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German Pages 203 Year 1997
Rainer Kasperzak . Aktienkursbildung
Studien zu Finanzen, Geld und Kapital Band 6
Aktienkursbildung Eine handlungstheoretisch fundierte "Erklärung des Prinzips"
Von
Rainer Kasperzak
DUßcker & Humblot · Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kasperzak, Rainer: Aktienkursbildung : eine handlungstheoretisch fundierte ,,Erklärung des Prinzips" I von Rainer Kasperzak. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Studien zu Finanzen, Geld und Kapital ; Bd. 6) Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09095-0
Alle Rechte vorbehalten
© 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0939-5113 ISBN 3-428-09095-0
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068
Geleitwort Die Analyse der Aktienkursbildung stellt eines der zentralen Problemfelder der modernen Finanzierungstheorie dar. Sollte es gelingen, diesen hochkomplexen Preisbildungsprozeß in seine Strukturen zu zerlegen und die vielfältigen Determinanten des Angebots- und Nachfrageverhaltens in ihrem Gewicht zu bemessen, wäre eine Grundlage für eine erfolgversprechende Prognose von Aktienkursen geschaffen. Da trotz jahrzehntelangen Bemühens die internationale Kapitalmarkttheorie der Erfüllung dieser Zielvorstellung nicht entscheidend näher gekommen ist, erscheint eine kritische Auseinandersetzung mit ihren Grundlagen und zugleich eine theoretische Standortbestimmung sowie das Aufzeigen alternativer Konzepte zwingend geboten. Diesen fundamentalen Aufgaben widmet sich die Arbeit auf eine innovative Weise. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die immer noch vorherrschende neoklassische Ausrichtung der Kapitalmarkttheorie, die Aktienkurse mit Hilfe von Marktgleichgewichtsmodellen zu bestimmen versucht. Die dabei verwendeten stark restriktiven Prämissen kulminieren in der Vorstellung rationaler Erwartungen der Marktteilnehmer. Diese hybrid und zugleich steril anmutende Diskussion beginnt sich aber in jüngster Zeit zu öffnen. Es sind verschiedene Annäherungen an den Problemgegenstand vorgelegt worden, die in ihrer extremen Form jedoch weitgehend theorielos sind und mit Hilfe ausgefeilter mathematisch-statistischer Kalküle Marktprozesse nachzuzeichnen versuchen, um eine Basis für Prognosen zu gewinnen. Mit der vorliegenden Untersuchung wird ein entgegengesetzter Weg beschritten, der sich aus einem weit gespannten Problemverständnis heraus um eine neue theoretische Fundierung der Kapitalmarkttheorie bemüht. Anstoß zu diesem Vorgehen sind die bislang vor allem von Nationalökonomen entwikkelten Strukturen einer evolutorischen Analyse von Marktprozessen, die ihren Ausgangspunkt im Verständnis des individuellen Entscheidungsverhaltens der Marktteilnehmer suchen. Es ist das große Verdienst des Autors, erstmalig in der Literatur diesen erfolgversprechenden interdisziplinär ausgerichteten Ansatz für das Verständnis der Grundelemente des Preisbildungsprozesses auf dem Kapitalmarkt zu nutzen. Damit wird eine Grundlage geschaffen, die für dezidiert
6
Geleitwort
empirisch ausgerichtete Untersuchungen einen überzeugenden methodologisehen Rahmen bietet. Es ist der Arbeit daher eine gebührende Beachtung zu wünschen, um der Kapitalmarktforschung neue erkenntnisfördernde Impulse zu geben. Marburg, im April 1997
Prof. Dr. Joachim Krag
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Dezember 1996 von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen. Ich danke meinem akademischen Lehrer Prof. Dr. Joachim Krag für seine wertvollen Hinweise, Verbesserungsvorschläge und ständige Diskussionsbereitschaft. Prof. Dr. Erich Priewasser bin ich für die Übernahme des Zweitgutachtens dankbar. Freundschaftliche Unterstützung fand ich bei Dr. Lambert T. Koch, mit dem ich während meiner Zeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena manch lange Diskussionsrunden führen konnte. Alle verbleibenden Fehler gehen selbstverständlich zu meinen Lasten. Marburg, im April 1997
Rainer Kasperzak
Inhaltsverzeichnis Einleitung. ..... ... .............. ........... ............... ................................. ....... ..... .................. A. Modelltheoretische Ansätze zur Beschreibung von Preisbildungsprozessen
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auf Aktienmärkten ..............................................................................................
21
I. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes...................................................
21
I. Das Analyseobjekt Aktienmarkt...................................................................
21
2. Abgrenzung und Systematisierung modelltheoretischerAnsätze zur Erklärung von Preisbildungsprozessen auf Aktienmärkten ..........................
22
11. Spezifika von Preisbildungsprozessen auf Aktienmärkten...................... ..........
24
I. Vorbemerkungen..........................................................................................
24
2. Bestandsmärkte versus Strommärkte........................ ....................................
24
3. Der Aktienmarkt als antizipativer und spekulativer Markt...........................
25
4. Der Aktienmarkt als komplexes System.......................................................
27
III. Elementare Überlegungen aus kapitalmarkttheoretischer Perspektive..............
29
1. Die Allokationsfunktion des Kapitalmarktes .... ...................... .......... ...........
29
2. Die Grundlagen der Theorie informationseffizienter Märkte.......................
30
a) Die historischen Fundamente der Markteffizienzhypothese.......... ..........
31
b) Kapitalmarkteffizienz und Informationsstruktur .....................................
34
aa) Schwache Informationseffizienzhypothese bzw. Tests of Return Predictibility ................... ............................................................ ... ...
35
bb) Mittelstrenge Informationseffizienzhypothese bzw. Event Studies...
36
cc) Strenge Informationseffizienzhypothese bzw. Tests for Private Information .......................................................................................
37
dd) Fazit: Random Walk-Hypothese und Kapitalmarkteffizienz.............
38
c) Die Integration der Erwartungsbildung in das Effizienzkonzept.............
39
aa) Die Theorie der rationalen Erwartungsbildung ........ .................. .......
40
10
Inhaltsverzeichnis a) Grundlagen ..................................................................................
41
ß) Das Rationalitätspostulat .............................................................
41
X) Die Informationsbeschaffung.......................................................
42
5) Der Informationsverarbeitungsprozeß..........................................
43
bb) Fazit: Die Effizienzhypothese und die Theorie rationaler Erwartungen......................................................................................
43
d) Implikationen der Effizienzhypothese.....................................................
44
3. Kritik am Effizienzkonzept ..........................................................................
46
a) Das Informationsparadoxon ....................................................................
46
b) Das Problem der verbundenen Hypothesen ........................... :................
48
c) Die Problematik der Ereignisstudien.......................................................
51
aa) Überlappungs- bzw. Überlagerungseffekte.......................................
52
bb) Kurs- und Antizipationseffekte.........................................................
53
d) Kritik am Konzept der rationalen Erwartungen ......................................
53
e) Anomalien...............................................................................................
55
aa) Individuelle Verhaltens anomalien ....................................................
56
a) Informationswahrnehmung ............. ............... ....... ................ .......
56
ß) Informationsverarbeitung.............................................................
57
bb) Eliminierungsversuche......................................................................
58
cc) Anomalien auf der Marktebene.........................................................
60
f) Börsenkrisen ....... .......................................... ..........................................
64
IV. Alternative Erklärungsansätze...........................................................................
67
I. Preisblasentheorie ........................................................................................
67
2. Katastrophentheorie...... .......................... ....... ........... .................. .............. ...
69
3. Fads-and-Fashions Model............................................................................
70
4. Der synergetische Ansatz.............................................................................
71
5. Noise Trading...............................................................................................
72
6. Der chaostheoretische Ansatz ......................................................................
73
V. Ein erstes Fazit aus ökonomischer Sicht ...........................................................
76
B. Methodologische und erkenntnistheoretische Analyse.......................................
78
I. Die methodologische Fundierung der neoklassischen Ökonomik.....................
78
Inhaltsverzeichnis
11
1. Friedmans "F-Twist" .................................................................. ........ ..........
80
2. Methodologische Fundierung der Effizienzhypothese und des Rationalitätspostulats ...... .................................. ..... ......... ....... .......... ... ..... ....
82
a) Die metasprachliche Ebene ............................... ....................... ...............
82
b) Der Vorwurf des "Modell-Platonismus" ......................................... ........
83
11. Erkenntnistheoretische Bewertung oder: Zur Objektivität des Wissens... .........
85
III. Epistemologischer und methodologischer Perspektivenwechsel ................... ...
88
IV. Das methodologische Konzept des Radikalen Konstruktivismus .....................
91
1. Einleitung........................ ....................................... ..................... ..... ... ..... ....
91
2. Kognitionstheoretische Grundlagen des Radikalen Konstruktivismus.........
93
a) Die Grundlagen autopoietischer Systeme................................................
93
b) Das Gehirn als selbstreferentielles, nicht autopoietisches System ..........
95
aa) Die Grundlagen menschlicher Wahrnehmung ..................................
95
bb) Der Prozeß der Bedeutungszuweisung..............................................
96
cc) Konsensuelle Bereiche......................................................................
98
3. Konsequenzen des Radikalen Konstruktivismus..........................................
100
a) Erkenntnistheoretische Konsequenzen....................................................
100
b) Die Bedeutung von Empirie, Theorie, Praxis..........................................
101
c) Methodologische Konsequenzen ............................................................
103
4. Zusammenfassung der Ergebnisse .......................................... .....................
104
V. Konsequenzen für den Untersuchungsgegenstand ............................................
105
1. Friedmans "F-Twist" versus konstruktivistische "als ob"-Philosophie........
105
2. Modelltheoretischer Perspektivenwechsel ................................. ..................
106
c. Ein evolutionsökonomisches Handlungsmodell für den Aktienmarkt................
108
I. Das Forschungsprogramm der evolutorischen Ökonomik ..................... ...........
108
11. Das Prinzip einer Handlung in der Zeit.............................................................
111
III. Handlungstheoretische Grundlegung .............................................. ..................
117
1. Vorbemerkungen..........................................................................................
117
2. Mikroskopische Betrachtungsweise .......... ...................................................
118
a) Die Randbedingungen der Kapitalmarktakteure .....................................
118
12
Inhaltsverzeichnis aa) Intrapersonale Randbedingungen. .....................................................
119
a) Wissen und Theorien ...................................................................
119
ß)
Handlungsziele ............................................................................
132
X) Restriktionen der Informationswahrnehmung und -verarbeitung.
135
bb) Interpersonale Randbedingungen......................................................
137
a) Institutionen .................................................................................
137
ß)
Finanzielle Ressourcen ................................................................
142
b) Kognitive Kreativität. Variation und Selektion von Handlungsalternativen..............................................................................................
144
c) Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse .........................................
147
3. Makroskopische Betrachtungsweise ............................................................
149
a) Zur Problematik der Aggregation............................................................
149
b) Die Erweiterung des Handlungsmodells zur ModelIierung der Makroebene. .................................................................................... ........
151
IV. Übertragung der Untersuchungsergebnisse auf das reale Kapitalmarktgeschehen ..........................................................................................................
159
1. Die Bildung empirisch beobachtbarer Gruppen ...........................................
159
2. Der Einfluß auf den Preisbildungsprozeß ..................................... ....... ........
161
a) Wissens- und theorieinduzierte Verhaltensmuster ..................................
161
b) Institutionenspezifische Verhaltensmuster .................... ..................... .....
164
V. Fazit oder: Was eine Theorie der Aktienkursbildung nicht leisten kann...........
167
Zusammenfassung der Ergebnisse.................... .............................. .........................
170
Schrifttumsverzeichnis ............................................................................................
174
Sachwortverzeichnis.... ..... ...... ............................ ......... ............. ............. ..................
199
Abbildungsverzeichnis
Abbildung
1: Preisbildungsmodelle versus Preisprognosemethoden ............... 2: Konvergenz zwischen hypothetischem und tatsächlichem
Abbildung
3: Divergenz zwischen hypothetischem und tatsächlichem Verlauf
Abbildung
Verlauf erwarteter Wertpapierrenditen .......................................
erwarteter Wertpapierrenditen ....................................................
Abbildung
4: Konstruktion einer gesellschaftlichen Wirklichkeit -
Abbildung
5: Kognitive und behavioristische Erklärung menschlichen
Abbildung Abbildung
6: Eine Handlung in der Zeit .......................................................... 7: Preisbildung im Capital Asset Pricing Model ............................
Abbildung
8: Anlegerziele................................................................................
Abbildung
9: Die Konstruktion des Handlungsraumes und die Realisierung
Abbildung
10: Die Konstruktion des Handlungsraumes und die Realisierung
Abbildung
11: Homogenitätsgrad der Handlungsgrundlagen als Kontinuum .... 12: Die Konstruktion eines Handlungsraumes bei der Betrachtung
Abbildung
Kommunikation ..........................................................................
Verhaltens ..................................................................................
der Alternative ............................................................................
der Alternative als einfacher Rückkopplungsprozeß .................
mehrerer Marktteilnehmer ..........................................................
Abbildung Abbildung
13: Schwankungsbreite der Gewinnschätzungen .............................. 14: Aktives Portfoliomanagement ....................................................
23 49 49 99 110 115 127 133 145 146 150 152 153 162
Abkürzungsverzeichnis Abs.
Absatz
AG
Aktiengesellschaft
Anm. d. Verf.
Anmerkung des Verfassers
APT
Arbitrage Pricing Theory
Aufl.
Auflage
bzw.
beziehungsweise
CAPM
Capital Asset Pricing Model
C-DAX
Composite DAX
DAX
Deutscher Aktienindex
ders.
derselbe
d. h.
das heißt
Diss.
Dissertation
DM
Deutsche Mark
DVFA
Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Anlageberatung
etc.
et cetera
f.
folgende
ff.
fortfolgende
FN
Fußnote
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Habil.
Habilitation
Hrsg.
Herausgeber
i. e. S.
im engeren Sinne
i. w. S.
im weiteren Sinne
i. V. m.
in Verbindung mit
Nr.
Nummer
o. V. S.
ohne Verfasser Seite
usw.
und so weiter
vgl.
vergleiche
z. B.
zum Beispiel
Einleitung Mit der Funktion des Kapitalmarktes werden im allgemeinen wichtige Aufgaben des marktwirtschaftlichen Systems verbunden. Stets hervorgehoben wird dabei die Allokationsfunktion des Kapitalmarktes, d. h. die Lenkung des anlagebereiten Kapitals (Kapitalmarkt) in die produktivsten Investitionen (Gütermarkt). Ein Zusammenhang zwischen Kapitalmarkt und Gütermarkt müsse als Voraussetzung gegeben sein, damit anlagebereites Kapital in die Gütermarktinvestitionen mit den höchsten zu erwartenden Renditen fließe. Dazu benötigten potentielle Kapitalmarktinvestoren Informationen über den Erfolg der Unternehmen auf den Gütermärkten. Nur eine perfekte Informationsverarbeitung des Kapitalmarktes führe dazu, daß die Wertpapierkurse den Erfolg der entsprechenden Unternehmen adäquat widerspiegelten, somit "faire" Preise darstellten und eine gesamtwirtschaftlich sinnvolle Allokation von Kapital verwirklicht werden könne. I Das Geschehen auf den Wertpapiermärkten ist zweifellos von Informationsverarbeitungs- und daraus resultierenden Erwartungsbildungsprozessen geprägt. Als Ausdruck dieser Vorgänge kann das permanente Fluktuieren der Wertpapierkurse beobachtet werden. Vor allem für die Finanzanalysten erscheint es von zentraler Wichtigkeit, kontinuierlich alle erreichbaren und für relevant erachteten Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Grundlage für die Schlußfolgerungen, die schließlich hinsichtlich Bewertung und Entwicklung der Aktienkurse gezogen werden, sind die bei den Analysten vorhandenen Vorstellungen bzw. Modellbildungen über die ökonomischen Wirkungszusammenhänge, in welche die verarbeiteten Informationen einfließen. Die Bewertung einzelner Papiere orientiert sich an der Berechnung des inneren Wertes (Fundamentalanalyse), der annahmegemäß wiederum maßgeblich von der Ertragskraft eines Unternehmens determiniert wird. Im Rahmen der modernen Kapitalmarktgleichgewichtstheorie werden Wertpapiere, aufbauend auf der richtungsweisenden Portfolio Selection-Theorie von Markowitz, im Kontext eines (Markt-) Portefeuilles bewertet.
I
Vgl. Franke,G.lHax, H., Finanzwirtschaft, 1994, S. 358 f.
16
Einleitung
Welche theoretischen Zusammenhänge werden nun traditionellerweise dem Marktgeschehen bevorzugt zugrundegelegt, und welchen Erklärungsbeitrag leisten sie hinsichtlich der offenbar sehr komplexen Vorgänge auf den Aktienmärkten und des Verhaltens der die Marktprozesse konstituierenden Akteure? Einen fundamentalen Beitrag für den Zusammenhang von Preisbildungs- und Informationsverarbeitungsprozessen lieferte Fama mit der Theorie der informationseffizienten Kapitalmärkte. Die Sichtweise, "that security prices at any time 'fully reflecf all available information"2, hat die moderne Kapitalmarkttheorie in erheblichem Maße beeinflußt, so daß die entwickelten Kapitalmarktgleichgewichtsmodelle, wie das Capital Asset Pricing Model und die Arbitrage Pricing Theory, eine so definierte Informationseffizienz als grundlegende Prämisse voraussetzen. Aber nicht nur die Theorie wurde von Famas Konzept beeinflußt, sondern auch in zunehmendem Maße die Praxis. Insbesondere ist hier auf das kapitalmarkttheoretisch fundierte, professionelle Fondsmanagement national und international ausgerichteter Portefeuilles zu verweisen. 3 Im Rahmen der Effizienzhypothese gilt die Vorstellung vom Marktpreis als einem perfekten, die fundamental-ökonomischen Wirkzusammenhänge stets reflektierenden Informationsaggregator. Diese Vorstellung, die strikt in der Tradition neoklassischer Gleichgewichtsanalyse steht, ist an zahlreiche Prämissen gebunden, um, ausgehend von den Handlungen der Individuen (mikroskopische Ebene), die Marktebene (makroskopische Ebene) modellieren zu können. Dabei spielen Informationsverarbeitungsprozesse eine für die Erklärung der Preisbildungsprozesse wesentliche Rolle. Im Fama schen Ansatz wird der Informationsbeschaffungs und -verarbeitungsprozeß, ganz in der Tradition neoklassischen Denkens, jedoch als Black Box behandelt. Im Kontext mit der Theorie der rationalen Erwartungen, die mit der Effizienzhypothese in wesentlichen Punkten argumentativ übereinstimmt, wird postuliert, daß alle Marktteilnehmer implizit das gleiche Informationsverarbeitungsmodell nutzen und der Marktpreis den tatsächlichen ökonomischen Wirkungszusammenhang korrekt widerspiegelt. Die Vorstellung von effizient funktionierenden, informationsverarbeitenden Kapitalmärkten war in der akademischen Zunft so stark verankert, daß Jensen, ein traditionell ausgerichteter Kapitalmarkttheoretiker, sich zu folgender Aussage veranlaßt sah: "I believe there is no other proposition in
2Fama, E. F., Efficient Capital Markets, 1970, S. 383. 3 Vgl. hierzu die späteren Ausführungen im Kapitel C dieser Untersuchung.
Einleitung
17
economics wh ich has more solid empirical evidence supporting it than the Efficient Market Hypothesis"4 Bereits die Wahl eines bestimmten Analyserahmens legt fest, welche Teilaspekte der wahrgenommenen Umwelt beleuchtet werden und welche Phänomene im Dunkeln bleiben. Die prinzipielle Notwendigkeit eines reduktionistischen Vorgehens scheint sich daraus zu ergeben, daß komplexe Systeme - und als solche können auch die Aktienmärkte bezeichnet werden - nicht als Ganzes analysierbar sind. Bereits von Hayek betonte die hohe Komplexität sozialwissenschaftlicher Phänomene. Er ging von der grundSätzlichen Unmöglichkeit aus, komplexe sozialwissenschaftliche Zusammenhänge in einfachen deterministischen Modellen abbilden zu können. Möglich, so von Hayek, sei lediglich die Erkennung allgemeiner Strukturen oder von Mustern und die Ableitung von "Erklärungen des Prinzips"s. Ob die der modernen Kapitalmarktgleichgewichtstheorie zugrundeliegende Modellwelt geeignet ist, das "Prinzip von Preisbildungsprozessen auf Aktienmärkten" adäquat abzubilden, wird jedoch zunehmend bezweifelt. Die Kritik, auch hervorgerufen durch empirisch festgestellte Anomalien sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene und bisher noch ungeklärte Preisbewegungen (Börsenkrisen), bezieht sich insbesondere auf eine mangelnde mikroskopische Fundierung als Vorleistung zur makroskopischen Untersuchung der Marktebene. So wurde nach alternativen Erklärungsansätzen gesucht, deren weitgehend uniforme Zielsetzung darin besteht, sich bei der Modellbildung stärker am tatsächlich beobachtbaren Verhalten der Individuen zu orientieren. Bisherige Modellrestriktionen werden somit, zumindest teilweise, aufgehoben. Stimmt man der hier vertretenen Auffassung zu, daß sich neoklassisches Gedankengut nicht als tragfahig erweist, Preisbildungsprozesse auf Aktienmärkten adäquat, d. h. positiv erklärend abbilden zu können, so erscheint es jedoch unabdingbar, sich zunächst methodologisch und epistemologisch neu zu orientieren, bevor ad hoc tatsächlich beobachtbares Verhalten in alternative Erklärungsansätze integriert wird. Denn die explizite Integration bzw. Problematisierung kognitiver und verhaltenswissenschaftlicher Aspekte paßt nicht in die Methodologie und (implizite) Erkenntnistheorie einer neoklassisch geprägten Wirtschaftswissenschaft. Hier trifft der Vorwurf von Schneider zu, der in einer solchen Vorgehensweise einen "Fluchtversuch vor der Wirtschaftstheorie in
4
5
lensen, M. C., Market Efficiency, 1978, S. 95. Hayek, F. A. v., Komplexe Phänomene, 1972, S. 18.
2 Kasperzak
18
Einleitung
eine verhaltens wissenschaftliche Öffnung"6 sieht und lediglich die "Übernahme verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse in die Ausgangsbedingungen eines wirtschaftstheoretischen Modells"7 für akzeptabel hält. Nur von diesem Fundament aus erscheint es legitim, später dann zur Vereinfachung der Analyse makroskopische Zusammenfassungen vorzunehmen. Aber es ist nicht nur die mangelnde Orientierung am tatsächlich beobachtbaren Verhalten, die zur Kritik Anlaß gibt. Seit Beginn der achtziger Jahre vollzieht sich auf den internationalen Kapitalmärkten ein dramatischer Wandel. Die Stichworte Deregulierung, Globalisierung, Securitisierung, Automatisierung, Intellektualisierung und vor allem die Institutionalisierung der Finanzmärkte seien hier genannt. Infolge dieser Entwicklung haben sich die Handlungsspielräume der Kapitalmarktakteure stark erweitert, womit die zunehmende Komplexität der Entscheidungssituation einher geht. Die traditionelle Lehre der Kapitalmarkttheorie gibt jedoch keine Antwort darauf, welche Auswirkungen auf den Prozeß der Preisbildung damit verbunden sind. Die Annahme friktionsloser Märkte verhindert eine entsprechende Problematisierung. Infolgedessen wurde mit der Markt-Mikrostrukturtheorie eine eigene Forschungsrichtung entwickelt. 8 Jene für den Bereich der empirischen Kapitalmarktforschung zur Erklärung von Preisbildungsprozessen erkennbare Zersplitterungstendenz läßt einige Wissenschaftler somit an der - bewußt geschaffenen - Fiktion des homo oeconomicus als stets rationales und nutzenmaximierendes Individuum festhalten, während andere vermehrt verhaltenswissenschaftliche Aspekte in ihre Modellbildung zu integrieren versuchen. Parallel, aber unabhängig dazu, wird der Einfluß der institutionellen Rahmenbedingungen auf Preisbildungsprozesse analysiert. Diese Entwicklung kann nur als kontraproduktiv bezeichnet werden. Mit dieser Untersuchung wird daher das Ziel verfolgt, das Geschehen auf den Aktienmärkten auf der Grundlage eines integrativen Ansatzes unter den genannten verhaltens- bzw. kognitionswissenschaftlichen Anforderungen in einen handlungstheoretischen Rahmen einzubetten. Es ist der Versuch, dem restriktiven Konstrukt der Informationseffizienzhypothese ein alternatives theoretisches Konzept gegenüberzustellen. Demzufolge hat die Arbeit eine grundlagentheoretische Ausrichtung. Die Handlungstheorie muß dabei so konzipiert sein, daß Aussagen über allgemeine Verhaltensmechanismen möglich werden. Auf bestimmte Abstraktionen kann infolgedessen auch hier nicht verzichtet werden. 6 Schneider, D., Betriebswirtschaftslehre, 1987, S. 192. 7 Schneider, D., Betriebswirtschaftslehre, 1987, S. 193. 8 Vgl. Kapitel C dieser Untersuchung und die dort angegebene Literatur.
Einleitung
19
Die methodologische und epistemologische Basis wird durch die relativistische Erkenntnisposition des Radikalen Konstruktivismus gebildet. Als "biologische Erkenntnistheorie" liefert er die notwendigen kognitionswissenschaftlichen Fundamente für die angestrebte Betrachtungsweise. Vor dem Hintergrund aktueller neurowissenschaftlicher Ergebnisse wird angenommen, daß jedes Individuum zunächst eine Art individuelle Wirklichkeit erlebt. Erst durch Kommunikation entsteht in bestimmten Bereichen eine gemeinsame Wirklichkeit, die es den Individuen ermöglicht, partiell zu gemeinsamen Auffassungen zu kommen und gemeinsame Ziele zu verfolgen. Um das Wechselspiel, das sich aus dem beobachtbaren, permanenten Wandel der Umweltbedingungen der Individuen, und das heißt auch der institutionellen Rahmenbedingungen, ihrer Reaktionen darauf und der Wirkungen dieser Reaktionen ergibt, in die Analyse einbeziehen zu können, wird als Handlungsmodell ein evolutionsökonomischer Ansatz gewählt. Diese Endogenisierung menschlicher Handlungsgrundlagen bedeutet, daß die sozialen, kulturellen, gesellschaftlichen, ideologischen, politischen, ökonomischen und historischen Bedingungen, die das Lebensumfeld eines Akteurs von Geburt an beeinflussen, als richtungsgebende Variablen menschlichen Verhaltens - je nach angenommener Signifikanz - berücksichtigt werden. Bevor die grundlegende Sichtweise und Bedeutung der Theorie der effizienten Kapitalmärkte dargestellt wird, erfolgt im Kapitel A zunächst eine Abgrenzung des Untersuchungsobjektes Aktienmarkt sowie eine Darstellung seiner spezifischen Charakteristika. Dem schließt sich eine kritische Analyse des Konzeptes von Fama an. Da die Theorie der rationalen Erwartungen in diesem Kontext eine wesentliche Rolle spielt, ist auch ihr der entsprechende Raum für eine kritische Betrachtung einzuräumen; dabei stehen die Informationsverarbeitungsprozesse im Mittelpunkt der Betrachtung. Als Reaktion auf grundlegende Kritik an der herrschenden Lehre diskutiert das Schrifttum bereits alternative Erklärungsansätze zur Beschreibung von Preisbildungsprozessen. Ihre Besprechung und ein erstes Fazit bilden den Abschluß dieses Kapitels. Jede Theorie baut, auch wenn dies nicht immer explizit zum Ausdruck kommt, auf bestimmten methodologischen und epistemologischen Fundamenten auf und engt infolgedessen die Betrachtungsperspektive ein. Eine kritische Hinterfragung theoretischer Konzepte hat diesen Aspekt analytisch zu berücksichtigen. Die Konsequenzen einer solchen Forderung sind im Kapitel B verarbeitet. Dabei bietet die wissenschafts theoretische Ausrichtung der neoklassischen Ökonomik traditionell ausreichend Diskussionsstoff. Es kann gezeigt 2'
20
Einleitung
werden, daß das neoklassische Forschungsprogramrn bei bestimmten Problemstellungen, hier der modellhaften Abbildung des realen Kapitalmarktgeschehens, versagen muß. Daran schließt sich die Einführung einer alternativen Sichtweise an, die mit der wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Position des Radikalen Konstruktivismus verbunden ist. Nachdem zunächst grundlegende Fragen zur Funktionsweise menschlicher Wahrnehmung und Informationsverarbeitung problematisiert werden, zielen die dann folgenden Ausführungen darauf ab, dieses veränderte Verständnis für die eigentliche Zielsetzung der Untersuchung fruchtbar zu machen. Im abschließenden Kapitel C wird die angestrebte handlungstheoretische Fundierung durch die Einbeziehung eines evolutionsökonomischen Handlungsmodells umgesetzt. Die Modellierung erfolgt dabei auf zwei Betrachtungsebenen. In einem ersten Schritt, der mikroskopischen Betrachtungsweise, steht die Analyse institutioneller und ökonomischer Handlungsgrundlagen oder Restriktionen im Mittelpunkt, da sie das Verhalten der Marktakteure "kanalisieren". Ein zweiter, die Makroebene betreffender Analyseschritt ist dann, Gruppen von Akteuren zu bilden, deren Handeln von ähnlichen Restriktionen geleitet wird. Auf diese Weise sollen Aussagen über zu erwartende Handlungsmuster dieser Gruppen in bestimm~en Situationen und daraus wiederum über die Richtung und Stärke von Preisbewegungen abgeleitet werden.
A. Modelltheoretische Ansätze zur Beschreibung von Preisbildungsprozessen auf Aktienmärkten I. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes 1. Das Analyseobjekt Aktienmarkt
Der Aktienmarkt oder auch die Aktienbörse l werden in der Regel als Teilsegment des Systems Kapitalmarkt betrachtet. Man unterscheidet nationale bzw. internationale sowie regulierte bzw. nicht regulierte Märkte. Regulierte Märkte zeichnen sich im Gegensatz zu nicht regulierten Märkten durch ihre detaillierten gesetzlichen Regelungen sowie die institutionalisierte und dauerhafte Organisation aus. 2 Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen national wie international regulierte Aktienbörsen, die einen Handel mit Teilhaberpapieren betreiben. Insofern werden im folgenden nicht Emissionsmärkte, sondern ausschließlich Zirkulationsmärkte, auf denen umlaufende, bereits emittierte Teilhaberpapiere gehandelt werden, Gegenstand der Untersuchung sein. Teilhaberpapiere verbriefen dem Eigentümer ein wirtschaftliches und rechtliches Eigentum an der jeweiligen Aktiengesellschaft, wobei die gesellschaftsvertragliche Ausgestaltung in den meisten Ländern gesetzlich umfassend geregelt ist, in bezug auf den konkreten Umfang aber durchaus variieren kann. 3 Hinsichtlich zeitlicher Aspekte lassen sich Aktienkassamärkte und Aktienterminmärkte unterscheiden. Im Gegensatz zu Geschäften am Kassamarkt sind Termingeschäfte dadurch charakterisiert, daß der Vertragsabschluß und die Erfüllung des Geschäftes zeitlich auseinanderfallen. International wie national haben sich, bedingt durch Deregulierungsmaßnahmen und einem daraus resultierenden Interesse nach Kursabsicherung (Hedging), in den letzten Jahren
Diese Begriffe werden im folgenden synonym verwendet. Vgl. Loistl, 0., Kapitalmarkttheorie, 1994, S. 15 f. 3 Vgl. Steiner, M./Bruns, c., Wertpapier-Management, 1995, S. 267. I
2
22
A. Modelltheoretische Ansätze
gut funktionierende Terminbörsen etabliert. Untersuchungsobjekte sind hier jedoch Aktienkassamärkte. Zwar sind beide Märkte als Resultat ihrer theoretischen Konzeption unmittelbar miteinander verzahnt, der Prozeß der Preisbildung unterliegt aber aufgrund der verschiedenen Möglichkeiten und Zielsetzungen der verwendeten Instrumente, d. h. Aktien versus Aktienoptionen bzw. Aktienfutures, jeweils anderen Gegebenheiten. Betrachtet man die Ausgestaltung bzw. Systematisierung von Börsenmärkten, so sind unterschiedliche Marktstrukturen (Zentralisation versus Dezentralisation), Marktorganisationen (Auktionsbörsen versus Market Maker-Börsen) und Marktkonfigurationen (Präsenzbörsen versus Computerbörsen) erkennbar. 4 Die Fokussierung eines bestimmten Börsensystems wird im weiteren Verlauf der Untersuchung nicht erfolgen, denn empirische Untersuchungen zur MarktMikrostrukturtheorie legen den Schluß nahe, daß die Ausgestaltung des Systems selbst den Preisbildungsprozeß wesentlich mitbestimmt. s Insofern werden, der Forderung nach einem integrativen Ansatz folgend, Börsensysteme endogene Erklärungsvariablen der Analyse sein. 2. Abgrenzung und Systematisierung modelltheoretischer Ansätze zur Erklärung von Preisbildungsprozessen auf Aktienmärkten Zur Erklärung von Preisbildungsprozessen auf Aktienmärkten sind in der Vergangenheit verschiedene Ansätze erarbeitet worden, wobei die Vorstellung von informationseffizienten Kapitalmärkten im Fama'schen Sinne wohl auch heute noch als richtungsweisend bezeichnet werden muß. Im Schrifttum wird jedoch weitgehend auf entsprechende Klassifizierungen verschiedener modelltheoretischer Ansätze verzichtet. 6 Allgemein läßt sich ein PreisbildungsmodelI als Beschreibung einer Preisveränderung zwischen zwei Zeitpunkten be-
4 Vgl. Schülier, B., Handelssysteme, 1991, S. 558; Loistl, 0., Kapitalmarkttheorie, 1994, S. 36; Gerke, W./Rapp, H.-W., Strukturveränderungen, 1994, S. 6 ff. S Vgl. Kapitel C, Abschnitt III, Gliederungspunkt 2 a2 dieser Untersuchung und die dort angegebene Literatur. 6 Vgl. etwa die Systematisierungsversuche bei Möller, H. P., InJormationseJfizienz, 1985; Büschgen, H. E., Bankbetriebslehre, 1993, S. 137 ff. oder Röckemann, C., Noise Trading, 1995. Sowohl in der deutschen als auch der amerikanischen Standardliteratur finden sich kaum nennenswerte Abgrenzungskriterien.
23
I. Abgrenzung des Untersuchungs gegenstandes
zeichnen. 7 Aufgrund dieser Definition erscheint zunächst eine erste Differenzierung in Preisbildungsmodelle und Preisprognosemethoden sinnvolLB
IPreisbildungsmxlelle I I
i. e. S.
t
RandomWalk FairGaIre Effizienzhypothese
I
i. w. S.
t
IPreisprognosemethoden I
I Fundamentalanalyse
Technische Analyse
Marktrmdell CAPM APT
Abbildung 1: Preisbildungsmodelle versus Preisprognosemethoden Als typische Preisprognosemethoden können die Fundamentalanalyse und die Technische Aktienanalyse bezeichnet werden. Mit Hilfe dieser eher praxisorientierten Verfahren versuchen Wertpapieranalysten, auf der Grundlage bestimmter Informationen die Entwicklung einzelner Wertpapiere bzw. ganzer Wertpapiermärkte zu beurteilen. Im Gegensatz dazu beruhen kapitalmarkttheoretisch fundierte Preisbildungsmodelle auf rein statistischen Größen, rekurrieren somit nicht explizit auf unternehmensspezifische Informationen. Innerhalb dieser Kategorie wird eine weitere Differenzierung vorgeschlagen. Modelle, die allgemeine Erklärungsstrukturen, jedoch keine Erklärung VOn Einzelereignissen generieren, werden als Preisbildungsmodelle im engeren Sinne bezeichnet. Darunter können neben der Effizienzmarkthypothese auch das Random Walk Modell und das Fair Game Modell subsumiert werden. Hingegen ermöglichen Preisbildungsmodelle im weiteren Sinne, wie das empirisch ausgerichtete Marktmodell, das Capital Asset Pricing Model oder die in der aktuellen Diskussion stehende Arbitrage Pricing Theory auch Aussagen über die (erwartete) Höhe der Wertpapierrenditen im Theoriezusammenhang. Insofern ist die 7
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Vgl. Möller, H. P., InJormationseJfizienz, 1985, S. 501. Vgl. ähnlich Röckemann, C., Noise Trading, 1995, S. 4.
A. Modelltheoretische Ansätze
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Grenze zwischen Preisbildung und Preisprognose nur schwer zu ziehen. Wichtig für das Erkenntnisziel der vorliegenden Untersuchung ist jedoch die hier formulierte Trennung zwischen den beiden Formen von Preisbildungsmodellen. Als traditionelle "Erklärungen des Prinzips" konstituieren Preisbildungsmodelle im engeren Sinne den Referenzpunkt der folgenden Ausführungen, d. h. sowohl hinsichtlich der Kritik als auch der Entwicklung einer alternativen ,,Erklärung des Prinzips".
11. Spezifika von Preisbildungsprozessen auf Aktienmärkten 1. Vorbemerkungen Preise bilden sich durch das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage. Dieser einfache ökonomische Zusammenhang gilt gleichermaßen für die Preisbildung risikobehafteter Wertpapiere. Um jedoch zu gehaltvollen Aussagen über den Untersuchungsgegenstand zu gelangen und die Kritikfahigkeit hinsichtlich bestehender Erklärungsansätze zu schärfen, sollte man sich zunächst mit einigen spezifischen Mechanismen der Preisbildung auf Aktienmärkten beschäftigen; Mechanismen, die sich weitgehend in dieser Form auf anderen Märkten nicht beobachten lassen.
2. Bestandsmärkte versus Strommärkte Folgt man einer Zweiteilung der Märkte in Strommärkte und Bestandsmärkte, so lassen sich Gütermärkte als typische Strommärkte, Aktienmärkte als typische Bestandsmärkte charakterisieren. 9 Die "Waren" des Aktienmarktes, also fungible Teilhaberpapiere, werden gemäß ihrer wirtschaftlichen Natur als Bestandsgrößen tendenziell gelagert; die Waren der Gütermärkte als Stromgrößen tendenziell bewegt. 1O Beruhend auf diesen Tatsachen folgert Schumpeter einige spezifische Merkmale für den Preisbildungsprozeß auf Aktienmärkten. 11 Aktien dienen im Falle von Preissteigerungen tendenziell als "Vorräte", während sie im Falle eines Preissturzes liquidiert werden müssen, falls sie als Sicherheit zur Verfügung stehen.
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Vgl. Fuhrmann, W., Finanzmärkte, 1988, S. 546; File, W., Preisentwicklung, 1992,
S.416. 10
Vgl. Schumpeter, J. A., Konjunkturzyklen, 1961, S. 701.
11. Spezifika von Preisbildungsprozessen
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Das Aktienangebot nimmt im Falle eines Preisrückganges tendenziell zu, im Falle einer Preissteigerung tendenziell ab. Aktienkurse haben für Schumpeter somit einen höheren Freiheitsgrad als andere Preise (Preise auf Gütermärkten) und sind über Preis variationen sehr schnell an ein verändertes ökonomisches Umfeld anpaßbar. 12 Der Anpassungsprozeß bedarf eben nicht der Schaffung oder der Schließung von Produktionskapazitäten, deren Inbetriebnahme erhebliche Zeit in Anspruch nehmen kann. 13 Aufgrund des höheren Freiheitsgrades, so folgert Schumpeter weiter, würden den Faktoren Massenpsychologie und Erwartungsbildungsprozeß erhebliche Bedeutung für den Preisbildungsprozeß zukommen. Die hohe Anpassungsgeschwindigkeit der Preise an ökonomische Daten ermöglichte wiederum über einen Selbstverstärkungsmechanismus ein Überreagieren, ein Hinausschießen der Marktbewegung über ein Augenblicksziel. 14
3. Der Aktienmarkt als antizipativer und spekulativer Markt Investitionsentscheidungen an der Börse sind in der Regel zukunftsbezogene Entscheidungen und somit immer mit dem Faktor der Ungewißheit behaftet. Potentielle Investoren haben nur unvollkommene Informationen über die Ertragsentwicklung der betreffenden Unternehmen und über die den Aktienkursverlauf konstituierenden Determinanten. Sie bilden daher subjektive Erwartungen über das Eintreten bestimmter Entwicklungen. Ohne die dem Aktienmarkt innewohnende Eigenschaft der Ungewißheit über die künftige Kursentwicklung wäre aber ein Handel mit Aktien überhaupt nicht möglich, da bei vollkommener Information kein Anlaß bestünde, Erwartungen zu revidieren und Portfolioumschichtungen vorzunehmen. Daher versuchen die Marktakteure, erwartete Kursverläufe durch Käufe bzw. Verkäufe vorwegzunehmen, sie betätigen sich mithin antizipativ. Die Aktienbörse kann infolgedessen als ein Markt bezeichnet werden, auf dem ein Handel mit Vorteilserwartungen, nicht mit aktuellen Vorteilen stattfindet. ls Werden beispielsweise Kurssteigerungen aufgrund verbesVgl. Schumpeter, 1. A., Konjunkturzyklen, 1961, S. 701 ff. Vgl. Schumpeter, 1. A., Konjunkturzyklen, 1961, S. 702. 13 Dem Faktor des zeitlichen Anpassungsprozesses wird in der weiteren Diskussion im Rahmen der Theorie der effizienten Märkte noch erhebliche Bedeutung zukommen. 14 Vgl. Schumpeter, J. A., Konjunkturzyklen, 1961, S. 702 ff. IS Vgl. Schmidt, R. H., Aktienkursprognose, 1976, S. 109 f.; Dinauer, J. W., Kursbildung, 1976, S. 28. Mittels Korrelationsrechnungen konnte festgestellt werden, daß sich die Antizipationszeiträume stetig vergrößert haben. So betrug der Antizipati11
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A. Modelltheoretische Ansätze
serter erwarteter Ertragsaussichten beobachtet, so wird, ein idealtypisches Verhalten der Marktakteure unterstellt, eine spätere Bestätigung der Erwartung zu keiner Kurssteigerung mehr führen, da die Entwicklung bereits eskomptiert ist. Nach Keynes befassen sich Investoren an der Aktienbörse "nicht mit überwiegend überlegenen langfristigen Voraussagen des wahrscheinlichen Erträgnisses einer Investition während ihrer ganzen Lebensdauer, sondern damit, die Änderungen in der konventionellen Grundlage der Bewertung mit einem kurzen Vorsprung vor dem allgemeinen Publikum vorauszusehen"16. Sie befassen sich nicht damit, "welchen Wert eine Investition wirklich für einen Menschen hat ... , sondern damit, wie sie der Markt, unter dem Einfluß der Massenpsychologie, .. . bewerten wird"17. Diese Auffassung von Keyn~s deutet auf den spekulativen Aspekt der Aktienanlage hin. Der Begriff der Spekulation ist im Schrifttum nicht eindeutig definiert. Allgemein wird unter Spekulation ein gewinnbringendes Ausnutzen von Preisunterschieden zu verschiedenen Zeitpunkten verstanden. 18 Hinsichtlich einer Spezifizierung des Zeitaspektes herrscht jedoch weitgehend Uneinigkeit. Folgt man der Definition des deutschen Steuergesetzgebers, so liegt ein Spekulationsgeschäft dann vor, wenn der Zeitraum zwischen Erwerb und Veräußerung der Wertpapiere nicht mehr als 6 Monate beträgt. 19 Losgelöst vom zeitlichen Aspekt sieht Schumpeter den Unterschied zwischen einem Spekulanten und einem Investor (langfristig orientierten Anleger) in dem Fehlen einer Handelsabsicht seitens des Investors, d. h. in der fehlenden Absicht, aus Aktienkursschwankungen Gewinne zu erzielen. 20 Ausgehend von dieser Definition ist es auch heute noch üblich, die Eigenhändler an der Börse als berufsmäßige Spekulanten und somit als Träger der Effektenspekulation zu bezeichnen. 21 Nach Zeeman tendieren die sogenannten Chartisten, die Anhänger der technischen Marktanalyse, in Abgrenzung zu den fundamental orientierten Anlegern, dazu, spekulativ zu handeln. Er begründet diese Ansicht damit, daß onszeitraum zwischen 1956 und 1962 drei Monate, zwischen 1980 und 1986 bereits fünfzehn Monate. Vgl. dazu Hielscher, u., Investmentanalyse, 1990, S. 106 ff. 16 Keynes, J. M., Allgemeine Theorie, 1936, S. 130. 17 Keynes, J. M., Allgemeine Theorie, 1936, S. 130. 18 Vgl. Jessen, J.• Spekulation, 1933, S. 396; Beyer, H. T./Bestmann. U., Finanzlexikon. 1989, S. 249; Woll, A., Wirtschaftslexikon, 1993. S. 631. 19 Vgl. § 22 Nr. 2, § 23 Einkommensteuergesetz. 20 Vgl. Schumpeter, J. A., Konjunkturzyklen. 1961, S. 699. 21 Vgl. Sellien, R.lSellien, H., Wirtschaftslexikon, 1993, S. 3050.
11. Spezifika von Preisbildungsprozessen
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Chartisten dem Markttrend folgen und nicht Informationen und Daten in ihre Analyse einbeziehen, die maßgeblich für die Ertragsentwicklung eines Unternehmens sein könnten. 22 Ebenfalls Gegenstand kontroverser Diskussion ist die Frage, welchen Einfluß spekulatives Handeln auf den Preisbildungsprozeß ausübt. Befürworter sehen in der Spekulation ein marktregulierendes und risikoausgleichendes Instrument, während Gegner die Spekulation für eine steigende Volatilität der Wertpapierkurse und im Extremfall für eine Börsenkrise verantwortlich machen. 23 Ein abschließendes Urteil kann und soll an dieser Stelle über spekulatives Verhalten nicht abgegeben werden. Es wurde lediglich aufgezeigt, daß dieser Aspekt für die Charakterisierung des Untersuchungsobjektes und somit für den weiteren Untersuchungsverlauf eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielt.
4. Der Aktienmarkt als komplexes System Auf dem Aktienmarkt gehen die Kauf- bzw. Verkaufsgebote einer Vielzahl von Individuen in die Preisbildung der gehandelten Wertpapiere ein. Welche Faktoren die individuellen Entscheidungen und damit auch den Preis beeinflussen, läßt sich nicht eindeutig feststellen, da einfache determinierte Gesetzmäßigkeiten für diesen Untersuchungsbereich nicht existieren. Die Identifizierung von Kausalbeziehungen ist mit Schwierigkeiten verbunden, da der Preisbildungsprozeß in ein interdependentes Beziehungsgeflecht ökonomischer Faktoren eingebunden ist, die ihrerseits durch außerökonomische Variablen, wie z. B. politische oder psychologische, beeinflußt werden können. Schmidt spricht von (zeitlich) instabilen "Transformationsgewohnheiten"24 der handelnden Akteure, Krahnen von einer stets wechselnden "Verknüpfungslogik"25. Zudem ergeben sich Analyseprobleme durch das Antizipationskriterium. Denn die Antizipation möglicher Ereignisse bzw. Variablen führt dazu, daß künftige Werte einer bestimmten Variablen heutige Werte anderer Variablen 22 Vgl. Zeeman, E. C., Stock Exchanges, 1974, S. 39. 23 Vgl. die Diskussion bei Buttler, G.lHeinlein, W., Spekulationstheorien, 1985, und
Jüttner, J., Spekulation, 1987. Auf die destabilisierende Wirkung der Spekulation baut Zeeman, E. C., Stock Exchanges, 1974, S. 39 ff., seine Argumentation zur Katastrophentheorie auf. Nähere Ausführungen zur Katastrophentheorie werden in Abschnitt IV dieses Kapitels gemacht. 24 Schmidt, R. H., Aktienkursprognose, 1976, S. 217. 25 Krahnen, T., Marktlogik, 1995, S. 254.
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A. Modelltheoretische Ansätze
beeinflussen. Damit wird aber eine der Grundbedingungen zur Feststellung kausaler Wirkzusammenhänge, das zeitliche Vorauslaufen des verursachenden Ereignisses, außer Kraft gesetzt. 26 Diese Phänomene grenzen, wie von Hayek ausführte, das ökonomische Forschungssprogramrn von bestimmten naturwissenschaftlichen Fragestellungen ab: "Die nicht-physikalischen Phänomene sind komplexer, weil wir das, was durch relativ einfache Formeln beschrieben werden kann, physikalisch nennen'm. Für von Hayek ist es ein schier unüberwindbares Problem, "tatsächlich alle Daten festzuhalten, die eine individuelle Erscheinungsform des in Frage stehenden Phänomens determinieren"28. Er geht von der prinzipiellen Unmöglichkeit aus, einfache sozial wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten in determinierter oder stochastischer Form zu finden und lehnt die Aggregationstechnik der Makroökonomie zur Theoriebildung ab. Ein weiteres Abgrenzungsmerkmal zu naturwissenschaftlichen Problemstellungen ist darin zu sehen, daß die sozio-ökonomische Realität zunehmend durch wissenschaftliche Theorien präformiert wird. Die durch die Theorie umrissenen Vorstellungen von einer (wie auch immer gedachten) Realität beeinflussen das Denken und Handeln und wirken somit auf die erlebte Wirklichkeit zurück; Theorie und erlebte Wirklichkeit stehen im Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Forschungsprogrammen in einer Art Wechselverhältnis. 29 Verwiesen sei hier auf das Management internationaler Portefeuilles sowie auf das enorme Wachstum derivativer Finanzinstrumente. So folgert Sharpe, einer der Begründer der modernen Kapitalmarkttheorie: ,,More than most sciences, economic not only analyzes reality, it also alters it. Theory leads to empiricism which changes behavior. Nowhere is this more evident than in financial economics"3O. Auch Merton, ein neoklassisch ausgerichteter Ökonom, ist sich bewußt,
26 Vgl. Kirchgässner, G., Granger-Kausalität, 1987, S. 21 f. mit Verweis auf Hume, D., Menschlicher Verstand, 1973. 21 Hayek, F. A. V., Komplexe Phänomene, 1972, S. 13. Nach Röpke, 1., Strategie, 1977, S. 21, ist ein System komplex, "wenn ein Beobachter es nicht mehr vollständig beobachten und beeinflussen, d. h. seinen Zustand determinieren und die für Vorhersagen des Verhaltens des Systems notwendigen Rechenvorgänge zu Ende führen kann. " 28 Hayek, F. A. V., Komplexe Phllnomene, 1972, S. 15.
29 Vgl. Zinn, K. G., Wissenschaftstheorie, 1976, S. 16. Diese Art Wechselverhältnis erlangt, wie sich im weiteren Verlauf der Arbeit noch herausstellen wird, im Rahmen der vorliegenden Untersuchung eine besondere Relevanz. 30 Sharpe, W. F., Asset Prices, 1991, S. 212.
III. Kapitalmarkttheoretische Perspektive
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daß die Modelle der modernen Finanzierungstheorie "had a direct and significant influence on practice"31. Spremann geht sogar noch einen Schritt weiter, indern er eine Umkehrung des Wissenschaftsideals, nämlich reale Kapitalmarktvorgänge möglichst gut zu beschreiben und zu prognostizieren, postuliert. Die Kapitalmarktrealität passe sich zunehmend, so Spremann bezugnehmend auf die Verwendung kapitalmarkttheoretisch fundierter Softwarel6sungen, der Kapitalmarkttheorie an. 32 Diesen Spezifika gilt es Beachtung zu schenken, will man dem komplexen Geschehen auf den Aktienmärkten einen theoretisch adäquaten Bezugsrahmen zugrunde legen.
IH. Elementare Überlegungen aus kapitalmarkttheoretischer Perspektive 1. Die Allokationsfunktion des Kapitalmarktes
Der Kapitalmarkt erfüllt wichtige Funktionen innerhalb des marktwirtschaftlichen Systems. Auf dem Emissions- oder Primärmarkt bietet sich den kapitalsuchenden Realinvestoren die Möglichkeit, Finanztitel zu plazieren und sich somit Kapital zu beschaffen. Auf dem Zirkulations- oder Sekundärmarkt sind anlagebereite Kapitalanleger bereits mit Wertpapieren ausgestattet. Er ist insofern als Tauschmarkt zu verstehen. 33 Die Allokationsfunktion des Kapitalmarktes läßt sich im Rahmen seiner Primärmarktfunktion erläutern. Anlagebereite Investoren werden in Wertpapiere mit den attraktivsten zu erwartenden Renditen investieren; somit haben verlustträchtige Unternehmen in nur geringerem Ausmaße die Möglichkeit, auf diesem Markt Kapital für ihre Investitionen zu beschaffen. Eine erfolgreiche Kapitalbeschaffung (Emission) auf dem Kapitalmarkt setzt insofern eine erfolgreiche Investitionspolitik auf dem Gütermarkt voraus. Dieser für ein gesamtwirtschaftliches Wachstum positive Selektionsmechanismus lenkt das Geld in die produktivsten Verwendungen. 34 Der Kapi31 Merton, R. C., Market Equilibrium, 1987, S. 483. 32 Vgl. Spremann, K., Finanzierung, 1996, S. 552. 33 Vgl. Perridon, L.lSteiner, M., Finanzwirtschaft, 1995, S. 158; Loistl, 0.,
Kapitalmarkttheorie, 1994, S. 15 f. 34 Vgl. Franke, G.lHax, H., Finanzwirtschaft, 1994, S. 358 f. Es ist jedoch zu be-
achten, daß Informationseffizienz nicht automatisch auch Allokationseffizienz im Sinne eines Pareto-Optimalität gewährleistenden vollkommenen Marktes impliziert. Vgl. dazu Copeland, T. E./Weston, J. F., Financial Theory, 1992, S. 330 f.; Möhlmann, J., Peifor-
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A. Modelltheoretische Ansätze
talmarkt muß gewisse Anforderungen erfüllen, damit dieser Mechanismus überhaupt greifen kann. Im allgemeinen spricht man dann von einem effizienten Kapitalmarkt. Der Begriff der Kapitalmarkteffizienz ist nicht eindeutig belegt und wird im Zusammenhang mit einer Vielzahl von Funktionen und Anforderungen an den Kapitalmarkt diskutiert. 35 So ist Institutionen-Effizienz gegeben, wenn uneingeschränkter Wettbewerb ermöglicht wird und die Marktstruktur nicht zu Hemmnissen und Verzerrungen der Preis bildung führt. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht die Informationsverarbeitungseffizienz des Kapitalmarktes. 36 Dabei handelt es sich um die dem Kapitalmarkt zugesprochene Fähigkeit, die die Wertpapierkurse konstituierenden Einflußfaktoren stets preislich adäquat zu reflektieren. Eine Fehlallokation der investierten Gelder wäre die Folge einer ineffizienten Informationsverarbeitung. Welche Rolle spielt dabei die moderne Kapitalmarkttheorie? Der Kapitalmarkt als Primärmarkt steht im Mittelpunkt der gestaltenden, normativen Kapitalkostentheorie. Hier liegt der Schwerpunkt der Analyse bei der Ermittlung von Gleichgewichtsrenditen als Kapitalkostensätze und Kalkulationszinsfüßen unter Unsicherheit. Als erklärende Theorie beschäftigt sie sich mit der Analyse von Preisbildungsprozessen bei unsicheren Erwartungen der Anleger. 37 In diesen Kontext ist die Theorie der effizienten Kapitalmärkte einzuordnen.
2. Die Grundlagen der Theorie informationseffizienter Märkte Im Schrifttum hat sich die Definition Famas zum begrifflichen Inhalt informationseffizienter Kapitalmärkte durchgesetzt 38
mancemessung, 1993, S. 49 f. So kann ein informationseffizienter Kapitalmarkt auch dann gegeben sein, wenn Gütermärkte als unvollkommen zu bezeichnen sind: "Hence if a firm can reap monopoly profits in a product market, the effident capital market will determine a security price that fully reflects the present value of the antidpated stream of monopoly profits. Hence we can have a1locative inefficiendes in product markets but still have effident capital markets". (Copeland, T. E./Weston, J. F., Financial Theory, 1992, S. 331). 35 Vgl. Loistl, 0., Finanzierungstheorie, 1990, S. 63 ff. 36 Im folgenden beziehen sich daher Begriffe wie ,,Effizienzhypothese", "Kapitalmarkteffizienz" oder "effiziente Märkte" immer auf den Informationscharakter von Effizienz. 37 Vgl. Perridon, L.lSteiner, M., Finanzwirtschaft, 1995, S. 235. 38 Vgl. Elton, E. J.lGruber, M. 1., Portfolio Theory, 1991, S. 399; Copeland, T. E./Weston, J. F., Financial Theory, 1992, S. 332.
III. Kapitalmarkttheoretische Perspektive
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"The Primary Role of the capital market is allocation of ownership of the economy's capital stock. In general terms, the ideal is a market in which prices provide accurate signals for resource allocation: that is, a market in which firms can make production-investment decisions, and investors can choose 'among the securities that represent ownership of firms' activities under the assumption that security prices at any time »fully reflect« all available information. A market in which prices always »fully reflect« available information is called »efficient«"39. a) Die historischen Fundamente der MarkteJfizienzhypothese
Der Ursprung der Effizienzhypothese liegt in der sogenannten Random Walk-Hypothese. Sie wurde stark von Bachelier beeinflußt, der schon zu Beginn dieses Jahrhunderts im Rahmen einer mathematischen Dissertation sehr allgemein formulierend davon ausging, daß sich das Verhalten spekulativer Preise als faires Spiel beschreiben ließe, d. h. "the mathematical expectation of the speculator is zero'