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German Pages 324 Year 2016
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 272
Grund und Grenzen transnationaler Strafrechtspflege Eine strafprozessuale Untersuchung der Rechtshilfe unter besonderer Berücksichtigung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung in der EU
Von
Benjamin Roger
Duncker & Humblot · Berlin
BENJAMIN ROGER
Grund und Grenzen transnationaler Strafrechtspflege
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 272
Grund und Grenzen transnationaler Strafrechtspflege Eine strafprozessuale Untersuchung der Rechtshilfe unter besonderer Berücksichtigung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung in der EU
Von
Benjamin Roger
Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Dr. h.c. mult. Bernd Schünemann, München Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany
ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-14745-8 (Print) ISBN 978-3-428-54745-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84745-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2014/2015 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten für die Publikation bis November 2015 berücksichtigt werden, herausgehobene Urteile bis April 2016. Zu danken habe ich in erster Linie meinem verehrten Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Bernd Schünemann, der bereits im ersten Studiensemester mein Interesse an der Rechtswissenschaft im Allgemeinen und dem Strafrecht im Besonderen geweckt hat. Später dann hat er nicht nur diese Arbeit, sondern meine wissenschaftliche Tätigkeit insgesamt über Jahre gefördert und mit stets anregenden Gedanken maßgeblich geprägt. Seine Leidenschaft für die Sache, analytische Schärfe und unermüdliche Diskussionsbereitschaft werden mir immer gute Erinnerung und Vorbild sein. Entscheidend für meine Entwicklung und die dieses Werkes war auch die langjährige Tätigkeit unter seiner Leitung am Münchner Institut für die gesamten Strafrechtswissenschaften, Rechtsphilosophie und Rechtsinformatik. Neben einem Auskommen und der Auseinandersetzung mit immer neuen wissenschaftlichen Fragestellungen hat mir diese Stelle einen durch nichts zu ersetzenden geistigen und persönlichen Austausch mit zahlreichen Kollegen aus dem In- und Ausland ermöglicht. Dank schulde ich außerdem meinem Freund und Mentor Prof. Dr. Luís Greco, LL.M, für die äußerst zügige Erstellung des Zweitgutachtens, vor allem aber für zahlreiche und fruchtbare Diskussionen. Auch die Herren Dr. Peter Kasiske und Dr. Anselm Reinertshofer waren mir am Münchner Institut ebenso geschätzte Kollegen wie anregende Gesprächspartner. Bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Dres. h.c. Friedrich-Christian Schroeder und Prof. Dr. Andreas Hoyer für die Aufnahme in die ehrwürdige Schriftenreihe der Strafrechtlichen Abhandlungen. Schließlich bin ich meiner Familie zu Dank verpflichtet: meinen Eltern, JeanPierre Roger und Mechtild Gödde, für ihre immerwährende Unterstützung in jeglicher Hinsicht, letzterer auch für die akribische Durchsicht des Manuskripts; Werner Klausnitzer für wichtige intellektuelle Impulse. Last but not least danke ich meiner lieben Frau Magali für ihr Verständnis und die unerschöpfliche Geduld, mit der sie die mitunter vereinnahmende Entstehung dieses Werkes begleitet hat. München, im April 2016
Benjamin Roger
Inhaltsübersicht Einleitung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . 26 I. Rechtshilfe als Element transnationaler Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Begründungsansätze für Rechtshilfe in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Die „dritte Dimension“ der Rechtshilfe: die Rechtsstellung des Betroffenen . 44 3. Das „international-arbeitsteilige Strafverfahren“ als Leitmotiv? . . . . . . . . . . . 113 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 II. Die Rechtsstellung des Individuums zwischen innerprozessualen und prozessunabhängigen Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Prozessunabhängige Gefahren und die notwendige (unterschiedslose) Geltung der lex loci . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Innerprozessuale Gefahren und die Schranken des verfahrensführenden Staates (lex fori) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Äußerste Grenzen der Leistung von Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 4. Wirksame Verteidigung und Rechtswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 5. Leistungsfähigkeit des Ansatzes: vermeidbare und unvermeidbare Überlagerungen der Schranken beider Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 6. Fazit: Konsequent strafprozessuale Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung im Gefüge der transnationalen Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Vom Binnenmarkt zur Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Vorgeschichte. Gegenseitige Anerkennung als „Kopernikanische Wende“? . . 219 3. Aufwertung durch Positivierung im AEUV? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Internationale Strafverfolgung in einem einheitlichen kriminalgeographischen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
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Inhaltsübersicht 2. Gegenseitige Anerkennung als neutrales Verfahrensprinzip? . . . . . . . . . . . . . 233 3. Zwischenfazit: Entzauberung des Begriffs „Prinzip“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 III. Das „Prinzip“ gegenseitiger Anerkennung in seiner konkreten Ausgestaltung . . . 249 1. Die bisher ergangenen Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Ausblick: Die europäische Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 IV. Evaluierende Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 1. Eignung zur Ordnung eines europäischen arbeitsteiligen Strafverfahrens? . . . 287 2. Bisherige Umsetzung des Anerkennungsprinzips und ihre strukturellen Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3. Verantwortung des EU-Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4. Subsidiäre Verantwortung der Mitgliedstaaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 5. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
C. Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Inhaltsverzeichnis Einleitung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . 26 I. Rechtshilfe als Element transnationaler Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Begründungsansätze für Rechtshilfe in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 a) Befund: transnationales Verbrechen, nationale Strafrechtspflege . . . . . . . . 26 b) Qualifikation der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 aa) Rechtshilfe als Unterstützung zwischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 bb) Rechtshilfe als (Unterstützung fremder) Strafrechtspflege . . . . . . . . . . 30 (1) Der unabweisbare strafprozessuale Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 (2) Lebendiges und Totes in Lammaschs Rechtspflegetheorie . . . . . . . 32 (a) Formulierung der Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 (b) Unvereinbarkeit von Rechtshilfe und Rechtspflege? . . . . . . . . . 33 (c) Rechtshilfe als Strafe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 (aa) „Ausübung eines Strafrechts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 (bb) Strafanspruch des ersuchten Staates? . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 (d) Die Gründe hinter der Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (aa) Phänomenologie der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (bb) Vorrang des fremden Strafanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (e) Zwischenfazit: Das Lebendige in Lammaschs Theorie . . . . . . . 40 (3) Gegenentwurf: Die Vertragstheorie Voglers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 (a) Eine Variante der Rechtshilfetheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 (b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 c) Fazit: Die Berechtigung der Rechtspflegetheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Die „dritte Dimension“ der Rechtshilfe: die Rechtsstellung des Betroffenen
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a) Die Entwicklung der Rechtssubjektivität in der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . 45 aa) Individualrechte nach der klassischen Rechtspflegetheorie . . . . . . . . . 45 (1) Die strafprozessuale Rechtsstellung des Auszuliefernden im ersuchten Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 (2) Subjektive Rechte im Auslieferungsverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . 46 (3) Rechtsstellung im ersuchenden Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (4) Zwischenfazit; historische Grenzen des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . 50
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Inhaltsverzeichnis bb) Subjektive Rechte nach der Rechtshilfetheorie, insb. der Vertragstheorie Voglers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (1) Rechtshilfeverfahren im Zeichen des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . 52 (2) Das Völkerrecht als „Brandmauer“ zwischen den nationalen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (3) Ius cogens als einzige Schranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (4) Zwischenfazit: Fortschritte und Fehltritte von Voglers Theorie . . . 57 cc) Die Entdeckung der „dritten Dimension“ durch Lagodny . . . . . . . . . . 57 (1) Der innerstaatliche Vollzugsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (2) Grundrechtsgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (3) Verhältnis zu den Interessen der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (4) Subjektive Rechtsstellung, aber welche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 dd) Einwände gegen Lagodnys Thesen in Literatur und Rechtsprechung 62 (1) Ausschließliche Vertragsnatur der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (2) Art. 16 II 1, 16a I GG als leges speciales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (3) Einwand des unzulässigen „Grundrechtsexports“ . . . . . . . . . . . . . . 65 (4) Einwand der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes . . . . . 66 ee) Fazit zur Entwicklung der „dritten Dimension“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Die strafprozessuale Rechtsstellung des Einzelnen als Ausgangspunkt . . . 69 aa) Konkretisierung der Rechtsstellung in Gestalt des „Verbots der Individualbenachteiligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 bb) Verhältnis von Individualrechten und staatlichen Interessen . . . . . . . . . 72 cc) Zwischenfazit: Primat der Individualrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 c) Positivrechtliche Rahmenbedingungen der Rechtsstellung des transnationalen Beschuldigten in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 aa) Grund- und Menschenrechte im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (1) Umfassende Schutzbereichseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (2) Eingriffsrechtfertigung: legitimer Zweck und Verhältnismäßigkeit
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bb) Benachteiligungsverbot und allgemeiner Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . 80 (1) Vergleichbare Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (2) Adressaten des Gleichheitssatzes und das Problem der Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (3) Tragweite des Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (4) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 cc) Das Recht auf ein faires Verfahren als Kristallisationspunkt, insbesondere im Beweisrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (1) Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (2) Fair trial zwischen Gesamtbetrachtung und seiner Wahrung in actu 89 (a) Die Gesamtbetrachtung durch den EGMR und ihre Grenzen 89 (b) Anwendung unmittelbar durch die Behörden? . . . . . . . . . . . . . 90 (aa) Anwendungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
Inhaltsverzeichnis
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(bb) Grenzen der unmittelbaren Menschenrechtsvorbehalte und Gebot gesetzlicher Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (c) Die spezifischen Probleme der Hybridisierung . . . . . . . . . . . . . 92 (aa) Geteilte Verantwortlichkeit – halbe Verantwortlichkeit? . . . 92 (bb) Verantwortlichkeit des Staates, der das Verfahren führt . . . 93 (cc) Fairness in actu statt Heilung ex post . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (dd) Insbesondere: das Verwertungsdilemma . . . . . . . . . . . . . . . 95 (a) Die Verwertungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (b) Rückblick: Unzulässigkeit des Eingriffs . . . . . . . . . . . 96 (d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 d) Zwischenbilanz: Individualrechte, verfassungsrechtliche Vorgaben und ihre notwendige Entfaltung in einem ausbalancierten einfachen Recht . . . 98 aa) Grundrechte, Benachteiligungsverbot und Verfahrensbalance . . . . . . . 99 bb) Entfaltung im (einfachen) Strafprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 cc) Unzulänglicheit von Mindestrechten; Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . 101 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 e) Verantwortlichkeit der beteiligten Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Sind die Staaten „Erfüllungsgehilfen“ oder „Gesamtschuldner“ eines prozessordnungsgemäßen Verfahrens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Diskussion anhand von Ersatzleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 cc) Gesamtverantwortung als allgemeines Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 (1) Bündelung der staatlichen Eingriffsmacht und Eingriffsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (2) Folgeverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (3) Zusammenfassung in der Gesamtverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . 109 (4) Das Modell einer Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (a) Stichhaltigkeit und dogmatischer Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (b) Gesamtverantwortung – Meistbegünstigung? . . . . . . . . . . . . . . 111 dd) Fazit: Gesamtschuld als Schlüssel zur Sicherung der Rechtsstellung des Individuums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Das „international-arbeitsteilige Strafverfahren“ als Leitmotiv? . . . . . . . . . . . 113 a) Eignung zur Durchsetzung des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Strafverfahren als Fluchtpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 (1) Primat der rechtlichen Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (b) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 bb) Exkurs: Rechtspflicht zur Rechtshilfe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (1) Orientierung an innerstaatlicher Verfolgungspflicht . . . . . . . . . . . . 118 (2) Gleichbehandlung und Verfolgungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (3) (Materielle) Bestrafungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 cc) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Schutz der Rechtsstellung des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
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Inhaltsverzeichnis c) Einwände gegen das Konzept des international-arbeitsteiligen Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 II. Die Rechtsstellung des Individuums zwischen innerprozessualen und prozessunabhängigen Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Prozessunabhängige Gefahren und die notwendige (unterschiedslose) Geltung der lex loci . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Strafprozessuale Rechtslage (auch) im ersuchten Staat . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Prozessunabhängige Schranken des ersuchten Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 aa) Prozessunabhängige Gefahren – prozessunabhängige Schranken . . . . . 128 bb) Anwendbarkeit auch in transnationalen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 130 cc) Der Drittbezogenheits-Test als Indikator für prozessunabhängige Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 (1) Einfache Ermittlungsmaßnahmen ohne Zwangsbewehrung . . . . . . 134 (2) Invasive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (3) Zwang und zwangsbewehrte Inpflichtnahme als prozessunabhängige Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (4) Das Problem der Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechte . . . . . 138 (5) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 dd) Umfang: alle allgemeinen Eingriffsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . 141 (1) Akzessorietät zu prozessunabhängigen Gefahren . . . . . . . . . . . . . . 141 (2) Untrennbarkeit von Eingriff(svoraussetzung)en . . . . . . . . . . . . . . . 143 ee) Die Ausdehnung der prozessunabhängigen Schranken im Einzelnen
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(1) Das Erfordernis des Verdachts einer strafbaren Tat . . . . . . . . . . . . . 144 (a) Der Tatverdacht und seine Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (aa) Der Verdacht im Spannungsfeld zwischen innerprozessualem Raum und prozessunabhängigen Gefahren . . . . . . . . . 145 (bb) Tatsachenprüfung im verfahrensführenden Staat . . . . . . . . . 147 (cc) Rechtliche Würdigung und Kontrolle im ersuchten Staat 148 (dd) Belastbarkeit der Tatsachenprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (ee) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (b) Gegenstand: (auch im ersuchten Staat) strafbare Tat . . . . . . . . 154 (aa) Das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit als prozessunabhängige Schranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (bb) Aufgabe des Erfordernisses zugunsten „effektiver Verbrechensbekämpfung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (cc) Anwendung nur in Fällen „qualifizierter Straflosigkeit“? 159 (dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (ee) Ableitung aus dem nulla-poena-Satz? . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (ff) Die Merkmale der Straftat im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . 161 (gg) Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Inhaltsverzeichnis
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(hh) Konkrete Verfolgbarkeit der Tat und Doppelbestrafungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (2) Weitere Eingriffsvoraussetzungen am Beispiel der Haftgründe . . . 167 (3) Richterliche Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Innerprozessuale Gefahren und die Schranken des verfahrensführenden Staates (lex fori) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Bindung an die lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Der Zusammenhang mit der Verwertungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Doppelfunktionelle Prozesshandlungen – Doppelfunktionelle Schranken 173 d) Prozessuale Verarbeitung, Verstoß gegen die lex fori und das Problem des Forum-Wechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 e) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Äußerste Grenzen der Leistung von Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Immanente Grenzen der Verfahrenshoheit des ersuchenden Staates . . . . . . 178 aa) Der Spezialitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 bb) Strafanspruch des ersuchenden Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Ordre public als äußerste Grenze der Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4. Wirksame Verteidigung und Rechtswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Rechtsschutz gegen Maßnahmen des ersuchten Staates . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Verteidigungsrechte im verfahrensführenden Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 c) Kompensation von Rechtseinbußen und gerichtliche Absicherung des ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 d) Non olet pecunia, sed absentia pecuniae: Kosten des Zugangs zur Justiz 187 5. Leistungsfähigkeit des Ansatzes: vermeidbare und unvermeidbare Überlagerungen der Schranken beider Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Grundsatz: Exklusivität der jeweils maßgeblichen Rechtsordnung (in den Grenzen des ordre public) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 b) Doppelfunktionelle Schranken und Meistbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . 190 c) Sachgerechte und vermeidbare Kumulation prozessunabhängiger Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 e) Konkretisierung anhand der wichtigsten Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Vollstreckung von Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (1) Einheit von Strafe und Vollstreckung in den Schranken des vollstreckenden Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (2) „Humanitäre“ Strafvollstreckung entgegen der eigenen Rechtsordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 bb) Auslieferung(shaft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (1) „Auslieferungshaft“ und ihre akzessorische Qualifikation . . . . . . . 197 (2) Auslieferung als Überstellung vor (fremde) Gerichtshoheit . . . . . . 199 (a) Auslieferung zur Strafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
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Inhaltsverzeichnis (b) Auslieferung zur Strafverfolgung: schlichter (Untersuchungs-)Haftbefehl nicht hinreichend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (aa) Erscheinenspflichten im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . 201 (bb) Kritik: überschießende transnationale Wirkung eines nationalen Haftbefehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (cc) Voraussetzungen der Unterwerfung unter staatliche Gerichtshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (dd) Kehrseite: Untersuchungshaftbefehl nicht erforderlich . . . . 204 (ee) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 cc) „Sonstige“ bzw. Beweisrechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 f) Praktische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 aa) De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 bb) De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 6. Fazit: Konsequent strafprozessuale Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Differenzierte Ableitung aus den innerstaatlichen Prozessordnungen . . . . . 211 b) Entspezifizierung des transnationalen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 c) Dienende Funktion des Rechtshilferechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung im Gefüge der transnationalen Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Vom Binnenmarkt zur Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Vorgeschichte. Gegenseitige Anerkennung als „Kopernikanische Wende“? 219 3. Aufwertung durch Positivierung im AEUV? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Internationale Strafverfolgung in einem einheitlichen kriminalgeographischen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Entgrenzung des Verbrechens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Entgrenzung der Strafverfolgung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 c) Verhältnis zu Freizügigkeit und Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 aa) Analogie zum Binnenmarkt (unter umgekehrten Vorzeichen) . . . . . . . 225 (1) Ratio des Prinzips: liberaler Selbstzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (2) Das Verhältnis zur Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (a) Politische Dynamik der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . 227 (b) Wechselwirkung mit Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (3) Zwischenergebnis: Keine einfache Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . 229 bb) Prinzip gegenseitiger Anerkennung als Kehrseite der Freizügigkeit?
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(1) Unschuldsvermutung für freie Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 (2) Verdacht als Eingriffsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (3) Asymmetrie; Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
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d) Erforderlichkeit zur Effektivierung europäischer transnationaler Strafrechtspflege? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 e) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. Gegenseitige Anerkennung als neutrales Verfahrensprinzip? . . . . . . . . . . . . . . 233 a) Inhärente Neutralität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 aa) Neutral oder punitiv? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Gegenstand der Neutralitätsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Neutralität im Gesamten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 aa) Neutralität im Verhältnis zum status quo ante? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (1) Bezug zur alten Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (2) Emanzipation vom status quo ante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (3) Verrechtlichung durch Institutionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 bb) Umfassendes Doppelverfolgungsverbot als Ausweis der Neutralität?
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c) Normativ angezeigte Neutralität: Wahrung des prozessualen Gleichgewichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 d) Verantwortung des EU-Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 e) Ergebnis: Neutralität kein Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 3. Zwischenfazit: Entzauberung des Begriffs „Prinzip“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Eigenständiger normativer Gehalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 aa) Gegenseitige Anerkennung kein Zweck an sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 bb) „Hohes Maß an Vertrauen“ als normatives Gewicht? . . . . . . . . . . . . . . 243 (1) Inkommensurabilität von Recht und Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (2) Vertrauen und sein untauglicher Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (3) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Legitimationsdefizite einer gegenseitigen Anerkennung „in Reinform“ . . . 246 aa) Der konsequente Realisierungsvorschlag im Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz pp. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 bb) Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung als solches . . . . . . . . . . . . . . . 246 c) Rückführung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung auf den Status eines Kompetenztitels ohne „self-executing“ Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 III. Das „Prinzip“ gegenseitiger Anerkennung in seiner konkreten Ausgestaltung
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1. Die bisher ergangenen Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 a) Prolog: Rang- und Legitimationsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 aa) Vorrang des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 bb) Insbesondere Rahmenbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Rekapitulation der Anforderungen an die Gestaltung der Rechtshilfe . . . . 251 aa) Grund- und Menschenrechte und ihre notwendige Entfaltung im einfachen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Mindestrechte de lege lata et ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
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Inhaltsverzeichnis c) Die Instrumente gegenseitiger Anerkennung in der Strafrechtspflege im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 aa) Gemeinsame Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (1) Anordnung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (a) Anordnung nach den Kriterien des Anordnungsstaates . . . . . . . 253 (b) Vollstreckung „als solche“; abschließende und fakultative Ablehnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (2) Die partielle Aufgabe des Prinzips beiderseitiger Strafbarkeit . . . . 256 (a) Die Ablehnung eines Gleichheitsverstoßes durch den EuGH 258 (b) Nulla poena sine lege? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (3) Der Ausschluss der Tatverdachtsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (4) Direkter Verkehr zwischen den Justizbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . 261 bb) Rechtskräftige Urteile und Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (1) Freiheitsentziehende Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (a) Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . 262 (b) Wiederaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (c) Abwesenheitsurteile im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (2) Geldstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 cc) Verfahrenssichernde Maßnahmen, insbesondere Haftbefehle . . . . . . . . 266 (1) Konzept: „Übergabe“ statt „Auslieferung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (2) Anerkennungsfähige (-pflichtige) Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . 266 (3) Vollstreckung nach dem Recht des „Vollstreckungsmitgliedstaats“ 267 (4) Das Verhältnis von Haftbefehl und milderen Maßnahmen . . . . . . . 268 (5) Verteidigung und Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 dd) Beweis- und Informationsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (1) Die europäische Beweisanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (2) Die europäische Ermittlungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (a) Anerkennungsfähige und -pflichtige Entscheidungen . . . . . . . . 272 (b) Vollstreckung (nach dem Recht des Vollstreckungsstaates) . . . 273 (c) Anwendung der lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (d) Verteidigungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (e) Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (3) Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 ee) Exkurs: Das „teileuropäische“ Doppelverfolgungsverbot und seine Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 2. Ausblick: Die europäische Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 IV. Evaluierende Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 1. Eignung zur Ordnung eines europäischen arbeitsteiligen Strafverfahrens? . . . 287
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2. Bisherige Umsetzung des Anerkennungsprinzips und ihre strukturellen Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 a) Bleibt das Prinzip gegenseitiger Anerkennung (binnensystematisch) auf halber Strecke stehen? Die Trennung von Anordnung und Vollstreckung
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b) Bleibt das Prinzip gegenseitiger Anerkennung (individualrechtlich) auf halber Strecke stehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 aa) Die Verkürzung auf einzelne Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 bb) Fakultative Ablehnungsgründe/Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 cc) Kompensationsungeeignete Mindestrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 dd) Wirksame Verteidigungsrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Überschießende Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 3. Verantwortung des EU-Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4. Subsidiäre Verantwortung der Mitgliedstaaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 5. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 C. Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. a.E. AEUV a. F. allg. a. a. O. ähnl. AöR Art. BeckOK GG BGBl. BGH BGHSt BGHZ BRD BVerfG BVerfGE CDE CMLR dies. diff. ebda. EGMR EGV EKMR EU EuAuslÜbk EuRhÜbk
EuGRZ EuRhÜbk
anderer Ansicht Amtsblatt am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon (ABl. EU C-306, S. 1) alte Fassung allgemein am angegebenen Ort ähnlich Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesrepublik Deutschland Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, amtliche Sammlung Cahiers de droit européen Common Market Law Review dieselbe(n) differenzierend ebenda Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Kommission für Menschenrechte Europäische Union Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. 12. 1957 (BGBl. 1964 II S. 1369, 1371 ff.) Europäisches Übereinkommen vom 20. April 1959 u¨ ber die Rechtshilfe in Strafsachen (BGBl. 1964 II S. 1369, 1386 ff.) Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union v. 29. 5. 2000 (ABl. EU C-197, S. 3) Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen v. 20. 4. 1959
Abkürzungsverzeichnis EU-RhÜbk EUV evtl. Fn. FS GA gem. GG ggf. G/H/N G/P G/P/K grds. GS GVG HFR h. L. h. M. HRRS Hrsg. hrsg. Hs. ICC i. d. F. i. d. R. i. E. i. e. i. E. s. i. e. S. insb. IRG i. S. d. i. S. v. i. Ü. i. V. m. i. w. S. JA Jh. JR Jura JuS JZ
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Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union v. 29. 5. 2000 (BGBl. 2005 II, 651) Vertrag über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon (ABl. EU C-306, S. 1) eventuell Fußnote Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949 (BGBl. S. 1) gegebenenfalls Grabitz/Hilf/Nettesheim Grützner/Pötz Grützner/Pötz/Kreß grundsätzlich Gedächtnisschrift Gerichtsverfassungsgesetz i. d. F. vom 9. 5. 1975 (BGBl. I, 1077) Humboldt Forum Recht (Zeitschrift) herrschende Lehre herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung Strafrecht (Zeitschrift) Herausgeber herausgegeben Halbsatz International Criminal Court (Internationaler Strafgerichtshof) in der Fassung in der Regel im Ergebnis im Einzelnen im Einzelnen siehe im engeren Sinne insbesondere Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Strafsachen in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. 6. 1994 (BGBl. I, 1537) im Sinne des/der im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter Jahrhundert Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung
20 KK KritV
Abkürzungsverzeichnis
Karlsruher Kommentar Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft LG Landgericht LK Leipziger Kommentar LR Löwe/Rosenberg m. a. W. mit anderen Worten MDR Monatsschrift für Deutsches Recht MüKo Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl., 2011 ff. Nachw. Nachweise NJECL New Journal of European Criminal Law NJW Neue Juristische Wochenschrift NK Nomos-Kommentar NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-RR NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht OLG Oberlandesgericht Rb Rahmenbeschluss Rb-Abwesenheitsurteile Rahmenbeschluss 2009/299JI zur Änderung der Rahmenbeschlüsse 2002/584/JI, 2005/214/JI, 2006/783/JI, 2008/909/JI und 2008/947/JI, zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist v. 26. 2. 2009 (ABl. EU L 81/24) Rb-EBA Rahmenbeschluss 2008/978/JI über die Europäische Beweisanordnung pp. v. 18. 12. 2008 (ABl. EU L 350/72) Rb-Geldstrafen Rahmenbeschluss 2005/214/JI über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen v. 24. 2. 2005 (ABl. EU L 76/16) Rb-HB Rahmenbeschluss 2002/584/JI über den Europäischen Haftbefehl pp. v. 13. 6. 2002 (ABl. EU L 190/1) RiLi-EEA, Richtlinie 2014/41/EU über die Europäische ErmittlungsanordRiLi-Ermittlungsanordnung nung pp. v. 3. 4. 2014 (ABl. EU L 130/1) RG Reichsgericht RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Rn. Randnummer Rs. Rechtssache Rspr. Rechtsprechung Rz. Randziffer SDÜ Schengener Durchführungs-Übereinkommen SK Systematischer Kommentar S/L/G/H Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner sog. sogenannt SteuK Steuerrecht kurzgefasst (Zeitschrift) StGB Strafgesetzbuch i. d. F. der Bekanntmachung v. 13. 11. 1998 (BGBl. I S. 3322) StPO Strafprozeßordnung i. d. F. der Bekanntmachung v. 7. 4. 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319)
Abkürzungsverzeichnis str. StraFo StV TKÜ u. u. a. U-Haft usw. u. U. v. v. a. VO wistra ZIS ZRP ZStW z. T. zust. zutr. zw.
strittig Strafverteidigerforum (Zeitschrift) Strafverteidiger (Zeitschrift) Telekommunikationsüberwachung und; unten und andere; unter anderem Untersuchungshaft und so weiter unter Umständen vom; von vor allem Verordnung Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil zustimmend zutreffend zweifelnd; zweifelhaft
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Einleitung und Gang der Untersuchung „In unseren Zeiten schlingen sich täglich zahlreichere und innigere Bande des Verkehrs um die gesammten Bewohner unseres Weltkörpers […] Es ist ein Anachronismus, wenn man nichtsdestoweniger auch heutzutage noch an der territorialen Grundlage des staatlichen Strafrechts so festhalten will, daß man den Staat für verpflichtet erklärt, […] die verbrecherischen Vorgänge, welche sich nicht auf seinem Boden abspielen und nicht unmittelbar greifbare Folgen auf derselben [sic] äußern, als etwas Gleichgültiges anzusehen, das ihn nichts angeht […]; heutzutage, wo gemeine Verbrecher […] die Wege und Mittel des Weltverkehrs in der umfassendsten Weise auszunutzen verstehen […]! Es kann sich nur um die Frage handeln, wie man auf die richtigste und wirksamste Weise den gemeinsamen Feinden (nicht bloß eines einzelnen Staates, sondern) des Menschengeschlechts entgegentritt durch gemeisames Vorgehen der Kulturstaaten.“ Geyer, Zeitschrift für die gebildete Welt III (1883), 105 „[…] wie sonderbar es ist, wenn ein Staat die Freiheit einer Person im Interesse der Rechtspflege eines fremden Staates weitergehenden Beschränkungen unterwirft, als im Interesse seiner eigenen.“ Lammasch, Auslieferungspflicht und Asylrecht, 1887
Seit etwas mehr als einem Jahrzehnt wird die strafrechtliche Zusammenarbeit zwischen den Staaten der Europäischen Union vom „Prinzip gegenseitiger Anerkennung“ geprägt, das mit dem sogenannten Europäischen Haftbefehl 2002 erstmals in die Strafrechtspflege eingeführt wurde. Sein Grundgedanke, wonach strafrechtliche Entscheidungen eines Mitgliedstaates in jedem anderen Mitgliedstaat prinzipiell anzuerkennen und umzusetzen sind, war von Beginn an Gegenstand von Kritik. Denn während die gesteigerte Notwendigkeit der Kooperation in einem Raum ohne Binnengrenzen überwiegend anerkannt ist, wird vielfach zu bedenken gegeben, dass die Übernahme und Vollstreckung ausländischer strafprozessualer Eingriffe die Rechte des Bürgers empfindlich einschränken könne. Speziell am „Prinzip gegenseitiger Anerkennung“ wird bemängelt, dass dieses ursprünglich aus dem Recht des Binnenmarkts stammende und dort liberal wirkende Prinzip sich in der Strafrechtspflege ins Gegenteil verkehre und vornehmlich repressive Wirkung entfalte. Wie aber die vorstehenden Zitate illustrieren mögen, ist das Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis nach wirksamer grenzüberschreitender Strafverfolgung einerseits und der Sorge um die Rechtsstellung des betroffenen Individuums andererseits keine Besonderheit der jüngsten europäischen Rechtsentwicklung; es handelt sich vielmehr um eine Grundfrage jeglicher internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Dementsprechend geht die vorliegende Arbeit einen Schritt zurück und
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Einleitung und Gang der Untersuchung
widmet sich zunächst den Grundlagen der Rechtshilfe, die besonders ab Ende des 19. Jahrhunderts Gegenstand intensiver Diskussion waren. In Anknüpfung an diese soll untersucht werden, ob sich allgemeine Prinzipien einer transnationalen Strafrechtspflege1 aufstellen lassen und ob diese für die gegenwärtige europäische Diskussion fruchtbar gemacht werden können. Hierbei wird sich zeigen, ob die ebenfalls um die vorletzte Jahrhundertwende geführte, heutzutage weitgehend verstummte Diskussion um die dogmatische Natur der Rechtshilfe ergiebig ist, also die Frage danach, ob die einem anderen Staat geleistete Rechtshilfe (Bestandteil der) Strafrechtspflege ist („Rechtspflegetheorie“) oder ein rechtliches Institut sui generis („Rechtshilfetheorie“) (A.I.1.). In der Konsequenz einer historischen Entwicklung, die (erst im Laufe des 20. Jahrhunderts) zur Anerkennung des Individuums als mit eigenen Rechten ausgestattetes Subjekt in der strafrechtlichen Rechtshilfe geführt hat, ist Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen der „Zugriff“ des Staates (bzw. der Staaten) auf den betroffenen Bürger – hauptsächlich den Beschuldigten (A.I.2.). Dieses Verhältnis wird aus strafprozessualer Perspektive analysiert und eingeordnet, um Leitlinien für die Rechtshilfe induzieren zu können (bottom-up-Ansatz). Es geht also um die Rechtsstellung des Individuums nicht als Sonderproblem, sondern als Dreh- und Angelpunkt der Überlegungen zur Begründung und zu den Schranken der zwischenstaatlichen Kooperation in Strafsachen (und damit Vorgaben dafür, wie ein adäquates Rechtshilferecht de lege lata et ferenda aussehen könnte). Besonderes Augenmerk gilt dabei neben den einschlägigen (Grund- und Menschen-)Rechten der Frage, wie sich die Verantwortung für die Rechtsstellung des Bürgers zwischen den beteiligten Staaten verteilt. Vor diesem Hintergrund wird das in jüngerer Vergangenheit vorgeschlagene Modell der Rechtshilfe als „international-arbeitsteiliges Strafverfahren“ untersucht, dem zufolge alles staatliche Vorgehen im Rahmen der Rechtshilfe „Teil der Strafverfolgung insgesamt“ ist (A.I.3.). Anschließend ist der materielle Gehalt der strafprozessualen Rechtsstellung des Individuums näher zu skizzieren; hierzu wird gefragt, ob sich in der Natur bzw. der Schutzrichtung der Regeln des Strafverfahrens Gründe dafür finden lassen, die Regeln des einen oder anderen Staates anzuwenden (A.II.1, 2.) und weiter, ob diese in ihrer transnationalen Anwendung spezifischer Modifikationen und Schranken bedürfen (A.II.3.). Vor diesem Hintergrund werden insbesondere die klassischen Fragen der beiderseitigen Strafbarkeit, der Tatverdachtsprüfung im ersuchten Staat, der transnationalen Beweiserhebung und –verwertung sowie des ordre public behandelt. Daran anknüpfend ist weiter zu untersuchen, wie die solchermaßen bestimmte Rechtsstellung des Individuums prozessual wirksam umgesetzt und gesichert werden kann (A.II.4.). Um den so entwickelten Ansatz auf seine dogmatische 1
D. h. der Strafrechtspflege einzelner Staaten in ihrer grenzüberschreitenden Dimension. Es geht also nicht um internationale Strafrechtspflege vor dem Internationalen Strafgerichtshof oder mögliche supranationale Verfahren vor EU-Gerichten, sondern allein um die Strafgerichtsbarkeit der einzelnen Staaten (die auf absehbare Zeit den Normalfall bilden wird) und ihre Wirkungen in anderen Staaten.
Einleitung und Gang der Untersuchung
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Schlüssigkeit und Leistungsfähigkeit hin zu überprüfen, wird er sodann an den wichtigsten Einzelmaßnahmen der Rechtshilfe entfaltet (A.II.5.). Im Lichte der angestellten Überlegungen wird abschließend die Bedeutung des Strafprozessrechts in der Rechtshilfe rekapituliert und eine Einschätzung des Verhältnisses zwischen den beiden Rechtsgebieten formuliert (A.II.6.). Im zweiten Hauptteil der Arbeit wird die gegenwärtige Entwicklung des „Prinzips gegenseitiger Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen“ in der Europäischen Union anhand des vorgeschlagenen Konzepts untersucht. Zunächst ist dazu nach einer kurzen historischen Standortbestimmung (B.I.) die Übertragung des Anerkennungsprinzips aus dem (liberal bestimmten) Binnenmarkt auf das (tendenziell freiheitsbeschränkende) Recht des Strafverfahrens näher zu überprüfen. Dabei wird insbesondere zu klären sein, ob das „Prinzip gegenseitiger Anerkennung“, wie teilweise behauptet, „neutral“ ist und schon deshalb rechtsstaatlich unbedenklich; ferner, ob es, wie der Begriff „Prinzip“ suggeriert, eigenständigen normativen Gehalt aufweist, also einen Wert an sich verkörpert, oder lediglich instrumentellen Charakter besitzt. Während im Binnenmarktrecht auf die grundlegende liberale Wertentscheidung der EG/EU-Verträge verwiesen werden kann, stellt sich diese Frage nach der Selbstzweckhaftigkeit in der Strafrechtspflege unter Umständen anders (B.II.). Im Anschluss daran werden die einzelnen Rechtsakte betrachtet, die das „Prinzip“ gegenseitiger Anerkennung in Strafsachen erst zur konkreten Entfaltung bringen, insbesondere die Rahmenbeschlüsse und Richtlinien zum europäischen Haftbefehl, zur Beweisgewinnung und zur Vollstreckung von Sanktionen. Diese werden anhand des im ersten Teil entwickelten dogmatischen Ansatzes untersucht und schließlich in einer Gesamtbetrachtung gewürdigt (B.III., IV.).
A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege I. Rechtshilfe als Element transnationaler Strafrechtspflege Nachdem die Diskussion über die Rechtsnatur der Rechtshilfe lange Zeit für erledigt gehalten wurde (näher u. 1.b)), erfreut sich heutzutage das Modell einer „international-arbeitsteiligen“ Strafverfolgung zunehmender Anerkennung, das die Rechtshilfe als „Teil der Strafverfolgung insgesamt“ begreift (näher u. 3.). Die darin angedeuteten Implikationen für das dogmatische Verhältnis von Strafprozessrecht und Rechtshilfe geben Anlass zu einer Neuuntersuchung der früheren Auseinandersetzung zwischen Rechtshilfe- und Rechtspflegetheorie, der Frage also, ob Rechtshilfe ein eigenständiges Rechtsinstitut ist oder integraler Bestandteil der Strafrechtspflege; dabei gilt es zu klären, ob diese Diskussion jenseits bloßer Begrifflichkeiten eine Grundlage für Schlussfolgerungen in der Sache liefern kann (näher u. 1.). Die Sache, um die es im Wesentlichen geht und die dementsprechend im Mittelpunkt dieses Abschnitts steht, ist die Rechtsstellung des Individuums in der strafrechtlichen Rechtshilfe (näher u. 2.). 1. Begründungsansätze für Rechtshilfe in Strafsachen Während die sachliche Notwendigkeit wechselseitiger Hilfeleistung der Staaten in Strafsachen unbestritten ist (u. a)), besteht keine Einigkeit darüber, wie diese konstruktiv zu begründen ist, oder in der früher geläufigen Terminologie: welcher Rechtsnatur sie ist. Im Folgenden soll deshalb zunächst geklärt werden, ob es überhaupt sachliche Gründe gibt, der Rechtshilfe eine bestimmte „Natur“ zuzuschreiben, und ob diese Zuschreibung dogmatisch ertragreich ist (u. b)). a) Befund: transnationales Verbrechen, nationale Strafrechtspflege Ausgangspunkt jeder Rechtfertigung von grenzüberschreitender Kooperation in Strafsachen ist der Befund, dass „das Verbrechen“ oder „Straftäter“ nicht an Grenzen gebunden sind. Ganz unabhängig davon, ob Staatengrenzen streng gesichert sind oder – wie im Schengen-Raum – prinzipiell offen, entstehen regelmäßig Situationen, in denen die Strafrechtspflege mit grenzüberschreitenden Elementen zu tun hat. Sei es, dass der (mutmaßliche) Täter nach der Tat in einen anderen Staat geflohen ist, sei es, dass wichtige Zeugen im Ausland leben oder potentielle Beweismittel dort belegen sind. Ebenso kann eine Handlung, die in einem Staat begangen wird, Aus-
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wirkungen – möglicherweise strafrechtlich relevante Erfolge – in einem anderen Staat zeitigen. Es versteht sich, dass mit der Zunahme der internationalen Mobilität sowie moderner und weltumspannender Kommunikationsmittel das Potential für solche Fälle deutlich zugenommen hat und weiter zunimmt.1 Dem steht eine Strafrechtspflege gegenüber, die sowohl materiell- als auch verfahrensrechtlich grundsätzlich auf der nationalen Ebene des jeweiligen Staates geregelt ist und von diesem auch grundsätzlich nur auf dem eigenen Hoheitsgebiet ausgeübt werden kann. Auch die sektoral etablierten internationalen Strafgerichtshöfe besitzen keinen Unterbau, der im Bereich ihrer Zuständigkeit (zumindest für den ICC potentiell weltweit2) entsprechend ihrer Verfahrensordnung Beweise sammeln, Verdächtige festnehmen oder andere Entscheidungen vollstrecken könnte. Die Ausübung der Strafgewalt wird als elementare Ausprägung der staatlichen Souveränität angesehen, weshalb auch auf absehbare Zeit nicht damit zu rechnen ist, dass sie umfassend von Staaten auf fremdem Hoheitsgebiet oder von übernationalen Instanzen ausgeübt wird. Dabei ist unbestritten, dass die transnationale Dimension der Kriminalität nicht dazu führen darf, dass die prinzipiell an Staatsgrenzen gebundene Strafrechtspflege „kapitulieren“ muss, Verfahren behindert werden und sogenannte „sichere Häfen“ entstehen, in die Straftäter sich zurückziehen können oder wo Beweismittel unerreichbar sind. Wurde dieser Befund schon im vorvergangenen Jahrhundert (zum wiederholten Male) formuliert, lässt sich heutzutage umso weniger verneinen, dass ein Bedürfnis danach besteht, der Strafrechtspflege auch grenzüberschreitend zur Geltung zu verhelfen,3 und zwar – in Ermangelung eines direkten „Durchgriffs“ auf fremdes Hoheitsgebiet4 – indem die Staaten einander Unterstützung leisten. Das ist seit jeher das – im Grundsatz unumstrittene – Anliegen der Rechtshilfe, klassisch in Gestalt der Auslieferung eines Verdächtigen oder Verurteilten, aber auch in Gestalt 1 Ganz besonders in der EU, welche die Binnengrenzen weitgehend abgeschafft hat (s. u. S. 222 f.). 2 Dazu Art. 12, insb. Abs. II des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. 3 S/L/G/H, Einleitung Rn. 98 ff., 109: „keinen strafverfolgungsfreien Raum“. Aus dem 19. Jh. s. nur das eingangs aufgeführte Zitat von Geyer sowie die Nachweise u. Fn. 49; angedeutet bereits bei Beccaria, Von den Verbrechen und von den Strafen, 1764, übersetzt von Vormbaum (2005), XXI, S. 66 ff., der die Frage freilich angesichts der vorherrschenden Willkür und grausamer Strafen offen lässt. Schon die Völkerrechtler der frühen Neuzeit vertraten weitergehend eine Pflicht, entweder auszuliefern oder selbst zu verfolgen („aut dedere aut punire“ in der Formulierung Grotius’, zit. nach Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 46; s. noch S. 117 f.). Zur Entwicklung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts s. Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 3 ff. Zu der nicht unproblematischen Frage, was in der transnationalen Perspektive überhaupt „kriminell“ ist, s. noch S. 154 ff., 158 f. 4 Diese Terminologie wird zwar von Schaper, Verfassungsrechtliche Probleme, S. 121 ff. u. passim verwendet (dagegen Globke, GA 2011, 412, 415 ff.), aber letztlich nur um die Auslösung der Hilfe des fremden Staates zu beschreiben, kein unmittelbares Tätigwerden des ersuchenden Staates auf fremdem Hoheitsgebiet (s. nur ibid., S. 123: „Notwendig ist […] eine Brücke im nationalen Recht.“).
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der Hilfe bei der Beweisgewinnung oder bei der Vollstreckung von Urteilen oder sonstigen Entscheidungen. b) Qualifikation der Rechtshilfe Keine Einigkeit besteht dagegen über die materielle Qualifikation strafrechtlicher Rechtshilfe und die rechtlichen Rahmenbedingung ihrer Durchführung. aa) Rechtshilfe als Unterstützung zwischen Staaten Nach einer traditionellen Ansicht handelt es sich bei der Rechtshilfe in Strafsachen um eine zuvörderst zwischenstaatliche und von (eigener) Strafrechtspflege grundlegend verschiedene Materie (sog. Rechtshilfetheorie).5 Die Frage ist stets auch unter dem Aspekt der Zuständigkeit von Bund oder Ländern diskutiert worden, wobei Vertreter der Rechtshilfetheorie die Kompetenzzuweisung an den Bund in § 74 IRG mitunter als Trumpf ins Feld führen: Sie belege die gesetzgeberische Anerkennung der These, dass Rechtshilfe der Pflege auswärtiger Beziehungen zuzurechnen sei und eo ipso nicht der Strafrechtspflege.6 Vorliegend soll die Kompetenzfrage ausgespart werden, weil es nicht um kontingente Fragen der föderalen Ordnung gehen soll, sondern um die davon zu trennenden7 materiellen Rechtsfragen. Die Diskussion darüber war, vor allem Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, geprägt von der Auseinandersetzung zwischen der Rechtshilfetheorie und ihrem Gegenstück in Gestalt der Rechtspflegetheorie, die strafrechtliche Rechtshilfe als Bestandteil der Rechtspflege betrachtet (S. 32 ff.). Dieser theoretische Streit wird heutzutage weithin als überholt angesehen,8 indem betont wird, es komme weniger auf die „Rechtsnatur“ als vielmehr darauf an, inwiefern der Beschuldigte im Rechtshilfeverkehr (der sog. transnationale Beschuldigte) subjektive Rechtspositionen geltend machen kann. Dass er insofern Träger subjektiver Rechte ist, kann heute als anerkannt gelten, auch unter den profilierten Vertretern der Rechtshilfetheorie,9 mündet aber zwangsläufig in die Frage nach dem Gehalt dieser Rechtspositionen.10 In dieser Beziehung fällt auf, dass im Einzelnen häufig darauf verwiesen wird, es handle sich bei der Rechtshilfe „nur“ um Unterstützung ausländi5
Klassisch Binding, Handbuch, Bd. 1, S. 397 ff.; v. Liszt, ZStW 2 (1881), 50, 60 f.; Martens, Völkerrecht, Bd. 2, S. 392 f.; v. Martitz, Rechtshilfe, S. 434, 450 f.; Vogler, Auslieferungsrecht, S. 258 f.; ders., in: 140 Jahre GA, 251, 257 ff. 6 Vgl. Böse, in: G/P/K, § 81 IRG Rn. 12. Krit. zur organbezogenen und gesetzestechnischen Betrachtungsweise Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 298 ff. 7 Zutr. Vogel, in: G/P/K, Rn. 7 vor § 1 IRG. 8 Vogel, in: G/P/K, Rn. 6 vor § 1 IRG; Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 74 IRG Rn. 5. 9 Vogler, in: 140 Jahre GA, 1993, 251, 261 f., der zwar mit dem heute üblichen Konzept der „dreidimensionalen Sichtweise“ nichts anzufangen weiß, aber die Stellung des Beschuldigten als bloßes Verfahrensobjekt deutlich für überholt erklärt (näher S. 44 ff.). 10 Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 5 vor § 15 IRG.
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scher Strafverfolgung – was in der Sache eine Anerkennung der Rechtshilfetheorie bedeutet – und daraus geschlossen wird, dass bestimmte strafrechtliche Regeln des ersuchten Staates nicht anwendbar seien.11 Das deutet darauf hin, dass die Entscheidung zwischen den Theorien nicht ohne Bedeutung ist und sich möglicherweise doch für die Bestimmung der Rechtsstellung des Beschuldigten fruchtbar machen lässt. Die Frage nach der Natur der Rechtshilfe ist nicht nur begrifflicher Art, sondern verweist auf unterschiedliche Ansätze zur Begründung der Rechtshilfe. Die Rechtshilfetheorie stützt sich, zumindest implizit, darauf, dass Rechtshilfe „lediglich“ darauf abziele, einem anderen Staat Unterstützung zu leisten. Diese kann aber nicht ein abstrakter Zweck an sich sein,12 sondern stets nur Hilfe zu etwas, und in diesem etwas residiert der eigentliche Zweck der Rechtshilfe. Das räumen auch die zur Rechtshilfetheorie tendierenden Autoren ein, wenn sie ergänzend von der „internationalen Solidarität in der Bekämpfung der Kriminalität“13 sprechen. Entscheidend ist hierbei die Komponente der „Bekämpfung der Kriminalität“, die man weniger martialisch mit Strafverfolgung umschreiben könnte. Eine abstrakte Betrachtung, die diesen Aspekt des Strafverfahrens im ersuchenden Staat außer Acht ließe, könnte nicht erklären, warum der ersuchte Staat im Namen der zwischenstaatlichen Solidarität oder der Unterstützung anderer Staaten einschneidende Maßnahmen einschließlich Zwangsanwendung ergreifen dürfte. Man mag den Fokus analytisch auf die Beziehung zwischen den beteiligten Staaten lenken und insofern von auswärtigen Angelegenheiten sprechen14 oder auf der Metaebene von einer Solidarität zwischen Staaten, die sich in der wechselseitigen Leistung von Rechtshilfe im Bedarfsfall manifestiert. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der konkrete Zweck jeder Leistung von Rechtshilfe nur in der Förderung eines (fremden) Strafverfahrens liegen kann. Damit fallen auch die zwischenstaatlich geprägten Begründungen der Rechtshilfetheorie letztlich zurück auf den Zweck der Förderung eines (fremden) Strafverfahrens15 – die Frage ist dann, wie ernst man diese Prämisse nimmt und ob man sie dogmatisch fruchtbar macht. 11 Siehe bereits v. Liszt, ZStW 2 (1882), 50, 60 ff., 63; in jüngerer Zeit etwa Vogler a.a.O. S. 257 ff.; Vogel, in: G/P/K, 1 Rn. 74 vor § 1 IRG (zur beiderseitigen Strafbarkeit); Lagodny, Rechtsstellung, S. 318 f.; 351 f. In verdienstvoller Deutlichkeit zuletzt OLG München, StV 2013, 313 f., das unter ausdrücklichem Verweis auf die Rechtshilfetheorie die Auslieferung vom Verbot der wiederholten Strafverfolgung (ne bis in idem) ausnimmt; s. noch S. 166. 12 Treffend Schomburg, StV 1998, 153, 156: „Es gibt kein rein abstraktes Auslieferungsverfahren“. 13 Vogler, Auslieferungsrecht, S. 293; ähnlich Vogel, in: G/P/K, Rn. 24 vor § 1 IRG und Nalewajko, Grundsatz, S. 108. 14 Was vorwiegend für die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern von Bedeutung ist, s. Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 74 IRG Rn. 6. 15 Vogler, Auslieferungsrecht, S. 43 f.: „Die Auslieferung stellt eine Hilfeleistung zur Verwirklichung eines fremden Strafverfolgungsinteresses dar.“ Dieser Bezug ist für ihn ein fundamentales Wesensmerkmal der Auslieferung in Abgrenzung zur Ausweisung.
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bb) Rechtshilfe als (Unterstützung fremder) Strafrechtspflege (1) Der unabweisbare strafprozessuale Bezug Der Zweck der Rechtshilfe muss also – als Antwort auf den Befund, dass das Verbrechen keine Grenzen kennt – in der Ermöglichung von Strafrechtspflege über Grenzen hinweg gesehen werden. Ausgehend von dieser Prämisse soll hier bewusst ein bottom-up-Ansatz verfolgt werden, also der Blick darauf gelenkt werden, wie der Staat dem Bürger gegenüber tritt. Aus der dienenden Funktion der Rechtshilfe im Verhältnis zum (fremden) Strafverfahren folgt, dass der Staat hier seine Hoheitsgewalt, ebenso wie in einem eigenen Strafverfahren, letztlich mit der Zielsetzung der Strafrechtspflege einsetzt. Auch die Mittel, die er dazu einsetzt, gleichen denjenigen in einem innerstaatlichen Strafverfahren: Haft, Dursuchung, Beschlagnahme, Überwachungsmaßnahmen, etc. Der Einsatz strafprozessualer (Zwangs-)Mittel zur Verfolgung strafrechtlicher Zwecke legt den Schluss nahe, dass der Rechtshilfe leistende Staat selbst im Bereich der Strafrechtspflege tätig wird.16 Dass die Strafverfolgung in einem solchen Fall allerdings ausländischen Ursprungs („auslandskausal“) ist, wird gerne zum Anlass genommen, strafrechtliche Rechtshilfe als eine eigenständige Materie einzuordnen. Ein solches Vorgehen birgt jedoch die Gefahr einer „Entwurzelung“: Wenn man von den strafprozessualen Bezugspunkten der Rechtshilfe abstrahiert, hängt deren rechtliche Betrachtung in der Luft und sie könnte ohne Rücksicht auf strafrechtliche Prinzipien als „Rechtsmaterie sui generis“ oder „Verfahren eigener Art“17 ausgestaltet werden. Diese Konsequenz ginge ersichtlich zu weit und wird auch von den Verfechtern der Rechtshilfetheorie nicht gezogen: Auch sie wollen nicht die Rechtshilfe ganz ohne Rücksicht auf strafprozessuale Prinzipien betrachten, sondern nur einige als „störend“ empfundene Elemente – namentlich die Prüfung des Tatverdachts, der Strafbarkeit nach dem Recht des ersuchten Staates oder auch spezifisch strafprozessuale Verteidigungsrechte – eliminieren, während im Übrigen doch Anleihen beim Strafprozessrecht genommen werden. Vogler als entschiedener Gegner der Rechtspflegetheorie hält dessen Vorschriften nur – aber immerhin – für anwendbar, wenn im ersuchten Staat Ermittlungsmaßnahmen, etwa Durchsuchungsbeschlüsse, erforderlich sind, um einem Ersuchen nachzukommen.18 Verbreitet ist darüber hinaus die Ansicht, wonach die grund- bzw. menschenrechtlichen Grundlagen des Strafverfahrens durchaus umfassend anwendbar sein sollen. Dem entspricht die Einordnung als „strafprozessähnliches“ Verfahren.19 Das Festhalten an Prinzipien des Strafverfahrens bringt 16 S/L/G/H, Einl. Rn. 137 (für das Haftprüfungsverfahren); Keller, FS Dencker (2012), 183, 185 f. Grundlegend bereits Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 45 f. (näher S. 32 ff.). Siehe auch OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8. 9. 2011, III-4 Ws 495/11: „stellvertretende Strafrechtspflege“. 17 So BGHSt 2, 44, 48; krit. S/L/G/H, Einl. Rn. 114: „Leerformel“. 18 Vogler, in: 140 Jahre GA, 1994, S. 251, 257 f. (näher S. 52 ff.). 19 Vogel, in: G/P/K, Vor § 1 IRG Rn. 10; ebenso Andreou, Gegenseitige Anerkennung, S. 150.
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die Intuition zum Ausdruck, dass wir es in einem gewissen Sinne doch mit Strafrechtspflege zu tun haben, wenn auch in einer speziellen Konstellation; sie gibt jedoch die systematische Einordnung innerhalb des Strafverfahrensrechts preis und beraubt sich damit der stringenten Begründung für die Anwendung von dessen Grundsätzen. Für ein solches Vorgehen besteht kein Bedürfnis, weil eine von der Rechtspflegetheorie ausgehende und folgerichtig von den Grundsätzen des Strafprozesses angeleitete Dogmatik durchaus offen für „auslandskausale“ Einflüsse sein kann. Deshalb ist es nicht angezeigt, die strafprozessuale Perspektive ab ovo aufzugeben, und erscheint ein Ansatz überlegen, der von der Qualifikation als Strafrechtspflege ausgeht und erst in der Entfaltung von deren Prinzipien an der Konstellation der Rechtshilfe erörtert, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, dass es sich dabei nicht um ein eigenes Verfahren des ersuchten Staates handelt. Mit anderen Worten: Die transnationale Dimension kann (und muss) auf die Strafverfahrensrechtsdogmatik einwirken, kann sie aber nicht von vornherein präkludieren.20 Nur bei einer solchen Betrachtung ist auch eine stringente Rückbindung an den gewichtigen Zweck gewährleistet, auf welche die Ausübung der „fürchterlichen Gewalt“ des strafrechtlichen Instrumentariums angewiesen ist. Die Rede ist vom Zweck der Strafe selbst, dem Rechtsgüterschutz durch Generalprävention.21 Dieser ist auf die Androhung von Strafen angewiesen, notwendigerweise aber auch auf die Möglichkeit ihrer Durchsetzung, ohne die strafrechtliche Normen in ihrer Motivationskraft Schaden nähmen. Soweit Personen oder Beweismittel nicht in den Schranken staatlicher Grenzen eingehegt werden können – was selbstredend auch nicht wünschenswert wäre –, muss die strafrechtliche Ordnung sich auch über diese Grenzen hinweg Geltung verschaffen können. Daraus folgt, solange das Gewaltmonopol für diesen Kernbereich hoheitlicher Gewalt22 in jedem einzelnen Staat besteht, mit (zumindest kriminalpolitischer, s. noch S. 117 ff.) Notwendigkeit, dass die Staaten einander Unterstützung in Strafsachen leisten müssen. Andererseits ergeben sich daraus auch immanente Grenzen dergestalt, dass diese Staatstätigkeit, die sich der Mittel des Strafrechts bedient, sich nur durch dessen Zwecke legitimieren kann, kurzum dass sie dem Bürger im Gewand der Strafrechtspflege gegenüber tritt. 20 In der Sache ähnlich – für den geltenden § 77 IRG, der ergänzend auf die StPO verweist, aber auch in theoretischer Auseinandersetzung mit der strikten Rechtshilfetheorie Voglers – Vogel/Burchard, in: G/P/K, § 77 IRG Rn. 68. Zu § 77 IRG s. auch BGHSt 32, 221, 228, wonach die Vorschrift dazu diene, für das Auslieferungsverfahren (pars pro toto Rechtshilfe), „obwohl es kein Strafverfahren ist, so weitgehende rechtliche Sicherungen zu schaffen, wie sie mit den Bedürfnissen des Auslieferungsverkehrs nur irgendwie vereinbar sind“. 21 Näher Roxin, AT I, § 3 Rn. 21 ff. mit zahlreichen Nachweisen auch zu anderen Ansätzen, sowie eingehend Greco, Lebendiges und Totes, S. 274 ff., 354 ff. (420 ff. zur notwendigen Strafzufügung). Auf die Diskussion über die Strafzwecke näher einzugehen ist an dieser Stelle ebenso wenig möglich wie nötig, weil es letztlich nur darauf ankommt, dass Strafe einem Zweck dient und nur in Rückbindung an diesen legitimiert werden kann. 22 Siehe nur BVerfGE 123, 267, 357, 410.
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(2) Lebendiges und Totes in Lammaschs Rechtspflegetheorie Weil aber heutzutage die Rechtspflegetheorie ganz überwiegend totgesagt (oder der Theorienstreit überhaupt für obsolet erklärt) wird (S. 28 f.), drängt sich eine Auseinandersetzung mit den gegen sie vorgebrachten Einwänden auf. Diese sind zum größten Teil an ihre monographische Formulierung durch Lammasch gerichtet worden. (a) Formulierung der Theorie Die Idee, Vorgänge der Rechtshilfe der (Straf-)Rechtspflege zuzuordnen, ist nicht neu, sondern wurde bereits im 19. Jahrhundert, im deutschsprachigen Raum maßgeblich von Lammasch in Gestalt der später sog. Rechtspflegetheorie entwickelt.23 Seine Abhandlung bildet in der deutschsprachigen Literatur auch aus heutiger Sicht noch den wichtigsten – weil deutlichsten – Gegenpol zur vorherrschenden Rechtshilfetheorie, die sich in Abgrenzung zu ihr durchgesetzt hat. Auch wenn – oder gerade weil – der Theorienstreit in dieser Form kaum mehr geführt wird,24 lohnt sich eine Auseinandersetzung mit den bei seiner Gelegenheit vorgebrachten prinzipiellen Einwänden gegen eine Zuordnung der Rechtshilfe zum Bereich der Strafrechtspflege. Lammasch legt dar, dass die Auslieferung – pars pro toto25 – „nicht etwa bloß ein Akt der Rechtshilfe, d. h. der Beihilfe zur Verwirklichung des Rechtes durch einen anderen Staat, sondern dass sie gleichzeitig auch ein wahrer Akt der Rechtspflege des ausliefernden Staates selbst ist“, dass kein Gegensatz bestehe, sondern „jede Rechtshilfe zur Rechtspflege gehört“.26 Diese Rechtspflegetheorie wird mehrheitlich abgelehnt und als schon in der Weimarer Zeit „unterlegen“ oder als „überholt“ gekennzeichnet.27 Weil aber weder die vorherrschende Stellung einer anderen An23 In seiner umfassenden Monographie Auslieferungspflicht und Asylrecht (1887); s. bereits R. Schmid, Herrschaft der Gesetze, S. 174 f. 24 Ausdrücklich im Sinne einer modernen Rechtspflegetheorie aber Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 302 ff. u. passim. 25 Vgl. Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 46, wo er die Durchführung des Verfahrens – auch im ersuchten Staat – allgemein der Strafrechtspflege zurechnet. Hier und im Folgenden ist oft von Auslieferung die Rede, weil sie die traditionell wichtigste Form der Rechtshilfe in Strafsachen ist. Die rechtlichen Probleme, die sich in diesem „allgemeinen Teil“ stellen, betreffen aber die Rechtshilfe im Allgemeinen, und diese ist vorliegend auch dann gemeint, wenn anhand der klassischen Diskussion von Rechtsfragen der Auslieferung die Rede ist. 26 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 42 m. Fn. 42; auch Geyer, Zeitschrift für die gebildete Welt III (1883), 105, 110, stellte darauf ab, dass der ersuchte Staat „zur Rechtspflege [mitwirke]“; ebenso v. Bar, Gerichtssaal XXXIV (1883), 481, 485 f.; Hamaker, AöR I (1886), 279, 291 f.; Rolin, Revue de droit international IX (1877), 375, 377; ebenso („Doppelfunktion der Auslieferung als Rechtspflege- und Rechtshilfeakt“) Eser und Uhlig bei Weigend, ZStW 96 (1984), 624, 626 f. 27 Vogel, in: G/P/K, Rn. 6 vor § 1 IRG; Vogler, GA 1996, 569, 571 disqualifiziert sie mit der Bemerkung, sie sei „längst überwunden“ und „vom Ende des vorigen Jahrhunderts“; auch Lagodny, Rechtsstellung, S. 5, schließt sich der Rechtshilfetheorie an und betont, wie wichtig es
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sicht noch der Zeitablauf diese These für sich genommen desavouieren könnte, muss in inhaltlicher Auseinandersetzung mit der Rechtspflegetheorie nach den Gründen für diese vernichtenden Urteile gesucht werden. (b) Unvereinbarkeit von Rechtshilfe und Rechtspflege? Auf v. Martitz geht ein Einwand zurück, der sich auf eine kategorische Trennung zwischen Rechtshilfe und Rechtspflege stützt: Es seien „kraft völkerrechtlicher Notwendigkeit Strafen und Ausliefern zwei verschiedene Dinge“. Rechtspflege sei die richterliche Tätigkeit der Anwendung rechtlicher Regeln in der einzelstaatlichen Ordnung, in die sich der „Auslieferungsverkehr, also ein Verhältnis zweier Staatsgewalten“, unmöglich einspannen ließe, nicht nur „weil kein Mittel besteht, die fremde Macht zur Annahme einer angebotenen, zur Gewährung einer angesonnenen Auslieferung zu zwingen; sondern auch aus dem tieferen Grunde, weil die Frage, ob ihr Verhaftung und Zwangssistierung eines angeblichen Verbrechers im konkreten Fall zu bewilligen oder abzulehnen sei, überhaupt keine Rechtsfrage ist.“28 Indem er mit der Nennung von „Verhaftung und Zwangssistierung“ auf das innerstaatliche Verhältnis Staat-Bürger abstellt, nimmt er aber bereits dem Argument des rein zwischenstaatlichen Verhältnisses den Wind aus den Segeln: Es steht überhaupt nicht zur Diskussion, dass der eine oder andere an der Rechtshilfe beteiligte Staat durch sein gerichtliches Verfahren die Organe des anderen Staates unmittelbar zu bestimmten Handlungen zwinge, sondern lediglich, ob und wie weit seine eigenen Organe an seine Rechtsordnung gebunden sind und seiner gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Dass „eine richterliche Verfügung unvermögend ist, [die Auslieferung] zu veranlassen oder herbeizuführen“,29 begrenzt zwar die Verfügungsmacht der Gerichte, nicht aber ihre Entscheidungsbefugnis. Warum es sich dabei um keine Rechtsfrage handeln soll, bleibt wohl das Geheimnis v. Martitz’; er scheint es am Umfang der richterlichen Kognition und der Vollstreckbarkeit festzumachen, während er den Rechtsweg über „Vorbedingungen“ anerkennt und damit implizit, dass im Falle einer abschlägigen gerichtlichen Entscheidung die Auslieferung nicht stattfinden darf.30 Dass aber darüber hinaus Opportunitätserwägungen der Exekutive im internationalen Verkehr stets eine Rolle spielen können und die Gerichtsbarkeit im Zusammenspiel zwischen souveränen Staaten im bildlichen wie im buchstäblichen Wortsinne an Grenzen stößt, muss der Tätigkeit der Gerichte nicht den Charakter von sei, einen „Schritt in die richtige öffentlich-rechtliche Richtung“ zu machen, wonach Rechtshilfe etwas anderes sei als (Straf-)Rechtspflege. 28 v. Martitz, Rechtshilfe, S. 447 ff., 449; zust. H. Meyer, Einlieferung, S. 12 f. 29 v. Martitz, Rechtshilfe, S. 54 f.; zust. Mörsberger, Prinzip der identischen Strafrechtsnorm, S. 13 f. 30 v. Martitz, Rechtshilfe, S. 494; letzteres betonen explizit etwa H. Meyer, Einlieferung, S. 14; Lederle, AöR n. F. 11. Bd. (1926), 391, 399; im modernen Recht drückt sich das in der Zulässigkeitsentscheidung durch die Gerichte aus, s. nur § 12 IRG u. dazu die Kommentierung von Lagodny, in: S/L/G/H, Rn. 5 ff.
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Rechtspflege nehmen.31 Eine strenge Dichotomie zwischen Rechtshilfe und Rechtspflege ist von der Rechtspflegetheorie ohnehin nie behauptet worden und ist auch, soweit ersichtlich, nirgends überzeugend begründet worden. Im Gegenteil sollen, wie erwähnt, Rechtspflege und Rechtshilfe einander gerade nicht ausschließen. Freilich wird gegen diese Vereinbarkeitsthese eingewandt, eine Theorie, die eine innerstaatliche, gerichtliche Seite und eine völkerrechtliche, gouvernementale Seite nebeneinander stelle, zerreiße einen „einheitlichen Lebensvorgang“.32 Inwiefern allerdings eine völkerrechtliche Übereinkunft mit innerstaatlichen, gerichtlich kontrollierten Maßnahmen, die gegenüber einem Individuum ergriffen werden, eine unzertrennliche Einheit bilden soll, bleibt im Dunkeln.33 Sie schlicht zu postulieren, um dem gesamten Vorgang den Stempel eines „rein [Hervorhebung durch den Verf.] völkerrechtliche[n] Charakter[s]“34 aufzudrücken, läuft auf eine petitio principii hinaus. (c) Rechtshilfe als Strafe? Überwiegend richtet sich die Kritik jedoch nicht gegen die konzeptionelle Einordnung in den Bereich der Rechtspflege als solche, sondern gegen die Besonderheiten der klassischen Rechtspflegetheorie: Diese hebt sich nämlich von der überwiegenden Ansicht dadurch ab, dass sie von Auslieferung als der „Ausübung eines Strafrechts“ spricht und diese auf einen originären Strafanspruch des ersuchten Staates stützt. (aa) „Ausübung eines Strafrechts“ Dagegen wird zunächst eingewandt, dass der Staat, der Rechtshilfe leiste, kein Strafübel verhänge,35 keine „vergeltende Sühne“ übe und man durch Auslieferung „nicht bestraft“ werde; diese sei vielmehr „ein Mittel, um rechtliche Interessen des Auslandes zu realisieren“.36 Wenngleich bemerkenswert ist, dass diese „rechtlichen Interessen“ nicht näher spezifiziert und dogmatisch fruchtbar gemacht werden (dazu S. 30 ff.), ist anzuerkennen, dass eine Auslieferung – oder, mutatis mutandis, eine 31 Ebenso D. Weber, Gegenseitigkeitsprinzip S. 43. Im Übrigen läuft ein Schluss aus dem positiven Recht der Rechtshilfe auf ihre strukturellen Aspekte Gefahr, in einen naturalistischen Fehlschluss zu führen. Zur Entwicklung in Richtung einer Justizialisierung im modernen Rechtshilferecht s. u. S. 114 ff., 237 f. 32 H. Meyer, Einlieferung, S. 14. 33 Entschieden betont auch Vogler, S. 28 den Charakter der Auslieferung als „komplexes, aus vielen Einzelakten und Maßnahmen bestehendes Rechtsinstitut“. 34 H. Meyer, Einlieferung, S. 16. 35 Schultz, Auslieferungsrecht, S. 14. 36 v. Martens, Völkerrecht II, S. 392; v. Martitz, Rechtshilfe, S. 450 f.; zust. v. Moock, Auslieferungsrechtliche Probleme, S. 48 m.w.N.; Mörsberger, Prinzip der identischen Strafrechtsnorm, S. 15; Vogler, Auslieferungsrecht, S. 257 ff., der die Rechtspflegetheorie so deutet, dass nach ihr „die Auslieferung eine neben der Bestrafung stehende Sonderform der Abstrafung“ sei; ders., GA 1996, 569, 572; zuletzt Conrad, Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, S. 31 ff., 33, 98; dagegen zutr. Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 304 ff.
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sonstige Rechtshilfemaßnahme – als solche keine Bestrafung ist.37 Das gilt aber für die einzelnen Vorgänge eines rein innerstaatlichen Strafverfahrens ganz genauso: Die Verhängung von Untersuchungshaft oder Erhebung eines Beweises sind an sich keine Strafen, sondern dienen lediglich einem auf (im Falle der Verurteilung) Bestrafung gerichteten Verfahren. Das tun wiederum auch die „auslandskausalen“ Maßnahmen im Zusammenhang der Rechtshilfe, die lediglich im (geographischen) Ursprung des Verfahrens, nicht aber in seiner strafrechtlichen Natur differieren.38 Ebenso verhält es sich mit dem Einwand, das Rechtshilfeverfahren im ersuchten Staat sei nicht auf die Klärung des Tatverdachts gerichtet:39 Er ist ebenso zutreffend – denn der Rechtshilfe leistende Staat strebt keine eigene Wahrheitsfindung in der Hauptsache an – wie unergiebig, weil die Feststellung, dass das Rechtshilfeverfahren kein Strafverfahren ist, nicht impliziert, dass es nicht Teil des Strafverfahrens sein könne (näher S. 69 ff., 103 ff.). Bei näherer Betrachtung behauptet auch Lammasch nicht, dass strafprozessuale Maßnahmen selbst Strafen seien, sondern lediglich, dass sie der Strafrechtspflege angehören (soweit herrscht Einigkeit), und zwar (hier beginnt der Meinungsstreit) auch dann, wenn sie auf ausländische Ersuchen zurückgehen.40 Es mag sein, dass seine Formulierung „Ausübung eines Strafrechts“41 missverstanden werden kann. Der Sache nach zielt sie aber nicht auf eine Deutung der Rechtshilfe selbst als Verhängung von Strafe, sondern lediglich darauf, dass jede Verfolgungstätigkeit sich auf einen Strafanspruch (oder zumindest: auf den Verdacht einer Handlung, die den Staat zur Strafe berechtigt) stützen muss. Diesen schickt Lammasch sich im Anschluss an die besagte Feststellung an zu begründen. (bb) Strafanspruch des ersuchten Staates? Dabei geht er von einem originären Strafanspruch des ersuchten Staates aus, den er darauf gründet, dass das Verbrechen nicht in einer „Vertragsverletzung“ (gemeint ist: des Gesellschaftsvertrages) bestehe, sondern in der Verletzung natürlicher Pflichten, so dass es irrelevant sei, dass der Täter bei Tatbegehung nicht Mitglied der Gesellschaft des ersuchten Staates gewesen sei.42 Dabei habe diese Gesellschaft, in der ein flüchtiger „Verbrecher“ (oder: Verdächtiger) sich aufhält, ein Interesse daran, das Rechtsgefühl der Bevölkerung durch dessen Verfolgung aufrechtzuhalten; zu37
Mit Ausnahme der Vollstreckungsübernahme, dazu S. 193 ff. Ähnlich Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 302 ff., 306; Keller, Festschrift Dencker, 183, 186 („inländische strafprozessuale Zwischenentscheidung“ [Hervorhebung durch den Verf.]). 39 Lagodny, StV 2005, 515, 519; Vogler, Auslieferungsrecht, S. 258, weist darauf hin, dass mit dieser Feststellung über die Beschaffenheit des einfachen Rechts noch nicht etabliert ist, dass es auch (verfassungsrechtlich) legitim sei. 40 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 46; ähnlich heute P. Popp, Grundzüge, S. 145. 41 Ibid. 42 Ausdrücklich hebt schon R. Schmid (Fn. 23) hervor, dass Auslieferung nur wegen natürlicher Verbrechen erfolgen könne. 38
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gleich würde die „criminelle Disposition des zu Verbrechen hinneigenden Theiles derselben […] aufs bedenklichste gesteigert werden“, zumal der Anreiz einer Tat maßgeblich von den „andauernden Vortheile[n]“ ausgehe, die dem ungestraften Täter verblieben.43 Auch wenn das eine gewisse Plausibilität hat, sind sowohl die Idee des natürlichen Verbrechens als auch der Schluss von der Zweckmäßigkeit der Bestrafung auf ihre Legitimität mit Vorsicht zu genießen. Die intrikate Frage des originären Strafanspruchs, moderner: Der originären Zuständigkeit des ersuchten Staates für die Strafverfolgung kann aber vorliegend nicht in der gebührenden Tiefe untersucht werden. Es soll vielmehr um ihre Rolle in der Rechtspflegetheorie und bei der Kritik an ebenjener gehen. Denn Lammasch hält, eben weil der ersuchte Staat „ein Strafrecht gegen den Betreffenden [ausübe]“, das von ihm postulierte Bestehen eines originären Strafanspruchs für unausweichlich.44 Indem er so seine Theorie über die Einordnung von Auslieferung (und Rechtshilfe allgemein) an die Frage des Strafanwendungsrechts koppelt, öffnet er die Segel für Kritik aus einer anderen Richtung, nämlich dass er eine „universelle“ oder „Weltstrafrechtspflege“ postuliere,45 einer dem Zustand der Gemeinschaft souveräner Staaten widersprechenden Idee von „kosmopolitischer“ Rechtspflege46 anhänge. Dem wurde schon früh entgegengehalten, dass ein „Recht zu strafen“ irgendein „juristisches Verhältnis zum Verbrecher oder Verbrechen“ erfordere.47 Deswegen könne kein allgemeiner Strafanspruch des Staates anerkannt werden, in dem ein Täter bzw. Verdächtiger sich aufhält. Diese Kritik ist bedenkenswert und stimmt in ihrer Begründung mit den weithin anerkannten Grundsätzen des Strafanwendungsrechts überein.48 Sie trifft aber nicht unmittelbar die Idee, Rechtshilfehandlungen als Teil der Rechtspflege zu begreifen, sondern die Konstruktion eines eigenen Strafanspruchs des Staates, der Rechtshilfe leistet. Ließe sich 43 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 31 f.; ähnlich Geyer, Zeitschrift für die gebildete Welt III (1883), 105, 108, dem zufolge ein Staat, der das „Verbrechen hier ignorieren“ würde, sich „zu einer Freistatt für den Abschaum des Menschengeschlechtes machen“ würde. 44 S. 45 f. 45 v. Martitz, Rechtshilfe, S. 449; D. Weber, Gegenseitigkeitsprinzip, S. 43 f.; Rintelen, Grundsätze, S. 15 (zust. v. Moock, Auslieferungsrechtliche Probleme, S. 48); Schultz, Auslieferungsrecht, S. 14. 46 v. Martitz, Rechtshilfe, S. 449; früher bereits v. Liszt, ZStW 2 (1882), 50, 61. 47 So bereits v. Martens, Völkerrecht, Bd. II (1883), S. 392, gegen die Vorläufer von Lammaschs Theorie, namentlich Brusa, Revue de droit international XIV (1882), 403, 404 ff., der die souveränen Staaten sämtlich als Statthalter des „Droit“ (Großschreibung im Original) betrachtet, des Rechts als „véritable souverain“, so dass jeder Staat ein abgeleitetes Recht („droit de punir“, S. 404) – und eine Pflicht! – zu strafen habe, „en sa qualité de défenseur du droit universel“, also als Verteidiger des universalen Rechts (S. 406 f.). Auch Binding, Handbuch, S. 397 ff. sowie v. Martitz, Rechtshilfe, S. 452 betonen den scharfen Gegensatz zwischen der Auslieferung und ihren Voraussetzungen einerseits sowie der „Betätigung inländischer Strafrechte“ bzw. dem „Strafklagerecht“ andererseits. 48 Siehe zur Kritik am Weltrechtsprinzip und zu desssen Subsidiarität Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 12 ff.; NK-Böse, Rn. 21 ff. vor § 3.
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der Zusammenhang zwischen beiden lösen, könnte der Durchgriff der Kritik vermieden werden. (d) Die Gründe hinter der Begründung (aa) Phänomenologie der Rechtshilfe Entscheidend also ist die Frage, ob ein originärer Strafanspruch des ersuchten Staates überhaupt erforderlich ist, um die Rechtshilfe als Teil der Rechtspflege einzuordnen und zu legitimieren. Wie oben (A. I. 1. a)) bereits festgestellt, ergibt sich allein aus dem Bedürfnis nach grenzüberschreitender Durchsetzung der Strafrechtsordnung(en) die Rechtfertigung – sogar die Notwendigkeit – von Rechtshilfe in Strafsachen. Schon dadurch kann also ein legitimer Zweck vermittelt werden,49 was gerade von den Vertretern der Rechtshilfetheorie nicht bestritten wird.50 Eine andere, im Verlauf dieser Untersuchung noch zu betrachtende Frage ist, ob jede Strafverfolgung durch einen fremden Staat geeignet ist, ein unterstützendes Tätigwerden im ersuchten Staat zu rechtfertigen (näher S. 154 ff., 178 ff. u. passim). Jedenfalls spielt für eine solche, im gemeinsamen Interesse der Staaten liegende wechselseitige Unterstützung bei der Durchsetzung des Strafrechts die Frage des Strafanwendungsrechts, ob also von einem „eigenen“ Strafanspruch des ersuchten Staates gesprochen werden kann, keine Rolle.51 (1) Von der Frage der Legitimation kann die rechtliche Qualifikation der Rechtshilfe unterschieden werden. Diese ergibt sich, und zwar auch schon bei Lammasch, aus der Beobachtung, dass Zwangsmittel aus dem strafprozessualen Instrumentarium zu einem letztlich strafrechtlichen Zweck eingesetzt werden, woraus er induktiv die Zugehörigkeit zur Rechtspflege ableitet, in seinen Worten: „In der That übt ja ein Staat, welcher Jemanden deshalb, weil er ein Verbrechen verübt zu haben verdächtig ist, verhaften lässt und ihn nach einer summarischen Prüfung des ihn betreffenden Verdachtes zwangsweise den Behörden eines anderen Staates überliefert, damit diese den Fall in Form Rechtens untersuchen, und wenn der Ausgelieferte schuldig befunden werden sollte, ihn bestrafen, eben durch diese Thätigkeit ein Strafrecht gegen den Betreffenden aus. Die Ausübung des Strafrechts besteht ja nicht bloß in der Vollstreckung der schließlich zuerkannten Strafe, sondern 49
Das klingt auch bei Lammasch an, wenn er sich en passant auf das „Interesse an der Erhaltung des Rechtszustandes außerhalb seiner Grenzen“, der strafrechtlichen Ahndung auch von Auslandsverbrechen als einer „Pflicht der Humanität“ (S. 34 f.) stützt; ähnlich Geyer, Zeitschrift für die gebildete Welt III (1883), 105, der den „gemeinsamen Feinden (nicht bloß eines einzelnen Staates, sondern) des Menschengeschlechts“ entgegentreten will; Hamaker, AöR I (1886), 279, 291 f.: „gemeinsame[s] Interesse der civilisirten Welt“. 50 S/L/G/H, Einl. Rn. 98 führen den Zweck (zu Recht) auf die „Durchsetzung von Strafrecht weltweit“ zurück. 51 Insofern zutreffend Binding (der die Verbindung mit einem eigenen Strafanspruch als „geradezu unbegreiflichen Irrtum“ taxiert) und v. Martitz, jeweils o. Fn. 47.
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auch in der Durchführung des auf die Ermittelung der Schuld oder Nichtschuld gerichteten Verfahrens.“52 Weil Strafrechtspflege für ihn dabei nur denkbar ist als Ausübung eines eigenen Strafrechts – wohl wegen der Fixierung auf den materiellen Strafanspruch – meint Lammasch, einen solchen konstruieren zu müssen. Damit ist aber dieser Anspruch keine tragende Säule der Rechtspflegetheorie, sondern umgekehrt seine Erforderlichkeit eine Konsequenz aus der Zuordnung der Rechtshilfe zum Bereich der Rechtspflege.53 So scheint es auch Lammasch selbst zu sehen, wenn er im Anschluss an die Feststellung des Rechtspflegecharakters die einzelnen Voraussetzungen des materiellen Strafanspruchs behandelt (S. 42 ff.). Dass er gleichwohl dessen allgemeine Begründung voranstellt (S. 27 ff.), dürfte daran liegen, dass es sich um eine Grundlagenfrage und – für ihn – eine zentrale Legitimationsbedingung handelt. Entscheidend ist letztlich jedoch nicht der konkrete Gedankengang des Autors, sondern dass die Qualifikation der Rechtshilfe unabhängig ist vom Bestehen eines originären Strafanspruchs im ersuchten Staat. (2) Was letzteren angeht, ist Lammasch in der Tat mit der überwiegenden Meinung zu widersprechen: Es kommt für die Legitimation der Rechtshilfe in Strafsachen nicht darauf an, ob der ersuchte Staat einen originären Strafanspruch besitzt (s. o. S. 26 f.). Mit der (heute wohl einhelligen) Ablehnung dieser Folgerung wird aber die Prämisse nicht hinfällig, also die Anerkennung des Rechtspflegecharakters der Rechtshilfemaßnahmen. Gegen diese konnten die Gegner keinen überzeugenden Einwand vorbringen, sondern sind im Gegenteil in die gleiche Falle getappt wie Lammasch, wenn sie ihre Kritik darauf stützten, dass der ersuchte Staat nicht selbst strafe (s. o.) und deswegen nicht von Rechtspflege im Sinne der Anwendung seines Strafrechts die Rede sein könne:54 Sie stellen auf die „Ausübung eines Strafrechts“ ab, die durch einzelne prozessuale Maßnahmen nicht erfolge, wo es doch nur – aber immerhin! – darum geht, sie als Teil der Strafrechtspflege zu begreifen. Beide Ansichten zeichnen sich dadurch aus, dass sie diese Strafrechtspflege als denknotwendig ganzheitliche Tätigkeit eines strafenden Staates auffassen, weshalb diese Qualifikation für sie nur „ganz oder gar nicht“ zu haben ist.55 Lediglich die gezo52 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 45 f.; ebenso Hamaker, AöR I (1886), 279, 291: „Wir thun hier durchaus genau dasselbe, was wir sonst thun, wenn wie eine verdächtige Person gefangen nehmen, um sie von unserem eigenen Richter aburtheilen zu lassen.“ Geyer a.a.O., S. 110, geht davon wie selbstverständlich aus; s. bereits S. 30 ff. Ähnlich Keller, FS Dencker, S. 183, 185 f. 53 Entgegen seinen Kritikern, exemplarisch Schultz, Auslieferungsrecht, S. 13 und D. Weber, Gegenseitigkeitsprinzip, S. 41 f. 54 Exemplarisch Schultz, Auslieferungsrecht, S. 14; krit. Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 289 ff. 55 Das betrifft wohlgemerkt die rechtliche Qualifikation als solche, während in den Einzelheiten beide Ansichten durchaus gemischt vorgehen: so akzeptiert Lammasch eine im Verhältnis zum rein innerstaatlichen Verfahren reduzierte Prüfung des Schuldverdachts im ersuchten Staat (S. 49), während Vertreter der Rechtshilfetheorie die Geltung gewisser inner-
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genen Konsequenzen unterscheiden sich: Während die Vertreter der klassischen Rechtspflegetheorie durch die Konstruktion eines Strafanspruchs ein Konzept eigener Strafrechtspflege des ersuchten Staates schaffen, will die Gegenansicht von vornherein auf diese Zuordnung verzichten.56 Ein dritter Weg könnte darin liegen, unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens mehrerer Staaten das Strafverfahren als ein gemeinsam, arbeitsteilig durchgeführtes zu begreifen (näher S. 113 ff.). (3) An dieser Stelle geht es noch nicht um solche Details des Verfahrensmodells, sondern um die Kernaussage der Rechtspflegetheorie und ihre Bedeutung. In einem liberalen Rechtsstaat hat das Strafverfahrensrecht maßgeblich eine freiheitswahrende Funktion,57 es ist, in den Worten Ingo Müllers, „in Regeln gekleidete Machtbeschränkung“.58 Dementsprechend ist eine funktionale Sicht der Strafrechtspflege als rechtlicher Inbegriff von Mitteln (einschließlich ihrer Grenzen) zur Erreichung eines bestimmten Zwecks (der Durchsetzung von Strafrecht) vorzugswürdig. Damit eröffnet die Zuordnung zur Strafrechtspflege in erster Linie den Anwendungsbereich des Strafprozessrechts – und zwar prima facie desjenigen, das der handelnde (ersuchte) Staat sich selbst auferlegt hat. Zentrale Konsequenz der Rechtspflegetheorie ist in dieser Perspektive also nicht das Erfordernis eines eigenen materiellen Strafanspruchs dieses Staates, sondern die – auch schon von Lammasch betonte59 – Notwendigkeit, seine prozessualen Regeln und Garantien im Bereich der Rechtshilfe in Strafsachen anzuwenden (näher dazu und zu etwa erforderlichen Modifikationen S. 124 ff.). In dieser Perspektive ist die Theorie auch nicht dem Einwand einer „Hypostasierung des […] Weltrechtsprinzipes“60 ausgesetzt; sie proklamiert keine „kosmopolitische“61 Strafverfolgung, sondern nur die unverbrüchliche Geltung jeweils anwendbarer strafprozessualer Regeln. (bb) Vorrang des fremden Strafanspruchs Die Konstruktion eines eigenen Strafanspruchs des ersuchten Staates erscheint überdies in sich unharmonisch, weil Lammasch im Folgenden davon ausgeht, dass
staatlicher Vorschriften für den Vollzug der Rechtshilfe (Durchsuchung, Beschlagnahme, teilweise Haft) nicht bestreiten (S. 52, 57 ff.). 56 Das monolithische Modell der Strafrechtspflege dürfte auch die verbreitete Ansicht erklären, weder Rechtshilfe- noch Rechtspflegetheorie seien adäquat, um die komplexe Konstellation der Rechtshilfe zu erfassen (Vogler, S. 27; Vogel, in: G/P/K, vor § 1 Rn. 7). 57 KK-Fischer, Einl. Rn. 1; LR-Kühne, Ein. B Rn. 33 – 36; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 3, 18 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 2. 58 Rechtsstaatlichkeit und Strafverfahren, S. 46. 59 Siehe etwa Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 45 f., 655 ff., 657 und passim; näher S. 45 ff. 60 Schultz (Fn. 55). 61 Kritisch verwendet von v. Martitz, Rechtshilfe, S. 449.
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dieser „subsidiäre“62 Anspruch im Regelfall dem ersuchenden Staate im Wege der Auslieferung abzutreten sei. Diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis wäre es angemessener, dem Vorrang des ersuchenden Staates dadurch Rechnung zu tragen, dass der Strafanspruch als seiner angesehen wird, den im Regelfall er selbst (mit fremder Hilfe) durchsetzt und nur ausnahmsweise, stellvertretend63 der ersuchte Staat. Dessen „Strafanspruch“ ist dann höchstens (wenn er die Verfolgung bzw. Bestrafung stellvertretend übernimmt) ein abgeleiteter (eine Möglichkeit, die Lammasch mit seinem Modell einer „Abtretung“ auch anzuerkennen scheint), im Regelfall hilft er in einer noch näher zu untersuchenden Arbeitsteilung (S. 113 ff.), den fremden Anspruch durchzusetzen. Damit wird in erster Linie dem Recht des fremden Staates zur Durchsetzung verholfen und dessen Strafzwecken gedient, weshalb die Konstruktion eines eigenen Strafanspruchs des ersuchten Staates gekünstelt erscheint. In dieser Sicht der Dinge ist auch – entgegen Lammasch64 – die Konkurrenz von Strafansprüchen keine Voraussetzung der Rechtshilfe, sondern eine mitunter auftretende Komplikation – wobei auch in diesem Fall ein konkurrierender eigener Strafanspruch des ersuchten Staates nicht den Blick darauf verstellen sollte, dass Rechtshilfemaßnahmen für „fremde Rechnung“ am konsequentesten als akzessorisch zu fremder Strafverfolgung eingeordnet werden und nicht als Maßnahmen (bloß potentieller bzw. subsidiärer65 !) eigener Verfolgung. Auch als „Anhängsel“ der Strafrechtspflege des ausländischen Staates aber müssen (Zwangs-)Maßnahmen mit den Mitteln und für die Zwecke des Strafverfahrens nicht ab ovo ihre strafprozessuale Qualität (S. 30 f.) verlieren. (e) Zwischenfazit: Das Lebendige in Lammaschs Theorie Alles in allem zeigt sich, dass die Rechtspflegetheorie einen vielversprechenden Ansatz bildet, um eine stringente, nicht lediglich situative und auf Analogien gestützte Anwendung des Strafverfahrensrechts zu begründen und damit dem Regelungsgefüge der Rechtshilfe klare Konturen zu verleihen. Dabei ist auch festzustellen, dass eine Fixierung auf den eigenen Strafanspruch des ersuchten Staates zu umständlichen Konstruktionen nötigen kann und überwiegend (zu recht) kritisiert wird. Die Anerkennung eines solchen Anspruchs ist aber keine tragende Säule der klassischen Rechtspflegetheorie, sondern eine Konsequenz, die Lammasch zu Unrecht meinte ziehen zu müssen. Eine Rechtspflegetheorie kann sich – wie bereits seine Arbeit zeigt – auf einfachere, strukturelle Erwägungen 62
A.a.O. S. 50; ebenso Brusa, Revue de droit international XIV (1882), 403, 405 ff., der freilich eine Ableitung direkt aus dem „véritable souverain“, dem Recht (in einem emphatischen, übernationalen und naturrechtlichen Sinne) vornehmen will; v. Bar, Lehrbuch, S. 302 f. 63 Ebenso Weber, Gegenseitigkeitsprinzip, S. 45. 64 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 43 f. 65 So in der damaligen Diskussion bereits Binding, Handbuch, S. 397. Ebenso – aus der Perspektive der Rechtspflegetheorie – Geyer, Zeitschrift für die gebildete Welt III (1883), 105, 108: „Nur wenn die Auslieferung nicht thunlich ist, soll an deren Stelle die Ausübung der eigenen Strafgewalt treten“; Hamaker, AöR I (1886), 279, 306 ff.
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stützen, die den üblichen Einwänden gegen die (historische) Theorie nicht ausgesetzt sind: Der Rechtshilfe leistende Staat tritt dem Individuum mit den selben Maßnahmen zum selben Zweck gegenüber wie in seinem innerstaatlichen Strafverfahren. Im Zuge der Rechtshilfe vorgenommene Maßnahmen sind deshalb ebenso wie rein innerstaatliche prozessuale Maßnahmen zwar nicht per se Strafen, aber Teil der Strafrechtspflege. Die Verbindung mit einem gewissen (weiten) Verständnis des Strafanwendungsrechts sollte dementsprechend ebenso beiseite gelassen werden wie die überholte Fixierung auf den Staat und seinen Strafanspruch,66 um nicht das Verdienst der (klassischen) Rechtspflegetheorie, nämlich das strafprozessuale Gewand der Rechtshilfe sichtbar gemacht zu haben, aus den Augen zu verlieren. Die von vielen Autoren nur am Rande konstatierte vermeintliche Obsoleszenz der Rechtspflegetheorie (S. 32) mag dann zwar für ihre damalige konkrete Ausformung zutreffen,67 vermag sie aber nicht im Kern zu disqualifizieren. Dem hier entwickelten Ansatz (S. 30 ff.) stehen die gegen die klassische Rechtspflegetheorie vorgebrachten Einwände damit nicht entgegen. Es kann also weiterhin von der Einsicht ausgegangen werden, dass die Rechtshilfe dem unverzichtbaren Zweck der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Strafrecht dient, wobei der ersuchte Staat (zumindest auch) Akte der Strafrechtspflege vornimmt. Die Frage, ob es sich dabei um originär eigene Rechtspflege des ersuchten Staates handle, lässt sich womöglich so eindeutig gar nicht beantworten und soll ebenfalls im Folgenden weiter verfolgt werden (S. 113 ff.), und zwar vor dem Hintergrund eines als hinreichende Legitimation anerkannten mittelbaren Interesses an der fremden Strafverfolgung. Unabhängig von der Theorie Lammaschs als solcher und der von ihm im historischen Kontext seiner Abhandlung gezogenen Schlussfolgerungen (dazu noch S. 45 ff.) ist es der stringente Ableitungszusammenhang aus dem Strafprozessrecht, der weiter verfolgt werden soll: Soweit die Vorgänge der Rechtshilfe als Teil der Rechtspflege begriffen werden, ist das Prozessrecht grundsätzlich zur Anwendung berufen (näher S. 69 ff., 124 ff.). (3) Gegenentwurf: Die Vertragstheorie Voglers Während die Vertreter der klassischen Rechtshilfetheorie sich der Rechtspflegetheorie diametral entgegenstellen, indem sie postulieren, Rechtshilfe und Rechtspflege schlössen einander aus, seien „kraft völkerrechtlicher Notwendigkeit […] zwei verschiedene Dinge“, ist Vogler der Ansicht, keine der beiden Theorien
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Ähnlich Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 306: „Strafrechtspflegerisches Handeln ohne eigenen Strafanspruch“. 67 Bezeichnenderweise hebt Vogler, Auslieferungsrecht, S. 258, auf die „eigentümliche Ausgestaltung, die die Rechtspflegetheorie durch Lammasch erfahren ha[be]“ ab (Hervorhebung durch Verf.); diese „[sei] schon so wiederholt und überzeugend widerlegt worden“, dass er auf eine Diskussion der Argumente verzichtet.
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A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege
werde der komplexen Natur der Auslieferung gerecht.68 Weil er damit eo ipso auch einer jeden Rechtspflegetheorie eine Absage erteilt, bildet seine Argumentation einen weiteren Prüfstein für den hier unternommenen Versuch, die Vorgänge der Rechtshilfe dogmatisch in der Rechtspflege zu verankern. (a) Eine Variante der Rechtshilfetheorie Anstelle einer kategorialen Festlegung unternimmt Vogler es, den Charakter der Auslieferung durch eine Analyse ihres Verfahrens zu bestimmen. Ihr Herzstück erblickt er in der Vereinbarung zwischen zwei Staaten, ein Individuum zum Zwecke der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung in die Hoheitsgewalt des ersuchenden Staates zu überstellen. Es handle sich dabei um einen völkerrechtlichen Vertrag – und zwar einen Verfügungsvertrag, mit dem der ersuchte Staat dem ersuchenden Hoheitsrechte übertrage.69 Dieses völkerrechtliche Rechtsgeschäft kenne als Parteien nur die beteiligten Staaten, weshalb der Beschuldigte hier keine Rechte geltend machen könne, also lediglich Objekt bzw. Gegenstand des Verfahrens sei.70 Nur in dem jeweiligen nationalen Verfahren sei er Träger subjektiver Rechte. Weil es sich beim Verfahren im ersuchten Staat nicht um Rechtspflege handeln soll, bedeutet das praktisch, dass der Beschuldigte dort Rechte entsprechend den speziellen Vorschriften über die Rechtshilfe und nicht nach den im Übrigen für die Strafrechtspflege geltenden materiellen und prozessualen Vorschriften hat.71 Der Sache nach ist also die Ansicht Voglers eine Variante der Rechtshilfetheorie,72 deren Kern in der Scheidung der Rechtshilfe vom Bereich der Rechtspflege liegt; die Besonderheit liegt lediglich darin, dass er diese These nicht schlicht postuliert, sondern aus den völkerrechtlichen Formen der zwischenstaatlichen Vorgänge abzuleiten versucht. (b) Kritik Die Deutung der Auslieferungsvereinbarung zwischen den beteiligten Staaten als völkerrechtlichen Vertrag ist nicht neu.73 Das Besondere an der Theorie Voglers liegt darin, dass er daraus auf die „Vertragsnatur der (Hervorhebung durch Verf.) Auslieferung“ schließt, den Vertrag also zum archimedischen Punkt der Auslieferung (und damit der Rechtshilfe insgesamt74) erhebt. Damit aber schließt er von der Form der zwischenstaatlichen Vereinbarung auf die Natur des gesamten Auslieferungsvorgangs unter Einschluss des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger: Der er68 Vogler, Auslieferungsrecht, S. 27; soweit es, wie hier, um die materiellen Grundsätze der Rechtshilfe geht, können seine Ausführungen zur Auslieferung pars pro toto für die Rechtshilfe verstanden werden, vgl. Vogler, GA 1986, 195, 198 f. 69 Vogler, Auslieferungsrecht, S. 44 f. 70 Explizit Mettgenberg/Doerner, Deutsches Auslieferungsgesetz, S. 169. 71 Vorbehaltlich einer Verweisung im Rechtshilfegesetz, näher zum Ganzen S. 52 ff. 72 Ausdrücklich in diesem Sinne seine Ausführungen a.a.O. S. 254 ff. 73 Siehe bereits v. Bar, Lehrbuch, S. 285 ff.; H. Meyer, Die Einlieferung, S. 18. 74 Etwa Vogler, in: 140 Jahre GA, S. 251, 257.
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suchte Staat, der in Erfüllung gegenüber dem ersuchenden Staat bestehender völkerrechtlicher Pflichten Maßnahmen ergreift, handle deshalb im Rahmen nicht der Strafrechtspflege, sondern der internationalen Rechtshilfe. Aber die Erkenntnis, dass die Vereinbarung zwischen den Staaten ein völkerrechtlicher Vertrag ist, betrifft unmittelbar nur diesen Ausschnitt des gesamten Vorgangs. Ihre herausragende Bedeutung für das gesamte Rechtsinstitut versucht Vogler dogmatisch damit zu begründen, dass die Auslieferung sich gerade durch den „Verfügungsvertrag“ wesentlich von dem ähnlichen Rechtsinstitut der Ausweisung unterscheide.75 Damit ist aber nur gesagt, dass die Zweckbindung an Strafverfolgung bzw. -vollstreckung, die diesen Vertrag ausmacht, notwendige Bedingung einer Auslieferung ist. Nicht hingegen kann daraus geschlossen werden, dass sie die Auslieferung als Ganzes hinreichend erfasst. Betrachtet man die realen staatlichen Eingriffe – bei der Auslieferung: Verhaftung im ersuchten Staat und zwangsweise Übergabe an den ersuchenden –, so erscheint der zwischenstaatliche Vertrag für den hoheitlichen Zugriff auf den Bürger sogar eher nebensächlich.76 Jedenfalls aber fehlt es an einer stichhaltigen Begründung, den rechtstechnischen Aspekt der völkerrechtlichen Vertragsform zum Präjudiz für materielle Qualifikation und, eo ipso, anwendbares Recht zu erheben.77 c) Fazit: Die Berechtigung der Rechtspflegetheorie Das Bedürfnis nach wirksamer internationaler Zusammenarbeit zur Durchsetzung der nationalen Strafrechtsordnungen kann nicht bestritten werden.78 Die Begründung dafür kann bei der „zwischenstaatlichen Solidarität“ nicht stehenbleiben, sondern muss stets berücksichtigen, dass jeder Akt der Rechtshilfe letztlich einem Strafverfahren dient. Nur so wird der unverzichtbare Legitimationszusammenhang mit den Zwecken des Strafrechts hinreichend abgebildet. Dogmatisch wird dem am besten Rechnung getragen, indem die Rechtshilfevorgänge dem Bereich der Strafrechtspflege zugeordnet werden. Damit ist nicht gesagt, dass keine Unterschiede zu einem innerstaatlichen Strafverfahren bestünden, sondern lediglich, dass strafrechtliche Rechtshilfe kein autonomer Bereich ist, sondern in das Gefüge der Strafrechtspflege integriert werden muss, innerhalb dessen die transnationale Dimension des Verfahrens spezifische Regelungen bedingen kann.
75
Vogler, Auslieferungsrecht, S. 44 ff. Zum Konstrukt einer vertraglichen Verfügung mit „quasi-dinglicher“ Wirkung kritisch Lagodny, Rechtsstellung, S. 21 f., der notiert, dass der ersuchende Staat erst mit der tatsächlichen Übergabe aktuelle Hoheitsgewalt über den Auszuliefernden gewinne und deshalb entschieden auf den tatsächlichen Vollzug als Kern der Auslieferung abhebt. 77 Zutreffend Sommer, Leipziger Zeitschrift 1925, 622, 627: so gut wie jeder (auch privatrechtliche) Sachverhalt könne zum Gegenstand internationaler Verhandlungen werden, ohne dass dies im Inneren sein Gepräge verändere. 78 Zur Frage der rechtlichen Verpflichtung s. u. S. 117. 76
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Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich demgegenüber zunehmend die Ansicht durchgesetzt, wonach Rechtshilfe von vornherein etwas anderes sei als Rechtspflege. Sie streitet zwar nicht die Verwandtschaft zum Strafprozess ab, geht aber von der Spezifizität der Rechtshilfe aus, um anschließend punktuell Anleihen im Prozessrecht zu nehmen. Die Einwände dieser Rechtshilfetheorie gegen die Rechtspflegetheorie treffen aber nur bestimmte periphere Aspekte, nicht ihren Kern. Die von Vogler vorgeschlagene Variante verabsolutiert den einzelnen, formalen Aspekt des völkerrechtlichen Vertrages und kann deshalb als Gesamttheorie der Rechtshilfe ebenfalls nicht überzeugen. Um dem materiellen, von ihren strafprozessualen Zwecken und Mitteln geprägten Charakter der Rechtshilfe Rechnung zu tragen und dementsprechend eine stringente, nicht lediglich situative oder auf Analogien gestützte Ableitung aus dem Strafverfahrensrecht zu gewährleisten, ist es sachgerecht, von einer Rechtspflegetheorie auszugehen. Damit ist nicht die eine oder andere ihrer historischen Erscheinungsformen gemeint, sondern die – nur vermeintlich schlichte – Erkenntnis, dass die Vorgänge der Rechtshilfe dem Bereich der Strafrechtspflege angehören. 2. Die „dritte Dimension“ der Rechtshilfe: die Rechtsstellung des Betroffenen Mit der Einsicht, dass der von der Rechtshilfe Betroffene sich einem Strafverfahren gegenübersieht, ist freilich die Frage nach seiner Rechtsstellung noch nicht beantwortet. Denn dieses komplexe Verfahren, an dem (mindestens) zwei Staaten beteiligt sind, kann nicht schlicht dem innerstaatlichen Prozessrecht unterstellt werden: Schon die Entscheidung, auf welche Rechtsordnung – die des ersuchenden oder des ersuchten Staates – zurückgegriffen werden sollte, versteht sich nicht von selbst (näher S. 124 ff.). Darüber hinaus muss – auch unabhängig von der Kontroverse zwischen Rechtspflege- und Rechtshilfetheorie – die heutzutage nicht ganz zu Unrecht als zentral angesehene79 Frage beantwortet werden, wie sich das Rechtsverhältnis zwischen Beschuldigtem und Staat zur völkerrechtlichen Beziehung zwischen den Staaten verhält. Dazu wird im Folgenden die historische Entwicklung der subjektiven Rechte bei zwischenstaatlicher Rechtshilfe grob skizziert (a), um auf dieser Grundlage zu versuchen, das Verhältnis zwischen beiden rechtsstaatlich (neu) zu ordnen (b). Schließlich wird kurz auf die positiv-verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Rechtsstellung des Beschuldigten einzugehen sein (c). Soweit die nationale Rechtsordnung von Bedeutung ist, wird in der Regel auf diejenige der Bundesrepublik Deutschland abgestellt; die Ausführungen verstehen sich aber als universeller Natur und unabhängig davon, welcher Staat jeweils handelt.
79
Vogel, in: G/P/K, Rn. 6 vor § 1 IRG.
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a) Die Entwicklung der Rechtssubjektivität in der Rechtshilfe Die Rechtsstellung des Einzelnen im Verhältnis zum Staat dürfte der Aspekt sein, der sich seit der Formulierung der Rechtspflegetheorie im späten 19. Jahrhundert am meisten weiterentwickelt hat. Unabhängig von der Entscheidung über die rechtliche Natur der Rechtshilfe hat sich sukzessive ein umfassendes Grundrechtsverständnis durchgesetzt, das auch vor der strafrechtlichen Rechtshilfe nicht Halt macht. Im Folgenden wird diese Entwicklung einerseits nachgezeichnet, andererseits zur Frage nach der dogmatischen Natur der Rechtshilfe ins Verhältnis gesetzt: Bedingt die Entscheidung zwischen Rechtshilfe- und Rechtspflegetheorie Folgerungen für die Rechtsstellung des Einzelnen? aa) Individualrechte nach der klassischen Rechtspflegetheorie (1) Die strafprozessuale Rechtsstellung des Auszuliefernden im ersuchten Staat Aus der konzeptionellen Zuordnung zur Rechtspflege folgt für Lammasch zwanglos die prinzipielle Geltung der inländischen StPO des ersuchten Staates, und er notiert „wie sonderbar es ist, wenn ein Staat die Freiheit einer Person im Interesse der Rechtspflege eines fremden Staates weitergehenden Beschränkungen unterwirft, als im Interesse seiner eigenen.“80 Hier deutet sich die Idee an, die Rechte des Beschuldigten im Fall der Rechtshilfe ebenso zu wahren wie in einem Fall innerstaatlicher Strafverfolgung (dazu noch S. 69 ff.). Dass eine Maßnahme zur Leistung von Rechtshilfe, etwa eine Durchsuchung, in ihrer Ausführung den Regeln der StPO gehorcht, ist zwar auch im Übrigen anerkannt, allerdings mit deutlichen Abstrichen im Einzelnen.81 Das Besondere bei Lammasch liegt in der stringenten Ableitung, die sich beinahe zwingend aus der Zuordnung zur Rechtspflege ergibt, also weder auf Analogien noch auf einen Verweis (wie ihn heute § 77 I IRG enthält) angewiesen ist und eine prinzipiell fundierte, nicht nur situative oder lückenfüllende Anwendung des Prozessrechts eröffnet. Ob und gegebenenfalls in welchen Grenzen sich daraus anspruchsvolle Vorgaben, insbesondere auch für die Gestaltung des Rechtshilfeverfahrens, ableiten lassen, bleibt noch zu untersuchen (S. 113 ff., 124 ff.). Dabei wirkt die Rechtspflegetheorie umfassend und ist dementsprechend nicht einseitig individualschützend: Die Anwendbarkeit der Vorschriften der StPO ist ausdrücklich auch in dem Sinne gemeint, dass alle Mittel, die in einem inländischen Verfahren des ersuchten Staates zur Verfügung stehen würden, es auch im Fall der Rechtshilfe sollten. Lammasch hebt etwa explizit hervor, dass eine Vorladungspflicht im englischen Recht, die nur im Auslieferungsverfahren Voraussetzung einer Durchsuchung ist, eine „unnatürliche und verderbliche Beschränkung des Rechtes,
80 81
Auslieferungspflicht, S. 655 ff., 657. s. u. S. 52 zu Voglers Theorie.
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Erhebungen zu pflegen“ sei.82 Aus der (vertraglichen) Pflicht eines Staates, Gegenstände abzuliefern, folge „die Pflicht seiner Behörden, sich den Besitz dieser Gegenstände in Kraft der für die Beschlagnahme im Strafverfahren sonst für sie geltenden Vorschriften zu verschaffen.“83 Demgegenüber ist seine Anerkennung subjektiver Rechte des Individuums vorsichtiger: Deren Geltung wird in der Analyse der einzelnen nationalen Vorschriften (anerkennend) nachvollzogen, aber nicht immer als rechtlich geboten eingefordert.84 Dieses Privileg der Strafverfolgung, das wohl mit der von Lammasch angenommenen allgemeinen völkerrechtlichen Auslieferungspflicht zusammenhängt,85 kann jedoch nicht den Blick dafür verstellen, dass das Verständnis von Rechtshilfe als Strafrechtspflege eine plausible Grundlage für die Anwendung des Strafprozessrechts bildet. Mehr noch als bei den Prozessvorschriften wirkt sich die Zuordnung zur Strafrechtspflege im Verhältnis zum materiellen Strafrecht aus: Lammasch schließt aus jener nämlich – mit Selbstverständlichkeit – auf die Geltung des Prinzips der beiderseitigen Strafbarkeit, wonach ein Staat nur ausliefern darf, wenn das zugrundeliegende Verhalten auch nach seinem Recht strafbar ist.86 Diese Frage wird bei ihm unmittelbar im Zusammenhang mit der Strafgewalt – als Bestandteil des eigenen Rechts zum Strafen – diskutiert, ist aber davon ablösbar: „[e]ine Beschränkung der Freiheit, welche nach unserem Rechte nur Verbrechern gegenüber als Straf- oder Sicherungsmittel zulässig ist, wäre, wenn sie über Jemanden verhängt würde, der nach unserem Rechte ein Verbrecher nicht ist, selbst ein Verbrechen und deshalb u. a. auch der Widerstand gegen eine solche Freiheitsbeschränkung keine strafbare That.“ Er argumentiert also maßgeblich damit, dass die Bewertung einer Tat als strafbar notwendige Voraussetzung der Behandlung „als Verbrecher“ sei, was von der „überschießenden“ Frage der Zuständigkeit des Staates für die Verfolgung unabhängig ist.87 (2) Subjektive Rechte im Auslieferungsverfahren? In Gestalt des Prinzips beiderseitiger Strafbarkeit führt Lammasch also eine klassische Schranke der Auslieferung auf den Rechtspflegecharakter der Rechtshilfe zurück.88 Allgemein aber folgt aus seiner Perspektive, die primär auf den eigenen 82
Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 659 ff., 660. Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 661. 84 Siehe nur Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 655 f., wo er notiert, dass das Individuum in Österreich „im allgemeinen die Rechte eines ,Beschuldigten’ im Sinne der StPO genießt“, ebenso wie – unter dem Vorbehalt vorrangiger Reichsgesetze – in Bayern (ibid. S. 655 f.), aus Gründen der Zuständigkeit aber in Preußen nicht. 85 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 36 ff., 57 86 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 44. Ebenso: RGSt 65, 269, 270. 87 In diesem Sinne ausdrücklich auch RGSt 65, 269, 270, wonach der ersuchte Staat nicht ausliefern dürfe, „wenn er selbst bei dem gegebenen Fall kein Recht haben würde, zu strafen, wenn ihm das für ihn geltende Gesetz seinen ,Strafanspruch‘ begründen würde.“ 88 Diesen Zusammenhang hebt auch Vogler, in: 140 Jahre GA, S. 251, 256 Fn. 27, hervor. 83
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Strafanspruch des ersuchten Staates abstellt (s. o. S. 34 ff.), auch eine Fokussierung auf dessen nationales Verfahrensrecht. Für die grenzüberschreitende Dimension ist dabei kein Platz; sie ist nur (noch) eine Frage des Verhältnisses zwischen den Staaten, das Individuum insofern bloß Objekt dieses Verfahrens. So betont Lammasch: „Das Asylrecht ist also nie und nirgends ein subjektives Recht des Flüchtlings“.89 „Asylrecht“ als Gegenstück zur Auslieferungspflicht ist demnach für ihn das Recht des Staates, in dem sich der Beschuldigte aufhält, die Auslieferung zu verweigern.90 v. Bar drückt es noch deutlicher aus: „Dies völkerrechtliche Asyl aber ist kein besonderes Rechtsinstitut, vielmehr eine einfache Konsequenz der Geschlossenheit des territorialen Souveränitätsrechts.“91 Es leuchtet ein, dass es als solches, als bloße Kehrseite der staatlichen Gebietshoheit, nicht unmittelbar individuelle Rechte begründet. Um nun subjektive Rechte im Auslieferungsverfahren überhaupt zu verneinen, beruft sich Lammasch darauf, dass die „Schuld gegen den ersten Staat“ kein Verdienst gegen den zweiten sei, und der Flüchtling aus seiner Flucht keine Recht ableiten könne, weil er sich dem Zufluchtsstaat „auf Gnade oder Ungnade“ übergebe.92 Dass allein durch Flucht keine Rechte erworben werden, dürfte kaum zu bestreiten sein. Es fragt sich aber, ob eine solche Prämisse erforderlich ist, um subjektive Rechte des Flüchtigen (pars pro toto für das von Rechtshilfe betroffene Individuum) zu begründen. Vorliegend wird, unter Berücksichtigung dessen, dass der ersuchte Staat Strafgewalt ausübt, von prozessualen Rechten des Individuums ausgegangen und der Frage nachgegangen, ob und in welchem Maße sie auch für denjenigen gelten müssen, der von einem fremden Staat verfolgt wird (s. schon S. 30 f.).93 Dafür aber bedarf es keiner Konstruktion eines in der Tat deplatziert scheinenden Rechtserwerbs durch die Flucht als solche, sondern nur der Erkenntnis, dass der Zufluchtsstaat auch mit einem flüchtigen Verbrecher nur im Rahmen seiner Rechtsordnung verfahren kann,94 also gerade nicht nach „Gnade oder Ungnade“. Es geht mithin um die Frage, welche prozessualen Rechte jedem Individuum in einem Staat zustehen und in welchem Maße sie eventuell in einem transnationalen Fall eingeschränkt werden können (näher S. 124 ff.) oder umgekehrt (nicht nur einer hypothetischen eigenen, sondern) auch der Unterstützung fremder Strafverfolgung im Wege stehen. Dafür verstellt Lammasch den Blick, indem er die Anerkennung subjektiver Rechte im
89 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 39 f.; in der Folge freilich unterstreicht er doch die Eingriffsqualität der Rechtshilfe (S. 44). Ähnlich v. Bar, Lehrbuch, S. 278: „Asylrecht ist, was den Verfolgten betrifft, ein reines Faktum: er hat keinen Anspruch darauf, in dem Staate zu verweilen, in welchem er Zuflucht gesucht hat“. 90 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 3. 91 A.a.O.; s. auch Maunz/Dürig-Randelzhofer, Art. 16a GG Rn. 2. 92 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 39 f. 93 Vgl. bereits R. Schmid, Die Herrschaft der Gesetze (1863), S. 175: „auch ein Ausländer, der einmal im Lande Aufnahme gefunden hat, steht unter dem Schutz der Gesetze.“ 94 So bereits v. Bar, Lehrbuch, S. 290.
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Auslieferungsverfahren an eine hypertrophe, bei näherer Betrachtung überflüssige Prämisse knüpft. Und so hält er denn auch selbst, trotz dieser im Ansatz kategorischen Annahme, dass das staatliche Recht zur Auslieferung unbegrenzt sei,95 nicht strikt an der Ablehnung von Auslieferungsschranken fest. In dem Fall etwa, dass im Auslieferungsvertrag strikte Spezialität vereinbart ist, der ersuchende Staat also wegen anderer als der im Vertrag genannten Taten nicht verfolgen darf, dürfe der ersuchte Staat auch nicht ausliefern, denn „worauf sollte sich das Recht zu einer Auslieferung gründen, wenn der requirirende Staat nicht befugt ist, den Ausgelieferten zu bestrafen?“96 Ferner erkennt er an, dass die Frage der Berechtigung des ersuchten Staates zur Auslieferung das Verhältnis zwischen diesem Staat und dem Individuum betrifft.97 Es kann auch kaum bestritten werden, dass die Pflichten des Staates in diesem Verhältnis maßgeblich dem Schutz des Individuums dienen, denn es ist zuvörderst in dessen Interesse, nicht mit Zwangsmaßnahmen belegt zu werden, und die Beschränkung der Staatsmacht geht letztlich auf die Grenzen der Strafverfolgungsmacht (hier: im ersuchten Staat) zurück, also nicht auf zwischenstaatliche Gegebenheiten, sondern die Rechtsbeziehung zum Individuum. Aus heutiger Sicht würde man also hier subjektive Rechte annehmen, zumal im Lichte des modernen Grundrechtsverständnisses.98 Mitunter erkennt auch Lammasch solche Rechte des auszuliefernden Individuums, über die „schlichten“ strafprozessualen Rechte hinaus, für geboten, um die „Würde des Staates“ zu bewahren; namentlich, wenn die Delikte, derentwegen ausgeliefert wird, abschließend bestimmt seien und deshalb die Bekanntgabe solcher Delikte als „promesse solennelle“ (förmliches Versprechen) aufgefasst werden müsse, dass wegen anderer Straftaten keine Auslieferung stattfinde.99 95
„[…] der Auslieferungsvertrag begrenzt nur die Pflicht, nicht auch das Recht, auszuliefern“, S. 812. 96 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 199 ff., 202. Ersichtlich spielt hier der Bezug zur (fremden) Strafrechtspflege eine entscheidende Rolle. 97 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 188; im Gegensatz dazu steht die Verpflichtung des Staates zur Auslieferung, die für ihn eine Rechtsfrage nur zwischen den Staaten ist, ibid. S. 36 ff., 57. 98 Näher S. 58 ff., 72 ff.; allg. zur Begründung eines subjektiven öffentlichen Rechts über die Grundrechte und die Generalklausel des Art. 2 I Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 10 ff.; speziell zur Auslieferung Lagodny, Rechtsstellung, S. 27 ff., 61. Auch zu Lammaschs Zeit notiert schon v. Bar, Revue de droit international IX (1877), 5, 14 f., dass der Einzelne insofern Träger subjektiver Rechte ist, als (wie häufig) Verträge in nationale Gesetze transformiert werden, bzw. „ein gehörig veröffentlichter Staatsvertrag auch bindendes Gesetz für die Gerichte ist“, ders., Lehrbuch, S. 326; ebenso Bernard, Traité, 2. Bd., S. 532 f. Das gilt freilich nur, soweit die transformierte Norm den Schutz des Individuums bezweckt. Vgl. demgegenüber für das Gegenseitigkeitsprinzip, das wohl unstreitig nur ein zwischenstaatliches Synallagma statuiert, Vogler, Auslieferungsrecht, S. 326 m.w.N.: die Transformation bewirke noch keinen „Adressatenwechsel“ und begründe deshalb kein subjektives Recht. 99 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 189 ff.; Ausdruck von Bernard, Traité, Bd. 2, S. 532.
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Ein zentrales Element der Rechtsstellung des Individuums liegt in der Tatverdachtsprüfung: Kann der Verfolgte im ersuchten Staat gegen eine Auslieferung einwenden, dass der Verdacht gegen ihn haltlos sei? Zunächst untersucht Lammasch das formelle Prüfprinzip der meisten kontinentaleuropäischen Staaten, wonach der Richter im ersuchten Staat nur die formellen Voraussetzungen der Auslieferung prüft, also nicht die materiellen Verdachtsgründe. Dem stellt er das damalige englische und US-amerikanische Recht gegenüber, wo auch diese materielle Grundlage des Auslieferungshaftbefehls im ersuchten Staat geprüft wird.100 Erklären lässt sich dies, wie Lammasch darlegt, mit einer Parallele zum innerstaatlichen Recht: Weil und soweit in diesen Rechtsordnungen der Richter, der einen Beschuldigten zur Hauptverhandlung vor die Jury verweisen will, den Verdacht inhaltlich verifizieren muss, müsse er es auch tun, bevor er den Beschuldigten der Gerichtsbarkeit eines fremden Staates überantworte.101 Damit sieht sich hier die Gleichstellung mit dem inländischen Verfahren im positiven Recht der Auslieferung verankert. Im Ergebnis hält Lammasch selbst diese Art der materiellen Verdachtsprüfung für nicht angemessen, weil es gerade ein Anliegen des Auslieferungsrechts sei, eine Entscheidung dort zu ermöglichen, wo die Verfügbarkeit der Beweise eine bestmögliche Wahrheitsfindung ermöglicht, d. h. in aller Regel im Tatortstaat; demgegenüber könnte eine summarische Prüfung mit abschlägiger Entscheidung im ersuchten Staat dazu führen, dass ein Delinquent dort zu Unrecht faktisches Asyl genieße und die Durchsetzbarkeit der Strafrechtsordnung(en) leide.102 Am besten geeignet, diese gegenläufigen Interessen des umfassenden Rechtsschutzes einerseits und der Zuverlässigkeit der Wahrheitsfindung andererseits in Einklang zu bringen, ist aus seiner Sicht das Modell des damaligen österreichischen Rechts: Es lässt eine Widerlegung des Tatverdachts durch den Beschuldigten zu, allerdings nur mit vorhandenen oder vom Beschuldigten ohne Verzug beizubringenden Beweisen.103 (3) Rechtsstellung im ersuchenden Staat Soll also die Verdachtsprüfung weniger dem ersuchten als eher dem ersuchenden Staat, der dazu faktisch besser in der Lage ist, obliegen, so ist das konsequente Gegenstück der „Erleichterung“ im ersuchten Staat die Forderung einer umso zuverlässigeren Prüfung im ersuchenden. Denn, so Lammasch, es dürfe nicht „etwa Jemand der so schwer seine Freiheit beeinträchtigenden Procedur der Auslieferung unterworfen werde[n], gegen den nur ganz vage, durch eine genauere Untersuchung 100
Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 514 ff.; im Vereinigten Königreich ist durch den Extradition Act 1989 eine Abkehr hiervon eingeleitet worden, Lagodny/Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 10 IRG Rn. 5. 101 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 517 ff. Siehe noch S. 200 ff., 203 ff. 102 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 555 ff. 103 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 538 ff., 558 f.; so heute noch § 33 II des österreichischen Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes; zur Rechtslage in Deutschland nach § 10 II IRG s. Lagodny/Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 10 IRG Rn. 29 ff. Zum eigenen Vorschlag S. 148 ff.
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der Sachlage sofort zu zerstreuende Verdachtsgründe vorliegen.“104 Dementsprechend fordert er, aufgrund einer Parallele zum innerstaatlichen Verfahren des ersuchenden Staates, dass der Beschuldigte nur dann zwangsweise der Gerichtsgewalt des fremden Staates übergeben werde, wenn der Verdacht so weit erhärtet sei, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit der Schuld bestehe. Konkret sei dies daran festzumachen, ob die Verdachtsgründe ausreichten, den „Flüchtigen in Anklagezustand“ zu versetzen oder „dessen Verweisung zur Hauptverhandlung anzuordnen“.105 Dabei soll es sich aber nicht um Einwände handeln, die schon aus prinzipiellen Gründen im ersuchten Staat durchschlagen und als Auslieferungsschranken eingefordert werden können; es sei lediglich (scil. rechtspolitisch) wünschenswert, dass in künftigen Abkommen die Auslieferungspflicht entsprechend beschränkt werde.106 Auch im Zusammenhang mit dem Spezialitätsprinzip, welches das von ihm auch individualschützend bekräftigte Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit (s. o. S. 46) sichern soll – dieses gleichsam im weiteren Verlauf des Verfahrens fortsetzt –,107 vertritt er eine individualrechtlich restriktive Ansicht. Weil der Einzelne nur Objekt108 des völkerrechtlichen Vertrages sei, könne er keine entsprechenden subjektiven Rechte geltend machen; es sei aber „ganz zweckmäßig, dem Ausgelieferten, als derjenigen Person, welche an der gewissenhaften Einhaltung dieser Beschränkungen das lebhafteste Interesse besitzt, durch eine Bestimmung der StPO. das Recht zuzuertheilen, in dem gegen ihn durchgeführten Gerichtsverfahren die Einhaltung der von dem ausliefernden Staate gestellten Bedingungen der Auslieferung fordern zu dürfen.“109 Im Lichte der Entwicklung der Grundrechte könnte diese Zweckmäßigkeit zu rechtlicher Verbindlichkeit erstarken (s. bereits S. 48, näher S. 57 ff.). (4) Zwischenfazit; historische Grenzen des Ansatzes Trotz der dezidierten Ablehnung eines subjektiven Asylrechts (scil. subjektiver Rechte gegen die Auslieferung selbst) leitet Lammasch aus seinem Postulat, die Rechtshilfe sei Teil der Rechtspflege, also durchaus anspruchsvolle Vorgaben für die rechtliche Stellung des Auszuliefernden ab, und zwar sowohl im ersuchten als auch im ersuchenden Staat. Dass er in seinen Schlussfolgerungen trotz einiger individualrechtlich progressiver Ansätze vorsichtig ist, lässt sich mit der seinerzeit noch zaghaften – und völkerrechtlich ganz fehlenden – Anerkennung der Rechtssubjek-
104
Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 560. Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 562 ff., 570. Siehe noch u. S. 199 ff., 203 ff. 106 Ibid.; zu Rechtsschutzmöglichkeiten im ersuchenden Staat äußert er sich nicht. 107 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 740; s. auch Vogler, GA 1986, 195, 199. 108 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 739. 109 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 807; ähnlich S. 189 ff. für die vertragliche Bestimmung auslieferungsfähiger Delikte. 105
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tivität des Individuums110 und der Annahme einer grundsätzlichen Auslieferungspflicht erklären. Dabei nimmt Lammasch eine strikte Trennung zwischen den jeweiligen innerstaatlichen Verfahren111 sowie zwischen diesen und der völkerrechtlichen Ebene vor. Man könnte insofern von einem Abstraktionsprinzip in der Rechtshilfe sprechen, weil die Einwendungen aus dem einen Verfahren weder im jeweils anderen durchschlagen, noch auf der übergeordneten völkerrechtlichen Ebene, wo der Beschuldigte überdies lediglich Objekt des Verfahrens ist. Für die Rechtspositionen des Individuums werden so erhebliche Barrieren errichtet, weil das völkerrechtliche „Scharnier“ nicht zwischen den nationalen Verfahren vermittelt und kein kohärentes Gesamtverfahren erzeugt, sondern eine Domäne souveräner staatlicher Entscheidung bleibt. In der Rechtshilfe, die nach der Prämisse Lammaschs Strafrechtspflege ist, stellt sich die Rechtsposition des Individuums damit erheblich prekärer dar als im „Normalfall“ der Strafverfolgung. Sie wird darüber hinaus empfindlich eingeschränkt, indem den Auslieferungsverträgen – die prinzipiell auf einen Interessenausgleich zwischen den Staaten fixiert sind – nahezu absoluter Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht des ersuchten Staates eingeräumt wird.112 Auch auf diese Problematik des Verhältnisses von Völkerrecht und nationalem Recht wird noch zurückzukommen sein (S. 69 ff.) In der historischen Formulierung der Rechtspflegetheorie sind also sowohl die Anerkennung wichtiger strafprozessualer Rechte in der Rechtshilfe als auch einige entscheidende Beschränkungen dieser Rechte angelegt, vor allem soweit die völkerrechtliche Ebene berührt wird. Offenbar wird dieses Spannungsverhältnis etwa beim Vergleich der strengen Einforderung des auslieferungsrechtlichen Prinzips beiderseitiger Strafbarkeit mit der ansonsten strikten Ablehnung subjektiver Rechte im Auslieferungsverfahren.
110 Zur Entwicklung in Deutschland vor der Weimarer Reichsverfassung von 1919 s. Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 45 Rn. 11 ff., 12 („Kataloge von Rechten und Pflichten der Untertanen“); Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 28; ferner Wahl, in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht I, § 2 Rn. 21 ff.; zu Lammaschs Heimat Österreich s. Schäffer, in: Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa VII/1, § 1 Rn. 31 ff., 41 ff. (subjektive Rechte in der Verfassung von 1867 und Beschwerderecht beim Reichsgericht, aber keine Kassationsmöglichkeit dieses Gerichts); im Völkerrecht s. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 1. 111 Etwa auf S. 764, wo er den Einwand der politischen Verfolgung im ersuchenden Staat für verzichtbar hält, weil der Beschuldigte schon im Auslieferungsverfahren im ersuchten Staat (in dem er ebenfalls kein entsprechendes subjektives Recht hatte, dazu o. S. 40) darauf hingewiesen haben würde. 112 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 91 ff., 94.
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bb) Subjektive Rechte nach der Rechtshilfetheorie, insb. der Vertragstheorie Voglers Es bietet sich an, zum Vergleich die Rechtsstellung des Individuums nach der Rechtshilfetheorie zu betrachten. Wie oben ausgeführt wurde (S. 42), kann Voglers Vertragstheorie der Sache nach als eine Variante davon angesehen werden, weil sie Rechtshilfe als von der Rechtspflege grundsätzlich zu scheidende staatliche Tätigkeit begreift. Indem sie diese Trennung konzeptuell besonders scharf vornimmt (s. o. S. 42), eignet sie sich besonders gut, um die Implikationen einer Rechtshilfetheorie für die Rechtsstellung des Einzelnen zu untersuchen. Darüber hinaus ist sie zu einer Zeit formuliert worden, als die am Grundrechtsschutz ausgerichtete Ordnung des Grundgesetzes bereits etabliert und die Subjektstellung des Individuums im humanitären Völkerrecht zumindest dem Grunde nach anerkannt war.113 Damit steht sie in einem Zusammenhang, in welchem der Einzelne nicht mehr bloß als Objekt der Rechtshilfe betrachtet werden konnte,114 sondern als Rechtssubjekt begriffen werden musste. Insofern bietet sie einen adäquaten Untersuchungsgegenstand für die Implikationen der Rechtshilfetheorie unter modernen Vorzeichen, d. h. befreit von etwaigem obrigkeitsstaatlichem „Ballast“. Signifikant ist sie schließlich auch aus quantitativer Perspektive, weil sie in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts durchaus Modellcharakter gewonnen hat.115 (1) Rechtshilfeverfahren im Zeichen des Völkerrechts Kern der Rechtshilfetheorien und auch der Vertragstheorie Voglers ist die klare Trennung der Rechtshilfe von der Rechtspflege und die Autonomie ihres Verfahrens (s. o. S. 41 f.). Dementsprechend finden ihm zufolge ausschließlich die speziellen Regeln des Rechtshilfeverfahrens des ersuchten Staates (in Deutschland des IRG bzw. der Transformationsgesetze zu Rechtshilfeverträgen) Anwendung. Dessen allgemeine strafprozessuale Vorschriften gälten nur, soweit auf sie verwiesen wird116 oder die Rechtshilfe eine innerstaatliche Maßnahme, etwa eine Durchsuchung, erfordert, deren Vollzug dann nach den Formen der nationalen StPO erfolgt.117 Für den von ihm speziell untersuchten Fall der Auslieferung aber verneint er einen solchen innerstaatlichen Vollzugsakt ausdrücklich,118 weshalb hier die üblichen Garantien des Strafverfahrens nicht anwendbar seien. Mit dieser Erwägung befindet er die Besonderheiten des Rechtshilfeverfahrens für unbedenklich und verfassungskonform – unter anderem (wegen Nichtgeltung des deutschen Art. 104 III GG) das sog. 113
Dazu Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 2. So aber noch 1953 Mettgenberg/Doerner, Auslieferungsrecht, S. 169; explizit gegen die Vorstellung einer bloßen Objektstellung Vogler, in: 140 Jahre GA, S. 251, 261. 115 Lagodny, Rechtsstellung, S. 63 f. m.w.N. 116 Vogler, S. 235, s. die allgemeine Verweisung in § 77 I und die speziellen in §§ 18 S. 3, 19 S. 2, 25 II, 27 i; 40 III, 53 III, 56 IV 2, 58 III 2, 61 I 3, 71 IV 2, 87 f II 2, 87j II, 87k II 2, 88d I, 89, 94 II Nr. 1 IRG. 117 So später Vogler, in: 140 Jahre GA, S. 251, 257 f.; s. noch u. S. 141 ff. 118 Ibid. 114
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formelle Prüfprinzip, wonach nur die formellen Voraussetzungen der Rechtshilfe geprüft werden, nicht der Tatverdacht (dazu sogleich unter [2]).119 Die Haftgründe könnten „aus Zweckmäßigkeitserwägungen weiter gefasst werden als im strafprozessualen Haftrecht“.120 Noch weitergehend folgt aus der Betonung der völkerrechtlichen „Natur“ der Rechtshilfe,121 dass er der Auslieferung selbst – anders als der Haft als solcher – innerstaatlich einen „neutralen Charakter“ attestiert122 und sie deshalb nicht an den regulären Schranken der Hoheitsgewalt messen will.123 Auch und vor allem die Folgen, die eine Auslieferung im ersuchenden Staat zeitigen würde, sollen im Verfahren des ersuchten Staates nicht im Lichte von dessen Rechtsordnung gewürdigt werden. Aus der Vertragstheorie folge vielmehr, dass die Rechtshilfe nur den allgemeinen Schranken der völkerrechtlichen Vertragsfreiheit unterliege, also dem internationalen ius cogens.124 Ausdrücklich erteilt Vogler den Versuchen eine Absage, aus nationalen Grundrechten, ordre public des ersuchten Staates oder auch einem regionalen völkerrechtlichen Vertrag wie der Europäischen Menschenrechtskonvention125 Grenzen der Auslieferung abzuleiten. Lediglich die „ausdrücklichen verfassungsrechtlichen und rechtshilferechtlichen Auslieferungsverbote“, in Deutschland: Art. 16 II GG und die Vorschriften des IRG bzw. speziellerer (§ 1 III IRG) Rechtshilfeabkommen, würden eingreifen. (2) Das Völkerrecht als „Brandmauer“ zwischen den nationalen Verfahren Die Konsequenzen einer strikten Rechtshilfetheorie werden besonders deutlich bei Voglers Behandlung des rechtlichen Gehörs: Wie dargelegt, führt die Zuordnung zu einem autonomen Bereich der Rechtshilfe dazu, dass der Beschuldigte im ersuchten Staat, der ihn festnimmt, nicht alle Rechte des nationalen Strafverfahrens genießt und namentlich den Tatverdacht nicht gerichtlich angreifen kann.126 Dieses formelle Prüfprinzip ist im kontinentaleuropäischen Rechtsraum traditionell eta119 Mit Ausnahme einer Prüfung wie § 10 II IRG sie vorsieht; darauf soll aber Vogler zufolge der Verfolgte keinen Anspruch haben (ders., in: G/P, § 10 IRG Rn. 25). 120 Vogler, Auslieferungsrecht, S. 254. 121 Siehe oben S. 41 f. 122 Vogler, in: 140 Jahre GA, 251, 257 f. 123 Krit. Lagodny, Rechtsstellung, S. 96 ff., der die „inlandskausale“ Fallgruppe hervorhebt, in der schon die Auslieferung als solche Beschuldigtenrechte – z. B. seine Gesundheit oder den Schutz von Ehe und Familie – tangieren könne, und die Vogler offenbar übersehen habe (S. 100), näher S. 58 ff. 124 Vogler, Auslieferungsrecht, S. 215 ff., 220 f. Kritisch zur Konstruktion, weil die Vereinbarung einer Auslieferung schwerlich eine – einzig für das ius cogens beachtliche – „Disposition“ über zwingendes Recht zum Gegenstand habe, Lagodny, Rechtsstellung, S. 85 ff. 125 Vogler, Auslieferungsrecht, S. 211 ff. 126 s. o.; das gilt jedenfalls für die Mehrzahl der Rechtsordnungen, die nach dem formellen Prüfprinzip vorgehen. Die vorliegenden Überlegungen verstehen sich als grundlagenbezogen und sind nicht davon abhängig, ob der eine oder andere Staat ein Mehr an rechtlichem Gehör einräumt: es geht um die Frage, inwiefern dies geboten ist.
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bliert,127 und es soll an dieser Stelle noch nicht um die Frage gehen, in welchem Maße der ersuchte Staat die Verdachtsprüfung des ersuchenden verifizieren kann und darf (näher S. 145 ff.). Entscheidend ist vielmehr, dass bei Vogler ein Weiteres hinzukommt: Im ersuchenden Staat soll der sog. Einlieferungshaftbefehl, auf den sich das völkerrechtliche Ersuchen um Auslieferung (aus der Sicht des ersuchenden Staates eben: Einlieferung) stützt, zwar prinzipiell den Regeln für einen nationalen Haftbefehl folgen, für Deutschland also die Voraussetzungen der §§ 112 ff. StPO gelten. Bis zur Übergabe aber habe dieser Einlieferungshaftbefehl nur „Beweisfunktion“ im Rahmen des völkerrechtlichen Rechtsgeschäfts. Erst mit der Übergabe beruhe die Freiheitsentziehung auf dem Einlieferungshaftbefehl und habe der Verfolgte Anspruch auf rechtliches Gehör.128 Im Ergebnis kann sich er sich also in der mitunter monatelangen Zeit zwischen seiner Festnahme und der Übergabe in keinem der beiden Staaten umfassend gegen den Freiheitsentzug verteidigen. In der Verabsolutierung der völkerrechtlichen „Natur“ der gesamten Auslieferung gewinnt somit der Vertrag die Eigenschaft einer „Brandmauer“, die zwischen den Verfahren im ersuchenden und im ersuchten Staat steht, den Zusammenhang zwischen den im Zuge der Rechtshilfe vorgenommenen Eingriffen und ihren materiellen Gründen kappt (dazu schon S. 30 ff.) und so zum Herzstück einer organisierten Unverantwortlichkeit der beteiligten Staaten wird. Das kann nicht richtig sein.129 Vielmehr muss anerkannt werden, dass zwischen der Anordnung im ersuchenden und der Vollstreckung im ersuchten Staat ein realer Kausalzusammenhang besteht, der überdies nicht bloß ein naturgesetzliches Phänomen, sondern rechtlich vermittelt ist. Eine solche Verbindung kann nicht rechtlich irrelevant sein, sondern muss im Gegenteil nachvollziehbar sein, und die Zwecke der Strafrechtspflege, die letztlich einzig geeignet sind, die Eingriffe gegenüber einem Verdächtigen zu tragen (auch im ersuchten Staat!), müssen gerichtlich überprüfbar sein. Ohne Rücksicht auf die materielle Grundlage des Eingriffs im komplementären Verfahren des ersuchenden Staates würden die Eingriffe im ersuchten Staat eo ipso einer Grundlage entbehren. Dass unterschiedliche Rechtsordnungen im Spiel sind, mag die Konstellation verkomplizieren, kann aber die materielle Eingriffsdimension und den Legitimationsbedarf nicht vermindern und darf deshalb nicht zu einer vorauseilenden Kapitulation in Gestalt einer auch dogmatisch strikten Trennung der nationalen Verfahren führen.
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Lagodny/Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 10 IRG Rn. 5. Vogler, Auslieferungsrecht, S. 264 f. Demgegenüber geht Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 133 davon aus, dass gegen die Anordnung der Maßnahme die üblichen Rechtsbehelfe („z. B. die Haftbeschwerde“) statthaft sind, ohne eine Einschränkung für die (hier sog.) „kommissarische“ Inhaftierung im ersuchten Staat zu machen. Auch OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8. 9. 2011, III-4 Ws 495/11 geht davon und entsprechend von der Notwendigkeit einer Verteidigung im ersuchenden Staat (dazu S. 184 ff.) aus. 129 Ebenso S/L/G/H, Einleitung Rn. 143. 128
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(3) Ius cogens als einzige Schranke Schließlich führt die Vertragstheorie in der Voglerschen Ausprägung auch zu einer bedenklichen Verkürzung der Folgeverantwortung der beteiligten Staaten. Wie erwähnt, sollen neben den wenigen ausdrücklichen innerstaatlichen Auslieferungsschranken nur (drohende) Verstöße des ersuchenden Staates gegen das völkerrechtliche ius cogens der Auslieferung entgegenstehen.130 Damit bleiben nur wenige zwingende „elementare Menschenrechte“ als Schranken übrig.131 Als Beispiele wird drohende „unmenschliche Behandlung“ genannt,132 wozu eine Verletzung rechtlichen Gehörs nur in „besonders kraß gelagerten Fällen“ gehöre und die Todesstrafe als solche nicht.133 Ein Vierteljahrhundert später hat Vogler seine Position bekräftigt und Ansätzen, die auf nationale Grundrechte abstellen (dazu sogleich), eine deutliche Abfuhr erteilt, unter anderem weil sie die Entwicklung eines völkerrechtlichen Mindeststandards behindern würden.134 Dieser wiederum gehe „weit über das Verbot von Folter sowie grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung hinaus; er umfasst ebenso den Anspruch auf ein rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügendes Verfahren (fair trial), aus dem sich grundlegende Rechte eines Angeklagten wie etwa auf rechtskundigen Beistand und auf ein unabhängiges und unparteiliches Gericht, rechtliches Gehör und grundsätzlich öffentliche Verhandlung sowie der Grundsatz nulla poena sine lege ergeben“.135 Die Todesstrafe rechnet er, obwohl in der Zwischenzeit zumindest auf dem europäischen Kontinent im 6. EMRK-Zusatzprotokoll136 umfassend abgeschafft, immer noch nicht zu den Auslieferungshindernissen.137 Insgesamt kann die nach wie vor vage und sehr behutsame („Mindestanforderungen“, „grundlegende Rechte“) Formulierung dieser Rechte, die überdies nur bei umfassender Nichtachtung tangiert sein sollen,138 nicht den Nachweis erbringen, dass der „völkerrechtliche
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s. o., zur Kritik S. 62. Vogler, Auslieferungsrecht, S. 234. 132 Vogler, Auslieferungsrecht, S. 220. 133 Vogler, Auslieferungsrecht, S. 224; eingehend zur Unbestimmtheit dieser Mindesrechte und zur ebenso problematischen Frage, welche Instanz für die Bestimmung zuständig sei, Lagodny, Rechtsstellung, S. 70 ff. 134 Vogler, in: 140 Jahre GA, 251, 262; ders., GA 1996, 569, 575 m. Fn. 28. 135 Vogler, GA 1996, 569, 574 ff. 136 Vom 28. 4. 1983, SEV Nr. 114. 137 Vogler, GA 1996, 569, 575 f.; ausf. Vogler, NJW 1994, 1433, 1434 f. unter Hinweis auf die Soering-Entscheidung des EGMR (NJW 1990, 2183, 2186): Das Völkerrecht enthalte „ein derartiges Auslieferungsverbot zur Zeit (leider noch) nicht“; wegen des 6. Zusatzprotokolls (s. im Text) hält Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 99 die Abschaffung der Todesstrafe zumindest für zwingendes regionales (europäisches) Völkerrecht. 138 Vogler, Auslieferungsrecht, S. 223 ff., 227. 131
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Mindeststandard“ einen stringenten und auch praktisch handhabbaren Gehalt erlangt hätte.139 Selbst internationale Menschenrechtsabkommen sollen als solche nicht umfasst sein: So muss der Staat, der Rechtshilfe leistet, nach Voglers Ansicht nicht nur eine Behandlung, die mit seinen eigenen Grundrechten in Konflikt steht, befördern, sondern auch eine solche, die regionale Instrumente wie die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950140 verletzt. Letzteres begründet er damit, die Konvention ziehe nur der Ausübung der eigenen Staatsgewalt Grenzen, nicht auch der Unterstützung fremder Hoheitsgewalt.141 Das ist nicht nur bedenklich (näher S. 69 ff.), sondern auch unter der dogmatischen Prämisse Voglers zweifelhaft: Er zieht allgemein die Grenze der Rechtshilfe bei der Grenze der völkerrechtlichen Vertragsfreiheit. Ein (spezieller) Rechtshilfevertrag,142 der in eine Verletzung der EMRK mündet, hätte ebendiese Verletzung zum Inhalt. Es kann aber nicht sein, dass Konventionsstaaten hierzu befugt sind,143 widrigenfalls die Konvention zu ihrer Disposition stünde. Auch aus der Binnenperspektive der Voglerschen Vertragstheorie müsste also eine zu erwartende Verletzung der EMRK der Rechtshilfe entgegenstehen.144 Noch gravierender sind die Konsequenzen im umgekehrten Fall: Der ersuchende Staat soll für zu gewärtigende Rechtsverletzungen im ersuchten Staat nicht verantwortlich sein, weil das Einlieferungsersuchen nur Bestandteil des völkerrechtlichen Vertrags sei und die Rechte des Verfolgten also nicht berühre.145 Nicht einmal wenn eine Verletzung des völkerrechtlichen Mindeststandards drohte, die für Vogler die Grenze der Rechtshilfe markiert (s. o.), soll dies im ersuchenden Staat rechtlich relevant sein. Praktisch bedeutet das: Selbst wenn einen Beschuldigten an seinem Aufenthaltsort erwiesenermaßen unerträgliche (scil. mit dem ius cogens unvereinbare) Haftbedingungen erwarten, soll die Stellung eines Einlieferungsersuchens seine Rechte nicht verletzen und deshalb kein Rechtsweg dagegen eröffnet sein. Der Auslieferungsvertrag beziehe sich nämlich auf die Übergabe des Individuums – mit 139
So auch Lagodny, Rechtsstellung, S. 70 ff., 78 ff.; Vogler, in: 140 Jahre GA, S. 251, 262 m. Fn. 59, hat dem nur eine süffisante Kritik ad hominem entgegenzusetzen. Lagodny, Rechtsstellung, S. 82 ff. hebt auch hervor, dass es an einer internationalen Instanz zur Feststellung eines Verstoßes gegen ius cogens fehlt. Unter diesen Umständen sind Differenzen zwischen den Staaten vorprogrammiert, und der einseitig geäußerte Vorwurf der Verletzung von ius cogens wirkt schwerer als der Einwand, das eigene nationale Verfassungsrecht des ersuchten Staates ziehe der Rechtshilfe Grenzen. 140 BGBl. 1952 II S. 685, ber. S. 953, nunmehr i. d. F. der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010, BGBl. II S. 1198. 141 Vogler, Auslieferungsrecht, S. 211 ff. 142 Ein solcher ist für Vogler, wie dargelegt, jede einzelne Auslieferung, S. 42. 143 Lagodny, Rechtsstellung, S. 103. 144 Ausdrücklich für die EMRK als regionales ius cogens: Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 43 ff., 386 ff., 504 ff. 145 Vogler, Auslieferungsrecht, S. 326; krit. Lagodny, Rechtsstellung, S. 193 ff.
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der ebendieser unerträgliche Zustand ende – und nicht auf seine Inhaftierung im ersuchten Staat. Dass aber in einem solchen Fall der völkerrechtswidrige Zustand bis zur Auslieferung auf einen Rechtsakt des ersuchenden Staates – das Einlieferungsersuchen – zurückgeht, ja darin materiell gesehen seine einzige (Rechts-)Grundlage findet, wird bei dieser Betrachtung vollkommen ausgeblendet. „Die Schlussfolgerungen, die sich aus der völkervertraglichen Rechtsnatur der Einzelauslieferung ergeben, können kaum überschätzt werden.“146 In der Tat wird hier die im wörtlichen Sinne brutale Konsequenz der Vertragstheorie deutlich und belegt, dass der Versuch, aus der völkerrechtlichen Vertragsform verbindliche Folgen für die materielle Rechtslage zu ziehen (s. o.), den realen Vorgang reduziert und auf gefährliche Weise segmentiert. (4) Zwischenfazit: Fortschritte und Fehltritte von Voglers Theorie Die Vertragstheorie, wie Vogler sie vertritt, hat zwar die Vorstellung, der von Rechtshilfe Betroffene sei bloß Objekt des Verfahrens, überwunden. Dadurch tritt aber die Problematik seiner Rechtsposition nur umso schärfer in Erscheinung: In der zentralen Frage des Gehalts seiner subjektiven Rechte orientiert sie sich an der für sie axiomatischen Autonomie der Rechtshilfe und führt so dazu, dass die Rechtsstellung des Verfolgten im Verhältnis zu einem rein innerstaatlichen Strafverfahren in mancherlei Hinsicht prekär ist. Das gilt wegen der Verabsolutierung der völkerrechtlichen Perspektive nicht nur für das einfache Recht, sondern auch für die Gewährleistungen der Verfassung, die – mit Ausnahme des speziellen Art. 16 II GG – keine Anwendung finden sollen. cc) Die Entdeckung der „dritten Dimension“ durch Lagodny Demgegenüber hat sich Lagodny zum Ziel gesetzt, die Bedeutung der Grundrechte für die Auslieferung – pars pro toto für Rechtshilfe überhaupt147 – neu zu bestimmen. Ausgehend von der Feststellung, dass die Auslieferung maßgeblich durch ihren Vollzug im ersuchten Staat geprägt sei, knüpft er an den sogenannten „Auslieferungs-Vollzugsakt“ an, den er an der Grundrechtsordnung messen will. (1) Der innerstaatliche Vollzugsakt Zunächst untersucht Lagodny den Vorgang der Auslieferung in kritischer Auseinandersetzung insbesondere mit der Vertragstheorie Voglers. Er betont (zu Recht, S. 42), dass die Auslieferung nicht nur in einem Vertrag zwischen den beteiligten Staaten bestehe, sondern auch und vor allem in der tatsächlichen Übergabe des requirierten Individuums durch den ersuchten Staat an den ersuchenden Staat. Dabei trete der ersuchte Staat dem Individuum nicht innerhalb der völkerrechtlichen 146 147
Vogler, Auslieferungsrecht, S. 49. Lagodny, Rechtsstellung, S. 22 f.
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Ordnung gegenüber, sondern notwendigerweise innerhalb seiner staatlichen Rechtsordnung.148 Dem wird man schwerlich widersprechen können.149Auch dogmatisch sei die Konstruktion Voglers nicht haltbar, die tatsächliche Übergabe als bloße Bedingung der in einem Verfügungsvertrag bestehenden Auslieferung zu deuten. Denn mit der Einigung über die Auslieferung erwerbe der ersuchende Staat gerade noch nicht die Hoheit über das Individuum, auch nicht in der „quasi-dinglichen“ Gestalt einer Anwartschaft oder dergleichen.150 (2) Grundrechtsgeltung Wenn man dergestalt den Vollzug der Auslieferung (Rechtshilfe) als innerstaatlichen Hoheitsakt des ersuchten Staates deutet, so ist er grundsätzlich auch an dessen Rechtsordnung zu messen. Die innerstaatliche Rechtsbeziehung zwischen dem Verfolgten und dem ersuchten Staat, die er in den Mittelpunkt rückt, bezeichnet Lagodny als „dritte Dimension“ der Rechtshilfe151 und stellt sie der traditionellen „zweidimensionalen“ Sichtweise entgegen, die nur das völkerrechtliche Rechtsverhältnis betrachtet (s. o. S. 55). Speziell gilt das Augenmerk Lagodnys den Grundrechten, die nach Art. 1 III GG für jegliche Ausübung von Staatsgewalt bindend sind und deshalb auch als „Auslieferungs-Gegenrechte“ wirken können.152 Er arbeitet einzelne Grundrechte heraus, deren Schutzbereich in den von ihm sogenannten „inlandskausalen“ und „auslandskausalen“ Konstellationen153 tangiert sein kann. Sodann sucht er nach Grundrechtsschranken, also zulässigen Eingriffen aufgrund eines vorbehaltenen Gesetzes oder immanenter Schranken, und schließlich nach den „Schranken-Schranken“, die der Einschränkbarkeit von Grundrechten äußerste Grenzen ziehen.154 Auf dieser dritten Stufe spielt insbesondere die Verhältnismäßigkeit eine Rolle. Die erste („inlandskausale“) Fallgruppe meint die Konstellation, in welcher schon die Maßnahme des ersuchten Staates selber – in concreto: Die Auslieferung als solche – in den Schutzbereich von Grundrechten eingreift. Als Beispiel werden die Trennung von Familienangehörigen (Art. 6 GG) und die Gesundheits- oder Lebensgefährdung durch Freiheitsentzug und Transport (Art. 2 II GG) genannt.155 Die zweite („auslandskausale“) Fallgruppe wiederum betrifft Folgen, die im ersuchenden Staat einzutreten drohen, also ihren Ursprung im Ausland haben. Auch für diese Folgen sei der Staat, der um eine Auslieferung ersucht wird, verantwortlich. 148
Lagodny, Rechtsstellung, S. 17 f.; zust. Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 30. Vogler, 140 Jahre GA, S. 251, 257 f. beschränkt sich auf die Behauptung, bei der Auslieferung gebe es keinen innerstaatlichen Vollzugsakt. 150 Lagodny, Rechtsstellung, S. 21 f. 151 Lagodny, Rechtsstellung, S. 59 f. 152 Lagodny, Rechtsstellung, S. 129 ff. u. passim; ders., NJW 1988, 2146 ff. 153 Lagodny, Rechtsstellung, S. 94 f. 154 Lagodny, Rechtsstellung, S. 133 ff. 155 Lagodny, Rechtsstellung, S. 93 ff., 133 ff. 149
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Denn das moderne Verständnis des Eingriffs stelle nicht mehr auf dessen Finalität ab, sondern auf die belastende Wirkung staatlichen Handelns.156 In dieser Perspektive müsse der Staat auch die auf seinen Maßnahmen beruhenden und vorhersehbaren Auswirkungen verantworten, die im Ausland eintreten. Sie seien ihm auch zurechenbar, weil es sich bei der Durchführung des Strafverfahrens bzw. der Strafvollstreckung im ersuchenden Staat (und deren ggf. grundrechtsrelevanter Ausgestaltung) nicht um mehr oder weniger zufällige Entwicklungen handle, sondern just um die Vorgänge, die mit der Auslieferung bewusst gefördert werden sollten.157 Es gehe dabei nicht um die Geltung der Grundrechte für den ausländischen Staat, sondern um die „Folgewirkungen staatlichen Handelns und ihre Grundrechtsrelevanz“.158 Deswegen könne auch nicht die Rede von einem „Export“ von Grundrechten ins Ausland sein, wie ihn manche Kritiker bemängeln (dazu noch S. 65). Das Völkerrecht erlaube es den Staaten gerade, Asyl zu gewähren bzw. von einer Auslieferung abzusehen, ohne dass darin eine Einmischung in die Angelegenheiten des fremden Staates gesehen werde.159 Umgekehrt könne die Annahme einer Pflicht, im Widerspruch zur eigenen Grundrechtsordnung auszuliefern, sogar als Zwang für den ersuchten Staat angesehen werden, sich eine fremde Rechtsordnung aufdrängen zu lassen.160 Auch die „Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“ führe zu keiner anderen Einschätzung, weil sie die Grundrechtsbindung deutscher Hoheitsträger nicht einschränke und ein völkerrechtlich zulässiges Verhalten nicht als „völkerrechts-unfreundlich“ bezeichnet werden könne.161 (3) Verhältnis zu den Interessen der Rechtshilfe Die (legitimen) Belange der Förderung fremder Strafverfolgung finden dementsprechend – in beiden Fallgruppen – nicht schon durch eine verfassungsimmanente Einschränkung des grundrechtlichen Schutzbereichs, sondern erst im Rahmen einer Abwägung auf der Ebene der Eingriffsrechtfertigung Berücksichtigung.162 Entscheidend kommt hinzu, dass dabei die „Völkerrechtsfreundlichkeit des
156 Lagodny, Rechtsstellung, S. 195 ff. („Effektbezogenheit“); Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 III Rn. 39; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 24 ff., 31. 157 Lagodny, Rechtsstellung, S. 204 ff. 158 Lagodny, Rechtsstellung, S. 194 f. gegen Voglers vermeintlich durchschlagendes Argument, der ausländische Staat könne die deutschen Grundrechte nicht verletzen. Siehe ferner Lagodny, Rechtsstellung, S. 161 ff. zur näheren Bestimmung der potenziell einschlägigen Grundrechte. 159 Lagodny, Rechtsstellung, S. 214 ff. 160 Lagodny, Rechtsstellung, S. 220 f. 161 Lagodny, Rechtsstellung, S. 224 ff. Völkerrechtlich zulässig sind solche Vorbehalte jedenfalls im „vertragsfreien“ Rechtshilfeverkehr, wo keine vertragliche Pflicht besteht; zur Kollision mit solchen Pflichten S. 60. 162 Lagodny, Rechtsstellung, S. 211 f., 256 f.
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Grundgesetzes“ nicht als Selbstzweck,163 sondern letztlich als Vehikel für (fremde) Strafverfolgungsinteressen fungiert, denen kein absoluter Vorrang zukommt, sondern die bei der Abwägung im Einzelnen auf ihren Feingehalt untersucht werden.164 Ausgangspunkt der Überlegung ist die Frage, welche Eingriffe in einem innerstaatlichen Strafverfahren gerechtfertigt wären, von wo aus „dann die auslieferungsspezifischen Momente die Abwägung verändern“ würden.165 Ähnlich wie die Grundrechtsgeltung begründet Lagodny die Anwendbarkeit der EMRK: Auch deren Gewährleistungen seien überwiegend „folgenbezogen“ und würden deshalb auch – Kausalität und Vorhersehbarkeit vorausgesetzt – die weiteren Folgen staatlichen Handelns im Ausland erfassen.166 Lagodny behandelt die Geltung von Grund- bzw. Menschenrechten zunächst unter Betrachtung des „vertragslosen“ Auslieferungsverkehrs, des Bereichs also, wo keine vertraglich begründete Pflicht des Staates zur Auslieferung besteht. Wo eine solche Pflicht existiert, entstehe ein Konflikt, der innerstaatlich zugunsten des höherrangigen Rechts, der Grundrechte, aufzulösen sei, denn zur Vornahme eines innerstaatlichen „Auslieferungs-Vollzugsakts“, der gegen die Grundrechte verstieße, könne der Staat nicht befugt sein.167 Im Verhältnis zum ersuchenden Staat bleibe nur die „politische Lösung“, ihn zur Zurückziehung des Ersuchens zu bewegen oder aber eine Verletzung des Völkerrechts in Kauf zu nehmen. (4) Subjektive Rechtsstellung, aber welche? Die Grundrechte nehmen in diesem Ansatz also eine bevorzugte Stellung ein, indem sie der Rechtshilfe Grenzen setzen. Dabei geht Lagodny allerdings – wie selbstverständlich – von der Rechtshilfetheorie aus, wenn er betont, dass das Verfahren der Rechtshilfe im ersuchten Staat kein Strafverfahren sei.168 Daraus folgt zum einen, dass bestimmte Grundrechte von vornherein keine Anwendung finden sollen, nämlich diejenigen, welche nicht schlicht „folgenbezogen“ seien, sondern an „ein 163
Vgl. die Nachweise S. 28 ff. zu diesem und ähnlichen Topoi wie der „Solidarität zwischen Staaten“, die den Bezug zur dahinterstehenden Strafrechtspflege verschleiern. 164 Lagodny, Rechtsstellung, S. 138 f., 254. Es geht dabei um Einzelheiten wie etwa die Schwere des Tatvorwurfs, wenn die Auslieferung in ein fernes Land einen erheblichen Eingriff in das Familiengrundrecht des Art. 6 bedeuten würde, dazu Lagodny, Rechtsstellung, S. 149 f.; für die „auslandskausalen“ Fälle s. auch ibid., S. 231 ff. 165 Lagodny, Rechtsstellung, S. 148 ff. Zur eigenen Lösung aus grundrechtlicher Perspektive S. 69 ff., 98 ff., aus strafprozessualer Sicht näher S. 130 ff., 141 f.; zu Modifikationen am Beispiel der Tatverdachtsprüfung S. 147 ff. 166 Lagodny, Rechtsstellung, S. 108 ff., 115 ff. 167 Lagodny, Rechtsstellung, S. 256 f. Anders ist es bei Rechten der EMRK, die – in Deutschland – nur im Rang eines einfachen Gesetzes steht, Meyer-Ladewig, EMRK, Einl. Rn. 33. 168 Lagodny, Rechtsstellung, S. 5, 318 f., 351 f. Er will daraus sogar die Konsequenz ziehen, das Verfahren bei den Verwaltungsgerichten anzusiedeln, ibid. S. 355 sowie ders. StV 2005, 515, 519.
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bestimmtes Staatshandeln“ anknüpften, namentlich an die Durchführung eines Strafverfahrens: die Prozessgrundrechte der Art. 104 III GG,169 6 EMRK (fair trial)170 sowie 103 II GG bzw. 7 EMRK (nulla poena sine lege).171 Im letztgenannten Fall hat dies zur Konsequenz, dass er das traditionelle Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit für verzichtbar hält,172 was nur ein Aspekt der zweiten Limitierung seines Ansatzes ist: Im Anschluss an die Rechtshilfetheorie ist eine Autonomie des Rechtshilfeverfahrens angelegt (dazu schon S. 42, 52 ff.), so dass dem Betroffenen prinzipiell keine strafprozessuale Stellung eingeräumt wird. Stattdessen errichten die Grundrechte mehr oder weniger (Stichwort: Abwägung) bestimmte äußerste Grenzen, ohne aber der Rechtsstellung des Einzelnen präzise Konturen zu verleihen, wie es ein Rückgriff auf das dichte Regelungsgefüge des Strafprozessrechts tun würde.173 Die Anregung, das Verfahren den Verwaltungsgerichten zuzuweisen,174 ist nur konsequent, bestätigt aber zugleich die kategoriale Abkehr vom strafprozessualen Status. Damit sind auch die Rechtsschutzmöglichkeiten des Auszuliefernden vorgezeichnet. Die dreidimensionale Sichtweise hat zwar einerseits das Verdienst, dass die Grundrechtsgeltung über Art. 19 IV GG einen lückenlosen Rechtsschutz im Auslieferungsverfahren mit sich bringt.175 Indem ihm u. a. durch die bloß formelle Prüfung der Schutz des Art. 104 III GG abgeschnitten wird, wird der Auszuliefernde andererseits aber nicht mit allen Einwänden gehört, die er gegen die Verfolgung vortragen könnte, insbesondere nicht was den Tatverdacht angeht. Dessen Prüfung hat freilich ihren angestammten Ort in aller Regel im Ausgangsverfahren im ersuchenden Staat,176 und Lagodny nimmt insofern auch keine fatale Einschränkung wie Vogler177 vor; aber auch in seinem dreidimensionalen Modell, welches auf zwei Rechtsordnungen abstellt, nämlich die völkerrechtliche und die des ersuchten Staates,178 kommt das Ausgangsverfahren nicht vor, bleibt es also bei der Seg169
Lagodny, Rechtsstellung, S. 318. Lagodny, Rechtsstellung, S. 123. 171 Lagodny, Rechtsstellung, S. 351. 172 Ibid.; dass auch andere mögliche individualrechtliche Ableitungen (dazu S. 154 ff.) abgelehnt werden, liegt daran, dass die beiderseitige Strafbarkeit als bloßer Ausfluss staatlicher Souveränität und Interessen angesehen wird, S. 48 ff., ähnlich Keijzer, Handbook on the European Arrest Warrant, 137, 138. 173 Zu den wenigen aus den Grundrechten abzuleitenden Vorgaben später umfassend Lagodny, Schranken. 174 Lagodny, Rechtsstellung, S. 355; ders., StV 2005, 515, 519. 175 Und zwar schon de lege lata durch entsprechende Auslegung des IRG, Lagodny, Rechtsstellung, S. 265 ff., 349 f. 176 Siehe bereits S. 49 zu Lammaschs grundlegenden Ausführungen. 177 Dazu S. 53 f. 178 Lagodny, Rechtsstellung, S. 343; s. aber später seine Anerkennung der „transnationalen Verfahrenseinheit“, die das Ausgangsverfahren einschließt, pars pro toto in: S/L/G/H, Einl. Rn. 140. 170
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mentierung des Rechtsschutzes gegen ein und denselben Eingriff (dazu noch S. 143 f.). Nur ausnahmsweise soll aus den Grundrechten eine Pflicht zur Prüfung des Schuldverdachts im ersuchten Staat und ein entsprechender subjektiver Anspruch des Beschuldigten folgen, wobei aber unklar bleibt, wann Grundrechte „zur Debatte“ stehen und eine solche Prüfung eröffnen sollen.179 dd) Einwände gegen Lagodnys Thesen in Literatur und Rechtsprechung Dass die Grundrechte für Eingriffe der deutschen Staatsgewalt gelten, auch wenn diese im Interesse eines ausländischen Staates erfolgen, ist von Lagodny verfassungsdogmatisch sauber und mit durchschlagenden Argumenten herausgearbeitet worden. Ebenso zwingend ist es, die zwangsweise Übergabe einer Person durch einen Staat als eingreifenden Hoheitsakt dieses Staates zu würdigen. Dabei bietet die Grundrechtsdogmatik Möglichkeiten, den fremden Strafverfolgungsinteressen in weitem Umfang Rechnung zu tragen und errichtet keine „übermäßigen“ Hürden.180 Umso erstaunlicher ist es deshalb, dass die Erkenntnis der prinzipiellen Grundrechtsgeltung sich nicht schon früher gebildet hat und auch in jüngerer Zeit, teilweise heftig, zurückgewiesen wird.181 (1) Ausschließliche Vertragsnatur der Rechtshilfe Voglers fundamentaler Einwand, wonach es schon an einem in der innerstaatlichen Rechtsordnung relevanten Eingriff fehle und deshalb die Grundrechte nicht anwendbar seien, ist eine Folge seiner Hypostasierung des völkerrechtlichen Vertrags und vermag wie diese selbst nicht zu überzeugen.182 Letzten Endes desavouiert ihn Vogler selbst, indem er auch spezielle innerstaatliche Grenzen anerkennt (in Deutschland Art. 16 II GG und selbst die einfachgesetzlichen Vorschriften des IRG, s. o. S. 53): Wenn die Auslieferung in der innerstaatlichen Rechtsordnung keine Relevanz hat („neutral ist“, wie er schreibt), warum soll sie dann überhaupt in ir179 Lagodny, Rechtsstellung, S. 317 ff., 327; s. jetzt i.E. Lagodny/Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 10 IRG Rn. 36 ff. zum eigenen Lösungsvorschlag s. u. S. 145 ff. 180 Das ist die Kehrseite der Permissivität der Grundrechte (Lagodny, Rechtsstellung, S. 224 ff.; ders., in: S/L/G/H, § 73 Rn. 14; ausf., auch und gerade für das innerstaatliche Recht: ders., Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte [1996], 367 ff., 531 f. und passim). Die von Lagodny gebildeten Beispiele der drohenden schweren Gesundheitsschädigung in Haft, etc., sind insofern beredt. 181 Siehe nur Vogler, GA 1996, 569, 571: „Dass es sich bei den sog. ,Gegenrechten‘ um eine reine Fiktion handelt, ist so evident, dass ihre bloße Erwähnung schon eine unverdiente Aufwertung bedeutet.“ 182 Siehe bereits S. 42, 55 f. Auch Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 11 notiert, es sei „künstlich“, Rechtshilfehindernisse ausschließlich über zwingendes Völkerrecht erklären zu wollen.
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gendeiner Hinsicht an ihr gemessen werden? Das Argument der Ausschließlichkeit der völkerrechtlichen Vertragsnatur ist nicht teilbar und kann deshalb für Voglers Ansicht nicht widerspruchsfrei in Anspruch genommen werden. Übrig bleibt die bloße Behauptung, die „Auslieferung selbst als ein Akt der Überstellung in ausländische Gerichtshoheit [sei] ein ,neutraler‘ Akt.“183 Im Bezug auf die physische Verbringung in ein anderes Land kann eine solche Aussage nur als kontrafaktisch bezeichnet werden. (2) Art. 16 II 1, 16a I GG als leges speciales Ein subtilerer, verfassungsdogmatischer Einwand stützt sich auf eine Auslegung der Art. 16 II 1, 16a I (letzterer früher Art. 16 II 2) GG, der zufolge die dort normierten ausdrücklichen Auslieferungsverbote abschließend seien, diese Vorschriften also leges speciales zu den übrigen Grundrechten. Vogler stellt insbesondere auf das Asylgrundrecht des Art. 16 II 2 a.F. (heute Art. 16a I) ab, das als explizite verfassungsrechtliche Auslieferungsschranke eo ipso auch die einzige sei.184 Das versucht er mit dem Willen des Verfassungsgesetzgebers zu untermauern, der einen ausdrücklichen Grundrechtsvorbehalt bei der Auslieferung verworfen und schließlich nur die Formel „politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ angenommen habe.185 Daraus folgt aber nicht zwingend, dass dieses in seinen Voraussetzungen engere Asylrecht die übrigen Garantien der Verfassung verdrängen würde. Es ist nämlich zugleich in seinen Rechtsfolgen insofern weiter, als es eine absolute Schranke gegen Auslieferung oder Ausweisung errichtet, wo die Grundrechte nur einen der Abwägung zugänglichen Schutzbereich eröffnen (s. o.); ein förmlich und prägnant proklamiertes Asylrecht behält also auch neben diesen seinen guten Sinn und steht zu ihnen weder im Widerspruch noch notwendig in einem Exklusivitätsverhältnis.186 Für die Annahme eines „Nebeneinander“ spricht ferner, dass das Asylrecht als unmittelbar (nur) zwischenstaatlich geltendes Institut des Völkerrechts auch subjektiv-rechtlich verbürgt werden sollte,187 während die Grundrechte als Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung unmittelbar nur, aber eben auch umfassend (Art. 1 III), das Verhältnis des Staates zum Bürger betreffen, weshalb ihre Anwendung anspruchsvollere Voraussetzungen an die Zurechnung einer (drohenden) Behandlung in einem fremden Staat stellt.188 Dass unter diesen Um183
In: 140 Jahre GA, S. 251, 258; krit. Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 38. Vogler, in: 140 Jahre GA, 251, 256 ff. 185 Vogler, in: 140 Jahre GA, S. 251, 259; Kreuzberger/Wahrendorf, S. 27; ausführliche Dokumentation in JöR 1 (1951), 165 ff. 186 Lagodny, Rechtsstellung, S. 180 ff., 184, der dies mit dem Bild sich schneidender Kreise beschreibt. 187 Maunz/Dürig-Randelzhofer, Art. 16a GG Rn. 2; Kreuzberger/Wahrendorf, S. 27 f.; s. bereits S. 46 ff. 188 Dazu S. 58 ff. Der entscheidende Unterschied ist der, dass es in diesem Zusammenhang gar nicht um eine (völkerrechtliche) Schutzpflicht geht, die dem anderen Staat offensiv ent184
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ständen auf die ausdrückliche Erwähnung der Grundrechtskonformität der Auslieferung verzichtet wurde, ist schließlich dadurch zu erklären, dass der Eindruck vermieden werden sollte, die fremde Rechtsordnung selbst werde – normlogisch nicht schlüssig – am Maßstab des Grundgesetzes gemessen,189 muss aber nicht bedeuten, dass das eigene Staatshandeln schon wegen einer fremdstaatlichen Vermittlung von der Grundrechtsbindung freigestellt sei.190 Eingehender hat Schünemann das besagte Spezialitätsverhältnis damit zu begründen versucht, dass aus Art. 16 II 1, dem Auslieferungsverbot für Deutsche, e contrario die Zulässigkeit der Auslieferung von Ausländern folge, die deshalb eo ipso mit den Grundrechten vereinbar sei, und zwar in ihrem von der Tradition geprägten, „vorverfassungsrechtlichen Gesamtbild“.191 Dieser Schluss von der grundsätzlichen Zulässigkeit der (tradierten) Auslieferung auf ihre umfassende grundrechtliche Unbedenklichkeit erscheint allerdings brüchig: Es kann nicht richtig und auch kaum die Intention der Schöpfer des Grundgesetzes gewesen sein, einen grundrechtsfreien Raum zu bewahren, der jeden einzelnen Aspekt der überkommenen Auslieferungspraxis beinhalten würde192 (ebenso wenig wie sonst im Grundgesetz genannte Regelungsbereiche in ihrer tradierten Form eine Einschränkung grundrechtlicher Schutzbereiche vermitteln193). Nichts anderes würde aber, wenn auch in „gegegen gehalten würde (dazu die folgende Fn.), sondern um die Grenzen der eigenen Eingriffsbefugnis, deren bloßer Reflex die Nicht-Auslieferung ist. 189 Dazu S. 65 f. Das Motiv diplomatischer Vorsicht, beinahe Resignation, bestätigt auch die bemerkenswerte Erklärung des Abgeordneten v. Mangoldt für die Streichung des Grundrechtsvorbehalts, „dass wir nicht mehr vorsehen dürfen als das allgemeine Völkerrecht vorschreibt. Wir sind eine schwache Nation, und ohne die Mittel, weitergehenden Schutz zu gewähren, können wir nicht etwas tun, wofür wir selbst nicht die entsprechenden Mittel zur Hand haben, um es zu gewährleisten.“ (s. die Dokumentation in JöR 1 [1951], 165). 190 Zur Verantwortung für zurechenbare Folgen des staatlichen Handelns näher S. 59. 191 Schünemann, in: 140 Jahre GA, 215, 219 f. 192 Was auch Schünemann a.a.O., S. 220, allerdings über die partielle Brücke der (objektiv verstandenen) „politischen Verfolgung“ nur in Gestalt eines „rechtsstaatlich-menschenrechtliche[n] Kernbereichs“, anerkennt. 193 Was bezeichnenderweise für den Strafvollzug erst spät in Gestalt der Überwindung des „besonderen Gewaltverhältnisses“ in BVerfGE 33, 1 ff. nachvollzogen wurde. Dass die Grundrechtsgeltung in der Rechtshilfe wie jene einen „weißen Flecken auf der Landkarte der Grundrechte der im Geltungsbereich des Grundgesetzes sich aufhaltenden Menschen tilgen würde“, betont auch Schünemann, ibid., S. 219, hielte es aber in der Konsequenz für unabweisbar, das formelle Prüfprinzip (dazu S. 53, 60 sowie S. 145 f.) aufzugeben und damit „eine Zensorrolle der deutschen Justiz [zu] usurpier[en], die das heutige System der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen sprengen würde.“ (ibid., S. 229). Wie noch zu zeigen sein wird, ist die Beibehaltung einer zurückhaltenden Prüfung allerdings grundsätzlich auch unter der Prämisse einer umfassenden Grundrechtsgeltung legitimierbar (näher S. 145 ff.; davon geht auch Lagodny aus, krit. Schünemann, ibid., S. 218 f.), wie auch sonst die Grundrechte nicht schrankenlos sind und deshalb einen (im Großen und Ganzen) der Tradition entsprechenden Rechtshilfeverkehr keineswegs blockieren müssen (s. o. S. 59). Das Argument der Lahmlegung (oder auch: Erschwerung) der traditionellen Rechtshilfe ist überdies als solches ein naturalistischer Fehlschluss (Schünemann, ibid., S. 217 f.). Eine generelle Schutzbereichsein-
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dämpfter“ Form, eine auf den „Kernbereich“ zurechtgestutzte Grundrechtsanwendung bewirken. Überzeugender ist es deshalb, die Vorschrift zwanglos so zu deuten, dass Auslieferung unter dem Vorbehalt der Achtung der Grundrechte zulässig sei, welche also die Auslieferung nur, aber immerhin, in deren (gar nicht so schmalem) rechtsstaatlich einwandfreien Kernbereich unberührt lassen. (3) Einwand des unzulässigen „Grundrechtsexports“ Ein weiterer Einwand lautet, die Anwendung nationaler Grundrechte als Auslieferungs-„Gegenrechte“ führe das „Weltrechtsprinzip“194 für Grundrechte ein und gebe der Versuchung nach, „fremde Rechtsordnungen an der deutschen Verfassungselle zu messen und sich als Folge eines gutgemeinten Grundrechts-Paternalismus am Ende den Vorwurf eines teutonischen Grundrechts-Imperialismus zuzuziehen“195. Neben der befremdlichen Verknüpfung zwischen den Grundrechten und der Gewalt suggerierenden Wortwahl muss auch der Inhalt des Arguments überprüft werden:196 Wenn eine fremde Rechtsordnung aus grundrechtlicher Sicht geprüft wird, zeugt das vom imperialistischen Bestreben eines Staates, seinen Herrschaftsbereich in andere Gebiete der Welt auszuweiten – oder doch nur von der Sorge, das eigene hoheitliche Handeln auf dem eigenen Staatsgebiet nicht in ein Vorgehen zu verstricken, das mit der eigenen verbindlichen Rechtsordnung nicht mehr zu vereinbaren ist? Es kann sich denknotwendig nur um Letzteres handeln, denn das Handeln eines (hier: des ersuchenden) Staates kann nicht durch die Rechtsordnung eines anderen angeleitet sein.197 Bei Lichte betrachtet stellt sich vielmehr die Frage, wann eine (drohende) Behandlung, die den Grundrechten des ersuchten Staates widerspricht, diesem zuzurechnen ist bzw. wäre. Jedenfalls kann es nicht sein, dass er sehenden Auges einen Bürger ans Messer (aus)liefert; ob und wieweit der ersuchte Staat jenseits evidenter Fälle (Beispiel: Die drohende Vollstreckung einer Leibesstrafe gegen den Auszuliefernden steht aufgrund rechtskräftigen Urteils im ersuchenden Staat fest) für mittelbare Folgen seines Handelns verantwortlich ist, wird noch zu untersuchen sein (S. 180, 185 ff.).
schränkung ist nach alledem nicht nur schwer begründbar (dazu im Text), sondern auch nicht angezeigt (s. noch S. 113 ff.). 194 Vogler, a.a.O. S. 257. Der Sache nach erklärt Schünemann, in: 140 Jahre GA, 215, 220 einen solchen Einwand in dem Fall für berechtigt, in dem jede Diskrepanz zwischen dem eigenen Verfahrensrecht und demjenigen des ersuchenden Staates zum Rechtshilfehindernis erhoben würde; das freilich ist weder das Anliegen Lagodnys noch des hier vertretenen Ansatzes (zur Auswahl und Synchronisation der Verfahrensordnungen ausführlich S. 124 ff.). 195 Isensee, VVDStL 32 (1974), 49 ff., 63 m. Fn. 38; zust. Vogler, in: 140 Jahre GA, 251, 262. 196 Krit. auch Lagodny, Rechtsstellung, S. 223 f. 197 Ebenso Lagodny, Rechtsstellung, S. 194 f. Insofern zustimmend auch Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 39 und die Ansätze der Rechtsprechung, die die verfassungsrechtliche Ordnung dem Grunde nach, wenn auch inhaltlich ausgedünnt, anwenden wollen (dazu S. 66).
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Die Ausrichtung der Rechtshilfe an der national-verfassungsrechtlichen Ordnung steuert also weder die Akte anderer Hoheitsträger, noch kann sie dies auch nur, sondern belässt lediglich die Staatsmacht des ersuchten Staates in den Schranken, die ihr im Allgemeinen auferlegt sind. Der Einwand des „Exportverbots“ für Grundrechte greift also nicht durch – umgekehrt müssten seine Vertreter begründen, warum ein Import abweichender ausländischer Standards198 angezeigt sein sollte. (4) Einwand der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes Eine etwas abgemilderte Form des „Exportverbots“ wird von der heute überwiegenden Rechtsprechung und Literatur vertreten. Sie besteht darin, einen innerstaatlichen Hoheitsakt anzuerkennen und prinzipiell sowohl am völkerrechtlichen Mindeststandard als auch an der nationalen verfassungsrechtlichen Ordnung messen zu wollen, wobei die anwendbaren nationalen Grundrechte aber für den internationalen Rechtshilfeverkehr schon in ihrem Schutzbereich begrenzt sein sollen.199 Weil als solche immanente Schranken nur Güter von Verfassungsrang taugen,200 müssen sie in der deutschen Rechtsordnung im Grundgesetz radiziert werden. Hierfür wird das Verfassungsprinzip der „Völkerrechtsfreundlichkeit“ herangezogen, das sich insbesondere in den Art. 24 ff., 32, 59 GG ausdrückt und als solches anerkannt ist.201 Aus diesen Normen, welche die Übertragung von Hoheitsrechten und Vertragsschlüsse mit anderen Staaten regeln, lässt sich aber nicht unmittelbar schließen, dass eine ebenso vage wie folgenreiche „Freundlichkeit“ gegenüber dem Völkerrecht per se den deutschen Staat im Innenverhältnis zum Bürger (!) von den ansonsten bindenden Grundrechten freistellen solle.202 In den Worten des Bundesverfassungsgerichts: „Aus dieser Grundeinstellung folgt aber noch keine Verpflichtung zur uneingeschränkten Anwendung fremden Rechts durch inländische Hoheitsträger auf Sachverhalte mit Auslandsbeziehung; erst recht läßt sich dem Grundgesetz nirgends ein genereller Vorbehalt dahin entnehmen, daß insoweit die Grundrechte zurücktreten müßten.“203 Zur Konkretisierung der „Völkerrechtsfreundlichkeit“ wird deshalb ausgeführt, dass sie gebiete, fremde Rechtsordnungen zu „achten“204 (mehr als die eigene?) und 198
Lagodny, in: S/L/G/H, § 73 IRG Rn. 20. Ausführlich dazu Lagodny, in: S/L/G/H, § 73 IRG Rn. 7 ff. m.w.N. 200 Lagodny, Rechtsstellung S. 211 f. m.w.N.; Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 Abs. 3 Rn. 43, der ein „uferloses Kollisions- und Beschränkungspotential, das sich aus der Mobilisierung von Kompetenzbestimmungen als normativer Hort von Verfassungsgütern ergeben kann“, anmahnt. Zur ähnlichen Situation bei Art. 82 AEUV für das „Prinzip gegenseitiger Anerkennung“, näher S. 221 f., 247 f. 201 Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 25 Rn. 6 ff.; Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 24. 202 Siehe auch S. 58 f. zu Lagodnys verfassungsdogmatischer Argumentation. 203 BVerfGE 31, 58, 76. 204 BVerfGE 75, 1, 17. Siehe aber auch BVerwGE 78, 285, 293: „Eine Einbeziehung der im Ausland eintretenden Folgen ist ferner nicht deshalb ausgeschlossen, weil die deutsche Hoheitsgewalt grundsätzlich die Eigenständigkeit fremder Rechtsordnungen zu respektieren hat 199
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dass die Fähigkeit der BRD zur Teilnahme am internationalen Rechtshilfeverkehr205 gesichert werden müsse. Daraus wird gefolgert, der Schutzbereich der Grundrechte sei ab ovo auf den Gehalt „zwingender, unabdingbarer verfassungsrechtlicher Grundsätze der Bundesrepublik Deutschland“206 zurechtzustutzen. Die Erforderlichkeit einer solchen „Selbstbeschränkung“ ist jedoch, soweit ersichtlich, stets nur postuliert und nicht stringent begründet worden. Macht man sich klar, dass eine solche grundrechtsbezogene „Selbstbeschränkung“ in Wirklichkeit das Gegenteil ist, nämlich eine Entfesselung der Hoheitsgewalt, eine Art „völkerrechtsfreundlich“ motivierter Vertrag zu Lasten Dritter (des Verfolgten), so kann und muss man von ihren Verfechtern eine gute Begründung erwarten. Sie müsste mit dem Nachweis beginnen, dass die reguläre Grundrechtsgeltung die Teilnahme Deutschlands am internationalen Rechtshilfeverkehr tatsächlich behindern würde.207 Außerdem müsste dargelegt werden, dass die „erleichterte“ Form der Grundrechtsgeltung vor den strafprozessualen Prinzipien Bestand haben kann. Dass die Belange der grenzüberschreitenden Durchsetzung des Strafrechts innerhalb der Grundrechtsdogmatik ohne Weiteres in Gestalt von GrundrechtsSchranken verarbeitet werden können, hat Lagodny gezeigt (S. 59); im Sinne der dogmatischen Reflektion ihrer Berechtigung (Stichwort: Güterabwägung) ist das auch wünschenswert.208 Eine pauschale Schutzbereichseinschränkung dagegen geht den umgekehrten Weg, indem sie davon ausgeht, dass die Grundrechte nicht als solche, in ihrer konkretisierten Form, anwendbar seien, sondern nur in einem ungewissen Kerngehalt, und legen so demjenigen die Argumentationslast auf, der bestimmte Konstellationen zu diesem Kernbereich rechnen will. Es entsteht also eine Vermutung gegen den grundrechtlichen Schutz des Einzelnen – ohne dass dargetan wäre, dass diese Lösung dem Schranken-Ansatz wirklich überlegen wäre.209
[…]. Denn die deutsche Staatsgewalt ist dadurch nicht gehindert, bei innerstaatlichen Maßnahmen den Grundsätzen ihrer Rechtsordnung Geltung zu verschaffen […]. Durch einen etwaigen Verzicht auf eine Ausweisung und den dadurch ausgelösten Verbleib eines Ausländers im Bundesgebiet wird nicht in eine fremde Rechtsordnung eingegriffen.“ 205 Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 39. 206 BVerfG a.a.O.; zust. Vogel, a.a.O. Krit. Lagodny, in: S/L/G/H, § 73 IRG Rn. 14a ff. 207 Verstanden nicht positivistisch, sondern als aus der Sicht einer kritischen Strafrechtswissenschaft legitimer Rechtshilfeverkehr, dazu S. 72 ff., 106 ff. und passim. Auch unabhängig davon sind erhebliche zu befürchtende Hindernisse nicht dokumentiert und speziell in Lagodnys System schon angesichts der begrenzten Reichweite der Grundrechte (o. Fn. 180) kaum ernsthaft zu erwarten. 208 Wobei freilich die Strafprozessrechtsdogmatik das feinere Werkzeug zur Verfügung stellt, s. bereits S. 30 ff. zum letztlich strafrechtlichen Zweck, der hinter jeder strafrechtlichen Rechtshilfe steht sowie S. 69 ff. zur „Renaissance“ der Rechtspflegetheorie sowie S. 145 ff., 169 ff. und passim zu dogmatischen Besonderheiten der transnationalen Konstellation. 209 Zum eigenen Ansatz s. noch S. 72 ff., 210 ff. und passim. Siehe i. Ü. für das internationale Privatrecht die Konkretisierung des ordre public durch die Grundrechte in Art. 6 S. 2 EGBGB.
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Auch abgesehen von der (umstrittenen) positiv-verfassungsrechtlichen Rechtslage in der BRD bedarf es einer Begründung, wenn ein Konflikt zwischen völkervertraglicher Auslieferungspflicht und nationalen Grundrechten zu Lasten letzterer aufgelöst werden soll. Wenn man von einer bottom-up-Perspektive ausgeht, also aus Bürgersicht auf einen Staat blickt, der für seine Eingriffe eine Rechtfertigung schuldet, dann kann dieser dazu nicht schlicht auf einen anderen Staat verweisen. Es geht aus dieser liberalen Perspektive primär um das Verhältnis des Bürgers zum Staat, der ihm im Rahmen von allgemeinen Schranken gegenübertritt; um diese aufzuweichen bedarf es eines guten, und zwar auch gegenüber dem Bürger durchgreifenden Grundes, soll das Individuum nicht auf dem Altar der Staatsräson geopfert werden. Die Frage der völkerrechtlichen Vertragstreue demgegenüber ist aus dieser Perspektive sekundär (näher zum Ganzen S. 72 ff.). ee) Fazit zur Entwicklung der „dritten Dimension“ Interessanterweise entfernte sich also die weitere Entwicklung in zweierlei Hinsicht von der Lammasch’schen Rechtspflegetheorie, und zwar in unterschiedliche Richtungen: Während die Anerkennung subjektiver Rechte, auch und gerade in der Völkerrechtsordnung, fortschritt, hat sich mit dem Siegeszug der Rechtshilfetheorie eine Ansicht durchgesetzt, die den Inhalt dieser Rechte autonom vom Strafprozessrecht bestimmen will. Die von Lagodny herausgearbeitete strikte Grundrechtsgeltung für hoheitliche Rechtshilfeakte einschließlich deren (vorhersehbarer) Konsequenzen erscheint als eine wohlbegründete Beschränkung der Staatsgewalt. Aber auch sie zieht insofern nur äußerste Grenzen, als sie unmittelbar auf die Grundrechte als Schranken zurückgreift und, wegen des Anschlusses an die Rechtshilfetheorie, weder die detaillierte Entfaltung dieser Rechte in den Formen des Strafverfahrens noch die spezifischen Prozessgrundrechte zum Ausgangspunkt nimmt.210 In Rechtsprechung und Literatur ist zumindest dem Grunde nach – entgegen der strengen Vertragstheorie Voglers – anerkannt, dass die Grundrechte der Rechtshilfe Grenzen ziehen.211 Deren Gehalt aber wird durch die Beschränkung auf einen „Mindeststandard“ reduziert und auch mit größerer Unbestimmtheit behaftet. Bestätigt hat sich damit, dass die Auseinandersetzung zwischen Rechtspflegeund Rechtshilfetheorie keine bloß theoretische ist, sondern sich auf die zentrale Problematik der Rechtsstellung des Beschuldigten maßgeblich auswirkt. In der Entscheidung für die Rechtshilfetheorie ist, auch unter der Prämisse uneingeschränkter Grundrechtsgeltung, eine Autonomie des Rechtshilfeverfahrens vom strafprozessualen Bezugsrahmen und damit eine signifikante Absenkung der Rechte
210 Siehe aber seine spätere Forderung nach Geltung der prozessualen Garantien, sogleich im Text. 211 Zum Sonderproblem des Vorrangs von EU-Recht s. u. S. 249 f.
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und Rechtsschutzmöglichkeiten des transnational Verfolgten gegenüber dem in dieser Beziehung höchsten Standard des Strafprozesses angelegt.212 b) Die strafprozessuale Rechtsstellung des Einzelnen als Ausgangspunkt Hier knüpfen neuere Ansätze an und vollziehen nahezu eine kopernikanische Wende, indem sie davon ausgehen, dass die transnationale Dimension eines Strafverfahrens sich nicht zu Lasten des verfolgten Individuums auswirken dürfe. Damit erwächst, zumindest implizit, die Rechtsstellung eines Beschuldigten in einem rein nationalen Strafverfahren zum Vergleichsmaßstab. aa) Konkretisierung der Rechtsstellung in Gestalt des „Verbots der Individualbenachteiligung“ Statt, wie es der klassischen Rechtshilfetheorie entsprechen würde, Rechtshilfe als ein eigenständiges Verfahren sui generis zu begreifen, gehen diese Ansätze davon aus, dass sie „Teil der gegen den Verfolgten durchgeführten Strafverfolgung insgesamt“213 sei. Sie betonen, dass die transnationale Dimension der Verfolgung sich nicht zu Lasten des Verfolgten auswirken dürfe: „Verbot der Individualbenachteiligung“.214 Im gleichen Sinne hat der internationale Strafgerichtshof für Ruanda in der Rechtssache Kajelijeli vs. The Prosecutor ausgeführt, „dass sich die international-arbeitsteilige Strafverfolgung nicht zu Lasten der festgenommenen Person auswirken darf.“215 Das leuchtet ein und stößt auch, zumindest im Grunde, nicht auf 212 Ebenso Braum, GA 2005, 681, 687, der den „prä-konstitutionellen Charakter“ einer so beschaffenen Rechtshilfe betont. S. o. S. 53 ff. zur Extremposition Voglers, aber auch die Ausführungen von Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 126 ff., 128 der den segmentierten Rechtsschutz in Deutschland darlegt, der „derart komplex“ sei, dass sich „verfassungsrechtliche Bedenken nicht von der Hand weisen lassen“ und „in einem Spannungsverhältnis zum Gebot effektiven Rechtsschutzes“ stehe. Das liegt einerseits an der Trennung zwischen Zulässigkeitsund Bewilligungsverfahren (dazu Vogel, ibid., Rn. 103 ff.), auch und gerade aber an der Trennung zwischen Strafverfahren im ersuchenden und Rechtshilfeverfahren im ersuchten Staat – Rn. 133 führt Vogel etwa aus, dass auf die Haftbeschwerde im ersuchenden Staat nur die innerstaatliche Zulässigkeit geprüft werde, also nicht die gesamte Tragweite des Haftbefehls; zugleich führt das formelle Prüfprinzip (in Deutschland: § 10 IRG) dazu, dass auch der ersuchte Staat nicht umfassend, namentlich nicht den Tatverdacht, prüft (näher S. 145 ff.). 213 So der Ausdruck von BVerfGE 61, 28, 34. Freilich hält das Gericht an der selbstauferlegten Beschränkung des grundrechtlichen Schutzbereichs fest (s. o. S. 66 f.). Zum Konzept der „international-arbeitsteiligen Strafverfolgung“ näher S. 113 ff. 214 S/L/G/H, Einl. Rn. 112 ff., 116; Schomburg, StV 1998, 153, 155. 215 Urteil vom 23. 5. 2005 – ICTR-98 – 44 A-A, Zitat aus der von Gut teilweise übersetzten Fassung in NJW 2005, 2934, para. 220; ebenso HansOLG Hamburg, NStZ 1988, 370; Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 38; S/L/G/H, Einl. Rn. 113, bezeichnen das als „eine Art Gleichheitssatz“, weisen aber in Rn. 119 zutreffend darauf hin, dass so vor allem auch die Freiheitsgrundrechte zum Tragen kommen. Eine konsequente strukturelle Betrachtung „von unten“, aus Sicht des Beschuldigten auf die rechtfertigungsbedürftigen Eingriffe in seine
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Widerspruch, und zwar auch nicht bei den Verfechtern einer nur eingeschränkten Grundrechtsgeltung.216 Es ist schwer vorstellbar, wie die These begründet werden sollte, der Verfolgte dürfe in seiner Rechtsstellung beeinträchtigt werden, nur weil das Verfahren grenzüberschreitend ist. Im Übrigen wirkt diese Maxime in beide Richtungen: Er soll auch nicht allein deshalb besser gestellt werden.217 Teilweise wurde die Forderung, der Verfolgte dürfe nicht schlechter gestellt werden, als „Meistbegünstigungsgebot“218 bezeichnet, was jedoch irreführend ist, weil der Begriff die Bevorzugung einer Seite suggeriert und denn auch in diesem Sinne verwendet wird, und zwar sowohl für die einseitige Begünstigung staatlicher Eingriffsmacht219 als auch für die Kumulation der Rechte des Beschuldigten aus beiden Strafrechtsordnungen.220 So einleuchtend das Benachteiligungsverbot im Grundsatz ist, so sehr ist sein Gehalt nur vermeintlich klar: Im Verhältnis wozu soll der Verfolgte nicht schlechter stehen? Die Frage kann erst im weiteren Verlauf der Untersuchung beantwortet werden (S. 80 ff., 124 ff.), fest steht aber jedenfalls, dass dieses Postulat, soll es irgendeinen Gehalt aufweisen, einen Bezugspunkt braucht. Das kann nicht dadurch erübrigt werden, dass Rechtshilfe von vornherein als eine Materie sui generis markiert wird.221 Aus dem Zweck transnationaler Strafrechtspflege, der letztlich immer auf die Durchsetzung von Strafrecht zurückgeführt werden muss (s. o. S. 30 ff.), folgt vielmehr, dass der Vergleichsmaßstab nur das Strafverfahrensrecht sein kann – welches, wird noch zu untersuchen sein (S. 124 ff.).222 In der Konsequenz von Lagodnys grundrechtbasiertem Ansatz (S. 58) steht die von ihm später formulierte Annahme, die Grundrechte dürften nicht „deshalb in geringerem Maße gewährt oder in höherem Maße eingeschränkt werden, weil in einem bestimmten Strafverfahren die Behörden oder Gerichte auch eines anderen Staates tätig werden sollen oder müssen.“223 Das soll ausdrücklich auch für den
Freiheit, könnte es erübrigen, den Gleichheitssatz dogmatisch zu entfalten, ließe sich aber an ihm messen (näher S. 124 ff., 131). Bereits 1892 hatte v. Bar, Lehrbuch, S. 321 notiert, dass die internationale Pflicht (in concreto: aus einem Auslieferungsvertrag) dem Staat nach innen nicht die Befugnis verleihe, in weiterem Maße in Freiheitsrechte einzugreifen. 216 Vogel, in: G/P/K, Rn. 41 vor § 1 IRG. 217 Ausdrücklich S/L/G/H, Einl. Rn. 10; Ziegenhahn, a.a.O.; s. noch S. 119. 218 S/L/G/H bis zur 4. Aufl. (dort Einl. Rn. 106). 219 S/L/G/H, Einl. Rn. 117 m.w.N. 220 So im von Schünemann herausgegebenen Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, 2006, Art. 4 Abs. 4 (näher ibid., S. 13). 221 Krit. auch S/L/G/H, Einl. Rn. 147 („zirkuläre[s] Argument“), 196. 222 Ähnlich Schomburg, StV 1998, 153, 156, der das Gebot, den Betroffenen weder besser noch schlechter zu stellen, ausdrücklich auch einfachrechtlich auf die Strafverfolgungsbehörden bezieht. 223 S/L/G/H, Einl. Rn. 118; wenig übrig für ein solches Desiderat hat Vogler, NStZ 1989, 254.
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strafprozessspezifischen Art. 104 III GG gelten.224 Das könnte im Sinne einer bloß „binären“ Beachtung, also Nicht-Verletzung von Grundrechten gemeint sein, zumal Lagodny an anderer Stelle eine vom innerstaatlichen Standard abweichende Rechtslage (namentlich: den Verzicht auf beiderseitige Strafbarkeit) ausdrücklich für zulässig hält, wenn die Grundrechte einer hypothetischen Pönalisierung in Deutschland nicht im Wege stünden.225 Doch gegen diese Lesart spricht bereits die Formulierung, keines der Grundrechte dürfte „nur deshalb in geringerem Maße gewährt oder in höherem Maße eingeschränkt werden, weil in einem bestimmten Verfahren die Behörden oder Gerichte auch eines anderen Staates tätig werden:“226 Denn jede nachteilig abweichende Rechtsposition gewährt die einschlägigen Grundrechte „in geringerem Maße“, ohne sie notwendigerweise zu verletzen. Das „Verbot der Individualbenachteiligung“ wird daher wohl so zu verstehen sein, dass die Grundrechte nicht nur überhaupt geachtet werden müssen, sondern im gleichen Maße, der Beschuldigte also im relevanten Bereich gleiche Rechte genießen solle. Bestätigt wird diese Interpretation, wenn weitergehend auch einzelne Vorschriften des einfachen Prozessrechts aufgrund dieses Verbots unterschiedslos im grenzüberschreitenden Verfahren angewandt werden sollen, so die Belehrungspflicht nach § 136 I S. 2 StPO,227 Grenzen der Telefonüberwachung228 oder § 140 StPO über die Pflichtverteidigung.229 In die gleiche Richtung deutet die Forderung, „dass es grundsätzlich keinen Unterschied machen darf, ob ein Verfolgter z. B. in Eupen (Belgien) oder in Aachen (Bundesrepublik Deutschland) festgenommen wird“.230 Eine solchermaßen verstandene Gleichstellung geht über die „bloße“ Grundrechtsgeltung hinaus und impliziert der Sache nach eine Anerkennung der Rechtspflegetheorie,231 freilich nicht in ihrer konkreten historischen Ausprägung bei Lammasch (S. 32 ff., 45 ff.), sondern in dem funktionalen Sinne, dass das Vorgehen 224 S/L/G/H, Einl. Rn. 137 ff. m.w.N. zur Diskussion; Schomburg, StV 1998, 153, 155; anders noch Lagodny, Rechtsstellung, S. 318. 225 In: S/L/G/H, § 3 IRG Rn. 2. Dazu S. 154 ff. 226 S/L/G/H, Einl. Rn. 118 (Hervorhebung durch den Verf.). 227 S/L/G/H, Einl. Rn. 142; dazu näher S. 138 f. 228 Ahlbrecht/Lagodny, StraFo 2003, 329, 334, stellen im Rahmen der „Meistbegünstigung“ auf § 100a StPO ab. 229 S/L/G/H, Einl. Rn. 201, 208; anders Lagodny, StV 2005, 515, 519, der die Garantien des Verwaltungsverfahrens im „Regelfall“ des Auslieferungsverfahrens für hinreichend hält, weil es dort nicht um die Klärung des Schuldverdachts gehe (dazu S. 34 f.). 230 Ahlbrecht/Lagodny, StraFo 2003, 329, 334. Das kann nur ceteris paribus gemeint sein, d. h. im Beispielsfall, dass der in Eupen respektive in Aachen Festgenommene in beiden Fällen die gleiche Tat am gleichen Ort begangen haben muss; es wäre ersichtlich widersinnig, eine gleiche Behandlung desjenigen, der in Antwerpen einen Mord begeht und in Eupen festgenommen wird mit demjenigen, der in Köln eine Bank ausraubt und in Aachen gefasst wird, zu fordern, schon weil in diesen beiden Fällen jeweils unterschiedliche Strafrechtsordnungen zur Anwendung kommen. 231 Bereits (kritisch) notiert von Vogler, in: 140 Jahre GA, S. 251, 256 Fn. 27; Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 12. Dem Begriff nach erfolgt eine solche Anerkennung allerdings nicht, s. Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 74 IRG Rn. 5 ff.
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eines Rechtshilfe leistenden Staates als Strafrechtspflege zu begreifen ist und dementsprechend das Prozessrecht dieses Staates im Prinzip zur Anwendung berufen ist.232 Auch in der Rechtsprechung scheint eine solche Orientierung mitunter bei der dogmatischen Bewältigung einzelner Beschuldigtenrechte durch, so wenn das Beschleunigungsgebot mit der Begründung angewendet wird, die Rechtshilfe sei „Teil der […] Strafverfolgung insgesamt“,233 oder die Notwendigkeit der Verteidigung im ersuchenden Staat darauf gestützt wird, dass das Auslieferungsverfahren „stellvertretende Strafrechtspflege“ des ersuchten Staates sei.234 In eine ähnliche Richtung, wenn auch mit Vorbehalten, argumentiert Vogel, der statt eines (von ihm sog.) „Gleichstellungs- oder Meistbegünstigungsprinzips“ für ein „Kombinationsprinzip“ eintritt, wonach die Staaten gemeinsam ein „Rechts- und Rechtsschutzniveau gewährleisten, das dem bei innerstaatlicher Strafverfolgung garantierten gleichwertig ist.“235 Auch er stellt damit in der Sache auf die strafprozessuale Rechtslage als Vergleichsmaßstab ab,236 wenn auch in den Folgerungen zurückhaltender. Es besteht also, auch bei grundsätzlicher Anerkennung der Idee des Benachteiligungsverbots, keine Einigkeit darüber, wie es im Einzelnen fruchtbar gemacht werden kann. Dabei hängt seine Tragweite zum Einen entscheidend davon ab, wie es konkret mit Inhalt gefüllt wird (näher S. 124 ff.); zum Anderen kommt es, wenn der Satz mehr als ein Lippenbekenntnis oder einen frommen Wunsch bilden soll, darauf an, ob und wie er sich operationalisieren lässt (S. 106 ff., 112). bb) Verhältnis von Individualrechten und staatlichen Interessen Um diese Fragen zu klären und die angeführten prozessualen Rechte in ein dogmatisches Gesamtgefüge einzubetten, muss zunächst die Rechtsposition des Bürgers ins Verhältnis zur zwischenstaatlichen Ebene gesetzt werden, was mit der Frage beginnt, welchen Rang diese jeweils in der Rechtsordnung einnehmen. Indem man, wie beschrieben, von der Rechtsstellung des Verfolgten ausgeht, findet die Abkehr von der alten völkerrechtlichen Vogelperspektive ihren Abschluss. Das ist nur konsequent, wenn man sich vor Augen führt, dass auch der Staat, der einem anderen Rechtshilfe zu dessen Strafverfolgung leistet, dem Beschuldigten in strafprozessualem Gewand gegenübertritt,237 und entspricht der Entwicklung vom Obrigkeits- zum liberalen Rechtsstaat. Mochte es in ersterem noch angehen, die 232
s. o. S. 37 ff., 39. Näher dazu und zu Differenzierungen S. 124 ff. BVerfGE 61, 28, 34. 234 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8. 9. 2011, III-4 Ws 495/11. 235 In: G/P/K, Rn. 41 vor § 1 IRG. Zu einem Vorschlag für ein solches „Kombinationsprinzip“ S. 124 ff., 188 ff., Fazit S. 210 ff. 236 Siehe auch ebda. Rn. 40: „… dürfen spezifisch strafprozessrechtliche Garantien nicht dadurch entwertet werden, dass sich der ersuchte Staat darauf beriefe, aus seiner Sicht handele es sich nicht um ein Strafverfahren“ sowie Vogel, in: ders./Grotz, Perspektiven des internationalen Strafprozessrechts, S. 1 ff., 8 f. 237 s. o. S. 30 ff. 233
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strafrechtliche Rechtshilfe als Angelegenheit der Staaten anzusehen, in der die Untertanen mehr oder weniger „Verfügungsmasse“ waren, so ist es in letzterem ausgeschlossen, den Bürger nur als Objekt staatlichen Handelns zu betrachten. Es ist vielmehr so, dass der Staat dem Bürger eine Rechtfertigung für seine Eingriffe schuldet. Im positiven Verfassungsrecht der BRD – das hier, wohlgemerkt, als Beispiel und nicht als einziger Maßstab dient – hat sich dies in einem umfassenden Gesetzesvorbehalt niedergeschlagen.238 Von der Ablehnung der monolithischen Vertragstheorie Voglers über die Anerkennung der Grundrechtsgeltung bis hin zur Formulierung des individualrechtlichen Benachteiligungsverbots ist diese liberalrechtsstaatliche Entwicklung im Rechtshilferecht nachvollzogen worden – bemerkenswerterweise mit einem de-facto-Anschluss an eine wohlverstandene Rechtspflegetheorie (s. o. S. 69 ff.). Freilich formulieren diese Ansätze kein „Gleichstellungsgebot“239 dergestalt, dass der Beschuldigte in einem transnationalen Verfahren in jeder Hinsicht zu behandeln sei wie in einem nationalen. Für die Position der Rechtsprechung und ihr zustimmender Autoren, die die Grundrechte im Lichte der „Völkerrechtsfreundlichkeit“ des Grundgesetzes einschränken wollen (dazu S. 66 f.), folgt dies schon aus der Begrenzung des grundrechtlichen Schutzbereichs. Aber auch die Verfechter umfassender Grundrechtsgeltung sprechen von der Herstellung „praktischer Konkordanz“240 zwischen Strafverfolgungs- und Individualinteressen. Wenngleich dies innerhalb der Grundrechtsdogmatik auf der nachfolgenden Stufe der Rechtfertigung eines Eingriffs angesiedelt ist, geht es doch um die Einschränkung von Individualrechten im Interesse der strafrechtlichen Zusammenarbeit. Den modernen Ansätzen ist darin zuzustimmen, dass die Beziehung des Staates zum Bürger eine zentrale Frage des Rechtshilferechts ist. Auch dass die (legitimen) Interessen der „Durchsetzung von Strafrecht weltweit“241 Berücksichtigung finden, ist nicht zu beanstanden. Fraglich ist aber, wie der Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen im Einzelnen realisiert werden kann. Wenn im liberalen Rechtsstaat Eingriffe in die Freiheit der Bürger der Rechtfertigung bedürfen und nicht umgekehrt, dann können die Interessen der zwischenstaatlichen Kooperation als solche nicht Ausgangspunkt der Überlegungen sein, weil sie wiederum nur auf staatliche Interessen verweisen. Im Sinne eines – auch normativ verstandenen – bottom-up-Ansatzes (S. 30) muss vielmehr von einem Primat der Individualrechte ausgegangen werden, die ja ihrerseits prinzipiell nicht 238 Allg. Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 III Rn. 1 ff.; für das Auslieferungsrecht Lagodny, Rechtsstellung, S. 61. Die Entwicklung blieb nicht ohne Schwierigkeiten, wie etwa die späte Überwindung des den Grundrechtsschutz im Strafvollzug blockierenden „besonderen Gewaltverhältnisses“ in BVerfGE 33, 1 ff. belegt. 239 So die Kritik von Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 41, an Lagodnys Thesen. 240 S/L/G/H, Einl. Rn. 119. Der Sache nach bereits Lagodny, Rechtsstellung, S. 148 ff., 211 ff. u. passim. 241 S/L/G/H, Einl. Rn. 109.
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rechtfertigungsbedürftig sind.242 Das bedeutet freilich nicht, dass ihnen keine Grenzen gezogen werden könnten. Soll der Einzelne aber nicht auf dem Altar der Staatsräson geopfert werden, müssen die staatlichen Interessen, die eine Beschränkung seiner Freiheit rechtfertigen, in geeigneter Weise spezifiziert werden. Die bloße Involvierung eines anderen Staates ist nicht geeignet, dieses Rechtfertigungsbedürfnis zu schmälern: Der Grundsatz nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet muss auch in diesem Zusammenhang gelten und den Befugnissen Grenzen ziehen, die der ersuchte Staat unter Verweis auf das Ersuchen eines fremden Staates für sich in Anspruch nehmen kann (s. noch S. 103 ff.). Dieser besitzt originär kein Recht des Zugriffs auf fremdem Territorium, kann dieses also auch nicht auf den ersuchten Staat übertragen. Letzterer kann daher keine Eingriffsbefugnisse unmittelbar aus seiner Beziehung mit dem anderen Staat herleiten; er kann sich nur, aber immerhin, dessen Strafverfolgungsinteressen zu eigen machen. Dabei sind Topoi wie die „Solidarität“ mit fremden Rechtsordnungen oder die „Völkerrechtsfreundlichkeit“ (s. bereits S. 28 ff., 59 f.) wenig ergiebig, verweisen sie doch wiederum nur auf Äußerliches, nämlich dass ein anderer Staat Träger der verfolgten Interessen ist. Diese Interessen müssen dem Bürger gegenüber substantiiert, nämlich auf ihren (einzig) legitimen Zweck der Durchsetzung von Strafrecht zurückgeführt werden.243 Ein Ausgleich muss dann zwischen den Individualinteressen und denjenigen der Strafrechtspflege hergestellt werden244 – nicht anders als im „normalen“ Strafverfahren, wo dies eine wesentliche Aufgabe des Prozessrechts ist.245 Wenn und soweit das dort fein austarierte Gleichgewicht im Fall transnationaler Strafverfolgung modifiziert werden soll, bedarf das der Begründung (dazu und zur Wahl der Referenz-Rechtsordnung näher S. 124 ff.). 242
Ebenfalls von der Ermächtigung im Verhältnis zum Individuum gehen ausdrücklich aus S/L/G/H, Einl. Rn. 58 ff. Auch Noltenius, ZStW 122 (2010), 604, 624 ff. betont die primäre Stellung des freien Einzelnen und leitet daraus Grenzen für ein europäisches Strafverfahrensrecht ab. Demgegenüber geht Vogler, GA 1996, 569, 577, den umgekehrten Weg, wenn er meint, „der Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung sollte ein Staat sich nur verweigern, wenn zwingende menschenrechtliche Belange entgegenstehen.“ Er geht damit vom Vorrang der staatlichen Interessen aus und überträgt die Begründungslast auf die Seite der bürgerlichen Freiheit; betrachtet man die Rechtshilfe als Teil arbeitsteiliger Strafrechtspflege (dazu im Text sowie S. 5 ff.), bedeutet dieser Ansatz, dass ein Staat Strafverfolgung in dem Maße betreiben solle, in dem es zwingende menschenrechtliche Belange (gerade noch) zulassen. 243 Siehe bereits S. 30 ff. Deshalb ist auch das Argument Kellers, Festschrift Dencker, 183, 197, die Last eines Strafverfahrens dürfe grundsätzlich auch dem Verfolgten auferlegt werden, zu pauschal, wenn er das ganz allgemein postuliert und nicht, wie im innerstaatlichen Verfahren, aus den Notwendigkeiten des Strafprozesses heraus begründet (wie etwa die von ihm angeführte U-Haft, die eine essentielle verfahrenssichernde Funktion hat; es ist nicht ersichtlich, dass eine abstrakt-generelle Verschiebung der Lasten des Verfahrens in der Rechtshilfe in vergleichbarer Weise den Zielen des Strafverfahrens dienen würde). 244 Ähnlich die Begriffe bei S/L/G/H, Einl. Rn. 119. 245 KK-Fischer, Einl. Rn. 1; LR-Kühne, Ein. B Rn. 33 – 36; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 3, 18 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 2.
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Der bloße Verweis darauf, es handle sich „nur“ um Rechtshilfe für einen anderen Staat246 und deshalb hätten andere Regeln zu gelten, bedeutete demgegenüber einen Rückfall in die alte Rechtshilfetheorie Voglerscher Prägung (S. 41 ff., 52 ff.) und wäre zirkelschlüssig247: Ob der ausländische Ursprung eine abweichende Behandlung des wegen des Verdachts einer Straftat Verfolgten rechtfertigt, ist gerade die Frage, der nicht einfach dadurch ausgewichen werden kann, dass man auf die angebliche Eigenständigkeit der Konstellation verweist. Aus liberal-rechtstaatlicher Perspektive ist es also konsequent, die Rechtsstellung des Verfolgten zum Ausgangspunkt zu nehmen, und zwar im Prinzip in der Ausprägung, die sie im Strafprozessrecht erhalten hat. Dabei ist keineswegs ausgeschlossen, dass den Besonderheiten der transnationalen Strafrechtspflege durch spezielle Regelungen Rechnung getragen wird, die allerdings einer substantiellen Rechtfertigung jenseits des formalen Verweises auf die Beteiligung eines anderen Staates bedürfen.248 cc) Zwischenfazit: Primat der Individualrechte Das in der modernen Diskussion vordringliche individualrechtliche Benachteiligungsverbot vollzieht für die Rechtshilfe eine zentrale Errungenschaft des liberalen Rechtsstaats nach: Das Primat des Individuums mit seinen Rechten gegenüber Interessen der Staatsmacht. Im Lichte dessen liegt der zutreffende dogmatische Ausgangspunkt für eine kritische Reflexion des Rechtshilferechts in der strafprozessualen Rechtsstellung des Einzelnen, deren Modifikation möglich, aber rechtfertigungsbedürfnig ist. c) Positivrechtliche Rahmenbedingungen der Rechtsstellung des transnationalen Beschuldigten in der EU Dementsprechend soll die besondere transnationale Konstellation aus einer bottom-up-Perspektive von strafprozessualen Strukturen ausgehend vermessen werden (näher S. 124 ff.). Dieser Ansatz zielt also ausdrücklich nicht darauf ab, aus höherrangigem Recht detaillierte Lösungen für die Rechtsstellung des Beschuldigten in grenzüberschreitenden Verfahren abzuleiten (zu dessen Aporien noch S. 91 ff., 98 ff.), weshalb eine eingehende Untersuchung oder gar Systematisierung der grundund menschenrechtlichen Kasuistik – die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde – erübrigt werden kann. Gleichwohl müssen die hier zu entwickelnden Ergebnisse (nicht nur, aber zumindest) vor den geltenden positiv-verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen bestehen, die deshalb kurz zu skizzieren sind. Entsprechend dem Gegenstand der Untersuchung wird hierzu der Rechtsraum der Europäischen Union 246 247 248
In diesem Sinne BGHSt 2, 44, 48. Zutr. S/L/G/H, Einl. Rn. 147; Keller, Festschrift Dencker, 183, 186. Eingehend dazu S. 124 ff.
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in den Blick genommen und Verfassungsrecht in einem weiten, materiellen Sinne verstanden, also unter Einschluss des „europäischen Verfassungsrechts“249. aa) Grund- und Menschenrechte im Allgemeinen Vorliegend können nicht sämtliche potentiell einschlägigen Grund- und Menschenrechte untersucht werden – insofern sei auf die eingehenden und sorgfältigen Untersuchungen zum Thema verwiesen250 –, sondern es soll nur deren genereller Umfang abgesteckt werden, wie er für die (auch transnationale) Strafrechtspflege Modellcharakter haben (S. 98 ff.) und Prüfstein sein kann (S. 211 ff.). (1) Umfassende Schutzbereichseröffnung Das Strafprozessrecht ist mit dem Verfassungsrecht eng verbunden und wird mitunter als „Seismograph der Staatsverfassung“251 bezeichnet, als „letztlich angewandtes Verfassungsrecht“252 oder auch als „Ausführungsgesetz zum Grundgesetz“253. Damit wird die besonders enge Verbindung von Verfassungsrecht und Strafprozessrecht zum Ausdruck gebracht: In letzterem treffen die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit und die Freiheitsinteressen des Einzelnen, wie sie von der Verfassung geordnet und in Ausgleich gebracht werden, so zugespitzt aufeinander wie auf keinem anderen Rechtsgebiet.254 Wenngleich man die Leistungsfähigkeit einer – notwendig allgemeinen – Verfassung zur Steuerung des Strafverfahrens nicht überschätzen sollte (S. 98 ff.), bedeutet das auch, dass das Verfassungsrecht, namentlich die Grundrechte und Menschenrechte, Vorgaben und Maßstäbe für die Gestaltung des Strafverfahrens und die Rechtsstellung des Beschuldigten aufstellen. Am Beispiel der deutschen Rechtsordnung hat Lagodny herausgearbeitet, dass die in der (nationalen) Verfassung garantierten Grundrechte auch für denjenigen gelten, der in einem grenzüberschreitenden Verfahren beschuldigt wird, und zwar nicht nur dem Grunde nach, sondern im gleichen Umfang.255 Nach dem gleichen Muster lässt sich begründen, dass die Garantien der EMRK und des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte256 (IPbpR) ihre Unterzeichnerstaaten auch binden, 249
Zu diesem prägnanten Begriff für das europäische Primärrecht s. nur v. Bogdandy/Bast, in: dies. (Hrsg.): Europäisches Verfassungsrecht, S. 1 ff. 250 Siehe etwa Lagodny, Rechtsstellung, passim und später ders., in: S/L/G/H, § 73 IRG Rn. 6a ff.; Keller, Festschrift Dencker, 183 ff.; speziell unter europäischen Aspekten eingehend Abetz, Justizgrundrechte in der EU; Paeffgen, ZStW 118 (2006), 275 ff.; Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte sowie ferner Braum, KritV 2006, 332 ff.; Blakesley, FS Trechsel, 191 ff. 251 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 2 Rn. 1. 252 Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Handbuch Grundrechte, Bd. 3, 2, 1959, S. 908 ff., 967. 253 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rn. 99. 254 Roxin/Schünemann a.a.O. 255 s. o. S. 57 ff.; zum Sonderproblem des Vorrangs von EU-Recht s. u. S. 249. 256 Vom 16. 12. 1966, in Kraft getreten am 23. 3. 1976, BGBl. 1973 II, S. 1533.
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wenn diese im Rahmen der strafrechtlichen Rechtshilfe vorgehen.257 Beide Abkommen gelten für sämtliche Staaten der Europäischen Union,258 ebenso wie die Charta der Grundrechte.259 Letztere steht zweifellos innerhalb der EU-Rechtsordnung im höchsten Rang des Primärrechts (Art. 6 I EUV) und ist auch für den EU„Gesetzgeber“ verpflichtend (S. 237 f., 241 f.), ebenso wie nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU die EMRK, deren förmliche Unterzeichnung durch die Union nur noch eine Frage der Zeit ist.260 Dagegen können die nationalen Grundrechte als Teil der staatlichen Rechtsordnung nicht den europäischen Gesetzgeber binden und sollen auch innerstaatlich unterhalb der EU-Rechtsakte stehen. Dem entspricht die zurückhaltende Linie des BVerfG, wenn es darum geht, letztere an den Grundrechten zu messen.261 Darauf wird noch zurückzukommen sein (S. 249); vorliegend soll es zunächst um die Substanz der grund- und menschenrechtlichen Gewährleistungen gehen, nicht um strittige Fragen der Normenhierarchie. Inhaltlich folgt aus den bisherigen Ausführungen, dass sowohl der ersuchende als auch der ersuchte Staat im Zusammenhang der Rechtshilfe Strafrechtspflege betreiben und die entsprechenden Garantien Anwendung finden müssen. Was für die Grundrechte des Grundgesetzes gilt, lässt sich auf die übrigen menschenrechtlichen Verbürgungen übertragen.262 Gerade für die EMRK und ihren Art. 6, der (unter anderem) spezifisch das Strafverfahren regelt, vertritt zwar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als autoritativer Interpret eine restriktive Linie und führt am Beispiel des Auslieferungsverfahrens aus, es handle sich dabei um kein Strafverfahren, weshalb nicht die Garantien des Art. 6 gälten (sondern nur die allgemeine Gewährleistung des Art. 5 II EMRK bei Freiheitsentzug).263 Das ist aber der Sache nach ein Erbe der Rechtshilfetheorie und ist den gleichen Einwänden wie diese ausgesetzt.264 Auch unter Autoren, die die Rechtspflegetheorie dem Begriff nach nicht anerkennen wollen, überwiegt die Ansicht, die unter Verweis auf das „international-arbeitsteilige Strafverfahren“265 Art. 6 in der Rechtshilfe für anwendbar 257 Lagodny, Rechtsstellung, S. 115 f.; ausf. Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 38, 272 ff., 517 ff. u. passim. 258 Liste der Mitgliedstaaten unter http://www.coe.int/de/web/portal/country-profiles bzw. https://treaties.un.org/Pages/src-TREATY-id-IV~4-chapter-4-lang-en-PageView.aspx (aufgerufen am 4. 9. 2014). 259 Mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Polens, s. Prot. Nr. 30 zum Vertrag von Lissabon (ABl. EU 2007/C 306 S. 156 f.). 260 Dazu Obwexer, EuR 2012, 115 ff.; zuletzt Brodowski, ZIS 2013, 455; Callewaert, StV 2014, 504 ff.; Voßkuhle, EuGRZ 2014, 165 ff. 261 BVerfGE 73, 339 (Solange II), ferner BVerfG, Beschluss v. 6.7. 2010 – 2 BvR 2661/06 (Honeywell/Mangold). 262 Zu den Grundrechten s. o. S. 58 ff., 69 ff. 263 Siehe LR-Esser, Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR Rn. 87; krit. SK-Paeffgen, Art. 6 EMRK Rn. 30; Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 34 vor §§ 21, 22, jeweils m.w.N. 264 Näher S. 30 ff., 52 ff. und passim. 265 Dazu S. 69 ff., zur eigenen Ansicht S. 113 ff.
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hält.266 Dass die EMRK selbst in Art. 5 I neben dem Strafverfahren (lit. c) das Auslieferungsverfahren (lit. f) aufführt und in Art. 5 III spezifische Garantien nur für ersteres statuiert, muss keine verbindliche Entscheidung gegen die Zugehörigkeit der Auslieferung zur Strafverfolgung bedeuten, sondern kann auch als eine – letztlich überflüssige – Verdoppelung verstanden werden.267 Die vermeintlich entgegenstehende Rechtsprechung des EGMR ist demgegenüber als solche ein reines Machtargument und wird auch vom Gerichtshof selbst nicht immer durchgehalten.268 (2) Eingriffsrechtfertigung: legitimer Zweck und Verhältnismäßigkeit Auch wenn man von einer prinzipiell umfassenden Geltung der Grund- und Menschenrechte ausgeht, kann in sie aufgrund von Gesetzen eingegriffen werden (soweit sie nicht vorbehaltlos gewährleistet sind). Insofern geht es aber, in der Sprache der Verfassungsdogmatik, nicht um die Herstellung „praktischer Konkordanz“ durch Einschränkung der grundrechtlichen Schutzbereiche, sondern erst auf einer weiteren Stufe um die Rechtfertigung von staatlichen Eingriffen, also darum, ob sie geeignet und erforderlich sind, einen legitimen Zweck zu erreichen und zu diesem Zweck in einem angemessenen Verhältnis stehen.269 Gleich um welche dieser Rechte es geht, spielt für die Rechtfertigung eines Eingriffs das letztgenannte Prinzip der Verhältnismäßigkeit eine entscheidende Rolle. Dieses Prinzip wird als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips nicht nur nach dem deutschen Grundgesetz, sondern auch nach den europäischen Menschenrechtsinstrumenten angesehen, weshalb ihm wegen dieser dem Grunde nach umfassenden Geltung eine entscheidende Bedeutung bei der (individualschützenden) Beschränkung der zwischenstaatlichen strafrechtlichen Zusammenarbeit, gerade in der EU, beigemessen wird.270 Seine weitgehende Anerkennung wird allerdings erkauft durch hochgradige Unbestimmtheit, die ihm die Bezeichnung als „großen
266 Böse, in: G/P/K, vor § 78 Rn. 31; LR-Esser, Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR, Rn. 87: „,Prolog‘ des eigentlichen Strafverfahrens“; Esser, ERA Forum 2003, 70, 85 f. (Anwendbarkeit von Art. 6 ab Festnahme, weil sich dann die „transnationale Verfahrenseinheit“ manifestiere); Schomburg/Lagodny, NStZ 2012, 348, 352 f.; Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 428 f. 267 Zum ähnlich gelagerten Fall der speziellen Auslieferungsschranke des Art. 16a GG im Verhältnis zu den allgemeinen Grundrechten S. 63 ff. Die strukturelle Frage nach der Zugehörigkeit zur Strafrechtspflege kann im Übrigen auch in der EMRK gar nicht entschieden werden. 268 Dazu S. 94 ff. und das Urteil in der Rs. Bijen, NStZ-RR 2011, 113, 114 (Tz. 41 f.), wo der Gerichtshof sich gegen eine „zu formalistische“ Betrachtung wendet; zur Anwendung von Art. 6 auf den ersuchten Staat, der kommissarisch einen Zeugen vernimmt, LR-Esser, Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR Rn. 785. 269 So der Sache nach bereits Lagodny, Rechtsstellung, S. 204 ff.; deutlich ders., in: S/L/G/ H, § 73 IRG Rn. 14 ff. 270 Allg. zum Grundsatz G/H/N-Mayer, Rn. 403 ff. nach Art. 6; in der strafrechtlichen Zusammenarbeit Vogel, NJECL 2010, 145 ff.; Schomburg/Lagodny, NJW 2012, 348, 351.
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Weich- und Gleichmacher …“ der Rechtsdogmatik271 eingetragen hat. In der Tat ist es fragwürdig, stringente Lösungen für eine Vielzahl von Einzelfällen unmittelbar aus einem derart allgemeinen Grundsatz ableiten zu wollen.272 Weil aber nicht nur Einzelfälle, sondern auch allgemeine Gesetze am Verhältnismäßigkeitsprinzip gemessen werden können,273 kann es gleichwohl als ein Prüfstein des Rechtshilferechts dienen. Es geht also nicht darum, die Ableitung aus strafprozessualen Strukturen durch Verhältnismäßigkeitserwägungen zu ersetzen oder zu erodieren,274 sondern nur darum, den spezifisch verfassungsrechtlichen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen ein prozessualer Ansatz sich entfalten kann. Bei aller Unbestimmtheit nämlich lassen sich gewisse Vorgaben für die Strafrechtspflege und ihre grenzüberschreitende Variante daraus ableiten: Es bedarf – selbstverständlich – eines legitimen Zwecks, den man in der Durchsetzung der Strafrechtsordnung(en) finden kann (und nur dort).275 Zu dessen Erreichung muss die Rechtshilfe geeignet sein und zugleich das am wenigsten einschneidende Mittel (Erforderlichkeit) – es dürfen also dem Verfolgten nicht mehr prozessuale Rechte genommen werden als nötig.276 Hier ähnelt die Aussage des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Ergebnis dem oben zitierten Gleichheitssatz (S. 69 ff.; näher S. 80 ff.), hat aber dabei den Vorzug, den Blick auf den Aspekt der Erforderlichkeit zu lenken: Es muss dargelegt werden, ob und wieweit eine etwaige Schwächung277 der Rechtsposition des Verfolgten unumgänglich ist oder ob das Ziel nicht auf weniger einschneidendem Wege erreicht werden könnte. Insoweit ist der Staat beweispflichtig278 und kann sich, weil die Rechtshilfe kein Selbstzweck im Namen der „Solidarität mit fremden Rechtsordnungen“ ist, sondern einzig durch Rückführung auf die Strafrechtspflege legitimiert werden kann (S. 30 ff., 72 ff.), nicht aus zwischenstaatlicher Gefälligkeit oder Bequemlichkeit mit „einfacheren“ Lösungen zu Lasten der Beschuldigtenrechte bescheiden.279 Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lassen sich also nicht erst (mehr oder weniger vage und unvorhersehbare) Grenzen im Einzelfall ableiten, sondern bereits –
271
Ossenbu¨ hl, VVDStRL 39 (1981), 189. Siehe noch S. 98 ff. zur notwendigen Entfaltung in detaillierten Regelungen. 273 Maunz/Dürig-Di Fabio, Art. 2 Rn. 41 m.w.N. 274 Bedenkenswerte Mahnung (am Beispiel des materiellen Strafrechts) bei Greco, in: Brunhöber/Höffler/Kaspar (Hrsg.): Strafrecht und Verfassung, S. 13, 30 ff. u. passim. 275 s. o. S. 30 ff., 72 ff. 276 Siehe bereits Roger, GA 2010, 27, 29. 277 Denn selbstverständlich muss nicht nur der Eingriff als solcher, sondern auch seine Intensität dem Kriterium der Erforderlichkeit genügen. 278 Das folgt aus dem Primat der Individualrechte, dazu S. 72 ff. 279 Siehe bereits Roger, GA 2010, 27, 29 m. Fn. 18. Besonders die technischen Möglichkeiten obliegt es den Staaten zu nutzen, s. Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 8a vor § 15 IRG. 272
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und darum geht es hier – positiv-verfassungsrechtliche Leitlinien, an denen sich die Gestaltung des strafrechtlichen Rechtshilferechts messen lässt.280 bb) Benachteiligungsverbot und allgemeiner Gleichheitssatz Die oben (S. 69 ff.) thematisierte Forderung nach Gleichbehandlung des Verfolgten in einem grenzüberschreitenden Verfahren führt zu der Frage, ob sich als normativer Anker auch der allgemeine Gleichheitssatz anbietet, wie er nicht nur in nationalen Verfassungen garantiert ist, sondern auch im Primärrecht der EU281 als „unionsrechtlicher Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung“ mit den Worten des EuGH verlangt, „dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine derartige Behandlung objektiv gerechtfertigt ist“282, und nunmehr auch in Art. 20 Grundrechtecharta positiviert ist. Denn das vergleichende Moment des Benachteiligungsverbots ist das maßgebliche Charakteristikum des Gleichheitssatzes, weshalb es ein wenig verwundert, dass eine Radizierung des „Benachteiligungsverbots“ im allgemeinen Gleichheitssatz bisher nur selten erwogen und nicht eingehend behandelt wurde.283 Das mag mit der unübersichtlichen Gemengelage von inländischem Straf-, Strafprozess- und Rechtshilferecht, dem ausländischen Recht des ersuchenden Staates sowie völkerrechtlichen Verpflichtungen zusammenhängen: Angesichts eines solchen Geflechts von Normen unterschiedlicher Provenienz und Rangstufe konnte es fernliegend erscheinen, einen Gleichbehandlungsanspruch zu formulieren. An wen sollte sich dieser richten, und was sollte der Vergleichsmaßstab sein? Wegen der grenzüberschreitenden Dimension kann dafür jedenfalls nicht schlicht die Strafverfahrensordnung des einen oder des anderen Staates herhalten. Besonders im Zusammenspiel von EU-Rechtsakten und verschiedenen nationalen Strafverfahrensordnungen in der Europäischen Union könnte es naheliegen, keinen der beteiligten Hoheitsträger in die Verantwortung für etwaige Ungleichbehandlungen zu nehmen.284 Doch hat der institutionelle Rahmen der EU einen eigenständigen Hoheitsträger mit Rechtspersönlichkeit (Art. 47 EUV) geschaffen, 280
Lagodny, Editorial zu StV 2014/8, I; dazu im Kontext der vorliegenden Untersuchung S. 98 ff., 121, 211 ff. 281 Via Art. 6 II EUV als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, s. nur die Urteile v. 13. 11. 1984, Rs. 283/83, Racke, Slg. 1984, 3791, v. 17. 4. 1997, Rs. C-15/95, EARL, Slg. 1997, I-1961 (Rz. 35) und v. 13. 4. 2000, Rs. C-292/97, Karlsson, Slg. 2000, 2737 (Rz. 38). 282 EuGH, Urteil v. 26. 10. 2006, Rs. Koninklijke Coöperatie, C-248/04, Rz. 72, m.w.N. Zuvor schon Urteil vom 13. 12. 1984 in der Rs. 106/83, Sermide, Slg. 1984, 4209, Rz. 28; Urteile v. 17. 10. 1995 in der Rs. C-44/94, Fishermen’s Organisations u. a., Slg. 1995, I-3115, Rz. 46, und vom 30. 3. 2006 in den Rs. C-87/03 und C-100/03, Spanien/Rat, Slg. 2006, I-2915, Rz. 48. 283 En passant: S/L/G/H, Einl. Rn. 113; Schomburg/Lagodny, NJW 2012, 348, 351, 352. 284 Zum Problem der Verantwortungsverlagerung näher S. 103 ff.
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welcher umfassend an (europäische) Grundrechte gebunden ist (s. o.) und für die Mitgliedstaaten verbindliche Rechtsakte erlässt. Damit ist zumindest eine konzeptuelle Komplikation ausgeräumt, denn in Gestalt der EU tritt eine Instanz deutlich in Erscheinung, die als Adressat des allgemeinen Gleichheitssatzes auch in dem von ihr regulierten Bereich der (grenzüberschreitenden) Strafverfolgung in Frage kommt. Vor diesem Hintergrund, aber durchaus auch aus allgemeiner Perspektive, sollen im Folgenden Anwendbarkeit und Tragweite des Gleichheitssatzes in der strafrechtlichen Rechtshilfe untersucht werden. (1) Vergleichbare Sachverhalte Unverzichtbare Grundvoraussetzung einer gleichheitsbezogenen Untersuchung ist das Vorliegen (mindestens) zweier vergleichbarer Sachverhalte. Als Vergleichsgruppen bieten sich – den Impuls des o.g. „Benachteiligungsverbots“ aufgreifend – einerseits Beschuldigte in „schlichten“ nationalen Strafverfahren und andererseits solche in grenzüberschreitenden Verfahren, im vorliegenden Rahmen also „europäische Beschuldigte“285 an. Somit wäre zu fragen, ob diese „europäischen Beschuldigten“ anders – schlechter286 – gestellt werden als diejenigen, die einem bloß nationalen Verfahren ausgesetzt sind. Das scheint nun geradewegs in eine Aporie zu führen: Ist der Vergleichsmaßstab im (innerstaatlichen) Verfahren des ersuchenden Staates zu suchen oder in dem des ersuchten Staates? Jedenfalls kann es nicht um eine umfassende Gleichbehandlung aller Beschuldigten in allen Fällen in Europa gehen, denn das käme einer Vollharmonisierung gleich, für die weder Kompetenzen bestehen noch die rechtlichen Kulturen bereit sind.287 Ebenso wenig kann das Ziel die Kumulation der Beschuldigtenrechte in beiden beteiligten Staaten sein, denn eine solche hybridisierte Meistbegünstigung führt zu einer nirgends existenten Rechtslage,288 also zu einer bloßen Fiktion, die nicht als Maßstab dienen kann. Problematisch und für die Zwecke dieser Untersuchung interessant sind vielmehr die Fälle, in denen Beschuldigte von ein und demselben Staat unter Umständen unterschiedlich behandelt werden, je nachdem ob es sich um ein schlichtes Strafverfahren oder um Rechtshilfe handelt.289 285 So die – durchaus programmatische – Formulierung von Leutheusser-Schnarrenberger, StraFo 2007, 267 zur Bezeichnung der von einem grenzüberschreitenden Strafverfahren in der EU betroffenen Beschuldigten. 286 Sonst fehlte es an einer rechtlichen Beschwer. 287 Insoweit ist es auch unabweisbar, wenn der EuGH feststellt, dass „[d]ie Anwendung nationaler Rechtsvorschriften […] nicht allein deshalb als Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit angesehen werden [kann], weil andere Mitgliedstaaten weniger strenge Vorschriften anwenden“, Urteil v. 17. 10. 1995, Rs. C-44/94, Fishermen’s Organizations. 288 Schünemann, in: ders. (Hrsg.): Gesamtkonzept, S. 93, 109. 289 Zugespitzt in dem von Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 35 vor §§ 21, 22 skizzierten Fall, dass auch inländische Strafgewalt begründet ist und es der verfolgenden Exekutive dann frei stünde, die Angelegenheit als nationale Strafverfolgung oder als Rechtshilfe zu betreiben.
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Betrachtet man die Vornahme der Handlung, um die im Rechtshilfeweg ersucht wird, so drängt sich auf, dass es dieselben Behörden sind, die dieselben Maßnahmen ergreifen wie in einem nationalen Strafverfahren des ersuchten Staates, namentlich Festnahme, Durchsuchung, Beschlagnahme, etc. (s. bereits S. 30 f.); wie in jedem Strafverfahren dienen diese der Strafverfolgung, allerdings derjenigen im ersuchenden Staat. Im Auseinanderfallen von verfahrensführendem und vollziehendem Staat liegt der maßgebliche Unterschied zum nationalen Verfahren. Das schließt für sich genommen jedoch nicht etwa a limine den Gleichheitsgrundsatz aus, sondern ist Voraussetzung für dessen Prüfung überhaupt, denn wenn kein Unterschied bestünde, wären die Sachverhalte identisch und eine Gleichheitsprüfung gegenstandslos bzw. trivial. Die Vergleichbarkeit der Sachverhalte kann und muss an dieser Stelle noch nicht in allen Einzelheiten untersucht werden, sondern nur in Gestalt einer groben Vorwegnahme der späteren Rechtfertigungsprüfung festgehalten werden.290 (2) Adressaten des Gleichheitssatzes und das Problem der Kompetenzordnung Die oben angesprochene Problematik, dass Normen unterschiedlichen Ranges von verschiedenen Hoheitsträgern auf die Rechtsstellung des Verfolgten einwirken und deshalb die Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes überhaupt in Frage gestellt werden könnte, bedarf der Klärung. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird speziell der „Staatenverbund“ der Europäischen Union in den Blick genommen (dazu noch u. Teil B = S. 217 ff.), der mit der Ersetzung der klassischen völkerrechtlichen Übereinkünfte durch einen supranationalen Hoheitsträger die Attribution von Verantwortlichkeiten modifiziert. In der Sache aber geht es um die allgemeine Problematik der Individualrechte, der auch in der klassischen Rechtshilfe nicht ausgewichen werden kann. Wo im europäischen „Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts“ die EU als eigener, an Grundrechte gebundener Hoheitsträger auf den Plan tritt, können auch im Allgemeinen, in der „schlichten“ zwischenstaatlichen Kooperation die Staaten nicht auf den jeweils anderen verweisen, um Rechte des Einzelnen zu beschneiden (s. bereits S. 55 f., 72 ff. sowie S. 103 ff.). Aus der Perspektive des Betroffenen kommt als Adressat einer Gleichheitsforderung einerseits der vollstreckende Staat in Frage, der eine Maßnahme der Strafverfolgung und damit einen Grundrechtseingriff praktisch vornimmt. Andererseits kann auch der ersuchende Staat in die Pflicht genommen werden, insofern als er den Beschuldigten (überhaupt erst) zum Subjekt eines Strafverfahrens macht (zum Ganzen näher S. 124 ff.). Soweit man davon ausgeht, dass die europäischen Rechtsakte Vorrang genießen und die nationalen Gesetzgeber binden (dazu S. 249 f.), muss schließlich der europäische „Gesetzgeber“ selbst in die Pflicht genommen werden (s. noch S. 241, 294). 290 Kischel, BeckOK GG Art. 3 Rn. 15 spricht von einer „auf die spätere Rechtfertigungsprüfung hin ausgerichtet[en] Sammlung derjenigen Eigenschaften, in denen sich die betrachteten Gegenstände unterscheiden und nicht unterscheiden“ (Hervorhebung im Original).
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Dagegen freilich scheint sich ein Einwand aufzudrängen, der dem Gleichheitssatz den Boden entziehen würde: Der Unionsgesetzgeber treffe für die rein nationalen Sachverhalte, für den „nicht-europäischen Beschuldigten“ überhaupt keine Regelung, weil ihm dafür die Kompetenz fehle, so dass es aus seiner Sicht keinen vergleichbaren Sachverhalt gebe. Der erste Teil dieses Einwands, die de facto fehlende europäische Regelung für innerstaatliche Verfahren, ist leicht zu kontern, denn es ist keinesfalls außergewöhnlich, dass eine Ungleichbehandlung darin besteht, dass für eine Vergleichsgruppe eine bestimmte Regelung gerade nicht getroffen wird, und auch der EuGH anerkennt diese Möglichkeit.291 Mit anderen Worten: Ob eine explizite Regelung getroffen wird oder einfach die bestehenden nationalen nicht angetastet werden, spielt keine Rolle für die Frage der Ungleichbehandlung. Schwerer wiegt der Einwand der Kompetenzordnung. So ist anerkannt, dass eine föderale Kompetenzverteilung nicht durch einen überzogenen Gleichheitssatz unterlaufen werden kann: Wenn etwa das Grundgesetz den Ländern die Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Bildung zuschreibt, sind unterschiedliche Schulgesetze in Hessen und Bayern verfassungsrechtlich vorgezeichnet und können nicht als gleichheitswidrig taxiert oder gar kassiert werden. Nichts anderes gilt selbstverständlich für die unterschiedlichen Strafprozessordnungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Man könnte daher die Forderung nach Gleichbehandlung zwischen nationalem und transnationalem Strafverfahren damit ad absurdum zu führen versuchen, dass dann der Gleichheitssatz der EU jegliches Handeln versperren müsste, wenn es nur außerhalb ihres – durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung292 „zerklüfteten“ – Kompetenzbereichs eine vergleichbare Situation gäbe, die signifikant unterschiedlichen (nationalen) Regeln unterworfen ist. Doch der Schluss, die Union damit für alle Konstellationen geteilter Kompetenzen aus der egalitären Verantwortung zu entlassen, wäre zu pauschal und würde seinerseits zu absurden Konsequenzen führen: Weil diese Kompetenzverteilung ein besonders charakteristisches Merkmal des Unionsrechts ist, würde bei einer solchen Interpretation der unionsrechtliche Gleichheitssatz weitgehend leerlaufen. Zwar ist der Kompetenzeinwand insoweit unabweisbar, als man nicht unter Verweis auf den Gleichheitssatz vom Unionsgesetzgeber verlangen kann, über seinen Kompetenzbereich hinaus Recht zu setzen oder umgekehrt sich einer Normierung dort gänzlich zu enthalten, wo abweichende innerstaatliche Regelungen bestehen. Das muss aber nicht bedeuten, dass er in der Rechtsetzung völlig frei wäre und keine Rücksicht auf die bestehende Rechtslage in ähnlichen Fällen nehmen müsste.
291
In der Rs. Ruckdeschel (verbundene Rs. 117 – 76 und 16 – 77) hat der EuGH auch explizit einen Gleichheitsverstoß darin gesehen, dass eine bestimmte Regelung für einen vergleichbaren Sachverhalt nicht getroffen wurde. 292 Art. 5 I EUV und dazu Bast, in: G/H/N, Rn. 13 ff.
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In diesem Zusammenhang ist eine Entscheidung des EuGH von Interesse,293 der es für europarechtswidrig befunden hat, dass ein Mitgliedstaat auf der Grundlage seiner Gebietshoheit Sozialbeiträge einzog, nachdem ein anderer aufgrund seiner Personalhoheit bereits entsprechende Beiträge eingezogen hatte. Auch dort ging es im Kern um die Anwendung des Gleichheitssatzes (in seiner Ausprägung als Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit) auf einen Sachverhalt, an dem mehrere Hoheitsträger beteiligt waren und erst in ihrem Zusammenwirken eine gleichheitswidrige Belastung geschaffen hatten. Worin diese besteht, im konkreten Fall in Sozialabgaben, ist für den Kern der Gleichbehandlungsproblematik irrelevant. Der Gedanke lässt sich also dahingehend verallgemeinern, dass eine spezifische Belastung von grenzüberschreitenden gegenüber rein nationalen Sachverhalten, auch und gerade wenn sie aus dem Zusammenspiel mehrerer Hoheitsträger resultiert, am Gleichheitssatz gemessen werden kann. Was für eine doppelte Erhebung von Abgaben gilt, muss a fortiori bei einer „Verdoppelung“ oder wesentlichen Steigerung der Last eines Strafverfahrens oder einer bestimmten Verfolgungsmaßnahme in einem grenzüberschreitenden Fall Platz greifen. Wenn und soweit dabei die europäische Union legislativ tätig wird und für die Mitgliedstaaten verbindliche Regelungen erlässt, besteht kein Grund, sie nicht ebenfalls als Adressaten des allgemeinen Gleichheitssatzes in die Pflicht zu nehmen.294 Das bedeutet nicht, dass sie sich einer Rechtsetzung überhaupt enthalten müsste, um keine Ungleichbehandlungen zu schaffen, denn die prinzipielle Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes bedeutet noch keine umfassende Nivellierung (zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen s. sogleich). Es kann aber erwartet werden, dass sie die Regelung vergleichbarer innerstaatlicher Strafverfahren berücksichtigt und über Abweichungen davon Rechenschaft ablegt. Das bestätigt auch ein Blick auf die Ratio der Einschränkung des Gleichheitssatzes durch die Kompetenzordnung: Sie soll die Diversität der unterschiedlichen, den jeweiligen Gebietskörperschaften angepassten Regelungen sichern und damit unmittelbar der Verwirklichung einer föderalen Ordnung dienen.295 Im hier interessierenden Zusammenhang der strafrechtlichen Rechtshilfe dagegen geht es um die Rechtsstellung von Verfolgten im Strafverfahren (S. 30 ff., 43) ein und desselben Staates, einmal in einem rein nationalen, einmal in grenzüberschreitendem Zu293
Urteil v. 3. 2. 1982, SECO, verbundenen Rechtssachen 62 und 63/81, Slg. 1982, 223. Auch Bleckmann, NJW 1985, 2856, 2859 f. plädiert für eine Anwendung des Gleichheitssatzes im vertikalen Verhältnis EU-Mitgliedstaaten, wo die Gemeinschaft stark integriert ist. 295 Siehe etwa die Ausführungen von Puhl, in: Mellinghoff/Palm (Hrsg.): Gleichheit im Verfassungsstaat, 2008, S. 67, 71 ff., der Durchbrechungen auf der Grundlage des Gleichheitssatzes nur in engen Ausnahmefällen zulassen will. Aus diesem föderalen Interesse heraus wird in der deutschen verfassungsrechtlichen Diskussion auch überwiegend mit Selbstverständlichkeit davon ausgegangen, dass der Gleichheitsanspruch nur gegenüber ein und demselben Hoheitsträger Platz greife (etwa BVerfGE 21, 54, 68; Osterloh, in: Sachs [Hrsg.], Grundgesetz, Art. 3 Rn. 81; ausf. Maunz/Dürig-Dürig/Scholz, Art. 3 Abs. 1 Rn. 233 ff.; differenzierend Kischel, in: Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 3 Rn. 95 ff.). 294
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sammenhang. Dass hierbei der übergeordneten Ebene der EU Rechtsetzungskompetenzen zugewiesen werden, soll nicht eine eigenständige „EU-Verfahrensordnung“ oder die Vielfalt der Verfahrensordnungen befördern, sondern Zusammenarbeit auch zwischen solchen Verfahrensordnungen gewährleisten, die nicht harmonisiert sind.296 Diese Zielsetzung trägt nicht im selben Maße Einschränkungen des Gleichheitssatzes wie die föderale Diversität, weil sie nicht auf Förderung der Vielgestaltigkeit der Regelungen angelegt ist. Der Modus der gegenseitigen Anerkennung, wie er nunmehr im Kompetenztitel des Art. 82 AEUV niedergelegt ist, zielt gerade darauf ab, die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten als solche möglichst unangetastet zu lassen.297 Das kann zwar auch, im Lichte der europäischen Grundfreiheiten, bedeuten, dass die Standards eines Mitgliedstaates in den anderen anzuerkennen sind, insofern also ausstrahlen; in der repressiv orientierten Strafrechtspflege aber lässt sich keine analoge Legitimation für eine solche Ausstrahlungswirkung finden.298 Hier steht also die Achtung vor den unterschiedlichen innerstaatlichen Verfahrensordnungen im Vordergrund, zu deren Koordination die EU ermächtigt ist (näher S. 247 ff.). Diesem die nationalen Regelungen schonenden Ansatz würde es zuwiderlaufen, wenn die Union gänzlich aus der egalitären Verantwortung entlassen würde. Dem Grunde nach scheint auch der EuGH eine Anwendung des Gleichheitssatzes auf europäische Rechtsakte zur Rechtshilfe in Strafsachen anerkannt zu haben, indem er den Rahmenbeschluss über den europäischen Haftbefehl daran gemessen hat.299 Konsequenterweise ist also die Rechtsstellung des Beschuldigten in grenzüberschreitenden einer- und in rein nationalen Verfahren andererseits am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes zu messen. Dabei ist grundsätzlich auch der EUGesetzgeber in der Pflicht.
296
Vogel, in: G/H/N, Art. 82 AEUV Rn. 18, 43 ff. Dazu ausführlich S. 221 ff., 247 ff.; damit wird dem Grundsatz der Subsidiarität (Art. 5 III EUV) Rechnung getragen, hervorgehoben auch von BVerfGE 113, 273, 299; ferner Erwägungsgrund 7 zum RB-HB; Erwägungsgrund 23 zum RB-EBA; Erwägungsgrund 38 zur RiLi-EEA. 298 Dazu i.E. S. 225 ff. 299 In der Rs. C-303/05, Advocaten vor de Wereld, Slg. 2007 I-03633, Rz. 55 ff., 58; freilich mit negativem Ergebnis, dazu S. 258 f.; zum europäischen Haftbefehl S. 266 ff. Das Argument des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in dieser Rechtssache (Schlussanträge – abrufbar unter http://curia.europa.eu –, Tz. 86) wonach höchstens die Mitgliedstaaten Adressaten der Gleichheitsforderung sein könnten, weil es ihnen freistehe, die partielle europäische Regelung auf alle Sachverhalte auszudehnen, verkennt die Verbindlichkeit der EU-Vorgabe, scheidet so Rechtsetzung von egalitärer Verantwortung und stellt im Ergebnis die Kompetenzordnung auf den Kopf (s. o. im Text). 297
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(3) Tragweite des Gleichheitssatzes Wie bereits angedeutet, verletzt nicht jede Ungleichbehandlung den allgemeinen Gleichheitssatz, sondern nur ein solche, die nicht durch einen ausreichenden Grund gerechtfertigt ist.300 Der EuGH verlangt zur Rechtfertigung ein „objektives Kriterium“, oftmals auch „objektive Unterschiede von einigem Gewicht“.301 Diese sollen ins Verhältnis zum Ausmaß der Ungleichbehandlung gesetzt werden: So ist etwa in der Rs. Marshall (C-370/88) die Rede von einem „hinreichenden“ Grund zur Rechtfertigung die Rede (Rn. 24), und es wird explizit das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit betont (Rn. 26). Diese Abwägung leuchtet ein, denn ob ein bestimmter sachlicher Grund eine Ungleichbehandlung tragen kann, lässt sich nur in der Relation sinnvoll untersuchen.302 Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die transnationale Dimension eines Strafverfahrens einen relevanten sachlichen Unterschied bedeutet und möglicherweise nach spezifischen Regeln verlangt. Auch wenn dabei dem Gesetzgeber grundsätzlich ein Ermessen zusteht,303 kann seine Entscheidung aber auf dem Prüfstand des Gleichheitssatzes darauf untersucht werden, ob sie dem Ausmaß der sachlichen Unterschiede noch gerecht wird oder nicht. Dabei sprechen gute Gründe dafür, einen schärferen Prüfungsmaßstab anzuwenden, wenn die Ausübung von Freiheitsrechten tangiert ist –304 also ganz besonders im Strafverfahren. In welchem Maße – ob überhaupt – in grenzüberschreitenden Verfahren abweichende Regelungen zulässig sind, verdient eingehende Untersuchung. (4) Zwischenfazit Ohne diese Kriterien an dieser Stelle im Einzelnen entfalten zu können, lässt sich festhalten, dass der allgemeine Gleichheitssatz grundsätzlich als normativer Anker für das individualrechtliche Benachteiligungsverbot (S. 69 ff.) im Bereich der strafrechtlichen Rechtshilfe und damit als Prüfstein für das hier zu entwickelnde Modell (S. 124 ff., Fazit S. 211 ff.) taugt. Die Beteiligung unterschiedlicher Rechtsordnung und mehrerer Hoheitsträger mag seine Handhabung diffiziler gestalten, kann ihn aber nicht von vornherein ausschließen.
300 Für Art. 20 Grundrechtecharta: Rossi, in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 20 GRCharta, Rn. 24 m.w.N. 301 Mayer, in: G/H/N, Grundrechtsschutz (vor Art. 7 EUV), Rn. 227; Rossi, a.a.O. Rn. 25 ff. 302 Kischel, in: BeckOK GG, Art. 3 Rn. 29. 303 Priebe, in: G/H/N, § 40 AEUV Rn. 88. 304 Kischel, in: BeckOK GG, Art. 3 Rn. 48 f. m.w.N.
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cc) Das Recht auf ein faires Verfahren als Kristallisationspunkt, insbesondere im Beweisrecht Unter den menschenrechtlichen Garantien des Strafverfahrens sticht der Grundsatz des fair trial besonders heraus, der ebenso (nahezu) universal anerkannt305 wie hochgradig unbestimmt306 ist. Aus diesem doppelten Grund eignet er sich besonders gut für eine Untersuchung sowohl der Bedeutung als auch der Leistungsfähigkeit grund- und menschenrechtlicher Garantien in grenzüberschreitenden Strafverfahren. Es kann hier wiederum nicht darum gehen, die einzelnen Konkretisierungen dieses Prinzips auch nur ansatzweise vollständig zu behandeln (s. o. S. 75).307 Vielmehr soll seine grundlegende Rolle im grenzüberschreitenden Zusammenhang eingehend untersucht werden, auch und gerade insofern als sie verallgemeinerungsfähige Erkenntnisse liefern kann (dazu noch S. 98 ff.). Bei dieser Gelegenheit wird auch der Blick weg von der klassischen Konstellation der Auslieferung und hin zu der gerade unter Fairness-Aspekten nicht minder intrikaten Problematik der grenzüberschreitenden Beweisgewinnung gelenkt. (1) Problematik Die Maxime des fair trial ist in Art. 6 EMRK niedergelegt ist und verlangt, dass ein Strafverfahren insgesamt fair verläuft, was vom EGMR in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert worden ist.308 Insbesondere erhebt sie den Anspruch, für jedes Strafverfahren zu gelten, unabhängig davon, ob es rein innerstaatlich geführt wird oder ein anderer Staat beteiligt ist.309 Die EMRK trifft dabei aber nicht im Stile einer „Modellprozessordnung“ eine Aussage darüber, wie ein Strafverfahren auszusehen hat, sondern überlässt die Ausgestaltung dem jeweils nationalen Gesetzgeber – und damit kommt ein für die vorliegende Untersuchung zentrales Problem zum Vorschein: Wer ist der Adressat, wenn in einem sog. international-arbeitsteiligen Strafverfahren mindestens zwei Staaten kooperieren, und zwar ggf. nach einem Regelwerk, das von einem weiteren Hoheitsträger, der EU, vorgegeben ist? Mit anderen Worten: An welcher Stelle und von wem kann oder muss dem fair-trialPrinzip zur Geltung verholfen werden? Um die Problematik deutlicher zu machen, seien beispielhaft Friktionen aufgezeigt, die sich ergeben können, wenn ein Strafverfahren über nationale Grenzen 305 Art. 6 I EMRK, Art. 14 IPbpR (s. die dazugehörige Kommentierung bei LR-Esser, Rn. 1 ff.). 306 Gaede, ZStW 115 (2003), 845, 872; H. Jung, GA 2013, 90 ff. 307 Dazu eingehend Gaede, Fairness als Teilhabe; Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht; LR-Esser, Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR Rn. 1 ff.; SK-Paeffgen, Art. 6 EMRK Rn. 1 ff.; Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte. 308 Siehe die Nachw. Fn. 307. 309 LR-Esser, Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR, Rn. 777.
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hinweg geführt wird. Sie lassen sich gut am Fall Stojkovic gg. Frankreich und Belgien betrachten, der vom EGMR mit Urteil vom 27. Oktober 2011 entschieden wurde.310 Ihm lag folgender Sachverhalt zugrunde: In Courchevel (Frankreich) war ein Juwelier ausgeraubt worden. Herr Stojkovic war dort gesichtet worden, und man ging davon aus, dass er möglicherweise an dem Überfall beteiligt war. Weil er wegen einer anderen Tat in Belgien inhaftiert war, musste seine Vernehmung zur Sache dort durchgeführt werden. Der französische Ermittlungsrichter erließ ein Rechtshilfeersuchen, ihn zur Sache zu vernehmen, und zwar als „Zeugen mit Rechtsbeistand“ unter Anwesenheit eines französischen Richters und Staatsanwalts sowie eines Verteidigers. Das Recht auf Verteidigung war nach den Vorschriften des französischen code de procédure pénale (Strafprozessordnung) garantiert. Gleichwohl wurde Stojkovic, der einen französischen Anwalt beantragte, sogleich und ohne den erwünschten Verteidiger vernommen. Dabei legte er ein umfassendes Geständnis ab, auf welches dann die Anklage maßgeblich gestützt wurde. Schließlich wurde er – nachdem er das Geständnis in der Hauptverhandlung in Frankreich wiederholt hatte – zu sechs Jahren Haft verurteilt. Er erhob daraufhin Beschwerde zum EGMR gegen beide beteiligten Staaten, weil er in seinem Recht auf effektive Verteidigung als Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 6 III c i.V.m. 6 I EMRK311 verletzt sei. Soweit sich die Beschwerde gegen Belgien richtete, wurde sie für verfristet erklärt, wobei der Gerichtshof aber durchblicken ließ, dass sie wohl auch insofern begründet gewesen wäre.312 Darauf wird noch zurückzukommen sein (S. 94 ff.), zunächst aber ist die Verurteilung Frankreichs zu untersuchen. Denn insofern stellte der EGMR einen Konventionsverstoß fest, weil die Umstände der Vernehmung den Beschuldigten in seinem Recht auf Verteidigung verletzt hätten und – das ist entscheidend – dieser Verstoß in dem weiteren Verfahren in Frankreich nicht geheilt worden sei, sondern im Gegenteil maßgeblich zur Verurteilung beigetragen habe.313 Bemerkenswert ist daran, dass das Verhalten der belgischen Behörden dem verurteilenden französischen Staat zugerechnet wird. Das ist zwar kein Novum,314 310
EGMR (V. Sektion), Urteil vom 27. 10. 2011 – 25303/08, deutsche Übersetzung in NJW 2012, 3709. 311 Die Diskussion zum Verhältnis zwischen den einzelnen Garantien des 3. Absatzes und dem allgemeinen Fairnessprinzip des 1. ist für die hier interessierende Frage, welche Tragweite der Fairness-Grundsatz in grenzüberschreitenden Strafverfahren hat, nicht maßgeblich und muss deshalb nicht eingehend behandelt werden (ausf. und dem EGMR zust. Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 383 ff., 427 ff.; LR-Esser, Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR Rn. 199); das Recht auf wirksame Verteidigung eignet sich gut als plastisches Beispiel einer Emanation des fair-trialPrinzips und soll für die Zwecke der Untersuchung mit dem EGMR in diesem Sinne als Stellvertreter des allgemeinen Fairness-Prinzips verstanden werden. 312 § 39; ebenso Esser/Gaede/Tsambikakis, NStZ 2012, 619, 623; s. auch Gaede, StV 2006, 599, 606 f. 313 § 55. 314 Gaede, StV 2006, 599, 606 f.; Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 350 ff., 442 ff.
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aber eine in dieser Klarheit wichtige Feststellung, hatte sich Frankreich doch in der Verhandlung darauf berufen, dass es für die Umstände der Vernehmung in Belgien nicht verantwortlich sei. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass aus den französischen Verfahrenshandlungen hervorgeht, dass der Beschwerdeführer Beschuldigter in einem Strafverfahren i.S. der Konvention war und also die von Art. 6 I und III vorgesehenen Rechte eingreifen mussten. Er führt aus, dass die französische Justiz zwar, streng genommen, nicht für die Umstände der Vernehmung zuständig war, aber die belgischen Behörden hätte darauf hinweisen müssen, dass um Anwesenheit eines Anwalts ersucht worden war. Vor allem hätte der französische Richter a posteriori die Konsequenzen aus der Abwesenheit eines Verteidigers bei der Vernehmung ziehen müssen. Insgesamt kommt der Gerichtshof daher zu dem Schluss, dass Frankreich den Beschwerdeführer in seinem Recht auf effektive Verteidigung verletzt habe, das zur Garantie eines fairen Verfahrenes gehöre und aus Art. 6 Abs. 1, 3 EMRK folge. (2) Fair trial zwischen Gesamtbetrachtung und seiner Wahrung in actu An dem soeben beschrieben Fall lässt sich gut untersuchen, welche intrikaten Fragen der Verfahrensfairness bei der international-arbeitsteiligen Strafverfolgung entstehen können, selbst wenn – und das ist entscheidend – alle Beteiligten sich an ihr jeweils geltendes nationales Prozessrecht halten. (a) Die Gesamtbetrachtung durch den EGMR und ihre Grenzen Anders als andere Rechte aus der EMRK zeichnet sich der in Artikel 6 verbürgte Grundsatz des fairen Verfahrens nach der Rechtsprechung des EGMR dadurch aus, dass er an eine Gesamtbetrachtung des Verfahrens anknüpft: Der Gerichtshof prüft stets, ob das Verfahren als Ganzes fair war. Dabei können auch einzelne Rechtsverstöße im weiteren Verlauf des Prozesses geheilt werden, so dass dem Verfahren insgesamt noch Fairness attestiert werden kann.315 Aber dazu muss ihnen auch abgeholfen werden. Das kann jedenfalls die Beschwerdemöglichkeit zum EGMR nicht leisten. Denn es handelt sich nur um die „ultima ratio“ der Rechtsmittel, und sie ist wenig geeignet, den Beschuldigten schon an angemessener Stelle, nämlich in dem Strafverfahren, zu seinen Rechten zu verhelfen. Dies ist schon chronologisch nicht möglich – weil sie erst im Anschluss an die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs zulässig ist, Art. 35 I EMRK –, und zeigt sich auch an den Rechtsfolgen eines Urteils des Gerichtshofs: Es ist ein Feststellungsurteil, dessen Umsetzung dem beteiligten Staat obliegt (Art. 46 I EMRK). Das französische Recht kennt dann, ähnlich wie § 359 Nr. 6 der deutschen StPO, eine Wiederaufnahmemöglichkeit zugunsten des Beschwerdeführers. Diese mag ihm schlussendlich zu seinem Recht verhelfen, ändert aber nichts daran, dass er 315
Eingehend LR-Esser, Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR, Rn. 199 m.w.N.
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zunächst in einem unfairen Verfahren verurteilt worden und womöglich aufgrund dessen inhaftiert worden ist – mit anderen Worten ist das Kind schon längst in den Brunnen gefallen, wenn der EGMR das Verdikt des Konventionsverstoßes fällt.316 (b) Anwendung unmittelbar durch die Behörden? (aa) Anwendungspflicht Deshalb sind alle Organe der durch die EMRK gebundenen Staaten (respektive Organe der EU317) in jedem Einzelfall zur Achtung der Konventionsrechte verpflichtet. Insofern bildet die Konvention in ihrer maßgeblichen Auslegung durch den EGMR eine verbindliche Wertordnung, die immer auch Teil des Prüfprogramms für staatliche Eingriffe ist – und zwar auch, wenn diese gleichsam im Auftrag eines anderen Staates getätigt werden.318 Relativ einfach gestaltet sich eine solche Prüfung, wenn die fremde Anordnung schon an sich gegen übergeordnete Rechtssätze verstößt. Das mag ein anderer – nur halb fiktiver – Fall verdeutlichen: Der konservative französische Europaabgeordnete X wird verdächtigt, in einem Rundschreiben an seine Fraktion die Lebensgefährtin des französischen Präsidenten als „Rottweiler“ (statt „Trierweiler“) beleidigt zu haben und ein übereifriger französischer Staatsanwalt ordnet aus diesem Grund eine Durchsuchung des Brüsseler Domizils des Abgeordneten an. Es kann als gesichert gelten, dass eine solche Durchsuchung gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und daher im Lichte der EGMR-Rechtsprechung gegen Art. 8 EMRK verstoßen würde.319 Die ersuchte belgische Behörde müsste zum Ergebnis kommen, dass die Anordnung einer solchen Durchsuchung konventionswidrig ist, und deshalb die Vollstreckung ablehnen.320
316 Deutlich der Bericht der EU-Kommission KOM (2011) 175 endgültig, S. 6: „Einzelpersonen können sich zwar an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden, um aus der Europäischen Menschenrechtskonvention erwachsende Rechte geltend zu machen, jedoch nur, wenn bereits ein mutmaßlicher Verstoß vorliegt und alle innerstaatlichen rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind. Dies hat sich nicht als wirksam erwiesen, um sicherzustellen, dass die Unterzeichnerstaaten die in der Konvention verankerten Rechtsnormen einhalten.“ 317 Der förmliche Beitritt der EU zur EMRK ist nur eine Frage der Zeit, s. o. S. 77; abgesehen davon ist die Geltung der Konventionsgarantien über Art. 6 II EUV a.F. seit langem anerkannt. 318 Esser, in: Marauhn (Hrsg.): Bausteine eines europäischen Beweisrechts, 2007, S. 39, 63; aus Sicht der Konvention ist es gleichgültig, ob eine Handlung auf das Ersuchen eines anderen Staates zurückgeht. 319 Meyer-Ladewig Rn. 42a. 320 Auch sub specie gegenseitige Anerkennung herrscht Einigkeit, dass die Garantien der EMRK der Verbindlichkeit von „Anordnungen“ eines anderen Mitgliedstaates Grenzen ziehen (näher S. 251).
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(bb) Grenzen der unmittelbaren Menschenrechtsvorbehalte und Gebot gesetzlicher Bestimmtheit Es fragt sich aber, ob mit einem solchen allgemeinen Vorbehalt der Konventionsrechte deren Geltung auch hinreichend gesichert ist. Zwar ergeben sich aus der Rechtsprechung des EGMR konkrete Leitlinien dafür, in welchen menschenrechtlichen Bahnen ein Strafverfahren verlaufen muss, um der EMRK Genüge zu tun;321 dazu gehört aber gerade auch, dass dieses Verfahren in seinen Einzelheiten im staatlichen Recht geregelt wird. Dies gilt zum einen für bestimmte Konventionsrechte, namentlich diejenigen, die eine „gesetzliche Grundlage“ für einen Eingriff fordern: An entsprechende Gesetze stellt der Gerichtshof auch materielle Bestimmtheitsanforderungen.322 Doch auch – oder erst recht – das allgemeine fair-trial-Prinzip fordert ein gewisses Maß an gesetzlicher Konkretisierung. Der EGMR umschreibt dies mit der Maxime „nullum judicium sine lege“,323 wonach die Grundsätze des Strafverfahrens in einem hinreichend bestimmten Gesetz niedergelegt sein müssten, und zwar auch und vor allem zum Schutz der Rechte des Beschuldigten und zur Gewährleistung von Waffengleichheit zwischen Verfolgung und Verteidigung. Dieser Aspekt der Waffengleichheit oder Balance zwischen staatlichen Eingriffsbefugnissen und Verteidigungsrechten ist ein entscheidender Aspekt nicht nur der Fairness des Strafverfahrens, sondern seiner Legitimation überhaupt.324 In einem Verfahren, in dem zwei Staaten ihre Strafgewalt gemeinsam ausüben, stellt sich die Frage nach der Stellung der Verteidigung(en?) besonders akut und wirft spezifische Probleme auf (dazu im Folgenden und S. 182 ff.).325 Generell hat der Gerichtshof das aus dem Fairnessprinzip fließende Bestimmtheitsgebot dahingehend konkretisiert, dass die Norm so bestimmt sein müsse, „dass der Bürger sein Verhalten nach ihr ausrichten kann: Er muss – notfalls mit sach321
Dazu ausf. die o. Fn. 307 nachgewiesenen Werke. Siehe etwa Meyer-Ladewig, Art. 8 Rn. 103 ff. 323 EGMR, Urteil vom 22. 6. 2000, Coëme u. a. gg. Belgien, Slg. 2000-VII, § 102; ausf. Gaede, ZStW 115 (2003), 845, 869 ff. 324 Siehe noch S. 99; für die EU Braum, StV 2003, 576, 580; s. ferner Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 11 Rn. 7: eher Verfahrensbalance als Waffengleichheit, weil eine echte Gleichheit der Mittel zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung nicht möglich sei. Ob sich das Gebot des fairen Verfahrens in der wirksamen Verteidigung auch erschöpft, soll hier nicht näher untersucht werden, dazu zuletzt krit. H. Jung, GA 2013, 90 ff., in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EGMR, der dazu neigt, auch schwerwiegende Verfahrensverstöße als durch wirksame Verteidigungsrechte heilbar anzusehen. 325 Ahlbrecht, StV 2012, 491 ff.; Ahlbrecht/Lagodny, StraFo 2003, 329, 333 ff.; Allegrezza, ZIS 2010, 569, 575; Gleß, ZStW 114 (2002), 636, 650 f.; dies., StV 2010, 400 ff.; Heine, Rechtsstellung, S. 74 ff. u. passim; C. Nestler, ZStW 116 (2004), 332, 340 f.; Schomburg/ Lagodny, NJW 2012, 348 ff.; Schünemann, StraFo 2003, 344, 348 f.; ders., StV 2006, 361, 363 f.; Wehnert, StraFo 2003, 356 ff.; wegen der spezifischen Probleme grenzüberschreitender Verfahren halten De Bondt/Vermeulen, eucrim 2010, 163 die europäischen (Vorschläge für) Mindestverfahrensrechte für wenig adäquat, näher S. 252 ff. 322
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kundiger Hilfe – in einem nach den Umständen angemessenen Umfang die Folgen vorhersehen können, die eine bestimmte Handlung haben kann.“326 In Ermangelung eines verbindlichen Gesetzes, welches das Strafverfahren im Einzelnen regelt, fehlte es letzten Endes auch an einem Referenzrahmen für die Entfaltung und Überprüfung eines fairen Verfahrens, an dessen Stelle nur der „schillernde allgemeine Maßstab der Fairness“327 träte. Vor dem Hintergrund dieses Gebots hinreichend bestimmten Prozessrechts hat der Gerichtshof beispielsweise im Fall Coëme eine Verletzung des fair trial-Prinzips angenommen, weil der Beschuldigte in einem Sonderstrafverfahren für Minister vor dem belgischen Verfassungsgerichtshof verurteilt worden war, in welchem die Regeln der belgischen StPO analog anzuwenden waren, wobei das Gericht davon abweichen konnte, im konkreten Fall aber nicht abgewichen war.328 Die Konventionsrechte und insbesondere der fair-trial-Grundsatz müssen also schon in der hinreichend bestimmten Ausgestaltung des abstrakten Prozessrechts zur Entfaltung kommen. (c) Die spezifischen Probleme der Hybridisierung Gesteigert wird die Schwierigkeit einer unmittelbaren Wahrung des fair-trialPrinzips durch die handelnden Behörden dadurch, dass jenes nicht primär darauf angelegt ist, die Rechtmäßigkeit einzelner Verfahrenshandlungen zu bestimmen, sondern seine Bewertungsgrundlage aus einer Gesamtschau bezieht (s. o.). So wird es erschwert, festzustellen, ob eine bestimmte einzelne Handlung einen Fairnessverstoß nach sich ziehen kann – erst recht, wenn sie Folgen in einer anderen Rechtsordnung zeitigt. (aa) Geteilte Verantwortlichkeit – halbe Verantwortlichkeit? So hatte im Fall Stojkovic der französische Ermittlungsrichter kompetenzgemäß und entsprechend den Vorschriften seines code de procédure pénale die Vernehmung angeordnet. Auch in der Folge – im weiteren Prozess in Frankreich – wurde ordnungsgemäß verfahren. Warum, könnte man fragen, sollte die französische Justiz sich darüber hinaus mit dem etwaigen Fehlverhalten oder überhaupt mit den Amtshandlungen der belgischen Polizei auseinandersetzen? Sie ist weder in der epistemischen noch in der hierarchischen Position, deren Handeln zu kontrollieren, sondern grundsätzlich nur an dem Ergebnis interessiert, das diese übermittelt. Auch das Handeln der belgischen Behörden war im vorliegenden Fall nach deren Rechtsordnung rechtmäßig, soweit das dem Urteil zu entnehmen ist – entschei326 EGMR (Große Kammer), Urteil vom 20. 5. 1999, Rekvényi/Ungarn, NVwZ 2000, 421, § 34; Urteil vom 27. 3. 1996, Goodwin gg. Vereinigtes Königreich, Slg. 1196-II, 496, § 31; Urteil vom 25. 11. 1996, Wingrove gg. Vereinigtes Königreich, Slg. 1996-V, § 40. 327 Gaede, ZStW 115 (2003), 845, 863 ff., 872. Siehe noch S. 98 ff. 328 Urteil vom 22. 6. 2000 (Fn. 323), § 101: s. auch Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 310 f.; ders., ZStW 115 (2003), 845, 871.
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dungserheblich war die Frage nicht, weil der Antrag gegen Belgien vom Gerichtshof für verfristet erklärt worden war. Jedenfalls kennt das belgische Recht kein Recht auf einen Verteidiger für einen Zeugen, wie es der Beschwerdeführer hier formal war. Im Gegensatz dazu sehen die Vorschriften des französischen code de procédure pénale ein Recht auf Verteidigung für „verdächtige Zeugen“ vor. Nach dem damals geltenden Rechtshilfeübereinkommen von 1959329 war die beantragte Maßnahme nach dem Recht des ersuchten Staates, also Belgiens, zu vollstrecken. Die Frage liegt also nicht ganz fern, ob nicht am Ende keinem der beiden Staaten eine etwaige Verletzung von Stojkovics Rechten aus der EMRK anzulasten wäre. In dieser Richtung haben sich tatsächlich die jeweiligen Prozessvertreter der Staaten vor dem EGMR eingelassen. (bb) Verantwortlichkeit des Staates, der das Verfahren führt Aus Sicht des Gerichtshofs dagegen ist die Antwort eine ganz andere – und verhältnismäßig einfach: Es kommt stets darauf an, dass das Strafverfahren (scil. des verfolgenden bzw. urteilenden Staates) als Ganzes fair ist. Das bedeutet zum einen zwar, dass mitunter Rechtsverstöße im weiteren Verlauf eines Verfahrens geheilt werden können, so dass dieses Verfahren in der Gesamtschau dennoch als fair qualifiziert wird. Andererseits aber bedeutet diese summierende Betrachtung, dass alle Vorgänge relevant sind, die in das Verfahren einfließen, so dass es konsequenterweise keine Rolle spielt, wenn sie aus einem anderen Staat stammen. Indem er das Verfahren als Ganzes betrachtet, blendet der EGMR also die Aufteilung zwischen mehreren Staaten bewusst aus.330 Dabei kommt es nach den Worten des Gerichtshofs maßgeblich auf den Staat an, der das Verfahren führt.331 Also oblag es hier, so der Gerichtshof, dem verfahrensführenden französischen Gericht, der Verletzung des Rechts auf Verteidigung wenigstens in der Folge Rechnung zu tragen. Wie sich aus dem Urteil ergibt, wäre vor allem zu erwarten gewesen, dass das „kontaminierte“ Geständnis nicht verwertet wird – und zwar auch nicht im Vorverfahren (§ 56). Methodisch kann ein solches Ergebnis nötigenfalls durch eine konventionskonforme Auslegung332 des innerstaatlichen Rechts unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR erreicht werden. Aber diese Methode stößt notwendigerweise an Grenzen, wenn mehrere denkbare Wege konventionskonform wären333 – wie es gerade für das fair-trial-Prinzip der Fall ist. Auch und vor allem würde eine Lösung 329
Europäisches Übereinkommen vom 20. 4. 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhÜbk), BGBl. 1964 II, 1369, 1386; 1976 II, 1799; 1982 I, 2071. 330 EGMR (Fn. 310), § 55; s. auch Esser (Fn. 318); Gaede, StV 2006, 599, 606 f. 331 EGMR (Fn. 310), § 55 m.w.N. Das kann i.Ü. als Hinweis darauf verstanden werden, dass primär dessen Verfahrensordnung maßgeblich sein sollte, dazu näher S. 169 ff. 332 Die allerdings für den nunmehr zu behandelnden „Plan A“, also eine Verletzung schon a priori zu vermeiden, kaum tauglich ist, weil insofern die Justizbehörde nicht alle Umstände antizipieren kann, etwa die Beweiserhebungsvorschriften im ersuchten Staat. 333 Das Fairnessprinzip schreibt weder bestimmte Rechte noch einen Verfahrenstyp vor, LR-Esser, Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR, Rn. 189.
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auf diesem Wege die erforderliche Bestimmtheit und damit die Vorhersehbarkeit (S. 91 f.) des Verfahrens kompromittieren, weil dem urteilenden Gericht eine mitunter diffizile Würdigung der genauen Umstände der Prozesshandlungen in einem fremden Staat abverlangt würde; vorliegend hat das französische Gericht schon die relativ einfache Sach- und Rechtslage nicht zur Zufriedenheit des Gerichtshofs verarbeitet. (cc) Fairness in actu statt Heilung ex post Doch ist der Gerichtshof in diesem Fall einen entscheidenden Schritt weitergegangen (oder, chronologisch: zurück), indem er schon die Vernehmung als solche als Verletzung des fair trial eingestuft hat. Dazu leitet er zunächst aus der Verfahrenslage in Frankreich den Status des „Angeklagten“ ab (§ 52), der dem Betroffenen in dem Verfahren insgesamt anhaftet und wiederum dazu führt, dass in der belgischen Vernehmung ein Verteidiger hätte anwesend sein müssen. Der fair-trial-Verstoß durch Belgien334 in concreto geht also nicht auf die belgische Rechtsordnung als solche zurück, von der man annehmen darf, dass sie auf ihre Weise das Recht auf Verteidigung sichert und deshalb nicht schon per se konventionswidrig ist. Er beruht vielmehr auf der Hybridisierung zweier Verfahren und Verfahrensordnungen: Der Status, der sich aus dem Verfahren im ersuchenden Staat ergibt, kann in dem anderen beteiligten Staat nicht ohne Weiteres „andocken“, so dass er dort unter Umständen gebotene Schutzgarantien nicht auszulösen vermag, die aus dem Gesamtzusammenhang des Verfahrens im ersuchenden Staat heraus erforderlich wären (s. § 55). In dieser spezifischen Spannungslage gestaltet sich die Gewährleistung eines fairen Verfahrens bereits um ein vielfaches schwieriger, als wenn die Maßnahme (wie die oben beschriebene unverhältnismäßige Durchsuchung) schon als solche ein Recht aus der EMRK tangiert. Gibt man den Justizbehörden des Staates, der sie vornehmen soll, nicht mehr an die Hand als ihre darauf nicht zugeschnittene nationale Verfahrensordnung, ist kaum ersichtlich, wie sie im jeweiligen Einzelfall zu richtigen und vorhersehbaren konventionskonformen Entscheidungen kommen sollen. Entsprechend labil ist die Position des Beschuldigten, der nach den Maß334
Über den der EGMR nicht zu befinden hatte, den er aber implizit bestätigt, §§ 55 f. In dieser Richtung auch Esser/Gaede/Tsambikakis, NStZ 2012, 619, 623; Gaede, StV 2006, 599, 606 f.; Klip, in Renzikowski (Hrsg.): Die EMRK im Privat-, Straf- und öffentlichen Recht, 2004, S. 133 f. Hier wird im Übrigen deutlich, dass der EGMR seine ablehnende Haltung zur Geltung des Art. 6 im Rechtshilfeverfahren nicht konsequent durchhält. Er verneint sie zwar i. d. R. speziell für die Unschuldsvermutung, bejaht sie aber wiederum, wenn ein „close link“ besteht (zum Ganzen LR-Esser Rn. 472 sowie EGMR, Urt. v. 24. 4. 2008, Ismoïlov u. a. gg. Russland – 2947/06), der „in legislation, practice or fact“ bestehen könne. Im Fall Ismoïlov nimmt der Gerichtshof einen solchen „link“ an, weil das Auslieferungsverfahren auf die strafrechtliche Verfolgung im ersuchenden Staat bezogen sei („a direct consequence, and the concomitant, of the criminal investigation“). Im Lichte dieser Feststellung bleibt die Frage, wann Rechtshilfe nicht auf ein ausländisches Strafverfahren bezogen ist, dem sie doch ex praemissione dient. Eigentlich liegt es in der Konsequenz gerade der Gesamtbetrachtung (die insofern dem Prinzip der transnationalen Verfahrenseinheit, dazu S. 113 ff. verwandt ist), das ganze Verfahren als Strafverfahren anzusehen.
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stäben des EGMR in einem vernünftigen Maß vorhersehen können muss, welchen Eingriffen er ausgesetzt sein kann. (dd) Insbesondere: das Verwertungsdilemma Die Sichtweise des EGMR, wonach ein Verfahren in seiner Gesamtheit (ex post!) betrachtet werden muss, um seine Eigenschaft als fair beurteilen zu können (S. 89), hat zwar einerseits den Vorzug, dass sie eine umfassende Betrachtung des Verfahrens als Ganzes zulässt,335 auch und gerade in grenzüberschreitenden Verfahren. Doch sie bringt eine weitere Komplikation mit sich, steht doch naturgemäß erst im Nachhinein überhaupt eine hinreichende Beurteilungsgrundlage zur Verfügung. So können mitunter die Folgen einer einzelnen Handlung bei ihrer Vornahme noch gar nicht allein aufgrund vergangener und gegenwärtiger Tatsachen bestimmt werden. (a) Die Verwertungsproblematik In dem hier untersuchten Fall Stojkovic etwa haftet die Rechtswidrigkeit nicht der belgischen Vernehmung als solcher an, sondern entsteht auf dem Gesamtzusammenhang (s. o.). Dabei muss davon ausgegangen werden, dass das belgische Prozessrecht, etwa mit einem strengen Unmittelbarkeitsprinzip in der Hauptverhandlung, auf seine Weise sicherstellt, dass sich der Beschuldigte gegen die strafrechtlichen Vorwürfe insgesamt adäquat verteidigen kann. In der Gemengelage zwischen zwei beteiligten Staaten aber entstehen „Lücken“, die das Verteidigungsrecht insgesamt in unfairer Weise entwerten können (s. o.). Ähnlich stellt sich die Situation bei der Vernehmung von Zeugen und dem damit zusammenhängenden Konfrontationsrecht des Beschuldigten dar:336 Nach der Gesamtbetrachtungslehre des EGMR ist es prinzipiell gleichgültig, in welchem Verfahrensstadium es eingeräumt und gesichert wird.337 Der Beschuldigte kann schon im Ermittlungsverfahren die Gelegenheit haben, den Zeugen zu konfrontieren, oder später in einer unmittelbaren Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung, abgesichert durch ein Verwertungsverbot für Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren. Eine Rechtsordnung, die ein Konfrontationsrecht schon im Ermittlungsverfahren vorsieht, hätte aber keinen Anlass, ein analoges Verwertungsverbot vorzusehen, sondern könnte eine Verlesung von Ermittlungsakten ohne Bedenken zulassen. Damit also nicht durch die Verwertung eines Protokolls aus einem Staat ohne Konfrontationsrecht bzw. Verteidigung im Ermittlungsverfahren eine dieser Garantien und damit der fair-trial-Grundsatz verletzt wird, müsste der erkennende Richter ad hoc aus einem allgemeinen Fairness-Vorbehalt heraus von seiner Prozessordnung abweichen. Das dürfte von einem einzelnen Richter viel verlangt sein. Mindestens aber beschwört es eine bedenklich unbestimmte Situation herauf, in welcher der Beschuldigte mangels präziser und verbindlicher Regeln nicht vorher335 336 337
Siehe nur LR-Esser, Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR, Rn. 199 m.w.N. LR-Esser, Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR, Rn. 758 ff. LR-Esser, Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR, Rn. 777.
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sehen könnte, ob ein Protokoll im Prozess gegen ihn verwertet wird. Es ist in einer solchen Lage kaum zu entscheiden, ob er sich in der polizeilichen Vernehmung „kooperativ“ verhalten soll, um eine zu erwartende Anklageerhebung und die Hauptverhandlung nicht hinauszuzögern, etwa indem er ein Geständnis ablegt – oder ob er sich dadurch eine Falle stellt, weil letzteres in der Hauptverhandlung verwertet wird. Ebenso schlecht könnte der Beschuldigte oder selbst sein Verteidiger im Falle der Zeugenvernehmung einschätzen, ob eine Konfrontationsmöglichkeit schon im Ermittlungsverfahren erzwungen werden soll oder zuverlässig mit einer späteren Kompensation im Hauptverfahren gerechnet werden kann. (b) Rückblick: Unzulässigkeit des Eingriffs Kommt das urteilende Gericht – und sei es aus einem allgemeinen FairnessVorbehalt heraus – zu dem Schluss, dass ein im Rechtshilfeweg erlangter Beweis nicht verwertbar ist, dann wäre die Maßnahme umsonst gewesen.338 Umsonst bedeutet aber für einen staatlichen Eingriff: ohne legitimen Zweck und damit illegal. Das tritt bei innerstaatlichen Beweiserhebungen nicht so deutlich in den Vordergrund, weil zumindest die unselbständigen Beweisverwertungsverbote339 sich in der (jeweils nationalen) Verfahrenseinheit als sekundäre rechtliche Phänomene präsentieren, die aus der Verletzung von expliziten Beweiserhebungsverboten folgen. Es mag sein, dass das nur auf der Oberfläche zutrifft und das Erhebungsverbot in Wahrheit nur eine Antizipation des logisch primären Verwertungsverbots ist.340 Gerade der Anschein des logischen Vorrangs des Erhebungsverbots aber ist es, der den Blick auf folgende Erkenntnis verstellen kann: Innerhalb einer Verfahrensordnung erscheint die Rechtswidrigkeit einer Erhebung oftmals selbstverständlich, weil sie unmittelbar aus den Vorschriften über die Erhebung folgt. Aber auch unabhängig von einem ausdrücklichen Erhebungsverbot beseitigt ein Beweisverwertungsverbot die (vermeintliche) rechtfertigende Grundlage für die Erhebung, deren einzig möglichen legitimen Zweck.341 Genauer genommen stellt sich im Rückblick heraus,
338
F. Zimmermann/Glaser/Motz, EuCLR 2011, 56, 71 f. Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 457; krit. zur Terminologie: Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 22 m. Fn. 3 – nicht zu Unrecht, wie das Beispiel von Schuster, NStZ 2006, 657, 661 zeigt: Indem dieser von der Kategorisierung als „unselbständig“ ausgeht, macht er die Erhebungssituation zur (vorbehaltlich ausdrücklicher „selbständiger“ Verwertungsverbote wie § 477 II 2, der aber innerhalb eines Verfahrens gerade nicht gelten soll, s. u. S. 171 f.) allein maßgeblichen und verstellt damit den Blick für die Möglichkeit einer zugleich innerprozessualen Relevanz, die für die Verwertbarkeit entscheidend sein kann (s. u. S. 173 ff.). 340 Näher S. 171 f. sowie Grünwald, Beweisrecht, S. 144; Gleß, FS Grünwald, 197, 211; dies., JR 2008, 317, 321. 341 Zur (prozessordnungsgemäßen) Strafrechtspflege als einzig legitimer Zweck s. o. S. 30 ff., 72 ff. Eine andere Frage ist die weitere Verarbeitung ursprünglich rechtmäßig erhobener Beweise in anderen Verfahren; näher zum Ganzen S. 169 ff. 339
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dass der mit der Vollstreckung verbundene Grundrechtseingriff ab ovo unzulässig, weil ungeeignet zur Erreichung seines Zweckes war.342 Das soll und wird innerhalb einer geschlossenen Verfahrensordnung in der Regel unterbleiben, weil entweder ein explizites Erhebungsverbot besteht oder die Akteure die Verwertungssituation antizipieren können. Damit kann jedoch, wie das Verhalten der (durchaus bona fide handelnden) belgischen Behörden im Fall Stojkovic illustriert, in einem grenzüberschreitenden Fall nicht zuverlässig gerechnet werden. Eine bloß nachträgliche Heilung, wie sie das französische Gericht dem Urteil zufolge hätte leisten können und sollen, kann zwar im Lichte der Gesamtbetrachtungslehre die Fairness des Verfahrens „retten“, aber die belastende Wirkung eines eigentlich unzulässigen Eingriffs nicht rückwirkend beseitigen. Es kann aber nicht richtig sein, dass eine Verfahrensordnung ein Dilemma zwischen fair-trial-widriger Verwertung und unzulässigem Grundrechtseingriff befördert. Die vorrangig anzustrebende Lösung muss es deshalb sein, dass eine Maßnahme, die bei ungehinderter Fortwirkung im ersuchenden Staat die Verfahrensfairness verletzen würde, von vornherein unterbleibt. Das Problem der Vermeidung ungeeigneter und deshalb illegaler Beweiserhebungen ist zwar „lediglich“ epistemischer Natur, aber durchaus anspruchsvoll: Denn wenn ein unzulässiger Eingriff vermieden werden soll, so müsste schon die Anordnung der problematischen Maßnahme unterbleiben, spätestens aber müsste die ersuchte Behörde deren Vornahme ablehnen. Dazu wiederum müsste die jeweilige Behörde eine Prognose über die Verwertbarkeit der zu erhebenden Beweise unter Berücksichtigung einer je fremden Rechtsordnung anstellen – eine gerade in Ermangelung einer detaillierten gesetzlichen Regelung kaum zu leistende Aufgabe. (d) Zwischenfazit Die fair-trial-Garantie bedarf also wegen ihrer allgemeinen Formulierung und ihrer rückblickend auf das Verfahren als Ganzes gerichteten Perspektive in besonderem Maße gesetzlicher Konkretisierung. Sie kann nicht eine detaillierte Regelung des Verfahrens ersetzen, sondern setzt diese voraus und kann sinnvollerweise nur ein Maßstab zu ihrer Überprüfung sein;343 dazu muss sie sich im abstrakten Verfahrensgesetz entfalten. Das Ziel muss sein, dass ein dieser Prozessordnung gemäß durchgeführtes Verfahren den Verbürgungen der EMRK und insbesondere den Voraussetzungen eines fairen Verfahrens genügt. Dabei muss, um nicht auf ungewisse ad-hoc-Korrekturen angewiesen zu sein, schon die einzelne Handlung, die bei i.Ü. regelmäßiger Fortentwicklung des Verfahrens in eine fair-trial-Verletzung 342
Heger, ZIS 2007, 547, 552; Roger, GA 2010, 27, 32; ähnlich im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Observation (Art. 40 SDÜ) Böse, ZStW 114 (2002), 148, 178. Demgegenüber beschreibt Ambos, Beweisverwertungsverbote, S. 84 f. die Lösung im klassischen Rechtshilferecht als selbständiges Verwertungsverbot, weil es „unabhängig von der Beweiserhebung“ (und nur bei schweren Verstößen) greift. 343 Vgl. Gaede, ZStW 115 (2003), 845, 863 ff., 872.
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münden würde, unzulässig sein. Weil naturgemäß nicht jeder Einzelaspekt für jeden Fall im Voraus bestimmbar ist, kann und muss dieses Verfahrensrecht wo nötig sachgemäß durch die Gerichte konkretisiert werden, und das bedeutet nicht zuletzt: nach möglichst konkreten und klaren Kriterien in voraussehbarer Art und Weise. An diesem Maßstab kann – und muss – sich ein Modell für transnationale Strafverfahren, jedenfalls in der umfassend an die EMRK gebundenen EU, messen lassen, weil es, wie erwähnt, aus der menschenrechtlichen Perspektive gleichgültig ist, ob ein Verfahren rein national oder transnational geführt wird. Ganz besonders müssen dabei diejenigen Probleme geregelt werden, die aus der Hybridisierung verschiedener Verfahrensordnungen resultieren, wobei besonderes Augenmerk auch auf den von Art. 13 EMRK verbürgten effektiven Rechtsschutz zu legen ist (s. noch S. 182 ff.). Dem steht die vom EGMR proklamierte Nichtgeltung der spezifisch strafprozessualen Garantien im Rechtshilfeverfahren (S. 77) nicht entgegen: Das Rechtshilfeverfahren als solches gibt es gar nicht,344 es erlangt seine Bedeutung – und seine Rechtfertigung – erst durch Rückbindung an das Strafverfahren, dem es dient (s. bereits S. 30 f., 77). Das erkennt der Sache nach auch der Gerichtshof an, wenn er seine Gesamtbetrachtung unterschiedslos auch auf ein grenzüberschreitendes Strafverfahren erstreckt. Zugleich deutet sich im Stojkovic-Urteil die Gesamtverantwortung der verschiedenen beteiligten Staaten an (näher S. 106 ff.). Dass dabei im Beweisverkehr maßgeblich auf den ersuchenden Staat abgestellt wurde, ist kein Zufall und hängt damit zusammen, dass er das Verfahren führt und letztlich die problematischen Beweisergebnisse darin einfließen lässt (näher S. 124 ff., 169 ff.). d) Zwischenbilanz: Individualrechte, verfassungsrechtliche Vorgaben und ihre notwendige Entfaltung in einem ausbalancierten einfachen Recht Nachdem sich die Erkenntnis, dass der Einzelne im Zusammenhang der strafrechtlichen Rechtshilfe Träger subjektiver Rechte und nicht nur Objekt eines zwischenstaatlichen Rechtsverhältnisses ist, heute allgemein durchgesetzt hat, ist eine Ansicht im Vordringen begriffen, die – überzeugend – die Rechtsposition des Individuums sogar zum Ausgangspunkt der Überlegungen macht (S. 69 ff.). Richtigerweise ist dem Primat der Individualrechte dadurch Rechnung zu tragen, dass staatliche Eingriffe, auch wenn sie auf ausländische – wiederum: staatliche – Ersuchen zurückgehen, strikten Rechtfertigungserfordernissen unterliegen. Eine Legitimation finden sie – nur – in ihrem ultimativen Ziel der Durchsetzung von Strafrecht, für dessen Ausgleich mit Individualrechten sich Rahmenbedingungen in der Verfassungsordnung finden lassen. Wie gezeigt worden ist, sind nämlich die Grund- und Menschenrechte grundsätzlich auch dann zur Anwendung berufen, wenn im Zuge eines Strafverfahrens 344
Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 34 vor §§ 21, 22.
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Staatsgrenzen überschritten werden und mehrere Staaten in Strafsachen kooperieren (S. 75 ff.). Dabei gibt es keinen durchgreifenden Grund, schon den Schutzbereich dieser Garantien im Namen der grenzüberschreitenden Dimension (oder der „bloßen“ Hilfe fürs Ausland) enger zu ziehen als bei innerstaatlichen Strafverfahren. Vielmehr sind aus der bottom-up-Perspektive Gemeinsamkeiten zu konstatieren, die auch einen Vergleich im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes bedingen und in dem Verbot kulminieren, das Individuum schon wegen der transnationalen Dimension schlechter zu stellen als in einem innerstaatlichen Prozess. Nachdem sich am Beispiel des prozessspezifischen, aber zugleich besonders unbestimmten fair-trial-Prinzips gezeigt hat, dass seine Wirksamkeit maßgeblich durch die Entfaltung im einfachen Prozessrecht bedingt ist (S. 86 ff.), ist eine allgemeine Standortbestimmung von Funktion und Wirkweise der Grundrechte im Strafverfahren angezeigt. aa) Grundrechte, Benachteiligungsverbot und Verfahrensbalance Die Aufgabe der Grund- und Menschenrechte im Strafverfahren besteht im Wesentlichen darin, der staatlichen Eingriffsmacht Grenzen zu ziehen, hoheitliche Befugnisse in einen Ausgleich mit den Rechten des Bürgers zu bringen. Sie dienen der Rechtsstaatlichkeit im Strafverfahren, die nicht umsonst als „in Regeln gekleidete Machtbeschränkung“ umschrieben worden ist.345 Damit bilden sie die normative Grundlage der Verfahrensbalance, die – jenseits der Einzelheiten der konkreten Realisierung – zu den Wesensmerkmalen einer jeden Strafverfahrensordnung gehört.346 Sie hat zum Einen die Freiheitssphären des Bürgers zu wahren, indem seine Duldungspflichten gegenüber staatlichen Eingriffen – im Zusammenhang eines Strafverfahrens wie auch ganz allgemein – auf ein angemessenes Maß beschränkt werden.347 Andererseits ist es eine unabdingbare Voraussetzung eines legitimen Strafverfahrens, welches niemals mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit aufwarten kann, dass der Beschuldigte als Prozesssubjekt mit Beteiligungsrechten ausgestattet ist. Erst mit der Möglichkeit seiner Einflussnahme, also wirksamen Verteidigungsrechten, entsteht die dynamische Balance, die dem Verfahren und seinem Ergebnis ihre Berechtigung verleihen.348 Diese kann als Verfahrensbalance im engeren Sinne bezeichnet werden und ist meistens gemeint, wenn von prozessualer Balance die Rede ist.
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I. Müller, Rechtsstaat und Strafverfahren, S. 46. C. Nestler, ZStW 116 (2004), 333, 346 ff.; Schünemann, StraFo 2003, 344, 349. 347 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 29 Rn. 3 ff. m.w.N.; die Freiheitsrechte begrenzen damit die im Namen der „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ (BVerfGE 33, 367, 383; 39, 156, 163; 53, 152, 160) zulässigen Eingriffe in die Individualsphäre; s. noch S. 126 ff. 348 Schünemann, StraFo 2003, 344, 349; Sommer, StraFo 2003, 351, 354 346
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In einem grenzüberschreitenden Strafverfahren werden im Wesentlichen die gleichen Eingriffe vorgenommen wie im nationalen, und zwar letztendlich zum selben Zweck der Durchsetzung von Strafrecht (zum Ganzen S. 30 f., 37 ff.). Sich in dieser Konstellation von vornherein von einer ausbalancierenden Machtbändigung zu verabschieden, besteht weder Anlass noch Legitimation; ihre Übertragung auf diese Konstellation ist vielmehr eine maßgebliche Aufgabe des Rechts der strafrechtlichen Rechtshilfe (näher S. 124 ff.). Die prozessuale Balance als universaler Kern des Strafverfahrensrechts und Kristallisationspunkt der grundrechtlich geprägten Rechtsstellung des Einzelnen eignet sich damit als genereller Bezugspunkt des Benachteiligungsverbots, das dann so formuliert werden kann: Die grenzüberschreitende Dimension eines Strafverfahrens darf dessen Balance nicht zu Lasten des Verfolgten verschieben.349 bb) Entfaltung im (einfachen) Strafprozessrecht Dabei lässt sich die Gestaltung dieser Balance zwar auf allgemeine Maximen zurückführen, die in der Verfassung oder internationalen Menschenrechtsinstrumenten verwurzelt sind (s. o.). Erst im (einfachen) Verfahrensrecht werden diese aber im Einzelnen entfaltet und so praktisch wirksam gemacht – auch das scheint in der Wendung vom „Strafprozessrecht als Seismograph der Staatsverfassung“350 auf. Eine wirksame Einflussnahme der Verteidigung wird nicht durch deren allgemeine Proklamation in der Verfassung, sondern unmittelbar erst durch bestimmte prozessrechtliche Institute wie Akteneinsichts-, Beweisantrags- und Konfrontationsrechte realisiert;351 der nemo-tenetur-Grundsatz lebt von seiner konkreten Ausgestaltung, sei es durch Belehrungspflichten oder die Sanktionierung mit einem Verwertungsverbot.352 Kurzum: Ein ausgewogenes Strafverfahren entsteht in einem konsistenten System von Eingriffsrechten und Gegenrechten, nicht schon durch punktuelle Fundamentalgarantien (und deren abwägende Anwendung im Einzelfall),353 die ein solches System nicht schaffen oder ersetzen können, sondern voraussetzen. Dabei können die Garantien, wie der kurze Blick auf einen belgisch-französischen Fall schon beispielhaft gezeigt hat (S. 92 ff.), im einen oder anderen Stadium des Verfahrens greifen, solange sie nur überhaupt wirksam gewährleistet werden. 349 C. Nestler, ZStW 116 (2004), 332, 348; Schünemann, StraFo 2003, 344, 349; ders., StV 2006, 361, 363, 367 f.; s. auch Gless, StV 2010, 400, 405 ff. 350 Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht, § 2 Rn. 1; Sax spricht von „letztlich angewandtem Verfassungsrecht“ (in: Handbuch Grundrechte, Bd. 3,2, 1959, S. 908 ff., 967). 351 Zum Akteneinsichtsrecht KK-Laufhütte, § 147 Rn. 1; SK-Wohlers, § 147 Rn. 1: nicht aus Art. 103 I GG ableitbar, aber „notwendiges Kernelement eines fairen Strafverfahrens“; zum Beweisantragsrecht KK-Krehl, § 244 Rn. 67; SK-Frister, § 244 Rn. 46 (entscheidend für Subjektstellung des Angeklagten und Abkehr vom Inquisitionsprozess); zu Anwesenheits- und Konfrontationsrechten KK-Griesbaum, § 168c Rn. 1; SK-Wohlers, § 168c Rn. 1. 352 KK-Diemer, § 136 Rn. 11, 26; SK-Rogall, § 136 Rn. 1, 41, 76. 353 Gless, StV 2010, 400, 405 ff.; Schünemann, StraFo 2003, 344, 349.
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Die Liste ließe sich nahezu beliebig fortsetzen; worauf es ankommt, ist aber zunächst nur die Feststellung, dass das einfache Strafverfahrensrecht entscheidend ist für das – auch im grenzüberschreitenden Fall zu wahrende – Prozessgleichgewicht und deshalb eine zentrale Rolle in der Entfaltung der verfassungsrechtlichen Werteordnung unter der Prämisse des Benachteiligungsverbots spielen muss (näher S. 124 ff.). Die Grund- und Menschenrechte sind dabei „nur“ Maßstab und Prüfstein für das einfache Verfahrensrecht,354 dem grundsätzlich Anwendungsvorrang und deshalb hier besondere Aufmerksamkeit zukommt. cc) Unzulänglicheit von Mindestrechten; Gesetzesvorbehalt Ein weiteres, strukturelles Gebrechen eines grundrechtsunmittelbaren Ansatzes ist die Tendenz zur Minimierung des Niveaus von Individualrechten. Nicht umsonst ist in der Diskussion, gerade zum europäischen Strafrecht, die Rede von staatenübergreifenden „Mindeststandards“.355 Beim unmittelbaren Rückgriff auf fundamentale Rechte zur Bändigung staatlicher Eingriffsmacht ist die Fragestellung nicht, ob und wie erstere am besten zur Geltung kommen sollen, sondern ob sie verletzt sind oder nicht, mit anderen Worten: Ob eine bestimmte Vorgehensweise, und sei es gerade noch, mit den Grund- bzw. Menschenrechten vereinbar ist. Damit würde eine Schlechterstellung im Verhältnis zum Beschuldigten eines rein nationalen Verfahrens zumindest in Kauf genommen, der ja in den Genuss eines nicht auf das rechtsstaatliche Minimum reduzierten, sondern in einer austarierten Prozessordnung niedergelegten Verfahrens kommt. Diese Schwäche ist auch verfahrensrechtlich im grund- und menschenrechtlichen Schutzsystem selbst angelegt, das letzten Endes auf eine außerordentliche Prüfung durch ein Verfassungsgericht oder übernationales Menschenrechtsgericht (hier: den EGMR) hinausläuft, in der Regel in nachträglichen und langwierigen Verfahren. Es kann nicht deren Aufgabe sein, regelmäßig im Einzelfall Gewähr für die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens zu tragen. Die darüber hinaus bestehende Möglichkeit – und die Pflicht – der Behörden und Fachgerichte zur grund- bzw. menschenrechtskonformen Auslegung des einfachen Rechts356 sowie u. U. die Möglichkeit der Vorlage einer für verfassungswidrig gehaltenen Norm357 können zwar im Einzelfall der Füllung etwaiger Lücken dienen, sind aber ihrerseits schon wegen der hoch-
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Näher S. 124 ff., 210 ff. Mit dieser Feststellung soll keinesfalls ihr Stellenwert geleugnet, sondern nur einerseits ihr Status als zwar notwendige, aber äußerste Grenze der zu gestaltenden prozessualen Rechtslage betont werden und andererseits dem Rechnung getragen werden, dass sie nicht spezifisch für die grenzüberschreitende Konstellation sind (dazu noch S. 214 ff.) und deshalb nicht im Zentrum dieser Untersuchung stehen. 355 Siehe Art. 82 II AEUV; krit. Gless, StV 2010, 400, 406; Schünemann, StV 2003, 115, 121; Busemann, ZIS 2010, 552, 555; s. noch S. 252 356 Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, § 31 Rn. 258 ff. 357 Siehe nur Art. 100 I GG.
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gradigen Unbestimmtheit ungeeignet, allgemein gesetzesvertretende Funktion zu erfüllen.358 Hinzu kommt, dass die Gestaltung des Verfahrens und die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen wirksamer Strafrechtspflege und der Wahrung individueller Rechte in erster Linie dem (demokratisch legitimierten) Gesetzgeber obliegt. Ihm ist es vorbehalten, die widerstreitenden Interessen in Ausgleich zu bringen, nicht zuletzt weil dafür verschiedene Modelle und Wege zur Verfügung stehen, zwischen denen die Fundamentalrechte eine Wahl weder vorgeben können noch sollen.359 Dieser Vorbehalt des Gesetzes beansprucht in keinem geringeren Maße Gültigkeit, wo ein Verfahren ausländische Bezüge aufweist.360 dd) Fazit Was die Untersuchung des fair-trial-Grundsatzes deutlich illustriert hatte (s. o. S. 87 ff.), lässt sich also verallgemeinern: Die Grund- und Menschenrechte ziehen dem Strafverfahrensrecht (äußerste) Grenzen, können aber eine austarierte Verfahrensordnung nicht ersetzen; ein verfassungsunmittelbares Regime des Strafverfahrens ist nicht denkbar, auch nicht eine Ersetzung der – und sei es nur punktuell – aufgelösten förmlich-gesetzlichen Verfahrensbalance durch den direkten Rückgriff auf allgemeine Prinzipien. Wenn dabei über Staatsgrenzen hinweg kooperiert wird, verliert das Erfordernis einer bestimmten und austarierten gesetzlichen Regelung nicht an Bedeutung, sondern gewinnt im Gegenteil in dem Maße an Dringlichkeit, in dem die Komplexität durch Beteiligung verschiedener Behörden unterschiedlicher Rechtssysteme gesteigert wird.361
358 Siehe auch S. 90 ff. Es soll damit nicht die Möglichkeit geleugnet werden, prozessuale Formen als Richterrecht zu setzen; dazu sind aber die Gerichte im kontinentaleuropäischen Rechtskreis weder befugt noch in der Lage. Speziell Verfassungs- oder Menschenrechtsgerichte können diese Aufgabe schon wegen ihrer beschränkten Kognition nicht erfüllen – das Bundesverfassungsgericht ist, so wird betont, „keine Superrevisionsinstanz“, also nicht berufen, sich in die „Niederungen“ des einfachen Rechts zu begeben (BVerfGE 7, 198, 207; 18, 85, 92). Schließlich dokumentiert jede Rechtsordnung mit ihrem strafprozessualen Kanon den nach ihrer Einschätzung angemessenen Grad an gesetzlicher Bestimmtheit, der im Lichte des Benachteiligungsverbots (S. 69 ff.) auch in grenzüberschreitenden Verfahren grundsätzlich nach Beachtung verlangt. 359 Rechtsvergleichend zu den Unterschieden zwischen europäischen, also zumindest der gemeinsamen Menschenrechtsordnung der EMRK unterworfenen Staaten Hörnle, ZStW 117 (2005), 801 ff. 360 Die Bedeutung dieses Gesetzesvorbehalts unterstreicht, speziell auf EU-Ebene, Gless, StV 2010, 400, 406 f.; vgl. auch Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 46 f. 361 Dazu S. 92 ff.; s. auch Gaede, ZStW 115 (2003), 845, 867 ff.; Gless, StV 2010, 400, 404 ff.; Sommer, StraFo 2003, 351, 354.
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e) Verantwortlichkeit der beteiligten Staaten „[…] ich werde euch beide Artur nennen. Schicke ich Artur irgendwohin, gebe ich Artur eine Arbeit, so macht ihr sie beide, das hat […] den Vorteil, daß ihr für alles, was ich euch auftrage, gemeinsam die Verantwortung tragt. Wie ihr untereinander die Arbeit aufteilt, ist mir gleichgültig, nur ausreden dürft ihr euch nicht aufeinander, ihr seid für mich ein einziger Mann.“ Sie überlegten das und sagten: „Das wäre uns recht unangenehm.“ – „Wie denn nicht“, sagte K., „natürlich muß euch das unangenehm sein, aber es bleibt so.“ Franz Kafka, Das Schloß, München 1926, S. 34 f.
Angesichts der Beteiligung mehrerer Staaten muss auch geklärt werden, welche Rolle sie jeweils im Verhältnis zum Betroffenen einnehmen; entsprechend dem hier verfolgten Ansatz soll untersucht werden, wie die Staaten jeweils dem Bürger gegenüber auftreten und was daraus für ihre jeweilige Verantwortlichkeit und rechtliche Bindung folgt. aa) Sind die Staaten „Erfüllungsgehilfen“ oder „Gesamtschuldner“ eines prozessordnungsgemäßen Verfahrens? In der Judikatur des EGMR zum fair-trial-Satz hat sich auch angedeutet (S. 97 f.), dass der Gerichtshof den Staaten eine gemeinsame Verantwortung in der Gewährleistung eines fairen Verfahrens i.S.d. Art. 6 EMRK auferlegt. Davon ausgehend lässt sich allgemein fragen, wie sich die Verantwortlichkeit für die Durchführung eines prozessordnungsgemäßen Verfahrens in grenzüberschreitenden Fällen aufteilt. Es geht dabei i.E. um die Wahrung von Individualrechten unter (ggf. gerichtlicher) Prüfung von Eingriffsvoraussetzungen,362 die Eröffnung von Rechtsmitteln und das Einstehen363 für etwaige unrechtmäßige Eingriffe: Können die Staaten Verantwortung für die Einhaltung rechtlicher Maßstäbe und insbesondere der Beschuldigtenrechte auf den je anderen Staat abwälzen oder ob muss jeder zur Gänze dafür einstehen? Vorstehend war bereits die Rede davon, dass der ersuchte Staat sich nicht hinter dem ersuchenden „verstecken“ kann, wenn es um die Rechtfertigung eines Eingriffs geht, sondern diese vielmehr immer auf Strafverfolgungsinteressen zurückgeführt werden muss (S. 30 ff., 72 ff.). Damit konnte festgestellt werden, dass ein Staat nicht schon daraus (Eingriffs-)Rechte gegenüber dem Individuum ableiten kann, dass er für einen oder mit einem anderen Staat gemeinsam vorgeht. Die Eingriffe müssen stets im Lichte ihrer Funktion, der Durchsetzung von Strafrecht, gesehen werden, und vor entsprechenden Legitimationsbedingungen bestehen können. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, welcher der zusammenwirkenden Staaten für die Einhaltung dieser Bedingungen verantwortlich zeichnet: Ist 362 363
Esser, Festschrift Roxin, 2011, 1497, 1501 f. Zu Ersatzpflichten S/L/G/H, Einl. Rn. 143 ff.
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jeder nur für die Einhaltung seiner eigenen Regeln zuständig, wenn und soweit sie in der Rechtshilfekonstellation anwendbar sind? Oder besteht eine gemeinsame Verantwortlichkeit für die Rechtmäßigkeit des staatlichen Handelns? Die erste Alternative würde den ersuchten Staat als eine Art „Erfüllungsgehilfen“364 des ersuchenden betrachten, der selbst nicht im strafprozessualen Rechtsverhältnis zum Verfolgten stünde und nicht nach dessen spezifischen Regeln verpflichtet wäre, sondern nur die äußerlichen Umstände seines Vorgehens rechtmäßig gestalten müsste. Die zweite Alternative entspräche einem Modell der Gesamtschuld,365 in welchem beide Staaten gemeinsam verpflichtet sind, ein rechtmäßiges Verfahren zu gewährleisten. bb) Diskussion anhand von Ersatzleistungen Die Frage der Verantwortung für staatliche Eingriffe ist vor allem aus der ex-postPerspektive, anhand der Entschädigung für Maßnahmen der Strafverfolgung bzw. Erstattung von Prozesskosten thematisiert worden. In diesem Zusammenhang wird angeführt, die (Folge-)Verantwortung für strafprozessuale Eingriffe sei gefährdet, wenn der ersuchte Staat – wie die BRD in entsprechender Anwendung der die Erhebung der öffentlichen Klage voraussetzenden Vorschriften der §§ 467 f. StPO – eine Erstattung der Auslagen für den Rechtsbeistand davon abhängig macht, dass die (deutsche) Staatsanwaltschaft den Antrag auf Auslieferung nach § 29 IRG gestellt hat,366 ohne Rücksicht darauf, ob nicht im ersuchenden Staat öffentliche Klage erhoben worden war und deshalb nach der den Erstattungsnormen der §§ 467 f. StPO zugrundeliegenden Wertung der Beschuldigte einen ebenso guten Grund hatte, einen Verteidiger zu Rate zu ziehen, als wenn die Klage vor einem deutschen Gericht erhoben worden wäre.367 Zugleich ist vom ersuchenden Staat in einer solchen Konstellation eine Kostentragung nicht ohne Weiteres zu erwarten: Gerade die BRD übernimmt in der Rolle des ersuchenden Staates nach überwiegender Auffassung die Auslagen des Beschuldigten im ersuchten Staat nicht umfassend, sondern nur, soweit die Verteidigung auch das Verfahren des ersuchenden (deutschen) Staates betrifft oder die in § 2 III StrEG 364 Cum grano salis, weil die Durchführung eines Strafverfahrens natürlich nicht die Erfüllung einer Verbindlichkeit im zivilistischen Sinne ist – mit der Maßgabe aber, dass die „Schuld“ hier die Achtung der Rechte des Subjekts zum Inhalt hat, kann das Vokabular der Obligationen gebraucht werden (s. noch S. 109 ff.). 365 So auch Klip, in: Renzikowski (Hrsg.): EMRK, S. 123, 131. 366 Als (angeblich) funktionales Äquivalent zur Anklageerhebung, insofern als (erst) der Antrag nach § 29 IRG ebenso wie jene eine gerichtliche Entscheidung erforderlich mache. Siehe BGHSt 30, 152, 157 ff.; OLG Köln, NStZ 2000, 29; Vogel/Burchard, in: G/P/K, § 77 IRG Rn. 68 ff. 367 Krit. Lagodny/Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 40 IRG Rn. 36 f. (m.w.N. zum Streitstand), die eine verfassungskonforme Ausweitung des StrEG auf die Auslieferungshaft in der BRD als ersuchtem Staat erwägen. Zur (umfassenden) Verteidigung im ersuchten Staat s. sogleich im Text sowie S. 182 ff.
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genannten Maßnahmen (namentlich Auslieferungshaft);368 damit entfällt die Erstattung insbesondere für die Verteidigung, die sich „nur“ auf das ausländische Auslieferungsverfahren bezieht, weil dieses „keinen Annex des deutschen Strafverfahrens bild[e] und vielmehr ein selbständiges Verfahren der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen darstell[e]“.369 Unter (exemplarischer) Zugrundelegung einer der deutschen entsprechenden Rechtslage und Rechtsprechung in beiden beteiligten Staaten sind also Konstellationen möglich, in denen diese beiden Staaten eine Erstattung verweigern würden, obwohl der Beschuldigte letztlich freigesprochen oder schon die Anklage nicht zugelassen wird. Auch wenn ein völliger Ausfall von Ersatzleistungen selten sein dürfte, sind solche und ähnliche Konstellationen bei jeglicher erlittener Zwangsmaßnahme möglich.370 Dieser zu Recht als solche erkannten Gefahr „wechselseitiger Verantwortungsverlagerung“371 soll mit der Maxime begegnet werden, dass die Staaten nicht die Verantwortung für Eingriffe aufeinander abwälzen dürfen:372 „Der ersuchte Staat darf sich nicht auf den Standpunkt stellen, Menschenrechtsverstöße im ersuchenden Staat gingen ihn nichts an, und vice versa. Auch dürfen spezifisch prozessrechtliche Garantien nicht dadurch entwertet werden, dass sich der ersuchte Staat darauf beriefe, aus seiner Sicht handele es sich nicht um ein Strafverfahren, und der ersuchende Staat mögliche Rechtsverletzungen im ersuchten Staat als für sein Strafverfahren unerheblich ansieht.“373 Dass die Verantwortung im Zusammenspiel zweier Staaten gewahrt werden muss, ist also unstrittig, wirft aber die – meist im Zusammenhang der Entschädigung diskutierte – Frage auf, wie dies bewerkstelligt werden kann. Es wird teilweise eine Haftung des ersuchten, teilweise des ersuchenden Staates vorgeschlagen (s. o.), mitunter auch eine Spaltung der Verantwortlichkeit entsprechend der Rollenverteilung, wonach der ersuchende Staat hafte, soweit der ersuchte ihm vertraue (na368
Vogel/Burchard, in: G/P/K, § 77 IRG Rn. 78 ff. Vogel/Burchard a.a.O. Rn. 79; OLG Köln NStZ-RR 2003, 319; OLG Zweibrücken, NStZ 1989, 289 f.; anders und gegen letztere Entscheidung Vogler, NStZ 1989, 254 f., dem zufolge Verteidigung gegen die Auslieferung im ersuchten Staat immer auch Verteidigung gegen die Auslieferungshaft und deshalb in der BRD als ersuchendem Staat nach § 2 III StrEG erstattungsfähig ist; ebenfalls für Kostenerstattung HansOLG Hamburg, NStZ 1988, 370; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8. 9. 2011, III-4 Ws 495/11 (wo aber nicht ganz klar wird, ob der Verteidiger im ersuchenden oder ersuchten Staat tätig wurde). 370 Zur Auslieferungshaft etwa krit. S/L/G/H, Einl. Rn. 143 f.; 10 ff. vor § 15; 40 Rn. 34 ff.: „Rechtsschutzlücke“. 371 S/L/G/H, Einl. Rn. 143. 372 Das ist, jedenfalls dem Grunde nach, weitgehend Konsens, s. nur S/L/G/H, Einl. Rn. 143 ff.; Sommer, StraFo 2003, 351; Vogel, in: G/P/K, Vor § 1 IRG Rn. 40 f.; Klip, ZStW 117 (2005), 879, 910 und Vogler, NStZ 1989, 254 f., die allerdings den jeweils ersuchenden Staat in der Pflicht sehen; zurückhaltender Böse, in: G/P/K, vor § 78 IRG Rn. 31 f., der betont, dass die Arbeitsteilung (bei „isolierter Betrachtung“) ein geringeres Schutzniveau im ersuchten Staat bedingen könne. 373 Vogel, in: G/P/K, Rn. 40 vor § 1 IRG. 369
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mentlich was den Tatverdacht angeht) und letzterer (nur) für die von ihm eigenständig geprüften Voraussetzungen.374 Es fragt sich aber, wie etwa die Haftung für den Tatverdacht als solchen bemessen werden soll, wenn doch erst der Eingriff im ersuchten Staat überhaupt einen messbaren und ersatzfähigen Schaden verursacht. Dessen rechtliche Würdigung wiederum wäre aber ohne Beachtung der Sach- und Rechtslage im ersuchenden Staat unvollständig. Selbst wenn eine saubere Trennung durchführbar sein sollte, würde zwischen zwei Staaten aufgespaltene Rechtswegzuweisung für den Verfolgten eine bedenkliche Unsicherheit bedeuten, bliebe es doch ihm überlassen, zu „raten“, in welchem der Staaten er sein Recht suchen soll.375 Deshalb erscheint es im Interesse einer effektiven, d. h. dem Benachteiligungsverbot genügenden Gewährleistung seiner subjektiven Rechtsstellung angezeigt, von einer „Gesamtschuld“376 der Staaten auszugehen. Dabei liegt es nahe, dass zunächst der Staat vollumfänglich in der Haftung ist, der realiter die Maßnahmen gegen den Beschuldigten vornimmt und ihm den Schaden zufügt, m.a.W. der ersuchte Staat, der ihn in Haft nimmt (oder eine Beschlagnahme vornimmt, etc.).377 Soweit er teilweise im Vertrauen auf das Ersuchen des anderen Staates und dessen Behauptungen gehandelt hat, ist das legitim, aber kein unmittelbar nach außen hin, dem Bürger gegenüber, durchgreifendes Argument gegen seine Einstandspflicht. Für diesen Fall bietet sich vielmehr ein Ausgleich im Innenverhältnis zwischen den Staaten an. Schließlich ist es einzig und allein der ersuchte Staat, der beschließt, dem ersuchenden zu vertrauen und für ihn in die Rechte des Bürgers einzugreifen. Warum sollte es diesem Bürger obliegen, in jenes exklusiv staatliche Binnenverhältnis „einzudringen“, um zu seinem Recht zu kommen? Ein überzeugendes (partielles) Modell für eine solche gesamtschuldnerische Haftung enthalten die europäischen Instrumente zur Beweiserhebung nach dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung,378 die – ohne sie zu statuieren – von einer vollen Haftung des ersuchten Staates ausgehen und diesem ggf. einen Regressanspruch gegen den ersuchenden einräumen. cc) Gesamtverantwortung als allgemeines Prinzip Der Ersatz für erlittene Schäden als sekundärer Rechtsschutz kann aber nur die zweitbeste Lösung sein. Um die Rechtsposition des Beschuldigten nicht erst in Gestalt der Kompensation erlittenen Unrechts wirksam werden zu lassen, sondern 374
s. o. sowie insb. S/L/G/H, Einl. Rn. 144. Wörtlich Klip, ZStW 117 (2005), 879, 910; ebenso Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 16 vor § 15 IRG. 376 Klip, in: Renzikowski (Hrsg.): EMRK, S. 123, 131; näher S. 109 f. 377 S/L/G/H, Einl. Rn. 134 („Zurechnung kraft Vertrauens“); ähnlich Asp/v. Hirsch/Frände, in: Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, S. 240, 243. 378 Art. 17 der RiLi-EEA; Art. 19 Rb-EBA, näher zum Ganzen S. 271 ff. 375
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von vornherein durch Kautelen, subjektive Abwehrrechte und Rechtsbehelfe zu sichern, bietet sich eine Übertragung des Gedankens der Gesamtverantwortung auf die Ebenen der Eingriffsvoraussetzungen und des primären Rechtsschutzes an. (1) Bündelung der staatlichen Eingriffsmacht und Eingriffsvoraussetzungen Der Gedanke der „Zurechnung kraft Vertrauens“ (s. o.), wonach ein Staat, der aufgrund der Behauptungen eines anderen handelt, sich so behandeln lassen muss, als würden diese von ihm selbst ausgehen, trägt nämlich nicht erst im Nachhinein, wenn es um die Kompensation von Schäden geht. Vielmehr hebt er – mit Recht – allgemein darauf ab, dass die Staaten im Zugriff des ersuchten Staates ihre Kräfte bündeln: In diesem konvergiert die Staatsmacht beider beteiligter Staaten, und dementsprechend muss er von vornherein verantwortet werden. Dem kann der ersuchte Staat sich nicht mit dem Argument entziehen, er leiste „nur“ Rechtshilfe für einen anderen Staat, denn aus der Beziehung zum anderen Staat als solcher kann er keine Rechte herleiten; die Verschiedenheit der staatlichen Handlungssubjekte ist ein rein äußerliches Phänomen, das nicht den Blick darauf verstellen kann, dass es letztlich um ein strafprozessuales Vorgehen auch des ersuchten Staates geht (s. bereits S. 30 ff.), welches nur durch die Rückbindung an den Zweck der Durchsetzung von Strafrecht legitimiert werden kann. Diese prozessuale Rechtslage, in welcher der ersuchte Staat dem Verfolgten gegenübertritt, muss entsprechenden Regeln des Strafverfahrens unterliegen (i.E. näher S. 124 ff.). Soweit diese der Rechtsordnung des ersuchten Staates entstammen, ist er für ihre Einhaltung ebenso verantwortlich, wie wenn er ein eigenes Verfahren führen würde.379 Inhaltlich unterliegt die Ingangsetzung einer Rechtshilfemaßnahme auch und gerade im ersuchenden Staat bestimmten rechtlichen Voraussetzungen.380 Dem Gedanken folgend, dass niemand mehr Rechte übertragen kann, als er selbst innehat, muss der ersuchte Staat, der die im Rechtshilfeersuchen „verpackte“ prozessuale Entscheidung des ersuchenden sich zu eigen und praktisch wirksam macht, auch deren rechtsstaatlicher Kehrseite, ihre positiven und negativen Voraussetzungen, Rechnung tragen. Die einschlägigen Voraussetzungen im ersuchenden Staat konditionieren also auch die „Verlängerung“ in Gestalt des Vorgehens im ersuchten Staat; sie sind keine bloßen Tatsachen, die dort wie naturgegeben hingenommen werden können, sondern bilden die – einzige – rechtliche Grundlage für den Ein-
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Unstreitig, was die Vornahme „als solche“ anbetrifft, s. nur S/L/G/H, Einl. Rn. 46 f.; Vogel, in: G/P/K, Rn. 10 vor § 1 IRG; Vogler, in: 140 Jahre GA, S. 251, 257 f.; näher dazu, v. a. zur verkürzten Dichotomie zwischen der abstrakten Vornahme und der Leistung der Rechtshilfe S. 124 ff., insb. S. 143 f. 380 Wie beispielsweise ein Auslieferungsersuchen einen sog. „Einlieferungshaftbefehl“ im ersuchenden Staat voraussetzt, der sich nach den üblichen Regeln über einen Haftbefehl richten soll, s. Vogler, Auslieferungsrecht, S. 266; ähnlich Vogel, in: G/P/K, Rn. 107 f. vor § 1 IRG. Insbesondere die Prüfung des Tatverdachts ist traditionell im ersuchenden Staat konzentriert, s. o. S. 60 f. sowie zum eigenen Ansatz S. 145 ff.
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griff.381 Soweit diese rechtliche Wirkung der Eingriffstatbestände des ersuchenden Staates reicht, muss parallel auch der Legitimationszusammenhang gewahrt sein, müssen also ihre Merkmale rechtlich nachvollziehbar und überprüfbar sein (näher S. 143 f.). Im Lichte des Verbots der Individualbenachteiligung (S. 99 f.) bedeutet das, der Verfolgte muss sich ihrer gleich gut erwehren können, wenn sie im Eingriff eines anderen Staates zum Tragen kommen, und er muss etwaige Einwände und Gegenrechte wirksam erheben, d. h. demjenigen entgegen halten können, welcher ihnen zur Durchsetzung verhilft, indem er Strafverfolgungsmaßnahmen vornimmt: dem ersuchten Staat. Wenn die Staaten beschließen, strafrechtlich zusammenzuarbeiten, so dass der eine im Vertrauen (dazu noch näher S. 145 f., 243 f.) auf den anderen Eingriffe vornimmt, ist das primär deren Sache und eine Frage des Innenverhältnisses zwischen beiden, kein unmittelbar gegenüber dem Individuum durchgreifender Grund für eine Freizeichnung von Verantwortlichkeit. So wie allgemein im Rechtsstaat Eingriffsbefugnisse mit Verantwortung einhergehen, muss also der gebündelten Eingriffsmacht der Staaten, wie sie in der Rechtshilfe zum tragen kommt, eine entsprechend umfassende Verantwortung für diese Eingriffe entsprechen. Nur so können die Rechtspositionen und Verteidigungsmöglichkeiten des Verfolgten umfassend gesichert werden. Damit ist noch nicht gesagt, wie solche Verantwortung und Verteidigungsmöglichkeiten im Einzelnen auszusehen haben – insbesondere nicht, dass im ersuchten Staat das gesamte Verfahren des ersuchenden zu überprüfen und so letztlich zu verdoppeln wäre –, sondern nur, dass sie wirksam und umfassend sein müssen (s. noch S. 109 f., 145 ff.). (2) Folgeverantwortung Das Vorgehen des ersuchten Staates stützt sich aber nicht nur auf Vorfragen im ersuchenden Staat, sondern ist auch darauf angelegt, dort Wirkungen zu zeitigen, indem der Verfolgte dorthin ausgeliefert wird oder Beweise übergeben werden, etc. Auch und gerade im Hinblick auf diese Weiterungen des Verfahrens ist eine wirksame Verteidigungsmöglichkeit von größter Bedeutung. Besonders deutlich wird dies bei der Erhebung und Übermittlung von Beweisen für das Strafverfahren im ersuchenden Staat. Soweit diese in der Folge für das Verfahren bedeutsam sind, muss zur Wahrung der Verfahrensbalance der Beschuldigte Einfluss nehmen können, gegebenenfalls schon bei der Beweisgewinnung, in dieser Konstellation also im ersuchten Staat, der damit selbst verantwortlich ist für wirksame subjektive Beteiligungsrechte. Das entspricht in der Sache dem Vorgehen des EGMR im oben behandelten Fall, wo er die prozessuale Rechtsposition im ersuchenden Staat – namentlich die Beschuldigteneigenschaft und das daraus folgende Recht auf anwaltlichen Beistand – auf das Vorgehen des ersuchten Staates erstreckt.382 381
Für den Auslieferungshaftbefehl deutlich ausgesprochen vom OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8. 9. 2011, III-4 Ws 495/11. 382 s. o. S. 89 ff., 94 ff.; freilich wäre es vorschnell, von einem allgemeinen Prinzip in der Rechtsprechung des Gerichtshofs auszugehen, der bei der Annahme einer Gesamtverantwor-
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Umgekehrt muss der ersuchende Staat sich das Vorgehen des ersuchten in einem gewissen Maße zurechnen bzw. entgegenhalten lassen, um nicht zum „Hehler“383 etwaiger Rechtsverletzungen zu werden – auch dies ist eine verallgemeinerungsfähige Lehre aus dem Beispiel des Stojkovic-Falls (s. o. S. 93). Dem Grunde nach findet die Bedeutung der vorangegangenen Vorgänge im Ausland auch Anerkennung, beispielsweise in der deutschen Rechtsprechung zur Verwertung im Ausland gewonnener Beweise, wenngleich die inhaltlichen Kriterien diskussionswürdig sind.384 (3) Zusammenfassung in der Gesamtverantwortung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Staaten, die sich zur Strafverfolgung zusammenschließen, dem betroffenen Individuum gegenüber als Einheit auftreten und deshalb stets auch für das Verfahren als Ganzes Verantwortung tragen. Sie können sich nicht ab ovo damit freizeichnen, dass diese oder jene Prozesshandlung vom jeweils anderen Staat vorgenommen oder vorzunehmen sei.385 Um sich umfassend gegen das Vorgehen der kooperierenden Staaten wehren zu können, muss der Verfolgte dabei auch stets die Möglichkeit haben, sich eines effektiven Verteidigers zu bedienen, d. h. eines solchen, der dort intervenieren kann, wo Beschuldigtenrechte tangiert werden, ohne in seiner Verteidigungsmacht im ersuchten Staat auf ein fiktives (S. 30 f., 77, 98) „Rechtshilfeverfahren als solches“ beschränkt zu sein.386 Nur so ist eine rechtzeitige und wirksame Verteidigung gegen strafprozessuale Eingriffe und damit die Wahrung des Gleichgewichts zwischen Eingriffsbefugnissen und Beschuldigtenrechten möglich. Deshalb hat auch die im Zusammenhang der Kostenerstattung oben (S. 104 f.) angesprochene Verteidigerkonsultation im ersuchten Staat ihren guten Sinn. (4) Das Modell einer Gesamtschuld (a) Stichhaltigkeit und dogmatischer Ertrag Zur dogmatischen Erfassung der gemeinschaftlichen Verantwortung der Staaten soll im Folgenden das Modell einer Gesamtschuld untersucht werden. Diese zielt in diesem Zusammenhang – natürlich – nicht auf Erfüllung einer zivilrechtlichen Verbindlichkeit, sondern auf die Gewährung eines prozessordnungsgemäßen Vertung oft zögerlich ist, s. nur Klip, in: Renzikowski (Hrsg.): EMRK, 123, 131 ff. m.w.N.; dies ist aber nicht der Ort, diese vor dem Hintergrund der Trennung des Rechtshilfeverfahrens vom (Ausgangs-)Strafverfahren (S. 77, S. 94 ff.) erklärbare Judikatur umfassend zu würdigen. 383 Trechsel, EuGRZ 1987, 69, 77 f. 384 Siehe unten S. 171 m. Fn. 597. 385 Siehe auch Böse, ZIS 2014, 152, 162: gemeinsame Einstandspflicht für Rechtmäßigkeit einer grenzüberschreitenden Beweissammlung; Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 40. 386 Zur Erstreckung der Verteidigung auf das Verfahren des ersuchenden Staates s. noch S. 184 ff. Zur Problematik der Aufspaltung des Rechtswegs in der EU S. 269 f., 277 f. 292 ff. sowie Esser, Festschrift Roxin 2011, 1497, 1505; Roger, GA 2010, 27, 40.
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fahrens. Es handelt sich dabei um einen Inbegriff an Verfahrensvorschriften, der durchaus – spiegelbildlich zu den Rechten des Bürgers – als Bündel von Pflichten und damit Inhalt einer Schuld aufgefasst werden kann, die der Staat diesem gegenüber hat. Sie beinhaltet mehr als die bloße Unterlassung der Verletzung von Grund- oder Menschenrechten, nämlich auch und gerade (positiv) die Einhaltung materieller Eingriffsvoraussetzungen und schützender Formen, die Eröffnung wirksamer Rechtswege und ggf. Schadensersatz. Das Modell der Gesamtschuld in der internationalen Rechtshilfe ist auch insofern von Interesse, als in der Regel jeder Gesamtschuldner für das Unterlassen durch seine Person einsteht, nicht für dasjenige der anderen, ein positives Tun aber von jedem eingefordert werden kann (die gesamte Leistung aber nur einmal).387 Übertragen auf das grenzüberschreitende Strafverfahren würde das bedeuten, dass im Prinzip jeder Staat für sich verpflichtet ist, Verletzungen der Beschuldigtenrechte zu unterlassen – nicht, den anderen daran zu hindern –, die positive Gewährung von die Eingriffsmacht kompensierenden Rechtspositionen und Rechtsmitteln aber nicht mit dem Verweis auf den jeweils anderen Staat ablehnen kann. Das ist ein dogmatisch adäquater Nachvollzug des oben begründeten Erfordernisses wirksamer (Verteidigungs-)Rechte des Individuums (S. 106 ff.). Dabei kann sich aus der Natur der Sache ergeben, dass der Verfolgte sich – etwa mit einem Rechtsmittel – an den sachnäheren Staat halten muss, welcher dann aber die Verantwortung nach außen hin, dem Bürger gegenüber, nicht auf den anderen abwälzen kann und die Wirksamkeit dieses Rechtsmittels im Verbund mit dem anderen Staat sichern muss. So war oben (S. 104 ff.) bereits die Rede von sekundärem Rechtsschutz im ersuchten Staat; in ähnlicher Weise muss demjenigen, der von einer Maßnahme – sei es eine Beschlagnahme, Überwachung oder Freiheitsentzug – betroffen ist, eine Möglichkeit zu Gebote stehen, diese mit Wirkung im handelnden Staat überprüfen zu lassen. Um solchermaßen die Ausübung hoheitlicher Gewalt durchgehend überprüfbar und anfechtbar zu halten, erscheint wiederum eine Kontrolle im ersuchten Staat und vor dessen Gerichten am besten geeignet. Gleichwohl ist sowohl primärer als auch sekundärer Rechtsschutz auch im ersuchenden Staat denkbar, der im Hinblick auf die Überprüfung sachlicher Gründe adäquater (S. 182 ff.), aber in seiner effektiven Ausgestaltung schwieriger sein dürfte, wenn der Verfolgte sich aus der Ferne verteidigen bzw. klagen muss und ggf. der Durchgriff des Ausgangsverfahrens im handelnden (ersuchten) Staat organisiert werden muss. Das betrifft etwa die unverzügliche Freilassung, wenn ein Haftbefehl keinen Bestand haben kann: Es kann – gleichgültig, wo ein Rechtsmittel angebracht wird – nicht ausschlaggebend für eine Verkürzung des Rechtsschutzes sein, dass der Betroffene von einem anderen als dem verfahrensführenden Staat in Haft gehalten wird, der aber wiederum die sachlichen Gründe nicht prüfen kann. Entscheidend ist für das hier vorgeschlagene Modell also nicht wie, sondern dass nach außen hin ein prozessordnungsgemäßes Verfahren gewährleistet wird und der 387
Staudinger-Looschelders, § 431 BGB Rn. 11 m.w.N.
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Verweis auf den jeweils anderen Staat nicht mit individualbenachteiligender Wirkung durchschlägt. Anschaulich könnte man formulieren, dass der eine Staat dem Bürger nichts (an Rechtspositionen und Verteidigungsmitteln) nehmen kann, was der andere ihm nicht effektiv gibt. Eine solche, flexibel verstandene Gesamtschuld ist ein geeignetes Modell, um dem Prinzip der Gesamtverantwortung zur Geltung zu verhelfen und zugleich Raum für dessen differenzierte und sachgerechte Ausgestaltung zu lassen (näher S. 145 ff., 182 ff. und passim). Mitunter wird auch das Bild des „bewussten und gewollten“ Zusammenwirkens der Staaten benutzt, um eine Art „Mittäterschaft“ zu konstruieren, die eine wechselseitige Zurechnung der Verfahrensabschnitte im je anderen Staat erklären soll.388 Auch diese strafrechtsdogmatische Analogie hat eine gewisse Plausibilität, denn strafprozessuale Eingriffe bedeuten – vorbehaltlich der prozessrechtlichen Rechtfertigung – Verletzungen bestimmter (nicht selten straf-)rechtlich geschützter Güter, und ein gemeinsames Vorgehen aufgrund eines gemeinsamen „Tatplans“ (Rechtshilfevereinbarung) ist auch kaum von der Hand zu weisen. Auf der Rechtsfolgenseite führt auch der Gedanke der Mittäterschaft zu einer Gesamtverantwortung der beteiligten Staaten. Allerdings ist dieses Modell im Regelfall auf Unterlassungspflichten und die Zurechnung ihrer Verletzung zugeschnitten, während die Konstruktion einer Gesamtschuld auch für die nähere Konturierung der staatlichen Pflichten fruchtbar gemacht werden kann, was insbesondere bei der Statuierung positiver Pflichten bedeutsam ist (etwa der Gewährung von Rechtswegen und Rechtsbeistand). Außerdem läuft eine mittäterschaftliche Betrachtung auf die jeweils volle Verantwortung der Beteiligten hinaus, während das Modell der Gesamtschuld mit der Unterteilung in (zwischenstaatliches) Innen- und (zwischen Staat und Bürger bestehendes) Außenverhältnis auch bei voller Wahrung der Rechtsstellung des Beschuldigten Raum lässt für eine Verteilung der Verantwortlichkeit im Sinne einer insgesamt nur einmal einzufordernden „Gesamtleistung“. (b) Gesamtverantwortung – Meistbegünstigung? Aus der Annahme einer solchen Gesamtverantwortung der Staaten könnte geschlossen werden, dass dem Verfolgten in jedem der beiden Staaten alle Rechte eines strafrechtlich Beschuldigten zukommen müssten.389 Das wäre aber ein Missverständnis, denn die volle staatliche Verantwortlichkeit sagt noch nichts aus über den Inhalt der gesamtschuldnerisch zu gewährleistenden Rechtsstellung; Abweichungen von der jeweiligen Rechtsstellung im rein nationalen Verfahren sind dabei rechtfertigungsfähig, aber eben auch -bedürftig (dazu näher S. 124 ff., 188 ff.). Insbesondere kann es nicht Ziel der strafrechtlichen Rechtshilfe sein, dem Verfahren im ersuchenden Staat ein „Konkurrenzverfahren“ im ersuchten Staat zur Seite 388
S/L/G/H, Einl. Rn. 114. Wiederum anders Trechsel, EuGRZ 1987, 69, 74, der einen Vergleich mit der Versuchsdogmatik anregt; damit verliert man allerdings das spezifische Zusammenwirken der Staaten aus dem Blick. 389 Krit. zu einer solchen Interpretation Vogel, in: G/P/K, Rn. 41 vor § 1 IRG.
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A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege
zu stellen, in dem alle Elemente geprüft würden, einschließlich der den Tatverdacht begründenden Indizien.390 Das ist gerade nicht das Anliegen des Modells einer Gesamtschuld: So wie diese nach außen hin die Staaten gemeinschaftlich verpflichtet, überlässt sie es ihnen, die Erfüllung dieser Pflichten durch sachgemäße Arbeitsteilung im Innenverhältnis zu organisieren. Allein, die Komplikationen schlicht an den Verfolgten weiterzureichen, geht nicht an.391 dd) Fazit: Gesamtschuld als Schlüssel zur Sicherung der Rechtsstellung des Individuums In der Annahme einer Gesamtschuld findet also die „dreidimensionale“ Sichtweise (S. 57 ff.) ihre Vollendung, indem die Rechtsbeziehung Staat-Bürger in den Vordergrund rückt und die – legitime – Verteilung der Verantwortlichkeit zwischen den Staaten eine Frage des Innenverhältnisses zwischen diesen wird. Diese Wendung ist entscheidend, um eine umfassende Gesamtverantwortung im Dienste des „Verbots der Individualbenachteiligung“392 oder dessen Sonderform des „Kombinationsprinzips“393 (dazu S. 69 ff.) zu operationalisieren und justiziabel zumachen, so dass der Verfolgte zu jeder Zeit in den Genuss seiner prozessualen Rechte kommt und diese geltend machen kann: Für ihn stellt sich dann die staatliche Eingriffsmacht im Sinne des Eingangszitats „wie ein einziger Mann“ dar, wie eine Einheit, deren einzelnen Akteuren die Handlungen der anderen, insbesondere etwaige Rechtsverstöße, zugerechnet werden. Ebenso muss darauf bestanden werden, dass jede Maßnahme auf ihre Legitimationsvoraussetzungen, ggf. im ersuchenden Staat, zurückzuführen und zu überprüfen ist. Diese Lastenverteilung in Richtung der Staaten ist gerechtfertigt, weil sie es sind, die ihre Eingriffsmacht bündeln. Die bloß allgemeine Postulierung eines Benachteiligungsverbots kann diese notwendige Sicherung der Beschuldigtenrechte ebenso wenig leisten wie die Annahme von letztlich nicht sanktionierten „Hinwirkungspflichten“ des ersuchenden Staates und „Bemühenspflichten“ des ersuchten zur Wahrung prozessualer Schutzzwecke.394 Erst indem die Arbeitsteilung konsequent ins (zwischen-)staatliche Innenverhältnis verwiesen wird, entsteht nach außen eine unverbrüchliche Pflicht zur Wahrung der prozessualen Rechtsstellung des Individuums. Das Postulat des „defence mainstreaming“, wonach die Rechtshilfeinstrumente immer eine synchrone Wahrung der Verteidigungsrechte sichern sollen,395 ist danach nicht bloß ein rechtspolitisches, sondern ein aus der prozessualen Perspektive abgeleitetes 390
Siehe bereits Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 555 ff. Siehe bereits S. 72 ff., insb. Fn. 243. 392 S/L/G/H, Einl. Rn. 116. 393 Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 41; zum „kombinatorischen“ Aspekt S. 124 ff. 394 Diese Pflichten hebt Krüßmann, Transnationales Strafprozessrecht, S. 134, hervor. 395 Gless, StV 2013, 317, 322 ff., die eine Fundierung in der allgemeinen Grundrechtsnorm des Art. 47 Grundrechtecharta der EU vorschlägt. 391
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rechtliches Erfordernis. Mit anderen Worten erstarken die angemahnten Pflichten der Staaten, Verteidigungsrechte zu gewährleisten, in der gesamtschuldnerischen Perspektive zu regelrechten Obliegenheiten, mit deren Erfüllung erst die Legitimationsbedingungen grenzüberschreitender Verfolgung erreicht werden und diese ermöglicht wird. Mit der Annahme einer gesamtschuldnerischen Haftung der Staaten für ein prozessordnungsgemäßes Verfahren werden also die spezifischen Probleme grenzüberschreitender Verfahren, statt zu Lasten des Bürgers bzw. der Verteidigung, zu Herausforderungen für die staatliche Rechtsetzung, welche auch strukturell allein in der Lage ist, sie zu bewältigen: Es liegt an den Staaten, in der Organisation der strafrechtlichen Rechtshilfe das gemeinsam geschuldete prozessordnungsgemäße Verfahren sicherzustellen.396 Diese individualschützende Veränderung der Vorzeichen ist nicht mutwillig, sondern trägt schlicht dem für staatliche Eingriffe und insbesondere den Strafprozess fundamentalen, hier nur für den grenzüberschreitenden Fall nachvollzogenen liberal-rechtsstaatlichen Primat der Bürgerrechte vor staatlichen Interessen (S. 72 ff.) strukturell Rechnung. Soweit zugleich eine Verdoppelung des Verfahrens und des anwendbaren Rechts vermieden wird (dazu näher S. 124 ff.), können dabei auch die legitimen Interessen einer effizienten Strafrechtspflege und der Ressourcenschonung angemessen Berücksichtigung finden. Es geht mithin nur, aber immerhin, darum, einen Automatismus zu durchbrechen, wonach internationale strafrechtliche Zusammenarbeit „zweimal die halbe Verantwortung“397 der Staaten gegenüber dem Bürger bedingen würde und diesem damit die Bürde einer aufwändigen und schwer vorherzusehenden Doppelverteidigung auferlegen würde. Konkret: Dass der ersuchte Staat etwa den Tatverdacht nicht prüft, ist nicht per se zu beanstanden, wohl aber, wenn der Verfolgte dadurch in die Situation gerät, sich der Strafverfolgungsmaßnahmen überhaupt nicht oder nur unter erheblicher Erschwerung erwehren zu können, insoweit sie an den Verdacht anknüpfen (dazu näher S. 145 ff.). 3. Das „international-arbeitsteilige Strafverfahren“ als Leitmotiv? „In einer so großen Behörde wie der gräflichen kann es einmal vorkommen, daß eine Abteilung dieses anordnet, die andere jenes, keine weiß von der anderen, die übergeordnete Kontrolle ist zwar äußerst genau, kommt aber ihrer Natur nach zu spät, und so kann immerhin eine kleine Verwirrung entstehen. Immer sind es freilich nur winzigste Kleinigkeiten […] aber die Kleinigkeiten sind oft auch peinlich genug.“ Franz Kafka, Das Schloß, München 1926, S. 114
396 Den Aspekt der Lastentragung durch die Staaten betont auch Gless, ZStW 125 (2013), 573, 596 f. 397 Dagegen zu recht Klip, in: Renzikowski (Hrsg.): EMRK, S. 123, 131.
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Die vorstehend besprochene, problematische Aufspaltung der Rechtsstellung des Verfolgten hängt eng mit der dogmatischen Trennung zwischen dem (Ausgangs-)Strafverfahren im ersuchenden und dem Rechtshilfeverfahren im ersuchten Staat zusammen (s. o. S. 41 f., 52 f., 60 f.). Als Modell und Leitmotiv für eine die Gesamtverantwortung abbildende Konzeption der Rechtshilfe ist demgegenüber der Begriff des „international-arbeitsteiligen Strafverfahrens“398 vorgeschlagen worden. Gemeint ist ein Konzept, in dem Akte der Rechtshilfe „Teil der gegen den Verfolgten durchgeführten Strafverfolgung insgesamt“399 sind und die beteiligten Staaten an einem Strafverfahren mitwirken („transnationale Verfahrenseinheit“400). Im Folgenden soll untersucht werden, ob ein solches Modell das Anliegen, Strafrecht über Grenzen hinweg durchzusetzen, ohne dabei „übers Ziel hinauszuschießen“ (also ohne den Beschuldigten schon wegen der transnationalen Dimension schlechter zu stellen), adäquat abbilden kann. a) Eignung zur Durchsetzung des Strafrechts Das als legitim (und geboten) angesehene Ziel der grenzüberschreitenden Durchsetzung der Strafrechtsordnung(en)401 bedarf einer „Rechtshilfe-Rechtsordnung“, die dieses Ziel wirksam befördert. Das ist eine – einleuchtende – Komponente des Konzepts international-arbeitsteiliger Strafverfolgung, die besagt, dass Beschuldigte nicht schon wegen der grenzüberschreitenden Dimension privilegiert sein sollen.402 Dementsprechend sind nach dieser Konzeption überflüssige Hürden der Rechtshilfe möglichst auszuräumen. aa) Strafverfahren als Fluchtpunkt Was in diesem Sinne überflüssig ist, steht freilich nicht von vornherein fest, sondern muss im Laufe dieser Untersuchung herausgearbeitet werden; aufschlussreich könnte dabei, einmal mehr, der Blick auf den Strafprozess sein.
398
Lagodny, JZ 1998, 568; S/L/G/H, Einl. Rn. 112. So der Ausdruck von BVerfGE 61, 28, 34 (wo daraus gefolgert wird, dass das strafprozessuale Beschleunigungsgebot gelte, weshalb auch die Reduktion, die Vogler, in: 140 Jahre GA, 251, 256 m. Fn. 27 und in GA 1996, 569, 571 f. versucht, unbegründet ist). Siehe bereits S. 69 ff. 400 S/L/G/H, Einl. Rn. 140; Esser, ERA Forum 2003, 70, 85 f.; hierfür auch der ambitionierte Regelungsvorschlag des „Gesamtkonzepts“, dazu Schünemann, in: ders. (Hrsg.): Gesamtkonzept, S. 93, 100; s. auch Lackner/Kühl, § 51 Rn. 12. 401 s. o. S. 26 ff.; S/L/G/H, Einl. Rn. 98 sprechen von „Durchsetzung von Strafrecht weltweit“. 402 S/L/G/H, Einl. Rn. 10. 399
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(1) Primat der rechtlichen Betrachtung Aus einem als „dogmatische Figur“403 (oder auch: Idealtypus) verstandenen Modell eines arbeitsteiligen Strafverfahrens lässt sich grundsätzlich ableiten, dass die strafrechtliche Zusammenarbeit der Staaten – wie jedes Strafverfahren – möglichst regelgeleitet und nach rechtlichen Kriterien durchgeführt werden sollte. Als Modell und erstrebenswertes Ziel kann dabei das justizförmige Verfahren fungieren, wie es sich in den einzelnen Strafprozessordnungen der Staaten jeweils herausgebildet hat. Über ihre Differenzen hinweg ist diesen zu eigen, dass sie die Anwendung des materiellen Strafrechts – und damit die Verfolgung seiner Zwecke – in einem konsistenten Verfahren organisieren. Es geht vorliegend nicht darum, ob und wie gut die unterschiedlichen Verfahrensmodelle dieses Ziel im Einzelnen erreichen;404 es soll lediglich festgehalten werden, dass das Modell einer Strafprozessordnung darauf ausgerichtet und prinzipiell am besten dazu geeignet ist. Insofern ist es ebenso gerechtfertigt wie programmatisch, die anzustrebende konsistente Ordnung der grenzüberschreitenden Strafrechtspflege als (ein) international-arbeitsteiliges Strafverfahren zu bezeichnen, das freilich einer rechtlichen Regelung erst noch zugeführt werden muss, die den Namen „Strafverfahrensrecht“ verdient.405 Die prozessuale Perspektive bietet ein Raster zur Identifikation sachwidriger Hürden der Rechtshilfe. Das sind solche, die sich nicht mit den strafprozessualen Zwecken und Grundsätzen erklären lassen. Damit erscheinen solche Schranken der Rechtshilfe verdächtig, die primär staatliche Souveränitätsinteressen sichern und vom (außenpolitischen) Ermessen exekutiver Stellen im ersuchten Staat abhängig sind. Im deutschen System der Rechtshilfe sind solche Betrachtungen vorwiegend Teil des Bewilligungsverfahrens. Dieses Verwaltungsverfahren des Bundes,406 das sich mit dem gerichtlichen Verfahren über die Zulässigkeit der Rechtshilfe (insbesondere im Verhältnis zu EU-Mitgliedstaaten407) auf sonderbare Weise überschneidet, ist letztlich ein Relikt aus früheren Zeiten;408 in das Konzept eines arbeitsteiligen Strafverfahrens lässt sich eine solche Ermessensentscheidung einer
403
S/L/G/H, Einl. Rn. 112. Dazu rechtsvergleichend Hörnle, ZStW 117 (2005), 801 ff. 405 Wegen der fehlenden übergeordneten Koordination kritisiert Krüßmann, Transnationales Strafprozessrecht, S. 140, den Begriff, s. noch S. 121 ff. 406 Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 2 Rn. 23; S/L/G/H, Einl. Rn. 157; Vogel, in: G/P/K, Rn. 113 vor § 1 IRG. 407 Dazu Hackner, in: S/L/G/H, § 79 IRG Rn. 1. 408 Zur deutlichen Tendenz zu direkten Verkehr zwischen den Justizbehörden in der EU S. 261 f.; bemerkenswert und nur mit seiner Überhöhung des völkerrechtlichen Vertrags (S. 41 ff., 52 ff.) zu erklären die genau umgekehrte Ansicht von Vogler, Auslieferungsrecht, S. 48: „Die Vorstellung von der Auslieferung als einer Einrichtung des Prozeßrechts, einer Frage des strafprozessualen Gerichtsstandes und damit eines Aktes zwischen den Gerichtsbehörden zweier Staaten gehört der Vergangenheit an.“ 404
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A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege
Verwaltungsbehörde kaum integrieren.409 Sie hat auch in einem nationalen Strafverfahren, das als konsequenteste Formalisierung der Strafrechtspflege Vorbildcharakter hat, keinen Platz.410 Soweit zum Prüfprogramm dieser Behörde auch (individual-)rechtliche Aspekte gehören, sind diese bei den ebenfalls beteiligten Gerichten besser aufgehoben. Auch dort sollte es freilich nur um Rechtsregeln gehen und bedeutet die Suche nach „außenpolitischer Rückendeckung“ bei den Gerichten einen Missbrauch derselben.411 Unabhängig von der prüfenden Stelle sollten deshalb, das ist der eigentlich zentrale Aspekt, Erwägungen außenpolitischer Opportunität in einem internationalen arbeitsteiligen Strafverfahren keine Rolle spielen. Wenn dessen Zweck nämlich einzig und allein die „Durchsetzung von Strafrecht weltweit“ ist, dann soll es dem materiellen Strafrecht zur Geltung verhelfen, was durch diesem wesensfremde diplomatische Erwägungen nur „verunreinigt“ werden kann. Die generalpräventive Wirkung nimmt Schaden und der Rechtsgüterschutz wird empfindlich geschwächt, wenn die Strafrechtspflege durch sachfremde Zweckmäßigkeitserwägungen behindert wird. Damit würden genau solche „sicheren Häfen“ entstehen, deren Beseitigung das Institut der strafrechtlichen Rechtshilfe dienen soll, und Kriminelle (respektive, vor der Verurteilung: Verdächtige) würden einen ungerechtfertigten Vorteil aus dem kontingenten politischen Klima zwischen Staaten ziehen. Umgekehrt führen Komplikationen in der Durchführung der Rechtshilfe auch zu (aus rechtlicher Perspektive) vermeidbaren Verzögerungen, die sich zu einem (den Staaten gesamtschuldnerisch zur Last fallenden) Verstoß gegen des Beschleunigungsgebot verdichten können.412 Es soll nicht behauptet werden, dass die politischen Aspekte der zwischenstaatlichen Beziehungen irrelevant wären; auch innerhalb Europas, und mehr noch im Verhältnis zu entfernteren Ländern, begegnen sich souveräne Staaten letzten Endes mit einem gewissen Vorbehalt, dessen Wahrnehmung der Regierung obliegt. Insofern nimmt es nicht wunder, dass der Exekutive ein (entscheidendes) Mitspracherecht im sensiblen Bereich der strafrechtlichen Kooperation eingeräumt wird. Für einen Bundesstaat wie die BRD bedeutet das auch eine entsprechende Kompetenz 409
S/L/G/H, Einl. Rn. 155: „Fremdkörper“; Lagodny, StV 2005, 515, 518, der betont, „[a]us individualrechtlicher Sicht [seien mit seiner Abschaffung] keinerlei Nachteile verbunden“; ders., in: Blekxtoon/van Ballegooij (Hrsg.): Handbook on the European Arrest Warrant, S. 39, 43 ff. Siehe auch Schomburg, StV 1998, 153, 155: „Ist die Kooperation von den Fesseln der Pflicht zur Mitberücksichtigung – meist nicht vorhandener oder sachfremder – außenpolitischer Erwägungen befreit, dient dies dem individuum und der effektiven Strafverfolgung gleichermaßen.“ 410 Abgesehen von bestimmten Konstellationen, in denen etwa die Staatsanwaltschaft aus Opportunitätsgründen einstellen kann. Das aber ist eine Ausnahme und entspricht – im deutschen Recht – noch der Aufgabe der Staatsanwaltschaft im Rahmen der justiziellen Arbeitsteilung, kann aber nicht als allgemeine Regel herhalten. 411 S/L/G/H, Einl. Rn. 167; für einen politisch motivierten „unverrückbaren Rückhalt“ durch die Gerichte aber v. Liszt, ZStW 2 (1882), 50, 64. 412 Zur Gesamtschuld S. 103 ff., 109 ff., 112 f.; zur Verfahrensbeschleunigung als legitimes Ziel in der Reform der Rechtshilfe Andreou, Gegenseitige Anerkennung, S. 74 ff., 76; Juppe, Gegenseitige Anerkennung, S. 127.
I. Rechtshilfe als Element transnationaler Strafrechtspflege
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des Bundes, der die äußere Gewalt ausübt.413 Ohne einen solchen Vorbehalt würden die nationalen Justizsysteme „kurzgeschlossen“, ohne dass die jeweilige Staatsführung noch Einfluss nehmen könnte. Eine solche Öffnung des eigenen Justizapparats für den Einfluss fremder Rechtsordnungen erscheint umso unwahrscheinlicher, je mehr sich diese von der eigenen unterscheiden. Diese Unterschiede aber halten sich in einer Europäischen Union, die einerseits unter der Geltung von EMRK und Grundrechtecharta vereint ist, andererseits einen immer detaillierteren Rechtsrahmen für die Rechtshilfe konstituiert, in Grenzen, weshalb die EU sich als „Laboratorium“ für eine (als Idealziel verstandene) konsequente Justizialisierung der strafrechtlichen Zusammenarbeit eignet (näher S. 217 ff., 287 ff.). Letztere mag derzeit nur als Fluchtpunkt erscheinen und nicht als greifbare Option; entscheidend ist aber, dass es sich aus strafprozessualer Perspektive bei der (strafrechtsfremden) Beteiligung der Regierungen um einen realistischen Tribut an die Souveränität der Staaten handelt, nicht um den archimedischen Punkt des Rechtshilferechts.414 (b) Zwischenfazit Das Modell eines international-arbeitsteiligen Strafverfahrens liefert in seiner Konzentration auf Rechtliches das kritische Potenzial, (außen-)politische Komponenten und Opportunitätserwägungen als Fremdkörper zu identifizieren und streitet – ohne freilich ihre Realität zu verkennen – für deren Zurückdrängung im Dienste einer konsequent justizförmigen internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen. Es dient damit direkt dem angestrebten Ziel (S. 26 ff.), die Durchsetzung des Strafrechts und damit die Verfolgung seiner Zwecke auch über Grenzen hinweg ähnlich wirksam zu gestalten wie im innerstaatlichen Raum. bb) Exkurs: Rechtspflicht zur Rechtshilfe? Im Lichte eines an das „schlichte“ innerstaatliche Verfahren angelehnten Modells des arbeitsteiligen Strafverfahrens kann weitergehend die Frage gestellt werden, ob die internationale strafrechtliche Zusammenarbeit (nicht nur kriminalpolitisch angezeigt,415 sondern auch) rechtlich geboten ist – in der klassischen Ausdrucksweise also, ob es eine völkerrechtliche Pflicht gibt, Rechtshilfe zu leisten.
413
§ 74 IRG, dazu S/L/G/H, Rn. 5; s. bereits v. Bar, Lehrbuch, S. 286. Schon bei v. Bar, Lehrbuch, S. 277 findet sich die Feststellung: „allein begriffsnotwendig ist doch diese allerdings in diplomatischen Formen sich bewegende Mitwirkung der Regierungen nicht; wären die Grundsätze der internationalen strafrechtlichen Rechtshilfe fester ausgebildet, und müßte man so manches nicht noch einem weitgehenden diskretionären Ermessen überlassen, so könnten die Gerichte auch Rechtshilfe und insbesondere Auslieferungen allein erledigen“. S/L/G/H, Einl. Rn. 155. A.A. Vogler, der seine Theorie aus dem „Kernstück“ (Auslieferungsrecht, S. 61) des völkerrechtlichen Vertrages ableitet (dazu S. 42 f.); Schultz, Auslieferungsrecht, S. 14. 415 Vgl. auch Vogler, Auslieferungsrecht, S. 214 414
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A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege
(1) Orientierung an innerstaatlicher Verfolgungspflicht Sub specie Auslieferung ist die Frage schon seit geraumer Zeit in der Diskussion. Die klassische bejahende Antwort liefert Grotius: Aut dedere, aut punire, wenn ein Staat nicht ausliefere, müsse er selbst die Strafverfolgung übernehmen, sei also zur Durchsetzung des fremden Strafanspruchs ebenso verpflichtet wie zu der des eigenen416; Lammasch stimmt dem in der Konsequenz seines universalistischen Ansatzes (S. 35 f.) zu. In jüngerer Zeit dagegen wird eine allgemeine Verpflichtung zur Auslieferung eher abgelehnt.417 Die Einsicht, dass die Tätigkeit im Rahmen eines international-arbeitsteiligen Strafverfahrens prinzipiell ebenso wie bei einem innerstaatlichen Verfahren Bestandteil der Strafverfolgung ist, streitet dafür, die Frage ebenso zu beantworten wie diejenige, ob ein Staat ein bestimmtes Verhalten überhaupt strafrechtlich zu verfolgen habe. Wo das Legalitätsprinzip gilt,418 dürfte es in einem konsequent justiziellen Modell eines arbeitsteiligen Strafverfahrens auch Fälle mit Auslandsbezug erfassen, so dass (Hilfe zur) Verfolgung geboten wäre. Ebenso wie in der Frage der Rechtsstellung des Verfolgten (dazu S. 69 ff.) wäre also dezidiert einer strafprozessualen Perspektive der Vorrang vor der völkerrechtlichen zu geben, was insofern plausibel ist, als erstere detailliertere und stringentere Lösungen anzubieten hat und gerade in diesem Zusammenhang nachweist, dass sie (neben soliden Verteidigungsrechten, s. o. S. 72 ff.) auch eine leistungsfähige grenzüberschreitende Strafverfolgung befördern kann. Das Modell des international arbeitsteiligen Strafverfahrens ist freilich nur ein dogmatischer Fluchtpunkt, keine Rechtswirklichkeit, und dementsprechend ergeben sich Komplikationen, die im rein innerstaatlichen Verfahren keine Rolle spielen. Das fängt bereits bei der Zuständigkeit des verfolgenden Staates für die Strafverfolgung an,419 die im innerstaatlichen Verfahren ebenso selbstverständlich420 wie im transnationalen ungewiss ist. Dieses Problem steht stellvertretend für eine Vielzahl von Vorbehalten, mit denen die strafrechtliche Zusammenarbeit versehen ist und die in der Verschiedenheit der Rechtssysteme angelegt sind. Um die daraus folgenden Grenzen der Rechtshilfe geht es in der vorliegenden Untersuchung, und zwar unter dem Aspekt ihrer Radizierung in den Strukturen des Strafprozesses und der Rechtsposition des Verfolgten. Hierfür ist der (tiefere) Grund strafrechtlicher Rechtshilfe von Bedeutung, geradezu präjudiziell (dazu S. 30 ff.), nicht aber eine entsprechende Verpflichtung. Diese soll deshalb an dieser Stelle nicht weiter verfolgt 416
Bei Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 46. Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 266; Vogler S. 214; S/L/G/H, Einl. Rn. 58 ff.; Schultz, Auslieferungsrecht, S. 8 ff., 12 (Erfordernis eines ausdrücklichen Vertrags); Vogel, in: G/P/K, Rn. 26 f. vor § 1 IRG (anders für die EU, ebda. Rn. 28). 418 Für Deutschland s. § 152 II StPO, freilich mit den Ausnahmen der §§ 153 ff., zum Ganzen Roxin/Schünemann, § 14. 419 Siehe noch S. 180 f. 420 Weil von vornherein Prozessvoraussetzung, Roxin/Schünemann, § 21 Rn. 3. 417
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werden, sondern es soll bei der Vermutung bleiben, dass aus konsequenter prozessualer Perspektive eine Rechtshilfepflicht im Ausgangspunkt wie die innerstaatliche Verfolgungspflicht zu konzipieren ist, wobei in der Rechtswirklichkeit nicht unerhebliche Hürden421 bestehen und bestehen werden, solange unterschiedliche Rechtsordnungen zusammenwirken. Auch aus rechtspraktischen Gründen ist eine nähere Ergründung einer allgemeinen Rechtshilfepflicht – jedenfalls für Europa – verzichtbar, weil die Bereitschaft der Staaten, einander die Leistung von Rechtshilfe vertraglich oder EU-rechtlich zuzusichern (so dass ohnehin eine [spezielle] Rechtshilfepflicht entsteht), wenig Anlass zur Sorge bietet, im Gegensatz zur Wahrung der prozessualen Bürgerrechte und damit der Verfahrensbalance.422 Entscheidend wird es deshalb sein, diese positiven Regelungen über Rechtshilfe auf ihre Vereinbarkeit mit den herauszuarbeitenden, prozessual fundierten Grundsätzen zu prüfen. (2) Gleichbehandlung und Verfolgungspflicht Allerdings könnte das bereits angesprochene individualrechtliche Benachteiligungsverbot für eine weitergehende Verpflichtung zur Rechtshilfe streiten. Wenn der Grundsatz nämlich ist, dass die grenzüberschreitende Dimension möglichst keinen Unterschied machen soll, das Individuum „nicht allein dadurch, dass die Strafverfolgung in mehreren Staaten erfolgt, besser oder schlechter gestellt werden“423 soll (was einleuchtet), dann könne man geneigt sein, aus dem normativen Fundament des Gleichheitssatzes (S. 80 ff.) auch umgekehrt ein rechtliches Verbot der Privilegierung von Taten mit Auslandsbezug abzuleiten. Das würde die obige Argumentation aber verkürzen, die vom strafprozessualen Zugriff ausgegangen war. Wo dieser erfolgt, entsteht erst ein der innerstaatlichen Verfolgung vergleichbarer Sachverhalt, der dann grundsätzlich gleich zu behandeln ist. Die Begründung stellte also nicht essentialistisch darauf ab, dass eine Person verdächtig ist, irgendwo eine Straftat begangen zu haben.424 421
Zu ihnen näher S. 114 ff., S. 124 ff., insb. S. 188 ff. zur Unterscheidung zwischen fundierten und überflüssigen. 422 s. u. S.219, 289 ff. und passim. 423 S/L/G/H, Einl. Rn. 10 (Hervorhebung durch Verf.). 424 Denkbar und zumindest rechtspolitisch zweckmäßig erscheint es aber, die Organe eines Staates auch zur „proaktiven“ Festnahme einer Person (hierfür bereits Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 678 ff.) oder Sicherung von Beweismaterial zu verpflichten, in dem Maße in dem es auch innerstaatlich die Polizei nach dem Recht des ersten Zugriffs tut. Der Fall wird zwar in der transnationalen Konstellation seltener vorkommen, weil er typischerweise an ein Betreffen auf frischer Tat anknüpft; wenn er aber eintritt – etwa ein in Frankreich medienöffentlich gesuchter Mörder in Saarbrücken von einer Polizeistreife angehalten wird –, erscheint das einstweilige Eingreifen der Polizei ebenso legitim wie in einem nationalen Fall. Praktisch wird ein solcher Fall am ehesten anhand von Ausschreibungen zur Fahndung im Schengener Informationssystem (SIS) auftreten, dazu Kugelmann, in: Böse (Hrsg.): Enzyklopädie Europarecht, Bd. 9, Europäisches Strafrecht, § 17 Rn. 95; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 75; krit. Braum, KritV 2008, 82, 87 ff.
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Soweit es um die Strafverfolgung dem Grunde nach geht, besteht i.Ü. ein erheblicher Unterschied je nachdem, wo eine Tat begangen worden sein soll, und dieser Unterschied, gepaart mit einem gesetzgeberischen Ermessensspielraum, kann Unterschiede in der Verfolgungsdichte oder Hürden nachvollziehbar erklären. Soweit es lediglich um tatsächliche Defizite in der internationalen Kooperation geht (dazu S. 115 f.), können diese ohnehin kaum zur Zurückhaltung in der innerstaatlichen Strafverfolgung verpflichten („keine Gleichheit im Unrecht“). Umgekehrt wäre es auch nicht nachvollziehbar, wenn der Gleichheitssatz in grenzüberschreitenden Fällen zur Begründung von Grundrechtseingriffen missbraucht würde, während die Staaten nicht ihre Obliegenheit erfüllt haben, die Voraussetzung eines prozessordnungsgemäßen Verfahrens zu schaffen (s. o. S. 106 ff., 112 f.). Wenn eine transnationale Verfolgung aber stattfindet und der Bürger mit dem exakt gleichen strafprozessualen Instrumentarium „bearbeitet“ wird wie innerstaatlich (s. o. S. 30 ff., 45 f.), besteht kein Grund, ihn von vornherein anders zu stellen (näher zur differenzierten Gestaltung S. 124 ff.). (3) (Materielle) Bestrafungspflichten Nur ergänzend sei kurz auf die materiell-rechtliche Dimension eingegangen. Dass es sich bei Rechtshilfe (auch) um Strafverfolgung durch den ersuchten Staat handelt, legt nämlich nahe, dass es (auch) auf seine materiell-rechtliche Wertung ankomme, was auf das traditionelle Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit hinausläuft (näher dazu und zu Abstufungen S. 154 ff.). Soweit dieses reicht, kann Strafverfolgung und damit auch Rechtshilfe nur geleistet werde für Taten, deren Begehung auch im ersuchten Staat strafbar wäre. Eine darüber hinausgehende Pflicht zur Verfolgung bestimmter Taten könnte aus strafrechtlicher Perspektive, nicht anders als im innerstaatlichen Zusammenhang, nur im engen Rahmen allgemeiner Bestrafungspflichten bei den gravierendsten Taten425 anerkannt werden – denn warum sollte ein Staat im Interesse fremden Rechtsgüterschutzes weiter verpflichtet sein als im Interesse des eigenen? Im Anwendungsbereich des Prinzips beiderseitiger Strafbarkeit könnte also jenseits der im ersuchten Staat inkriminierten Taten nur für die eine Strafpflicht tragenden Verbrechen eine Verpflichtung zur Rechtshilfe anerkannt werden. Maßstab für die Tatschwere ist dabei das Recht des ersuchten Staates – eine Konsequenz der Orientierung an der (grundsätzlich inländischen) Strafrechtspflege statt an der völkerrechtlichen Vogelperspektive (S. 69 ff.) –, wobei freilich die Gesichtspunkte, unter denen eine Strafpflicht rational statuiert werden kann, keineswegs nur national sind, sondern in einem international geführten strafrechtlichen Diskurs bestehen müssen.426 Letztlich ist aber auch dieser Aspekt hier von keiner hohen Bedeutung, 425
Siehe nur Roxin, AT I, § 2 Rn. 95 f. m.w.N. Dazu und gegen die Annahme, es gebe eine „deutsche“ Strafrechtswissenschaft, Schünemann, GA 2010, 353 ff.; ders., GA 2011, 445 ff.; das Völkerstrafrecht bietet einen – auch weitgehend rechtlich verbindlichen – Mindeststandard sowohl an materiellen Bestrafungspflichten als auch an Rechtshilfepflichten (Vogel, in: G/P/K, Rn. 26 f. vor § 1 IRG). Die 426
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weil für die schweren, eine Strafpflicht tragenden Fälle davon ausgegangen werden kann, dass sie zumindest in Europa übereinstimmend kriminalisiert sind (oder eben doch wie etwa an den Grenzen des Lebens Divergenzen bestehen, die dann aber nicht zugunsten der jeweils höchsten Punitivität aufgelöst werden sollte, näher zum Ganzen S. 154 ff.). cc) Zwischenfazit Auch wenn er bei der Anerkennung strikter Rechtshilfepflichten realistische Zurückhaltung üben muss, hat der Ansatz des international-arbeitsteiligen Strafverfahrens den Vorzug, den Blick auf strafprozessuale Kriterien zu lenken und damit (insbesondere aus individualrechtlicher Sicht) verzichtbare Hürden der Rechtshilfe sichtbar zu machen. Er erweist sich damit als geeignet, dafür zu sorgen, dass nicht schon die transnationale Dimension eines Verfahrens dieses behindert und den verdächtigen Bürger ungebührlich privilegiert. b) Schutz der Rechtsstellung des Beschuldigten Auch und vor allem – das ist das vornehmliche Anliegen dieser Arbeit – müssen aber die unverzichtbaren Rechtshilfeschranken identifiziert werden, die aus der Annahme abgeleitet werden können, dass der Bürger nicht allein wegen der transnationalen Dimension schlechter stehen darf als in einem innerstaatlichen Strafverfahren (S. 69 ff., 80 ff., 99 f.). Auch dieses Desiderat bildet das Modell eines arbeitsteiligen Strafverfahrens adäquat ab, indem es – aus seinem Wesen heraus folgerichtig – durchgehend die strafprozessuale Rechtsstellung des Verfolgten anerkennt, wie sie oben (S. 98 ff.) im Lichte des „individualrechtlichen Benachteiligungsverbots“ konturiert worden ist und in Anlehnung an die Prozessordnungen im Einzelnen zu entfalten sein wird (dazu S. 124 ff.). c) Einwände gegen das Konzept des international-arbeitsteiligen Strafverfahrens Die Einwände gegen die Einordnung der Rechtshilfe als (Teil der) Strafrechtspflege (oben S. 30 ff.) haben sich bereits als im Ansatz nicht durchgreifend erwiesen. An dieser Stelle kann die Berechtigung der systematischen Weichenstellung der Rechtshilfetheorie anhand ihrer Folgerungen betrachtet werden. Wie oben (S. 98 ff.) gezeigt wurde, lässt sich die grund- und menschenrechtlich unverzichtbare Gestaltung eines justizförmigen Strafverfahrens nur vermittels einer konkretisierten und ausdifferenzierten Regelung im Strafverfahrensrecht praktisch wirksam erreichen. Diese rechtsstaatliche Garantie gibt ein Ansatz, der von der Eigenartigkeit des transnationalen Verfahrens ausgeht, anstatt sie in eine strafprozessuale Konstruktion beiderseitige Strafbarkeit kann im Übrigen gerade eine „diskursive“ Funktion in dem Sinne haben, dass sie ein Aushandeln dessen bewirkt, was unbedingt strafwürdig ist (s. u. S. 158 f.).
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einzuflechten, vorschnell preis und droht mit dem unmittelbaren Rückgriff auf Grundprinzipien, ebendiese einer gewissen Beliebigkeit, wenn nicht gar Bedeutungslosigkeit anheim zu stellen (s. o. S. 100 f.). Als exemplarisch kann der unmittelbare Rückgriff auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip, jenen großen „Gleich- und Weichmacher“ aller Dogmatik, gerade in der jüngeren europastrafrechtlichen Diskussion gelten.427 Weniger gegen die strafprozessuale Perspektive als vielmehr gegen das Konzept der „transnationalen Verfahrenseinheit“ richtet sich die Kritik von Krüßmann. Er leitet zwar aus dem Prinzip der Verfahrensfairness ab, dass das „transnationale Strafprozessrecht“428 den Beschuldigten nicht schlechter stellen sollte, als er in einem nationalen Verfahren steht, hält aber dem Modell des arbeitsteiligen Strafverfahrens entgegen, dass es die Verfahrenseinheit nur postuliere und nicht begründe.429 Insbesondere der Begriff des Verfahrens sei insofern unzutreffend, als er nur auf ein durch übergeordnete Regeln gesteuertes, nicht aber das vorfindliche, auf dem Nebeneinander souveräner Staaten beruhende Vorgehen passe.430 Dieser Einwand hat Gewicht, kann doch die Realität der Gemengelage zwischen verschiedenen nationalen Rechtshilfe- und Prozessregeln nicht schlicht ausgeblendet werden. Gleichwohl ist es bedenklich, deshalb den Gedanken der transnationalen Verfahrenseinheit gänzlich preiszugeben. Denn zum Einen kennt auch ein innerstaatliches Verfahren heteronome Elemente, wie etwa im deutschen Prozessrecht das Ersuchen um Freigabe eines Zeugen durch dessen Dienstbehörde,431 ohne dass ihm deshalb insgesamt seine Eigenschaft als „Verfahren“ abgesprochen würde. Zweitens, und das ist entscheidend, entfalten prozessuale Maßnahmen eines Staates im Rahmen der Rechtshilfe, anders als jene behördeninternen Opportunitätsentscheidungen, in aller Regel unmittelbare rechtliche Wirkung gegen die Prozessbeteiligten und sonst Betroffenen (etwa den Inhaber einer zu durchsuchenden Wohnung). Gerade deshalb ist in der vorliegenden Untersuchung das weithin anerkannte individualrechtliche Benachteiligungsverbot an die strafprozessuale Rechtsstellung geknüpft worden (S. 98 ff.). Dieser Ansatz muss nicht den Ist-Zustand des positiven Rechtshilferechts abbilden, sondern zielt (teils) auf einen SollZustand ab, der aber soweit möglich schon de lege lata durch entsprechende Auslegung des geltenden Rechts erreicht werden soll.432 Berücksichtigt man diese 427
Zu dieser Kritik bereits S. 78; zur prominenten Rolle der Verhältnismäßigkeit als Kautel in der Rechtshilfe bspw. OLG Stuttgart StV 2010, 262 – wo sie aber bezeichnenderweise nicht durchgreift – und dazu Vogel, NJECL 2010, 145 – 152; ähnlich im Beschluss OLG München StV 2013, 710 f.; krit. Allegrezza, ZIS 2010, 569, 577 f. 428 So der programmatische Titel seiner Monographie, 2009. 429 Krüßmann, Transnationales Strafprozessrecht, S. 134 ff., 140. 430 Ibid., S. 138. 431 Von Krüßmann, a.a.O. als (inzidenter) „Nicht-Prozess“ bezeichnet. 432 Dazu noch S. 209 f. Ähnlich S/L/G/H, Ein. Rn. 112 ff., 116 („dogmatische Figur“, die dafür sorgen soll, dass das Individuum als Rechtssubjekt und ohne Benachteiligung behandelt wird).
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normative Komponente, ist es für das Konzept der Verfahrenseinheit unschädlich, wenn es in der Rechtswirklichkeit an Grenzen stößt; gerade diese gilt es zu benennen und einer fundierten Kritik zu unterziehen. Besonders die aus dem Nebeneinander zweier souveräner Staaten folgenden Komplikationen sollten hierbei nach dem Gedanken der Gesamtschuld ins (zwischen-)staatliche Innenverhältnis verwiesen werden (s. o. S. 109 ff., 112), während nach außen eine gemeinsame staatliche Verantwortung besteht, die im Konzept eines arbeitsteiligen Strafverfahrens am besten abgebildet wird. Hiergegen die geltende Rechtslage mit ihren etwaigen Unzulänglichkeiten zum Kronzeugen zu erheben, wäre ein naturalistischer Fehlschluss. Zusammengefasst formuliert das Konzept des international-arbeitsteiligen Strafverfahrens den (mutmaßlich nur teilweise eingelösten433) Anspruch, dem die Regelung der Rechtshilfe gerecht werden muss, nämlich das gemeinsame Vorgehen der Staaten in rechtlich bestimmter und vorhersehbarer Weise zu koordinieren. Es ist kaum ersichtlich, wie das ohne eine für die beteiligten Staaten und ihre Behörden verbindliche Regelung geleistet werden soll, die dann auch nach den Kriterien Krüßmanns die Bezeichnung als Verfahren verdienen dürfte. Vorliegend jedenfalls wird der Begriff in diesem Sinne verwendet und bezeichnet weder eine (gegenwärtig illusorische) eigenständige und umfassende übernationale Verfahrensordnung, noch eben das bloße Nebeneinander der nationalen Ordnungen.
4. Fazit Damit erweist sich das Konzept eines international-arbeitsteiligen Strafverfahrens als geeignet, die unterschiedlichen Ziele strafrechtlicher Rechtshilfe, namentlich eine wirksame und rechtlichen Kriterien folgende Durchsetzung staatlicher Strafansprüche bei gesamtschuldnerischer (S. 112 f.) Gewährleistung des Benachteiligungsverbots (S. 69 ff.), adäquat und gebündelt auszudrücken. Gerade in seiner normativen Dimension kann es sowohl die Auslegung des positiven Rechts anleiten als auch gesetzgebungskritisches Potential entwickeln. Indem es von der strafprozessualen Rechtslage ausgeht, verwirklicht es dabei den eingangs gewählten bottomup-Ansatz, wonach das Konstrukt der Rechtshilfe „von unten“, von der Rechtsbeziehung Staat-Individuum ausgehend entwickelt werden sollte (S. 30). Zugleich ist der Aspekt der Arbeitsteilung eine konzeptuelle Antwort auf das Dilemma, das die Auseinandersetzung zwischen Lammasch und seinen Kritikern prägte (S. 32 ff.), nämlich die monolithische Auffassung des Strafverfahrens, derentwegen scheinbar nur die Wahl blieb zwischen einer Rechtspflegetheorie unter Annahme eines eigenen Strafanspruchs des ersuchten Staates oder der strikten Ablehnung einer solchen Theorie. Demgegenüber entspricht die Vorstellung eines 433 Für eine umfassende Untersuchung der überaus verworrenen positiven Rechtslage allein in Deutschland ist hier kein Raum (dazu kritisch S/L/G/H, Schnellübersicht [S. VII ff.]; Vogel, JZ 2001, 937, 940). Zum EU-System der gegenseitigen Anerkennung S. 249 ff.
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arbeitsteiligen Verfahrens dem oben entwickelten Ansatz, dass auch der ersuchte Staat Strafverfolgung betreibe (S. 30 ff.), ohne dass dazu erforderlich wäre, dass er ein Verfahren zur Gänze – insbesondere die Wahrheitsfindung – selbst durchführe oder auch nur einen originären Strafanspruch besitze (s. bereits S. 37 ff.). Rechtshilfe ist (ebenso wie innerstaatliche Verfahrenshandlungen) keine Strafe und kann auch keine sein, aber sie ist (Teil der) Strafverfolgung. Als solche kann sie sich nicht ohne Weiteres von den Regeln des Strafverfahrens befreien, die eine zur gleichwertigen Wahrung der Verfahrensbalance (S. 99 f.) notwendige Konkretisierung der auch in transnationalen Fällen unverbrüchlichen Grund- und Menschenrechte des Individuums (S. 44 ff., 98 ff.) bilden.
II. Die Rechtsstellung des Individuums zwischen innerprozessualen und prozessunabhängigen Schranken „Verstoßen! rief Luther […] Ja, wo ist, so lange Staaten bestehen, ein Fall, daß jemand, wer es auch sei, daraus verstoßen worden wäre? – Verstoßen, antwortete Kohlhaas, indem er die Hand zusammendrückte, nenne ich den, dem der Schutz der Gesetze versagt ist!“ Heinrich v. Kleist, Michael Kohlhaas, Neuausgabe Berlin 2015, S. 31
Dass der Schutz der Gesetze, dessen fundamentale Bedeutung Kleist hier zum Ausdruck bringt, auch dem Beschuldigten eines transnationalen Verfahrens zuteil werden muss, ist vorstehend in Gestalt des individualrechtlichen Benachteiligungsverbots entwickelt worden (S. 69 ff.). Die grundlegende Orientierung an diesem Modell des „benachteiligungsfreien“ international-arbeitsteiligen Strafverfahrens (S. 113 ff.) wirft die Frage auf, wie dessen materialer Gehalt im Einzelnen beschaffen sein kann und soll. Von dem Standpunkt aus, wonach der Beschuldigte (und gegebenenfalls andere Betroffene) in einem international-arbeitsteiligen Strafverfahren nicht schlechter stehen soll als in einem rein nationalen Verfahren, stellt sich nämlich die entscheidende Frage, welches nationale Verfahren als Referenz dienen soll. Mindestens zwei bieten sich an: das des ersuchenden und federführenden Staates einerseits, das des ersuchten Staates, der den unmittelbaren Zugriff (auf die betroffene Person, bestimmte Beweismittel, etc.) hat, andererseits. Ein dritte denkbare Möglichkeit, ein eigenes Verfahrensrecht für grenzüberschreitende Verfahren, würde das Ziel demgegenüber schon von ihrem Ausgangspukt her verfehlen, weil sie eine eigenständige und damit notwendig andere, bessere oder schlechtere Behandlung des Betroffenen gerade anstrebt. Weil beide Staaten beteiligt sind, kann ihre jeweilige Verfahrensordnung mit einer gewissen Berechtigung Geltung beanspruchen. Derjenige Staat, der das Verfahren führt, könnte nach seinem Recht vorgehen und so sicherstellen, dass das Verfahren in seinem Sinne prozessordnungsgemäß verläuft und zu einem aus seiner Sicht ak-
II. Die Rechtsstellung des Individuums
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zeptablen Ergebnis führt. Das würde aber bedeuten, dass der ersuchte Staat, welcher ebenfalls Hoheitsgewalt ausübt, umfassend als „Vollzugsorgan“ des ersuchenden Staates nach dessen Recht handeln würde – eine Vorstellung, die wegen der Verschiedenheit der Rechts- und Prozessordnungen unweigerlich zu Friktionen führen würde und so auch zwischen souveränen Staaten nirgends praktiziert wird. Aus der Sicht des ersuchten Staates, der in der Rechtshilfe selbst strafverfolgend tätig wird (S. 30 ff.), gibt es vielmehr Regeln, die dem Grunde nach unabhängig davon Geltung beanspruchen, ob die Verfolgung von einem anderen Staat ausgeht (s. o. S. 69 ff., eingehend S. 126 ff.). Umgekehrt kann auch nicht ausschließlich das Recht des ersuchten Staates zur Anwendung kommen, weil er einerseits kein eigenes Strafverfahren führt434 und andererseits alle Vorgänge der Rechtshilfe letztlich auf Entscheidungen im ersuchenden Staat zurückzuführen sind, nur so legitimiert werden können und schließlich auch dort Wirkungen zeitigen (sollen) (s. o. S. 107 ff.). Denkbar sind demgegenüber Mischformen dergestalt, dass entweder die Regeln beider Staaten kumuliert Anwendung finden, oder sich gegenseitig ergänzen. Eine schlichte Kumulation der Verfahrensordnungen kann der Problematik nicht gerecht werden, weil sie entweder eine Addition und damit einen „Overkill“ der Eingriffsmöglichkeiten435 oder eine Kumulation von Kautelen und damit die Meistbegünstigung des Verfolgten436 zur Folge hätte, die beide das Ziel der nach Möglichkeit gleichen Behandlung des „transnationalen Beschuldigten“ vollends verfehlen würden. Beides wird, soweit ersichtlich, nirgends ernsthaft eingefordert. Es kann also nur darum gehen, wie eine sachgerechte Auswahl der Regeln aus den zur Verfügung stehenden Rechtsordnungen getroffen werden kann. Um diese Frage zu beantworten, ist es hilfreich, den Gehalt eines rechtsstaatlichen Strafverfahrensrechts zu betrachten. Es handelt sich, um den Ausspruch I. Müllers zu benutzen, weitestgehend um „in Regeln gekleidete Machtbeschränkung“437. Seiner Natur nach und notwendigerweise ist das Strafverfahren ein Bündel an Eingriffsbefugnissen, und ebenso selbstverständlich verlangt es in einem Rechtsstaat nach Bändigung. Die Vorschriften des Strafprozessrechts – zumal die für die Rechtsstellung des Beschuldigten bedeutsamen – lassen sich dementsprechend als Schranken gegen die Gefahren des hoheitlichen Zugriffs verstehen. Diese Gefahren wiederum sind nicht einheitlich. Zahlreiche Maßnahmen, namentlich Zwangsmittel, greifen schon als solche und unabhängig vom Fortgang des Verfahrens in die Rechte des Einzelnen ein. Sie sind unabhängig vom (weiteren) Prozess wirksam und bedürfen bereits aus diesem Grund einer Rechtfertigung.438 Daneben birgt das Straf434
S. 34, 69 ff., 103 ff. Schünemann, StraFo 2003, 344, 350. 436 Hiergegen S. 81, 111. 437 Rechtsstaat und Strafverfahren, S. 46. 438 Niese, ZStW 63, 199, 215 f. Für die Rechtshilfe s. bereits v. Bar, Revue de droit international IX (1877), 5, 8 f., der hervorhebt, dass der gerichtliche Rechtsschutz im ersuchten Staat nicht auf die geplante Aburteilung im ersuchenden Staat, sondern auf den Freiheitsentzug im ersuchten Staat abzielt. 435
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verfahren die Gefahr in sich, dass bestimmte Maßnahmen (erst) im weiteren Verlauf belastend für den Beschuldigten werden; sie erlangen erst im „prozessualen Raum“439 Bedeutung. Das betrifft insbesondere die (Umstände der) Erhebung von Beweisen, die später zu einem Schuldspruch beitragen. Die ersten seien hier „prozessunabhängige Gefahren“, die zweiten „innerprozessuale Gefahren“ genannt. Davon ausgehend lassen sich die Regeln des Strafverfahrensrechts einteilen in solche, die prozessunabhängigen Gefahren vorbeugen sollen (fortan „prozessunabhängige Schranken“ genannt), und solche, die innerprozessuale Gefahren eindämmen und also die Rechtsstellung des Beschuldigten als Prozesssubjekt sichern sollen (fortan „innerprozessuale Schranken“). Dementsprechend soll der Frage nach der maßgeblichen Prozessrechtsordnung ausgehend von diesen unterschiedlichen Gefahren nachgegangen werden, also wiederum „von unten“ in Ansehung des staatlichen Vorgehens gegenüber dem Individuum (s. o. S. 69 ff.). Die Antwort kann wegen der Beteiligung mehrerer Staaten differenziert ausfallen; im Folgenden soll versucht werden, plausible Anknüpfungspunkte für die verschiedenen in Frage kommenden Rechtsordnungen zu entwickeln. 1. Prozessunabhängige Gefahren und die notwendige (unterschiedslose) Geltung der lex loci Nach dem hier entwickelten Ansatz ist davon auszugehen, dass der Staat, welcher Rechtshilfe leistet, Strafrechtspflege betreibt, wenn auch keine originär eigene (S. 30 ff.). Es gilt nun zu untersuchen, was dies unter der Prämisse des individualrechtlichen Benachteiligungsverbots (S. 69 ff.) für die Geltung seiner Straf(prozess) rechtsordnung bedeutet. a) Strafprozessuale Rechtslage (auch) im ersuchten Staat Entsprechend dem oben herausgearbeiteten, einzig legitimen Zweck der Rechtshilfe in Gestalt der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Strafrecht sind die Maßnahmen, die der ersuchte Staat ergreift, als Akte der Strafrechtspflege zu begreifen (S. 30 ff.). Für solche hat sich jeder Staat bestimmte Regeln – Schranken – auferlegt, um den Bürger nicht dem ungezügelten Zugriff der Verfolgungsorgane auszusetzen. Diese können – und müssen – unter den besonderen Bedingungen eines grenzüberschreitenden Verfahrens für spezifische Lösungen offen sein (s. bereits S. 72 ff. sowie S. 124 f.). Ein Abrücken von den allgemeinen Schranken der Strafrechtspflege in transnationalen Fällen kann aber nur am Ende einer rationalen Begründung stehen und nicht der Ausganspunkt sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass 439 Niese, a.a.O., S. 217, der unter dem Begriff der „doppelfunktionellen Prozesshandlung“ Vorgänge untersucht, die sowohl außer- als auch innerprozessual bedeutsam sind – zu solchen Mischformen S. 129 f., 173 f.
II. Die Rechtsstellung des Individuums
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die Fesseln, die ein Staat sich ganz unabhängig von den Auswirkungen auf die künftige Rechtsstellung des Beschuldigten auferlegt hat, vom weiteren Fortgang des Verfahrens und damit auch von seiner nationalen oder transnationalen Dimension abgelöst sind; um von diesen Grenzen zu Lasten der bürgerlichen Freiheiten abzuweichen, nur weil ein Verfahren transnational ist, bedürfte es deshalb eines guten, das heißt auch dem Bürger gegenüber durchgreifenden Grundes. Einen Schritt in Richtung einer solchen Begründungslast bedeutet bereits die Ansicht Lagodnys, wonach die Grundrechte als Schranken der deutschen Hoheitsgewalt nicht nur für die Strafrechtspflege allgemein, sondern auch im Rechtshilferecht in vollem Umfang gelten müssten, eingeschränkt nicht schon durch bereichsspezifische Schutzbereichseinschränkungen, sondern erst durch ordnungsgemäße Gesetze (S. 58 ff.). Das erscheint vom hier vertretenen Standpunkt aus uneingeschränkt zustimmungswürdig und ist vor dem Hintergrund der Geschichte der Rechtshilfe mit ihrer „zweidimensionalen“ Blindheit für die Rechtsstellung des Beschuldigten (S. 52 ff.) auch nicht so selbstverständlich, wie es scheinen mag. Selbst in jüngerer Zeit hat das Bundesverfassungsgericht mitunter entschieden, dass die Grundrechte des Grundgesetzes im Rechtshilferecht nicht in vollem Umfang gälten.440 Allerdings ist die grundrechtliche Ebene zu abstrakt und allgemein, als dass sie allein verlässliche Ergebnisse für die Strafrechtspflege liefern könnte (S. 98 ff., 100 f.); wie zum Beweis dafür hat Lagodny selbst später eine Theorie vorgelegt, wonach die Grundrechte dem Staat im Bereich des (materiellen) Strafrechts nur wenige Grenzen zögen.441 Wegen dieser Unwägbarkeiten der verfassungsrechtlichen Argumentation soll vorliegend nicht von der abstrakt-generellen Warte des Verfassungsrechts, sondern eine Stufe „weiter unten“ von dessen Entfaltung im einfachen Strafprozessrecht ausgegangen werden (s. bereits S. 98 ff.). b) Prozessunabhängige Schranken des ersuchten Staates Es gilt also zunächst, die Fesseln herauszuarbeiten, die ein Staat sich allgemein im Zugriff auf seine Bürger bzw. Eingriffen in ihre Freiheitsrechte auferlegt hat. Diese sind begrifflich scharf zu unterscheiden von innerprozessualen Formen, bei denen es um Kohärenz im Gesamtverfahren, hier also im transnationalen Verfahren (näher S. 169 ff.) geht. Hier geht es um absolute (i. e. vom weiteren Verfahren, auch seiner transnationalen Dimension, abgelöste) Schranken, die ein Staat sich gegeben hat und die er auch als Gehilfe eines fremden Staates nicht ohne Weiteres übertreten darf. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht im Laufe des Verfahrens mit anderen Elementen verknüpft sind und erst in ihrer Gesamtheit ihren ganzen Sinn entfalten 440
Dazu S. 66 ff.; weit. Nachw. bei Lagodny, in: S/L/G/H, § 73 Rn. 14 ff. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, passim; eingehend zu diesen „Fallstricken“ der verfassungsrechtlichen Argumentation Greco, in: Brunhöber/Höffler/Kaspar (Hrsg.): Strafrecht und Verfassung, S. 13, 21 ff. 441
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(wie es für Beweise zwischen ihrer Erhebung und Verwertung charakteristisch ist), sondern für sich selbst als Schranken stehen und keinem Ausgleich zugänglich sind. Sie sollen zunächst durch Entfaltung dieser allgemeinen Kriterien umrissen werden und dann anhand einzelner Maßnahmen näher spezifiziert werden. aa) Prozessunabhängige Gefahren – prozessunabhängige Schranken Wie bereits angedeutet, gehen von jedem Strafverfahren Gefahren für Individualrechte aus. Nicht wenige davon sind unabhängig vom weiteren Verlauf des Verfahrens und einem etwaigen Schuldspruch und wirken unmittelbar, wie etwa – augenscheinlich – eine Inhaftierung oder das Eindringen in eine Wohnung auf der Suche nach Beweismaterial. Schon wegen dieser Wirkung und unabhängig vom Fortgang oder etwaigen Ausgang des Prozesses unterliegen solche Maßnahmen daher in jedem Staat bestimmten – strengen – Voraussetzungen, mittels derer das Gleichgewicht zwischen staatlichen Eingriffsbefugnissen und Individualrechten austariert wird. Nicht aber geht es dabei um das (hier sog.) prozessuale Gleichgewicht im engeren Sinne (S. 99), denn an der dynamischen Ausbalancierung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung und den Rechten des Einzelnen als Prozesssubjekt nehmen sie streng genommen nicht teil. Die Festnahme und Inhaftierung einer Person ist schon als solche belastend und nicht etwa dadurch kompensierbar, dass im weiteren Verlauf des Verfahrens dem Betroffenen Rechte eingeräumt werden oder ein Beweisverwertungsverbot statuiert wird. Auch das Eindringen in eine Wohnung zum Zwecke der Durchsuchung ist in sich selbst ein belastender Eingriff, der schon deshalb gesteigerten Hürden unterliegt (näher S. 141). Die Gefährdung für die Rechte des Betroffenen geht nicht erst von der nachfolgenden Verwertung etwa aufgefundener Beweis aus, sondern schon von der Durchsuchung als solcher. Wegen solcher Gefahren und nicht erst wegen der Möglichkeit, dass ein mehr oder weniger zufällig in der Wohnung belegener Gegenstand zum Beweismittel gemacht wird, unterliegt eine Durchsuchung gewissen Schranken.442 Dementsprechend ist es sachgerecht, diese hier sogenannten prozessunabhängigen Schranken außerhalb des innerprozessualen Gleichgewichts zu belassen, was auch bedeutet, ihre Verletzung nicht zwingend mit einem Beweisverwertungsverbot zu sanktionieren.443 Ein solches Verbot würde den 442
Jedenfalls, insoweit sie ebenfalls Dritte in ihrem Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung schützen, näher S. 133 ff. 443 So auch die h.M., s. Roxin/Schünemann, § 35 Rn. 9; LR-StPO/Tsambikakis, § 105 Rn. 139 mit dem treffenden Hinweis, Durchsuchungen seien „keine Beweismittel, deren Verwertung verboten sein könnte“, was implizit auf die prozessunabhängige Dimension dieser Maßnahme abstellt. Demgegenüber überzeugt es nicht, wegen der Verletzung von sog. Informationsbeherrschungsrechten Beweismittel aus rechtswidrigen Wohnungsdurchsuchungen allgemein der Verwertung zu entziehen (Amelung, GS Schlüchter, 2002, S. 417, 424), weil der Gesetzgeber es akzeptiert habe, bestimmte Informationen – etwa die in einer Wohnung befindlichen – insgesamt dem Strafprozess zu entziehen. Denn das Wohnungsgrundrecht schützt diese räumliche Privatsphäre als solche und nicht wegen darin zufällig befindlicher Informa-
II. Die Rechtsstellung des Individuums
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Verfolgten ungebührlich privilegieren, indem es ihm einen Vorteil verschafft, der ihm nicht zusteht, weil er keine Konnexität zu der begangenen Rechtsverletzung aufweist. Umgekehrt würde den „Preis“ der Rechtsverletzung die Allgemeinheit in ihrem Interesse an wirksamer Strafrechtspflege durch materielle Wahrheitsermittlung444 zahlen und nicht das verantwortliche Organ, weshalb auch der Disziplinierungsgedanke, wonach (die Aussicht auf) ein Verwertungsverbot die Strafverfolgungsorgane zu gesetzmäßigem Handeln anleiten könne, nicht trägt. Ein Verwertungsverbot würde also einerseits ungebührliche Vorteile zeitigen, andererseits an falscher Stelle Einbußen hervorrufen; konsequenter wäre daher eine Sanktionierung mittels disziplinarischer Maßnahmen oder gar des Strafrechts.445 Der hier vorgeschlagenen Differenzierung verwandt ist die von der Lehre von den sog. doppelfunktionellen Prozesshandlungen446 vorgenommene Unterteilung der Wirkung prozessualer Maßnahmen. Sie betont, dass auch und gerade bei Beweiserhebungen häufig bereits „vor dem Urteil, gleichsam ,aus dem Prozeß heraus‘, Eingriffe in den ,materiellen Raum‘ des Beschuldigten und sonstiger Prozessbeteiligter“447 entstehen, während durch sie zugleich die Grundlage für eine weitere, potentiell belastende Informationsverarbeitung im Prozess geschaffen wird (zu diesen innerprozessualen Gefahren S. 169 ff.). So verhält es sich mit der von Niese untersuchten Narkoanalyse: Diese Begutachtung des Beschuldigten unter Verabreichung eines „Wahrheitsserums“ berührt einerseits empfindlich seine persönliche Freiheit und läuft andererseits auf eine Ausforschung des Beschuldigten im Dienste der Wahrheitsfindung hinaus.448 Solche sog. doppelfunktionellen Prozesshandlungen korrespondieren mit entsprechenden Normen, welche zwar auch (ultimativ) der justizförmigen Gewinnung verwertbarer Beweismittel dienen, aber nicht zuletzt die Funktion haben, Eingriffe in die materielle Rechtsstellung des Betroffenen (unter
tionsträger, und dem Strafverfahren sind diese nur partiell entzogen, nämlich in den durch die Eingriffstatbestände abgesteckten Grenzen, die aber gerade nicht der Abschirmung von der prozessualen Verarbeitung, sondern der Einhegung staatlicher Gewaltausübung überhaupt dienen. Ein von Amelung (GS Schlüchter, S. 425) postulierter Sekundäranspruch auf Beseitigung der erlangten Information (ergo Verwertungsverbot) passt nicht zu einem solchen, von der prozessualen Verarbeitung abgelösten Primär-, d. h. Abwehranspruch. 444 Ebenso (aber nur unter dem Aspekt des „Disziplinierungsgedankens“ und unbeschadet der weit verstandenen „Informationsbeherrschungsrechte“, s. zuvor) Amelung, GS Schlüchter, 2002, S. 417, 422; vgl. auch Roxin/Schünemann, § 24 Rn. 27. 445 Roxin/Schünemann, § 24 Rn. 27, § 37 Rn. 8; eine rechtswidrige Durchsuchung etwa kann unter den Tatbestand des Hausfriedensbruchs subsumiert werden (§ 123 StGB), denn von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis kann bei der Unterwerfung unter eine (vermeintlich wirksame) hoheitliche Anordnung keine Rede sein, dazu im Zusammenhang mit der „Pseudo-Beschlagnahme“ durch einen nicht Befugten Lackner/Kühl, StGB, § 242 Rn. 14; NK-Kindhäuser, § 242 Rn. 54; Schönke/Schröder-Eser/Bosch, StGB, § 242 Rn. 35. 446 Niese, ZStW 63 (1951), 199 ff. 447 Niese, a.a.O., S. 215. 448 Niese, a.a.O. S. 219 ff.; Schilderung aus medizinischer Sicht ebd. S. 202 f.
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bestimmten Voraussetzungen) überhaupt zu legitimieren.449 Man kann also von einer „Doppelnatur“450 dieser Normen und der auf ihnen beruhenden Prozesshandlungen sprechen. Indem diese Lehre speziell diejenigen Handlungen betrachtet, von denen (nach der hier verwendeten Terminologie) sowohl innerprozessuale als auch prozessunabhängige Gefahren ausgehen, zeigt sie die Existenz solcher Mischformen auf, auf die noch zurückzukommen sein (S. 173 ff.) wird; vorerst soll es allein um die prozessunabhängige, materiell-legitimatorische Seite gehen, diejenige also, die dem Staat ohne Rücksicht auf eine etwaige prozessuale Verarbeitung Grenzen zieht. Dass sich letztere von den innerprozessualen Schranken451 ablösen lassen und andere Fehlerfolgen kennen,452 ist eine – als Vorbedingung – grundlegende Erkenntnis, welche die Lehre von den doppelfunktionellen Prozesshandlungen deutlich hervorgehoben hat (zu den Folgen noch S. 188 ff.). bb) Anwendbarkeit auch in transnationalen Verfahren Es stellt sich die Frage, ob die transnationale Dimension des Verfahrens mit u. U. niedrigeren Kautelen im ausländischen Staat einen hinreichenden Grund abgibt, einen Staat aus diesen Verfahrensformen und Fesseln, die er sich ohne Bezug zu weiteren Entwicklungen auferlegt hat, zu befreien. Es ist zunächst davon auszugehen, dass der Staat den Bürgern, die er mit seiner monopolisierten Gewalt einem Strafverfahren unterzieht, die Einhaltung der dafür geltenden Schranken schuldet; soweit diese von der prozessualen Verarbeitung abgelöst sind, unterscheidet sich der „transnationale Beschuldigte“ nicht vom „nationalen Beschuldigten“, so dass der ausländische Ursprung der Verfolgung allein kein hinreichender Grund ist, diese Schranken zu lockern.453 Wegen der aus449 Niese, a.a.O. S. 216. Damit korrespondiert eine doppelte Fehlerfolge dergestalt, dass bei Fehlen der Voraussetzungen nicht nur der Eingriff in den „materiellen Rechtsraum“ widerrechtlich ist, sondern auch die weitere Verwertung im Prozess ausgeschlossen sein muss, Niese, a.a.O. S. 218 ff., 221; näher S. 173 ff. 450 Niese, a.a.O. 451 Ausdruck bereits bei Niese, a.a.O. S. 217. 452 Niese, a.a.O. S. 216 f. betont, dass eine „materielle Fehlerhaftigkeit“ nicht regelmäßig eine prozessuale „Unzulässigkeit“ bewirke, so dass etwa niemand auf die Idee komme, das bei einer rechtswidrigen Durchsuchung gesammelte Material mit einem Beweisverwertungsverbot zu belegen. 453 Schon v. Liszt, ZStW 2 (1882), 50, 64 schreibt, dass die richterliche Prüfung im Rechtshilfeverfahren „entsprechend den Grundsätzen des im Lande herrschenden Strafprozeßrechtes zu gestalten wäre.“ Das ist für die Rechtspflegetheorie nur konsequent, so dass Lammasch zustimmend notiert, dass das Individuum in Österreich „im allgemeinen die Rechte eines ,Beschuldigten‘ im Sinne der StPO genießt“, ebenso wie – unter dem Vorbehalt vorrangiger Reichsgesetze – in Bayern (Auslieferungspflicht, S. 655 f.; s. o. S. 45 ff.). Er weist (S. 657) darauf hin, „wie sonderbar es ist, wenn ein Staat die Freiheit einer Person im Interesse der Rechtspflege eines fremden Staates weitergehenden Beschränkungen unterwirft, als im
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schließlich strafrechtlichen Zwecksetzung und Legitimation des gesamten Vorgangs (S. 30 ff., 72 ff.) ist es auch nicht zulässig, auf die Möglichkeit anderweitiger, weitergehender Eingriffsrechtfertigung abzustellen, etwa aufgrund verwaltungsrechtlicher Befugnisse,454 weil das auf eine die strafprozessuale Natur missachtende Anwendung der Rechtshilfetheorie (dazu S. 41 ff., 52 ff.) und eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung hinauslaufen würde. Es geht dabei nicht primär um eine Anwendung des Gleichheitssatzes (auch wenn dieser positiv-verfassungsrechtliches Fundament und Prüfstein bilden kann, S. 75 ff., 80 ff.), sondern schlicht um die Erkenntnis, dass der Beschuldigte in einem transnationalen Verfahren die Tatbestandsmerkmale der prozessunabhängigen Schranken ebenso erfüllt wie jener in einem nationalen Verfahren und diese Normen nichts von ihrer Berechtigung einbüßen, nur weil der innerprozessuale Raum in einem anderen Staat konstituiert ist. Denn weil die prozessunabhängigen Gefahren außerhalb der prozessualen Balance i. e.S., also von innerprozessualen Kompensationszusammenhängen stehen (S. 99; 128 f.), sind sie späterer Kompensation in diesem innerprozessualen Raum weder zugänglich noch bedürftig. Dessen Beschaffenheit (und auch der Umstand, dass er in einem anderen Staat bestehen möge) ist nicht geeignet, das unabhängig von ihm festgelegte Verhältnis zwischen staatlicher Eingriffsmacht und bürgerlichen Freiheiten zu verschieben. Deshalb ist es angemessen, dass der handelnde Staat seine entsprechenden Schranken ohne Rücksicht auf eine spätere prozessuale Verarbeitung einhalten muss, ist aber auch ihre Einhaltung für eine solche prozessuale Verarbeitung (abgesehen von krassen Fällen) irrelevant (s. o. S. 128 f.). Daraus folgt zweierlei: Wenn es auf eine weitere Verarbeitung nicht ankommt, kann es auch keine Rolle spielen, wo eine etwaige Verarbeitung stattfindet (oder nicht), weshalb proInteresse seiner eigenen.“ Ebenso v. Bar, Lehrbuch, S. 316 f. Siehe bereits S. 45 ff. Mit dem Siegeszug der Rechtshilfetheorie (S. 28, 42 ff.) ist dagegen die Autonomie des Rechtshilfeverfahrens vom Strafprozess zum Prinzip erhoben worden, s. etwa Vogler, in: 140 Jahre GA, 251, 257 f. (näher S. 42 ff.) und Lagodny, Rechtsstellung, S. 355, der ungeachtet seines Fokus auf die Rechtsstellung des Individuums „für den Regelfall“ auf das Verwaltungsverfahren mit seinen Garantien abstellt, die „so hinterwäldlerisch nicht“ seien (ders., StV 2005, 515, 519). Dagegen vertritt er, wie andere, in der Sache eine Art Rechtspflegetheorie, soweit er die Geltung strafprozessualer Rechte anmahnt (S. 69 ff.); in eine ähnliche Richtung geht das Postulat von Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 40, es „dürf[t]en spezifisch strafprozessrechtliche Garantien nicht dadurch entwertet werden, dass sich der ersuchte Staat darauf beriefe, aus seiner Sicht handele es sich nicht um ein Strafverfahren, und der ersuchende Staat mögliche Rechtsverletzungen als für sein Strafverfahren unerheblich ansieht“. Diese Maxime erweist sich auf der Grundlage der hier eingenommenen prozessualen Perspektive als (allein) folgerichtig. Auch Böse, in: Bloy/Hillenkamp/Momsen/Rackow (Hrsg.): Fragmentarisches Strafrecht, S. 240; zuletzt ibid., ZIS 2014, 152 betont, dass „das öffentliche Interesse an der Förderung eines ausländischen Strafverfahrens keine weitergehenden Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen [vermag] als das inländische Strafverfolgungsinteresse.“ 454 Wie sie insbesondere im Rahmen der Gefahrenabwehr zu finden sind, s. etwa aus dem Polizeirecht Art. 17 ff., 23 BayPAG zur Freiheitsentziehung bzw. Wohnungsdurchsuchung, und bei formaler Betrachtung der Rechtshilfe als besonderes Verwaltungsrecht auch denkbar wären.
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zessunabhängige Schranken immer dem Recht des ersuchten Staates unterstehen müssen. Andererseits bedeutet die Irrelevanz einer möglichen Verwertung, dass die prozessunabhängigen Schranken des verfahrensführenden (ersuchenden) Staates im Prinzip keine Rolle spielen, und zwar auch nicht für die Frage eines späteren Beweisverwertungsverbots, solange nicht der ordre public dieses Staates einer Verwertung besonders gravierend kontaminierter Beweise entgegensteht.455 Eben weil sie für den weiteren prozessualen Verlauf unempfindlich sind, können die prozessunabhängigen Schranken auch nicht ab ovo durch ein Bedürfnis nach wirksamer transnationaler Strafrechtspflege (auf einer zweiten Stufe, bei der Anpassung der territorialen Rechtsordnung, dazu S. 72 ff.) ausgestochen werden, das nichts anderes ist als die Intention, besagten prozessualen Verlauf zu befördern; dass dieser eine transnationale Dimension hat, ändert an der Prozessunabhängigkeit der Schranken nichts.456 Ebenso wenig kann der ersuchende Staat dem ersuchten Staat Eingriffsrechte übertragen, die er selbst (auf fremden Territorium) nicht besitzt (s. o. S. 74. Das ist auch der Sache nach überzeugend: Die übernationale Dimension kann nur die Überwindung spezifischer Kooperationshürden rechtfertigen, nicht das zufallsbedingte grenzüberschreitende Absenken von Eingriffsschwellen. Unterstellt man, was man jedenfalls in einem vom „hohen Maß an gegenseitigem Vertrauen“457 geprägten europäischen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ tun muss, dass diese Schranken jeweils einen guten Grund haben, so ist ihre Aufrechterhaltung auch rechtspolitisch die konsequente Lösung.458 Dieser hier als allgemeines Prinzip formulierte Gedanke manifestiert sich in literarischen Stellungnahmen, die bestimmte schützende Formen der StPO in trans-
455 Siehe bereits S. 128 f. sowie näher S. 180 f. Ein plausible Konkretisierung schlägt Amelung, GS Schlüchter, 2002, 417, 423 vor: der (bei der Verletzung prozessunabhängiger Schranken nach hiesiger Ansicht einzige zum Beweisausschluss einschlägige) „Einwand des ,tu quoque‘“, der auf einen Selbstwiderspruch des Staates verweise, trage nur ein Verbot der Verwertung von solchen Beweisen, die unter Verstoß gegen die Menschenwürde oder Strafgesetze gewonnen wurden (wobei es hier zwar um Verstöße eines anderen als des verwertenden Staates geht, die er sich aber nach dem Gedanken der Einheit der staatlichen Macht [o. S. 103 ff., 109 ff.] ebenso entgegenhalten muss bzw. aus denen er keinen Vorteil ziehen darf). 456 Zu inhaltlichen Modifikationen namentlich bei der Tatverdachtsprüfung s. noch S. 145 ff. 457 Dieses findet sich in sämtlichen Rechtsakten zur gegenseitigen Anerkennung, vgl. etwa Erwägungsgrund 10 zum Rb-HB; Erwägungsgrund 8 zum RB-EBA; Erwägungsgrund 19 RiLiEEA; zuvor bereits das Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, ABl. 2001 C 12/10. 458 Wo tatsächlich oder vermeintlich die Strafrechtspflege sachwidrig behindert wird, sollte eher auf den Staat eingewirkt werden, damit er sein nationales Recht modifiziere oder seine Praxis korrigiere. Man könnte es auch so ausdrücken, dass der hiesige Ansatz darauf vertraut, dass der jeweils andere Staat eine funktionale Strafrechtspflege habe, was empirisch näher an der Wahrheit sein dürfte als das Vertrauen in deren einwandfreie Rechtsstaatlichkeit und normativ gesehen eine gesunde Skepsis gegenüber hoheitlichen Eingriffen institutionalisiert.
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nationalen Verfahren unterschiedslos anwenden wollen.459 Soweit es um prozessunabhängige Schranken geht, ist diesen Tendenzen zuzustimmen; jenseits dieses Bereichs stellt sich freilich die Frage, ob sie nicht mitunter zu weit gehen und dogmatisch besser ausdifferenziert werden sollten (eingehend S. 188 ff.). Auch die positivrechtlichen europäischen Vorschriften über den sekundären Rechtsschutz offenbaren vom hier vertretenen Standpunkt aus zum Teil treffende Intuitionen, was die Frage angeht, wo eine Verletzung von Rechten am besten vollständig festgestellt werden kann: im „Vollstreckungsstaat“ (näher S. 279, zum Begriff S. 219), d. h. nach alter Terminologie: im ersuchten Staat, demjenigen also, der die Maßnahme vorgenommen hat. Das kann man aber mit der gleichen Berechtigung beim primären Rechtsschutz annehmen, denn die tieferen Gründe für die Haftbarmachung jenes Staates sind nicht daran geknüpft, dass ein Schaden eingetreten ist, sondern passen auch schon auf dessen Abwendung (s. bereits S. 106). Noch eine Stufe davor lässt sich dieser Gedanke der (richterlich abgesicherten) Verantwortung für hoheitliche Eingriffe auf Richtervorbehalte460 und den materiellen Gehalt der Prüfung verallgemeinern, und noch weiter schließlich auf die Verantwortung für die prozessunabhängigen Schranken überhaupt, die beim „vollstreckenden“ Staat am besten aufgehoben ist. cc) Der Drittbezogenheits-Test als Indikator für prozessunabhängige Schranken Als Test zur Ermittlung des prozessunabhängigen Charakters einer Gefahr bietet sich die Frage an, ob sie auch zugunsten von beliebigen Dritten besonderen Schranken unterliegt. Das deutet nämlich darauf hin, dass aus der Perspektive des Gesetzgebers Gefahren nicht nur für den Beschuldigten als Prozesssubjekt eines Strafverfahrens durch dessen Fortgang und eine etwaige Verurteilung bestehen, sondern für jeden von der Maßnahme Betroffenen und bereits durch diese selbst. Im Folgenden soll dazu der Übersichtlichkeit halber am geltenden Prozessrecht der BRD gearbeitet werden; die zugrundeliegenden sachlichen Überlegungen aber sind davon losgelöst und auf andere Rechtsordnungen übertragbar (so dass die Methode universalen Anspruch erhebt, nicht die einzelnen Ergebnisse).
459 Statt vieler s. nur v. Bar, Lehrbuch, S. 316 f.; Esser, Roxin-FS II, 2011, S. 1497, 1501 ff.; Kreß, ZStW 116 (2004), 445, 470; S/L/G/H, Einl. Rn. 201 und Lagodny/Schomburg, NJW 2012, 348, 351 f. für notwendige Verteidigung; wenigstens im Ausgangspunkt auch Böse, in: Fragmentarisches Strafrecht (2003), S. 233, 240; s. außerdem S. 69 ff., 98 ff. zu den Manifestationen des Benachteiligungsverbots. 460 Siehe bereits v. Bar (Fn. 459), für den „der Schutz der persönlichen Freiheit im Inlande selbstverständlich nur dem inländischen, nicht aber dem ausländischen Richter anvertraut sein kann“; Esser (Fn. 459).
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(1) Einfache Ermittlungsmaßnahmen ohne Zwangsbewehrung Im Allgemeinen ist jegliches strafprozessuale Vorgehen daran geknüpft, dass überhaupt ein Verfahren wegen des Verdachts einer strafbaren Tat geführt wird. Dieses ist aber zunächst nur der Anlass für das staatliche Handeln und für sich selbst keine Schranke nach hiesigem Verständnis. Damit können aus dem Bereich der prozessunabhängigen Gefahren solche Maßnahmen ausgeschlossen werden, wie sie im deutschen Recht auf der Ermittlungsgeneralklausel461 beruhen und zwar grundrechtsdogmatisch u. U. einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 2 I GG oder des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung bilden, aber aus strafprozessualer Sicht keinen relevanten Eingriff in die materielle Rechtssphäre des betroffenen Bürgers:462 In dem Verzicht auf eine spezielle Ermächtigungsgrundlage463 kommt zum Ausdruck, dass diese Maßnahmen vom Gesetzgeber nicht schon als solche für „gefahrenträchtig“ gehalten werden, weshalb auch kein Grund ersichtlich ist, sie im transnationalen Verfahren besonders einzuschränken. Aus diesem Grund sind auch der Zugriff auf und die Weiterleitung von personenbezogenen Daten als solche nicht als prozessunabhängig gefährlich anzusehen, denn die Bedrohung, die von ihnen ausgeht, liegt in der Art ihrer Verwendung, also in den Wirkungen, die sie in einem weiteren Verfahren zeitigen können: Es geht hier also im Kern um innerprozessuale Gefahren (die grundsätzlich der Rechtsordnung des verfahrensführenden Staates unterstellt sein sollten, s. u. S. 169 ff.). Dabei soll nicht bestritten werden, dass von der Datensammlung und -verarbeitung, gerade wenn sie in großem Ausmaß erfolgt, erhebliche Bedrohungen für die individuelle Freiheit ausgehen können.464 Allein, der Zugriff auf einen Datenbestand greift nicht als solcher in die materielle Rechtssphäre der Bürger ein, d. h. das Gefahrenpotential haftet nicht den Daten als solchen an, sondern ihrer (potentiellen) Verwendung im Verfahren465 (oder der Speicherung und Verknüpfung mannigfaltiger Daten bis hin
461 § 161 I StPO; für „nicht invasive Ermittlungseingriffe“, die nach der RiLi-Ermittlungsanordnung stets zur Verfügung stehen sollen, ebenso Böse, ZIS 2014, 152, 155. 462 Diese Grundrechte mögen eine wichtige Funktion zur Begründung eines umfassenden Gesetzesvorbehalts einnehmen – zu Art. 2 I im Lichte des Urteils „Reiten im Walde“ (BVerfGE 80, 137) aber mit beachtlichen Gründen kritisch Grimm in seinem Sondervotum, a.a.O. S. 164 ff. –, sind aber blind für die hier maßgeblichen Prozessstrukturen und können deshalb nicht ausschlaggebend für die Anwendung der strengen Kautelen des Strafverfahrens sein. 463 Dabei ist freilich nicht auf das formale Kriterium der Existenz einer speziellen Norm abzustellen, sondern darauf, ob spezifische Eingriffsvoraussetzungen bestehen. 464 Im Lichte der Kontroverse um die Vorratsdatenspeicherung (dazu zuletzt Nachbaur, ZRP 2015, 215 ff. gegen Münch, ZRP 2015, 130 ff.; ferner Hirsch, NJOZ 2008, 1907, 1911; Singelnstein, NStZ 2012, 593 ff.; zur Kassation der EU-Richtlinie durch den EuGH Simitis, NJW 2014, 2158 ff.) einerseits und die jüngsten Skandale um die Abhörpraxis von NSA und GCHQ (Überblick und rechtliche Einordnung bei Ewer/Thienel, NJW 2014, 30) andererseits ist diese Feststellung beinahe trivial. 465 Siehe exemplarisch die Regelung in §§ 474 ff. StPO, die nur vom Verwendungszweck oder von öffentlichen Belangen getragene Beschränkungen vorsehen.
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zur Erstellung eines Persönlichkeitsprofils466). Dem kann (und muss) durch strikte Verwendungsregelungen Einhalt geboten werden, ohne dabei aber mystifizierend die Datenerhebung und -übermittlung als solche zur zentralen Gefahr zu erheben – dies würde sogar den Schwerpunkt falsch setzen und von der zentralen Verwendungsproblematik ablenken. Der richtige Ort zur Lösung datenschutzrechtlicher Probleme in der Rechtshilfe ist deshalb deren traditionelles Institut der Spezialität, wonach der Gegenstand der Rechtshilfehandlung auch nur zu dem Zweck verwendet werden darf, zu dem er übermittelt wurde, also für das betreffende Strafverfahren.467 In der Konsequenz wären schlichte Informationsübermittlungen oder -beschaffungsmaßnahmen – vorbehaltlich des ordre public468 – in sehr weitem Umfang zulässig, auch wenn die gesetzlichen Wertungen des ersuchenden Staates erheblich von denjenigen des ersuchten abweichen, ja selbst wenn dieser das konkrete Verhalten nicht unter Strafe gestellt hat.469 Das mag aus der Perspektive bedenklich erscheinen, der zufolge die Förderung eines fremden Strafverfahrens eine Art Teilnahme an diesem ist.470 Vorzugswürdig ist es aber, diese Förderung nur (aber auch stets) dort strikt einzuhegen, wo die Mitwirkung des ersuchten Staates den Ausschlag gibt darüber, ob überhaupt Verfolgung oder Bestrafung stattfindet – also namentlich bei Auslieferung oder Vollstreckung einer ausländischen Sanktion (i.E. S. 193 ff.). Die Beschaffung von Beweismaterial dient dagegen der Qualität der Wahrheitsfindung471 in einem Verfahren, auf dessen Durchführung als solche der ersuchte Staat keinen Einfluss hat. Wenn das Verfahren ohnehin stattfindet, kann der Förderung einer zuverlässigen Tatsachenfestellung ein eigenständiger Wert zuerkannt werden, unabhängig davon, ob man die dem Verfahren zugrundeliegenden Wertungen teilt oder nicht; dieser Aspekt kann die Leistung von schlichter (i. e. nicht prozessunabhängig
466 Zu dessen Verfassungswidrigkeit „auch in der Anonymität statistischer Erhebungen“ BVerfGE 27, 1, 6; 65, 53. 467 Zum Spezialitätsgrundsatz noch S. 179 f. 468 Der in diesem Bereich gerade in Deutschland in Gestalt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (BVerfGE 65, 1) stark ausgeprägt ist und so einen wirksamen „Schutzwall“ bilden kann; allg. noch S. 180 f. 469 Zur beiderseitigen Strafbarkeit s. noch u. 154 ff.; das entspricht i.Ü. weitgehend der Grenzziehung nach dem IRG, das im Bereich der „sonstigen Rechtshilfe“ in §§ 66, 67 nur die Beschlagnahme und Durchsuchung sowie die Herausgabe von Gegenständen an die Strafbarkeit nach deutschem Recht knüpft, und – abgesehen von den problematischen „Deliktskatalogen“ – den EU-Instrumenten zum Beweisrecht, dazu S. 256 m. Fn. 161. 470 Das ist insbesondere in der Diskussion um die beiderseitige Strafbarkeit oft bemerkt worden: es sei „seltsam“ oder gar „stoßend“, wenn ein Staat die Verfolgung einer Tat fördere, die er selbst nicht für strafwürdig erklärt hat (Popp, Grundzüge, S. 133 ff., 150 ff.); zur eigenen Auffassung s. u. S. 154 ff. 471 Das hatte schon Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 852 f. deutlich erkannt, allerdings – vor dem Hintergrund seines Postulats eines eigenen Strafanspruchs (S. 34 ff.) – unter dem Vorbehalt beiderseitiger Strafbarkeit.
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gefahrträchtiger) Rechtshilfe tragen, vorbehaltlich des Korrektivs der grundlegenden Wertungen der Rechtsordnung des ersuchten Staates.472 Dieser Vorbehalt eines nationalen ordre public ist im Allgemeinen angebracht (und zwar im Umfang der jeweiligen Grundrechtsordnung, s. bereits S. 58 ff.) und auch hinreichend, um solche Maßnahmen aus der Perspektive des ersuchten Staates rechtlich einzugrenzen, die nicht schon aus sich heraus Gefahren für Individualrechte schaffen (s. noch S. 169 ff., 178 ff., 180 f.). (2) Invasive Maßnahmen Dagegen existieren besonders eingriffsintensive Maßnahmen wie die Überwachung der Telekommunikation, die gleichwohl nicht mit Zwang (dazu sogleich) einhergehen. Auch hier erweist sich der Drittbezogenheits-Test als leistungsfähig: Die hohen Hürden für die technische Überwachung der Telekommunikation oder einer Wohnung (s. §§ 100a; 100c StPO) gelten – aus gutem Grund – nicht nur zugunsten des Beschuldigten, sondern jedes potentiell Betroffenen. Insofern sind sie prozessunabhängiger Natur und sind auch im transnationalen Verfahren dem Recht des ersuchten Staates zu entnehmen (i.E. S. 144 ff.). Wie noch zu zeigen sein wird, sind sie darüber hinaus ein Beispiel doppelfunktioneller Schranken (dazu S. 173 f.), die also kumulativ auch den Grenzen unterliegen, denen der ersuchende Staat seine Wahrheitsfindung unterworfen hat. An dieser Stelle interessiert jedoch zunächst nur die prozessunabhängige Eingriffsdimension: Die Gefahr, dass solche einschneidenden Maßnahmen dem ersuchten Staat entgegen dessen üblicher Kautelen durch den ersuchenden aufgezwungen werden könnten,473 ist durch entsprechende Aufrechterhaltung (nur) der prozessunabhängigen Schranken des ersuchten Staates adäquat zu beherrschen, ohne dass er zugleich dem Verfahrensstaat seine (inner-) prozessualen Maßstäbe aufdrängen muss.
472 Dagegen sind diese grundlegenden Wertentscheidungen (namentlich Grundrechte, S. 58 ff.) nicht geeignet, von vornherein den alleinigen Maßstab der Zulässigkeit von Rechtshilfe zu bilden, wie von Lagodny namentlich für die beiderseitige Strafbarkeit vorgeschlagen (in: S/L/G/H, § 3 IRG Rn. 2; s. noch S. 154 ff.). Ein Beispiel für eine Datenübermittlung, die wohl, aber erst wegen des ordre-public-Vorbehalts, unzulässig wäre, bilden Erkenntnisse aus einer in Deutschland bereits erledigten Telefonüberwachung, die von einem anderen Staat zur Verfolgung eines Diebstahls angefordert würden: die für die Erhebung geltenden prozessunabhängigen Beschränkungen des § 100a StPO (dazu sogleich im Text) sind gleichsam „verbraucht“. Aus § 477 II StPO folgt zwar eine Einschränkung der Verwendung, die aber gerade durch den Verwendungsbezug als innerprozessual ausgewiesen wird und deswegen nicht greift, wenn Deutschland gar nicht der (verfahrensführende) Staat ist, in dem eine Verwendung in Rede steht (s. u. S. 169 ff.). 473 Schünemann, in: ders. (Hrsg.): Gesamtkonzept, S. 93, 103.
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(3) Zwang und zwangsbewehrte Inpflichtnahme als prozessunabhängige Gefahren Am deutlichsten wird die Drittbezogenheit von Schranken bei der Anwendung von Zwang:474 Wo der Staat den Willen des Bürgers beugt, ist es evident, dass dessen Rechte ganz unabhängig vom weiteren Fortgang eines Verfahrens tangiert werden. Dementsprechend sind die prozessualen Zwangsmaßnahmen mit Wirkung für jedermann auf ein bestimmtes rechtsstaatliches Maß beschränkt, und zwar auf den im Gesetzgebungsprozess ausgehandelten Tatbestand der entsprechenden Eingriffsnorm. Daran zeigt sich, dass von einer gegen eine Person gerichteten Zwangsmaßnahme eine prozessunabhängige Gefahr ausgeht, deren rechtliche Bändigung sich nach der hier vertretenen Ansicht grundsätzlich nach der Rechtsordnung desjenigen Staates zu richten hat, der diese Maßnahme vornimmt und sich entsprechende Schranken auferlegt hat (S. 124 ff., 126 ff.). Zweifeln könnte man an dem Kriterium der Drittwirkung bei der Untersuchungshaft, die speziell auf den Beschuldigten zugeschnitten ist und deren Schranken demensprechend prima facie nicht drittschützend wirken. Aber wenn dem so ist, dann doch nicht deshalb, weil die Inhaftierung nur innerprozessual Wirkungen zeitigen und davon unabhängig nicht wirksam würde, sondern umgekehrt, weil sie derart schwer wiegt, dass sie als Sonderopfer überhaupt nur demjenigen abverlangt werden kann, gegen den selbst ein Verdacht besteht. Die Schranken der Freiheitsentziehung schützen also durchaus (potentiell) jeden unabhängig vom Fortgang des Verfahrens, werden aber nicht in diesem Umfang relevant, weil als zusätzliche Einschränkung hinzukommt, dass Untersuchungshaft nur den Beschuldigten überhaupt treffen kann. Bestätigt wird diese Einordnung der Haft als prozessunabhängige Gefahr durch die inter omnes geltenden Beschränkungen des Freiheitsentzugs im Allgemeinen, namentlich der Ordnungshaft gegen Zeugen (§ 51 I StPO); die im Verhältnis zu dieser spezifischeren Schranken der U-Haft entspringen nicht direkt dem innerprozessualen Raum, sondern entsprechen der Rolle des Beschuldigten, der allein Adressat des Tatverdachts und Verantwortlicher für die Haftgründe sein kann. Die Beschränkung gewisser Zwangsmaßnahmen, namentlich der U-Haft, auf den Beschuldigten falsifiziert bei dieser Lesart das Konzept der prozessunabhängigen Schranken und ihre Bestimmung mittels des Drittbezogenheits-Tests nicht. Wegen der Eignung zur Willensbeugung ist die vorstehend entwickelte Argumentation auch auf die Vorwirkung des Zwanges übertragbar, also auf seine Androhung oder auch bloß die zwangsbewehrte Verpflichtung des Bürgers zur Mitwirkung: Auch sie müssen den Schranken unterliegen, die für Zwangsanwendung gelten, denn welchen Sinn hätte die Statuierung einer Pflicht, deren Verletzung von 474
Dementsprechend ist dieses Kriterium häufig anzutreffen, wenn der Umfang abgesteckt werden soll, in dem die Rechtsordnung des ersuchten Staates (Fort-)Geltung beanspruchen muss, statt aller etwa v. Bar, Lehrbuch, S. 329 ff.; Böse, in: Fragmentarisches Strafrecht (2003), S. 233, 240; Kreß, ZStW 116 (2004), 445, 470; Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, Art. 4 III (S. 10 ff.).
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Gesetzes wegen sanktionslos bleiben müsste? Das betrifft insbesondere die Vernehmung als Zeuge, die erzwungen werden kann bzw. deren Verweigerung mit Ordnungsgeld bzw. -haft belegt werden kann (§ 51 StPO): Weil und soweit ihre Schranken im ersuchten, handelnden Staat (allgemeine) Drittwirkung entfalten, d. h. prozessunabhängig sind, müssen sie auch im transnationalen Verfahren Geltung beanspruchen475 (zum Umfang näher S. 141 ff.; zu spezifischen Schranken gegenüber bestimmten Personen, namentlich Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechten, s. sogleich). Wer freilich aus freien Stücken mitwirkt, verzichtet auf jene Schutzvorschriften, was im Rahmen seiner Dispositionsbefugnis nicht zu beanstanden ist. Um zu vermeiden, dass eine nach dem vorstehend entwickelten Maßstab nicht verpflichtete Person irrig eine Pflicht annimmt, muss dabei aber eine entsprechend qualifizierte Belehrung über die Freiwilligkeit ihrer Mitwirkung erfolgen.476 (4) Das Problem der Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechte Neben den allgemeinen, inter omnes wirkenden Schranken prozessualer Eingriffe existieren spezifische Schranken, die nur zugunsten bestimmter Personen wirken. Das betrifft vor allem die Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechte, die zwar nicht nur dem Beschuldigten zustehen, aber doch für bestimmte Personen reserviert sind. Wie sie zwischen innerprozessualen und prozessunabhängigen Schranken zu verorten sind, hängt von ihrer Ausgestaltung im Einzelnen ab.477 Eine erste Gruppe bilden solche Zeugnisverweigerungsrechte, die, wie § 52 StPO, an ein Angehörigenverhältnis zum Beschuldigten anknüpfen. Dieses Recht kommt zwar nicht direkt den Beschuldigten als Prozesssubjekt zugute, sondern es ist der Angehörige, der sich darauf berufen kann (oder auch nicht); entscheidend ist aber, dass es in unauflöslichem Bezug zum Strafverfahren gegen den Beschuldigten steht und gezielt im Verhältnis zu diesem gilt, nicht zugunsten Dritter.478 Das spricht für die Einordnung einer solchen Vorschrift als innerprozessuale Schranke. Wenn damit nach der hier vertretenen Ansicht – zunächst479 – einhergeht, dass das umfassende Zeugnisverweigerungsrecht für Angehörige nicht eingreift, wenn der 475 Siehe bereits v. Bar, Lehrbuch, S. 330, dem zufolge sich die Pflicht zur Aussage nach dem Recht des ersuchten Staates bemisst und namentlich an die Strafbarkeit der Tat in diesem Staat gebunden ist. 476 So auch für den Fall der (einfachen) Vorladung an den Beschuldigten v. Bar, Lehrbuch, S. 329 f. 477 Für Deutschland s. §§ 52 – 55 StPO. 478 Meyer-Goßner/Schmitt, § 52 Rn. 10 ff. (ibid. Rn. 11a zum lediglich reflexhaft begünstigten Mitbeschuldigten); der Bezug dieses Zeugnisverweigerungsrechts zum innerprozessualen Raum der Wahrheitsfindung wird de lege (germanica) lata bestätigt durch das daran anknüpfende Verwertungsverbot (§ 252 StPO) und die Revisibilität seiner Verletzung (MeyerGoßner/Schmitt, § 52 Rn. 34). 479 Denn relativiert wird diese Einordnung insofern, als § 55 I StPO wenigstens ein Auskunftsverweigerungsrecht auch für solche Fragen vorsieht, die dem Angehörigen die Gefahr der
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betreffende Staat als ersuchter im Rahmen eines transnationalen Verfahrens vorgeht, könnte dies im Konflikt stehen mit dem intendierten „Schutz der Familie des Angeklagten“480 bzw. der „Rücksicht auf die Zwangslage des Zeugen“.481 Doch dieser Schutz besteht, ebenso wie die Bedrohung, nur im Bezug zur Wahrheitsfindung und wird vermittelt durch die prozessuale Verwertung bzw. deren Unterlassen.482 Dieser Bezug wird dokumentiert dadurch, dass dem Angehörigen in der Hauptverhandlung als Ort der Wahrheitsfindung nicht nur eine ggf. erneute Zwangslage erspart wird, sondern ihm die „Abschirmung“ seiner Aussage auch dann noch zugestanden wird (§ 252 StPO), wenn er sie bereits getätigt und damit die „Feuerprobe“ der Zwangslage eigentlich bereits durchgestanden hat. Dass hiervon eine Ausnahme dergestalt bestehen soll, dass eine vor der Hauptverhandlung getätigte Aussage vor dem Richter durch dessen Vernehmung verwertbar sei, wird mit guten Gründen bestritten.483 Selbst wenn diese Ausnahme aber zulässt, ist sie durch die Annahme zu erklären, dass die einmal prozessordnungsgemäß (scil., wie für die Hauptverhandlung vorgesehen, durch richterliche Vernehmung) zustande gekommene Aussage in der Welt bleibe, und bestätigt damit die Regel, dass es maßgeblich auf die (korrekte) Wahrheitsfindung ankommt. Auch die durch § 52 III 2 StPO eingeräumte Möglichkeit, während der laufenden Vernehmung die weitere Aussage zu verweigern, belegt die Bedeutung der Herrschaft des Zeugen über seinen Beitrag zur prozessualen Wahrheitsfindung trotz bereits (teilweise) überwundener Zwangslage.484 Soweit damit – vorbehaltlich des prozessunabhängigen § 55 StPO, dazu sogleich – das Vertrauensverhältnis zwischen Angehörigen im ersuchten Staat nicht so umfassend geschützt wird wie in dessen innerstaatlichen Verfahren, ist das eine dogmatische Konsequenz, die wegen des engen und in diesem Fall nicht eröffneten Bezugs zum (eigenen) innerprozessualen Raum hinnehmbar ist. Gleichwohl besteht die Möglichkeit, ihm den Rang des ordre public zuzuschreiben485 und dadurch eine umfassende Wahrung zu erreichen, oder in der (zwischenstaatlichen) Organisation des transnationalen Verfahrens ein höheres Schutzniveau zu vereinbaren, wie es mit der Kumulation der Zeugnisverweigerungsrechte im EU-RhÜbk erfolgt ist.486 EntVerfolgung zuziehen würden, und § 55 als prozessunabhängige Schranke anzusehen ist (dazu im Text). 480 BGHSt 11, 213, 216; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 43. 481 Meyer-Goßner/Schmitt, § 52 Rn. 1 m.w.N. 482 Das Zeugnisverweigerungsrecht besteht auch nur im Strafverfahren gegen den Angehörigen (o. Fn. 478); über diesen konkreten innerprozessualen Raum hinaus ist es nicht Aufgabe von § 52 StPO, die Grenzen der Aussagefreiheit von Angehörigen zu ziehen. 483 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 46 Rn. 29 m.w.N. 484 Dass das bis dahin Ausgesagte verwertbar ist (Meyer-Goßner/Schmitt, § 52, Rn. 22), steht dem nicht entgegen, sondern ist ebenso eine Ausnahme aufgrund bereits erfolgter prozessordnungsgemäßer Erlangung wie die (umstrittene) Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson im Rahmen des § 252 (dazu im Text). 485 Wofür Art. 6 GG einen Anknüpfungspunkt bietet, Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 20. 486 Bei Videovernehmung, Art. 10 V lit. e.
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scheidend für die vorliegende Untersuchung sind nicht die Ergebnisse im Einzelnen, sondern die Möglichkeit, ein dogmatisch stimmiges und sachlich begründbares Ergebnis zu erreichen. Wenn dagegen ein Zeugnisverweigerungsrecht wie in §§ 53, 53a StPO einzig an eine berufliche Stellung anknüpft, ohne Rücksicht auf die Beziehung zu einem bestimmten Beschuldigten,487 so hat es im Sinne des hier angewandten Tests (S. 133) Drittwirkung – weil es potentiell zugunsten eines jeden durch das Berufsgeheimnis Begünstigten wirkt – und offenbart damit seinen prozessunabhängigen Charakter. Konsequenterweise muss der dadurch bewirkte (und intendierte) umfassende Schutz bestimmter Vertrauensverhältnisse auch Geltung beanspruchen, wenn die Vernehmung im Namen eines anderen Staates durchgeführt wird.488 Das spricht zumindest prima facie auch gegen eine innerprozessuale Natur und damit gegen die Erstreckung solcher Schranken des verfahrensführenden Staates auf Beweiserhebungen im Ausland:489 Es ist nicht Aufgabe der Prozessordnung, beruflich begründete Geheimnisse jenseits der Staatengrenzen zu schützen. Deutlicher noch liegen die Dinge bei einer Verschwiegenheitspflicht für öffentliche Bedienstete, wie sie § 54 StPO behandelt: Indem dieser eine allgemeine Pflicht nur auf das Strafverfahren überträgt,490 erweist er sich als prozessunabhängige Schranke und ist stets, aber auch nur, zur Anwendung im handelnden Staat auf dessen eigenes Vorgehen berufen. Das ist auch konsequent, weil die Vorschrift im öffentlichen Interesse, nicht dem des Beschuldigten, besteht, dementsprechend ihre Verletzung nicht mit der Revision angegriffen werden kann491 und deshalb kein Bedürfnis für ihre Erstreckung auf die Beweiserhebung in einem anderen Staat durch dessen Organe besteht (der wiederum seine eigenen Vorschriften zur Offenbarung oder Geheimhaltung von dienstlichem Wissen – zu recht – anwenden wird). Auch ein Auskunftsverweigerungsrecht wie § 55 StPO schließlich, das den Zeugen davor schützen soll, sich selbst (oder einen Angehörigen) anderweitig zu belasten, besteht allgemein und ohne Rücksicht auf Bezüge zum (Ausgangs-)Verfahren oder zum Beschuldigten und bildet (im Verhältnis zu diesem Verfahren, worauf allein es ankommt) eine prozessunabhängige Schranke.
487 Siehe Meyer-Goßner/Schmitt, § 53, Rn. 8 f.: Es kommt weder darauf an, von wem der Berufsausübende bestimmte Tatsachen erfahren hat, noch ob sie der Geheimnissphäre des Beschuldigten oder eines anderen angehören. 488 Dabei handelt es sich um keine sachlich zwingende Lösung: der Gesetzgeber hätte sich auch mit einem Auskunftsverweigerungsrecht im Zusammenhang mit dem Vertrauensverhältnis zum Beschuldigten begnügen können. 489 Zur ggf. auch innerprozessualen Seite aber noch S. 173 ff. 490 Dazu Meyer-Goßner/Schmitt, § 54 Rn. 1. 491 Meyer-Goßner/Schmitt, § 54. Rn. 32.
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(5) Zwischenfazit Anhand der Frage, ob eine bestimmte prozessuale Gefahr auch mit Wirkung für Dritte eingehegt ist und nicht spezifisch zugunsten des Beschuldigten, lässt sich ihr prozessunabhängiger Charakter zuverlässig bestimmen. Daraus lässt sich etwa ableiten, dass einfache, nicht zwangsbewehrte Ermittlungsmaßnahmen keine prozessunabhängigen Gefahren mit sich bringen, besonders invasive Maßnahmen aber schon. Insbesondere Zwang, auch schon dessen (implizite) Androhung, greift unabhängig vom Verfahren in den „materiellen Rechtsraum“ des Betroffenen ein. Dementsprechend sind die Vorschriften, die solche Maßnahmen eingrenzen, zu den prozessunabhängigen Schranken zu rechnen, die auch dann zur Anwendung berufen sind, wenn der Staat im Rechtshilfeweg für einen anderen tätig wird. Aussageverweigerungsrechte haben dort prozessunabhängigen Charakter, wo sie nicht auf das Verfahren gegen eine spezifische Person – etwa einen Angehörigen – bezogen sind, sondern umfassend bestehen. dd) Umfang: alle allgemeinen Eingriffsvoraussetzungen (1) Akzessorietät zu prozessunabhängigen Gefahren Entscheidend für die Tragweite des hier vorgeschlagenen Ansatzes ist der inhaltliche Umfang der prozessunabhängigen Schranken, deren unverbrüchliche Geltung als notwendig anzusehen ist. Man könnte ausgehen von den Vorschriften über den „Vollzug als solchen“, etwa über die Tages- oder Nachtzeiten, zu denen eine Durchsuchung erfolgen darf, oder über die dazu befugten Vollzugsorgane. Aus der dogmatischen Konstruktion der prozessunabhängigen Schranken folgt aber mehr als das: Sie wurden akzessorisch zu den Gefahren definiert, die von den Strafverfolgungsmaßnahmen als solchen ausgehen, ohne dass es auf die weitere prozessuale Verarbeitung ankommt. Die hierfür geltenden Schranken erschöpfen sich nicht in der äußeren Form des hoheitlichen Handelns, sondern umfassen im Prinzip alle Tatbestandsmerkmale der „gefahrträchtigen“ Eingriffsnorm, einschließlich eines hinreichend gewichtigen Grundes in Gestalt des Tatverdachts, der sich zwar nicht gegen die betroffene Person selbst richten, aber doch überhaupt bestehen muss, um nach den Wertvorstellungen des handelnden Staates die Schaffung einer (prozessunabhängigen) Gefahr zu rechtfertigen. So wird der Beschuldigte nicht nur dadurch vor unrechtmäßigem Freiheitsentzug geschützt, dass ein Haftbefehl von einem Richter erlassen werden muss, sondern auch und gerade dadurch, dass dieser Haftbefehl (am Beispiel des deutschen Rechts) den dringenden Verdacht einer strafbaren Handlung und darüber hinaus einen Haftgrund voraussetzt;492 jedermann genießt in seiner Wohnung (Art. 13 GG) Schutz vor hoheitlichem Eindringen nicht in erster Linie durch das (grundsätzliche) Verbot der Durchsuchung zur Nachtzeit (§ 104 I StPO), sondern dadurch, dass eine Durchsuchung (wie jede prozessuale Maßnahme) den
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§§ 112, 112a StPO.
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Verdacht einer Straftat493 sowie die Aussicht erfordert, in der Wohnung eine gesuchte Person oder Beweismittel zu finden (§§ 102, 103 StPO). In der Anwendung aller allgemeinen Voraussetzungen liegt auch kein Widerspruch zu der oben angenommenen weitgehenden Zulässigkeit einfacher, nicht zwangsbewehrter Maßnahmen (S. 134 ff.). Denn von jenen geht bereits keine prozessunabhängige Gefahr aus, so dass Schranken des ersuchten Staates gar nicht erst zur Anwendung kommen (müssen): Die Relevanz dieser Maßnahmen, derentwegen sie rechtlich eingehegt sind, liegt (aus der Perspektive des Strafverfahrens) ganz im innerprozessualen Bereich, der dem ersuchenden Staat und dessen Rechtsordnung zugewiesen ist (näher S. 169 ff.). Ist aber die prozessunabhängige Gefahrenschwelle erst einmal überschritten, sind die Schranken des ersuchten Staates also dem Grunde nach anwendbar, so müssen sie auch in vollem Umfang gelten, wenn nicht ein guter Grund für ihre Einschränkung benannt werden kann.494 Anders könnten die Dinge liegen, wenn man die Vorgänge der Rechtshilfe insgesamt aus dem Zusammenhang der Strafrechtspflege herauslösen und eine andere, ebenso tragfähige Grundlage für ihre Eingriffe namhaft machen könnte, so dass die einzelnen prozessualen Maßnahmen von ihren innerstaatlichen Voraussetzungen (teilweise) entkoppelt werden könnten. So wird unter Verweis auf den der Rechtshilfe eigenen Zweck der Hilfeleistung für einen anderen Staat weithin angenommen, dass das Tatverdachtserfordernis nur eingeschränkt Bedeutung habe, und zwar sowohl in Ansehung der Strafbarkeit des betreffenden Verhaltens im ersuchten Staat495 als auch bezüglich der Überprüfung der Verdachtsmomente496. Aber das Ziel der Unterstützung eines fremden Staates kann die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen und namentlich den (belastbaren) Verdacht einer strafbaren Handlung nicht einfach ersetzen, kann die „zwischenstaatliche Solidarität“ doch letztlich nur Stellvertreterin für Interessen der Strafrechtspflege sein (s. o. S. 28 ff., 59 f.), deren legitimen Umfang wiederum der ersuchte Staat für sich verbindlich in seinem Straf(prozess)recht abgesteckt hat (näher dazu und zu den verfahrensmäßigen Problemen der Verdachtsprüfung S. 145 ff.). Rechtshilfe ist zwar Unterstützung fremder Strafrechtspflege, aber sie ist materiell, in ihrer Finalität und ihren Mitteln, vor allem Strafrechtspflege (S. 30 ff., 123). Würde man den Legitimationszusammenhang mit der Strafrechtsordnung, deren Durchsetzung die Rechtshilfe – allein – dient, außer Acht lassen, so würde man diese im konkreten Detail, auf das es letztlich ankommt (s. 493 Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 324 ff., 328: materielles Strafrecht als „Determinante des gesamten Strafverfahrens“. Näher S. 144 ff.; s. etwa zuletzt BVerfG 2 BvR 974/12 v. 13. 3. 2014, Rn. 16: „Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung zum Zwecke der Strafverfolgung ist daher der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde.“ 494 Dazu, dass dieser Grund nicht die transnationale Dimension als solche oder die „zwischenstaatliche Solidarität“ sein kann, s. o. S. 30 ff., 72 ff. 495 Zur Aufweichung des Prinzips beiderseitiger Strafbarkeit s. bereits S. 60 f.; zur hier vertretenen Ansicht näher S. 154 ff. 496 Dazu noch S. 145 ff.
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nur S. 98 ff.), als eine Materie sui generis verfestigen, für die andere Regeln als fürs Strafverfahren zu gelten hätten (dagegen S. 30 ff.), und so die Freiheitsgarantien des Prozessrechts entgegen der Einsicht in ihre prozessunabhängige Bedeutung unterlaufen. Abweichungen von diesen Regelungen lassen sich nicht schon über eine eigenständige Zwecksetzung der „zwischenstaatlichen Solidarität“ ab ovo begründen, sondern erst bei der konkreten Entfaltung des Regelwerks in Relation zu einzelnen sachlichen Besonderheiten (i.E. noch S. 145 ff.). (2) Untrennbarkeit von Eingriff(svoraussetzung)en Ihrem Grunde nach fordern also die prozessunabhängigen Schranken Geltung auch in transnationalen Fällen, und zwar umfassend, d. h. im Bezug nicht nur auf die Durchführung der prozessualen Maßnahmen „als solche“, sondern auch auf ihre rechtlichen Voraussetzungen. Dieser Wechsel der Perspektive ist entscheidend, um den sachlogischen Strukturen gerecht zu werden, denn aus der normativ maßgeblichen Sicht des Individuums, dem gegenüber jeder Eingriff rechtfertigungsbedürftig ist,497 sind die Gefahren für seine Rechte das Primäre, und diese sind einerseits im transnationalen Fall kein bisschen weniger dringend (S. 128 ff.), andererseits nicht sinnvoll teilbar. Deshalb können auch ihre rechtlichen Voraussetzungen, also ihre Schranken, nicht ohne Weiteres aufgespalten werden (was aber einer – im staatlichen Innenverhältnis, S. 109 ff., organisierten – Arbeitsteilung nicht entgegensteht, näher S. 145 ff.). Eine strikte Trennung zwischen „sachlichen Gründen“ für die Anordnung einer Maßnahme (im ersuchenden Staat) und „Vollzug (im ersuchten Staat) als solchem“498 würde nämlich den hoheitlichen Eingriff künstlich aufspalten und drohen, von den
497
Zum Primat der Individualrechte bereits S. 72 ff. Siehe im Vorstehenden sowie S. 210 f. zu dieser Unterteilung; speziell zu europäischen Rechtsakten S. 253 ff., 288 f. Die Unterscheidung zwischen Leistungs- und Vornahmeermächtigung (dazu S/L/G/H, Einl. Rn. 47), wonach letztere keine Besonderheit der Rechtshilfe sei und nur die Zielrichtung der Maßnahme, nicht aber die „sonstigen Voraussetzungen“ vom innerstaatlichen Strafverfahren abwichen, überwindet die besagte Trennung nicht, sondern bedeutet nur den – wichtigen – Nachvollzug der von Lagodny herausgearbeiteten Grundrechtsgeltung (S. 57 ff.) durch die Betonung eines Gesetzesvorbehalts (auch) für die rechtshilfespezifische Leistungsermächtigung. Sie betrifft demnach das „Ob“ der Rechtssubjektivität des Einzelnen in der Rechtshilfe, nicht die hier behandelte inhaltliche Bestimmung des „richtigen Rechtshilferechts“. In dieser Beziehung läuft die Gleichbehandlung einer isoliert betrachteten Vornahmeermächtigung darauf hinaus, (nur) den „Vollzug als solchen“ dem Recht des ersuchten Staates zu unterstellen (aber ggf. auch einschließlich verzichtbarer innerprozessualer Schranken, dazu S. 170 f., 188 ff.); indem eine Verknüpfung mit der rechtshilfespezifischen Leistungsermächtigung vorgenommen wird (a.a.O. Rn. 48), wird freilich doch eine gewisse Rückbindung an die Schranken geschaffen, die der ersuchte Staat sich auferlegt hat, wenn auch nicht die strikten Schranken des Prozessrechts. Nach hier vertretener Ansicht sind die bei S/L/G/H hervorgehobenen „sonstigen Voraussetzungen“ des ersuchten Staates alle prozessunabhängigen Schranken. 498
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Schranken des ersuchten Staates nur ein Torso,499 eine äußere Choreographie übrig zu lassen, in der sie sich gerade nicht erschöpfen. Wie gezeigt wurde, zählen zu den rechtsstaatlichen Schranken prozessunabhängiger Gefahren auch und gerade die Anordnungsvoraussetzungen der „gefahrträchtigen“ Maßnahmen. Eine Aufspaltung in Anordnung und Vollzug entspricht zwar der Chronologie der Maßnahmen (und ist aus der Perspektive der Staaten der Weg des geringsten Widerstandes); der Stellung des Verfolgten als Prozesssubjekt wird sie aber nicht gerecht, weil sie nicht geeignet ist, ihn vor den Gefahren des Verfahrens so zu schützen, wie es aus prozessstrukturellen Gründen (und, wenn man so will: aus Gründen der grundrechtskonformen Gleichbehandlung, S. 80 ff., 98 ff.) angezeigt ist. Der hier verfolgte Ansatz geht demgegenüber bewusst liberal von der prozessualen Rechtsstellung des Individuums aus und leitet daraus ab, welche Regelungen maßgeblich sein sollten; die Arbeitsteilung zwischen den Staaten kann richtigerweise erst im Anschluss an eine sachlich fundierte Auswahl des anzuwendenden Rechtsrahmens innerhalb desselben organisiert werden. Für die prozessunabhängigen Schranken fällt die Wahl aus den genannten Gründen auf die Rechtsordnung des ersuchten bzw. vollziehenden Staates, und zwar umfassend, unter Einschluss aller ihrer allgemeinen Eingriffsvoraussetzungen.500 ee) Die Ausdehnung der prozessunabhängigen Schranken im Einzelnen (1) Das Erfordernis des Verdachts einer strafbaren Tat Eine grundlegende Voraussetzung der Strafverfolgung ist das Vorliegen eines Verdachts, und zwar eines solchen, der sich auf eine strafbare Tat bezieht. Dieser Tatverdacht ist, zumindest implizit, Tatbestandsmerkmal sämtlicher prozessualer Eingriffe. Soweit diese den Schranken des ersuchten Staates unterliegen, soweit es also um prozessunabhängige Gefahren geht (s. o. S. 133 ff.), muss dieses Merkmal daher nach dem bisher Gesagten auch aus Sicht von dessen Rechtsordnung vorliegen. Damit sind zwei Probleme angesprochen, die in der rechtshilferechtlichen Diskussion seit jeher kontrovers diskutiert worden sind, nämlich die Verdachtsprüfung durch den ersuchten Staat und das sog. Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit. Beide sind im Folgenden unter der Prämisse zu untersuchen, dass sie nur im Verhältnis zu prozessunabhängigen Gefahren überhaupt akut werden.
499 Krit. zu einer solchen Aufspaltung und der dadurch bewirkten mittelbaren Erweiterung von Eingriffsbefugnissen auch Kaiafa-Gbandi, in: Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, 65, 75. 500 D. h. derer, die (auch) drittschützend sind (S. 133 ff.), im Unterschied zu den speziellen, innerprozessual begründeten Schranken, insbesondere in Gestalt der Zeugnisverweigerungsrechte, s. o. S. 138 ff.; zur gleichwohl möglichen und sinnvollen Arbeitsteilung zwischen den Staaten S. 144 ff.
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(a) Der Tatverdacht und seine Prüfung Die Frage, ob und in welchem Ausmaß der ersuchte Staat den Tatverdacht überprüft, ist hauptsächlich im Zusammenhang mit der Auslieferung diskutiert worden (wie im Übrigen die meisten Probleme der Rechtshilfe, s. bereits o. bei Fn. 25), stellt sich aber nach dem bisher Gesagten für alle Maßnahmen, von denen prozessunabhängige Gefahren ausgehen. (aa) Der Verdacht im Spannungsfeld zwischen innerprozessualem Raum und prozessunabhängigen Gefahren Denn neben der Bedeutung im Verfahren, in dessen Verlauf er fortlaufend untersucht und schließlich bestätigt oder widerlegt wird, kommt dem Verdacht eine entscheidende Rolle als Tatbestandsvoraussetzung von Eingriffen zu (s. o. S. 141 ff.). Am deutlichsten wird dies am Beispiel der Untersuchungshaft: Nur wenn der – zumeist qualifizierte – Verdacht besteht, eine Person habe eine strafbare Handlung begangen, darf sie für die Zwecke des Strafverfahrens ihrer Freiheit beraubt werden.501 Die hohen Hürden für ihren Entzug tragen dem Stellenwert der persönlichen Freiheit Rechnung, die durch die Maßnahme als solche – ganz unabhängig vom Fortgang des Verfahrens – gefährdet wird. Es handelt sich insofern um eine prozessunabhängige Gefahr, deren Schranken deshalb diese Eigenschaft teilen (s. o. S. 137 f., 141 f.), mit anderen Worten: Die Vorschriften, welche die Gefahr des Freiheitsentzugs rechtlich einhegen, realisieren dieses Ziel ohne Bezug zum innerprozessualen Raum, weshalb sie unabhängig davon sind, wo – in welchem Staat – der Prozess geführt wird. Die Schranken des Freiheitsentzugs müssen deshalb im Prinzip dem Beschuldigten auch dann zugute kommen, wenn das Verfahren vom Ausland aus geführt wird502 – und zwar grundsätzlich einschließlich des Erfordernisses eines Tatverdachts als hinreichend gewichtigen Grundes (S. 141 ff.). Die Prüfung des Verdachts kann und muss, wie zu zeigen sein wird, in diesem Fall nicht schlicht wie in einem innerstaatlichen Verfahren von statten gehen, schon weil der Richter im ersuchten Staat kaum Kenntnis vom Verfahren und Zugriff auf die bereits gesammelten Indizien oder Beweise haben wird. Deshalb ist der Gedanke weitgehend anerkannt, dass die Verdachtsprüfung maßgeblich den Justizbehörden des ersuchenden Staates obliege; nach ganz herrschender Ansicht, zumindest im kontinentalen Europa, soll sich der ersuchte Staat auf die bloß formelle Prüfung 501 Die deutsche StPO setzt einen dringenden Tatverdacht voraus, § 112, dazu MeyerGoßner/Schmitt, § 112 Rn. 5 – 7; rechtsvergleichend Jescheck/Krümpelmann, in: dies. (Hrsg.): Untersuchungshaft, S. 929, 940 ff. 502 Siehe auch BVerfG, 2 BvR 1608/07 vom 16. 9. 2010, wo unter Geltung von Art. 104 II und III eine informierte Entscheidung eines Richters in gleich strengen Fristen eingefordert wird wie im Falle innerstaatlicher U-Haft; Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 22 ff. vor §§ 21, 22 (Rn. 30: Prüfung aller „positiven und negativen Auslieferungsvoraussetzungen“ einschließlich Verhältnismäßigkeit, nicht anders als bei innerstaatlicher U-Haft; widrigenfalls „von der Exekutive gesteuert[e] Haftautomatik, […] gegen die der Verfolgte sich erst wehren kann, wenn es dem OLG gefällt, sich der Sache anzunehmen“).
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anhand der übermittelten Unterlagen beschränken und ansonsten grundsätzlich auf die Behauptungen des ersuchenden Staates vertrauen.503 Dieser letzte Schluss allerdings sollte nicht zu pauschal gezogen werden, denn ein solches striktes formelles Prüfprinzip unter Vertrauen auf die Einschätzung des ersuchenden Staates würde im Kleinen (genauer: im Detail, worauf es letztlich ankommt [s. nur S. 98 ff.]) eine Behandlung der Rechtshilfe als Materie sui generis bedeuten, für die andere Regeln als fürs Strafverfahren zu gelten hätten, und so die Freiheitsgarantien des Prozessrechts entgegen der Einsicht in ihre prozessunabhängige Bedeutung unterlaufen. Vorzugswürdig ist eine schon im Ansatz (straf-)prozessuale Betrachtung, die offen ist für die Besonderheiten der transnationalen Konstellation und deren prozedurale Bewältigung (s. bereits S. 30 ff.; 72 ff.). Dass der ersuchte Staat die sachliche Prüfung bzw. Beweisaufnahme nicht selbst vornehmen kann oder muss bedeutet nämlich noch nicht, dass er berechtigt wäre, den Verfolgten festzuhalten, ohne dass eine solche Prüfung überhaupt stattfinde oder dass die Schwelle niedriger anzusetzen wäre. Die Unschuldsvermutung verliert nicht an Bedeutung und eine Garantie wie Art. 104 III GG nicht an Berechtigung, nur weil der Verdacht von einem fremden Staat geäußert wird,504 und die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Richters im ersuchten Staat liefern kein zureichendes Argument für deren Einschränkung (s. noch S. 150 ff.). Mit anderen Worten: Das – gerichtlich überprüfbare, näher S. 168 ff. – Vorliegen eines Tatverdachts als unabdingbares Merkmal einer Freiheitsentziehung verliert nicht dadurch an Dringlichkeit, dass der Verdacht von einem anderen Staat geäußert wird. Der eingreifende Staat kann das Verdachtserfordernis dem Bürger gegenüber nicht ohne einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter gegen das „Vertrauen“ auf die Behauptung des anderen Staates eintauschen, weil die Staaten nicht erst in der sekundären Haftungsfrage, sondern bereits in der primären Gewährung prozessualer Rechte in der Gesamtverantwortung stehen.505 503 Für Deutschland s. § 10 IRG; dazu und zu der unter „besonderen Umständen“ möglichen Tatverdachtsprüfung Lagodny/Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 29 ff. 504 Für die volle Geltung des Art. 104 III auch BVerfG, Beschl. v. 16. 9. 2010 – 2 BvR 1608/ 07 (mit dem Hinweis auf die „Verteidigungs- und Einwendungsmöglichkeiten des Festgenommenen“, Rz. 31); Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 8 vor § 15 IRG, die allerdings vom Prüfungsumfang den Tatverdacht entsprechend § 10 IRG ausnehmen und damit die Tragweite der Vorschrift sogleich wieder reduzieren (a.a.O. Rn. 3). Hier geht es insofern um mehr, als nicht nur die Haftprüfung durch einen (informierten) Richter überhaupt, sondern auch und gerade die unverzügliche richterliche Überprüfung des Tatverdachts, ggf. im ersuchenden Staat, gemeint ist. Gerade das macht eine umfassende richterliche Verantwortung für den Freiheitsentzug aus (dazu im Text). Anders schon im Ansatz die h.M. – Art. 104 III GG meine nur die deutsche Strafrechtspflege, Nachw. Fn. 224 –, was aber nicht einleuchtet: Weshalb, wenn nicht „wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung“ und zu dessen Klärung im Strafverfahren, wird der Auszuliefernde festgenommen? (s. o. S. 30 f., 77). Weder dieser Wortlaut noch der Zweck der Vorschrift – Schutz der persönlichen Freiheit – tragen eine Begrenzung auf nationale Strafverfahren; in diesem Sinne wohl auch BVerfG a.a.O. 505 Näher S. 106 ff.; für eine „Zurechnung kraft Vertrauens“ (erst) auf Entschädigungsebene aber S/L/G/H, Einl. Rn. 134; vorliegend wird die Zurechnung von Anfang an als not-
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Diese Überlegungen lassen sich mutatis mutandis verallgemeinern und auf andere prozessuale Maßnahmen übertragen: Wo immer prozessunabhängige Gefahren im Raum stehen, zählt der Tatverdacht zu ihren Schranken, die dem Grunde nach auch dann Platz greifen müssen, wenn die Verfolgung von einem fremden Staat ausgeht.506 Ein – je nach Maßnahme unterschiedlicher, zumindest aber „einfacher“ – Verdacht ist also nach der hier vertretenen Ansicht allgemeines Tatbestandsmerkmal aller prozessualer Eingriffstatbestände und kommt im ersuchten Staat immer zum Tragen, wenn dessen prozessunabhängige Schranken greifen. Dann muss konsequenterweise nach den Maßstäben dieses Staates ein entsprechender Verdacht bestehen, was nur seine Organe sinnvoll feststellen können.507 (bb) Tatsachenprüfung im verfahrensführenden Staat Wie bereits angedeutet, ist die Verdachtsprüfung auf ihrer tatsächlichen Seite unauflöslich mit dem innerprozessualen Raum verbunden und deshalb kraft Natur der Sache dort am besten aufgehoben, wo das Verfahren geführt und der Stoff gesammelt wurde und wird, auf welchem der Verdacht überhaupt beruht; es kann nicht Ziel des arbeitsteiligen Verfahrens sein, dass der ersuchte Staat ein eigenständiges Parallelverfahren führt. Die inhaltliche Prüfung, gewissermaßen das „Erkenntnisverfahren“ der Tatverdachtsprüfung, kann und sollte also grundsätzlich vom ersuchenden Staat vorgenommen werden; dass sie aber erfolgt, ist freilich – prozessunabhängig – Voraussetzung für den Eingriff in den „materiellen Rechtsraum“ des Beschuldigten und für diesen ebenso bedeutsam, wenn im Rahmen eines transnationalen Verfahrens der Verdacht von einem anderen Staat geäußert wird. Dabei geht es nicht darum, das der ersuchte Staat eine Art „Aufsicht“ über das Verfahren des ersuchenden ausübt, sondern darum, dass er selbst in seinem eigenen hoheitlichen Handeln den Bürger nicht schon wegen der transnationalen Dimension „leichtfertiger“ der Freiheit beraubt. Deshalb muss der ersuchte und vollstreckende Staat das Bestehen eines Verdachts und ggf. das Ergebnis einer Verdachtsprüfung belastbar „präsentieren“ können, das ihm vom ersuchenden Staat zu übermitteln ist, wobei seine eigene
wendiger Bestandteil der „gesamtschuldnerischen“ Einstandspflicht der Staaten für ein ordnungsgemäßes Verfahren angesehen. 506 s. o. S. 141 ff.; für die Wohnraumdurchsuchung: Esser, FS Roxin, 2011, 1497, 1501 f.; s. auch Swoboda, HRRS 2014, 10. Bestimmte Aspekte, die die Untersuchungshaft im Besonderen kennzeichnen, wie die wegen der fortdauernden Freiheitsentziehung hohe Bedeutung des Rechtsschutzes (S. 145 ff., 182 ff.), spielen naturgemäß bei im Voraus nicht angekündigten und im Nachhinein erledigten Maßnahme wie einer Durchsuchung eine untergeordnete Rolle (s. aber § 98 II 2 StPO und seine Ausweitung qua analogiam in der Rechtsprechung [Roxin/ Schünemann, § 29 Rn. 14 f.]). 507 Wie sonst sollte diese „dafür Sorge tragen, dass die sich aus der Verfassung und dem einfachen Recht ergebenden Voraussetzungen der Durchsuchung genau beachtet werden“ (BVerfGE 9, 89 [97]; 57, 346 [355 f.]; 103, 142, [151])?
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tatsächliche Prüfungskompetenz – in den Grenzen des ordre public508 – zurückgefahren werden kann. Es bedarf also im Bezug auf die Verdachtsgründe einer ebenso sorgfältigen Prüfung wie im innerstaatlichen Verfahren des ersuchten Staates. Dessen Prüfungsund Entscheidungsbefugnisse können und sollten freilich zurückgefahren werden, soweit seine Erkenntnismöglichkeiten schlechter sind als im verfahrensführenden Staat. Dementsprechend ist es sachgerecht, dass für den Regelfall letzterer die Prüfungskompetenz hat, aber nur wenn und soweit eine gründliche Prüfung sichergestellt ist. Es kann keinen Transfer der Entscheidungshoheit über (Grundrechts-)Eingriffe geben, ohne dass die staatliche Verantwortung (hier: Gesamtverantwortung, S. 106 ff.) dafür gesichert ist.509 (cc) Rechtliche Würdigung und Kontrolle im ersuchten Staat Als prozessunabhängige Schranke zählt der Tatverdacht in möglichst belastbarer Feststellung also zu den Freiheitsgarantien, die grundsätzlich auch in einem transnationalen Fall zur Anwendung berufen sind (S. 141 f.). Ohne guten Grund, d. h. soweit dem keine faktischen oder rechtlichen Hindernisse entgegenstehen, müssen diese Erfordernisse gewahrt bleiben (S. 130 ff.). Deshalb wird besonderes Augenmerk darauf zu legen sein, wie weit die zur Einschränkung der Verdachtsprüfung angeführten sachlichen Gründe tragen.510 Wenngleich eine Wiederholung der Tatsachenprüfung ebenso defizitär wie unangemessen wäre (S. 147 f.), ist der Richter (zu ihm S. 168 f.) im ersuchten Staat nicht gehindert, anhand der übermittelten Unterlagen, deren Standardisierung durch gemeinsame Formulare erleichtert werden kann (dazu in der EU S. 261), eine rechtliche Prüfung vorzunehmen. Keine „Nachlässigkeit“ kann deshalb angesichts der Funktion des eigenen Verdachtsmerkmals des ersuchten Staates (als prozessunabhängige Schranke) bei der Subsumtion und dementsprechend bei den substantiellen Anforderungen an die Tatbeschreibung im Ersuchen zulässig sein – das hat auch das BVerfG511 nachdrücklich betont, woran sich im Übrigen zeigt, dass auch von der verfassungsrechtlichen Warte das formelle Prüfprinzip so formell nicht ist, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass es genüge, die äußerliche Vollständigkeit der Auslieferungsunter508 Der wie auch sonst als äußerste Schranke für den Fall auflebt, dass das Ausgangsverfahren hinter den an seinen arbeitsteiligen Beitrag (die überzeugende „Präsentation“ eines Tatverdachts) zu stellenden Anforderungen zurückbleibt; zum Inhalt bei der Verdachtsprüfung Lagodny/Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 10 IRG Rn. 36 ff. 509 Siehe auch S/L/G/H, Einl. Rn. 134 („Zurechnung kraft Vertrauens“). Die dort beispielhaft genannte Entschädigungspflicht kann nur die zweitbeste Wahl sein, aus der Verantwortung muss primär auch sorgfältige Prüfung und effektiver Rechtsschutz gegen eine Freiheitsentziehung, nicht erst Kompensation für eine unrechtmäßige, folgen. 510 Ähnlich der Ansatz in: Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, Art. 11 (S. 23). 511 Beschl. v. 9. 10. 2009 – 2 BvR 2115/09, Rn. 29 ff.
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lagen zu prüfen. Für eine solche allein rechtliche Prüfung kann die revisionsrechtliche Sachrüge Patin stehen, bei der das Revisionsgericht anhand der aus den Akten ersichtlichen Substanz der Urteilsgrundlage in eigener Verantwortung entscheidet, ob diese hinreicht, um den Tatbestand der in Rede stehenden Rechtsnorm zu erfüllen. Übertragen auf die Rechtshilfe und speziell die Verdachtsprüfung bedeutet das, dass die ersuchte Stelle grundsätzlich keine eigene Tatsachenwürdigung leisten muss (und kann), aber doch auf Grundlage der übermittelten Feststellungen sicherstellen muss, dass sämtliche Voraussetzungen eines Haftbefehls, einer Durchsuchungsanordnung, etc. aus Sicht der Rechtsordnung des ersuchten Staates vorliegen.512 Damit ist bei der grundsätzlich gebotenen Beschränkung auf die (innerstaatlich übliche) rechtliche Würdigung513 nach der eigenen Rechtsordnung weder eine übermäßig intensive oder aufwändige Prüfung noch ein Urteil über das fremde Recht oder dessen Anwendung durch die ersuchende Stelle verbunden.514 De lege (germanica) lata steht diese Sichtweise vor der Schwierigkeit, dass nach deutschem Recht § 10 II IRG eine Tatverdachtsprüfung im Auslieferungsverfahren nur in Ausnahmefällen vorsieht515 und deswegen als lex specialis auch für die Auslieferungshaft (§ 15 II i.V.m. § 10 II IRG) den Umfang der Verdachtsprüfung abschließend bestimmt. Diese Einschränkung der rechtlichen Garantien für den „schärfsten denkbaren Eingriff in Freiheitsrechte“516 ist vor dem Hintergrund der 512 Klassisch v. Bar, Lehrbuch, S. 316 f.; Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 571; speziell zur Durchsuchung Esser, FS Roxin, 2011, 1497, 1501 ff.; wenigstens für die Subsumtion unter einen Tatbestand Vogler, Auslieferungsrecht, S. 254. BGHSt 27, 168, 173 f. weist darauf hin, dass an die Darstellung im ausländischen Ersuchen nicht die selben Anforderungen zu stellen seien wie innerstaatlich im Rahmen der Revision, weil und soweit die ausländische Strafnorm möglicherweise weniger strenge Voraussetzungen enthalte als die inländische. Daran ist richtig, dass nicht erwartet werden kann, dass der ersuchende Staat die Anforderungen des deutschen Rechts korrekt antizipiere; die adäquate Lösung besteht aber in der – auch in § 30 I 1 IRG vorgesehenen – „Nacherfüllung“ durch den ersuchenden Staat, nicht im Verzicht auf individualrechtliche Garantien. Ein Beispiel für eine Prüfung im ersuchten Staat im Verbund mit der Pflicht des ersuchenden Staates, die zugrundeliegenden Tatsachen zur Überzeugung des ersuchten Gerichts darzulegen, bildet der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nach § 15 I Nr. 1 IRG, dazu S. 168 sowie Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn 23 f. Zur arbeitsteiligen Prüfung mithilfe des „Konsultationsverfahrens“ nach Art. 6 III RiLi-Ermittlungsanordnung S. 277 f.; Böse, ZIS 2014, 152, 159 f. 513 Zur ausnahmsweise möglichen Überprüfung der Tatsachen(darstellung) im Rahmen der sog. revisionsrechtlichen Darstellungsrüge Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 55 Rn. 25 ff. m.w.N.; eine solche Kontrolle der Plausibilität und Widerspruchsfreiheit erscheint auch im hiesigen Zusammenhang angezeigt, wenn ein Eingriff in die materielle Rechtssphäre des Bürgers auf dem Spiel steht. Ob sie von Amts wegen erfolgen muss, ist eine andere Frage – zum Rechtsschutz s. noch S. 182 f. 514 Zu diesen Aspekten Asp/v. Hirsch/Frände, ZIS 2006, 512, 519 f.; dies., in: Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, 240, 244 ff. 515 Noch enger i. d. R. die spezielleren (§ 1 III IRG) Rechtshilfeverträge, s. Lagodny/ Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 10 IRG Rn. 51 ff. 516 So zu recht Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 15 Rn. 30, die den individualrechtlich defizitären Gehalt der Vorschrift ebenfalls kritisieren.
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historischen Vernachlässigung der Subjektstellung des Einzelnen zu erklären, aber dogmatisch und auch grundrechtlich kaum haltbar. Vor dem Hintergrund der Überlegungen zum verfassungsrechtlich verbrieften Gleichheitssatz (S. 80 ff.) und der Bedeutung der Verteidigungsrechte als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips erscheint auch eine verfassungskonforme Reduktion des § 10 II IRG denkbar.517 Im Ergebnis jedenfalls ist die Tragweite des Gedankens der Verantwortung (d. h. Prüfung) durch den ersuchten Staat und damit eine Abkehr vom strikt formellen Prüfprinzip weniger „vernichtend“ als es scheinen mag,518 wenn man berücksichtigt, dass es den Staaten freisteht, eine Arbeitsteilung zu organisieren, die ihnen eine nach außen hin wirksame Wahrung der Rechte des Bürgers ermöglicht, ohne dass sie einander im Innenverhältnis überwachen müssten (s. auch S. 111 ff.). Auch in den rechtlichen Maßstäben werden in aller Regel keine fundamentalen Unterschiede zwischen verschiedenen Staaten bestehen, so dass, wenn der ersuchende Staat einen Verdacht sachgerecht geprüft und bejaht hat, nicht zu erwarten ist, dass der ersuchte ihn verneinen würde; das ist auch folgerichtig und wünschenswert, denn es geht nicht darum, die strafrechtliche Rechtshilfe zu erschweren, sondern nur, aber immerhin, um die adäquate519 Wahrung der individualschützenden Standards desjenigen Staates, der dem Bürger gegenüber auftritt und den Anspruch erhebt, in seine Rechte einzugreifen. (dd) Belastbarkeit der Tatsachenprüfung Auch soweit es um die den Verdacht begründenden Tatsachen geht, bedeutet die grundsätzliche Zuweisung an den verfahrensführenden Staat nicht, dass dessen Entscheidung im ersuchten Staat „blind“ inkorporiert werden könne. Wenn nämlich anerkannt ist, dass der ersuchte Staat bei offensichtlicher Haltlosigkeit des Verdachts nicht ausliefern (und schon nicht inhaftieren) darf,520 dann kommt darin zum Ausdruck, dass den Verdachtsgründen eine maßgebliche (prozessunabhängige) Legitimationsfunktion schon für den Eingriff dieses Staates zukommt. Eben deshalb muss soweit möglich sichergestellt sein, dass der Verdacht der Prüfung gleichermaßen standhält wie in einem innerstaatlichen Verfahren (s. o. S. 141 f.) und dass ein Mechanismus seine stetige Prüfbarkeit und Hinterfragbarkeit 517 Ähnlich für die notwendige Verteidigung nach § 140 I Nr. 4 – trotz der auch hier bestehenden Spezialregelung in § 40 IRG –, besonders unter dem Aspekt des Rechtsstaatsprinzips, S/L/G/H, Einl. Rn. 201. 518 Siehe etwa Schünemann, in: 140 Jahre GA, 215, 229: „Zensorrolle der deutschen Justiz […], die das heutige System der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen sprengen würde.“ 519 D. h. auf den prozessunabhängigen Bereich bezogene, s. o. S. 127 ff. 520 Siehe Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 14 ff., 16 vor §§ 21, 22 IRG m.w.N. („Einen Zwang, eine Freiheitsentziehung, die offensichtlich rechtswidrig ist, zu bestätigen, kann es für einen unabhängigen Richter […] nicht geben.“), allerdings mit Einschränkung für den Tatverdacht, s. S/L/G/H, Einl. Rn. 144, wonach die „kumulative Verantwortung [des ersuchten Staates]“ erst eintrete, wenn „die Darstellung durch den ausländischen Staat zum Tatverdacht die Unschlüssigkeit auf der Stirn trägt“, dazu im Text.
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gewährleistet. Mit der Grenze der Offenkundigkeit kann es dabei nicht sein Bewenden haben, denn deren Grad ist nur eine epistemische Frage, welche die dahinter stehenden, normativ begründeten Grenzen der (international-arbeitsteiligen) Strafverfolgung (scil. der Rechtshilfe) unberührt lässt. Das epistemische Problem kann nicht einfach durch die zufällige Offensichtlichkeit (und die damit verbundene Risikoabwälzung auf den Betroffenen) gelöst werden, sondern nur auf prozeduralem Wege durch Rückbindung an das zuständige Gericht des ersuchenden Staates sowie – für die ausnahmsweise Überprüfung im ersuchten Staat – eine entsprechende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast.521 Ein solche gerichtliche Zusammenarbeit könnte an die Systematik des deutschen § 115a StPO angelehnt sein, der eine unverzügliche Anhörung durch den „nächsten Richter“ bei eingeschränkter eigener Prüfungsbefugnis522 vorsieht und darüber hinaus dessen Entscheidung im Benehmen mit dem zuständigen Richter.523 Die Norm erlaubt es, die Entscheidungsbefugnis des mit der Sache vertrauten Richters zu wahren, ohne die richterliche Entscheidung unnötig zu verzögern. Diese Möglichkeit kann rechtsstaatlich angezeigt sein, insbesondere wenn die Anhörung vor dem zuständigen Richter sich verzögert,524 also namentlich dann, wenn letztere gar nicht unverzüglich in Frage kommt. Innerstaatlich kann zwar den beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des „nächsten Richters“ – wie etwa im deutschen Recht – dadurch Rechnung getragen werden, dass der Beschuldigte unverzüglich dem mit der Sache befassten Richter vorgeführt wird (§ 115 I StPO). Doch wie schon diese sofortige körperliche Verbringung in Zeiten der Telekommunikation zweifelhaft wird, wenn damit eine langwierige „Verschubung“ quer durch die Republik verbunden ist,525 so kann scheidet in einem grenzüberschreitenden Fall die sofortige Auslieferung zur Vorführung vor dem ermittelnden Gericht als Instrument zur zuverlässigen Verdachtsprüfung (und damit letztlich zur Wahrung der Beschuldigtenrechte) 521
Dazu, v. a. beim Rechtsschutz, s. noch S. 182 f., 185 ff. Dazu Meyer-Goßner/Schmitt, Rn. 5 f.; immerhin hat er zu prüfen, dass überhaupt ein richterlicher Haftbefehl vorliegt (Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 30 Rn. 28), was ebenso gelten muss, wenn das Ersuchen aus dem Ausland kommt (i.E. ebenso Vogel, in: G/P/K, § 10 IRG Rn. 30; s. auch Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, vor § 15 IRG Rn. 8b: „strukturell gleichartig“). Zur Verfassungswidrigkeit von § 22 III 2 IRG, der dem „nächsten Richter“ (bis auf die Identitätsprüfung) jegliche Prüfung verweigert, Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 22 ff. vor §§ 21, 22 IRG m.w.N. 523 Im Lichte der technischen Möglichkeiten dazu (namentlich Telekommunikation) erklärt Meyer-Goßner/Schmitt, § 115a Rn. 6 die Auseinandersetzung über die eigenen Entscheidungsbefugnisse des „nächsten Richters“ für „weithin überholt“ (während Roxin/Schünemann, § 30 Rn. 28 sogar die Erweiterung der Prüfung durch den nächsten Richter für mit § 115a II 4 2. Hs. nicht mehr vereinbar halten). Mutatis mutandis verliert mit der Möglichkeit der zeitnahen Einschaltung des zuständigen (hier: ausländischen) Richters auch das Problem, dass der Richter im ersuchten Staat kaum in der Lage ist, den Tatverdacht einzuschätzen, an Gewicht. 524 Angedeutet bei BGHSt 42, 343, 347 f. unter Berufung auf Art. 9 IV IPbpR. 525 Zu diesen mitunter zweiwöchigen Sammeltransporten unter faktischer Vereitelung der Kommunikation und damit der Verteidigung krit. Kropp, ZRP 2005, 96 ff.; Schmitz, NStZ 1998, 165, 167 f. 522
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aus. Dazu ist sie zum Einen zu langwierig („unverzüglich“ wird die Vorführung hier auf absehbare Zeit nicht sein) und zum Anderen selbst ein zu gravierender, qualitativ über die innerstaatliche „Verschubung“ hinausgehender Eingriff (sowohl in der physischen Zwangswirkung als auch in Gestalt der Unterstellung unter eine fremde Gerichtshoheit, dazu S. 199 ff.). Es liegt in der Verantwortung des Staates – nicht des Individuums –, in dieser komplexen Situation seinen Standard an Individualrechten und Rechtsschutz unter Ausschöpfung auch der technischen Möglichkeiten zu gewährleisten.526 Im Zusammenhang der Rechtshilfe kann eine solche kooperative Überprüfung der Verdachtstatsachen im Übrigen bereits vor der Vorführung des Beschuldigten (und unabhängig von dessen Vorbringen), nämlich bei der Inkorporation der fremden Entscheidung angebracht sein. Schon dann nämlich befindet sich der verantwortliche Richter (s. noch S. 168 f.) im ersuchten Staat in der Situation, mit eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten entscheiden zu müssen, ob die Voraussetzungen eines Eingriffs vorliegen.527 Eine andere, wenigstens zur Ergänzung denkbare Lösung wäre die in die Justiz des ersuchten Staates „eingebettete“ Vernehmung durch den zuständigen Richter des ersuchenden Staates, eine Art „Tele-Vernehmung“, unter Einbindung der Verteidigung. Das mag zwar technisch keine triviale Aufgabe sein, eine machbare aber allemal und sowohl grundrechtsschonender als auch kostengünstiger als eine sofortige Verbringung ins Ausland. Als bestehende Vorschrift in der deutschen Rechtsordnung bildet § 115a StPO, ebenso wie Art. 104 III GG, den er konkretisiert,528 auch eine prozessunabhängige Gewährleistung in dem Sinne, dass er dem Schutz vor der Gefahr des Freiheitsentzugs dient; damit wäre er nach den hier entwickelten Kriterien auch im transnationalen Verfahren unmittelbar anzuwenden, soweit nicht dessen Besonderheiten Anderes fordern.529 Es ist nicht ersichtlich, warum der deutsche Richter mit den verfügbaren modernen Telekommunikationsmitteln und ggf. der Hilfe eines Dolmetschers nicht auch dem ausländischen „zuständigen Gericht“ i.S.d. § 115a Ein526
Siehe auch Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 8a vor § 15 IRG. Dieses Problem stellt sich innerstaatlich nicht, weil der Haftbefehl des zuständigen Gerichts unmittelbar im gesamten Bundesgebiet gilt, was auf eine ausländische Entscheidung nicht ohne Verletzung des Benachteiligungsverbots erstreckt werden könnte (S. 141 ff., 145 ff. und passim). De lege lata s. § 30 IRG, der – freilich erst dem OLG (dazu o. Fn. 523) – bei der Prüfung der Auslieferungsvoraussetzungen gestattet, „ergänzende Unterlagen“ anzufordern, und dies unter der Prämisse einer i. d. R. bloß formellen Prüfung. 528 SK-Paeffgen, § 115a Rn. 3, § 115 Rn. 5 ff. 529 Dass ein anderer Staat den Verdacht äußert, ist für den Schutz vor Freiheitsentziehung irrelevant (S. 30, 130 ff.), anders als etwa bei einzelnen Zeugnisverweigerungsrechten (S. 138 ff.), die aber wiederum von der h.M. ohne Weiteres auf transnationale Fälle erstreckt werden, womit zugleich konzediert wird, dass das Argument, die StPO regle nur das deutsche Strafverfahren, nicht durchgreift – und deshalb nicht taugt, eine Anwendung von § 115a von vornherein zu präkludieren. Die Frage ist nur, welche ihrer Normen auch in transnationalen Verfahren Bedeutung haben, was vorliegend anhand der Natur der Gefahren und ihrer Schranken bestimmt wird. 527
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wendungen des Beschuldigten oder eigene Bedenken soll mitteilen und so eine Prüfung herbeiführen können. Der grenzüberschreitende Bezug kann dabei Modifikationen bedingen, einerseits was den Umfang der Prüfung beim „nächsten Richter“ angeht, weil die Vorführung vor den zuständigen ungleich länger dauert und deshalb kaum „unverzüglich“ i.S.d. § 115 StPO sein kann; andererseits mögen technische oder logistische Schwierigkeiten die „Unverzüglichkeit“ i.S.d. § 115a II 4 2. Hs. ausdehnen. Nicht aber stehen grenzüberschreitende Besonderheiten der Anwendung einer solchen Vorschrift insgesamt entgegen, zumal jede – auch verzögerte – Prüfung auf diesem Wege milder als eine transnationale „Verschubung“ in Gestalt der Auslieferung und deshalb vorzugswürdig ist.530 Im europäischen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ kommt hinzu, dass die direkte Kommunikation zwischen den Justizbehörden ausdrückliches Ziel der Fortentwicklung der Rechtshilfe ist531 – und dann natürlich nicht bei der einseitigen Übermittlung von repressiven „Anordnungen“ Halt machen kann (näher S. 240 f., 289). De lege (germanica) lata wird ein Rückgriff auf § 115a freilich dadurch verhindert und die durch § 10 II IRG vorgezeichnete eingeschränkte Prüfung noch verlängert, dass §§ 21, 22 IRG als leges speciales dem „nächsten Richter“ zugunsten des OLG, das über die Auslieferung zu befinden hat, die Prüfungskompetenz und damit auch eine direkte Rücksprache mit dem zuständigen Gericht weitgehend vorenthalten.532 Aus der Perspektive eines international-arbeitsteiligen Strafverfahrens mit direkter Verbindung zwischen den handelnden Justizbehörden erscheint die Zwischenschaltung des OLG zweifelhaft; jedenfalls insoweit, als verfassungsrechtlich verbriefte Freiheitsgarantien, namentlich die fristgerechte (umfassende) Haftprüfung, es fordern, wird eine verfassungskonforme Erweiterung der Freilassungsbefugnis des Amtsrichters vorgeschlagen.533 In einer konsequent ausgestalteten Verfahrenseinheit wäre eine direkte Verzahnung zwischen dem verfahrensführenden Gericht und demjenigen, das den Zugriff unmittelbar verantwortet, vorzugswürdig. Dass beim OLG besondere Sachkunde für auslieferungsrechtliche Fragen vorhanden ist, rechtfertigt u. U. angesichts der (ihrerseits problematischen, s. u. S. 217) Unübersichtlichkeit der Materie eine Konzentration an dieser Stelle, aber nicht eine Verkürzung von Individualrechten, vielmehr zählt gerade die Organisation eines klaren und vorhersehbaren Rechtsrahmens zu den Obliegenheiten der Staaten, die sich die Möglichkeiten der Rechtshilfe zunutze machen (s. o. S. 112 f.). Eine solche Regelung wäre auch für einen „einfachen“ Haftrichter am Amtsgericht handhabbar, ggf. 530
Zur Auslieferung selbst s. noch S. 199 ff. Zur Tendenz, das Verfahren einem innerstaatlichen gleichzustellen, und der Konsequenz, dass dessen Regeln in höherem Maße anwendbar sind: Schomburg/Lagodny, NJW 2012, 348, 353. 532 Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 8 ff. vor §§ 21, 22 IRG, mit deutlicher Kritik: „§§ 21, 22 jedoch gehen von einem in seinem Entscheidungsbereich amputierten Richter aus“ (Rn. 8). 533 Schomburg/Hackner a.a.O., insb. Rn. 22 ff., 26 f. im Anschluss an Wilkitzki, in: G/P, § 22 Rn. 26; Böhm, in: G/P/K, § 22 IRG Rn. 25. 531
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unter Einschaltung eines zentralen Dienstes für die Übersetzung oder der europäischen Einrichtungen EJN (Europäisches Justizielles Netz) und Eurojust.534 (ee) Zwischenfazit Dem Tatverdacht als maßgeblicher Voraussetzung von Eingriffen in die materielle Rechtssphäre der Bürger kommt die Funktion einer prozessunabhängigen Schranke zu. Aus diesem Grund ist das Verdachtserfordernis im ersuchten Staat ebenso zur Anwendung berufen wie in dessen innerstaatlichem Verfahren. Weil und soweit der verfahrensführende und ersuchende Staat naturgemäß die Hoheit über die Tatsachenprüfung hat, erscheint eine kooperative Entscheidung der Justizbehörden beider Staaten als adäquater Weg. Der ersuchte Staat hat keinen Grund, die rechtlichen Maßstäbe des Verdachtserfordernisses, die wesentliche Freiheitsgarantien sind, abzuschwächen; als Grundlage für die Prüfung werden aber in der Regel die Tatsachen genügen, wie sie der ersuchende Staat in substantiierter Form mitteilt. (b) Gegenstand: (auch im ersuchten Staat) strafbare Tat Wie bereits erwähnt wurde, kann das Bedürfnis nach transnational wirksamer Strafrechtspflege kaum bestritten werden. Die Definition dessen aber, was strafbar und damit Gegenstand der Strafverfolgung ist, ist selbst nicht „natürlich“ vorgegeben, sondern unterscheidet sich teilweise zwischen den Staaten erheblich. Sie ist das Ergebnis einer in den jeweiligen Ländern stattfindenden (wenn auch in der EU zunehmend durch unionsrechtliche Vorgaben geprägten535) Aushandlung dessen, was für hinreichend sozialschädlich gehalten wird, um eine strafrechtliche Sanktionierung zu erfahren. Für die Konstellation, in der mehrere Staaten beteiligt sind, ergibt sich daraus das Problem, welche dieser unterschiedlichen Wertungen maßgeblich ist. (aa) Das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit als prozessunabhängige Schranke Die materielle Strafbarkeit des dem Verfahren zugrunde liegenden Tuns ist zwar einerseits die Grundbedingung für die Verhängung der Strafe nach Durchführung des Verfahrens; sie ist aber bereits vorher und unabhängig von prozessualen Folgewirkungen unabdingbare Bedingung für prozessuale Eingriffe. Wo keine Straftat bzw. kein Tatverdacht im Raum steht, fehlt für jeden prozessualen Eingriff ein wesentliches Tatbestandsmerkmal, dasjenige nämlich, das einen hinreichend gewichtigen Grund für den staatlichen Eingriff in Individualrechte markiert. Der Rückgriff auf die Schranken des ersuchten Staates wird zwar nur für solche Maßnahmen aktuell, von denen überhaupt prozessunabhängige und deshalb im ersuchten Staat und nach 534 Für einen direkten Verkehr zwischen den zuständigen Justizbehörden mit externer Unterstützung dieser Behörden Vogel, in: G/H/N, Art. 82 AEUV Rn. 31. 535 Ausf. Heger, in: EnzEuR Bd. 9, § 5 Rn. 8 ff.; Dannecker, ibid., § 8; Weißer, ibid., § 9; krit. im Lichte des ultima-ratio-Prinzips Braum, JZ 2000, 493, 498; Köhler, KritV 2001, 305 ff.; Schünemann, KritV 2008, 6, 7 f., 15 f.; F. Zimmermann, ZRP 2009, 74, 75.
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dessen Recht zu bändigende Gefahren ausgehen, ist dann aber umfassend und schließt das Erfordernis eines Tatverdachts ein (s. o. S. 141 f.). Wenn es für die prozessunabhängigen Schranken und den durch sie geleisteten Ausgleich zwischen Individualrechten und hoheitlicher Eingriffsmacht nicht darauf ankommt, welcher Hoheitsträger den Verdacht äußert, mithin auch das Tatverdachtserfordernis „rechtshilfeneutral“ ist (s. bereits S. 141 f., 145 ff.; allg. S. 30 f.), ist es folgerichtig, dass auch seine materiell-rechtliche Komponente, die Qualifikation als Straftat, unempfindlich ist für den ausländischen Ursprung der Strafverfolgung, also (wie alle prozessunabhängigen Schranken) stets der lex loci entnommen wird. Die Konsequenz dessen, nämlich die Aufrechterhaltung des Erfordernisses beiderseitiger Strafbarkeit, wird freilich vielfach kritisiert und als Hürde bei der „Bekämpfung des Verbrechens“.536 Es ist also angezeigt, diese dogmatische Ableitung auf ihre sachliche Richtigkeit hin zu überprüfen. Einerseits könnte eingewandt werden, es genüge, wenn der ersuchte Staat sich die fremden Strafverfolgungsinteressen, wie sie von der fremden Rechtsordnung definiert werden, zu eigen macht.537 Aber wenn der Tatverdacht sich auf eine materiell strafbare Tat beziehen muss, so kommt diesem Merkmal die entscheidende Bedeutung zu, den hinreichend gewichtigen Grund abzubilden, der ein Vorgehen zum Zweck und mit den Mitteln der Strafrechtspflege rechtfertigen kann. Nur diese Zwecke – das ist der Kern der hier vertretenen Variante der Rechtspflegetheorie – können zur Begründung der Rechtshilfe herhalten.538 Dabei ist die fundamentale Wertentscheidung, welche Taten ein strafprozessuales Vorgehen (auch auf Kosten der bürgerlichen Freiheiten) rechtfertigen können, nicht umsonst im materiellen Strafgesetz als einer „Magna Charta des Verbrechers“539 niedergelegt, die sich jeder Staat verbindlich auferlegt.540 Sie kann durch eine schlicht instrumentelle Regelung in einem als besonderes Verwaltungsrecht verstandenen Rechtshilferecht nicht gleichwertig ersetzt werden;541 nichts anderes aber wäre die isolierte Inkorporation einer fremden materiell536
Lagodny, in: S/L/G/H, § 3 IRG Rn. 2; dazu noch S. 158 f. Böse, in: Fragmentarisches Strafrecht, S. 233, 237 f. 538 Dazu, dass die „Solidarität“ mit einem anderen Staat immer nur Stellvertreterin für Strafverfolgungsinteressen sein kann, also nicht mehr tragen kann als das aus strafrechtlicher Perspektive Zulässige, s. o. S. 72 ff. Wegen der strafprozessualen Natur der Rechtshilfe (S. 30 ff.) schlägt auch das formale Argument, Strafbarkeit im ersuchten Staat sei unerheblich, weil Rechtshilfe keine Strafe sei (exemplarisch etwa Jescheck, ZStW 66 [1954], 518, 531 f., s. näher S. 34 f.), nicht durch. 539 Zu dieser (durchaus ambivalenten) Formulierung von Liszts, die die Bedeutung des Strafgesetzes anschaulich beschreibt, Roxin, Strafrecht AT I, § 5 Rn. 3; zum nulla-poenaPrinzip s. noch S. 160 ff. 540 Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 321 ff., 330 f.: „Während eine oftmals fragmentarische Tatsachenbasis die konkreten Anhaltspunkte für den Tatverdacht liefert, enthält das materielle Strafrecht nicht nur das Programm für die Verurteilung und für die Anklage, sondern auch für den Tatverdacht und stellt damit die normative Sicherheit her.“ 541 Ähnlich Capus a.a.O. Zu Recht kritisch auch zum instrumentellen Verständnis des Strafrechts bei der Schaffung von (Vorfeld-)Straftatbeständen mit dem leitenden Zweck der 537
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strafrechtlichen Wertung als Bezugsgegenstand allein zur Begründung eines Eingriffs, ohne dass diese Wertung im allgemeinen Strafgesetz Niederschlag gefunden hätte (s. noch S. 159 ff.). Denkbar wäre freilich, eine Modifikation der allgemeinen (prozessunabhängigen) Schranken des ersuchten Staates aufgrund seiner Einbindung in die transnationale Strafverfolgung zuzulassen.542 Dazu müsste ein hinreichender Grund namhaft gemacht werden, warum ein Staat sich die materiell-strafrechtliche Wertung eines anderen zu eigen zu machen und dafür von der eigenen abrücken sollte. Die hier aus dem Zweck der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Strafrecht (S. 30 f., 77) abgeleitete ratio für die Anerkennung der Entscheidung des fremden Staates trägt aber nur, soweit dessen innerprozessualer Raum betroffen ist oder er wegen der Sachnähe besser in der Lage ist zu entscheiden (S. 147 f.); sie kann nicht darüber hinaus eine pauschale Inkorporierung anderer – punitiverer543 – materieller Wertentscheidungen als Grundlage für eigene Eingriffe legitimieren. Freilich könnte diese, entsprechende sachliche Gründe vorausgesetzt, als inhaltliche Modifikation innerhalb des strafprozessualen Gerüsts berechtigt sein (dazu allg. S. 30 ff.); diese – und damit die Aufgabe des Erfordernisses beiderseitiger Strafbarkeit – zu legitimieren, obliegt aber nach der „rechtsstaatlichen Begründungslast“ ihren Befürworten, nicht umgekehrt (dazu sogleich S. 158 ff.) Deutlich wird die Funktion der materiellen Strafdrohung als Legitimationsgrundlage prozessualer Eingriffe an den erhöhten Strafbarkeitsschwellen für bestimmte Maßnahmen, die sich sowohl im innerstaatlichen Recht als auch in europäischen Instrumenten finden.544 Daraus kann ein Erst-recht-Schluss gezogen werden: Wenn Eingriffe einer bestimmten Schwere (genauer: intensive prozessunabhängige Eingriffe) nur unter der Voraussetzung einer gesteigerten Strafbarkeit zuErmöglichung strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen Landau, ZStW 121 (2009), 965, 967; NK-Paeffgen, § 89a Rn. 3; Radtke/Steinsiek, ZIS 2008, 383, 394; Gierhake, ZIS 2008, 397, 402, die eine dezidierte Zuordnung zum Polizeirecht vorzieht, was freilich auch wiederum Legitimationsprobleme aufwirft (krit. Paeffgen, a.a.O.; Landau, a.a.O. S. 966, der betont, dass dem Gefahrenabwehrrecht „eine der Strafrechtsdogmatik ebenbürtige Dogmatik“ weitgehend fehle). Zum Rechtshilfeverfahren als Verwaltungsverfahren erg. Lagodny, StV 2005, 515, 519. 542 Allg. S. 31 f., zum Tatverdacht und seiner Prüfung S. 147 ff. 543 Per definitionem ist die Rechtsordnung des ersuchenden Staates in concreto punitiver, wo die Frage der beiderseitigen Strafbarkeit aktuell wird, wäre diese doch sonst, bei mindestens gleicher Strafdrohung im ersuchenden Staat, irrelevant. Krit. zur maximalen Punitivität, die sich bei der Aufgabe beiderseitigen Strafbarkeit durchsetzt: Kaiafa-Gbandi, in: Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, S. 65, 74; Schünemann, ibid., S. 93, 94. 544 s. etwa §§ 100a, 100c StPO für die deutsche Rechtsordnung und die Anerkennung solcher Schwellen als Grund, ein Ersuchen abzulehnen (bzw. eine „Europäische Ermittlungsanordnung“ nicht zu „vollstrecken“, dazu näher S. 219 f.) in Art. 10 I b (mit Erwägungsgrund 10) der Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung (S. 273 ff.). Anders Conrad, Grundsatz beiderseitiger Strafbarkeit, S. 229 f., 299, der die erhöhte Schwelle für maßgeblich hält, aber unter Rückgriff auf die Strafnorm des ersuchenden Staates und damit die maßgebliche Wertung („Schwere der Tat“) dessen Rechtsordnung entnimmt (dagegen S. 154 f.).
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lässig sind, so zeigt sich, dass die materielle Strafbarkeit der Anlasstat (im ersuchten Staat) ein Kriterium für die Zulässigkeit von (prozessunabhängigen) Eingriffen ist. Der Grund für diesen Zusammenhang leuchtet ein (es bedarf eines hinreichend gewichtigen Zwecks, um in die Rechtssphäre der Bürger einzugreifen) und trägt nicht nur bei speziellen erhöhten Schwellen für schwerere Eingriffe, sondern – nur quantitativ auf das „Normalmaß“ der Strafbarkeit vermindert – allgemein für Eingriffe in den „materiellen Rechtsraum“ der Bürger. Wenn die Eigenschaft der aufzuklärenden Tat als strafbare Handlung (nicht nur Gegenstand der Wahrheitsfindung, sondern auch) Tatbestandsmerkmal der Eingriffsnormen ist, so ist es also konsequent, sie wie deren übrige Merkmale zu denjenigen Bestandteilen seiner eigenen Rechtsordnung zu rechnen, die ein Staat im Bereich der prozessunabhängigen Gefahren immer einhalten muss. Man kann also von der materiellen Strafbarkeit als einem „allgemeinen Teil“ aller prozessunabhängigen Schranken sprechen. Wenn und soweit dagegen nur der innerprozessuale Raum tangiert ist, kann es mit der Rechtsordnung des verfahrensführenden Staates – innerhalb der Grenzen des ordre public des ersuchten Staates – sein Bewenden haben (dazu allg. S. 169 ff.). Für solche Maßnahmen, die allenfalls mit innerprozessualen Gefahren behaftet sind, ist es demnach nicht erforderlich, dass eine Strafbarkeit im ersuchten Staat besteht, sondern es genügt, dass die Inkriminierung den grundlegenden Werten seiner Rechtsordnung nicht zuwider läuft.545 Dasselbe gilt wegen der begrenzten Reichweite der Zurechnung nach dem Teilnahmegedanken (S. 192), soweit es um die weitere Entwicklung im ersuchenden Staat geht, namentlich auch die zu erwartende Sanktion als Antwort auf die konkrete Tat. Wenn und soweit es auf die materielle Strafbarkeit nur als Tatbestandsmerkmal von Eingriffsnormen ankommt, ist schließlich auch keine übereinstimmende Inkriminierung erforderlich, sondern sind der Gehalt und die Schutzrichtung der Strafnorm des ersuchenden Staates546 ebenso wie die Strafhöhe nur an den Grenzen des ordre public zu messen. 545 Siehe oben S. 134 ff.; zum ordre-public-Vorbehalt in Gestalt der vollen Geltung der Grundrechtsordnung S. 58 ff. im Anschluss an Lagodny, der allerdings die grundrechtliche Zulässigkeit als einzig legitime Ausprägung der beiderseitigen Strafbarkeit, nicht erst als äußerste Grenze begreift. 546 Zur Rechtslage nach deutschem IRG Lagodny, in: S/L/G/H, § 3 IRG Rn. 13 m.w.N.: „irgendeine Strafnorm“ im ersuchten Staat ausreichend. Die Gegenansicht findet bei Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 52 ff., 56 in Gestalt des „Prinzips der identischen Norm“ ihren prägnantesten Ausdruck, ist dort aber unauflöslich mit der (abzulehnenden) Konstruktion eines eigenen Strafanspruchs des ersuchten Staates verbunden (dazu S. 35 ff.); eine moderne und moderate Ausprägung vertritt Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 474 ff.: zwar nicht „Identität der Rechtsgüter“, aber doch „kongruenter Wertungsentscheid“ erforderlich. Aber auch das ist aus der Perspektive der Legitimation einzelner Maßnahmen im Kontext der Rechtshilfe nicht erforderlich, während die weitere Entwicklung im verfahrensführenden Staat nur (aber immerhin) den Schranken des ordre public unterliegen muss (S. 180 f.). Ferner ist eine solche Einschränkung wenig vorhersehbar, weil wohl oder übel mit Ermessen verbunden (Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 474 mit Nachweisen zur Kritik) und angesichts der notwendigerweise gezielten und einschränkenden Umschreibung der „Tat“ im Rechtshilfeersuchen von fraglicher Praktikabilität. Im Übrigen kann, wenn ein Ersuchen einen zu vagen
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(bb) Aufgabe des Erfordernisses zugunsten „effektiver Verbrechensbekämpfung“? An dieser Stelle, bei der Zurückhaltung in der Kontrolle der fremden Rechtsordnung, setzt das Argument an, das Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit sei historisch überholt und kriminalpolitisch verfehlt, weil es die Effektivität der Verbrechensbekämpfung behindere.547 Hierin liegt jedoch ein Zirkelschluss:548 Denn was dieses Verbrechen ist, das zu es „bekämpfen“ gilt, ist ja gerade eine Frage, die nur das Strafgesetz beantworten kann – die Bezeichnung eines Verhaltens als „Verbrechen“, das nur im ersuchenden Staat strafbar ist, setzt aber schon voraus, was mit dem Argument begründet werden soll, nämlich dass es allein auf die Inkriminierung im ersuchenden Staat ankomme, beiderseitige Strafbarkeit also kein maßgebliches Kriterium sei. Ein anderes, untechnisches Verständnis des Begriffs „Verbrechensbekämpfung“ als undifferenzierte Sanktionierung unbotmäßigen Verhaltens würde diesen Zirkel zwar vermeiden, das Argument aber zu einem bloß kriminalpolitischen machen, welches der harten Linie eines „war on crime“ zuzurechnen wäre. Auf dieser Argumentationsebene aber ließe sich mit zumindest derselben Berechtigung vertreten, dass „Verbrechen“ im Kontext arbeitsteiliger Strafverfolgung nur sein kann, was in sämtlichen beteiligten Rechtsordnungen strafbar ist – was nicht zuletzt der Aufgabe einer rationalen Kriminalpolitik gerecht würde, nicht nur verbrechensbekämpfend, sondern auch strafrechtsbeschränkend zu wirken.549 Eine solche Ausrichtung nach dem gemeinsamen Nenner der Inkriminierung wäre überdies besser geeignet, den Aushandlungsprozess, der innerstaatlich die Grenzen strafbaren Verhaltens festlegt, auf die transnationale Ebene zu heben. Dass sich die Entscheidung eines einzelnen Staates für die Strafbarkeit gegen die eines anderen, ein Verhalten straflos zu lassen, durchsetzen müsse, ist also keineswegs sachlogisch zwingend, sondern eine Frage der kriminalpolitischen Ausrichtung. Dabei ist es die Entscheidung, ein Verhalten strafrechtlich zu verfolgen, die der Rechtfertigung bedarf – und zwar auch und gerade im ersuchten Staat, der selbst, wenn auch für fremde Rechnung und nicht mit dem Ziel der eigenständigen Ermittlung materieller Wahrheit (s. o. S. 30 ff., 72 ff.), Strafverfolgung betreibt. Jenseits der kriminalpolitischen Dimension, über die hier nicht zu entscheiden ist, ist auch die dogmatische Antwort auf das Argument der „effektiven Verbrechensbekämpfung“ in Rückbesinnung auf diese an der innerstaatlichen Rechtsstellung angelehnten prozessuale Perspektive und die Prämisse des individualrechtlichen Benachteiligungsverbots zu finden: Ungeachtet des kriminalpolitischen Standpunkts ist die Rechtsstellung des Individuums grundsätzlich am innerstaatlichen ProzessTatbegriff zugrunde legen sollte, mit Hilfe des Spezialitätsprinzips (S. 179) erreicht werden, dass die geleistete Rechtshilfe nur zur Verfolgung des Teils dient, der aus Sicht der ersuchten Staates strafwürdig ist. 547 Siehe etwa Lagodny in S/L/G/H, § 3 IRG Rn. 2. 548 Ebenso Schünemann, StV 2003, 116, 121. 549 Speziell im europäischen Zusammenhang etwa European Criminal Policy, ZIS 2009, 697 ff.; Schünemann, KritV 2008, 6, 15 f.
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recht auszurichten, zu dessen im ersuchten Staat maßgeblichen prozessunabhängigen Schranken die Strafbarkeit des verfolgten Verhaltens zählt (S. 154 ff.). Um die Aufgabe des Erfordernisses beiderseitiger Strafbarkeit zugunsten einer abstraktgenerellen Übernahme der strafrechtlichen Wertung des ersuchenden Staates (und die damit verbundene Benachteiligung des Bürgers allein aufgrund der transnationalen Dimension) zu rechtfertigen, bedürfte es deshalb eines nicht bloß kriminalpolitischen, sondern eines aus der Struktur des transnationalen Verfahrens folgenden sachlichen Grundes, wie er etwa für den Umfang der Verdachtsprüfung besteht (S. 147 f.). Die „rechtsstaatliche Beweislast“ hierfür liegt bei den Gegnern der beiderseitigen Strafbarkeit. (cc) Anwendung nur in Fällen „qualifizierter Straflosigkeit“? Durch seinen förmlichen Bezugspunkt im Strafgesetz hat das konsequente Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit den Vorteil der Einfachheit und Stringenz. Demgegenüber wird oftmals vorgeschlagen, eine Rückausnahme einzuführen für den Fall, dass ein Verhalten im ersuchten Staat nur deswegen nicht mit Strafe bedroht ist, weil es die tatsächlichen Bedingungen nicht erfordern – etwa in der Schweiz die Zerstörung von Deichen oder Schifffahrtsdelikte in Liechtenstein – und somit auf die qualifizierte Straflosigkeit im ersuchten Staat abzustellen.550 Doch ein solcher Ansatz würde eine Betrachtung im Einzelfall erforderlich machen und wiederum Rechtsunsicherheit mit sich bringen. Das ist nicht nur unter dem Aspekt der Vorhersehbarkeit problematisch, sondern würde vor allem die Prärogative des zur Entscheidung über Strafwürdigkeit berufenen Organs, des Gesetzgebers, übergehen.551 Es ist auch nicht erwiesen, dass durch solche „Schlupflöcher“ die generalpräventive Wirkung der betreffenden, doch eher exotischen Gesetze ernsthaft in Gefahr sei. Wo solche Taten nicht bloß Gefährdungsdelikte sind, sondern für unbedingt strafwürdig gehalten werden (etwa infolge der Deichzerstörung Siedlungen überflutet werden oder gar Menschen sterben), dürften es sich in 550 So schon der 11. der sog. Oxforder Beschlüsse des Instituts für Völkerrecht, bei v. Liszt, ZStW 2 (1882), 50, 61 f., 80; Jescheck, Etudes Graven, S. 75 ff., 80; Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 419 f., 476 f. 551 Tendenziell ebenso v. Bar, Gerichtssaal XXXIV (1883), 481, 486: man könne einem fremden Strafgesetz nicht „Wirksamkeit verschaffen, ohne es einigermaßen aus seinen reellen Werth, seinen ,Feingehalt‘ zu prüfen, und Wage und Probirstein für diesen Feingehalt des fremden Strafgesetzes können uns nur durch den Inhalt unseres Strafgesetzes geliefert werden.“ Vgl. auch ders., Lehrbuch, S. 297 m. Fn. 5: Es sei „praktisch im einzelnen Falle nicht zu entscheiden“, ob die Entscheidung gegen die Strafbarkeit kontingent sei oder „eine wirkliche Differenz moralischer und rechtlicher Prinzipien oder Grundanschauungen vorliegt“; S. 298 m. Fn. 7 befürwortet er dann aber eine Ausnahme wegen der „geographischen Lage oder nach anderen physischen Verhältnissen“, ohne dass klar wird, ob sie im Einzelfall oder abstraktgenerell im Strafgesetz vorgesehen sein soll. Letzteres wäre wohl die sauberste Lösung, und was spricht dagegen, dass ein Staat, eben mit Blick auf Rechtshilfe, aber auch etwaige subsidiäre Strafverfolgung (namentlich nach dem Personalprinzip), auch solche Verhaltensweisen in einem bestimmten Tatbestand mit Strafe bewehrt, die auf seinem Territorium nicht verwirklicht werden können?
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aller Regel um Verletzungen von Kernrechtsgütern handeln, die auch im „Zufluchtsstaat“ unter Strafe stehen. Die übrigen Fälle dürften so abseitige und eher leichte Taten sein, dass nicht zu befürchten steht, dass rational kalkulierende Täter sie in dem Bewusstsein begehen, im Anschluss einen sicheren Hafen zu finden und dann auch die Last der Auswanderung auf sich nehmen, um der Verfolgung zu entgehen. Jedenfalls wäre der Beweis für die Notwendigkeit einer solchen Ausnahme von der beiderseitigen Strafbarkeit, nicht nur die Konstruktion hypothetischer Fälle, von ihren Befürwortern zu erwarten. (dd) Zwischenfazit Aus der strafprozessualen Perspektive ist also das Erfordernis materieller Strafbarkeit nicht auf die Verfolgung im eigenen Namen beschränkt, sondern zieht dem ersuchten Staat auch in der arbeitsteilig verfolgenden Rolle Grenzen, soweit der materielle Raum der Individualrechte betroffen ist, d. h. die prozessunabhängige Sphäre. Insofern sichert das Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit die Gleichbehandlung des transnationalen Beschuldigten (und ggf. weiterer Betroffener) im Verhältnis zum hier relevanten innerstaatlichen Verfahren des ersuchten Staates (s. o. S. 126 ff., 141 f.). Modifikationen der fundamentalen Wertentscheidung, welche Verhaltensweisen strafwürdig sind und Maßnahmen staatlicher Strafverfolgung tragen können, bedürften einer auch gegenüber dem Individuum durchgreifenden, den argumentativen Zirkel der „Verbrechensbekämpfung“ durchbrechenden Begründung, die bisher nicht geliefert worden ist. (ee) Ableitung aus dem nulla-poena-Satz? Darüber hinaus wird teilweise wird der Versuch unternommen, das Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit direkt aus dem – allgemein anerkannten – nulla-poena-Satz abzuleiten.552 Dieser Zusammenhang ist sachlich zwingend, wenn und soweit das Vorgehen im ersuchten Staat als „Bestrafung“ qualifiziert wird. Als Bestrafung ist zunächst die Vollstreckung einer fremden strafrechtlichen Verurteilung zu betrachten; die reale Zufügung des Strafübels ist die deutlichste Form der Strafe.553 Aber auch die im Falle der Auslieferung zur Strafvollstreckung 552 Zumindest für Auslieferung und andere schwere Eingriffe – Blakesley, Festschrift Trechsel (2002), 191, 197 f. m.w.N. zur amerikanischen Rechtsprechung (nicht ohne Widerspruch zu der weiteren These, Auslieferungsverträge würden nicht unter Strafe stellen und deshalb das Rückwirkungsverbot nicht gelten, ibid. S. 203 m. Fn. 57); Gardocki, Israel Law Review 27 (1993), 288, 294; Zeidler, Beiderseitige Strafbarkeit, S. 84 ff.; Plachta, in: Jareborg (Hrsg.): Double Criminality, S. 107 f.; dagegen Träskman, ibid., S. 150 ff., dem zufolge das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit zu einem gewissen Grad den selben Interessen nutze wie das Gesetzlichkeitsprinzip, aus diesem aber nicht ableitbar sei. 553 Zu ihr noch i.E. S. 193 ff. Zur Vollstreckung als „Strafe“ speziell im Zusammenhang der Rechtshilfe Schünemann/Roger, ZIS 2010, 515, 520 f.; Schünemann, ZIS 2010, 735, 739 f., jeweils m.w.N., gegen Böse, ZIS 2010, 607, 610; Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 8 vor § 48 IRG: „innerstaatlich Strafvollstreckung/Strafvollzug“. Für diesen Fall auch für eine
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angeordnete „Auslieferungshaft“ gehört hierher, weil mit Vorliegen eines rechtskräftigen Erkenntnisses kein anderer Zweck den Freiheitsentzug tragen kann als die Zufügung des Strafübels (näher S. 197 f.). Dabei ist aber nicht erforderlich, dass der ersuchte Staat selbst einen konkreten Strafanspruch besitzt, weil ihm dieser – sofern die eigenen gesetzlich abgesteckten Grenzen dafür eine Grundlage namentlich in Gestalt eines Straftatbestands554 bieten – vom ersuchenden Staat „abgetreten“ werden kann (dazu und gegen die Konstruktion eines universellen Strafanspruchs durch Lammasch S. 39 f.). An dieser Stelle wirkt sich (im Detail, nicht schon bei der grundlegenden Auswahl des Rechtsregimes, S. 126 ff.) der Umstand aus, dass im Rahmen des international arbeitsteiligen Strafverfahrens der ersuchte Staat zwar Strafrechtpflege betreibt, aber – abgesehen von der stellvertretenden Strafvollstreckung – nicht selbst straft: Für alle anderen Maßnahmen als die Strafvollstreckung und damit insbesondere für das hier untersuchte Merkmal des Tatverdachts lässt sich das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit nicht aus dem nulla-poena-Satz heraus begründen. (ff) Die Merkmale der Straftat im Einzelnen Weil es im ersuchten Staat, wenn er im Rahmen international-arbeitsteiliger Strafverfolgung vorgeht, nicht um die primäre strafrechtliche Reaktion der Wahrheitssuche und Sanktionierung geht, sind möglicherweise nicht alle Attribute einer strafbaren Tat erforderlich, die für eine Verurteilung nötig wären. An dieser Stelle kann sich eine (bezüglich der abstrakt-generellen Grenzen der Straftat abzulehnende, S. 154 f.) Öffnung für die Besonderheiten der transnationalen Konstellation ergeben.555 Fraglich ist zunächst die Behandlung von normativen Tatbestandsmerkmalen: Wie ist eine „sinngemäße Umstellung des Sachverhalts“ (vgl. § 3 I IRG) vorzunehmen, wenn etwa in Deutschland der Käufer vor Übereignung eine Sache eigenmächtig an sich nimmt (Wegnahme einer fremden Sache i.S.d. § 242 StGB) und diese Handlung aus Sicht eines anderen Staates, der ein Abstraktionsprinzip nicht kennt, sich lediglich als (straflose) verbotene Eigenmacht ausnimmt, weil die Sache schon durch den Kaufvertrag in sein Eigentum übergegangen ist?556 Wegen der Funktion solcher normativer Tatbestandsmerkmale, nämlich der „Aufnahme“ einer umfassende Geltung inländischen Rechts („Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld oder Nichtvorliegen sonstiger Straffreistellungsgründe“) ibid., § 49 IRG Rn. 10. 554 Weniger streng § 49 IRG, der auch einen Ordnungswidrigkeitentatbestand im Inland ausreichen lässt; zur Art und Höhe der Strafe s. noch S. 193 ff. 555 Ähnlich Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 458 ff., 461: „Diese fehlende Orientierung an der zu realisierenden Rechtsfolge erlaubt es daher, die strafrechtliche Reaktion in Form der rechtshilfeweise zu ergreifenden, strafprozessualen Zwangsmaßnahmen vom nur abstrakt-theoretisch fixierten Reaktionsbedürfnis abhängig zu machen.“ 556 Das konkrete Beispiel ist deswegen im Ergebnis ohne praktische Bedeutung, weil es nach der deutschen Rechtsordnung am Merkmal der Rechtswidrigkeit der angestrebten Zueignung fehlen wird.
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rechtlichen Vorfrage mit einer bestimmten sozialen Bedeutung in den Tatbestand, erscheint es adäquat, hierfür auf die zur Aburteilung berufene Rechtsordnung abzustellen. Wenn nämlich diese – was für die Leistung von Rechtshilfe richtigerweise Voraussetzung ist (s. S. 180) – einen legitimen Anknüpfungspunkt für die Strafverfolgung vorweisen kann, muss man ihr zugestehen, die sozialen Sachverhalte, die in normativen Tatbestandsmerkmalen abgebildet sind, verbindlich zu bestimmen. Denn im Gegensatz zur Umgrenzung der Strafwürdigkeit in den Straftatbeständen selbst geht es hierbei um soziale Tatsachen, die das Strafrecht als solche hin- und aufnimmt.557 Diese innerstaatlich anerkannte Akzessorietät gegenüber anderen Rechtsgebieten ist auch dann angemessen, wenn die zugrundeliegenden Vorgänge berechtigterweise nach einer ausländischen Rechtsordnung verarbeitet wurden – beispielsweise wenn Abschluss und Abwicklung eines Kaufvertrags in einem Staat ohne Abstraktionsprinzip stattgefunden haben.558 Dafür spricht zuletzt auch die Behandlung der Vorsatzfrage bei normativen Tatbestandsmerkmalen: Dort soll es auf die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ ankommen, also darauf, ob der Täter die in dem Merkmal verkörperte soziale Bedeutung erfasst;559 diese Bedeutung kann aber für die strafrechtliche Ahndung und Verfolgung sinnvollerweise nur im Kontext der Rechtsordnung gesucht werden, unter deren Geltung die Tat stattgefunden haben soll und nach der ein Delikt konstituiert sein soll. Auch deshalb ist es konsequent, die im normativen Tatbestandsmerkmal „kristallisierte“ Vorfrage so zu übernehmen, wie sie sich nach der Rechtsordnung des ersuchenden Staates darstellt. Praktisch bedeutsamer als in dem genannten Diebstahlsfall ist diese Frage bei Fiskaldelikten, die häufig deshalb divergieren, weil die zugrundeliegenden Steuerarten nicht einheitlich sind.560 Blankettmerkmale dagegen lagern letztlich nur Teile der Strafnorm aus, weshalb es angezeigt erscheint, die ausfüllenden Vorschriften der Rechtsordnung des ersuchten Staates zu entnehmen.561
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Weshalb hier auch das Gesetzlichkeitsprinzip weniger streng ist, Roxin, AT I § 5 Rn. 40: Auch das praeter legem entwickelte Sicherungseigentum fällt in den Schutzbereich der „fremden Sachen“ i.S. von § 242 StGB. 558 Für Bewertung nach der Rechtsordnung des ersuchenden Staates auch Vogel/Burchard, in: G/P/K, § 3 IRG Rn. 35 ff., 38; Vogel, ibid., Anhang zu § 7 IRG Rn. 16 f.; a.A. Lagodny, in: S/L/G/H, § 3 IRG Rn. 19; Zeidler, Beiderseitige Strafbarkeit, S. 222, 224 f. 559 Roxin, AT I, § 12 Rn. 101 m.w.N. 560 Zur Eigenschaft des Merkmales „Steuerverkürzung“ als normatives Tatbestandsmerkmal Welzel, NJW 1953, 486 f.; MüKo-Schmitz/Wulf, § 370 AO Rn. 327; zum letztlich gleichen Ergebnis der Rechtsprechung im Rahmen der Irrtumsproblematik trotz der (irrigen) Einordnung als Blankettmerkmal ibid., Rn. 333. Damit erscheint es legitim, dass viele EU-Rechtsakte die fehlende Strafbarkeit einer Steuerhinterziehung im ersuchten Staat für irrelevant erklären, wenn sie nur darauf zurückgeht, dass dieser Staat keine entsprechende Steuer kennt (s. bspw. Art. 4 Nr. 1 2. Hs. Rb-HB; Art. Art. 11 III RiLi-EEA, dazu S. 253 f.). 561 Zutr. OLG Schleswig v. 15. 09. 2009 – 1 Ausl. (A) 23/09, BeckRS 2009, 86804
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Dass die (hypothetische) Strafbarkeit der Tat im Rahmen der beiderseitigen Strafbarkeit die Rechtswidrigkeit einschließt, ist anerkannt562 und entspricht der Einsicht, dass strafwürdiges Unrecht umfassend erst konstituiert ist, wenn keine Rechtfertigungsgründe eingreifen.563 Was dagegen die Frage angeht, ob die Tat, die den Gegenstand des Verdachts bildet, schuldhaft begangen sein muss, fällt die Antwort überwiegend negativ aus.564 Zwar ist für strafunmündige Kinder anerkannt, dass die gesetzliche Entscheidung für ihre strukturelle Schuldunfähigkeit, die sogar in einem Prozesshindernis kulminiert, der Leistung von Rechtshilfe entgegen steht;565 abgesehen von solchen abstrakt-generellen Festlegungen aber soll es auf die Schuldhaftigkeit der Tat nicht ankommen. Das überzeugt insofern, als die Schuldfrage den Kern der prozessualen Wahrheitsfindung bildet und deshalb grundsätzlich nicht im ersuchten Staat überprüft werden kann.566 Besteht aber dieses epistemische Problem nicht, steht der eigenständigen Subsumtion unter das Strafgesetz im Eingriffsstaat nichts entgegen (s. o. S. 148 f.), und dieses Strafgesetz schließt das Schuldprinzip ein, das unabhängig vom Ursprung der Verfolgung ist und deshalb grundsätzlich auch dann Platz greifen muss, wenn es um die (scil. beiderseitige) Strafbarkeit im Rahmen der Rechtshilfe geht. Wenn und soweit der Anwendungsbereich des Rechts des ersuchten Staates eröffnet ist (also prozessunabhängige Gefahren im Raum stehen, S. 141 f.) und dieses allgemein einer Verfolgung oder einzelnen Maßnahmen entgegen steht,567 muss es seine Sperrwirkung auch in der Konstellation des transnationalen Verfahrens entfalten. Der ersuchte Staat muss sich demnach an diese Schranken halten, wenn eine Auslieferung oder auch eine Durchsuchung wegen einer Handlung begehrt wird, die nach seinem Recht eindeutig feststellbar – d. h. ohne dass zu ihrer Feststellung eine 562
Ausdrücklich etwa §§ 3 I; 66 II Nr. 1 IRG; Lagodny, in: S/L/G/H, § 3 IRG Rn. 12; Vogel/ Burchard, in: G/P/K, § 3 IRG Rn. 46, jeweils m.w.N. 563 Siehe Roxin, AT I, § 10 Rn. 13 ff. m.w.N., der zwar die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen i.E. ablehnt, aber doch anerkennt, dass es sich bei Tatbestand und Rechtswidrigkeit um „Teilstücke einer höheren Einheit“ handeln könnte (Rn. 18); der für ihn entscheidende Aspekt zur Trennung von Tatbestand und Rechtfertigungsgründen, nämlich dass letztere nicht wie Tatbestandsmerkmale abstrakt-generell und strikt einen Deliktstypus umreißen, sondern konkret und abwägend am Fall zu entfalten sind (Rn. 20 ff.) ist im vorliegenden Zusammenhang kein Grund, die Rechtswidrigkeitsfrage auszuklammern, sondern nur ein Hinweis darauf, dass sie auch und gerade auf der rechtshilfetypischen schmalen Tatsachenbasis nur zurückhaltend beantwortet werden kann (dazu sogleich im Text). 564 Lagodny, in: S/L/G/H, § 3 IRG Rn. 15; Vogel/Burchard, in: G/P/K, § 3 IRG Rn. 43 f., jeweils m.w.N. 565 Siehe z. B. Keller, Festschrift Dencker, 183, 199 f.: hier werde „ein menschlicher Lebensabschnitt von Strafgewalt freigestellt“; Lagodny, in: S/L/G/H, § 73 IRG Rn. 61 f. m.w.N.; allg. zum Prozesshindernis Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 21 Rn. 17, zu entsprechenden Schranken auch in EU-Rechtsakten S. 255. 566 Näher S. 193 f.; auch Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 465 f.; Lagodny, in: S/L/G/ H, § 3 IRG Rn. 15. 567 Für die Untersuchungshaft s. Meyer-Goßner/Schmitt, § 112 Rn. 5: rechtswidrige und schuldhafte Tat (bzw. Versuch) erforderlich.
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Vorwegnahme der Hauptverhandlung erforderlich wäre – gerechtfertigt oder entschuldigt wäre.568 Wenn etwa in einer Neuauflage des Mignonette-Falls569 Auslieferung begehrt würde und die Rechtsordnung des ersuchten Staates eine Notstandsregel kennt, die in einem solchen Fall klar die Strafbarkeit ausschließt,570 wäre damit der Wegfall einer „strafbaren Tat“ als Grundlage für einen Tatverdacht und eine daran anknüpfende Rechtfertigung prozessualer Eingriffe vorgezeichnet; auch (und gerade) wenn im ersuchenden Staat für dieselbe Tat die Höchststrafe droht,571 ist damit der Strafrechtspflege im ersuchten Staat eine prozessunabhängige Grenze gezogen. Wenn nicht anderweitig, namentlich unter dem Aspekt der Maßregeln eine Verfolgung gerechtfertigt sein könnte,572 muss er diese respektieren; das ist der rechtsstaatliche Preis, den ein Staat zu zahlen bereit sein muss, wenn er sein strafprozessuales Instrumentarium nicht im Widerspruch zum Schuldprinzip einsetzen will. Gleichwohl ist er (in den Grenzen des ordre public, s. u. S. 180 f.) nicht gehindert, in einem Verfahren wegen einer solchen Handlung „schlichte“ Beweisrechtshilfe ohne Zwang oder intrusive Maßnahmen zu leisten (näher S. 134 ff.). 568 Ähnlich Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 466 f.: „[…] dass die verschiedenen Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe auch im Rechtshilfeverfahren der Ergreifung von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen entgegenstehen, wenn die derart manifest sind, dass sie den Verdacht kippen und nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass es sich um eine strafbare Tat handelt.“. Die Tatsachengrundlage für diese Entscheidung entwickelt sich im Übrigen im Laufe der Ermittlung, so dass zunächst ein Tötungsdelikt Anlass zu vorübergehender Untersuchungshaft geben kann, dann aber bei Erreichen der „Auslieferungsreife“, die nach hier vertretener Ansicht mit den Voraussetzungen der Eröffnung des Hauptverfahrens (oder funktionalem Äquivalent – näher S. 203 f.) eintritt, die rechtfertigenden oder entschuldigenden Umstände erwiesen sein können, so dass die Auslieferung und eine weitere Inhaftierung aus Sicht des ersuchten Staates nicht mehr gerechtfertigt sind. In dem Zusammenspiel aus Verzögerung und Kontrolldichte liegt ein rechtsstaatlich-praktischer Vorzug der gesteigerten Anforderungen an die Auslieferung, denn einen nach den wohlbegründeten eigenen Maßstäben Unschuldigen kann ein Staat kaum der Bestrafung zuführen wollen. 569 Nach dem Namen des Schiffs, das zwischen Kap Horn und Kap der guten Hoffnung Schiffbrauch erlitten hatte und dessen Besatzungsmitglieder nach Aufbrauchen aller Vorräte den im Sterben liegenden Schiffjungen töteten, um sich von dessen Fleisch und Blut zu ernähren (berichtet bei Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 572, der ebenfalls für ein Auslieferungshindernis plädiert). 570 So in Deutschland § 35 StGB für die Abwendung von Gefahren, die dem Täter selbst oder einer nahestehenden Person drohen; weitergehend wird auch ein übergesetzlicher entschuldigender Notstand in bestimmten Fällen erwogen, dazu Roxin, AT I, § 22 Rn. 142 ff. (m.w.N.), der selbst nicht von Schuld-, sondern von Verantwortungsausschluss spricht, Rn. 146 ff. 571 So war die Besatzung der Mignonette aufgrund der klaren Rechtslage in England zum Tode verurteilt worden und erst durch einen (von den erkennenden Richtern einstimmig empfohlenen!) Gnadenakt von Strafe befreit worden, s. Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 571 f. 572 Lagodny, in: S/L/G/H, § 3 IRG Rn. 15 stellt auch auf die Praxis der Auslieferung zum Maßregelvollzug (ibid., § 2 Rn. 10) ab, um auf die Irrelevanz der Schuld für Auslieferung und sonstige Leistung Rechtshilfe zu schließen. Das aber schießt über das Ziel hinaus, denn die Zulässigkeit von Maßregeln trägt als Argument gegen die Berücksichtigung der Schuld nur so weit, wie sie reicht, d. h. gerade nicht für im Sinne von § 35 StGB entschuldigte Taten.
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Unter dem Vorbehalt der Nicht-Vorwegnahme der Hauptverhandlung lassen sich diese Überlegungen mutatis mutandis auf sonstige Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe sowie objektive Bedingungen der Strafbarkeit übertragen.573 Sie konturieren, ebenso wie ein Strafantragserfordernis,574 das Ausmaß, in dem ein bestimmtes Rechtsgut unter strafrechtlichem Schutz steht, mit der Folge, dass bei ihrem Fehlen (bzw. bei Vorliegen eines Strafaufhebungsgrundes) der Strafverfolgung die Hände gebunden sind; wenn damit also schon innerstaatlich eine prozessunabhängige Grenze gezogen ist, muss das auch gelten, wenn der Verdacht von einem fremden Staat geäußert wird. Die Verjährung schließlich lässt zwar den Strafanspruch erlöschen. Sie prägt aber im Unterschied zu den vorgenannten Voraussetzungen der Strafbarkeit nicht unmittelbar die Verfolgungs- und Strafwürdigkeit eines Verhaltens, sondern knüpft akzessorisch daran an; dabei ist sie, wie sich an den Regelungen zu Ruhen und Unterbrechung zeigt,575 in weitaus höherem Maße disponibel und wandelbar. Deshalb erscheint es nicht erforderlich, dass der ersuchte Staat im Rahmen der beiderseitigen Strafbarkeit seine Verjährungsvorschriften auf den „sinngemäß umgestellten“ (d. h. rein hypothetischen!) Sachverhalt anwendet.576 Wenn er allerdings selbst einen konkurrierenden Strafanspruch besitzt, der nach seinem Recht verjährt ist, dann streitet das individualrechtliche Benachteiligungsverbot (S. 69 ff.) dafür, dass die (auch) transnationale Dimension den Beschuldigten nicht schlechter stellen soll, als er innerstaatlich steht, d. h. in diesem Fall die Verjährung einer Verfolgung entgegen steht und damit auch der Leistung von Rechtshilfe Grenzen zieht.577 (gg) Maßgeblicher Zeitpunkt Soweit das Vorgehen des ersuchten Staates materiell als Bestrafung zu qualifizieren ist, auf die der nulla-poena-Satz direkt anwendbar ist (s. o.), versteht sich von selbst, dass die Strafbarkeit zum Zeitpunkt der Tat bestanden haben muss.578 Das betrifft nach dem vorstehend Ausgeführten sowohl die Vollstreckungsübernahme als
573 OLG Karlsruhe Justiz 1989, 27 (objektive Strafbarkeitsbedingung); ibid. GA 1992, 137 f. (kein Rücktritt vom Versuch); a.A. Lagodny, in: S/L/G/H, § 3 IRG Rn. 16; Vogel/Burchard, in: G/P/K, § 3 IRG Rn. 53. 574 Capus, Strafrecht und Souveränität, 467 f.: „Anspruch [des Antragsberechtigten] auf Nichthandeln“ der Strafverfolgungsbehörden. 575 §§ 78a ff. StGB; zur Zulässigkeit der nachträglichen Verlängerung s. BVerfGE 25, 269; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 21 Rn. 9; der Einwand von Jäger, GA 2006, 615, 627, der auf das „schutzwürdige Vertrauen“ abstellt, trägt hier nur, sofern es einen vertrauensbegründenden Tatbestand gab, hier also: einen mit einer bestimmten Verjährungsregelung belegten Strafanspruch des ersuchten Staates (dazu im Text). 576 Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 469 f. 577 Capus a.a.O.; so auch die Regelung in § 9 Nr. 2 IRG. 578 So auch – für die Vollstreckungsübernahme – die Lösung in § 49 I Nr. 3 IRG.
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auch die zur Strafvollstreckung angeordnete „Auslieferungshaft“, die sich materiell als (einstweilig vom ersuchten Staat übernommene) Strafvollstreckung darstellt.579 Wenn dagegen die Strafbarkeit nur Tatbestandsmerkmal einer prozessualen Eingriffsnorm ist, dann kommt es nach der allgemeinen Regel580 nicht auf den Zeitpunkt der Tat, sondern den des Eingriffs an, so dass das Rückwirkungsverbot keine Bedeutung hat. Das erscheint auch im Zusammenhang des transnationalen Verfahrens sachgerecht,581 wo es gerade nicht darauf ankommt, ob der ersuchte Staat selbst einen Strafanspruch in Anknüpfung an eine vergangene Tat durchsetzen kann, sondern nur, aber immerhin, darauf, ob er mittels einer Strafdrohung verbindlich entschieden hat, dass der Verdacht eines bestimmtes Verhaltens prozessuale Eingriffe zu tragen geeignet ist (o. 154 f., insb. zur Unverzichtbarkeit der Entscheidung im materiellen Strafrecht). (hh) Konkrete Verfolgbarkeit der Tat und Doppelbestrafungsverbot Wenn das Prinzip ne bis in idem einer erneuten Strafverfolgung im ersuchten Staat entgegensteht, so folgt aus der Einsicht in die strafprozessuale Natur der Rechtshilfe, dass im Geltungsbereich von dessen Rechtsordnung (i. e. im prozessunabhängigen Bereich) auch die Leistung von Rechtshilfe ausgeschlossen sein muss. Die (nicht verbrauchte) Verfolgbarkeit der Tat in concreto stellt sich damit wie der Tatverdacht überhaupt als Element des „allgemeinen Teils“ der prozessunabhängigen Schranken dar. Das stimmt überein mit der hier favorisierten konkreten Form der beiderseitigen Strafbarkeit und Verfolgbarkeit (s. o.), denn ein Tatverdacht kann zur Legitimation von Eingriffen nur dienen, wenn die Strafklage nicht bereits verbraucht ist.582 Soweit 579 S. 160 f., S. 197 f. Wenn dadurch die Auslieferungshaft und damit im Ergebnis auch die Auslieferung (S. 206) zur Vollstreckung mit Rücksicht auf das Rückwirkungsverbot strengeren Voraussetzungen unterliegt als jene zur Verfolgung (wo der nulla-poena-Satz nicht greift), liegt darin nur dann (vermeintlich) ein Wertungswiderspruch, wenn man beide Fälle wegen des gemeinsamen Oberbegriffs der „Auslieferungshaft“ für gleich erachtet; richtigerweise ist letzterer aber in einem einheitlich verstandenen international arbeitsteiligen Strafverfahren nur eine Art Hülse, ein Vehikel für den einen oder anderen strafprozessualen (End-)Zweck (eben: Verfahrensdurchführung oder Vollstreckung), aus dem sich – dogmatisch konsequent – unterschiedliche materielle Qualifikationen ergeben können (S. 197 f.). 580 Roxin, AT I, § 5 Rn. 57 m.w.N. So auch, unter dem speziellen Aspekt der Anwendung des nulla-poena-Satzes auf das Prozessrecht, Jäger, GA 2006, 615, 625 ff. (mit einer Ausnahme für nachträgliche Verlängerung der Verjährungsfrist). 581 Vorbehaltlich allgemeiner, dem ordre public zugehöriger rechtsstaatlicher Erwägungen (dazu etwa Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 73 f.), die der Rechtshilfe namentlich (aber nicht nur) dann Grenzen ziehen, wenn der Beschuldigte im ersuchten Staat gehandelt hat („maßgeblicher Inlandsbezug“, näher Conrad, Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, S. 127 ff. m.w.N.). 582 Zum umfassenden Verfahrenshindernis nach deutschem Recht s. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn. 6 f. Eine andere, in jüngster Zeit viel diskutierte Frage ist der Umfang des Strafklageverbrauchs durch ausländische Entscheidungen (Stichwort „europäisches ne bis in idem“), der aber vorliegend nicht unmittelbar von Bedeutung ist, weil nur eine rechtliche Vorfrage mit Blick auf die Feststellung eines einzelnen Verfahrenshindernisses; zur
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er also selbst nicht mehr verfolgen könnte, muss der ersuchte Staat auch von einer Auslieferung oder Wohnungsdurchsuchung Abstand nehmen. Genau zum gegenteiligen Ergebnis gekommen ist allerdings auf der Grundlage der Rechtshilfetheorie das OLG München in einem Fall, in dem der Beschuldigte eine Strafe in Frankreich verbüßt hatte und wegen der selben Tat von Deutschland aus nach Marokko ausgeliefert werden sollte: Weil „Auslieferung […] keine (Straf-)Verfolgung“ sei (so der amtl. Leitsatz), stehe Art. 54 SDÜ ihr nicht entgegen.583 Der Entscheidung gebührt das Verdienst, die mitunter brutale Konsequenz einer stringenten, von der strafrechtlichen Finalität abstrahierenden Rechtshilfetheorie und dadurch die Vorzüge einer (wohlverstandenen) Rechtspflegetheorie zu verdeutlichen.584 Darüber hinaus kommt dem Doppelbestrafungsverbot ein derart hoher Stellenwert zu, dass er sowohl vom deutschen Verfassungsrecht585 als auch von der EMRK (Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls) und der EU-Grundrechtecharta (Art. 50) gewährleistet wird – insofern ist er dem ordre public zuzuschlagen und muss umfassende Sperrwirkung für jegliche Maßnahmen entfalten, auch wenn sie nur innerprozessual relevant sind (S. 180 f.). (2) Weitere Eingriffsvoraussetzungen am Beispiel der Haftgründe Auch bei den übrigen allgemeinen Eingriffsvoraussetzungen handelt es sich um prozessunabhängige Schranken (S. 141 ff.), die grundsätzlich im ersuchten Staat auch dann Geltung beanspruchen müssen, wenn dieser in einem international arbeitsteiligen Verfahren agiert. Deshalb sind sie grundsätzlich auch nur in diesem Staat sinnvoll zu prüfen, wobei wiederum (nur!) sachliche Gründe dafür sprechen können, spezifische Fragen dem ersuchenden Staat zur Würdigung und Entscheidung zuzuweisen. So ist insbesondere der Haftgrund der Fluchtgefahr am besten durch den Richter zu würdigen, der den Beschuldigten unmittelbar vor sich hat und sich ein Bild von dessen Person und Lebensumständen machen kann, also im ersuchten Staat; dagegen lässt sich der ebenfalls klassische Haftgrund der Verdunkelungsgefahr zuverlässig nur aus einer Gesamtwürdigung der Umstände, wie sie sich aus dem Ermittlungsmaterial ergeben, ableiten, weshalb die tatsächliche Prüfung ähnlich wie beim jüngeren Diskussion und zur Erfassung durch das „Prinzip gegenseitiger Anerkennung“ in der EU S. 239 f., 281 ff.). 583 OLG München, StV 2013, 313 f. Zu Art. 54 SDÜ s. u. S. 281 ff. 584 I. E. abl. auch Brodowski, StV 2013, 339, 344 ff., der auch die europarechtssystematischen Erwägungen des OLG München überzeugend widerlegt; für eine „unzulässige Strafverfolgungsmaßnahme i.S. von Art. 54 SDÜ“ (Hervorhebung durch Verf.) halten auch Schomburg/Suominen-Picht, NJW 2012, 1190, 1192 „das Ersuchen wie auch dessen Stattgabe“ nach rechtskräftiger Aburteilung. 585 Zur vollständigen Verankerung in Art. 103 III GG Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, Rn. 7.
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Tatverdacht dem verfahrensführenden Staat überlassen werden kann und sollte.586 In diesem Sinne erweist sich die Regelung des § 15 IRG als sachgerecht, wonach beide Haftgründe im ersuchten Staat zu prüfen und rechtlich zu würdigen sind, die Verdunkelungsgefahr aber dergestalt, dass die zugrundeliegenden Tatsachen vom ersuchenden Staat zu sammeln und zur Überzeugung des ersuchten darzulegen sind.587 Die Vorschrift gilt im Unterschied zu weiten Teilen des IRG mangels abweichender Sonderregelungen auch im Geltungsbereich spezieller Rechtshilfeverträge und zwischen EU-Staaten.588 Wie sich schon an der unterschiedlichen Struktur der Haftgründe zeigt, kann keine allgemeingültige Aussage über Umfang und Grenzen der Überprüfung im ersuchten Staat getroffen werden; entscheidend ist, dass dieser den Eingriff verantwortet und deshalb grundsätzlich seinen prozessunabhängigen Schranken umfassend unterworfen ist und die im Einzelnen mögliche Übernahme von Annahmen aus dem ersuchenden Staat einer sachlichen Rechtfertigung bedarf. (3) Richterliche Verantwortung Vorstehend wurde der Umfang der Prüfung skizziert, der im ersuchten Staat zur umfassenden Legitimation eines Eingriffs bestehen sollte; die Verantwortung dafür und für weitere Eingriffsvoraussetzungen ist nicht selten von Rechts und sogar von Verfassungs wegen für den Richter reserviert. Ein solcher, Unabhängigkeit und Sorgfalt der Entscheidung verbürgender Richtervorbehalt ist, wenn er prozessunabhängige Gefahren einzuhegen bestimmt ist,589 selbst ein entscheidender Teil der prozessunabhängigen Freiheitsgarantien und der Preis, den eine Rechtsordnung für ein rechtsstaatliches Verfahren zu zahlen bereit ist; konsequenterweise ist er deshalb
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Ähnlich, aber bei der Verdunkelungsgefahr auf eine Schlüssigkeitsprüfung im ersuchten Staat beschränkt, die differenzierende Lösung in: Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, Art. 11 II (S. 23), dazu Frände, ibid., S. 141, 145 (der weitere dort angesprochene – im IRG aber fehlende – Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist richtigerweise kein Teil des Strafverfahrens i.S. der Verfolgung einer vergangenen Tat, SK-Paeffgen, § 112 a Rn. 1 ff. m.w.N.). Die eigene Verantwortung des Richters im ersuchten Staates betont auch Vogler, Auslieferungsrecht, S. 255. Zumindest die Berücksichtigung der Einschätzung einer (sachnäheren) Behörde des ersuchten Staates wird angemahnt von der European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 414. 587 Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 15 IRG Rn. 17 ff., 23 f. Zur Überprüfung im ersuchten Staat S. 148 ff. 588 Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 15 IRG Rn. 2. Siehe aber für eine „großzügige“ Anerkennung und Vollstreckung eines EuHB (mittels Festnahme, wie im Rb bestimmt) und erst anschließende Geltung des innerstaatlichen Rechts (für den Vollzug „als solchen“) OLG Stuttgart, NJW 2007, 613, 615; dagegen Hackner, in: S/L/G/H, § 78 IRG Rn. 20. 589 Dazu S. 141 ff.; abweichend davon können Richtervorbehalte auch dazu dienen, die zuverlässige Durchführung einer Vernehmung (im Ermittlungsverfahren) zu sichern und damit erst später im Verfahren (innerprozessuale) Bedeutung gewinnen (dazu am Beispiel des Falles Stojkovic S. 88).
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auch in transnationalen Fällen einzuhalten.590 Das bedeutet einerseits, dass im ersuchten Staat die Entscheidung über eine Festnahme, Durchsuchung, TKÜ, zwangsweise Vorführung eines Zeugen (§ 51 III StPO) etc. ebenso wie in einem nationalen Verfahren dem Richter vorbehalten bleiben muss; dessen Kognition kann (und sollte zweckmäßigerweise) aus sachlichen Gründen eingeschränkt werden, soweit es um den Tatverdacht geht (S. 145 ff.), nicht aber bezüglich sonstiger Eingriffsvoraussetzungen wie etwa der Fluchtgefahr oder der (abstrakten) Schwere des Tatvorwurfs.591 Andererseits sind etwaige Richtervorbehalte auch für die Anforderungen bedeutsam, die an die Entscheidung des ersuchenden Staates zu stellen sind: Die sachlichen Gründe für die Anerkennung von dessen (Tatsachen-)Entscheidung tragen zwar insoweit, als dieser sachnähere Staat besser über die verdachtsbegründenden Tatsachen befinden kann, aber nicht weiter; insbesondere können sie es nicht rechtfertigen, dem Bürger dasjenige, was ihm der ersuchte Staat grundsätzlich nur aufgrund richterlicher Entscheidung abverlangt, aufgrund einer ausländischen Entscheidung niederer Dignität zuzumuten. Jede Übertragung der Entscheidungskompetenz muss einhergehen mit der Wahrung qualitativer Anforderungen an die jeweilige Entscheidung, weshalb ein „prozessunabhängiger Richtervorbehalt“ dahingehend fortwirken muss, dass er auch vom ersuchenden Staat eine richterliche Entscheidung einfordert.592 2. Innerprozessuale Gefahren und die Schranken des verfahrensführenden Staates (lex fori) In Abgrenzung zu den prozessunabhängigen wurden die innerprozessualen Schranken teilweise bereits ex negativo umrissen: Es sind diejenigen Vorschriften – namentlich zur Beweiserhebung –, die auf die weitere prozessuale Verarbeitung bezogen und deshalb daran zu erkennen sind, dass sie spezifisch zugunsten von Prozesssubjekten, nicht umfassend und drittschützend wirken.593 Freilich schließt der prozessunabhängige Charakter eine weitere innerprozessuale Bedeutung nicht aus, 590
Ebenso Heydenreich, StraFo 2012, 439, 443; für die Durchsuchungsanordnung im Lichte von Art. 13 GG: Esser, FS Roxin, 2011, S. 1497, 1501 f. Die Ausnahmesituation der Gefahr im Verzug, die eine Eilkompetenz der Exekutivbehörden rechtfertigen kann, kann in einem transnationalen Fall, wo die Entscheidung über den Eingriff ex praemissione fern vom Ort dessen Vornahme und durch eine andere Behörde getroffen wird, kaum auftreten. 591 Für eine Wahrung des Richtervorbehalts zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Benehmen mit der Behörde des ersuchenden Staates (bzw., im Kontext der Europäischen Ermittlungsanordnung: des Anordnungsstaats) auch Böse, ZIS 2014, 152, 159. 592 Esser, FS Roxin, 2011, S. 1497, 1500 f. spricht im Zusammenhang mit (für den innerstaatlichen Richter) verbindlichen Anordnungen ausländischer Staatsanwaltschaften oder sogar Polizeibehörden von einem „verfassungsrechtlich unhaltbare[n] Angriff auf traditionelle rechtsstaatliche Kontrollmaximen“. Zu den Haftgründen s. o. S. 167, zu Erheblichkeitsschwellen für bestimmte Eingriffe s. o. S. 156. 593 Dazu, insb. zum Drittwirkungs-Test S. 133 ff.
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weshalb auch (hier sogenannte) „doppelfunktionelle Schranken“ auftreten (S. 173 f.). Nach der allgemeinen Definition der innerprozessualen Schranken als derjenigen, die aus der prozessualen Verarbeitung erwachsende Gefahren einhegen (S. 126), sind zu dieser Kategorie alle die Regeln und Gewährleistungen zu rechnen, die diese Verarbeitung (potentiell) zugunsten des Beschuldigten beeinflussen, d. h. sie ausschließen oder dem Beschuldigten die Möglichkeit der Einflussnahme geben. Neben den oben (S. 138 ff.) angesprochenen Zeugnisverweigerungsrechten, die zugunsten des Beschuldigten die Wahrheitsfindung beschränken, gehören dazu v. a. das Schweigerecht des Beschuldigten, das Konfrontationsrecht sowie sein Recht, sich eines Verteidigers zu bedienen (dazu noch S. 184 ff.). a) Bindung an die lex fori Die innerprozessualen Gefahren sind also dadurch charakterisiert, dass sie sich erst im weiteren Verlauf des Verfahrens, im Laufe der Wahrheitsfindung entwickeln und (ggf. in einem Schuldspruch) verdichten. Sie sind deshalb unauflöslich mit diesem Verfahren verbunden, weshalb die einzig konsequente Lösung darin besteht, ihre Schranken der Rechtsordnung zu entnehmen, in der sie im Laufe des Verfahrens relevant werden, d. h. derjenigen des verfahrensführenden Staates. Das entspricht dem gegenwärtig im Vordringen befindlichen Prinzip lex fori regit actum oder forum regit actum.594 Wegen dieses Bezugs ist es umgekehrt unerheblich, ob die innerprozessualen Schranken des ersuchten Staates eingehalten werden.595 Denn dieser Staat muss sich zwar an die selbst auferlegen Schranken halten, die ihn ohne Rücksicht auf prozessuale Weiterungen binden (dazu S. 127 ff.); soweit es aber nur um den innerprozessualen Raum geht, ist die Frage, ob er einen Beweis in derselben Form für ein (rein hypothetisches) eigenes Strafverfahren in verwertbarer Form erheben könnte, ohne Belang (s. aber noch S. 175 f.). Es kommt also nur auf die innerprozessualen Schranken an, die zur Einhegung der realen innerprozessualen Gefahren berufen sind, also derjenigen, die mit der pro594 Dafür Böse, ZStW 114 (2002), 148, 181; Gless, ZStW 125 (2013), 573, 583 (zur Entwicklung der Rechtsprechung), 592 ff. (für einen „geläuterte[n] lex-fori-Ansatz“, dazu noch S. 173 f.,178 f., 190); Perron, ZStW 112 (2000), 202, 208; zur Meinung im Vorkolloquium des XVI. AIDP-Kongresses Vogel, ZStW 110 (1998), 974, 977; zur (ansatzweisen) Umsetzung in bestehenden Rechtsinstrumenten s. Art. 4 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-RhÜbk), ABl. EG Nr. C 251 v. 2. 9. 1999, 1; zu den jüngeren EU-Rechtsakten S. 271 ff. 595 So für die Verlesung eines ausländischen Vernehmungsprotokolls im deutschen Verfahren auch BGH NStZ 1985, 376; KK-Gmel, § 223 Rn. 25; LR-Jäger, § 223 Rn. 39. Der hiesige Ansatz geht insofern einen Schritt weiter, als die Einhaltung innerprozessualer Schranken des ersuchten Staates schon bei dessen Eingriff irrelevant (oder zumindest verzichtbar) ist, nicht erst für die spätere Verwertbarkeit im ersuchenden Staat.
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zessualen Verarbeitung im verfahrensführenden Staat zusammenhängen. Deshalb ist es folgerichtig, dass diese Verarbeitung auch nach dessen Rechtsordnung zu bestimmen ist, namentlich ob die etwaige Nichteinhaltung solcher Schranken ein Beweisverwertungsverbot zur Folge hat.596 Damit ist aber noch nichts über die inhaltlichen Kriterien dieser Entscheidung gesagt; in der Konsequenz der unterschiedslosen Anwendung der innerprozessualen Schranken des verfahrensführenden Staates liegt es, die selben Kriterien heranzuziehen wie in dessen nationalen Verfahren.597 b) Der Zusammenhang mit der Verwertungsfrage Die innerprozessualen Schranken sind also der Verwertungsrechtsordnung zu entnehmen und dort maßgeblich von der Verwertungssituation her zu denken und zu bestimmen. Sie fungieren als (vorweggenommene) Schranken der Wahrheitsfindung, weshalb ihre Verletzung in der Regel einer Verwertung entgegen stehen sollte,598 wenn sie nicht geheilt werden kann.599 596 So auch der nahezu unbestrittene Ansatz der deutschen Rechtsprechung, s. zuletzt BGHSt 58, 32, 36 m.w.N. 597 Zur inhaltlichen Maßgeblichkeit der Rechtsordnung des ersuchenden Staates für die Verwertbarkeit s. Gleß, FS Grünwald (2008), 197, 207 ff., 210, hauptsächlich unter dem Aspekt der Zuverlässigkeit der Wahrheitsfindung; unter Betonung auch von deren Fairness dies., Beweisrechtsgrundsätze, S. 149 ff., 414 ff., 416; dies., JR 2008, 317, 321; ferner dies., ZStW 125 (2013), 573, 607. Tendenziell auch BGHSt 58, 32, 47 ff., freilich anhand der Sondervorschrift des § 477 II 2 StPO, die mit der Figur des „hypothetischen Ersatzeingriffs“ selbst die eigenen Erhebungsvoraussetzungen in Bezug nimmt (dazu noch u. Fn. 600). Die im Übrigen (noch) verbreitete „Beweiswürdigungslösung“, die die Erhebung nach den Vorschriften des Erhebungsstaates für selbstverständlich nimmt und Abweichungen von der deutschen Rechtslage „pragmatisch“ bei der Beweiswürdigung löst (s. nur BGHSt 1, 219, 221; 2, 300, 304; OLG Hamm DAR 1959, 192, 193; BGH NStZ-RR 2002, 67 [Nr. 10]; Rose, NStZ 1998, 154 f.; Nagel, NStZ 1998, 148 f. [der aber bereits „einen schon in der bisherigen Rechtsprechung vorgezeichneten Trend“ zur Erhebung de lege fori konstatiert]; krit. Sommer, StraFo 2003, 351, 354 mit zahlreichen weiteren Nachweisen sowie Gleß ZStW 115 [2003], 131, 134 f.; dies., JR 2008, 317, 320 f. [Fiktion der rechtmäßigen Erhebung, die die unselbständigen Beweisverbote „in gewisser Weise ins Leere“ laufen lasse]) ist demgegenüber nur als Zugeständnis an die überwiegende, nach dem Grundsatz „lex loci regit actum“ vorgehende Rechtshilfepraxis erklärund (wenn überhaupt) legitimierbar und hat unter der prozessstrukturell angezeigten Geltung des Prinzips der lex fori keine Berechtigung. Weil es dabei nur auf innerprozessuale Schranken ankommt, droht auch keine Überfrachtung der Verwertungsfrage mit den – hier irrelevanten – prozessunabhängigen Schranken des ersuchenden Staates (S. 190 f.). 598 Aus dem Konzept der innerprozessualen Schranken könnten wohl auch Schlüsse für die Beweisverbotslehre gezogen werden, was hier zwar nicht gebührend entwickelt werden kann, aber immerhin punktuell in Abgleich mit dem positiven Recht und seiner Anwendung in der BRD rekonstruiert wurde (s. etwa S. 138 ff. anhand der unterschiedlichen Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrechte). Dabei würden, wegen des ähnlichen Ausgangspunkts, Gemeinsamkeiten mit der Lehre von den doppelfunktionellen Prozesshandlungen bestehen (S. 129 f.); eine gewisse Nähe bestünde ferner zur Schutzzwecktheorie (grdl. Grünwald, JZ 1966, 489 ff.; ders., Beweisrecht, S. 143 ff.), wobei aber vorliegend primär anhand der Gefahren des Prozesses, nicht der Schranken selbst, differenziert wird (S. 141 f.). Deshalb wird,
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Darüber hinaus kann eine Rechtsordnung die Verwertbarkeit von Beweismaterial in weiterem Maße einschränken und damit innerprozessuale Schranken schaffen, die nicht bereits zwingend aus der Struktur der Erhebungsnormen folgen. Weil es um die prozessuale Verarbeitung geht, sind auch solche spezifischen Vorschriften über die Verwertbarkeit von Bedeutung: Wenn eine Rechtsordnung vorsieht, dass unter bestimmten Bedingungen erlangte Informationen nicht in den Prozess der Wahrheitsfindung einfließen dürfen,600 so kommt darin eine Wertung zum Ausdruck, die entgegen Grünwald, JZ 1966, 489, 495, nicht angenommen, dass jeder Eingriff in die Rechtsgüter des Beschuldigten zu einem Verwertungsverbot führen müsse. Wie sich bei Grünwald selbst (JZ 1966, 489, 495 m. Fn. 61) in der ausdrücklichen Auseinandersetzung mit der doppelfunktionellen Betrachtungsweise zeigt, gestattet die direkte Frage nach dem Schutzzweck keine Differenzierung zwischen allgemeinen Schranken einer Durchsuchung und der entgegen § 97 I StPO erzwungenen Herausgabe von einem Zeugnisverweigerungsberechtigten; diese lässt sich aber vornehmen, wenn man zwischen einer prozessunabhängigen Gefahr mit ihren allgemeinen Schranken einerseits und spezifischen innerprozessualen Gefahren andererseits differenziert, deren Schranken dann ebenso innerprozessual wirken (s. o. S. 133 ff.). In die erste Kategorie gehören die allgemeinen Voraussetzungen der Durchsuchung (S. 141 f.), in die zweite die Schranke des § 97 I StPO, soweit sie die Verlängerung einer ihrerseits innerprozessualen Schranke ist (ebenso Eb. Schmidt, Lehrkommentar II, § 94 Rn. 14; Niese, Doppelfunktionelle Prozesshandlungen, S. 140 f.; die hieran von Jäger, Beweisverwertung, S. 97 geübte Kritik geht ins Leere, weil die nicht mit einem Verwertungsverbot bewehrten Aussageverweigerungsrechte keine Verlängerung in § 97 StPO finden; zum Ganzen S. 138 ff.), also namentlich für die §§ 52 – 53a StPO. Dieser mittelbare Zugriff auf den Schutzzweck erlaubt also dessen genauere (nicht an den unmittelbaren Eingriffsgegenstand, sondern an die relevanten Gefahren geknüpfte) Bestimmung und kann Differenzierungen plausibel erklären. Zur konkretisierenden Anwendung dieses Ansatzes wird als Test die Frage nach der Drittbezogenheit angeboten (S. 133 ff.) und ergänzend der Versuch unternommen, den innerprozessualen Schutzzweck aus der Struktur der Maßnahmen abzuleiten (S. 173 f.). 599 Ggf. in Anlehnung an die Übertragung von ursprünglich rechtmäßig unter einer anderen Rechtsordnung gewonnenen Beweisen, s. u. bei Fn. 614. 600 Ein Beispiel findet sich in der deutschen Rechtsordnung in Gestalt von § 477 II 2 StPO, der vorschreibt, dass Erkenntnisse aus einer Maßnahme, die nur für Katalogtaten angeordnet werden darf, in anderen Verfahren auch nur zur Verfolgung von Katalogtaten verwendet werden darf. Das betrifft neben der TKÜ etwa den Einsatz eines verdeckten Ermittlers (§ 110a StPO) oder die Wohnraumüberwachung (§ 100c StPO). Ob die Norm insofern nicht nur klarstellende Funktion hat und diese Schranken bereits aus sich heraus auch innerprozessualen Anspruch erheben (dazu S. 173 ff.), sei hier dahingestellt (in dieser Richtung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG, die eine solche Verwendungsbeschränkung nach dem „Prinzip des hypothetischen Ersatzeingriffs“ für heimliche und besonders intensive Eingriffe angenommen hat, aber letztlich wegen der klaren alten Rechtslage gegen ein allgemeines Prinzip: SK-StPO/ Weßlau, Loseblatt, 41. Aufbau-Lfg., § 477 Rn. 17). Auch dass § 477 II 2 StPO nur für die Verwendung zu Beweiszwecken in einem anderen Strafverfahren gilt (LR-StPO/Hilger, § 477 Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, § 477 Rn. 5; SK-StPO/Weßlau, § 477 Rn. 22), ist hier ohne Bedeutung, weil es um die normative Entscheidung geht, dass die Verwertung qualifizierten Anforderungen unterliegt: diese Entscheidung, die die betreffenden Schranken innerprozessual „auflädt“, muss im Vorgriff die Behörden des verfahrensführenden Staates auch dann anleiten, wenn er Beweise im Rechtshilfeweg anfordert. Zu sonstigen speziellen gesetzlichen Verwendungsregelungen der StPO s. Weßlau a.a.O. Rn. 9 ff. m.w.N. § 477 II 2 bestätigt als Ausnahme die Regel, wonach die (prozessunabhängigen) Schranken der jeweiligen Maßnahme grundsätzlich für die Verwertung irrelevant sind (so sind Zufalls-
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unabhängig vom Ort der Beweiserhebung ist und auch sein sollte. Solche Erwägungen müssen dementsprechend zu den innerprozessualen Schranken gerechnet werden und bereits die Anordnung einer im Rechtshilfewege vorzunehmenden Maßnahme prägen, weil die Erhebung eines unverwertbaren Beweises in der Rückschau als illegitimer Eingriff erscheint und deshalb von vornherein vermieden werden muss.601 Im Ergebnis sind die innerprozessualen Schranken also die Summe aus solchen, die sachlich zwingend sind (und, wie gezeigt, oftmals zutreffend von Lehre und Praxis mit Verwertungsverboten und Revisibilität bewehrt werden wie Selbstbelastungsfreiheit und gewisse Zeugnisverweigerungsrechte [o. S. 138 ff.]), und solchen, die (darüber hinaus) von der Rechtsordnung ausdrücklich statuiert werden (in Gestalt ihrer Bewehrung mit einem gesetzlichen Verwertungsverbot). Die innerstaatlich gefestigte Dogmatik der Beweisverwertungsverbote kann demnach wegen der gemeinsamen ratio in Gestalt der rechtlichen Einhegung prozessualer Wahrheitsfindung eine wertvolle Erkenntnisquelle für die Bestimmung der innerprozessualen Schranken bieten: Ein durch Auslegung bestimmtes oder explizit gesetzlich vorgeschriebenes Beweisverwertungsverbot zeugt davon, dass die ihm zugrundeliegende Schranke innerprozessualen Charakter hat.602 c) Doppelfunktionelle Prozesshandlungen – Doppelfunktionelle Schranken Anhand des Beispiels der „Narkoanalyse“ (S. 129 f.) war bereits die Rede davon, dass sog. doppelfunktionelle Prozesshandlungen, die sowohl im „materiellen Raum“ als auch im innerprozessualen Raum wirken, Schranken zugleich wegen prozessunabhängiger Gefahren und im Interesse der Wahrheitsfindung unterliegen können. Ähnlich stellt sich die Situation bei der Telekommunikationsüberwachung dar, wie sie in der deutschen Rechtsordnung einerseits prozessunabhängig eingehegt ist (S. 136), andererseits mit der Verwertungsschranke des § 477 II 2 StPO innerprozessualen Beschränkungen unterliegt. Aber auch abgesehen von dieser ausdrücklichen gesetzlichen Regelung ist das Beispiel der Telekommunikationsüberwachung erhellend, soweit es um die sachlichen Gründe einer solchen Kumulation geht: Bei ihr sind nämlich (wie auch im Fall der „Narkoanalyse“) die beiden Sphären nicht zu funde aus Durchsuchungen verwertbar, ohne dass es darauf ankommt, ob eine Durchsuchung zur Auffindung des betreffenden Gegenstands hätte angeordnet werden können), es sei denn, sie sind auch innerprozessualer, also doppelfunktioneller Natur, dazu S. 173 ff. 601 Zu dieser Umkehrung des Verhältnisses zwischen (vermeintlich) primären Erhebungsverboten und (vermeintlich) sekundären Verwertungsverboten s. auch S. 96 f. m.w.N. Die (explizite oder implizite) Bewehrung mit einem Verwertungsverbot ist also (möglicherweise nicht notwendige, aber) hinreichende Bedingung für die Annahme einer innerprozessualen Schranke. 602 Es dient dabei als ratio cognoscendi, bildet aber nicht die ratio essendi der innerprozessualen Qualität.
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trennen, geht es nicht um eine (potentiell beweisgeeignete) Information, die in einem bestimmten Bereich enthalten und gleichwohl von diesem ablösbar wäre (wie eine Sache in einer Wohnung), sondern die Information bildet den Kommunikationsvorgang, es fallen hier also die Gegenstände von innerprozessualer und prozessunabhängiger Gefahr zusammen,603 weshalb es nur konsequent ist, dass auch ihre Schranken zusammenfallen. Ähnlich stellt sich die Situation bei den Zeugnisverweigerungsrechten bestimmter Berufsausübender dar, wie sie in der deutschen StPO geregelt ist: Zwar schützen §§ 53, 53a StPO bereits prozessunabhängig (S. 138 f.), aber der Gegenstand dieses Schutzes ist jedenfalls insoweit auch innerprozessual bedeutsam, als es dabei um durch den Beschuldigten im Rahmen des Vertrauensverhältnisses vermittelte Kenntnisse geht;604 insofern ist auch eine innerprozessuale Wirkung der Schranken angemessen.605 In solchen Fällen, in denen Gegenstand des Eingriffs und Informationsträger zusammenfallen, sind es also dieselben Schranken, die sowohl innerprozessuale als auch prozessunabhängige Schutzwirkung entfalten und die insofern als „doppelfunktionelle Schranken“ bezeichnet werden können. In diese Kategorie gehören kraft Gesetzes auch jene an sich bereits prozessunabhängigen Schranken, die durch ein ausdrückliches Verwertungsverbot innerprozessual „aufgeladen“ werden (S. 172), wie die qualifizierten Eingriffsschwellen durch § 477 II 2 StPO. Auch hier kann in manchen Fällen606 argumentiert werden, dass eine (allgemein nur ausnahmsweise zulässige) „Ausforschung“ stattfinde, bei der geschützter und erlangter Gegenstand (die „erschlichene“ Information) zusammenfallen, so dass sie schon ihrer Natur nach eine Verwertung fehlerhaft erlangter Erkenntnisse und deshalb, antizipierend, schon deren Erhebung (S. 96 f.) ausschließen müsse; jedenfalls aber hat (im Beispiel) der deutsche Gesetzgeber mit der Verwendungsbeschränkung einen innerprozessualen Gehalt dieser Schranken deutlich fixiert, der grundsätzlich auch respektiert werden muss, wenn Beweise im Wege der Rechtshilfe beschafft werden (s. o. S. 170 f.): Ein Staat kann nicht über die
603 Siehe Maunz/Dürig-Durner, Art. 10 Rn. 121: Auch die Verwertung ist ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG. 604 Denn exakt dieses soll vor Ausforschung geschützt werden. Darin liegt ein entscheidender Unterschied gerade zu den §§ 54, 55 StPO, die andere, dem Beschuldigten fremde Interessen schützen, und streng genommen auch zu jenen Konstellationen der §§ 53, 53a StPO, die nicht die vertrauliche Kommunikation zwischen Beschuldigtem und Berufsausübendem betreffen (d. h. Drittgeheimnisse, s. auch die folgende Fn.). 605 Sowie – nach hier vertretener Ansicht – ggf. ein Beweisverwertungsverbot. Weiter geht die h.M., wenn sie aus bestimmten Verstößen gegen §§ 53, 53a auch dann (revisible) Verwertungsverbote ableitet (Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 50 m.w.N.), wenn sie Drittgeheimnisse betreffen. 606 Etwa beim Einsatz eines verdeckten Ermittlers (§ 110a StPO) oder der Wohnraumüberwachung (§ 100c StPO u. dazu Maunz/Dürig-Papier, Art. 13 GG Rn. 88: Verwertung als eigenständiger Grundrechtseingriff), im Gegensatz zur Durchsuchung, bei der der Zusammenhang zwischen Eingriffsziel (Sache) und räumlicher Privatsphäre loser ist.
II. Die Rechtsstellung des Individuums
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selbst auferlegten Grenzen der Wahrheitsfindung hinaus im Ausland nach Beweisen „fischen“ gehen. d) Prozessuale Verarbeitung, Verstoß gegen die lex fori und das Problem des Forum-Wechsels Die Verwertung als Beweismittel, die nach der Rationalität des Strafverfahrens den einzigen Zweck der Erhebung bildet, muss also maßgeblicher Bezugspunkt des Beweiseingriffs sein.607 Im rein innerstaatlichen Verfahren bereitet dies im Regelfall keine besonderen Schwierigkeiten, weil ein konsistentes System vorliegt und schon die Vorschriften über die Beweiserhebung den Schranken der Wahrheitsfindung Rechnung tragen, die sich der jeweilige Hoheitsträger auferlegt hat. In einem transnationalen Verfahren, in welchem Erhebung und Verwertung in unterschiedliche Rechtsordnungen fallen, kann dem durch Erhebung de lege fori Rechnung getragen und eine „reibungslose“ Verwertung ermöglicht werden. Schwierigkeiten ergeben sich aber, wenn die forum-Rechtsordnung bei der Erhebung nicht angewandt wurde – entweder, weil sie vom ersuchten Staat nicht respektiert wurde608 oder weil sich die maßgebliche Rechtsordnung nach der Beweiserhebung geändert hat, sei es, dass die betreffenden Beweise unabhängig von einem Rechtshilfeersuchen gesammelt worden waren, sei es, dass das Verfahren nachträglich vom ersuchten oder einem dritten Staat übernommen wurde (Beispiel: Ermittlung in Deutschland ohne Belehrung und Anwalt für einen Staat, der eine ganz strikte Trennung zwischen Ermittlungs- und Hauptverfahren ohne jede Aktenkenntnis des erkennenden Richters vorsieht, und anschließende Übernahme des Verfahrens durch Deutschland609). Die Rechtsstellung des Beschuldigten kann durch eine Verknüpfung verschiedener Verfahrensordnungen empfindlich leiden, namentlich wenn, wie in dem Beispiel, schwache Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren in der ersten Rechtsordnung nicht auf die dort vorgesehene Kompensation im Hauptverfahren treffen, sondern auf eine ihrerseits schwache Rechtsposition im Hauptverfahren der zweiten Rechtsordnung, die dafür im Ermittlungsverfahren ausgeprägte Rechte kennt.610 In diesen Fällen entfällt also der Zusammenhang zwischen Erhebungs- und Verwertungsrechtsordnung, die „Geschäftsgrundlage“ für die selbstverständliche Verarbeitung der gewonnenen Beweise. An der entscheidenden Perspektive der 607
s. o. S. 171 ff.; ferner Gleß, Beweisrechtsgrundsätze, S. 416; dies., JR 2008, 317. Zu diesem Problem unter fair-trial-Aspekten eingehend S. 95 ff. 609 Für eine generelle Belehrungspflicht über das Schweigerecht in Deutschland als ersuchtem Staat, weil ein innerstaatliches Strafverfahren eingeleitet werden könne: S/L/G/H, Einl. Rn. 141. 610 Ambos, ZIS 2010, 557, 559 f.; Gleß, Beweisrechtsgrundsätze, S. 142 ff.; dies., ZStW 125 (2013), 573, 574; Roger, GA 2010, 27, 41. Bildlich Gless, ZStW 125 (2013), 573, 580: „Dadurch entsteht die Gefahr, dass Individualrechte, insbesondere Beschuldigtenrechte, in eine Lücke zwischen die Rechtsordnungen fallen.“ 608
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prozessualen Verarbeitung im (neuen) verfahrensführenden Staat ändert sich aber nichts: Dieser führt den Prozess der Wahrheitsfindung durch und muss dabei an die Schranken gebunden sein, die er sich für ebendiesen Prozess auferlegt hat.611 Der Grund für die unterschiedslose Geltung der innerprozessualen Schranken des verfahrensführenden Staates liegt in der künftigen Verarbeitung im Prozess (S. 170 f.) und entfällt nicht damit, dass sie bei der Erhebung nicht eingehalten wurden oder gar nicht – weil noch nicht maßgeblich – eingehalten werden konnten. Auch ist es in der (rechtsstaatlich elementaren) individualschützenden ratio dieser Schranken nicht angelegt, dass es für die Verwertungsfrage auf ein staatliches Verschulden bei ihrer Verletzung ankomme.612 Grundsätzlich sollte deshalb diese Frage bei Beweisen, die unter Geltung einer anderen Rechtsordnung gewonnen wurden, nicht anders beurteilt werden als bei solchen, die schon unter „offenem“ Verstoß gegen die innerprozessualen Schranken des forum-Staates gewonnen wurden, d. h. deren Verletzung grundsätzlich Unverwertbarkeit bedingen, wenn der Mangel nicht geheilt werden kann.613 Dass dabei die Rechtsordnung des ersuchten Staates nicht umfassend durch den ersuchenden überprüft wird und keine sachwidrige Ausweitung von dessen Schranken erfolgt,614 wird im ersten Schritt, der Bestimmung der relevanten Schranken (das sind hier nur die innerprozessualen) sichergestellt. Speziell für die Verwertung von Ermittlungsergebnissen, die nicht aufgrund eines Rechtshilfeersuchens gewonnen wurden, hat der BGH entschieden, dass sie sich nach den Maßstäben der lex fori bemisst.615 Das überzeugt im Ausgangspunkt ebenso 611
Ähnlich zum Zusammenhang mit der Verwertungsrechtsordnung: Gless, ZStW 125 (2013), 573, 579: „Kein Grund für die Annahme, dass die von der deutschen StPO gewährten Rechte der Verteidigung im deutschen Strafverfahren nur deshalb von der Bildfläche verschwinden, weil ein Beweis im Ausland erhoben wird.“ 612 Siehe bereits S. 128 f. für die prozessunabhängigen Schranken: Ebenso wie dort das Argument der Disziplinierung der Behörden fehl geht (abgesehen von extremen Fällen), geht es auch hier nicht primär darum, behördliches Fehlverhalten zu sanktionieren, sondern um die individualschützenden Grenzen der Wahrheitssuche, die auch für rein objektive Abweichungen empfindlich sind. Deshalb wäre es auch hier unangebracht, ein Verschulden oder auch nur einen Handlungsunwert zur Voraussetzung eines Verwertungsverbots zu machen (anders Schuster, Verwertbarkeit, S. 57 ff., 99, 105; ähnlich wie hier Gleß, FS Grünwald (1999), S. 197, 207 ff.; Grünwald, Beweisrecht, S. 144 ff.; differenzierend Böse, ZStW 114 [2002], 148, 153 ff., der v. a. für die Verwertung von Vernehmungsprotokollen nicht auf die richterliche Erhebung abstellt, sondern auf materielle Kriterien, die er aber in typologischer Sichtweise für teilweise verzichtbar hält; dagegen zutreffend Gleß, FS Grünwald, S. 197, 210 f.). 613 Siehe dazu die Vorschläge für einen Transfer von Beweisen, die unter einer anderen Rechtsordnung gewonnen wurden, bei Gleß, Beweisrechtsgrundsätze, S. 411 ff. und passim; dies., JR 2008, 317, 321. Sie hält eine solche Übertragung in einem speziellen Verfahren für möglich, betont aber, dass eine abschließende gesetzliche Regelung (Beweisrechtsgrundsätze, S. 418) erforderlich ist, die einen adäquaten Interessenausgleich erzielen muss (S. 420). Neben einer solchen Regelung (und damit auch in ihrer Abwesenheit) sei ein Transfer unzulässig (S. 418). 614 BGHSt 2, 300, 304 postuliert gar die Unmöglichkeit der Einhaltung der eigenen „Förmlichkeiten“ bei Beweiserhebungen im Ausland. 615 BGHSt 58, 32, 43 f. (implizit).
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wie (grundsätzlich) im Umfang der Prüfung der kritischen Frage der Eingriffsschwelle:616 Der BGH fragt, ob § 477 II 2 StPO eine Verwertung im Strafverfahren zulässt und hebt damit auf die spezifischen innerprozessualen Schranken der Verwertungsrechtsordnung ab.617 Diese Vorschrift erlaubt im Ergebnis eine Art „Heilung“ bezüglich der (erhöhten) Eingriffsschwelle, insofern als das Verfahrensrecht zum Zeitpunkt des beabsichtigten Transfers des Beweises maßgeblich ist;618 für andere innerprozessuale Schranken gilt dies allerdings nicht, so dass etwa eine eigenmächtig von der Polizei ohne richterlichen Beschluss durchgeführte Telefonüberwachung als „unheilbar“ fehlerhaft angesehen werden müsste.619 Entscheidend ist im Fall des § 477 II 2 weiter, dass die Daten rechtmäßig gewonnen wurden.620 Dabei ist es (unbeschadet der einzuhaltenden innerprozessualen Gewährleistungen, s. o.) grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der BGH meint, die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Beweiserhebung im Ausland nach ausländischem Recht sei in der deutschen Hauptverhandlung nur eingeschränkt überprüfbar. Damit der Beschuldigte aber nicht wegen der transnationalen Dimension schlechter steht, ist es entsprechend dem Prinzip der staatlichen Gesamtschuld (S. 103 ff., 109 ff., 112 f.) unverzichtbar, dass die rechtliche Kontrolle, soweit sie der Natur der Sache entsprechend in dem einen Staat zurückgefahren wird, in dem anderen gleichwertig eröffnet ist, hier also, dass in dem verfahrensführenden Staat 616 Im Fall ging es um Ergebnisse einer Telefonüberwachung, die für die betreffende Tat im erhebenden Staat (Tschechien) zum Zeitpunkt der Erhebung, in Deutschland aber erst danach (durch zwischenzeitliche Erweiterung des Katalogs von § 100a StPO) angeordnet werden durfte. 617 Für dessen Anwendung auch auf Auslandsbeweise: Meyer-Goßner/Schmitt, § 477 Rn. 7; zu seiner innerprozessualen Qualität S. 171 f. 618 Zum maßgeblichen Zeitpunkt Meyer-Goßner/Schmitt, § 477 Rn. 7a. Insofern bedarf es nicht der von Swoboda, HRRS 2014, 10 ff., 20 f. dem BGH-Beschluss subintelligierten Unterwerfung unter die Vorgaben des (nie umgesetzten) Rahmenbeschlusses über die europäische Beweisanordnung, sondern ist die Entscheidung aus der Struktur des Prozesses heraus schlüssig. Die im Übrigen geltend gemachte Missachtung von (Form-)Vorschriften des Rechtshilfeübereinkommens (dazu krit. Zehetgruber, NZWiSt 2013, 458 ff.) weist prima facie keinen eigenständigen innerprozessualen Gehalt auf und muss deswegen eine Verwertung wohl nicht hindern. Zur behaupteten Rechtswidrigkeit der tschechischen Abhörbeschlüsse s. sogleich im Text. 619 Zur (zumindest auch) innerprozessualen Bedeutung des Richtervorbehalts für eine solche sog. doppelfunktionelle Prozesshandlung s. u. S. 190, am Beispiel des Falles Stojkovic, S. 88. Zur verwandten Frage des innerstaatlichen Verwertungsverbots bei Missachtung des Vorbehalts Meyer-Goßner/Schmitt, § 100a Rn. 35 m.w.N. 620 Meyer-Goßner/Schmitt, § 477 Rn. 9 (der aber bei rechtswidriger Gewinnung kein Verwertungsverbot, sondern eine Abwägung vorschlägt); Singelnstein, ZStW 120 (2008), 854, 888 f. m.w.N. (überzeugend für ein Verwertungsverbot, jedenfalls in Ermangelung eines klaren Prüfprogramms für die Zulässigkeit der Verwertung bemakelter Daten; insofern ähnlich den Anforderungen von Gleß an die Heilung, o. Fn. 613). Indem auf die Rechtmäßigkeit im erhebenden Staat abgestellt wird (während die Vorschrift an sich auf Daten aus einem deutschen Strafprozess zugeschnitten sind, SK-Weßlau, § 477 Rn. 23), erfolgt i.Ü. eine (auch pragmatische) Anpassung an die transnationale Dimension, die sachlich begründet und deshalb (mit den dargelegten Vorbehalten) zu begrüßen ist.
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nicht solche Erkenntnisse eingeführt werden, deren rechtmäßige Erhebung weder dort noch im Erhebungsstaat nachprüfbar ist.621 e) Zwischenfazit Innerprozessuale Schranken, also solche, die auf die weitere Entwicklung im Prozess bezogen sind, sind dem Recht des Staates zu entenhmen, der dieses Verfahren führt (lex fori regit actum). Sie sind vorweggenommene Schranken der Wahrheitsfindung und aus der Perspektive des strafrechtlichen Erkenntnisverfahrens unempfindlich dafür, wo die Erhebung stattfindet bzw. stattgefunden hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob eine etwaige Nichteinhaltung der lex fori bei der Erhebung den Staaten vorwerfbar ist oder nicht. Soweit die Nichtachtung solcher Schranken innerstaatlich ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, sollte dies im transnationalen Verfahren nicht anders sein. Manche Schranken schließlich erfüllen zugleich eine innerprozessuale und eine prozessunabhängige Funktion (hier sog. doppelfunktionelle Schranken), was zu einer punktuellen Kumulation von Kautelen führen kann. 3. Äußerste Grenzen der Leistung von Rechtshilfe Auch soweit es, wie gezeigt, grundsätzlich angemessen ist, die Schranken des international arbeitsteiligen Strafverfahrens nur in jeweils einer „zuständigen“ Rechtsordnung zu suchen und sie in der anderen anzuerkennen, kann diese Anerkennung nur innerhalb solcher Bahnen erfolgen, die das Verfahren aus Sicht beider Staaten als gemeinsames arbeitsteiliges Verfahren akzeptabel erscheinen lassen; daneben ist und bleibt jeder Staat an gewisse unüberwindbare Grenzen hoheitlichen Handelns gebunden (ordre public). a) Immanente Grenzen der Verfahrenshoheit des ersuchenden Staates Wenn die Unterstützung eines fremden Staates bei der Strafrechtspflege unter Anerkennung seiner innerprozessualen Regelungen daran anknüpft, dass dieser die verfahrensführende Rolle innehat, dann folgt daraus auch eine Abhängigkeit von diesem Verfahren und seiner Berechtigung. Auch wenn der ersuchte Staat nicht berufen ist, ein „Konkurrenzverfahren“ zu führen oder auch nur die Aufsicht über das Ausgangsverfahren, so kann er doch nur zu einem Verfahren beitragen, das nach seinen Prämissen akzeptabel ist und das auch im Einzelfall nur so weit, wie der Verfahrensstand spezifische Maßnahmen zu tragen geeignet ist.622 621 Krit. zu einer solchen Verantwortungsverlagerung „ins Nichts“ auch Schuster, StV 2014, 198, 201; Zehetgruber, NZWiSt 2013, 458, 467 in ihrer jeweiligen Besprechung des besagten BGH-Beschlusses; allg. S. 103 ff., 112 f. 622 Zu den Anforderungen an den Verfahrensfortschritt im speziellen Fall der Auslieferung s. u. S. 199 ff.
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aa) Der Spezialitätsgrundsatz Die Hoheit des verfahrensführenden Staates über den innerprozessualen Raum trägt in sich einerseits eine wichtige Beschränkung, nämlich die auf den Zweck eben dieses Verfahrens: Sowohl die Anwendbarkeit der lex fori als auch das Zurücktreten der lex loci sind nur insoweit begründet, als es dabei um Gefahren geht, die sich aus dem Ausgangsverfahren selbst ergeben, also nicht für ein anderweitiges Vorgehen dieses Staates. Damit erscheint der hergebrachte Grundsatz der Spezialität, der die Fortwirkung der Bedingungen für die Leistung von Rechtshilfe im weiteren Verfahren sichert, als treffende und sachlich fundierte Grenze eines transnationalen Strafverfahrens.623 Er stellt sich auch von den Grundlagen des transnationalen arbeitsteiligen Strafverfahrens her als geboten dar: Zur Geschäftsgrundlage eines solchen gemeinsamen Verfahrens gehört der Bezug zu einer bestimmten Tat, es ist begrifflich überhaupt nur mit einem solchen Bezugspunkt denkbar. Indem das Spezialitätsprinzip die Einhaltung vereinbarter Grenzen sichert, festigt es den einheitlich-arbeitsteiligen Charakter des Strafverfahrens und verhindert damit, dass der ersuchte Staat mit seinem Machtapparat zu einer unübersehbaren „Gesamtverfolgung“ beiträgt. Am Beispiel der Auslieferung: Wenn auch der ersuchende Staat physisch die Gewalt über das ausgelieferte Individuum erlangt, so übt er doch, soweit es um vor der Überstellung liegende Taten geht, gemeinsam mit dem ersuchten Staat die Strafgewalt aus (die nur im Rahmen des übereinstimmend für zulässig befundenen Maßes der Verfolgung legitimierbar ist) und kann darum unter dem normativen Aspekt der Verfahrenseinheit nicht befugt sein, umfassend über die Rechte des Individuums zu verfügen.624 Selbiges gilt, mutatis mutandis, für Gegenstände oder Erkenntnisse, die er von einem fremden Staat im Zusammenhang international-arbeitsteiliger Strafverfolgung erhält.625
623 Dazu allg. Lagodny, in S/L/G/H, § 11 IRG Rn. 1 ff.; Vogler, in: 140 Jahre GA, S. 251, 255; ders., GA 1986, 195, ausdrücklich auch für die „kleine“ bzw. „sonstige Rechtshilfe; Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 246 f. Die nachträgliche Erstreckung des arbeitsteiligen Verfahrens auf zunächst nicht erfasste Taten wird damit nicht ausgeschlossen, sondern erst ermöglicht (während der Verzicht auf einen Spezialitätsvorbehalt dieses Verfahren durch Auflösung des arbeitsteiligen Zusammenhangs überhaupt zerstören würde, dazu im Text). Schon Lammasch, S. 807 ff., betont, dass das Individuum zwar kein unmittelbares subjektives Recht auf Spezialität habe (von seinem Standpunkt aus konsequent, dazu S. 46 ff.), es aber „zweckmäßig“ sei, ihm ein solches in den Prozessgesetzen einzuräumen. 624 Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 243: „Der Rechtshilfe leistende Staat liefert die gesuchte Person aus oder übermittelt die gewünschten Beweismittel, gibt beides aber nicht ganz aus der Hand“. 625 Eingehend zu einem nachträglichen Verwertungsverbot aus völkerrechtlicher Sicht Ambos, Beweisverwertungsverbote, S. 89 ff.
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bb) Strafanspruch des ersuchenden Staates Andererseits setzen die Unterstützung fremder Strafrechtspflege und die Übernahme fremder prozessualer Entscheidungen voraus, dass diese als legitim angesehen werden können. Eine fundamentale Legitimationsbedingung für Strafverfolgung ist dabei eine plausibel begründete Zuständigkeit des Staates für einen bestimmten Sachverhalt. Darin wird teilweise das eigentlich zentrale Problem der europaweiten Vollstreckung nach dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung gesehen, nicht selten in Verbindung mit einer Verteidigung dieses Prinzips „als solchem“.626 Doch sollte nicht übersehen werden, dass das Strafanwendungsrecht, wenn es auch in der Chronologie des Verfahrens vorgeordnet ist, von der (arbeitsteiligen) Strafverfolgung nicht losgelöst ist, sondern eine immanente Schranke derselben bildet: Verfolgung kann zu keinem Zeitpunkt legitim sein, wenn der sie betreibende Staat nicht einen einwandfreien Grund für seine Befassung mit dem Fall vorweisen kann. Es sollten daher weder aus falsch verstandenem „europäischen Geist“ strafanwendungsrechtliche Vorbehalte abgebaut werden,627 noch der status quo einer gegenseitigen Anerkennung ohne verbindliche und plausible Zuständigkeitsverteilung akzeptiert und nur mit einer Anmahnung letzterer (unter stillschweigender Inkaufnahme ihrer Verschiebung auf unabsehbare Zeit) versehen werden. Auch wenn nicht zwingend zu verlangen ist, dass der ersuchte Staat in einem vergleichbaren Fall selbst Strafgewalt hätte,628 setzt die Leistung von Rechtshilfe doch voraus, dass ein nachvollziehbarer Anknüpfungspunkt für die des ersuchenden Staates besteht, vorzugsweise aufgrund einer internationalen Regelung des Strafanwendungsrechts,629 in Ermangelung derselben aber nötigenfalls auch dezentral in Gestalt eines Territorialvorbehalts im ersuchten Staat.630 b) Ordre public als äußerste Grenze der Staatsgewalt Der ordre public in Gestalt der „wesentlichen Rechtsgrundsätze“ wird traditionell als äußerste Grenze jeden staatlichen Handelns in der Rechtshilfe angesehen und behält als solche auch neben dem hier vorgeschlagenen arbeitsteiligen Schrankenregime seine Bedeutung, sowohl aus Sicht des ersuchten als auch des verfahrens626
Deiters, ZRP 2003, 359 ff.; Juppe, Gegenseitige Anerkennung, S. 129 f.; Klip, ZStW 117 (2005), 889, 905 f.; s. außerdem die Dokumentation bei Kreß, ZStW 116 (2004), 445, 465 ff.; zur gegenseitigen Anerkennung als Verfahrensprinzip noch S. 233 ff. Eingehend zum Zuständigkeitsproblem F. Zimmermann, Strafgewaltkonflikte, S. 50 ff., 66 u. passim. 627 Zu dieser Forderung des Europäischen Parlaments Roger, GA 2010, 27, 37; zu Territorialvorbehalten im Rahmenbeschluss zur Europäischen Beweisanordnung ergänzend S. 255 m. Fn. 151. 628 Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 440 ff. 629 Gleß, ZStW 116 (2004), 353, 361 f. 630 Schünemann/Roger, ZIS 2010, 515, 522; dies., ZIS 2010, 92, 94. Ein solcher Vorbehalt wäre ein approximatives Surrogat für die erstrebenswerte internationale Einigung, s. u. S. 255 m. Fn. 151.
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führenden Staates. Nach im Vordringen befindlicher und hier geteilter Ansicht erstreckt er sich inhaltlich auf sämtliche grund- und menschenrechtlichen Garantien, seien sie national oder zwischenstaatlich verbürgt (s. o. S. 58 ff.). So können einerseits aus der Perspektive des ersuchten Staates die innerprozessualen Aspekte des zu fördernden Strafverfahrens bzw. zu vollstreckenden Urteils nicht vollkommen gleichgültig sein: Auch wenn er die prozessualen Vorgänge grundsätzlich nicht zu überprüfen hat,631 müssen sie doch seinen höherrangigen (namentlich verfassungsrechtlichen) Standards gehorchen, um von ihm anerkannt werden zu können.632 Auch die zu erwartende Behandlung und ggf. Strafe633 im ersuchenden Staat ist im Lichte des weiten Begriff eines (grundrechtlich relevanten) Eingriffs, der Wirkungen im Ausland einschließt,634 für die Entscheidung bedeutsam, ob er ein bestimmtes Verfahren fördern darf. Aus den selben Gründen kann auch der verfahrensführende Staat mit der Inanspruchnahme von Rechtshilfe keine Verstöße gegen seinen ordre public befördern wollen (und wird u. U. gravierende Verstöße, auch soweit sie seine eigentlich irrelevanten prozessunabhängigen Schranken betreffen, mit einem Verwertungsverbot sanktionieren). Weil er (nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene) verfassungsrechtlich verankert ist,635 erlangt auch der nulla-poena-Satz als Bestandteil des ordre public insofern Bedeutung, als ein Staat nicht befugt sein kann, eine das Gesetzlichkeitsprinzip verletzende Behandlung zu befördern. Wenn den Beschuldigten also im ersuchenden Staat etwa eine rückwirkende Bestrafung erwarten würde, müsste dies jeder rechtshilfeweisen Unterstützung entgegen stehen.636 Hierbei ist freilich, weil es sich um Vorgänge im verfahrensführenden Staat handelt, dessen materielle Strafrechtsordnung maßgeblich.637
631 Zur maßgeblichen lex fori S. 169 ff., zur Prüfung im verfahrensführenden Staat anhand des Tatverdachtserfordernisses S. 145 ff. sowie anhand der Vollstreckungsübernahme S. 193. 632 Näher S. 57 ff. Zu Prüfungsdichte und Beweislast im ersuchten Staat können die S. 148 ff., 150 ff. herausgearbeiteten Grundsätze herangezogen werden. 633 Hier kommt auch das bereits angesprochene Schuldprinzip (S. 163 f.) auf einer zweiten, verfassungsrechtlichen Stufe zum Tragen: Eine Bestrafung, die gegen dieses fundamentale Prinzip nach seinem Rechtsverständnis verstößt, kann ein Staat nicht befördern (zuletzt BVerfG, 2 BvR 2735/14 v. 15. 12. 2015; s. a. Pohl, Vorbehalt und Anerkennung, S. 167 f.; Lagodny, in: S/L/G/H, § 73 IRG Rn. 61). Ähnliches gilt für die Todesstrafe (zur Ächtung S. 55 f.). 634 Dazu S. 58 f., bestätigend EuGH, Rs. C-404/15, Urt. v. 5. 4. 2016. 635 Art. 103 II GG; Art. 49 I Grundrechtecharta; Art. 7 I EMRK. 636 Ebenso für die ordre-public-Klausel des § 73 IRG Lagodny, in: S/L/G/H, Rn. 64 f. 637 In den Grenzen dessen, was die Verfassungsordnung des ersuchten Staates an möglicher Pönalisierung zulässt – insofern ist die von Lagodny gezogene Grenze passend, zu ihr S. 157 m. Fn. 545.
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4. Wirksame Verteidigung und Rechtswege „Es ist ein Arbeitsgrundsatz der Behörde, daß mit Fehlermöglichkeiten überhaupt nicht gerechnet wird. Dieser Grundsatz ist berechtigt durch die vorzügliche Organisation des Ganzen, und er ist notwendig, wenn äußerste Schnelligkeit der Erledigung erreicht werden soll.“ Franz Kafka, Das Schloß, München 1926, S. 124
Ein unverzichtbares Korrelat der Beschuldigtenrechte, sollen diese wirksam sein, ist die Möglichkeit, sich gegen den strafrechtlichen Vorwurf zu verteidigen und hoheitliche Maßnahmen einer Fehlerkorrektur zu unterwerfen. Dass der Rechtsweg zu einem übergeordneten Menschenrechtsgericht hierfür nur ultima ratio sein und keine Garantie für den Regelfall im Verfahren selbst gewähren kann, ist bereits ausgeführt worden.638 Als Verlängerung der materiellen Rechtsposition des Beschuldigten können und müssen in einer strafprozessualen Sichtweise vielmehr auch die Verteidigungsrechte in differenzierter Ableitung aus der Rechtsposition des Beschuldigten eines innerstaatlichen Strafverfahrens gefunden werden. Dabei ist besonderes Augenmerk auf das Problem der Rechtswegspaltung zu legen, die droht, wenn die beteiligten Staaten arbeitsteilig vorgehen und dabei die prozessuale Einheit faktisch in mannigfaltige Entscheidungen und Maßnahmen aufgetrennt ist.639 a) Rechtsschutz gegen Maßnahmen des ersuchten Staates Soweit nach dem vorstehend ausgeführten die Rechtsordnung des ersuchten Staates maßgeblich ist, soweit es also um die Abschirmung prozessunabhängiger Gefahren in diesem Staat selbst geht, zählt hierzu auch die Möglichkeit des Beschuldigten, seine Rechte umfassend geltend zu machen und sich eines Verteidigers zu bedienen. Wenn in diesem Zusammenhang die notwendige Unterstützung durch einen Verteidiger vorgeschrieben ist, kann im Fall transnationaler Verfolgung nichts anderes gelten.640 Auch der Umfang der gerichtlichen Überprüfbarkeit (Art. 19 IV GG; Art. 13 EMRK; Art. 47 Grundrechtecharta) folgt notwendigerweise der (grund-, aber auch einfach-)rechtlichen Bindung des Staates. Grundsätzlich müssen also die prozessunabhängigen Schranken ebenso umfassend vor Gericht angegriffen können wie in einem innerstaatlichen Verfahren, wobei die in transnationalen Fällen angezeigten 638
S. 91 ff. Zur Problematik und zum Prinzip der staatlichen Gesamtverantwortung S. 104 ff., ferner etwa Andreou, Gegenseitige Anerkennung, S. 299 f.; Böse, in: G/P/K, vor § 78 IRG Rn. 36; ders., ZIS 2014, 152, 160; Gless, StV 2012, 400, 404 f.; S/L/G/H, Einl. Rn. 140 ff. 640 Für die deutsche Rechtsordnung betrifft das namentlich die Vollstreckung von U-Haft, § 140 I Nr. 4 StPO, S/L/G/H, Einl. Rn. 201; Schomburg/Lagodny, NJW 2012, 348, 351; krit. dazu, dass die Regelung nach herrschendem Verständnis nicht auf verfahrenssichernde „Auslieferungshaft“ (besser: U-Haft im transnationalen Fall) anwendbar ist, Meyer-Goßner/ Schmitt, § 140 Rn. 14. 639
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inhaltlichen Modifikationen auch an dieser Stelle zu beachten sind. Das gilt namentlich für eine Einschränkung der Verdachtsprüfung im eingreifenden (ersuchten) Staat, die sich aus der Natur der Sache rechtfertigen lässt – aber eben auch nur so weit wie die zugrundeliegenden sachlichen Gründe tragen (s. o. S. 147 ff.). Deshalb kann auch die Möglichkeit des Individuums, sich der eingreifenden Hoheitsmacht zu erwehren, nur so weit zurückgefahren werden, wie es in der spezifischen transnationalen Situation angezeigt ist. In den oben (S. 147 ff.) abgesteckten Grenzen der inhaltlichen Kontrolle im ersuchten Staat muss der Beschuldigte dort auch die gegen ihn ergriffenen Maßnahmen gerichtlich angreifen können. In diesem Maße (insbesondere in an den Umfang einer revisionsrechtlichen Sachrüge angelehnter Beschränkung, S. 148 f.) kann ihm dementsprechend auch die Möglichkeit, den Verdacht zu entkräften, nicht genommen werden. Weil in diesem Zusammenhang das Verdachtserfordernis direkt dem Recht des ersuchten Staates entnommen wird und von dessen Organen verantwortet werden muss, ist die Bindung an die tatsächlichen Feststellungen des Gerichts des ersuchenden Staates nur faktisch und verfahrensökonomisch – anders als bei der Revision nicht strukturell – begründet (S. 145 ff.). Deshalb muss auch die Beibringung eines eindeutigen Gegenbeweises zur Entkräftung des Verdachts möglich sein (Beispiel: Der Beschuldigte war zum Zeitpunkt der Tat im ersuchenden Staat in Haft oder im ersuchten Staat kann durch präsente Beweismittel ein überzeugender Alibibeweis geführt werden641). Soweit im Übrigen die Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen (namentlich des Tatverdachts) sachgerecht im ersuchenden Staat erfolgt (S. 147 f.), können auch Einwände sinnvoll nur dort vorgetragen werden; in der Perspektive der gesamtschuldnerischen staatlichen Verantwortung für die Individualrechte (S. 112 f.) ist aber erforderlich, dass sie ebenso erhoben werden können und gleich wirksam sind wie in einem innerstaatlichen Verfahren,642 also ggf. auch im ersuchten Staat durchschlagen. Wenn also bspw. die Verdachtsgründe materiell nur im ersuchenden Staat der Prüfung unterliegen, kann das angemessen sein, aber nur unter der Voraussetzung, dass der Betroffene in seiner „Auseinandersetzung“ mit den handelnden Hoheitsträgern (scil. des ersuchten Staates) ebenso taugliche Mittel zu deren Entkräftung besitzt, um den von diesen auferlegten Freiheitsentzug oder sonstige Eingriffe abwenden zu können (dazu sogleich S. 185 ff.).
641
Lagodny/Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 10 Rn. 46; Hackner, in: S/L/G/H, § 82 IRG Rn. 17; Bsp. bei OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2007, 376 f.; s. bereits Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 559, der dem ähnlich ausgelegten österreichischen Modell zuneigt (s. o. S. 49). 642 Diese Prämisse ist ein zentraler Bestandteil des „Verbots der Individualbenachteiligung“ (S. 69 ff.) und findet abstrakt auch allgemeine Zustimmung; s. auch Maunz/Dürig-SchmidtAßmann, Art. 19 IV GG Rn. 36 ff. zur Anwendung des EU-rechtlichen „effet utile“-Gedankens sowie zuletzt die verbale Unterstreichung in Art. 14 I, IV der RiLi-Europäische Ermittlungsanordnung (zu ihr S. 272 ff.).
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A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege
b) Verteidigungsrechte im verfahrensführenden Staat Auch in dem Staat, der das Verfahren führt (dem ersuchenden Staat), bedarf die Rechtsposition des Beschuldigten zur wirksamen Entfaltung der Flankierung durch Verteidigungsrechte und ggf. gerichtlichen Rechtsschutz. Das gilt zum einen, soweit die Grundlage für prozessunabhängige Eingriffe im ersuchenden Staat geschaffen wird und nur dort überprüft und angegriffen werden kann.643 Darüber hinaus dient das Recht, sich eines Verteidigers zu bedienen, aber nicht nur der Abwehr von Eingriffen in die materielle Rechtssphäre, sondern folgt wesentlich auch aus der prospektiven prozessualen Verarbeitung: Dem Beschuldigten soll die Möglichkeit gegeben werden, schon bei der Beweisgewinnung (bei Vernehmungen des Beschuldigten oder eines Zeugen, bei Einnahme eines Augenscheins, etc.644) Einfluss nehmen zu können, bestimmten Erhebungen ggf. zu widersprechen oder seine Verteidigung an die Verfahrensentwicklung anzupassen. Diese Rechte stehen in einem unauflöslichen funktionalen Zusammenhang mit dem innerprozessualen Raum und verlieren nichts an Bedeutung (sondern gewinnen wegen der Komplexität der Lage eher daran), wenn die Beweissammlung im Ausland stattfindet,645 so dass die in der entsprechenden Rechtsordnung (scil. der des ersuchenden Staates) bestehenden Möglichkeiten, sich anwaltlichen Beistands zu bedienen, gleichwertig und effektiv gewahrt bleiben müssen – ggf. unter Einbeziehung eines instruierten „Verbindungsanwalts“ im ersuchten Staat. Rechtsbehelfe zur Wahrung der innerprozessualen Schranken wiederum sind in der Situation des transnationalen „Zugriffs“ noch eher von untergeordneter Bedeutung, weil diese Schranken per definitionem auf eine Wirkung im späteren Verlauf des Prozesses gemünzt sind und deshalb einer sofortigen Überprüfung i. d. R. weder bedürftig noch zugänglich sind. Diese muss zwar – mit im vollziehenden/ ersuchten Staat durchgreifender Wirkung – gewährleistet sein, soweit eine Entscheidung des verfahrensführenden Staates einen prozessunabhängigen Eingriff trägt (beispielsweise in Gestalt eines sog. Einlieferungshaftbefehls für die Auslieferung, s. S. 107, S. 190 f.), nicht aber, wenn es um die Einhaltung innerprozessualer 643 Dazu S. 147 f. (unter dem Aspekt der ihm vorbehaltenen Tatverdachtsprüfung) sowie S. 190 f. (unter dem Aspekt der möglichen Geltung seiner prozessunabhängigen Schranken). Zutreffend stellt OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8. 9. 2011, III-4 Ws 495/11, die Notwendigkeit der Verteidigung in dem Staat fest, der einen Auslieferungshaftbefehl erlässt. Schon Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 560 ff., stellt die Verdachtsprüfung im ersuchenden Staat in den Mittelpunkt, der dazu am besten in der Lage ist, was deren Einschränkung im ersuchten Staat – selbst in den angelsächsischen Staaten mit materieller Verdachtsprüfung – erklärt und legitimiert, ibid. S. 513 ff. 644 Zur deutschen Regelung s. §§ 168c, 168d StPO. 645 In dem S. 87 ff. angesprochenen Fall Stojkovic vom französischen Gericht (unter dem speziellen, in dieser Beziehung dem Beschuldigtenstatus verwandten Status des „témoin assisté“) und dem EGMR (unter autonomer Subsumtion unter den Begriff des „Verfolgten“ i.S.d. EMRK) zutreffend angenommen, von den belgischen Behörden bei der Vernehmung allerdings missachtet.
II. Die Rechtsstellung des Individuums
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Schranken (etwa um die Respektierung eines Zeugnisverweigerungsrechts) geht die erst später im Rahmen der Verwertungsfrage akut werden.646 Ebenso kann und muss die Entscheidung über die Eröffnung einer Hauptverhandlung, wenn sie, wie in Deutschland, innerstaatlich keinem eigenständigen Rechtsbehelf unterliegt,647 auch in ihrer Funktion als notwendige Grundlage einer Auslieferung (S. 203 f.) keiner gesonderten Prüfung zugänglich sein: Der Ort für die Klärung des Tatvorwurfs ist dann eben die Hauptverhandlung, deren Abwendung im Laufe des Ermittlungsverfahrens hätte gesucht werden müssen – das ist die Kehrseite der hier vertretenen Ansicht, wonach im Ermittlungsverfahren eine Anwesenheit des Beschuldigten nicht erzwungen und damit auch keine Auslieferung gegen seinen Willen durchgesetzt werden kann (S. 201). Insgesamt ist diese Ansicht im unsicheren Stadium der Vorbereitung des Verfahrens zurückhaltender und liberaler, ohne dem Beschuldigten das Recht abzusprechen, sich dem Verfahren zu stellen und darauf Einfluss zu nehmen, legt ihm dabei aber auch eine gewisse Verantwortlichkeit auf. Damit wird, wenn und soweit das Ermittlungsverfahren nur vorbereitenden Charakter hat und er ordnungsgemäß belehrt ist, ein angemessener Ausgleich zwischen Freiheitsrechten und prozessualer Fürsorgepflicht erzielt. In der Hauptverhandlung schließlich erfordert die Verwertung nach den Maßstäben der lex fori (dazu S. 175 ff.), dass deren Verteidigungsrechte gesichert sind, einschließlich der Möglichkeit, die Umstände der Beweiserhebung zu überprüfen; soweit es dabei auf die Rechtmäßigkeit einer Erhebung im Ausland ankommt und diese Frage im ersuchten Staat zu entscheiden ist (S. 177), bedarf es eines verfahrensmäßigen abgesicherten Zugangs zu dessen Gerichten. c) Kompensation von Rechtseinbußen und gerichtliche Absicherung des ordre public Wegen der Idee der Gesamtschuld der beteiligten Staaten (S. 103 ff., 109 ff., 112 f.), wonach ein Staat sich nicht durch Verweis auf den jeweils anderen aus der Pflicht nehmen kann, bedarf jede auch nur faktische Schwächung der Individualrechte einer Kompensation, um ihre gleichmäßig wirksame (unterschiedslose!) Gewährleistung wiederherzustellen.648 Für die Verteidigung bedeutet das, dass jede Zuweisung der Verantwortung vom einen an den anderen Staat voraussetzt, dass dort effektive
646 Auch innerstaatlich gelten solche Schranken, ohne dass ein Rechtsbehelf vorhanden oder erforderlich wäre, um sie unmittelbar durchzusetzen, s. nur § 305 StPO. 647 § 210 I StPO, dazu KK-Schneider, Rn. 2 ff. 648 So auch Kirsch, StraFo 2008, 449, 454 ff.; F. Meyer, NStZ 2009, 657, 663; Satzger/ F. Zimmermann, ZIS 2013, 406, 410; Schünemann, StV 2003, 116, 118; ders., GA 2004, 193, 208 f.
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A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege
Verteidigungsrechte gesichert sind,649 es also nicht mit einer diese schwächenden faktischen Rechtswegspaltung sein Bewenden haben kann. Wie ein solchermaßen effektiver Rechtsschutz sichergestellt werden kann, ist eine Frage der rechtlichen Gestaltung, die nicht aus dogmatischen Prämissen ableitbar ist. Denkbar wäre, dass sämtliche Einwände im ersuchten Staat vorgebracht und von dessen Behörden in einer Art Vorlageverfahren die im ersuchenden Staat zu entscheidenden Einzelheiten dorthin übermittelt werden650 oder die Rechtsbehelfe insgesamt an letztere weitergeleitet werden.651 Schließlich steht der (ambitionierte und nicht unumstrittene) Vorschlag einer Institutionalisierung der Verteidigung, namentlich in Gestalt des „Eurodefensor“ im Raum.652 Entscheidend ist nicht wie, sondern dass auf dem einen oder anderen Weg auch praktisch gesichert wird, dass der Betroffene einerseits die Einhaltung der prozessunabhängigen Schranken ebenso wirksam einfordern kann wie nach dem Recht des ersuchten Staates, und zwar einschließlich der Fragen, die vom ersuchenden Staat präjudiziert werden, und sich andererseits im Vorgriff auf die innerprozessuale Verarbeitung wirksam verteidigen kann. Dass dabei ggf. eine doppelte Verteidigung (also in beiden Staaten) notwendig wird, ist die unverzichtbare Kehrseite der staatlichen Arbeitsteilung.653 Nicht aber kann die Gewährleistung der Verteidigungsmöglichkeiten selbst einschließlich effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes der freiberuflichen Anwaltschaft überlassen
649 C. Nestler, ZStW 116 (2004), 332, 340 f.; Gless, StV 2010, 400, 404 f.; Schünemann, StraFo 2003, 344, 348; European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 415; anerkannt auch von OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8. 9. 2011, III-4 Ws 495/11. 650 s. o. S. 150 ff. am Beispiel des § 115a StPO; Roger, GA 2010, 27, 41; tendenziell auch Böse, in: Ambos (Hrsg.): Europäisches Strafrecht post-Lissabon, 45, 55; ders., ZIS 2014, 152, 160; dabei geht es nach der hier entwickelten Ansicht weniger um rechtliche Fragen (weil die prozessunabhängigen Schranken dem Recht des ersuchten Staates zu entnehmen sind) als um die tatsächliche Überprüfung des Verdachts. 651 Böse, ZIS 2014, 152, 160. Diese Lösung erscheint allerdings einerseits komplizierter, weil dem ersuchenden Staat ein kompletter Sachverhalt zur Überprüfung weitergeleitet wird, und andererseits weniger zielgerichtet, weil die dortige Prüfung die erforderliche Subsumtion unter die prozessunabhängigen Schrankenbestimmungen des ersuchten Staates nicht ersetzen kann (dessen rechtliche Eigenverantwortung auch bei Böse a.a.O. S. 152 angedeutet wird: das „öffentliche Interesse an der Förderung eines ausländischen Strafverfahrens [vermag] keine weitergehenden Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen als das inländische Strafverfolgungsinteresse“). 652 Dazu die Beiträge von C. Nestler, Szwarc und (krit.) Mitchell, in: Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, S. 166 ff., 181 ff., 191 ff.; Schünemann, StV 2006, 367; zust. zuletzt European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 423. 653 s. o. S. 103 ff., 112 f.; für doppelte notwendige Verteidigung auch: Abetz, Justizgrundrechte in der EU, S. 331; Ahlbrecht/Lagodny, StraFo 2003, 329, 335; Böse, in: Ambos (Hrsg.): Europäisches Strafrecht post-Lissabon, S. 45, 55; Heine, Rechtsstellung, S. 74 ff.; C. Nestler, ZStW 116 (2004), 332, 340; Salditt, StV 2003, 136 f.; Wehnert, StraFo 2003, 356, 358.
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werden;654 selbst wenn man diese in ihrer Verantwortung für die Wahrnehmung der Beschuldigtenrechte (auch) als Organ der Rechtspflege betrachtet,655 bleibt doch die Schaffung der rechtlichen Rahmenbedingungen effektiver Verteidigung Aufgabe des Staates (genauer: der Staaten in Gesamtverantwortung, s. o. S. 106 ff.). Eine Besonderheit im transnationalen Verfahren in seiner gestuften Entwicklung ist die Möglichkeit, wirksamen und rechtzeitigen Rechtsschutz auch so zu gestalten, dass er eingreift, bevor eine Maßnahme vollständig vollzogen, also der Beschuldigte oder ein Beweismittel in eine andere Rechtsordnung transferiert wurde;656 aus der Möglichkeit folgt eo ipso die entsprechende Verpflichtung, denn eine Fortsetzung bzw. Verlängerung eines Eingriffs, dessen Unzulässigkeit festgestellt werden konnte, entbehrt jeder Rechtfertigung (s. o. S. 96 f.). Was schließlich die in Gestalt des ordre public abgesteckten äußersten Grenzen der Leistung von Rechtshilfe angeht (S. 180), die an gravierende Verfahrensverstöße im jeweils anderen Staat anknüpfen können,657 so kann die Parallele zur Revision, die bereits für die Beschränkung der sachlichen Prüfung bemüht worden ist (S. 148 f.), weitergeführt werden: Die ausnahmsweise Überprüfung im eigentlich „unzuständigen“ Staat kann (und muss praktischerweise wohl auch) so ausgestaltet sein, dass der Beschwerdeführer die Darlegungs- und Beweislast für die behaupteten Verfahrensverstöße trägt.658 Mit einem solchen Regulativ stünde ihm der gebotene effektive Rechtsschutz grundsätzlich zur Verfügung, ohne dass die Gerichte des einen Staates in die anmaßende Situation kämen, aus eigener Machtvollkommenheit über die Strafrechtspflege eines anderen Staates zu urteilen. d) Non olet pecunia, sed absentia pecuniae: Kosten des Zugangs zur Justiz Schließlich erfordert die praktische Wirksamkeit der rechtsstaatlich gebotenen Verfahrensrechte – auch, aber nicht nur unter sozialstaatlichen Aspekten –,659 eine 654
Ebenso Gless, StV 2010, 400, 406. Meyer-Goßner/Schmitt, Rn. 1 vor § 137; krit. LR-Lüderssen/Jahn, Rn. 89 ff. vor § 137; SK-Wohlers, Rn. 4 ff. vor § 137. 656 Ahlbrecht/Lagodny, StraFo 2003, 329, 335; Böse, ZSI 2014, 152, 160 f.; Esser, FS Roxin, 2011, 1497, 1507; am Beispiel der Europäischen Beweisanordnung Roger, GA 2010, 27, 42; Swoboda, HRRS 2014, 10, 20. 657 Vergangene oder zukünftige; zum Ganzen Lagodny, in: S/L/G/H, § 73 IRG Rn. 67 ff. 658 Schünemann, FS Volk, 743, 752; Schünemann/Roger, ZIS 2010, 515, 523; zu den strengen Anforderungen und entsprechend geringen Erfolgsquoten der Verfahrensrüge Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 55 Rn. 37, 47 m.w.N. Notwendiges Korrelat wäre, jedenfalls soweit es um eine Auslieferung geht, die Bestellung eines Verteidigers (für den Pflichtbeistand nach § 40 IRG s. Lagodny/Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 40 IRG Rn. 10 ff., 15, die dessen nur ausnahmsweise Bestellung kritisieren). 659 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 2 Rn. 6; § 19 Rn. 1: auch aus rechtsstaatlichen Gründen unverzichtbar. 655
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A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege
Sicherung auch in finanzieller Hinsicht. Dem tragen die einzelnen Verfahrensordnungen, wie auch immer im Einzelnen ausgestaltet, mit Prozesskostenhilfe oder dem Institut der notwendigen Verteidigung Rechnung.660 Nichts anderes kann in einem grenzüberschreitenden Verfahren gelten:661 Die individualrechtlich angezeigten Gewährleistungen können nicht davon abhängig sein, ob der Beschuldigte vermögend und/oder in einem organisierten professionellen Netzwerk beheimatet ist und dadurch die aufwändige, ggf. doppelte Verteidigung in einem international arbeitsteiligen Verfahren bewerkstelligen kann. Deshalb bedarf es – wie innerstaatlich – verbindlicher Regeln für den Zugang zum Verteidiger einschließlich der Finanzierung. Eine Herausforderung bedeutet das vor allem für die vorstehend skizzierten Konstellationen, in denen sich die Verteidigung gezwungenermaßen auf beide beteiligten Staaten erstreckt. 5. Leistungsfähigkeit des Ansatzes: vermeidbare und unvermeidbare Überlagerungen der Schranken beider Staaten Um den hier vertretenen Ansatz auf die Probe zu stellen, bietet sich eine rekapitulierende Betrachtung der Ergebnisse an, die in der Frage der anzuwendenden Schranken erzielt werden konnten. a) Grundsatz: Exklusivität der jeweils maßgeblichen Rechtsordnung (in den Grenzen des ordre public) Es hat sich bereits angedeutet, dass sich die prozessstrukturellen Gründe für die hier entwickelte differenzierte Geltung der Schranken beider beteiligter Staaten nicht nur für deren Begründung, sondern auch für ihre Begrenzung fruchtbar machen lassen: Soweit es aus ihrer prozessualen Schutzrichtung folgt, müssen Schranken auch bei transnationaler Verfolgung gelten – aber diese ratio trägt eben auch nur so weit. Wie gezeigt wurde, betreffen die prozessunabhängigen Schranken das Verhältnis des eingreifenden Staates zu seinen Bürgern, nicht des verfahrensführenden Staates zu den Prozesssubjekten, stehen also per definitionem zunächst außerhalb des innerprozessualen Gleichgewichts i. e.S. (S. 126 ff.). Geht es etwa um die Erlangung von Beweismaterial, das sich in einer Wohnung im ersuchten Staat befindet, ist aus der innerprozessualen Perspektive im ersuchenden Staat nicht entscheidend, wie der 660 Zur notwendigen Verteidigung (und damit im Bedarfsfall notwendig verbundener staatlicher Kostentragung) s. o. S. 186, insb. die Nachweise Fn. 653. Näher zum Ganzen und zu den Defiziten in europäischen Staaten Cape/Namoradze/Smith/Spronken, in: dies. (Hrsg.): Effective Criminal Defence in Europe, S. 547, 558 ff.; 573, 589 ff. m.w.N. 661 In diesem Sinne entscheidet auch das OLG Düsseldorf (Beschluss v. 8. 9. 2011, III-4 Ws 495/11), wenn es dem von Deutschland, im Ausland befindlichen Verfolgten für seine Verteidigung in Deutschland gegen den Auslieferungshaftbefehl Kostenerstattung zuspricht. Zu den Ansätzen in der EU S. 293.
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Schutz der Wohnung im Einzelnen ausgestaltet ist. Denn dieser Schutz besteht nicht deshalb, weil sich in den Räumlichkeiten eine bestimmte beweisgeeignete Sache befinden kann (s. o. S. 128 f.), hat also grundsätzlich (zu Ausnahmen S. 173 f.) keinen innerlichen Bezug zur Wahrheitsfindung. Insoweit sind entsprechende Schranken unter innerprozessualen Gesichtspunkten nicht berufen, sich auf die extraterritoriale Beweisgewinnung des ersuchenden Staates zu erstrecken. Für die prozessunabhängigen Gefahren ist ferner gezeigt worden, dass die „auslandskausale“ Veranlassung durch einen anderen Staat nicht maßgeblich ist für ihre rechtliche Einfassung (S. 130 f.), und dieser (formale Neutralitäts-)Gedanke streitet nicht nur gegen eine Abschwächung der prozessunabhängigen Schranken des ersuchten Staates, sondern auch gegen ihre „Anreicherung“ mit weiteren Schranken des ersuchenden Staates, der die besagten Gefahren nicht selbst schafft. Deshalb ist es auch nicht primär Aufgabe der Behörde des ersuchenden Staates, sich Gedanken darüber zu machen, ob ein bestimmter Beweisgegenstand sich in einer Privatwohnung befindet und ob nach der eigenen Rechtsordnung ein Eindringen in diese Wohnung hypothetisch zulässig wäre; denn es geht nicht um hypothetische Vorgänge im eigenen, sondern um reale Maßnahmen im fremden Staat, die aus prozessstrukturellen Gründen auch (grundsätzlich: nur) dessen Rechtsordnung folgen müssen. Dabei ist freilich nicht zu leugnen, dass der ersuchende Staat den Anlass zu diesen Maßnahmen gibt und sie sich zunutze macht, was ihm unter dem Aspekt der „Teilnahme“ gewisse – äußerste – Grenzen auferlegen kann (S. 192). Vom hier vertretenen Standpunkt aus ist es also nicht nur zulässig, sondern auch konsequent, die prozessunabhängigen Schranken des ersuchenden Staates grundsätzlich außer Acht zu lassen. Ihrer Natur nach sind sie bei den Handlungen von (an sie nicht gebundenen) fremden Behörden auf deren Staatsgebiet verzichtbar; ihre Geltung wäre, genau genommen, sogar dysfunktional, weil sie dem ersuchten Staat für sein Handeln (zusätzliche) Schranken auferlegt, die dessen Handlungsmöglichkeiten über das dort eigentlich vorgesehene Maß hinaus beschränken, ohne dass dieser Erschwernis ein Gewinn für das innerprozessuale Gleichgewicht gegenüberstünde.662 Auf der anderen Seite ist für den Umfang der innerprozessualen Schranken das Recht des verfahrensführenden Staates für maßgeblich befunden worden; im selben Umfang können – in den Grenzen des ordre public663 – die Schranken des ersuchten
662
Was hier nicht rein faktisch im Sinne einer Verschiebung der Balance zugunsten des Beschuldigten gemeint ist, sondern in dem normativ gehaltvollen Sinne einer legitimen Verbesserung seiner Rechtsstellung. Die prozessunabhängigen Schranken sind, weil sie eben unabhängig vom Fortgang des Prozesses schützen, umgekehrt grundsätzlich nicht berufen, diesen Fortgang zu beeinflussen, weshalb der Beschuldigte durch ihre Fortwirkung einen ungebührlichen Vorteil genießen würde (näher S. 128 ff.). 663 Dem entspricht es, wenn die bestehenden Ansätze für ein Vorgehen nach dem Prinzip forum regit actum die Anwendung der „Formvorschriften“ des ersuchenden Staates in den Grenzen (nur) der „wesentlichen Rechtsgrundsätze“ des ersuchten vorsehen (s. o. 170 f.).
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A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege
Staates prinzipiell außer Betracht bleiben, so dass auch in dieser Hinsicht dysfunktionale Hürden entfallen können.664 b) Doppelfunktionelle Schranken und Meistbegünstigung Ungeachtet dieser im Ansatz klaren Einteilung können in der Wirklichkeit unterschiedliche Mischformen zwischen strafprozessualen Schranken auftreten, die im Folgenden zu untersuchen sind. Soweit sich in dem Fall, dass von sog. doppelfunktionellen Prozesshandlungen Gefahren für die weitere Verwertung und den materiellen Rechtsraum gleichermaßen ausgehen und sich deshalb innerprozessuale Schranken des ersuchenden und prozessunabhängige Schranken des ersuchten Staates überlagern (S. 173 f.), ist es dogmatisch (und damit zum Schutz der Individualrechte, dem die dogmatischen Ableitungen letztlich dienen) unabweisbar, diese jeweils aufrecht zu erhalten und dabei ggf. kumulativ zur Anwendung zu bringen. Das entspricht auch in wesentlichen praktischen Ergebnissen der Rechtslage, wie sie innerhalb der EU besteht, beispielsweise für die TKÜ nach den Art. 18 V b, II b EU-RhÜbk665 und (künftig) der RiLi-Ermittlungsanordnung (dazu S. 272 ff.). Folge dieser Doppelfunktion ist also, dass für bestimmte Maßnahmen eine Meistbegünstigung des Betroffenen eintritt, der durch die Schranken sowohl des ersuchenden als auch des ersuchten Staates geschützt ist; eine Überwachung der Telekommunikation beispielsweise kann also nur auf dem höchsten gemeinsamen Schutzniveau (sowohl im Hinblick auf die sachlichen Anordnungsvoraussetzungen als auch auf die Anordnungsbefugnis) erfolgen. Im Ergebnis entspricht dies dem Konzept eines „Meistbegünstigungsprinzips“, wie es in der Literatur für intensive Eingriffe vorgeschlagen wird,666 allerdings mit dem Unterschied, dass es weder als Prämisse vorausgesetzt noch aus dem bloß quantitativen Gewicht des Eingriffs gefolgert wird, sondern Grund und Grenzen in der Natur der prozessualen Schranken findet. c) Sachgerechte und vermeidbare Kumulation prozessunabhängiger Schranken Darüber hinaus sind gewisse Verdoppelungen auch der prozessunabhängigen Schranken unvermeidlich. Das ergibt sich zum einen aus der Finalität der Rechtshilfe, die in einen Zugriff des ersuchenden Staates münden soll. Namentlich in der Konstellation von Auslieferung und Inhaftierung soll der Beschuldigte, der sich nicht 664
I. E. ähnlich Gless, ZStW 125 (2013), 573, 597 f.; s. bereits S. 170 ff. Dazu Schuster, NStZ 2006, 657, 659. 666 So in dem von Schüneman herausgegebenen Gesamtkonzept, S. 4, 13 ff.; zu dessen Ausnahmecharakter Schünemann, ibid., S. 93, 109 f.; zuvor bereits der von dems. herausgegebene Alternativentwurf, S. 11 ff.; tendenziell zustimmend Kreß, ZStW 116 (2004), 445, 470. 665
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freiwillig der Gerichtsbarkeit des ersuchenden Staates stellt, diesem zwangsweise überstellt werden und dort auch zwangsweise sistiert bleiben; dass die Anordnung eines solchen Vorgehens auch im ersuchenden Staat voraussetzt, dass die Bedingungen der Inhaftierung erfüllt sind, m.a.W. ein Haftbefehl vorliegt, wird kaum bestritten.667 Allgemein kann es aus Sicht des verfahrensführenden Staates für die Anordnung einer Maßnahme bzw. das Stellen eines Ersuchens erforderlich erscheinen, dass deren Anordnungsvoraussetzungen vorliegen. Insofern wirken dann auch die prozessunabhängigen Schranken des verfahrensführenden Staates de lege lata fort, womit aber noch nicht gesagt ist, dass dies auch stets sachgerecht wäre. Weil und soweit solche Schranken nämlich außerhalb des prozessualen Gleichgewichts i. e.S. stehen (s. o. S. 128 f.), also auch nicht unter dem Aspekt der „Doppelfunktionalität“ (S. 173 f.) daran teilnehmen, sind sie nach dem Maßstab des ersuchten bzw. handelnden Staates zu beantworten und nicht nach dem des fremden, verfahrensführenden Staates, der lediglich den Anstoß zu ihr geben hat: Von diesem geht dann nicht unmittelbar eine prozessunabhängige Gefahr aus, die seine Schranken „auf den Plan rufen“ würde (S. 188 f.). Während das Bestehen des Verdachts einer (auch im ersuchenden Staat) strafbaren Handlung selbstverständliche Voraussetzung einer prozessualen Maßnahme ist, muss deshalb der genaue Umfang des hoheitlichen Zugriffsrechts, beispielsweise im Bezug auf Privatwohnungen, nicht zusätzlich dem Recht des ersuchenden Staates entnommen werden, kommt es also nicht auf dessen Vorstellung von angemessenen Tageszeiten für eine Durchsuchung an, darüber hinaus aber auch nicht auf seine weiteren Erfordernisse, etwa ob er eine Maßnahme (jenseits der „doppelfunktionellen“ Schranken, S. 173 f.) überhaupt nur für gravierendere Straftaten erlauben würde. Insofern ist es weder prozessstrukturell noch aus Gründen des Individualrechtsschutzes668 zwingend, für die Stellung eines jeden Ersuchens zu verlangen, dass alle Voraussetzungen der Anordnung der entsprechenden Maßnahme im Inland vorliegen würden. Dementsprechend leisten solche Erfordernisse in jüngeren europäischen Rechtsinstrumenten (dazu S. 273 f., 288) aus dieser Perspektive keinen Beitrag zur – dringend erforderlichen – Ausbalancierung des transnationalen Verfahrens, sondern erwecken nur an der systematisch betrachtet falschen Stelle den trügerischen Eindruck derselben. 667 Sog. Einlieferungshaftbefehl, der den üblichen Regeln über einen nationalen Haftbefehl folgen soll, s. o. S. 53 f. zu Vogler sowie den Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die seit 2007 erfolgte Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (KOM [2011] 175 endgültig), S. 8: „Die Freiheit der Betroffenen wird unverhältnismäßig eingeschränkt, wenn [Europäische Haftbefehle] in Fällen ausgestellt werden, in denen Untersuchungshaft ansonsten als unangemessen angesehen würde.“ Eine andere Frage ist, ob er ausreicht, um die Auslieferung zu rechtfertigen, s. u. S. 199 ff. Schließlich kann es mitunter zweifelhaft sein, ob alle Elemente eines (Untersuchungs-)Haftbefehls erforderlich sind, dazu S. 204. 668 Der nach dem hiesigen Ansatz eben bei dem für die Schranken jeweils „zuständigen“ Staat konzentriert sein darf.
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Wenngleich der ersuchende Staat keine unmittelbare prozessunabhängige Gefahr schafft, macht er sich mittelbar das Vorgehen des ersuchten Staates zunutze, nimmt daran Teil. Entsprechend dem Gedanken der strafrechtlichen Teilnahme könnte man deshalb auf die Idee kommen, ihn akzessorisch in die Pflicht zu nehmen. Indessen ist für besagten Eingriff die Anwendung der Rechtsordnung des ersuchten Staates als des „Täters“ sachgerecht und legitim (näher S. 128 ff.); was nach ihr rechtmäßig ist, kann grundsätzlich nicht für einen „Teilnehmer“ rechtswidrig sein. Deshalb trägt auch der Teilnahmegedanke nicht mehr als die Geltung äußerster Grenzen der ersuchenden Staatsmacht, die ihr jede auch nur mittelbare Beteiligung verwehren – namentlich des ordre public.669 d) Zwischenfazit Die hier vorgeschlagene Trennung lässt sich also fruchtbar machen, um angemessene von überflüssigen Verdoppelungen zu unterscheiden: Weil und soweit es bei prozessunabhängigen und innerprozessualen Schranken jeweils nur auf eine Rechtsordnung ankommt, ist es – innerhalb der Grenzen des ordre public670 – verzichtbar, dass auch diejenigen des anderen beteiligten Staates zur Anwendung kommen.671 Die Einhaltung der solchermaßen für maßgeblich erklärten Schranken ist nicht nur erforderlich, sondern grundsätzlich auch hinreichend. Das ist die Kehrseite des hier entwickelten, auf eine strikte Wahrung der maßgeblichen strafprozessualen Schranken im transnationalen Verfahren aufbauenden Ansatzes; es belegt seine nicht einseitig restriktive, sondern im Verhältnis zum herkömmlichen Ansatz (sachgerecht) „versetzte“ Ausrichtung. In der (transnationalen) Natur der Sache liegt dabei auch, dass sich die Schranken der beteiligten Staaten verschiedentlich überlagern können. Das dogmatische Anliegen des hier vertretenen Ansatzes ist es, dieses Neben- und Miteinander der strafprozessualen Schranken plausibel zu erklären und dadurch praktische Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Dass nämlich auch unnötige Verdoppelungen oder Überschneidungen bestehen können, liegt bei einem international arbeitsteiligen Strafverfahren ebenfalls in der Natur der Sache und fällt in den „Risikobereich“ der Staaten, deren gemeinsames Vorgehen in einem gewissen Maße eine übereinstimmende Überzeugung von der Sinnhaftigkeit der Verfolgung und bestimmter Maßnahmen voraussetzt. Ihnen ist es 669
Dazu näher S. 57 ff., 68, auch zu dessen Gehalt, den Lagodny überzeugend in Gestalt der Grundrechte herausgearbeitet hat. 670 Zum Umfang o. S. 180 f. Ein gutes Beispiel aus Sicht der deutschen Rechtsordnung ist die akustische Wohnraumüberwachung, sog. „große Lauschangriff“, die schon von Verfassungs wegen hohen Hürden unterliegt (Art. 13 III GG; zur geringen praktischen Relevanz LR-Hauck, § 100c Rn. 7). 671 Insofern errichten die einschlägigen europäischen Rechtsinstrumente Hürden, die nicht zwingend sind, wenn sie es zur Bedingung der Beweisrechtshilfe machen, dass im ersuchenden Staat (bzw. „Anordnungsstaat“) der begehrte Gegenstand in concreto erlangt werden könnte (s. u. S. 272 f.).
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erlaubt, aber ihnen obliegt auch die Organisationslast dafür (s. bereits S. 106 ff., 112 f.), eine den Prozessstrukturen Rechnung tragende Arbeitsteilung vorzunehmen, also eine, die von der prinzipiellen Anwendbarkeit bestimmter Schranken ausgeht und diese sachgerecht organisiert. Dieser Rahmen eröffnet nicht nur dogmatisch stringente, sondern auch praktikable Lösungen, wie nicht zuletzt die punktuell immer wieder festgestellten Übereinstimmungen mit Regelungen des positiven Rechts zeigen. e) Konkretisierung anhand der wichtigsten Maßnahmen Um die Leistungsfähigkeit des hier entwickelten Ansatzes auf die Probe zu stellen, ist es angezeigt, ihn an einigen konkreten Maßnahmen zu entfalten, die in der strafrechtlichen Rechtshilfe häufig auftreten. aa) Vollstreckung von Strafen Mit dem Instrument der Vollstreckungsübernahme besteht die Möglichkeit, eine verhängte Sanktion in einem anderen als dem verurteilenden Staat zu vollstrecken; indem sie einen heimatnahen Vollzug der Strafe ermöglicht, kann sie deren präventiven Zielen, insbesondere der Resozialisierung (oder zumindest der Vermeidung weiterer kriminogener sozialer Isolation) zur Entfaltung verhelfen.672 (1) Einheit von Strafe und Vollstreckung in den Schranken des vollstreckenden Staates Dabei ist das Einsperren einer Person oder die Zufügung eines sonstigen Strafübels zweifelsohne per se ein Eingriff und nicht erst im Hinblick auf eine nachfolgende Rechtsstellung als Prozesssubjekt. Gleichwohl könnte man meinen, die Gefahr der Verurteilung gehe nur vom Prozess aus, sei eigentlich dessen endgültige Gerinnung und deshalb den innerprozessualen Gefahren zuzuschlagen. Das überzeugt aber nur im Bezug auf die das Erkenntnisverfahren abschließende Verurteilung; die Vollstreckung in Gestalt der Zufügung des Strafübels ist zwar durch die Verurteilung legitimiert und von deren Bestand abhängig (S. 160), aber davon ablösbar und als solche ein Eingriff in die Rechtssphäre des Individuums. Ausgehend von dieser Zweiteilung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren lässt sich eine Einordnung anhand der hier entwickelten Dichotomie innerprozessuale/prozessunabhängige Schranken vornehmen: Das Erkenntnisverfahren als solches (also einschließlich des Strafurteils, aber abgesehen von begleitenden Zwangsmaßnah672 Gleß, ZStW 116 (2004), 353, 357; Morgenstern, ZIS 2008, 76, 78; Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 4 f. vor § 48 IRG: auch im Interesse des „abgebenden“ Staates; Satzger, in: Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, S. 146 ff., 18. Eine Auseinandersetzung mit den Strafzwecken und damit der Frage, ob Spezialprävention überhaupt ein legitimer Zweck ist, kann hier nicht geleistet werden (zum Ganzen Roxin, AT I § 3 Rn. 11 ff., 17 ff.); unabhängig davon ist ein möglichst wenig desintegrierender Strafvollzug ein förderungswürdiges Ziel.
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men) bildet den innerprozessualen Raum kat’exochen und ist deshalb grundsätzlich vom ersuchten Staat hinzunehmen und nicht an der eigenen Rechtsordnung zu messen – in den Grenzen seines ordre public.673 In diesem Rahmen hat er weder die Wahrheitsfindung noch die auf der Gesamtwürdigung des Prozessstoffs fußende Strafzumessung zu überprüfen. Diese Einschränkung trägt auch der Einsicht Rechnung, dass der ersuchte Staat kein eigenes Verfahren führt (S. 37 ff.) und trägt dazu bei, eine unangemessene Wiederholung des Verfahrens in diesem zur Durchführung weniger berufenen und befähigten Staat zu vermeiden.674 Die Vollstreckung hingegen ist der Übertritt in den materiellen Rechtsraum des Angeklagten hinein und wirkt in diesem Sinne, wenn auch auf den Prozess aufbauend, von diesem unabhängig, per se freiheitsbeschränkend. Sie muss deshalb von den Regeln gedeckt sein, die der vollstreckende Staat sich als prozessunabhängige Schranken seiner Strafgewalt auferlegt hat und die von keiner fremden Rechtsordnung „ausgestochen“ werden können. Insbesondere kann ein Staat nicht befugt sein, eine Strafe wegen eines Verhaltens zu vollstrecken, das nach seiner Rechtsordnung eine solche Übelszufügung nicht verdient hat. Denn deren Legitimation ist unauflöslich mit dem Vorhandensein eines dem Gesetzlichkeitsprinzip (dazu S. 160) voll entsprechenden (eigenen675) Strafgesetzes verbunden, welches nicht zur Disposition der richterlichen Entscheidungsfindung steht und deshalb nicht im innerprozessualen Raum des Erkenntnisverfahrens aufgehen kann, sondern unabdingbare Voraussetzung sowohl dessen als auch jeder Strafvollstreckung ist.676 Richtigerweise bedarf die Zufügung eines Strafübels ferner nicht nur dem Grunde, sondern auch der Art und der Höhe nach einer einwandfreien Legitimationsgrundlage in der Rechtsordnung des vollstreckenden Staates.677 Die Obergrenze der einschlägigen Tatbestände dieses Staates bildet daher auch das Höchstmaß dessen, was er aus einem fremden Strafurteil vollstrecken darf. 673 Dazu S. 58 ff. und eingehend Lagodny, in: S/L/G/H, § 73 IRG Rn. 54 ff. (für umfassende Anwendung des nationalen Verfassungsrechts); Vogel, in: G/P/K, § 73 IRG Rn. 59 ff. (im Sinne einer abgestuften Anwendung nationaler bzw. internationaler Standards, mit zahlreichen Nachweisen auch zur „restriktiven Einheits- und Mischformel“ der Rechtsprechung, ibid. Rn. 51 ff.). 674 Dabei wird eine sachgerechte Lösung internationaler Kompetenzkonflikte unterstellt, die zwar auch in der EU erst ein rechtspolitisches Desiderat ist (s. European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 141; F. Zimmermann, Strafgewaltkonflikte, S. 214 ff. u. passim [mit Regelungsvorschlag S. 469 ff.]), aber in der Rechtshilfe zumindest als immanente Schranke wirken muss, s. o. S. 180 sowie bereits Roger, GA 2010, 27, 37 f.; Schünemann/Roger, ZIS 2010, 92, 94; dies., ZIS 2010, 515, 522. 675 Dass eine Strafnorm aus der strafenden Rechtsordnung erforderlich ist, folgt auch aus dem Gesetzlichkeitsprinzip (zu Art. 103 II GG s. Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 252) und steht deshalb nicht zur Disposition des Gesetzgebers. 676 Schünemann/Roger, ZIS 2010, 515, 520 f.; Schünemann, ZIS 2010, 735, 739 f. m.w.N. gegen Böse, ZIS 2010, 607, 610. 677 Dazu im Rahmen des allgemeinen strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzips: Roxin, AT I, § 5 Rn. 80 ff. m.w.N.
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Die analytische Trennung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die verhängte Strafe eine Sinneinheit mit den Vorschriften über die Ausgestaltung der Vollstreckung insbesondere über eine vorzeitige Haftentlassung bildet:678 Als Bestandteil der Realität – nicht bloßes rechtliches Konstrukt – erlangt eine Strafe erst im Zusammenhang mit ihrer (prospektiven) Zufügung überhaupt ihre volle Bedeutung679 und muss deshalb im Zusammenhang damit gesehen werden. Nicht akzeptabel wäre jedenfalls die Übernahme einer exorbitant hohen Strafe, die im erkennenden Staat mit großzügigen Vorschriften über die (Rest-)Strafaussetzung zur Bewährung einhergeht, zur Vollstreckung in einem anderen Staat nach dessen Vollstreckungsvorschriften, die ein solches Korrektiv nicht kennen; aber auch der umgekehrte Fall der Kumulation milder Strafen mit einem darauf nicht abgestimmten „Vollstreckungsrabatt“ kann für die präventive Wirkung des Strafrechts ungünstig sein.680 Um der Gefahr unverhältnismäßiger Strafen zuverlässig vorzubeugen und eine gleichmäßige Anwendung des Strafrechts auch in seiner praktischen Entfaltung sicher zu stellen ist es deshalb angezeigt, die Vollstreckung der Strafe an derselben Rechtsordnung auszurichten, nach der sie bemessen wurde. Die konsequenteste und die Gleichbehandlung im Verhältnis zur relevanten Vergleichsgruppe der Verurteilten im erkennenden Staat sicherstellende Lösung liegt darin, die Vollstreckung und deren Grenzen in Fortwirkung der Rechtsordnung dieses Staates zu bestimmen.681 Die entgegengesetzte Lösung, die umfassende Bestimmung der Strafe nach den Vorschriften des vollstreckenden Staates, stößt an Grenzen, weil sie kaum ohne einen – unzulässigen, s. o. – Eintritt in die Frage der Strafzumessung auskommen kann; in diesem strukturellen Grund liegt auch ein maßgeblicher Unterschied zu „gleichwertig“ Verurteilten im vollstreckenden Staat und somit die Rechtfertigung dafür, dass ein „Heimatverbüßer“ im Verhältnis zu diesen u. U. anders steht.
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Zu der vom IRG vorgesehenen Meistbegünstigung dergestalt, dass dem Verurteilten solche Erleichterungen sowohl nach dem Recht des verurteilenden als auch dem des vollstreckenden zugute kommen Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, vor § 48 IRG Rn. 15 f.; Hackner, ibid., § 57 IRG Rn. 7 ff.; zur demgegenüber in verschiedenen (vorrangigen, § 1 III IRG) internationalen Rechtsinstrumenten vorgesehenen Vollstreckung allein nach dem Recht des vollstreckenden Staates s. Schomburg/Hackner, ibid., Rn. 7 zu Art. 9 Europäisches Überstellungsübereinkommen (Hauptteil II C); Art. 17 Rb-Freiheitsstrafen (S. 262 ff.). 679 Vgl. Greco, Lebendiges und Totes, S. 420 ff. (im Anschluss an Feuerbach): Zufügung als Bestätigung der Wirklichkeit der Strafe. 680 Zum Ganzen Morgenstern, ZIS 2008, 76, 82. Freilich wäre eine Begünstigung einiger Täter weitaus unproblematischer, weil sie nicht den strengen Legitimationsvoraussetzungen unterliegt, die in einem Rechtsstaat für jede Bestrafung (und auch deren Verschärfung) gelten müssen. Zum Beispiel der Absenkung von Strafen wegen Drogendelikten in den Niederlanden S. 290 m. Fn. 289. 681 Wobei verfahrensmäßig wiederum eine Koordination ähnlich wie bei der Prüfung des Tatverdachts in Frage kommt (dazu S. 150 ff.).
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(2) „Humanitäre“ Strafvollstreckung entgegen der eigenen Rechtsordnung? Ein Sonderproblem stellt sich, wenn die fehlende Strafbarkeit der Vollstreckung in einem Staat im Wege steht, die aber vom Verurteilten gewünscht ist und womöglich absehbar für die Resozialisierung günstiger wäre, oft also der Vollstreckung einer im Ausland verhängten Sanktion im Heimatstaat des Betroffenen. In solchen Fällen ist die Vollstreckungsübernahme die einzige Alternative ist zu einer Vollstreckung im Ausland und erscheint dieser gegenüber als das geringere Übel, weshalb für eine „humanitäre Ausnahme“ vom Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit plädiert wird.682 Dogmatisch kann man eine solche Ausnahme darauf stützen, dass dem Staat hier ein Einfluss auf das „ob“ der Strafe ohnehin verwehrt ist und deshalb die Schranken zurückgefahren werden können (und auf Wunsch des Betroffenen sollten), ohne dass dies gegenüber dem Einzelnen schwerwiegende Legitimationsprobleme aufwirft. Denn wenn und soweit das Handeln des Staates nicht entscheidend ist für eine Strafe, muss er sich für diese als solche auch nicht rechtfertigen. Das liegt auf der Hand, solange sie, von einem fremden Staat verhängt, dort vollstreckt wird. Der Gedanke trägt aber auch dort – teilweise –, wo es um die Übernahme der Ausführung einer als solcher unvermeidbaren Vollstreckung geht, weil der prospektive „Vollstreckungsstaat“ die Strafzufügung nur innerhalb eines vorgegebenen Rahmens lenkt oder „ablenkt“. Soweit die Strafzufügung als solche nicht abwendbar ist, kann in der Vollstreckungsübernahme durch den (i. d. R.) Heimatstaat dann sogar eine Risikoverringerung gesehen werden, die also sub specie poenae dem übernehmenden Staat nicht zurechenbar wäre.683 Dass es sich bei der Vollstreckung in einem anderen als dem Urteilsstaat wirklich um ein geringeres Übel bzw. Risiko handelt, ist allerdings kaum objektiv messbar und sollte deshalb auf prozeduralem Wege festgestellt werden, nämlich in Gestalt eines Zustimmungserfordernisses: Der Verurteilte muss – nach umfassender Belehrung – sein Einverständnis erklären.684 Die gleichen Grundsätze können angewandt werden, wenn eine Tat zwar im Heimatstaat strafbar ist, aber die dortige Höchststrafe unterhalb der im Urteil verhängten Strafe liegt (dazu S. 194) und der Urteilsstaat zu einer Überstellung nur unter der Bedingung bereit ist, dass „seine“ Strafe auch in voller Höhe vollstreckt wird.685 Eine nicht überwindbare Grenze der Vollstreckungsübernahme bildet wiederum der ordre public in Gestalt der Normen, die die staatliche Strafgewalt absolut binden 682
Satzger, in: Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, S. 146, 159; Träskman, in: Jareborg (Hrsg.): Double Criminality, S. 135, 154; zurückhaltend Plachta, ibid., S. 84, 131 f. Eine „humanitäre Strafvollstreckung“ mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, ist aber unter Notstandsgesichtspunkten nicht abwegig. 683 Zur Risikoverringerung in der strafrechtlichen Zurechnungslehre statt vieler Roxin, AT I, § 11 Rn. 53 f. m.w.N. 684 I. E. (allgemein) für Zustimmungsbedürftigkeit: Morgenstern, ZIS 2008, 76, 82, am Beispiel des EU-Rahmenbeschlusses zur Strafvollstreckung (näher S. 262 f.). 685 Zu diesem Problem am Beispiel niederländischer Staatsangehöriger, die aus Sicht der deutschen Justiz in der Heimat mit ungebührlich niedrigen Strafen für Betäubungsmitteldelikte rechnen dürfen, s. u. S. 289 f. m. Fn. 289.
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und die nicht verfügbar sind (allg. S. 180 f.); in Deutschland sind dies die Schranken des Grundgesetzes, weshalb eine Strafe wegen einer Handlung, die hierzulande von Grundrechts wegen nicht unter Strafe gestellt werden könnte, auch niemals hier vollstreckt werden darf.686 Eine Strafe wegen homosexueller Handlungen oder wegen Ehebruchs wären demnach niemals in Deutschland vollstreckungsfähig, wohl aber – auf Wunsch des Verurteilten – eine irische Verurteilung wegen eines Schwangerschaftsabbruchs, der ceteris paribus in der BRD straffrei gewesen wäre. Ebenso müsste die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit der Strafrestaussetzung687 oder einer exorbitant hohen Haftstrafe wegen geringfügiger Betäubungsmitteldelikte688 unzulässig sein. bb) Auslieferung(shaft) Die Auslieferung ist – traditionell – das wichtigste Element der Rechtshilfe (auch wenn die üblicherweise sog. „kleine Rechtshilfe“ in Form der Beweisrechtshilfe zunehmend an Bedeutung gewinnt689) und auch dasjenige, was bevorzugt Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung war. Sie setzt sich in aller Regel zusammen aus der Inhaftierung des Beschuldigten im ersuchten Staat,690 seiner zwangsweisen Übergabe an den ersuchenden Staat und seine weitere Inhaftierung dort. An diesem zumindest faktischen Leitbild soll sie im Folgenden untersucht werden, um die relevanten Probleme herausarbeiten zu können, auch wenn diese im Einzelfall, namentlich bei der Zustimmung des Beschuldigten,691 nicht immer akut werden müssen. (1) „Auslieferungshaft“ und ihre akzessorische Qualifikation Wenn jeder Zugriff im ersuchten Staat durch die Verfolgung im ersuchenden Staat legitimiert und determiniert wird, weil er lückenlos auf die strafrechtlichen Zwecke rückführbar sein muss (S. 30 ff., 72 ff.), wirkt sich das auch „im Kleinen“, auf das Verständnis der einzelnen Maßnahmen aus: Diese müssen in einem international686 s. o. S. 58 ff. zur insofern überzeugenden Begründung Lagodnys, der die grundrechtliche Zulässigkeit freilich als einzig legitime Ausprägung der beiderseitigen Strafbarkeit, nicht erst als äußerste Grenze begreift. 687 Zu deren Verfassungswidrigkeit BVerfGE 45, 187, 223 ff.; ähnlich wie hier der Regierungsdirektor im BMJ Riegel bei Ronsfeld, ZIS 2012, 636, 640. 688 So etwa OLG Karlsruhe, StV 1997, 368 f. (zehn Jahre Mindestfreiheitsstrafe wegen Abgabe von 2,5 g Haschisch in Griechenland). 689 S/L/G/H, Einl. Rn. 17; Lagodny, ibid., vor Hauptteil II B Rn. 2 ff. 690 Sie ist zwar nicht die gesetzliche, aber die faktische Regel, s. Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H § 15 IRG Rn. 5; auch ohne sie enthält eine erzwungene Auslieferung einen gleichwertigen Eingriff in die Freiheit, dazu u. Fn. 725. 691 Sie bedeutet letztlich nur einen Verzicht auf Rechtsschutz, § 41 I IRG u. dazu Lagodny, in: S/L/G/H, § 41 Rn. 8 f., und ist deshalb zwar im Einzelfall beachtlich, aber für die grundlegende Dogmatik der Schranken als Abwehrrechte nicht entscheidend.
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arbeitsteiligen Strafverfahren (S. 113 ff.) immer im Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren gedacht werden. Dementsprechend dient die „Auslieferungshaft“ zwar unmittelbar der Ermöglichung der Auslieferung, doch kann letztere niemals Selbstzweck sein: Sie ist immer auf Förderung der fremden Strafrechtspflege gerichtet, genauer auf Ermöglichung der Verfahrensdurchführung oder der Vollstreckung. Dementsprechend ist ihre rechtliche Einordnung akzessorisch zu ihrem jeweiligen (End-)Zweck vorzunehmen, und zwar nicht aus der völker- oder rechtshilferechtlichen Vogelperspektive, sondern aus strafprozessualem Blickwinkel und nach der jeweiligen prozessualen Zwecksetzung. Für die Haft wird danach, je nachdem, das Regime der Untersuchungshaft,692 der Verhaftung zur Durchführung der Hauptverhandlung693 oder der Strafvollstreckung694 anwendbar sein, wobei, ausgehend von der Zwecksetzung im Ausgangs692 Wenn Ziel die Verfahrenssicherung ist; zur Reichweite der prozessunabhängigen Schranken s. o. S. 141 f., insbesondere zur Verdachtsprüfung S. 145 ff., zu den Haftgründen s. o. S. 167. Zur (allgemeinen) Qualifikation der Auslieferungshaft als U-Haft s. Schomburg/ Hackner, in: S/L/G/H, § 15 IRG Rn. 4. 693 Wie z. B. nach § 230 II StPO; s. noch S. 203 ff. 694 Wenn zur Vollstreckung eines rechtskräftigen Erkenntnisses ausgeliefert werden soll; dass die Strafvollstreckung mit Rechtskraft einer Verurteilung den „Vorzug“ vor anderen (sekundären) Gründen des Freiheitsentzugs erhält, entspricht der Rechtslage nach § 116b StPO (und folgt zwingend aus der Unschuldsvermutung, dazu KK-Graf, § 116b StPO Rn. 8 f.). Zum umfassenden Konzept der „Strafvollstreckung“ s. auch SK-Paeffgen, Rn. 2 vor § 449 StPO. Einen weiteren Beleg für ihren Zugehörigkeit zur Strafvollstreckung liefert die Anrechnung der im Ausland in Auslieferungshaft erlittenen Freiheitsentziehung auf die in Deutschland zu vollstreckende Strafe, s. § 450a StPO und dazu LR-Graalmann-Scheerer, § 450a Rn. 2 ff.: Die Regelung tritt (aufgrund der Entscheidung des BVerfG) gerade der früheren Ansicht entgegen, Strafzeit sei nur die in deutschem Gewahrsam verbüßte. Zwar könnte man einwenden, dass eine direkte Zuordnung zum Bereich der Strafvollstreckung eine Anrechnung eigentlich überflüssig machen würde und deshalb in der Anrechnungsregelung gerade die dogmatische Eigenständigkeit im Verhältnis zur Vollstreckung zum Ausdruck komme; die gesetzliche Regelung dokumentiert aber nicht mehr und nicht weniger als eine Übereinstimmung im Ergebnis, deren technische Realisierung mittels Anrechnung damit erklärbar ist, dass das Prozessrecht nicht auf den Gesamtzusammenhang des international arbeitsteiligen Verfahrens zugeschnitten ist. Ergänzend zum Strafcharakter der tatsächlichen Zufügung des Übels s. o. S. 160 m. Fn. 553; S. 193 f. Schließlich zeigt sich auch im Zusammenhang des Vorführungs- oder Haftbefehls zur Vollstreckung (§ 457 StPO), dass die Freiheitsentziehung nach rechtskräftiger Verurteilung der Strafvollstreckung zuzurechnen ist (Beginn der Strafzeit mit Festnahme, s. § 38 Nr. 2 S. 1 StVollstrO, dazu LR-Graalmann-Scheerer, § 457 Rn. 32; wenn § 38 Nr. 2 S. 2 speziell für die Festnahme im Ausland wiederum [erst] auf den Zeitpunkt der „Übernahme durch deutsche Beamtinnen und Beamte“ abstellt, kommt darin erneut eine Ausblendung des internationalarbeitsteiligen Zusammenhangs zum Ausdruck, die in einer innerstaatlich gewachsenen Rechtskultur zwar nachvollziehbar ist, aber dem normativen Fluchtpunkt der Verfahrenseinheit widerspricht und deshalb überwunden werden sollte). Auch die Betrachtung der übrigen Gründe für Freiheitsentzug stützt die Einordnung im Bereich der Strafvollstreckung ex negativo: Nach einer rechtskräftigen Verurteilung sind sowohl die verfahrenssichernde Funktion der U-Haft als auch die Ermöglichung der Hauptverhandlung prozessual überholt (für die U-Haft s. BVerfGE 9, 160, 161; näher SK-Paeffgen, vor §§ 112 ff. StPO Rn. 5 ff; ibid., § 120 StPO Rn. 14 ff., 17 m.w.N.; für einen Vollstreckungshaftbefehl OLG Hamm, NStZ 1982, 524; SK-
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verfahren des ersuchenden Staates, die materielle Qualifikation und die entsprechende Bestimmung der relevanten Schranken dem Recht des Staates zu folgen hat, der die prozessunabhängigen Gefahren der Haft verantwortet: des ersuchten Staates (speziell zur beiderseitigen Strafbarkeit S. 154 ff.). (2) Auslieferung als Überstellung vor (fremde) Gerichtshoheit Während die Auslieferungshaft, wie gezeigt, hauptsächlich unter dem (prozessunabhängigen) Aspekt des Freiheitsentzugs im ersuchten Staat wirkt, ist die Auslieferung selbst als zwangsweise Überstellung an eine andere Hoheitsgewalt695 zwar (auch) eine Vertiefung dieses Eingriffs in die Freiheit durch den erzwungenen Ortswechsel,696 hauptsächlich aber eine unter innerprozessualen Aspekten bedeutsame Verbringung unter fremde Gerichtshoheit. Deshalb stellt sich die Frage, ob der ersuchende Staat dem Bürger gegenüber hinreichende Gründe vorweisen kann, die das „Sich-Bemächtigen“ der Person als Prozesssubjekt tragen. Dieses besitzt eine andere Qualität als die bloß räumliche Verbringung, weil der Beschuldigte einer anderen Hoheitsgewalt und einer anderen Rechtsordnung ausgesetzt wird als derjenigen, in der er sich aus freien Stücken aufhält. Überspitzt: Es ist sub specie Strafgewalt ein schwererer Eingriff, jemanden von Kehl nach Straßburg zu schaffen, als von Flensburg nach Kempten.697 (a) Auslieferung zur Strafvollstreckung Wenig problematisch – in den Grenzen, die prozessunabhängig gezogen sind, namentlich durch die Voraussetzung beiderseitiger Strafbarkeit, legitimer Anknüpfungspunkte für die Aburteilung und der Konformität mit dem ordre public, S. 153 ff., 180 f. – ist in dieser Hinsicht die Auslieferung zur Strafvollstreckung, die sich auf ein Urteil als gefestigte Grundlage stützen kann.
Paeffgen, § 457 Rn. 14), während die Auslieferung selbst nicht Zweck, sondern nur Mittel zur Erreichung eines legitimen strafprozessualen Zwecks sein kann. 695 BVerfGE 113, 273, 293; Maaßen, in: BeckOK GG, Art. 16 Rn. 33, jeweils m.w.N.; Schomburg, in: S/L/G/H, Vorbem. HT II A Rn. 10: „Auslieferung […] in einen fremden nicht mehr kontrollierbaren (ersuchenden) staatlichen Hoheitsbereich, die als schwerwiegender Eingriff unter besonderem verfassungsrechtlichen Schutz steht.“ 696 Vgl. Maunz/Dürig-Di Fabio, Art. 2 II GG Rn. 32; dieser Aspekt unterscheidet die Auslieferung aber nicht wesentlich von der innerstaatlichen Verbringung an den Gerichtsort und soll deshalb hier nicht näher untersucht werden. 697 Ebenso Schomburg, a.a.O.: Auslieferung „keineswegs der […] ,Verschubung‘ oder Überstellung von einem Bundesland in ein anderes gleichzusetzen.“ Jene innerstaatlich selbstverständlich praktizierte „Verschubung“ in mitunter zweiwöchigen Sammeltransporten unter faktischer Vereitelung der Kommunikation und damit der Verteidigung ist im Übrigen auch nicht frei von Kritik, zumal wenn technische Möglichkeiten eine Entscheidung des „nächsten Richters“ in Haftfragen gestatten würden; dazu Kropp, ZRP 2005, 96 ff.; Schmitz, NStZ 1998, 165, 167 f.
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(b) Auslieferung zur Strafverfolgung: schlichter (Untersuchungs-)Haftbefehl nicht hinreichend Anders liegen die Dinge bei der Auslieferung zur Strafverfolgung, die den Bürger einem Verfahren mit all seinen Gefahren und der Perspektive der Verurteilung und Bestrafung zuführen soll, ohne dass es bereits zu einer umfassenden Sachverhaltsprüfung und einem Urteil gekommen wäre. Während die die positivrechtlichen Regelungen zur Auslieferung in der Regel nicht mehr verlangen, als dass im ersuchenden Staat ein (Untersuchungs-)Haftbefehl oder Äquivalent vorliegt,698 findet sich im älteren Schrifttum die Ansicht, wonach für einen solch gewichtigen Eingriff mehr erforderlich sei als für die vorübergehende Sistierung (dazu o.), er nämlich gegen den Willen des Beschuldigten nur unter der Voraussetzung erfolgen solle, dass im ersuchenden Staat das Verfahren so weit fortgeschritten sei, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit der Schuld des Verdächtigen bestehe.699 Konkret müssten also die Voraussetzungen vorliegen, die zur Versetzung in den Anklagestand bzw. „Verweisung zur Hauptverhandlung“ genügen.700 Im Sinne einer solchen Beschränkung der Auslieferung auf „hauptverfahrensreife“ Fälle könnte die Regelung des § 10 II IRG verstanden werden, die auf einen hinreichenden Tatverdacht abstellt, wie er nach dem Sprachgebrauch der StPO (§§ 170 I, 203) für Anklage- bzw. Hauptverhandlungsreife steht;701 auch wenn diese Interpretation, weil der Verdacht nach dieser Vorschrift nur ausnahmsweise überprüfbar ist und Abs. 1 nicht mehr als einen Haftbefehl verlangt, nicht durchschlägt, ist sie immerhin im Gesetz angedeutet. Wichtiger sind die rechtlichen Mechanismen, die innerstaatlich gelten und unter dem Aspekt des Benachteiligungsverbots Bedeutung erlangen könnten: Hier kann die Wertung der deutschen StPO ins Feld geführt werden, die in §§ 154 f, 205 StPO eine vorläufige Einstellung vorsieht, wenn die Abwesenheit des Beschuldigten „der Eröffnung oder Durchführung des Hauptverfahrens“ bzw. „der Hauptverhandlung“ entgegensteht, nicht aber, wenn sie die Durchführung des Ermittlungsverfahrens erschwert.702 Daran zeigt sich, dass dieses nicht zwingend auf die Anwesenheit des Beschuldigten angewiesen ist. Soweit es darum geht, in diesem Stadium auf das Verfahren einwirken zu können, 698 Siehe etwa § 10 I IRG, dazu näher Lagodny/Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, Rn. 17 ff.; Vogel, in: G/P/K, Rn. 28; Vogler, Auslieferungsrecht, S. 262; für den Europäischen Haftbefehl: KK-Graf, § 112 StPO Rn. 25b. 699 Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 564 ff.; v. Bar, Lehrbuch, S. 316 ff. 700 Ibid. 701 Ausdrücklich auf diese Vorschriften verweisend: Lagodny/Schomburg/Hackner, in: S/L/ G/H, § 10 IRG Rn. 29. 702 Eine vorläufige Einstellung im Ermittlungsverfahren soll zwar in analoger Anwendung von § 205 möglich sein (LR/Stuckenberg, § 205 Rn. 5 m.w.N.), dabei aber oft eine weitere Aufklärung möglich und vorrangig sein (Stuckenberg a.a.O.); vor allem kommt der Anwesenheit des Angeklagten nicht die überragende Bedeutung zu wie in der öffentlichen Hauptverhandlung (dazu im Text). Im Übrigen kann die hier anhand des deutschen Rechts entwickelte Ausfüllung des Merkmals der „Auslieferungsreife“ in anderen Rechtsordnungen durchaus anders ausfallen, S. 204 m. Fn. 716.
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stehen Rechte des Beschuldigten im Raum, namentlich in Gestalt von Anwesenheitsrechten bei Vernehmungen oder Augenschein. Diese bestehen erstens nicht ausnahmslos, sondern (in diesem Stadium nicht gänzlich zu unrecht) unter dem Vorbehalt der Sicherung des Ermittlungszwecks,703 und sie würden zweitens geradezu in ihr Gegenteil verkehrt, wenn sie zu Lasten des Beschuldigten zur Begründung seiner Auslieferung herangezogen würden.704 (aa) Erscheinenspflichten im Ermittlungsverfahren Weil er hier – anders als in der Hauptverhandlung – gerade nicht durchgehend, sondern im Gegenteil nur sporadisch anwesend ist, kann die zuvörderst der Legitimation des Strafverfahrens ihm gegenüber und der Gewährung rechtlichen Gehörs dienende zwingende Anwesenheit des Angeklagten705 in der Hauptverhandlung gerade nicht auf das Ermittlungsverfahren übertragen werden. Zwar kann eine Pflicht bestehen, schon im Ermittlungsverfahren auf richterliche oder staatsanwaltliche Ladung zu einer Vernehmung zu erscheinen (für Deutschland: §§ 133, 163c StPO). Aber dass diese allein eine Auslieferung tragen könnte, wird nicht ernsthaft vorgetragen706 und wird auch dadurch falsifiziert, dass sie den Zeugen ebenso trifft (§§ 48 I, 161a I StPO), ohne dass erwogen würde, diesen zwangsweise ins Ausland bzw. aus dem Ausland ins Inland zu verbringen. Auch das Hinzutreten der Beschuldigteneigenschaft kann daran nichts ändern, weil diese im Ermittlungsverfahren im Vergleich zum Zeugen v. a. mit weiteren Rechten einhergeht (s. zuvor), nicht mit qualifizierten Anwesenheitspflichten, und insbesondere noch kein strenges Unmittelbarkeitsprinzip gilt.707 In einem solchen bloßen Ermittlungsverfahren, zu dessen Durchführung die Anwesenheit des Beschuldigten weder zwingend erforderlich (s. vorstehend) noch – wegen seines Schweigerechts – zuverlässig dienlich ist,708 und das schließlich konstitutiv mit sehr hoher Unsicherheit behaftet 703
§§ 168c III (dazu KK-Griesbaum, Rn. 6 ff.), 168d I StPO. Siehe etwa die Anwesenheitsrechte (nicht: Pflichten, SK-Wohlers, § 168c Rn. 2) bei Vernehmungen und der Einnahme eines richterlichen Augenscheins, §§ 168c, d StPO, die überdies unter dem Vorbehalt der Gefährdung des Untersuchungszwecks stehen (§§ 168c III 1, 168d I 1). Zur Möglichkeit, die Rechte des abwesenden Beschuldigten anders als durch unmittelbare Vernehmung zu wahren, LR/Erb, § 163a Rn. 33 ff. Allgemein zur Vorverlagerung der Erkenntnisverfahrens in das Ermittlungsverfahren Roxin/Schünemann, § 39 Rn. 1, 35 f.; ferner die Beiträge von Sacher und Schünemann, in: ders. (Hrsg.): Risse, S. 9 ff.; 71, 78 ff., jeweils m.w.N. 705 § 230 StPO, dazu LR/Becker, Rn. 1; SK-Deiters, Rn. 1. 706 Ohne dass die Konsequenz daraus, nämlich dass ohne Haftgründe (dazu im Text sowie S. 191 m. Fn. 667) keine Auslieferung begehrt werden kann, zu einer Blockade transnationaler Verfahren führen würde. 707 Dieses soll sicherstellen, dass das urteilende Gericht sich einen lebendigen, unmittelbaren Eindruck verschaffen kann und umfasst deshalb auch die Anwesenheitspflicht des Angeklagten, Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 46 Rn. 3 ff.; es gilt nur im Strengbeweisverfahren der Hauptverhandlung, ibid. sowie Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 250 Rn. 1. 708 Die Pflicht zum Erscheinen dient zwar auch einer zuverlässigen Sachaufklärung, Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 25 Rn. 4 (anders mit beachtlichen Gründen Degener, GA 704
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ist, kann nach alledem eine im Allgemeinen innerstaatlich bestehende Pflicht des Beschuldigten, zur Vernehmung zu erscheinen, den gewichtigen Eingriff der Verbringung in einen anderen Staat, unter fremde Gerichtshoheit, nicht tragen. (bb) Kritik: überschießende transnationale Wirkung eines nationalen Haftbefehls Wenn dagegen ein (Untersuchungs-)Haftbefehl für eine ausreichende Grundlage der Auslieferung erachtet wird (s. o.), so wird diesem im transnationalen Fall implizit eine Wirkung zuerkannt, die ihm seiner Natur nach eigentlich nicht zukommt, dient doch die Untersuchungshaft nicht dazu, sich den Beschuldigten „zur Hand“ zu halten,709 sondern lediglich der Verfahrenssicherung in eng begrenzten Fällen – in Deutschland namentlich bei Verdunkelungs- oder Fluchtgefahr sowie im umstrittenen Fall der Wiederholungsgefahr.710 Gegen diese Gefahren aber, also dagegen, dass der Beschuldigte flieht, Beweise vernichtet oder weitere Straftaten begeht, bietet auch die Inhaftierung in einem anderen Staat genügend Gewähr. In ihrer allein verfahrenssichernden Zwecksetzung hat die U-Haft, auch wenn sie in jedem Verfahrensstadium zulässig ist, einen dienenden, akzessorischen Bezug und kann deshalb nicht mehr legitimieren, als aus dem Verfahren heraus im jeweiligen Stadium zulässig ist,711 und das umfasst im Ermittlungsverfahren, wie es u. a. in Deutschland konzipiert ist, gerade nicht die vollumfängliche und ggf. zwangsweise durchsetzbare 1992, 443, 462: nur Gewährung rechtlichen Gehörs). Stellt man aber in normativer Betrachtung sein Schweigerecht in Rechnung (ähnlich Degener a.a.O.) und lässt die in diesem Stadium noch nicht entscheidende Wahrnehmung des Täters als Person (o. Fn. 707) außer Acht, ist seine persönliche Anhörung v. a. zu seinen Gunsten wirklich sachdienlich, indem ihm die Möglichkeit zur Einlassung und ggf. Widerlegung des Vorwurfs gegeben wird (ähnlich Niese, Doppelfunktionelle Prozesshandlungen, S. 135: Der Pflicht zum Erscheinen fehle „als Korrelat die Pflicht zur Einlassung“, weshalb sie für den innerprozessualen Raum [aus dem heraus allein die Begründung der Auslieferung folgen kann, dazu S. 199 f.] irrelevant sei). Um diesen Zweck zu erreichen, genügt es, wenn er in einer Ladung auf die negativen Konsequenzen seines Ausbleibens bzw. seiner Nichterklärung hingewiesen wird, woraufhin es ihm unbenommen bleibt, einer Auslieferung zuzustimmen; weil mehr zu seinem Schutz nicht erforderlich ist, ist mehr auch gegen seinen Willen nicht zulässig (s. auch S. 185). Ähnlich bereits Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 568. 709 Das würde in diesem Verfahrensstadium gegen die Unschuldsvermutung und gegen das Instrumentalisierungsverbot verstoßen, weil man ihn dann nur zur leichteren Ermittlung durch die Verfolgungsorgane festhalten würde (zum Ganzen SK-Paeffgen, § 112 StPO Rn. 16, 21 ff.; dazu, dass individualschützende Erwägungen nicht durchgreifen, s. im Text und o. Fn. 708). 710 §§ 112 f. StPO; dazu und zur praktisch häufig laxen und damit missbräuchlichen Handhabung Roxin/Schünemann, § 30 Rn. 2 f.; SK-Paeffgen, vor § 112 Rn. 5 ff., jeweils m.w.N.; spezifische Haftgründe nannte auch Art. 14 I des Entwurfs eines Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl (KOM [2001] 522 endg., näher zum Rahmenbeschluss S. 266 ff.), der im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zugunsten einer Vollstreckung nach der lex loci aufgegeben wurde. Zur Wiederholungsgefahr zu recht krit. SK-Paeffgen, § 112 a Rn. 1 ff. m.w.N. 711 Sie dient nicht allgemein zur Erleichterung der Ermittlungen, KK-Graf vor § 112 StPO Rn. 12 m.w.N.
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Anwesenheit des Beschuldigten. Wegen dieses dienenden Bezugs kann die U-Haft auch die Wirkung einer etwaigen Erscheinenspflicht (s. o.) nicht verstärken bzw. zu einer vollumfänglichen, an die Hauptverhandlung angelehnten Anwesenheitspflicht „verdichten“; diese ist eben mehr als die Summe der für sich jeweils gerechtfertigten, durch den ersuchten Staat vermittelbaren Zugriffe (namentlich verfahrenssichernde Inhaftierung und etwaige Vernehmungen). Soweit also auf der Grundlage eines bloßen Untersuchungshaftbefehls ausgeliefert wird, wird dem – in diesem Stadium qua Vermutung als unschuldig geltenden712 – Beschuldigten im grenzüberschreitenden Verfahren unter den selben rechtlichen Voraussetzungen mehr zugemutet als in einem vergleichbaren nationalen Verfahren des ersuchenden Staates. Im innerstaatlichen Fall ist dieses Plus, die Unterstellung unter die eigene Strafgewalt, zwar nicht eigens geregelt – sondern vorausgesetzt; die dafür anhand einer systematischen Betrachtung herausgearbeiteten Legitimationsbedingungen aber kann ein schlichter Haftbefehl nicht erfüllen (s. o. S. 200 ff.). Wenn der ersuchte Staat eine solche Behandlung in einem Ermittlungsverfahren wie dem deutschen nicht auf triftige Gründe stützen kann (s. zuvor), droht ein Widerspruch zum (verfassungsrechtlich verankerten) Verbot der Individualbenachteiligung (S. 69 ff., 80 ff.), der nach dem Gedanken der Gesamtschuld (S. 103 ff., 109 ff., 112 f.) beiden beteiligten Staaten entgegen gehalten werden kann. (cc) Voraussetzungen der Unterwerfung unter staatliche Gerichtshoheit Es erscheint nach alledem vorzugswürdig, die Auslieferung ebenso wie eine innerstaatliche umfassende Unterwerfung unter ein Gerichtsverfahren (mit umfassenden Anwesenheitsrechten und -pflichten) zu behandeln und an die entsprechenden Bedingungen im ersuchenden Staat zu knüpfen.713 Das wird in der Regel voraussetzen, dass der Prozess einerseits so weit gediehen ist, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit der Täterschaft des Beschuldigten besteht und ihm deshalb ein solches Sonderopfer abverlangt werden kann, andererseits wegen der mitunter existentiellen Folgen eines Strafverfahrens seine Anwesenheit und seine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, unerlässlich sind.714 In Deutschland ist dieser Punkt erreicht, wenn das Verfahren reif für die Eröffnung des Hauptverfahrens ist;715 nach 712 Schünemann, in: 140 Jahre GA, S. 215, 231; ausf. zur Unschuldsvermutung SKPaeffgen, § 112 StPO Rn. 16, 21 ff. 713 Ähnlich die Lösung in: Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, Art. 14 I, II (S. 26 f.) und dazu Asp, ibid., S. 132, 136, mit dem zusätzlichen Fall, dass die Anwesenheit zur Durchführung einer Ermittlungsmaßnahme erforderlich ist; diese Konstellation ist nach der hier vertretenen Ansicht, soweit es nicht ohnehin nur um Rechte des Beschuldigten geht, die nicht in Duldungspflichten umschlagen können, entweder über den Einsatz von Videotechnik oder durch die Offenheit des Merkmals „umfassende Unterwerfung/Anwesenheitspflicht“ zu lösen (dazu im Text). 714 Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn. 3 m.w.N. 715 Oder die Nichteröffnung allein auf die Abwesenheit des Beschuldigten zurückgeht, § 205 StPO; in Ländern, die ein subsidiäres Abwesenheitsverfahren kennen, wäre die Vorführung im Wege der Einlieferung zur besseren Wahrung der Verteidigungsrechte auch im
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anderen Rechtsordnungen möglicherweise schon früher, etwa in einem denkbaren strikt partizipatorisch ausgestalteten Ermittlungsverfahren, das bei umfassender Beteiligung des Beschuldigten die Hauptverhandlung weitgehend vorwegnehmen würde.716 Weil hierfür die Rechtsordnung des ersuchenden Staates maßgeblich ist (S. 200 f.), bleibt genügend Raum, die skizzierten Anforderungen im jeweiligen Fall sachgerecht zu konkretisieren, d. h. dahingehend, dass weder dessen Verfahren behindert wird noch der Beschuldigte in seinen Rechten ungebührlich beeinträchtigt wird. Dass es dabei – bereits bei Lammasch717 – um individualrechtlich fundierte Überlegungen geht und nicht um Misstrauen gegenüber dem fremden Staat oder Souveränitätserwägungen, zeigt sich im Übrigen daran, dass eben die Wertung dieses fremden (ersuchenden) Staates anerkannt wird (soweit nicht ausnahmsweise der ordre public des ersuchten Staates entgegensteht, dazu S. 58 ff., 180). Deshalb sind diese Erwägungen auch in einer stetig zusammenwachsenden Staatengemeinschaft wie der EU nicht obsolet, weil das „Vertrauen“ zwischen den Staaten keinen dem Bürger gegenüber durchgreifenden Grund für Freiheitsbeschränkungen bildet (S. 74 f.; S. 243 f.); im Gegenteil steht es der EU als „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“718 gut zu Gesicht, wenn die Freiheit der Bürger unter Wahrung der Sicherheit (die Zwecke der U-Haft können durch Vollstreckung im Ausland gleich gut erreicht werden, s. o.) und in gelebter Rechtsgemeinschaft (in Gestalt des arbeitsteiligen Verfahrens) gewährleistet wird. Sie müssen auch keineswegs zu einer praktischen Erschwernis der Strafrechtspflege führen, die auf moderne technische Mittel wie eine audiovisuelle Vernehmung zurückgreifen kann.719 (dd) Kehrseite: Untersuchungshaftbefehl nicht erforderlich Zugleich und umgekehrt macht die konzeptionelle Loslösung vom „Einlieferungshaftbefehl“ in Gestalt eines klassischen Untersuchungshaftbefehls deutlich, dass dieser nicht nur keine hinreichende, sondern auch keine notwendige Voraussetzung einer Auslieferung bildet. Das ist bereits in der Möglichkeit der Auslieferung zur Strafvollstreckung angelegt, die sich nicht auf einen verfahrenssichernden Un-
Verhältnis zu diesem vorrangig und (mindestens) unter den Voraussetzungen zulässig, die zur Einleitung dieses Abwesenheitsverfahrens berechtigen würden. 716 Zu einem solchen (i.E. abl.) Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 39 Rn. 36; Schünemann, Festschrift Fezer (2008), 555, 572 f. m.w.N. 717 Auslieferungspflicht, S. 564; ergänzend hier S. 46 ff.; dass die Auslieferung heutzutage weniger belastend als zu dessen Zeit sein mag, nimmt ihr noch nicht den einschneidenden Charakter, der gerade angesichts enorm verbesserter Möglichkeiten der „Tele-Vernehmung“ ihrer Vornahme im Ermittlungsverfahren entgegen stehen sollte. 718 Zu dessen fortschrittlichem Potenzial s. noch S. 237 ff., 287 u. passim. 719 Vorgesehen etwa in Art. 10 EU-RhÜbk; 24 RiLi-Ermittlungsanordnung. Eingehend Norouzi, Die audio-visuelle Vernehmung von Auslandszeugen.
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tersuchungshaftbefehl, sondern nur auf ein vollstreckbares Urteil stützen kann.720 Darüber hinaus wird man, gerade weil die Auslieferung der Ermöglichung der Hauptverhandlung dienen soll, auch einen solchen Haftbefehl genügen lassen müssen, der spezifisch auf deren Durchführung gerichtet ist.721 Eine streng am (Untersuchungs-)Haftbefehl orientierte Sichtweise dagegen stellt zugleich zu geringe (s. o.), zugleich aber auch zu hohe Anforderungen, wenn sie stets das Vorliegen der entsprechenden Haftgründe verlangt: Wenn der verfahrensführende Staat zur Durchführung der Hauptverhandlung in der Lage ist und den Beschuldigten deshalb nötigenfalls zwangsweise vor Gericht bringen will, wäre das Erfordernis der Fluchtgefahr, die eben nicht schon wegen des Aufenthalts im Ausland angenommen werden kann, dysfunktional.722 (ee) Zwischenfazit Die Auslieferung zur Strafverfolgung bewirkt, dass der Beschuldigte unter fremde Gerichtshoheit gestellt wird. Sie ist deshalb qualitativ etwas anderes als schlichte Untersuchungshaft und muss anderen Legitimationsvoraussetzungen unterliegen. Diese sind in den allgemeinen Voraussetzungen umfassender Unterwerfung unter staatliche Gerichtshoheit zu suchen, die in der Regel – jedenfalls im deutschen Strafprozess – erst dann vorliegen, wenn mit der Hauptverhandlungsreife der Angeschuldigte vollumfänglich zur Anwesenheit berechtigt und verpflichtet ist. Je nach konkreter Ausgestaltung des Verfahrens im ersuchenden Staat kann ein 720 Lagodny/Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 10 IRG Rn. 21 ff.; allgemein zur Problematik der „Zwischenhaft“, die ab Rechtskraft einer Verurteilung nicht mehr ohne Weiteres auf Untersuchungshafttatbestände gestützt werden kann, s. (krit.) SK-Paeffgen, vor §§ 112 ff. StPO Rn. 5 ff; ibid., § 120 StPO Rn. 14 ff. m.w.N. 721 Immer vorbehaltlich der Hauptverhandlungsreife (oder Äquivalent, s. o.); wegen dieses Zusammenhangs ist der Haftbefehl nach § 230 II, eher als derjenige nach §§ 112 f. StPO, in der deutschen Rechtsordnung die passende Grundlage für eine Ergreifung im Ausland. Für die oben genannten Grundsätze der Verdachtsprüfung ist die Wahl der Rechtsgrundlage gleichgültig (zur Anwendbarkeit von § 115a StPO s. Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn. 21 m.w.N.). In diesem Sinne bereits Lammasch, Auslieferungspflicht, S. 564 ff., 570; darüber hinaus lassen § 230 zumindest auch gelten: Lagodny/Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, § 10 IRG Rn. 17 (die zu recht weniger auf die Form als auf die materiellen Kriterien des Verfolgungswillens, der Verdachtsprüfung [im ersuchenden Staat] und des Festnahmegrundes abstellen; der Vorteil des „Abwartens“ der Hauptverhandlungsreife [dazu sogleich im Text] zeigt sich im Übrigen darin, dass diese Faktoren alle mit hoher Verlässlichkeit nachgewiesen sind, wenn ein Verfahren bis zur Hauptverhandlung gediehen ist und der Angeklagte sich ihm bewusst entzieht); Vogel, in: G/P/K, § 10 IRG Rn. 28; dagegen Vogler, Auslieferungsrecht, S. 266 u. tendenziell OLG Karlsruhe StV 1999, 261; zur Zulässigkeit eines Haftbefehls nach § 230 II StPO, auch wenn der Angeklagte im Ausland lebt, KK-Gmel, Rn. 13. 722 Allg. zur (zutreffenden) Annahme, dass der Wohnsitz im Ausland nicht per se Fluchtgefahr begründen kann, Kirsch, StV 2010, 256; Meyer-Goßner/Schmitt, § 112 Rn. 20a; ausdrücklich auch Vogler, Auslieferungsrecht, S. 266, der umfassend an den Voraussetzungen des „Einlieferungshaftbefehls“ i.S. eines Untersuchungshaftbefehls festhält und keine Lösung für das daraus (in Kombination mit seiner Ablehnung von § 230 II, s. die vorstehende Fn.) folgende Dilemma anbietet, dass der nicht flüchtige im Ausland wohnhafte Beschuldigte dann u. U. „ungreifbar“ ist.
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anderes Verfahrensstadium maßgeblich sein; indem die vorgeschlagenen abstrakten Kriterien auf die maßgebliche Rechtsordnung des verfahrensführenden Staates projiziert werden, ist der hier vertretene Ansatz für unterschiedliche Prozessmodelle offen. Entscheidend ist, dass ein bloßer Untersuchungshaftbefehl eine Auslieferung deswegen nicht tragen kann, weil er sonst im transnationalen Fall einen qualitativ weiter gehenden Eingriff tragen würde als innerstaatlich. Umgekehrt sind aber auch nicht alle Voraussetzungen eines solchen Haftbefehls erforderlich – entgegen einer verbreiteten Meinung kann es hinreichende Gründe für einen Einlieferungshaftbefehl geben, auch wenn weder Flucht- noch Verdunkelungsgefahr besteht. Im Übrigen hat die Verzögerung – wohlgemerkt: der Auslieferung, nicht des Verfahrens insgesamt – bis zu einem fortgeschrittenen Stadium der Ermittlung den indirekten Effekt, dass die Entscheidungsgrundlage für oder wider die Auslieferung im ersuchten Staat breiter wird und insbesondere Gelegenheit besteht, vor der endgültigen „Verfügung“ über den Beschuldigten zu prüfen, ob diese noch im Einklang mit der eigenen Rechtsordnung steht (s. o. S. 164 zu dem Beispiel, dass ein Tötungsdelikt sich als aus der Perspektive des ersuchten Staates eindeutig entschuldigt erweist). Soweit auf dieser Basis prozessunabhängige Schranken rechtzeitig aktuell werden und einer Auslieferung entgegenstehen (im Beispiel wegen Entfallens der beiderseitigen Strafbarkeit als Grundlage der Sistierung und eo ipso der Auslieferung723), ist damit ein Gewinn an rechtsstaatlichem Schutz verbunden, ohne dass das Verfahren des ersuchenden Staates ungebührlich blockiert würde (weil und soweit er dieses auch ohne den Beschuldigten betreiben kann, s. o.). (3) Fazit Auslieferung und Auslieferungshaft sind also, wenn man sie auf ihre prozessuale Funktion zurückführt, dogmatisch zu trennen und werfen unterschiedliche Fragen auf; schon die Bezeichnung „Auslieferungshaft“ ist unpräzise, weil die Inhaftierung im ersuchten Staat akzessorisch zu ihrem (im ersuchenden Staat verfolgten) Zweck ist und je nachdem materiell als Straf-, Vorführ- oder Untersuchungshaft zu qualifizieren sein kann. Im Grunde ist der Begriff zumindest auch insofern falsch, als man die vorübergehende Inhaftierung zur Verfahrenssicherung im fremden Auftrag vor Auslieferungsreife als „kommissarische U-Haft“, nicht aber als Haft zur Auslieferung qualifizieren kann, über deren Statthaftigkeit ja noch gar nicht entschieden werden kann. Der gesamte Vorgang der Auslieferung im weiteren Sinne setzt sich dabei zusammen aus den beiden (groben) Phasen der Sistierung und der Übergabe, die aus prozessualer Perspektive jeweils unterschiedlichen Rechtsordnung gehorchen sollten, in der Summe aber einer gewissen Kumulation (nicht aller, aber) der jeweils einschlägigen Schranken unterliegen: Wo ein Freiheitsentzug nicht in eine Auslieferung münden kann, weil diese unzulässig wäre, lässt er sich mangels legitimen 723
s. o. S. 154 ff., 197 sowie ergänzend u. Fn. 725.
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Zwecks nicht rechtfertigen;724 wo ein Freiheitsentzug, etwa wegen fehlender Strafbarkeit im ersuchten Staat, nicht legitim ist (s. S. 141 ff.; 154 ff.), kann auch keine Auslieferung gegen den Willen des Beschuldigten erzwungen werden.725 cc) „Sonstige“ bzw. Beweisrechtshilfe Nach den vorstehend entwickelten Grundsätzen ist das Beweisrecht diejenige Materie, die am meisten Überschneidungen zwischen den Rechtsordnungen bzw. die stärkste Einwirkung des Rechts des verfahrensführenden Staates im ersuchten Staat kennt, denn wegen des Bezugs zum innerprozessualen Raum kommt es bei der Erhebung durch die Organe des ersuchten Staates maßgeblich auf das Beweisrecht des verfahrensführenden Staates an, in dem jener Raum konstituiert ist (S. 169 ff.). Die innerprozessualen Schranken des ersuchten Staates sind demgegenüber von keiner unmittelbaren Bedeutung; zugleich ist seine Rechtsordnung aber zu beachten, sobald ein Übertritt in den materiellen Rechtsraum in Gestalt prozessunabhängiger Gefahren eintritt. Ersteres, die Zurücknahme der nur innerprozessual bedeutsamen Beweisgewinnungsvorschriften, ist im gegenwärtigen Gefüge der Rechtshilfe noch kaum realisiert und könnte diesen Bereich zugleich rationalisieren und erleichtern (s. o. S. 170 ff., S. 188 ff.). Andererseits besteht eine zumindest teilweise Übereinstimmung mit der deutschen Rechtslage nach dem IRG, welches in §§ 66, 67 aus der „sonstigen Rechtshilfe“ nur Beschlagnahme, Durchsuchung und Übergabe von Gegenständen unter den Vorbehalt der beiderseitigen Strafbarkeit stellt; Eingriffe also, von denen aus hiesiger Perspektive prozessunabhängige Gefahren für Individualrechte ausgehen (im Fall der Übergabe zumindest: können) und die deshalb einer rechtlichen Grundlage im ersuchten Staat bedürfen, welche die materielle Strafbarkeit der Tat einschließt. Auch die europäischen Instrumente zur Beweisrechtshilfe ziehen – abgesehen von der generellen Abschaffung beiderseitiger Strafbarkeit für „Katalogtaten“ – ähnliche Grenzen (näher S. 256 f.). Auch soweit flankierende Schranken einer Beweisgewinnung für die Verwertbarkeit eines Beweises relevant sind, namentlich wenn sie der Sicherung von Verteidigungsrechten dienen, entfalten sie innerprozessuale Schutzwirkung und müssen 724 Ähnlich i.E. § 15 II IRG, wonach die Auslieferungshaft unzulässig ist, wenn „die Auslieferung von vornherein unzulässig erscheint“. In diese Kategorie gehören etwa Bagatellfälle, derentwegen eine Auslieferung vollkommen überzogen wäre; das hindert freilich den ersuchten Staat nicht, selbst ein Verfahren einzuleiten, in dessen Rahmen dann ggf. Untersuchungshaft angeordnet werden kann. Nach der hier vertetenen Ansicht ist weiter entscheidend, dass die denkbaren legitimen Zwecke Verfahrenssicherung sowie Strafvollstreckung sind und die Auslieferung nur deren „Stellvertreterin“. 725 Denn sie setzt i. d. R. eine vorhergehende Inhaftierung voraus (o. Fn. 690), mindestens aber einen Eingriff, der – auch grundrechtsdogmatisch, Maunz/Dürig-Di Fabio, Art. 2 II GG Rn. 32 – die Schwere einer Freiheitsentziehung aufweist und deshalb ebenso wie die (Auslieferungs-) Haft selbst prozessunabhängigen Schranken unterliegen muss (zum Richtervorbehalt Vogel, JZ 2001, 937, 943).
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dem Recht des verfahrensführenden Staates entnommen werden. Ein instruktives Beispiel hierfür bildete das alte „Schweizer Modell“, das insbesondere bei Durchsuchungen eine Anwendung der Vorschriften der lex fori zur Wahrung von Verteidigungsrechten vorsah: Dazu zählte das in manchen Kantonen vorgesehene Anwesenheitsrecht des Beschuldigten (im Unterschied zum allgemeinen Anwesenheitsrecht des Wohnungsinhabers etwa gem. § 106 der deutschen StPO).726 Ob eine Prozessordnung wie in diesem Fall vorweggenommenes rechtliches Gehör schon bei der Durchsuchung gewährt, ist der Entscheidung des Gesetzgebers überlassen. Wählt er diese Möglichkeit, so ist es nur konsequent, sie auch bei entfernter Beweiserhebung im Ausland einzuhalten; umgekehrt zwingt nichts dazu, solche spezifischen innerprozessualen Gewährleistungen auch anzuwenden, wenn man in der Rolle des ersuchten Staates für einen anderen tätig wird. f) Praktische Umsetzung Abschließend sind einige Bemerkungen zu der Frage am Platz, wie die hier dogmatisch entwickelten Schlüsse sich in der praktischen Gestaltung der Rechtshilfe abbilden lassen. aa) De lege ferenda In praktischer Hinsicht erscheint es denkbar, die dogmatische Unterscheidung zwischen innerprozessualen und prozessunabhängigen Schranken in neuen Regeln zur Rechtshilfe zu verankern. Dazu könnte einerseits folgendes vorgesehen werden: „Der ersuchende Staat teilt dem ersuchten Staat die nach seiner Rechtsordnung einzuhaltenden innerprozessualen Schranken mit. Innerprozessual im Sinne dieser Vorschrift sind der ordnungsgemäßen (insbesondere: fairen) Wahrheitssuche dienenden Vorschriften“ (dazu S. 169 ff.). Diese müssten für den ersuchten Staat in concreto Verbindlichkeit erlangen. Andererseits müsste klargestellt werden, dass die prozessunabhängigen Schranken des ersuchten Staates unverbrüchliche Geltung beanspruchen (S. 130 ff.); sie könnten als solche umschrieben werden, „die nicht lediglich der ordnungsgemäßen Wahrheitsfindung dienen, sondern unabhängig vom Fortgang des Prozesses eingreifen.“ Zur konkretisierenden Abgrenzung könnte auch der Drittbezogenheits-Test (S. 133 ff.) herangezogen werden, indem etwa bestimmt würde, dass „Schranken, die auch Dritten zugute kommen, in der Regel prozessunabhängig sind“; schließlich würde sich eine verbindliche Katalogisierung durch 726
Zu dieser Koordination unterschiedlicher Kantons-Strafprozessordnungen im Bundesstaat Wohlers, in: Schünemann (Hrsg.): Alternativentwurf „Europäische Strafverfolgung“, 51, 68 f.; zur Vorbildfunktion für den Alternativentwurf s. dort S. 11 f. Dieses Modell wurde in der Schweiz freilich durch die behördliche Wahlfreiheit zwischen Beweiserhebung de lege fori und de lege loci in rechtsstaatlich bedenklicher Weise „verwässert“ (krit. Wohlers a.a.O. S. 73). Seit Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. 10. 2007 (Bundesblatt [BBl.] 2006 1085) am 1. 1. 2011 (Bundesratsbeschluss vom 31. 3. 2010) ist dieses historische Modell überholt (zum Reformprozess Gless, ZStW 113 [2001], 419 ff.).
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die beteiligten Staaten in einer umfassenden Datenbank anbieten, wie sie in der EU im Rahmen des Europäischen Justiziellen Netzes (EJN) ansatzweise besteht.727 Ein anderer Ansatz bestünde in der rechtsvergleichenden Analyse zur Ausarbeitung einer allgemeinen, von den einzelnen Rechtsordnungen abstrahierenden Lehre von den strafprozessualen Schranken, die sich wegen der in der Sache fundierten Dichotomie auch finden lassen dürfte, aber nicht nur den Rahmen der vorliegenden Arbeit deutlich sprengen würde. Realistischer dürfte deshalb eine abstrakt-generelle Regelung entsprechend der erstgenannten Variante sein, die gerade in der EU unter einer gemeinsamen Gerichtsbarkeit auch nicht der Gefahr willkürlicher Grenzziehung durch die Staaten ausgesetzt wäre, sondern unter der vereinheitlichenden Kontrolle des EuGH entfaltet werden könnte. Die Behörden des ersuchten Staates könnten in diesem Rahmen also nicht nach freiem Ermessen prozessunabhängige Schranken und damit Rechtshilfehindernisse postulieren, ebenso wenig wie diejenigen des ersuchenden Staates frei in der Erstreckung ihrer eigenen prozessualen Vorschriften wären. bb) De lege lata Auch de lege lata aber ließe sich einerseits unter dem Prinzip lex fori regit actum, das in den Regelwerken der Rechtshilfe zunehmend an Bedeutung gewinnt, eine Wahrung der innerprozessualen Schranken des verfahrensführenden Staates erreichen (S. 170 f.), wenn es verbindlich verankert würde. Die entsprechenden, noch fakultativen Ansätze in verschiedenen europäischen Rechtsinstrumenten728 bedeuten schon einen Schritt in diese Richtung und liefern mit dem offenen, der Konkretisierung sowohl bedürftigen als auch fähigen Begriff der „einzuhaltenden Formvorschriften“ einen Anknüpfungspunkt für die dogmatische Kategorie der innerprozessualen Schranken. In der Konsequenz kann auch die Frage der Verwertbarkeit nach den gefestigten Kriterien der forum-Rechtsordnung beantwortet werden. Das Problem konfligierender Beweisvorschriften stellt sich in jedem Fall, wird aber mit einer konsequenten Anwendung der lex fori auf die Stufe der Beweiserhebung und damit auf die Bestimmung der anzuwendenden innerprozessualen Schranken vorverlagert. Dort hat es seinen Platz, soll eine aus Sicht des Verfahrensstaats unzulässige, damit u. U. nutzlose und so insgesamt rechtswidrige Erhebung vermieden werden (dazu S. 95 ff.); etwaige Schwierigkeiten bei der Bestimmung der (maßgeblichen) inner727 Unter http://www.ejn-crimjust.europa.eu/ejn/ (abgerufen am 26. 11. 2015), dort unter „Informationen über einzelstaatliche Systeme“ finden sich (grundlegende) Auskünfte über die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einschließlich der Rechtshilferegelungen. 728 S. 275 ff.; wenn Gleß, in: S/L/G/H, Art. 4 EURhÜbk Rn. 1; Heger, ZIS 2007, 547, 553 f. und LR-Jäger, § 223 Rn. 38 von einer zwingenden lex-fori-Regel ausgehen, erscheint dies nicht ganz überzeugend, denn die bisherigen Instrumente knüpfen an (tatsächlich) mitgeteilte „Formvorschriften“ an, ohne dem ersuchenden Richter deren Mitteilung vorzuschreiben (ebenso European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 417).
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prozessualen Schranken können auch mit einer „pragmatischen“ Herangehensweise (Bsp. o. Fn. 597) nicht gelöst, sondern höchstens bis zu dem Zeitpunkt aufgeschoben werden, wo sie im Rahmen der Verwertung ihrer Natur entsprechend (S. 171 f.) virulent werden – um dort in einer wenig vorhersehbaren Gesamtabwägung ausgehandelt werden zu müssen.729 Die unvermeidliche Problematik unterschiedlicher Verfahrensordnungen kann also mit einer konsequenten Erstreckung innerprozessualer Schranken auf transnationale Beweiserhebungen, auch wenn diese keine triviale Aufgabe ist, sowohl besser als auch rechtzeitig gelöst werden. Andererseits könnte durch Subsumtion der prozessunabhängigen Schranken unter den Begriff der „wesentlichen Rechtsgrundsätze“ (i. e. ordre public) deren Aufrechterhaltung im ersuchten Staat (als „Rechtshilfeschranken“) ebenfalls de lege lata gesichert werden: Diese sind „wesentlich“ in dem Sinne, dass sie ihrem Wesen (profaner: ihrem Sinn und Zweck) nach die Macht des Staates nicht nur für seine „eigenen“ Strafverfahren, sondern unbedingt beschränken. Damit würde der ordre public über seine abstrakt-generelle Postulierung hinaus (wenn auch nur für den Teilbereich der eigenen hoheitlichen Maßnahmen des ersuchten Staates730) einen material angereicherten und präzisen Gehalt erlangen: Indem auf die Konkretisierung im einfachen Recht abgestellt wird, wird der unmittelbare Rückgriff auf die allgemeinen Verfahrensgrundsätze und Grundrechte vermieden, die ihrer Bestimmung nach nur Rahmen und Prüfstein der Verfahrensordnung, nicht Ersatz für dieselbe sein können (S. 98 ff.). Nur (aber immerhin) dort, wo nicht die prozessunabhängigen Schranken des ersuchten Staates direkt Geltung beanspruchen, bliebe es bei der verfassungsunmittelbaren Bestimmung des ordre public.731 6. Fazit: Konsequent strafprozessuale Rechtsstellung Die Frage nach der Rechtsstellung des Individuums in der strafrechtlichen Rechtshilfe lässt sich vor dem Hintergrund deren strafprozessualer Qualifikation unter Rückgriff auf die Regeln des Strafverfahrens beantworten. Aus dessen sachlichen Strukturen kann abgeleitet werden, welche Regeln jeweils in einem transnationalen Fall zur Anwendung berufen sind. Dazu ist es angezeigt, zunächst von der Feststellung auszugehen, dass die Rechtsstellung des Individuums im Strafprozess wesentlich in Schranken der Hoheitsmacht besteht, die den verschiedenen von dem Verfahren für Individualrechte ausgehenden Gefahren Grenzen ziehen.
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S. 93 ff.; 100; speziell zur „Beweiswürdigungslösung“ Fn. 597. Wo er durch ebendiese Schranken aus prozessualer Perspektive direkt gebunden ist, s. o. S. 130 ff. 731 D. h. einerseits im Verhältnis zum innerprozessualen Raum, andererseits wenn es um drohende (namentlich bei der Auslieferung) oder vergangene (namentlich bei der Vollstreckungsübernahme) Rechtsverletzungen im ersuchenden Staat geht (näher S. 180 f.). Zur vollständigen Grundrechtsgeltung s. o. S. 58 ff. 730
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a) Differenzierte Ableitung aus den innerstaatlichen Prozessordnungen Diese Gefahren eines Strafverfahrens lassen sich unterteilen in prozessunabhängige und innerprozessuale. Erstere gehen unmittelbar von den Maßnahmen der staatlichen Strafverfolgung aus, ohne dass es auf den weiteren Fortgang des Prozesses ankommt. Als Test zu ihrer Bestimmung bietet sich die Frage an, ob sie auch Dritten gegenüber, ohne Bezug zur prozessualen Rechtslage, abgeschirmt sind. Die Qualifikation der strafprozessualen Schranken folgt derjenigen der Gefahr: Alle allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen eines prozessunabhängig gefahrenträchtigen Eingriffs dienen der Eindämmung dieser Gefahren und sind deshalb als prozessunabhängige Schranken anzusehen. Wegen dieser Zweckrichtung, die unabhängig vom Fortgang des Verfahrens und deshalb auch von dessen „Spielort“ ist, sind diese Schranken des handelnden Staates zur Anwendung berufen, auch wenn er „nur“ als ersuchter Staat für einen anderen vorgeht (S. 126 ff.). Weil es also nur um die (beständige) Selbstbindung dieses Staates in seiner eigenen hoheitlichen Tätigkeit geht, ergibt sich dies unmittelbar aus seinem eigenen strafprozessualen (dazu S. 30 ff., 72 ff.) Vorgehen und nicht erst akzessorisch aus seiner Teilnahme an der fremden Strafverfolgung. Spezifische Schranken dagegen, die nur zugunsten des Beschuldigten als Prozesssubjekt bestehen, sind innerprozessualer Natur, also auf die weitere Verarbeitung im Verfahren bezogen, und sind deshalb immer in der Rechtsordnung des Staates zu suchen, der dieses Verfahren führt (S. 169 ff.). Das gilt auch, wenn sie als besondere (genauer: auf die prozessuale Rechtsstellung bezogene, S. 138 ff.) Voraussetzungen zu den allgemeinen (prozessunabhängigen) einer Maßnahme hinzukommen. Ferner können manche Schranken zugleich prozessunabhängige und innerprozessuale Wirkung besitzen (doppelfunktionelle Schranken, S. 173 f.). Als hinreichendes Indiz für den innerprozessualen Charakter einer Schranke kann ihre Bewehrung mit einem Beweisverwertungsverbot dienen.732 Mit einer solchen differenzierten Schrankenregelung wird die Rechtslage nicht nur vom jeweils sachnäheren Staat bestimmt (hier im Bezug auf den Eingriff als solchen, dort auf das Verfahrensgleichgewicht i. e.S.733), sondern es werden auch – jeweils spiegelbildlich – die Regeln des anderen so weit zurückgefahren, dass die kontingenten Hürden des transnationalen Verfahrens entfallen (S. 188 ff.). Der Vorschlag läuft also, auch wenn die Individualrechte zum Ausgangspunkt genommen wurden, nicht nur auf eine Einschränkung der Eingriffsmöglichkeiten
732 Notabene – abgesehen von solchen Verwertungsverboten, die nicht aus der Natur der Sache, sondern erst aus dem Gesetz folgen – als ratio cognescendi, nicht essendi, s. o. S. 138 ff., 171 f. 733 Zu Letzterem S. 99 f.; zum Eingriff als solchem und seiner Abgrenzung von der überkommenen „Vornahme als solcher“ S. 141 f.
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A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege
hinaus, sondern umfassend auf eine je relative Gleichbehandlung.734 Es entsteht also keine Verdoppelung der Schranken, kein umfassendes „individualrechtliches Meistbegünstigungsprinzip“,735 sondern es wird das Benachteiligungsverbot (S. 69 ff.) der transnationalen Konfiguration entsprechend ausdifferenziert, wobei jede Rechtsordnung aus sich selbst heraus mit sachlichen Gründen ihre ausschnittsweise Geltung einfordert und insoweit die Verfahrensbalance wahrt (S. 99 f.). So wird das Anliegen, die Rechtshilfe „bottom-up“ vom Strafprozessrecht (besser: den Strafprozessrechtsordnungen) her zu konstruieren (S. 30), substanziell realisiert. Dieser Ansatz bietet den entscheidenden Vorteil, das transnationale Verfahren nicht sui generis oder unmittelbar an allgemeinen Grundrechten auszurichten (letztere aber gleichwohl zur Entfaltung zu bringen und ihnen Rechenschaft abzulegen), sondern direkt an den bewährten Strukturen des Strafprozesses, und seine besonderen Probleme durch sachgerechte Arbeitsteilung zu lösen. Die Koordinaten werden mit diesem individualrechtlich radizierten Ansatz nicht einseitig zugunsten des Individuums bzw. zulasten einer wirksamen Strafverfolgung verschoben; sie werden aber gewissermaßen „gekreuzt“, indem einerseits in weiterem Maße als üblich die Einhaltung örtlicher prozessunabhängiger Schranken (einschließlich eines Mechanismus zur wirksamen Überprüfung des Tatverdachts) eingefordert wird, andererseits aber die innerprozessualen des ersuchten Staates „zurückgefahren“ werden. Damit wird, statt an die Chronologie isolierter hoheitlicher Akte (Ausgangsverfahren und Ersuchen hier, bloß äußerliche Choreographie des „Vollzugs als solchem“ dort, s. o. S. 143 f.), an die Strukturen eines als Gesamtheit aufgefassten Verfahrens mit seinen unterschiedlichen Gefahren angeknüpft. Teilweise kehren sich so die Anforderungen regelrecht um: So kann ein Staat nach der hier vertretenen Auffassung einen Bürger nur behelligen, wenn nach seiner Auffassung alle Voraussetzungen dafür vorliegen, also die Tat auch nach seinem Recht strafbar ist; dies muss jedenfalls gelten, wenn prozessunabhängige Gefahren, insbesondere aktueller oder potentieller Zwang im Raum stehen.736 Während die h.M. insofern „großzügiger“ ist, will sie die Vernehmung dann wiederum dem Recht des ersuchten Staates unterstellen, einschließlich solcher Zeugnisverweigerungsrechte,737 die nach hiesiger Ansicht als innerprozessuale Institute vom ersuchten Staat dem ersuchenden nicht aufoktroyiert zu werden brauchen. Umgekehrt sind 734 Siehe schon Lammasch, S. 659 ff., der aus der Verpflichtung zur Rechtshilfe ableitet, dass die entsprechenden nationalen Eingriffsbefugnisse ebenso im Rechtshilfefall zur Verfügung stehen müssen. 735 Krit. zu einer solchen tendenziellen Besserstellung Vogel, in: G/P/K, Vor § 1 IRG Rn. 41. Er plädiert für ein „Kombinationsprinzip“, wonach die Staaten gemeinsam ein „Rechts- und Rechtsschutzniveau gewährleisten [müssten], das dem bei innerstaatlicher Strafverfolgung garantierten gleichwertig [sei].“ Das ist auch das Ziel des hier verfolgten Ansatzes. 736 S. 141 ff. 737 Dazu i.E. S. 138 ff.; s. Lagodny, in: S/L/G/H, § 59 Rn. 60 (auch allgemein für Verwertungsverbote, ibid. Rn. 34). Allgemein zur umfassenden Geltung der innerstaatlichen „Vornahmeermächtigung“ etwa Vogler, in: 140 Jahre GA, 251, 257; ders., NJW 1994, 1433, 1435; auch S/L/G/H, Einl. Rn. 47.
II. Die Rechtsstellung des Individuums
213
nach dem vorliegenden Ansatz für die Anordnung im ersuchenden Staat zwar alle innerprozessualen Schranken beachtlich (S. 170 f.), aber nicht zwingend die prozessunabhängigen (S. 190 f.). Auch unter dem Aspekt der Effizienz der Strafverfolgung kann der hier vertretene Ansatz also zielführender sein als derjenige der h.M. und sogar als der vermeintlich besonders rechtshilfefreundliche von Vogler, der einerseits im ersuchenden Staat eine „vollwertige“ Anordnung voraussetzt und andererseits innerstaatliche Vollzugsakte wie Zeugenvernehmungen, etc., umfassend der Rechtsordnung des ersuchten Staates unterstellen will und so mitunter Hürden errichtet, die weder prozessunabhängig (am Eingriffsort) noch im Hinblick auf die weitere prozessuale Verarbeitung (im ersuchenden Staat) erforderlich wären. Dabei hat sich insgesamt gezeigt, dass die hier vorgeschlagene dogmatische Herleitung geeignet ist, praktische Lösungen für die transnationale Strafrechtspflege zu schaffen; dass diese wegen des Zusammenwirkens unterschiedlicher Rechtsordnungen spezifische Schwierigkeiten zu überwinden haben, liegt in der Natur der Sache und kann nicht einem dogmatischen Ansatz angelastet werden, der die inhärenten (und deshalb für jede Behandlung der Materie relevanten) Probleme der transnationalen Konstellation lediglich aufnimmt und versucht, diese Lasten den Staaten sachgerecht aufzuerlegen, statt sie durch Unterregulierung auf das Individuum zurückfallen zu lassen. Ferner entschärft ein solches Modell, obwohl primär individualrechtlich fundiert, gleichsam in einem diplomatisch nicht unwillkommenen Reflex mögliche Konflikte mit der Souveränität des jeweils anderen Staates,738 denn soweit einer der Staaten zuständig ist und nicht eine Ausnahmekonstellation (ordre public!) vorliegt, bleiben seine Prärogativen unangetastet. So kann der Staat, der auf fremdes Geheiß das scharfe Schwert der Strafverfolgung zückt, dieses in seine eigenen, angestammten – prozessunabhängigen – Schranken verweisen, während er umgekehrt vermeidet, seine innerprozessuale Schranken dem Verfahren des ersuchenden Staates aufzudrängen („einzupflanzen“ – denn sie wirken geradewegs in das Zentrum des Verfahrens fort!) und dabei, indem nach dem Gedanken der Gesamtschuld arbeitsteilige rechtliche Überprüfungsmechanismen eingefordert werden (S. 106 ff., 112), schließlich auch die delikate „Aufsicht“ eines Staates über die Entscheidungen des anderen vermieden wird.739 Daneben wird auch eine Harmonisierung des Strafprozessrechts wie in der EU tendenziell überflüssig, die antritt, die Beschuldigtenrechte zu stärken und dies wohl auch teilweise tut, dabei aber paradoxerweise eine Aushöhlung anspruchsvollerer nationaler Garantien zu befördern droht (dazu S. 292 ff.). In dem Maße, in dem nach einem solchen Modell die Rechtsordnung des jeweils fremden Staates gilt und im anderen Staat (zurück-)wirkt, kann im Übrigen von 738
Dazu Krüßmann, Transnationales Strafprozessrecht, S. 282 f., 618 u. passim. Angemahnt zB von BGHSt 58, 32, 43 bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Erhebungsmaßnahme. 739
214
A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege
„gegenseitiger Anerkennung“ in dem umfassenden Sinne gesprochen werden, dass nicht nur jeweils isoliert eine fremde Entscheidung anerkannt und vollstreckt wird, sondern wechselseitig die je andere Rechtsordnung als Ganzes, insoweit sie der Sache nach zur Anwendung berufen ist.740 b) Entspezifizierung des transnationalen Verfahrens Das hier entwickelte Modell kann sich harmonisch in die beteiligten Rechtsordnungen einfügen und durch die – sachlich begründete – differenzierte Geltung inner- und außerprozessualer Schranken eine (ebenfalls differenzierte) Gleichbehandlung des transnationalen Beschuldigten gewährleisten. Dabei kann jeweils auf die gewachsenen und bewährten Strukturen der nationalen Rechtsordnungen zurückgegriffen werden – unter der entscheidenden Prämisse, dass die jeweils relevanten Rechtspositionen von den arbeitsteilig vorgehenden Staaten ebenso wirksam gewährt werden müssen wie innerstaatlich. Es ist dogmatisch nur konsequent, dass ein solcher Ansatz, der auf die strafprozessuale Gleichbehandlung des Beschuldigten eines transnationalen Verfahrens abzielt, dessen Besonderheiten dekonstruiert. Das bedeutet nicht, deren faktische Existenz zu negieren, sondern im Gegenteil, gerade aus ihrer Anerkennung ihre normative Einebnung abzuleiten. Das Modell der transnationalen Verfahrenseinheit nimmt hierbei eine zentrale Rolle ein, aber nicht als ontologische Einheit sui generis, sondern als normativer Ausgangspunkt der dogmatischen Konstruktion.741 Indem diese die Besonderheiten des transnationalen Verfahrens differenzierend in die beteiligten nationalen Verfahrensordnungen auflöst, wird vermieden, dass die spezifischen Probleme grenzüberschreitender Verfahren zulasten des Bürgers gehen; diese werden statt dessen zu Herausforderungen für die staatliche Rechtsetzung, die auch allein in der Lage ist, sie zu bewältigen. Spezifisch ist hierbei nur, aber immerhin, die Meta-Prozessordnung, deren Aufgabe es ist, die anzuwendenden prozessualen Rechte jeweils wirksam zur Entfaltung zu bringen, ggf. in sachlich begründeter Anpassung an die transnationale Konstellation (S. 31, Bsp. S. 144 ff.). Zugleich dient das Modell der Absicherung der staatlichen Verantwortung durch die Annahme einer Gesamtschuld, wonach der eine Staat sich gegenüber dem Bürger nicht durch bloßen Verweis auf den anderen entlasten kann, sondern nur soweit dieser die Last übernimmt (S. 103 ff., 109 ff., 112 f.). So lassen sich beispielsweise besondere Schwierigkeiten der transnationalen Verteidigung dergestalt auflösen, dass in den beteiligten Staaten jeweils eine ebenso wirksame Verteidigung gewährleistet sein muss wie in deren nationalen Verfahren bzw. dem jeweils relevanten Abschnitt und dass hierfür der Staat, der jeweils gegenüber dem Bürger auftritt, einzustehen hat. Das kann durch übergeordnete Insti-
740 741
Dazu noch S. 241, 288 f. Siehe bereits S. 113 ff., 121 ff.
II. Die Rechtsstellung des Individuums
215
tutionen742 geschehen oder durch eine stringente Verzahnung der staatlichen Verfahren, einerseits zur Gewährleistung der erforderlichen Verteidigung für das Ausgangsverfahren (S. 184 ff.), andererseits indem die Verteidigung gegen Maßnahmen des ersuchten Staates wirksam gestaltet wird, gerade auch bei der Anfechtung ihrer tragenden Gründe einschließlich des Tatverdachts (S. 148 ff.). Auch gegenüber den Grund- und Menschenrechten nimmt sich die so verstandene Rechtsstellung des Beschuldigten dann jeweils wie die eines innerstaatlichen Beschuldigten aus. Nicht nur die einfach-gesetzliche Rechtsstellung, sondern auch die grundrechtlichen Positionen nehmen deshalb im Grunde genommen keine spezifische Rolle im grenzüberschreitenden Verfahren ein. Die oben (S. 75 ff.) skizzierten Rahmenbedingungen können damit weitgehend so entfaltet und als Maßstab herangezogen werden wie in dem jeweiligen innerstaatlichen Verfahren, wiederum unter der Prämisse gesamtschuldnerischer Haftung der Staaten für ihre auch praktische Wirksamkeit (S. 103 ff., 109 ff., 112 f.). Schließlich ist die konsequente Anlehnung an bestehende innerstaatliche Rechtsordnungen auch unter dem Aspekt der Praktikabilität von Vorteil, weil sich die Erarbeitung von spezifischen Regeln für transnationale Verfahren erübrigt oder zumindest in bewährte Kategorien des Strafprozessrechts auflösen lässt. Insofern kann (und soll) der hier angebotene „offene“ strafprozessuale Ansatz als Beitrag zu einer „europäischen Strafrechtspflegegemeinschaft, die gewachsene Besonderheiten divergierender nationaler Rechtsordnungen respektieren und dennoch effektiv sein muß“743, verstanden werden. c) Dienende Funktion des Rechtshilferechts Mit dem Primat des Strafverfahrens ist auch die Rolle des Rechtshilferechts vorgezeichnet: Es erlangt in dieser Perspektive als Meta-Prozessordnung eine dienende Funktion im Verhältnis zur Strafprozessordnung bzw. den Strafprozessordnungen, denen es zur Entfaltung verhelfen soll. Es bildet (wenn es auch unmittelbar für und gegen Individuen wirken kann) dogmatisch gesehen die Vereinbarung, mit der die Staaten im Innenverhältnis eine sachgerechte, d. h. insbesondere den prozessualen Strukturen Rechnung tragende Regelung treffen (müssen). Dabei sind spezifische Regeln in der Rechtshilfe, die von den innerstaatlichen strafprozessualen Schranken abweichen, nicht ausgeschlossen; sie können aber nicht ohne Weiteres gesetzt werden, sondern erst am Ende einer einwandfreien sachlichen Rechtfertigung stehen.744 Insbesondere muss ihr Grund ein gegenüber dem Bürger durchgreifender sein.745 742
Zum Vorschlag eines „Eurodefensor“ s. die Beiträge von C. Nestler, Szwarc und (krit.) Mitchell, in: Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, S. 166 ff., 181 ff., 191 ff.; Schünemann, StV 2006, 367; zust. zuletzt European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 423. 743 So das treffende Anforderungsprofil von Schomburg, StV 1998, 153. 744 S. bereits S. 31, am Beispiel der Tatverdachtsprüfung S. 144 ff.
216
A. Das Modell einer internationalen arbeitsteiligen Strafrechtspflege
Indem der maßgebliche Ausgangspunkt konsequent im Strafverfahren mit seinen Freiheitsgewährleistungen gesucht wird, wird der dogmatische Wandel von einer „zweidimensionalen“ Sichtweise, in der das Individuum auf den Status des Objekts der Rechtshilfe reduziert war, zu einer „dreidimensionalen“, in der es eine Stellung als Verfahrenssubjekt innehat, auch materiell vollzogen.
745
S. 72 ff., 74.
B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung im Gefüge der transnationalen Strafrechtspflege Die vorstehenden Überlegungen verstehen sich als dogmatischer Beitrag zur Bestimmung des „richtigen Rechtshilferechts“ oder einer adäquaten „Rechtshilfeverfahrensordnung“1. Sie können im Rahmen der vorliegenden Untersuchung unmöglich am gesamten relevanten positiven Recht entfaltet werden, das allein schon für die Bundesrepublik Deutschland einen kaum noch zu überblickenden Umfang erreicht hat.2 Statt dessen soll die in den letzten Jahren in der EU wichtigste Entwicklung auf diesem Gebiet, namentlich die das traditionelle Rechtshilferecht zunehmend verdrängende Etablierung des sogenannten Prinzips gegenseitiger Anerkennung in der strafrechtlichen Zusammenarbeit, im Lichte der vorstehenden Ausführungen betrachtet werden. Denn sie verspricht nicht nur eine Effektivierung der grenzüberschreitenden Strafverfolgung, sondern auch und vor allem „eine ausgewogene Entwicklung […] unter gleichzeitigem Schutz der Freiheit und der gesetzlich verbürgten Rechte der Einzelperson“.3 Institutionell kann sich diese Ambition auf die Integrationskraft der EU stützen, die mit ihren zentralen supranationalen Organen ein den nationalen Partikularismen übergeordnetes Interesse darzustellen und – umso mehr nach der Überführung der strafrechtlichen Zusammenarbeit in das übliche mehrheitsgestützte „Mitentscheidungsverfahren“ – durchzusetzen vermag.4 Es wird zu fragen sein, ob die Entfaltung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung das besagte Versprechen eines ausgewogenen transnationalen Strafverfahrens einlösen konnte bzw. kann, wobei als Referenz bewusst nicht der status quo ante gewählt wird,5 sondern die Erkenntnis, dass Rechtshilfe bzw. ein international-arbeitsteiliges Strafverfahren maßgeblich Strafrechtspflege ist (dazu siehe Abschnitt A.) und des1
S/L/G/H, Schnellübersicht (S. VII), Rn. 2. Ausdrücklich kritisch hierzu der Standardkommentar von Schomburg/Lagodny/Gleß/ Hackner (Hrsg.): Schnellübersicht (S. VII ff.); das Werk, obwohl in der Reihe der „KurzKommentare“ verortet, umfasst mittlerweile in der 5. Auflage über 3000 Seiten (3. Auflage 1998: 1500 S.), s. auch Schomburg, ibid., Nachwort (S. 3241): „too much information“; Vogel, JZ 2001, 937, 940. 3 Schlussfolgerungen des europäischen Rats von Tampere am 15./16. 10. 1999, Ziff. 40, unmittelbar im Anschluss an die grundlegende Proklamation des „Prinzips gegenseitiger Anerkennung“ als „Eckstein“ künftiger Kooperation in Strafsachen, ibid. Ziff. 30. 4 Jedenfalls in einer Idealvorstellung der europäischen Rechtsetzungsprozesse, s. noch S. 287 ff. 5 Dazu bereits Roger, GA 2010, 27 f.; näher S. 235 ff. 2
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
halb grundsätzlich den Regeln des Strafverfahrens folgen sollte, und zwar in differenzierter Anwendung der jeweils einschlägigen Schranken des einen und anderen Staates (S. 124 ff.). Um von diese Grundsätzen abzuweichen, bedürfte es eines hinreichend gewichtigen, gegenüber dem Bürger durchgreifenden Grundes, der nicht bereits in der „Solidarität“ zwischen Staaten gefunden werden kann (s. bereits S. 69 ff., 130 ff.). Deshalb wird auch zu untersuchen sein, was das „Prinzip gegenseitiger Anerkennung“ in der europäischen Strafrechtspflege im Einzelnen ist, nicht zuletzt ob es ein „Prinzip“ in dem „starken“ Sinne ist, dass es gegenüber den dogmatischen Ergebnissen, die hier für die transnationale Strafrechtspflege gewonnen wurden, einen eigenständigen Gehalt aufweist und deshalb den hier entwickelten normativen Rahmen verschieben kann.
I. Historische Entwicklung Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung fehlt in den europäischen Gründungsverträgen ebenso wie das Straf- oder Strafverfahrensrecht als Regelungsgegenstand. Seine „Entdeckung“ für die Zusammenarbeit in Strafsachen knüpfte an die sukzessive Entfaltung im Wirtschaftsrecht des Binnenmarkts an und führte über die Proklamierung durch den Europäischen Rat und die Verabschiedung zahlreicher Rechtsakte schließlich zur Aufnahme in Art. 82 AEUV. 1. Vom Binnenmarkt zur Strafrechtspflege Das „Prinzip gegenseitiger Anerkennung“ ist zunächst in der Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit als Instrument zum Abbau von Handelsschranken entwickelt und im weiteren Verlauf von den übrigen Institutionen aufgegriffen worden; es lässt sich in diesem Bereich – bei allen Nuancen im Einzelnen – auf die Beförderung wirtschaftlicher Freiheiten zurückführen.6 Mit dem Europäischen Rat von Tampere 1999 ist es sodann für das Strafrecht entdeckt worden, wo es durchaus andere Wirkungen zeitigt: Es geht hier mit hoheitlicher Vollstreckung einher und bedeutet, der Entscheidung des anderen Staates, also der durch seine Organe verfügten Anwendung seiner Regeln (etwa in Gestalt eines Haftbefehls), zur Geltung zu verhelfen. Gegenstand einer „automatischen“7 Anerkennung soll prinzipiell jede „Entscheidung“ in Strafsachen sein können.8 Wegen der dadurch intendierten Erleichterung und Vereinfachung der Strafverfol6 Siehe noch S. 225 ff. I. E. zur Entwicklung im Binnenmarkt Pohl, Vorbehalt und Anerkennung, S. 68 ff., 72, 77, der auch dort den grundlegenden Charakter dieses „Prinzips“ bezweifelt. 7 Andreou, Gegenseitige Anerkennung, S. 50. 8 Ausdrücklich die Kommission in ihrer Mitteilung vom 6. 7. 2000 (KOM [2000] 495 endgültig, S. 5).
I. Historische Entwicklung
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gung9 sieht sich diese Übertragung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung der Kritik ausgesetzt, die Stärkung der Machtbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden verschiebe das Verfahrensgleichgewicht zulasten des Beschuldigten.10 2. Vorgeschichte. Gegenseitige Anerkennung als „Kopernikanische Wende“? Diese Anwendung und Entfaltung des aus dem Warenverkehrsrecht entlehnten Prinzips gegenseitiger Anerkennung markiert also scheinbar eine wesentliche Änderung in der strafrechtlichen Zusammenarbeit: Wo früher ein souveräner Staat einem anderen, ebenso souveränen ein Ersuchen um Rechtshilfe unterbreitete, ordnet nun ein Staat verbindlich die Vornahme einer bestimmten Rechtshilfehandlung durch den anderen an. Damit ging konsequenterweise eine Veränderung der Begrifflichkeiten einher: In den europäischen Rechtsakten zur gegenseitigen Anerkennung ist die Rede von „Urteilsstaat“ oder „Ausstellungsstaat“ o. ä. einer- und von „Vollstreckungsstaat“ andererseits die Rede. Diese Umwälzung hat Anlass dazu gegeben, im Anschluss an das Diktum des Generalanwalts Colomer in den Schlussanträgen der Rechtssache Advocaten voor de Wereld von einer „kopernikanische[n] Wende“ zu sprechen,11 weil Auslieferung und Europäischer Haftbefehl „Wertvorstellungen [entsprächen], die lediglich hinsichtlich ihres Zieles übereinstimmen“12. Es gebe „keine souveränen Staaten mehr, die in Einzelfällen zusammenarbeiten, sondern Mitglieder der Europäischen Union, die verpflichtet sind, sich gegenseitig Hilfe zu leisten, wenn Straftaten begangen werden, deren Verfolgung im allgemeinen Interesse liegt“.13 Im Zusammenhang mit dem Europäischen Haftbefehl könne ebenso wenig von Auslieferung gesprochen werden, wie wenn ein bayerischer Richter eine Festnahme in Niedersachsen anordne.14
9
Vgl. etwa Erwägungsgrund 6 Rb-EBA sowie dessen Art. 21 III, IV, dazu u. B.IV.3.a); EuGH, Urt. v. 28. 6. 2012, Rs. C-192/12, West, Rz. 56, 61, 77; Juppe, Gegenseitige Anerkennung, S. 127; krit. Gleß, ZStW 114 (2002), 636, 650 f.; näher S. 225 ff., 240 f. 10 Schünemann, StraFo 2003, 344, 350; ders., GA 2004, 193, 202 f. mit entsprechenden Thesen, die von 123 deutschsprachigen Strafrechtslehrern gebilligt wurden; C. Nestler, ZStW 116 (2004), 332, 346 ff.; Wolter, FS Kohlmann, 2003, 693, 713 ff.; Murschetz, Auslieferung, S. 304 ff.; krit. auch Satzger, StV 2003, 137, 141; diff. Gleß, ZStW 116 (2004), 353, 356, für die das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung als solches ein „neutrales Verfahrensmodell“ ist (dazu noch S. 233 ff.), freilich nicht in seiner konkreten Ausgestaltung beim Europäischen Haftbefehl, ebda., S. 361 f. 11 Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in der Rs. C-303/05, Advocaten voor de Wereld, Ziff. 41 ff. 12 Ebda. Ziff. 46. 13 Ebda. Ziff. 45; krit. Lagodny, in: ders./Wiederin/Winkler (Hrsg.): Probleme des Rahmenbeschlusses, S. 125, 147. 14 Ebda. Fn. 40; abl. Schomburg, in: S/L/G/H, Vorbem. HT II A Rn. 10.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
Dieser Befund wird jedoch, jenseits der begrifflichen Neuerungen, sowohl von starken Befürwortern des Prinzips gegenseitiger Anerkennung als auch von profilierten Kritikern bestritten mit dem Hinweis darauf, dass einerseits der Rechtshilfe stets ein Element der Anerkennung innegewohnt habe und dies auch denknotwendig so sei.15 Wenn ein Staat dem Ersuchen eines anderen um Rechtshilfe nachkomme, so erkenne er damit notwendigerweise die Legitimität dieses Ersuchens an. Dabei bestehe eine lange Tradition von Auslieferungs- (und sonstigen Rechtshilfe-)Verträgen, in denen Staaten sich wechselseitig oder multilateral zur Rechtshilfe verpflichtet haben. Andererseits sehe auch bspw. der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl (Rb-HB) vor, dass im „Vollstreckungsstaat“ eine Anerkennungsentscheidung getroffen wird, was dieses Verfahren fundamental vom innerstaatlichen Erlass eines Haftbefehls unterscheide.16 In dieser Perspektive ist der von Colomer apostrophierte scharfe Gegensatz zwischen souverän im Einzelfall entscheidenden Staaten einerseits (Auslieferung) und bloßen „Vollstreckern“ andererseits (Europäischer Haftbefehl) überzeichnet. Es muss also davon ausgegangen werden, dass beide Institute nicht lediglich dasselbe Ziel verfolgen, sondern auch jeweils die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung durch einen inländischen Hoheitsakt implizieren. Darauf soll die neue Terminologie nicht den Blick verstellen, und sie darf auch nicht zu dem Fehlschluss führen, dass die Legitimationsbedingungen der Rechtshilfe – die oben herausgearbeitet wurden – bereits durch einen Wesenswandel gegenstandslos geworden wären. Darüber hinaus erblickt Colomer die maßgeblichen Änderungen darin, dass das politische Ermessen bei der Leistung von Rechtshilfe abgeschafft und insgesamt die (auch rechtlichen) Rechtshilfeschranken reduziert würden, was wegen der gemeinsamen Wertegrundlage und der gemeinsamen Etablierung der gegenseitigen Anerkennung legitim und konsequent sei. Letzteres ist eine, womöglich die entscheidende Frage zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und kann erst im weiteren Verlauf der Erörterung näher betrachtet werden (s. u. S. 243 ff. u. passim). Der Abbau politischer Erwägungen im Auslieferungsverkehr seinerseits ist insofern ein Paradigmenwechsel, als er die Rechtshilfe allein in den Bereich des Rechts verweist. Das ist zwischen Mitgliedstaaten eines supranationalen Verbunds von der Integrationsdichte der Europäischen Union nur konsequent, und eben aus diesem Grund von praktisch nachrangiger Bedeutung: Auch vor der Etablierung der gegenseitigen Anerkennung spielten politische Erwägungen im Rechtshilfeverkehr
15 Aus den Reihen der Befürworter s. Böse; Vogel, in: G/P/K, vor § 1 IRG Rn. 174; ders., in: G/H/N, Art. 82 AEUV Rn. 25 ff.; krit. Braum, GA 2005, 681, 687, der das Anerkennungsmoment in der historischen Perspektive als Ausprägung eines „prä-konstitutionellen“ Verständnisses von Rechtshilfe sieht, das den Rechten des Individuums nicht (hinreichend) Rechnung trage; s. auch Ziegenhahn, Schutz der Menschenrechte, S. 40. 16 Globke, GA 2011, 412, 415 ff. gegen das von Schaper, Verfassungsrechtliche Probleme, S. 121 ff. u. passim vorgeschlagene Konzept eines „Durchgriffs“ des Europäischen Haftbefehls.
I. Historische Entwicklung
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innerhalb der EU kaum noch eine Rolle.17 Soweit noch politische Verweigerungsgründe bestanden oder weiter bestehen, leisten sie keinen Beitrag zur Rechtsstellung des Individuums, weshalb ihre Abschaffung als Ausprägung einer zunehmenden Justizialisierung uneingeschränkt begrüßt werden kann (ausf. S. 114 ff.). Fraglich ist also allein, ob eine etwaige Reduktion der rechtlichen Ablehnungsgründe, auch soweit diese nach neuerem Verständnis subjektive Rechte des Betroffenen konstituieren, eine „kopernikanische Wende“ begründet und wie diese ggf. zu bewerten ist. Das wird sich im Verlauf der Untersuchung der einzelnen Instrumente gegenseitiger Anerkennung zeigen (s. u. S. 249 ff.). 3. Aufwertung durch Positivierung im AEUV? Mit dem Vertrag von Lissabon schließlich hat das Prinzip gegenseitiger Anerkennung Einzug in das Primärrecht der Europäischen Union gehalten (Art. 67 III, 82 AEUV) und sich damit nach Ansicht mancher Autoren vom rechtspolitischen Postulat zum Rechtsprinzip entwickelt, das – gleichberechtigt – mit anderen Prinzipien, namentlich auch den Grundrechten, in praktische Konkordanz zu bringen sei.18 In der Diskussion manifestiert sich diese Sichtweise in Thesen wie derjenigen, das Prinzip gegenseitiger Anerkennung sei geeignet, eine Ungleichbehandlung von Beschuldigten zu rechtfertigen,19 bestimmte Befugnisse des „Vollstreckungsstaats“, die Anerkennung zu verweigern, liefen diesem Prinzip zuwider bzw. dieses habe eine „herausgehobene Stellung“ erlangt.20 Dabei ist die Kategorie des „Prinzips“ nicht so einheitlich, dass ohne Weiteres aus der Zuordnung zu ihr normative Konsequenzen gezogen werden könnten. Denn während manche Prinzipien einen „normativen Überschuss“ haben, erschöpfen sich andere in ihrer Funktion als Modelle, die durch Realisierung im positiven Recht den Status von Aufbau- oder Strukturprinzipien erlangen können21 und deren normativer Gehalt sich in ihrer Entfaltung im einfachen Recht erschöpft. Nur die erstgenannten können als solche argumentatives Gewicht entfalten. Ob die als Prinzip (wenn auch nicht als Rechtsgedanke, s. o.) in der Strafrechtspflege verhältnismäßig junge gegenseitige Anerkennung in diese Kategorie einzuordnen ist, bedarf der Klärung. Zur Unterscheidung der Prinzipien nach ihrer Dignität wird auch eine begriffliche Unterscheidung zwischen formellen und materiellen Prinzipien vorgeschlagen, die der soeben genannten ähnelt: Danach haben formelle Prinzipien bloß Ordnungs17 So statuiert bereits das EuAuslÜbk von 1957 eine grundsätzliche Pflicht zur Auslieferung (Art. 1), dazu Schomburg, in: S/L/G/H (HT II A), Rn. 5. 18 Vogel, in: G/H/N, Art. 82 AEUV Rn. 17 ff. m.w.N. 19 EuGH, Urteil in der Rs. C-303/05, Advocaten voor de Wereld, Rz. 57. 20 Andreou, Gegenseitige Anerkennung, S. 185: Verweigerungsgründe „systemwidrig“; Böse, in: Ambos (Hrsg.): Europäisches Strafrecht post-Lissabon, 2011, S. 45, 62; Conrad, Beiderseitige Strafbarkeit, S. 301. 21 Röhl/Röhl S. 284 f.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
funktion, während die materiellen einen Wert verkörpern und damit normativen Überschuss besitzen.22 Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung müsse der ersten Kategorie zugeschlagen werden, innerhalb derer aber „formelle Prinzipien im weiteren Sinne“ existieren sollen, die – gleichsam stellvertretend – den Wert dahinter stehender materieller Prinzipien vermitteln und so ein normatives Gewicht bei der Abwägung zur Herstellung praktischer Konkordanz erlangen sollen.23 In dieser Perspektive wäre zu (hinter-)fragen, ob das Prinzip gegenseitiger Anerkennung Mittler solcher übergeordneter, materieller Prinzipien ist. Jedenfalls folgt aus der Etikettierung als „Prinzip“ per se noch nichts. Es ist deshalb näher auf die Zwecke einzugehen, deren Verfolgung die gegenseitige Anerkennung in Strafsachen dient. Erst diese Untersuchung wird klären können, welcher normative Gehalt dem Prinzip zukommt, insbesondere ihm kraft seiner Positivierung in Art. 82 AEUV verliehen wurde. Im Anschluss an diese Überlegungen wird dann aus der Rechtsnatur und Dignität des Prinzips gegenseitiger Anerkennung sein Verhältnis zur übrigen Rechtsordnung sowohl der EU als auch der Mitgliedstaaten abzuleiten sein.
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht Für die Etablierung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung im Bereich des Strafrechts könnten zunächst die klassischen Gründe sprechen, die transnationale Strafrechtspflege legitimieren – wenn dieses Prinzip ihnen denn in geeigneter Form dient; darüber hinaus könnten auch die aus seiner Herkunft im Binnenmarktrecht stammenden Gründe möglicherweise übertragen werden. 1. Internationale Strafverfolgung in einem einheitlichen kriminalgeographischen Raum Allgemein wird anerkannt, dass internationale Kooperation bei der Strafverfolgung erforderlich ist, und zwar in gesteigertem Maße in einem „immer enger zusammenwachsenden“ Europa.24 a) Entgrenzung des Verbrechens Das Verbrechen macht vor Staatsgrenzen keinen Halt – auf diese einfache Formel könnte man den Bedarf an internationaler Kooperation in Strafsachen zurückführen. Solange und soweit es keine genuin übernationale Strafrechtspflege gibt, sondern 22 Speziell für das Prinzip gegenseitiger Anerkennung Nalewajko, Grundsatz, S. 103 ff., 108 f. m.w.N. 23 Ibid. 24 Siehe Art. 1 II EUV, dazu Calliess, in: Calliess/Ruffert, Rn. 9 ff.
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht
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diese in nationaler Verantwortung wahrgenommen wird, besteht ein dringendes Bedürfnis der Staaten, Verdächtiger, Zeugen oder Beweisen auch dann habhaft zu werden, wenn sie sich jenseits der Grenzen befinden. Die „Freizügigkeit des Verbrechens“ ist innerhalb der EU in mehrerlei Hinsicht potenziert.25 So gestattet es die Abschaffung der Binnengrenzen, weitestgehend ungestört von einem Mitgliedstaat in den anderen zu wechseln, anlässlich eines vorübergehenden Aufenthalts Straftaten zu begehen oder nach einer Tat in einem anderen Staat „unterzutauchen“. Die Möglichkeiten, sich über Grenzen hinweg abweichend zu verhalten, werden noch gesteigert, wenn die Rechtsordnungen von unterschiedlichen kriminalpolitischen Vorstellungen geprägt sind. Ebenso wie es den Bürgern der EU freisteht, zum Friseurbesuch oder zum Einkaufen in einen benachbarten Mitgliedstaat zu fahren, können sie sich entscheiden, in den Niederlanden kleinere, dort freigegebene Mengen Marihuana zu kaufen26 oder eine Abtreibung dort vornehmen zu lassen, weil die Voraussetzungen weniger streng sind. In diesem Zusammenhang von „transnationaler Kriminalität“ zu sprechen, wirft freilich Probleme auf, weil diese Verhaltensweisen in den Niederlanden gerade nicht kriminalisiert sind.27 Auch und gerade im Bereich der Vermögens- und Wirtschaftskriminalität provoziert die immer engere Verflechtung des EU-Binnenmarkts Straftaten, die über Grenzen hinweg begangen werden oder Auswirkungen zeitigen.28 Schließlich hat der Verwaltungsapparat der EU selbst mit seinen erheblichen finanziellen Mitteln und umfassendem Subventionswesen einen kaum abweisbaren kriminogenen Reiz, der auch schon relativ früh zur Forderung des EuGH geführt hat, dass „Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktion jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein muß.“29
25
Siehe nur Böse, in: Fragmentarisches Strafrecht, S. 233, 237; Harms/Knauss, FS Roxin (2011), S. 1479, 1488; Heard/Mansell, NJECL 2 (2011), 353; Heger, ZIS 2007, 547, 549 („rechtspolitischer Allgemeinplatz“); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 24; Schünemann, in ders. (Hrsg.): Gesamtkonzept, S. 93, 109 f. 26 Was der EuGH freilich nicht als von den Grundfreiheiten geschützt ansieht (Urteil v. 16. 12. 2010 in der Rs. Josemans gg. Burgemeester van Maastricht, C-137/09). 27 Zur Chance einer gemeineuropäischen Aushandlung dessen, was unbedingt strafwürdig ist, S. 158 f.; dass sich die deutsche Rechtsordnung gleichwohl berufen sieht, im Ausland vorgenommene Abtreibungen deutscher Staatsangehöriger zu verfolgen und zu bestrafen (§ 5 Nr. 9 StGB), ist nicht unproblematisch (allg. zur Problematik des aktiven Personalprinzips NKBöse, § 5 Rn. 26). 28 Zum besonders gravierenden Beispiel der sog. Umsatzsteuer-Karusselle s. Gehm, NJW 1012, 1257 ff.; Huschens, SteuK 2012, 479 ff., jeweils m.w.N. 29 Urteil vom 21. 9. 1989, Rs. 68/88 („Griechischer Maissskandal“), teilweise abgedruckt in NJW 1990, 2245, Rz. 24.
224
B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
So ist in Europa ein Raum entstanden, in dem nicht nur rechtschaffene Bürger, sondern auch Delinquenten erheblich gesteigerte Möglichkeiten der Entfaltung und Mobilität erfahren, weshalb man vom Bestehen eines einheitlichen kriminalgeographischen Raums ausgehen kann.30 Insoweit kann man sich mit dem common sense begnügen, ohne umfassende statistische Erhebungen zu bemühen. Nicht gesagt ist damit allerdings, dass die Strafverfolgungsbehörden vor unlösbaren Problemen stünden, die bestehenden Möglichkeiten der Kooperation in Strafsachen vollends versagt hätten und dringend eine radikal neue Form dafür etabliert werden müsse. b) Entgrenzung der Strafverfolgung? Diese könnte darin bestehen, die Grenzen für die Strafverfolgungsbehörden ebenso aufzuheben wie für die (vermeintlichen) Straftäter. Eine „symmetrische“ Antwort läge darin, den Strafverfolgungsbehörden ebenfalls die Möglichkeit zu geben, über Grenzen hinweg zu agieren. Weil das freilich untrennbar mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt und nicht selten mit Zwang einhergehen würde, wäre die Souveränität des Staates, in dessen Hoheitsgebiet ausländische Behörden handeln, empfindlich berührt. Solche unmittelbaren Eingriffe auf fremden Territorium sind daher nur in Ausnahmefällen vorgesehen, im „Schengen-System“ namentlich in Gestalt der grenzüberschreitenden Nacheile, wonach (im Gegenzug für die Aufhebung der Grenzkontrollen) Beamte eines Staates in bestimmten, engen Grenzen die Observation eines Verdächtigen auf dem Gebiet eines fremden Staates fortsetzen können.31 Diese begrenzten Befugnisse jenseits der eigenen Grenzen sind erklärbar als Ausgleich für den Kontrollverlust, den ein Staat erleidet, wenn er auf die Kontrolle bei der Ausreise verzichtet. Sie bestätigen als Ausnahme zugleich die Regel, denn im Übrigen wird dieser Weg, den nationalen Strafverfolgungsbehörden gleichsam eine spiegelbildliche Freizügigkeit einzuräumen, nicht eingeschlagen, sondern rechtstechnisch an dem Modus der Kooperation festgehalten, wonach Maßnahmen von Behörden des jeweiligen Staates durchgeführt werden müssen (und sei es auf ein Ersuchen oder eine Anordnung eines anderen Staates hin; s. o. S. 219 f.). Eine schlichte Aufhebung territorialer Grenzen für die Strafverfolgungsorgane hat weder stattgefunden, noch ist die auf absehbare Zeit zu erwarten. c) Verhältnis zu Freizügigkeit und Binnenmarkt Auch wenn also eine Freizügigkeit der Strafverfolgung als Spiegelbild jener der Bürger ausscheidet, werden in der Diskussion über das und der Rechtsetzung nach
30 Zachert, in: Sieber (Hrsg.): Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, 61, 76; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 1 Rn. 32; Schünemann, in ders. (Hrsg.): Gesamtkonzept, S. 93, 109 f. 31 Art. 40 f. SDÜ, dazu Krüßmann, in: EnzEuR Bd. 9, § 18 Rn. 34 ff.; B. Heinrich, NStZ 1996, 361, 365 f.
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht
225
dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung nicht nur terminologisch Anleihen bei der Entfaltung der Grundfreiheiten im europäischen Binnenmarkt genommen. aa) Analogie zum Binnenmarkt (unter umgekehrten Vorzeichen) Begrifflich bedient sich die Etablierung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung in der Strafrechtspflege einer Analogie zum Recht des Binnenmarkts, wo der Ausdruck geprägt wurde (s. o.). Diese Analogie ist nicht nur oberflächlich gemeint, sondern durchaus programmatisch: So wie es der Warenverkehrsfreiheit (und, mutatis mutandis, den anderen Grundfreiheiten) zur Geltung verhelfen soll, dass in Ermangelung gemeinsamer Standards die Bedingungen, unter denen ein Produkt in einem Mitgliedstaat in Umlauf gebracht werden darf, von den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen sind, sollen grenzübergreifende Strafverfahren dadurch erleichtert werden, dass prozessuale Entscheidungen des verfahrensführenden Staates in den übrigen Staaten anerkannt (und vollstreckt) werden, also eine Art „Verkehrsfähigkeit“ erlangen.32 In beiden Fällen soll diese Anerkennung auch – und gerade – dann erfolgen, wenn eine entsprechende Entscheidung im „Anerkennungsstaat“ nicht oder nicht so ergangen wäre wie im „Ursprungsstaat“. (1) Ratio des Prinzips: liberaler Selbstzweck Im Warenverkehrsrecht, wo es zuerst entwickelt wurde, kommt dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung die Funktion zu, die Verkehrsfähigkeit von Waren zu gewährleisten, ohne die Produktstandards harmonisieren zu müssen. Das ließ sich rechtfertigen als eine wirksame Durchsetzung („effet utile“) der primärrechtlich (damals Art. 30 EGV) verbürgten Warenverkehrsfreiheit in einem gemeinsamen Markt (mittlerweile: Binnenmarkt33), in dem keine gemeinsamen Standards bestanden und aufgrund des Subsidiaritätsprinzips auch nicht umfassend etabliert werden konnten. Das Prinzip hat in diesem Bereich mithin eine dienende Funktion gegenüber der als Grundfreiheit primärrechtlich verbürgten Warenverkehrsfreiheit. Diese liberale Garantie wiederum ist eine grundlegende Wertentscheidung des EGV (und des Gemeinschafts- und Unionsrechts insgesamt) und geht als solche über die Umsetzung hinaus, die sie im einfachen Recht erfährt: Sie soll Zweck an sich sein und kann deshalb als Prinzip mit normativem Überschuss bzw. materielles Prinzip angesehen werden.34 Die gegenseitige Anerkennung steht mit diesem Prinzip in einem direkten Zusammenhang: Je stärker die Anerkennung verordnet wird, desto leichter kann ein 32
KOM (2009) 624 endg., S. 6 f. Art. 3 III 1 EUV und dazu Terhechte, in: G/H/N, Rn. 38 ff. 34 Siehe Leible/T. Streinz, in: G/H/N, Art. 34 AEUV Rn. 1: „überragende Bedeutung“; einschränkend Kahl, in: Calliess/Ruffert, Art. 26 AEUV Rn. 30: kein Selbstzweck, sondern gleichrangig mit sonstigen Vertragszielen als „ökologisch und sozial qualifizierter Binnenmarkt“. 33
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
Gut, das in einem Mitgliedstaat im Verkehr ist, in anderen Mitgliedstaaten zirkulieren, und desto mehr kommt die Grundfreiheit zur Geltung.35 Daraus folgt zweierlei: Zum einen bedarf gegenseitige Anerkennung wegen ihres liberalen Effekts im Bereich des Warenverkehrs aus der grundrechtlichen Perspektive – vorbehaltlich der Kollision mit anderen hochrangigen Rechtsgütern36 – keiner weiteren Rechtfertigung. Andererseits kann sie, weil sie direkt auf ein klar definiertes materielles Prinzip rückführbar ist, selbst materiellen Gehalt, m.a.W.: normativen Überschuss beanspruchen. Entsprechendes gilt für die Entfaltung der übrigen Grundfreiheiten nach dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung. Diese beiden aus der ratio des liberalen Prinzips abgeleiteten Grundzüge lassen sich nicht ohne Weiteres in die Strafrechtspflege transponieren. Denn ein Strafverfahren ist seinem Wesen nach (auch, und aus der Perspektive des Beschuldigten: hauptsächlich) ein Bündel an Eingriffsbefugnissen,37 so dass die Anerkennung einer strafprozessualen Entscheidung in aller Regel freiheitsbeschränkend wirkt.38 Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass in der Strafrechtspflege flankierend zur Anerkennung die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen vorgesehen ist.39 Deswegen kommt selbstverständlich keine direkte Ableitung aus einer Grundfreiheit in Betracht, sondern müsste umgekehrt eine grundlegende Wertentscheidung herhalten, die geeignet ist, Freiheitseingriffe zu rechtfertigen. Diese kann nach den Ausführungen S. 30 ff., 72 ff. nur in einer funktionsfähigen Strafrechtspflege gefunden werden. Sie ist eine der fundamentalen Aufgaben hoheitlicher Gewalt und erfüllt die unverzichtbare Aufgabe des Rechtsgüterschutzes durch Androhung generalpräventiv wirksamer Strafen – aber notwendigerweise auch durch deren (prozessordnungsgemäße) Verhängung und Vollstreckung, weshalb es in einer eng verflochtenen Staatengemeinschaft mit porösen Grenzen nicht sein kann, dass die Strafrechtspflege vor Staatsgrenzen kapitulieren muss. Die Strafrechtspflege lässt sich aber nicht monistisch einfassen wie die Grundfreiheiten, sondern ist untrennbar mit einem komplexen justizförmigen Verfahren verbunden (S. 98 ff.), welches durch die Erleichterung eines Eingriffs nicht per se befördert wird. Es besteht also kein direkter Zusammenhang zwischen der Anerkennung (und Vollstreckung) einer isolierten strafprozessualen Entscheidung und der Realisierung des legitimen Zwecks der Strafrechtspflege.40 Ob und wie ein solcher Zusammenhang hergestellt werden kann, muss unter Berücksichtigung der Legitimationsvoraussetzungen transnationaler Strafrechtspflege untersucht werden (dazu o. Teil A).
35 Näher zum Prinzip gegenseitiger Anerkennung als „neue Strategie“ zur Beseitigung von Handelsbeschränkungen Leible/T. Streinz, in: G/H/N, Art. 34 AEUV Rn. 67 ff., 69. 36 Hierzu Leible/T. Streinz a.a.O. Rn. 99 ff. 37 Zu Nuancen, namentlich ne bis in idem, s. u. S. 239 f., 281 ff. 38 Hecker, Europäisches Strafrecht, § 12 Rn. 61; Schünemann, ZRP 2003, 185, 187 ff. 39 s. u. S. 253 ff. 40 Ähnlich Satzger, StV 2003, 137, 142; Schünemann/Roger, ZIS 2010, 92, 95.
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht
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(2) Das Verhältnis zur Harmonisierung Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung wird gerade dort wirksam, wo es an einer Harmonisierung fehlt, und erzeugt so im Bereich der wirtschaftlichen Grundfreiheiten eine Dynamik, die auf eine Angleichung der Rechtsvorschriften hinauslaufen kann. Soweit diese aber ausbleibt oder nicht hinreichend ist, hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein gewisses Maß an Harmonisierung nötig sein kann, um eine „reibungslosere“ gegenseitige Anerkennung zu ermöglichen. (a) Politische Dynamik der gegenseitigen Anerkennung Die Tendenz der gegenseitigen Anerkennung geht dahin, Schranken der Freizügigkeit abzubauen. Soweit damit in einem Mitgliedstaat B auch Produkte verkehrsfähig sind, die die dortigen Standards nicht erfüllen, aber diejenigen eines anderen Mitgliedstaats A, sehen sich die Produzenten im Staat B einem Standortnachteil ausgesetzt, weil sie strengere und kostenaufwändigere Anforderungen erfüllen müssen. So war in Deutschland die Bezeichnung „Bier“ Erzeugnissen vorbehalten, die dem Reinheitsgebot entsprachen. In dem Moment, in dem Getränke aus allen anderen Mitgliedstaaten, die diesem Gebot nicht entsprechen, in Deutschland nach dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung unter der Bezeichnung „Bier“ verbreitet werden durften,41 ist diese Beschränkung außer Kraft gesetzt, aber nur – entsprechend der Kompetenz der EG und des Gerichtshofs – soweit der innergemeinschaftliche Handel betroffen ist, also nur für außerhalb Deutschlands angesiedelte Produzenten.42 Es kann also ein gewisser Druck – den auszuüben die Aufgabe gut gerüsteter Wirtschaftsverbände ist – auf den nationalen Gesetzgeber entstehen, die geltenden nationalen Standards zu lockern, um „seinen“ Unternehmen keinen Wettbewerbsnachteil aufzubürden. Dass dies im Fall des Bieres nicht geschehen ist,43 mag an der Exzellenz der deutschen Erzeugnisse liegen oder an den gefestigten Gewohnheiten der Konsumenten, tut aber der Dynamik keinen Abbruch, die im Allgemeinen im Prinzip gegenseitiger Anerkennung im Wirtschaftsleben angelegt ist. Dieser Mechanismus lässt sich verallgemeinern und zählt zu den Instrumenten einer liberal orientierten Wirtschaftspolitik (Stichwort: Deregulierung), verhilft also wiederum den Grundwerten des EG-Vertrags (heute: EU-Vertrags) zur Geltung. Das kann man unter dem Aspekt der normativen Souveränität des (gewählten) Gesetzgebers für kritikwürdig befinden.44 Gerade in Fällen, in denen die Produktionsbedingungen die Gestalt von Umweltvorschriften oder arbeitsrechtlichen Normen haben, kann zudem ein „race to the bottom“ einsetzen, eine Tendenz zum Abbau solcher Schutzvorschriften, um einen Wirtschaftsstandort vorteilhafter erscheinen zu 41
EuGH, Urteil v. 12. 3. 1987, Rs. 178/84, Slg. 1987, 1227. Oder für die Herstellung für den Export bestimmten Bieres in Deutschland. 43 Nach der Bierverordnung vom 2. Juli 1990 (BGBl. I S. 1332) bestehen die Restriktionen weitgehend fort. 44 Etwa Pollak, Repräsentation ohne Demokratie, S. 134, 244 u. passim. 42
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
lassen. Doch sind diese Argumente hier auf der rechtspolitischen Ebene angesiedelt und können keine rechtlichen Bedenken begründen. Ähnliches gilt, cum grano salis, für die übrigen Grundfreiheiten, die mittels des Prinzips gegenseitiger Anerkennung gefördert werden. Soweit Deregulierung aber auf einzelne strafprozessuale Maßnahmen angewandt werden soll, sprechen wir im Wesentlichen von der Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse, die einer (insbesondere: grund-)rechtlichen Rechtfertigung bedarf. Unter dieser Prämisse kann eine analoge Dynamik im Strafprozess, die die Eingriffsschranken ungeordnet nach unten nivellieren würde, nicht gewollt sein.45 (b) Wechselwirkung mit Harmonisierung Wenngleich gegenseitige Anerkennung es gestattet, unter Verzicht auf Harmonisierung – und damit unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips – die Schranken für den EU-weiten Handel (und die weiteren Grundfreiheiten) abzubauen, hat sich mit der Zeit herausgestellt, dass die beiden Mechanismen in einer Wechselwirkung stehen, dergestalt, dass ein gewisses (Mindest-)Maß an Harmonisierung für eine „reibungslose“ Anerkennung erforderlich ist, die wiederum über die ihr eigene Dynamik eine Annäherung der staatlichen Rechtsvorschriften begünstigt. Schon in der Dassonville-Entscheidung (Entscheidungsgründe Rz. 6) war angedeutet worden, dass die dezentrale Setzung von Standards (i. e. der Anpassungsdruck, den das Prinzip gegenseitiger Anerkennung erzeugt) legitim sei, „[s]olange es noch an einer Gemeinschaftsregelung fehlt“ (Hervorhebung durch den Verf.), was den – zumindest teilweise – instrumentellen und provisorischen Charakter der gegenseitigen Anerkennung unterstreicht. Das Erfordernis der Harmonisierung liegt auf der Hand bei gewissen Produktstandards die – anders als ein Reinheitsgebot für Biere – besonders relevant für Sicherheit und Gesundheit sind: Ein elektrisches Gerät sollte, um verkehrsfähig zu sein, in einem anderen als seinem „Heimatstaat“ nicht aufgrund einer unterschiedlichen Netzspannung Feuer fangen.46 Aber auch über dieses triviale Beispiel hinaus hat die Harmonisierung im Bereich des Binnenmarkts über die Jahre ein erhebliches Ausmaß angenommen, so dass Schätzungen von einer Harmonisierungsrate von 80 % ausgehen.47 45 Siehe auch Allegrezza, ZIS 2010, 569, 574 f.; Bovenschulte, Rechtliche Probleme, S. 258 f.; Schünemann, StV 2003, 116, 119. Ein sonderbares Beispiel findet sich bei Svedas/ Mickevicius, in: Vernimmen-van Tiggelen/Surano/Weyembergh (Hrsg.): The future of mutual recognition in criminal matters in the European Union (2009), 339, 345, in Gestalt der in Litauen als Antwort auf die Problematik der Abschaffung beiderseitiger Strafbarkeit für bestimmte Katalogtaten (dazu S. 256 f.) vorgeschlagenen Pönalisierung bislang straffreier Katalogtaten. 46 Allgemein Allegrezza, ZIS 2010, 569, 572; Gless, in: Illuminati (Hrsg.): Prove Penale e Unione Europea, S. 142, 151; Peers, CMLR 2004, 5, 20. 47 So der Kabinettschef der EU-Justizkommissarin Reding, Selmayr, auf dem 5. EUStrafrechtstag der Strafverteidigervereinigung NRW am 15. 9. 2012 in Bonn.
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht
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Der Grad der Harmonisierung, der für die Anerkennungsfähigkeit als erforderlich angesehen wird, unterscheidet sich in den verschiedenen Regelungsgebieten. Stärker als im Warenverkehrsrecht ist er etwa ausgeprägt im Berufsrecht: Dort findet eine „automatische“ Anerkennung nur statt, wo die Berufsausbildung harmonisiert ist. Wo sie vergleichbar ist, steht die Anerkennung unter gewissen Bedingungen. Schließlich ist eine automatische Anerkennung vorgesehen, wenn eine Person ihre Berufstätigkeit für eine gewisse Dauer im „Gastland“ ausgeübt hat.48 Auch für Urteile in Zivilsachen ist eine gegenseitige Anerkennung vorgesehen, allerdings auf der Grundlage zwingender Zuständigkeitsregeln, also einer zumindest formellen Angleichung.49 Im Straf- und v. a. im Strafverfahrensrecht als traditionell nationalen Materien ist dagegen kaum eine nennenswerte Harmonisierung zu verzeichnen.50 Vor allem die Vorschriften des Strafverfahrensrechts sind stark von der jeweiligen Rechtskultur geprägt, mit der sie einen unauflöslichen Gesamtzusammenhang bilden, und daher einer Annäherung auch nicht so einfach zugänglich wie etwa technische Vorschriften zur Produktsicherheit. Ob unter diesen Umständen das Prinzip gegenseitiger Anerkennung, das auch auf seinen angestammten Gebieten an mehr oder weniger strenge Vorbedingungen geknüpft ist, auf strafrechtliche Entscheidungen passen kann, erscheint fragwürdig. (3) Zwischenergebnis: Keine einfache Übertragbarkeit Festgehalten werden kann an dieser Stelle, dass weder die Grundlage noch die in Wechselwirkung mit der Harmonisierung entstehenden Grenzen des vielschichtigen Systems, das im Binnenmarkt unter der Flagge des „Prinzips gegenseitiger Anerkennung“ etabliert wurde, sich im Bereich der Strafrechtspflege wiederfinden. Das Prinzip kann also nicht (jedenfalls nicht ohne Weiteres) in dieses Rechtsgebiet transponiert werden.51 Darauf sollte die Übernahme des Begriffs „Prinzip gegenseitiger Anerkennung“ und seine Ausrufung zum „Eckstein der Zusammenarbeit in Strafsachen“ nicht den Blick verstellen.
48
Zum Ganzen Peers, CMLR 2004, 5, 18 ff. Zur Vielgestaltigkeit auch Pohl, Vorbehalt und Anerkennung, S. 62 ff. 49 Peers, CMLR 2004, 5, 20 ff. 50 Die zahlreichen Rechtsakte, v. a. im materiellen Strafrecht (Hecker, Europäisches Strafrecht, § 11 Rn. 10 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 33), sind immer noch weit von einer umfassenden Harmonisierung entfernt; im Strafverfahren sind, wenn überhaupt, „Mindestgarantien“ verabschiedet worden, dazu S. 252 f. 51 Leutheusser-Schnarrenberger, StraFo 2007, 267; Pohl, Vorbehalt und Anerkennung, S.75 f.; Satzger, StV 2003, 137, 141 f.; ders., Internationales und Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 25; Schünemann, ZRP 2003, 185, 187; ders., StraFo 2003, 344, 348; ders., StV 2003, 116, 120; ders., in: Pache (Hrsg.): Europäische Union, 82, 89; a.A. Kotzurek, ZIS 2006, 123, 125 f.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
bb) Prinzip gegenseitiger Anerkennung als Kehrseite der Freizügigkeit? Eine andere Ableitung verläuft indirekt und erblickt in der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen die „Kehrseite der Freizügigkeit“52. Wenn die Bürger in der EU sich frei über Grenzen hinweg bewegen können und geschäftliche oder sonstige Handlungen tätigen können, die sich in anderen Mitgliedstaaten auswirken, dann sei der „Preis“ dafür, dass sie dem strafrechtlichen Zugriff dieser Staaten – vermittels Anerkennung und Vollstreckung ihrer Entscheidungen – unterliegen. Es könne keinen „Freifahrtschein“ für die Begehung rechtswidriger Taten im Ausland geben, sondern die Bürger müssten sich an die jeweils geltenden Vorschriften halten, widrigenfalls die Konsequenzen ihrer Verstöße tragen. (1) Unschuldsvermutung für freie Bürger Dabei wird betont, dass auf die Gewährleistung der Grund- und Verfahrensrechte des Beschuldigten zu achten sei,53 weshalb vielfach auch bestimmte Kautelen bei der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen angemahnt werden, die also nicht ganz so frei zirkulieren sollen wie Waren, Kapital und Bürger. Weitergehend jedoch ist schon das zugrundeliegende Fairness-Argument fraglich, weil das unverbrüchliche Prinzip der Unschuldsvermutung (s. nur Art. 6 Abs. 2 EMRK, Art. 48 I Grundrechtecharta) es bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld verbietet, den Beschuldigten als Schuldigen zu betrachten und zu behandeln.54 Ist die Schuld nicht zweifelsfrei nachgewiesen – was per definitionem erst am Ende des Verfahrens möglich ist –, so muss der Beschuldigte als Unschuldiger gedacht werden: Mag es auch sehr wahrscheinlich sein, dass er gegen ein Strafgesetz verstoßen habe, so verbietet sich gleichwohl jede direkte Ableitung aus einem solchen Verstoß.55 Aus der Freizügigkeit kann also nicht spiegelbildlich die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung strafrechtlichen Zugriffs abgeleitet werden, weil der Spiegel gleichsam von der Unschuldsvermutung eingetrübt wird. Nur eine (forensische wie metaphorische) Klärung des Verdachts, welche diesem europaweit ver52 Wörtlich Juppe, Gegenseitige Anerkennung, S. 163; Knauss/Harms, FS Roxin 2011, 1488; Deiters, ZRP 2003, 359, 362; krit. Schünemann, StV 2003, 116, 118. 53 Harms/Knauss a.a.O. S. 1489; Böse (Fn. 25), S. 246, der allerdings weitgehend darauf vertraut, dass dies schon empirische Wirklichkeit sei. 54 SK-Paeffgen, vor § 112 Rn. 21 ff., 26: „unwiderlegliche Rechtsvermutung eigener Art, es sei seitens staatlicher Amtswalter von der Unschuld des Beschuldigten auszugehen“ (m.w.N. auch zur konzilianteren Gegenmeinung). Speziell für die Rechtshilfe auch Schünemann, in: 140 Jahre GA, S. 215, 231 und, zumindest dem Grunde nach, Keller, FS Dencker, 183, 193. 55 Plastisch Niese, ZStW 63 (1951), 199, 228: „Für seine ,Schlechtigkeit‘, d. h. für seine strafrechtliche Schuld hat der Verbrecher durch die Strafe zu büßen. Im Strafverfahren soll aber erst festgestellt werden, ob er schuldig ist“. Für eine „allerdings schwache“ Legitimation aber Keller, FS Dencker, 183, 194.
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht
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bürgten Fundamentalprinzip Rechnung trägt, gestattet es, aus strafbarem Verhalten unmittelbar Duldungspflichten abzuleiten. (2) Verdacht als Eingriffsgrundlage Strafprozessuale Eingriffe können dem Bürger gegenüber bis zum Schuldspruch also niemals durch seine strafrechtliche Schuld, sondern nur in Gestalt eines Sonderopfers56 legitimiert werden, das die Rechtsordnung unter bestimmten Voraussetzungen (namentlich eines bestimmten Verdachtsgrads) potentiell von jedem Bürger verlangt. Erwägen könnte man also, ob und welche Duldungspflichten allein daraus abgeleitet werden können, dass der Verdacht einer strafbaren Tat entstanden ist, und zwar in einem anderen Mitgliedstaat des „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“. Auch hier kann aber kein direkter Zusammenhang hergestellt werden: Per definitionem ist ungewiss, ob der Verdacht auf ein Verhalten des Verdächtigen zurückgehen, geschweige denn auf sein Handeln im ersuchenden Staat. Wegen seiner konstitutionellen Unsicherheit taugt der Verdacht nicht, um aus Gründen der Fairness, gleichsam als „Preis der Freizügigkeit“, den vollen strafrechtlichen Zugriff eines fremden Staates zu begründen. Unter Umständen kann aber eine aus der Natur der Sache folgende Nähe des ersuchenden Staates zu bestimmten Verdachtsmomenten es legitimieren, dass diese dem Beschuldigten entgegengehalten werden.57 Genauer genommen kann der in einem anderen Staat entstandene Verdacht einer Straftat es legitimieren, dass ihm nachgegangen wird, entfaltet also Wirkung für den innerprozessualen Raum dieses Staates; das rechtfertigt es u. a., dass der Umgang mit innerprozesusalen Gefahren sich nach dessen Rechtsordnung richtet (S. 169 ff.). Für die prozessunabhängigen Gefahren allerdings, für die jeder Staat sich Grenzen auferlegt, die unabhängig von der Entwicklung im innerprozessualen Raum schützen, gibt es keinen Grund zu einer unterschiedlichen Behandlung, bloß weil der Verdacht von einem fremden Staat geäußert wird (ausf. S. 145 ff.). Der Verdacht einer Straftat kann nach alledem nicht umfassend den grenzüberschreitenden Zugriff der Verfolgungsbehörden eröffnen; er rechtfertigt nicht mehr als ein arbeitsteiliges Strafverfahren zwischen ersuchendem und ersuchtem Staat,58 das eine Abkehr von den prozessunabhängigen Maßstäben des letztgenannten Staates nicht begründen kann (S. 148 ff.). (3) Asymmetrie; Zwischenfazit Im Übrigen kann strafrechtlicher Zugriff eines fremden Staates abstrakt-generell schon deshalb nicht als Kehrseite der Grundfreiheiten gelten, weil dieser Staat mit 56
Für die Untersuchungshaft BGHZ 60, 302; Meyer-Goßner/Schmitt, vor § 112 Rn. 3. Dazu S. 147 ff. 58 Dazu allg. S. 113 ff.; zur Wahrung der prozessunabhängigen Schranken im ersuchten Staat S. 126 ff. 57
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
einem strafrechtlichen Sachverhalt auch befasst sein kann, ohne dass der Gebrauch einer Grundfreiheit auch nur im Raum stünde.59 Für diesen Teilbereich kann das Kehrseitenargument keinerlei Rechtfertigung anbieten und versagt deshalb auch als umfassender Begründungsansatz für eine Entgrenzung der Strafverfolgung. Bei der These der gegenseitigen Anerkennung als Kehrseite der Freizügigkeit handelt es sich daher insgesamt bestenfalls um eine unscharfe Metapher, die zur Legitimation nichts beitragen kann. d) Erforderlichkeit zur Effektivierung europäischer transnationaler Strafrechtspflege? Auch wenn die beim Binnenmarkt genommenen Anleihen weder direkt noch spiegelbildlich die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen begründen können, ist das Bedürfnis nach einer funktionsfähigen Strafrechtspflege, auch über Staatsgrenzen hinweg, nicht zu leugnen (s. bereits S. 26 ff., 222 ff.). Diese zu gewährleisten war auch bisher das Anliegen der Rechtshilfe in Strafsachen, die aber in einem äußerst komplizierten Geflecht von nationalen und internationalen Normen geregelt ist, welche je nach den beteiligten Staaten Anwendung finden und deshalb eine schwierig zu handhabende Materie bilden, die mitunter auch langwierige Verfahren zeitigt (s. o. S. 217 m. Fn. 2). Erschwerend wirkt hier auch das politische Ermessen, das dem ersuchten Staat zugestanden wird.60 Bei aller berechtigten Kritik an diesem Rechtszustand ist freilich nicht erwiesen, dass die Rechtshilfe zum Erliegen gekommen wäre oder unfähig, grenzübergreifende Verfahren zu ermöglichen. Auch und vor allem sind faktische Erschwernisse grenzüberschreitender Verfahren keine zielsicheren Gewährleistungen individueller Rechte (s. o. S. 114 ff., 189), so dass eine defizitäre oder problematische transnationale Strafrechtspflege nicht von einer „Schieflage“ der prozessualen Balance zugunsten des Beschuldigten zeugt. Eine einseitige Erleichterung der Strafverfolgung zu dessen Lasten der kann deshalb nicht durch etwaige Wirksamkeitsdefizite gerechtfertigt werden.
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Beispiel: ein deutscher „Fußballfan“ erschlägt in Berlin im Zorn einen Anhänger der siegreichen Franzosen und wird von der französischen Justiz verfolgt; oder ein Österreicher veröffentlicht im Internet eine satirische Biographie Jesu und wird in Griechenland wegen „Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft“ verurteilt (Fall Haderer). In diesen Fällen hat der jeweilige Täter (auf ihn allein kann das „Kehrseiten“-Argument abstellen) nicht – noch nicht einmal potentiell – von einer Grundfreiheit Gebrauch gemacht. 60 In Deutschland in Gestalt des Bewilligungsverfahrens, S. 114 ff.; zur Kritik an dessen Beibehaltung bei Einführung des Europäischen Haftbefehls s. Böse, in: G/P/K u. Hackner, in: S/ L/G/H, jeweils § 79 IRG Rn. 1.
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht
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e) Zwischenfazit Auch wenn sich ein Bedarf nach wirksamer grenzüberschreitender Strafrechtspflege in der EU als „Raum der Freizügigkeit“ nicht leugnen lässt, kann dieser keine Legitimation dafür abgeben, schlicht die Machtbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden über Grenzen hinweg zu erweitern. Weder besteht ein sachlicher Grund für eine spiegelbildliche „Freizügigkeit“ der Strafverfolgung, noch lässt sich eine gegenseitige Anerkennung prozessualer Eingriffe aus einer Analogie zum Binnenmarkt ableiten. Auch als Kehrseite oder „Preis“ der Freizügigkeit lässt sich eine einseitige Stärkung der Strafverfolgung in der EU nicht rechtfertigen, ebenso wenig wie durch möglicherweise bestehende Vollzugsdefizite. 2. Gegenseitige Anerkennung als neutrales Verfahrensprinzip? Ob dieses Verdikt der Einseitigkeit aber auf das Prinzip gegenseitiger Anerkennung überhaupt zutrifft, ist nicht unumstritten. Oft wird behauptet, es sei als solches neutral, weil seine Wirkung im Einzelfall vom anzuerkennenden Gegenstand abhänge: Dieser könne ein freiheitsbeschränkender Haftbefehl ebenso wie ein freisprechendes Urteil sein. a) Inhärente Neutralität? aa) Neutral oder punitiv? Nicht selten ist zu lesen, das Prinzip gegenseitiger Anerkennung „als solches“ sei ein „neutrales Verfahrensprinzip“.61 Weil es bei Lichte besehen ohne Gegenstand überhaupt keine Anerkennung geben kann, würde eine rein abstrakte Betrachtung sich ad absurdum führen und muss die Analyse das Anerkennungsobjekt mit einbeziehen. Dementsprechend dreht sich auch die Diskussion der Sache nach nicht um das Prinzip „als solches“, sondern stellt auf seine unterschiedlichen Bezugsobjekte ab. Was im Bereich der Grundfreiheiten für selbstverständlich genommen wurde, nämlich dass das Prinzip liberale Effekte zeitige, ergibt sich daraus, dass Gegenstand der Anerkennung eine permissive Entscheidung über die Verkehrsfähigkeit einer Sache (oder, mutatis mutandis, die Zulässigkeit der Berufsausübung, etc.) ist. Umgekehrt könnte man befürchten, dass das Prinzip in der Strafrechtspflege, die ihrer Natur nach ein Bündel an hoheitlichen Eingriffsbefugnissen ist, genau umgekehrt eine punitive Tendenz erhalte.62 Die gegenseitige Anerkennung, so ist zu lesen, laufe 61 Böse, in: G/P/K, vor § 78 IRG Rn. 19; Gleß, ZStW 116 (2004), 353, 356 ff.; Kreß, ZStW 116 (2004), 445, 463; Nalewajko, Grundsatz, S. 292; Vogel, in: G/H/N, Art. 82 AEUV Rn. 24. 62 Kaiafa-Gbandi, in: Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, 65, 74; Leutheusser-Schnarrenberger, StarFo 2007, 267, 269; Schünemann, ibid., 93, 94; ders., ZRP 2003, 187; ebenso die von 123 deutschsprachigen Strafrechtslehrern auf der Bayreuther Tagung 2003 gebilligte These bei Schünemann, GA 2004, 193, 203; i.E. auch Gless, StV 2010, 400, 404 f.; für Andreou, Gegenseitige Anerkennung, S. 76 ist die Durchsetzung der jeweils punitivsten Rechtsordnung
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
hier darauf hinaus, die Eingriffsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden europaweit zu „entfesseln“, so dass sich im Ergebnis die jeweils niedrigsten Eingriffsschwellen durchsetzen könnten. Konkret kann diese Ansicht für sich in Anspruch nehmen, dass die erste und bei weitem „erfolgreichste“ Maßnahme der gegenseitigen Anerkennung in der Strafrechtspflege, der Rahmenbeschluss über den europäischen Haftbefehl, eine mit Händen zu greifende freiheitsbeschränkende Wirkung hat, weil er die Anerkennung und Vollstreckung von Freiheitsentziehungen vorschreibt.63 Auch die übrigen bisher erlassenen Rechtsakte beziehen sich zumeist auf Eingriffsund insbesondere Zwangsbefugnisse (näher S. 249 ff.). Dagegen wird jedoch eingewandt, dass auch in der Strafrechtspflege nicht nur freiheitsbeschränkende Maßnahmen Objekt gegenseitiger Anerkennung seien. Als Gegenbeispiel wird etwa die Anerkennung ausländischer „rechtskräftiger Aburteilungen“ nach Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens genannt,64 die neben Verurteilungen auch freisprechende Entscheidungen umfasst. Im Übrigen könne die Erhebung von Beweisen nach dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung auch Entlastendes zu Tage fördern, und diene sein zentrales Anliegen des Abbaus von Verfahrenshindernissen auch der Beschleunigung, welche dem Beschuldigten zugute komme.65 bb) Gegenstand der Neutralitätsfrage Sowohl die These, wonach das Prinzip gegenseitiger Anerkennung „als solches“ neutral sei, als auch die der maximalen Punitivität stellen also maßgeblich auf seine Auswirkung auf einzelne Maßnahmen ab. Dabei spricht einiges dafür, dass ein Strafverfahren quantitativ überwiegend staatliche Eingriffe zeitigt und deshalb der Schwerpunkt des Prinzips gegenseitiger Anerkennung in diesem Bereich eher auf Freiheitseinschränkungen liegt. Auch der Einwand, die Strafrechtspflege kenne ebenfalls freiheitsfördernde Entscheidungen, hat eine gewisse Evidenz, die allerdings mit einem eingeschränkten Erkenntniswert erkauft wird: Er beschränkt sich darauf, dass gegenseitige Anerkennung in ihrer punktuellen Anwendung auch liberale Effekte haben kann – fällt
kein Problem, solange nur der zugrunde liegende Tatbestand grundrechtlich einwandfrei ist und die Verfolgung auf völkerrechtlich anerkannter Grundlage erfolgt. 63 Abgesehen von etwaigen Verbesserungen durch Verkürzung der Fristen im Verhältnis zum vorherigen Rechtszustand – denn dieser kann gerade nicht der normative Maßstab sein (s. noch S. 235 ff.). 64 Kreß, ZStW 116 (2004), 445, 463; Vogel, in: G/H/N, Art. 82 AEUV Rn. 24. 65 Andreou, Gegenseitige Anerkennung, S. 74 ff., 76; Juppe, Gegenseitige Anerkennung, S. 127.
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht
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also doch wieder auf die Feststellung zurück, dass der Anerkennungsmechanismus als solcher neutral ist.66 Weder die eingriffslastigen Effekte auf der einen Seite noch die liberalen Wirkungen auf der anderen lassen eine belastbare Aussage darüber zu, ob „das Prinzip gegenseitiger Anerkennung“, also das umfassende Konzept, neutral wirke oder nicht. Ebenso wenig ist eine schlichte Saldierung der gegenläufigen Effekte sinnvoll, die an völlig unterschiedlichen Stellen auftreten: Wie etwa die Untersuchungshaft in einem Verfahren gehandhabt wird, kann nicht direkt gegen die Möglichkeit aufgerechnet werden, dass der Verfolgte unter Umständen in den Genuss eines weitreichenden Doppelbestrafungsverbots kommt.67 Um eine normativ gehaltvolle Aussage über die Frage ihrer Neutralität zu treffen, um die es den Vertretern beider Ansichten geht, müsste deshalb einen Schritt weiter gegangen und gefragt werden, ob gegenseitige Anerkennung in Strafsachen tatsächlich wegen ihres überwiegend freiheitsbeschränkenden Gegenstands eine insgesamt repressive Tendenz hat, oder ob ihre anderweitigen liberalen Effekte kompensierend wirken, so dass insgesamt die Neutralität gewahrt wäre. In den Mittelpunkt der Untersuchung muss also die Wirkung der gegenseitigen Anerkennung auf das Strafverfahren als Ganzes gestellt werden. b) Neutralität im Gesamten? Bevor diese Analyse geleistet werden kann, muss der Bezugsrahmen der Neutralität abgesteckt werden, also in Anlehnung an einen Jazzstandard gefragt werden: Compared to what? Die Referenz kann kaum der hypothetische Zustand ohne jegliche Kooperation in Strafsachen sein, weil ein solcher Zustand von niemandem ernsthaft erwogen wird und auch geraume Zeit nicht mehr bestanden hat (s. o. S. 219 f.). In dieser Perspektive wäre die Anerkennung ausländischer strafrechtlicher Entscheidungen entsprechend der Natur des Strafverfahrens evident überwiegend freiheitsbeschränkend. Statt dessen wird – implizit oder explizit – auf den Rechtszustand vor der „Entdeckung“ der gegenseitigen Anerkennung für das Strafrecht rekurriert. Auch dieser Ansatz kann aber in Frage gestellt werden. aa) Neutralität im Verhältnis zum status quo ante? (1) Bezug zur alten Rechtslage Vor allem aus den Reihen derjenigen, die dem Einzug des Prinzips gegenseitiger Anerkennung in der Strafrechtspflege aufgeschlossen gegenüberstehen, wird oft darauf hingewiesen, dass nicht nur der Anerkennungsgedanke jedweder Rechtshilfe 66
Zu deren Unergiebigkeit s. o. S. 233. Ausdrücklich in dieser Richtung aber etwa Nalewajko, Grundsatz, S. 292: der „Transmissionsriemen“ könne solche und solche Entscheidungen übertragen. 67 Dazu S. 239 f.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
immanent sei (s. o. S. 219 f.), sondern dass auch die Rechtsstellung des Beschuldigten im ersuchten Staat ohnehin im bestehenden Recht in mancherlei Hinsicht anders, und zwar schlechter sei als in einem rein innerstaatlichen Verfahren. Das betrifft etwa den Verzicht auf das bzw. die exakte Ausgestaltung des Erfordernisses beiderseitiger Strafbarkeit;68 die Anpassung einer zur Vollstreckung zu übernehmenden Strafe69; die (eingeschränkte) Prüfung des Tatverdachts;70 den Zugang zum Verteidiger.71 Das Grundmuster ist, dass, soweit die Entscheidung des fremden Staates (notwendigerweise) anerkannt wird, Prüfungsmöglichkeiten und Einflussnahme des ersuchten Staates ein Stück weit zurückgenommen werden, weil dieser nach dem Gedanken der Rechtshilfe gerade kein umfassendes eigenes Strafverfahren durchführen kann und will. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Vertreter dieser Position, die die alte Rechtslage damit in weiten Teilen zur normativen Referenz erheben, zumeist zu den Kommentatoren des klassischen Rechtshilferechts zählen. Umgekehrt verwundert es nicht, dass die profilierten Kritiker des Anerkennungsprinzips, die überwiegend keine hauptamtlichen „Rechtshilferechtler“ sind, eher weniger auf die alte Rechtslage abheben. Sie tun dies zumeist nur vereinzelt, wenn sie die Schwächung oder Abschaffung traditioneller Prinzipien wie der beiderseitigen Strafbarkeit bemängeln oder die „Zerstörung der Verfahrensbalance“. Es liegt wohl auf der Hand, dass die bisherige Rechtslage nicht ignoriert werden kann, entspricht sie doch einer lange geübten und verfassungsgerichtlich grundsätzlich gebilligten Praxis. Eine kritische Rechtswissenschaft aber muss an dieser Stelle zur Diskussion erst ansetzen und nicht etwa gegenüber einem gesetzgeberischen oder höchstrichterlichen Machtspruch zurückstecken.72 Ein solcher Vorbehalt ist im Allgemeinen angebracht, weil auch diese Instanzen nicht jenseits des wissenschaftlichen Diskurses stehen können, sondern seiner Kontrolle unterworfen sein müssen.73 Im Bereich der Rechtshilfe ist diese wissenschaftliche Grundskepsis umso mehr nötig, als dieses, wie insbesondere Lagodny herausgearbeitet hat, historisch in einer „zweidimensionalen“ Sichtweise wurzelt, in welcher das Individuum nur Objekt der zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen ist.74 Daraus könnte möglicherweise gerade umgekehrt auf die grundrechtliche Unzulänglichkeit sowohl des Rechtshilferechts als auch von dessen Weiterentwicklung als System gegenseitiger Anerkennung geschlossen werden.75 Auch das wäre aber (in die entgegengesetzte 68
s. o. S. 161 ff. m.w.N. Böse, ZIS 2010, 607, 612. 70 s. o. S. 145 f. und die Nachweise dort. 71 Krit. insoweit S/L/G/H, Einl. Rn. 199 ff.; Ahlbrecht/Lagodny, StraFo2003, 329, 334 f. 72 Greco, in: Brunhöber/Höffler/Kaspar (Hrsg.): Strafrecht und Verfassung, S. 13, 22 ff., 25, 35. 73 Zur Rechtswissenschaft als „vierter Gewalt“, die nur kontrolliert, aber nicht herrscht, Schünemann, FS Roxin (2001), 1, 5 f.; vertiefend zur Gefahr des „Verfassungsgerichtspositivismus“ Greco (Fn. 72), S. 13, 17 ff. 74 S. 45 ff.; s. auch Jescheck, FS Honig (1970), 69 f. 75 In dieser Richtung Braum, GA 2005, 681, 688 ff. 69
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht
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Richtung) zu kurz gegriffen, denn mit der Zeit ist die „zweidimensionale“ Sichtweise unter der Geltung des Grundgesetzes einem „dreidimensionalen“ Modell gewichen, in welchem der Betroffene ein mit eigenen Rechten ausgestattetes Subjekt ist. Jedenfalls aber würde es einen (aus der Perspektive strafprozessualer Legitimation, aber auch aus verfassungs- bzw. grundrechtlicher Perspektive) naturalistischen Fehlschluss bedeuten, aus der Kontinuität zwischen bisherigem Rechtshilferecht und dem System gegenseitiger Anerkennung auf die grundrechtliche Unbedenklichkeit des Letzteren zu schließen: Denn dass das bisherige Recht der Rechtshilfe so ist, wie es ist, bedeutet noch nicht, dass es im selben Maße legitim wäre und damit seine Weiterentwicklung ebenfalls. (2) Emanzipation vom status quo ante Das Kontinuitätsargument kann als solches also keine legitimatorische Wirkung entfalten, sondern ist nur der erste Schritt zu den hinter der bestehenden Regelung stehenden Gedanken,76 die dann wiederum einer kritischen Würdigung unterzogen werden müssen. Insofern ist die alte Rechtslage kein zuverlässiger Maßstab, sondern nur eine der kritischen Untersuchung zugängliche Erkenntnisquelle. Das gilt zum einen, soweit das bisherige Recht rechtsstaatlich „unterbelichtet“ gewesen sein mag,77 andererseits aber auch in umgekehrter Richtung: Nicht jede Schranke der Rechtshilfe, die einem Beschuldigten im Ergebnis zugute kommt bzw. kam, muss eine subjektiv-rechtlich fundierte und bewahrenswerte Rechtsposition verkörpern. Als Beispiel hierfür werden insbesondere jene Ablehnungsgründe genannt, die in der staatlichen Souveränität wurzeln und den Beschuldigten nur reflexartig begünstigen – wie der Grundsatz der Gegenseitigkeit78 und, nach einer umstrittenen Ansicht, die beiderseitige Strafbarkeit.79 (3) Verrechtlichung durch Institutionalisierung Eine bedeutsamere Neuerung für die rechtliche Evaluierung der Rechtshilfe in der EU liegt darin, dass ihre Rechtsakte zur gegenseitigen Anerkennung nicht mehr schlichte völkerrechtliche Verträge zwischen souveränen Staaten sind, sondern Akte eines übergeordneten Hoheitsträgers mit eigener Rechtspersönlichkeit, der selbst an Grundrechte gebunden und vor allem der Gerichtsbarkeit des EuGH und bald auch des EGMR unterworfen ist.80 Zwar ist gerade für die Rechtsakte der früheren 3. Säule, also sämtliche Rahmenbeschlüsse zur gegenseitigen Anerkennung, die Ein76
Angedeutet von Böse, ZIS 2010, 607, 613. Zum europäischen Haftbefehl und den von der EU-Kommission konstatierten Fortschritten Lagodny, in: ders./Wiederin/Winkler (Hrsg.): Probleme des Rahmenbeschlusses, S. 125, 147: „kein Ruhmesblatt“ angesichts der vorherigen Rechtslage. 78 Siehe § 5 IRG und dazu Lagodny, in: S/L/G/H, Rn. 2; Vogel, in: G/P/K, Rn. 6, die ihn für überflüssig halten. 79 So Lagodny, in: S/L/G/H, § 3 IRG Rn, 2; näher S. 46, 60, zur eigenen Ansicht S. 154 ff. 80 Zur Rechtspersönlichkeit Art. 47 EUV, zum Beitritt zur EMRK s. o. S. 77. 77
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
ordnung als Völkerrecht oder supranationales Recht nicht unumstritten: Die wohl h.M. ordnet sie dem Völkerrecht zu, weil sie von Regierungsvertretern einstimmig beschlossen wurden, nimmt aber teilweise eine „besondere Verbindlichkeit“ an, während andere sie den Richtlinien (Art. 249 III EGV a.F.) weitgehend gleichsetzen wollen.81 Der Streit ist im Ergebnis hauptsächlich für die Frage von Bedeutung, in welchem Maße Rahmenbeschlüsse für die Mitgliedstaaten verbindlich sind (dazu noch u. S. 250). Was die rechtlichen Maßstäbe angeht, an denen die Rahmenbeschlüsse zu messen sind, ist er hingegen irrelevant. Denn über die Anforderungen, die aus dem Strafprozessrecht selbst für eine legitime Strafrechtspflege abgeleitet werden können (S. 124 ff., 210 ff. u. passim), hilft ein Autoritätsargument nicht hinweg; auch die Grundrechte, wie sie der EuGH maßgeblich entwickelt hat, wie sie sich aus der Grundrechtecharta und der EMRK ergeben und deren Entfaltung das Strafprozessrecht (auch) dient (S. 98 ff.), gelten für jegliches Handeln der Europäischen Union. Damit ist ein hergebrachter völkerrechtlicher „Freifahrtschein“ für das Rechtshilferecht hinfällig, ohne dass es darauf ankommt, ob man die Materie als Ausprägung eigener (arbeitsteiliger) Strafrechtspflege ansieht82 oder ihr einen eigenständigen Charakter als bloße Hilfe zu fremder Strafverfolgung zuerkennt: In der BRD wird aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes bisweilen geschlossen, dass die Rechtshilfe nur eingeschränkt am rechtlichen Rahmen des Grundgesetzes zu messen sei, wobei als Maßstab oft das völkerrechtliche Minimum oder ius cogens bzw. der „Kerngehalt“ der Grundrechte83 genannt wurden. Das Bundesverfassungsgericht prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des „Exportverbots für deutsche Grundrechte“, wonach die deutsche Rechtsordnung im Rechtshilfeverkehr nicht ausländische Verfahrenshandlungen an den Maßstäben des deutschen Grundgesetzes zu messen hätte. Darin sieht Lagodny umgekehrt einen „Import abweichender ausländischer einfach- oder verfassungsrechtlicher Positionen“ und fordert eine volle Geltung der Grundrechte ein.84 Jenseits dieser Problematik der Geltung nationaler Grundrechte (dazu S. 58 ff., S. 249 ff.) lohnt ein Blick auf die Rolle der EU als rechtsetzende Instanz: Wir haben es nunmehr mit einem eigenen Hoheitsträger zu tun, der – jedenfalls nach ganz h.M. – verbindliche Rechtsakte im Bereich der Rechtshilfe erlässt und der an einen umfassenden Kanon grundrechtlicher Pflichten gebunden ist (S. 75 ff.), die bei dieser supranationalen Instanz keiner „völkerrechtsfreundlichen“ Beschränkung unterliegen können. 81
Zur völkerrechtlichen Rechtsnatur Wasmeier, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 34 EUV Rn. 10; zur „besonderen Verbindlichkeit“ Streinz, Europarecht, 8. Aufl. 2008, Rn. 476; für eine Art Zwitterstellung zwischen Völkerrecht und Gemeinschaftsrecht Schönberger, ZaöRV 2007, 1107, 1118 ff., 1138. 82 Dazu S. 30 ff., 69 ff. u. passim. 83 s. o. S. 65 ff.; für eine Einschränkung etwa Vogel, in: G/P/K, Rn. 39 vor § 1; krit. u. gegen eine ius-cogens-Lösung auch aus völkerrechtlicher Sicht Lagodny, in: S/L/G/H, § 73 IRG Rn. 33 f. 84 In: S/L/G/H, § 73 IRG Rn. 14 ff., näher S. 58 ff.
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht
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Insofern bietet sich im Raum der EU die Chance, die Rechtshilfeinstrumente in ihren grundrechtlichen Bindungen und befreit vom Ballast der historisch „zweidimensionalen“ und in einer Gemengelage aus nationalem (Verfassungs-)Recht und völkerrechtlichen Pflichten befangenen Sichtweise zu untersuchen. Eine solche Vorgehensweise ist auch geboten, um zu vermeiden, dass aus dem Sein der alten Rechtslage auf ein Sollen der neuen geschlossen wird. Der Rechtszustand vor Einführung des strafrechtlichen „Prinzips gegenseitiger Anerkennung“ kann deshalb nicht als Referenz für dessen rechtsstaatliche Vermessung dienen. bb) Umfassendes Doppelverfolgungsverbot als Ausweis der Neutralität? Wenn auch die bloße Tatsache, dass nach dem Prinzip gegenseitiger Anerkennungen auch für den Beschuldigten günstigen Entscheidungen zur Geltung verholfen werden kann, keine gehaltvolle Aussage über die Neutralität dieses Prinzips erlaubt (S. 234), könnte eine ebenfalls nach diesem Prinzip erfolgende Erstreckung des Strafklageverbrauchs („teileuropäisches Doppelverfolgungsverbot“85) als „Gegenleistung“ für die erleichterte Vollstreckung einzelner prozessualer Entscheidungen angesehen werden: Dem verfahrensführenden Staat wird die EU-weite Durchführung seines Prozesses weitgehend ermöglicht, dafür aber dessen Ergebnis auch abschließende Wirkung zuteil. Das kann insofern in sich stimmig sein, als insgesamt der Rechtsordnung dieses Staates in ihrer Gesamtheit die maßgebliche Wirkung zukommt.86 Der Versuch aber, daraus eine (auch im Einzelnen für die Rechtsposition des Beschuldigten, worauf es ankommt) neutrale Wirkung der gegenseitigen Anerkennung abzuleiten,87 ist zum Scheitern verurteilt, weil eine etwaige strafklageverbrauchende Wirkung nicht „verrechenbar“ mit einzelnen Rechtseinbußen ist, mit denen sie in keinem direkten (kompensationsfähigen) Zusammenhang steht.88 Die durch eine umfassende Strafverfolgung nach dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung, d. h. Anwendung des Rechts des „Anordnungsstaats“, erreichte Einebnung der differenzierten Rechtslage, die entsprechend den prozessualen Strukturen adäquat wäre (S. 124 ff., 210 ff.), kann nicht durch eine pauschale Anerkennung des Verfahrensergebnisses ausgeglichen werden. Einbußen bei den Freiheitsgarantien und beim Rechtsschutz gegenüber einer Verhaftung oder Wohnraumdurchsuchung etwa 85 Ausdruck von Hackner, NStZ 2011, 425. Die (in Unionsrecht überführte) Regelung des Art. 54 SDÜ ist eine frühe und weitreichende Manifestation des Prinzips gegenseitiger Anerkennung, zwar nicht innerhalb des Strafverfahrens, aber an dessen Enden (als abschließende Entscheidung und daraus abgeleitetes Verfahrenshindernis für eine weitere Verfolgung). Siehe noch S. 281 ff. 86 Was freilich wiederum von der Ausgestaltung im Einzelnen abhängt, s. noch S. 288. 87 Andreou, Gegenseitige Anerkennung, S. 74 ff., 241; Nalewajko, Grundsatz, S. 292, jeweils m.w.N. 88 Schünemann, ZStW 116 (2004), 376, 383; ders., in: Pache (Hrsg.): Europäische Union, S. 82, 88.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
können durch eine spätere strafklageverbrauchende Wirkung des Urteils im „Anordnungsstaat“ nicht aufgewogen werden (das ist auch gar nicht Aufgabe dieses Verfahrens, weshalb die entsprechenden Schranken als prozessunabhängige im Recht des „Vollstreckungsstaats“ zu suchen sind, s. o. S. 127 ff.). Wenn ein Verhalten in einem Staat gar nicht mit Strafe bedroht ist, läuft das Doppelbestrafungsverbot im Übrigen vollends ins Leere, weil es den Beschuldigten weder dort vor (ohnehin nicht vorgesehener) Strafe schützt, noch die Möglichkeit eröffnet, durch Verfolgung in diesem Staat dessen Auslieferung und Aburteilung im Ausland abzuwenden.89 c) Normativ angezeigte Neutralität: Wahrung des prozessualen Gleichgewichts Ausgehend von dem oben genannten (einzig legitimen) Ziel der Rechtshilfe, eine wirksame transnationale Strafrechtspflege zu gewährleisten (S. 30 ff., 72 ff.), bietet sich die Frage an, ob dieses Ziel in dem Sinne neutral erreicht wird, dass nicht mehr, aber auch nicht weniger geleistet wird, also nur spezifische Schwierigkeiten der transnationalen Konstellation, nicht aber Schutzgarantien insgesamt abgebaut werden.90 Dabei kann, wie bereits erwähnt, nicht erwartet werden, dass die gegenseitige Anerkennung als Modus transnationaler Strafrechtspflege insgesamt überwiegend freiheitsfördernd oder auch nur -wahrend wirke, ist doch jedes Strafverfahren seinem Wesen nach eingriffslastig; aber jedes Strafverfahren kennt auch spezifische Rechte des Beschuldigten, seien es Abwehr- oder Beteiligungsrechte, die dem staatlichen Zugriff Grenzen. Es erhält aus einem Spannungsverhältnis zwischen diesen Polen der staatlichen Eingriffsbefugnisse und der Beschuldigtenrechte sein spezifisches Gleichgewicht (dazu S. 98 ff.). Eine solche Balance wird nicht durch eine mehr oder weniger zufallsbedingte Kombination teils freiheitseinschränkender, teils liberaler Effekte erzielt, sondern kann nur das Ergebnis sachgerechter, an den Strukturen des Prozesses angelehnter Austarierung sein. Die bereits unter schlicht additiven Aspekten abzulehnende Saldierung der gegenläufigen Effekte der gegenseitigen Anerkennung (S. 234, 239) kann deshalb auch in der „holistischen“ Perspektive der prozessualen Balance nicht überzeugen: Dass die Anerkennung ausländischer prozessualer Entscheidungen an mancher Stelle (bei der Festnahme, Inhaftierung, Auslieferung, etc.) repressiv wirkt, dafür an ganz anderer Stelle (etwa bei einem entlastenden Beweis91 oder in Gestalt 89 90
80 ff.
Schünemann, StV 2005, 681 f. S. 114 ff., 189; allg. zum „individualrechtlichen Benachteiligungsverbot“ S. 69 ff.,
91 Dazu noch u. 277 f., insbesonderezu dem Problem, dass die Instrumente zur transnationalen Beweisgewinnung nach den EU-Konzepten zwar der Justiz und u. U. sogar Polizei zu Gebote stehen, nicht aber der Verteidigung.
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht
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des Strafklageverbrauchs) begünstigend, steht in keinerlei innerem Zusammenhang und gründet nicht auf einer Konzeption prozessualer Balance, sondern folgt bloß „blind“ aus der Beschaffenheit der Entscheidung, die jeweils anerkannt wird. Der unterschiedslosen Anwendung des Anerkennungsgedankens auf Entscheidungen unterschiedlicher Stoßrichtung kann also nicht so viel Weisheit unterlegt werden, als dass sie geeignet wäre, die Wahrung einer prozessualen Balance zu sichern. Letztere ist, entsprechend der grundlegenden Unterscheidung,92 in transnationalen Verfahren für prozessunabhängige und innerprozessuale Gefahren differenziert zu betrachten. Der Maßstab für Neutralität im normativ gehaltvollen Sinne, d. h. in dem Sinne, dass das prozessuale Gleichgewicht weder zugunsten noch zulasten des Individuums verschoben wird (S. 99 f.), kann danach so formuliert werden: „Neutral“ ist eine transnationale Organisation der Strafrechtspflege, wenn sowohl die innerprozessualen Schranken des verfahrensführenden Staates als auch die prozessunabhängigen des handelnden bzw. ersuchten Staates gewahrt sind (bzw., wo sie faktisch beeinträchtigt sind, wiederhergestellt, und zwar in arbeitsteiliger Gesamtverantwortung der beteiligten Hoheitsträger93). Aus dieser Perspektive könnte eine „neutrale“ Wirkung (nur) erreicht werden durch Anerkennung des fremden Rechts einerseits im Bereich der innerprozessualen Schranken des verfahrensführenden Staates, andererseits aber auch der prozessunabhängigen des handelnden bzw. ersuchten Staates (dergestalt dass der ersuchende Staat akzeptieren muss, dass diese unverbrüchlich gelten), und zwar jeweils in ihrer in sich stimmigen Gesamtheit (s. o. S. 124 ff.). Erst ein solches Verständnis wird dem Begriff „gegenseitiger“ Anerkennung gerecht, im Unterschied zur jeweils einseitigen, wenn auch in wechselnder Richtung stattfindenden Anerkennung, die erfolgt, wenn isolierte Einzelentscheidungen als solche übernommen werden. d) Verantwortung des EU-Gesetzgebers Fraglich ist auch, ob von der EU-Gesetzgebung eine solchermaßen definierte, normativ geforderte Neutralität erwartet werden kann, zumal die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung ja nur die Anerkennung von Rechtstatsachen vorschreibt, die unabhängig von ihr bereits bestehen; in diesem Sinne argumentiert der EuGH in der Frage der beiderseitigen Strafbarkeit (dazu S. 259). Es wurde bereits festgestellt, dass die Staaten dem Bürger gegenüber in einer Art „Gesamtschuld“ zur Gewährleistung eines prozessordnungsgemäßen Verfahrens verpflichtet sind (S. 103 ff., 109 ff., 112 f.) Diese Verpflichtung greift nicht nur im 92
S. 124 ff.; „Gleichgewicht“ ist hier im umfassenden Sinne des Ausgleichs zwischen Eingriffsbefugnissen und Individualrechten gemeint (dazu S. 99 f.). 93 Zur Wiederherstellung bei faktischer Beeinträchtigung auch Satzger/F. Zimmermann, ZIS 2013, 406, 410; zur staatlichen Gesamtverantwortung S. 103 ff., 109 ff., zur Inklusion der EU in den Kreis der „Gesamtschuldner“ eines prozessordnungsgemäßen Verfahrens sogleich im Text sowie S. 294 f.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
Einzelfall, sondern verpflichtet bereits bei der Setzung verbindlichen Rechts zu einer vorhersehbaren und ausgewogenen Regelung (S. 91 ff., 98 ff.). Aus der „gesamtschuldnerischen“ Zurechnungsgemeinschaft bricht auch der EU-Gesetzgeber nicht aus, der letztlich auf die Staaten zurückführen ist und nicht ungebunden über ihnen steht (s. bereits S. 82 ff.). Denn der von den Staaten anerkannte Vorrang des EURechts94 beruht auf deren (verfassungsrechtlich verankerter, für die BRD s. Art. 23 GG) Selbstbindung durch völkerrechtlichen Vertrag – es geht also letzten Endes um abgeleitete Hoheitsgewalt, und insofern können die Staaten sich nicht hinter einem europäischen Gesetzgeber verstecken.95 Ebenso wenig wie sie durch zwischenstaatliche Vereinbarungen der Rechtshilfe gegenüber dem Bürger von Verantwortung freizeichnen können (S. 112 f.), können sie das durch Vermittlung der EU und durch auf dieser Ebene gesetzte „Prinzipien“ (nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet); die Besonderheit im Zusammenhang der EU liegt in einer eigenständigen Rechtsetzungsinstanz und damit einer begrüßenswerten Klärung der Verantwortlichkeit (S. 237 f., S. 294 f.), nicht in der Sache. e) Ergebnis: Neutralität kein Argument Die Einführung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung in der europäischen Strafrechtspflege kann sich nicht schlicht darauf stützen, dass es sich dabei um ein neutrales Verfahrensprinzip handle. Soweit angenommen wird, der Mechanismus als solcher sei neutral, weil seine Wirkung jeweils von der anzuerkennenden Entscheidung abhängt, ist damit nichts für seine Legitimation gewonnen. Ein normativ gehaltvoller Begriff prozessualer Neutralität kann nur in Anlehnung an die Verfahrensbalance gebildet werden; insofern aber kann dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung nicht bereits „als solchem“ Unbedenklichkeit bescheinigt werden. 3. Zwischenfazit: Entzauberung des Begriffs „Prinzip“ Im Vorstehenden konnte gezeigt werden, dass ein „Prinzip“ gegenseitiger Anerkennung in der Strafrechtspflege nicht gleichermaßen Geltung beanspruchen kann wie im Recht des Binnenmarkts. Ob ein sonstiger Grund namhaft gemacht werden kann, der ihm auf diesem Gebiet normativen Gehalt verleihen kann, ist zweifelhaft, wie nunmehr zu zeigen ist (a). In Ermangelung dessen verbleibt es bei den allgemeinen Anforderungen an ein grundrechtsschützendes, prozessual ausgewogenes und vorhersehbares Strafverfahren, die ein „reines“ Prinzip gegenseitiger Anerkennung vollkommen verfehlen würde (b). Daher nimmt es nicht wunder, dass es hier auch keine „self-executing“-Wirkung hat, sondern letztlich in Art. 82 bloß eine 94 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 10 Rn. 4 ff.; zur Verbindlichkeit der europäischen Vorgaben s. noch S. 294 f. 95 Was gerade in der Justiz- und Innenpolitik den Mitgliedstaaten mitunter zum Vorwurf gemacht und umgekehrt zur Verteidigung der EU als Institution vorgebracht wird; es geht aber hier gar nicht um „Schuldzuweisungen“, sondern um den ausgewogenen Strafprozess.
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht
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Gesetzgebungskompetenz normiert ist, aufgrund derer das Prinzip in einzelnen Rechtsakten entfaltet und konkretisiert werden muss (c). a) Eigenständiger normativer Gehalt? aa) Gegenseitige Anerkennung kein Zweck an sich Ebenso wie jeder Eingriff in Freiheitsrechte der Rechtfertigung bedarf, gilt dies für dessen Potenzierung durch die verbindliche Anordnung seiner Anerkennung und Vollstreckung.96 Dabei war und ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der einzig legitime Zweck transnationaler Strafrechtspflege die Durchsetzung des Strafrechts in einem prozessordnungsgemäßen Verfahren ist, die das Prinzip gegenseitiger Anerkennung nicht direkt abbilden kann (s. o., insb. S. 240 ff.). Um im Vergleich zum „normalen“, innerstaatlichen Strafverfahren von den an sich sachlich angezeigten prozessualen Schranken abzuweichen, bedürfte es eines guten, d. h. insbesondere: gegenüber dem Bürger durchgreifenden Grundes.97 Ein solcher kann nicht schon darin gesehen werden, dass dies die „Kehrseite“ oder der „Preis der Freizügigkeit“ sei (s. o. S. 230 ff.). Die Darlegungslast dafür, dass es einen sachlichen Grund gibt, der eine Verschiebung der prozessualen Balance durch möglichst (im doppelten Sinne) grenzenlose Entfaltung einzelner strafrechtlicher Eingriffe98 tragen könnte, trägt jedenfalls der Staat, respektive die Instanz, die für die Eingriffe verantwortlich zeichnet (dazu S. 241). Insbesondere Topoi wie die „zwischenstaatliche Solidarität“ können zu keinem anderen Ergebnis führen, weil sie letztlich nur vertretend für die notwendig rechtlich gebändigten Strafverfolgungsinteressen stehen, denen sie dienen, und keine weitergehende Legitimationswirkung entfalten können (S. 30 ff., 72 ff.). bb) „Hohes Maß an Vertrauen“ als normatives Gewicht? „Er mißtraut nämlich jedem, auch wenn er zum Beispiel irgend jemanden bei unzähligen Gelegenheiten als den vertrauenswürdigsten Menschen kennengelernt hat, mißtraut er ihm bei der nächsten Gelegenheit, wie wenn er ihn gar nicht kennte oder richtiger, wie wenn er ihn als Lumpen kennte. Ich halte das für richtig, ein Beamter muss so vorgehen […]“ Franz Kafka, Das Schloß, München 1926, S. 122 f.
96 Zur Verantwortung für die verbindliche Ausweitung von Eingriffen S. 82 ff., 241; S. 259 am Beispiel der Aufgabe der beiderseitigen Strafbarkeit. Zur Verbindlichkeit s. noch S. 294 f. 97 Zu den angemessenen Schranken S. 130 ff., zur Rechtfertigungspflicht für Eingriffe S. 72 ff. 98 Die im Wesen der Anerkennung repressiver Entscheidungen liegt (dazu bereits S. 225 ff. und sogleich S. 246 f.); dabei spielt es für das Rechtfertigungsbedürfnis keine Rolle, dass nicht jeder einzelne Fall mit einem Rechtsverlust des Bürgers einhergehen muss (ergänzend S. 233 ff.). Zu der Ausgestaltung in den einzelnen Rechtsakten s. u. S. 253 ff.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
Eine Variante der viel bemühten „zwischenstaatlichen Solidarität“ wird allerdings in der EU in Gestalt des – auf den gemeinsamen grundrechtlichen Standards der EMRK und inzwischen auch der Grundrechtecharta fußenden – „hohen Maßes an Vertrauen“99 zwischen den Mitgliedstaaten angeboten, das die Übernahme fremder hoheitlicher Entscheidungen in größerem Maße und unter reduzierter Überprüfung rechtfertigen können soll. (1) Inkommensurabilität von Recht und Vertrauen Doch „Vertrauen“ ist eine psychologische Kategorie, keine rechtliche. Es ist zwar nichts gegen die Prämisse einzuwenden, dass gewisse vertrauensbildende, gemeinsame rechtsstaatliche Grundlagen in EMRK oder Grundrechtecharta gefunden100 oder durch Richtlinien geschaffen101 werden können, aber sie können in ihrer konkreten Entfaltung zuverlässig gewahrt werden nur durch rechtliche Vermittlung (d. h. über entsprechende [einfachgesetzliche] Normen und Verfahren, dazu i.E. S. 53 f., 108 f. u. passim). Der „Fremdkörper“ des Vertrauens könnte nur dann ein funktionales Äquivalent bilden, wenn er die Rechtmäßigkeit des staatlichen Handelns jeweils auch zuverlässig absichern könnte, was ersichtlich ausgeschlossen ist.102 Der Gedanke, ein „hohes Maß an Vertrauen“ könne die schützenden Formen des Rechts gleichwertig ersetzen, erliegt insofern dem normativistischen Fehlschluss, die gewährleisteten Garantien würden schon deshalb eingehalten, weil sie einzuhalten seien. Auch die Erwiderung, es müssten nicht die Staaten unter sich, sondern die Bürger in die Institutionen vertrauen können,103 beschreibt zwar für sich genommen ein essentielles rechtsstaatliches Gebot, vermengt aber die Kategorien, weil sie nicht auf das (rechtliche) Gegenkonzept zum „Vertrauen“ zwischen Staaten abstellt, sondern nur eine psychische Folge einer erstrebenswerten rechtsstaatlich einwandfreien Lösung beschreibt. Sie ist aber insofern berechtigt, als es aus der individualrechtlich orientierten Perspektive nicht sein kann, dass das Vertrauen zwischen Staaten diese 99 Dazu am Beispiel des Rb-EBA Roger, GA 2010, 27, 30 f.; das Vertrauensargument wird vorgetragen von Andreou, Gegenseitige Anerkennung, S. 43 ff.; Wasmeier, ZStW 116 (2004), 320, 321; krit. Ambos, Internationales Strafrecht, § 12 Rn. 42 („Brüsseler bzw. Luxemburger Phantasmagorie“); Pohl, Vorbehalt und Anerkennung, S. 65; Rosenthal, ZRP 2006, 105; Weigend, ZStW 116 (2004), 275, 292 f. 100 Wobei freilich der Charakter von Mindeststandards nicht frei von Kritik ist, s. etwa Gless, StV 2013, 317, 322 f. 101 Was aber an die Grenzen des Subsidiaritätsprinzips und der Kompetenznorm des Art. 82 II AEUV (Mindestvorschriften) stößt, s. u. S. 252 f., 291. 102 Eine (unwiderlegliche) Vermutung der Rechtsstaatlichkeit im Einzelfall lehnen zu recht ab: Murschetz, Auslieferung, S. 347 ff.; Vogel, JZ 2001, 937, 940 f. Dagegen betont die Kommission in ihrer Mitteilung vom 26. 7. 2000, COM (2000) 495 endg., dass das Vertrauen gerade auch auf die korrekte Anwendung im Einzelfall gerichtet sei. 103 Leutheusser-Schnarrenbeger, StraFo 2007, 267, 268; Schünemann, FS Szwarc, 109, 121; so auch der Kabinettschef der Kommissions-Vizepräsidentin und Justizkommissarin, Selmayr, bei Ronsfeld, ZIS 2012, 636, 638.
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht
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berechtigt, dem Bürger gegenüber die Eingriffsschwellen herabzusetzen bzw. dessen Rechtspositionen und Rechtsschutzmöglichkeiten zu schwächen, weil dies einen Vertrag zu Lasten Dritter bedeuten würde (s. bereits S. 74 f.). So betrachtet führt die Substitution der konsequenten Rechtsanwendung durch gegenseitiges Vertrauen in die Irre, weil letzteres (als rechtspolitisches Postulat) nur dort wirksam wird, wo es (empirisch) gerade nicht angebracht ist, nämlich indem es die zweifelhafte oder fehlende Rechtmäßigkeit der zu vollstreckenden Entscheidung der Kontrolle im Vollstreckungsstaat entzieht. Einer rechtmäßigen Entscheidung104 dagegen wird in den Grenzen der selbstauferlegten prozessunabhängigen Schranken und bei wohlabgewogener Prüfung, deren Gestaltung eben die vornehme Aufgabe des Rechtshilferechts ist,105 in aller Regel auch die Behörde des Vollstreckungsstaats zur Geltung verhelfen, so dass es eines Rekurses auf das „Vertrauen“ für eine wirksame Zusammenarbeit dann nicht bedarf. (2) Vertrauen und sein untauglicher Gegenstand Schließlich kann das Vertrauen in das Handeln eines anderen Staates keine inhaltliche Antwort auf die entscheidende Frage nach dem richtigen Recht geben, die sich nach der hier vertretenen Ansicht differenziert aus den unterschiedlichen Schranken der beteiligten Rechtsordnungen heraus beantworten lässt. Selbst wenn man darauf vertrauen könnte, dass der andere beteiligte Staat rechtmäßig handelt, so kann, auch wenn er den besten Willen dazu hat, nicht erwartet werden, dass er schon wegen seiner Bindung an gemeinsame Menschenrechtsstandards die für die transnationale Konstellation passende Entscheidung trifft.106 (3) Zwischenfazit Es bleibt deshalb dabei, dass Vertrauen eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für eine rechtsstaatliche arbeitsteilige Strafverfolgung ist. Genauer: Der Bestand von Vertrauen zwischen den beteiligten Staaten ist konstitutive Grundbedingung für jede Rechtshilfe, taugt aber nicht als regulatives Verfahrensprinzip für ihre Durchführung und kann keine normative Substanz für ein Abrücken von den prozessstrukturell fundierten Anforderungen an ein transnationales Verfahren liefern.
104 Zu deren „realistischen“, d. h. die Rechtsordnung beider beteiligter Staaten (selektiv) aufnehmenden und dabei (umfassend) respektierenden Konturen S. 124 ff., zusammenfassend S. 188 ff. 105 Zur staatlichen Lastentragung S. 103 ff., 112, zu sachgerechten Modifikationen im Prüfungsumfang namentlich beim Tatverdacht S. 147 ff. 106 Zur Unmöglichkeit einer unmittelbaren Ableitung aus den Fundamentalrechten S. 98 ff., zur Bestimmung der relevanten Schranken S. 126 ff., 169 ff.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
b) Legitimationsdefizite einer gegenseitigen Anerkennung „in Reinform“ Wenn also keine sachlichen Gründe zu finden sind, die das „Prinzip gegenseitiger Anerkennung“ normativ aufladen können, muss es als Rechtshilfe-Modell vor den Anforderungen bestehen, die im Allgemeinen für transnationale Strafrechtspflege entwickelt werden konnten. aa) Der konsequente Realisierungsvorschlag im Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz pp. Anschauungsmaterial dafür, wie eine konsequente Entfaltung gegenseitiger Anerkennung in der Strafrechtspflege aussehen könnte, liefern die Vorschläge im „Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der EG und zur Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft“.107 Dieses zeichnet sich durch weitgehende Wahlfreiheit eines europäischen Staatsanwalts zwischen mitgliedstaatlichen Eingriffsbefugnissen aus;108 die angeordneten Maßnahmen müssten dann europaweit anerkannt und vollstreckt werden (a.a.O. S. 55). Auch die nach dem Recht eines Mitgliedstaates rechtmäßig erhobenen Beweise sollten in der Folge gegenseitig anerkannt bzw. zugelassen werden („Verkehrsfähigkeit von Beweisen“).109 Überzeugend hat Gaede dargelegt, dass eine solche Regelung derart unbestimmt wäre, dabei den Beschuldigten mit der unkoordinierten Anwendung potenziell aller Eingriffsrechte der Mitgliedstaaten konfrontieren und eine „Verteidigung gegen ganz Europa“ erforderlich machen würde, dass der Grundsatz „nullum judicium sine lege“ verletzt wäre.110 bb) Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung als solches Abgesehen von der institutionellen Seite der Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft (die nunmehr in Art. 86 AEUV vorgesehen ist, dazu und zu den gegenwärtigen Vorschlägen S. 284 ff.) liefert das Grünbuch eine Vorstellung davon, was eine konsequente Anwendung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung in der Strafrechtspflege bedeuten könnte. Danach würde eine von den Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedsstaates getroffene Entscheidung – analog zu den im Grünbuch vorgesehenen Akten des 107
KOM (2001) 715 endgu¨ ltig u. dort insb. S. 20 f. Grünbuch, S. 46 ff., krit. Gaede, ZStW 115 (2003), 845, 847 ff.; Satzger, StV 2003, 137, 139 (Gefahr des „forum shopping“). 109 Zur Kritik Gleß, ZStW 115 (2003), 131, 138 ff.; Schünemann, StV 2003, 116, 118; Bendler, StV 2003, 133, 136. 110 Gaede, ZStW 115 (2003), 845, 869 ff.; krit. auch Braum, JZ 2000, 493 ff.; KaiafaGbandi, KritV 1999, 162 ff.; Schünemann, StV 2003, 116, 117 ff.; Satzger, StV 2003, 137, 139 ff. 108
II. Begründungsansätze für die Übertragung auf das Strafrecht
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Europäischen Staatsanwalts – automatisch europaweite Wirkung erlangen und müsste – ebenso wie im Wirtschaftsverkehr ein Produktstandard – in allen anderen Mitgliedstaaten durchgesetzt werden, ohne Rücksicht auf die dort geltenden Vorschriften und ohne dass diese irgendeine Überprüfung vornehmen könnten. Eine solche durchgehende Anwendung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung zwischen den Mitgliedstaaten in Reinform, d. h. die europaweite Vollstreckbarkeit einmal angeordneter Zwangsmaßnahmen, und auch umgekehrt die „Anerkennung“ von Beweiserhebungen (d. h. unterschiedslose „gegenseitige Zulassung“ und Verwertung)111, wäre dem gleichen Verdikt ausgesetzt wie das o.g. Grünbuch; sie würde vollends an den Anforderungen an die Wahrung prozessualer Schranken sowie der Rechte der Verteidigung vorbeigehen (zu diesen S. 124 ff., 182 ff.) und wird deshalb auch in dieser Form nicht ernsthaft vorgeschlagen. Gleichwohl liefert diese Betrachtung die Erkenntnis, dass die unmittelbare und schrankenlose Anwendung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung auf strafprozessuale Entscheidungen nicht gewollt sein kann – und wirft so wiederum die Frage auf, was von seinem Status als „Prinzip“ übrig bleibt. c) Rückführung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung auf den Status eines Kompetenztitels ohne „self-executing“ Wirkung Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung kann also in der Strafrechtspflege kein Selbstzweck sein und ist in vollumfänglicher Entfaltung nicht denkbar. Es kann auch mangels normativen Überschusses nicht als „Optimierungsgebot“ in dem Sinne verstanden werden, dass es zur Herstellung „praktischer Konkordanz“ einen Rückbau bei den Individualrechten rechtfertigen würde.112 Darüber hinaus kann noch nicht einmal semantisch klar angegeben werden, was im Namen des „Prinzips gegenseitiger Anerkennung“ optimiert werden sollte: Die Entfesselung der Strafverfolgung als solche scheidet aus, und für die als einzig legitimen Zweck herausgearbeitete transnationale arbeitsteilige Strafrechtspflege wäre es kein geeigneter Stellvertreter, weil deutlich unterkomplex (s. o. S. 240 ff.). Sinnvoll kann das Prinzip gegenseitiger Anerkennung nach alledem nur als „instrumentelles“ Prinzip aufgefasst werden, welches dann nicht mehr Legitimität beanspruchen kann als die von ihm repräsentierten Interessen der Strafverfolgung.113 Aus diesem dienenden Bezug zur Durchsetzung des Strafrechts folgt, dass das Prinzip gegenseitiger Anerkennung die straf(prozess)rechtlichen Legitimationsbedingungen (und Schranken) nicht ausstechen kann, sondern ihnen genügen muss – in 111 Zur „Verkehrsfähigkeit von Beweisen“, insbesondere im „Grünbuch“, krit. Gleß, ZStW 115 (2003), 131 ff. 112 Zur Idee „praktischer Konkordanz“ und der damit implizierten – problematischen – Gleichrangigkeit individueller Grundrechte mit staatlichen Zielen S. 72 ff., 78. 113 Unbeschadet der an anderer Stelle anzutreffenden und deshalb kompensationsungeeigneten (s. o. S. 239 f.) liberalen Effekte insb. im Bereich des Doppelbestrafungsverbots.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
den Worten des Generalanwalts Cruz Villalón: „Wenn es richtig ist, dass die gegenseitige Anerkennung ein Instrument zur Stärkung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist, so trifft es doch nicht weniger zu, dass der Schutz der Grundrechte und -freiheiten ein prius darstellt, das das Bestehen und die Entwicklung dieses Raums legitimiert.“114 Nicht anders nehmen sich die grundsätzlichen Stellungnahmen von Rat und Kommission aus: Der Europäische Rat von Tampere am 15./16. 10. 1999, welcher die gegenseitige Anerkennung zum „Eckstein“ künftiger Kooperation in Strafsachen ausrief (Schlussfolgerungen, Ziff. 33), mahnte zugleich „eine ausgewogene Entwicklung […] unter gleichzeitigem Schutz der Freiheit und der gesetzlich verbürgten Rechte der Einzelperson“ an (Ziff. 40), und die Kommission hat bekräftigt, dass die „gewonnene Steigerung der Effizienz der Strafverfolgungen mit dem Schutz der Grundrechte einhergehen“ müsse.115 Dieser Schutz der Grundrechte wiederum ist in der Strafrechtspflege nicht ohne eine vernunftschlüssige Entfaltung im einfachen Recht zu realisieren (S. 98 ff.). Die Erkenntnis der Beschränktheit des Prinzips gegenseitiger Anerkennung scheint teilweise auch in der Feststellung auf, es sei im Strafrecht – anders als im Wirtschaftsrecht – nicht „self-executing“, sondern der Konkretisierung fähig und bedürftig;116 nach der hier vertretenen Ansicht muss hinzugefügt werden: Einer Konkretisierung, die vollumfänglich den normativen Anforderungen genügt, die an ein transnationales Strafverfahren zu stellen sind. Aus dieser Perspektive verbleibt der Verankerung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung in Art. 82 AEUV letztlich nur die Bedeutung eines Kompetenztitels, der den europäischen Gesetzgeber in die Lage versetzt, auf dem Gebiet der transnationalen Strafrechtspflege Recht zu setzen. Auch in dieser „bescheideneren“ Form hat die Vorschrift einen guten Sinn, allein schon indem sie eine einwandfreie Rechtsgrundlage schafft, wo der frühere Art. 34 II b EUVaus Sicht der Kritiker nicht zur Regelung der strafrechtlichen Zusammenarbeit ermächtigte.117 Als Kompetenztitel hat Art. 82 AEUV schließlich eine nicht zu unterschätzende Bedeutung und Berechtigung als Auftrag an den EU-Gesetzgeber, eine übergreifende, einheitliche und schlüssige Meta-Verfahrensordnung (dazu S. 215 f.) zu schaffen.118 Wie dieser Auftrag im Einzelnen auszufüllen ist, ist damit noch nicht gesagt. Nach der hier entwickelten Ansicht ist der dogmatische Ausgangspunkt für 114 Schlussanträge vom 06. 07. 2010 in der Rechtssache C-306/09 (I.B. gegen Conseil des minstres), Ziff. 43. 115 Im Zusammenhang mit der geplanten Europäischen Staatsanwaltschaft, s. Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der EG und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endgültig, S. 20 (zu dessen Problemen s. noch u S. 284 f.). 116 Vogel, in: G/H/N, Art. 82 AEUV Rn. 21. 117 Dazu sogleich S. 250. 118 Zu deren Notwendigkeit und zur Kritik an der zersplitterten und höchst unübersichtlichen Rechtslage vor (oder neben) der schrittweisen Einführung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung s. Schomburg, StV 1998, 153, 154 f. sowie die Nachweise o. Fn. 2.
III. Konkrete Ausgestaltung
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eine adäquate (Meta-)Regelung transnationaler Verfahren in den innerstaatlichen Verfahrensordnungen – soweit sie der Sache nach Geltung verlangen – und deren wirksamer Entfaltung zu suchen (s. o. S. 124 ff.). Gegenstand der Anerkennung können nach dieser Ansicht die in Art. 82 AEUV genannten „Urteile und gerichtlichen Entscheidungen“ sein, allerdings in den prozessstrukturell vorgezeichneten Bahnen und im jeweiligen Gesamtzusammenhang ihrer Rechtsordnung (S. 241). Mit dieser Deutung des „Prinzips gegenseitiger Anerkennung“ ist zugleich vorgezeichnet, dass die an den entwickelten Kriterien zu messende Rechtswirklichkeit mangels Substanz nicht in dem „Prinzip“ selbst gesucht werden kann, sondern nur in dessen konkreter Umsetzung in den einzelnen Rahmenbeschlüssen und Richtlinien.
III. Das „Prinzip“ gegenseitiger Anerkennung in seiner konkreten Ausgestaltung Dabei kann keine eingehende Untersuchung des gesamten Rechtsbestands geleistet werden;119 stattdessen wird der Fokus entsprechend den im ersten Teil entwickelten Rahmenbedingungen auf einige neuralgische Punkte der transnationalen Strafrechtspflege im speziellen rechtlichen Rahmen der Europäischen Union gelegt. 1. Die bisher ergangenen Rechtsakte a) Prolog: Rang- und Legitimationsfragen aa) Vorrang des Unionsrechts Nach ganz überwiegender Ansicht genießt das Recht der europäischen Union Vorrang gegenüber jeglichem nationalen Recht der Mitgliedstaaten.120 In der praktischen Rechtswirklichkeit ist es deshalb vorgezeichnet, dass die Vorgaben des Unionsrechts die Anwendung des nationalen Rechts anleiten, unter Einschluss des Strafverfahrensrechts.121 Dieser Befund ist durchaus nicht frei von Kritik, und gelegentlich, v. a. in Fragen der äußersten, grundrechtlichen Grenzen, treten auch in der Rechtsprechung der nationalen Gerichte Standpunkte auf, die im Widerspruch zum Unionsrecht bzw. dessen Auslegung durch den EuGH stehen.122 Konfliktpotential ergibt sich insbesondere, wenn nationale Grundrechte, also fundamentale Gewährleistungen, mit dem Totschlag-Argument des Vorrangs des Unionsrechts
119
Hierzu umfassend EnzEuR, Bd. 9, insb. §§ 13 – 16. Eingehend Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 10 Rn. 4 ff. 121 Dazu EuGH, Urteil v. 16. 5. 2005, Rs. C-105/03, Pupino; s. zuletzt Swoboda, HRRS 2014, 10 ff. 122 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 10 Rn. 14 ff., 30 ff. 120
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
hierarchisch noch unter Richtlinien eingeordnet und so „unter Integrationsvorbehalt“ gestellt werden.123 Vorliegend geht es aber nicht um solche Fragen, die den Rahmen der Arbeit sprengen würden; auch der Vorrang des Rechts der EU kann nicht im Wege eines Machtarguments die kritische Reflektion hindern. Die Frage ist gerade, ob (und von wem) unter Zugrundelegung eines vollständigen Vorrangs von Unionsrecht die aus den strafprozessualen Strukturen abgeleiteten Vorgaben im System der gegenseitigen Anerkennung realisiert wurden oder realisiert werden können. Etwaige dabei ermittelte Defizite des positiven Rechts sind selbstverständlich nicht qua Normenhierarchie erledigt, sondern werden durch diese überhaupt erst aktuell und bleiben Gegenstand rechtsdogmatischer Kritik. bb) Insbesondere Rahmenbeschlüsse Besonders die vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der damit verbundenen Beteiligung des Europäischen Parlaments (Art. 82 I S. 2, 294 AEUV) verabschiedeten Rahmenbeschlüsse wurden in ihrer Legitimation immer wieder bezweifelt. So wird behauptet, sie verletzten das demokratische Prinzip,124 weil sie im Rat durch Vertreter der mitgliedstaatlichen Exekutivorgane und ohne parlamentarische Beteiligung erlassen wurden; außerdem würden sie die von Art. 34 II b EUV a.F. eingeräumten Kompetenzen und die Grenzen der Übertragung von Hoheitsrechten sprengen.125 Diese Kritik, die im Urteil des BVerfG zum Lissabon-Vertrag einen gewissen Widerklang gefunden hat,126 hat Gewicht, vor allem soweit eine plausible Rechtfertigung für die Umgehung der gewählten Volksvertretungen im besonders sensiblen Bereich des Strafrechts nach wie vor nicht geliefert wurde.127 Sie betrifft aber nicht den materiellen Kern des hier gewählten, an den Konturen des Strafprozesses orientierten Ansatzes und wird daher nicht weiter verfolgt; die inhaltliche Auseinandersetzung mit den in der Rechtswirklichkeit maßgeblichen Rahmenbeschlüssen 123
Ausdruck und Kritik von Vogel, Editorial zu StV Heft 5/2013, I, unter Verweis auf die grundrechtliche „Meistbegünstigungsklausel“ des Art. 53 Grundrechtecharta; ähnlich Gaede, NJW 2013, 1279, 1280; Swoboda, HRRS 2014, 10, 15. 124 Braum, GA 2005, 681, 688 ff.; Lüderssen, GA 2003, 71 ff.; Schünemann, in: ders. (Hrsg.): Gesamtkonzept, 93, 97. 125 Zum Kompetenzeinwand Schünemann (Fn. 124) sowie ders., StV 2006, 361, 364; zum (ungelöstgen) Problem der Übertragung von Hoheitsrechten allgemein und vertiefend Noltenius, ZStW 122 (2010), 604, 620 ff. 126 BVerfGE 123, 267, 410, 413 f. 127 Zum Konzept „gubernativer Rechtsetzung“ im Strafrecht s. die Nachw. o. Teil A., Fn. 834. Auch das Konzept „mittelbarer demokratischer Legitimation“ vermag nicht zu erklären, wie Vertreter der Exekutive durch Aggregation im europäischen Organ des Rates eine Legislativkompetenz erringen sollen, die ihnen im Rahmen ihrer vom nationalen Parlament abgeleiteten demokratischen Legitimation gerade nicht zukommt, Schünemann/Roger, ZIS 2010, 515, 516 f.
III. Konkrete Ausgestaltung
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kann und muss unabhängig von der Diskussion über ihre formelle Legitimation und Verbindlichkeit erfolgen. b) Rekapitulation der Anforderungen an die Gestaltung der Rechtshilfe Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit ist die notwendig strafprozessuale Fundierung der Rechtshilfe herausgearbeitet worden. Es konnte in Gestalt der differenzierten Geltung von innerprozessualen und prozessunabhängigen Schranken ein Modell für die legitime Gestaltung transnationaler Verfahren entwickelt werden, das im Folgenden als Maßstab dienen kann; dabei ist aus Gründen der semantischen, vor allem aber konzeptionellen Klarheit, festzuhalten, dass die Schranken der Rechtshilfe, auch Zulässigkeits- oder Bewilligungshindernisse oder, in der europäischen Terminologie, Ablehnungsgründe genannt, aus der prozessualen Perspektive entweder als strafprozessuale Schranken zu verstehen sind und prinzipiell danach verlangen, auch im transnationalen Verfahren zu gelten (S. 124 ff., 210 ff.), oder bloß traditionelle, auf staatlicher Souveränität beruhende und obsolete Vorbehalte (S. 114 ff.). Beide sollten nicht in ein und dieselbe Kategorie der „Hürden“ oder „Hindernisse“ eingeordnet werden, weil dies darüber hinwegtäuschen würde, dass manche Schranken wohlbegründet sind. aa) Grund- und Menschenrechte und ihre notwendige Entfaltung im einfachen Recht Die Befürworter des Prinzips gegenseitiger Anerkennung argumentieren häufig, dass alle Rechtsakte, die dieses Prinzip umsetzen, einen Hinweis auf die Grundrechte einschließlich der EMRK enthielten.128 Daraus könne ein Vorbehalt des europäischen ordre public insgesamt herausgelesen werden, dergestalt, dass alle Rechte der EMRK (neben denen der Grundrechtecharta) als Schranken der gegenseitigen Anerkennung wirkten129 – und eo ipso, auch wenn dies selten explizit ausgesprochen wird, damit auch wirksam gesichert seien. Dem wird im kritischen Lager entgegen gehalten, dass die Garantien der EMRK viel zu allgemein gehalten seien und nur eine äußerste Grenzen markierten, aber nicht umfassend die Balance des Strafverfahrens zwischen Verfolgungsmacht und Verteidigung zu gewährleisten vermöchten.130 Wie Gaede nachgewiesen hat, haben beide in gewisser Weise Recht, andererseits aber 128
Siehe etwa Erwägungsgrund 12 des Rb-HB: „Der vorliegende Rahmenbeschluss achtet die Grundrechte und wahrt die in Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union anerkannten Grundsätze“; Art. 6 II EUV wiederum statuiert die Achtung (u. a.) der EMRK. 129 Andreou, Gegenseitige Anerkennung, S. 164 ff.; Wasmeier, ZStW 116 (2004), 320 f.; s. aber zuletzt einschränkend EuGH, Urteil in der Rs. C-396/11 – Radu, Tz. 36, wonach die ausdrücklichen Ablehnungsgründe der Rahmenbeschlüsse/Richtlinien abschließend seien und einen weitergehenden Grundrechtsvorbehalt ausschlössen; krit. Brodowski, HRRS 2013, 54 ff.; Gaede, NJW 2013, 1279 f.; Swoboda, HRRS 2014, 10, 15; Vogel, Editorial zu StV Heft 5/2013, I. 130 Ausführlich S. 87 ff. (zur Kritik insb. die Nachweise Fn. 325), S. 98 ff.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
auch Unrecht: Auch wenn die Garantien der EMRK durchaus anspruchsvoll sind, kann ihre Beachtung nicht damit gesichert werden, dass sie als „selbstverständlich“ geltend erwähnt werden.131 Vielmehr ergeben sich aus der Konvention nur – aber immerhin – Leitlinien dafür, in welchen menschenrechtlichen Bahnen ein Strafverfahren verlaufen muss, dessen Ausgestaltung im Einzelnen den Staaten selbst obliegt. Für transnationale Verfahren kann, wie oben ausgeführt, im Grunde nichts anderes gelten (zum Ganzen S. 87 ff.): Auch sie bedürfen einer eingehenden Regelung und klarer Schranken jenseits eines allgemeinen Menschenrechtsvorbehalts. Wenn solche Schranken notwendiger Bestandteil einer legitimen Regelung sind, müssen sie dementsprechend jeweils parallel zu der Norm erlassen werden, welche die arbeitsteilige Zusammenarbeit der Staaten vorschreibt („rechtsstaatliche Junktim-Klausel“).132 Dementsprechend werden sie bei der Untersuchung der einzelnen Gegenstände gegenseitiger Anerkennung zu behandeln sein. bb) Mindestrechte de lege lata et ferenda Dass die menschenrechtlichen Gewährleistungen nur einen Rahmen bilden, prozessuale Rechte aber nicht im Einzelnen ersetzen können, findet mittlerweile auch in den zunächst eingriffslastigen133 legislatorischen Aktivitäten der EU Anerkennung. Dieser Erkenntnis trägt die im Rahmen des Stockholmer Programms134 schrittweise erfolgende Einführung von „Mindestverfahrensrechten“ nach dem sog. Fahrplan135 Rechnung. In diesem Prozess ist neben dem Recht auf Übersetzungen und Dolmetscherleistungen136 und auf Belehrung137 zuletzt als bedeutendste Garantie das Recht auf Rechtsbeistand geregelt worden.138 Nach der Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass „Verdächtigten und beschuldigten Personen das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand so rechtzeitig und in einer solchen Art und Weise zukommt, dass die betroffenen Personen ihre Verteidigungsrechte praktisch und wirksam 131
Gaede, ZStW 115 (2003), 845, 869 ff. (näher S. 91 f.); ähnlich im Sinne einer „europäischen Wesentlichkeitslehre“ Burchard, in Beck/Burchard/Fateh-Moghadam (Hrsg.): Strafrechtsvergleichung als Problem und Lösung, 2011, 275, 300. 132 Ähnlich Gless, StV 2013, 317, 323; European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 415. 133 Entschließung des Rates vom 30. 11. 2009 über einen Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren (ABl EU 2009/C 295/ 01), Erwägungsgründe 4, 5 und 10; ebenso die damalige Justizkommissarin Reding 2010 in einem Vortrag an der europäischen Rechtsakademie in Trier (http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=SPEECH/10/89&format=HTML&aged=0&language=EN&gui Language=en); ferner deren Kabinettschef Selmayr bei Ronsfeld, ZIS 2012, 636, 638. 134 ABl. EU 2010/C 115/1, insb. S. 10. 135 Nachw. o. Fn. 133. 136 Richtlinie 2010/64/EU v. 20. 10. 2010 (ABl. EU L 280/01). 137 Richtlinie 2012/13/EU v. 22. 5. 2012 (ABl. EU L 142/01). 138 Richtlinie 2013/48/EU v. 22. 10. 2013, die bis zum 27.11. 2016 umzusetzen ist (Art. 15 I).
III. Konkrete Ausgestaltung
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wahrnehmen können“ (Art. 3 I). Dieser Grundsatz wird für bestimmte Maßnahmen näher entfaltet, mit Ausnahmen versehen und in Art. 10 für „Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls“ gestärkt.139 Ob diese Rechte geeignet sind, der gegenseitigen Anerkennung ein individualrechtlich ausbalanciertes oder „neutrales“ Gepräge zu verleihen (S. 240 ff.), wird im Folgenden bei den einzelnen Rechtsakten zu untersuchen sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die transnationale Verfahrensbalance spezifische Rechte erfordert,140 nach der hier vertretenen Ansicht in Gestalt von Meta-Rechten, die die beständige Wirksamkeit der jeweiligen prozessualen Rechte sichern (S. 215 f.). Diese könnten in der Substanz weitgehend an die lex lata anknüpfen, durch eine Konkretisierung der „wesentlichen Rechtsgrundsätze“ im Sinne prozessunabhängiger Schranken des Territorialstaats einer- und verbindliche Anwendung der lex fori für den innerprozessualen Raum andererseits (S. 209 f.); verfahrensseitig stellen sie vor größere Herausforderungen (dazu S. 182 ff., 185 f.). c) Die Instrumente gegenseitiger Anerkennung in der Strafrechtspflege im Einzelnen Vor diesem Hintergrund sind die bisher ergangenen Rechtsakte darauf zu untersuchen, wie sie sich zum prozessualen Gleichgewicht (S. 98 f.) und zur Gesamtverantwortung der beteiligten Hoheitsträger (S. 103 ff., 109 ff., 112 f.) für dessen Wahrung verhalten. aa) Gemeinsame Merkmale Auch wenn dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung in der Strafrechtspflege kein eigenständiger, seiner Entfaltung in einzelnen Rechtsakten vorgelagerter Gehalt innewohnt (s. o. S. 247 ff.), weisen diese doch wesentliche Gemeinsamkeiten auf, die gewissermaßen den allgemeinen Teil der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen bilden. (1) Anordnung und Vollstreckung Kennzeichnend ist zunächst die klare Arbeitsteilung zwischen Anordnungs- (bzw. Ausstellungs- oder Urteils-)Staat und Vollstreckungsstaat. (a) Anordnung nach den Kriterien des Anordnungsstaates Die einzelnen Rechtsakte der gegenseitigen Anerkennung definieren die anerkennungsfähigen Entscheidungen nach deren Finalität, dem Gehalt der jeweiligen Anordnung. Wie diese zustande kommt, ist allein Sache des Anordnungsstaates, was 139 140
Dazu S. 269 ff., zusammenfassend S. 292 ff. Dazu S. 91 ff., insb. die Nachweise Fn. 325, S. 182 ff.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
grundsätzlich auch sachgerecht dessen Hoheit über die Verfahrensführung abbildet.141 Problematisch wird diese Regelung dort, wo der Gehalt der Anordnung für die prozessunabhängigen Schranken des vollstreckenden Staates bestimmend ist. Neben den inhaltlichen Anforderungen – nach hier vertretener Ansicht: allen allgemeinen Eingriffsvoraussetzungen142 – betrifft das namentlich Richtervorbehalte für bestimmte Maßnahmen im Vollstreckungsstaat.143 Wenn in solchen Fällen schon kraft Natur der Sache keine vollinformierte und -verantwortete Entscheidung des Richters im vollstreckenden Staat herbeigeführt werden kann,144 so kann – und muss – doch die in diesem, den Eingriff unmittelbar verantwortenden, Staat vorgesehene Dignität der Eingriffsgrundlage gewahrt werden; am zuverlässigsten kann dies dadurch erfolgen, dass dessen Richter in arbeitsteiligem Zusammenwirken mit einem Richter im Anordnungsstaat entscheidet, so dass ersterer seine Verantwortung für prozessunabhängige Schranken umfassend wahrnehmen kann, ohne die Prärogativen des sachnäheren letzteren zu verletzen (näher S. 144 ff.). Diese Schranken werden jedenfalls nicht stringent gewahrt, wenn Richtervorbehalte nur lückenhaft durch fakultative Versagungsmöglichkeiten des Vollstreckungsstaats in bestimmten Fällen gesichert sind (dazu sogleich im Text). (b) Vollstreckung „als solche“; abschließende und fakultative Ablehnungsgründe Die Vollstreckung „als solche“ erfolgt allein nach dem Recht des Vollstreckungsstaates, der aber hinsichtlich aller inhaltlichen Voraussetzungen des Eingriffs kraft Anerkennungsprinzips gebunden ist und damit seine prozessunabhängigen Schranken auch insofern zurücknehmen muss, als sie aus strafprozessualer Perspektive eigentlich in transnationalen Fällen Geltung beanspruchen.145 Das Korrelat zu diesen Anerkennungs- und Vollstreckungspflichten bildet in den Rechtsinstrumenten jeweils ein abschließender Katalog von Versagungs- bzw. Ablehnungsgründen. Diese Kataloge enthalten einige wichtige Vorbehalte, v. a. im Falle einer Amnestie,146 der Strafunmündigkeit,147 teilweise bei fehlender beiderseitiger Straf141 Siehe etwa Art. 1 I Rb-HB; Art. 1 Rb-Freiheitsstrafen; Art. 1 I RiLi-Ermittlungsanordnung. 142 Dazu S. 141 ff. u. im Folgenden; für ein Durchschlagen zumindest schwerer Mängel der Anordnung auch F. Zimmermann, ZStW 127 (2015), 143, 158 f. 143 Hierzu S. 168 f. Zur Anordnungsbefugnis von „Justizbehörden“ oder „Behörden“ s. Art. 6 I Rb-HB; Art. 2 lit. c (i.V.m. Art. 1 I) RiLi-EEA, aus dem sich auch ergibt, dass Staatsanwälte auf dieselbe Stufe wie Richter gestellt werden (i) und dass „Justizbehörde“ jede Ermittlungsbehörde – auch die Polizei – sein kann (ii); krit. auch F. Zimmermann, ZStW 127 (2015), 143, 167 f. 144 Zum Problem Böse, in: Fragmentarisches Strafrecht, 233, 247 (überhaupt skeptisch zur Möglichkeit, den Richtervorbehalt in grenzüberschreitenden Fällen zu wahren); ähnlich Esser, FS Roxin, 2011, 1497, 1502 f. Zur Tatverdachtsprüfung im Besonderen S. 260 f. 145 Dazu S. 126 ff., 143 f.; näher zu den einzelnen Rechtsakten im Folgenden. 146 Art. 3 Nr. 1 Rb-HB; Art. 11 Rb-Geld; Art. 19 I Rb-Freiheitsstrafen.
III. Konkrete Ausgestaltung
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barkeit148 sowie wegen des Doppelbestrafungsverbots149 (dazu noch S. 281 ff.); ferner wegen Verjährung im Vollstreckungsstaat, sofern dieser Strafgewalt hatte150 und schließlich teilweise in Gestalt eines „positiven“ und „negativen“ Territorialvorbehalts wenn die Tat entweder im Vollstreckungsstaat begangen wurde oder außerhalb des Anordnungsstaates unter Umständen, unter denen der Vollstreckungsstaat nach seinem Recht keine Strafgewalt hätte.151 Weitere, bereichsspezifische Ablehnungsgründe sind im Folgenden bei den einzelnen Rechtsakten zu untersuchen. Mindestens ebenso wichtig wie die einzelnen Ablehnungstatbestände ist, dass diese Liste nach Ansicht des EuGH streng abschließend und damit sogar ein Rückgriff auf den „europäischen ordre public“ in Gestalt der Grundrechte der EMRK oder Grundrechtecharta ausgeschlossen ist,152 weshalb etwaige individualrechtliche Defizite (dazu im Folgenden) der verbindlichen europäischen Rechtsakte keiner Korrektur in den Mitgliedstaaten zugänglich sind. Die Ablehnungsgründe sind schließlich, abgesehen von einigen Ausnahmen beim Europäischen Haftbefehl,153 fakultativ ausgestaltet,154 belassen den Mitgliedstaaten aber die Möglichkeit, sie bei Umsetzung in nationales Recht verbindlich zu machen. Letzteres ist verschiedentlich erfolgt, ist jedoch aus Sicht der Kommission aus-
147
Art. 3 Nr. 3 Rb-HB; Art. 7 II lit. f Rb-Geld; Art. 9 I lit. g Rb-Freiheitsstrafen. Art. 4 Nr. 1 Rb-HB; Art. 7 II lit. b Rb-Geld; Art. 9 I lit. d Rb-Freiheitsstrafen (allg. S. 154 ff.; jeweils mit im Prinzip sachgerechter Ausnahme für Divergenzen wegen unterschiedlicher zugrundeliegender „Steuer- Zoll- oder Währungsbestimmungen“, also in der Ausfüllung normativer Tatbestandsmerkmale, dazu o. S 161 f.); zur wichtigen Ausnahme bei Katalogdelikten s. aber S. 256 ff. 149 Art. 3 Nr. 2 Rb-HB (obligatorisch bei Verurteilung in einem Mitgliedstaat); Art. 4 Nr. 5 Rb-HB (fakultativ bei Verurteilung in einem Drittstaat); Art. 7 II lit. a Rb-Geld; Art. 9 I lit. c RbFreiheitsstrafen; Art. 11 I lit. d RiLi-EEA. 150 Art. 4 Nr. 4 Rb-HB; Art. 7 II lit. c Rb-Geld (grundsätzlich einschließlich der Bedingung eigener Strafgewalt sachgerecht, s. o. S.165); Art. 9 I lit. e Rb-Freiheitsstrafen. 151 Art. 3 Nr. 7 Rb-HB; Art. 7 II lit. d Rb-Geld; Art. 13 I lit. f Rb-EBA (Roger, GA 2010, 27, 37) stark eingeschränkt in Art. 11 I lit. e RiLi-EEA (krit. F. Zimmermann, ZStW 127 [2015], 143, 156 f.). Die sachlich fundierte Strafgewalt des ersuchenden Staates ist notwendige Voraussetzung der Rechtshilfe, s. o. S. 180. Der Vorbehalt ist deshalb als „residuales, dezentrales Surrogat für die – fehlende – europäische Zuständigkeitsregelung in Strafsachen“ legitim (auch wenn das zum Maßstab erhobene eigene Strafanwendungsrecht des Vollstreckungsstaates nur ein approximativer Stellvertreter für eine rationale, wahrhaft supranationale Zuständigkeitsregelung ist; hierzu Radtke/Mahler, FS Rüping, S. 49 ff.; F. Zimmermann, Strafgewaltkonflikte, S. 320 ff. u. passim), Schünemann/Roger, ZIS 2010, 515, 522; dies., ZIS 2010, 92, 94; ferner dazu und zur Kritik aus den Reihen des Europäischen Parlaments Roger a.a.O. 152 Urteil in der Rs. C-396/11 – Radu, Tz. 36, krit. Brodowski, HRRS 2013, 54 ff.; Gaede, NJW 2013, 1279 f.; Swoboda, HRRS 2014, 10, 15; Vogel, Editorial zu StV Heft 5/2013, I. 153 Art. 3: obligatorische Ablehnung bei Amnestie, Strafklageverbrauch in einem anderen Mitgliedstaat und Strafunmündigkeit. 154 Dazu noch S. 290. Krit. auch F. Zimmermann, ZStW 127 (2015), 143, 153. 148
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
drücklich unerwünscht,155 was angesichts der ohnehin sehr engen Versagungsmöglichkeiten nicht zu überzeugen vermag. Im Gegenteil wären, soweit sachlich angezeigt (dazu S. 126 ff., 188 ff.), Schranken sachgerecht gewesen, die ebenso verbindlich wie die Anerkennungspflichten sind, und zwar schon in den EU-Rechtsakten.156 (2) Die partielle Aufgabe des Prinzips beiderseitiger Strafbarkeit Angefangen mit dem Rahmenbeschluss über den europäischen Haftbefehl haben die europäischen Rechtsakte der gegenseitigen Anerkennung bestimmt, dass unter bestimmten Umständen Rechtshilfe ohne Überprüfung der materiellen Strafbarkeit durch den ersuchten Staat zu leisten sei.157 Dies soll beim europäischen Haftbefehl für einen Katalog von 32 „Taten“158 mit einer gewissen Strafobergrenze im Ausstellungsmitgliedstaat159 gelten, der später erweitert160 und schließlich für bestimmte Maßnahmen durch eine völlige Beseitigung des Erfordernisses ersetzt wurde.161 Trotz der unklaren Formulierung („Überprüfung“) werden diese Regelungen dahingehend verstanden, dass der Vollstreckungsstaat die Straflosigkeit nicht einwenden darf, das traditionelle rechtshilferechtliche Institut der beiderseitigen
155 Ebenso wie ein Grundrechtsvorbehalt, vgl. zum Ganzen die Kommissionsberichte zur Umsetzung der Rahmenbeschlüsse über den Europäischen Haftbefehl (KOM [2006] 8 endgültig), S. 6, über die gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen (KOM [2008] 888 endgültig), S. 5 f., und über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen und Beweismitteln (KOM [2008] 885 endgültig), S. 5. 156 Zum Erfordernis einer verbindlichen Regelung S. 251 f., zur Verantwortung des EUGesetzgebers S. 82 ff., 241, 294. 157 Auch in dieser Hinsicht ist der Beschluss des BVerfG vom 9. 10. 2009, 2 BvR 2115/09 bemerkenswert, der ausdrücklich eine Subsumtion unter den deutschen Tatbestand einfordert (Tz. 33), obwohl der Tatvorwurf im konkreten Fall auf Betrug lautete, also nach Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl keine Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit u. a. für „Betrugsdelikte“ stattfinden soll. 158 Eher: grobe Deliktsbereiche, zur Kritik an deren Unbestimmtheit s. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 33 und aus den Reihen derjeniger, die beiderseitige Strafbarkeit grundsätzlich für verzichtbar halten Kotzurek, ZIS 2006, 123, 128; Mavany, Europäische Beweisanordnung, S. 125 f. Die Zuordnung soll – als Ausprägung der gegenseitigen Anerkennung – nach dem Recht des „Anordnungsstaats“ erfolgen (EuGH, Urt. V. 3. 5. 2007, Rs. C-303/05, Advocaten voor de Wereld, Rz. 52 f.; KOM [2008] 885 endg., S. 3); anders Böse, ZIS 2010, 607, 610: autonome europäische Definition. 159 Beim Rb-HB nach Art. 2 I mindestens zwölf Monate Höchstmaß bzw., bei erfolgter Verurteilung, eine verhängte Strafe oder Maßregel von mindestens vier Monaten. Diese Grenze ist in anderen Instrumenten höher angesetzt (Art. 7 I Rb-Freiheitsstrafen: mindestens drei Jahre Höchstmaß), entfaltet aber jenseits absoluter Bagatelldelikte kaum einschränkende Wirkung (European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 420). 160 Art. 5 I Rb-Geldstrafen. 161 So insbesondere im Beweisrecht für nicht mit Zwang verbundene und wenig invasive Maßnahmen, so Art. 14 I Rb-EBA, dazu Roger, GA 2010, 27, 38 f.; Art. 11 II, I g, 10 II RiLiErmittlungsanordnung, dazu noch S. 273 ff.
III. Konkrete Ausgestaltung
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Strafbarkeit insoweit also beseitigt wird.162 Wie im ersten Teil ausgeführt, bildet dieses aber eine unverzichtbare Legitimationsvoraussetzung ab, soweit im ersuchten Staat prozessunabhängige Gefahren geschaffen werden: Zu deren Schranken ist nämlich die materielle Strafbarkeit der Tat als hinreichend gewichtiger Anlass zu rechnen.163 Das betrifft die Verhaftung, aber auch weitere Maßnahmen, insbesondere solche, die mit (aktuellem oder potenziellem) Zwang einhergehen164 oder sonst ausweislich ihrer drittschützenden Schranken prozessunabhängig eingehegt sind (i.E. S. 133 ff.). Letzteres findet partiell Anerkennung darin, dass die europäischen Rechtsakte vorsehen, dass qualifizierte Eingriffsschwellen für bestimmte eingriffsintensive Maßnahmen auch gewahrt werden dürfen, wenn ein Staat als Vollstreckungsstaat für einen anderen handelt, bzw. dass die Anerkennung und Vollstreckung abgelehnt werden kann, wenn er in einem innerstaatlichen Verfahren die Maßnahme nur für bestimmte (Katalog-)Taten anordnen könnte (dazu S. 274). Die so gezogene Grenze ist treffend, aber bei konsequenter Betrachtung nur ein unzureichender Ausschnitt: Wie bestimmte schwere Eingriffe nur beim Verdacht schwerer Straftaten (nach dem Recht des Vollstreckungsstaats) zulässig sind, sollten prozessunabhängig gefährliche Eingriffe überhaupt nur zulässig sein, wenn die Tat auch nach dem Recht des Vollstreckungsstaats strafbar ist (näher S. 156). Soweit das Erfordernis materieller Strafbarkeit im Vollstreckungsstaat für solche Maßnahmen aufgegeben wird, wird dessen prozessunabhängiger und deshalb strukturell „rechtshilfefester“ Charakter missachtet (S. 130 f.) und zugleich eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zum innerstaatlichen Betroffenen im selben Staat konstituiert.165 Dieser Widerspruch zu den (prozess-, aber auch verfassungsrechtlichen, S. 75 ff.) Grundlagen legitimer transnationaler Strafverfolgung ist nach dem Prinzip der Gesamtverantwortung (S. 103 ff., 109 ff., 112 f.) den beteiligten Staaten und auch der EU zurechenbar, die diese Rechtslage verbindlich festlegt (S. 82 ff., 241).
162
Manacorda, CDE 2007, 149, 154 f.; Pohl, Vorbehalt und Anerkennung, S. 203. Eingehend S. 154 ff.; ebenso Schünemann, StraFo 2003, 344, 345, 347 f.; Braum, wistra 2007, 401, 404 f.; offen gelassen von BVerfGE 113, 273, 317. Auch Lagodny, StV 2005, 515, 518 und Pohl, Vorbehalt und Anerkennung, S. 162 (beide zum Europäischen Haftbefehl) halten den Verzicht auf das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit für grundgesetzwidrig, ersterer freilich nur bei Inlandstaten, letzterer nur in Fällen ohne erkennbaren Bezug zum Anordnungsstaat, weil er Art. 103 II GG als Vertrauensschutzregelung auffasst. Das greift aber zu kurz, denn es geht um die Bändigung staatlicher Gewalt per se (zutr. Schlink, HFR 1996, 1, 6 im Anschluss an BVerfGE 25, 269, 289 f.), die im Übrigen dann besonders wichtig ist, wenn der betreffende Staat kein Vertrauen genießt und ein solches deshalb nicht geschützt werden kann (Greco, Lebendiges und Totes, S. 259 f.). 164 S. 137 ff.; das umfasst auch Vernehmungen, soweit sie „ebenso zur Verfügung stehen sollen wie in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall“, also mit denselben Durchsetzungsmechanismen (zur zulässigen Variante der Aufnahme einer freiwilligen Aussage nach entsprechender Belehrung S. 138). 165 Der für die prozessunabhängigen Gefahren der relevante Maßstab ist: S. 126 ff., 141 f. 163
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
(a) Die Ablehnung eines Gleichheitsverstoßes durch den EuGH Dagegen hat der EuGH in der Rs. Advocaten voor de Wereld, im Anschluss an den Generalanwalt, den geltend gemachten Gleichheitsverstoß durch (partielle) Aufgabe der beiderseitigen Strafbarkeit in Art. 2 II Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehls und die damit bedingte „Ungleichbehandlung der Rechtsunterworfenen, je nachdem ob sich der fragliche Sachverhalt im [ersuchten Staat] oder außerhalb dieses Staates ereignet habe“ (Tz. 55) verneint. Er argumentierte, „…der Rat [dürfe] auf der Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und angesichts des hohen Maßes an Vertrauen und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten davon ausgehen, dass [es bei den betroffenen Straftaten] aufgrund der Schwere der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt ist, nicht auf der Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit zu bestehen“ (Tz. 57). Deshalb sei „die Unterscheidung jedenfalls selbst dann objektiv gerechtfertigt, wenn die Lage von Personen, die der Begehung von Straftaten, die in der Liste des Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses aufgeführt sind, verdächtigt werden oder wegen solcher Straftaten verurteilt worden sind, mit der Lage von Personen vergleichbar sein sollte, die anderer als der in dieser Liste aufgeführter Straftaten verdächtigt werden oder wegen solcher Straftaten verurteilt worden sind“ (Tz. 58). Unversehens hat der Gerichtshof hier aber die Bezugsobjekte vertauscht: Statt auf die gerügte Ungleichbehandlung von Personen in ein und demselben Staat wegen eines exakt gleichen Sachverhalts, je nachdem in welchem Staat er sich ereignet haben soll, abzustellen, zieht er zum Vergleich die Rechtsstellung andere Taten Verdächtiger heran; das geht an der Frage vorbei. Aber auch in der Sache vermögen die angeführten Gründe in Gestalt des „Prinzips gegenseitiger Anerkennung“ (dazu S. 242 ff.), des zwischenstaatlichen „Vertrauens“ (dazu S. 243 f.) und die behauptete (aber ex praemissione nur im ersuchenden Staat anerkannte!) Schwere der Tat nicht zu erklären, warum sich die prozessunabhängigen Eingriffsschranken des ersuchten Staates verschieben sollen. Der EuGH geht hier sehr locker mit dem von ihm zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung aufgestellten Erfordernis eines „objektiven Grundes von einigem Gewicht“ um und bemüht sich erst gar nicht um die Abwägung mit den Freiheitsinteressen. Ebenso wie sich damit die Schwäche dieser allgemeinen Kriterien (zu ihnen S. 86) offenbart, werden die Vorzüge des hier vertretenen prozessualen Ansatzes deutlich, der den Gleichheitssatz gleichsam „von unten“ mit sachlichem Gehalt anreichert und ihm eine nachvollziehbare praktische Wirksamkeit verleiht. Zugleich gestattet der hiesige Ansatz auch eine Abgrenzung nach unten, zu den prozessunabhängig irrelevanten Maßnahmen; für diese muss das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit nicht aufrechterhalten werden.166
166 s. o. S. 134 ff., 207 f.; insofern berechtigt die teilweise Aufgabe in der RiLi-EEA (s. u. S. 273 ff.).
III. Konkrete Ausgestaltung
259
(b) Nulla poena sine lege? Soweit das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit auf den nulla-poena-Satz zurückführbar ist, d. h. für jede Strafzufügung,167 stellt sich die Frage, wie weit die europäischen Rechtsakte selbst, die das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit einschränken, diesem Prinzip unterliegen. Diese Frage hat der EuGH, nachdem er festgestellt hat, dass der nulla-poena-Satz zu den „allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört, die den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegen“, folgendermaßen beantwortet: Weil die Strafbarkeit sich nicht nach dem europäischen Rahmenbeschluss, sondern nach der nationalen Strafnorm richte, müsse diese dem Gesetzlichkeitsprinzip entsprechen und nicht der Rahmenbeschluss.168 Doch das ist zu kurz gegriffen. Denn die europäischen Normen bewirken, wenn sie für weite Bereiche das Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit abschaffen, nicht weniger als eine Extension der Pönalisierung. Ob sie dabei selbst Straftatbestände schaffen169 oder qua gegenseitiger Anerkennung solche anderer Staaten – blanko – für verbindlich erklären, macht in dieser Hinsicht keinen Unterschied, weil materiell jeweils bewirkt wird, dass in einem bestimmten Staat ein Verhalten sanktioniert wird, das nach dessen Gesetzgebung nicht unter Strafe steht; die Abschaffung des Prinzips beiderseitiger Strafbarkeit ist sogar bedenklicher, weil der Normgeber die Straftatbestände noch nicht einmal im Einzelnen ins Auge fasst.170 Schon mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot kann eine solche „teileuropäische Blankettstrafgesetzgebung“ keinen Bestand haben.171 Das Gesetzlichkeitsprinzip kann also nicht nur durch den Verzicht auf eine materielle Strafnorm berührt sein, sondern bereits durch die Rechtsakte, die diesen Verzicht durch Aufgabe der beiderseitigen Strafbarkeit erzwingen sollen. Wenigstens für die Vollstreckung ausländischer Straferkenntnisse sowie die auf Vollstreckung gerichtete Auslieferungshaft, die sich materiell nur als Bestrafung greifen lassen (S. 193 ff., 197 f.), markiert deswegen der (paneuropäische) nulla-poena-Satz eine auch den EU-Gesetzgeber bindende Grenze und erfordert, dass die Tat nach dem Recht des Vollstreckungsstaats bei Begehung strafbar war.172 167
Dazu S. 160 ff. Zust. etwa Vogel/Burchard, in: G/P/K, § 3 IRG Rn. 11: „Dem ist nichts hinzuzufügen“. 169 Dafür, dass solche umso bestimmter sein müssen, je weniger Umsetzungsspielräume sie den nationalen Gesetzgebern belassen, auch European Criminal Policy Initiative, ZIS 2009, 697, 698. 170 Ähnlich Schünemann, StV 2003, 115, 120; das Problem, dass die „Notbremse“ des Art. 82 III AEUV, die den Mitgliedstaaten bei der Gesetzgebung einen Vorbehalt gestattet, zwar für Harmonisierung, aber nicht für Maßnahmen gegenseitiger Anerkennung gilt, notiert Heger, ZIS 2009, 397, 411. 171 Mylonopoulos, ZStW 121 (2009), 68, 73 f., spricht von mittelbarer Übertretung des Gesetzlichkeitsprinzips. Zu den demokratischen Anforderungen ergänzend S. 250. 172 Zum Charakter der Auslieferungshaft zur Strafvollstreckung als Strafe S. 193 ff.; zur Bindung des übergeordneten EU-Gesetzgebers, soweit er verbindliche Vorgaben macht, 168
260
B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
Schließlich tritt mit der Abschaffung des Erfordernisses beiderseitiger Strafbarkeit, indem diese materiell die Ausweitung von Strafrecht (und damit dessen lokale Schaffung) bewirkt, die zunächst prozessuale Regelung der gegenseitigen Anerkennung (i.S.v. Art. 82 AEUV) in Konflikt mit den spezifischen (und eng auszulegenden173) Kompetenztiteln zur Angleichung materiellen Strafrechts (Art. 83, 325 IV AEUV). (3) Der Ausschluss der Tatverdachtsprüfung Ein weiteres zentrales Element der Zusammenarbeit nach dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung besteht darin, dass der Vollstreckungsstaat die Voraussetzungen einer Maßnahme, insbesondere den Tatverdacht als Grundlage jeden prozessualen Vorgehens, nicht prüft, sondern das Ergebnis der Prüfung durch den Anordnungsstaat anerkennt;174 dabei handelt es sich um eine Fortentwicklung des Anerkennungselements, das jeglichem Rechtshilfeverkehr innewohnt.175 Weil diese „Tradition“ aber per se keine Rechtfertigung leisten kann, ist auch dieses Element an den Maßstäben zu messen, die für ein transnationales Verfahren aufgestellt wurden. Danach ist die Verdachtsprüfung als Bestandteil des innerprozessualen Raums grundsätzlich die Prärogative des verfahrensführenden Staates, hier also des Anordnungsstaates. Um zu vermeiden, dass damit Rechtseinbußen des Beschuldigten einhergehen, muss aber einerseits sichergestellt sein, dass der Verdacht als Bestandteil der prozessunabhängigen Schranken im Vollstreckungsstaat gewahrt bleibt und dort also eigenverantwortlich durch Subsumtion des mitgeteilten Sachverhalts attestiert wird;176 andererseits schulden die Staaten gesamtschuldnerisch ein in jeder Hinsicht ordnungsgemäßes Verfahren einschließlich der Möglichkeit, den Verdacht wirksam zu erschüttern, was eine rechtlich abgesicherte Einflusschance auf das Ausgangsverfahren erfordert (S. 99 ff., 108, 184 f.). Das ist bereits im Hinblick auf die prozessunabhängigen Gefahren (beispielsweise die Fortdauer eines Freiheitsentzuges) relevant und deswegen direkt auch an den Vollstreckungsstaat gerichtet, der sich nicht schlicht durch den Verweis auf die Verfahrenshoheit des Anordnungsstaates freizeichnen kann (kein „Vertrag zu Lasten Dritter“). Er steht also nach außen hin umfassend in der Pflicht, eine zuverlässige Verdachtsprüfung als Eingriffsgrundlage vorweisen zu können (dazu und zur Organisation im Innenverhältnis S. 109 ff., 112 f., 147 ff.). S. 82 ff. sowie S. 294; zur Vollstreckung von Urteilen aus einem anderen Mitgliedstaat s. u. S. 262 ff. 173 BVerfGE 123, 267, 410; ausf. zu den Kompetenzen im materiellen Strafercht F. Zimmermann, Jura 2009, 1 ff. 174 Das ist die Vollstreckung „nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung“, wie sie etwa Art. 1 II Rb-HB meint; ausdrücklich Art. 9 I RiLi-Ermittlungsanordnung (Anerkennung „ohne jede weitere Formalität“). 175 s. o. S. 219 f., Nachw. Fn. 15. 176 Dazu, auch in der Rechtsprechung des BVerfG, S. 148 ff.
III. Konkrete Ausgestaltung
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Eine Lösung hierfür bleiben die Instrumente der gegenseitigen Anerkennung schuldig, indem sie die Verdachtsprüfung dem vollstreckenden Staat entziehen, ohne zugleich für ein wirksames Äquivalent Sorge zu tragen. Dass die zur Vollstreckung berufenen Behörden bei unvollständigen Anordnungen eine Ergänzung anfordern können, wird den Anforderungen nicht gerecht, weil sich die Nachbesserung lediglich auf die Behauptung des Anordnungsstaates erstreckt, wie sie im jeweiligen Formular niedergelegt ist, und den materiellen Gehalt der Prüfung im Vollstreckungsstaat gerade nicht befördert.177 Möglichkeiten dazu bestünden in der EU mit ihrem institutionellen Unterbau (wie sonst nirgends zwischen unterschiedlichen Staaten), der in Gestalt von Eurojust die Verzahnung zwischen den Gerichten sichern und mit einer denkbaren Institutionalisierung (oder zumindest einer verfahrenstechnischen Ermächtigung) der Verteidigung entsprechende Abwehrchancen bereit stellen könnte.178 (4) Direkter Verkehr zwischen den Justizbehörden Grundsätzlich sehen alle Rechtsakte der gegenseitigen Anerkennung vor, dass die jeweilige Anordnung unter Verwendung einheitlicher Formulare direkt von der zuständigen Stelle des Anordnungsstaates an diejenige im Vollstreckungsstaat übermittelt wird.179 Damit wird ein Schritt in Richtung der Justizialisierung des Verfahrens vollzogen, der aus der Perspektive des einheitlichen international-arbeitsteiligen Strafverfahrens nur begrüßt werden kann. Er fördert einerseits eine möglichst unmittelbare und damit unverzügliche Behandlung der Angelegenheit und kann andererseits die Geltendmachung von politischen Vorbehalten zurückdrängen, die als Fremdkörper in transnationalen Strafverfahren prinzipiell fehl am Platz sind.180 Das fortschrittliche Potenzial wird allerdings dadurch geschmälert, dass den Staaten die Möglichkeit zur Benennung einer zentralen Behörde erhalten bleibt und die Definition der zuständigen Behörde ihnen Gestaltungsspielraum belässt.181 Unter 177
s. nur Art. 15 II Rb-HB; krit. Klitsch, ZIS 2009, 11, 19. Zur kooperativen Prüfung durch Gerichte S. 147 ff., zur wirksamen Verteidigung S. 182 ff. Zu Eurojust als „clearing-Stelle“ s. Schünemann, ZStW 116 (2004), 376, 387 f.; zum Vorschlag einer Institution „Eurodefensor“ s. die Beiträge von C. Nestler, Szwarc und (krit.) Mitchell, in: Schünemann (Hrsg.): Gesamtkonzept, S. 166 ff., 181 ff., 191 ff.; Schünemann, StV 2006, 367; zust. zuletzt European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 423. 179 Art. 9 I Rb-HB; Art. 8 I Rb-EBA; Art. 7 RiLi-EEA; die Formulare finden sich jeweils im Anhang der Rechtsakte. Ob diese inhaltlich hinreichend gehaltvoll sind, ist eine andere Frage, die bereits auf der Ebene des anzuwendenden Rechtsregimes (dazu im Text) zu klären ist. 180 Zur begrüßenswerten Justizialisierung unter Abkehr von politisch motivierten Vorbehalten S. 114 ff., zur umständlichen Einschaltung des OLG de lege germanica lata S. 153 m. Fn. 530. 181 So bestimmt Art. 6 II Rb-HB: „Vollstreckende Justizbehörde ist die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats, die nach dem Recht dieses Staats zuständig für die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ist.“ Danach bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, hierfür eine andere Stelle zu bestimmen als für ein innerstaatliches Strafverfahren, wie es in 178
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
diesen Umständen konnte die BRD auch für den Europäischen Haftbefehl an ihrem umständlichen zweistufigen Verfahren nicht nur festhalten, sondern es in § 79 IRG auch noch durch Verschränkung von Zulässigkeits- und Bewilligungsverfahren weiter verkomplizieren.182 bb) Rechtskräftige Urteile und Entscheidungen Von den nunmehr zu betrachtenden einzelnen Gegenständen des Anerkennungsprinzips werfen Endentscheidungen, namentlich Urteile, auf den ersten Blick die geringsten Schwierigkeiten auf, da sie das fertige Produkt in sich geschlossener Rechtsordnungen sind. (1) Freiheitsentziehende Sanktionen Der bisher kaum umgesetzte Rahmenbeschluss zur gegenseitigen Anerkennung von Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Maßnahmen (Rb-Freiheitsstrafen)183 soll die Vollstreckung von freiheitsentziehenden Strafen und sonstigen Sanktionen (namentlich Maßregeln) in einem anderen als dem Urteilsstaat („Ausstellungsstaat“ genannt) erleichtern. (a) Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung Abgesehen von den in Art. 9 abschließend normierten Ausnahmen (dazu S. 254 f.) ist der Vollstreckungsstaat nach Art. 8 I grundsätzlich verpflichtet, das übermittelte Urteil anzuerkennen und „unverzüglich alle für die Vollstreckung der Sanktion erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen. Dabei soll nach Art.7 I für den aus dem Rb-HB übernommenen Katalog von 32 Deliktsgruppen (dazu S. 256) die beiderseitige Strafbarkeit nicht überprüft werden, darf also die Straflosigkeit im Vollstreckungsstaat einer Anerkennung und Vollstreckung nicht entgegen gehalten werden. Für andere als die Katalogtaten kann dieser Staat nach Art. 7 III die Anerkennung und Vollstreckung davon abhängig machen, dass die Tat nach seinem Recht strafbar ist (nicht: „zum Zeitpunkt der Tat war“). Im Lichte des nulla-poena Satzes (dazu S. 160, 259 f.) ist diese Regelung inakzeptabel, weil ein Staat weder berechtigt noch gar verpflichtet sein kann, ein Strafübel für eine Tat zu zuzufügen, die nach seinem Recht nicht bei Begehung strafbar war (dazu und zu den allenfalls zu rechtfertigenden „humanitären“ Ausnahmen S. 193 ff.). Angesichts dessen ist der Vorbehalt von entscheidender Bedeutung, den die Staaten nach Art. 7 IV allgemein anbringen können, um Abs. 1 Deutschland mit der Zuständigkeit des OLG erfolgt ist, so dass das Verfahren verkompliziert und dem Haftrichter die Entscheidungskompetenz gestutzt wird (dazu S. 153). 182 Zum Bewilligungsverfahren als Fremdkörper S. 114 ff. Kritisch zur Beibehaltung bei der Umsetzung des europäischen Haftbefehls Böse, in: G/P/K, § 79 IRG Rn. 1 („rahmenbeschlusswidrig“); Hackner, in: S/L/G/H, § 79 IRG Rn. 1 f. 183 Dazu Morgenstern, in: EnzEuR, Bd. 9, § 15 Rn. 49.
III. Konkrete Ausgestaltung
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„nicht anzuwenden“; er kann zwar das potentielle Rückwirkungsproblem des Abs. 3 nicht lösen, aber erlaubt ihnen zumindest, das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit im Übrigen beizubehalten. Das in Art. 6 I vorgesehene Erfordernis der Zustimmung des Verurteilten ist als prozedurale Absicherung des legitimen materiellen Grundes für die Vollstreckungsübernahme, nämlich der (ansonsten kaum prognostizierbaren) besseren Resozialisierungschancen184 zumindest dann sachgerecht und angezeigt, wenn die Tat im Vollstreckungsstaat nicht strafbar ist (s. o. S. 193 ff., 196). Die Ausnahme, die Art. 6 II für eine Vollstreckung im Heimatstaat, im Staat der Flucht oder bei Ausweisung vorsieht, ist dagegen im Lichte dieser ratio problematisch; sie folgt allein den staatlichen Interessen und im Fall des Heimatstaates einer – unwiderleglichen, obwohl durch fehlende Zustimmung gerade erschütterten – Vermutung, dass dort eine adäquate Resozialisierung (besser) gesichert sei.185 Die Fokussierung auf staatliche Interessen zeigt sich auch darin, dass umgekehrt die verurteilte Person die Übernahme der Vollstreckung nicht gerichtlich erzwingen kann. Die Vollstreckung soll grundsätzlich allein den Regeln des Vollstreckungsstaates folgen (Art. 17 I), was der üblichen Arbeitsteilung nach dem Muster gegenseitiger Anerkennung entspricht, aber die in der Wirklichkeit des Strafens nicht zu leugnende Einheit von Strafe und Vollstreckungsvorschriften ausblendet und dadurch nur unzureichend vor den Gefahren kumulativer Strafschärfung schützt (dazu S. 193 ff.).186 Abweichend können die Staaten zwar nach Art. 17 IV vereinbaren, dass die Vorschriften des Ausstellungsstaates über vorzeitige Haftentlassung angewandt werden, aber ohne dass konkrete Kriterien genannt würden oder gar der Verurteilte einen Anspruch darauf hätte. Damit steht die Entscheidung über das Gesamtgepräge der Strafe im Ermessen der beteiligten Behörden, was die Rechtssicherheit empfindlich stört und eine bereits in einem innerstaatlichen Gesamtkontext von einheitlichem Straf- und Strafvollstreckungsrecht ergangene rechtskräftige (Art. 1 lit. a) Entscheidung wieder (partiell) disponibel macht. Die nur ausnahmsweise vorgesehenen und eng begrenzten Anpassungsmöglichkeiten187 können solche Defizite ebenso wenig ausgleichen wie sie bei völlig 184 Derer sich auch nach Art. 4 II des Rahmenbeschlusses die „zuständige Behörde des Ausstellungsmitgliedstaats“ vergewissern soll, ohne dass sie allerdings das zentrale Anliegen des Rahmenbeschlusses (Morgenstern, ZIS 2008, 76, 79) oder auch nur justiziabel wären. Selbst wenn man spezialpräventiven Erwägungen skeptisch gegenübersteht, ist ein möglichst schonender Vollzug ein legitimer Zweck, s. o. S. 193. 185 Ähnlich Morgenstern, ZIS 2008, 76, 82. 186 Krit. auch Morgenstern, ZIS 2008, 76, 81 f.; s. o. S. 193 ff., zur Kritik an der schematischen, aber sachwidrigen Trennung zwischen Entscheidung und Vollstreckung „als solcher“ S. 143 f. 187 Art. 8 II: Absenkung nicht unter das im Vollstreckungsstaat vorgesehene Höchstmaß (!), was bei weiten Strafrahmen weitgehend ins Leere läuft (Morgenstern, ZIS 2008, 76, 80 f.) und richtigerweise schon ex lege aus der prozessunabhängigen Sperrwirkung der materiellen Strafnorm des vollstreckenden Staates folgt, s. o. S. 193 f.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
überzogenen Strafen eine Anpassung erlauben, die aus Gründen des ordre public angezeigt sein kann (dazu S. 193 ff.). (b) Wiederaufnahme Gegen eine rechtskräftige Verurteilung ist der Rechtsschutz naturgemäß eingeschränkt; im Wesentlichen stellt sich die Frage nach der Wiederaufnahme des Verfahrens in bestimmten Ausnahmefällen. Diese behält Art. 19 II dem Ausstellungsstaat vor und verstärkt die transnationale Wirkung des Urteils insoweit, als es im Vollstreckungsstaat nicht gleich einem innerstaatlichen Strafurteil steht, sondern eine stärkere, weil nahezu unantastbare Wirkung entfaltet. Der Staat, der die Strafe vollstreckt, bliebe dazu – vorbehaltlich der Entscheidung des Ausstellungsstaats – sogar dann verpflichtet, wenn etwa der vermeintlich Getötete wieder auftaucht oder wenn der EGMR eine Verletzung der Konventionsrechte festgestellt hat, auf der das Urteil beruht (zur innerstaalichen Wiederaufnahmemöglichkeit in diesen Fällen vgl. § 359 Nr. 5, 6 StPO). Das entspricht einer sehr weit verstandenen Anerkennung der Entscheidung des verurteilenden Staates und achtet die Rechtskraft dieser Entscheidung. Aber auch wenn die Rechtskraft nur wenige Ausnahmen kennt, schmälert dies nicht deren Bedeutung. Gerade weil das Institut der Wiederaufnahme eng auf bestimmte Ausnahmefälle zugeschnitten ist, in denen die materielle Gerechtigkeit derart überwiegt, dass sie nach einer Durchbrechung der Rechtskraft verlangt,188 ist es bedenklich, sie nur deswegen auszuschließen, weil die Entscheidung im Ausland ergangen ist. Denn der Respekt vor der abschließenden Verurteilung stützt sich nicht auf eine blinde Unterwerfung unter das Verdikt des Ausstellungsstaats, sondern schlicht auf die Rechtskraft der Entscheidung. Wo diese aber ausnahmsweise erschüttert werden kann – was in einem Staat, der das Urteil nicht selbst gefällt hat, nur eingeschränkt möglich, aber nicht von vornherein ausgeschlossen ist –, gerät ein Festhalten an der Entscheidung in Konflikt mit der materiellen Gerechtigkeit, unabhängig von der Provenienz dieser Entscheidung. Weil und soweit die Vollstreckung in den materiellen Rechtsraum des Verurteilten übergreift, hat das Institut der Wiederaufnahme prozessunabhängigen Charakter und kann im vollstreckenden Staat nicht vollends gesperrt sein; dabei sind die innerprozessualen Vorrechte des Urteilsstaates zu achten (zum Ganzen S. 193 f.), die aber gerade in den Ausnahmefällen der Wiederaufnahme eine Grenze finden können.189 Die angemessene Berücksichtigung der innerprozessualen Hoheit des Urteilsstaates ist auf der Ebene des Prüfungsumfangs vorzunehmen (dazu am Beispiel der Tatverdachtsprüfung S. 147 ff.). Aus dieser Perspektive wäre die gegenseitige Anerkennung rechtskräftiger Entscheidungen bei einem wechselseitigen „hohen Maß an Vertrauen“ sachgerechter 188
KK-Hannich, Rn. 1 ff. vor § 359; Roxin/Schünemann, § 57 Rn. 1. Auch innerstaatlich entscheidet nach § 140a GVG ein anderes Gericht mit gleichrangiger sachlicher Zuständigkeit, nicht das Ausgangsgericht, dem der innerprozessuale Raum grundsätzlich vorbehalten ist und das ihn im Urteil fixiert hat. 189
III. Konkrete Ausgestaltung
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verwirklicht, wenn in den (seltenen) Fällen, in denen eine Wiederaufnahme im Vollstreckungsstaat angezeigt ist, diese durch den Urteilsstaat anzuerkennen wäre (ggf. nach vorheriger Konsultation und unter Wahrung der Voraussetzungen für ein erneutes Verfahren, einschließlich etwa nötiger Untersuchungshaft), nicht im Sinne einer Ingerenz in sein Verfahren, sondern zumindest insofern, als der Vollstreckungsstaat die Vollstreckung beenden kann, wenn er ausnahmsweise (trotz kognitiver Zurückhaltung, s. o.) einen Wiederaufnahmegrund feststellen kann. (c) Abwesenheitsurteile im Besonderen Ein besonderes Problem werfen schließlich Abwesenheitsurteile auf, deren Anerkennung durch den entsprechenden Rahmenbeschluss zwar an gewisse Voraussetzungen geknüpft ist,190 und zwar für verschiedene Maßnahmen nach dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung einheitlich („horizontal kohärent“), aber dadurch auch erst überhaupt umfassend geadelt und die Staaten zu ihrer Vollstreckung verpflichtet werden. Gerade vor dem Hintergrund eines immer wirksameren Systems der Auslieferung (s. noch S. 266 ff.) sollte eine solche Ausnahme vom fundamentalen Anwesenheitsrecht des Beschuldigten nach Möglichkeit zurückgedrängt werden; aus deutscher Sicht könnte die Anerkennung von Abwesenheitsurteilen mit dem ordre public kollidieren.191 (2) Geldstrafen Für Geldstrafen und Geldbußen (und damit den zahlenmäßig bedeutsamen Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten) sieht der bereits 2005 erlassene RbGeldstrafen ebenfalls eine Vollstreckung nach dem Muster gegenseitiger Anerkennung vor.192 Der Katalog solcher „Taten“ (besser: Deliktsbereiche), für die das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit abgeschafft ist, wurde weiter ausgedehnt, auch – aber nicht nur – auf Verkehrsdelikte. Hinsichtlich der Abwesenheitsurteile und Anpassung der Strafhöhe entspricht die Regelung derjenigen bei Freiheitsstrafen (s. o.); die Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland ist den Vorgaben gefolgt und teilweise noch hinter den Möglichkeiten geblieben, die der Rahmenbeschluss zur grundrechtsschonenden Umsetzung lässt.193
190 Dazu i.E. Ahlbrecht, in: FS DAV, S. 1055 ff.; Klitsch, ZIS 2009, 11 ff.; krit. auch Esser, in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg, § 58 Rn. 43 ff. 191 Ebenso Kirsch, StraFo 2008, 449, 457; Murschetz, Auslieferung, S. 356; European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 427 f. Zum ordre-public-Vorbehalt am Beispiel der Umsetzung des Rb-Geldstrafen Schünemann/Roger, ZIS 2010, 515, 519; Schünemann, ZIS 2010, 735, 738 f. 192 Dazu und zu den allgemeinen Problemen S. 253 ff. 193 Dazu, zum Rahmenbeschluss im Allgemeinen und seiner zweifelhaften Verbindlichkeit Schünemann/Roger, ZIS 2010, 515 ff. mit Erwiderung von Böse, ZIS 2010, 607 ff. und Replik von Schünemann, ZIS 2010, 735, ff.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
cc) Verfahrenssichernde Maßnahmen, insbesondere Haftbefehle Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl ist der erste und nach wie vor wichtigste194 Rechtsakt, der nach Ausrufung des „Prinzips gegenseitiger Anerkennung“ erlassen wurde. (1) Konzept: „Übergabe“ statt „Auslieferung“? Terminologisch spricht der Rahmenbeschluss nicht von Auslieferung, sondern von „Übergabe“ ; auch in dieser vermeintlichen Abkehr von der Auslieferung soll sich die „kopernikanische Wende“ des Prinzips gegenseitiger Anerkennung manifestieren.195 Der Sache (die nicht unter dem Vorbehalt definitorischer Verklärung steht) nach handelt es sich aber nach wie vor um eine zwangsweise196 Übergabe an einen anderen Staat mit unterschiedlicher Strafrechtsordnung und Unterstellung unter dessen Gerichtshoheit, also um Auslieferung.197 (2) Anerkennungsfähige (-pflichtige) Entscheidungen „Bei dem Europäischen Haftbefehl handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.“ So definiert Art. 1 I des Rahmenbeschlusses den Europäischen Haftbefehl und überlässt die Frage, welche Entscheidungen eines Mitgliedstaates anerkannt werden und zu einer Auslieferung führen müssen, dem Anordnungsstaat. Inhaltliche Anforderungen werden an sie, in strenger Anwendung des Anerkennungsprinzips, nicht gestellt. Was bei einem auf Strafvollstreckung gerichteten Haftbefehl, der an eine abschließende Verurteilung anknüpfen kann,198 vertretbar 194 Burchard, in: EnzEuR, Bd. 9, § 14 Rn. 1: „Motor der europäischen Integration auf dem Gebiet der Strafrechtspflege“. 195 Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in der Rs. C-303/05, Advocaten voor de Wereld, Rz. 45 m. Fn. 40. Dessen tiefer greifende Argumentation, wonach es wegen der Existenz innerstaatlicher (föderalistisch differenzierter) Blankettstrafgesetze einerseits und europäischer Harmonisierung andererseits gar nicht mehr zutreffe, dass die Rechtsordnungen innerstaatlich einheitlich seien und transnational maßgebliche Unterschiede bestünden, stellt Regel und Ausnahme doch gewaltig auf den Kopf. 196 Abgesehen von der Variante der Zustimmung des Verfolgten (Art. 13), die sachlich einen in Einzelfall möglichen Verzicht auf Rechtsschutz bedeutet, S. 197 m. Fn. 691. 197 Ebenso Schomburg, NJW 2003, 3392, 3393: „leere und zugleich irreführende Wortklingelei“; ders., in: S/L/G/H, Vorbem. HT II A Rn. 10: „eurokratisch[e] semantisch[e] Übungen“; Vogel, JZ 2001, 937, 940 ff., der die in der Überschrift aufgeworfene Frage „Abschaffung der Auslieferung?“ implizit verneint und die spezifischen auslieferungsrechtlichen Sachfragen untersucht. 198 Dieser kann im Übrigen abgelehnt werden, wenn die Person im Vollstreckungsstaat beheimatet ist und dieser sich zur Strafvollstreckung verpflichtet, Art. 4 Nr. 6 Rb-HB (dazu auch S. 193 ff., 262 ff.).
III. Konkrete Ausgestaltung
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erscheint, wird im Falle der Strafverfolgung dem Gewicht des Eingriffs nicht gerecht: Hier genügt für Inhaftierung und zwangsweise Übergabe grundsätzlich jeder im Anordnungsstaat erlassene Haftbefehl. Indem auch ggf. eine fremde staatsanwaltschaftliche Entscheidung zu vollstrecken ist, drohen schon in formeller Hinsicht Richtervorbehalte im Vollstreckungsstaat unterlaufen zu werden.199 Auch inhaltlich wäre richtigerweise eine substantiierte, d. h. für die umfassende Unterwerfung unter ein Gerichtsverfahren hinreichende Entscheidung im Anordnungsstaat (in Gestalt der Eröffnung des Hauptverfahrens o. ä., näher S. 199 ff.) zu fordern. Indem gleichwohl der Europäische Haftbefehl nach dem Gedanken der gegenseitigen Anerkennung grundsätzlich an den nationalen angelehnt wird, wird die in der Auslieferung liegende spezifisch transnationale Eingriffsdimension ausgeblendet und entsprechend von den strengeren Legitimationsanforderungen, die an sie gestellt werden sollten, entkoppelt. Der Verzicht auf eine Trennung zwischen Festnahme- und Übergabeersuchen ist im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl programmatisch,200 wird aber dem Nebeneinander verschiedener Staaten und Rechtsordnungen nicht gerecht, indem er einen einheitlichen Rechtsraum ohne Grenzen fingiert – anstatt ihn zu befördern, dazu S. 268 u. passim – und dabei auch die dem Beschuldigten erwachsenden Belastungen der zwangsweisen Verbringung in einen anderen Staat ausblendet.201 (3) Vollstreckung nach dem Recht des „Vollstreckungsmitgliedstaats“ Ob eine Person in Erwartung der „Übergabe“ in Haft zu halten ist, soll sich gemäß Art. 12 nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats richten. Diese Lösung ist nach der hier vertretenen Ansicht konsequent und sachgerecht, weil der Freiheitsentzug eine prozessunabhängige Gefahr verkörpert (o. S 137 ff.), die der ersuchte bzw. vollstreckende Staat entsprechend seinen Regeln behandeln sollte. Damit sind auch – ebenfalls sachgerecht – die Haftgründe dieses Staates entscheidend;202 für die 199 Dazu S. 168 f., 253 f. Für einen Richtervorbehalt im Anordnungsstaat aus menschenrechtlicher Perspektive Burchard, in: EnzEuR Bd. 9, § 14 Rn. 31. 200 Zur Definition s. sogleich im Text; befürwortend Andreou, Gegenseitige Anerkennung, S. 176 f. Nur für die Schwebezeit in Erwartung einer Entscheidung über die Vollstreckung ist (mit Ausnahme der vorübergehenden, also nicht mit einer endgültigen Auslieferung einhergehenden Überstellung des Art. 18) vorgesehen, dass der Vollstreckungsstaat eine Art „kommissarische Untersuchungshaft“ vollzieht (zur Vorzugswürdigkeit dieser Lösung, solange keine hinreichende Grundlage für eine Auslieferung geschaffen ist, S. 202 f.). 201 Die genau genommen dem Haftbefehl hier eine weitergehende Wirkung verleiht als er sie innerstaatlich besitzt, dazu und zu der auch im übrigen positiven Recht problematischen Regelung, wonach ein schlichter (Einlieferungs-)Haftbefehl als Grundlage einer Auslieferung genügt, S. 199 ff. 202 Dazu S. 167 f. Der Entwurf der Kommission hatte in Art. 14 I noch ausdrücklich auf die Haftgründe der Flucht- Wiederholungs- und Verdunkelungsgefahr abgestellt, was zwar einerseits eine willkommene Klarstellung wäre, andererseits aber als eine nicht zwingende Vereinheitlichung erscheint und sogar drohen würde, die umstrittene Wiederholungsgefahr europaweit zum Haftgrund zu erheben (zu ihr krit. SK-Paeffgen, § 112a Rn. 3 ff., Roxin/
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
Prüfung dieser Gründe allerdings, insbesondere der im Verfahrensstoff angelegten Verdunkelungsgefahr, stellen sich ähnlich wie beim Tatverdacht Probleme der effektiven gerichtlichen Überprüfung im Vollstreckungsstaat – und damit der Sicherung des Legitimationszusammenhangs zwischen dem Eingriff und seiner Grundlage (S. 107 f., 141 f.) –, die ebenso wenig gelöst sind wie bei der Verdachtsprüfung (S. 260 f.). Für Vernehmungen der gesuchten Person sieht Art. 19 II vor, dass nach dem Recht des Vollstreckungsstaats vorgegangen wird sowie nach den „im gegenseitigen Einvernehmen zwischen der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde festgelegten Bedingungen.“ Diese Regelung ist nicht unproblematisch, weil sie die Bestimmtheit des anwendbaren Rechts aufweicht, den Justizbehörden eine Art adhoc-Rechtsetzungskompetenz einräumt und infolgedessen die Möglichkeiten der Verteidigung empfindlich stört.203 In der Sache hätte eine stringentere Anwendung des Rechts des verfahrensführenden (Ausstellungs-)Mitgliedstaats der in der Verfahrensstruktur angelegten Entfaltung dessen innerprozessualer Schranken (S. 169 ff.) gerecht werden können; ihre fakultative Ausgestaltung aber, unter Delegierung der Auswahl der Rechtsordnung an die anwendenden Organe, kann dieses Ziel nicht mit der nötigen Zuverlässigkeit erreichen.204 (4) Das Verhältnis von Haftbefehl und milderen Maßnahmen Der Rahmenbeschluss 2009/829/JI vom 23. Oktober 2009 sieht „Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft“ vor. Nach dessen Art. 15 I lit. h kann die Anerkennung der „Überwachungsanordnung“ abgelehnt werden, wenn ein an sie anknüpfender Europäischer Haftbefehl abzulehnen wäre. Das kann als Herstellung von „horizontaler“, d. h. zwischen den europäischen Rechtsakten bestehender Kohärenz begrüßt werden,205 wobei allerdings kaum verständlich ist, warum die Ablehnung anders als beim Haftbefehl ins Ermessen der Gerichte des „Vollstreckungsstaats“ gestellt ist. Denn wenn die Überwachungsanordnung „ein ordnungsgemäßes Verfahren“ sichern soll, insbesondere, „dass die betroffene Person vor Gericht erscheint“ (Art. 2 I lit. a), kann sie dazu nur geeignet sein, wenn dieses Ziel erreichbar ist, d. h. die Person dem Verfahren (via Auslieferung) auch zugeführt werden kann. Vor allem aber gibt der Rahmenbeschluss „einer Person in keiner Weise ein Anrecht darauf, dass während eines Strafverfahrens eine Maßnahme ohne Freiheitsentzug als Alternative zur Untersuchungshaft angewandt wird“ (Art. 2 II); damit Schünemann, § 30 Rn. 11 ff.; v. a. unter dem Aspekt der Trennung von Polizei- und Strafprozessrecht LR-Hilger, § 112a Rn. 10 f.; and. KK-Graf, § 112a Rn. 2 ff.). 203 s. o. S. 100 f., ähnlich European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 424. 204 Zur „Flexibilität“ bei der Rechtsauswahl krit. anhand des (alten) „schweizer Modells“ Wohlers, in: Schünemann (Hrsg.): Alternativentwurf „Europäische Strafverfolgung“, 51, 73; unter fair-trial-Aspekten oben S. 91 ff. 205 Siehe European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 425.
III. Konkrete Ausgestaltung
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fehlt es an einem stringenten Vorrang der Überwachungsanordnung als milderem Mittel gegenüber dem einschneidenden Eingriff des Freiheitsentzugs, obwohl gerade die Gesetzgebung auf europäischer Ebene die Chance eröffnet, in einem arbeitsteiligen Verfahren ohne Effizienzeinbußen möglichst schonend vorzugehen, d. h. auch, dem Betroffenen unter Einbeziehung der im Ausstellungsstaat zu entscheidenden Vorfragen ebenso wirksamen Schutz gegenüber der (prozessunabhängigen) Gefahr des Freiheitsentzugs im Vollstreckungsstaat zu gewähren wie in dessen innerstaatlichem Verfahren.206 Ein weiterer gravierender Mangel liegt darin, dass die Überwachungsanordnung als milderes Mittel in geringfügigen Fällen nicht zur Verfügung steht, für die ein Europäischer Haftbefehl aber erlassen werden könnte.207 Statt im Recht der Verfahrenssicherung einen möglichen stringenten und einheitlichen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ zu schaffen, belassen es die Rahmenbeschlüsse über Haftbefehl und Überwachungsanordnung damit bei einem unkoordinierte Nebeneinander der Behörden in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich und schaffen nach außen, dem Bürger gegenüber, keine Gesamtverantwortung für ein prozessordnungsgemäßes und verhältnismäßiges Vorgehen. (5) Verteidigung und Rechtsschutz Die Richtlinie über das Recht auf Rechtsbeistand (allg. S. 252 f.) enthält in Art. 10 eine spezielle Regelung für „Verfahren nach dem Europäischen Haftbefehl“. Danach soll „eine gesuchte Person nach ihrer Festnahme aufgrund eines Europäischen Haftbefehls das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat“ haben (Abs. 2), so dass sie „ihre Rechte wirksam und in jedem Fall unverzüglich ab dem Entzug der Freiheit ausüben“ kann (Abs. 2 a). Daneben soll diese Person das Recht haben, „einen Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat zu benennen“, der den Rechtsbeistand im Vollstreckungsstaat unterstützen, informieren und beraten soll (Abs. 4). Die Behörden im Ausstellungsstaat sollen „den gesuchten Personen unverzüglich Informationen zur Verfügung [stellen], um es ihnen zu erleichtern, dort einen Rechtsbeistand zu benennen“ (Abs. 5). Diese Rechte sind grundsätzlich und in ihrer Zielsetzung, die wirksame Wahrnehmung der Verteidigungsrechte zu gewährleisten, zu begrüßen. Nach dem oben (S. 69 ff., 211 ff., 240 ff.) Gesagten ist der Maßstab hierfür der Standard des innerstaatlichen Rechts, dessen – auch nur faktische – Beeinträchtigung erforderlichenfalls durch kompensatorische Maßnahmen auszugleichen ist.
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Allg. zur Reichweite der prozessunabhängigen Schranken s. o. S. 141 f.; zu den im Ausstellungsstaat zu prüfenden Aspekten, namentlich Verdachtstatsachen und Verdunkelungsgefahr, s. o. S. 147 ff., 167 f. Dass nach Art. 12 Rb-HB die Entscheidung über die Inhafthaltung beim Vollstreckungsstaat liegt, hilft ohne stringente Rückbindung an das Ausgangsverfahren und die dort zu entscheidenden Fragen kaum weiter. 207 Art. 14 I; krit. European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 420 f.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
In diesem Sinne hätte die Entwurfsfassung des Abs. 5 einen Fortschritt bringen und die staatliche Gesamtverantwortung stärken können: „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Personen […] nach ihrer Festnahme mit Europäischem Haftbefehl auf Antrag umgehend einen Rechtbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat erhalten, der den Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat gemäß Absatz 4 unterstützt“ (Hervorhebung durch den Verf.). Indem die verabschiedete Fassung statt dessen die bloße Aufklärung des Inhaftierten über das Recht vorschreibt, im fernen Ausstellungsmitgliedstaat (eigenverantwortlich) einen Anwalt zu benennen und dessen Behörden bloß verpflichtet, ihm dabei behilflich zu sein (also ein Verzeichnis der Rechtsanwälte zu übermitteln oder dergleichen), gibt sie den Anspruch auf, die Staaten für die Gewährleistung der Verteidigungsrechte auch wirksam in die Pflicht zu nehmen. Im Zusammenhang damit ist die innerstaatlich teilweise vorgeschriebene notwendige Verteidigung bedeutsam, also die zwingende und vom Staat zu gewährleistenden Anwesenheit eines Verteidigers in bestimmten Situationen. In der deutschen StPO ist sie in den Fällen des § 140 I vorgesehen, insbesondere (Nr. 4) bei der Vollstreckung von Untersuchungshaft. Im Lichte des individualrechtlichen Benachteiligungsverbots müsste eine solche Garantie auch im Rahmen eines transnationalen Verfahrens greifen, also wenn in Deutschland „Auslieferungshaft“ vollstreckt wird.208 Unter der Prämisse, dass nur im Verbund mit einem Rechtsbeistand im verfahrensführenden Staat wirksame Verteidigung gewährleistet werden kann, würde diese Situation also eine doppelte notwendige Verteidigung bedingen.209 Die Richtlinie dagegen bleibt in Fragen der notwendigen Verteidigung stumm und überlässt die staatliche Gewährleistung des Rechtsbeistands für weniger bemittelte Beschuldigte einer geplanten weiteren Richtlinie über vorläufige Prozesskostenhilfe (dazu Fn. 210 sowie S. 293). Auch inhaltlich ist die Regelung zur doppelten Verteidigung unvollständig: Der Anwalt im ersuchenden Staat soll denjenigen im ersuchten Staat „unterstützen, indem er [ihn] mit Informationen versorgt und berät (…)“ (Art. 10 IV), während doch entscheidende Punkte nur im ersuchenden Staat geprüft werden und deshalb entscheidende Rechte nur dort ausgeübt werden können, er also erstens (auf der Grundlage garantierter vertraulicher Kommunikation mit dem Beschuldigten) dort intervenieren können müsste und zweitens seine Einwände das selbe Gewicht haben müssten wie innerstaatlich, also eine strenge Rückbindung der Vollstreckung an den Bestand der Anordnung gesichert sein muss.210 Ohne einen Mechanismus, der den 208 Näher dazu und zur Beschränkung auf innerstaatliche Beschuldigte de lege lata S. 182 m. Fn. 640. 209 Zum Ganzen S. 184 ff. und die Nachweise dort Fn. 653. 210 s. o. S. 183 f. Hierfür einschließlich Kostentragung durch den ersuchenden Staat auch OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8. 9. 2011, III-4 Ws 495/11. Dagegen verlängert Art. 5 Nr. 2 des Richtlinienvorschlags zur Prozesskostenhilfe (KOM [2013] 824 endg.) die Verengung der Verteidigung im Ausstellungsstaat auf die „Unterstützung des Rechtsbeistands im Vollstreckungsstaat“ auf die Kostenebene; zur PKH noch S. 293.
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Zusammenhang der gegenseitigen Anerkennung auf Seiten der Verteidigung nachvollzieht, ist diese wenig durchschlagskräftig, und auch der gute Wille der beteiligten Behörden kann ihre fehlende prozessuale Vereinigung nicht ersetzen. Im Übrigen schreibt Art. 10 VI der Richtlinie nunmehr explizit fest, dass die Fristen des Rb-HB durch die Verteidigungsrechte nicht berührt werden, so dass deren angezeigte aufschiebende Wirkung vereitelt wird (dazu S. 187). Sekundärer Rechtsschutz in Gestalt der Staatshaftung schließlich ist im Rb-HB (anders als im Beweisrecht, s. u. S. 279 f.) ebenso wenig geregelt wie die Erstattung von Verteidigerkosten nach einem Freispruch; wie gezeigt wurde, kann dies mitunter sogar dann Verantwortlichkeitslücken aufreißen, wenn jeder der beteiligten Staaten für sich genommen eine Erstattungspflicht kennt (s. o. S. 104 f.), und bedürfte deshalb konsequenterweise einer Regelung in dem Rechtsakt, der die Kooperationspflicht und damit diese Gefahr für individuelle (Ersatz-)Rechte schafft.211 dd) Beweis- und Informationsverkehr Die Beweiserhebung und -verwertung nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als sie unmittelbar auf den Prozess der Wahrheitsfindung bezogen ist. Während solche Entscheidungen wie rechtskräftige Urteile und von der Wahrheitsfindung losgelöste prozessuale Maßnahmen, etwa Haftbefehle, mitunter als fertige „Produkte“ für „verkehrsfähig“ erachtet werden, wird der Zugriff auf Beweismittel zurückhaltender betrachtet.212 Denn dieser ist tief in der komplexen, zwischen hoheitlichen Befugnissen und deren Schranken austarierten Struktur der jeweiligen Strafprozessordnung verankert und auf den Zweck der Beweisführung bezogen, welche in jeder Rechtsordnung spezifischen Regeln folgt.213 Erst dieses ausgewogene Verfahren der Wahrheitsfindung leistet die Legitimation des Strafurteils.214 Deshalb überwiegt in der Literatur, auch unter den Befürwortern des „Prinzips gegenseitiger Anerkennung“, die Kritik an dessen schlichter Übertragung auf den Beweisverkehr.215 Nach
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Rechtsstaatliches Junktim – dazu S. 251 f. Gleß, ZStW 116 (2004), 353, 356 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 12 Rn. 58 ff., 61; Heger, ZIS 2007, 547, 555. Auch im Übrigen freilich unterliegt jede „Verkehrsfähigkeit“ strengen Legitimationsvoraussetzungen, s. o. S. 197 ff., 266 ff. u. passim. 213 s. o. S. 169 ff.; ebenso Gleß, ZStW 115 (2003), 131 ff.; dies., ZStW 116 (2004), 353, 356; dies., Beweisrechtsgrundsätze, S. 149 ff. (m. rechtsvergleichender Untersuchung S. 48 ff.); Heger, ZIS 2007, 547, 555; C. Nestler, ZStW 116 (2004), 332, 345 ff.; Radtke, GA 2004, 1, 18 f.; Sommer, StraFo 2003, 351, 353. 214 Siehe etwa Perron, ZStW 112 (2000), 202, 223; Gleß, Beweisrechtsgrundsätze, S. 149 ff. 215 Ambos, Internationales Strafrecht, § 12 Rn 60 ff., 67 ff.; Gleß, ZStW 116 (2004), 353, 365 f.; aus den Reihen der grundsätzlichen Befürworter s. etwa Hecker, Europäisches Strafrecht, § 12 Rn 58 ff., 61; Heger, ZIS 2007, 547, 555. Grdsl. für eine Übertragung auf das Beweisrecht hingegen Kotzurek, ZIS 2006, 123. 212
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der hier entwickelten Dogmatik ist die Problematik unter dem Aspekt der Gewährleistung innerprozessualer Schranken zu untersuchen (S. 169 ff.). (1) Die europäische Beweisanordnung Der Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung (EBA) war das erste Instrument der gegenseitigen Anerkennung zur grenzüberschreitenden Erhebung von Beweisen;216 er ist bislang kaum umgesetzt worden und wird durch die Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung verdrängt werden.217 (2) Die europäische Ermittlungsanordnung Die Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung (EEA), die ein laufendes Konsultationsverfahren der Kommission ignoriert und ohne vorhergehende Evaluation der Erfahrungen mit der EBA überholt hat,218 nimmt die Ansätze des Rahmenbeschlusses auf und entwickelt sie weiter. Sie regelt nahezu alle Formen der Beweiserhebung, einschließlich Zwangsmaßnahmen und besonders invasiver Eingriffe (näher Art. 3, 23 ff. RiLi-EEA). (a) Anerkennungsfähige und -pflichtige Entscheidungen Die Europäische Ermittlungsanordnung ist nach Art. 1 I „eine gerichtliche Entscheidung, die von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats („Anordnungsstaat“) zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahme(n) in einem anderen Mitgliedstaat („Vollstreckungsstaat“) zur Erlangung von Beweisen gemäß dieser Richtlinie erlassen oder validiert wird.“ Sie kann von jeder „Anordnungsbehörde“ erlassen werden, wenn die Voraussetzungen des Art. 6 erfüllt sind, namentlich der Erlass „erforderlich und verhältnismäßig“ ist und „in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen“ hätte angeordnet werden können. „Anordnungsbehörde“ kann nach Art. 2 lit. c auch die Staatsanwaltschaft oder eine sonstige nach nationalem Recht zuständige Behörde, ggf. also die Polizei, sein, wodurch im Vollstreckungsstaat bestehende Richtervorbehalte ausgehebelt werden.219 216 Dazu i.E. Roger, GA 2010, 27 ff.; Stefanopoulou, JR 2011, 54 ff.; zu Auswirkungen für den deutschen Strafprozess Esser, FS Roxin, 2011, 1497 ff.; zum Kommissionsvorschlag ferner Gleß, StV 2004, 679 ff. 217 Art. 34 II RiLi-EEA (für die Mitgliedstaaten, die durch die Richtlinie gebunden sind, also nach den Protokollen 21 und 22 zum Vertrag von Lissabon grundsätzlich – vorbehaltlich eines opt-in – nicht das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark). 218 Zum Grünbuch der Kommission Ambos, ZIS 2010, 557 ff.; Busemann, ZIS 2010, 552 ff.; Schünemann/Roger, ZIS 2010, 92 ff. 219 Zum Problem S. 168 f., 253 f.; ebenso Ahlbrecht, StraFo 2013, 114, 116; Ambos, Internationales Strafrecht, § 12 Rn 66, 69; Heydenreich, StraFo 2012, 439, 443. Bei der Anordnung durch „sonstige Behörden“ ist nach Art. 2 lit. c ii) eine „Validierung“ durch Gericht oder Staatsanwalt erforderlich, wodurch aber Richtervorbehalte im Vollstreckungsstaat immer noch unterlaufen werden (F. Zimmermann, ZStW 127 [2015], 143, 167 f.). Schuster, StV 2015,
III. Konkrete Ausgestaltung
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(b) Vollstreckung (nach dem Recht des Vollstreckungsstaates) Grundsätzlich hat die „Vollstreckungsbehörde“ nach Art. 9 I die EEA „ohne jede weitere Formalität“ anzuerkennen und so zu vollstrecken, als sei die entsprechende Ermittlungsmaßnahme im Vollstreckungsstaat angeordnet worden, es sei denn, sie macht einen spezifischen Versagungsgrund der Richtlinie geltend.220 Neben den einzelnen Versagungsgründen beinhaltet Art. 10 einen allgemeineren Vorbehalt: Er sieht für den Fall, dass eine Maßnahme im Vollstreckungsstaat „in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall“ nicht zur Verfügung stünde, ein „Ausweichen“ auf eine andere Maßnahme (Abs. 1) bzw., wenn eine solche keinen Erfolg versprechen würde, die Ablehnung der Vollstreckung vor (Abs. 5). Das könnte dahingehend verstanden werden, dass sämtliche Eingriffsvoraussetzungen nach dessen Recht erfüllt sein müssen221 und würde, sofern es um prozessunabhängige Schranken geht, eine sachlich angemessene Regelung schaffen (S. 141 ff.), nicht ohne im innerprozessualen Bereich übers Ziel hinauszuschießen (S. 170 f.). Eine solche „Meistbegünstigung“ freilich, die erst im Verbund mit einer (nur teilweise angezeigten, S. 190 f.) Anwendung aller auch prozessunabhängigen Schranken des Anordnungsstaates (Art. 6, s. o.) entsteht, wäre keine bloße Wohltat zugunsten des Beschuldigten, sondern entspräche teilweise (d. h. in dem sachlich angezeigten Umfang) individualrechtlichen Notwendigkeiten und ansonsten einer wenig zielführenden Verdoppelung der prozessualen Kautelen (dazu S. 188 ff.). Bei einem solchen Verständnis des Art. 10 als „allgemeine und umfassende Gleichstellungsklausel“222 würden allerdings die präziseren und engeren Ablehnungsgründe der RiLi, namentlich in Betreff der beiderseitigen Strafbarkeit (Art. 11 I lit. g) nahezu überholt.223 Ob jene Deutung des Art. 10 überhaupt zutreffend ist, ist allerdings angesichts der Rechtsprechung des EuGH zweifelhaft, der größten Wert auf den abschließenden Charakter geschriebener Ablehnungsgründe legt;224 näher liegt eine engere Deutung des Art. 10 der Richtlinie, die die speziellen und abschließenden Ablehnungsgründe in ihrem restriktiven Zuschnitt nicht beeinträchtigt.225 Namentlich die Frage der beiderseitigen Strafbarkeit unterliegt nach Art. 11 I lit. g und für die speziellere Frage der erhöhten Eingriffsschranken (bestimmte 393, 396 betont, dass die „Vollstreckungsbehörde“ auch der Richter sein kann, stellt aber auch fest, dass diesem – und das ist das Problem – höchstens eine „Plausibilitätsprüfung“ möglich ist, zumal angesichts des spärlichen Umfangs der nach Art. 5 mitzuteilenden Angaben. 220 Diese sind allgemein in Art. 11 sowie für spezielle Maßnahmen in Art. 22 ff. abschließend aufgezählt und sämtlich fakultativ ausgestaltet (dazu und zu den wichtigsten Versagungsgründen S. 254 f. sowie S. 290), im Einzelnen s. F. Zimmermann, ZStW 127 (2015), 143, 153 ff., insb. 170 ff. zu den Sonderregelungen für bestimmte Maßnahmen. 221 So Böse, ZIS 2014, 152, 160: „Meistbegünstigung“; wie hier dagegen Ahlbrecht, StV 2013, 114, 116 f.; Dicker, KritV 2012, 417; F. Zimmermann, ZStW 127 (2015), 143, 163 ff. 222 Böse, ZIS 2014, 152, 156. 223 So konsequenterweise Böse (Fn. 222). 224 Urteil in der Rs. C-396/11 – Radu, Tz. 36 (Abl. EU C 86/5 v. 23. 3. 2013). 225 Was Böse, ZIS 2014, 152, 157 f. für die Verdachtsprüfung auch anerkennt.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
Kategorien oder erhöhtes Mindeststrafmaß) nach Art. 11 I lit. h einer ausführlichen und ersichtlich abschließend gemeinten Regelung, die ansonsten leerliefe. Unterstützen ließe sich diese Auslegung auch durch entsprechende Interpretation des „vergleichbaren innerstaatlichen Falles“ (Art. 10 I) als des Falles, in dem innerstaatlich bereits ermittelt wird und die Zulässigkeit einer spezifischen Maßnahme fraglich ist; das aber setzt notwendig voraus, dass überhaupt eine strafbare Tat im Raum steht. Mit anderen Worten: der anzustellende Vergleich kann so verstanden werden, dass das Vorliegen der allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen einschließlich materieller Strafbarkeit unterstellt wird und der so konstruierte Rechtssachverhalt, nicht der natürliche Sachverhalt, hypothetisch an der eigenen spezifischen Eingriffsnorm gemessen wird.226 Das entspricht der für die Richtlinie paradigmatischen Anerkennung der Entscheidungen des Anordnungsstaats. Schließlich spricht auch die systematische Ausgestaltung des Art. 10, dafür, dass es nicht um generelle Verfahrensvoraussetzungen wie die materielle Strafbarkeit geht, sondern um spezifische Voraussetzungen der einzelnen Maßnahme: Die Vorschrift behandelt in Abs. 1 den Fall, dass die konkrete Maßnahme in einem vergleichbaren Verfahren nicht zur Verfügung steht und erst in Abs. 5 den weiteren Fall, dass eine alternative Maßnahme auch keinen Erfolg verspricht. Wären aber allgemeine Voraussetzungen strafprozessualen Vorgehens wie namentlich die materielle Strafbarkeit im Vollstreckungsstaat gemeint, wäre diese zweite Stufe fehl am Platz, weil deren Fehlen ab ovo jeder Strafverfolgungsmaßnahme entgegenstünde.227 Auch der europäische Gesetzgeber geht davon aus, dass Art. 10 I b Fälle meint, „bei denen die angegebene Ermittlungsmaßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaats zwar existiert, aber nur unter bestimmten Umständen rechtmäßig zur Verfügung steht, beispielsweise wenn die Ermittlungsmaßnahme nur bei Straftaten eines gewissen Schweregrads, nur gegen Personen, gegen die bereits bestimmte Verdachtsmomente bestehen, oder nur mit der Zustimmung der betreffenden Personen durchgeführt werden kann.“228 226 Anders Böse, ZIS 2014, 152, 156 f. m. Fn. 40, dessen Wortlautargument aber nicht zwingend ist (der offene Begriff „Fall“ lässt diese Deutung ohne weiteres zu, wegen der Relativität der Rechtsbegriffe [Reinertshofer, Begriffsjurisprudenz, S. 118 f. m.w.N.] auch ohne Widerspruch zu einer ggf. abweichenden Bedeutung in Art. 27 VI 3, 28 V 3 u. passim) und dessen systematischer Einwand (Wertungswiderspruch mit Art. 11 I lit. c]) nicht einleuchtet, weil dieser Ablehnungsgrund gerade an die Deliktsqualifikation (als Ordnungswidrigkeit) im Anordnungsstaat anknüpft, also eher umgekehrt für die hier angebotene Lesart spricht. Auch die ähnliche Formulierung des Rb-EBA („alle Maßnahmen, die in einem ähnlich gelagerten innerstaatlichen Fall im Vollstreckungsstaat verfügbar wären“) wird nicht in dem Sinne verstanden, dass sie durch die Hintertür das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit wieder einführe, s. zuletzt Swoboda, HRRS 2014, 10, 17. Auch nach dem hier entwickelten Verständnis hätte die Klausel im Übrigen einen sinnvollen Anwendungsbereich, namentlich etwa für den Kernbereichsschutz des § 100c IV, V StPO (Böse, ZIS 2014, 152, 155). 227 Ebenso F. Zimmermann, ZStW 127 (2015), 143, 165 f. 228 Erwägungsgrund 10 (s. F. Zimmermann, ZStW 127 [2015], 143, 167); Hervorhebung durch Verf. Zum erstgenannten Fall erhöhter Strafbarkeitsschwellen, der richtigerweise erst recht für ein allgemeines Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit streitet, S. 156.
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In dem – durchaus wahrscheinlichen – Fall, dass der EuGH sich in seinem Selbstverständnis als „Motor der Europäisierung“ für ein solches, der intendierten Beförderung gegenseitiger Anerkennung zuträgliches Verständnis entscheidet, würde der Bestand der prozessunabhängigen Schranken und namentlich das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit in einem problematischen Ausmaß beseitigt (dazu S. 141 ff., 154 ff.). (c) Anwendung der lex fori Neben der grundsätzlichen Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsstaats (s. o.) sieht die Richtlinie – wie schon der alte Rahmenbeschluss – in Art. 9 II vor, dass die Vollstreckungsbehörde „die von der Anordnungsbehörde ausdrücklich angegebenen Formvorschriften und Verfahren [einhält].“ Das heißt, dass insofern die Vollstreckung nach dem Recht des Anordnungsstaates erfolgt (lex fori regit actum), wodurch einerseits Schutzgarantien wie die Anwesenheit eines Verteidigers gesichert werden können, andererseits auch die spätere Verwertbarkeit der gewonnenen Beweise im Anordnungsstaat.229 Diese Lösung ist konsequent, weil die Erhebung ultimativ einer späteren prozessualen Verwertung dient, welche ihrerseits in der Richtlinie (zu recht, S. 171) nicht geregelt, sondern dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats überlassen ist. Doch ist, anderes als teilweise angenommen wird, das forum-Prinzip nicht verbindlich vorgeschrieben: Nirgends in der Richtlinie heißt es, dass die Anordnungsbehörde bestimmte Vorschriften mitzuteilen habe.230 Auch aus Art. 6, der die Anforderungen an einen Beweiseingriff umschreibt, ergibt sich nicht anderes: Dieser setzt (nur) voraus, dass der Erlass der EEA für den Zweck des Verfahrens notwendig und verhältnismäßig ist und dass „die Ermittlungsmaßnahme hätte in einem vergleichbaren nationalen Fall unter denselben Bedingungen angeordnet werden können“ (Art. 6 I lit. b). Diese Voraussetzungen realisieren im Ansatz den auch hier befürworteten Ansatz, den Beweiseingriff und seine Zulässigkeit vom Ziel der Verwendung im Strafverfahren her zu konzipieren (S. 171 ff.). Doch erstens könnte als „notwendig“ und sogar „verhältnismäßig“ auch ein Beweismittel erscheinen, das im Anordnungsstaat zwar einem Verwertungsverbot unterliegen würde, nicht aber einem strengen Verwendungsverbot, denn es
229 Ausf. S. 171 ff. Enger F. Zimmermann, ZStW 127 (2015), 143, 151, dem zufolge die Anweisungsbefugnis der Anordnungsbehörde nur solche Vorschriften umfasst, deren Missachtung ein Beweisverwertungsverbot zur Folge hätte; zuzustimmen ist ihm freilich insofern, als dem Vollstreckungsstaat nicht etwa entgegen seinem Recht eine Durchsuchung zur Nachtzeit, allgemein: die prozessunabhängigen Schranken vorgeschrieben werden können. 230 Verbindliche Lesart bei Gleß, in: S/L/G/H, Art. 4 EURhÜbk Rn. 1; Heger, ZIS 2007, 547, 553 f. und LR-Jäger, § 223 Rn. 38; wie hier European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 417. Eine innerstaatliche Pflicht, auf die Einhaltung des eigenen Beweisrechts im Ausland hinzuwirken (für Deutschland s. Schuster, StV 2015, 393, 394 m.w.N.), ist für Lücken des zwingenden EU-Rechtsakts kein vollwertiger Ersatz, s. u. S. 294 f.
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könnte dann immer noch mittelbar zu dem Verfahren beitragen.231 Die stringente Bindung an die prozedurale Wahrheitsfindung würde damit preisgegeben, und es wäre nicht gesichert, dass Beweismittel nur in dem Rahmen beschafft werden, den der Anordnungsstaat sich in Konkretisierung der Fairness-Maxime selbst auferlegt hat. Und zweitens spart Art. 6 die zu erwartenden genauen Umstände der Vollstreckung im fremden Staat gerade aus, indem er nur auf den „Erlass der Anordnung“ abstellt. Ähnliches gilt auch für die zweite Voraussetzung, dass die Maßnahme im Anordnungsstaat hätte angeordnet werden können (Art. 6 I lit. b): Sie ist nur auf deren Voraussetzungen, also das „Ob“ bezogen und nicht auf das „Wie“ der Vollstreckung. Die Anordnungsbehörde muss also die für die Verwertung relevanten genauen Umstände der Vollstreckung (im Ausland) nicht berücksichtigen, und sie könnte sie auch mangels Kenntnis kaum gebührend antizipieren, um dann daraus schließen zu können, ob sie bestimmte Formvorschriften mitteilen müsste. Die Vollstreckung nach dem forum-Prinzip ist nicht nur eine bloße Option, sie steht darüber hinaus auch unter dem Vorbehalt, dass sie „nicht im Widerspruch zu den wesentlichen Rechtsgrundsätzen des Vollstreckungsstaats“ steht. Auch damit ist wieder eine Hintertür für die problematische Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsstaats geöffnet.232 Die Richtlinie führt also mit dem Prinzip der lex fori eine an sich vielversprechende Lösungsmöglichkeit ein, die aber nicht stringent gestaltet ist und deshalb wiederum ein Element der Unbestimmtheit einführt, das es für den Betroffenen u. U. unabsehbar macht, nach welchem Recht sich die Vollstreckung richtet. Es ist gut möglich, dass dies dem in Erwägungsgrund 6 genannten Ziel entspricht, „der Flexibilität des traditionellen Systems der Rechtshilfe Rechnung“ zu tragen, aber genau das schränkt die Bestimmtheit des Prozessrechts und damit die Verteidigung entscheidend ein (dazu S. 91 ff.). Damit wird die Gefahr einer rechtswidrigen Beweisführung und Verletzung des fair trial wiederum virulent, und auch die mittelbar damit verbundene Gefahr überflüssiger und deshalb rechtswidriger Grundrechtseingriffe (zum Ganzen S. 95 ff.). Die Forum-Regel kann auch verbindlich umgesetzt bzw. interpretiert werden,233 was aber – bei der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten – nur eine verspätete Korrektur eines europäischen Versäumnisses,234 bei ad-hoc-Anwendung durch die Gerichte die Manifestation einer nicht hinreichend im Voraus bestimmten Prozessordnung wäre (zum Konflikt mit dem fair-trial-Gebot S. 91 f.). Während also die Einhaltung der innerprozessualen Schranken des Verfahrensstaats nicht angemessen gesichert ist, sind die in Art. 6 RiLi-EEA aufgestellten 231
Siehe Roger, GA 2010, 27, 35. Damit wäre der Ansatz, von der Verwertungssituation auszugehen (S. 170 ff.), preisgegeben, die aber einzig legitimer Zweck ist, S. 96. 232 Zimmermann/Glaser/Motz, EuCLR 2011, 56, 72 f. 233 Siehe schon oben S. 209 f., wo das aus dem Gebot der Wahrung innerprozessualer Schranken des verfahrensführenden Staates abgeleitet wurde. 234 s. o. S. 82 ff., 241, S. 294 zur Verantwortlichkeit des EU-Gesetzgebers.
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Hürden insofern überflüssig, als die Möglichkeit der Erlangung des Gegenstands im Anordnungsstaat im konkreten Fall vorausgesetzt wird, was auch die (verzichtbare und eigentlich dysfunktionale, s. o. S. 188 f., 190 f.) Einhaltung prozessunabhängiger Schranken der forum-Rechtsordnung in der Anordnung einschließt. (d) Verteidigungsrechte Art. 14 II Hs. 1 RiLi-EEA sieht vor, dass die „sachlichen Gründe“ für einen Eingriff nur im Anordnungsstaat angefochten werden können, wobei allerdings die Grundrechtsgarantien im Vollstreckungsstaat unberührt bleiben sollen. Diese konsequente Anwendung des Anerkennungsgedanken ist problematisch, weil sie den Eingriff von seinen Voraussetzungen abspaltet und eine „Vollstreckung als solche“ übrig lässt, die von ihren Legitimationsvoraussetzungen entkoppelt wäre (dazu S. 143 ff.). Auch der Grundrechtsvorbehalt und die damit ggf. verbundene Verhältnismäßigkeitsprüfung wirken nicht umfassend als individualrechtliche Meistbegünstigung,235 weil unmittelbar aus den Grundrechten keine belastbare strafprozessuale Rechtsstellung abgeleitet werden kann (S. 98 ff.). Weiter in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt ist sie wegen der fehlenden Verknüpfung der Rechtswege:236 Es ist Voraussetzung einer wirksamen Rechtsweggarantie, dass die Einwände des Beschuldigten gegenüber dem hoheitlichen Zugriff des Vollstreckungsstaats ebenso durchgreifen wie im innerstaatlichen Verfahren, was durch unterschiedliche Modelle der Verzahnung erreicht werden kann; die Richtlinie aber lässt (ebenso wie andere europäische Rechtsakte) tragfähige Ansätze dafür vermissen.237 Auch im Hinblick auf den innerprozessualen Raum des verfahrensführenden Staates, namentlich bei den für die Verwertung relevanten Umständen einer Beweiserhebung, ist eine wirksame Verteidigung ein essentieller Bestandteil eines rechtsstaatlichen Verfahrens (s. o. S. 184). Um diese in der Situation einer transnationalen, d. h. weit weg vom Ausstellungsstaat und dessen Verteidigern stattfindenden Beweiserhebung gewährleisten zu können, bedürfte es einer verfahrensmäßigen Absicherung, die die Richtlinie vermissen lässt; im Gegensatz zu Verfahren nach dem europäischen Haftbefehl gewährleistet auch die RiLi-Rechtsbeistand für Beweiserhebungen keinen Zugang zu einem Anwalt im Ausstellungsstaat, geschweige denn dessen Interventionsmöglichkeiten im Vollstreckungsstaat (S. 184 f.), und belässt es so bei einer bedenklichen Lücke in den Verteidigungsrechten.238 235
So aber Böse, ZIS 2014, 152, 160 Ebenso Böse, ZIS 2014, 152, 160. 237 Zur EEA ähnliche Böse (Fn. 235), S. 161; zum Problem bei der EBA Esser, FS Roxin, 2011, 1497, 1507 f.; Mavany, Europäische Beweisanordnung, S. 74 f.; Roger, GA 2010, 27, 40 ff.; Swoboda, HRRS 2014, 10, 18; zu den Prämissen wirksamen transnationalen Rechtsschutzes S. 184 ff. 238 Für notwendige Verteidigung Heydenreich, StraFo 2012, 439, 444. Die Verteidigung im Ausgangsverfahren wollte etwa im Fall Stojkovic (dazu S. 87 ff.) das französische Gericht dadurch sichern, dass die Anwesenheit eines französischen Verteidigers angeordnet wurde; die Schwäche einer ad-hoc-Entscheidung des Gerichts (zum grundsätzlichen Problem eines un236
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Dabei ist die spätere Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung – anders als im Verordnungsvorschlag zur europäischen Staatsanwaltschaft, S. 285 – zwar nicht angeordnet, aber durch die Beweisgewinnung doch vorgezeichnet und kann einen grenzüberschreitenden Zugriff der Verteidigung auf Überprüfungsmechanismen im erhebenden (ersuchten bzw. Vollstreckungs-)Staat erforderlich machen (S. 185 unten), der ebenfalls nicht vorgesehen ist.239 Ein die „Waffengleichheit“ oder Verfahrensbalance empfindlich störender Faktor ist schließlich, dass Art. 1 III zwar einen Antrag des Beschuldigten auf Erlass einer EEA vorsieht, dies aber nur „im Einklang mit dem nationalen Strafverfahrensrecht“, so dass es bei dessen bestehenden Grenzen für den Zugriff auf Auslandsbeweise bleibt;240 so kann die Verteidigung weder im Ermittlungsverfahren selbst eine EEA auslösen – wie es die Verfolgungsbehörden können – noch sie in der Hauptverhandlung erzwingen. Diese strukturelle Benachteiligung im Verhältnis zur (jedenfalls: deutschen) innerstaatlichen prozessualen Stellung241 wird in den europäischen Instrumenten nicht behoben, während die Verfolgungsbehörden (und nicht nur die Gerichte) sogar ausdrücklich in den Kreis der anordnungsberechtigten „Justizbehörden“ aufgenommen wurden.242
terbestimmten Prozessrechts S. 91 ff.) wurde freilich gerade in diesem Fall offenbar, indem die belgischen Behörden sie schlicht ignorierten. 239 Der u. a. von Allegrezza, ZIS 2010, 569, 578; Spencer, ZIS 2010, 602, 604 f. vorgetragene Einwand, dass die Verwertung eine rein nationale Frage sei, steht dem nicht entgegen, weil es hier gerade nicht um einen Eingriff in das nationale Prozessgleichgewicht geht, sondern im Gegenteil dessen Wahrung auch in einem transnationalen Fall. 240 Krit. de Hert/Weis/Cloosen, NJECL 2009, 55, 75 f.; Esser, FS Roxin, 2011, 1497, 1507; Heydenreich, StraFo 2012, 439, 444, insb. zu § 244 V 2 StPO, der die Ablehnung von Beweisanträgen zur Vernehmung von Auslandszeugen erleichtert; Brodowski, ZIS 2015,79, 94 dagegen geht von einem durch die EEA „europäisierten Beweisantragsrecht“ mit der Folge aus, dass § 244 V 2 StPO „auf das außereuropäische Ausland“ beschränkt würde; Schuster, StV 2015, 393, 394 mahnt an, das Beweisantragsrecht nicht stärker auszugestalten als innerstaatlich, geht aber doch von einer Fortgeltung (und ggf. „verteidigungsfreundlichen Auslegung“) des § 244 V 2 aus. Zuverlässig ließen sich solche nationalen Beschränkungen der Verteidigung beseitigen, wenn dieser das Beweisantragsrecht ausdrücklich „wie in einem innerstaatlichen Fall“ zugestanden würde – eine Spielart der hier favorisierten umfassenden, auf den Beschuldigten und seine Rechte erstreckten gegenseitigen Anerkennung, S. 289. Ergänzend dazu, dass Garantien schon im europäischen Rechtsakt erforderlich sind, S. 251 f. 241 Zum ausgeprägten deutschen Beweisantragsrecht (§ 244 II StPO) und seiner herausgehobenen Bedeutung für Subjektstellung des Beschuldigten und Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens s. KK-Krehl, § 244 Rn. 67; SK-Frister, § 244 Rn. 46; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 45 Rn. 5 ff. 242 Krit. Capus, Strafrecht und Souveränität, S. 245 f.; Esser, FS Roxin, 2011, 1497, 1500 f. Zwar ist kein Staat verpflichtet, ausgehende Ersuchen bzw. Anordnungen auch den Strafverfolgungsbehörden zu gestatten, aber schon indem diese (alles andere als praxisferne – gerade wenn im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft noch „Herrin des Verfahrens“ ist, s. Schomburg/Hackner, in: S/L/G/H, vor § 68 IRG Rn. 10) Möglichkeit besteht, während der Verteidigung die transnationalen Instrumente verwehrt bleiben, entsteht eine Schieflage.
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(e) Staatshaftung Interessant gerade im Vergleich mit dem soeben skizzierten primären Rechtsschutz sind die Regelungen zur Staatshaftung in Art. 18 RiLi-EEA, der von einer vollen Haftung des Vollstreckungsstaats für Schäden (Abs. 2) ausgeht und einen Ausgleich zwischen den Staaten (Abs. 3) vorsieht, nämlich wenn die Schäden von Beamten eines anderen Mitgliedstaates verursacht worden sind. Weiter gehend sah Art. 19 I Rb-EBA einen solchen Mechanismus für jede Vollstreckung einer EBA vor (soweit nicht der Schaden ohnehin auf das Verhalten des Vollstreckungsstaates zurückzuführen und endgültig von ihm zu tragen ist Art. 19 I 2. Hs. Rb-EBA). Dieses Modell einer vollen Haftung nach außen (die allerdings nicht geschaffen, sondern vorausgesetzt wird243) mit Ausgleich im Innenverhältnis entspricht dem hier vertretenen Konzept einer hoheitlichen „Gesamtschuld“ gegenüber dem Individuum und desavouiert im Verhältnis Staat-Bürger das Konzept einer von ihren Voraussetzungen ablösbaren „Vollstreckung als solcher“; sie hätte als Vorbild auch auf der Ebene des primären Rechtsschutzes, also der Abwehrrechte gegen strafprozessuale Eingriffe dienen können. Verfahrensseitig allerdings bieten auch diese Vorschriften keine Lösung für das (allgemeine) Problem, dass die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme und damit ein etwaiger Schadensersatzanspruch nur unter Würdigung der Anordnungsvoraussetzungen umfassend beurteilt werden kann, die aber dem (primär ersatzpflichtigen) Vollstreckungsstaat gerade vorenthalten ist (Art. 14 II RiLi-EEA allgemein, ausdrücklich in Art. 19 I Rb-EBA, wonach Art. 18 II „unbeschadet“ bleibe). Womöglich müsste der Betroffene dann im Anordnungsstaat eine Feststellungsklage erheben und mit dem entsprechenden Urteil als Rechtstatsache im Vollstreckungsstaat Schadensersatz einklagen. Gleichwie: Trotz dieses inzidenten (als mechanische und simplifizierende Fortsetzung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung auf prozessualer Ebene erklär- aber nicht legitimierbaren) Rückfalls in eine Segmentierung der Rechtswege zwischen „sachlichen Gründen“ und „Vollstreckung als solcher“ bestätigt die Regelung insgesamt den Gedanken der hoheitlichen Gesamtschuld (gerade in dem Bereich, wo „Schuld“ ganz im zivilrechtlichen Wortsinn gemeint ist). Deren verfahrenstechnische Realisierung kann, weil und soweit das EU-Recht die Prüfungskompetenzen der Staaten beschränkt, nur auf europäischer Ebene geregelt werden, wenn nötig durch kompensatorische Rechte bzw. Institutionalisierung der Verteidigung.244
243 Zur Notwendigkeit einer solchen Regelung für eine wirksame Gesamtverantwortung S. 103 ff., 112 f., insb. S. 104 f. zu faktischen Lücken, die in der Rechtshilfe zwischen den Staaten entstehen können. 244 Dazu S. 185 ff.; zur Verantwortlichkeit des europäischen Gesetzgebers S. 82 ff., 241, S. 294.
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(3) Informationsaustausch Deutliche Parallelen zur gegenseitigen Anerkennung weist der für den Informationstausch entwickelte sog. Grundsatz der Verfügbarkeit auf,245 wonach Daten, die den Behörden eines Mitgliedstaats zur Verfügung stehen, auch den vergleichbaren Behörden anderer Mitgliedstaaten und der EU zugänglich sein sollen. Er ist hier nur am Rande zu behandeln, weil es sich streng genommen nicht um eine Emanation des Prinzips gegenseitiger Anerkennung handelt, wonach die Behörden eines Mitgliedstaats diejenigen eines anderen zur Vollstreckung einer Entscheidung verpflichten könnten; sie ist aber seine Verlängerung in dem Sinne, dass die Behörden eines anderen Mitgliedstaats den nationalen bei der Weitergabe von Informationen gleichgestellt, also als gleichrangig anerkannt werden. Während der bestehende Rahmenbeschluss über den Informationsaustausch246 die Verwendung als Beweismittel „vor einer Justizbehörde“ ausschließt, was nicht nur die Beweisverwertung, sondern auch die Verwendung zur Anordnung prozessualer Maßnahmen umfassen soll,247 geht die Tendenz zu einem „umfassenden Modell für den Informationsaustausch“.248 Auf der Ebene der (einfach-gesetzlichen) Schranken des Prozessrechts betrifft die Problematik des reinen Informationsaustauschs, wie oben ausgeführt (S. 134 f.), nur die innerprozessuale Seite und namentlich die Verwertbarkeit der Information im Verfahren. Das ist Sache des verfahrensführenden Staates und von ihm nach seinen Maßstäben zu beurteilen,249 die aber konsequenterweise nicht anders gehandhabt werden dürfen, bloß weil die Information ausländischen Ursprungs ist. Der ausländische Ursprung wirkt sich nur – aber immerhin – dahingehend aus, dass die Kriterien der etwa für eine Inkorporation nach § 477 II 2 StPO relevanten Rechtmäßigkeit der Informationsbeschaffung dem Recht des ausländischen Staates zu entnehmen sind (freilich nur im ersten Schritt, wobei der zweite nach § 477 II 2 in der Frage besteht, ob die Erkenntnisse innerstaatlich hätten gewonnen werden dürfen).250 Spezifisch transnationale Probleme stellen sich insofern hauptsächlich in Gestalt einer faktischen Verschiebung des Prozessgleichgewichts, gerade wenn die Verfügbarkeit eine einseitige Prärogative der (Verfolgungs-)Behörden ist – ein grenzüberschreitender Auskunftsanspruch der Verteidigung wäre anzudenken – und wenn 245 Dazu und zur Verwandtschaft mit dem Anerkennungsgrundsatz Esser, in: EnzEuR, Bd. 9, § 19 Rn. 46 ff.; Satzger, Interationales und Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 75 ff.; ausf. Pörschke, Grundsatz der Verfügbarkeit, S. 66 ff., 166 ff. u. passim; Böse, Verfügbarkeit, 2007. 246 Rahmenbeschluss 2006/960/JI vom 18. 12. 2006 (ABl. L 386/89 v. 29. 12. 2006), dazu Esser (Fn. 245) sowie Gleß/Trautmann, in: S/L/G/H, Hauptteil III B 3 d Rn. 1 ff. m.w.N. 247 Gleß/Trautmann (Fn. 246) Rn. 14. 248 So der Entwurf der spanischen Ratspräsidentschaft 2010 für ein „europäisches Sicherheitsmodell“ (Ratsdokument 7120/10), S. 13. 249 Vorbehaltlich des ordre public des ersuchten Staates, wie er gerade in Deutschland in Gestalt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (BVerfGE 65, 1) stark ausgeprägt ist. 250 Dazu S. 171 ff.
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die Rechtmäßigkeit der Informationsgewinnung (wie nach Ansicht des BGH) im verfahrensführenden Staat nur eingeschränkt geprüft werden soll – dann muss kompensatorisch eine wirksame Überprüfungsmöglichkeit in dem Staat eingeräumt werden, der die Information zur Verfügung stellt (dazu S. 184 ff.). ee) Exkurs: Das „teileuropäische“ Doppelverfolgungsverbot und seine Grenzen Die Anwendung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung auf den Strafklageverbrauch kann, wie gezeigt wurde, keine kompensatorische Wirkung für anderweitige Rechtsverluste entfalten (S. 239 f.); umgekehrt wird auch kritisiert, dass dieses „teileuropäische“ Doppelverfolgungsverbot nach dem Muster gegenseitiger Anerkennung – spiegelbildlich zur illiberalen Wirkung bei einzelnen Eingriffen – zu weit in die andere, dem Beschuldigten günstige Richtung gehe. Diese Frage nach der Reichweite des transnationalen ne bis in idem kann hier nur andeutungsweise behandelt werden und betrifft streng genommen nicht mehr das hier in den Blick genommene transnationale Verfahren selbst, sondern die (Folge-)Frage der grenzüberschreitenden strafklageverbrauchenden Wirkung eines einmal ergangenen Urteils.251 Dieses Urteil als abschließende „Gerinnung“ des innerprozessualen Raums im verfahrensführenden Staat von außen zu überprüfen oder den Schranken der Rechtshilfe zu unterwerfen, besteht aus der hier eingenommenen Perspektive kaum Anlass. Dementsprechend sind einzig die äußersten Grenzen in Gestalt des ordre public relevant, solange es nicht darum geht, das Urteil wiederum zum Anlass von Eingriffen im ersuchten Staat zu nehmen.252 Jedenfalls bei vollends „automatischer“ Anerkennung einer ausländischen verfahrensbeendenden Entscheidung aber könnten inakzeptable Ergebnisse nicht ausgeschlossen werden, beispielsweise, wenn die Entscheidung, möglicherweise sogar aufgrund von Korruption,253 den Charakter eines „Freikaufs“ hat oder wenn sie umgekehrt in Abwesenheit eines unverteidigten Beschuldigten ergangen ist.254 Auch wenn der innerprozessuale Raum grundsätzlich die Prärogative des verfahrensführenden Staates ist (S. 169 ff.) und ein anderer Staat nicht berufen, dessen Wahrheits251
Bzw., für weitere Verfahren, die Vorfrage nach einem Verfahrenshindernis; zur (im Lichte der Rechtspflegetheorie richtigerweise zu bejahenden) Frage nach der Sperrwirkung auch für die Leistung von Rechtshilfe S. 166. 252 Dazu, namentlich zur Vollstreckungsübernahme, s. o. S. 193 ff., zur Auslieferung(shaft) S. 197 ff.; zum Vorschlag, die prozessunabhängigen Schranken als wesentliche Grenzen aller hoheitlichen Eingriffe bereits zum ordre public zu zählen, S. 209 f. 253 Die auch innerhalb der EU nicht nicht ausgeschlossen werden kann (dazu den jüngsten Antikorruptionsbericht der Kommission, KOM [2014] 38 endg.) und zumindest abstrakt die Möglichkeit der Wiederaufnahme eröffnen muss (s. etwa § 362 Nr. 3 StPO), die aber beim transnationalen ne bis in idem ausgeschlossen bzw. dem Urteilsstaat vorbehalten ist (dazu S. 264 f.). Einen umgekehrten, permissiven Exzess des Anerkennungsprinzips beim Doppelbestrafungsverbot diagnostiziert Schünemann, ZStW 116 (2004), 376, 383. 254 Die auch nach dem Rb-Abwesenheitsurteile, Art. 5, in bestimmten Fällen einem Vollstreckungsgesuch entgegen gehalten werden kann, ergänzend S. 283.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
und Urteilsfindung zu überprüfen, so müssen doch, weil und soweit es nunmehr darum geht, der Entscheidung in einem anderen Staat Wirkung zu verleihen, dessen grundlegende Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit gewahrt sein.255 Auch die allgemein anzunehmende Rechtsstaatlichkeit der Verfahren in EU-Mitgliedstaaten ist keine Gewähr in jedem Einzelfall;256 selbst innerstaatlich dokumentieren Wiederaufnahmemöglichkeiten wie in §§ 359 ff. StPO die Notwendigkeit, die einmal eingetretene Rechtskraft unter bestimmten Umständen durchbrechen zu können.257 Im Detail wird der Streit um die Reichweite des Doppelbestrafungsverbots in der EU weniger an diesen äußersten Grenzen als anhand der Frage geführt, ob es voraussetzt, dass (im Fall der Verurteilung) die fremde Strafe vollstreckt ist.258 Aus der (maßgeblichen) Perspektive der Strafrechtspflege ist der „vollwertige“ Strafklageverbrauch nicht erklärbar ohne das Korrelat einer ebenso „vollwertigen“ ersten Entscheidung, zu der im Fall der Verurteilung auch deren Vollstreckung oder zumindest die Möglichkeit, die bereits verhängte Strafe zu vollstrecken gehört, es sei denn, ihr steht ein sachlich fundiertes Hindernis (etwa eine Amnestie) entgegen.259 Deshalb kann auch – und gerade – unter der Prämisse der gegenseitigen Anerkennung, einem fremden Strafurteil dieselbe Wirkung wie einem eigenen – nicht: eine weitergehende – zu verleihen, das Verbot der erneuten Verfolgung bzw. Bestrafung richtigerweise nur an solche Urteile anknüpfen, die – eben wie innerstaatlich ergangene Urteile – vollstreckt werden können (bzw. es bereits sind oder aus sachlichen, nicht bloß der transnationalen Dimension entspringenden Gründen nicht können); daraus erklärt sich das Vollstreckungselement des Art. 54 SDÜ.260 Soweit also ein Staat ein ausländisches Urteil (nicht aus in der Rechtsordnung des Urteilsstaats angelegten Gründen, sondern wegen der Grenzen der Rechtshilfe) nicht vollstrecken (und auch nicht zur Vollstreckung ausliefern) kann, kann er an der Strafverfolgung nicht gehindert sein; mit der Fortentwicklung der gegenseitigen Anerkennung von Urteilen ist spiegelbildlich ein Rückgang des Vollstreckungs255 Zu den prozessunabhängigen Aspekten S. 126 ff., zu den äußersten Grenzen der Anerkennungsfähigkeit S. 178 ff.; zu den prozessualen Aspekten der Darlegungs- und Beweislast S. 182 f., 185 ff. 256 So in anderem Zusammenhang, aber auch hier zutreffend, Vogel, JZ 2001, 937, 940 f. 257 Dazu im Zusammenhang der Vollstreckungsübernahme S. 264 f. 258 Oder nicht mehr vollstreckt werden kann; Art. 54 SDÜ sieht ein solches „Vollstreckungselement“ vor, Art. 50 der Grundrechtecharta nicht. 259 Das ist innerhalb einer Rechtsordnung im Grunde selbstverständlich; diesen Gesamtzusammenhang der gewachsenen nationalen Strafrechtsordnungen zum Ausgangspunkt zu nehmen, bedeutet kein Festhalten an staatsbezogenem Denken, sondern eine entschiedene Radizierung der Überlegungen in den Systemen, in denen die Strafrechtspflege eine umfassende und vernunftschlüssige Regelung erfahren hat (zur Notwendigkeit der Entfaltung im einfachen Recht S. 98 ff.). 260 Die Bedeutung des Vollstreckungselements zur Vermeidung von Impunität hat unlängst auch der EuGH in seinem Urteil vom 27. 5. 2014 angeführt, in dem er dieses Element des 54 SDÜ für mit Art. 50 der Grundrechtecharta vereinbar erklärt hat; zum Streitstand bis dahin s. N. Nestler, HRRS 2013, 337 ff.
III. Konkrete Ausgestaltung
283
elements vorgezeichnet.261 Ob diese Entwicklung zu begrüßen ist, ist eine andere Frage – im Lichte der Grund- und Menschenrechte in ihrer prozessualen Entfaltung ist jedenfalls nach der hier vertretenen Ansicht die weitestmögliche Anerkennung gerade kein erstrebenswertes Ziel (dazu S. 127 ff., S. 242 ff. und passim). Das „Vollstreckungselement“ erscheint daher insofern (schon zur Vermeidung ungebührlicher Impunität) auf absehbare Zeit unverzichtbar, als einer Vollstreckung im betreffenden Staat ein Hindernis entgegen steht (etwa weil das Urteil aus seiner Sicht inakzeptabel in Abwesenheit zustande gekommen ist).262 Die Gegenposition, wonach ein solcher Konflikt zwischen (rechtlich) unmöglicher Vollstreckung und unzulässigem (zweiten) Verfahren im Lichte des Anerkennungsprinzips nur durch „Nachbesserung“ im Staat der ersten (rechtsfehlerhaften) Verurteilung aufzulösen sei,263 führt jedenfalls in dem (alles andere als fernliegenden) Fall nicht weiter, dass eben dieser Staat gar keine Veranlassung zur Korrektur der seiner Rechtsordnung gemäß ergangenen Entscheidung sieht. Indem gleichwohl dem Staat der ersten Verurteilung schon allein deswegen die bestimmende Rolle zugeteilt wird, weil er (als erster) entschieden hat, und dadurch eo ipso Wirkungen für die Strafrechtspflege eines anderen Staates gezeitigt werden, wird die dem (hier: zweiten und ex praemissione auch mit einem eigenen – oder im Falle der Rechtshilfe: übertragenen, S. 39 f. – Strafanspruch „ausgestattete“) Staat grundsätzlich im eigenen Hoheitsbereich zustehende Herrschaft über das prozessunabhängige Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs (S. 166) beeinträchtigt. Mit einer solchen bedingungslosen Übernahme der Wirkung einer ausländischen Entscheidung im Inland käme das Prinzip gegenseitiger Anerkennung quasi in Reinform zum Tragen,264 was aber in dieser Allgemeinheit nur gerechtfertigt wäre, wenn ihm ein Eigenwert zukäme; gerade das ist wegen seiner instrumentellen Natur aber nicht der Fall (näher S. 242 ff.). Aus der strafprozessualen Perspektive erscheint demgegenüber die erneute Durchführung eines Verfahrens, wenn sie – ggf. auch zuungunsten des Beschuldigten – nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist (arg. §§ 359, 362 StPO), als Chance für ein fehlerfreies Verfahren tendenziell vorzugswürdig gegenüber der Vollstreckung eines schwer bemakelten Urteils einer- und der Blockade der Strafrechtspflege andererseits. Wenn und soweit dagegen zwischen den Rechtsordnungen ein hinreichender Grad an Übereinstimmung und Koordination besteht – wenn also beispielsweise die Ächtung von Abwesenheitsurteilen geteilt wird und deshalb solche nicht im Raum 261
Zutr. N. Nestler (Fn. 260), die ähnlich wie der EuGH das Vollstreckungselement als (vorübergehende) „Notlösung“ angesichts der „Lücken im System der Anerkennungsinstrumente“ (ibid., S. 344) begreift (zur sachlichen Fundiertheit solcher „Lücken“ s. im Text). 262 EuGH (Große Kammer) 27. 5. 2014 – C-129/14 PPU – Zoran Spasic – NJW 2014, 3007; krit. F. Meyer, HRRS 2014, 269; Gaede, NJW 2014, 2990; zuvor bereits LG Aachen, StV 2012, 237; zust. Burchard/Brodowski, StraFo 2010, 179, 180 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 57 ff. 263 Böse, in: Ambos (Hrsg.): Europäisches Strafrecht post-Lissabon, 2011, S. 45, 60 ff., 62. 264 Angedeutet bei Böse (Fn. 263), S. 62 f., der die Verankerung im Primärrecht betont.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
stehen (bleiben) –, lösen sich das Problem der Anerkennungsfähigkeit und das Folgeproblem des Vollstreckungselements von selbst: Das erste Urteil kann dann entweder in einem anderen Staat vollstreckt werden oder wird als fehlerhaftes im (ersten) Urteilsstaat korrigiert bzw. aufgehoben. Dieser Weg erscheint vorzugswürdig gegenüber der kontrafaktischen Erzwingung bedingungsloser gegenseitiger Anerkennung.265 2. Ausblick: Die europäische Staatsanwaltschaft Nach einem noch in der Diskussion befindlichen und deshalb nur in einigen wesentlichen Punkten zu würdigenden Verordnungsvorschlag der Kommission266 (nachfolgend VO-EStA) soll das Prinzip gegenseitiger Anerkennung der Sache nach auf eine zu gründende europäische Staatsanwaltschaft (EStA) ausgeweitet werden. Art. 26 I VO-EStA räumt der EStA umfassende Befugnisse zur Anordnung einzelner Ermittlungsmaßnahmen ein (Buchstaben a-u). Die Beweiserhebung soll sich dabei – anders als in der Tendenz der Instrumente über die europäische Beweisbzw. Ermittlungsanordnung (S. 271 ff.) – nach dem Recht des Staates richten, in dem sie zu erheben sind (Art. 26 II VO-EStA). Im Lichte der hier entwickelten differenzierenden Lösung bedeutet das einen Rückschritt hinter die (in den genannten Instrumenten vorfindliche) Einsicht, dass wesentliche Aspekte der Beweiserhebung (namentlich: innerprozessuale Schranken) nach der Struktur des Prozesses derjenigen Rechtsordnung zu entnehmen sind, die ebendiese Beweise im weiteren Verfahren zu verarbeiten hat (S. 169 ff.). Für all jene Beweise, die ortsunabhängig gewonnen werden können (insbesondere Telekommunikationsinhalte) besteht damit außerdem das Risiko des forum shopping in Gestalt der gezielten Auswahl des Erhebungsstaats, der niedrige Eingriffsschwellen „anbietet“.267 Auch im Detail kann die Regelung über die Anordnungsvoraussetzungen nicht überzeugen: Art. 26 IV, V VO-EStA behandeln für die Maßnahmen des Art. 26 I Genehmigungserfordernisse teils durch die „zuständige Justizbehörde“268, teils durch den Richter, ohne dass die Trennlinie einer erkennbaren zwingenden Logik folgte.269 Unklar ist auch das Ver265 Ähnlich Hassemer, ZStW 116 (2004), 324, 317 f.: Maßnahmen der strikten gegenseitigen Anerkennung „zäumen das Pferd vom Schwanze auf“. Im Übrigen bliebe das Anerkennungssystem letztlich doch defizitär, weil die Unvollstreckbarkeit des ersten Urteils – die das Problem eines erneuten Verfahrens erst virulent werden lässt – gerade eine Anerkennungshürde dokumentiert. 266 COM (2013) 534 endgültig, eingehend zuletzt Brodowski, ZIS 2015, 79, 83 ff. m.w.N.; Grünewald, HRRS 2013, 508 ff.; Zerbes, ZIS 2015, 145 ff.; Asp (Hrsg.), EPPO. 267 European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 423 f. 268 Im Vorschlag nicht legaldefiniert, schließt dieser Begriff im üblichen Sprachgebrauch der europäischen Rechtsakte auch Staatsanwaltschaft und ggf. Polizei ein, s. (krit.) Burchard, in: EnzEuR, Bd. 9, § 14 Rn. 27 ff. 269 So sollen die Wohnungsdurchsuchung (Buchstabe a), Echtzeitu¨ berwachung des Telekommunikationsverkehrs (f) und verdeckte Ermittlungen nur dem Vorbehalt der Genehmigung durch eine Justizbehörde, der „Zutritt zu Gebäuden und [die] Entnahme von Warenproben“ (n),
III. Konkrete Ausgestaltung
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hältnis zu Art. 26 VI VO-EStA, wonach die „Genehmigung“ nur erteilt wird, wenn auch die „Voraussetzungen des einzelstaatlichen Rechts“ erfüllt sind: Sollen damit auch Richtervorbehalte gemeint sein, oder soll insofern die Regelung der Abs. 4, 5 abschließend und speziell sein? In der Logik der gegenseitigen Anerkennung nach dem Verständnis auch des EuGH liegt letztere Deutung; in diesem Fall würden auch die prozessunabhängigen Schranken des erhebenden Staates, zu denen richtigerweise Richtervorbehalte zählen (S. 168), und damit dessen Freiheitsgarantien untergraben. Der Abschnitt zur Zulässigkeit von Beweismitteln fällt mit einem einzigen, zwei Absätze umfassenden Artikel angesichts der durch die Beweisgewinnung de lege loci aufgeworfenen Probleme (dazu S. 87 ff., 175 ff.) denkbar knapp aus. Die von der europäischen Staatsanwaltschaft beigebrachten Beweismittel sollen, gleich, nach welcher Rechtsordnung sie gewonnen sind, grundsätzlich zulässig sein (Art. 30 I),270 außer das Prozessgericht ist der Auffassung, dass die Fairness des Verfahrens oder die Verteidigungsrechte der Art. 47, 48 Grundrechtecharta verletzt würden; einzig die Beweiswürdigung soll nach Abs. 2 den nationalen Gerichten überlassen bleiben. Es handelt sich materiell um eine (perspektivisch aufschlussreiche) Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Beweismittel, dem zufolge die Gerichte prinzipiell zur (Anerkennung und) Verwertung des andernorts erhobenen Materials verpflichtet sind, wenn nicht die genannten äußersten Grenzen tangiert sind.271 Die Schutzwirkung der nach der inneren Struktur des Verfahrens eigentlich anzuwendenden innerprozessualen Schranken des verfahrensführenden Staates (S. 169 ff.) wird damit, im Verbund mit der Erhebung de lege loci, im Wesentlichen ausgehebelt. Auch die Einhaltung der lex loci wiederum ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung272 und es ist auch kaum vorstellbar, wie das Prozessgericht die (Fremd-)Rechtmäßigkeit einer fremden Maßnahme prüfen soll,273 so dass nahezu „gesetzlose“, d. h. nach keiner der beteiligten Rechtsordnungen rechtmäßig erhobene Beweismittel zur (verpflichtenden!) Verwertung kommen können. Indem die vor dem Prozessgericht verbleibenden Schranken – Fairness sowie Art. 47, 48 Grundrechtecharta – auch hochgradig unbestimmt sind (zum Problem S. 98 ff.), läuft die Regelung insgesamt auf eine ungebundene und auf Minimalstandards beschränkte ¨ berwachung des Verda¨ chtigen und Dritter an o¨ ffentlichen Orten“ (r) und Verneh„gezielte U mungen (t) dagegen (sofern innerstaatlich vorgeschrieben) einem Richtervorbehalt unterliegen. 270 Der Entwurf statuiert in Erwägungsgrund 32, es solle „die Vermutung gelten, dass [die beigebrachten Beweismittel] die einschlägigen Anforderungen an Beweismittel nach dem innerstaatlichen Recht des Mitgliedstaats, in dem das Prozessgericht seinen Sitz hat, erfüllen“. 271 Krit. dazu auch European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 421 f.; Zerbes, ZIS 2015, 145, 149 f. Gegen einen Eingriff in die nationalen Vorschriften zur Verwertbarkeit überhaupt Allegrezza, ZIS 2010, 569, 578; Spencer, ZIS 2010, 602, 604 f. 272 Was per se innerprozessual auch adäquat ist, aber eben nur im Verbund mit der Einhaltung der lex fori, s. o. S. 169 ff., 188 ff. 273 Zum eingeschränkten Prüfungsumfang zuletzt BGHSt 58, 32, 42 ff., 45 u. dazu S. 176 f.; dazu, dass eine Inanspruchnahme der Gerichte des erhebenden Staats durch die Verteidigung erforderlich zur Klärung der Verwertbarkeit sein kann, S. 185.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
Abwägungslösung und damit eine zusätzliche Aufweichung förmlicher Verfahrensgarantien hinaus.274 Art. 29 VO-EStA enthält eine Regelung zum „Vergleich“, wonach die EStA gegen Schadensersatz und Zahlung einer pauschalen „Geldstrafe“275 an die Union das Verfahren endgültig einstellt. Diese Einstellung soll nach Abs. 4 ausdrücklich nicht der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Eine solche Regelung, die der Staatsanwaltschaft die verbindliche Letztentscheidung über den Gang der Strafrechtspflege überträgt, steht sowohl zum Gewaltenteilungsprinzip als auch zum Legalitätsprinzip in einem Spannungsverhältnis.276 Sie führt ferner zu einer Privilegierung des vermögenden Beschuldigten, der den Schaden sogleich ersetzen kann, und birgt schließlich die (Folge-)Gefahr eines „Freikaufs“ von Strafe, indem sie über das Doppelbestrafungsverbot jede weitere, womöglich rechtlich angezeigte, Verfolgung sperrt (dazu S. 281 f.). Aus der Perspektive des europäischen Staatsanwalts besteht ein nicht zu leugnender Anreiz zu solchen „Vergleichen“, indem nicht nur der Schaden ersetzt, sondern auch die „pauschale Geldstrafe“ an die Union zu zahlen ist. Auch bei der Wahl des Gerichtsorts räumt Art. 27 IV VO-EStA dem europäischen Staatsanwalt ein Ermessen ein, das mit dem Gebot der Rechtssicherheit kaum zu vereinbaren ist.277 Art. 32 V VO-EStA statuiert schließlich, dass „Verdächtige und Beschuldigte sowie andere an Verfahren der Europäischen Staatsanwaltschaft Beteiligte alle Verfahrensrechte [haben], die ihnen das geltende einzelstaatliche Recht zuerkennt.“ Wie diese Meistbegünstigungsklausel sich zu den umfassenden Befugnissen der EStA im Ermittlungsverfahren und der Regelung zur Zulässigkeit von Beweismitteln (s. o.) verhält, ist unklar; sie kann jedenfalls nicht im direkten Widerspruch zur lexloci-Regel und zur Zulässigkeitsbestimmung des Art. 30 VO-EStA bedeuten, dass 274 Insofern krit. auch Gless, ZStW 125 (2013), 573, 590 f. sowie Helenius, in: Asp (Hrsg.): EPPO, S. 178, 192 ff.; Zerbes, ibid., S. 210, 226 ff., 231 ff., die auch hervorheben, dass die Anwendung eines lex-fori-Prinzips sich hier insofern schwierig gestaltet, als ein Forum-Staat bei Aufnahme der Ermittlungen des europäischen Staatsanwalts nach dem Vorschlag noch gar nicht bestimmt sein muss. Wieder anders und für autonome Regeln für die EStA Ligeti/Simonato, NJECL 4 (2013), 7, 19 ff.; Vorschlag unter der Federführung Ligetis abrufbar unter http://www.eppo-project.eu. 275 Gemeint ist wohl nicht eine Strafe i. e.S.,; im französischen Entwurf wird das Wort „amende“ gebraucht, das Geldbußen und auch Verwarnungsgelder meinen kann, im englischen ist die Rede von „fine“, was ebenfalls Geldbußen und sogar Ordnungsgelder bezeichnen kann. 276 Das Legalitätsprinzip in Deutschland (§ 152 II StPO) kennt zwar Ausnahmen in Gestalt der §§ 153 ff., aber nur für geringe und mittlere Kriminalität und teilweise nur mit Zustimmung des Gerichts; zum Ganzen Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 14. Krit. Zur Vergleichsregelung der VO-EStA auch Grünewald, HRRS 2013, 508, 511 m. Fn. 28, die v. a. den fehlenden Rechtsschutz bemängelt. 277 Ähnliche Kritik von EU-Parlament und Rat, Nachw. bei Brodowski, ZIS 2015, 79, 84. Siehe ferner S. 180 zur Notwendigkeit bestimmter Zuständigkeitsregeln; die unbestimmte örtliche Zuständigkeit, wie sie in der deutschen StPO der Staatsanwaltschaft weitgehendes Ermessen einräumt, hält SK-Weßlau, Rn. 8 f. vor §§ 7 – 21 mit beachtlichen Gründen für verfassungswidrig.
IV. Evaluierende Gesamtbetrachtung
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die Verwertbarkeit von Beweisen sich nach der Rechtsordnung des Prozessgerichts richte. Damit muss festgehalten werden, dass die Vorschrift zumindest für die innerprozessualen Schranken, die wesentlich zur Konstituierung eines fairen Verfahrens beitragen (S. 87 ff., 169 ff.), und damit für dessen spezifische Probleme vollkommen blind ist. Die Institution der Verteidigung ist in dem Entwurf nicht geregelt und findet damit auch gegenüber dem institutionell ermächtigten europäischen Staatsanwalt keine stärkere Ausprägung als nach der allgemeinen RiLi-Rechtsbeistand (zu deren Unzulänglichkeiten S. 252 f., 269 ff., 277).
IV. Evaluierende Gesamtbetrachtung Wenngleich das sog. Prinzip gegenseiteiger Anerkennung in der europäischen Strafrechtspflege nicht einheitlich ist, sondern in verschiedenen Rechtsakten differenziert ausgestaltet,278 so haben sich doch gemeinsame Merkmale gezeigt, die im Folgenden noch einmal zusammenfassend und kritisch betrachtet werden sollen. 1. Eignung zur Ordnung eines europäischen arbeitsteiligen Strafverfahrens? Wie gezeigt wurde, bietet die Europäisierung der Strafrechtspflege durchaus Entwicklungschancen, und zwar namentlich in der Verrechtlichung und Justizialisierung der Rechtshilfe, die in der Perspektive eines international-arbeitsteiligen Strafverfahrens wichtige Fortschritte markieren.279 Zugleich eröffnet der institutionelle Rahmen der EU Möglichkeiten, wo die unmittelbaren Verhandlungen zwischen souveränen Staaten an Grenzen stößt: Nach ihrem Konstruktionsprinzip sind die „Gesetzgebungsorgane“ supranational organisiert und sollen die nationalen Interessen transzendieren. Auch wenn das ein Idealbild ist, sind die Voraussetzungen für eine (angezeigte) umfassende und kohärente Meta-Kodifikation des transnationalen Strafverfahrens (dazu S. 214 ff., 252 u. passim), zumal nach der Einführung des Mehrheitsvotums auch im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit (Art. 81 ff. AEUV), deutlich günstiger als zuvor. Ein – wohlverstandes, s. o. S. 241 – Prinzip gegenseitiger Anerkennung kann in diesem System eine entscheidende Rolle spielen, zwar nicht als Mittel der bloßen Effektivierung grenzüberschreitender Strafverfolgung – deren Vollzugsdefizit im Übrigen kaum empirisch nachgewiesen wurde –, aber als deren Rationalisierung in einem einheitlichen Rechtsrahmen. 278
Was grundsätzlich sachgerecht ist – S. 247 f.; zur Ausgestaltung im Einzelnen S. 253 ff. Zu diesem adäquaten Modell der Rechtshilfe S. 113 ff.; s. ferner bereits Roger, GA 2010, 27 f. 279
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
2. Bisherige Umsetzung des Anerkennungsprinzips und ihre strukturellen Defizite Dass dieses Versprechen bereits eingelöst wäre, erscheint bei zusammenfassender Betrachtung der bisher ergangenen Rechtsakte fraglich. a) Bleibt das Prinzip gegenseitiger Anerkennung (binnensystematisch) auf halber Strecke stehen? Die Trennung von Anordnung und Vollstreckung Aus den im Teil A. skizzierten Anforderungen lässt sich ein legitimer Gegenstand gegenseitiger Anerkennung ableiten, nämlich die Rechtsordnung des jeweils anderen Staates, soweit sie sachlich zur Anwendung berufen ist. Das ist einerseits diejenige des verfahrensführenden (ersuchenden) Staates mit ihren innerprozessualen Schranken (insb. etwa schützenden Formen bei der Beweiserhebung, S. 169 ff.), was deren konsequente Einhaltung fordert und nicht eine schlichte Vollstreckung isolierter ausländischer Entscheidungen nach dem Recht des Vollstreckungsstaates. Andererseits kann man von einer grundsätzlichen Anerkennung der prozessunabhängigen Schranken des ersuchten Staates durch den ersuchenden sprechen, wenn diese Schranken sachgerecht gewahrt werden, d. h. einschließlich der untrennbar damit verbundenen Anordnungsvoraussetzungen.280 Zu diesen gehören sowohl der jeweilige Verdachtsgrad und die materielle Strafbarkeit der Tat im Vollstreckungsstaat als auch die Dignität der anordnenden Stelle, also ein etwaiger Richtervorbehalt.281 Ein solches differenziertes Schrankenregime könnte eine legitime, wahrhaft „gegenseitige“ und nicht nur abwechselnd unidirektionale Anerkennung fremder Strafrechtsordnungen abbilden (S. 240 ff., 241). Die reale Umsetzung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung kann den so formulierten Ansprüchen nicht vollends genügen; sie bleibt in der alten Trennung zwischen Anordnung und „Vollstreckung als solcher“ verhaftet und hemmt damit die Geltung der Schranken, die aus prozessualer Perspektive zur Anwendung berufen wären (S. 253 ff.). Einen partiellen Fortschritt bedeutet die in einzelnen Instrumenten vorgesehene (Fort-)Geltung der sachgerechten Schranken, einerseits prozessunabhängiger in Gestalt von sog. Ablehnungsgründen,282 andererseits innerprozessualer nach dem lex-foriPrinzip (Einhaltung von „Formvorschriften und Verfahren“ des Anordnungsstaats bei der Beweiserhebung)283. Diese – und mit ihnen die begrüßenswerte Verrechtlichung –
280
Dazu allg. S. 124 ff., 141 f.; für den Rechtsraum der EU S. 254 f., 260 f. Zum Tatverdacht S. 144 ff., 260 f.; zur beiderseitigen Strafbarkeit S. 154 ff., 256 ff.; zum Richtervorbehalt S. 168 f., 253 f. 282 S. 254 f. u. passim; ferner etwa bei den Haftgründen, S. 266 f. 283 S. 275 ff. 281
IV. Evaluierende Gesamtbetrachtung
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werden aber zum größten Teil durch fakultative Ausgestaltung abgeschwächt,284 während die sachgerechte Abkehr von politischen Ermessensentscheidungen zugunsten gerichtlicher Verfahren nicht mit letzter Konsequenz erfolgt ist.285 Auch die vereinzelte und deshalb nicht als kompensatorische „Gegenleistung“ geeignete „Meistbegünstigung“ überwindet nicht die problematische Trennung von Eingriffsanordnung und -vollstreckung und ist eher ein Zeichen dogmatischer Inkonsequenz, soweit sie ohne sachliche Notwendigkeit alle und damit auch die innerprozessualen Kautelen des Vollstreckungsstaats gelten lässt.286 b) Bleibt das Prinzip gegenseitiger Anerkennung (individualrechtlich) auf halber Strecke stehen? Was die Rechtsstellung des Individuums angeht, so ist ihr in den bisher ergangenen Konkretisierungen des Anerkennungsprinzips noch nicht die Bedeutung verliehen worden, die ihr als archimedischem Punkt der Strafrechtspflege gebührt.287 aa) Die Verkürzung auf einzelne Eingriffe Insbesondere hat sich gezeigt, dass das Prinzip gegenseitiger Anerkennung gegenwärtig auf die Erleichterung einzelner grenzüberschreitender Eingriffe der Strafverfolgungsbehörden fokussiert ist, ohne in einem vergleichbaren Maße zugunsten des Beschuldigten zu wirken.288 Demgegenüber müsste es sich, wohlverstanden, auf das Verfahren in seiner Gesamtheit beziehen und die Anerkennung der sachlich angezeigten Regeln des einen oder anderen Staates befördern (s. o. S. 240 f.) – d. h. insbesondere der jeweils darin verbürgten Freiheitsgarantien des Bürgers. Konsequenterweise müsste es sich auch auf die für das Individuum günstigen Folgen erstrecken, die für einen der beteiligten Staaten im Einzelfall unerwünscht sind: Wird das Prinzip gegenseitiger Anerkennung umfassend ernst genommen, könnte etwa Fluchtgefahr nicht darauf gestützt werden, dass man eines Beschuldigten nur deshalb nicht mittels Europäischen Haftbefehls – der mitsamt seiner Schranken zwischen den Staaten konsentiert ist – habhaft werden kann, weil in dessen Heimatstaat Auslieferungshindernisse
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S. 254 f., 275. Man betrachte nur das fortbestehende und durch die Verschränkung mit der Zulässigkeitsprüfung sogar verkomplizierte Bewilligungsverfahren in Deutschland, S. 261, allg. und zur Kritik S. 114 ff. 286 Dazu S. 273, 277, 286. Allgemein zur kompensatorischen Nichteignung vereinzelter günstiger Effekte S. 233 ff., 239 ff.; speziell zur Ermittlungsanordnung S. 273 f. 287 Dazu allg. S. 72 ff. 288 Im Einzelnen S. 262 ff. u. passim; Kritik bei S/L/G/H, Einl. Rn. 210: „Auch der Beschuldigte muss als solcher ,wechselseitig‘ anerkannt werden“. 285
290
B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
bestehen,289 und müsste (in Anerkennung der prozessunabhängigen Schranken des Vollstreckungsstaats) das Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit gerade dann einer Auslieferung entgegenstehen, wenn die spätere Sanktion im ersuchten Staat zugefügt werden soll – andernfalls würde der Staat, der ausliefert und später vollstreckt, sich gerieren wie Pontius Pilatus.290 Ein weiterer entscheidender Aspekt eines einheitlichen transnationalen Verfahrens, das dem betroffenen Individuum gegenüber legitim ist, besteht in der gesamtschuldnerischen Verantwortung der Staaten nach außen hin.291 Bei entsprechender Regelung im zwischenstaatlichen Innenverhältnis292 könnte so eine Arbeitsteilung entstehen, in der Staaten sich die Verantwortlichkeit sachgerecht teilen und dabei grundsätzlich die Prärogativen (und die Souveränität) des jeweils anderen achten, ohne dass dies auf Kosten der Individualrechte ginge.293 Die automatische Übernahme fremder Entscheidungen nach dem gegenwärtigen umfassenden, aber zerstückelten „Prinzip gegenseitiger Anerkennung“ bietet hierfür keine Gewähr. Sie bedeutet im Übrigen, obwohl sie vorgibt, Souveränitätsfragen zu überwinden, letztlich auch nur eine Verneigung vor der Souveränität – aber nunmehr derjenigen des „Anordnungsstaats“ – und ist in dem Sinne reaktionär, dass sie – staatsfixiert – eine Manifestation der Souveränität gegen eine andere tauscht, diese aber nicht – dem Primat der Individualrechte folgend – insgesamt in die Schranken weist, indem sie sie sachlich-rechtlichen Fragen, namentlich der Rechtsstellung des Individuums, unterordnet (S. 103 ff., 109 ff., 112 f.). bb) Fakultative Ablehnungsgründe/Schranken Über den beschränkten sachlichen Gehalt hinaus (dazu S. 254 f., 265 f., 273 f. und passim) wäre für eine kompensatorische – d. h. den Rechten des Bürgers Rechnung tragende – Wirkung der Schranken erforderlich, dass sie ebenso bestimmt und verbindlich wie die Anerkennungs- und Vollstreckungspflichten sind, die sie einhegen
289 So aber ausdrücklich O. Freund, Anordnung von U-Haft, S. 298 ff. u. passim. Das Problem stellt sich in ähnlicher Form im Fall der Niederlande, die eigene Staatsangehörige nur unter dem Vorbehalt der Rücküberstellung ausliefern und bei der anschließenden Vollstreckung Strafen im BtM-Bereich nach unten korrigieren, Kirsch, StV 2010, 256, 257 f., gg. zwei Entscheidungen des OLG Oldenburg (ibid., S. 254 f.): die BRD habe solche Reduktionsmöglichkeiten in den von ihr abgeschlossenen Rechtshilfeinstrumenten, insb. dem Rb-EuHB, akzeptiert. 290 Ausdruck schon bei Geyer, Zeitschrift für die gebildete Welt III (1883), 105, 110; Schünemann, StraFo 2003, 344, 345; der Sache nach auch Lagodny, StV 2005, 515, 518; a.A. Pohl, Vorbehalt und Anerkennung, S. 184, der eine solche Auslieferung mit anschließender Vollstreckungsübernahme bei im Inland straflosen Taten für zulässig hält. 291 Dazu S. 103 ff., 109 ff., 112 f. 292 Dazu S. 112 f. 293 Jenen Aspekt der Nicht-Einmischung als Achtung der fremden Souveränität betont BGHSt 58, 32, 42.
IV. Evaluierende Gesamtbetrachtung
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und denen sie so erst insgesamt ein legitimes Gepräge geben sollen.294 Eine solche verbindliche Grenze ist aber nur im ersten Rahmenbeschluss, demjenigen über den Europäischen Haftbefehl, gezogen worden, und auch nur zum (kleineren) Teil, namentlich für Amnestien, ne bis in idem (zwischen Mitgliedstaaten) und Strafunmündigkeit.295 cc) Kompensationsungeeignete Mindestrechte Die vereinzelt durch Richtlinien eingeführten Mindestrechte (S. 252 f.) haben sich nicht als geeignete Gegengewichte für die vermittels gegenseitiger Anerkennung potenzierten Eingriffsbefugnisse der Verfolgungsbehörden erwiesen. Es hat sich gezeigt, dass in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten gleichlautende Rechte noch keine „gemeinsamen Rechte“ in dem Sinne sind, dass sie in einem transnationalen Verfahren „gemeinsam“ eingeräumt werden, also mit der gleichen Wirksamkeit wie die Kooperation der Verfolgungsbehörden, die sie kompensieren sollen. Dieser Anspruch wird im Übrigen auch gar nicht erhoben, denn Art. 82 II AEUV zielt darauf ab, den innerstaatlichen Standard anzuheben, um gegenseitiges Vertrauen zu fördern und die gegenseitige Anerkennung zu erleichtern. Weil diese Kompetenznorm dabei auf Mindestrechte beschränkt ist, ist fraglich, ob die erlassenen und künftigen Maßnahmen gegenüber dem Standard der EMRK substantielle Fortschritte bringen;296 jedenfalls scheitern sie an der Aufgabe, den Legitimationszusammenhang für transnationale Eingriffe rechtlich stringent nachzuvollziehen, insbesondere die Verteidigung annähernd so stark auszugestalten wie im innerstaatlichen Verfahren und so die wirksame Wahrnehmung der Verteidigungsrechte überhaupt zu ermöglichen. Umgekehrt könnten die „Mindestrechte“ als trügerische Boten von „gegenseitigem Vertrauen“ – dem Vehikel des staatlichen Kontroll- und individuellen Rechtsschutzverlustes im eingreifenden Staat, S. 243 f. – sich sogar als trojanische Pferde erweisen, die auf paradoxe Weise den Individualrechtsschutz untergraben, indem sie einen kleineren gemeinsamen Nenner etablieren, mit dem sich die Staaten dann zufrieden geben können oder sogar müssen.297 294 s. o. S. 240 f. sowie S. 91 ff. zum Bestimmtheitsgebot. Krit. zur fakultativen Ausgestaltung auch Böse, ZIS 2014, 152, 154; European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 418, 420, 426. 295 I. E. s. Art. 3 Rb-HB. 296 Zweifelnd Schünemann, Europäisierung, S. 303, 316 f. Krit. zum Mindestniveau auch Gless, StV 2013, 317, 322 f. Zum konkreten Potential der EMRK s. o. S. 87 ff. am Beispiel des Falls Stojkovic, der aber auch die Grenzen nur menschenrechtlich fundierter Garantien aufzeigt und für eine Kodifizierung spricht. 297 Zum konkreten Vorschlag bei der Europäischen Staatsanwaltschaft S. 285; ähnlich zur Gefahr eines „trading down“ oder „race to the bottom“ Allegrezza, ZIS 2010, 569, 574 f.; Bovenschulte, Rechtliche Probleme, S. 258 f. Ein Beispiel für diese adversen Effekte einheitlicher prozessualer Individualrechte ist die restriktive Linie des EuGH, wonach die Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls ausschließlich aus den im Rahmenbeschluss ge-
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
Zur Wahrung der Rechtsstellung des Einzelnen in transnationalen Verfahren sind also „Mindestrechte“ in ihrer allgemeinen Form nicht hinreichend; sie wären, eine sachgerechte Anwendung der jeweiligen Schranken der beteiligten Staaten vorausgesetzt, zu diesem Zweck auch nicht erforderlich.298 Dafür wären nach der hier vertretenen Ansicht spezifische Rechte angezeigt,299 und zwar in Gestalt von Meta-Rechten, die die beständige Wirksamkeit der jeweiligen prozessualen Rechte sichern (S. 214 ff., 252 u. passim). Sowohl solche Rechte als auch deren finanzielle Absicherung hätten zur Wahrung der Verfahrensbalance und damit zur Legitimation der Einführung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung in die Strafrechtspflege in gehaltvoller Form zugleich mit den einzelnen Rechtsakten etabliert werden müssen, die die staatlichen Eingriffsbefugnisse europaweit potenziert haben (rechtsstaatliches Junktim – dazu S. 251 f.). dd) Wirksame Verteidigungsrechte? Insbesondere die Rechtsstellung der Verteidigung hat bei der Stärkung staatlichen Kooperation nach dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung nicht erforderliche zeitgleiche Verbesserung erfahren; die Richtlinie zum Recht Rechtsbeistand bringt hier zwar im Einzelnen Verbesserungen, bleibt aber Antwort auf die spezifisch transnationalen Probleme schuldig.300
der die auf die
So ist in manchen Fällen, namentlich bei Haft und in Verfahren nach dem Europäischen Haftbefehl, eine doppelte Verteidigung, d. h. das Recht, sich in beiden beteiligten Staaten eines Verteidigers zu bedienen, vorgesehen. Dabei ist die Erstreckung der Verteidigung auf den Ausstellungsstaat ein wichtiger Bestandteil wirksamer Verteidigung (S. 184 ff.), der allerdings auf die Unterstützung für den Rechtsbeistand im ersuchten Staat ausgerichtet ist (Art. 10 IV 2, dazu S. 243 f.) und dadurch die Verteidigung im Ausgangsverfahren vernachlässigt. Ob sich die Überprüfung der Gründe eines Haftbefehls (v. a. des Tatverdachts) im Ausstellungsstaat noch unter die Aufgabe des dortigen Verteidigers subsumieren lässt, den Kollegen im Vollstreckungsstaat „zu unterstützen, indem er [ihn] mit Informationen versorgt und berät (…)“, ist zweifelhaft; jedenfalls ist eine durchgreifende Wirkung von im Ausstelnannten Gründen verweigert werden dürfe, nicht aus sonstigen individual-, auch grundrechtlichen Gründen. 298 Dazu S. 124 ff., 188 ff.; die Aporie, dass Mindestrechte nicht hinreichen, die Kompetenzen der Union zur eigenen (inhaltlichen) Rechtsetzung aber keine eingehendere Regelung erlauben (Art. 82 II AEUV), notiert Busemann, ZIS 2010, 552, 555; nach hier vertretener Ansicht bietet sich als schonende Lösung die Konzentration auf eine Meta-Regelung zur Koordination der nationalen Regeln unter Achtung derselben an (dazu nachfolgend im Text). 299 Dazu S. 91 ff., insb. die Nachweise Fn. 325, S. 182 ff. De Bondt/Vermeulen, eucrim 2010, 163 ff., die die Ambivalenz der die transnationale Dimension aus den Augen verlierenden Einführung von Mindestrechten in ihrem Titel zum Ausdruck bringen: „A bridge too far or still not far enough?“ 300 Zu jener „rechtsstaatlichen Junktim-Klausel“ S. 251 f.; zur unvollkommenen Kompensation durch die Richtlinie S. 269 f., 277 f.
IV. Evaluierende Gesamtbetrachtung
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lungsstaat angebrachten Verteidigungsmitteln nicht gewährleistet (S. 269 ff.). Hier kommt auch das tiefere Problem zum Ausdruck, dass es an einer prozeduralen und/ oder institutionellen Regelung fehlt und die Organisationslast für eine (nicht nur doppelte, sondern vor allem) wirksame transnationale Verteidigung der freien Anwaltschaft überlassen bleibt. Damit ziehen sich die beteiligten Hoheitsträger in unzulässiger Weise aus ihrer diesbezüglichen Gesamtverantwortung zurück.301 Soweit der innerprozessuale Raum betroffen ist (also für die Stoffsammlung im weitesten Sinne), erwächst auch im Hinblick darauf den beteiligten Hoheitsträgern die gemeinsame Verpflichtung, Einflussmöglichkeiten entsprechend dem innerstaatlichen Verfahren des Anordnungsstaates wirksam zu gewährleisten (S. 184 f.); hierfür bieten weder die Richtlinie zur europäischen Ermittlungsanordnung noch diejenige über das Recht auf Rechtsbeistand eine Lösung an (S. 277 f.). Die angezeigte, auch transnational wirksame Verteidigung kann auf unterschiedlichem Wege erreicht werden, namentlich etwa durch eine Institutionalisierung, die einen wirksamen Zugang zum Ausgangsverfahren aus dem Vollstreckungsstaat heraus ermöglicht, oder durch die Vermittlung von Einwänden durch die Behörden des Vollstreckungsstaats an die anordnenden Stellen.302 Entscheidend ist, dass wirksame Verteidigung auf dem einen oder anderen Wege sichergestellt wird und es nicht dem Beschuldigten bzw. seinem freiberuflichen Verteidiger überlassen bleibt, durch eigene „Mehrleistung“ die – und sei es nur faktischen – Rechtseinbußen im transnationalen Verfahren auszugleichen (zum Ganzen S. 185 f.). Dafür bieten die bisher ergangenen Regelungen keine Gewähr. Auch die flankierenden Regelungen für eine staatliche Kostentragung in Gestalt von Prozesskostenhilfe zielen darauf ab, eine wirksame Verteidigung zu gewährleisten, sind aber erst in der Entstehung begriffen und inhaltlich auf Haft und Verfahren nach Europäischen Haftbefehlen beschränkt.303 Ein weitergehender, der transnationalen Dimension von Verfahren angeglichener Ansatz zur Kostenübernahme findet sich dagegen in der Richtlinie über Prozesskostenhilfe in Zivil- und Handelssachen, die von der Idee getragen ist, den Zugang zur Justiz in grenzüberschreitenden Verfahren ebenso günstig zu gestalten wie in nationalen; der Sache nach enthält diese einen Mechanismus gegenseitiger Anerkennung von PKH-Entscheidungen, der für den Strafprozess ein Vorbild sein könnte.304 301
Zu dieser S. 103 ff., 109 ff., 112 f. Zum Vorschlag einer Institution „Eurodefensor“ sowie zur kooperativen Prüfung s. die Nachw. S. 261, Fn. 178. 303 Siehe KOM (2013) 824 endg., insb. Art. 4, 5; näher zur auch finanziell garantierten Verteidigung in Gestalt notwendiger Verteidigung oder PKH S. 186 f., insb. die Nachweise Fn. 653. 304 Richtlinie 2003/8/EG vom 27. Januar 2003, wonach der Mitgliedstaat des Gerichtsstands über ihre Gewährung nach seinen Kriterien entscheidet (Art. 12), und zwar verbindlich auch für den Aufenthaltsstaat, welcher wiederum bestimmte Kosten tragen muss (Art. 8). In einer Entschließung vom 11. 6. 2013 über die Verbesserung des Zugangs zum Recht: PKH bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug in Zivil- und Handelssachen (2012/2101[INI]) 302
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
c) Überschießende Anerkennung Während also die Beschuldigtenrechte nicht der transnationalen Erstreckung der Eingriffsbefugnisse entsprechend gestärkt wurden, sind letztere mitunter nicht nur territorial, sondern auch inhaltlich potenziert: Insbesondere wenn ein bloßer Haftbefehl (wie nach dem Rb-HB) für eine Auslieferung genügt, zeitigt er ein Mehr an Eingriffen als derselbe Haftbefehl im nationalen Bezugsrahmen, indem er nämlich ohne Weiteres die Verbringung unter fremde Gerichtshoheit trägt;305 ähnlich stellt es sich bei der Vollstreckungsübernahme mit dem Verbot der Wiederaufnahme dar, die auf eine Übernahme der zu vollstreckenden Entscheidung in gestärkter, „immunisierter“ Form hinausläuft.306 3. Verantwortung des EU-Gesetzgebers Für die sachgerechte und legitime Gestaltung der europäischen Strafrechtspflege ist der EU-Gesetzgeber in der Pflicht.307 Mit Recht notiert der Generalanwalt Cruz Villalón, „dass es sich bei der Tatsache, dass die Mitgliedstaaten die in der Richtlinie 2006/24 selbst nicht vorgesehenen Garantien häufig auf eigene Initiative und aufgrund von Erfordernissen ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung eingeführt haben, um einen Umstand handelt, dem zwar, wie wir im Folgenden sehen werden, Rechnung zu tragen ist, der aber den Unionsgesetzgeber offensichtlich nicht entlasten kann.“308 Der europäische Gesetzgeber hat die entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb seiner Kompetenzen und in den Grenzen des Subsidiaritätsprinzips: Soweit es darum geht, Kooperationsvoraussetzungen und -schranken zu bestimmen, findet kein Übergriff in die mitgliedstaatlichen Rechtssysteme statt. Weil ferner die Unionsrechtsakte für die Mitgliedstaaten verbindlich sind und am Vorrang des Unionsrechts auch das „Prinzip gegenseitiger Anerkennung“ teilhaben soll,309 wird selbst die grundrechtliche Meistbegünstigungsklausel des Art. 53 GR-Charta in diesem Bereich wird weitergehend vorgeschlagen, dem Bürger die Wahl des Staates zu überlassen, in dem er PKH beantragt, dessen Entscheidung dann wiederum auch für den anderen Staat bindend ist (Punkt I.) Zur Notwendigkeit effektiv gewährleisteter PKH auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. 4. 2014 zu der Halbzeitbilanz des Stockholmer Programms (2013/2024[INI]), Nr. 46. 305 Allg. S. 202 ff., zum europäischen Haftbefehl S. 266 f. Ergänzend dazu, dass der frühere Rechtszustand kein normativer Maßstab ist, S. 235 ff. 306 Dazu S. 264 f. 307 Dazu S. 82 ff.; 241 f.; Gless, StV 2010, 400, 406 f. (auch speziell zur Entfaltung in einem austarierten System); für eine „positive Verpflichtung des europäischen Gesetzgebers zur strukturierten Herstellung von Waffengleichheit im Rechtsetzungsverfahren“ im Zusammenhang mit allen EU-Maßnahmen zur grenzüberschreitenden Strafverfolgung dies., StV 2013, 317, 323; European Criminal Poliy Initiative, ZIS 2013, 412, 414 u. passim; F. Zimmermann, ZStW 127 (2015), 143, 170. 308 Schlussanträge in den verbundenen Rs. C-293/12 und C-594/12, Rz. 132. 309 Siehe zuletzt EuGH, Urt. V. 26. 2. 2013, Rs. C 399/11 (Melloni), insb. Rz. 104.
IV. Evaluierende Gesamtbetrachtung
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ausgestochen;310 somit ist den Staaten eine individualrechtliche Kompensation verwehrt und die EU auch als einzige befugt, die erforderlichen Regelungen zur Wahrung der prozessualen Schranken zu treffen. Nur so kann im Übrigen eine allgemeinverbindliche und nicht erst im Einzelfall je nach Kombination von Mitgliedstaaten geschaffene Rechtslage entstehen, die auch den Kriterien der Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit gehorcht (dazu in der Perspektive des fair trial S. 89 ff.). Dass es in den europäischen Gremien und insbesondere im Rat einfacher ist, die negative Integration zu befördern (d. h. den Abbau von staatlicher Regulation, der in der Strafrechtspflege nicht liberal, sondern repressiv wirkt),311 kann – man möchte sagen: selbstverständlich – kein Argument sein, um Rechtsverluste der Bürger zu rechtfertigen; ebenso wenig kann der status quo ante zur Legitimation herangezogen werden (dazu S. 235 ff.). 4. Subsidiäre Verantwortung der Mitgliedstaaten? Wenn und soweit die europäischen Regeln die Kriterien für eine legitime transnationale Strafrechtspflege nicht erfüllen, erscheint es nicht unangebracht, die Prozessbalance wo nötig durch innerstaatliche Vorbehalte zu wahren.312 Nimmt man das individualrechtliche Benachteiligungsverbot als ein auch europäisches Rechtsprinzip ernst,313 so handelt es sich hierbei gerade nicht um nationalstaatliche Anmaßung, sondern um die hilfsweise Wahrnehmung einer gemeinsamen Verantwortung, die vorrangig beim EU-Gesetzgeber liegt (s. o. 3.). Dass mit einer solchen (sachlich fundierten) Absicherung von Individualrechten eine Blockade des Rechtshilfeverkehrs einherginge, ist keineswegs dargetan. Wenn der EuGH gleichwohl nur europäische Grundrechte als Schranken anerkennt, und auch dies nur
310 Sie würde den Staaten die Anwendung ihrer Grundrechte gestatten, wo diese weiter reichen als jene der Charta. I.Ü. soll noch nicht einmal der Vorbehalt dieser europäischen Grundrechte in sämtlichen Rechtsakten (etwa Art. 1 III Rb-HB) einen Verweigerungsgrund in deren Namen begründen, wenn es nach EuGH (Urteil [Große Kammer] v. 29. 1. 2013, Rs. C 396/11, Radu, krit. Brodowski, HRRS 2013, 54 ff.; Gaede, NJW 2013, 1279 f.; Swoboda, HRRS 2014, 10, 15; Vogel, Editorial zu StV Heft 5/2013, I) und Kommission geht (Bericht zum RbHB, KOM [2006] 8 endg.: „besorgniserregend“) entspricht (entschieden anders die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rs. C 396/11, insb. Rz. 63 ff., 70). 311 Grundlegend zu negativer und positiver Integration Scharpf, Regieren in Europa. Effektiv und demokratisch?, S. 52 ff., 70 ff., 169 ff.; zur repressiven Wirkung negativer Integration im Strafrecht s. o. S. 225 ff. 312 Zu einzelnen Manifestationen auch in der deutschen Rechtsprechung s. o. S. 148 (Tatverdachtsprüfung, zumindest eigene Subsumtion), 122 m. Fn. 427 (Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls), 181 m. Fn. 633 (Schuldprinzip). Am Beispiel des Rb-Geldstrafen s. Schünemann/Roger, ZIS 2010, 515 ff., 521. 313 Dazu S. 80 ff., 86, 239 ff.; ergänzend zu seiner rechtsstaatlichen Junktim-Funktion S. 250 f., 291.
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B. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung
in sehr engen Ausnahmefällen,314 so verkürzt er die subjektiven Rechte in einem problematischen Ausmaß.315 5. Fazit und Ausblick Das sogenannte „Prinzip gegenseitiger Anerkennung“ lässt sich nicht mit einer einfachen Analogie von seinem angestammten Ort im Binnenmarkt auf den Bereich der Strafrechtspflege übertragen (S. 224 ff.). Hier ist es lediglich instrumenteller Natur und kann als Mittel einer vernunftschlüssigen und legitimen Regelung transnationaler Strafverfahren dienen, namentlich der ausdifferenzierten Anerkennung des fremden Verfahrens als kohärentes Ganzes (S. 240 ff.) – das ist sein Potential und zugleich der zu stellende Anspruch. Die gegenwärtige Entfaltung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung in der europäischen Strafrechtspflege kann diesem Anspruch nicht genügen. Sie begnügt sich zwar nicht – wie die Bezeichnung als „Prinzip“ suggerieren könnte – mit einer schlichten Übertragung des Anerkennungsprinzips aus dem Binnenmarkt unter repressiven Vorzeichen (dazu S. 225 ff.), sondern setzt dieses vielgestaltig und in unterschiedlichem Ausmaß um (S. 242 ff.); gerade ihre fragmentierte Gestalt und ihr verengter Fokus auf einzelne hoheitliche Eingriffe aber sind problematisch. Im bisherigen Rechtsbestand überwiegt nämlich, wie dargelegt, noch immer die Tendenz, Eingriffe einfacher vollstreckbar zu machen,316 ohne dass das Regelungsgefüge als Ganzes eine einheitliche Gestalt hätte.317 Zu erklären, wenn auch nicht zu legitimieren, ist dies dadurch, dass im Rat, der für die Rahmenbeschlüsse noch allein zuständig war und es für die Richtlinien im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens ist, die Wahrnehmung nationaler Interessen gerade im sensiblen Bereich der Strafjustiz dominiert; nicht selten führt ein gegenseitiges Entgegenkommen dann zu einer Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner (mit im Strafrecht im Ergebnis repressiver Tendenz, dazu auch S. 226, 229 u. passim), die kaum zu einer ambitionierten Konstruktion eines transnationalen Verfahrensrechts taugen kann.318 Ob unter diesen Umständen das Prinzip gegenseitiger Anerkennung in seiner realen Entfaltung zur sachgerechten Regelung eines europäischen arbeitsteiligen Straverfahrens geeignet ist, bleibt fraglich. 314
Namentlich bei einer „echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung“, EuGH, Urteil v. 5. 4. 2016, verbundene Rs. C 404/15 und C 659/15 PPU, Aranyosi und Ca˘ lda˘ raru, Rn. 82 ff., 102 ff. in Abweichung von dem in Radu (Fn. 310) aufgestellten Grundsatz. 315 Zur notwendigen Konkretisierung der Grundrechte im einfachen Recht S. 98 ff., 112 f. u. passim. 316 I. E. s. o. S. 253 ff., passim; bestätigt wird dies durch die eingriffsfreundlichen „Meistbegünstigungsklauseln“ (z. B. Art. 31 II Rb-HB; Art. 18 Rb-Geld), d. h. Öffnungsklauseln für weiter reichende Kooperationsmöglichkeiten der Staaten (und damit abgeschwächte individualschützende Schranken) nach anderen Rechtsinstrumenten (krit. Lagodny, Editorial zu StV 2014/8, I: „Individuum als »Objekt« des Anerkennungsprinzips der EU?“). 317 Zur Zersplitterung s. die scharfe Kritik bei S/L/G/H, Einl. Rn. 71 ff., 79. 318 Zu den Hintergründen dieses Problems Scharpf (Fn. 311), insb. S. 71 ff.
C. Zusammenfassende Thesen 1. Die Grundlage transnationaler Strafrechtspflege kann nur in der Notwendigkeit gefunden werden, die Strafrechtsordnung(en) auch grenzüberschreitend wirksam durchzusetzen. Rechtshilfe ist deshalb (selbstverständlich) keine „Strafe“, aber sie ist (Teil der) Strafverfolgung, und jede transnationale Strafrechtspflege bedarf der Rückführung auf Strafverfolgungsinteressen.1 Mit einer solchen zeitgenössischen Rechtspflegetheorie sind zugleich natürliche Grenzen vorgezeichnet, nämlich diejenigen, die allgemein zur Bändigung staatlicher Strafgewalt bestehen: das Straf- und Strafprozessrecht der beteiligten Staaten vor dem Hintergrund ihrer Verfassungs- und Menschenrechtsordnung. 2. Ein Strafverfahren lebt von der Balance zwischen Eingriffsbefugnissen und Gegenrechten des Beschuldigten, die (in Konkretisierung bestimmter verfassungsoder menschenrechtlicher Vorgaben) in einem ausdifferenzierten Verfahrensrecht konstruiert wird. Die Einhaltung dieses Gleichgewichts ist kein bloßes rechtspolitisches Desiderat, sondern notwendige Voraussetzung einer legitimen Strafrechtspflege.2 Wie genau sie im Einzelnen gewährleistet wird, liegt im Ermessen des Gesetzgebers und kann angesichts unterschiedlicher Prozesstypen nicht allgemeingültig festgelegt werden. In Ermangelung eines gemeinsamen Strafverfahrensrechts kann von den Regeln über ein international-arbeitsteiliges Strafverfahren nicht mehr, aber auch nicht weniger verlangt werden als dass die grenzüberschreitende Dimension eines Strafverfahrens dessen Balance nicht zulasten des Verfolgten verschiebt.3 3. Sachlich vorrangig und damit auch dogmatisch konsequenter Ausgangspunkt ist dementsprechend das Strafprozessrecht. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der (zu bewahrenden) strafprozessualen Rechtsstellung des Verfolgten (wie punktuell in Literatur und Rechtsprechung anerkannt) und der im Innenverhältnis zwischen den Staaten zu klärenden Arbeitsteilung. Die einzufordernde staatliche Gesamtverantwortung4 bedeutet nicht notwendig Meistbegünstigung des Individuums oder Verdoppelung des Verfahrens im ersuchten Staat;5 es geht nur – aber immerhin – darum, dass sich aus der Arbeitsteilung der Staaten nicht ein Automatismus der individuellen Lastentragung durch den Bürger ergibt. Deshalb kann ein Staat (respektive ein an1 2 3 4 5
S. 30 ff., 72 ff. Zum Ganzen S. 98 ff., 112 f. u. passim. S. 98 ff., 100; zum Konzept des international arbeitsteiligen Verfahrens S. 113 ff. S. 106 ff. S. 111.
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C. Zusammenfassende Thesen
derer Normgeber wie die EU) sich der Verantwortung nicht durch vordergründigen Verweis auf den anderen Hoheitsträger entziehen und kann von ihm nicht mehr Rechte ableiten, als dieser selbst innehat.6 Entscheidende Bedeutung hierfür kommt dem Gedanken zu, dass die beteiligten Staaten (allgemeiner: Hoheitsträger) Gesamtschuldner eines prozessordnungsgemäßen Verfahrens sind.7 Dabei muss jeder einzelne Eingriff in einem lückenlosen und überprüfbaren Legitimationszusammenhang mit seinen Voraussetzungen, auch in einem fremden Staat, stehen.8 Das bedeutet auch, dass der einen Eingriff unmittelbar verantwortende Staat eine einwandfreie Tatverdachtsprüfung zwar nicht allein durchführen, aber zumindest vorweisen können und ein wirksamer Rechtsweg gewährleistet sein muss.9 4. Die strafprozessuale Rechtsstellung des Individuums kann als Bündel von Schranken staatlicher Eingriffsmacht aufgefasst werden, die sich wiederum unterteilen lassen in innerprozessuale, d. h. auf die weitere Verfahrensentwicklung bezogene, und prozessunabhängige, d. h. ohne Rücksicht auf das weitere Verfahren bedeutsame Schranken. Erstere markieren (vorweggenommene) Grenzen der Wahrheitsfindung im innerprozessualen Raum, weshalb sie konsequenterweise der Rechtsordnung zu entnehmen sind, in der dieser Raum konstituiert ist, also der des verfahrensführenden (ersuchenden) Staates. Ebenso zwanglos folgt aus der strafprozessualen Natur des gesamten Vorgangs (international-arbeitsteiliges Strafverfahren), dass die prozessunabhängigen Schranken des eingreifenden (ersuchten) Staates auch im Rechtshilfeverkehr Bestand haben müssen. Denn sie schützen die Freiheitsrechte per se und sind deshalb unempfindlich dafür, ob die Verfolgung inoder ausländischen Ursprungs ist.10 Praktisch bedeutet das etwa, dass die Beweiserhebung in aller Regel dem Recht des verfahrensführenden Staates zu folgen hat, während für Eingriffe in die materielle Rechtssphäre wie Festnahme oder Durchsuchung sämtliche allgemeinen Anordnungsvoraussetzungen wie das Erfordernis materieller Strafbarkeit und Richtervorbehalte im ersuchten Staat grundsätzlich aufrechtzuerhalten sind.11 Hiermit einher geht eine sachlich begründete Reduktion der Schranken des jeweils „unzuständigen“ Staates, die überflüssige Hindernisse der Rechtshilfe beseitigen helfen kann.12
6
S. 74. S. 112 f. 8 S. 107, 143 f. 9 Zur Verdachtsprüfung S. 145 ff.; zum Rechtsweg, ggf. in beiden Staaten, S. 182 ff. 10 S. 124 ff., i. E. S. 169 ff. einerseits, S. 126 ff. andererseits; zusammenfassend S. 210 ff. 11 Zum Beweisrecht S. 169 ff., 207; zur Untrennbarkeit des Eingriffs von seinen Anordnungsvoraussetzungen S. 143 f.; zum Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit S. 154 ff.; zu Richtervorbehalten S. 168 f., 253 f. 12 S. 188 ff., 190 f. 7
C. Zusammenfassende Thesen
299
5. Ein nach der Natur der Schranken differenziertes individualrechtliches Benachteiligungsverbot13 und eine entsprechend differenzierte Wahrung der Verfahrensbalance lassen sich damit aus dem Prozessrecht selbst ableiten. Dieser Ansatz liegt mitunter „über Kreuz“ mit der teils strengeren, teils permissiveren traditionellen Ansicht und ist überlegen gegenüber der unterkomplexen Einteilung zwischen Anordnung einer Maßnahme und ihrer „Vollstreckung als solcher“.14 Dabei existieren auch „doppelfunktionelle“ Schranken, die beiden Kategorien zuzuordnen sind und im Ergebnis (nicht aufgrund dogmatischer Prämissen) eine individualrechtliche Meistbegünstigung zeitigen.15 6. Eine entscheidende Rolle für die praktische Wirksamkeit der jeweils einschlägigen Schranken und die Kompensation von – auch nur faktischen – Rechtseinbußen spielt eine – ggf. institutionell – gestärkte Verteidigung in beiden beteiligten Staaten.16 7. Durch das Abstellen auf die Schranken des jeweiligen innerstaatlichen Strafprozessrechts wird, was den Inhalt der subjektiven Rechtspositionen angeht, eine Ent-Spezifizierung geleistet, die sowohl deren Konturierung (durch differenzierte, aber geradlinige Ableitung aus den innerstaatlichen Rechtsordnungen) erleichtert als auch der Praktikabilität zuträglich sein kann; spezifisch für die transnationale Konstellation ist bei dieser Sichtweise nur, aber immerhin, die Meta-Rechtsordnung, deren Aufgabe die wirksame Wahrung und Entfaltung der (aus sich selbst heraus) zur Anwendung berufenen prozessualen Rechte ist.17 8. Das strafrechtliche Rechtshilferecht hat mithin eine dienende Funktion gegenüber den Regeln des Strafprozesses, auf dessen Zwecke es bei materieller Betrachtung alleine zurückgeführt werden kann. Seine Aufgabe ist die Koordination der international-arbeitsteiligen Strafrechtspflege unter Aufrechterhaltung und ggf. Wiederherstellung der jeweils einschlägigen prozessualen Schranken und Garantien, die in den staatlichen Rechtsordnungen zur rationalen Bändigung der Strafgewalt entwickelt worden sind.18 Im Sinne einer rechtsstaatlichen Junktim-Klausel darf das arbeitsteilige Zusammenwirken der Staaten nur etabliert werden, soweit die wirksame Geltung der einschlägigen strafprozessualen Regeln gesichert ist.19 9. Die transnationale Konstellation kann dabei Modifikationen bedingen, aber nur soweit dafür ein guter, d. h. auch dem betroffenen Individuum gegenüber durch-
13 Zu diesem in Rechtsprechung und Lehre verbreiteten Desiderat allg. S. 69 ff., zur eigenen Lösung S. 99 f. und zusammenfassend S. 211 ff. 14 Zum Ganzen S. 211 ff. 15 S. 190 16 S. 181 ff. 17 S. 214 ff. 18 S. 215. 19 S. 251 f.
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C. Zusammenfassende Thesen
greifender Grund namhaft gemacht werden kann.20 Diesem Anspruch genügt weder der oberflächliche, die notwendig strafrechtliche Finalität ignorierende Topos der „zwischenstaatlichen Solidarität“ noch ein reales oder postuliertes Vertrauen zwischen Staaten.21 10. Die praktischen Schlussfolgerungen aus dem hier vertretenen Ansatz lassen sich mit dem geltenden Rechtshilferecht teilweise in Deckung bringen, bieten teilweise aber auch Anlass zu dessen Kritik.22 Speziell die Auslieferung als umfassende Unterwerfung unter fremde Gerichtshoheit stellt höhere Anforderungen als der bloße Freiheitsentzug, weshalb statt eines einfachen Haftbefehls erforderlich ist, dass das Verfahren bis zur Hauptverhandlungsreife gediehen ist. 11. Auch das „Prinzip gegenseitiger Anerkennung“ ist – im Strafrecht – kein von den entwickelten Grundsätzen losgelöstes, mit normativem Überschuss ausgestattetes Prinzip und kann deshalb als solches keine Rechtseinbußen des Bürgers rechtfertigen. Es ist hier nur instrumentell zu verstehen, als denkbares Modell zur Schaffung eines legitimen international-arbeitsteiligen Strafverfahrens.23 Gegenüber dem freien Spiel souveräner Staaten im klassischen Rechtshilfeverkehr bietet der institutionelle Rahmen der EU die Chance zu rationaler und kohärenter, von politischen Opportunitätserwägungen befreiter Regelung transnationaler Strafverfahren.24 Diesem Ziel könnte das Prinzip gegenseitiger Anerkennung in einer wohlverstandenen Variante dienen, deren Gegenstand prozessstrukturell substantiiert wäre und die wahrhaftig „gegenseitig“ statt abwechselnd einseitig wirken würde, namentlich indem die innerprozessualen Schranken des verfahrensführenden (ersuchenden) einer-, die prozessunabhängigen Schranken des ersuchten (Vollstreckungs-)Staates andererseits vom jeweils anderen akzeptiert werden. So ließe sich eine legitime Anerkennung der fremden Strafverfahrensordnung als kohärentes Ganzes unter Einschluss der Rechtsstellung des Beschuldigten gewährleisten.25 Die reale Entfaltung des Anerkennungsprinzips unternimmt manche Schritte in dieser Richtung. So werden die innerprozessualen Schranken des verfahrensführenden Staates durch das – allerdings nur fakultative – lex fori-Prinzip im Beweisrecht aufgewertet.26 Auf der anderen Seite wird prozessunabhängigen Schranken im Vollstreckungsstaat Rechnung getragen durch bestimmte sachlich fundierte „Ab-
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S. 31, 72 ff., 74; am Beispiel der Tatverdachtsprüfung S. 145 ff. Zur Solidarität S. 30 ff., 72 ff.; zum gegenseitigen Vertrauen S. 243 ff. S. 193 ff. S. 225 ff., 242 ff. S. 237 ff., 288 f. S. 240 ff. S. 275 ff.
C. Zusammenfassende Thesen
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lehnungsgründe“ und die Betonung der Verteidigungsrechte.27 Insgesamt aber bleibt die Umsetzung des Anerkennungsprinzips zu sehr auf einzelne Eingriffe fokussiert und zugleich unverbindlich.28 Inhaltlich ist sie defizitär v. a. in der Herstellung der notwendigen Einheit des international-arbeitsteiligen Verfahrens sowie der Aufrechterhaltung prozessunabhängiger Schranken wie namentlich des Erfordernisses materieller (scil. beiderseitiger) Strafbarkeit und bestehender Richtervorbehalte.29 12. Die diagnostizierten Defizite sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Zustand des strafrechtlichen Rechtshilferechts auch vor Einführung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung vielfach zu wünschen übrig ließ; der status quo ante kann aber keinerlei sachliche Rechtfertigung liefern, schon weil aus einem Sein nicht auf ein Sollen geschlossen werden kann.30 13. Verantwortlich für eine rationale und legitime transnationale Strafrechtspflege sind nicht nur die beteiligten Staaten, sondern auch und zuvörderst ein supranationaler Gesetzgeber wie derjenige der EU, der für die Mitgliedstaaten verbindliche Vorgaben setzt.31
27 Zu Ablehnungsgründen S. 254 ff., passim; zu Verteidigungsrechten allg. S. 182 ff., in der EU S. 269 ff., 277 ff., 292 f. 28 S. 288 ff., 290 u. passim. 29 Zum Desiderat der Verfahrenseinheit S. 113 ff., 240 ff., 289 f.; zu den prozessunabhängigen Schranken S. 289 f., zum Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit allg. S. 154 ff.; zu Richtervorbehalten S. 168 f., 253 f. 30 S. 235 ff. 31 S. 82 ff.; 241 f., 294 f.
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Stichwortverzeichnis Abwesenheitsverfahren 265 Allgemeiner Gleichheitssatz 80, 99 Angehörigenverhältnis 138 Anordnungsvoraussetzungen s. Eingriffsvoraussetzungen Anwesenheitspflichten des Beschuldigten 201 Anwesenheitsrecht 201, 208, 265 Arbeitsteilung zwischen Staaten 112, 123, 150 – und Prinzip gegenseitiger Anerkennung 290 Asylgrundrecht 63 Asylrecht 47, 63 Auslagen des Beschuldigten 104 Auslieferung 197, 205, 266 – als Überstellung vor fremde Gerichtshoheit 199 – zur Strafvollstreckung 198 f. Auslieferungshaft 149, 161, 166, 182, 198, 206, 259 Auslieferungshaftbefehl 108, 184, 188, 206 Auslieferungsreife 164, 200, 206 Auslieferungsverfahren 29, 31, 45 – 47, 51, 61, 72, 78, 105, 149 Aussageverweigerungsrechte 138 Balance 74, 91, 99, 128, 131, 189, 211, 219, 251, 278, 292, 297 – Entfaltung im Strafprozessrecht 100 – im engeren Sinne 99 – und gegenseitige Anerkennung 240 Beiderseitige Strafbarkeit 29, 46, 120, 142, 154 – Aufgabe im EU-Recht 256, 263, 265, 273 Benachteiligungsverbot, individualrechtliches 69 – Ausdifferenzierung 212 – Einschränkungen 153 – und allgemeiner Gleichheitssatz 80, 86
– und gegenseitige Anerkennung 240 – und Verfahrensbalance 99 Berufsgeheimnis 140 Beschlagnahme 135, 207 Beschleunigungsgebot 72, 114, 116 Beschuldigtenrechte – wirksame Durchsetzung 182 Bestimmtheitsgebot – materiell-strafrechtliches 259 – strafprozessuales 91, 94, 102 – und EU-Recht 268, 276, 290, 295 Bestrafung – Rechtshilfe als (keine) Strafe 34, 41, 160, 259 – Vollstreckungsvorschriften 195 – Zufügung des Strafübels 193 Beweiserhebung 140, 169, 189, 207 – Auswirkungen im ersuchenden Staat 108, 184 – EU-Staatsanwaltschaft 284 – im EU-Recht 271 – und fair trial 87 Beweiserhebungsverbot 96 Beweisrechtshilfe 207 Beweisverwertungsverbot 95, 100, 128, 138, 171, 207, 211 – im EU-Recht 275, 278, 280, 285 Bewilligungsverfahren 69, 115, 262, 289 Binnengrenzen 23, 27, 223 Binnenmarkt 218, 225, 232 Blankettstrafgesetze 162, 259, 266
Datenschutz 135 Dienende Funktion des Rechtshilferechts 215, 247 Doppelbestrafungsverbot 166 – als Anerkennungsschranke 255 Doppelfunktionelle Prozesshandlungen 129, 173 Doppelfunktionelle Schranken 173
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Stichwortverzeichnis
Doppelverfolgungsverbot – als Ausgleich für gegenseitige Anerkennung 239 – in der EU 281 Dreidimensionales Modell der Rechtshilfe 44, 57, 68, 216, 237 Durchgriff von Hoheitsakten 27, 220 Durchsuchung 128, 135 – Anordnungsvoraussetzungen 141 – Richtervorbehalt 169 – und Beweisverwertung 172 – und lex fori 208 – und lex loci 128 – und Tatverdachtsprüfung 147 Durchsuchungsanordnung 149, 169
Effizienz der Strafverfolgung 213, 248 eingriffsintensive Maßnahmen 136, 257 Eingriffsschwelle, erhöhte 156 f., 174, 177, 257 Eingriffsvoraussetzungen – Untrennbarkeit von Vollstreckung 141 Einheitlicher kriminalgeographischer Raum der EU 224 Einlieferungshaftbefehl 54, 107, 191, 204 Entschädigung 104 Erkenntnisverfahren 147, 178, 193 Ermessensentscheidung einer Verwaltungsbehörde 116 Ermittlungsgeneralklausel 134 Ermittlungsmaßnahmen – schlichte 134 Ermittlungsrichter 88, 92 Ermittlungsverfahren 95, 175, 185 – Europäische Ermittlungsanordnung 278 – Europäische Staatsanwaltschaft 286 – und Auslieferung 200 Ersatzleistungen 104 EU-Gesetzgeber 83, 85, 242, 248, 259, 294 Eurodefensor 186, 215, 261, 293 Eurojust 154, 261 Europäische Beweisanordnung 272 Europäische Ermittlungsanordnung 190, 272 Europäische Menschenrechtskonvention 53, 89 Europäische Staatsanwaltschaft 284
Europäischer Haftbefehl 191, 219, 266 Europäisches Justizielles Netz 209 Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte 252 Fair trial 55, 61, 87, 122, 285 Fakultative Ablehnungsgründe 255, 288, 290 Festnahme 128 – in der EU 219, 266 Fluchtgefahr 167, 169, 202 – in der EU 289 Folter 55 Formelles Prüfprinzip 49, 53, 64, 69, 146, 148 forum regit actum s. lex fori regit actum Forum shopping 246, 284 Freiheitsentziehung 54, 131, 137, 146 – 148, 150, 152, 198, 207 Freiheitsrechte 70, 86, 99, 127, 149, 185, 243 Freiheitsstrafe 193, 262 Freizügigkeit – gegenseitige Anerkennung als Kehrseite 230 – strafprozessualer Entscheidungen 224 – von Personen 223 Gegenseitige Anerkennung s. Prinzip gegenseitiger Anerkennung Generalprävention 31, 116, 159, 226 Gesamtschuld der Staaten 103, 279, 290 Gesetzgebungskompetenz 83, 243 Gesetzlichkeitsprinzip 181, 194, 259 – und beiderseitige Strafbarkeit 160 Gleichheitssatz s. Benachteiligungsverbot Grundfreiheiten 85, 225, 233 Grundrechte 58, 76, 127 – Exportverbot 65 – Konkretisierungsbedarf 210 – umfassende Geltung 76, 98, 100 – und EU-Recht 237, 248 f. – Verhältnis zu staatlichen Interessen 70 Grundrechtecharta 86, 112, 117, 167, 285 Grundsatz der Verfügbarkeit 280 Haft 198 Haftbefehl 54, 107, 151, 191
Stichwortverzeichnis – als Auslieferungsgrundlage 200, 202, 204, 294 Haftentschädigung 104 Haftgründe 167, 205 – beim europäischen Haftbefehl 267 Harmonisierung 213 – im Strafrecht 229 – Verhältnis zu gegenseitiger Anerkennung 227 Hauptverfahren s. Hauptverhandlung Hauptverhandlung 49, 95, 139 – Eröffnungsentscheidung 185, 203 – und Auslieferung 200 Hauptverhandlungsreife – als Auslieferungsvoraussetzung 200, 203 Hohes Maß an Vertrauen 243 Hybridisierung des Verfahrens 92, 94, 98 Individualbenachteiligung s. Benachteiligungsverbot Individualrechte 46, 48, 52 – Kompensation von Einbußen 185 – Verhältnis zu staatlichen Interessen 72 Informationsbeherrschungsrechte 129 Informationstausch 280 Inhaftierung 197 Inhaftierung s. Haft Innenverhältnis, zwischenstaatliches 106, 112, 123, 215 – und gegenseitige Anerkennung 279, 290 Innerprozessuale Gefahren 126, 170 Innerprozessuale Schranken 126, 138, 169 – Ausschließlichkeit der lex fori 189, 213 – und EU-Recht 276, 288 – und EU-Staatsanwaltschaft 285 Innerprozessualer Raum 126, 131, 139, 145, 147, 157, 281, 293 International-arbeitsteiliges Strafverfahren 69, 78, 87, 114, 121, 178 – in der EU 261, 287 Invasive Maßnahmen 136, 272 Ius cogens 53, 55 f., 238 Justizbehörde – Qualifikation im EU-Recht 284 Justizbehörden – direkter Verkehr 261
272, 278,
319
Justizförmiges Strafverfahren 121 Justizförmiges Verfahren 115, 226 Justizialisierung der strafrechtlichen Zusammenarbeit 34, 117, 221, 261, 287 Kombinationsprinzip (Beschuldigtenrechte) 72, 212 Kompensation für Rechtseinbußen 131, 185 Kompetenzverteilung – und Gleichheitssatz 83 Konfrontationsrecht 95, 170 Legalitätsprinzip 118, 286 Legitimationszusammenhang – mit Eingriffsvoraussetzungen 108, 142, 268, 291, 298 – mit Strafzwecken 43 Lex fori regit actum 170, 208, 275 Lex loci 126, 155, 171, 179, 202, 285 Liberaler Rechtsstaat 39, 73 Materielle Strafbarkeit s. beiderseitige Strafbarkeit Materielle Tatverdachtsprüfung 49 Materieller Rechtsraum des Bürgers 130, 141, 147, 157, 190, 194, 207, 264 Meistbegünstigung 81, 111, 125, 190, 212, 277 – im EU-Recht 273, 289 Menschenrechte 98 Menschenrechte s. Grundrechte Meta-Prozessordnung, Rechtshilferecht als 214 f. Mindestrechte 252, 291 f. Nächster Richter (Inhaftierung) 151, 153 Nemo-tenetur-Grundsatz 100, 173 Neutrales Verfahrensprinzip, gegenseitige Anerkennung als 233, 242 Normative Tatbestandsmerkmale 161 Notwendige Verteidigung 133, 150 – doppelte 186, 270 Nulla-poena-Satz s. Gesetzlichkeitsprinzip Nullum judicium sine lege 91, 246 Ordre public 135, 178, 180, 196 – gerichtliche Absicherung 187
320
Stichwortverzeichnis
– im EU-Recht 251, 255, 265 – prozessunabhängige Schranken als Teil des 210 Partizipatorisches Ermittlungsverfahren 204 Personenbezogene Daten 134 Praktische Konkordanz 73, 78, 222, 247 Primat der Individualrechte 75 Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit s. beiderseitige Strafbarkeit Prinzip gegenseitiger Anerkennung – als bloßer Kompetenztitel 247 – als neutrales Verfahrensprinzip 233 – Geschichte 218 – in Reinform 246 – instrumentelle Natur 247 – Übertragung auf das Strafrecht 222 – und prozessuale Balance 240 – Verhältnis zur Harmonisierung 227 Prozeduraler Grundrechtsschutz 196, 263 Prozessgleichgewicht s. Balance Prozesskostenhilfe 188, 270, 293 Prozesssubjekt, Individuum als 99, 126, 128, 133, 138, 144, 193, 199, 211 Prozessuale Verarbeitung 130 f., 141, 169, 172, 213 Prozessunabhängige Gefahren 126 – im Beweisrecht 207 – im EU-Recht 257 – Zwang 137 Prozessunabhängige Schranken 126, 188 – Akzessorietät zu prozessunabhängigen Gefahren 141 – allgemeine Eingriffsvoraussetzungen 141 – Ausdehnung im Einzelnen 144 – Auslieferung 199 – Beispiele 193 – Bestimmung 133 – Geltung auch im transnationalen Verfahren 127, 189 – im EU-Recht 253 f., 257 f., 260, 267, 273, 275, 288 – Irrelevanz für Beweisverwertung 128 – Kumulation 190 – materielle Strafbarkeit als allgemeine Schranke 157
– Rechtsschutz 182 – Richtervorbehalt 169 – Tatverdacht als Eingriffsvoraussetzung 145, 154 – und EU-Staatsanwaltschaft 285 – zugleich innerprozessualer Natur 173 Qualifizierte Straflosigkeit als Auslieferungsschranke 159 Race to the bottom 227, 291 Rahmenbeschlüsse der EU 250 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 132, 153, 204, 269 Recht auf Rechtsbeistand (EU-Richtlinie) 252, 269, 292 f. Rechtliches Gehör 54 f., 208 Rechtsbehelf 54, 184 f. – grenzüberschreitender 186 Rechtsbehelf s.a. Rechtsweg Rechtsgüterschutz 31, 116, 120, 226 Rechtshilfetheorie 28, 42, 61, 68, 131 – Konsequenzen 167 – und Individualrechte 52 Rechtskraft 198, 205, 264, 282 Rechtsmaterie sui generis, Rechtshilfe als 30 Rechtsnatur der Rechtshilfe 28 Rechtsordnung des ersuchten Staates, Wahrung 107, 144, 149, 182 Rechtspflegetheorie 30, 123 – historische 32 – sachliche Anerkennung durch h.M. 71 – und beiderseitige Strafbarkeit 155 – und Individualrechte 45, 69 – und ne bis in idem 167 Rechtsschutz s. Rechtsweg Rechtsstaatliche Junktim-Klausel 252, 292, 299 Rechtsstaatsprinzip 78, 150 Rechtsstellung des Einzelnen als Ausgangspunkt 58, 69 Rechtsweg 33, 56, 182, 298 – im ersuchten Staat 152, 182 – im EU-Recht 245, 269, 279, 291 Rechtswegspaltung 109, 182, 186 Resozialisierung 193, 196, 263 Richtervorbehalt 133, 168 f.
Stichwortverzeichnis – im EU-Recht 254, 267, 272, 285, 288 – und Beweisverwertung 177 Schengen 26, 224 Schuldprinzip 163 f., 181 Schuldspruch 126, 128, 170, 231 Schweigerecht 170, 201 Schweizer Modell 208 Selbstbelastungsfreiheit s. nemo-teneturGrundsatz Sichere Häfen für Kriminelle 27, 116 Souveränität 27, 47, 115, 117, 213 – im EU-Recht 224, 237, 251, 290 Spezialitätsgrundsatz 135, 179 Staatshaftung 271, 279 Staatsräson 68, 74 Status quo ante aks Maßstab 217, 235, 237, 295, 301 Stellvertretende Strafrechtspflege, Rechtshilfe als 30, 72 Strafanspruch – abgeleiteter 40 – des ersuchten Staates 34 f. – und arbeitsteiliges Strafverfahren 124 – und Vollstreckungsübernahme 161 Strafanspruch des ersuchenden Staates – als Voraussetzung für Rechtshilfe 180 Strafanwendungsrecht 36 f., 41, 180 Strafaussetzung zur Bewährung 195 Strafgerichtshof für Ruanda 69 Strafgewalt s. Strafanspruch Strafklageverbrauch, transnationaler 239, 281 Strafprozessrecht – des ersuchenden Staates s. lex fori regit actum – Geltung in der Rechtshilfe 31, 68, 75, 126 Strafprozessuale Rechtslage im ersuchten Staat 126 Strafverfolgungsinteressen, staatliche 60, 62, 74, 103, 155, 243, 297 Strafvollstreckung 59, 193 – als Auslieferungsziel 199 – Auslieferungshaft als Vollstreckung 160, 166, 198 – im EU-Recht 266 Strafzwecke 31, 193
321
Subjektive Rechte des Individuums s. Individualrechte Subsidiaritätsprinzip 225, 228, 294 Supranationalität 82, 217, 220, 238, 255 Tatverdacht – als Eingriffsvoraussetzung 144 – bei Auslieferung 200 Tatverdachtsprüfung 145 – Epistemische Probleme 151, 163 – im EU-Recht 236, 260, 292 – Rechtsschutz 183 Telekommunikation – zwischen Behörden 151 f. Telekommunikationsüberwachung 136, 169, 173, 190, 284 – durch EU-Staatsanwalt 284 Tele-Vernehmung 152, 204 Todesstrafe 55, 181 Transnationale Dimension – Behinderung des Verfahrens 121 – Beweisverwertung 177 – der Kriminalität 27 – Doppelverfolgungsverbot 282 – Modifikation des Verfahrensrechts 31, 43, 86, 130, 132 – Prozesskostenhilfe 293 – und Benachteiligungsverbot 69, 99, 147, 165 – und Verfahrensbalance 98 Transnationale Verfahrenseinheit 61, 94, 114, 122, 214 Transnationale Verfahrenseinheit s.a. international-arbeitsteiliges Strafverfahren Übergabe als Teil der Auslieferung 63, 197, 206 – im EU-Recht 266 Überwachungsanordnung, europäische 268 Unionsgesetzgeber s. EU-Gesetzgeber Unmittelbarkeitsprinzip 95, 201 Unschuldsvermutung 94, 146, 198, 202 f., 230 Untersuchungshaft 137, 205 – Auslieferungshaft als U-Haft 198 – im EU-Recht 235, 265, 267, 270 – und Tatverdacht 145
322
Stichwortverzeichnis
– Verfahrenssicherung als alleiniger Zweck 202 Untersuchungshaftbefehl – als Auslieferungsgrundlage 203 – Verzichtbarkeit für Auslieferung 205 Verantwortlichkeit der Staaten für Eingriffe 93, 103, 112, 183, 185, 290 Verdeckte Ermittlungen 284 Verfahrensbalance s. Balance Verfahrensführender Staat – anwendbare Vorschriften 132, 134, 140, 157, 169 – Beweisrechtsvorschriften 207 – Haftgründe 168 – Rechtsschutz 110 – Tatverdachtsprüfung 147, 154 – Verantwortlichkeit 93 – Verteidigungsrechte 184 Verfassungsrecht – als Rahmen des Rechtshilferechts 57, 76 – notwendige Entfaltung im einfachen Recht 100 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz s. Verhältnismäßigkeitsprinzip Verhältnismäßigkeitsprinzip 79, 90, 122 Verjährung 165 Verkehrsfähigkeit prozessualer Entscheidungen 225, 233, 247 – im Beweisrecht 246, 271 Vernehmung 88, 92, 138 – Anwesenheitsrecht 184 Verschubung 151, 153, 199 Verteidiger 104, 109, 170, 184, 188 – im Ermittlungsverfahren 88 – im EU-Recht 236, 270, 275, 277, 292 – Kosten 271 Verteidigung – im EU-Recht 269 Verteidigungsrechte 91, 182 – Bedeutung für Verfahrensbalance 91, 99 – im EU-Recht 252, 271, 277, 285, 291 f. – im verfahrensführenden Staat 184, 207 – Kompensation von Einbußen 186 – Stärkung synchron zur Effektivierung der Strafverfolgung 112 Vertrag von Lissabon 77, 221, 250, 272 Vertragstheorie 41, 52, 63
Verwertbarkeit s. Beweisverwertungsverbot Verzahnung von Verfahren 153, 215, 261, 277 Völkerrecht 34, 41, 59 – als „Brandmauer“ zwischen den Verfahren 54 – als einzige Schranke der Rechtshilfe 56, 62 – subjektive Rechte 50, 52 – und EU-Recht 238 – Verhältnis zum Strafprozessrecht 72 Völkerrechtlicher Mindeststandard 56, 66, 68, 120 Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes 59 f., 66, 238 Vollstreckung von Strafen 193 Vollstreckungselement, ne bis in idem 282 Vollstreckungsübernahme 35, 165, 181, 193, 196, 210, 281 f., 290 – in der EU 263, 294 Vollstreckungsverfahren 195 Vollzug – „als solcher“ 141, 143 – Untrennbarkeit von Eingriffsvoraussetzungen 143 Vollzugsakt, innerstaatlicher 52, 57 f. Vollzugsdefizit in der Rechtshilfe 287 Vorführung vor dem Haftrichter 151 – 153, 169, 203 Vorhersehbarkeit staatlicher Eingriffe 60, 94, 159, 295 Vorrang – der strafprozessualen Perspektive 69, 118 – des EU-Rechts 82, 242, 249, 294 – des Völkerrechts 51 Vorratsdatenspeicherung 134 Vorzeitige Haftentlassung 195, 263 Waffengleichheit 91, 278, 294 Wahrheitsfindung 35, 49, 135 f., 170 – Beweisverwertung 171 – innerprozessuale Schranken 178 – Trennung von prozessunabhängigen Schranken 128, 208 – und Aussageverweigerungsrechte 139 – und gegenseitige Anerkennung 271, 276 – und Wechsel des Gerichtsorts 176
Stichwortverzeichnis Warenverkehrsfreiheit 218, 225 Wiederaufnahme des Verfahrens 89, 264 Wirksame Verteidigung 182, 214 – im EU-Recht 270, 277, 292 f. Wohnungsdurchsuchung 128 Zeugnisverweigerungsrecht 138 – 140, 170, 173 f., 185, 212 – für Angehörige 138 Zufügung des Strafübels 193
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Zulässigkeit von Beweisen s. Beweisverwertungsverbot Zwang 29, 37, 48, 105, 125, 136 f., 164, 212, 141 – im EU-Recht 224, 247, 257, 272 Zweidimensionales Verständnis der Rechtshilfe 58, 127 – als untauglicher Maßstab 236 Zwischenstaatliche Solidarität 43, 74, 142, 243