegen Konzerne vor allem auf individuelles Konsumhandeln setzen. Im folgenden elaboriert die Gruppe die Auseinandersetzung mit „Leuten“, die sich nicht für Klimawandel interessieren oder ihn sogar „gezielt leugnen“. Diese Passage ermöglicht eine komparative Analyse zum Thema Wissensbestände zu Klimawandel und der Bewertung von Klimawandel als anthropogen verursacht. Von desinteressierten Bekannten kommt die Gruppe zu Leuten, die gezielt Studien vorbringen, welche Klimawandel als nicht menschgemacht darstellen. Bei der Thematisierung fällt auf, dass sich die Gruppe Paprika von den Studien nicht in ihrer Einschätzung von Klimawandel verunsichern lässt: irgendwie tolle Studien ..., die das belegen [das Klimawandel nicht menschgemacht sei], und wenn man dann mal nachguckt, natürlich nicht toll, aber auf den ersten Blick sehr poliert erscheinen. (Z. 107/108).
Das ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die Studienergebnisse als verunsichernd darstellen (Himbeere, Erdbeere, Kürbis). Als Grund für das Anführen solcher Studien nennt die Gruppe Paprika, dass die „Leute“ Ausflüchte suchen, nicht aus ihrer „große[n] Bequemlichkeit“ auszusteigen. Denn die Gruppe geht fest davon aus, dass konsequenter Klimaschutz „grundlegende Verhaltensänderungen“ für die ganze Gesellschaft bedeuten würde. Auch an dieser Stelle findet sich eine gedankenexperimente Perspektivübernahme. Vor der Veränderung von Verhaltensmustern hätten viele Menschen „einfach Angst“: 110 ich glaube, das ist so eine große Bequemlichkeit auch, weil irgendwie alles, was zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen würde oder zur Eindämmung, erfordert dann doch grundlegende Verhaltensänderungen, das ist glaube ich eine Sache, vor der viele
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Menschen auch einfach Angst haben, weil die Muster, die man jetzt hat, die sind einem bekannt und daraus auszuweichen ist sehr unangenehm. (Z. 110-114)
Die Gruppe beschreibt weiter, dass Klimawandel ein „strukturelles“ Problem sei: „der Klimawandel wurzelt in der Basis der Struktur der Wirtschaft“ (Z. 118/119). Diese Formulierung ist eine implizite Referenz zu Diskursen zu Klimagerechtigkeit und Wachstumskritik und ein Gegenhorizont zu Einschätzungen, die Wirtschaftssystem und Konzerne verantwortlich machen, jedoch eine stark bewertende Semantik wie die „Schuldigen“ (Stachelbeere) oder „die Verbrechen der Konzerne“ (Erdbeere) formulieren. Die Gruppe zeigt Verständnis, dass 120 „viele Leute da [bei einer Kritik an der „Struktur der Wirtschaft“] dicht machen. Auch weil es zu bedrohlich, zu groß (ist), und auch die Alternativen vielleicht noch ein bisschen zu unklar umrissen sind.“ (Z. 120/121).
Vor dem Hintergrund dieser Deutung erscheint klar, warum die Gruppe auf eine Strategie setzt, sich in die Perspektive von Nicht-Aktiven zu versetzen und den Leuten „Lust“ auf Klimaschutz zu machen. Denn wenn sie Abwehrreaktionen erwartet, aber kollektive Klimaschutzstrategien für notwendig hält, muss sie ihren „Weg“ für andere attraktiv machen. Die Teilnehmer*innen reflektieren Umsetzungsprobleme der von ihnen favorisierten Klimaschutzstrategien und zeigen sich selbstkritisch, wenn sie sagen, dass die – von ihnen favorisierten – Alternativen zur dominanten Wirtschaftsstruktur „zu unklar umrissen“ seien. Die Gruppe thematisiert das Spannungsfeld in der Öffentlichkeitskommunikation zu Klimawandel. Sie wollten „ nicht die ganze Zeit der Schwarzmaler sein“ (Z. 129), die Gefahr aber auch nicht verharmlosen. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die negative Zukunftsszenarien ohne diese Problematisierung ausführlich thematisieren (Stachelbeere, Kirsche). Im folgenden positioniert sich die Gruppe als engagierte Wissenschaftler*innen im Kontrast zum Selbstverständnis als skeptischer WissenschaftlerIn (Tm3 in Himbeere). Sie thematisieren erstens Zweifel, ob sie mit ihrem Engagement Prozesse von Klimawandel noch stoppen können und zweitens Vorsicht mit der Verwendung des Begriffs Klimawandel für lokale Extremwetterlagen. Tm2 schätzt die Wirkkraft der Umweltschützer*innen als begrenzt ein gegenüber irreversiblen Klimawandelfolgen, „Prozesse[n] wie das Schmelzen des Eises, äh Schmelzen der Gletscher“ (Z. 146/147) einerseits und der „Lobby aus Kohle-, aus Öl-, aus Gasindustrie“ (Z. 163/164) andererseits. Sie plädieren für eine zurückhaltende Verwendung des Begriffs Klimawandel für lokale Extremwetterlagen. An dieser Stelle wechselt der Spre-
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cher von „ich“ zu „man“ zu „der gute Klimawissenschaftler“ und dokumentiert damit, dass er sich als solcher versteht. 149 Ich finde es auch problematisch, wie du sagst, Tm1, ähm oftmals ist es total schwer, (.) dann in der öffentlichen Kommunikation zu sagen: Das ist jetzt allerdings der Klimawandel, den ihr da gerade spürt! Wenn zum Beispiel letztes, letzten Sommer so eine richtig große Hitze war in Berlin, ja, es wurde ja schon im Sommer welk, viele, viele Blätter wurden ja schon im Sommer welk, dann ist es schwierig, also für den guten Klimawissenschaftler, sozusagen dann zu sagen: „Das ist jetzt der Klimawandel!“ (Z. 149153)
Auch ohne durchgängig optimische Zukunftsperspektive ist die Gruppe vom Engagement überzeugt: 156 „Ich weiß nicht, ob wir auch mit unserem Engagement den Klimawandel @(.)@ aufhalten können, @komischerweise@ mache ich es trotzdem, es ist trotzdem irgendwie cool, etwas zu machen.“ (156-158) 161 Auch wenn ich jetzt vielleicht nicht so optimistisch bin, dass jetzt zum Beispiel in Paris [beim UN-Klimagipfel der UN in Paris im Dezember 2015/mit Vertrag „Paris Agreement“] ein guter Deal gefunden wird um das Klima effektiv zu schützen, … auch wenn ich denke,… dass wir ähm einfach noch eine große Lobby aus Kohle-, aus Öl-, aus Gasindustrie haben, die weiterhin darauf bedacht sind, so ihre Claims zu sichern und ähm ich denke, dass wir nicht innerhalb der nächsten zehn Jahre Automobilität in Frage stellen großartig, also ich denke, wenn wir aus dem Fenster gucken und [dreht sich zum Fenster] jetzt Autos sehen und die unsanierten Häuser sehen und so weiter, die Leute, die gerne ein Flugzeug nehmen, um mal ins Wochenende zu fliegen oder so was, denke ich, wird sich nicht verändern, das werden wir nicht verändern können, aber (.) ich bin jetzt trotzdem irgendwie nicht traurig, dass es nicht klappen könnte.“ (Z. 161-171)
Eine mögliche Interpretation, warum Tm1 sich als „nicht optimistisch, aber nicht traurig“ darstellt, ist: Es hat möglicherweise auch etwas Entlastendes, nicht alle Verantwortung als einzige Retter*innen auf sich lasten zu haben, sondern auch andere Kräfte im Spiel der Macht bzw. andere Wirkmechanismen zu benennen. Möglicherweise führt das dazu, das eigene Engagement stärker zu konzentrieren auf konkrete Projekte, Themen und Anlässe (Z.B. Klimaschutzplan in der eigenen Stadt, Arbeit in europäischem Netzwerk, also mehrgleisig), als gefühlt gegen die ganze Welt zu kämpfen (Gruppen Stachelbeere und Kirsche) und daran zu verzweifeln. Die Darstellung wird vorgetragen ohne Bewertung oder Dramatisierung, eher als differenzierte Beschreibung. Dies passt zum Selbstverständnis
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als Wissenschaftler und ist ein Kontrast zu Pauschalisierungen und vereinfachenden Urteilen von Gruppen Stachelbeere, Erdbeere und anfangs bei Himbeere. Eine Teilnehmerin bemerkt, dass der Wirkung des gemeinsamen Engagements durch langfristige Klimamechanismen Grenzen gesetzt seien. Ein anderer Teilnehmer ergänzt, man müsse „immer in so Alternativszenarien denken“ (Z. 188). Er spricht aus dem Selbstverständnis eines „engagierten Wissenschaftlers“. Er kritisiert, dass der Begriff „Klimawandel“ durch „Wandel“ positiv konnotiert sei, was fehlleitend sei, denn „das ist ja ein fortschreitender Prozess, noch einer, der sich immer weiter verschlimmert (Z. 192/193). Deshalb sei das Engagement der Klimaschützer*innen nicht als ‚alles oder nichts‘ (Szenario A oder B, Z. 200) zu betrachten, sondern „ jeder kleine Schritt, den wir heute gehen, hilft uns auch, diesen großen Prozess wenigstens ein bisschen abzuschwächen“. Aus dieser Perspektive beziehe er viel Motivation. Zudem erfordere Klimaschutzaktivismus „ein bisschen Glauben irgendwo tief in einem drin, dass es klappt“ (Z. 211-213). Der Begriff „Glauben“ ist Teil einer religiösen Semantik, die auch in anderen Gruppen zu finden ist – als Gegenhorizont zur Positivformulierung „Glauben, dass es klappt“ jedoch mit apokalyptischen Szenario („zu viel Gott gespielt“, Stachelbeere). 205 „Hier versuchen wir ja quasi aktiv eine sehr große Bedrohung, gerade auch für unsere Zukunft, abzuwenden... Ich habe neulich eine Aktivistin kennengelernt … , die meinte: [dramatisch und rau gesprochen]„Nein, Quatsch, das funktioniert alles nicht, die COPs werden scheitern und auch sonst wird alles scheitern“, und so, und das finde ich auch so ein bisschen schade, weil ich glaube, ein bisschen, ein bisschen Glauben irgendwo tief in einem drin, dass es klappt, braucht man aber auch, weil man sonst ein bisschen abstumpft.“ (Z. 205-213)
In der folgenden Passage entwickeln sich die Themen und Dynamik von punktuellen Aktionen zu einer weltweiten Bewegung. Von der Diskussion um Optimismus im Kontext von Klimawandel kommt die Gruppe auf die Einordnung der Umweltbewegung als soziale Bewegung, um die sich die nächste Passage (Z. 214-364) dreht. Dabei ordnen sie einzelne Aktivitäten ihrer Gruppe in einen größeren Kontext ein. Die Orientierung an „etwas, wofür man ist“ hilft ihrer Darstellung nach, Passivität und Zweifel zu überwinden und führt zur Selbstattribuierung als wirksam, „einen Unterschied zu machen“. Die Gruppe elaboriert ihr Selbstverständnis, ihre „Wir-Identität“ als Teil einer globalen sozialen Bewegung. Dabei ordnen sie ihr Engagement im Jugendumweltverband ein in die Aktivitäten der Umweltbewegung, die sie wiederum als Teil globaler sozia-
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ler Bewegungen verstehen, die auf eine sozial-ökologische Transformation hinzielen. Diese Einordnung konkretisieren sie anhand der Darstellung von erfahrungsbasiertem Wissen. Charakteristisch ist der Spannungsbogen von „global denken“ zu „lokal handeln“. Die Gruppe dokumentiert Expert*innenwissen zu Umweltbewegung und Geschichte und festigt damit die Rolle als engagierte Wissenschaftler*innen. Die Gruppe entwickelt in dieser Passage in eine Dynamik der Steigerung. Diese Dynamik gleicht der bei Gruppe Kirsche, die Steigerung erfolgt jedoch in die gegensätzliche Richtung: Während Kirsche sich in der Darstellung schrecklicher Umweltzerstörung und der Ignoranz der Anderen überbietet, steigert die Gruppe Paprika ihre Selbstzuschreibung als wirksam. Beginnend bei der Unsicherheit, „den Klimawandel aufhalten zu können“, geht es über die Einordnung in historische Zusammenhänge zur Selbstattribuierung, „einen Unterschied“ zu machen über „für etwas zu kämpfen“ und „ein Faktor in der Entscheidungsfindung zu sein“ hin zu „transformieren“ und die Orientierung an „unserer Vision, unserer Utopie“. Implizit dokumentiert die Gruppe, dass sie fest davon überzeugt sind, als Change Agents eine sozial-ökologischen Transformation voran zu bringen. Diese Orientierung ist ein starker Kontrast zur Unsicherheit und Verzweiflung anderer Gruppen. Zunächst greift Tw1 die Darstellung der anderen Teilnehmer auf, die sich u.a. um den Erfolg der anstehenden Klimaverhandlungen drehen, und hebt sie auf eine historische Dimension, indem sie sie mit anderen geschichtlichen Wendepunkten vergleicht. (Tatsächlich wird bei den Klimaverhandlungen im Dezember 2015 in Paris ein Vertrag (Paris Agreement) erzielt, der zu diesem Zeitpunkt als historischer Schritt eingeordnet wird.) Das Engagement in Umweltbewegung und anderen sozialen Bewegungen ist demnach nicht vergeblich, auch wenn keine direkten Erfolge sichtbar sind, sondern – so implizit – macht „etwas besser“. Diese Darstellung verknüpft Tw1 mit einer historischen Betrachtung und verweist dabei auf ihren Hintergrund als Geschichtsstudierende. Selbst wenn die Situation aussichtslos erscheine, sei ein plötzlicher historischer Umbruch möglich. Sie geht von der „Chance …, dass sich etwas verändert“ aus, die die Aktivist*innen nutzen wollen. Dies ist ein Gegenhorizont zur Aussage, „eigentlich ist es klar, dass wir es kaum noch aufhalten können“ (Kirsche). Implizit wird deutlich, dass sie die Teilnehmer*innen als Change Agents verstehen. 214 Es betrifft gar nicht nur jetzt die Umweltbewegung, sondern viele soziale Bewegungen, dass man sich ja erstens fragen muss, was wäre, wenn das keiner von uns machen würde, so wenn irgendwie alle Umweltaktiven sagen würden: „Ok, das bringt halt nichts, deswegen lassen wir das“, ich glaube, das würde halt (.) auf
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[TN: Mhm. Keinen Fall etwas besser machen, wahrscheinlich auch viele Sachen schlimmer machen, und ich glaube, zweitens ist ja auch (.) irgendwie, also weiß nicht, ich studiere halt Geschichte, und ich finde, es gibt halt in der Geschichte viele Szenarien, wo man denkt, dass ist halt eine Situation, die, die wird sich niemals ändern, am Ende ist doch etwas passiert. Und ich glaube halt nicht, dass es zwangsläufig immer so ist, aber ich glaube, dass es sein kann. Und ich finde halt, solange die Chance da ist, dass sich etwas verändert, dann wäre es doch irgendwie fahrlässig, das nicht zu machen, wenn so viel auf dem Spiel steht. (Z. 214-225)
Tm2 elaboriert die Darstellung, dass es bereits ein Erfolg ist, als Umweltgruppe Präsenz zu zeigen und „ wirklich einen Unterschied“ zu machen sowie die Hoffnung, Teil eines „gesellschaftlichen Wandels“ zu sein. Das theoretische Wissen zu historischen Umbrüchen wird verbunden mit erfahrungsbasiertem Wissen im Kontext des Engagements, z.B. bei Besuchen von internationalen Gästen im Rahmen von Austauschtreffen des Jugendumweltverbands. 226 Es gibt vielleicht ... einen gesellschaftlichen Wandel, an den man jetzt noch nicht denkt, und den zweiten Punkt, wenn man nichts macht, dann passiert auch nichts, [schnell] ich habe auch schon die Erfahrung gemacht, also das mit dem gesellschaftlichen Wandel, das kenne ich jetzt vielleicht nur aus den Geschichtsbüchern auch nur, aber wenn man [als Jugendumweltverband]... internationale Gäste in [der Stadt] hat, dann sagt man denen: „Guck mal, hier hat die Mauer gestanden und jetzt, heute, kannst du da laufen, … bist ganz safe, @(.)@ kannst einfach von einem Stadtteil in den anderen gehen“, (.) also das finde ich eigentlich auch inspirierend, ähm aber den anderen Punkt finde ich [Tw1: Ja! Eben auch, das habe ich auch schon mal erfahren, dass eben, also wenn wir mit [dem Jugendumweltverband 1] eben keine Aktionen zu einem Event damals gemacht hätten, dann wäre eben nichts drüber gewesen und das, und da habe ich mir gedacht: Ja Mensch, das macht wirklich einen Unterschied! (Z. 226-238)
Zu dieser Darstellung gibt es starke Zustimmung der anderen Teilnehmer*innen, die ihrerseits Beispiele bringen, wie sie sich motivieren und ihr Selbstverständnis als Change Agents festigen. Selbst wenn einzelne Aktionen nur einen sehr begrenzten Effekt hätten, so summierten sie sich doch im größeren Maßstab auf. Die Gruppe verwendet dabei eine Wassermetaphorik: Ein einzelner Tropfen ändert noch nichts, aber wenn daraus eine Welle, eine Massenbewegung wird, so kann diese Flut zu historischen Durchbrüchen führen.
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247 „Ich glaube halt, dass es dann auch hilft zu sagen: Wenn ich jetzt (.) an einem Tag diese Aktion mache und vielleicht waren viele Leute da, dann (.) hilft das vielleicht nichts, aber wenn ich mich selber gar nicht so nur mich selber sehe, sondern als Teil von etwas Größerem, und wenn vielleicht zwei Tage später jemand woanders etwas Ähnliches macht, dann hat das ja in der Summe, glaube ich, schon einen Effekt.“ (Z. 248-252) 253 Ein Spruch, den ich dazu immer ganz schön finde, … ist: „Jeder Tropfen kann derjenige sein, der das Fass zum Überlaufen bringt“ Und einfach, wenn ich [TN:[schmunzelnd] @2@ dann denke: „Oah, jetzt regnet es, soll ich echt auf eine Demo gehen bei dem Regen?“ und so: [TN: @1@ [schnippt laut] „Ich muss dann mal los.“ Und ich glaube, es ist sehr motivierend, irgendwie auch etwas zu haben, für, wobei das eigentlich eine Sache ist, die mich ziemlich häufig frustriert, bei TTIP auch zum Beispiel, wenn man überlegt so: Eigentlich kämpft man die ganze Zeit nur gegen irgendwas, … und schafft es voll selten, also es passiert, und es freut mich immer voll, wenn es passiert, aber schafft es vergleichsweise eher selten, so eigene Ideen aktiv einzubringen, aber gut. Aber trotzdem, etwas zu haben, wofür man steht, und dafür zu kämpfen, ist, glaube ich, total ähm gut auch so für einen selbst als Menschen, ein bisschen einen Plan zu haben, wo man hin will.“ (Z. 254-266)
Die Teilnehmer*innen finden es selbstverständlich, international vernetzt zu sein und sich mit Klimapolitik zu beschäftigen. Sie machen selbst „politische Jugendarbeit“. „Nicht ich, sondern wir“ - Wir-Identität als Gegenhorizont zu „abgekapselt sein“ (Stachelbeere). In der folgenden Passage entwickeln sich die Themen und Dynamik von punktuellen Aktionen zu einer weltweiten Bewegung. Die Gruppe dokumentiert, wie sie ihre Rolle verstehen, und steigert sich dabei auch vom punktuellen zum Großen: zunächst als diejenigen, die überhaupt etwas machen, dann als „Faktor bei der Entscheidungsfindung“ und als vorausschauende Ideengeber*innen („Vorausblick haben … nicht die Klippe runter“). In dieser Darstellung ist das Selbstverständnis als Avantgarde, als Vorreiter*innen im Sinne von „Pfad-Findern“. Im Kontrast zu anderen Gruppen, die dieses Selbstverständnis auch dokumentieren (z.B. Erdbeere), bezieht die Gruppe Paprika ihren selbsternannten Status nicht aus moralischer Überlegenheit und auch nicht in scharfer Abgrenzung zu anderen, sondern aus ihrem Vorausblick und visionären Ideen. Die Gruppe verwendet hier die Metapher des Pfades, implizit gemeint ist der gesellschaftlichen Entwicklungspfad. Darin enthalten ist das Selbstverständnis als „Pfadfinder“ für eine sozial-ökologische Transformation. Diese Metapher wird eingeleitet vom klarer Standpunkt der Gruppe: „etwas zu haben, wofür man steht“ (Z. 264). Als ‚Wegzehrung‘ haben sie Kampfgeist
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„dafür zu kämpfen“ (doppelte Nennung in dieser Passage, Z. 265 und Z. 304). Sie haben eine Zielvorstellung, einen Maßstab und einen Plan für den Weg („einen Plan zu haben, wo man hin will“, Z. 266, „dass man auch einen Maßstab aufzeigt, wo man hin will“, Z. 318). Sie sind demnach diejenigen, die „die besseren … oder … vom ausgetretenen Pfad weiter entfernten Ideen einbring[en]“, mit „Vorausblick“ navigieren und frühzeitig erkennen, dass der jetzige Entwicklungspfad in den Absturz führt. Sie erkennen nicht nur die Notwendigkeit eines anderen Entwicklungspfades („Wir müssen jetzt woanders hingehen“, als fiktive direkte Rede formuliert), sondern kennen auch alternative, sichere Pfade („wir kommen irgendwo anders hin“). Als Pfadfinder verfügen sie auch über die Bewertungskompetenz, wie dieser Pfad sich gestalten wird („das mag jetzt auf den ersten Blick ein bisschen dorniger sein“), und dass es sich lohnt, ihn zu nehmen („am Ende fallen wir nicht die Klippe runter“). Davon, dass sie einen sicheren und besseren Entwicklungspfad kennen, sind sie fest überzeugt („das ist … die zentrale Erkenntnis, und dafür auch zu kämpfen, ist total wichtig“, Zitate Z. 295304). 275 „Was auch wichtig ist, was du [an Tw1] gerade gemeint hast, dass man so Teil ist von etwas Größerem ist, es ist ja nicht so das Ich, ich gehe auf eine Demo und dann ich mache die Aktion, sondern es ist ja wir gehen auf eine Demo und dann gehen nicht nur hier wir auf eine [TN: Mhm. Demo, sondern meinetwegen auch in den USA gehen Leute irgendwo auf eine Demo und so, das [TN: Mhm. Heißt, es hat, glaube ich, schon, eine größere Auswirkung als man häufig so merkt und ähm (.) so ein Ding bei zivilgesellschaftlichem Engagement ist … man hat häufig nicht so eine eins zu eins Sicht auf das, was passiert, … aber … so ein Faktor bei der Entscheidungsfindung sein, das finde ich total motivierend.“ (Z. 275-288) 295 wenn niemand da ist, der ein bisschen die besseren … oder ein bisschen vom ausgetretenen Pfad weiter entfernten Ideen einbringt, ähm dann können wir noch den Weg gehen, den wir jetzt quasi ausgetreten haben, für einen gewissen Zeitraum, dann irgendwann fallen wir halt die Klippe runter. Und diesen Vorausblick zu haben und dann: „Achtung, da ist eine Klippe! Wir müssen jetzt woanders hingehen“, und das mag jetzt auf den ersten Blick ein bisschen dorniger sein, aber am Ende fallen wir nicht die Klippe runter, sondern kommen irgendwo anders hin, das ist, glaube ich, so die zentrale Erkenntnis, und dafür auch zu kämpfen, ist total wichtig. (Z. 295-304)
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Im folgenden nennt die Gruppe einige Stichworte, die den von ihnen favorisierten Entwicklungspfad umreißen: „Energiewende“ und ein „besseres Leben“ statt „Wachstumslogik“. Dies ist ein Bezug zum Konzept des Guten Lebens (buen vivir). Die mehrfache Nennung von Wachstumskritik weist darauf hin, dass der Entwicklungspfad sich im Kontext einer Postwachstumsorientierung gestalten soll. Diese Bezüge verweisen auf den akademischen Hintergrund, der die Deutungen prägt. Die Gruppe elaboriert die Differenz zwischen „gegen etwas kämpfen“ und „für etwas kämpfen“. Sie beschreiben den „Kampf gegen etwas“, entsprechend der Deutungsfigur „Umweltschutz als Protest bzw. als Kampf“, mit den Begriffen „Abwehrkämpfe“, „kritische Aktionen“ und „Widerstand leisten“. Mit dieser Darstellung machen sie deutlich, dass sie gezielt den Fokus auf „positive Alternativen“ legen. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die ihre eigenen Aktivitäten nicht explizit einordnen bzw. keine Abwägung zwischen unterschiedlichen Foki im Umweltschutz dokumentieren. Die Gruppe Paprika ironisiert die „Aktivisten, die immer nur so @schlechte Laune@-Kampagnen machen“. Bemerkenswert ist, dass die Gruppe sich, im Kontrast zu anderen Gruppen, wenig vom „Mainstream“ abgrenzt, aber dafür von anderen Umweltschutzgruppen. Die Gruppe sucht nach einem Weg, den „Kampf gegen Missstände“ nicht abzuwerten und gleichzeitig ihren Fokus auf einen „Kampf für eine bessere Welt“ zu betonen („das ist natürlich auch wichtig und äh und … man braucht auch solche ganz kritischen … Aktionen“). Als wesentliches Charakteristikum des Kampfes für etwas benennt die Gruppe, entsprechend der PfadfinderMetapher, dass „dass man auch einen Maßstab aufzeigt, wo man hin will“. Eine Absage erteilen sie einer Position, die sich auf Kritik beschränkt, ohne Alternativen zu benennen („Also, dass man nicht nur sagt :„das ist schlecht“, sondern „da wollen wir hin“.“, Z. 305-324). In dieser Darstellung unterscheidet die Gruppe implizit zwischen Aktionen und Projekten, denn sie bezeichnet Strategien für einen „Kampf gegen“ als „Aktionen“, während die Aktivitäten „für etwas“ in der Sprachgebung des BUNDJugendverbands als „Projekte“ bezeichnet werden. Die folgende Darstellung der eigenen Wegweiser bzw. des eigenen Kompasses, steigert sich die Gruppe in der Begeisterung für die eigenen Utopie zur emotional dichtesten Stelle der ganzen Gruppendiskussion („Gänsehautmoment“). Zunächst elaboriert die Gruppe ihre Wir-Identität. Die Bevorzugung von „positiven Alternativen“ ist demnach keine persönliche Präferenz, sondern eine strategische Entscheidung des nationalen wie internationalen Jugendumweltverbands 1, der einen „Dreiklang“ verfolgt, aus „Widerstand leisten, mobilisieren – und eben auch – transformieren“. Aus diesem „Dreiklang“ heben die Teilnehmer*innen das „Transformieren“ hervor, denn darin befindet sich der Kompass,
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das Orientierungsmuster der Gruppe. Sie haben demnach „gute Alternativen“ als Wegweiser des gesellschaftlichen Entwicklungspfads vor Augen („da, wo wir hin wollen“), die zu „ unsere[r] Vision, unsere[r] Utopie“ führen (Z. 318-335). Die gemeinsame Vision bzw. Utopie beschreibt die Gruppe nicht explizit, sie ist als Teil der kollektiven Orientierungsmuster allen Teilnehmer*innen selbstverständlich. In dieser Passage kommt mehrmals der Zusatz „auch“ („dass wir das eben auch mit haben“ (Z. 324), „auch für Sachen streiten“ (Z. 306)). Dies macht deutlich, dass die Gruppe sich so einschätzt, dass ihnen die Orientierung an „positiven Alternativen“ sehr wichtig ist, in der Alltagspraxis jedoch der „Kampf gegen etwas“ einen großen Raum einnimmt („nicht nur Abwehrkämpfe“, Z. 305). Dies dokumentiert auch folgendes Zitat: „Eigentlich kämpft man die ganze Zeit nur gegen irgendwas … wenn es passiert, aber schafft es vergleichsweise eher selten, so eigene Ideen aktiv einzubringen“ (Z. 260-264). 305 „Ich denke, dass wir gar nicht nur Abwehrkämpfe machen, jetzt irgendwie gegen TTIP oder so etwas, ich denke, wir haben auch ganz viele Projekte, wo wir … auch für Sachen streiten wollen, und das machen wir eigentlich auch erfolgreich, denke ich mir, zum Beispiel, wenn wir für die Energiewende eintreten, … bei solchen Dingen denke ich mir, wir sind eigentlich für eine gute Sache, oder für, für so ein besseres Leben kämpfen, anstatt nur so einer Wachstumslogik nach zu rennen, so einem Wachstumsdogma nach zu rennen, … mir gefällt das auch total gut, dann auch diese positiven ähm Alternativen (.) dafür zu kämpfen, mich dafür einzusetzen und ich bin jetzt nicht ganz bei den Aktivisten, (.) äh so, die immer nur so @schlechte Laune@ so, Schlechte-Laune[TN: @(.)@ Kampagnen machen so, das ist natürlich auch wichtig und äh und uns auch, man braucht auch solche ganz kritischen (.) ähm Projekte, man braucht kritische Aktionen, wo man auf den Putz haut, allerdings gehört für mich zum Kritischen dazu, dass man auch einen Maßstab aufzeigt, wo man hin will. Also, dass man nicht nur sagt: „das ist schlecht“, sondern „da wollen wir hin“. Und das, da finde ich das ja bei, bei [Jugendumweltverband 1] oder bei [internationaler Jugendumweltverband 1], dass wir da mit unserem Dreiklang von „Widerstand leisten, mobilisieren – und eben auch – transformieren“, dass wir da einen guten Dreiklang haben, und in diesem transformieren, das steckt für mich eben auch dieses (.) die Alternativen, die positiven, die guten Alternativen, da, wo wir hin wollen, unsere Vision, unsere Utopie, dass wir das eben auch mit haben. ... Tm1: Das stimmt total! (Z. 305-326)
In einer kurzen Zwischenpassage (Z. 326-363) werden die Organisationsstrukturen des BUND-Jugendumweltverbands sichtbar. Die Darstellung enthält eine Menge implizites Wissen, das sich aus dem Kontext der Aktiven des BUND-
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Jugendumweltverbands in der Hauptstadt erschließen lässt. Mehrere Teilnehmer*innen sind offenbar nicht nur Mitglied im AK Klimaschutz und im Landesverstand, sondern auch Delegierte des Bundesverbands des BUNDJugendumweltverbands. Der Bundes-Jugendumweltverband positioniert sich als unabhängig vom Erwachsenenverband 1. Tm1 beansprucht als Vertreter des BUND-Jugendverbands, mit Teilnehmer*innen des Erwachsenenverbands kontrovers über Positionen zur Energiewende zu diskutieren. Er berichtet von Konflikten innerhalb des Umweltverbands zwischen Gegner*innen und Befürworter*innen von Windkraft. Implizit wird deutlich, dass Tm1 parallel zum Engagement beim Jugendverband auch an Veranstaltungen des Erwachsenenverbands teilnimmt. Er stellt dar, dass er sich mit den Positionen der Gegenseite auseinandersetzt und ordnet den Konflikt als „spannende Sache“ ein, die es ermögliche, sich an der eigenen Vision zu orientieren. Durch diese Auseinandersetzung sei es ihm möglich, „seine Meinung weiter zu differenzieren“. Diese Darstellung ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die kontrastierende Positionen pauschal abwerten und sich inhaltlich nicht mit ihnen auseinandersetzen. Ein Kontrast zu einem Schwarz-Weiß-Denkstil (Kirsche, Stachelbeere) ist auch, dass Tm1 die Position des Windkraft-Gegners nicht abwertet, sondern als Chance beschreibt, die eigene Deutungen zu reflektieren und zu differenzieren. 326 „Warum ich Energiewende als Thema sehr gerne mag irgendwie, weil … weil das mal etwas Positives ist. Und auch da hat man irgendwie große Konflikte, erst gestern sogar eine Wutrede von einem BUND-Aktiven sogar anhören müssen: „Die ScheißVerspargelung der Landschaft!“ und so weiter und so fort, aber ähm gut, das ist auch [TN: Mhm. Eigentlich eine spannende Sache, dass man so etwas mal ausdiskutiert und ähm sich mal überlegt, ok, wo wollen wir hin? Und dann auch so seine Meinung differenziert weiter.“ (326-332)
Tm1 stellt dar, wie die von ihnen gewählten Aktivitäten beim BUNDJugendverband aussehen. Dabei wird deutlich, dass es sich um eine stark konzeptuelle Arbeit handelt, in der die Jugendlichen ihre eigene Positionierung entwickeln und verhandeln („wir schreiben jetzt total schöne Papiere“, „im letzten Detail das Positionspapier zu diskutieren“). Demnach betreibt der Bundesjugendverband einen aufwändigen Prozess, in dem die Teilnehmer*innen, z.B. zu Klimaschutzzielen im Kontext der COPs, Positionspapiere schreiben und detailliert aushandeln. Dies ist ein Gegenhorizont zu den vorgefertigen Kampagnen und Flyers, die die Greenpeace-Jugend vom Erwachsenenverband erhält. Durch diese Aushandlungsprozesse machen die Jugendlichen nicht nur das
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interaktiv ausgehandelte theoretische Wissen explizit, sie stellen auch eine WirIdentität im konjunktiven Erfahrungsraum des Jugendumweltverbands her. Tm1 inszeniert sich als begeistert von dieser konzeptuellen Arbeit bzw. bewertet diese positiv („total schöne Papiere“, „dass ich total Spaß habe“). Dabei elaboriert das Selbstverständnis nach Nachwuchspolitiker. Bei der Darstellung des Aushandlungsprozesses geht Tm1 implizit davon aus, dass alle Anwesenden wissen, wie die BUND-Jugend auf Bundesebene organisiert ist (nämlich basisdemokratisch) und wie die Delegiertenversammlungen ablaufen. Von den anderen Teilnehmer*innen weiß er, dass sie ebenfalls Delegierte sind bzw. waren, bei mir als Gesprächsteilnehmerin geht er selbstverständlich davon aus, dass ich die Darstellung verstehe. Das hängt damit zusammen, dass ich mich als langjährig Aktivistin in der Umweltschutzszene vorgestellt habe. Tm1 beschreibt neben dem „Spaß“ an der konzeptuellen Arbeit, dass sich er wenig direkte Veränderung davon erhofft. Tm2 ergänzt diese Reflexion über die eigene Außenwirkung, dass es nicht um einen „großen Impact nach außen“ gehe, sondern um die Klärung der Position, die „wir“ als Jugendumweltverband einnehmen wollten. Er beschreibt dies als Aushandlungsprozess mit den Verben „diskutieren“, „klar werden“ und „vertreten“. Diesem internen Aushandlungsprozess schreibt die Gruppe eine positive Bewertung zu („sehr wichtig ist“), nimmt sich jedoch selbst nicht komplett ernst, indem sie über diese Darstellungen lacht bzw. einen leicht ironischen Tonfall anschlägt. Tm2, der am längsten aktiv ist, stellt klar, dass nicht alle die Diskussion um die Positionspapiere so wichtig nehmen wie Tm1 und führt die Erfahrung aus dem internationalen Jugendumweltverband Young Friends of The Earth Europe an. Diese leichte Opposition wird durch gemeinsames Lachen aufgelöst. 334 „Wenn man zum Beispiel zu den COPs arbeitet, halt zum Beispiel mit Prozentzahlen bei den Emissionsreduktionen oder so hantiert, … wir schreiben jetzt total schöne Papiere und Verträge am Ende und haben dazu beigetragen, vielleicht, hoffentlich …. Oder … wenn wir Delegiertenversammlung haben der BUND-Jugend, dann merke ich, dass ich total Spaß habe, im letzten Detail das Positionspapier durch zu diskutieren und da etwas zu verändern und so, aber dann am Ende, wenn ich ganz ehrlich bin, glaube ich nicht, dass, ob jetzt diese eine Zeile im Positionspapier so oder so ist, dass das (.) irgendwas ändern wird Tm2: Ja. Also, bei den @Bundesdelegiertenversammlungen, da denke ich auch nicht, dass@ [TN: @2@
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unsere, unsere Pamphlete irgendwie großen Aus, großen Impact nach außen haben. Da sehe ich, glaube ich, den Sinn eher, dass wir innerhalb [des Jugendumweltverbands 1] uns diskutieren und uns klar werden, was für Positionen wir eigentlich vertreten. ... Tw1: @(.)@ Tm1: Was ja auch sehr wichtig ist. Tm2: Ähm, ja. Tm1: Und die sind teilweise echt lesenswert, also TTIP ( ) letztes Jahr oder vorletztes Jahr fand ich echt gut. Tm2: Ok. @2@ Also, ich, hat auch schon mal andere Jahresmitgliederversammlungen [TN: @2@ gegeben, also im europäischen Netzwerk läuft das alles ein bisschen lockerer ab und ähm (.), aber ok. Es ist auch gut, wie wir es machen. Es ist ok. TN: @2@ (Z. 334-363)
In der folgenden Passage (Z. 363-542) elaboriert die Gruppe die Deutungsfigur von Klima- und Umweltschutz als Teil sozialer Bewegungen. Sie elaborieren ausführlich ihre Deutung von Klimaschutz und ihr Selbstverständnis als Teil der europäischen Klimabewegung. Eine große Rolle spielt die Reflexion über den Vorwurf, eine „elitäre europäische Klimabewegung“ zu sein. Die Gruppe reflektiert den Eindruck, den die Öffentlichkeit von ihrem Umweltverband hat. Sie wollen ihre Belange nicht als reine Umwelt-Belange bzw. als Eliten-Thema gesehen wissen, sondern weit darüber hinaus. Ein ähnlicher Anspruch findet sich zum Thema Jugendpartizipation sowie Menschenrechte bei Tomate. Der Reflexionsprozess geht den umgekehrten Weg als bei anderen Gruppen (Gegenhorizont): Andere Gruppen fokussieren ihren Blick auf die Anderen, die sie als „faul“ und „ignorant“ abwerten, sowie die „bösen“ Konzerne. Sie thematisieren und reflektieren ihre eigene Rolle und ihre Ziele als Gruppe nicht. Meine These: Die Reflexion über die eigene Außenwirkung kann nur stattfinden, weil die Gruppe Paprika (als AK des Landesjugendverbands) in einer Organisations- und Gruppenstruktur ist, in der diese Reflexion möglich und erwünscht ist. Bei hierarchischen Strukturen und vorgefertigten Kampagnen (GreenpeaceJugendgruppen) ist die Reflexion der eigenen Ziele und Methoden möglicherweise eher schädlich. Auch der explizit dokumentierte Anspruch, „alle mitzunehmen“ steht im Kontrast zu einem elitären, Ausschlüsse produzierenden, Habitus. Das Selbstverständnis der Gruppe Paprika hat auch elitäre Züge, jedoch beziehen sie diese nicht aus einer selbst zugewiesenen moralischen Überlegenheit. Ihr Selbstverständnis, Pfadfinder*innen zu sein für „den besseren Weg für die Gesamtgesellschaft“ (Z. 410) beziehen sie aus ihren, akademisch geprägten, Wissensbeständen und „Ideen“.
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Die Diskussion um das Selbstverständnis der Gruppe und die Außenwahrnehmung ist von Expert*innensprache bzw. akademischer Sprache geprägt. Die beiden studierenden Teilnehmer*innen bringen zahlreiche Verweise auf ihre akademischen Disziplinen, Geschichte und Politikwissenschaft. In diesem Prozess handeln die Teilnehmer*innen ihre gemeinsame Wir-Identität als Jugendumweltverband bzw. internationale Jugendklimabewegung aus, vergewissern sich über gemeinsame Perspektiven, abstrahieren und Konkretisieren diese durch Vergleiche, Abwägungen und Beispiele. Die Gruppe elaboriert das Selbstverständnis als engagierte Wissenschaftler*innen, die sich im akademischen und aktivistischen Diskurs reflektiert positionieren. Typisch für den Standort bzw. das Selbstverständnis als engagierte Wissenschaftlerin ist die folgende Reflexion zur Thematik Klimawandel aus einer Metaperspektive, vor dem Hintergrund von gerechtigkeits- und demokratietheoretischen und historischen Fragestellungen. Klimawandel sei ein „Querschnitts-“Thema, das vor dem Spannungsbogen „von global bis lokal“ darstellt wird: Z. 364 Tw1: „Was ich beim Thema Klimawandel total spannend finde, ist, dass es zwar auf den ersten Blick ein Umweltthema ist, aber ich glaube, dass da ganz viele andere Sachen mit rein spielen. Das heißt, wir fangen an und sagen Klimawandel und reden über Umwelt, aber wenn wir dann zum Beispiel auf die globale Ebene gehen, dann reden wir plötzlich gar nicht mehr über Umwelt, sondern auch über Nord-Süd-Gerechtigkeit oder um allgemein Gerechtigkeit: Was heißt eigentlich Verantwortung und wie weit zurück reicht historische Verantwortung? Oder wenn wir irgendwie hier in Europa auf eine kleinere Ebene gehen und sagen, wir wollen Energiewende, dann reden wir im ersten Moment über die Umwelt, aber dann kann so etwas wie erneuerbare Energien voll das demokratische Potential haben, wenn es plötzlich zu Community Energy wird, und ich mag das gern, wenn man sieht, dass es gar nicht so ein abgeschlossenes Thema ist, sondern dass es ganz viele, viele Querschnitte mit anderen Bereichen hat.“ (Z. 364-376)
Von der Betrachtung von Klimawandel als Querschnittsthema kommt die Gruppe zu ihrem Selbstverständnis als soziale Bewegung. Die Gruppe problematiert, in der Öffentlichkeit „nur“ als „Umweltverband“ angesehen zu werden. Auch „im Eigenverständnis“ sollte stärker verankert sein, „dass wir eine soziale Bewegung sind“. Für die Gruppe ist implizit klar, dass ihr Thema über klassischen Umweltschutz weit hinaus gehen. Die Deutungsfigur, dass der BUNDJugendumweltverband eine „soziale Bewegung“ ist, scheint innerhalb des Verbands noch nicht fest verankert. In dieser Hinsicht verstehen sich die Teilnehmer*innen als Avantgarde innerhalb des Verbandes, der alte Denkgrenzen überschreitet, entsprechend der Pfadfinder-Metapher.
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377 Was man vielleicht noch ein bisschen häufiger so nach außen vertreten muss, also vielleicht ist es falsch, dass wir uns nur Umweltverband nennen, vielleicht müssten wir [TN: Mhm. (.) auch mehr irgendwie (.) auch in unseren Verständnis, auch im Eigenverständnis haben, dass wir auch eine, eine soziale Bewegung sind, finde ich. Ich glaube, das kommt bei den anderen gar nicht, [TN: Mhm. Also bei der, bei unseren, in der Öffentlichkeit kommt das gar nicht so richtig an, aber ich finde es total das, ich finde das total zutreffend. (Z. 377-384).
Die Gruppe betont die Kooperation mit anderen Akteur*innen sozialer Bewegungen, auch wenn es einige Differenzen gäbe, z.B. mit Gewerkschaften gegen TTIP. Auch hier findet sich das Motiv, dass Differenzen nicht als Hindernis gesehen werden oder zu Feindbildern führen, sondern zur produktiven Auseinandersetzung. Die Gruppe stellt es als „motivierend“ dar, über unterschiedliche Interessen hinaus „zusammen zu arbeiten“. Denn „es zeigt, dass man nicht so allein steht“ (Z. 396/397). Diese Darstellung ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die sich als vereinzelte Kämpfer gegen übermächtige Gegner*innen darstellen (Kirsche, Stachelbeere, Erdbeere). Sie ist ein maximaler Kontrast zum „abgekapselt fühlen“ der Gruppe Stachelbeere. 387 wir haben ganz sicher mit der Braunkohle-Gewerkschaft in ganz vielen Aspekten andere Meinungen, ähm aber dass man es [TN: °@1@° schafft, auch da mal miteinander zusammen zu arbeiten, finde ich immer sehr motivierend, weil es zeigt, dass es irgendwo einen (.), es im Menschen doch einen gemeinsamen Willen gibt, etwas zu ändern, und dass, die Veränderung mag bei einem BraunkohleKumpel dann eben doch ein bisschen begrenzt sein auf verschiedene Themen oder halt beim Sprecher der Gewerkschaft, und äh einen Strukturwandel in der Lausitz werden die sicherlich nicht befürworten oder zumindest nicht so schnell. Aber grundsätzlich, immer wenn das dann doch mal klappt trotz der Differenzen, die man hat, zusammen zu arbeiten zu einem Thema, finde ich das dann immer auch motivierend, weil es zeigt, dass man nicht so allein steht. (387-397)
Die Idee der Umbenennung von „Umweltverband“ in „soziale Bewegung“ soll auch beinhalten, Umweltschutz nicht als „Elitenthema“ zu verstehen, sondern es um den „ bessere[n] Weg für die Gesamtgesellschaft geht, wie der nächste Beitrag zeigt. Auch hier dokumentiert die Gruppe das Pfadfinder-Motiv: sie sind
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„überzeugt“, dass die Richtung, die sie einschlagen wollen, „der bessere Weg“ ist. Gleichzeitig thematisieren sie das Spannungsfeld zwischen ihrem Anspruch und der Perspektive der „Gesamtgesellschaft“, das sie als „kommunikative Herausforderung“ bezeichnen. 397 Mit der Umbenennung, fand ich eine ganz @witzige@ Idee, ja, weil ich glaube, in der Öffentlichkeit gibt es [Tw1: Mhm. diese Wahrnehmung nicht, da ist eher so, dass Umweltschutz häufig als so ein Elitenthema verstanden wird, so von wegen: „Ihr, ihr könnt euch das leisten und äh, habt Zeit euch über so etwas Gedanken zu machen und könnt dann auch noch den Ökostrom bezahlen! Das können wir halt gar nicht und können auch EEG [Erneuerbares EnergienGesetz] nicht bezahlen und ihre zwingt uns das jetzt auf und sorgt dafür, dass wir das alles machen müssen. Und dann noch das Dosenpfand und“, (.) °was weiß ich°. Also ähm, ja das ist so eine Heraus, so eine kommunikative Herausforderung, TN: Mhm. Dass man sagt, ok, wir machen das nicht, weil wir davon profitieren. … sondern halt weil wir, wie ich glaube, zu Recht, überzeugt sind, dass es der bessere Weg für die Gesamtgesellschaft ist. Und ob die Gesamtgesellschaft es so sieht, °glaube ich nicht immer°. (Z. 397-411)
Von der Ablehnung der Zuschreibung von Umweltschutz als „Elitenthema“ kommt die Gruppe Paprika auf die Ablehnung der Zuschreibung, die europäische Klimabewegung sei elitär (Z. 412 – 543). Auch im Kontext von globalem Klimaschutz spielt das Motiv, einen „besseren Weg für die Gesamtgesellschaft“ zu finden, eine wesentliche Rolle. Die Gruppe stellt ihr Selbstverständnis explizit dar, ein Gegenhorizont zu Gruppen, die das nicht tun. Auf expliziter Ebene betont die Gruppe Solidarität, soziale Gerechtigkeit und die Ausrichtung am „guten Leben“ im Kontext von Postwachstum. Auf der Ebene des Wie fällt handelt die Gruppe interaktiv ihre Position, ihre Wir-Identität aus und transferiert untereinander akademisches Wissen. Die Teilnehmer*innen nutzen ihre Wissensbestände aus ihren Studienfächern (Politik und Geschichte), um die Position ihres Netzwerks/Verbandes einzuordnen und zu bewerten. Ihr wissenschaftliches Wissen ermöglicht ihnen also Orientierung und Bewertungssicherheit. Dies ist ein Kontrast zu Gruppe Himbeere, wo die Thematisierung von (natur-)wissenschaftlichem Wissen zu Klimawandel zu Bewertungsunsicherheit führt. In dieser Passage thematisiert die Gruppe mehrmals ihr Nicht-Wissen bzw. Schwierigkeiten in der Einstellung. Dies ist ein Gegenhorizont zu Gruppen, die unsicheres Wissen dethematisieren. Z.B. sagt die Gruppe, sie wüssten nicht,
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wie andere Verbände zum Vorwurf stünden, eine elitäre europäische Position zu Klimaschutz zu vertreten. Dies ist ein Kontrast zu Gruppen, die möglicherweise kontrastierende Positionen anderer Umweltverbände gar nicht thematisieren, und erst recht nicht ihr fehlendes Wissen über deren Positionen. Ab Z. 412 ist die Fallbeschreibung nur in Stichworten verfasst. Die Gruppe Paprika war die letzte Gruppe, die ich befragt und analysiert habe. Zu diesem Zeitpunkt ließ sich durch die fortgeschrittene Analyse der anderen Gruppendiskussionen bereits einschätzen, dass die Gruppe Paprika einen Extremfall darstellt. Im folgenden habe ich die Stichworte aus der formulierenden und reflektierenden Interpretation zusammen gesetzt, wobei die reflektierende Interpretation kursiv gesetzt ist. Interessante Zitate sind eingefügt. Die Feinanalyse von Zitaten habe ich nicht in der Fallbeschreibung, sondern im Rahmen von komparativen Analysen gespeichert. Typ Engagierte*r Wissenschaftler*in: Thematisierung Schwierigkeit, Umsetzungsvorschläge für globale Gerechtigkeit und klimafreundliche Entwicklung zu machen, ohne in Neo-Kolonialistischen Habitus zu rutschen „überheblich“, „übertrieben“, „Suche nach richtigem Weg,“: Thematisierung eigener Schwierigkeiten. 412-446 Abgrenzung von Behauptung, europäischer Klimaschutz arbeite nicht mit sozialen Bewegungen des globalen Südens zusammen, Wollen keine verbiesterte Klimabewegung sein. Umweltschutz als „unsere Wiese soll sauber bleiben“. Rückfrage, ob sie diesen Diskurs kennen. In BUND-Jugend sei „Narrativ von der globalen Gerechtigkeit“ stark. Historische Einordnung „not in my backyard“-Umweltschutz Metaebene: historische Kontextualisierung Umweltbewegung. Expert*innenwissen: „in unserem Netzwerk“ (großes Wir) wird globale Gerechtigkeit stark gemacht. Thematisierung Nicht-Wissen (zu anderen Verbänden). Das Spannende ist, dass sich die BUNDJugend Gedanken um diese Themen macht, während das bei der GreenpeaceJugend gar kein Thema ist. 446-482 Klimaschutz: abstrakte Formulierung von internationalen Klimaschutzlösungen einfach (Expert*innensprache), Konkretisierung auf Land (globaler Süden) schwierig. Gegen Neo-Kolonialismus. Vernetzte Lösungen sind schwieriger als klares Nein zu etwas (TTIP) Elaboration Kontextualisierung Umweltbewegung. Sprecher geht davon aus, dass in der aktuellen Situation „sich Bedrohungen mehr und mehr verteilen und man nicht den einen großen Feind hat“ (in
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Abgrenzung zu Bau Startbahn oder Atomkraft). Das sehen Gruppen 2 teilweise anders. Thematisiert stärkere „Vernetzung der Gesellschaft“ (Expert*innensprache). Laut seiner Darstellung werden Kämpfe „auf eine sehr viel abstraktere Ebene gehoben“ und dann kommen „Komponenten wie globale Gerechtigkeit“ ins Spiel. Thematisierung eigene Schwierigkeiten „mit Thema umzugehen“. Sprecher konkretisiert seine Schwierigkeiten am Beispiel Klimaverhandlungen, globale Gerechtigkeit, Handlungspläne für spezifische Länder des globalen Südens. Politisches Thema, Expert*innenwissen und -sprache, u.a. „Loss and Damage“, „Technologietransfer“, „Degrowth“. Gegen elitäres Denken. Suche nach Lösungen. Glaube an Möglichkeiten. Konzept: Klimaschutz als stark vernetztes Thema mit Fokus auf Klimagerechtigkeit. Sehr komplex in Abgrenzung zu Themen wie TTIP, wo es „klares Nein“ gibt. Andere Gruppen beschäftigen sich gar nicht erst mit so komplexen Themen. 482-492 Unwissen über Lösungen für ferne Länder führt zu Entscheidung für Klimaschutzpolitik im Rahmen von Deutschland, Europa, lokal (Hauptstadt): „vor eigener Haustür kehren“, lokale Vorreiterlösungen entwickeln („wenn wir modellhafter voran gehen könnten“ – gemeint ist mit „wir“ nicht Jugendumweltgruppe, sondern deutsche Klimapolitik bzw. Berliner Plan) 492-542 Abgrenzung von Vorwurf elitäre europäische Klimabewegung (Elaboration) Elaboration Schwierigkeit mit komplexen Fragen zum Klimaschutz im globalen Süden. Wieder Konkretisierung: keine Ahnung von Klimapolitik für China. Deshalb Entscheidung,sich „sinnvollerweise“ kleineren und naheliegenderen Themen zuzuwenden: „vor der eigenen Haustür kehren“: Klimapolitik für „Deutschland, Berlin, Europa“ zu machen (ist ja auch riesiges Feld, das als „Haustür“ zu bezeichnen, sagt auch etwas über Problemaufriss aus.). Selbstverständnis: „Klimapolitik machen“. Lösungsorientierung: modellhafter vorangehen, Nachahmer finden (Vorbildcharakter). Großes Wir: „wenn wir“: meint mind. Deutsche Klimapolitik. Orientierung: Streben nach Wissen. Will sich weiter über Vorwurf informieren. Streben nach Wissen: Gruppe elaboriert weiter Vorwurf, der ihnen unklar bleibt. Expert*innensprache, wissenschaftliche Sprache „elitistisch“, Verwendung von Begriffen aus der politischen bzw. historischen Forschung. Weitere Elaboration Vorwurf „elitär“: wollen Vorwurf verstehen und entkräften: Streben nach Wissen. Vorsichtig mit Bewertung anderer Darstellung: will sie nicht vorschnell abwerten. Nimmt seine Pauschalbewertungen in jedem folgenden Halbsatz zurück und korrigiert sich.
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Engagierte*r Wissenschaftler*in: Verständnis bzw. Perspektivübernahme. Hineinversetzen in unterprivelegierte Menschen (implizit im globalen Süden), Abgrenzung von elitärem, verständnislosen Denkstil. In Schutz nehmen von Einzelpersonen (hier implizit: im Globalen Süden), um Problematik Klimaschutz auf die Ebene der Politik und der historischen Verantwortungsübernahme zu heben. Elaboration Aufgreifen von Kritik an eigenem Standpunkt. Kontrastierung/Fallvergleich. Auch Gruppe Himbeere setzt sich offensiv mit Kritik auseinander, aber nicht von und nicht gedankenexperimentell, sondern Kritik untereinander, sowohl an Praktiken, als auch an Präsentation von Wissen. Sie tun das aber nicht auf wissenschaftlich-reflektierter Ebene, im Kontrast zu Gruppe Paprika. Darstellung Schwierigkeiten bei internationalen Klimaverhandlungen, Kritik an elitärer Position. Kennt Konzepte zum dagegen Setzen. 492-507 akademischer Diskurs zu Kritik an elitärer Klimabewegung. 507-511 Man muss Grundbedürfnisse decken, um sich über Klimaschutz Gedanken zu machen, Bsp. Kerosin-Kocher Nachdem Sprecher seine Position erläutert hat (fast wie ein kleines Referat zur Schwierigkeit der politischen Umsetzung von Klimagerechtigkeit) Sprecher hält offen, dass Kriktik als elitär möglicherweise berechtigt ist. Expert*innensprache: „Akteure“, „zitierfähig“, „gutes Leben“, „ausgetretene Pfade“, „bedingungslos unterstützenswert“. Sie bewegen sich mit Leichtigkeit durch diesen Jargon und seine Konzepte. Jugendliche in dieser Gruppe sind es gewöhnt, dass ihre Worte Anklang finden bzw. ernst genommen werden (Vorstand, Reden halten, Uni, Parlament => erfahrungsbasiert), achten sie vielleicht deshalb stärker darauf, sich bedacht auszudrücken? 511-540 Konflikt Interessen: globaler Süden: Entwicklung – globaler Norden: konsequenter Klimaschutz, Bsp. Kohleverbrennung. Gegen NeoKolonialismus. BUND-Europa hat gute kontrastierende Konzepte, z.B. Gutes Leben. Im Rahmen von akademischer Beschäftigung mit Konzepten, Verwendung von Expert*innensprache. Spezifischer Diskussionsstil, Verhandlung über eigenes Selbstverständnis Tm1: 412 Also, ich fühle mich manchmal sogar ein bisschen angegriffen, wenn Leute sagen, die europäische Klimaschutzbewegung sei so ein bisschen, … die würde halt nicht zusammen kämpfen mit äh sozialen Bewegungen zum Beispiel im globalen Süden. … da gäbe es zu wenig Bewusstsein in der [TN: Mhm. europäischen oder in der weißen äh global nördlichen Klimabewegung, da würde, die würden sozusagen nur ihre Kerninteressen verteidigen … da gibt es manchmal ähm einen Vorwurf an die europäische Klimabewegung, dass sie ähm, dass sie vielleicht in ihrem
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Klein-Klein irgendwie so Umweltschutz, dass es denen im Prinzip nur darum geht, dass ihre Wiesen sauber bleiben, so nach dem Motto. Und das finde ich manchmal, ja, finde ich (.), das fand ich neulich ganz schön heftig zu [TN:°@1@° lesen. (Z. 412-426) 426 also dieses Argument, ich weiß nicht, ob [TN: Mhm ihr das auch schon mal gehört habt? Diese Diskussion? … ich frage mich, ob wir auch sozusagen so eine verbiesterte, europäische ähm Klimabewegung sind? Also eigentlich habe ich nicht das Selbstverständnis, also, ich weiß nicht, ob wir damit @gemeint sind@ [TN: @(.)@ mit der Kritik oder. (2) Habt ihr das schon mal gehört, diese Diskussion? [Tm1: Ich weiß es auch nicht. Tw1: Ich habe das schon öfter gehört, aber vor allem (.), nein ( ), ich glaube halt zuerst, dass, (.) das man vielleicht auch sehen muss, dass es verschiedene Akteure gibt, ich glaube zum Beispiel, dass gerade beim [internationalen Jugendumweltverband 1] dieses, diese ganze Narrativ von der globalen Gerechtigkeit recht stark ist, aber ich glaube auch, dass es auch Leute gibt, die das nicht so sehen. Und ich weiß nicht genau, wie das heute ist, aber ich weiß, dass so in den Anfängen der Umweltbewegung ganz oft das die Motivation war, dieses „Not in my Backyard“-Ding. … was mir eigentlich (.) bei uns ganz gut gefällt, ist, dass das zumindest in unserem europäischen Netzwerk schon sehr stark gemacht wird. (Z.426-440 )
543-542 Engagement – Spaß – Wirksamkeit. Thema wird von TeilnehmerInen selbstläufig zur Sprache gebracht. 543- 556 warum Engagieren? Weil es Spaß macht, Wissen anzuwenden. Schulwissen nutzen für Umweltschutzkampagnen. Abgrenzung: Schule – Wissen bleibt abstrakt, Engagement: Wissen wirksam einsetzen - Motivation für den Umwelt-/Klimaschutz: einen Unterschied machen, etwas auf die Beine stellen Es macht Spaß, Wissen anwenden zu können, z.B. Schulwissen bei der BUNDJugend einzusetzen, um gute Pressemitteilungen zu schreiben, Reden zu halten etc. Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Hat etwas mit Selbstermächtigung zu tun. Gruppe nimmt an, dass sie weiter im Umweltbereich/Soziale Bewegungen aktiv bleiben. Kontrastierung: Implizit ist im Fall des Informierens die Erfahrung drin, selbst durch Informationen aufgerüttelt worden zu sein und zum Engagement gekommen zu sein. Irgendwie wurde das Abstrakte zum eigenen, konkreten Anliegen, und die Verbindung zum Alltag wurde geschaffen. Sich berühren zu lassen, Resonanz zu erfahren, so würde ich es assoziativ beschreiben. Die Grup-
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pen wirken als Verstärkerinnen, weil dort Bestärkung durch Gleichgesinnte, Zugehörigkeit, aber auch weiteres Lernen von Informationen. 557-558 Engagement für „die große Sache“ (Umweltschutz) 559-570 Für Jugendverband wichtig, dass Jugendliche sich aktiv einbringen, ihre Ideen umsetzen, Wirksamkeit und kritisches Denken als wesentliche Erfahrungen. 571-583 Organisationsstrukturen: Betonung von Eigenständigkeit BUND-Jugend sehr deutlich distanziert vom BUND-Verband. S. BUND-Jugend Frankfurt „Seniorverband“ und in BUND-Berlin zu Energiewende Abgrenzung BUND-Senioren: Für Einbringen von Ideen Jugendlicher wichtig, dass es Jugendverband gibt, Kontrastierung: BUND-Senioren: wissenschaftliches Wissen, BUND-Jugend: Kreativität, Spaß. Aber nur vordergründig, denn sie inszenieren sich ja auch als Expert*innen. Hier unterscheiden sich explizite und implizite Aussage: explizit haben Senioren Expertenwissen, implizit sie auch und dazu noch Kreativität und Spaß 584-602 Im Rahmen erfahrungsbasierter Schilderung: über politische Jugendarbeit Kontakt zu unterschiedlichen Leuten/Denkweisen, weg von Denken, „eigene Weltsicht“ sei die richtige (gegen richtig-falsch-Denken) als wichtige Erfahrung Sprecher stellt dar, dass er durch sein Engagement mit unterschiedlichen Menschen und Konzepten in Kontakt kommt und dadurch unideologischen Denkstil entwickelt. Erfahrungsbasiertes Wissen, nennt sein Engagement „politische Jugendarbeit“ 603-613 Proposition: Verbindung von Wissen und Handeln. Anfangen mit Kontrast: abstrakt für Weltsicht sein, aber sie nicht umsetzen (Freunde boykottieren Nestlé nicht). Unverständnis, warum aktiv dafür argumentieren, aber es nicht umsetzen Problem Kluft zwischen Wissen und Handeln, auch im Freundeskreis. Gegenhorizont: bei anderen Gruppen läuft Abgrenzung nicht gegenüber Freunden/Bekannten, sondern Leuten außerhalb der eigenen Peer-Group: Nachbarn, Klassenkameraden, „Leuten“ 613-726 eigene Inkonsequenz im Alltagshandeln: nicht 100% perfekt/ nicht alles auf die Goldwaage legen. (Proposition) Umweltschutz in Lebenswelt: auch mit Freunden diskutieren, zu ganz vielen Events gehen, sich darüber Gedanken machen, sich in die Richtung beruflich orientieren: alles ist durchdrungen mit Bezügen zu Umweltschutz => Kontrast zu anderen Gruppen, wo die Jugendgruppe der einzige Ort ist (implizit) und sie sich allein auf weiter Flur wähnen
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Gemeinsame Orientierung BUND Berlin: Kein Anspruch, immer perfekter Öko zu sein. Elaboration Kluft Wissen – Handeln, Konkretisierung an Beispiel: Freunde von ihm, die nur kritisieren, sich aber nicht engagieren. Von Kritik an inkonsequenten Freunden zu eigener Inkonsequenz: „nicht zu 100% perfekt“ 617-622Wer mit 100%-Anspruch ran geht, wird scheitern Elaboration „nicht perfekt“. Zu hoher Anspruch verhindert erfolgreiches Engagement. Maximaler Kontrast zu Gruppe Stachelbeere, spannende Vergleichspassage zu „kollektiver Selbstmord“. 623-624 Kritik an Kokettieren mit Selbstmord (Elaboration) Verknüpfung hoher Anspruch an sich selbst – verhindert Wirksamkeit in Engagement – kokettieren mit Selbstmord – wirkt abschreckend auf Noch-NichtAktivist*innen Elaboration Thema Inkonsequenz: Kritik daran, bei Aktivist*innen individuelles Handeln auf die Goldwaage zu legen. Deutungsfigur: globales Problem braucht nicht perfektes individuelles Handeln, sondern gemeinsames Umsteuern auf anderen gesellschaftlichen Entwicklungspfad 627-635 vermeintliche Strenge der Umweltgruppen wirkt abschreckend, Angst vor Ablehnung, Bsp. Tw1 Klamotten/etwas falsch machen. Erfahrungsbasiert: tolle Aktivisten nehmen einem Angst. Vorstellen, dass es anderen auch so geht 637-646 Bsp Tm2 Vogelstimmenfrühstück. Freunde machen sich drüber lustig, abschreckend 647-657 Bsp. Tm1: 1. Kontakt: Angst, iphone zu zeigen 658-692 Denken: Umweltschutz ist ganz oder gar nicht, Leute haben Angst/Abwehr dagegen, im Rahmen erfahrungsbasierter Schilderung: Leute denken, man sei streng. Abgrenzung von radikalen Umweltaktivist*innen. Nicht alles auf die Goldwaage legen, gegen ein schlechtes Gewissen bei Inkonsequenz Betonung gemeinsamer Verantwortung und Notwendigkeit der gemeinsamen Aktion mit allen gesellschaftlichen Akteur*innen: „kann nur funktionieren, wenn alle mit anpacken“. Abgrenzung von Abkapselung: „und nicht ein paar Eremiten werden … sich abspalten“. Beachte auch hier die Relativierung: gegen Pauschalbewertungen. 693-726 im Rahmen erfahrungsbasierter Schilderung: Ärger über Bekannte „BUND-Jugend macht das schon“. Wir schaffen es nicht ohne die anderen. Gegenhorizont: Öko-Eremiten, Aussteigerleben. Wollen nicht als „Kompensatoren“ fungieren, unter Beobachtung stehen ist anstrengend Deutungsfigur: gegen Abspaltung einiger Radikaler, für gesamtgesellschaftliche Anstrengung. Ähnliche Passage bei Tomate
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gegen Abschieben von Verantwortung von Individuen (nicht Verurteilung, sondern „anstrengend“). Sprecher stellt sich so dar, dass andere Leute ihm Rückmeldung geben, dass „ich auch für gewisse Sachen stehe“. 727-794 Klimaschutz und Alltag/Struktur BUND-Jugend Auf meine Nachfrage: Klimaschutz umfasst viele Bereiche, lasst sich nicht aufsplitten. Klimaschutz ist nicht nur Öffentlichkeitsarbeit, sondern ganz viele andere Aspekte, u.a. Handlungsanschlüsse bieten. Sprecherin betont, es sei fatal, nur Öffentlichkeitsarbeit zu machen, ohne Handlungsanschlüsse zu bieten für Leute, die das wollen. Pluralität der Ansätze. Erfahrungsbasiert. Lösungsorientierung: riesengroßes Problem runter brechen auf Alltagsebene, „ersten Schritt in die Hand geben“. Beschäftigung mit komplexen Problematiken als optional, gleichzeitig „gibt es Sachen, die kann jeder machen“, ohne „sein Leben zu 100% umzukrempeln“. Sich an nachhaltige Alltagshandlungen gewöhnen. Orientierung an Lösungen, Utopien: „positive Komponente“, „nicht nur meckern“ (sie beziehen sich hier auf einen Öko-Diskurs, der für sie selbstverständlich bekannt ist), bieten positive und konkrete Optionen „im Großen und im ganz Kleinen“ an. Zunehmend starke Abgrenzung von Negativ-Diskurs in ÖkoBewegung Motiv „lokal denken, global handeln“: AK hat konkrete Aufgabe: BEK (Berliner Energie- und Klimaschutzplan) bekannt machen und unterstützen. Die Diskussion kreist um die Themen Klimaschutzpolitik und -Aktionen. 728-734 Nachfrage JL: Was gehört für euch zu Klimaschutz? Verbindung zwischen AK Klimaschutz und anderen Aks der BUND-Jugend Berlin 735-757 verschiedene Angebote und Zugänge gehören zusammen. Klimaschutz ist nicht nur Öffentlichkeitsarbeit des AK, sondern konkrete Angebote für Handlungsanschlüsse (wie Himbeere), z.B. Stadtführungen, Workshops. Im Rahmen erfahrungsbasierter Schilderung: Workshops: Was kann ich ab morgen machen, damit dieses Problem ein bisschen besser wird? Muss nicht ganzes Leben umkrempeln, kleine erste Schritte, Gewöhnung, positive Ausrichtung: nicht nur meckern und ankreiden, sondern im Großen wie im Kleinen Lösungen anbieten: zentral für Selbstverständnis der Gruppe. Abgrenzung von elitärem Habitus: Ak Klimaschutz wollen nicht beanspruchen, die einzigen zu sein, die Klimaschutz machen. Laut Sprecher sind Themen verknüpft, Begriff sozial-ökologische Transformation als langfristige Vision. Ausrichtung an Utopie (Expert*innenwissen, an Beispielen konkretisiert). z.B. Klimaschutz – Mobilität, Fahrradkampagne, TTIP, Fracking. Reflexion über eigene Selbstverständlichkeit: um Missverständnissen vorzubeugen, überlegen sie, Gruppennamen zu ändern. Thematisierung der Arbeitsteilung in Landesverband. AK hat sich eine
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konkrete Aufgabe gesetzt: Klimapolitik in Hauptstadt und Potentiale für Partizipation. Erleben von Selbstwirksamkeit: „gut beitragen können“. Grundausrichtung: es gibt kein Engagement 1. und 2. Klasse, ob im Umweltbereich oder Sozialem, z.B. Geflüchtete. Gegen elitären Habitus. Präzisierung: Sprecher meint nicht irgend ein Engagement („nicht Neonazi“), sondern „Ziele, die ich mittrage“ (impliziter Bezug auf sozial-ökologische Transformation in gleichem Redebeitrag). Deutungsfigur: Positive Bewertung von Engagement mit Optionenvielfalt, gegen Passivität („abgestumpft“). 758-784 Selbstverständnis AK Klimaschutz: sie machen konkrete Aufgabe (BEK), zu sozial-ökologischer Transformation gehören auch alle anderen Aktivitäten, Klimaschutz ist auch z.B. Fahrradkampagne, Anti-TTIP/Fracking. Keine Priorisierung: Klimaschutz nicht wichtiger als z.B. Flüchtlingshilfe, Engagement an sich ist wertvoll. Gegenhorizont: elitäres Selbstverständnis „unser Engagement/Thema ist das wichtigste“. Elaboration Begründung AK, Vielfalt an Optionen. Engagement hat mit eigenem Können/Skills zu tun, wird demnach gewählt (Wahlfreiheit, Einbringen von Stärken). Betonung der Wichtigkeit, „besonders viele Leute mitnehmen zu können“. 785-794 beim AK Klimaschutz sammeln sich Leute, die gern Öffentlichkeitsarbeit machen, andere gehen in andere Aks, breites Spektrum ist wichtig, um besonders viele Leute mitnehmen zu können, die ihre Fähigkeiten einbringen 795-875 Unterschied BUND-Jugend – Greenpeace-Jugend 795-797 Unterschied zu anderen Jugendumweltverbänden (in Berlin) 799-819 Stereotyp Greenpeace: Kampagnen werden in Greenpeace Büro zentral entwickelt und dann lokal umgesetzt, während bei BUND-Jugend: umgedreht: selbst Projekte entwickeln. Bei konkreten Aktionen (Demos, Aktionen) ticken sie ähnlich. Leute von Greenpeace und NaJu begeistern sich für internationale Begegnungen der BUND-Jugend. Thematisierung von Nicht-Wissen: „Ich war noch nie bei den anderen“ (beim Treffen). 820-860 Bedauern, dass Verbände getrennt agieren, Priorität haben verbandsinterne Aktivitäten (selbstläufige Thematisierung von Strukturen). Zu Verband kommt eher zufällig, über Verbindungen, im Lauf der Zeit kommt enge Bindung an Verband. Finden Pluralität der Verbände gut (BUND-Jugend, Greenpeace, NaJu), weil „andere Zielgruppen bespielen“. 861-875 Landesverbände haben Eigendynamik innerhalb BUND-Jugend (Thematisierung Strukturen), Verweis auf JL's Besuch bei BUND-Hessen, Abgrenzung: dort Fokus auf Kinder- und Jugendfreizeiten, machen sie in Berlin
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kaum. Gegen Bewertung besser – schlechter. man bleibt da, wo man Verfahren und Leute kennt und mag und es Spaß macht, vom Allgemeinen zum Persönlichen: sie finden gut, was BUND-Jugend/Wir machen, Spaß und sinnvoll. - Motivation für den Umwelt-/Klimaschutz: einen Unterschied machen, etwas auf die Beine stellen. Anhang 12: Fallbeschreibung Gruppe Kürbis Die Gruppendisskusion mit der Gruppe Kürbis wird im Rahmen einer Vorstandssitzung des Landesvorstands des Jugendumweltverbands geführt. Es handelt sich um sieben Teilnehmer*innen (4 Tm, 3 Tw) zwischen 17 und 22 Jahren (Altersdurchschnitt: 18,7 Jahre), die im Vorstand aktiv sind und seit mindestens zwei Jahren Mitglieder des Verbands sind. Die Diskursorganisation ist von mehreren Kontroversen geprägt. Die Gruppe hat keine einheitliche Positionierung (z.B. in der Bewertung von Klimawandel), wobei ein eine kontroverse Diskursorganisation möglicherweise zum Selbstverständnis als kritischer Jugendverband gehören. Die Gruppe verfügt über einen gemeinsamen konjunktiven Erfahrungshorizont. Sie eint die Zugehörigkeit zum Jugendumweltverband mit Inszenierung einer starken Wir-Identität. Bei anderen Fragen gibt es mehrfach oppositionellen Diskurs: u.a. zur Einschätzung von Klimawandel und der Nähe zum Erwachsenenverband. Die Gruppe elaboriert die Positionierung ihres Jugendverbands in Abgrenzung zum Erwachsenenverband und betont eine eigene Schwerpunktsetzung. Sie thematisieren ihre Deutungen von Umwelt und Umweltschutz, wobei sie einen Schwerpunkt auf konkrete Aktivitäten und ihr erfahrungsbasiertes Wissen legen. Ernährung (Umweltschutzstrategie, gemeinsame Aktivität, konkret) Umwelt: konkrete Bilder zu Natur und Klimawandel (Südafrika, Finnland, Wattenmeer) Was auffällt: sowohl zu Natur, als auch die Klimawandel knüpft die Gruppe an ihre Erfahrungen an. Ein Tm berichtet zu Bildern von Natur von seinen Erfahrungen bei einem Jahr im Wattenmeer, in der Naturschutzarbeit. Zu KW berichtet eine Tw von ihrem Aufenthalt in Südafrika und dass es dort zu trocken war, Regenzeit verschoben. Ein Tm berichtet von seinem Aufenthalt in Finnland und dass es dort zu warm war, Schnee schon getaut. => Bindung an erfahrungsbasiertes Wissen. Andere TN sagen, dass KW für sie sehr abstrakt ist und es dadurch schwierig ist, etwas dagegen zu tun oder andere zum Klimaschutz zu motivieren.
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Bei der Einstiegsfrage stellen die Teilnehmer*innen ihre große Zugehörigkeit im Jugendumweltverband dar. Drei sind seit ihrer Kindheit, über Freizeiten, mit dem Umweltverband in Kontakt. Die weiteren vier berichten, im Alter von 15 Jahren eingestiegen und gleich zur Vorstandsarbeit gekommen zu sein. Durch den langen Zeitraum und das intensive Engagement im Vorstand identifizieren sich die Teilnehmer*innen stark mit dem Jugendumweltverband. Die Bedeutung von Umweltschutz rahmt die Gruppe Kürbis als Thematik, die sie bereits ausgiebig reflektiert hätten. In der folgenden Passage (Z. 54 – 239) benennen sie verschiedene Verständnisse von Umweltschutz und konkretisieren diese mit Fragen der „Abwägung“. Auf meine Frage nach der Bedeutung von Umweltschutz geben die Teilnehmenden an, sie hätten unmittelbar vor der Gruppendiskussion in der Vorstandsitzung zu dieser Frage diskutiert. Sie grenzen sich klar vom Schwerpunkt des Erwachsenenverbands ab, der Naturschutz fokussiert. Die Unterscheidung zwischen Jugend- und Erwachsenenverband betrifft sowohl die inhaltliche Ausrichtung, als auch die Verbandsstruktur. Während dort der Schutz einzelner Arten im Vordergrund stehe, verstehen sie Umweltschutz als globales Thema. Sie elaborieren das Spannungsfeld von Umweltschutz nach der Maxime „global denken, lokal handeln“. Ihrem Verständnis nach ist Umweltschutz besonders weitreichend, wenn er die Lebenswelt durchdringt, z.B. sei Ernährung ein wichtiges Umweltschutzthema. Veganvegetarische Ernährung verstehen sie als Umweltschutzstrategie, die mehrere Umweltschutzfelder vereine. Die Thematisierung von Ernährungsweisen erfolgt ohne Moralisierung, was ein Gegenhorizont zur Darstellung mehrerer anderer Jugendgruppen ist. Vegan-vegetarischer Ernährung wird als besonders wirksame Strategie dargestellt, die sowohl in Alltag, als auch in Erfahrungsraum des Jugendverbands anwendbar ist. Der Orientierungsrahmen der Gruppe besteht aus der Bevorzugung alltagsnaher, konkreter Aktivitäten gegenüber der Beschäftigung mit Themen, die als abstrakt dargestellt werden. Konkrete Aktivitäten ermöglichen demnach eine Selbstwirksamkeitserfahrung. Ernährung sei im Kontrast zu Atomkraft ein Handlungsfeld, bei dem es die Möglichkeit zum konkreten Handeln gäbe: „Man weiß, man weiß auch, dass man halt bei Ernährung kann man selbst was tun. Bei Atomkraft, weiß ich nicht, also mir würde spontan gar nicht einfallen, was ich da genau tun kann“ (Z. 114-116). Dieser Darstellung nach ist die Beschäftigung mit abstrakten Themen bzw. Problematiken mit Hilflosigkeit und Handlungsunsicherheit verknüpft, während konkrete Aktivitäten Handlungssicherheit bieten. Die Kontrastierung von spürbaren vs. abstrakten Thema ist eine zentrale Unterscheidung in den Deutungsmustern der Gruppe Kürbis. Ernährung ist ein
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beliebtes Thema, an dem sich die Orientierung und Handlungspraxis der Gruppe zeigt. Sie bevorzugen klar umgrenzte Aktionen und Formate. Ernährung sei ein gutes Thema, „weil man schnell Erfolge sieht. Man sieht: Hey, mir geht’s vielleicht besser, oder hey, ich kann mit anderen Leuten, klar, man kann mit anderen Leuten gegen Atomkraft demonstrieren, aber das sind einfach so Sachen, die man auch nett zusammen machen kann, Essen muss man sowieso und wenn man sich dann mit anderen trifft und schön kocht oder backt oder so, und man halt, wie gesagt, schnell Erfolgserlebnisse hat und Erfolgserlebnisse motivieren dann ja auch immer weiter zu machen.“ (Z. 131-137). Die Gruppe richtet sich an konkreten Aktionen im Rahmen des Jugendumweltverbands aus. Sie stellt eine Vielzahl an Themen dar, zu denen es Aktivitäten gibt: von gemeinsamen Kochtreffen und einer Aktion gegen die „Vermüllung“ der Meere über ein Zeltlager zum Thema „Konsum und Glück“ und Kleidertauschparties bis hin zu einem Wochenendseminar zum Thema „Alternatives Wirtschaften“. Zum Selbstverständnis der Gruppe Kürbis gehört es, einen Bildungsauftrag zu haben. Im Kontext der Darstellung von konkreten Aktivitäten frage ich nach Urban Gardening-Aktionen, von denen ich einen Flyer gesehen habe (Z. 224). In der folgenden Passage (Z. 224-345) elaboriert die Gruppe das Spannungsfeld von Zugehörigkeit und Offenheit. Der Jugendumweltverband verstehe sich als Netzwerk, die Grenzen zwischen privaten Aktivitäten und Verbandsaktivitäten verschwimme, so z.B. bei Urban Gardening-Aktionen: „Also, wir machen, sage ich mal, noch mehr als die BUND-Jugend selbst als offizielle Veranstaltung macht, oft auch zusammen, weil da hat man ein Netzwerk mit Leuten, die das auch interessiert, über die BUND-Jugend, die da vielleicht auch was wissen, die einem auch Tipps geben können, so dass wir zwar zum einen Sachen als BUNDJugend machen, aber auch so Sachen zusammen machen und uns gegenseitig Tipps geben, Kontakte vermitteln etc.“ (Z. 235-239). Als zentral stellt die Gruppe die bestärkende Erfahrung im Erfahrungsraum des Jugendumweltverbands dar. Der Kontakt mit Gleichgesinnten wird als bestärkend dargestellt im Kontrast zur alltäglichen Lebenswelt: „[wenn man] zuhause immer nur die Leute hat, die sagen: „Nee, klappt doch eh alles nicht und was willst du alleine schon verändern?“ “ (Z. 247-248). Die eigene Orientierung wird als Minderheitenorientierung dargestellt. Im folgenden elaboriert die Gruppe die Darstellung, der Jugendverband sei zeichne sich durch Offenheit aus: „Wir sind, ich würde sagen, ich kann für alle sprechen, wenn ich sage: wir sind offen für alle“ (Z. 253/254). Die semantische Verknüpfung von Zugehörigkeit und Offenheit, die mit einer kontrovers geführten Diskursorganisation einhergeht, lässt sich als Gegenhorizont verstehen zu Gruppen, die ein elitäres Selbstverständnis haben und sich
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stark vom Rest der Gesellschaft abgrenzen (Stachelbeere, Kirsche). Die Gruppe beschreibt Veränderung durch Wissensaneignung im konjunktiven Erfahrungsraum. Sie würden davon profitieren, dass sie so viel Neues lernten: 272 „dass [durch das Engagement im Jugendumweltverband] das Wissen ganz stark erweitert wird. … kommen die Leute mit ihren verschiedenen Meinungen … und dann kommen neue Schwerpunkte dazu … und ich denke, das erweitert einen unglaublich.“ (Z. 272-275)
In der folgenden Passage verbindet die Gruppe Kürbis Offenheit und Zugehörigkeit. Sie beginnen mit einer Selbstdarstellung als schräge Vögel. Durch den Kontakt mit Gleichgesinnten im Jugendumweltverband verschieben sie ihre Selbstdarstellung auf nicht mehr „unnormal sein“, hin zur Darstellung der Verbandsmitglied als „normalere Leute“ (Z. 343) in Abgrenzung zum alltäglichen Umfeld. Zunächst elaborieren die Teilnehmenden, dass sich die Offenheit im Jugendverband auf Menschen bezieht, die durch ihre Orientierungen außerhalb des „Mainstreams“ stehen, also auf sich selbst. Die Aussage, der Jugendumweltverband sei „generell offen für schräge Vögel jeglicher Art“ (Z. 290) wird von heftigem Lachen bestärkt. Als Beispiel zeigt die Gruppe auf eine Teilnehmerin, die gerade dabei ist, für eine kommende Aktion Kunstobjekte zu häkeln. Als zentral beschreiben die Teilnehmer*innen die Erfahrung der Zugehörigkeit. Innerhalb des konjunktiven Erfahrungsraums drehe sich das Verhältnis von Normalität um: 302 „Was ich bei der BUND-Jugend besonders finde: dass man einfach so, wie man ist, angenommen wird, und irgendwie (.) so bestärkt wird in seinen (.) in anderen Kontexten anderen Meinungen, plötzlich ist man quasi unter Seinesgleichen und die anderen sind irgendwie unnormal, [Tw1: °Genau.° [Tw2: Ja. Also man ist quasi plötzlich normal. Irgendwie. [TN: Ja, mhm. @(.)@ [Tw2: @Ich glaub, wir wissen alle, was du meinst.@ (Z. 302-309)
Ein Gegenhorizont ist die Dethematisierung der Selbstwahrnehmung in und außerhalb der Jugendgruppe und stattdessen ein Fokus auf das problematische Handeln anderer. Dieser Gegenhorizont findet sich in mehreren ProtestGruppen, während sämtliche Gruppen 1 die positive Erfahrung im Jugendumweltverband betonen. erfahrungsgebunden: Gruppe fungiert als Erfahrungsraum,
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der motivierend und energiespendend ist, Gegenhorizont: sich nach Treffen noch aufgebrachter und verzweifelter fühlen, weil von noch mehr Dingen erfahren, die schlecht laufen in der Welt (implizit: Kirsche und Stachelbeere). Die Erfahrung im Jugendumweltverband sei „total wertvoll und bestärkend“ (Z. 310) und wirke dem „Gegenwind vom normalen Mainstream“ entgegen, der „einem auch die Motivation nimmt (.) und so auch die Hoffnung, dass sich was ändert oder auf eine bessere Welt“ (Z. 317/318). Die Aussage: „der Verband an sich motiviert auch nochmal die Leute in dem Verband“ (337/338) stellt die Fokussierungsmetapher und Konklusion dar. Die Gruppe stellt ihre eigene Standortgebundenheit dar, indem sie das Milieu beschreiben, aus dem sie kommen: 339 „du kommst ja auch aus dem [Landkreis], wo im Durchschnitt eigentlich jeder zwei riesige Autos hat [Tw2: Ja. @(.)@ Der Speckgürtel von [nahegelegene Großstadt].“ (Z. 339-341)
Die Abgrenzung vom wohlhabenden Öko-Milieu erfolgt über die Darstellung: „Es ist auch interessant, wie verschieden die Bilder von Umwelt sind und was man für die Umwelt tun kann“ (Z. 346-348). In ihrem reichen Landkreis würden „die Kinder auch mit dem SUV zur Waldorfschule gefahren werden, wo (.), in vielen Köpfen ist ja eigentlich: Waldorf, das sind ja so die Ökos. Und wenn sie dann mit dem SUV ähm da hinfahren, da sieht man dann auch, was es für verschiedene Bilder und was es für verschiedene Ansätze gibt, was zu tun.“ (Z. 348-352). Die Darstellung erfolgt pointiert, aber ohne Moralisierung. Der Verzicht auf eine Bewertung ist ein Gegenhorizont zu Jugendgruppen, die das Handeln „der anderen“ u.a. als „asozial“ abwerten (Kirsche). Diese Nennung ist die einzige in der Gruppendiskussion, in der das Alltagshandeln „anderer“ thematisiert wird. Sich über das Handeln anderer zu empören, gehört nicht zur diskursiven Praxis der Gruppe Kürbis, lieber schwärmen sie von ihrem Jugendumweltverband. Die Thematisierung von unterschiedlichen Bildern von Umwelt eröffnet eine neue Passage (Z. 346-463), in der Bilder von Umwelt und Umweltschutz verhandelt werden. Die Gruppe elaboriert die Deutungsfigur von Umweltschutz als Abwägung von Interessen. Analog zur Devise„global denken, lokal handeln“ vertreten ist ein Verständnis von Umweltschutz als „vernetzt denken, konkret handeln“. Sie verstehen sich als Multiplikator*innen eines nachhaltigen Lebensstils. Sie haben den Anspruch, „dass man andere dazu motiviert, nicht zwingt, aber motiviert, ähm sich auch mit diesen Gedanken auseinander zu setzen“ (Z.
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362/363). Der Begriff des Motivierens ist in der Deutung der Gruppe stark positiv aufgeladen. Im Kontext der positiven Darstellung, wie sie selbst motiviert werden, übertragen die Teilnehmer*innen die Idee, die positive Erfahrung, motiviert zu werden, auf „andere“ anzuwenden. Ein Gegenhorizont ist das Ziel, andere zu schocken und ihnen „die Augen zu öffnen“ (Stachelbeere). Die Diskursorganisation ist von kleineren Kontroversen durchzogen. Tw2 bringt mehrmals provokante Beiträge und unterbricht andere, z.B. kritisiert sie eine unreflektierte Verwendung des Begriffs Nachhaltigkeit, „als nachhaltig kannst du eigentlich alles deklarieren, was länger hält, wenn du ein Haus aus Beton baust, hält das lange, ein Atomkraftwerk ist auch nachhaltig“ (Z: 366-369). Die anderen Teilnehmer zeigen sich dagegen nicht interessiert an einer konzeptuellen Auseinandersetzung mit Begriffen: „Tw1: Ja, also nachhaltig gut für die Umwelt [Tw3: Ja, halt im ökologischen Sinne.“ (Z. 369/370)
Von der Frage, was Nachhaltigkeit bedeutet, kommt die Gruppe zum Mitdenken zukünftiger Generationen und der Frage, was sie mit ihrem Engagement schützen wollen. Tw2 berichtet von einer Begegnung an einem Infostand, wo ihr die Frage gestellt wurde, „ob wir denn mit unserem Umweltschutz, wie wir ihn nennen, äh die Umwelt schützen oder ob wir nicht uns selbst schützen.“ (Z. 384) Es sei wichtig, sich der Frage zu stellen, „was man jetzt eigentlich schützen möchte oder was das Ziel ist, was man schützt.“ (Z: 389). Die Gruppe dokumentiert als Zugang zu Umwelt- und Naturschutz die persönliche Erfahrung bzw. Betroffenheit. Ein Gegenhorizont ist die Dethematisierung von persönlicher Betroffenheit oder die theoretische Ableitung von Handlungsbedarf. Verschiedene Teilnehmer*innen berichten von von ihren Zugängen zu Umweltschutz, u.a. von einem Auslandsaufenthalt, bei dem eine Teilnehmerin erlebt habe, dass in südafrikanischen Ländern eine geringere Bedeutung habe, und vom einem FÖJ im Naturschutz im Wattenmeer, wo die schützenswerte Natur ganz konkret erlebbar geworden sei. Die Passage wird von einer Darstellung abgeschlossen, in der die Deutung von Umweltschutz als Abwägungsfrage auf alltagsweltliche Konsumentscheidungen herunter gebrochen wird. Ein Gegenhorizont zu dieser Deutungsfigur ist die Annahme, dass aus Umweltschutz ein eindeutiger Handlungsbedarf folge. Die Thematisierung von Klimawandel erfolgt auf meine Nachfrage. Sie ist von starker Unsicherheit geprägt. In der Passage zu Klimawandel (Z. 464-586) mischen sich zwei Orientierungen der Gruppe: Die Ablehnung von abstrakten
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Fragestellung sowie die Ausrichtung an eigenem erfahrungsbasierten Wissen. Auf meine Frage: „… was denkt ihr darüber [über Klimawandel], wie beschäftigt ihr euch damit, was wisst ihr dazu?“ (Z. 467/468) stellt Tw2 ihr Schulwissen zu Klimawandel dar. Dieses rahmt sie mit der Aussage: „wir beschäftigen uns in der Schule nicht, also wir beschäftigen uns schon mit dem Weltklima“ (Z. 471), aus der hervorgeht, dass es keine explizite Beschäftigung mit Klimawandel gibt. Aus der Darstellung geht hervor, dass die Jugendumweltgruppe sich nicht mit Klimawandel beschäftigt. Eine reflexive Thematisierung lehnt die Gruppe als zu abstrakt ab: 476 „er wird noch abstrakter dadurch …Aber da weiß halt auch niemand so genau, was da eigentlich passieren, könnte, wenn sich das Klima ändert, … so dass, glaube ich, Klimawandel eine Sache ist, ähm die ist zwar abstrakt, also, wir wissen nicht, wie können wir jetzt anpacken, aber wir wissen äh, sie wird auch noch abstrakter sozusagen dadurch, dass wir nicht wissen, was kommen kann. Also es ist nicht berechenbar für uns, was passiert … Und das macht es, glaube ich, so schwierig, zum einen, für einen selbst was dagegen zu tun, und zum anderen, andere Leute dazu zu bringen, was dagegen zu tun.“ (Z. 476-488)
Die Reflexion mit abstraktem Klimawandelwissen führt demnach nicht zu Bewertungskompetenz, sondern zu Handlungsunsicherheit. Dies passt zur Deutungsfigur von Umweltschutz als greifbarem Alltagshandeln. Ein Gegenhorizont ist die explizite oder implizite Verbindung von abstrakten Wissensbeständen mit konkretem Handeln, z.B. bei der Gruppe Paprika (explizit) und Gruppe Gurke (implizit). Diese Darstellung findet Zustimmung in der Gruppe; die Darstellung wird unterstrichen, die eigenen Handlungsmöglichkeiten seien sehr begrenzt. Eine Teilnehmerin stellt dar, Handlungsmöglichkeiten bestünden nur aus Verzichtshandlungen, weniger Kohlestrom zu verbrauchen und weniger Auto zu fahren, wobei diese außerhalb ihrer Wirkungsmacht lägen. Bei dieser Passage handelt es sich um eine interaktiv dichte Fokussierungsmetapher: 510 „Klimawandel ist für mich sehr abstrakt. Was man natürlich machen kann, [TN: Mhm. ist (.) eigentlich weniger CO2 produzieren, aber das ist jetzt, für mich auf jeden Fall, noch (.) kein so großes Thema, weil das [TN: Ja. Ja vor allem auch durch, also auch durch Autoabgase produziert wird, und ich noch nicht Auto fahren darf, also (.) @kann ich noch nicht viel machen@.“ (Z: 510-516)
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Im folgenden kommt es zu einem oppositionellen Diskurs, bei dem die Teilnehmenden unterschiedliche Einschätzungen jedoch nicht ausdiskutieren, sondern nebeneinander stehen lassen. Während zwei Teilnehmer*innen darstellen, dass sie bei Auslandsaufenthalten (in Südafrika und Finnland) Folgen des Klimawandels wahrnehmen konnten (ausbleibende Regenzeit bzw. frühzeitige Eisschmelze), ziehen zwei weitere Teilnehmende in Frage, inwieweit überhaupt menschliche Einflüsse für den Klimawandel verantwortlich seien und nicht „die Konstellation der Sterne“ (Z. 570). Die oppositionellen Darstellungen erfolgen abwechselnd, jedoch ohne direkte Bezugnahme oder Emotionalisierung. Die Gruppe kommt zur Konklusion, dass „dass man noch viel zu wenig °darüber weiß, um (.) irgendwas darüber zu sagen°.“ (Z. 584/585) Mit meiner Nachfrage zu Unterschieden zwischen den Jugendumweltverbänden beginnt die letzte Passage (Z. 588-719). In dieser Passage elaboriert die Gruppe Kürbis ausführlich die Unterschiede zwischen verschiedenen Jugendumweltverbänden. Es gibt einen oppositionellen Diskurs zur Frage, inwiefern die Erwachsenenverbände prägend für die Entscheidung für eine Jugendumweltgruppe sind oder das Elternhaus, das über Kinder- und Jugendfreizeiten (die in diesem Landesverband einen großen Stellenwert einnehmen) den Erstkontakt herstellt. In dieser Passage werden erneut die Unterschiede zwischen Erwachsenen- und Jugendumweltverband elaboriert, so dass die Gruppendiskussion von der Positionierung des Landesjugendsverband als eigenständiger Verband gerahmt wird.
Soziologie Juliane Karakayali, Bernd Kasparek (Hg.)
movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Jg. 4, Heft 2/2018
Februar 2019, 246 S., kart. 24,99 €(DE), 978-3-8376-4474-6
Sybille Bauriedl, Anke Strüver (Hg.)
Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten 2018, 364 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4336-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4336-1 EPUB: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4336-7
Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort, Christian Scherf
Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende Soziologische Deutungen 2018, 174 S., kart., zahlr. Abb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-4568-2 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4568-6 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4568-2
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Soziologie Gianna Behrendt, Anna Henkel (Hg.)
10 Minuten Soziologie: Fakten 2018, 166 S., kart. 16,99 € (DE), 978-3-8376-4362-6 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4362-0
Heike Delitz
Kollektive Identitäten 2018, 160 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3724-3 E-Book: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3724-7
Anna Henkel (Hg.)
10 Minuten Soziologie: Materialität 2018, 122 S., kart. 15,99 € (DE), 978-3-8376-4073-1 E-Book: 13,99 €(DE), ISBN 978-3-8394-4073-5
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