113 12 45MB
German Pages 323 Year 2002
PETER GRÖSCHLER
Actiones in factum
Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.
Neue Folge · Band 39
Actiones in factum Eine Untersuchung zur Klage-Neuschöpfung im nicht vertraglichen Bereich
Von Peter Gröschler
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 3-428-10963-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort
Die vorliegende Abhandlung zu den eigenständigen actiones in factum im nichtvertraglichen Bereich wurde im Wintersemester 2000/2001 von der Juristischen Fakultät der Universität Passau als Habilitationsschrift angenommen. Die später erschienene Literatur ist bis Mitte 2001 berücksichtigt. Mein ganz herzlicher Dank gilt meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Ulrich Manthe, der die Arbeit angeregt und ihren Werdegang stets wohlwollend und kritisch begleitet hat. All meine Begeisterung für das römische Recht geht auf sein besonderes Engagement zurück. Dank gebührt auch Frau Professorin Dr. Ulrike Seif für die Erstellung des Zweitgutachtens mit hilfreichen Hinweisen. Sehr förderlich war der Forschungsaufenthalt am Institut für Römisches Recht der Universität Catania im Frühjahr 1998, den mir insbesondere Herr Professor Dr. Francesco Milazzo ermöglicht hat; ihm sei herzlich gedankt. Ebenfalls danke ich dem italienischen 'Consiglio Nazionale delle Ricerche' für die großzügige Finanzierung des Aufenthalts. Für die Unterstützung bei der Fertigstellung des Manuskripts danke ich meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter, Herrn Michael Dümig (Mainz). Den Herausgebern sowie dem Verlag bin ich für die Aufnahme des Buches in die Reihe der Freiburger Rechtsgeschichtlichen Abhandlungen sehr verbunden. Mainz, im Mai 2002
Peter Gröschler
Inhaltsverzeichnis
§ 1
Einleitung I. Die Beschreibung der actiones in factum als neue Klagen II. Der Begriff der formula in factum concepta
§ 2
Der Stand der Meinungen
11 12 14 18
I. Die Gleichsetzung der actiones in factum mit den Klagen, die eine formula in factum concepta besitzen II. Die actiones in factum als auf den Einzelfall zugeschnittene Klagen .... III. Ausblick § 3
20 27
Das Verhältnis von actiones in factum und actiones utiles I. Klageerweiternde actiones utiles und actiones in factum in der Zeit bis Julian 1. Actiones utiles 2. Actiones in factum II. Die Ausdehnung des Begriffs der actiones utiles in der Zeit nach Julian
§4
18
Im Edikt enthaltene Pönalklagen I. Darstellung der einzelnen Klagen 1. Klage wegen Ladung einer Respektsperson: D. 2.4.12 2. Klagen wegen Verhinderung der Ladung bzw. des Erscheinens vor Gericht a) Gewaltsame Verhinderung der Ladung: D. 2.7.5.1,3 b) Dolose Verhinderung des Erscheinens in iure: D. 2.10.3 pr., 48.10.25 3. Klage auf Rechnungslegung aus dem Edikt 'De edendo': D. 2.13.9 pr 4. Klage wegen prozessualer calumnia gegen Bezahlung: D. 3.6.1 pr., 5.1, 7.2; 37.15.5 pr 5. Strafklagen gegen den nauta , caupo, stabularius wegen damnum oder furtum : D. 4.9.6.1 pr., 1 6. Die actio de deiectis vel effusis: D. 9.3.1.4 7. Die sogenannte actio de posito vel suspenso: D. 9.3.5.6 8. Klage gegen den Feldmesser: D. 11.6.1 pr
28 30 30 33 34 42 42 42 48 48 52 60 63 70 79 82 84
8
Inhaltsverzeichnis 9. Klagen gegen den tutor falsus: D. 27.6.9.1, 11 pr 10. Klage bei betrügerischem Verkauf eines Scheinsklaven: D. 40.12.22 pr
92
11. Strafklagen im Zusammenhang mit der missio in possessionem a) Strafklage gegen den in den Besitz eingewiesenen Gläubiger: D. 42.5.9 pr b) Strafklage bei Behinderung des in den Besitz eines Vermögens Eingewiesenen: D. 43.4.1 pr., 2 12. Klage aus Schädigung bei turba: D. 47.8.4.11
97 105
13. Die actio de sepulchro violato: D. 47.12.3 pr 14. Klage gegen den Richter qui litem suam fecerit:
107 110
D. 50.13.6
II. Zusammenfassung §5
87
Im Edikt enthaltene rein sachverfolgende Klagen I. Darstellung der einzelnen Klagen 1. Klage bei Veräußerung einer vom Prozeß bedrohten Sache: D. 4.7.1 pr Exkurs: Veräußerung der streitbefangenen Sache 2. Sachverfolgende actiones in factum im Bereich des Grabrechts a) Klage bei unrechtmäßiger Bestattung: D. 11.7.2.1 f. b) Klage bei Verkauf eines locus religiosus als locus purus: D. 11.7.8.1 c) Klage bei Behinderung der Bestattung: D. 11.7.8.5, eod. 9 3. Actio in factum beim freiwilligen Parteieid über das Klagebegehren a) Klage aus dem Edikt 'De iureiurando ': C. 4.1.8 b) Klage bei Leistung eines Eides mit dem Inhalt 'rem suam esse': D. 12.2.11.1 Exkurs: Wirkung des klägerischen Parteieides bei den actiones in rem 4. Actio in factum gegen den bonafide serviens: D. 40.12.13 pr 5. Sachverfolgende Klagen im Zusammenhang mit der missio in possessionem a) Klagen aus dem Verhältnis zwischen dem in den Besitz Eingewiesenen und dem Schuldner: D. 42.5.9 pr.,6 b) Klage aus der fingierten cautio damni infecti: D. 39.2.7 pr Exkurs: Verhältnis der Klage zur lex Rubria und zur legis actio damni infecti 6. Bereicherungsklagen post annum und gegen den Erben beim interdictum unde vi: D. 43.16.1.48 II. Zusammenfassung
94 95
115 122 122 122 127 129 129 135 139 141 145 152 153 162 163 164 168 183 189 192
Inhaltsverzeichnis § 6
Nichtediktale Klagen
196
I. Darstellung der einzelnen Klagen 1. Klage bei Prozeßaufgabe (desistere):
196 D. 4.3.33
196
2. Actio in factum in Fällen der Verbindung a) Verbindung durch ferruminano: D. 6.1.23.5 b) Ausbau von Steinen aus einem Grabmal: D. 6.1.43 3. Klage gegen die Erben bei Veräußerung der Sache durch den Erblasser ante litem contestatam: D. 6.1.52
205
4. Actio in factum des habitator gegen den detector: D. 9.3.5.4
211
5. Actio in factum gegen den Miteigentümer, der den gemeinsamen Sklaven schädigt: D. 9.4.10
213
6. Actio in factum D. 12.4.3.9
220
bei Vereitelung des Bedingungseintritts:
7. Actio in factum bei fehlender cautio usufructuaria:
D. 19.5.10
8. Verkauf des Vermächtnisgegenstandes durch den Sklaven des Erben: D. 30.48 pr
224 236
9. Klage gegen den Erben im Zusammenhang mit der operis novinuntiatio: D. 39.1.20.8
242
10. Klagen wegen Gläubigerbenachteiligung a) In integrum restitutio: D. 42.8.6.10-13 aa) Zu den §§11,12 des fr. 6 bb) Zu den §§ 10, 13 des fr. 6 b) Interdictum fraudatorium: D. 42.8.10 pr
247 249 252 257 261
11. Actio in factum gegen den Patron bzw. die Vorfahren anstelle des interdictum unde vi: D. 43.16.1.43 12. Actio in factum bei Verwendung fremder Tiere: D. 47.2.52.20 II. Zusammenfassung § 7
197 197 203
Schlußfolgerungen I. Bewertung der herrschenden Meinung
265 267 277 282 282
1. Zuschnitt auf den individuellen Sachverhalt
282
2. Nichtediktaler Ursprung
283
3. Notwendigkeit einer Formelkonzeption in factum
284
II. Die actiones in factum als Klagen, bei denen der Lebenssachverhalt (factum) den Klagegrund bildet
286
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
291
Sachverzeichnis
304
Quellenregister
310
§ 1 Einleitung Aus dem römischen Aktionendenken folgt, daß sich ein Anspruch nur dann verwirklichen ließ, wenn hierfür eine geeignete Klage vorhanden war. Die Anerkennung neuer Ansprüche konnte daher im Wege der Rechtsfortbildung nur dadurch erfolgen, daß es zur Schaffung neuer Klagen durch den Prätor kam. In den Digesten gibt es eine Vielzahl von - zum Teil heftig umstrittenen und häufig der Interpolation verdächtigten 1 - Stellen, in denen es um actiones in factum geht, die der Schaffung von neuen Klagen dienten. Neben der Kategorie der actiones in factum findet sich die Kategorie der Klagen mit einer formula in factum concepta, wie sie in den Institutionen des Gaius beschrieben werden, d.h. Klagen mit einer auf den Tatbestand im Sinne des tatsächlichen Lebenssachverhalts abstellenden Klagformel. Das Verhältnis dieser beiden Kategorien ist nicht abschließend geklärt; insbesondere fragt sich, ob mit den actiones in factum notwendig eine in factum konzipierte Formel verbunden war. Die actiones in factum treten in zwei verschiedenen Gestalten auf. 2 Auf der einen Seite stehen solche Klagen, die sich an eine bereits vorhandene, im prätorischen Edikt enthaltene Klage anlehnen und durch Abwandlung der vorgegebenen Klagformel den Anwendungsbereich der Klage erweitern (actiones ad exemplum)? Bekanntestes Beispiel sind die klageerweiternden actiones in factum zur actio legis Aquiliae. Daneben gibt es als zweite Erscheinungsform zahlreiche eigenständige actiones in factum, mit denen neue Klagen geschaffen wurden, ohne daß dafür eine Klage des ius civile oder ius honorarium als Vorbild vorhanden war. Es geht hier also nicht um die Ausdehnung des Anwendungsbereichs bereits vorhandener Klagen, sondern um völlige Klage-Neuschöpfungen. Ein Beispiel ist etwa die vom Prätor als indicium in factum verheißene sogenannte actio de posito vel suspenso, die auf eine feststehende Strafsumme gerichtet 1 Vgl. insbesondere De Francisci, Συνάλλαγμα II 61 ff., 83 ff.; zustimmend Stoll, SZ 47 (1927) 546 f. Für eine Ersetzung von formula in factum (concepta) durch actio in factum siehe Talamanca, ED 36 (1987) 53 3 7 4 . Nach Käser, RP II 2 67 2 5 , Studien 9 5 1 f . (=TR 44 [1976] 241 51 f.), bedarf dies der erneuten Prüfung; insbesondere für die eigenständigen actiones in factum: Käser, Rom. Rechtsquellen 100 45 . 2 Vgl. Selb, St. Biscardi III (1982) 321 f., 324f.; Käser, SZ 101 (1984) 95ff. (100); Wesener, SZ 1 12 (1995) 113. 3 Die Sammelbezeichnung actiones ad exemplum steht für alle nachgebildeten Klagen, d.h. solche Klagen die sich am Muster einer Klage, die als Vorbild dient, orientieren; vgl. Wesener, SZ 75 (1958) 220 ff. (248 f.); Lübtow, Untersuchungen 203 9 .
12
§ 1 Einleitung
war. 4 Diese eigenständigen Klagen machen den Großteil der überlieferten actiones in factum aus. Die klageerweiternden actiones in factum, insbesondere im Zusammenhang mit der lex Aquilia, sowie die actiones in factum civiles, die mit der auf Innominatkontrakte anwendbaren actio praescriptis verbis zu identifizieren sind und der Schaffung ziviler Vertragsklagen dienten, wurden in jüngster Zeit mehrfach untersucht.5 Die vorliegende Abhandlung befaßt sich im Kern mit den - bisher nur am Rande behandelten - eigenständigen actiones in factum im nichtvertraglichen Bereich. Ziel ist es, die Bedeutung dieser eigenständigen actiones in factum sowie ihr Verhältnis zu den klageerweiternden actiones in factum und zu den Klagen mit formula in factum concepta zu klären. Es fragt sich, inwiefern sich die eigenständigen actiones in factum von den klageerweiternden actiones in factum unterscheiden und ob sämtliche actiones in factum eine in factum konzipierte Klagformel aufweisen.
I. Die Beschreibung der actiones in factum als neue Klagen Eine allgemeine Beschreibung der actiones in factum als Klagen, die dann gewährt werden, wenn es an einer vorgegebenen Klage fehlte und der Prätor das Begehren des Klägers dennoch für schutzwürdig hielt, findet sich in Pomponius' Kommentar zum ius civile des Quintus Mucius Scaevola. D. 19.5.11, Pomp. 39 ad Qu. Muc. : Quia actionum non plenus numerus esset, ideo plerumque actiones in factum desiderante. sed et eas actiones quae legibus proditae sunt, si lex iusta ac necessaria sit, supplet praetor in eo quod legi deest: quod facit in lege Aquilia reddendo actiones in factum accommodatas legi Aquiliae, idque utilitas eius legis exigit.
Die vorhandenen, d.h. die im Edikt enthaltenen Klagen bildeten kein abgeschlossenes System,6 sondern waren bisweilen (plerumque) ergänzungsbedürftig. Zur Schließung der Lücken dienten die actiones in factum, wozu Pomponius sowohl eigenständige Klagen als auch solche Klagen rechnet, die sich an bereits vorhandene, insbesondere an zivile Klagen (actiones quae legibus proditae sunt% anlehnen. Der Prätor wird bei der Schaffung der actiones in factum in Ergänzung des ius civile tätig. Besonders deutlich wird das bei der Abwandlung ziviler Klagen, die der Prätor so in ihrem tatbestandsmäßigen Anwendungsbereich erweitert (supplet praetor in eo quod legi deest). Aber auch dann, wenn der Prätor aufgrund seiner Amtsgewalt völlig neue Ansprüche schafft, die nach 4
Vgl. Ulp. D. 9.3.5.6 (u. 82). Hinsichtlich der klageerweiternden actiones in factum siehe insb. die Untersuchungen Selbs (Nachw. u. 22 2 9 ); zur actio in factum civilis vgl. die Nachw. u. 20 1 7 . 6 Vgl. auch Cie. top. 8.33: at si stipulationum aut iudiciorum formulas partiare, non est vitiosum in re infinita praetermittere aliquid. 5
I. Die Beschreibung der actiones in factum als neue Klagen
13
ius civile nicht bestehen, handelt es sich der Sache nach um eine Ergänzung des ius civile , das nicht als abschließende Rechtsordnung angesehen wurde. 7 Dies entspricht der Definition des ius honorarium durch Papinian.8 D. 1.1.7.1, Pap. 2 def : Ius praetorium est, quod praetores introduxerunt adiuvandi vel supplendi vel corrigendi iuris civilis gratia propter utilitatem publicam. quod et honorarium dicitur ad honorum praetorum sie nominatum.
Der Prätor schafft durch die actiones in factum also Honorarrecht, das die Lücken des Zivilrechts schließen soll. Eine Beschränkung der actiones in factum auf dekretale, nur für den jeweiligen Einzelfall gewährte Klagen läßt sich aus Pomponius' Beschreibung nicht ohne weiteres ableiten. Vielmehr passen die Ausführungen auf jede honorarrechtliche Klage, die in Ermangelung einer vorhandenen Klage vom Prätor gewährt wurde, also auch auf solche Klagen, die im Rahmen eines neuen Verheißungsedikts eingeführt wurden. Freilich handelt es sich bei den actiones in factum , die sich an bestehende Klagen anlehnen und Abwandlungen der jeweiligen Grundklage darstellen, in aller Regel um dekretale Klagen; ausnahmsweise konnten allerdings auch Abwandlungsklagen als eigene generell-abstrakte Klagen in das Edikt aufgenommen werden. 9 Soweit es um die Schaffung eigenständiger Klagen geht, ist grundsätzlich offen, ob die jeweilige Klage im Rahmen eines Einzelfalldekrets gewährt wurde oder aber als neue generell-abstrakte Klage in das Edikt Aufnahme fand. Dennoch wird es sich für Pomponius bei den actiones in factum im Ergebnis nur noch um dekretale Einzelfallklagen gehandelt haben. Da die Entwicklung des prätorischen Edikts zu Beginn des 2. Jh. bereits weitgehend abgeschlossen war, 10 kam die Aufnahme neuer Klagen in das Edikt für Pomponius grundsätzlich wohl nicht mehr in Betracht. Ganz ähnlich wie Pomponius beschreibt Papinian den Einsatzbereich der actiones in factum. D. 19.5.1 pr.-2, Pap. 8 quaest. : Nonnumquam evenit, ut cessantibus iudieiis proditis et vulgaribus actionibus, cum proprium nomen invenire non possumus, facile descendemus ad eas, quae in factum appellantur. sed ne res exemplis egeat, paucis agam. (1) Domino mercium in magistrum navis, si sit incertum, utrum navem conduxerit an merces vehendas locaverit, civilem actionem in factum esse dandam Labeo scribit. (2) Item si quis pretii explo7
Vgl. Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 472 f. Siehe hierzu Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 471 f f ; Käser, Rom. Rechtsquellen 97 (= Est. Alvarez Suärez [1978] 239); Mayer-Maly, AöR 80 (1955) 160; Lübtow, Das römische Volk 531. 9 Vgl. die actiones in factum bei Sachbeschädigung oder Diebstahl gegen den nauta , caupo oder stabularius: hierzu u. 70 ff. 10 Vgl. Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 468f.; Käser, SZ 101 (1984) 66f., 108f. 8
14
§ 1 Einleitung randi gratia rem tradat. neque depositum neque commodatum erit, sed non exhibita fide in factum civilis subicitur actio ...
Auch hier werden die actiones in factum als Klagen aufgefaßt, die dann gewährt wurden, wenn keine im Edikt vorgegebene Klage vorhanden war. Mit iudiciis proditis et vulgaribus actionibus sind in Form eines Hendiadyoins die im Edikt enthaltenen Grundklagen bezeichnet;11 actio vulgaris meint - ebenso wie actio directa - die Grundklage, die als Vorbild für analoge Klagen diente. 12 Als Beispiele für actiones in factum nennt Papinian Klagen aus Innominatkontrakten, wofür bereits von Labeo der Begriff actio in factum civilis verwendet wurde. 13 Die Gleichsetzung der actiones in factum mit solchen Klagen, die über den Kreis der im Edikt verheißenen Rechtsbehelfe hinausgehen, liegt wohl auch folgender Gläubigerdefinition durch Ulpian zugrunde. D. 44.7.42.1, Ulp. 21 ad ed. : Creditores eos accipere debemus, qui aliquam actionem vel civilem habent, sie tarnen, ne exceptione submoveantur, vel honorariam actionem, vel in factum.
Die Dreiteilung in actiones civiles, honor ariae und in factum ergibt nur dann einen Sinn, wenn man unter actiones honorariae hier die hergebrachten prätorischen Klagen versteht. Mit actiones in factum sind dagegen neue Klagen gemeint, für die das Edikt des Prätors bisher noch keine Grundlage bietet. Auch wenn sich zur Zeit Papinians und Ulpians, als die Entwicklung des prätorischen Edikts längst abgeschlossen war, die Bedeutung der actiones in factum auf dekretale Einzelfallklagen beschränkt haben muß, ist eine solche Beschränkung für die Zeit vor dem 2. Jh. n. Chr. nicht angebracht. Die Schließung von Lücken der vorhandenen Rechtsordnung ist grundsätzlich sowohl durch die Gewährung neuer Klagen nur für den konkreten Einzelfall als auch durch die Schaffung generell-abstrakter Klagen im Rahmen eines neuen Verheißungsedikts vorstellbar.
II. Der Begriff der formula in factum concepta Der Begriff der formula in factum concepta, der für eine bestimmte Art der Fassung der Klagformel, namentlich der intentio, steht, erscheint nur in den Institutionen des Gaius. Grundsätzlich kommen nach Gaius' Darstellung zwei Formeltypen in Betracht, nämlich der Typ der formula in ius concepta sowie 11 Vgl. Burdese, Iura 36 (1985) 18 19 f.; Gallo, Synallagma e conventio I 231 1 7 8 , II 202 5 8 ; Santoro, APal. 37 (1983) 211. 12 Vgl. Cels. D. 19.5.2; Afr. D. 28.5.47. Hierzu Benke, SZ 105 (1988) 595 10 : Käser/ Hackl, RZ 2 329 f. 2 0 13 Zur Frage der Echtheit des Ausdrucks actio in factum civilis siehe u. 20 f.
II. Der Begriff der formula in factum concepta
15
der einer formula in factum concepta. Während bei der formula in ius concepta die intentio auf ein Rechtsverhältnis des ius civile Bezug nimmt, stellt die intentio bei der formula in factum concepta auf die einzelnen tatbestandlichen Voraussetzungen, das factum, ab. 14 Gai. 4.45f: Sed eas quidem formulas, in quibus de iure quaeritur, in ius conceptas vocamus, quales sunt, quibus intendimus nostrum esse aliquid ex iure Quiritium aut nobis dari oportere aut pro fure damnum quibus iuris civilis intentio est. (46) Ceteras vero in factum conceptas vocamus, id est, in quibus nulla talis intentio concepta est, initio formulae nominato eo quod factum est, adiciuntur ea verba, per quae iudici damnandi absolvendive potestas datur; ...
Kennzeichnend für die formula in ius concepta ist der Verweis auf das ius civile ;15 der iudex mußte die in der intentio beschriebene Rechtsfrage des ius civile lösen (de iure quaeriturj, um zu einer Verurteilung oder Klageabweisung zu kommen, d.h. im Bereich der actiones in rem die Frage der dinglichen Berechtigung (ex iure Quiritium Α Ά1 esse bzw. A °A ° ius esse), bei den actiones in personam die Frage der schuldrechtlichen Verpflichtung nach ius civile (dare facere praestare oportere). Dagegen folgt bei der formula in factum concepta die condemnatio, also die Ermächtigung des iudex zur Verurteilung bzw. zur Klageabweisung, unmittelbar auf die Beschreibung des Tatbestands im Sinne des tatsächlichen Lebenssachverhalts (nominato eo quodfactum est)} 6 Im Rahmen der Klagformel wird hier der Prüfungsumfang des iudex durch die Beschreibung der einzelnen Verurteilungsbedingungen genau vorgegeben; der iudex kann sich daher darauf beschränken, den konkreten Sachverhalt unter die in der Formel enthaltenen Tatbestandsmerkmale zu subsumieren. Zur Erläuterung der unterschiedlichen Formelkonzeption stellt Gaius die actio depositi mit formula in ius und in factum concepta gegenüber. Gai. 4.47: Sed ex quibusdam causis praetor et in ius et in factum conceptas formulas proponit, veluti depositi et commodati. illa enim formula, quae it concepta est: IUDEX ESTO. QUOD AULUS AGERIUS APUD NUMERIUM NEGIDIUM MENSAM ARGENTEAM DEPOSUIT, QUA DE RE AGITUR, QUIDQU1D OB EAM REM N U M E R I U M NEGIDIUM A U L O AGERIO DARE FACERE OPORTET EX FIDE BONA, EIUS [IDEM], IUDEX, NUMERIUM NEGIDIUM A U L O AGE-
RIO CONDEMNATO. SI NON PARET, ABSOLVITO, in ius concepta est. at illa formula, quae ita c o n c e p t a est: IUDEX ESTO. SI PARET A U L U M AGERIUM APUD N U M E R I U M NEGIDIUM MENSAM ARGENTEAM DEPOSUISSE EAMQUE DOLO MALO NUMERII NEGIDII A U L O AGERIO REDDITAM NON ESSE, QUANTI EA RES ER IT, TANTAM PECUNIAM, IUDEX, NUMERIUM N E -
14 Vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 312; Talamanca, ED 36 (1987), s.v. Processo civile (dir. rom.), 54 f.; Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 454. 15 Vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 327; Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 453. 16 Vgl. Selb, FS Demelius (1973) 234; Kaser/Hackl, RZ 2 329; Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 454.
16
§ 1 Einleitung GIDIUM AULO AGERIO CONDEMNATO. SI NON PARET, ABSOLVITO, i n f a c t u m c o n c e p t a
est. similes etiam commodati formulae sunt.
Bei der dreigliedrigen formula in ius concepta folgt auf die demonstratio (Quod... deposuit) die hier auf ein incertum gerichtete intentio (quidquid... dare facere oportet ex fide bona); den Abschluß bildet die condemnatio. Der iudex war bei seiner Entscheidung darauf angewiesen, den Inhalt der nach der Klagformel nicht näher definierten Verpflichtung selbst zu bestimmen, wobei fur ihn die Grundsätze des ius civile sowie die bona fides maßgeblich waren. Dagegen ist die formula in factum concepta, die keine demonstratio aufweist, durch einen zweigliedrigen Aufbau gekennzeichnet: Auf die intentio (Si paret ... redditam non esse) folgt die auf quanti ea res erit gerichtete condemnatio. Es handelt sich um eine strengrechtliche Klage, die ausschließlich auf die Pflicht zur Rückgabe der in Verwahrung gegebenen Sache abstellt. Die Voraussetzungen für die Haftung des Beklagten werden im einzelnen festgelegt, nämlich die Hingabe der Sache zur Verwahrung, die ausstehende Rückgabe sowie der Vorsatz des Verwahrers. Die Entscheidung des iudex ist damit genau vorgegeben. Ein weiteres Mal bezieht sich Gaius auf die Formelkonzeption im Zusammenhang mit der Klagekonsumption aufgrund der litis contestatio. Gai. 4.106/.: Et si quidem imperio continenti iudicio actum fuerit, sive in rem sive in personam, sive ea formula, quae in factum concepta est, sive ea quae in ius habet intentionem, postea nihilo minus ipso iure de eadem re agi potest; et ideo necessaria est exceptio rei iudicatae vel in iudicium deductae. (107) Si vero legitimo iudicio in personam actum sit ea formula, quae iuris civilis habet intentionem, postea ipso iure de eadem re agi non potest, et ob id exceptio supervacua est; si vero vel in rem vel in factum actum fuerit, ipso iure nihilo minus postea agi potest, et ob id exceptio necessaria est rei iudicatae vel in iudicium deductae.
Gaius unterscheidet zwischen der Einsetzung eines iudicium legitimum, d.h. eines gesetzmäßigen, dem ius civile entsprechenden Urteilsgerichts, 17 und eines iudicium imperio continens, das allein auf der Jurisdiktionsgewalt des einsetzenden Magistrats beruhte und daher an dessen Amtsdauer gebunden war. 18 Bei Einsetzung eines iudicium imperio continens hatte die litis contestatio unabhängig von der Art der erteilten Klage und der Konzeption der Klagformel nicht den Ausschluß erneuter Klagen de eadem re zur Folge; um widersprechende Entscheidungen in derselben Sache zu verhindern, mußte die exceptio rei iudi17 Zum Begriff der iudicia legitima, die vermutlich aus den Legisaktionen hervorgegangen sind, siehe Nelson/Manthe, Gai Inst. III 88-181, 435, 437f., 440; Käser, SZ 101 (1984) 56f.; Liebs, SZ 86 (1969) 179f. 18 Siehe Gai. 3.180f., 4.104f.; hierzu Nelson/Manthe, Gai Inst. III 88-181, 434ff.; Kaser/Hackl, RZ 2 162, 352. Mit imperium ist hier die iurisdictio als Teilaspekt der Amtsgewalt gemeint, d.h. die Befugnis zur Einsetzung eines Urteilsgerichts (iudicium dare), wie sie auch den Ädilen und Munizipalmagistraten zukam.
II. Der Begriff der formula in factum concepta
17
catae vel in iudicium deductae erteilt werden. Dagegen kam es bei Einsetzung eines iudicium legitimum dann, wenn es um eine actio in personam mit formula in ius concepta ging, durch die litis contestatio zur Konsumption der Klage; das eingeklagte Recht erlosch, 19 weshalb die Erteilung einer erneuten Klage de eadem re ohne weiteres denegiert werden mußte. Gaius erklärt das Erlöschen des eingeklagten Rechts - im Einklang mit einer Parömie der veteres - damit, daß durch die litis contestatio der materielle Anspruch aus dare (facer e praestare) oportere in eine prozeßrechtliche Haftung des Beklagten umgewandelt wurde; an die Stelle des Anspruchs trat die auf die condemnatio abzielende Haftung aus dem Prozeßrechtsverhältnis (condemnari oportere)?® Gai. 3.180f: Tollitur adhuc obligatio litis contestatione, si modo legitimo iudicio fuerit actum: nam tunc obligatio quidem principalis dissolvitur, incipit autem teneri reus litis contestatione. sed si condemnatus sit, sublata litis contestatione incipit ex causa iudicati teneri, et hoc , quod apud veteres scriptum est: ante litem contestatam dare debitorem oportere, post litem contestatam condemnari oportere, post condemnationem iudicatum facere oportere. (181) Unde fit, ut si legitimo iudicio debitum petiero, postea de eo ipso iure agere non possim, quia inutiliter intendo DARI MIHI OPORTERE, quia litis contestatione dari oportere desiit, ...
Entscheidende Voraussetzung für die Klagekonsumption war es also, daß der Kläger einen Anspruch aus dare (facere praestare) oportere verfolgte; 21 das bedeutet, daß es sich bei der Klage um eine actio in personam mit in ius konzipierter intentio handeln mußte.
19
Vgl. Gai. 3.180 (hierzu gleich). Zu den Grundlagen für diese Umwandlung des materiellen Anspruchs vgl. Käser, SZ 101 (1984) 61 ff.; Liebs, SZ 86 (1969) 184ff. 21 Vgl. Liebs, SZ 86 (1969) 180 f. 20
§ 2 Der Stand der Meinungen I. Die Gleichsetzung der actiones in factum mit den Klagen, die eine formula in factum concepta besitzen Von einer - auch heute noch vertretenen - Meinung werden die actiones in factum weitgehend mit den Klagen identifiziert, die eine formula in factum concepta besitzen.1 Dabei werden die actiones in factum in die im Edikt proponierten Klagen mit formula in factum concepta und solche actiones in factum, die nicht im Edikt enthalten waren, sondern vom Prätor nur für den konkreten Einzelfall gewährt wurden, unterschieden. Bereits Savigny trennt zwischen ediktalen und nichtediktalen actiones in factum? Erstere seien die im Edikt verheißenen prätorischen Klagen mit formula in factum concepta. Die „wahre Bedeutung der unzähligen, in unsren Rechtsquellen vorkommenden, actiones in factum" sei jedoch, daß der Prätor für Fälle, die im Edikt nicht geregelt waren, formulae in factum conceptae geschaffen habe.3 Sowohl die ediktalen als auch die nichtediktalen actiones in factum haben damit nach Savigny eine formula in factum concepta besessen:4 „So waren also in der That die actiones in factum, die wir in unsren Rechtsquellen so oft finden, mit den erst durch Gajus bekannt gewordenen formulae in factum conceptae Eines und Dasselbe, und diese Identität, die von Manchen mit Unrecht bezweifelt worden ist, wird durch viele Stellen außer Zweifel gesetzt."
Maßgeblich für die Gleichsetzung der actiones in factum mit den Klagen, die eine formula in factum concepta aufweisen, ist für Savigny5 zum einen, daß in Gai. 4.106 f. im Zusammenhang mit der Klagekonsumption von einem in fac-
1
Vgl. Savigny, System V 78ff., 91 ff.; Vangerow, Pandekten I 7 195; Bethmann-Hollweg, Civilprozeß I 2, 313; Wlassak, RE 1.1 (1893) 313; Heumann/Seckel, Handlexikon 9 , s.v. factum (2), 205 f.; De Francisci, Συνάλλαγμα II 35ff. (44, 50); Wenger, Zivilprozeßrecht 152 12 ; Wesener, SZ 75 (1958) 221, St. Betti IV (1962) 503 (anders jetzt in SZ 112 [1995] 113); A.d'Ors, Iura 20 (1969) 57f.; Lübtow, Untersuchungen 206f.; Thielmann, St. Biscardi II (1982) 304; Sargenti, Iura 38 (1987/90) 59; Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 454 ff. (457); De Köninck, Ad legem Aquiliam 84; Bürge, Rom. Privatrecht 2Off. (23 f.), 43 (anders 74 31 ). 2 Vgl. Savigny 78 ff., 91 ff. 3 Diese Klagen seien „durch das Bedürfniß in einzelnen Fällen herbeigeführt" worden; vgl. Savigny 92. 4 Siehe Savigny 92. 5 Savigny 92 a .
I. Gleichsetzung von actio in factum und formula in factum concepta
19
tum agere in der Bedeutung von agere ea formula quae in factum concepta est die Rede ist; zum anderen, daß es sich bei den in Gai. 4.46 genannten drei Beispielen für Klagen mit in factum konzipierten Formeln jeweils um ediktale Klagen handelt, nämlich aus dem Ediktstitel 'De in ius vocando', 6 und zwei dieser Klagen in den Digesten als actiones in factum bezeichnet werden. 7 Bethmann-Hollweg äußert sich zu den im Edikt enthaltenen prätorischen Klagen wie folgt: 8 „Sehr bald war er [sc. der Prätor] veranlaßt, ganz neue Rechtsgrundsätze durch selbständige Klagen zur Ausführung zu bringen, die theils den Namen ihres Erfinders führten, wie die actio Serviana, Pauliana U.A., theils ihre Namen von dem Klaggrunde entlehnten, wie die actio constitutae pecuniae , doli u.s.w., theils von ihrer allgemeinen Form, die sie von den Civilklagen unterschied, actiones in factum heißen. Denn, da es in allen diesen Fällen kein an sich bestehendes Jus gab, auf das der Prätor den Judex hätte verweisen können, so mußte er ihm in der Formel die Thatsache, auf die es ihm ankam, bezeichnen, und den Befehl, den Beklagten zu einer bestimmten Leistung zu condemniren, daran knüpfen. Dies also ist die Bedeutung des von Gaius berichteten Unterschiedes der formulae in ius und in factum conceptae
Die Bezeichnung actiones in factum sei nach Bethmann-Hollweg hier mit der Form der Klagen zu erklären, d.h. mit ihrer in factum konzipierten Formel. In einer zweiten Bedeutung sei mit „ in factum (concepta) actio " die nichtediktale, den Umständen des einzelnen Falls angepaßte Klage mit einer auf die konkreten Tatsachen zugeschnittenen Formel gemeint.9 Auch nach Wlassak und Heumann/ Seckel seien mit actiones in factum sowohl die im Edikt verheißenen Klagen mit formula in factum concepta als auch die nichtediktalen, vom Prätor für einen konkreten Einzelfall formulierten Klagen gemeint, wobei auch letztere stets eine formula in factum concepta besessen hätten.10 Aus dem Rahmen fällt bei dieser Gleichsetzung von actio in factum mit der in factum konzipierten Klage allerdings die actio in factum civilis, u die sich in den Digesten als Synonym für die actio praescriptis verbis findet. Da eine actio in factum concepta nicht zugleich als civilis bezeichnet werden könne, wird die6 Es handelt sich um die Klage gegen den Freigelassenen, der in unzulässiger Weise seinen Patron lädt (u. 42 ff.), die Klage bei gewaltsamer Vereitelung der Ladung oder des Erscheinens in iure (u. 48 ff.) sowie um die Klage gegen den Geladenen, der nicht erscheint. Vgl. Lenel, EP3 68 ff., 73 f. Die Klage gegen den in ius vocatus hat keine Aufnahme in die Digesten gefunden, weil im nachklassischen Verfahren - wie schon im klassischen Kognitionsprozeß - gegen den nicht erschienenen Beklagten ein Versäumnisurteil ergehen konnte; vgl. Buti, II 'praetor' 263 1 3 9 , 294 2 5 3 . Zum Versäumnisverfahren siehe Kaser/Hackl, RZ 2 477 ff., 569 f. 7 Vgl. Ulp. D. 2.4.12 (u. 43), 2.7.5.3 (u. 51). 8 Bethmann-Hollweg 313. 9 Vgl. Bethmann-Hollweg 321 ff. (324). 10 Wlassak 313; Heumann/Seckel 205 f. 11 Vgl. Pomp./Lab. D. 19.5.1.1 f. Unecht dagegen in Paul./Iul. eod. 5.2 i.f. (u. 17 ).
§ 2 Der Stand der Meinungen
20
ser Zusatz vielfach als Interpolation eingestuft. 1 2 Bereits Savigny sieht dagegen in den actiones in factum civiles eine Ausnahme: 1 3 Hierbei handle es sich um Zivilklagen mit in ius konzipierter intentio; der Name in factum erkläre sich aus der „ausführlichen Erzählung der Thatsachen" im Rahmen der praescriptio, die der in ius konzipierten intentio vorgeschaltet war. In ähnlicher Weise führt Bethmann-Hollweg die Einstufung als „in factum (concepta) actio" - abweichend von Gai. 4.45 f . 1 4 - nicht auf die in factum konzipierte intentio, sondern die den Tatbestand wiedergebende praescriptio zurück. 1 5
I I . Die actiones in factum als auf den Einzelfall zugeschnittene Klagen Eine neuere Meinung lehnt die grundsätzliche Gleichsetzung der actiones in factum mit den in factum konzipierten Klagen zu Recht ab. Die mit der actio praescriptis verbis identische 1 6 actio in factum civilis w i r d heute überwiegend als klassisch anerkannt. 1 7 Es handelt sich um Klagen mit intentio incerta , also
12
Vgl. Sargenti, Iura 38 (1987) 58f.; Voci, Iura 34 (1983) 128f., La dottrina 267; Schiavone, Studi sulle logiche 100 , , 5 f.; Cannata, Iura 21 (1970) 66 3 8 , SDHI 30 (1964) 242 2 2 ; d'Ors, Iura 15 (1964) 392; Thomas, SDHI 7 (1960) 504: Meylan, Origine 56 und passim; Lenel, EP 3 301 f. (anders noch EP 1 [1883] 238 m. 1 ); zur älteren Literatur siehe auch Ind. Int. ad h.l. Auch Burdese, Homenaje Murga Gener (1994) 74 ff., Labeo 38 (1992) 212, Est. Iglesias I (1988) 133 ff., in: Atti del seminario (1987) 37ff., SDHI 51 (1985) 464f.; Iura 36 (1985) 20 m. 2 4 , 22 f., hält den Zusatz civilis für unecht, geht allerdings einer auf quidquid dare facere oportet ex fide bona gerichteten intentio, also einer in ius konzipierten Formel aus. 13 Savigny 96 ff. 14 Nach Gai. 4.45 f. (o. 15) ist für die Frage, ob eine Klagformel in ius oder in factum konzipiert ist, gerade die intentio maßgeblich (quibus intendimus, iuris civilis intentio, nulla talis intentio concepta est); vgl. auch Gai. 4.106f. (in ius habet intentionem, iuris civilis habet intentionem). 15 Bethmann-Hollweg 324 f. Slapnicar, Gratis habitare 62, 66, erklärt die actio praescriptis verbis als eine Jn factum konzipierte" Klage, wobei der Prätor den jeweils konkreten Sachverhalt (factum) in der demonstratio umschrieben habe. 16 Siehe Gai. D. 19.5.22: ... quasi de novo negotio in factum dandum esse iudicium, id est praescriptis verbis. 17 Vgl. Gallo, Synallagma e conventio I 234ff., in: Le teorie contrattualistiche 37ff., in: Atti del II convegno (1995) 40 f.; Kranjc, SZ 106 (1989) 441, 446, 450; Talamanca, ACop. 4 (1988/90) 86f.; Käser, SZ 101 (1984) 86, 98ff., SZ 83 (1966) 37ff, RP I 2 582; Misera, Sodalitas (Scritti Guarino) V I (1984) 2602ff.; Santoro, APal. 37 (1983) 100 (= St. Sanfilippo IV [1983] 709), in: Le teorie contrattualistiche 86f.; Selb, St. Biscardi III (1982) 325 f. Allgemein zur actio praescriptis verbis siehe Nelson/Manthe, Gai Inst. III 88-181, 289ff, 451; Gallo, Labeo 44 (1998) 7 f f ; Zimmermann, Law 532ff; Wacke, SZ 108 (1991) 129 m. 1 5 ; Melillo, ANRW II 14 (1982) 498ff; Cerami, Iura 33 (1982) 121 ff.
II. Die actiones in factum als auf den Einzelfall zugeschnittene Klagen
21
um in ius konzipierte Klagen, wobei die Sachverhaltsschilderung in Form von verba praescripta vorangestellt ist. Die zivile Konzeption der intentio w i r d insbesondere durch die mehrfach erscheinende Bezeichnung als actio civilis incerti belegt; 1 8 Neraz spricht ausdrücklich von einer Klage mit einer zivilen intentio incerta} 9 Das zeigt, daß eine actio in factum durchaus in ius konzipiert sein konnte. Der Ausdruck actio in factum civilis stellt auch nicht insofern einen Widerspruch dar, als hier eine honorarrechtliche Klage zugleich als zivil bezeichnet w i r d . 2 0 Der Prätor war aufgrund seiner Jurisdiktionsgewalt 2 1 befugt, das ius civile zu ergänzen, und konnte sogar solches ius honorarium schaffen, das im W i derspruch zum ius civile stand. 2 2 Diese weite Befugnis erklärt es, daß sich der Prätor bei der Schaffung von Honorarrecht auch der äußeren Formen des ius ci-
Unecht ist - wie ein Vergleich mit Ulp./Iul. D. 2.14.7.2 zeigt - die Erwähnung der actio in factum civilis nur in Paul./Iul. D. 19.5.5.2 i.f.: sed si dedi tibi servum, ut servum tuum manumitteres, et manumisisti et is quem dedi evictus est, si sciens dedi, de dolo in me dandam actionem lulianus scribit, si ignorans in factum [civilem]\ vgl. Santoro, APal. 37 (1983) 95 f. (= St. Sanfilippo IV [1983] 704 f.), Mc Cormack, SDHI 51 (1985) 146f.; Gallo Synallagma e conventio I 234f., II 180ff. A.A. Knütel, in: Causa e contratto 139f.; Cannata, Ét. Ankum I (1995) 68 3 5 , die bei fr. 5.2 eine Verkürzung annehmen; Paulus habe sich - im Gegensatz zu Julian - fur eine actio in factum civilis ausgesprochen. Kranjc, SZ 106 (1989) 455, sieht „fallbezogene Details44 als Ursache fur die Divergenz zwischen fr. 5.2 und 7.2 an, freilich ohne einen Unterschied der nach der Sachverhaltsschilderung identischen Fälle aufzeigen zu können. Nach D. 2.14.7.2 hat sich Julian im fraglichen Fall gerade nicht für eine actio in factum civilis im Sinne einer actio praescriptis verbis , sondern für eine spezielle, wohl nur auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtete actio in factum entschieden; hierzu Nelson/Manthe, Gai Inst. III 88-181, 290, 448f. Paulus, der sich auf Julian beruft, beschränkt den Schadensersatz ausdrücklich auf das negative Interesse; D. 19.5.5.5: ... ut eius fit condemnatio, quanti interest mea servum habere quem manumisi. Im Gegensatz dazu richtet sich die actio praescriptis verbis auf das positive Interesse; vgl. zum Fall der permutatio Paul. D. 19.4.1.4: ... in id quod interest nostra illam rem accepisse, de qua convenit. Da die traditio eines fremden Sklaven keine wirksame datio darstellt, stufen Julian und Paulus den in D. 2.14.7.2, 19.5.5.2 geschilderten Sachverhalt als Fall des bloßen facio ut des ein; wirksam war nur die Freilassung, so daß die Vorleistung in einem reinen facere bestand. Paulus lehnt - wohl im Anschluß an Julian - in diesen Fällen eine actio praescriptis verbis ab; vgl. eod. 5.3: Quod sifaciam ut des et postquam feci, cessas dare, nulla erit civilis actio, et ideo de dolo dabitur. 18 Vgl. Ulp./Mauric. D. 2.14.7.2; Ulp. D. 10.3.23; Pomp. D. 19.5.16 pr. 19 Ner. D. 19.5.6: ... civili intentione incerti agendum est. 20 So aber Burdese, Homenaje Murga Gener (1994) 74 f., Est. Iglesias I (1988) 134, in: Atti del seminario (1987) 37ff., SDHI 51 (1985) 464 f., Iura 36 (1985) 22. 21 Die honorarrechtlichen Klagen haben ihre Grundlage in der Jurisdiktionsgewalt der Magistrate, nicht im imperium. wie die ädilizischen Klagen zeigen; vgl. Käser/ Hackl, RZ 2 328 14 . A.A. Selb, St. Biscardi III (1982) 322; Keller/Wach, Zivilprozeß 6 155; De Francisci, Συνάλλαγμα II 41. 22 Vgl. Pap. D. 1.1.7.1 (o. 13).
22
§ 2 Der Stand der Meinungen
vile bedienen durfte. 2 3 Ein Beispiel hierfür bieten die Abwandlungen ziviler Klagformeln mittels Fiktion und Subjektwechsels, 2 4 wobei die auf dare (facere praestare) oportere gerichtete Formelkonzeption erhalten blieb. 2 5 Auch die formulae in ius conceptae zur actio depositi und actio commodati, die neben die älteren formulae in factum conceptae traten, 2 6 sind hier zu nennen. 2 7 Der Prätor konnte also Klagen gewähren, die ihrem Geltungsgrund nach honorarrechtlicher Natur waren, die sich aber äußerlich als zivile Klagen darstellten, d.h. eine zivile Formelkonzeption besaßen, und insofern als actiones civiles bezeichnet werden konnten. Die Untersuchungen von Selb haben gezeigt, daß in der Zeit bis Julian die ganz überwiegende Zahl der klageerweiternden actiones in factum, wozu insbesondere auch die actiones in factum zur lex Aquilia zu rechnen sind, 2 8 Analogien zu in ius konzipierten Grundklagen darstellten; 2 9 kennzeichnend für diese kla23 Gegen die von Pokrowsky, SZ 16 (1895) 7 ff. (95 ff.), SZ 20 (1899) 99ff., aufgestellte These, alle honorarrechtlichen Klagen würden eine formula in factum concepta aufweisen, siehe bereits Erman, SZ 19 (1898) 261 ff. (267ff.), Servus vicarius 498ff.; vgl. auch Wenger, Zivilprozeßrecht 152 12 ; Talamanca, ED 36 (1987), s.v. Processo civile (dir. rom.), 55 3 8 9 . 24 Vgl. Gai. 4.111 zu den Klagen der prätorischen Erben: ... imitatur ius legitimum. 25 Hierzu Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 455 f.; Wenger, Zivilprozeßrecht 153 f. 26 Vgl. Gai. 4.47. Für das höhere Alter der formulae in factum conceptae spricht, daß neben den allumfassenden in ius konzipierten Formeln kein Bedarf für die Einführung einer an ein enges factum gebundenen Formel mehr bestanden hätte; vgl. Käser, TR 45 (1977) 162 23 f., RP I 2 534 f.; Watson, JRS 60 (1970) 107f., 111 (siehe auch Law Making 38, 44); Lenel, EP3 253; a.A. Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 457 m. 6 6 ; Behrendt SZ 92 (1975) 303. 27 Vgl. Selb, St. Biscardi III (1982) 323. 28 Dagegen nimmt Lübtow, Untersuchungen 180 f f , 205 f., in den Fällen der Sachentziehung ohne Substanzverletzung (vgl. etwa Ulp./Sab D. 9.2.27.21; Ulp./Lab. D. 4.3.7.7, 47.2.50.4; Ulp./Pomp. D. 19.5.14.2; Ulp. D. 9.2.49 pr.; Proc. D. 41.1.55) und des Verbrauchs einer Sache gemäß ihrer wirtschaftlichen Zweckbestimmung (vgl. Paul. D. 9.2.30.2; Ulp./Arist. D. 19.5.14.3) eigenständige actiones in factum an; zustimmend Krampe, Proculi Epistulae 66f.; Gerkens, Aeque perituris 148f. (zu Proc. D. 41.1.55; Ulp./Pomp. D. 19.5.14.2); Ziliotto, L'imputazione 70. Jedoch zeigt Ulp./Sab D. 9.2. 27.21, daß auch hier mit actio in factum eine Abwandlung der actio legis Aquiliae gemeint ist: Si quis de manu mihi nummos excusserit, Sabinus existimat damni iniuriae esse actionem, si ita perierint, ne ad aliquem pervenirent, puta si in flumen vel in mare vel in cloacam ceciderunt : (...) idem etiam in factum dari posse actionem ait. Hierzu Selb, St. Sanfilippo V (1984) 739f.; vgl. auch Nörr, Causa mortis 151; MacCormack SDHI 41 (1975) 32. A.A. Lübtow 181, der die Stelle durch Interpolationsvermutungen, insbesondere durch Streichung des Schlußsatzes, seiner These anpaßt; ähnlich die Vorgehensweise bei Ulp. D. 9.2.49 pr. (184), Paul. D. 9.2.30.2 (185f.). Auch Gai. 3.202 (u. 34) erwägt bei bloßer Sachentziehung eine - von ihm als actio utilis bezeichnete - Abwandlungsklage zur actio legis Aquiliae. 29 Vgl. Selb, FS Demelius (1973) 223 ff. (235), St. Sanfilippo V (1984) 729ff., 759, Studi Biscardi III (1982) 315ff. (325f.); zustimmend Käser, SZ 101 (1984) 95 ff.; Wesener, SZ 112 (1995) 113. Daß actio in factum bereits in der Zeit vor Julian für eine tatbe-
II. Die actiones in factum als auf den Einzelfall zugeschnittene K l a g e n 2 3 geerweiternden actiones in factum ist, daß dem Tatbestand der zivilen Grundklage ein ähnlicher Tatbestand gleichgestellt wird. Beispielsweise war nach dem ersten Kapitel der lex Aquilia die widerrechtliche Tötung eines fremden Sklaven (servum occidere) nur dann erfaßt, wenn diese durch eine unmittelbare Einwirkung des Schädigers erfolgt i s t ; 3 0 in dem Schulfall, daß der Schädiger den Sklaven verhungern (fame necare) ließ, 3 1 wird von Neraz eine klageerweiternde actio in factum befürwortet. D. 9.2.9.2, Ulp. 18 ad ed.: Si quis hominem fame necaverit, in factum actione teneri Neratius ait. Da der Prätor hierfür nur den Tatbestand der zivilen Grundklage auswechseln mußte, konnte die zivile Konzeption beibehalten werden. 3 2 Im Beispielsfall trat an die Stelle der intentio )ySi paret ... servum occidisse" die Abwandlung „Si
standserweiternde Abwandlungsklage zu einer in factum konzipierten Grundklage stehen konnte, zeigt Ulp./Lab. D. 4.3.11.1 (hierzu Selb, Studi Sanfilippo V [1984] 737f.); vgl. auch Ulp./Serv. D. 9.3.5.12 (hierzu u. 83). In der Zeit nach Julian wird für Klageerweiterungen, die den Tatbestand betreffen, auch der Begriff 'actio utilis' verwendet; zum Verhältnis von actio in factum und actio utilis siehe u. 28 ff. 30 Zum Erfordernis der unmittelbaren Einwirkung vgl. nur Ulp./Cels. D. 9.2.7.6: Celsus autem multum interesse dicit, occiderit an mortis causam praestiterit, ut quis mortis causam praestitit, non Aquilia, sed in factum actione teneatur. (...) Ausfuhrlich hierzu Nörr, Causa mortis 169 ff.; Harke, Argumenta Iuventiana 54ff. 31 Vgl. auch Ulp. D. 9.2.29.7, 47.8.2.20; Gai. 3.219. 32 Vgl. Selb, FS Demelius (1973) 230, 235, St. Biscardi III (1982) 325 f., St. Sanfilippo V (1984) 730, 759 und passim; zustimmend Käser, SZ 101 (1984) 98 m. 4 4 5 ; Wesener, SZ 112 (1995) 113; Nörr, Causa mortis 158 f. m. 6 2 Der Einwand Ziliottos, L'imputazione 76, 98, der Prätor habe den Inhalt des zivilen oportere nicht beeinflussen können, übergeht das gegenteilige Zeugnis der actio in factum civilis (o. 21 m . , 8 f ) . Daß die actiones in factum zur actio legis Aquiliae stets eine formula in factum concepta besessen hätten, nehmen Thielmann, St. Biscardi II (1982) 304, und Lübtow, Untersuchungen 204, 206 f., an. Albanese, APal. 21 (1950) 214 ff., hält in den Fällen, in welchen - ohne unmittelbare Einwirkung - noch ein damnum im Sinne der lex Aquilia, d.h. ein occidere, urere, frangere oder rumper e, vorliegt, eine fiktizische Erweiterung der actio legis Aquiliae durch ,,ac si occidisset, fregisset, rupisset, ussisset " für möglich; andernfalls sei eine actio in factum im Sinne einer Klage mit formula in factum concepta erforderlich (zustimmend noch Käser, RP I 2 621 21 ). Vgl. hiergegen Thielmann 301 ff. Santoro, in: Le teorie contrattualistiche 11 Iff. (114, 116), geht - unter Berufung auf Inst. 4.3.16 - davon aus, daß nur dann, wenn der Schaden non corpore, d.h. ohne unmittelbare Einwirkung des Schädigers, zugefugt worden ist, eine zivile Formelkonzeption anzunehmen sei; in Fällen der Schadenszufügung neque corpore neque corpori, also auch ohne Substanzverletzung (si non corpore damnum fuerit datum neque corpus laesum fuerit), etwa durch bloße Sachentziehung, sei von einer Formelkonzeption in factum auszugehen. Allerdings findet sich die Unterscheidung zwischen Schadenszufügung non corpore und neque corpore neque corpori erst in den Institutionen Justinians, nicht jedoch in der Vorlage Gai. 3.219. Es handelt sich um eine nachklassische Kategorienbildung, die keine spezifisch formeltechnische Bedeutung mehr haben kann. Siehe zu Inst. 4.3.16 Selb, FS Demelius (1973) 226ff.; van Warmelo, St. Biscardi III (1982) 359f.; Barton, Daube Noster ( 1974) 15.
24
§ 2 Der Stand der Meinungen
paret ... servum fame necavisseder Rest der intentio „quam ob rem ...dare oportet" blieb unverändert. 33 Die Klageerweiterung bestand also darin, daß der Prätor das zivile oportere an einen vom ius civile nicht erfaßten Tatbestand anknüpfte. Aus alldem folgt, daß formula in factum concepta und actio in factum keine Synonyme waren. 34 Überwiegend wird daher heute angenommen, daß mit actio in factum in erster Linie eine auf den Einzelfall zugeschnittene Klage gemeint gewesen sei, was sowohl im Rahmen einer in factum als auch einer in ius konzipierten Formel zu verwirklichen war: Bei Kaser/Hackl wird eine „auf den individuellen Sachverhalt zugeschnittene Formel" angenommen.35 Knütel bezeichnet die nach dem individuellen Sachverhalt konzipierte Klage als „actio in factum im eigentlichen Sinne". 36 Santoro spricht von einer „azione coniata per il caso particolare". 37 Im Zusammenhang mit den actiones in factum zur lex Aquilia äußert sich Lenel folgendermaßen: 38 „Actio in factum ist nicht etwa actio in factum concepta, sondern einfach die mit Rücksicht auf den konkreten Tatbestand gebildete im Gegensatz zu der formula vulgaris des Edikts, mag im übrigen die Fassung sein wie sie will, ..."
Von einem Teil der Literatur wird der Begriff actio in factum als Einzelfallklage allerdings auf dekretale Klagen beschränkt, also solche Klagen, die nicht im Edikt proponiert waren, sondern vom Prätor ausschließlich für den konkreten Fall gewährt wurden; sofern es sich um ediktale Klagen handle, sei mit actio
33
Vgl. Selb, St. Biscardi III (1982) 326. Vgl. Santoro, APal. 37 (1983) 100 (= St. Sanfilippo IV [1983] 709), in: Le teorie contrattualistiche 115; Selb, FS Demelius (1973) 234f., St. Biscardi III (1982) 323 (Jus civile und ius honorarium - Begriffe aus der Rechtsquellenlehre - sind jedenfalls nicht gleichzusetzen mit Konstruktionsangaben zu Rechtsbehelfen, die sich einmal formular in ius, d.h. auf ius civile , einmal allein auf ein prätorisch formuliertes factum gründete^]."), St. Sanfilippo V (1984) 729 2 („Die Grenze zwischen Zivilrecht und Honorarrecht verläuft nicht dort, wo die zwischen der Konzeption in ius und in factum verläuft."); Talamanca, ED 36 (1987), s.v. Processo civile (dir. rom.), 53 m. 3 7 4 ; Naber, Mnem. 2 22 (1894) 76. 35 Kaser/Hackl, RZ 2 238. Vgl. auch Käser, SZ 101 (1984) 97 ff. (100) (zustimmend Reichard, Drittschadensersatz 47), Rom. Rechtsquellen 100 (= Est. Alvarez Suärez [1978] 241), Studien 9 5 , f . (= TR 44 [1976] 241 51 f.). 36 Knütel, SZ 100 (1983) 376. Vgl. bereits Savigny, System V 92 (o. 183), der auch wenn er von einer notwendigen Formelkonzeption in factum ausgeht - die „wahre Bedeutung" der actiones in factum in den Einzelfallklagen sieht; Bekker, Aktionen II 146 f. 37 Santoro, APal. 37 (1983) lOOf. (= St. Sanfilippo IV [1983] 709f.). Vgl. auch Santoro, APal. 37 (1983) 211 1 2 2 , und in: Le teorie contrattualistiche 115. 38 Lenel, EP3 203 (Hervorhebung im Original). 34
II. Die actiones in factum als auf den Einzelfall zugeschnittene Klagen
25
in factum doch ausschließlich die Formelkonzeption in factum gemeint. 3 9 Der Übergang von einer nichtediktalen actio in factum zu einer ediktalen sei dabei fließend gewesen; bei den im Edikt enthaltenen actiones in factum handle es sich um Klagen, die der Prätor zunächst nur ad hoc gewährt habe, die aber später Aufnahme in das Edikt gefunden hätten. 4 0 Das führt zu dem Ergebnis, daß der Begriff actio in factum ganz unterschiedliche Bedeutungen annimmt: Z u m einen soll er für Einzelfallklagen gestanden haben, die auch eine formula in ius concepta aufweisen konnten, zum anderen für ediktale Klagen mit formula in factum concepta. Eine solche in sich widersprüchliche Verwendung des Begriffs actio in factum erscheint nicht glaubhaft. 4 1 Für eine einheitliche Bedeutung spricht insbesondere, daß Klageverheißungen mit den Worten „ in factum iudicium dabo " überliefert s i n d ; 4 2 i m prätorischen Edikt, das sich durch seinen knappen und präzisen Stil auszeichnet, wäre die Verwendung eines derart schillernden Begriffs nicht zu erwarten. 4 3
39 Vgl. Wesener, SZ 112 (1995) 112f.; Selb, St. Biscardi III (1982) 324f., St. Sanfilippo V (1984) 739; Sotty, Recherche 479; Talamanca, Istituzioni 313, 317, ED 36 (1987) 53 m. 3 7 4 ; Ziliotto, L'imputazione 82 f. Nicht überzeugen kann die Ansicht Sottys 477 ff., wonach es sich bei den dekretalen actiones in factum um Klagen handle, die nicht dem Formularprozeß, sondern der cognitio extra ordinem angehörten. Sotty gelangt zu diesem Ergebnis, indem er das ordentliche Verfahren mit den im Edikt verheißenen Klagen gleichsetzt (479f.): „... car on ne voit pas quels impératifs auraient contraint à traiter selon les normes de la procédure édictale, c'est-à-dire ordinaire, des actions qui précisément ne sont pas proposées dans Γ Edit du Préteur et qui, de surcroit, parce qu'elles ne figurent pas dans Γ Edit, ne peuvent pas ètre introduites de la mème fa^on que les autres." Daß sich diese Gleichsetzung verbietet, ergibt sich bereits daraus, daß auch schon republikanische Juristen dekretale actiones in factum befürworteten; vgl. Alf. D. 19.5.23; Ulp./Ofil. D. 9.2.9.3. Die in der Kaiserzeit eingeführte cognitio extra ordinem war zunächst auf einen engen Kreis von Ansprüchen beschränkt, die vor dem Prätor nicht einklagbar waren; vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 438. Der formulare Charakter der dekretalen actio in factum wird besonders deutlich bei der Abwandlung der actio de dolo gegenüber Respektspersonen; vgl. Ulp./Lab. D. 4.3.11.1: in Horum persona dicendum est in factum verbis temperandam actionem dandam, ut bonae fidei mentio fìat. Mit verbis sind hier die abzumildernden Formelworte der auf dolus malus abstellenden actio de dolo gemeint; vgl. Selb, St. Sanfilippo V (1984) 738. 40 Vgl. Wesener, SZ 112 (1995) 113, unter Bezugnahme auf Wlassak, Edict und Klageform 113 f f ; Wenger, Zivilprozeßrecht 152 12 . Siehe auch Bürge, Rom. Privatrecht 43; Bekker, Aktionen II 91, 147, 149; Thon, ZRG 2 (1863) 247,255; Savigny, System V 92. 41 A.A. Käser, Studien 9 5 1 f. (= TR 44 [1976] 241 51 f.), der hier eine „unstarre Terminologie" der römischen Juristen in Betracht zieht. 42 Siehe Ulp. D. 9.3.5.6 (u. 82), 42.5.9 pr. (u. 164), 43.4.1 pr. (u. 97), 47.12.3 pr. (u.
108).
43 Dem steht nicht entgegen, daß römisch-rechtliche Begriffe in unterschiedlichen Zusammenhängen verschiedene Bedeutungen annehmen konnten; vgl. Käser, RP I 2 21 212 , Zur Methode 2 63f., St. Biondi I (1965) 98ff., Ius gentium Iff. (3). Kritisch ge-
26
§ 2 Der Stand der Meinungen
Käser sieht sämtliche actiones in factum, also auch die im Edikt verheißenen, als auf den Einzelfall zugeschnittene Klagen an. Der Name der actio in factum für eine „auf den individuellen Sachverhalt zugeschnittene Formel" 44 sei zwar von den nichtediktalen Formeln ausgegangen,45 bisweilen aber auch für bestimmte prätorische Klagen gebraucht worden, die mit der Zeit in das Edikt aufgenommen wurden. Mit dem Ausdruck actio in factum bzw. mit den Ediktsworten „in factum iudicium dabo" sei sowohl bei den dekretalen als auch bei den ediktalen actiones in factum gemeint, „daß die Formel der Lage des Einzelfalls angepaßt werden soll". 4 6 Gleichzeitig nimmt auch Käser an, daß es sich bei den ediktalen actiones in factum um Klagen mit einer formula in factum concepta gehandelt habe.47 Die hieraus resultierende Unsicherheit tritt bei Kaser/Hackl klar zu Tage: 48 „In dieser Anwendung [sc. der ediktalen actiones in factum] verschwimmt der Name mit dem der formula in factum concepta (im Gegensatz zur formula in ius concepta), weil auch bei diesen ediktalen Klagen prätorischer Schöpfung die Voraussetzungen der Verurteilung in der Formel durch eine Beschreibung des Sachverhalts (factum) wiedergegeben werden."
Für die eigenständigen actiones in factum ergibt sich damit ein unklares Bild: Es bleibt offen, ob diese Klagen als actiones in factum bezeichnet werden, weil es sich dabei um auf den Einzelfall zugeschnittene Klagen handelt, was nicht von einer bestimmten Formelkonzeption abhängig wäre, oder ob sich die Bezeichnung hier - anders als bei den klageerweiternden actiones in factum - gerade aus der Formelkonzeption in factum erklärt. Die Gleichsetzung von actio in factum und formula in factum concepta kann also nach dem bisherigen Stand nur für die klageerweiternden, nicht dagegen für die eigenständigen actiones in factum als überwunden gelten. Bei den eigenständigen actiones in factum wird
genüber der Annahme einer zu weitgehenden Beweglichkeit der römischen Terminologie Behrends, SZ 95 (1978) 195 f. 44 Vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 238. 45 Vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 238 und auch 331, wo der Begriff der actiones in factum im „prägnanten Sinn" auf die nichtediktalen Klagen bezogen wird; vgl. auch Käser, Studien 9 5 1 f. (= TR 44 [1976] 241 51 f.). 46 Vgl. Käser, SZ 101 (1984) 100; zustimmend Reichard, Drittschadensersatz 47. Vgl. bereits Bekker, Aktionen II 149 28 , wonach mit in factum iudicium dabo Klagen ohne feste Formel, „d.h. mit einer den konkreten Umständen anzupassenden Formel", gemeint waren; zustimmend Erman, SZ 19 (1898) 3 07 3 f.; offengelassen bei De Francisci, Synallagma II 1151. 47 Vgl. Käser, SZ 101 (1984) 100; vgl. auch Kaser/Hackl, RZ 2 329 m. 1 8 48 Kaser/Hackl, RZ 2 238.
III. Ausblick
27
vielmehr immer noch pauschal von einer Formelkonzeption in factum ausgegangen.49
I I I . Ausblick Anhand der nachfolgenden Untersuchung der Quellen, in denen von eigenständigen actiones in factum die Rede ist, sollen die Kernthesen, wie sie im Hinblick auf die eigenständigen actiones in factum vertreten werden, überprüft werden. Diese Thesen lassen sich wie folgt formulieren: (1) Mit actio in factum ist überall, also auch bei den eigenständigen actiones in factum, eine auf den Einzelfall zugeschnittene Klage gemeint. (2) Die actiones in factum sind - zumindest ihrem Ursprung nach - nichtediktale Klagen. (3) Sämtliche eigenständigen actiones in factum besitzen eine formula in factum concepta.
Es wird sich zeigen, daß keine dieser Thesen zutrifft. 50
49
Vgl. Selb, St. Biscardi III (1982) 321 f.. 324f.; Käser, SZ 101 (1984) 95 ff. (100); Wesener, SZ 112 (1995) 113. 50 Zu (1) siehe insb. u. 115 ff., 192 ff., 279; zu (2) u. 84, 284; zu (3) u. 118 ff., 194 f., 279 ff.
§ 3 Das Verhältnis von actiones in factum und actiones utiles Schwierigkeiten bereitet von jeher die Abgrenzung von actiones in factum und actiones utiles im Bereich der Erweiterungsklagen. Für die actiones in factum bzw. utiles zur lex Aquilia kommt Lenel zu dem Ergebnis, daß beide Begriffe unterschiedslos („promiscue") gebraucht worden seien;1 erst die Untersuchungen Selbs bieten für die Erweiterungsklagen in der Zeit bis Julian eine sinnvolle Abgrenzung. 2 Die bisherigen Unterscheidungsvorschläge lassen sich allesamt nur mit Hilfe von Interpolationsannahmen stützen, die selbst wiederum die postulierte Systematik voraussetzen.3 Valino will neuerdings die actiones utiles bzw. in factum zur actio legis Aquiliae danach abgrenzen, ob es um eine Ausdehnung der Aktivlegitimation geht oder aber der Sachverhalt nicht in das Schema der zivilen Klage paßt.4 Jedoch finden sich sowohl actiones utiles für Tatbestandserweiterungen 5 als auch actiones in factum im Zusammenhang mit der Erweiterung der Aktivlegitimation. 6 Nach Sotty 7 sei im Zusammenhang mit der lex Aquilia eine actio in factum dann gegeben worden, wenn die Schädigung durch einen dazwischentretenden Dritten oder das Opfer erfolgt ist, etwa im Fall, daß der eine den Sklaven festhält und der andere ihn tötet.8 Dagegen sei die actio utilis für die Fälle zuständig, wo der Täter die schädigende Handlung zwar selbst vornimmt, jedoch nicht corpore suo, sondern alio modo einwirkt, etwa indem er den Sklaven einsperrt und verhungern läßt.9 Auch diese Abgrenzung ist nicht tragfähig, weil actiones in factum nicht nur im Fall des Dazwischentretens eines Dritten oder des Opfers, sondern auch dann bezeugt sind, wenn der Täter selbst einge-
1
Lenel, EP 3 203. Siehe die Nachw. o. 22 2 9 . Zur Abgrenzung Selbs im einzelnen gleich. 3 Zur älteren Literatur Selb, FS Demelius (1973) 226 ff. Zu den Versuchen einer Abgrenzung der klageerweiternden actiones in factum aufgrund ihrer unterstellten Formelkonzeption in factum siehe die Nachw. o. 23 3 2 . 4 Vallilo, Acciones pretorias 21 ff. und passim. 5 Vgl. Ulp. D. 19.2.13 pr., 47.8.2.20; Paul. D. 9.2.30.2, 11.3.4. 6 Vgl. Ulp. D. 9.2.11.8, eod. 17; hierzu Selb, SZ 94 (1977) 429 ff. (430). 7 Sotty, Recherche 63 ff. (68), 320ff. (330). 8 Vgl. Ulp. D. 9.2.11.1. 9 Vgl. Gai. 3.219. 2
§ 3 Das Verhältnis von actiones in factum und actiones utiles
29
wirkt hat, wie im Fall des Verhungernlassens eines fremden Sklaven oder Tieres. 1 0 Für die Untersuchung der eigenständigen actiones in factum ist die Abgrenzung von den actiones utiles insofern von Bedeutung, als in klassischer Zeit soweit ersichtlich - mit actiones utiles ausschließlich Erweiterungsklagen (actiones ad exemplum), also solche Klagen, die sich an eine bereits vorhandene Grundklage (actio directa) anlehnen und diese abwandeln, 1 1 dagegen nicht völlig neue Klagen, die v o m Prätor ohne jedes V o r b i l d geschaffen werden, gemeint sind. 1 2 Die eigenständigen actiones in factum lassen sich damit von den actiones utiles abgrenzen.
10
Vgl. Ulp./Ner. D. 9.2.9.2 (o. 23); Ulp. D. 9.2.29.7. Die Gegenüberstellung von actio directa und actio utilis in Paul. D. 3.5.46.1 (hierzu u. 40) zeigt, daß actio utilis auch in der Spätklassik noch den Sinn einer Erweiterungsklage und nicht einer völligen Klage-Neuschöpfung hatte. Vgl. auch Ulp. D. 44.7. 37 pr.: Actionis verbo continetur in rem, in personam : directa, utilis: praeiudicium, sicut ait Pomponius: stipulationes etiam, quae praetoriae sunt, ...; hierzu Aicher, SDHI 35 (1969) 360ff. (362). Weitere Beispiele: Ulp./Marcell. D. 5.3.13.10; Ulp. D. 3.3.27.1 (u. 32), 9.2.13 pr.; Pap. D. 23.4.26.3 (u. 12 ), 48.23.3 12 Vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 238; Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 456f.; Talamanca, ED 36 (1987), s.v. Processo civile (dir. rom.), 62 f.; Heumann/Seckel, Handlexikon 9 , s.v. utilis (5a), 608 ff. Mißverständlich Käser, SZ 101 (1984) 96, der von „selbständig e ^ ] , prätorisehe[n] actiones utiles " spricht, damit aber Abwandlungsklagen zu prätorischen Klagen meint (vgl. 9 7 4 3 6 f ). Zur actio utilis in factum in Pap. D. 23.4.26.3 siehe Santoro, in: Le teorie contrattualistiche 106ff. Santoro nimmt zu Recht eine actio praescriptis verbis an, die sich als Abwandlung zu den Klagen mit ziviler intentio incerti darstellt (Santoro 97); vgl. Ner. D. 19.5.6: sed civili intentione incerti agendum est. Dagegen hält Wesener, St. Betti IV (1962) 501 f., die Klage in fr. 26.3 trotz der Gegenüberstellung von actio directa und actio utilis (licet directa actio nulla competit, utilis tarnen in factum danda est) für eine „völlige Neuschöpfung" und damit für unecht; für eine Interpolation auch Bortolucci, Actio utilis I 3 I f f ; Nicosia, Silloge I l l O 7 8 (= SZ 75 [1958] 282 78 ). Eine eigene These zu den actiones utiles entwickelt Sotty, Recherche 18 f f , 97 ff., 102, 139f., 195 f., 379ff., 518, 631 f., Labeo 25 (1979) 143, 153 (zustimmend Lemosse, Index 10 [1981] 348 ff): Mit utilis sei nichts über die spezielle Form oder Natur der Klage ausgesagt. Es gehe nicht um die Erweiterung von Klagen im Wege der Analogie, sondern darum, eine im Einzelfall zwar gegebene, im Ergebnis aber unbrauchbare Klage brauchbar zu machen. So seien im Fall des Tutors, der aus dem Mündelvermögen ein Darlehen vergibt und sich selbst die Rückzahlung des Geldes stipulieren läßt (Ulp./Iul. D. 3.3.27.1, hierzu Sotty 246ff.), die Voraussetzungen der condictio in der Person des Tutors erfüllt; für das Mündel sei diese Klage jedoch nicht brauchbar, weshalb der Prätor dem Mündel eine actio utilis erteile. Die zugunsten des Tutors begründete condictio werde dabei im Wege des Subjektwechsels für das Mündel brauchbar gemacht. Sotty 249 formuliert seine These wie folgt: „Ici comme ailleurs, Taction utile apparait, non pas quand il n'existe pas d'action, mais quand, au contraire, il existe une action dont on peut dire qu'elle est initialement inutile à celui qui va l'exercer." Gegen Sotty spricht allerdings, daß in den Quellen auch dann actiones utiles auftreten, wenn die Voraussetzungen der Klage nicht vorliegen, sondern erst durch Fiktion geschaffen werden müssen (hierzu u. 31 m . 1 7 f f ) . Hier geht es nicht darum, eine an sich ge11
30
§ 3 Das Verhältnis von actiones in factum und actiones utiles
Fraglich ist allerdings, ob bei den Juristen in der Zeit nach Julian noch ein formeltechnisches Denken vorhanden war, mit anderen Worten: ob sich für die späte Klassik überhaupt noch sinnvolle Aussagen zur Frage der Formelkonzeption machen lassen. V o n Selb w i r d dies aufgrund seiner Untersuchungen zu den Erweiterungsklagen verneint. 1 3
I. Klageerweiternde actiones utiles und actiones in factum in der Zeit bis Julian 1. Actiones utiles In der Zeit bis Julian bezieht sich jedenfalls die ganz überwiegende Mehrheit der actiones utiles auf Grundklagen des ius civile} 4 Falls sich die Klageerweiterung bereits aus der bloßen Erteilung der Klage durch den Prätor ergab, konnte eine Abwandlung der Klagformel ausnahmsweise unterbleiben. 1 5 Vereinzelt genügte es auch, eine in der Klagformel enthaltene Voraussetzung des ius civile durch eine andere zu ersetzen, etwa das Volleigentum durch ein beschränktes
gebene, nur im Einzelfall unbrauchbare Klage brauchbar zu machen. Sotty 490 ff. vermag seine These nur dadurch aufrecht zu erhalten, daß er solche rein fiktizischen actiones utiles als Interpolationen einstuft; ursprünglich sei hier von actiones ficticiae die Rede gewesen. Vgl. gegen Sotty auch Selb, St. Biscardi III (1982) 318; Kaser/Hackl, RZ 2 329 19 . 13 Hierzu u. 38 ff. 14 Selb, St. Biscardi III (1982) 348, St. Sanfilippo V (1984) 729, 759, nimmt an, daß dies für sämtliche frühen actiones utiles gelten würde; einschränkend Käser, SZ 101 (1984) 97; Talamanca, ED 36 (1987) 62 4 4 6 . Auf die umstrittene Frage nach der Formelkonzeption der actio Serviana kann hier nicht eingegangen werden; hierzu Kunkel/ Selb, Rom. Recht4 5 4 3 1 3 f ; Selb, St. Biscardi III (1982) 345ff.; Käser, Studien 9ff. (= TR 44 [1976] 241 ff.); A.d'Ors, Iura 20 (1969) 52 ff. (82 ff.). 15 So wird bei der hereditatis petitio utilis in Ulp./Cass. D. 5.3.13.4 gegen den Erbschaftskäufer, der die Erbschaft weder pro herede noch pro possessore , sondern aufgrund des Erbschaftskaufvertrags besaß, die unveränderte Klagformel erteilt worden sein; vgl. Selb, St. Sanfilippo V (1984) 753. Die Passivlegitimation wurde insoweit bereits aufgrund der Einlassung des Beklagten in iure geklärt; vgl. Käser, RP I 2 735 f. Auch in Ulp./Iul. D. 14.3.11.8, 12 (utilis institoria actio) wird die Klage wohl nicht deshalb als actio utilis bezeichnet, weil - wie bei jeder actio institoria - eine Abwandlung der Grundklage erfolgen mußte (so aber Selb, St. Biscardi III [1982] 335 f., anders dagegen Selb 337 zu Ulp./Iul. D. 14.3.13 pr.). Die Besonderheit des Falls lag vielmehr darin, daß der Sklave als institor eines Dritten Geschäfte mit seinem eigenen Herrn machte. Obwohl sich der Herr gegenüber dem eigenen Sklaven nicht mit Außenwirkung verpflichtet konnte (licet dominus non sit obligatus•), wurde dem Dritten die institorische Klage als actio utilis erteilt; einer besonderen Abwandlung der actio institoria bedurfte es hierzu nicht. Einen weiteren Fall einer actio utilis ohne Formelabwandlung bietet vielleicht Ulp./ lui. D. 14.3.13 pr. (u. 23 ).
I. Klageerweiternde actiones utiles und actiones in factum
31
dingliches Recht. 1 6 In den meisten Fällen war aber eine etwas weitergehende A b wandlung der Klagformel erforderlich, die entweder durch Fiktion oder durch Subjektwechsel bewerkstelligt wurde; auch dabei blieb allerdings die zivile Formelkonzeption der Grundklage erhalten. In den Fällen der fiktizischen Klageabwandlung geht es darum, eine positive oder negative Voraussetzung des ius civile , die nicht erfüllt ist, durch Fiktion zu überbrücken. Z u nennen ist etwa die Freiheit, 1 7 das Bestehen einer E h e , 1 8 die zivile Erbenstellung, 1 9 der Erbschaftsantritt aufgrund Testaments, 2 0 das Fehlen einer vom Erblasser geforderten Bedingung, 2 1 der fehlende Eigentumsverlust durch Verbindung, 2 2 das fehlende Erlöschen eines Rechts durch litis contestation solutio 24 oder consolidatio? 5 Dagegen w i r d in den Fällen des Subjektwechsels die A k t i v - oder Passivlegitimation auf eine Person übertragen, die nach ius civile nicht berechtigt bzw. nicht verpflichtet ist. 2 6 Die beiden Abwandlungs-
16 Vgl. Iul. D. 43.20.4: actio communi dividundo utilis bei mehreren Servitutsberechtigten (hierzu Selb, St. Biscardi III [1982] 343 f.); wohl ebenso bei mehreren Pfandgläubigern, vgl. lui. D. 43.33.1.1 (hierzu Selb, St. Biscardi III [1982] 346). 17 Paul./lui. D. 4.5.7.2 (hierzu Selb, St. Biscardi III [1982] 332f.). 18 Iul./Sab. D. 24.3.59 (hierzu Selb, St. Biscardi III [1982] 339f., St. Sanfilippo V [1984] 740f.). 19 lui. D. 37.5.17 (hierzu Selb, St. Biscardi III [1982] 342); Pomp./Cass. D. 29.2.99 (hierzu Selb, St. Sanfilippo V [1984] 751 ff.). 20 Ulp./Iul. D. 29.4.10 pr. (hierzu Selb, St. Biscardi III [1982] 344). 21 Gai./Iul. D. 36.1.65.10 (hierzu Selb, St. Biscardi III [1982] 341). 22 Ulp./Alf. D. 6.1.5.3 (hierzu Selb, St. Sanfilippo V [1984] 731 f.). 23 Paul./Proc. D. 15.1.47.3 (hierzu Selb, St. Sanfilippo V [1984] 749f.); Ulp./Iul. D. 14.3.13 pr. (hierzu Selb, St. Biscardi III [1982] 337f.). Einer Formelabwandlung zur Wiederherstellung des nicht mehr vorhandenen oportere bedurfte es nur dann, wenn die Voraussetzungen für die Klagekonsumption und damit für ein Erlöschen der zivilen Obligation erfüllt waren; vgl. Gai. 3.180f., 4.107 (o. 16f.). Um einen solchen Fall handelt es sich wohl in fr. 47.3, wie der Wortlaut der Stelle zeigt (rescisso superiore iudicio). Dagegen kann es sich bei der actio utilis in fr. 13 pr. (licet consumpta est actio nec amplius agere poterit) auch um eine äußerlich unveränderte condictio handeln, wobei der Prätor nur von der Erteilung der exceptio rei iudicatae absah; vgl. Selb, St. Biscardi III (1982) 338. Da der servus institor in fr. 13 pr. in Arles tätig war, liegt es nahe, daß es sich insgesamt um einen Provinzialfall handelte, so daß es für die Klagekonsumption am erforderlichen iudicium legitimum fehlte. Zur untechnischen Verwendung von consumere auch in Fällen, in denen es um die exceptio rei iudicatae vel in iudicium deductae geht, siehe Kaser/Hackl, RZ 2 303 1 5 ; Liebs, Klagenkonkurrenz 255 m. 1 0 8 , SZ 86 (1969) 1718, 177 f. 3 1 ; Levy, Konkurrenz I 63 ff. 24 Ulp./Proc. D. 42.8.6.13 (hierzu u. 25Iff. [258ff.]; a.A. Selb, St. Sanfilippo V [1984] 750 f.). 25 Ulp./Ner./Arist./Pomp. Vat. 83 (hierzu Selb, St. Sanfilippo V [1984] 742ff. [745]). 26 Ulp./Iul. D. 3.3.27.1 (hierzu Selb, St. Biscardi III [1982] 332); Paul./Iul. D. 4.5. 7.2 (hierzu Selb 332f.); Ulp./Iul. D. 5.1.18.1 (hierzu Selb 333f.); Iul. D. 8.1.16 (hierzu
32
§ 3 Das Verhältnis von actiones in factum und actiones utiles
methoden, Fiktion und Subjektwechsel, können auch in Kombination auftreten. 2 7 Ein Beispiel für die fiktizische Formelabwandlung bietet D. 6.1.5.3, Ulp. 16 ad ed.: De arbore, quae in alienum agrum translata coaluit et radices immisit, Varus et Nerva utilem in rem actionem dabant: nam si nondum coaluit, mea esse non desinet. M i t dem Anwurzeln eines Baumes änderte sich dessen Sachidentität; 2 8 gemäß dem Grundsatz superficies solo cedit stand das Eigentum am Baum nunmehr dem Grundstückseigentümer z u . 2 9 U m dem ursprünglichen Eigentümer dennoch die rei vindicatio zu eröffnen, 3 0 mußte der Eigentumsverlust durch eine Abwandlung der Klagformel etwa wie folgt hinwegfingiert werden: 3 1 Si parerei arborem qua de agitur, si nondum coaluisset, ex iure Quiritium A'A 1 esse ... Z u einem Subjektwechsel kam es in folgendem Fall der translatio iudicii; die Formelabwandlung war hier erforderlich, damit der dominus litis aus der cautio iudicatum solvi , die der Beklagte gegenüber dem als Kläger auftretenden Prozeßvertreter geleistet hatte, vorgehen konnte. D. 3.3.27.1, Ulp. 9 ad ed.: 32 Si ex parte actoris litis translatio fiat, dicimus committi iudicatum solvi stipulationem a reo factam, idque et Neratius probat et Iulianus et hoc iure utimur: scilicet si dominus satis accepit. sed et si procurator satis accepit et transferatur iudicium in dominum, verius est committi et ex stipulatu actionem a procuratore in dominum transferri. (...) et licet procuratori commissa sit stipulatio, tamen domino erit danda utilis ex stipulatu actio, directa penitus tollenda.
Selb 334f.); Ulp. D. 14.3.11.8 mit lui. eod. 12 (hierzu Selb 335f.); lui. D. 23.5.7 pr. (hierzu Selb 338f.); Ulp./Iul. D. 26.7.9 pr. (hierzu Selb 340). 27 Vgl. Paul./lui. D. 4.5.7.2; Ulp. D. 14.3.11.8 mit lui. eod. 12. 28 Vgl. Paul. D. 41.1.26.1 i.f.: ... nam credibile est alio terrae alimento aliam factam. 29 Vgl. Ulp./Alf. D. 39.2.9.2; Gai. 2.74. 30 Zum Klageziel siehe u. 202. 31 Vgl. Selb, St. Sanfilippo V (1984) 732; Valino, Actiones utiles 228. Dagegen geht Sotty, Recherche 306ff., von der unveränderten Formel der rei vindicatio aus; da aber aufgrund des Eigentumsverlusts die Voraussetzungen für ein ex iure Quiritium A'A' esse nicht erfüllt waren, hätte der iudex die Klage abweisen müssen. 32 Zur Frage, ob es sich bei dem Prozeßvertreter um einen procurator oder cognitor handelte, siehe Koschaker, Translatio iudicii 73 ff.; Bonifacio, Translatio iudicii 96 f f ; F. La Rosa, L'actio iudicati 144 ff. Für die Interpolation von procurator anstelle von cognitor bereits Lenel, Pal. II 450 (Ulp. 317). Im Edikt verheißen war die translatio iudicii jedenfalls nur gegenüber dem cognitor,; vgl. Lenel, EP 3 87 f., 94 f.; Kaser/Hackl, RZ 2 213 m. 3 0 , 216 m . 5 8 f
I. Klageerweiternde actiones utiles und actiones in factum
33
Wurde das anhängige Verfahren auf der Klägerseite vom klagenden Prozeßvertreter auf den dominus litis übertragen, so haftete der Beklagte dem dominus litis ohne weiteres aus der cautio iudicatum solvi , wenn die Stipulation bereits dem dominus gegenüber erfolgt war. Hatte sich dagegen der Prozeßvertreter stipulieren lassen, so kam für den dominus litis nur eine actio utilis in Betracht. Die actio ex stipulatu mußte hierbei durch Subjektwechsel auf den dominus litis übergeleitet werden. In der intentio war weiterhin der Prozeßvertreter zu nennen, weil der Beklagte im Rahmen des quidquid dare facere oportet nur diesem gegenüber verpflichtet war; dagegen richtete sich die condemnatio auf Verurteilung zugunsten des dominus litis. Die abgewandelte Formel der actio ex stipulatu wird also folgendermaßen gelautet haben:33 ... quidquid paret N m N m Publio Maevio (= Prozeßvertreter) dare facere oportere, eius iudex N m N m A°A° c.s.n.p.a.
Die Klageerweiterungen im Rahmen der actiones utiles zeichnen sich dadurch aus, daß der Prätor in die vom ius civile vorgegebene Klagformel nur sehr behutsam eingreift; die Abwandlung beschränkt sich auf das Nötigste und geht über die Methode der Fiktion bzw. des Subjektwechsels nicht hinaus. In ihrem Kern blieb die Formel der Grundklage dabei unverändert; nur einzelne Voraussetzungen der Klage wurden durch den Eingriff überbrückt. Mit anderen Worten: Der Prätor war bestrebt, die bereits vorhandene Klage über ihren Anwendungsbereich hinaus „brauchbar" (utilis) zu machen.34 Wieacker spricht hier zu Recht von „Keimformen einer noch nicht voll entwickelten Analogie". 35 Diese Bedeutung einer aus der Sicht der Formelgestaltung engen Analogie scheint der Ausgangspunkt für den Begriff der actio utilis gewesen zu sein.
2. Actiones in factum Um eine weitergehende Form der Analogie handelt es sich dagegen bei den klageerweiternden actiones in factum. Soweit es um die Erweiterung ziviler Klagen geht, wird der vom ius civile erfaßte Sachverhalt durch einen anderen 33
Vgl. die in Gai. 4.86 überlieferte abgewandelte Formel der condictio für den Fall der Prozeßvertretung: nam si verbi gratia L. Titius P. Mevio agat, ita formula concipitur: SI PARET NUMERIUM NEGIDIUM PUBLIO MEVIO SESTERTIIJM Χ MILIA DARE OPORTERE, IUDEX NUMERIUM NEGIDIUM LUCIO TITIO SESTERTII JM Χ MILIA CONDEMNA. SI NON PARET, ABSOLVE; ... j4 Vgl. Selb, FS Demelius (1973) 232. Auch Santoro, in: Le teorie contrattualistiche 97, versteht utilis in dem Sinn, daß die Formel der Grundklage nutzbar („utilizzabile") gemacht wird; ebenso Heumann/Seckel, Handlexikon 9 , s.v. utilis (5), 608: „brauchbar infolge Abänderung der Grundformel". Nach Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 456 60 , bezeichnet utilis in der Juristensprache allgemein „die technische wie die soziale und selbst die moralische Opportunität, die eine (schikanöse oder auch nur formalistische) Genauigkeit ausschließt". 35 Vgl. Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 455.
34
§ 3 Das Verhältnis von actiones in factum und actiones utiles
Sachverhalt ersetzt, der dem erfaßten ähnlich ist. Tm Beispielsfall des Verhungernlassens eines Sklaven wird der Tatbestand des servum occidere, der eine unmittelbare Einwirkung des Schädigers erfordern würde, durch den ähnlichen Tatbestand des servum fame necare ersetzt. 36 In der Zeit bis Julian wurde diese Art der Analogie, die nicht durch bloße Fiktion oder Subjektwechsel zu bewerkstelligen war, offenbar nicht als Nutzbarmachung der Grundklage (im Sinne einer actio utilis) angesehen, sondern als Schaffung einer neuen Klage nach dem Vorbild der Grundklage. Damit zeichnet sich eine Parallele zu den eigenständigen actiones in factum ab, die vom Prätor ebenfalls als neue Klagen, allerdings ohne jedes Vorbild, geschaffen wurden. In all diesen Fällen wurde der Prätor auch der Form nach ganz offen iuris civilis supplendi gratia tätig. 37
II. Die Ausdehnung des Begriffs der actiones utiles in der Zeit nach Julian Gaius verwendet in seinen Institutionen die Bezeichnung actio utilis für alle Erweiterungsklagen, d.h. auch dann, wenn es um eine weitergehende Analogie in Form der Tatbestandserweiterung geht. Gai. 3.202: Interdum furti tenetur, cum ipse furtum non fecerit. qualis est, cuius ope Consilio furtum factum est. in quo numero est, qui nummos tibi excussit, ut eos alius subriperet, vel obstitit tibi, ut alius subriperet, aut oves aut boves tuas fugavit, ut alius eas exciperet. et hoc veteres scripserunt de eo, qui panno rubro fugavit armentum; sed si quid per lasciviam et non data opera, ut furtum committeretur, factum sit, videbimus, an utilis actio dari debeat, cum per legem Aquiliam, quae de damno lata , etiam culpa puniatur.
Behandelt wird hier die Sachentziehung ohne Substanzverletzung am Beispiel der Schulfälle, 38 daß Münzen einem anderen aus der Hand geschlagen werden bzw. daß Vieh mit einem roten Tuch vertrieben wird. Falls eine Diebstahlsteilnahme ope Consilio mangels einer Haupttat ausscheidet und damit die actio furti nicht erfolgreich angestellt werden kann, erwägt Gaius eine analoge Anwendung der actio legis Aquilia als actio utilis? 9 Von anderen Juristen wird 36
Ulp./Ner. D. 9.2.9.2 (hierzu o. 23). Vgl. Pomp. D. 19.5.11 (o. 12) zu den klageerweiternden actiones in factum: si lex iusta ac necessaria sit, supplet praetor in eo quod legi deest. In diesem Sinne hinsichtlich der tatbestandserweiternden Abwandlungsklagen auch Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 472. 38 Weitere Nachw. u. 4 0 39 Gaius hat die actio utilis wohl bejaht (offengelassen bei Nörr, Causa mortis 132), wie sich aus Gai. D. 47.2.51 ergibt: Nam et si praecipitata sint pecora, utilis actio damni iniuriae quasi ex lege Aquilia dabitur. Die mit „Nam et si ... " eingeleitete Begründung ergibt nur einen Sinn, wenn man sie auf den Fall, daß die Schafe nicht in die Tiefe gestürzt sind, bezieht; vgl. das unmittelbar vorhergehende Fragment Ulp./Lab. eod. 50.4 37
II. Die Ausdehnung des Begriffs der actiones utiles
35
in diesen Fällen von einer actio in factum zur actio legis Aquilia gesprochen. 4 0 Der Sache nach handelt es sich dabei stets um dieselbe Art der tatbestandserweiternden Abwandlungsklage. Auch in den Fällen der bloßen mittelbaren Schädigung (damnum non corpore datum) bejaht Gaius eine Erweiterungsklage zur actio legis Aquiliae, die er als actio utilis bezeichnet. Gai. 3.219: placuit ita demum ex ista lege actionem esse, si quis corpore suo damnum dederit; ideoque alio modo damno dato utiles actiones dantur, velut si quis alienum hominem aut pecudem incluserit et fame necaverit, aut iumentum tarn vehementer egerit, ut rumperetur; item si quis alieno servo persuaserit, ut in arborem ascenderei vel in puteum descenderet, et si ascendendo aut descendendo ceciderit, aut mortuus fuerit aut aliqua parte corporis laesus sit. (...) Daneben finden sich in den Institutionen des Gaius auch actiones utiles , die Abwandlungen durch Fiktion bzw. Subjektwechsel darstellen, 41 also auf einer engen Analogie beruhen. In der folgenden Stelle geht es etwa um die Überleitung der Klagen auf den bonorum possessor im Rahmen der prätorischen Erbfolge bzw. auf den bonorum emptor im Rahmen des Insolvenzverfahrens. Die A k t i v - bzw. Passivlegitimation, die nach ius civile ausschließlich dem zivilen Erben bzw. dem insolventen Schuldner zustand, wurde vom Prätor durch die Gewährung von actiones utiles auf den bonorum possessor bzw. den bonorum emptor übertragen. Gai. 3.81: Item quae dei, aut ipse debuit, neque bonorum possessor neque bonorum emptor ipso iure debeeo de omnibus rebus u in sequenti commentario proponemus.
i.f. Für Interpolation des fr. 51: Lübtow, Untersuchungen 149; vgl. aber Selb, St. Sanfilippo V (1984) 736 m. 2 3 . 40 Siehe zum Münzfall: Ulp./Sab. D. 9.2.27.21 (hierzu auch Ulp. D. 47.2.52.13); zum Fall des roten Tuches: Ulp./Lab. D. 47.2.50.4. Vgl. zu den Stellen auch o. 22 2 8 . 41 Vgl. außer Gai. 3.81 (hierzu gleich) auch Gai. 2.78, 2.253, 3.84 mit 4.38. Bei der actio utilis in Gai. 2.78 (u. 199 ff.) handelt es sich um eine fiktizische Abwandlung der rei vindicatio, die dem bisherigen Eigentümer einer Maltafel gegenüber dem Maler gegeben wird. Nach Gai. 2.253 erteilte der Prätor actiones utiles mit fiktizischer Fassung, um in analoger Anwendung des SC Trebellianum einen Aktionentransfer auch bei solchen Klagen zu ermöglichen, die zum Zeitpunkt der Restitution der Erbschaft an den Fideikommissar noch nicht rechtshängig waren; vgl. Manthe, SC Pegasianum 38 m. 9 Die actio utilis rescissa capite deminutione in Gai. 3.84, 4.38 diente dazu, dem Gläubiger die Verfolgung seiner Forderungen gegen den Schuldner, der aufgrund einer Adrogation oder durch Eingehen einer Manusehe die Rechtsfähigkeit verloren hatte, zu ermöglichen. Der Verlust der Rechtsfähigkeit wurde dabei hinwegfingiert; vgl. Nelson/Manthe, Gai Inst III 1-87, 206 f.
36
§ 3 Das Verhältnis von actiones in factum und actiones utiles
Die Überleitung der Klagen erfolgte dabei im Fall, daß es um das Vermögen eines Verstorbenen ging, durch Fiktion der zivilen Erbenstellung des bonorum possessor bzw. - bei der Nachlaßinsolvenz - des bonorum emptor {sog. formula Servianä)\ war der insolvente Schuldner dagegen noch am Leben, wurden die Klagen durch Subjektwechsel auf den bonorum emptor übertragen (sog. formula Rutiiiana) 42 Gaius gebraucht demnach in den Institutionen den Begriff der actiones utiles als Oberbegriff für alle Erweiterungsklagen, also auch dann, wenn es um eine Tatbestandserweiterung geht. Der Grund für die terminologische Vereinheitlichung ist vermutlich in der hohen Verwechslungsgefahr zu sehen, die der Begriff der klageerweiternden actiones in factum gegenüber der in Gai. 4.45 f f , 106 f. geschilderten Unterscheidung der formula in ius und in factum concepta bietet. Da in der Früh- und Hochklassik die klageerweiternden actiones in factum ganz überwiegend eine in ius konzipierte Formel aufwiesen, wäre eine genaue Abgrenzung von actio in factum und formula in factum concepta erforderlich gewesen; eine solche Abgrenzung findet man in Gaius' Institutionen jedoch nicht. Im Rahmen seines Anfängerlehrbuchs wählte Gaius eine möglichst widerspruchsfreie Terminologie. Damit hat Gaius allerdings die Unterscheidung zwischen enger und weiter Analogie aufgegeben. Der Intensitätsgrad des honorarrechtlichen Eingriffs in das ius civile , der bei der Schaffung von Erweiterungsklagen zu zivilen Klagen variierte, war für Gaius offenbar nicht mehr von Wichtigkeit. Mit der zu Beginn des Prinzipats einsetzenden Verlagerung der Rechtsfortbildung auf den Kaiser, den Senat und die Fachjurisprudenz, insbesondere das kaiserliche consilium , kam es zu einem stetigen Rückgang der Innovationskraft der Gerichtsmagistrate; der Tiefstand war mit der abschließenden Fassung des Edikts durch Julian, etwa um 130 n. Chr., erreicht. 43 Damit hat der aus der Zeit der noch lebendigen prätorischen Rechtsfortbildung stammende Aspekt, ob sich eine Erweiterungsklage als bloße Nutzbarmachung der zivilen Ausgangsklage oder aber als Schaffung einer neuen Klage nach dem Vorbild der Grundklage darstellt, seine Bedeutung verloren. In beiden Fällen handelt es sich um honorarrechtliche Erweiterungen der jeweiligen zivilen Grundklage, weshalb Gaius auch die tatbestandserweiternde Klage als Nutzbarmachung der zivilen Grundklage und damit als actio utilis ansehen konnte. Hinsichtlich der Gaius interessierenden Frage der Formelkonzeption, die für die Klagekonsumption maßgeblich war, gab es bei den Erweiterungsklagen zu zivilen Grundklagen keine Unterschiede; die formula in ius concepta der Grundklage blieb stets erhalten.
42 Vgl. Gai. 4.34f.; hierzu Nelson/Manthe, Gai Inst. III 1-87, 198f.; Kaser/Hackl, RZ 2 399 m. 3 2 43 Vgl. Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 468f., Vom römischen Recht 121 ff.; Käser, SZ 101 (1984) 67, 108 ff. Zur Frage der Ediktsredaktion durch Julian siehe Wieacker 468 3 4 ; Käser 67; Bund, ANRW II 15 (1976) 421 ff.
II. Die Ausdehnung des Begriffs der actiones utiles
37
Die von Gaius begründete Ausdehnung des Begriffs actio utilis auf sämtliche Erweiterungsklagen wirkte sich auf die künftige Terminologie aus: Die Begriffe actio in factum und actio utilis wurden in der Folge - zumindest bei Tatbestandserweiterungen - unterschiedslos verwendet. 4 4 Auch solche Erweiterungsklagen, die einen anderen Tatbestand einführten, wurden nun allgemein als Nutzbarmachung der zivilen oder prätorischen Grundklage angesehen und folglich als actiones utiles bezeichnet. 4 5 Daneben gab es weiterhin den Begriff der actio in factum für Tatbestandserweiterungen zu zivilen und prätorischen K l a g e n ; 4 6 er findet sich auch dann, wenn die Formelabwandlung nicht ausschließlich durch Fiktion oder Subjektwechsel zu bewerkstelligen w a r . 4 7
44
Vgl. Selb, St. Biscardi III (1982) 329, SZ 94 (1977) 430, FS Demelius (1973) 230f.; Winiger, La responsabilité aquilienne 158 ff. (172). Als Belege für eine unterschiedslose Verwendung der Begriffe actio in factum und actio utilis auch im Bereich der engen Analogie führt Selb, SZ 94 (1977) 430, die Stellen Ulp. D. 9.2.11.8, eod. 17 an; vgl. auch Winiger 172 116 . Dabei handelt es sich allerdings um Fälle, in denen die Formelabwandlung zumindest nicht ausschließlich durch Fiktion oder Subjektwechsel zu bewerkstelligen war (u. 47 ), so daß die Bezeichnung als actiones in factum hier wohl mit der ursprünglichen Terminologie noch zu vereinbaren ist. 45 So in Paul. D. 9.2.30.2, 11.3.4; Ulp. D. 9.2.27.9 (anders Coli. 12.7.7: ad exemplum Aquiliae ... actionem ), 47.8.2.20 (hierzu Selb, St. Sanfilippo V [1984] 738). Zu Tatbestandserweiterungen prätorischer Klagen durch die Gewährung von actiones utiles siehe Ulp. D. 4.9.7.3 (u. 79), 9.3.5.3 (u. 81), 9.3.5.12 (u. 83): Paul. D. 9.3.6.3 (u. 81); Gai. D. 11.7.7.1 (u. 134); vgl. auch Käser, SZ 101 (1984) 97 m. 4 3 7 ; Horak, Rationes decidendi I 8 6 n ; a.A. Nicosia, Silloge I 109f. m. 7 8 (= SZ 75 [1958] 282 m. 78 ), der nur die actiones utiles zu zivilen Klagen für klassisch hält. 46 Außerhalb der Institutionen auch bei Gaius, 4 ad ed. prov., D. 4.3.28 (zur actio de dolo). Vgl. auch Ulp. D. 10.4.3.14 (zur actio ad exhibendum); Call. D. 31.63 (zur actio funeraria ; dagegen actio utilis in Scaev. D. 11.7.46 pr.,2). 47 Vgl. Ulp. D. 9.2.11.8, eod. 17, 17.1.12.6. Im ersten Fragment wird eine actio in factum zur actio legis Aquiliae zugunsten des vermeintlichen Herrn im Fall der Verletzung eines servus bona fide serviens befürwortet; in der Klagformel mußte hier wohl die besondere Situation des bona fide semire, insbesondere die Gutgläubigkeit des Scheinsklaven und seines vermeintlichen Herrn, als eigene Voraussetzung genannt werden. In Ulp. D. 9.2.17 geht es um eine actio in factum zugunsten des bonae fidei possessor bzw. des Pfandgläubigers eines Sklaven, der von seinem eigenen Herrn verletzt worden war. Aufgrund der Verletzung gerade durch den eigenen Herrn fehlte es hier an den Voraussetzungen eines zivilen dare oportere, was durch einen bloßen Subjektwechsel nicht behoben werden konnte. Dagegen reichte ein solcher Subjekt Wechsel offenbar im Fall der Verletzung des Sklaven des fructuarius bzw. usuarius durch einen außenstehenden Dritten aus; vgl. die actio utilis in Ulp. D. 9.2.11.10. In Ulp. D. 17.1.12.6 wird die Übernahme eines mandatum durch den Haussohn, der dieses nach seiner Emanzipation erfüllte, behandelt. Bei der von Ulpian befürworteten actio in factum zur actio mandati , konnte nicht mit einer bloßen fiktiven Vorverlagerung der Emanzipation gearbeitet werden; vielmehr mußte die besondere Situation der Erfüllung durch den Haussohn nach seiner Emanzipation in die demonstratio der Klage Aufnahme finden.
38
§ 3 Das Verhältnis von actiones in factum und actiones utiles
Die unterschiedslose Verwendung von actio in factum und actio utilis für alle Tatbestandserweiterungen erklärt Selb mit dem Außergebrauchkommen des Formularprozesses. Julian sei „einer der letzten Juristen, bei denen wir mit Sicherheit Verständnis für die überkommenen Gesetzlichkeiten des Formelbaues ... annehmen dürfen". 4 8 In der Zeit nach Julian sei das formeltechnische Denken abhanden gekommen; bereits in der Spätklassik habe das Kognitionsverfahren den Formularprozeß weitgehend abgelöst: „... findet sich, beginnend mit der Mitte des 2. Jh. n. Chr. mit historischer Distanz vom Edictum Perpetuum und mit dem Vordringen des Kognitionsprozesses eine immer stärker werdende materielle Betrachtungsweise. Bei den Spätklassikern können wir daher die Ausdrücke actio utilis und actio in factum oftmals schon im Sinne einer modernen materiellen Anspruchsanalogie verwendet finden." 49 Unabhängig von der Frage, wie schnell das Kognitionsverfahren gegenüber dem Formularprozeß vorgedrungen ist, 5 0 beweist die einheitliche Verwendung des Begriffs actio utilis durch Gaius, daß dahinter nicht eine „immer stärker werdende materielle Betrachtungsweise" stehen kann. 5 1 Gaius beschreibt den Formularprozeß als die zu seiner Zeit gültige Form des ordentlichen Verfahrens; die Darstellung des Formelaufbaus nimmt in Gai. 4.39 ff. breiten Raum ein. I m Zusammenhang mit der actio utilis gegen den Schuldner, der aufgrund von A d rogation oder durch Eingehen einer Manusehe die Rechtsfähigkeit verloren hat, weist Gaius sogar ausdrücklich auf die fiktizische Formelabwandlung hin. Gai. 4.38: Praeterea aliquando fingimus adversarium nostrum capite deminutum non esse: nam si ex contractu nobis obligatus obligatave sit et capite deminutus deminutave fuerit, velut mulier per coemptionem, masculus per adrogationem, desinit iure civili debere nobis, nec directo intendi potest sibi dare eum eamve oportere; sed ne in potestate
48
Vgl. Selb, St. Sanfilippo V 729. Selb, St. Biscardi III (1982) 318. Zustimmend Käser, SZ 101 (1984) 101: „In der späten Klassik entscheidet nicht mehr die Formel, sondern das m a t e r i e l l e Recht" (Hervorhebung im Original). 50 Die Verdrängung des Formularprozesses durch das Kognitionsverfahren ist als allmähliche Entwicklung zu verstehen, die wohl bereits in der ersten Hälfte des 2. Jh. n. Chr. begonnen hat; vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 168ff. m. 4 7 < 4 9 , 440f.; Pieler, Studien § 5, 3c (unveröffentl. Habilitationsschrift, zitiert nach Kaser/Hackl 168 f. 4 7 4 9 ) ; Simshäuser, Iuridici 12 f f , 267 f. Nach De Martino, La giurisdizione 349, setzte der Verfall zwischen den Severern und Diokletian, vielleicht schon früher, ein. Ausgangspunkt für die Degeneration waren die Provinzen, wo der Statthalter die Zuständigkeit für den Formularprozeß, soweit dieser dort Anwendung fand, und die cognitio extraordinaria auf sich vereinigte. Zum endgültigen Absterben des Formularprozesses kam es im Laufe des 3. Jh. n. Chr.; auch wenn der Formularprozeß erst durch Gesetz von 342 n. Chr. (vgl. C. 2.57.1) förmlich abgeschafft wurde, war in der Praxis spätestens seit Diokletian nur noch das Kognitionsverfahren vorhanden; vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 170f., 436, 467f. 51 Nach Selb 318 habe Gaius in seinen Institutionen „schon früh die Konsequenz einheitlicher Benennung" gezogen. 49
II. Die Ausdehnung des Begriffs der actiones utiles
39
eius sit ius nostrum corrumpere, introducta est [actio] contra eum eamve actio utilis rescissa capitis deminutione, id est in qua fingitur capite deminutus deminutave non esse. Die Fiktion w i r d hierbei durch eine Formelabwandlung der A r t 'si se alieno iure non subiecisset' erfolgt sein. 5 2 Dadurch wurde bewirkt, daß der Rechtsunfahige so haftete, als sei die capitis deminutio (minima) nicht eingetreten. Für die Zeit der Spätklassik zeigen die Ediktskommentare von Paulus und U l pian, daß das formeltechnische Denken noch lebendig war. Es finden sich dort Überlegungen, die sich nur im Rahmen des zweigeteilten Formularverfahrens, das eine Phase in iure und apud iudicem aufwies, erklären lassen. I m Zusammenhang mit den actiones praescriptis verbis und den Abwandlungsklagen zur actio legis Aquiliae taucht wiederholt der Hinweis auf, daß die Abwandlung 'sicherer' (tutius), 53 'besser' (melius), 54 'richtiger' (ver ius), 55 'zweckmäßiger' (utilius) sei als die Grundklage. Das Risiko, mit der Grundklage den Prozeß zu verlieren, bestand nur i m Rahmen des Formularprozesses aufgrund der Zweiteilung des Verfahrens. Falls der iudex das Vorliegen der Voraussetzungen der Grundklage wegen der Abweichungen des konkreten Sachverhalts vom typischen Fall verneinte, war der Kläger schutzlos gestellt. 5 7 I m Kognitionsverfahren war diese 52
56
Vgl. Gai. 3.84. Hierzu Bianchi, Fictio iuris 331 ff. Paul. D. 19.5.5.4 (wechselseitiger Auftrag: mandatum aufgrund der geschuldeten Gegenleistung zweifelhaft; vgl. zur wechselseitigen Leihe Ulp. D. 19.5.17.3), Ulp. D. 19.5.17 pr. (commodatum bei Wohnungsleihe umstritten; vgl. Ulp. D. 13.6.1.1), Ulp./ Lab. D. 19.5.19 pr. (contractus mohatrae: vor der Veräußerung der hingegebenen Sache ist zweifelhaft, ob ein mandatum oder bereits ein mutuum vorliegt; vgl. auch Ulp. D. 12.1.11 pr.; hierzu Käser, Synt. Arangio-Ruiz I [1964] 74ff. [305 f f ] = Ausgewählte Schriften II 303 ff. [305 ff.]), Afr./Iul. D. 19.5.24 (weder condictio, wegen der formlosen Zinsabrede, noch mandatum, wegen des unangemessenen Haftungsmaßstabs; vgl. hierzu Misera, Sodalitas [Scritti Guarino] V I [1984] 2594 ff.). 54 Ulp. D. 9.2.11.10 (actio utilis zur actio legis Aquiliae zugunsten des Nießbrauchers bzw. des Gebrauchsberechtigten; vgl. Selb, St. Biscardi III [1982] 319f.), 9.2. 27.32 (Zerstörung der über fremden Grund verlaufenden Wasserleitung des ego), 19.3.1 pr. (aestimatum: zweifelhaft, ob actio venditi , locati , conducti oder mandati anwendbar ist), 19.5.18 (zweifelhaft, ob die einfache actio depositi oder aber die actio depositi sequestrarla einschlägig ist; vgl. Paul. D. 16.3.6), 19.5.19.1 (commodatum bei Grundstücksleihe umstritten; vgl. Ulp. D. 13.6.1.1). 55 Ulp. D. 19.5.20 pr. (actio empti zweifelhaft). 56 Ulp. D. 9.2.41 pr. i.f. (actio in factum zur actio legis Aquiliae bei Zerstörung der Testamentsurkunde). 57 Anders zu Afr./Iul. D. 19.5.24 allerdings Misera 2599f., der tutius materiellrechtlich, nämlich mit dem unangemessenen Haftungsmaßstab beim mandatum, erklärt; Julian habe die Mandatsklage deshalb als zu unsicher abgelehnt, weil der Mandatar hier nur für dolus malus gehaftet hätte. Allerdings zeigt der zu entscheidende Sachverhalt (Titius consulebat, id quod amplius ex usuris Sempronius redegisset, quam tributorum nomine praestitisset, qua actione ab eo consequi possit.), daß es im konkreten Fall nicht darum ging, daß der Mandatar Sempronius das ihm überlassene Kapital schuldhaft verloren oder ungenutzt gelassen hätte; die beschränkte Haftung des Mandatars hätte hier 53
40
§ 3 Das Verhältnis von actiones in factum und actiones utiles
Gefahr dagegen grundsätzlich nicht vorhanden. Das gesamte Erkenntnis verfahren lag hier als einheitliches Verfahren in den Händen des Gerichtsherrn, der auch für die Beweiswürdigung und die Urteilsfällung zuständig war. Eine Festlegung des Streitprogramms, wozu im Formularprozeß die Erteilung der Klagformel diente, war hier in der Regel nicht erforderlich. 5 8 Damit spielte der in der Formelfassung liegende Unterschied zwischen Grundklage und Abwandlungsklage für die Kognition grundsätzlich keine Rolle. D. 3.5.46.1, Paul. 1 sent. (= Paul. sent. 1.4.10): Nec refert directa quis an utili actione agat vel conveniatur, quia in extraordinariis ludici is, ubi conceptio formularum non observatur, haec subtilitas supervacua est, maxime cum utraque actio eiusdem potestatis est eundemque habet effectum. Paulus bezeichnet die Unterscheidung zwischen actio directa und actio utilis als subtilitas supervacua, als 'gegenstandslose Feinheit'. Da es im Kognitionsverfahren keine Abfassung von Klagformeln mehr gebe, komme es nur auf das materielle Ergebnis der Klage an; dieses sei bei Grund- und Abwandlungsklage dasselbe. Allerdings beschränkt sich Paulus ausdrücklich auf das außerordentliche Verfahren der Kognition (in extraordinariis iudiciis), 59 wodurch er mittelbar die immer noch vorhandene Bedeutung der Formelkonzeption für das ordentliche Verfahren anerkennt. 6 0 Hätte die Formelkonzeption überhaupt keine Rolle mehr gespielt, so wäre der Hinweis auf das Kognitionsverfahren überflüssig gewesen.
also kein Hindernis für den Anspruch des Klägers Titius bedeutet. Der unpassende Haftungsmaßstab diente Julian vielmehr als abstraktes Argument, das ihn daran zweifeln ließ, ob nach der Abrede der Parteien überhaupt ein mandatum gewollt war. Julian sah die Gefahr, daß der iudex aufgrund dieser Überlegung die Mandatsklage abweisen würde, und hat daher die actio praescriptis verbis mit ihrer Schilderung des konkreten Sachverhalts als sicheren, weil für den iudex unmißverständlichen, Ausweg vorgeschlagen. 58 Nur soweit der Gerichtsherr im Rahmen des Kognitionsverfahrens den Fall nicht selbst entschied, sondern einen Urteilsrichter einsetzte, konnte es zu ähnlichen Problemen wie im zweigeteilten Formularprozeß kommen. In diesem Fall mußte nämlich der Gerichtsherr - nicht anders als im Formularverfahren - das Prozeßprogramm gegenüber dem Urteilsrichter im voraus festlegen, was eine der Prozeßformel vergleichbare Instruktion voraussetzt. Zu dieser Sonderform des Kognitionsverfahrens siehe Kaser/Hackl, RZ 2 169, 441, 460 ff. 59 Nicht gefolgt werden kann Sotty, Recherche 451 f., der extraordinariis iudiciis durch ordinariis iudiciis ersetzen will. Nach Sotty seien mit den indicia , bei denen die conceptio formularum nicht beachtet worden sei, die Klagen mit einer formula in factum concepta gemeint; diese hätten weder eine intentio noch eine condemnatio besessen. Daß diese Hypothese nicht zutrifft, zeigt die in Gai. 4.47 vviedergegebene zweigliedrige formula in factum concepta zur actio depositi , die sowohl eine intentio als auch eine condemnatio aufweist. 60 A.A. Selb, St. Biscardi III (1982) 327 f., 330, wonach Paulus die unterschiedliche Konzeption von actio directa und actio utilis nur noch aus der Formeltradition vor Augen gestanden habe.
II. Die Ausdehnung des Begriffs der actiones utiles
41
Eindeutig formelbezogen ist der Ausdruck der actio praescriptis verbis ; er beschreibt die Klage mit intentio incerta , wobei die Sachverhaltsschilderung in Form von verba praescripta vorangestellt ist. 61 Auf den - auch von Ulpian noch gebrauchten - Zusatz id est praescriptis verbis 62 folgte wohl ursprünglich der genaue Wortlaut der verba praescripta, die erst von den Kompilatoren als überflüssig gestrichen wurden. 63 Auch in der Spätklassik wurde die actio praescriptis verbis daher noch als spezifische Formelgestaltung verstanden und nicht im Zuge einer nunmehr ausschließlich materiellen Betrachtungsweise - als die allgemeine Klage aus atypischen Verträgen. 64 Das Ende des formeltechnischen Denkens darf daher nicht bei Julian angesetzt werden; es ist anzunehmen, daß auch die spätklassischen Juristen die klageerweiternden actiones in factum bzw. actiones utiles grundsätzlich noch als Formelabwandlung und nicht als bloße materielle Erweiterung der Grundklage verstanden haben.65 Allerdings steht mit dem Wegfall der prätorischen Rechtsfortbildung die Intensität der Formelabwandlung nicht mehr im Vordergrund, weshalb die bis Julian anzutreffende terminologische Trennung von klageerweiternden actiones in factum und actiones utiles aufgegeben wurde.
61 62
Siehe o. 20 f. Ulp. D. 2.14.7.2, 19.5.13.1, 15; Gai. D. 19.5.22; lui. D. 43.26.19.2; Diocl. C.
8.53.9. 63
Vgl. Kranjc, SZ 106 (1989) 446f.; Lenel, EP ] (1883) 123 f. (aufgegeben in den Folgeauflagen). Für Interpolation des Zusatzes id est praescriptis verbis noch Burdese, Iura 36 (1985) 33 f.; vgl. hiergegen Hayashi, in: Mandatum und Verwandtes 183. 64 A.A. Kranjc, SZ 106 (1989) 437, 456 ff. (458), der in der Einführung des Ausdrucks actio praescriptis verbis (anstelle von agere praescriptis verbis) durch Pomponius das Ende der Bemühungen, für den konkreten Fall die verba praescripta zu gestalten, sieht. 65 Erst bei Tryphonin, einem Schüler des Q.Cervidius Scaevola (Tryph. D. 20.5. 12.1, 49.17.19 pr.: Scaevola noster\ finden sich Anzeichen für eine materiellrechtliche Verwendung von actio utilis; vgl. Tryph. D. 12.2.29 (u. 152).
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen Bei den eigenständigen actiones in factum, d.h. solchen actiones in factum, die - anders als beispielsweise die Erweiterungsklagen im Zusammenhang mit der lex Aquilia - nicht im Wege der Formelabwandlung zu einer bereits vorhandenen Klage des ius civile oder ius honorarium gebildet wurden, sondern völlige Klage-Neuschöpfungen darstellen, 1 handelt es sich häufig um im Edikt enthaltene Klagen. Zum Teil waren diese Klagen ausdrücklich mit den Worten „ in factum iudicium dabo " im Edikt verheißen. Den größten Teil dieser Gruppe machen die honorarrechtlichen Delikte aus, wie die nachfolgende Behandlung der in Frage kommenden Quellen zeigt.
I. Darstellung der einzelnen Klagen Bei folgenden im Edikt enthaltenen actiones in factum ist ein pönaler Charakter feststellbar. 1. Klage wegen Ladung einer Respektsperson: D. 2.4.12 Zu den Strafklagen gehört die Klage, die vom Prätor gegen den Freigelassenen verheißen wird, wenn dieser ohne prätorische Erlaubnis den Patron bzw. dessen Abkömmlinge oder Vorfahren durch in ius vocatio geladen hat; dieselbe Strafklage richtet sich gegen den, der seine eigenen Vorfahren lädt.2 D. 2.4.4.1, Ulp. 5 ad ed. : Praetor ait: 'parentem, patronum patronam, liberos parentes patroni patronae in ius sine permissu meo ne quis vocet'.
Die Formel der Klage gegen den Freigelassenen ist uns bei Gaius als Beispiel für eine formula in factum concepta überliefert.
1 Zum Begriff der eigenständigen Klage - im Gegensatz zur Klageerweiterung - als eine der beiden Erscheinungsformen der actiones in factum siehe o. 11 f. 2 Vgl. auch Gai. 4.183. Hierzu Fernandez Barreiro, SDHI 37 (1971) 263ff.; Käser/ Hackl, RZ 2 2 2 2 1 5 f f m. Lit. Die Strafsumme geht nach Gai. 4.46 auf 10.000, nach Ulp. D. 2.4.12,24 auf 50.000 Sesterze. Zum Begriff parentes vgl. Ulp./Paul. D. 2.4.4.2f.. eod. 5-8 pr.
1.1 Ladung einer Respektsperson
43
Gai. 4.46: RECUPERATORES SUNTO. SI PARET ILLUM PATRONUM AB ILLO [PATRONO] LIBERTO CONTRA EDICTUM ILLIUS PRAETOR IS IN IUS VOCATUM ESSE, RECUPERATORES, ILLUM LIBERTUM ILLI PATRONO SESTERTIUM X MILIA CONDEMNATE. SI NON PARET, ABSOLVITE.
Es handelt sich hier um eine generell-abstrakte Formel, die den Tatbestand, nämlich die verbotswidrige Ladung eindeutig und abschließend beschreibt; einer Anpassung der Formel an den jeweiligen Einzelfall bedurfte es daher - wenn man von der Einsetzung der konkreten Namen der Richter, der Prozeßparteien und des Prätors absieht - nicht. In folgender Stelle wird die Klage gegen den Freigelassenen als actio in factum poenalis bezeichnet: D. 2.4.12, Ulp. 57 ad ed.: Si libertus in ius vocaverit contra praetoris edictum filium patroni sui, quem ipse patronus in potestate habet: probandum est absente patre subveniendum esse filio qui in potestate est et ei poenalem in factum actionem, id est quinquaginta [aureorum] , 3 adversus libertum competere. 4
Hatte der Freigelassene den Sohn des Patrons, der in dessen potestas stand, geladen, so wurde die Strafklage bei Abwesenheit des Patrons dem Sohn selbst gewährt. Fraglich ist, ob hier mit actio in factum die aus dem Edikt resultierende prätorische Grundklage gemeint ist, die ohne Veränderung der Klagformel ausnahmsweise auch dem Sohn gewährt wurde, oder eine auf den Haussohn zugeschnittene Abwandlungsklage. Ursprünglich waren Hauskinder, auch wenn sie in ihren eigenen Rechtsgütem verletzt wurden, nicht fähig, selbst zu klagen.5 Eine Ausnahme bestand nach dem Edikt allerdings für die actio iniuriarum. Diese stellt sich im klassischen Recht als prätorische Strafklage dar; 6 wegen ihrer Herleitung aus dem Recht der X I I Tafeln wurde sie jedoch auch als zivilrechtlich-honorarrechtliche
3 Zur kompilatorischen Ersetzung von 1.000 Sesterzen durch einen aureus siehe Inst. 3.7.3: sie enim legis Papiae summam interpretati sumus, ut pro mille sestertiis unus aureus computetur. Vgl. nur Heumann/Seckel, Handlexikon 9 , s.v. aureus (2), 45. 4 Die Verwendung von competere für prätorische Rechtsmittel entspricht zwar nicht dem Ediktsstil (vgl. Käser, FS Schulz II [1951] 51 f.); im Rahmen der Juristenschriften ist competere - jedenfalls für honorarrechtliche Klagen, die ediktal verheißen waren - jedoch bereits bei Julian bezeugt (vgl. lui. D. 2.10.3 pr.; hierzu u. 56ff). Für die Echtheit von competere in D. 2.4.12 auch De Francisci, Συνάλλαγμα II 70, gegen P. Krüger, SZ 16(1895)4. 5 Vgl. hierzu Kaser/Hackl, RZ 2 205. 6 Vgl. Gai. 4.76 zur noxalen actio iniuriarum, wonach sich diese nicht auf die leges , sondern auf das prätorische Edikt gründet.
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
44
Misch form angesehen. 7 Bei Abwesenheit des pater familias iuriarum
wurde die actio in-
dem Hauskind gegeben.
D. 47.10.17.10, Ulp. 57 ad ed.: Ait praetor: *Si ei, qui in alterius potestate erit, iniuria facta esse dicetur et neque is, cuius in potestate est, praesens erit neque procurator quisquam existat, qui eo nomine agat: causa cognita ipsi, qui iniuriam accepisse dicetur, iudicium dabo'. Eine Abwandlung der Formel der actio iniuriarum ist hier nicht zu erwarten, weil sämtliche Sondervoraussetzungen, nämlich die Abwesenheit des pater familias bzw. das Fehlen eines procurator , bereits für die Erteilung der Klage vorliegen mußten und daher vom Prätor zu prüfen waren. 8 Das inter dictum quod vi aut clam wurde bereits von Labeo und Sabinus auf den Haussohn ausgedehnt. 9 Bei einigen zivilen Klagen, namentlich der actio furti, actio legis Aquiliae, actio depositi und commodati, gab Julian dem Haussohn eine actio utilis™ vermutlich mittels eines Subjektwechsels. 11 A m weitesten dehnte Ulpian die Klageerstreckung zugunsten der Hauskinder aus. D. 5.1.18.1, Ulp. 23 ad ed. : (...) unde ego semper probavi, ut, si res non ex maleficio veniat, sed ex contractu, debeat filius agere utili iudicio, forte depositum repetens vel mandati agens vel pecu-
7 In Paul. Coli. 2.5.5 wird die Klage als aut legitima aut honoraria bezeichnet (hierzu Käser, RP I 2 623 5 ). Zur Entwicklung der prätorischen Klage vgl. Wittmann, SZ 91 (1974) 299ff.; Hagemann, Iniuria 49ff., gegen Manfredini, ACop. 5 (1990/92) 65ff. (82 ff.). Das prätorische Edikt greift zwar den in den X I I Tafeln enthaltenen und damit dem ius civile angehörenden Begriff der iniuria auf (vgl. Ulp. D. 47.10.7 pr.; Paul. Coli. 2.6.1); die Klagformel war aber nicht auf ein ziviles dare oportere, sondern auf quantam pecuniam ... bonum aequum videbitur (oder ähnlich) gerichtet; vgl. Lenel, EP 3 399; Lübtow, Labeo 15 (1969) 141 f f ; Selb, Essays Beinart III (1979) 36; Völkl, Die Verfolgung der Körperverletzung 214; Mantovani, Le formule 2 74 f. (Nr. 84) m.w.Lit. 8 Vgl. Lenel, EP3 403, gegen Rudorff, EP 179. Siehe auch Wittmann, SZ 91 (1974) 339; Manfredini, Contributo 226f. 9 Vgl. Ulp./Lab. D. 43.24.13.1, Ulp./Sab. eod. 19; ebenso Paul./Iul. D. 44.7.9. 10 Vgl. Ulp./Iul. D. 5.1.18.1; [Ulp.] /Iul./Marceli. D. 16.3.19 (zur Inskription Lenel, Pal. I 994 1 [Paul. 264]); unvollständig Paul./Iul. D. 44.7.9. Da dem Haussohn von Julian auch die zivile actio furti und actio legis Aquiliae gegeben wurden, besteht kein Anlaß, die in fr. 7.9 genannte actio depositi und commodati jeweils auf die nur einen Ausschnitt der möglichen Ansprüche erfassenden - Klagvarianten mit formula in factum concepta zu beschränken; so aber Pastori, Il commodato 112 f.; Voci, Iura 31 (1980) 90 2 4 5 . Auch bei der von Ulpian in fr. 18.1 angesprochenen actio depositi handelt es nicht um die Klagvariante mit formula in factum concepta; der Hinweis auf ein utile iudicium läßt auf eine Formelabwandlung schließen (u. 11 ), der es im Rahmen der in factum konzipierten Klage nicht bedurft hätte; vgl. Thon, ZRG 2 (1863) 295, 297. 11 Ein ziviles oportere war nur für den pater familias begründet, weshalb dieser weiterhin in der demonstratio genannt sein mußte; abzuwandeln war nur die condemnatio, die auf eine Verurteilung zugunsten des Haussohnes gerichtet werden mußte. Hierzu Selb, St. Biscardi III (1982) 334; a.A. Valino, Actiones utiles 153, der eine Fiktion „ ac si paterfamilias fuisset " annimmt.
1.1 Ladung einer Respektsperson
45
niam quam credidit petens. si forte pater in provincia sit, ipse autem forte Romae vel studiorum causa vel alia iusta ex causa agat: ne, si ei non dederimus actionem, futurum sit, ut impune fraudem patiatur et egestate Romae laboret viaticulo suo non recepto, quod ad sumptum pater ei destinaverat. et fìnge senatorem esse fìlium familias qui patrem habet in provincia, nonne augetur utilitas per dignitatem? Bei Abwesenheit des pater familias bejahte Ulpian die Erstreckung nicht nur der deliktischen, sondern auch der Kontraktsklagen im Wege der Gewährung von actiones utiles .12 Der Haussohn durfte nach Ulpian im Rechtsverkehr nicht schutzlos gestellt werden. Zur Untermauerung seiner Ansicht stützt sich Ulpian nicht nur auf die Zweckmäßigkeit (utilitas) der Klageerstreckung, die er am Beispiel des Haussohnes, der sich zu Studienzwecken fern von zu Hause aufhält, verdeutlicht, sondern auch auf die mögliche Amtswürde (dignitas) des Haussohnes, der öffentlichrechtlich vollberechtigt war und etwa das A m t eines Senators bekleiden konnte. 1 3 Damit wird glaubhaft, daß Ulpian in der folgenden Stelle auch bei allen actiones in factum, unabhängig davon, ob es sich um eigenständige Klagen oder um Erweiterungsklagen handelte, eine Klagemöglichkeit des Haussohnes befürwortete. 1 4 D. 44.7.13, Ulp. 1 disp: In factum actiones etiam filii familiarum possunt exercere. Es geht hier nicht etwa um die Klageerstreckung durch Schaffung von speziell auf den Haussohn zugeschnittenen actiones in factum, sondern um die Erstreckung der bereits vorhandenen actiones in factum auf den Haussohn. Die umfassende Begründung, die Ulpian in fr. 18.1 für die Erstreckung von Klagen auf den Haussohn gibt, nämlich daß dieser nicht wegen der Abwesen-
12
Nach Qu. Cerv. Scaevola konnte der Haussohn einen RückZahlungsanspruch aus Darlehen im Rahmen eines extraordincirium iudicium verfolgen; vgl. Ulp./Scaev. D. 12.1.17. Kaser/Hackl, RZ 2 459 79 , nehmen an, daß es nicht um das Kognitionsverfahren gehe, sondern daß in Wirklichkeit eine „actio in factum" gemeint sei; ob dabei an eine eigenständige prätorische Klage oder an eine Abwandlungsklage zu denken sei, bleibt offen. Vgl. auch F. Peters, in: Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung III 58, der wie folgt ergänzt: „[mit einer auf den Sachverhalt zugeschnittenen Klage]". Behrends, Geschworenenverfassung 184 f., bezieht extraordinarium hier auf die zeitliche Reihenfolge der Einzelrichtertermine, die durchbrochen worden sei; vgl. auch Nörr, Iura 28 (1977) 289 m. 4 ; F. Peters 58: „außerhalb der Reihe [der Gerichtstermine]"; a.A. Raber, SZ 92 (1975) 384. 13
Zur öffentlichrechtlichen Vollberechtigung der Haussöhne siehe Pomp. D. 1.6.9. Die Stelle wird zum Teil für unecht gehalten; vgl. Ind. Int. ad. h.l.; Kaser/Hackl, RZ 2 205 9 . Keine Zweifel an der Echtheit dagegen bei Pastori, II commodato 112; Sotty, Labeo 25 (1979) 150 39 ; Voci, Iura 31 (1980) 90 2 4 4 ; Nörr, Iura 28 (1977) 289 4 . De Francisci, Συνάλλαγμα II 168, will die Stelle unter Berufung auf Ulp. D. 37.15.5 pr. auf die prozessuale calumnia beschränken (hierzu u. 64 1 0 7 ); gegen eine solche Beschränkung auf eine einzelne actio in factum spricht jedoch der Plural actiones. 14
46
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
heit des pater familias schutzlos gestellt werden dürfe, gilt auch für die vom Prätor geschaffenen actiones in factum. Die zum Teil vorgeschlagene Gleichsetzung des Ausdrucks in factum actiones mit den Klagen, die eine formula in factum concepta besitzen,15 kann nicht überzeugen. Die technische Frage der Formelkonzeption hatte für die Erstreckung der Klagen auf den Haussohn keine maßgebliche Bedeutung, wie die von Ulpian in fr. 18.1 befürworteten actiones utiles zu zivilen Klagen zeigen. Gelegentlich konnten mit dem Begriff der actiones in factum auch speziell die prätorischen Delikte gemeint sein, die einen guten Teil der eigenständigen prätorischen Klagen ausmachen. Im Zusammenhang mit der Strafklage wegen Ladung einer Respektsperson legt das die vielfach verdächtigte 16 Dreiteilung der Klagen in actiones ex contractu, ex facto und in factum in Ulpians liber singular is regularum nahe.17 D. 44.7.25.1, Vip. lib. sing, reg. : Actionum autem quaedam ex contractu, quaedam ex facto, quaedam in factum sunt, ex contractu actio est, quotiens quis sui lucri causa cum aliquo contrahit, veluti emendo vendendo locando conducendo et ceteris similibus. ex facto actio est, quotiens ex eo teneri quis incipit, quod ipse admisit, veluti furtum vel iniuriam commisit vel damnum dedit. in factum actio dicitur, qualis est exempli gratia actio, quae datur patrono adversus libertum, a quo contra edictum praetoris in ius vocatus est.
Eine Gleichsetzung der actiones in factum mit den Klagen, die eine formula in factum concepta aufweisen, verbietet sich; zu den Klagen mit in factum konzipierter Formel zählen auch Kontraktsklagen, wie die formulae in factum conceptae zur actio depositi und commodati beweisen,18 so daß insoweit die Kategorie der actiones ex contractu und gerade nicht die der actiones in factum angesprochen ist. Arangio-Ruiz verwendet die Stelle als Stütze für seine These, daß sich der Begriff der Obligationen und damit die Unterscheidung in obligationes ex contractu und ex delicto nur auf zivile Rechtsverhältnisse beziehen würde, aus denen sich die actiones ex contractu bzw. ex facto ergeben hätten; den zivilen Klagen seien mit dem Begriff actiones in factum die honorarrechtli-
15
Vgl. Pastori, Il commodato 112 f.; Savigny, System II 102s. Vgl. Ind. Int. ad. h.l.; Mayer-Maly, RIDA 3 12 (1965) 444 30 . Dagegen hält Erman, SZ 19 (1898) 300f., die Echtheit der Stelle für möglich, selbst wenn die Einteilung in actiones ex contractu, ex facto und in factum „von grenzenloser Unlogik" sei; für nachklassische Veränderung dagegen in SZ 23 (1902) 447 f. Offengelassen ist die Frage bei Vacca, ANRW II 14 (1982) 71 Of.; Käser, Rom. Rechtsquellen 170 70 (= Studies Thomas [19831 84 70 ). 17 Daß es sich hierbei in Wirklichkeit um eine nachklassische Epitomierung von Werken Ulpians und Gaius' handelt, meinen Arangio-Ruiz, Mèi. Cornil I (1926) 83 1 ; Grosso, Sistema3 26f.; Mayer-Maly, IJ 2.2 (1967) 381; Herzog/Schmidt-Liebs, HLL IV (1997) 207f. m.w.Lit. Vgl. hiergegen Nelson, in: Stilbegriff 81 ff., Überlieferung 80ff. 18 Vgl. Gai. 4.47 (o. 15). 16
1.1 Ladung einer Respektsperson
47
chen gegenübergestellt. 19 Dem widerspricht allerdings der weite Obligationsbegriff, wie er in den Institutionen des Gaius verwendet wird: 2 0 Gai. 3.88: Nunc transeamus ad obligationes, quarum summa divisio in duas species deducitur: omnis enim obligatio vel ex contractu nascitur vel ex delicto.
Gaius rechnet zu den obligationes ex delicto auch die prätorischen Deliktsklagen, wie das Beispiel der actio vi bonorum raptorum zeigt. 21 Schedilo will die Kategorie der actiones in factum in fr. 25.1 mit den Klagen aus den sogenannten Quasi-Delikten bzw. Quasi-Kontrakten identifizieren, die weder eindeutig vertraglicher noch deliktischer Art sind, sondern von Gaius als obligationes ex variis causarum figuris 22 bezeichnet werden. 23 Hierzu paßt jedoch nicht das Beispiel der Strafklage des Patrons gegen den Freigelassenen, die gerade nicht in die Kategorie der Quasi-Delikte fällt. 24 Man wird daher annehmen müssen, daß wir es in fr. 25.1 nicht mit einer echten Dreiteilung der Klagen zu tun haben. Mit actiones ex facto und in factum wird wohl nur eine weitere Unterteilung der Klagen aus den obligationes ex delicto eingeführt. Dafür sprechen die Beispiele, die allesamt aus dem deliktischen Bereich stammen. Während mit actiones ex facto die zivilen Delikte gemeint sind, wie furtum, damnum und die - zumindest ihren Wurzeln nach zivilrechtliche 25 - iniuria, stehen die actiones in factum mit dem zugehörigen Beispiel der Strafklage des Patrons gegen den Freigelassenen für die prätorischen Delikte. 26 Die Einordnung der Klage gegen den Freigelassenen in Ulp. D. 44.7.25.1 unter die actiones in factum im Sinne der prätorischen Strafklagen sowie die generelle Erstreckung der actiones in factum auf den Haussohn nach Ulp. D. 44.7.13 machen es wahrscheinlich, daß auch in Ulp. D. 2.4.12 mit actio in factum die Grundklage aus dem Edikt gemeint war, die dem Haussohn in unveränderter
19
Arangio-Ruiz, Mèi. Cornil I (1926) 81 ff. (87 f.). Vgl. auch Gai. D. 44.7.1 pr.: Obligationes aut ex contractu nascuntur aut ex maleficio aut ex proprio quodam iure ex variis causarum figuris. Zur gajanischen Einteilung der Obligationen siehe Nelson/Manthe, Gai Inst. III 88-181, 59 ff. 21 Vgl. Gai. 3.209: ... sedpropriam actionem eius delicti nomine praetor introduxit, quae appellatur vi bonorum raptorum, ... 22 Vgl. Gai. D. 44.7.1 pr. (o. 20 ). 23 Scherillo, Lezioni sulle obbligazioni (1961) 244, 293 (= Neudr. Milano 1994, 186, 223 f.). 24 Zur Kategorie der Quasi-Delikte siehe u. 1 1 1 3 4 0 . 25 Vgl. o. 44 7 . 26 Vgl. Vacca, ANRW II 14 (1982) 714 1 1 0 ; Erman, SZ 19 (1898) 303 f. Weitere Beispiele in Ulp. D. 2.7.5.3 (u. 51), 27.6.9.1 (u. 89f.), 40.12.22 pr. (u. 93 f.), 47.8.4.11 (o. 20
106).
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
48
Form gewährt wurde, und nicht eine im Einzelfall gegebene Abwandlungskla-
2. Klagen wegen Verhinderung der Ladung bzw. des Erscheinens vor Gericht a) Gewaltsame Verhinderung
der Ladung: D. 2.7.5. /, 3
Auch bei der reinen Strafklage wegen gewaltsamer exemptio, d.h. wenn die Ladung des Beklagten durch in ius vocatio mit Gewalt verhindert wird (vi exemit% handelt es sich wohl um eine im Edikt verheißene Klage. 28 D. 2.7.5.1, Ulp. 5 ad ed.: In eum autem, qui vi exemit, in factum iudicium datur: quo non id continetur, quod in veritate est, sed quanti ea res est ab actore aestimata, de qua controversia est. hoc enim additum est, ut appareat etiam si calumniator quis sit, tarnen hanc poenam eum persequi.
Von Selb wird allerdings angenommen, daß das Edikt - zumindest ursprünglich - nur das Verbot der exemptio, nicht dagegen eine Klageverheißung enthalten hätte. 29 Dagegen spricht jedoch die von Lenel anhand der Titelrubrik von D. 2.7 sowie der fr. 3.2 und 4.2 rekonstruierte Ediktsklausel,30 die auch Selb übernimmt: Ne quis eum qui in ius vocabitur vi eximat neve faciat dolo malo quo magis eximeretur.
Die Klausel ist erkennbar unvollständig und kann in dieser Form nicht für sich allein stehen. Die Einleitung mit ne quis ist kennzeichnend für zweigliedrige Edikte, bei denen sich an das konjunktivische Verbot in einem zweiten Satz die Klageverheißung anschließt.31 Auch in unserem Fall kann sich das Edikt damit nicht auf das bloße Verbot der exemptio beschränkt haben, sondern muß eine prätorische Maßnahme bei Zuwiderhandlung gegen das Verbot vorgesehen haben; hierbei handelt es sich um die in fr. 5.1 beschriebene Klage. Die Klage wegen gewaltsamer exemptio war nicht nur bei eigenhändiger Hinderung gegeben, sondern auch dann, wenn eine andere Person dazu veranlaßt wurde, den Beklagten am Erscheinen gewaltsam zu hindern.
27
Im Ergebnis ebenso Fernändes Barreiro, SDHI 37 (1971) 281 f. Vgl. Lenel, EP 3 73 f.; Fernandez Barreiro, La frustración 10ff.; Buti, II 'praetor' 337 f f ; Kaser/Hackl, RZ 2 225 51 . 29 Selb, FG Käser (1986) 269 f. 30 Vgl. Lenel, EP 3 74. 31 Vgl. Käser, FS Schulz II (1951) 33; Dernburg, FG Heffter (1873) 105 ff. 28
1.2 Verhinderung der Ladung bzw. des Erscheinens vor Gericht
49
D. 2.7.4.2, Paul. 4 ad ed. : Praetor ait 'neve faciat dolo malo, quo magis eximeretur': nam potest sine dolo malo id fieri, veluti cum iusta causa est exemptionis. D. 2.7.5 pr., Ulp. 5 ad ed.: Si per alium quis exemerit, hac clausula tenetur, sive praesens fuit sive absens. Reichard bezieht die Klausel „ neve faciat dolo malo, quo magis eximeretur " nicht nur auf den Fall, daß eine andere Person zur Hinderung veranlaßt wurde, sondern sieht gewaltsames und doloses Hindern als gleichberechtigte Alternativen einer exemptio an. 3 2 D e m steht jedoch die eben erwähnte von Lenel rekonstruierte Ediktsklausel entgegen: 33 Das vi eximere w i r d im Rahmen der Ediktsklausel nicht einem dolo malo eximere gleichgestellt, was etwa in der Form 'Ne quis ... ν/ dolove malo eximat' hätte geschehen können; vielmehr tritt das eigenhändige gewaltsame eximere, ausgedrückt durch das A k t i v vi eximat, der bloßen dolosen Veranlassung der exemptio, die durch eine andere Person verübt wird, gegenüber (neve faciat ... eximeretur·), wobei auch hier eine Gewaltanwendung vorauszusetzen ist. Die von Ulpian angeführte ratio edicti zeigt nämlich, daß der Zweck der Klage darin lag, die Vereitelung einer Ladung gerade durch Gewaltanwendung zu verhindern. 3 4 D. 2.7.1 pr., Ulp. 5 ad ed.: Hoc edictum praetor proposuit, ut metu poenae compesceret eos, qui in ius vocatos vi eripiunt. Nur die besondere Zweckrichtung des Edikts, Gewalttäter wirksam abzuschrecken, bietet eine Erklärung für die außerordentlich strenge Haftung im Rahmen der Klage wegen exemptio; 35 bei einer nur dolosen Vereitelung der La-
32 Vgl. Reichard, Drittschadensersatz 49 f. Nach Reichard sei vis im Verhältnis zu dolus malus sogar als das minder schwere Unrechtselement zu verstehen; aus Ulp. D. 2.7.3.2 ergibt sich jedoch das Gegenteil: Quod praetor praecepit vi eximat vi an et dolo malo? sufficit vi, quamvis dolus malus cesset. Aufgrund des besonderen Unrechts, das in der Gewaltanwendung gesehen wird, kommt es auf einen dolus des Täters nicht an; vgl. Buti, II 'praetor' 339 f.; Fernandez Barreiro, La frustración 36ff. 33 Siehe o. 3 0 ; insoweit zustimmend Reichard 49. 34 Vgl. Fernandez Barreiro, La frustración 17ff.; Buti, II 'praetor' 337f. 35 Die enge Verbindung der Ladungsvereitelung mit der Anwendung von Gewalt wird auch in folgender Definition der exemptio deutlich. Paul. D. 2.7.4 pr.: Sed eximendi verbum generale est, ut Pomponius ait. eripere enim est de manibus auferre per raptum: eximere quoquo modo auferre. ut puta si quis non rapuerit quem, sed moram fecerit quo minus in ius veniret, ut actionis dies exiret vel res tempore amitteretur: videbitur exemisse, quamvis corpus non exemerit. sed et si eo loci retinuerit, non abduxit, his verbis tenetur. Offenbar bedurfte es eines besonderen Hinweises, daß es zu einer exemptio nicht nur durch die Anwendung von absoluter, sondern auch von kompulsiver Gewalt kommen kann. Das Gegensatzpaar rapuerit - moram fecerit dient nicht der Gegenüberstellung von gewaltsamer und nur doloser exemptio, sondern stellt das aktive Entreißen des Beklagten aus den Händen des Klägers der anderweitigen Hinderung des Beklagten
50
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
dung, ohne daß es zu einer Gewaltanwendung kommt, also etwa durch bloße Täuschung des Geladenen, wäre die weitreichende Sanktion gegen den eigenhändigen Täter bzw. den Veranlasser der Ladungsvereitelung nicht angemessen. 3 6 Nach fr. 5.1 richtete sich die Klage nämlich auf den Wert der v o m Kläger geltend gemachten Forderung, unabhängig von den Erfolgsaussichten der Hauptsache. Daß die Klage sogar bei eindeutiger Unbegründetheit der Hauptsache mit Erfolg angestrengt werden konnte, zeigt ihre Erstreckung auf den Fall der rechtsmißbräuchlichen Ladung durch den calumniator? 1 Damit w i r d glaubhaft, daß für die Höhe des Hauptsachebetrags tatsächlich die Schätzung des Klägers maßgeblich war (ab actore aestimata •), die sich grundsätzlich aus dem Klagebegehren ergab. 3 8 War die genaue Höhe des Streitwerts nicht aus dem Klagebegehren ersichtlich, das vom Kläger im Rahmen der editio actionis offenbart werden mußte, 3 9 hatte der Kläger zur genauen Präzisierung wohl ein iusiurandum in litem zu leisten. 4 0 Die Klagemöglichkeit des calumniator beweist, daß ein Schutz des Täters gegenüber der W i l l k ü r des Klägers grundsätzlich nicht stattfand. 41 Zweck der Klage war nicht der Schutz von Individualinteressen, sondern der
am rechtzeitigen Erscheinen gegenüber; daß hierfür bloßer dolus ausreichen würde, ist der Stelle nicht zu entnehmen. 36 Im Fall der dolosen Veranlassung der exemptio muß daher die Gewaltanwendung vom Vorsatz des Veranlassers umfaßt sein. 37 Siehe auch Paul. D. 2.7.4.1. 38 Vgl. Buti, II 'praetor' 345 f f ; Tafaro, La interpretatio 188ff; Voci, Risarcimento 52; Pugliese, Il processo civile II 1, 397. Dagegen halten Lenel, EP 3 74; Käser, Quanti 163, den Ausdruck ab actore aestimata für ein Glossem; für Interpolation Fernandez Barreiro, La frustración 44f.; Reichard, Drittschadensersatz 50 f . 3 0 f 39 Durch die editio actionis mußte der Kläger den Beklagten zumindest insoweit über das Klagebegehren informieren, daß dieser entscheiden konnte, ob er die Forderung anerkennen oder bestreiten will; vgl. Ulp. D. 5.1.21. Hierzu Bürge, SZ 112 (1995) 6ff. Jedenfalls bei Klagen auf certa pecunia war hierzu die Angabe der geforderten Geldsumme erforderlich, so daß es - anders als bei Klagen auf eine certa res oder ein incertum - keiner weiteren Bestimmung des Streitwerts bedurfte; vgl. insoweit auch Fernandez Barreiro, La frustración 42 f. 40 Vgl. Buti 346f.; Voci 52; zweifelnd Pugliese 397. Entgegen Fernandez Barreiro, La frustración 43 f., beweist Ner. D. 15.1.55 nicht das Gegenteil: Is cum quo de peculio agebam a te vi exemptus est: quod tunc cum vi eximeres in peculio fuerit, spectari. Die Beschränkung auf die Höhe des peculium zum Zeitpunkt der Tat kann sich nicht auf die Klage wegen exemptio beziehen, die auf das Klagebegehren und nicht auf den wirklich geschuldeten Betrag abstellt. Gemeint ist vielmehr die Hauptsacheklage, bei der eine Verminderung des peculium nach der exemptio keine Berücksichtigung finden soll; vgl. Buti 347 39 . 41 Damit kann auch der Einwand, es sei nicht einsichtig, weshalb der Kläger die Höhe des Streitgegenstandes im eigenen Interesse schätzen soll, nicht überzeugen; so aber Lenel, EP 3 74; Reichard, Drittschadensersatz 51 3 1 . Eine gewisse Beschränkung der Willkür des Klägers konnte wohl durch den iudex erfolgen, indem dieser - ähnlich wie bei den Arbiträrklagen - im Wege der taxatio eine Höchstgrenze für die Schätzung festsetzte; vgl. Raber, FG Herdlitczka (1972) 209 5 6 ; Buti 347 f.
1.2 Verhinderung der Ladung bzw. des Erscheinens vor Gericht
51
Schutz der Rechtspflege vor gewaltsamer Behinderung. Der rechtsmißbräuchlich handelnde calumniator hatte kein sachverfolgendes Interesse an der Durchfuhrung des Hauptprozesses; seine Klagemöglichkeit beruht auf der rein pönalen Natur der Klage wegen exemptio, wie sie sich auch aus dem Fortgang des fr. 5 ergibt: D. 2.7.5.3f Ulp. 5 ad ed. : Hoc iudicium in factum est: et si plures deliquerint in singulos dabitur, et nihilo minus minus manet qui exemptus est obligatus. (4) Heredibus autem ita dabitur, si eorum intersit: neque autem in heredem neque post annum dabitur.
Waren mehrere Täter an der exemptio beteiligt, so war die actio in factum gegen diese kumulierbar; daneben konnte die Hauptsache unabhängig von der Klage wegen exemptio weiter verfolgt werden (nihilo minus minus manet qui exemptus est obligatus). 42 Die für reine Strafklagen typischen Elemente 43 wie Kumulierbarkeit, beschränkte aktive Vererblichkeit und passive Unvererblichkeit werden in einem Zug mit der Qualifikation der Klage als iudicium in factum genannt; da wir es mit einer eigenständigen prätorischen Strafklage zu haben, tritt noch das Merkmal der Annalität hinzu. Das läßt darauf schließen, daß iudicium in factum hier nicht als prozessualer Begriff für die Formelkonzeption in factum steht. Die Formelkonzeption stand mit der Frage der Pönalität einer Klage in keiner Verbindung; eine formula in factum concepta war auch bei rein sachverfolgenden Klagen möglich, genauso wie es umgekehrt zivile Strafklagen gab. 44 Der Begriff iudicium in factum wurde hier wohl im materiellen Sinn als Synonym für die prätorische Klage, im speziellen für die Klage aus prätorischem Delikt, gebraucht. Da nicht alle prätorischen Delikte durch Strafklagen bewehrt waren, 45 mußte die Frage des pönalen oder sachverfolgenden Charakters der Exemptionsklage geklärt werden. Dem widerspricht nicht, daß die in D. 2.7.5.1,3 als actio bzw. iudicium in factum bezeichnete Klage eine formula in factum concepta besaß. Gai. 4.46: (...) ceterae quoque formulae, quae sub titulo DE IN ius VOCANDO propositae sunt, in factum conceptae sunt, ...; item contra eum, qui vi exemerit eum, qui in ius vocaretur; (...)
Der Zusammenfall von actio bzw. iudicium in factum und formula in factum concepta bietet keinen Beweis dafür, daß es sich hierbei um Synonyme handeln
42
Vgl. auch Ulp. D. 2.7.6. Hierzu Kaser/Hackl, RZ 2 612 f.; Käser, RP I 2 612 f. 44 Vgl. nur Gai. 4.112 (u. 56). 45 Vgl. etwa die deliktische, jedoch nicht pönale Klage wegen alienatio iudicii mutandi causa (u. 1237). 43
52
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
würde; insbesondere ist der Schluß unzulässig, daß jede eigenständige actio in factum eine in factum konzipierte Formel besitzen würde. b) Dolose Verhinderung
des Erscheinens in iure: D. 2.10.3 pr., 48.10.25
Bei der Klage aus dem in D. 2.10 genannten Edikt 4 6 wegen doloser Vereitelung des Erscheinens einer der Prozeßparteien in iure kam es - anders als im Fall der exemptio - auf eine Gewaltanwendung nicht an. 47 Es handelt sich um eine gemischt-pönale Klage, 48 d.h. um Strafklage mit zugleich sachverfolgender Funktion.
46 Vgl. Ulp. D. 2.10.1.2, Iul. eod. 3 pr. (ex hoc edictof hierzu Lenel, EP3 83. Im Gegensatz zu der von C. Aquilius Gallus eingeführten allgemeinen Dolusklage wird hier nur ein spezieller Fall des dolus erfaßt, weshalb es sich offenbar um ein älteres Edikt handelt; vgl. Daube, TR 28 (1960) 279 1 3 ; Knütel, Stipulatio poenae 201 15 ; Reichard, Drittschadensersatz 5 5 5 2 . Auch wenn C. Aquilius Gallus die actio de dolo wohl nicht während seiner Prätur (66 v. Chr.) eingeführt hatte (vgl. Wieacker, SZ 94 [1977] 17 63 , Rom. Rechtsgesch. I 453 37 ), läßt sich aus Cie. de nat. deor. 3.30.74, de off. 3.14.60, pro Cluent. 53.147, das Jahr 66 v. Chr. nicht als sicherer terminus ante quem ableiten; a.A. Bürge, Rom. Privatrecht 43. 47 Ein Unterschied zur Klage wegen exemptio ergibt sich nicht nur aus dem dortigen Erfordernis der Gewaltanwendung (vi exemit), das für die in D. 2.10 behandelte Klage nicht galt; a.A. Reichard, Drittschadensersatz 49 f., der die Exemptionsklage auch bei bloßem dolus für anwendbar hält (hierzu o. 49 ff.). Die Klage wegen exemptio war auf die Vereitelung der Ladung beschränkt, betraf also nur das Erscheinen des Beklagten; außerdem begründete sie ausschließlich einen Anspruch des Klägers. Die in D. 2.10 behandelte Klage erfaßte dagegen sowohl den Fall, daß das Erscheinen des Klägers dolos verhindert wurde (vgl. Iul. D. 2.10.3.2f., u. 54), als auch die dolose Verhinderung des Erscheinens des Beklagten; in letzterem Fall konnten sowohl der Kläger (vgl. Iul. D. 2.10.3 pr., hierzu gleich) als auch der Beklagte (vgl. Ulp. D. 2.10.1.3; Paul. eod. 2) Schadensersatz verlangen. Zu einer sachlichen Überschneidung der beiden Klagen kam es, wenn die Ladung des Beklagten durch Gewalt verhindert worden war und der Täter gleichzeitig - was für die Klage wegen exemptio allerdings nicht erforderlich war (o. 5 5 6 0 ) - mit dolus malus gehandelt hatte; vgl. Ulp. D. 2.10.1.1. Aufgrund der gemischtpönalen Natur der Klage wegen doloser Verhinderung des Erscheinens (u. 4 8 ) waren die beiden Klagen jedoch nicht kumulierbar. Ähnlich Buti, II 'praetor' 351 ff. 48 Vgl. Voci, Risarcimento 57 f.; Liebs, Klagenkonkurrenz 183; Fernandez Barreiro, La frustración 70; Buti, II 'praetor' 359f.; Blanch Nougués, La intransmisibilidad 169; Zweifel hinsichtlich des pönalen Charakters dagegen bei Reichard, Drittschadensersatz 54 5 2 ; Käser, RP I 2 630 63 , anders in Quanti 204, für (abgeschwächte) Pönalität wiederum in RP II 2 4 2 9 3 5 . Für den Strafcharakter spricht, daß bei der Berechnung der Klagsumme auf den Zeitpunkt der Tatbegehung abgestellt wird: lui. D. 2.10.3 pr. (quanti actoris inter fuit), 3.4 (interfuisse videtur); Präsens nur in Paul. D. 2.11.3 (in id quod eius interest), vgl. aber eod. 12.1: Illud tenendum est, quod aestimationem eius quod intersit agentis ad illud tempus referendum est, quo sisti debuit, non ad id, quo agitur, ... Hierzu Käser, Quanti 203 m. 2 3 ; Medicus, Id quod interest 14. In Ulp. D. 2.10.1.4 wird der zu leistende Betrag als poena bezeichnet: Si plures dolo fecerint, omnes tenentur: sed si unus praestiterit poenam, ceteri liberantur, cum nihil intersit; nach Reichard 54 5 2 ist mit poena allerdings die Vadimoniumsbuße gemeint, die mit dem zu leistenden Betrag der Höhe nach identisch war, so daß sich aus der Stelle kein Hinweis auf den Pönalcharakter
1.2 Verhinderung der Ladung bzw. des Erscheinens vor Gericht
53
D. 2.10.3pr., lui. 2 dig.: Ex hoc edicto adversus eum, qui dolo fecit, quo minus quis in iudicium vocatus sistat, in factum actio competit quanti actoris interfuit eum sisti, in quo iudicium deducitur si quid amiserit actor ob earn rem: veluti si reus tempore dominium rei interim sibi adquirat aut actione liberatus fuerit. M i t in iudicium vocatus ist hier der Beklagte gemeint, der am Erscheinen in iure gehindert w u r d e . 4 9 Die Klage war daher auf das Interesse des Klägers gerichtet, 5 0 das dieser am Erscheinen des Beklagten hatte, d.h. auf den Ausgleich einer aufgrund der Prozeßverzögerung eventuell eintretenden Verschlechterung seiner Rechtsstellung gegenüber dem Beklagten, insbesondere eines Klageverlusts; die Klage hatte daher auch Ausgleichsfunktion. 5 1 Oberwiegend w i r d für fr. 3 pr., wie für den gesamte Titel D. 2.10 4 D e eo per quem factum er it quominus quis in iudicio sistat\ eine Interpolation von in iudicio sisti anstelle eines ursprünglichen vadimonium sisti angenommen. 5 2 Die Interpolationsannahme kann nicht überzeugen. 53 Insbesondere erscheint in fr. 3 pr. eine Interpolation von in iudicium vocatus sistat für ein ursprüngliches vadi-
der Klage ergibt. Jedoch ist wohl auch Ulp. D. 48.10.25 (actione in factum poenali) auf die in D. 2.10 behandelte Klage zu beziehen (hierzu u. 58). Keinen sicheren Schluß auf den Pönal Charakter lassen Annalität (vgl. Ulp. D. 2.10. 1.6) und Noxalität (vgl. Ulp. eod. 1.5; Paul. eod. 2) der Klage zu. Gleiches gilt für die passive Unvererblichkeit (vgl. Ulp. D. 2.10.1.6, wonach sich die Klage gegen den Erben nur als Bereicherungsklage fortsetzt; hierzu Käser, RP I 2 600 69 ; für Interpolation Buti 360 90 ; Fernandez Barreiro 71 66 ). Hierbei handelt es sich zwar um für Strafklagen typische, nicht aber hinreichende Elemente. Das zeigen etwa die actio de peculio annalis, die jedenfalls im Bereich der Verurteilung dumtaxat de peculio rein sachverfolgend war (vgl. Ulp. D. 15.2.1 pr.), und die rein sachverfolgende Klage wegen alienatio iudicii mutandi causa, die weder in heredem noch post annum gegeben wurde (vgl. Ulp./Paul./ Gai. D. 4.7.4.6, eod. 5, 6, 7, hierzu u. 1237). Zu Beispielen für rein sachverfolgende Klagen mit Noxalklausel siehe u. 182 m. 3 2 5 . 49 Vgl. Reichard, Drittschadensersatz 52f.; Käser, SZ 94 (1977) 152; Kaser/Hackl, RZ 2 2 3 0 3 4 b ; Brutti, La problematica del dolo processuale II 441; Pugliese, Il processo civile II 1, 411. A.A. Knütel, Stipulatio poenae 202, der eine Hinderung des Klägers annimmt. Hiergegen spricht jedoch, daß actor und eum nicht auf ein und dieselbe Person bezogen werden können; aus dem in fr. 3 pr. beschriebenen Klageziel ergibt sich, daß mit actor der Kläger der Hauptsache gemeint war. 50 Zur Frage, ob die Formel quanti interfuit oder quanti ea res fuit lautete, vgl. Käser, Quanti 203f.; Medicus, Id quod interest 14f.; Levy, Konkurrenz I 501 4 ; Beseler, Beiträge IV 301. 51 Zu den gemischten Strafklagen siehe Gai. 4.9: Rem vero et poenam persequimur ...; vgl. hierzu Käser, RP I 2 501 f., 613; Ankum, BIDR 85 (1982) 15ff., Studies Thomas (1983) 4ff.; Voci, SDHI 64 (1998) 14f. 52 Vgl. Lenel, EP3 83; Käser, Quanti 203; Medicus, Id quod interest 14f., 271 f.; Voci, Risarcimento 155; Pugliese, Il processo civile II 1, 21 Off.; Fernandez Barreiro, La frustración 49ff.; Mayer-Maly, FS Kaser (1976) 254; Reichard, Drittschadensersatz 45 ff.; Kaser/Hackl, RZ 2 230 34 . 53 Vgl. Buti, Il 'praetor' 351 ff. (354f.); Tafaro, Labeo 22 (1976) 239ff.
54
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
monium sistat nicht annehmbar. Allenfalls denkbar wäre eine Veränderung von vadimonium sistat in iudicium sistat. Dagegen erscheint es ausgeschlossen, daß die Kompilatoren das auf eine in ius vocatio hindeutende vocatus nachträglich eingeführt hätten, also einen Hinweis auf eine Ladungsform, die bereits i m nachklassischen Prozeß nicht mehr existierte. 5 4 M i t vadimonium sisti konnte sich in iudicio sisti nur dann decken, wenn es um die Gestellung des Beklagten aufgrund eines Vertagungsvadimoniums g i n g . 5 5 Die in D. 2.10 beschriebene Klage betraf aber nicht nur die Vadimoniumsgestellung; andernfalls wäre nicht erklärbar, daß die Klage auch dann gegeben wurde, wenn der Kläger und nicht der Beklagte am Erscheinen in iure gehindert wurde, wie das in der nachfolgenden Stelle der Fall ist. 5 6 Das Erscheinen des Klägers wurde niemals durch ein Vadimonium gesichert, weil der Beklagte hieran kein rechtliches Interesse hatte; 5 7 im Hinblick auf den Kläger scheidet daher die Vereitelung eines vadimonium sisti von vornherein aus. D. 2.10.3.2f., Iul. 2 dig.: Si et stipulator dolo Titii et promissor dolo Maevi impeditus fuerit, quo minus in iudicio 5 8 sistatur: uterque adversus eum, cuius dolo impeditus fuerit, actione in factum experietur. (3) Si et stipulator dolo promissoris et promissor dolo stipulatoris impeditus fuerit, quo minus ad iudicium veniret: neutri eorum praetor succurrere debebit, ab utraque parte dolo compensando. Die Gestellung des Beklagten, d.h. des promissor des Vadimoniums, ist durch Maevius, das Erscheinen des Klägers, d.h. des stipulator des Vadimoniums, ist durch Titius verhindert worden. Aus dem Sachverhalt ergeben sich
54
Vgl. Buti, II 'praetor' 351 57 . Dagegen erhält Reichard, Drittschadensersatz 49, die Interpolationsannahme aufrecht; die Formulierung in iudicium vocatus habe den Kompilatoren dazu gedient, die Beziehung auf die Hinderung gerade des Beklagten sicherzustellen. Da aus dem Zusammenhang des fr. 3 pr. jedoch ohne weiteres hervorgeht, daß es um einen Fall der Hinderung des Beklagten ging (o. 49 ), war ein solcher Hinweis nicht erforderlich. 55 Die im Edikt unter dem Titel 'De vadimoniis ' enthaltenen Regelungen betreffen nur das vom Prätor auferlegte Vertagungsvadimonium, nicht das auf einer freien Vereinbarung der Parteien beruhende Ladungsvadimonium; vgl. Lenel, EP3 80ff.; Kaser/Hackl, RZ 2 226. Im Gegensatz zum Vertagungsvadimonium, das unmittelbar auf das Erscheinen in iure gerichtet war, wurde beim Ladungsvadimonium ein Ort in unmittelbarer Nähe der Gerichtsstätte gewählt, wo es zur Ladung des Beklagten durch in ius vocatio kam; vgl. J.G.Wolf. Satura Feenstra (1985) 59 (63 ff), St. Sanfilippo V I (1985) 769 (781 f.). Beim Ladungsvadimonium kann vadimonium sisti daher nicht mit in iudicio bzw. in iure sisti gleichgesetzt werden. 56 Vgl. Buti 352 59 , 358 84 . 57 Vgl. Reichard, Drittschadensersatz 53. 58 Da es auch um die Hinderung des Klägers geht, verbietet sich eine Korrektur von in iudicio zu vadimonium; so aber Lenel, Pal. I 321 5 . Vgl. gegen Lenel auch Reichard, Drittschadensersatz 52 3 6 . Die Verbesserung von in iudicio zu in iure, die Lenel alternativ vorschlägt, ist nicht erforderlich; siehe u. 6 0
1.2 Verhinderung der Ladung bzw. des Erscheinens vor Gericht
55
zwei Klagen: Sowohl der Kläger als auch der Beklagte können die actio in factum aus dem Edikt, gerichtet auf quanti interfuit in iure sisti , erheben. Für den Kläger heißt das, daß er von Titius Ausgleich für eine Verschlechterung seiner Rechtsstellung im Verhältnis zum Beklagten verlangen kann. Der Beklagte kann von Maevius Ersatz der aufgrund der Gestellungsvereitelung verfallenen Vadimoniumssumme verlangen. 5 9 Hinderten sich Kläger und Beklagter gegenseitig am Erscheinen, konnte keiner die Klage aus dem Edikt anstellen. Auch die Verwendung von in iudicium vocatus anstelle von in ius vocatus in fr. 3 pr., bietet keinen Anlaß, die Echtheit des Ausdrucks zu bezweifeln. Der Begriff iudicium war nicht auf das Verfahren vor dem iudex beschränkt, sondern konnte in einem weiteren Sinn das gesamte Gerichtsverfahren einschließlich des Verfahrens in iure bezeichnen. 6 0 Ebensowenig anstößig ist die intransitive Verwendung von sistere in fr. 3 pr. (in iudicium vocatus sistat). 61 Intransitives sistere im Sinne von 'erscheinen', gleichbedeutend mit se sistere bzw. dem Medium sisti, ist auch andernorts bezeugt; 6 2 insbesondere findet es sich in folgender Gaiusstelle.
59 Der Beklagte konnte gegen die Klage aus der cautio grundsätzlich nur dann eine exceptio erheben, wenn ihn der Kläger selbst am Erscheinen gehindert hatte; vgl. Ulp. D. 2.10.1.3; Paul. eod. 2. Bei Hinderung durch einen Dritten mußte er die Vadimoniumssumme dagegen in aller Regel leisten; vgl. Ulp. D. 2.11.2.3 ff. Hierzu Reichard, Drittschadensersatz 56 ff. 60 Vgl. Wlassak, Prozeßgesetze II 26 ff. (43 4 2 ); Kaser/Hackl, RZ 2 288 1 5 ; zu Ulp. D. 2.10.1.2 (ad iudicium) auch Mayer-Maly, FS Käser (1976) 253 f. Für eine Interpolation von ad iudicium für in ius bzw. in iudicio für in iure Knütel, Stipulatio poenae 201 1 6 - 1 8 (zu Ulp. D. 2.10.1.3; lui. eod. 3.1); Lenel, Pal. I 3 2 1 5 f , 322 1 (lui. 28); II 446 7 , 447 1 (Ulp. 299); vgl. auch De Francisci, Συνάλλαγμα II 93 (zu D. 2.10 rubr., Iul. eod. 3 pr., 2). Gegen die Interpolationsannahmen spricht, daß in ius vocare sogar in den Titelrubriken D. 2.4-7 und C. 2.2 erscheint, weshalb von einer systematischen Ersetzung von ius durch iudicium keine Rede sein kann. 61 A.A. Reichard, Drittschadensersatz 49. 62 Vgl. Plaut. Cure. 1.3.163 (Linds.): sisto ego tibi me et mihi contra itidem ut sistas suadeo. In Cie. de off. 3.10.45 geht es um das Sich-Gestellen Damons vor Dionysius dem Tyrannen, für das Phintias bürgt: Damonem et Phintiam Pythagoreos ferunt hoc animo inter se fuisse , ut, cum eorum alteri Dionysius tyrannus diem necis destinavisset et is, qui morti addictus esset, paucos sibi dies commendandorum suorum causa postulavisset, vas factus sit alter eius sistendi, ut, si ille non revertisset, moriendum esset ipsi. Aufgrund der identischen Bildung der Perfektformen kann oft nicht entschieden werden, ob es um das Perfekt von sistere oder von stare geht; vgl. etwa Cie. pro Quinct. 6.25:
Testificatur
is: P. QUINCTIUM NON STETISSE
ET STETISSE
SE. Ebenso das wiederkehrende
stetit in den testationes sistendi aus Murécine; vgl. TPSulp. 16 (= TP. 56 bis) I 2.8; TPSulp. 17 (= TP. 56) I 2.6; TPSulp. 18 (= TP. 101) II 5.6; TPSulp. 21 (= TP. ined.) II 3.1; hierzu Camodeca, Tabulae Pompeianae Sulpiciorum I 69ff., L'archivio I 84ff.
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
56
D. 2.11.6, Gai. 1 ad leg. duod. tab.: Si is qui [fideiussorem] 63 dedit ideo non steterit, quod rei publicae causa afuit: iniquum est [fideiussorem] ob alium necessitate sistendi obligatum esse, cum ipsi liberum esset non sistere. Für eine kompilatorische Streichung von vadimonium vor non sistere gibt es keinen Anhaltspunkt. Auch die Verbindung (in) iudicio sistere ist damit sprachlich möglich und muß nicht in vadimonium sistere umgeformt werden. 6 4 Auffällig ist, daß Julian in fr. 3 pr. im Zusammenhang mit einer prätorischen Klage von competere spricht und gleichzeitig auf deren Verheißung im Edikt hinweist (Ex hoc edicto ... in factum actio competit). Diese Ausdrucksweise entspricht nicht dem Ediktsstil; der Prätor hat i m Edikt Klagen mit iudicium bzw. actionem dabo verheißen. 6 5 Gaius unterscheidet bei der Gegenüberstellung von zivilen und prätorischen Klagen streng zwischen actio competit und actionem dari. 66 Gai. 4.110,112: Quo loco admonendi sumus eas quidem actiones, quae ex lege senatusve consultis proficiscuntur, perpetuo solere praetorem accomodare, eas vero, quae ex propria ipsius iurisdictione pendent, plerumque intra annum dare. (112) Non omnes actiones, quae in aliquem aut ipso iure competunt aut a praetore dantur, etiam in heredem aeque conpetunt aut dari solent: est enim certissima iuris regula ex maleficiis poenales actiones in heredem nec conpetere nec dari solere, velut furti, vi bonorum raptorum, iniuriarum, damni iniuriae. sed heredibus actoris huiusmodi actiones competunt nec denegantur, excepta iniuriarum actione et si qua alia similis inveniatur actio. Der Begriff competere w i r d hier für die Klagen verwendet, die sich unmittelbar aus Volksgesetzen oder Senatsbeschlüssen ergeben; mit actiones, quae a praetore dantur sind dagegen die honorarrechtlichen Klagen gemeint, die der Prätor kraft seiner Jurisdiktionsgewalt erteilte. Hieraus läßt sich allerdings nicht ableiten, daß der Ausdruck in factum actio competit in fr. 3 pr. nicht von Julian stamme. 6 7 Bereits in der Hochklassik ist competere auch für prätorische Rechtsmittel bezeugt, soweit nicht die Darstel63
Es handelt sich um ein vadimonium cum satisdatione, d.h. ein durch einen Sponsionsbürgen abgesichertes vadimonium. Vgl. TPSulp. 27 (= TP. 66 + 113) II 3.3, I 1.5, wo der Bürge ausdrücklich als sponsor bezeichnet wird; hierzu Camodeca, Tabulae Pompeianae Sulpiciorum I 88 ff., L'archivio I 106ff. 64 D. 2.10 rubr.; Ulp. eod. 1.1; Paul. eod. 2. Vgl. auch Giménez-Candela, SDHI 48 (1982) 133, zu Ulp. D. 2.11.2 pr. 65 Vgl. Käser, FS Schulz II (1951) 51 f.; Kaser/Hackl, RZ 2 328. 66 Vgl. Manthe, SC Pegasianum 137 f.; a.A. Vinci, ACat. 2 2 (1947/48) 368 f. Die Unterscheidung findet sich auch im Zusammenhang mit dem SC Trebellianum, wobei mit competere die Sachlegitimation des Erben und mit actionem dari die des Erbschaftsfideikommissars gemeint ist (vgl. Gai. 2.253); hierzu Manthe 137 m. 1 6 67 So aber De Francisci, Συνάλλαγμα II 93 f., der in factum actio competit durch iudicium datur ersetzen will.
1.2 Verhinderung der Ladung bzw. des Erscheinens vor Gericht
57
lung des Gegensatzes von zivilen und prätorischen Klagen im Mittelpunkt steht; 68 später wird competere sogar in diesem Zusammenhang gebraucht. 69 Ein Grund für eine nachträgliche systematische Änderung der Stellen ist nicht ersichtlich; der Gegensatz von ius civile und ius honorarium hatte in der Nachklassik keine Bedeutung mehr, weshalb für eine terminologische Gleichschaltung durch gezielte Texteingriffe kein Bedürfnis bestand.70 Ihren Ausgang wird die Ausdehnung von competere auf das Honorarrecht bei den im Edikt verheißenen Klagen genommen haben, wozu auch die actio in factum in fr. 3 pr. gehört (ex hoc edicto ... competit ).Ί] Hier erscheint es im Hinblick auf den Wortsinn von competere durchaus zutreffend, daß die jeweilige Klage dem Rechtsschutzsuchenden 'zusteht'. Nach der lex Cornelia de iurisdictione bzw. de edictis von 67 v. Chr. war der Prätor nämlich an das von ihm verkündete Edikt gebunden.72 Damit war der Prätor bei im Edikt verheißenen Klagen grundsätzlich ebenso zur Gewährung verpflichtet wie bei den zivilen Klagen. Sichere Belege für nachträgliche Textveränderungen gibt es dagegen bei den Einzelfallklagen, 73 die dem Rechtsschutzsuchenden weder nach ius civile noch nach dem prätorischen Edikt zustanden, sondern vom Prätor aufgrund eines Einzelfalldekrets gewährt werden mußten. Dennoch kann auch in diesem Bereich competere nicht durchweg als Interpolation eingestuft werden; 74 eine untechni68 Zu den dem Honorarrecht zuzuordnenden adjektizischen Klagen siehe Gai. 4.74: exercitoria vel institoria formula competiti Ven. D. 14.6.18: quae de peculio adversus eum competat. Ebenfalls das Honorarrecht betrifft Gai. 4.74a: tributoria actio conpetit. Afr. D. 9.4.28 (cum ipso iure noxalis actio adversus eum competit) umfaßt sämtliche Noxalklagen, die sich auf Zivil- oder Honorarrecht gründen können; vgl. Gai. 4.76: Constitutae sunt autem noxales actiones aut legibus aut edicto praetoris. 69 Vgl. Paul. D. 14.1.5.1: actione, quae mihi vel iure civili vel honor ario competit. 70 Vgl. Käser, SZ 101 (1984) 81 3 7 6 ; Kaser/Hackl, RZ 2 328 15 : Vinci, ACat. 2 2 (1947/48) 365ff.; gegen P.Krüger, SZ 16 (1895) Iff. (4ff). Metro, Denegatio 87f., nimmt formale Änderungen der Texte in nachklassischer Zeit an. 71 Weitere Belege in Gai. D. 4.7.3.5 (u. 126), 11.7.7 pr. (u. 131), 11.7.9 (u. 139); Paul. D. 4.9.6.1 (u. 70), 39.2.18.13 (u. 181); Ulp./Iul. D. 5.1.16 (u. 113); Ulp. D. 2.4.12 (o. 43), 2.13.6.4 (u. 61), 3.6.1 pr. (u. 63), 6.2.7.7 (u. 158), 11.6.5.2,7.2 (u. 86), 27.6.9.1 (u. 89), 11.7.8.1 (u. 135), eod. 8.5 (u. 139), 39.2.17 pr. (u. 182), 43.4.1.8 (u. 103), 43.16. 1.48 (u. 191); Diocl./Max. C. 4.1.8 (u. 150). 72 Vgl. Ps.-Ascon. in Corn. 52 (Stangl 48.19ff.): ... ut praetores ex edictis suis perpetuis ius dicerent: quae res cunctam gratiam ambitiosis praetoribus, qui varie ius dicere assueverant, sustuliv, Dio 36.40.If. Hierzu Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 463 1 2 ; Käser, RP I 2 206 6 ; Kaser/Hackl, RZ 2 295 3 . 73 Vgl. die Parallelüberlieferungen Ulp. D. 9.2.27.9 (puto utilem competere actionem) = Coll. 12.7.7 (puto ad exemplum legis Aquiliae dandam actionem)', hierzu Manthe, in: Einleitung 464; Wieacker, Textstufen 239 f.; und Diocl./Max. C. 8.54.3.1 (utilem actionem ... competere) = Vat. 286 (utilem actionem ... decernendam esse); hierzu Santoro, in: Le teorie contrattualistiche 88 f. 1 3 74 A.A. P.Krüger, SZ 16 (1895) 4ff. Die Interpolationsannahmen Krügers können bereits aufgrund der Vielzahl der betroffenen Stellen in ihrer Absolutheit nicht überzeu-
58
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
sehe Verwendung von competere auch für im Einzelfall gewährte Klagen erscheint bereits in der Hochklassik nicht ausgeschlossen. Spätestens mit der Schlußredaktion des Edikts durch Julian hat sich die Rechtsfortbildung auf den Kaiser, den Senat und insbesondere die Fachjurisprudenz verlagert; 75 wurde die Gewährung einer Einzelfallklage in einem Kaiserreskript oder von einem Respondierjuristen befürwortet, so war der Prätor hieran gebunden.76 Damit kann von einem competere im weitesten Sinn auch bei Einzelfallklagen gesprochen werden. Um die in D. 2.10 behandelte Klage geht es vermutlich auch in D. 48.10.25, Ulp 7 ad ed. : Qui nomine praetoris litteras falsas reddidisse edictumve falsum proposuisse dicetur, ex causa actione in factum poenali tenetur, quamquam lege Cornelia reus sit.
Wer im Namen des Prätors ein falsches Schreiben bzw. ein falsches Edikt veröffentlicht hatte, konnte mir einer actio in factum poenalis belangt werden. Der Ausdruck actio in factum poenalis steht dabei wohl nicht in Verbindung mit der Frage der Formelkonzeption, sondern dient als Hinweis darauf, daß es sich hier um eine Strafklage aus prätorischem Delikt handelt. 77 Die Herkunft des Fragments aus dem siebten Buch von Ulpians Ediktskommentar, in dem es um den Ediktstitel De vadimoniis geht, spricht für die Identifizierung der pönalen actio in factum mit der in D. 2.10 behandelten Klage. 78 Mit den Fälschungen war wohl eine Fehlinformation des Klägers bezweckt, die diesen davon abhalten sollte, vor Gericht zu erscheinen. Die umstrittene Frage, ob eine dolose Verhinderung des Erscheinens auch durch Täuschungsmanöver erfolgen konnte, wird jedenfalls von Ulpian bejaht.
gen; vgl. Iul. D. 2.10.3.1, 14.3.12; Afr. D. 28.5.47; Pomp. D. 8.2.18; Gai. D. 24.1.30 (u. 202); Paul. D. 9.1.4, 11.3.14.1, 13.7.41, 14.3.16, 39.3.2.5; Licin. Ruf. D. 31.62; Ulp. D. 4.3.33 (u. 196), 4.7.10.1 (u. 125), 12.2.11.3 (u. 153), 14.3.13 pr., 19.1.13.25, 43.16.1.43 (u. 265); Mod. D. 46.1.41 pr. Bei Ulp./Iul. D. 14.3.13 pr.; Ulp./Proc. D. 15.1.47.3; Ulp./Arist. D. 43.21.3.6 bleibt offen, ob competere wörtliches Zitat ist oder von Ulpian stammt. 75 Siehe o. 36. 76 Zur Maßgeblichkeit der Gutachten von Respondierjuristen vgl. Gai. 1.7; hierzu Wieacker, Rom. Rechtsgesch. I 563. 77 Vgl. Ulp. D. 2.7.5.3 f., 0.51. 78 Vgl. Lenel, EP 3 83; Pugliese, Il processo civile II 1, 410; Buti, II 'praetor' 358 83 . Zur Einordnung auch De Francisci, Συνάλλαγμα II 94 f., der den Ausdruck ex causa in factum actione poenali allerdings für unecht hält und durch hoc edicto ersetzen will. Ein Grund für diese Interpolationsannahme ist nicht ersichtlich; zu causa in der Bedeutung 'Tatbestand' (zur Klageerhebung berechtigender 'Sachverhalt') siehe Nelson/Manthe, Gai Inst. III 88-181, 67; Heumann/Seckel, Handlexikon 9 , s.v. causa (lc), 59 f.
1.2 Verhinderung der Ladung bzw. des Erscheinens vor Gericht
59
D. 2.10.1.2, Ulp. 7 ad ed. : Dolum autem malum sic accipimus, ut si quis venienti ad iudicium aliquid pronuntiaverit triste, propter quod is necesse habuerit ad iudicium non venire, teneatur ex hoc edicto quamvis quidam putent sibi eum imputare, qui credulus fuit.
Zum Teil wird die actio in factum poenalis in D. 48.10.25 mit der actio de albo corrupto gleichgesetzt.79 Der Tatbestand der Ediktsverfalschung steht zwar dem Fall der Veröffentlichung eines falschen Schreibens bzw. eines falschen Edikts im Namen des Prätors nahe; gegen die vorgeschlagene Gleichsetzung spricht aber nicht nur der palingenetische Zusammenhang,80 sondern auch sachliche Unterschiede der beiden Klagen. Die actio de albo corrupto betraf den Fall der Verfälschung eines vom Prätor im Rahmen seiner ständigen Gerichtsbarkeit, also nicht nur für den Einzelfall veröffentlichten Textes (quod ... propositum erit). D. 2.1.7pr., Ulp. 3 ad ed.: Si quis id, quod iurisdictionis perpetuae causa, non quod prout res incidit, in albo vel in charta vel in alia materia propositum erit, dolo malo corruperit: datur in eum quingentorum [aureorum] 81 iudicium, quod populäre est.
Folgende Stelle zeigt, daß Ulpian streng unterschied, ob ein vom Prätor bereits veröffentlichter oder aber ein Text, bei dem die Veröffentlichung noch nicht abgeschlossen war, verfälscht wurde. D. 2.1.7.2, Ulp. 3 ad ed.: Quod si dum proponitur vel ante propositionem quis corruperit, edicti quidem verba cessabunt, Pomponius autem ait sententiam edicti porrigendam esse ad haec.
Anders als für Pomponius war für Ulpian die actio de albo corrupto nicht anwendbar, wenn die Verfälschung vor Abschluß der Veröffentlichung stattfand. 82 Das muß um so mehr für unseren Ausgangsfall gelten, in dem es überhaupt nicht um die Verfälschung eines bestehenden Textes, sondern um die Veröffentlichung eines von vornherein unechten Textes geht. Auch Mommsens These, daß die actio in factum poenalis in D. 48.10.25 eine Erweiterungsklage zur actio de albo corrupto gewesen sei, 83 vermag nicht zu überzeugen. Wäre sie richtig, hätte Ulpian auch in dem in D. 2.1.7.2 behandelten Fall der Verfälschung vor Abschluß der Veröffentlichung eine solche Erweiterungsklage geben müssen. Schließlich spricht auch die in fr. 25 erwähnte Idealkonkurrenz zwischen der actio in fac79
379 1 7 . 80
Vgl. Palazzolo, St. Sanfilippo V I I (1987) 609 6 2 , 620; Mancuso, APal. 37 (1983)
Ulpian behandelt die actio de albo corrupto im 3. Buch seines Ediktskommentars: Ulp. 3 ad ed., D. 2.1.7; vgl. Lenel, EP 3 57. 81 Vgl. 0.433. 82 Vgl. zu dieser Meinungsverschiedenheit Palazzolo, St. Sanfilippo V I I (1987) 608; Guarino, Index 18 (1990) 278. 83 Mommsen, Rom. Strafrecht 672 6 .
60
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
tum poenalis und der lex Cornelia de falsis gegen die Gleichsetzung mit der actio de albo corrupto. Diese wurde nämlich in spätklassischer Zeit durch die längst über den ursprünglichen Bereich der Testamentsfalschung hinaus erweiterte - lex Cornelia de falsis verdrängt. 8 4 Auch wenn sich aus den Quellen kein Anhaltspunkt hinsichtlich der Formelkonzeption der in D. 2.10 behandelten Klage ergibt, 8 5 w i r d man aufgrund der Beschreibung der Klage in lui. D. 2.10.3 pr. eine formula in factum concepta annehmen müssen, die die dolose Verhinderung des Erscheinens in iure als Voraussetzung für eine Verurteilung nannte. Eine Notwendigkeit, die Klage an den jeweiligen Einzelfall anzupassen, ist nicht ersichtlich. 3. Klage auf Rechnungslegung aus dem Edikt 'De edendo': D. 2.13.9 pr. Nach dem Edikt 'De edendo ' sind Bankiers gegenüber ihren Kunden zur Rechnungslegung verpflichtet. 8 6 D. 2.13.4pr., Vip. 4 ad ed.: Praetor ait: 'Argentariae mensae exercitores rationem, quae ad se pertinet, edent adiecto die et consule.' Weigerte sich der Bankier, so erhielt der Kunde gegen diesen eine gemischte Strafklage, 8 7 gerichtet auf das Interesse. 88
84 Vgl. Mod. D. 48.10.32 pr.: Hodie qui edicta proposita dolo malo corrumpunt, falsi poena plectuntur. Palazzolo 620 muß daher annehmen, daß es erst nach Ulpian zum Vorrang der lex Cornelia de falsis gekommen ist. 85 Insbesondere kann aus der Bezugnahme auf das Verheißungsedikt mit 'ex hoc edicto ', wie sie sich in D. 2.10.3 pr. findet, nicht ohne weiteres auf die Formelkonzeption in factum geschlossen werden; so aber Selb, St. Biscardi III (1982) 324. Die ediktale Verheißung einer Klage bedeutet nicht zwangsläufig, daß diese „auch in allen ihren prätorisch bestimmten Elementen musterhaft proponiert war"; vgl. Ulp. D. 39.2.7 pr., eod. 15.36, D. 43.4.4.2 zur Klage aus fingierter cautio damni infecti (hierzu u. 170ff.). 86 Hierzu Gröschler, Die tabellae-Urkunden 265 ff. 87 Der pönale Charakter der Klage ergibt sich nicht nur aus der Rückrechnung des Schadensersatzes, sondern auch aus der Terminologie (Ulp. D. 2.13.4.5: deliquit; 8 pr.: punitur; Paul. eod. 9 pr.: cogitur ... per metum in factum actionis); vgl. Levy, Privatstrafe 62f.; Blanch Nougués, La intransmisibilidad 86f. A.A. Pernice, Labeo II 2.1 2 , 177, der eine sachverfolgende Klage „auf vollen Schadensersatz" annimmt; vgl. auch Giomaro, StUrb. 45 (1976/77) 79ff., 91 f. In Ulp. D. 2.13.6.1 wird allerdings nur die Vererblichkeit der Editionspflicht selbst, nicht dagegen der actio in factum wegen einer unterlassenen Rechnungslegung des Erblassers festgestellt; vgl. De Sarlo, Il documento 264f. Die Pekuliarhaftung des Gewalthabers nach Ulp. D. 2.13.4.3 anstelle der für Pönalklagen kennzeichnenden Noxalhafitung erklärt sich aus der besonderen Nähe der Editionspflicht zu den gegenüber dem Bankkunden begründeten vertraglichen Verpflichtungen, die eine Geschäftsführung (negotium gestum) des Gewaltunterworfenen darstellen; vgl. Micolier, Pécule 683 f. Für Interpolation dagegen Fernändes Barreiro, La previa informacion 209; Biondi, APal. 10 (1925) 63 9 f.
1.3 Klage aus dem Edikt 'De edendo '
61
D. 2.13.6.4, Ulp. 4 ad ed. : Ex hoc edicto in id quod interfuit actio competit. 89 D. 2.13.8.1, Ulp. 4 ad ed. : Is autem, qui in hoc edictum incidit, id praestat, quod interfuit mea rationes edi, cum decerneretur a praetore, non quod hodie interest: ...
Die condemnatio wird sich hier tatsächlich auf id quod interfuit gerichtet haben; dadurch wurde nämlich - im Gegensatz zum auslegungsbedürftigen quanti ea res fuit - klargestellt, daß es nicht um den Ersatz des nur verschwindend geringen Materialwerts der Urkunde, 90 also einer res im Sinne eines körperlichen Gegenstands, sondern um das wirtschaftliche Interesse des Kunden geht, das durch den besonderen Beweiswert der rationes der Bankiers begründet ist. 91 Die Klage gegen den Bankier wird als actio in factum bezeichnet: D. 2.13.9pr., Paul. 3 ad ed.: Quaedam sunt personae, quas rationes nobis edere oportet nec tarnen a praetore per hoc edictum compelluntur. veluti cum procurator res rationesve nostras administravit, non cogitur a praetore per metum in factum actionis rationes edere: scilicet quia id consequi possumus per mandati actionem, et cum dolo malo socius negotia gessit, praetor per hanc clausulam non intervenit: est enim pro socio actio, sed nec tutorem cogit praetor pupillo edere rationes: sed iudicio tutelae solet cogi edere.
Hierbei wird die actio in factum als prätorische Klage den Klagen aus zivilen Sonderverhältnissen, der actio mandati gegen den procurator , der actio pro socio sowie der actio tutelae, gegenübergestellt. Da diese Klagen auf ein bonae fidei iudicium gerichtet sind, mußte hier kein eigenständiger Anspruch auf Rechnungslegung konstruiert werden; der Anspruch ergibt sich vielmehr bereits aus dem jeweiligen zivilen Sonderverhältnis. Dagegen ist im Verhältnis zwischen dem Bankier und seinem Kunden die Anordnung einer besonderen Editionspflicht erforderlich, weil hier zwischen den Beteiligten in aller Regel nur Einzelbeziehungen zustande kommen, 92 nicht aber ein Rahmenvertrag in Form ei-
88 Ungenau Gai. eod. 10.3 (quanti agentis intersit); vgl. Lenel, EP 3 63 6 ; Käser, Quanti 202 17 . 89 Zur Verwendung von competere ο. 56 f. m. 7 1 90 Vgl. den Meinungsstreit zum Urkundendiebstahl in Paul D. 47.2.32 pr.: Quidam tabularum dumtaxat aestimationem faciendam in furti actione existimant, ... ; hierzu Käser, Quanti 145 f. 91 Vgl. Käser, Quanti 202; Medicus, Id quod interest 12 ff. 92 Vgl. die Definition der ratio des Bankiers durch die Summe der einzelnen Rechtsbeziehungen zwischen dem Bankier und dem Kunden; Ulp. D. 2.13.6.3: Rationem autem esse Labeo ait ultro citro dandi accipiendi, credendi, obligandi solvendi [sui] causa negotiationem (hierzu Gröschler, Die tabellae-Urkunden 268 f f ). Siehe auch Levy, Privatstrafe 62.
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
62
nes auf ein bonae fidei iudicium gerichteten mandatum 93 aus dem sich ohne weiteres ein Anspruch auf Rechnungslegung ergeben würde. Die sich ergebende Schutzlücke schließt der Prätor durch das Edikt 'De edendo ' und die Erteilung der actio in factum 94 Giomaro hält die actio in factum gegen den Bankier für eine formulare Abwandlung der actio ad exhibendum. 95 Ulpians Kommentierung in fr. 6.4 (ex hoc edicto), 8.1 (in hoc edicto) zeigt jedoch, daß es sich um eine eigenständige Klage aus dem Edikt 'De edendo ' handelt. Außerdem war die condemnatio der rein sachverfolgenden actio ad exhibendum - anders als die der actio in factum auf quanti ea res erit gerichtet. 96 Aus fr. 9 pr. ergibt sich, daß die actio in factum im Gegensatz zur actio ad exhibendum nicht unmittelbar auf Vorlage gerichtet war, sondern nur ein mittelbarer Druck auf den Bankier ausgeübt werden sollte (cogitur a praetor e per metum in factum actionis rationes edere)\ die actio in factum sanktioniert die Weigerung des Bankiers, indem der Kunde im nachhinein einen Anspruch auf Schadensersatz erhält. Lenel nimmt daher überzeugend eine eigenständige prätorische Klage an, deren Formel er wie folgt rekonstruiert: 97 S.p. N m N m adversus edictum illius praetoris A°A° rationem dolo malo non edidisse, quanti A 1 A 1 interfuit eam rationem edi sibi, tantam pecuniam iudex N m N m A°A° c.s.n.p.a.
Folgt man dieser Rekonstruktion, so handelt sich um eine in factum konzipierte Klage, die allerdings nicht auf den Einzelfall zugeschnitten war, sondern einen generell-abstrakten Charakter aufweist.
93
Der Abschluß eines solchen Rahmenvertrags war freilich nicht ausgeschlossen, wie die Urkunde TPSulp. 48 (= TP. 45 + 90) zeigt, in der es um die Haftungsübernahme des Bankkunden in Form eines mandatum für Bankgeschäfte geht, die die Bank zugunsten Dritter vornimmt; hierzu J.G.Wolf, in: Mandatum und Verwandtes 69ff. Weitere Zeugnisse für einen solchen Rahmenvertrag finden sich - soweit ersichtlich - nicht. 94 Die eigene Normierung der Rechnungslegungspflicht der Bankiers im Unterschied zu der anderer Personen ist daher unschwer nachvollziehbar; a.A. De Francisci, Συνάλλαγμα I I 95 f., der die Ausführungen für überflüssig hält und deshalb auf eine Interpolation schließt. 95 Giomaro, StUrb. 45 (1976/77) 95 f. 96 Zur Formel der actio ad exhibendum siehe Käser, RIDA 3 14 (1967) 276ff.; Mantovani, Le formule 2 60 (Nr. 47). Um eine Abwandlungsklage zur actio ad exhibendum geht es in Ulp. D. 10.4.3.14: Interdum aequitas exhibitionis efficit, ut, quamvis ad exhibendum agi non possit, in factum tarnen actio de tur, ... 97 Lenel, EP 3 64; ähnlich Mantovani, Le formule 2 72 (Nr. 78).
1.4 Prozessuale calumnia gegen Bezahlung
63
4. Klage wegen prozessualer calumnia gegen Bezahlung: D. 3.6.1 pr., 5.1, 7.2; 37.15.5 pr. Unter calumnia ist im weiteren Sinn jedes rechtsmißbräuchliche Verhalten im rechtsgeschäftlichen und prozessualen Bereich zu verstehen. 98 Z u m Schutz vor der rechtsmißbräuchlichen Erhebung einer Klage oder dem rechtsmißbräuchlichen Bestreiten eines eingeklagten Anspruchs traf der Prätor spezielle Maßnahm e n . 9 9 Besonders schwerwiegend war es, wenn jemand Geld dafür angenommen hatte, daß er eine rechtsmißbräuchliche Klage erhob, bzw. dafür, daß er die Erhebung einer solchen Klage unterließ. Dem Opfer der calumnia wurde hier gegen den calumniator eine actio in factum in Form einer prätorische Strafklage auf das Vierfache gegeben, nach einem Jahr auf das Einfache des erhaltenen Betrags; die Klage war ediktal verheißen. 1 0 0 D. 3.6.1 pr.,1, Ulp. 10 ad ed.: In eum qui, ut calumniae causa negotium faceret vel non faceret, pecuniam accepisse dicetur, intra annum in quadruplum eius pecuniae, quam accepisse dicetur, post annum simpli in factum actio competit. 101 (1) Hoc autem iudicium non solum in pecuniariis causis, sed et ad publica crimina pertinere Pomponius scribit, ... Ulpian gibt hier, wie der technische Ausdruck „ dicetur " z e i g t , 1 0 2 den Wortlaut des Edikts wieder. Der Begriff des negotium facere bzw. non facere ist dabei auf den Rechtsmißbrauch i m prozessualen Bereich zu beziehen, und zwar ausweislich des § 1 sowohl bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten als auch i m Rahmen von Strafverfahren. 1 0 3 Der Tatbestand der Klage war erfüllt, sobald der
98
Vgl. Hitzig, RE 3.1 (1897), s.v. calumnia, 1414. Gegen den kalumniösen Kläger stand dem Beklagten insbesondere das iudicium calumniae decimae partis zu; anstelle des iudicium konnte der Beklagte vom Kläger auch die Leistung des Eides 'non calumniae causa agere' verlangen; vgl. Gai. 4.174 ff. Hierzu Kaser/Hackl, RZ 2 284 f. 100 Vgl. Lenel, EP 3 106; Hitzig, RE 3.1 (1897), s.v. calumnia, 1421; Mommsen, Rom. Strafrecht 677 f.; Maier, Bereicherungsklagen 55 f. Zum Verhältnis der Klage zur strafrechtlichen Sanktion durch die lex Remmia de calumniatoribus vgl. Caminas, Ensayo de reconstrucción 71 ff., La lex Remmia 26f. 101 Zur Verwendung von competere ο. 56 f. m. 7 1 102 Zur Klageverheißung, die nach dem Schema „si ... dicetur, iudicium dabo" an die Behauptung einer Tat anknüpft, siehe Käser, FS Schulz II (1951) 33 m. 4 ; Dernburg, FG Heffter (1873) 123 ff. 103 Vgl. auch Ulp. D. 5.1.10: Destitisse videtur non qui distulit, sed qui liti renuntiavit in totum: desistere enim est de negotio abstinere, quod calumniandi animo instituerat. Ebenso meint wohl die Definition in Paul. sent. 1.5.1 den Begriff der prozessualen calumnia : calumniosus est, qui sciens prudensque per fraudem alicui negotium comparai. Zur calumnia im Zusammenhang mit einem Prozeßvergleich vgl. Ulp. D. 3.6.1.3. Hierzu Hitzig 1414; Heumann/Seckel, Handlexikon 9 , s.v. negotium (2), 366. Siehe auch Mommsen, Rom. Strafrecht 677 f.; Levy, Konkurrenz I 474; Mai er, Bereicherungsklagen 55 f.; Kaser/Hackl, RZ 2 285. 99
64
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
calumniator das Geld für sein künftiges prozessuales Tun bzw. Unterlassen angenommen hatte; die tatsächliche Erhebung der kalumniösen Klage war nicht erforderlich. 104 Die Bezeichnung als actio in factum ist sowohl auf die postannale Klage als auch auf die davor anwendbare actio in quadruplum zu beziehen. 105 Daß die Kalumnienklage einheitlich als actio in factum bezeichnet wurde, bestätigt folgende Stelle. D. 37.15.5pr., Ulp. 10 ad ed.: Parens, patronus patrona, liberive aut parentes patroni patronaeve, neque si ob negotium faciendum vel non faciendum pecuniam accepisse dicerentur, in factum actione tenentur.
Gegen die genannten Respektspersonen konnte, falls diese Geld im Hinblick auf ein negotium faciendum bzw. non faciendum angenommen hatten, gleichwohl nicht geklagt werden; 106 mit actio in factum ist die ediktale Kalumnienklage gemeint. 107 Wenn jemand Geld dafür bezahlt hatte, daß der calumniator keine rechtsmißbräuchliche Klage gegen ihn erheben werde, stand ihm neben der actio in factum aus dem Edikt auch die condictio ob turpem causam gegen den calumniator zu; 1 0 8 dem Zahlenden, der hier gerade das Opfer der calumnia war, fiel keine turpitudo zur Last. Damit stellt sich die Frage, wie sich condictio und Kalumnienklage zueinander verhielten, d.h. ob elektive oder kumulative Klagekonkurrenz bestand. Das Problem wird in folgender Stelle behandelt, in der die Kalumnienklage wiederum als actio in factum bezeichnet ist:
Dagegen wollen Caminas. SCDR 3 (1991) 40, Ensayo de reconstrucción 43 ff; Lauria, St. Ratti (1934) 127, den Begriff negotium nicht auf den prozessualen Bereich beschränken, ohne hierfür jedoch einen Anwendungsfall der in fr. 1 pr. beschriebenen Klage aufzeigen zu können. 104 Vgl. Ulp. D. 3.6.3.1. 105 Ebenso Camifias, Ensayo de reconstrucción 35. A.A. Levy, Privatstrafe 104, der in factum nur auf die actio simpli bezieht und für unecht hält, da diese - abgesehen vom Urteilsbetrag - dieselbe Formel wie die auf das quadruplum gerichtete Klage habe. Mit actio in factum ist hier jedoch nicht eine Formelabwandlung, sondern die Grundklage selbst gemeint. Auch der Kasuswechsel in quadruplum - simpli ist stilistisch einwandfrei; vgl. Maier, Bereicherungsklagen 62. Der Annahme Levys, die actio simpli sei eine postannale Bereicherungsklage auf id quodpervenit, ist mit Maier 61 ff. nicht zu folgen; in der Variante des calumniae causa negotium facere fehlt es nämlich an einer Verlagerung von Vermögenswerten des Opfers auf den calumniator (hierzu u. 65). Für die Interpolation von in factum actio competit De Francisci, Συνάλλαγμα II 96 f. 106 Vgl. auch Ulp. D. 2.4.4.1 (o. 42) zum grundsätzlichen Verbot der Ladung von Respektspersonen. 107 Unzutreffend De Francisci, Συνάλλαγμα II 71, 168, der die actio in factum hier an die Stelle der Kalumnienklage treten läßt. 108 Zur condictio ob turpem causam vgl. Käser, RP I 2 597 f.
.4 Prozessuale calumnia gegen Bezahlung
65
D. 3.6.5.1, Ulp. 10 ad ed.: Sed etiam praeter hane actionem condictio competit, si sola turpitudo accipientis versetur: nam si et dantis, melior causa erit possidentis, quare si fuerit condictum, utrum tollitur haec actio, [an vero in triplum danda sit?] 1 0 9 an exemplo furis et in quadruplum actionem damus et condictionem? sed puto sufficere alterutram actionem, ubi autem condictio competit, ibi non est necesse post annum dare in factum actionem. Ulpian beantwortet die Frage im Sinne einer elektiven Klagekonkurrenz, d.h. das Opfer der calumnia konnte nur entweder die Kalumnienklage oder die condictio, nicht aber beide Klagen gleichzeitig bzw. hintereinander anstellen. Der rechtsgrundlos gezahlte Geldbetrag war also in der vierfachen Strafsumme der Kalumnienklage bereits enthalten. Das zeigt, daß Ulpian die Kalumnienklage zumindest für den hier zu entscheidenden Fall - als gemischte Strafklage auff a ß t . 1 1 0 Da die postannale Kalumnienklage nur noch auf den einfachen Betrag ging, war sie neben der condictio ob turpem causam, die dasselbe Klageziel hatte, überflüssig. 1 1 1 Das Ergebnis der elektiven Klagekonkurrenz und damit der gemischten Natur der Kalumnienklage ist jedoch keineswegs selbstverständlich, worauf auch die fragende Annäherung Ulpians an die Lösung und der Vergleich mit der rein pönalen actio furti hinweist; die Frage wurde wohl kontrovers diskutiert. Jedenfalls dann, wenn der Zahlende turpiter handelte, nämlich im Fall der Zahlung für die Erhebung und nicht für die Unterlassung einer rechtsmißbräuchlichen Klage, wurde die Kalumnienklage zur reinen Pönalklage zugunsten des Opfers der calumnia. D. 3.6.3.3, Ulp. 10 ad ed. : Illud erit notandum, quod qui dedit pecuniam, ut negotium quis pateretur, non habebit ipse repetitionem: turpiter enim fecit: sed ei dabitur petitio, propter quem datum
109
Die Aufspaltung von Strafklagen in Grundbetrag und Strafzuschlag ist nicht klassisch; vgl. Levy, Konkurrenz Ι Ϊ 1 , 152; Liebs, Klagenkonkurrenz 53 ff. (58); Kaser/Hackl, RZ 2 617 2 7 ; Caminas, Ensayo de reconstrucción 70; Blanch Nougués, La intransmisibilidad 174. 110 Vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz 244; Levy, Konkurrenz II 1, 153; Käser, RP I 2 44 629 ; dagegen geht Voci, SDHI 64 (1998) 11, davon aus, Ulpian habe die beiden Klagen ihrem Ziel nach als nicht miteinander vereinbar angesehen. De Francisci, Συνάλλαγμα II 97f.; Caminas, Ensayo de reconstrucción 69ff, halten die Antwort am Schluß der Stelle (sedputo sufficere ...) für kompilatorisch und vermuten, daß die Kalumnienklage in klassischer Zeit mit der condictio ob turpem causam kumulierbar gewesen sei. Daß jedoch gerade die nachklassische Aufspaltung des Klagebetrags in ein triplum und ein simplum für die Lösung im Sinne einer elektiven Klagekonkurrenz maßgeblich gewesen sei (so Caminas 71), ist nicht nachvollziehbar; die elektive Klagekonkurrenz, die zu einem strengen Entweder-Oder führt, widerspricht gerade dem Gedanken der Aufspaltung. 111 Auch der Erbe des Zahlenden wurde nur in seinem sachverfolgenden Interesse geschützt, weshalb ihm nur die condictio ob turpem causam offenstand; vgl. Gai. D. 3.6.4.
66
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen est ut calumnia ei fiat, quare si quis et a te pecuniam accepit, ut mihi negotium faceret, et a me, ne mihi faceret, duobus iudiciis mihi tenebitur. Als Anstifter der calumnia
konnte der Zahlende wegen seiner eigenen turpi-
tudo das Geld nicht i m Wege der condictio ob turpem causam zurückfordern (non habebit ipse repetitionem). M i t ei dabitur petitio ist die Klage aus dem Edikt 'De calumniatoribus ' gemeint, die dem Opfer der calumnia gegeben wurd e . 1 1 2 Da das Opfer hier selbst kein Geld gezahlt hatte, konnte insofern kein sachverfolgendes Interesse bestehen. Für den Fall, daß sowohl eine Zahlung für ein calumniae causa negotium facere als auch non facere vorlag, hatte das Opfer gegen den calumniator die zweifache Klage aus dem Edikt 'De calumniatoribus zum einen als reine Pönalklage wegen der Zahlung des Anstifters, zum anderen als gemischt-pönale Klage i m Hinblick auf die eigene Z a h l u n g . 1 1 3 Folgende Stelle aus Paulus' Ediktskommentar zeigt, daß die actio in factum auch im Fall der Zahlung zur Abwendung einer rechtsmißbräuchlichen Klage reinen Pönalcharakter annehmen konnte. A n einem sachverfolgenden Interesse des Opfers der calumnia fehlte es nämlich, wenn das Opfer der calumnia und der Zahlende nicht ein und dieselbe Person waren und die Zahlung nicht dem Opfer zugerechnet werden konnte, weil es etwa an den Voraussetzungen einer delegatio solvendi fehlte. 1 1 4 D. 3.6.7pr., Paul. 10 ad ed.: Si quis ab alio acceperit pecuniam ne mihi negotium faciat, si quidem mandatu meo datum est, vel a procuratore meo omnium rerum, vel ab eo qui negotium meum gerere volebat et ratum habui: ego dedisse intellegor. si autem non mandatu meo alius ei licet misericordiae causa dederit ne fiat neque ratum habui, tunc et ipsum repetere et me in quadruplum agere posse.
112 Vgl. Levy, Konkurrenz I 474 4 , mit Steph. Schol. Δια της zu Bas. 60.1.3 (Scheit. Β V I I I 3046f.; Heimb. V 229). Dagegen nimmt Camiftas, Ensayo de reconstrucción 60, an, daß das Opfer der calumnia hier - neben der auf den vierfachen Betrag gerichteten Kalumnienklage - auch einen mit petitio bezeichneten Anspruch auf den von dem Dritten an den calumniator gezahlten (einfachen) Betrag habe, der an die Stelle der condictio ob turpem causam trete. Gegen Caminas spricht jedoch, daß das Opfer im vorliegenden Fall nichts gezahlt und daher keinen Vermögensverlust erlitten hat, weshalb es an einem entsprechenden Schutzbedürfnis fehlt. 113 Vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz 231; Levy, Konkurrenz I 474 f. Nach Caminas, Ensayo de reconstrucción 61, 65 f., habe Ulpian hier von vier und nicht nur von zwei Klagen sprechen müssen; das beruht allerdings auf der nicht zutreffenden Prämisse Camiftas', daß die Kalumnienklage im klassischen Recht mit der Klage auf Rückzahlung des an den calumniator gezahlten Betrags kumulierbar gewesen sei (o. 1 1 0 ). 114 Zur untechnischen Verwendung von mandatum in D. 3.6.7 pr. für das iussum im Rahmen der delegatio solvendi vgl. Cosentino, BIDR 69 (1966) 323 22 . Siehe auch eod. 7.1: (...) et si alius non meo mandatu ei dederit ne fiat, tunc etiam ipsum repetere et me in quadruplum agere posse.
1.4 Prozessuale calumnia gegen Bezahlung
67
Offenbar nahm Ulpian - wie wohl auch Paulus - einen je nach der Situation verschiedenen, d.h. gemischt-pönalen bzw. rein pönalen Charakter der Klage an. Die Kalumnienklage stand demnach nur dann, wenn der Zahlende auch das Opfer der calumnia war, diesem als zugleich sachverfolgende Pönalklage zu; nur in diesem Fall war der gezahlte Geldbetrag in der vierfachen Strafsumme enthalten. Von einer actio in factum wegen calumnia handelt auch D. 3.6.7.2, Paul. 10 ad ed. : Cum publicanus mancipia retineret dataque ei pecunia esset quae non deberetur. et ipse ex hac parte edicti in factum actione tenetur.
Lenel geht davon aus, daß wir es hier mit einer Abwandlung der ediktalen Klage wegen calumnia zu tun haben, und sieht darin einen Beweis für die besondere Enge des Begriffs des negotium in fr. 1 pr. 1 1 5 Daß es hier tatsächlich einer Abwandlung der Klage bedurfte und es sich nicht um einen Fall der bloßen Auslegung des Begriffs des negotium handelt, ist jedoch nicht ersichtlich. 116 Der Ausdruck ex hac parte edicti zeigt vielmehr, daß gegen den publicanus gerade die als actio in factum bezeichnete Kalumnienklage aus dem Edikt gegeben wurde. 117 Der sachliche Hintergrund der Stelle ist - soweit ersichtlich - noch ungeklärt. 1 1 8 Insbesondere muß untersucht werden, warum der Steuerpächter gewisse Sklaven oder Tiere zurückbehalten (mancipia retineret) und dadurch erreichen konnte, daß eine unbegründete Zahlung an ihn bewirkt wurde. Denkbar ist, daß es hier um Pfandobjekte geht, die sich der Steuerpächter zur Durchsetzung einer in Wirklichkeit nicht bestehenden Abgabenforderung verschafft hat. Diese Pfandobjekte wurden dann vom Eigentümer durch Zahlung des vom Steuerpächter geforderten Geldbetrags ausgelöst. Allerdings ist fraglich, ob es den Steuerpächtern in der Kaiserzeit noch möglich war, ihre Forderungen im Wege der pignoris capio, also durch eigenmächtige Pfandnahme, durchzusetzen. Ursprünglich stand den Steuerpächtern das Verfahren der legis actio per pignoris capionem offen, das aber in der späten Republik, wohl durch die beiden prozeßrechtlichen leges Iuliae, 119 abgeschafft wurde. 120 Zum Teil wird angenommen, 115 Vgl. EP3 106 12 , wonach hier an eine „ actio utilis " gedacht werden müsse; zustimmend De Francisci, Συνάλλαγμα II 98. 116 Die Stellung von fr. 7.2. am Schluß des Kommentars Paul. 10 ad ed. (vgl. Lenel, Pal. I 982 [Paul. 196]), auf die sich Lenel, EP 3 106 12 , beruft, ist kein zwingendes Argument. 117 Im Ergebnis ebenso Caminas, Ensayo de reconstrucción 54. 118 Vgl. Caminas 54 f. 119 Vgl. Gai. 4.30. 120 Vgl. Steinwenter, RE 20.1 (1941), s.v. pignoris capio, 1237; Kaser/Hackl, RZ 2 19 148 .
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
68
daß damit auch die pignoris capio als Mittel der Durchsetzung von Abgabenforderungen verschwand. 121 Eine eigenmächtige Pfändung sei den Steuerpächtern ausdrücklich durch das Edikt 'De publicanis ' verboten worden, das bei gewaltsamer Inbesitznahme von Gegenständen eine Klage auf das duplum bzw. nach einem Jahr auf das simplum vorsah. D. 39.4.1 pr., Ulp. 55 ad ed. :122 Praetor ait: 4 Quod publicanus eius publici nomine vi ademerit quodve familia publicanorum, si id restitutum non erit, in duplum aut, si post annum agetur, in simplum iudicium dabo. (...)'
Vermutlich reicht das Edikt jedoch in die Zeit der legis actio per pignoris capionem zurück, 123 weshalb ein generelles Verbot der Pfandnahme des Steuerpächters nicht das Ziel der Klage gewesen sein kann. 124 Vor allem aber zeigen die lex portorii provinciae Asiae, das Zollgesetz der Provinz Asien von 62 n.Chr., und die lex metalli Vipascensis aus dem 2. Jh. n.Chr., daß es jedenfalls in den Provinzen auch in der Kaiserzeit noch ein Pfändungsrecht der Steuerund Monopolpächter gab. 125 Freilich handelte es sich hierbei nicht mehr um die formelle pignoris capio im Sinne des Legisaktionenverfahrens, sondern um eine formlose Pfandnahme. 126 Hatte ein Steuer- oder Monopolpächter eine nach diesen Gesetzen rechtmäßige Pfändung vorgenommen, so erscheint eine Haftung aus dem Edikt 'De publicanis ' ausgeschlossen. Man muß daher annehmen, daß sich die Strafklage aus dem Edikt 'De publicanis ' nur auf rechtswidrige Pfändungen bezog, also ein unberechtigtes Vorgehen der Steuerpächter sanktionie-
121
Vgl. Steinwenter 1238; Schmidlin, Rekuperatorenverfahren 67; Kaser/Hackl, 148 19 . 122 Zu Interpolationsannahmen, die allerdings den hier interessierenden Teil des Edikts nicht betreffen, vgl. die Nachw. bei Cimma, Ricerche 198 f. 1 1 4 ; Klingenberg, Commissum 132 8 8 f . 123 Hierzu Liebs, Klagenkonkurrenz 175 257 , 176 2 6 5 ; Klingenberg, Commissum 132; Ebert, Die Geschichte 103 72a . Von einem der Klage aus dem Edikt 'De publicanis' entsprechenden Rechtsbehelf, der sogar auf das Achtfache gerichtet war, berichtet bereits Cie. Verr. II 3.10.26 (u. 7 ); dennoch wird der Steuerpächter in Cie. Verr. II 3.11.27 als petitor ac pignerator bezeichnet, was auf ein grundsätzlich zulässiges Verfahren der Pfandnahme hinweist; vgl. Klingenberg, Commissum 136f.; Pugliese, Mèi. Meylan I (1963) 285; Steinwenter 1238. RZ
2
124
Vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz 176. Zur lex portorii provinciae Asiae vgl. Klingenberg, SZ 109 (1992) 361; Text mit Kommentar bei Engelmann/Knibbe, Epigraphica Anatolica 14 (1989) 9ff., 33ff. An mehreren Stellen wird dort ein Recht zur ένεχύρου λήψις (d.h. pignoris capio) erwähnt (Z. 56, 58, 81, 86f., 88; Komm. §§ 22, 24, 34, 37f.). Zur Datierung Engelmann/Knibbe 160. Zum Pfandungsrecht nach der lex metalli Vipascensis siehe Schönbauer, SZ 46 (1926) 205 ff. Bei Kaser/Hackl, RZ 2 148 19 , wird aufgrund dieser Zeugnisse von einer „nicht durchgreifenden" Wirkung des Pfandungsverbots nach dem Edikt 'De publicanis ' ausgegangen. 126 Vgl. Steinwenter 1237, 1239; Pernice, SZ 5 (1884) 129. 125
1.4 Prozessuale calumnia gegen Bezahlung
69
ren sollte. 127 Dem entspricht, daß vi adimere in den Stellen zum Teil mit illicite exigere gleichgesetzt wird. 1 2 8 Überträgt man diese Ergebnisse auf unsere Stelle Paul. D. 3.6.7.2, so hat der Steuerpächter, der unberechtigt gepfändete mancipia zurückhält, grundsätzlich den Tatbestand des Edikts 'De publicanis ' erfüllt. Allerdings muß man davon ausgehen, daß der Eigentümer die gepfändeten Sklaven oder Tiere gegen Bezahlung der an sich nicht geschuldeten Summe zurückerhalten hat. Damit greift der Ausnahmetatbestand der Restitution Platz (si id restitutum non erit)} 29 Die Klage aus dem Edikt 'De publicanis ' kann wegen der Rückgabe der unrechtmäßig gepfändeten Gegenstände nicht mehr angestellt werden. Hat der Steuerpächter allerdings die unrechtmäßige Pfändung bewußt vorgenommen, so ist darin eine rechtsmißbräuchliche Ausübung des Pfändungsrechts, das dem Steuerpächter die Vollstreckung seiner Forderungen erleichtern soll, zu sehen. Der Sache nach handelt es sich also um einen vollstreckungsrechtlichen Rechtsmißbrauch, der wohl im Wege der Auslegung noch unter den Begriff des negotium facere - im Sinne eines Rechtsmißbrauchs im prozessualen Bereich - subsumiert werden kann. Für eine Formelabwandlung der Klage wegen prozessualer calumnia besteht daher keine Notwendigkeit. Über die Formelgestaltung der Kalumnienklage lassen die Quellen keine unmittelbare Aussage zu. 1 3 0 Insbesondere kann aus dem Verweis auf das Edikt in fr. 7.2 (ex hac parte edicti in factum actione tenetur) nicht abgeleitet werden, daß die Bezeichnung als actio in factum hier als Hinweis auf eine Formelkonzeption in factum zu verstehen wäre; 131 es handelt sich vielmehr um einen bloßen Verweis auf die ediktale Klage, ohne daß es dem Zusammenhang nach auf die Formelkonzeption ankommen würde. Dennoch ist davon auszugehen, daß die Klage eine formula in factum concepta aufwies und hierbei - entsprechend dem Ediktzitat in Ulp. D. 3.6.1 pr. - auf den generell-abstrakten Begriff des calumniae causa negotium abgestellt wurde. Einer Anpassung der Klagformel an den jeweiligen Einzelfall bedurfte es daher wohl nicht.
127 Ebenso Klingenberg, Commissum 133 (zustimmend Wagner, SZ 95 [1978] 463); Arangio-Ruiz, St. Perozzi 235; Levy, Konkurrenz I 490; Pernice, SZ 5 (1884) 128 f.; Degenkolb, Lex Hieronica 114 f. Vgl. zum Provinzialrecht Cie. Verr. II 3.10.26: ... dicis enim te in decumanum, si plus abstulerit quam debitum, in octuplum iudicium daturum. 128 Vgl. Mod. D. 39.4.6; Paul. D. 39.4.9.5; hierzu Klingenberg, Commissum 132 f f ; Liebs, Klagenkonkurrenz 178 f f (180); Lenel, EP 3 388; Arangio-Ruiz, St. Perozzi 234f.; Mommsen, Rom. Strafrecht 664'; Degenkolb 115; a.A. Pugliese, Mèi. Meylan I (1963) 290f. Siehe auch C. 2.11.2: plus debiti nomine tributorum exegisset. 129 Vgl. auch Gai. D. 39.4.5: Hoc edicto efßcitur, ut ante aeeeptum quidem iudicium restituta re actio evanescat, ... 130 Vgl. Lenel, EP3 106. 131 A.A. Selb, St. Biscardi III (1982) 324.
70
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
5. Strafklagen gegen den nauta , caupo, stabularius wegen damnum oder furtum: D. 4.9.6.1 pr., 1 Neben der vertraglichen, auf einem formlosen pactum beruhenden Klage aus receptum gab es gegen nauta , caupo und stabularius wegen Sachbeschädigungen und Diebstählen zu Lasten ihrer Kunden prätorische Strafklagen auf das duplum. 1 3 2 Dabei hafteten diese nicht nur fur eigene Taten, sondern - unabhängig von einem eigenen Verschulden 133 - auch für ihre Hilfspersonen sowie in gewissen Fällen für das Verhalten anderer Kunden. 134 Die Klagen werden in der folgenden Stelle als actiones in factum bezeichnet.135 D. 4.9.6pr., 1, Paul. 22 ad ed.: Licet gratis navigaveris vel in caupona gratis deverteris, non tarnen in factum actiones tibi denegabuntur, si damnum iniuria 1 3 6 passus es. (1) Si servo meo in nave vel in caupona utaris et damnum mihi det vel furtum faciat, quamquam et furti actio et damni iniuria mecum sit. haec tarnen actio, quia in factum est, etiam servi mei nomine adversus te competit.1 idem dicitur, et si communis sit: tu tarnen quod mihi praestiteris eius nomine, vel communi dividundo vel pro socio actione, aut si partem eius vel totum conduxisti, etiam ex conducto habebis me obligatum.
Die Haftung aufgrund der actiones in factum besteht unabhängig davon, ob die Leistung - hier des nauta oder caupo - entgeltlich oder unentgeltlich in Anspruch genommen wurde, was aus der deliktischen Natur der Klagen folgt; eine besondere Haftungsübernahme durch receptum, bei dem zumindest im Regelfall von Entgeltlichkeit auszugehen ist, 1 3 8 war nicht erforderlich. In fr. 6.1 behandelt Paulus den Sonderfall, daß tu als nauta oder caupo einen fremden Sklaven als Hilfsperson eingesetzt hatte und dieser gerade seinen Herrn (ego), der bei dem nauta oder caupo Kunde war, schädigte. Für die Streichung
132 Vgl. Paul., Ulp. D. 4.9.6 f. (zur Sachbeschädigungsklage); Ulp. D. 47.5.1 (zur Diebstahlsklage); hierzu Lenel, EP3 205 f., 333 f. Zum Verhältnis der Klagen siehe Cannata, Ricerche 105 39 ; Meyer-Termeer, Die Haftung 186, 1 9 4 2 0 f m.w.Lit. Vgl. auch Käser, RP I 2 5 8 6 3 6 f f . 133 Vgl. Ulp. D. 4.9.7 pr. (suo periculq λ 44.7.5.6. Zu Ulp. D. 4.9.7.4 siehe u. 74 1 5 3 . 134 Vgl. Paul. D. 4.9.6.3; Ulp. eod. 7 pr.; D. 47.5.1 pr., 1,6. 135 Ebenso in Paul. D. 4.9.6.3 f.: In factum actione caupo tenetur ...; ... deinde in factum actione agatur, ... ; Ulp. D. 4.9.7.1 : Haec actio in factum in duplum est. 136 Die Ergänzung rechtfertigt sich aus dem vorhergehenden Plural (in factum actiones) sowie aus dem Fortgang des Textes, in dem ebenfalls damnum iniuria und furtum nebeneinander gestellt werden. Um den Plural bzw. das Nebeneinander von damnum iniuria und furtum zu erklären, bedarf es also nicht der Annahme weitergehender Textveränderungen; anders Solazzi, Riv. dir. nav. 2.1 (1936) 115 2 f (= Scritti III 504 7 f ); Sargenti, St. Albertario I (1953) 559 1 , 561 2 . 137 Zur Verwendung von competere ο. 56 f. m. 7 1 138 Vgl. Gai. D. 4.9.5 zur Haftung aus receptum: Nauta et caupo et stabularius mercedem accipiunt non pro custodia, ... : et tarnen custodiae nomine tenentur.
1.5 Strafklagen gegen den nauta , caupo, stabular ius
71
von mihi, wie sie zum Teil vorgeschlagen wird, 1 3 9 gibt es keine Notwendigkeit. 1 4 0 Der Umstand, daß sich die actio furti bzw. die actio legis Aquiliae gegen ego richtete (quamquam et furti actio et damni iniuria mecum sit), bedeutet nicht, daß ego nicht der Geschädigte sein kann. Trägt eine vom Eigentümer verschiedene Person die Gefahr für eine Sache, verlagert sich die deliktische Aktivlegitimation grundsätzlich vom Eigentümer auf den die Gefahr Tragenden. 141 Zu einer solchen Verlagerung der Aktivlegitimation kommt es insbesondere im Rahmen der custodia-Haftung. 142 D. 47.2.54.1, Paul. 39 ad ed.: Si servus commodatoris rem subripuerit et solvendo sit is cui subreptum est, Sabinus ait posse et commodati agi cum eo et contra dominum furti servi nomine: sed si pecuniam, quam dominus exegit, reddat, evanescere furti actionem: idem et si remittat commodati actionem.
Der Entleiher haftete aus custodia für den Verlust der Sache durch einfachen Diebstahl; 143 dem Verleiher stand daher die auf Ersatz des Sachwerts gerichtete actio commodati zu. Das galt selbst dann, wenn ein Sklave des Verleihers den Diebstahl begangen hatte; in diesem Fall kam es allerdings zur Verlagerung der deliktischen Aktivlegitimation: Der Entleiher konnte gleichzeitig die noxale actio furti gegen den Verleiher anstellen. Im Fall von D. 4.9.6.1 haftete tu als nauta bzw. caupo zwar nicht für custodia, da es an einer Haftungsübernahme durch receptum fehlte; 144 was den Diebstahl und die Sachbeschädigung durch Hilfspersonen betrifft, ergibt sich die verschuldensunabhängige Haftung aber aus der speziellen Diebstahls- und Sachbeschädigungsklage gegen den nauta bzw. caupo. Insoweit besteht auch ohne receptum eine der custodia-Haftung vergleichbare Situation, die eine Verlagerung der deliktischen Aktivlegitimation zur Folge hatte. Da die Schädigung hier vom Sklaven des ego ausging, richteten sich die actio furti bzw. die actio legis Aquilia als Noxalklagen gerade gegen ego, obwohl dieser zugleich der Geschädigte war; aktivlegitimiert war derjenige, der die Gefahr zu tragen hatte, also hier tu.
139
Vgl. Giménez-Candela, Cuasidelitos 141; Pampaloni, StSen. 17 (1900) 258; Messina Vitrano, Note 8 1 . 140 Gegen die Streichung auch Liebs, Klagenkonkurrenz 121, 124; Bretone, Servus communis 165 f.; Misera, SZ 94 (1977) 279; Burdese, SDHI 57 (1991) 457; Drosdowski, Das Verhältnis 134. 141 Vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz 123 f.; Drosdowski, Das Verhältnis 135 322 . 142 Zur Aktivlegitimation für die actio furti siehe die Übersicht bei Gai. 3.203 ff. 143 Vgl. Gai. 3.206. 144 A.A. Sargenti, St. Albertario I (1953) 561 m. 2 , der fr. 6.1 auf die Haftung aus receptum bezieht, was sich allerdings nur durch weitgehende Interpolationsannahmen bewerkstelligen läßt. Zur Haftung aus receptum siehe Ulp. D. 4.9.3.1 f.; Gai. eod. 5.
72
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
Im zweiten Teil des fr. 6.1 (idem dicitur ...) geht es darum, daß der schädigende Sklave im Miteigentum von ego und tu stand. Auch hier wird die actio in factum, die dem Kunden im Fall einer Schädigung durch die Hilfsperson des nauta , caupo oder stabularius zusteht, im Verhältnis zwischen ego und tu in voller Höhe gegeben; der Geschädigte ego wird als Kunde des tu wie ein außenstehender Dritter behandelt. 145 Aufgrund des Miteigentums kommt es aber im Hinblick auf die erfolgte Schadensersatzleistung des tu (quod mihi praestiteris eius nomine) zu einem Ausgleich im Rahmen der actio communi dividundo entsprechend der Höhe des Miteigentumsanteil des ego; insoweit hat ego den Schaden selbst zu tragen. Sind die Voraussetzungen einer Gesellschaft erfüllt, kommt als Ausgleichsklage auch die actio pro socio in Betracht; im Fall der Vermietung des Sklaven (aut si partem eius vel totum conduxisti ...), haftet ego dem tu zudem aus der actio conducti. Mit der Alternative der Vermietung des ganzen Sklaven wird der Bezug zur Fallkonstellation im ersten Teil des fr. 6.1 hergestellt: 146 Ebenso wie der Miteigentümer, der den Anteil des anderen Miteigentümers am Sklaven mietet, kann auch derjenige, der - ohne Miteigentümer zu sein - den gesamten Sklaven mietet, im Rahmen der actio conducti Rückgriff gegen den locator nehmen. Die Möglichkeit, mit der actio in factum gegen den nauta oder caupo auch dann vorzugehen, wenn die Schädigung durch den eigenen Sklaven des Kunden erfolgt ist, wird damit begründet, daß die Klage „ in factum " sei (quia in factum est). Es fragt sich, ob der Ausdruck als Hinweis auf die Formelkonzeption zu verstehen ist, so daß wie folgt ergänzt werden müßte: quia in factum est. Da Gaius von agere ea formula quae in factum concepta est spricht, 147 erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, daß anstelle von formula in factum concepta auch der Ausdruck actio in factum concepta gebraucht wurde. Die Ergänzung quia in factum est würde allerdings voraussetzen, daß die Klagemöglichkeit im Fall des fr. 6.1 gerade darauf beruht, daß die Diebstahls- bzw. Sachbeschädigungsklage gegen den nauta oder caupo eine formula in factum concepta aufweist. 148 Im folgenden ist daher zu untersuchen, aus welchen Gründen die Klage gegen den nauta , caupo oder stabularius auch dann gegeben wurde, wenn die Schädigung vom eigenen Sklaven des Kunden ausging. Dabei ist zwischen den beiden in fr. 6.1 behandelten Fällen, daß der Sklave im Allein- oder im Miteigentum des Geschädigten stand, zu unterscheiden. Grundsätzlich waren deliktische Ansprüche des Herrn wegen einer unerlaubten Handlung des eigenen Sklaven ausgeschlossen, weil im Verhältnis zwischen
145 146 147 148
Vgl. Buckland, Law of Slavery 377 9 ; Drosdowski, Das Verhältnis 135 325 . Vgl. Misera, SZ 94 (1977) 280; Drosdowski, Das Verhältnis 136. Vgl. Gai. 4.106 f. (o. 16). So Giménez-Candela, Cuasidelitos 142.
1.5 Strafklagen gegen den nauta , caupo, stabular ius
73
dem Gewalthaber und dem Gewaltunterworfenen keine Verbindlichkeiten mit Außenwirkung entstehen konnten. 149 Gai. 4.78: Sed si filius patri aut servus domino noxam commiserit, nulla actio nascitur: nulla enim omnino inter me et eum, qui in potestate me est, obligatio nasci potest; ideoque etsi in alienam potestatem pervenerit aut sui iuris esse coeperit, neque cum ipso neque cum eo, cuius nunc in potestate est, agi potest. (...)
Die Noxalhaftung hatte zur Folge, daß der Herr aufgrund des deliktischen Verhaltens des Sklaven nach außen hin wie für eigenes Verhalten haftete, wobei er sich allerdings durch die Auslieferung des Sklaven befreien konnte. Die Anwendung dieses Grundsatzes hätte im Fall der Schädigung des Herrn durch den eigenen Sklaven zu einem Zusammenfall von Aktiv- und Passivlegitimation geführt. Der Ausschluß noxaler Klagen galt grundsätzlich auch dann, wenn ein Miteigentümer von einem gemeinsamen Sklaven geschädigt wurde. 150 D. 11.3.14.2, Paul. 19 ad ed. : Si servus communis meus et tuus proprium meum servum corruperit, Sabinus non posse agi cum socio, perinde atque si proprius meus servus corrupisset conservum. item si servus communis extraneum corruperit, videndum est, utrum cum duobus agi debeat an et cum singulis exemplo ceterarum noxarum: et magis est, ut unusquisque in solidum teneatur, altero autem [solvente] 151 alterum liberari.
Nach Ansicht des Sabinus war die actio servi corrupti zwischen Miteigentümern ausgeschlossen, wenn der gemeinsame Sklave einen anderen Sklaven verdorben hatte, der im Alleineigentum eines der Miteigentümer stand. Begründet wird dies durch einen Vergleich mit dem Fall, daß ein Sklave einen Mitsklaven verdorben hat und beide im Alleineigentum ein und desselben Herrn standen; hier kam es ohne weiteres zu einem Zusammenfall der Aktiv- und Passivlegitimation in einer Person. Ähnlich stellt sich die Situation dar, wenn der Geschädigte nicht Allein-, sondern Miteigentümer des schädigenden Sklaven war. Da die Miteigentümer bei Noxalklagen als Gesamtschuldner verpflichtet waren, 152 konnte die noxale actio servi corrupti grundsätzlich gegen alle Miteigentümer
149
Zu den binnenrechtlichen Beziehungen zwischen dem Sklaven und dem Herrn im Zusammenhang mit dem peculium vgl. Gröschler, Die tabellae-Urkunden 218 ff. 150 Vgl. außer den nachfolgenden Stellen Ulp. D. 9.2.27.1 (zur actio legis Aquiliae), 9.4.8 i.f., 47.2.43.12; Ulp./Ofil. D. 10.2.16.6; Afr. D. 47.2.62 pr. (zur actio furti); Ulp. D. 47.10.17.9 (zur actio iniuriarum). 151 Die ursprüngliche Konsumptionskonkurrenz wurde wohl von den Kompilatoren in eine Solutionskonkurrenz verwandelt; vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz 6 9 f f ; weitere Lit. u. 109 331 . 152 Vgl. auch Ulp. D. 9.4.5 pr., 8; D. 9.1.1.14; hierzu Käser, RP I 2 657 14 .
74
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
angestrengt werden. Der Geschädigte wäre damit zugleich aktiv- und passivlegitimiert gewesen. Julian leitet den Ausschluß der actio legis Aquiliae bei Schädigung eines Miteigentümers nicht aus dem Zusammenfall von Aktiv- und Passivlegitimation, sondern aus einer prozeßökonomischen Überlegung ab; er stützt sich dabei - wie Sabinus - auf die gesamtschuldnerische Haftung der Miteigentümer. D. 9.4.41, lui 2 ad Urs. Feroc.: Cum servus communis alteri dominorum damnum iniuria dedit, idcirco legis Aquiliae actio non est, quia, si extraneo damnum dedisset, cum altero in solidum lege Aquilia agi posset: sicuti, cum servus communis furtum fecerit, cum altero domino furti agi non potest, sed communi dividundo agi potest.
Aufgrund der gesamtschuldnerischen Haftung der Miteigentümer hätte der Geschädigte auf den vollen Betrag (in solidum) klagen können. Entsprechend der Höhe seines Miteigentumsanteils mußte der Geschädigte jedoch den vom gemeinsamen Sklaven verursachten Schaden selbst tragen. Die Verurteilung des anderen Miteigentümers in solidum hätte daher durch einen Gesamtschuldnerausgleich wieder korrigiert werden müssen, der zwischen den Miteigentümern im Rahmen der actio communi dividundo zu bewerkstelligten war. Es wären also zwei Prozesse nötig gewesen; unter dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie lag es daher nahe, das Verfahren von vornherein auf die actio communi dividundo zu beschränken. Stand der Sklave im Alleineigentum des Geschädigten, wie das im ersten Teil von D. 4.9.6.1 der Fall ist, so stellt sich das eben geschilderte Problem der Noxalhaftung nicht. Für fremde Sklaven haftete der nauta nämlich aus eigener Verpflichtung (suo nomine), also ohne die Möglichkeit, sich durch noxale Auslieferung zu befreien. D. 4.9.7.4, Ulp. I8aded: m Haec autem actione suo nomine exercitor tenetur, culpae scilicet suae qui tales adhibuit: et ideo et si decesserint, non relevabitur. servorum autem suorum nomine noxali dumtaxat tenetur: nam cum alienos adhibet, explorare eum oportet, cuius fidei, cuius innocentiae sint: in suis venia dignus est, si qualesquales ad instruendam navem adhibuerit.
Der Status der Hilfsperson hatte für die Haftung des nauta grundsätzlich keine Bedeutung; ausreichend war es, wenn der Schädiger als Hilfsperson des nau153
Die Begründung der unterschiedlichen Haftung für eigene und fremde Sklaven wird zum Teil als interpoliert angesehen; vgl. Ind. Int. ad. h.l. (mit Suppl.); Sargenti, St. Albertario I (1953) 565; Serrao, BIDR 73 (1970) 136ff.; Giménez-Candela, Cuasidelitos 146. Für die Echtheit der Begründung dagegen zu Recht MacCormack, RIDA 3 18 (1971) 550f.; Voci, SDHI 56 (1990) 119f. Die Argumentation mit dem Auswahlverschulden dient hier dazu, die unterschiedliche Haftung plausibel zu machen; vgl. Bürge, SZ 107(1990) 86 f. m. 1 7
1.5 Strafklagen gegen den nauta , caupo, stabular ius
75
ta tätig war, unabhängig davon, ob es sich um einen Freien oder Gewaltunterworfenen handelte. Nur dann, wenn der nauta seinen eigenen Sklaven als Hilfsperson einsetzte, haftete der nauta noxal, so daß für ihn die Möglichkeit bestand, sich durch Auslieferung des Sklaven zu befreien. 154 Dieselben Grundsätze werden für den caupo und stabularius gegolten haben. Daß tu im ersten Teil des fr. 6.1 für den Sklaven des ego einstehen mußte, ist damit keine Folge der Noxalhaftung, die hier nicht tu, sondern ausschließlich ego als den Alleineigentümer des Sklaven hätte treffen können. Maßgeblich für das Einstehenmüssen war ausschließlich der Umstand, daß tu den Sklaven auf dem Schiff bzw. in der Gaststätte als Hilfsperson eingesetzt hatte; es geht also um die Grundform der jeweiligen actio in factum gegen den nauta bzw. caupo und nicht um eine Noxalklage. Waren nauta bzw. caupo und der geschädigte Kunde Miteigentümer des Sklaven, wie das im zweiten Teil des fr. 6.1 beschrieben wird, so stellt sich die Frage der noxalen Haftung. Anders als in den sonstigen Fällen des Einstehenmüssens für ein Delikt des gemeinsamen Sklaven, etwa im Rahmen der actio furti und actio legis Aquiliae, bezieht sich bei den actiones in factum gegen den nauta bzw. caupo die noxale Haftung allerdings nicht auf beide Miteigentümer, sondern nur auf den nauta bzw. caupo. Die Klage gegen den nauta oder caupo setzte nämlich voraus, daß der Sklave gerade von dem Beklagten als Hilfsperson auf dem Schiff oder in der Gaststätte eingesetzt worden war. Zu der sonst ohne weiteres bestehenden gesamtschuldnerischen Haftung der Miteigentümer kam es hier also grundsätzlich nicht; als Gesamtschuldner hafteten die Miteigentümer nur ausnahmsweise, nämlich wenn beide als nauta oder caupo tätig waren. In fr. 6.1 ist das nicht der Fall: Der geschädigte Miteigentümer war nicht nauta oder caupo, sondern Kunde des anderen Miteigentümers, für den der Sklave auf dem Schiff oder in der Gaststätte tätig war. Da die actio in factum trotz ihrer noxalen Ausgestaltung nur gegen den nauta bzw. caupo gerichtet war, nicht jedoch auch gegen den geschädigten Miteigentümer, kommt es hier nicht zu der Situation des Zusammenfalls von Aktiv- und Passivlegitimation. Die noxale actio in factum konnte daher auch dann angestrengt werden, wenn der Sklave im ge-
154 Vgl. auch Ulp. D. 47.5.1.5. Sowohl in D. 4.9.7.4 als auch in D. 47.5.1.5 geht es dabei um die noxale Sachbeschädigungs- bzw. Diebstahlsklage gegen den nauta , caupo, stabularius. Giménez-Candela, Cuasidelitos 145, 147, nimmt dagegen an, daß es sich bei den Noxalklagen um die actio legis Aquiliae bzw. die actio furti handle. Ulpian weist im Zusammenhang mit der Sachbeschädigungsklage gegen den exercitor navis jedoch ausdrücklich auf die Haftung sowohl für freie Hilfspersonen als auch für Sklaven hin, und zwar ohne eine Beschränkung auf den Einsatz fremder Sklaven; vgl. D. 4.9. 7 pr.: Debet exercitor omnium nautarum suorum, sive liberi sint sive servi, factum praestare: ... Die Aussage „servorum autem suorum nomine noxali dumtaxat tenetur" in eod. 7.4 ist daher, wie auch der erste Satz (Haec autem actione ...) zeigt, auf die actio in factum zu beziehen.
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
76
meinsamen Eigentum des nauta bzw. caupo und des geschädigten Miteigentümers stand. Im Gegensatz zur actio furti und actio legis Aquiliae kommt bei den actiones in factum gegen den nauta bzw. caupo der allgemeine Ausschluß der Noxalklagen für den Fall, daß der deliktisch handelnde Sklave im Allein- oder Miteigentum des Geschädigten steht, nicht zum Tragen; ein Zusammenfall von Aktivund Passivlegitimation in der Person des Geschädigten findet ausnahmsweise nicht statt. Ausschlaggebend hierfür kann nicht gewesen sein, daß es sich bei den actiones in factum gegen den nauta , caupo oder stabularius um Klagen mit einer formula in factum concepta gehandelt hätte. Zum Zusammenfall von Aktiv· und Passivlegitimation im Fall der Schädigung des Allein- oder Miteigentümers durch den eigenen bzw. gemeinsamen Sklaven kommt es nämlich grundsätzlich bei allen Noxalklagen, und zwar unabhängig von der Art der Formelkonzeption. Aus der Regel, daß im Verhältnis zwischen dem Herrn und dem Sklaven keine nach außen hin wirksame Verbindlichkeit entstehen kann, leitet Gaius ganz allgemein den Ausschluß der Deliktsklagen ab. 1 5 5 Auch Deliktsklagen mit in factum konzipierter Formel waren daher bei einer Schädigung des Herrn durch den eigenen Sklaven grundsätzlich ausgeschlossen. Die Ausstattung der Klagen gegen den nauta , caupo oder stabularius mit einer formula in factum concepta wäre daher kein Argument für deren Anwendbarkeit auch im Fall der Schädigung durch den eigenen Sklaven. Mit „quia in factum est" ist daher wohl gemeint, daß die Klagen gegen den nauta , caupo oder stabularius auf einen anderen Sachverhalt (factum) als die actio legis Aquiliae und die actio furti abstellen, weshalb die für diese Klagen geltenden Regeln nicht übertragbar sind. Das besondere factum, auf das sich die Klagen gegen den nauta , caupo oder stabularius gründen, liegt im Tätigwerden des Sklaven als Hilfsperson des nauta bzw. caupo. In der Person des Allein- oder Miteigentümers des Sklaven, der selbst nicht als nauta oder caupo tätig war, ist diese besondere Voraussetzung nicht erfüllt. Ulpian und Paulus behandeln die Sachbeschädigungsklage gegen den nauta , caupo oder stabularius in ihren Ediktskommentaren im Zusammenhang mit der actio legis Aquiliae, 156 was zu der Vermutung Anlaß gibt, daß wir es mit einer formularen Abwandlung der aquilischen Klagformel zu tun haben. Dafür spricht insbesondere, daß die actiones in factum gegen den nauta , caupo oder stabularius nicht, wie das bei eigenständigen prätorischen Strafklagen zu erwarten wäre, 1 5 7 einjährig befristet waren.
155 156
2052f. 157
Vgl. Gai. 4.78 (ο. 73). D. 4.9.7, Ulp. 18 ad ed.; D. 4.9.6, 9.4.19.2, Paul. 22 ad ed.; vgl. Lenel, EP 3 Vgl. nur Käser, RP I 2 613.
Ϊ.5 Strafklagen gegen den nauta , caupo, stabularius
11
D. 4.9.7.6, Ulp. 18 ad ed.: Haec iudicia, quamvis honoraria sunt, tamen perpetuae sunt: ...
Der Sache nach geht es allerdings bei der Sachbeschädigungsklage nicht um eine bloße Erweiterung des von der legis Aquiliae erfaßten Tatbestands des damnum iniuria dare , wie das in D. 9.2 häufig anzutreffen ist. 1 5 8 Die Haftung für unerlaubte Handlungen von Hilfspersonen war - abgesehen von dem auf Gewaltunterworfene begrenzten Gedanken der Noxalhaftung - der actio legis Aquiliae fremd, weshalb unsere Klage Ausdruck eines neuen, von der lex Aquilia unabhängigen Rechtsgedankens ist. 1 5 9 Lenel sieht darin zu Recht den Grund, weshalb die Formel der actio in factum im Anschluß an die Formeln der actio legis Aquiliae eigens proponiert war. 1 6 0 Bedenken bestehen allerdings gegen die Rekonstruktion der actio in factum als Klage mit formula in factum concepta, wie sie Lenel vorschlägt: 161 S.p. in nave (caupone, stabulo), quam (quod) N S N S tum exercebat, N m N m eumve, quem N S N S eius navis navigandae (eius cauponae exercendae, eius stabuli exercendi) causa ibi tum habuit (qui habitandi causa ibi tum fuit), A°A° damnum iniuria dedisse, q.d.r.a., quanti ea res in eo anno plurimi (in diebus triginta proximis) fuit, tantam pecuniam duplam iudex N m N m A° A° c.s.n.p.a.
Gegen eine solche in factum konzipierte Formel spricht, daß es sich - wie von Selb gezeigt 162 - bei den sonstigen Abwandlungsklagen zur actio legis Aquiliae wohl um Klagen mit ziviler Formelkonzeption handelt. Da nur einzelne Tatbestandsmerkmale der zivilen Grundklage abgewandelt werden mußten, konnte die formula in ius concepta ohne weiteres aufrechterhalten werden. Aufgrund seiner Jurisdiktionsgewalt war dem Prätor die Schaffung honorarrechtlicher Klagen mit ziviler Formelkonzeption möglich. 163 Auch für die actio in factum gegen den nauta , caupo oder stabularius ist daher mit einer zivilen Konzeption der Formel zu rechnen, die man sich etwa gegen den nauta wie folgt vorstellen kann: S.p. in nave, quam N S N S tum exercebat, N m N m eumve, quem N S N S eius navis navigandae causa ibi tum habuit, A°A° damnum iniuria dedisse, quantam pecuniam ob eam rem N m N m A°A° dare oportet, tantam pecuniam duplam iudex N m N m A°A° c.s.n.p.a.
158
Zu den Fällen der Tatbestandserweiterung zur actio legis Aquiliae siehe o. 22 ff. Vgl. Lenel, EP3 205. 160 Dagegen fehlt es wohl an einem Verheißungsedikt für die Klage; vgl. Lenel, EP3 205; De Francisci, Συνάλλαγμα II 72 4 ; a.A. Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1320f. 161 Lenel 205; zustimmend De Francisci, Συνάλλαγμα II 72. Vgl. auch Mantovani, Le formule 2 73 f. (Nr. 81). 162 Vgl. Selb, St. Biscardi III (1982) 324ff; St. Sanfilippo V (1984) 729f. (hierzu o. 22 ff.). 163 Siehe 0.21. 159
78
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
Der Unterschied zwischen der Formelkonzeption in factum und in ius besteht nur darin, daß erstere die genaue Beschreibung der Schadensberechnung, wie sie die lex Aquilia vorsieht, erforderlich macht; im Rahmen der formula in ius concepta war die Schadensberechnung nach den Vorschriften der lex Aquilia bereits durch das zivile dare oportere vorgegeben, mußte also nicht in der Formel zum Ausdruck gebracht werden. 164 Da die Methode der Schadensberechnung nach der lex Aquilia als bekannt vorausgesetzt werden konnte, war ein Hinweis an den iudex nicht erforderlich; die in factum konzipierte Formel hätte daher gegenüber der zivilen Formelkonzeption ein überflüssiges Mehr an Information enthalten. Die Diebstahlsklage wird von Ulpian im Zusammenhang mit der actio furti behandelt; 165 auch hier ist anzunehmen, daß es um eine formulare Abwandlung der actio furti (nee manifesti) geht. 166 Wie bei der Sachbeschädigungsklage gegen den nauta , caupo oder stabularius war auch die Formel der Diebstahlsklage im Edikt proponiert. 167 Lenel rekonstruiert die intentio der actio in factum gegen den nauta folgendermaßen: 168 S.p. A°A° a N°N° eorumve quo qui in ea navi ... erant sive ope Consilio N N 1 eorumve cuius furtum factum esse paterae aureae
Dieses Formelstück läßt sich wie folgt durch den Rest der Formel der actio furti (nec manifesti) ergänzen: quam ob rem N m N m pro fure damnum decidere oportet, quanti ea res fuit, cum furtum factum est, tantae pecuniae duplum iudex N m N m A°A° c.s.n.p.a.
Es liegt deshalb nahe, daß es sich - wie bei der Sachbeschädigungsklage gegen den nauta , caupo oder stabularius - um eine Klage mit ziviler Formelkonzeption gehandelt hat. Da die Formeln der actiones in factum gegen den nauta , caupo oder stabularius im Edikt enthalten waren, hatten die Klagen einen fest definierten Inhalt. Anders als bei den dekretalen Abwandlungsklagen weisen diese Klagen folglich trotz ihrer Anlehnung an die actio legis Aquiliae bzw. die actio furti den Cha-
164 Vgl. Lenel, EP 3 201 f. (allerdings mit Zweifeln); Lübtow, Untersuchungen 34; Thielmann, St. Biscardi III (1982) 298; offengelassen bei Käser, Quanti 167f.; Mantovani, Le formule 2 64 f., nimmt - ohne dies zu begründen - in der Formel der actio adversus infitiantem (Nr. 55 b) die Methode der Schadensberechnung auf, in der actio confessoria (Nr. 54) dagegen nicht. 165 Vgl. D. 47.5.1, Ulp. 38 ad ed. 166 Vgl. Lenel, EP 3 333 f.; Liebs, Klagenkonkurrenz 108 123 . 167 Zur Frage des eigenen Verheißungsedikts vgl. Lenel, EP 3 205 5 , 333. 168 Lenel, EP 3 334.
1.6 Actio de deiectis vel effusis
79
rakter eigenständiger Klagen auf. 169 Das erklärt, daß es zur Sachbeschädigungsklage - obwohl diese ihrerseits schon eine Abwandlung der actio legis Aquiliae darstellt - wiederum Abwandlungsklagen geben konnte. Aufgrund der Verfestigung des Klageinhalts durch die Aufnahme der Formel in das Edikt, konnten die erforderlichen Anpassungen nicht mehr im Rahmen der actio in factum selbst vorgenommen werden. In folgender Stelle findet sich daher eine als actio utilis bezeichnete Abwandlungsklage für den Fall, daß der Schaden von einem Sklaven eines nauta verursacht wurde, wobei der Sklave selbst aber nicht die Aufgaben eines Seemanns hatte. D. 4.9.7.3, Ulp. 18 ad ed. : Si servus nautae damnum dederit, licet servus nauta non sit, aequissimum erit in exercitorem actionem utilem dare.
Mit nauta ist hier nicht der haftende exercitor navis , sondern der vom exercitor eingesetzte Seemann gemeint. Die actio utilis ist durchaus als formulare Abwandlung der actio in factum gegen den exercitor vorstellbar, etwa indem hinter eumve , quem N SN S eius navis navigandae causa ibi tum habuit der Zusatz vel servi eius eingeschaltet wird. 1 7 0 Bei den als actiones in factum bezeichneten Sachbeschädigungs- bzw. Diebstahlsklagen gegen den nauta , caupo oder stabularius handelt es sich um eigenständige, generell-abstrakte Klagen. Es ist zu vermuten, daß diese eine Formelkonzeption in ius aufweisen.
6. Die actio de deiectis vel effusis: D. 9.3.1.4 Im Edikt verheißen war auch die pönale actio de deiectis vel effusis den Bewohner eines Gebäudes (habitator) ,171
gegen
D. 9.3.1 pr., Ulp. 23 ad ed.: Praetor ait de his, qui deiecerint vel effuderint: 'Unde in eum locum, quo vulgo iter fiet vel in quo consistetur, deiectum vel effusum quid erit, quantum ex ea re damnum datum factumve erit, in eum, qui ibi habitaverit, in duplum iudicium dabo, si eo ictu
169 Vgl. zur Sachbeschädigungsklage auch Käser, RP I 2 622, der diese als besondere prätorische Klage bezeichnet. 170 Es besteht daher keine Notwendigkeit, die actio utilis als justinianisch zu verdächtigen; so aber Valino, Actiones utiles 346. 171 Vgl. Levy, Konkurrenz I 329 3 ; Liebs, Klagenkonkurrenz 68. Die Haftung auf das duplum bzw. auf die feste Geldbuße zeigt, daß es sich nicht um eine rein sachverfolgende, sondern eine Pönalklage handelt. Im Hinblick auf die Tötung eines Freien haben wir es zudem mit einer Popularklage zu tun (vgl. Ulp. D. 9.3.5.5). Dagegen lassen die Noxalität (vgl. Ulp. eod. 1 pr.) sowie die passive Unvererblichkeit (vgl. Ulp. eod. 5.5) der Klage keinen sicheren Schluß auf ihren pönalen Charakter zu (hierzu o. 52 48 ). Umgekehrt widerspricht es der Pönalität nicht, daß die Klage gegen mehrere habitatores nicht kumulierbar ist (vgl. Ulp. D. 9.3.3); vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz 181.
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
80
homo liber perisse dicetur, quinquaginta [aureorum] 172 iudicium dabo, si vivet nocitumque ei esse dicetur, quantum ob earn rem aequum iudici videbitur eum cum quo agetur condemnari, tanti iudicium dabo, si servus insciente domino fecisse dicetur, in iudicio adiciam: aut noxam dedere.'
Der habitator haftete - unabhängig von einem konkreten Verschulden 173 für Schäden, die dadurch entstanden, daß eine beliebige Person Gegenstände oder Flüssigkeiten von der Wohnung aus auf die Straße geworfen bzw. gegossen hatte. Zu ersetzen war bei Sachbeschädigungen der doppelte Schadensbetrag. Bei der Tötung eines Freien sah das Edikt eine feste Geldbuße vor; war die Person nur verletzt worden, so hatte der Richter die Geldbuße nach Billigkeit zu bemessen (quantum ob earn rem aequum iudici videbitur·). Die Grundklage aus dem Edikt wird von Ulpian als actio in factum bezeichnet. D. 9.3.1.4, Ulp. 23 ad ed.: Haec in factum actio 1 7 4 in eum datur, qui inhabitat, cum quid deiceretur vel effunderetur, non in dominum aedium: ...
Nach Selb sei der Ausdruck des Typs 'haec actio in factum ' als Hinweis auf die anderwärts belegte Formelkonzeption in factum zu verstehen. 175 Dagegen spricht jedoch, daß es in fr. 1.4 ersichtlich um den materiellen Anwendungsbereich der Klage geht und nicht um die Frage der Formelkonzeption. Auch wenn es aufgrund der Beschreibung der einzelnen Klagevoraussetzungen im Verheißungsedikt durchaus wahrscheinlich ist, daß die Klage eine formula in factum concepta aufwies, läßt sich dies aus fr. 1.4 gerade nicht ableiten. Der Bezeichnung der Grundklage als actio in factum steht eine Stelle gegenüber, in der der Begriff actio in factum nicht für die ediktale actio de deiectis vel effusis, sondern wohl für eine dekretale Abwandlung dieser Klage steht. 176 Es handelt sich um die Klagen gegen den Betreiber eines Speichers (horrearius·), den Mieter eines Lagerraums (conductor apothecae) oder sonstige Personen,
172
Vgl. o. 43 3 . Zur Frage des Verschuldens bei den sogenannten Quasi-Delikten siehe u. 111 f. 174 Unecht nach G.Longo, St. Sanfilippo IV (1983) 436f., 439f.: Da die Kompilatoren den vorhergehenden § 3 aus dem Kommentar zur sogenannten actio de posito vel suspenso (D. 9.3.5.6ff.) hierher verschoben hätten, sei auch die Anknüpfung mit „Haec in factum actio " kompilatorisch. Da sich § 4 jedoch - was auch Longo nicht in Frage stellt - tatsächlich auf die actio de deiectis vel effusis bezieht, ist es nicht zu beanstanden, wenn diese bereits im Edikt als actio in factum bezeichnete Klage mit einem entsprechenden Hinweis wieder aufgegriffen wird. Vgl. gegen Longo auch Giménez-Candela, Cuasidelitos 80 m. 7 6 175 Vgl. Selb, St. Biscardi III (1982) 324. 176 Lenel, EP 3 1741, spricht von einer „utilis actio"; a.A. Giménez-Candela, Cuasidelitos 79, die an einen Fall von Auslegung denkt. 173
1.6 Actio de deiectis vel effusis
81
die ein Lokal gewerblich nutzten, etwa als Handwerksbetrieb oder zu Unterrichtszwecken. D. 9.3.5.3, Ulp. 23 ad ed.: Si horrearius aliquid deiecerit vel effuderit aut conductor apothecae vel qui in hoc dumtaxat conductum locum habebat, ut ibi opus faciat vel doceat, in factum actioni locus est, etiamsi quis operantium deiecerit vel effuderit vel si quis discentium.
All diese Personen fielen nicht mehr unter den Begriff des habitare der ediktalen Klage. Unter habitator verstand man nur den Bewohner von Räumlichkeiten, 1 7 7 nicht dagegen denjenigen, der Räumlichkeiten gewerblich nutzte. Daher war etwa der cenacularius , der ein Stockwerk untervermietet hatte (cenaculariam exercens), λη nur dann aus der actio de deiectis vel effusis haftbar, wenn er dort auch selbst wohnte. D. 9.3.5.1, Ulp. 23 ad ed.: (...) nam et si quis cenaculariam exercens ipse maximam partem cenaculi habeat, solus tenebitur: sed si quis cenaculariam exercens modicum sibi hospitium retinuerit, residuum locaverit pluribus, omnes tenebuntur quasi in hoc cenaculo habitantes, unde deiectum effusumve est.
Die Abwandlung der actio de deiectis vel effusis bei gewerblicher Nutzung von Räumen wird man sich so vorstellen müssen, daß der zentrale Begriff des habitare , der wohl ebenso wie im Edikt auch in der Klagformel stand, 179 etwa durch conductum locum habere ersetzt worden ist. Auch gegen den Kaptiän eines Schiffes (navi praepositus) wird eine Klage nach dem Vorbild der actio de deiectis vel effusis gegeben; anders als Ulpian in fr. 5.3 bezeichnet Paulus die Abwandlungsklage hier allerdings nicht als actio in factum , sondern als actio utilis. D. 9.3.6.3, Paul. 19 ad ed. : Si de nave deiectum sit, dabitur actio utilis in eum, qui navi praepositus sit.
Sowohl in fr. 5.3 als auch in fr. 6.3 handelt es sich um Tatbestandserweiterungen der actio de deiectis vel effusis. In der Spätklassik wurden die Begriffe actio in factum und actio utilis bei Tatbestandserweiterungen unterschiedslos verwendet. 180 Die Notwendigkeit, besondere Abwandlungsklagen zu entwikkeln, zeigt, daß es sich bei der actio de deiectis vel effusis um eine generell-abstrakt gefaßte Klage handelt.
177 Vgl. Ulp. D. 9.3.1.9, wo der habitator mit demjenigen gleichgesetzt wird, der in den Räumen sein domicilium , also seinen Lebensmittelpunkt (vgl. Diocl./Maxim. C. 10.40.7.1), hat. 178 Zu cenaculum für 'Obergeschoß' bzw. 'Wohnung im Obergeschoß' vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz 68 1 5 8 . 179 Vgl. Lenel, EP3 173 f.
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
82
7. Die sogenannte actio de posito vel suspenso: D. 9.3.5.6 Bei der Klage aus dem Edikt 'Ne quis in suggrunda ' handelt es sich um eine rein pönale Klage, gerichtet auf eine feststehende Strafsumme. Der Prätor verheißt hier die Klage mit den Worten „ in factum iudicium dabo ". D. 9.3.5.6, Ulp. 23 ad ed. : Praetor ait: 4 Ne quis in suggrunda protectove supra eum locum, quo vulgo iter fiet inve quo consistetur, id positum habeat, cuius casus nocere cui possit. qui adversus ea fecerit, in eum [solidorum] decern in factum iudicium dabo. (...)'.
Die Strafsumme war verwirkt, wenn etwas in suggrunda protectove, d.h. auf einem Wetter- oder Vordach, so aufgestellt worden war, daß es auf die Straße herabfallen und jemandem Schaden zufügen konnte. Nicht erforderlich war, daß es im Einzelfall tatsächlich zu einer Schädigung gekommen war. 1 8 1 Aufgrund der Ausgestaltung als Popularklage 182 ergibt sich, daß nicht einmal eine konkrete Gefahr für eine bestimmte Person bestanden haben mußte; es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Haftbar waren nach dem Edikt nur der Eigentümer sowie die Bewohner des betreffenden Gebäudes, soweit sie die Gefahr selbst geschaffen hatten. 183 Die Klage war nicht nur im Edikt verheißen, es war auch eine musterhafte Klagformel proponiert. In folgender Stelle kommentiert Ulpian die Formelworte „positum habuisse ": 184 D. 9.3.5.12, Ulp. 23 ad ed. : ... quia positum habuisse non utique videtur qui posuit, nisi vel dominus fuit aedium vel inhabitator. (...)
Auch wenn die Klage aus dem Edikt 'Ne quis in suggrunda wie die Beschreibung der einzelnen Klagevoraussetzungen im Verheißungsedikt vermuten läßt, eine formula in factum concepta aufwies, ist es nicht wahrscheinlich, daß die Ediktsworte „in factum iudicium dabo" als Hinweis auf die Formelkonzeption zu verstehen sind. Aus der im Anschluß an die Verheißung proponierten Klagformel war deren Konzeption ohne weiteres ersichtlich. Es ist nicht anzu180
Hierzu o. 34 ff. Vgl. Ulp. D. 9.3.5.11: ... nec spectamus, ut noceat, sed omnino si nocere possit, edicto locus sit. coercetur autem, qui positum habuit, sive nocuit id quod positum erat sive non nocuit. 182 Vgl. Ulp. D. 9.3.5.5,13. 183 Vgl. Ulp. D. 9.3.5.8: ... haec verba ' ne quis ' ad omnes pertinent vel inquilinos vel dominos aedium, sive inhabitent sive non, habent tarnen aliquid expositum his locis; eod. 5.12: ... quia positum habuisse non utique videtur qui posuit, nisi vel dominus fuit aedium vel inhabitator. Hierzu Giménez-Candela, Cuasidelitos 117ff, 123ff.; Gordon, Studies Thomas (1983) 46f., 52ff. 184 Vgl. Lenel, EP 3 174 m. 1 1 181
1.7 Sogenannte actio de posit ο vel suspenso
83
nehmen, daß der Prätor eine überflüssige Kategorisierung der von ihm gewählten Klagformel vornahm. Daß es sich auch bei suggrunda und protectum um technische Begriffe handelt, die in der Klagformel verwendet wurden, zeigt folgende Stelle, in der Klagen ad exemplum zur Grundklage aus dem Edikt 'Ne quis in suggrunda ' gegeben werden. 185 D. 9.3.5.12, Ulp. 23 ad ed.: (...) nam et cum pictor in pergula clipeum vel tabulam expositam habuisset eaque excidisset et transeunti damni quid dedisset, Servius respondit ad exemplum huius actionis dari oportere actionem: hanc enim non competere palam esse, quia neque in suggrunda neque in protecto tabula fuerat posita. idem servandum respondit et si amphora ex reticulo suspensa decidisset et damni dedisset, quia et legitima et honoraria actio deficit.
Servius kommt hier zu dem Ergebnis, daß die Klage aus dem Edikt nicht unbesehen angewendet werden kann, wenn ein Maler eine Leinwand oder ein Medaillon auf einer Bude (pergula) aufstellt und diese herunterfallen. Eine pergula falle weder unter den Begriff der suggrunda noch des protectum. Deshalb müsse eine actio ad exemplum huius actionis, d.h. eine an die ediktale Klage angelehnte, jedoch in den entscheidenden Tatbestandsmerkmalen abgewandelte Klage, gegeben werden. Gleiches gilt nach Servius, wenn ein Gefäß, das mit einem Netz aufgehängt wurde, herabfällt. Die Klage wegen aufgehängter Gegenstände war also nicht schon Bestandteil einer einheitlichen actio de posito vel suspenso; vielmehr bedurfte es einer Abwandlung der ediktalen Grundklage. 186 Bemerkenswert ist, daß Servius auch eine actio legitima, womit nur die actio legis Aquiliae gemeint sein kann, ablehnt. Da es sich um einen Fall der mittelbaren Schädigung handelt, wäre grundsätzlich auch eine Erweiterungsklage zur actio legis Aquiliae in Betracht gekommen; die Abwandlung der Klage aus dem Edikt 'Ne quis suggrunda' zog Servius wohl als den spezielleren Rechtsbehelf vor. 1 8 7 Wäre die Qualifikation als iudicium in factum bei der Klage aus dem Edikt 'Ne quis suggrunda ' so zu verstehen, daß die Klage jeweils auf den individuellen Sachverhalt zugeschnitten wäre, so hätte es keiner actio ad exemplum für die von Servius behandelten Fälle bedurft; die Formel der Grundklage hätte ohnehin den konkreten Sachverhalt wiedergegeben. Mit den klageverheißenden Worten „ in factum iudicium dabo " kann daher nicht gemeint sein, daß die For-
185 Lenel, EP 3 174, spricht von „utiles actiones vgl. auch Horak, Rationes decidendi I 8 6 " m.w.N. 186 Der Ausdruck „ actio de posito vel suspenso " erweckt insofern einen falschen Eindruck; vgl. statt aller Käser, RP I 2 629 39 . 187 Zum Verhältnis mehrerer Strafklagen vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz 265 f.
84
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
mei der Lage des Einzelfalls angepaßt werden sollte. 188 Die actio de posito vel suspenso erweist sich als generell-abstrakte Klage. Die Verheißung der Klage mit den Worten „ in factum iudicium dabo " spricht damit auch gegen die These, daß es sich bei den actiones in factum um Klagen mit notwendig nichtediktalem Ursprung handelt. 189 Wäre mit den Begriffen actio bzw. iudicium in factum impliziert, daß es jeweils um eine nichtediktale Klage ging, so wäre nicht zu erwarten, daß der Prätor die Klage auch noch bei ihrer Aufnahme ins Edikt ausdrücklich so bezeichnet hätte. 190 Die ediktale Verheißung einer Klage mit dem Begriff, der gerade eine nichtediktale Klage gekennzeichnet hätte, wäre in sich widersprüchlich. 8. Klage gegen den Feldmesser: D. 11.6.1 pr. Eine generell-abstrakte Klage stellt auch die gemischte Strafklage gegen den Feldmesser (agrimensor) dar, der dolo malo ein unrichtiges Flächenmaß öffentlich verkündete. 191 D. 11.6.1 pr., 1, Ulp. 24 ad ed. : Adversus mensorem agrorum praetor in factum actionem proposuit. a quo falli nos non oportet: nam interest nostra, ne fallamur in modi renuntiatione, si forte vel de finibus contentio sit vel emptor scire velit vel venditor, cuius modi ager veneat. ideo autem hanc actionem proposuit, quia non crediderunt veteres inter talem personam locationem et conductionem esse, sed magis operam beneficii loco praeberi et id quod datur ei, ad remunerandum dari et inde honorarium appellari: si autem ex locato conducto fuerit actum, dicendum erit nec tenere intentionem. (1) Haec actio dolum malum dumtaxat exigit: visum est enim satis abundeque coerceri mensorem, si dolus malus solus conveniatur eius hominis, qui civiliter obligatus non est.
Ulpian weist ausdrücklich daraufhin, daß die Klage im Edikt proponiert war (praetor in factum actionem proposuit). m Die intentio wird von Lenel wie folgt rekonstruiert: 193 Si paret N m N m ... agri q.d.a. modum falsum renuntiasse dolo malo
188
So aber Käser, SZ 101 (1984) 100. Vgl. die Nachw. o. 25 4 0 . 190 Vgl. auch Ulp. D. 42.5.9 pr.: iudicium in factum dabo (u. 164), 43.4.1 pr.: in factum iudicium ... dabo (u. 97), 47.12.3 pr.: in factum iudicium dabo (u. 108). 191 Nach Siber, JherJb. 88 (1939/40) 176, setzte die Klage - entgegen Ulp. D. 11.6. 1 . 1 - keinen dolus malus voraus, sondern sei gerade zur Erfassung der Fahrlässigkeit geschaffen worden; diese These läßt sich allerdings nur durch weitgehende Interpolationsannahmen aufrechterhalten. 192 Aus dem Fehlen einer Kommentierung zum Verheißungsedikt schließt Lenel, EP3 219, daß die Klage im Edikt nicht verheißen, sondern nur proponiert war; vgl. auch Käser, TR 45 (1977) 162 21 ; a.A. Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1352. 1 Lenel, EP 3 . 189
1. Klage gegen den
l s s
85
Es handelt sich dabei um eine in factum konzipierte Klage. Ob in fr. 1 pr. in factum actionem proposuit zu ergänzen i s t , 1 9 4 so daß hierin ein Hinweis auf die Konzeption der Formel zu sehen wäre, läßt sich nicht entscheiden. Da der Ausdruck in factum actio auch - unabhängig von der Frage der Formelkonzeption - für die ediktale Klage als solche stehen kann, besteht für eine solche Ergänzung jedenfalls kein zwingender Grund. Aus Ulpians Beschreibung der Klage ist ersichtlich, daß diese nicht auf den Einzelfall zugeschnitten, sondern generell-abstrakter Natur war. Unsicher ist, ob sich die Klage auf id quod interfuit oder quanti ea res est richtete; 1 9 5 für den Strafcharakter der Klage gibt es aber hinreichende A n z e i c h e n . 1 9 6 Grund für die Einführung der actio in factum, die in die späte Republik zurückreicht, 1 9 7 ist, daß die veteres eine vertragliche Haftung des Feldmessers aus locatio conductio ablehnten; auch nach Ulpian besteht grundsätzlich keine zivile Verpflichtung des Feldmessers (civiliter obligatus non est). m Die Tätigkeit des Feldmessers w i r d mehr als freiwillige Hilfeleistung (magis operam beneficii loco praeberi) angesehen, die allenfalls durch eine Ehrengabe (honorarium) zu vergüten i s t . 1 9 9
194
Zur grundsätzlichen Möglichkeit einer solchen Ergänzung siehe o. 72. Vgl. Käser, Quanti 200f.; Medicus, Id quod interest 16. 196 Siehe Ulp. D. 11.6.1 pr.: a quo falli nos non oportet; eod. 1.1: coerceri mensorem; eod. 5.2, 7.1-4: fefellit,fefellerit; Paul. eod. 6: mettendo mentitus fuerit. Nach Ulp. eod. 3.5 ist die Klage passiv unvererblich; in Ulp. eod. 3.6 ist die Noxalhafitung bezeugt. Daß die Klage auch sachverfolgende Funktion hatte, zeigt sich darin, daß die Klage zwar gegen mehrere Täter kumuliert, die Klagsumme jedoch nur einmal verlangt werden konnte (vgl. Ulp. eod. 3 pr.). Das Fehlen einer einjährigen Befristung (vgl. Paul. eod. 4: haec actio perpetua est), wie sie für alle anderen prätorische Strafklagen - auch solche, die zugleich eine sachverfolgende Funktion aufweisen - kennzeichnend ist, vermag die Pönalität nicht in Frage zu stellen. Zum gemischten Strafcharakter der Klage vgl. Levy, Privatstrafe 52ff., Konkurrenz II 1, 241 ff.; Käser, Quanti 201, RP I 2 630 5 9 ; Blanch Nougués, La intransmisibilidad 114ff; Beul, Si mensor falsum modum dixerit 88 f., 121 f f , 124ff.; a.A. Liebs, Klagenkonkurrenz 182 299 , 264 1 5 3 ; Voci, SDHI 64 (1998) 42. 197 Terminus ante quem ist die Einführung der actio de dolo durch C. Aquilius Gallus (o. 52 4 6 ); neben der allgemeinen Dolusklage wäre die Einführung einer speziellen actio in factum gegen den dolosen mensor nicht mehr erforderlich gewesen; vgl. Wacke, RIDA 3 27 (1980) 378; Beul, Si mensor falsum modum dixerit 74. 198 Vgl. Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1351; Levy, Privatstrafe 56. Dagegen nimmt De Robertis, I rapporti di lavoro 195, an, Ulpian habe hier nur die Rechtslage bei den veteres referiert; vgl. auch Macqueron, Le travail 180ff; Visky, Geistige Arbeit 41 9 . Nach Paul. D. 10.1.4.1, wo von einem mensor conductus die Rede ist, scheint in der Tat der Abschluß einer locatio conductio möglich gewesen zu sein; vgl. Beul, Si mensor falsum modum dixerit 34; Hinrichs, Die Geschichte 86 4 9 ; Visky 4 0 f f ; Pernice, Labeo II 2.1 2 , 175 f.; a.A. Erdmann, SZ 66 (1948) 570; Levy 56 3 , die conductus in fr. 4.1 für untechnisch halten. Entscheidend für die Frage, ob sich der mensor als locator verpflichtete, war wohl die Situation im jeweiligen Einzelfall (u. 1 9 9 ). 199 Überwiegend wird die Ablehnung der locatio conductio durch die veteres darauf zurückgeführt, daß die Tätigkeit des Feldvermessers zu den artes liberales gerechnet worden sei; vgl. Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1351; Levy, Privatstrafe 55; Visky, 195
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
86
Die Feldmesserklage wurde auf weitere Fälle ausgedehnt, wie folgende Itatene zeigt: D. 11.6.5.2, Ulp. 24 ad ed. : Hoc iudicium latius praetor porrexit: nam et si cuius alterius rei mensuram falsam renuntiavisse dicetur, haec actio competit. 2 0 0 proinde si in aedificii mensura fefellit vel in frumenti vel in vini. D. 11.6.6, Paul. [24] ad ed.: sive de itineris latitudine sive de Servitute immittendi proiciendique quaeratur, sive aream vel tignum vel lapidem metiendo mentitus fuerit D. lL6.7pr.-4, Ulp. 24 ad ed.: vel cuius alterius rei, tenebitur. (1) Et si mensor machinarius fefellerit, haec actio dabitur. (2) Nec non illud quoque Pomponius dicit etiam in eum, qui mensor non fuit, fefellit tarnen in modo, competere hanc actionem. (3) Hoc exemplo etiam adversus architectum actio dari debet qui fefellit: nam et divus Severus adversus architectum et redemptorem actiones dandas decrevit. (4) Ego etiam adversus tabularium puto actiones dandas, qui in computatione fefellit. Der Prätor erstreckte die Klage auf die vorsätzlich fehlerhafte Messung anderer Gegenstände durch einen freiwillig tätigen mensor, beispielsweise der Ausdehnung eines Gebäudes, einer Menge von Getreide oder Wein, der Breite eines Weges, der räumlichen Grenzen einer Dienstbarkeit, der Fläche eines Stadtgrundstücks, einer Holz- oder Steinmenge. Dabei ist nicht von Erweiterungsklag e n , 2 0 1 sondern - wie der Ausdruck haec actio competit 202 bzw. dabitur zeigt -
Geistige Arbeit 40; Watson, Law of Obligations 109 f.; Knütel, SZ 100 (1983) 429. Die herrschende Meinung stützt sich auf Ulp. D. 50.13.1 pr.: Praeses provinciae de mercedibus ius dicere solet, sed praeceptoribus tantum studiorum liberalium. liberalia autem studia accipimus, quae Graeci έλευΟέρια appellant : r he tores continebuntur, grammatici, geometrae. Hiergegen wird jedoch zu Recht vorgebracht, daß der Begriff der geometrae, wie der auf die Lehrer (praeceptores) der studia liberalia abzielende Eingangssatz zeigt, nicht die mensores, d.h. die praktisch tätigen Feldvermesser, sondern Personen, die die Geometrie als theoretische Wissenschaft betrieben haben, meint; vgl. Beul, Si mensor falsum modum dixerit 27; Visky, RIDA 15 (1968) 482 m. 4 7 (anders in: Geistige Arbeit 39). Bestätigt wird diese Bedeutung von geometres durch Vat. 150: Neque geometrae neque hi qui ius civile docent ... (vgl. auch Scaev. D. 27.1.22 pr.); weitere Nachw. in Th.l.L. V I 2/3, s.v. geometres, 1907f. Beul 37 f f , 67ff, sieht den Grund für den Ausschluß der locatio conductio im politisch-sozialen Status der mensores: Die Tätigkeit der Feldvermessung, die insbesondere bei der Landaufteilung und der Entscheidung von Grenzstreitigkeiten eine wichtige Rolle spielte, habe sich aus einer der Schutzpflichten des Patrons gegenüber seinen Klienten entwickelt. Wurde der Patron als mensor tätig, so erbrachte er seine Leistung nicht im Rahmen einer locatio conductio, die ein obligatorisches Abhängigkeitsverhältnis gegenüber seinem Klienten als conductor begründet hätte. Feldmesser ohne besondere soziale Stellung werden sich dagegen ohne weiteres als locatores verdingt haben. 200 Zur Verwendung von competere ο. 56 f. m. 7 1 201 Dennoch spricht Lenel, EP 3 219 4 , im Zusammenhang mit den fr. 5.2,6, 7 ganz allgemein von „ actiones utiles ebenso Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1352. 202 Zur Verwendung von competere ο. 56 f. m. 7 1
1.9 Klagen gegen den tutor falsus
87
von der ediktalen Klage selbst die Rede. Es ist daher anzunehmen, daß das zunächst für den Fall der Feldmessung geschaffene Edikt durch den Prätor so erweitert wurde, daß auch die neuen Fälle abgedeckt waren. 203 Die auf die Feldmessung abstellende ediktale Klagformel wurde wohl dadurch an den Einzelfall angepaßt, daß an die Stelle des Ackers der jeweilige Gegenstand der Messung trat. Nach Pomponius soll sich die ediktale Klage (competere hanc actionem )204 auch gegen denjenigen richten, der, ohne mensor zu sein, die Grundstücksfläche falsch angibt. Einer Abwandlung der von Lenel rekonstruierten Klagformel bedurfte es hierbei nicht, denn das Tätigwerden des Beklagten als mensor wird dort nicht als Voraussetzung für eine Verurteilung genannt. Aufgrund der Erteilung der unveränderten Klagformel konnte es daher auch zu einer Verurteilung von anderen Personen kommen, sofern die Voraussetzung des modum falsum renuntiasse erfüllt war. Nach dem Vorbild dieser bereits im Rahmen des Edikts möglichen Ausdehnung sollen nach einem Dekret des Septimius Severus Klagen auch gegen Personen, die nicht das Amt des mensor bekleiden, erteilt werden, etwa gegen den Baumeister (architectus) oder den Auftraggeber des Bauwerks (redemptor). Ulpian befürwortet Klagen auch im Fall der vorsätzlich fehlerhaften Berechnung durch den Steuerbeamten (tabular ius). All diese Klagen wurden offenbar nicht als Abwandlungsklagen, sondern als Anwendungsfälle der bereits durch den Prätor flexibilisierten ediktalen Klage angesehen. 9. Klagen gegen den tutor falsus: D. 27.6.9.1,11 pr. Sofern der Scheintutor (tutor falsus) bösgläubig handelte, sah das Edikt gegen ihn zwei verschiedene Strafklagen vor. 2 0 5 Diese betreffen die beiden Fälle, daß der Scheintutor mit dolus malus im Rahmen eines Prozesses gegen das Mündel oder aber zu einem Rechtsgeschäft des Mündels die auctoritas erteilte. Da die Erteilung der auctoritas jeweils unwirksam war, konnte es zu einer Schädigung des Klägers bzw. des Geschäftspartners des Mündels kommen.
203 Vgl. Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1352, der etwa folgende Ediktsklausel für möglich hält: „Et si cuius alterius rei mensuram falsam renuntiasse dicetur, iudicium dabo. " Ebensogut denkbar ist, daß der Prätor die im Edikt proponierte Formel allmählich um weitere Fälle ergänzt hat. 204 Vgl. o . 2 0 2 205 Vgl. Lenel, EP3 119, 317; Solazzi, AG 91 (1924) 150 (= Scritti II 593); Blanch Nougués, La intransmisibilidad 88 f. Dagegen gehen Beseler, St. Bonfante II (1930) 6 7 f f ; Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1099f., von einer einheitlichen Klage aus; dem widerspricht aber, daß Ulpian die Klagen an zwei unterschiedlichen Stellen seines Ediktskommentars behandelte (Ulp. 12 ad ed., D. 27.6.7 pr.; 35 ad ed., eod. 11 pr.). Zur Pönalität vgl. Ulp. D. 27.6.9.1 (u. 89).
88
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
Unmündige konnten nur mit der auctoritas des Tutors klagen und verklagt werden; gewaltfreie Frauen bedurften der Zustimmung des Tutors im Rahmen der iudicia legitima. 206 War die Erteilung der auctoritas unwirksam, so führte die Litiskontestation mit dem Mündel als dem Beklagten dazu, daß der Kläger seinen Anspruch gegen das Mündel einbüßte. Die Litiskontestation hatte - trotz fehlender auctoritas - insoweit Wirkung, als es zu der für den Kläger nachteiligen Folge des Ausschlusses weiterer Klagen de eadem re k a m ; 2 0 7 dagegen entstanden dem Mündel keine N a c h t e i l e . 2 0 8 Der Prätor gewährte dem gutgläubigen Kläger allerdings eine in integrum restitutio oder denegierte gegenüber dem Mündel die exceptio rei iudicatae vel in iudicium deductae. 209 Dadurch wurde aber nur die nachteilige Wirkung der Litiskontestation beseitigt; dagegen halfen diese Maßnahmen nicht gegen den zwischenzeitlichen A b l a u f der Klagefrist oder die Ersitzung der Sache seitens des M ü n d e l s . 2 1 0 Gegen den Scheintutor,
206 Vgl. Ulp. ep. 11.24,27. Hierzu Kaser/Hackl, RZ 2 206; Pugliese, Il processo civile II 1,297 ff. 207 Dem Kläger drohte also Klagekonsumption bzw. die exceptio rei iudicatae vel in iudicium deductae; vgl. o. 16f. 208 Vgl. Pugliese, Il processo civile II 1, 301. 209 Vgl. Ulp. D. 27.6.1.6: A it praetor: ' si id actor ignoravit, dabo in integrum restitutionem '; hierzu Lenel, EP3 120; Kaser, SZ 94 (1977) 168. Ein Beleg für das Nebeneinander von in integrum restitutio und Denegation der exceptio rei iudicati vel in iudicium deductae ist wohl P. Ant. I 22, Z. 10 ff., dessen sicher lesbarer Text wie folgt lautet: ... obstabit exc(eptio>), aut restitutorium iudicium dabitur. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, daß es um eine Klage gegen einen Pupill sine tutore auctore geht. ArangioRuiz, Iura 2 (1951) 345, nimmt an, daß vor obstabit ein non bzw. die entsprechende Abkürzung gestanden habe; zutimmend Lamberti, Labeo 36 (1990) 229 3 9 ; Kaser/Hackl, RZ 2 351 1 2 m.w.Lit. Dagegen denkt Giménez-Candela, Est. A . d O r s I (1987) 568, der Prätor habe die genannte exceptio zugunsten des Pupills erteilt, der in einem Prozeß ohne wirksame auctoritas des Tutors verurteilt wurde. Dem widerspricht aber, daß der Pupill hier gegen die actio iudicati keiner besonderen exceptio bedurft hätte; diese setzte nämlich ein wirksames iudicatum zu Lasten des Mündels voraus, woran es aber mangels wirksamer Litiskontestation gerade fehlte; vgl. Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1099. 210 Vgl. Gai. D. 27.6.10: Si falso tutore auctore actum sit et interea dies actionis exierit aut res usucapta sit, omnia incommoda perinde sustinere debet, ac si ilio tempore vero tutore auctore egisset. Daß es hier um die actio in factum gegen den falsus tutor und nicht um die in integrum restitutio gegenüber dem Mündel geht (wie hier Lenel, EP3 119 10 ; a.A. Beseler, St. Bonfante II [1930] 69; zweifelnd Kaser, Quanti 191 n ), zeigt ein Vergleich mit den Basiliken und einem zugehörigen Kyrillos-Scholion; Bas. 38.6.8 (Scheit. A V 1716; Heimb. III 734): 'Εάν ό πλαστός έπίτροπος έπΐ δίκη αύθεντήση (...), περιποιεΐ (sc. ό έπίτροπος) τό άζήμιον τω ένάγοντι ...; Schol. (Scheit. Β V I 2230; Heimb. III 734f.) Κυρίλλου. Ό πλαστός έπίτροπος αύθεντήσας, ..., άπαιτεΐτ α ι τό διαφέρον. Außerdem wäre ein Ausgleich von omnia incommoda nur im Rahmen einer judizialen Restitution denkbar (hierzu Kaser/Hackl, RZ 2 423 f f ) ; das Nebeneinander von in integrum restitutio und Denegation der exceptio rei iudicati (o. 2 0 9 ) spricht aber gerade für eine prätorische Restitution.
1.9 Klagen gegen den tutor falsus
89
der dolo malo gehandelt hatte, erteilte der Prätor daher eine eigene Klage, die im Edikt wie folgt verheißen w a r : 2 1 1 D. 27.6.7 pr., Ulp. 12 ad ed.: Novissime praetor ait: 'in eum qui, cum tutor non esset, dolo malo auctor factus esse dicetur, iudicium dabo, ut quanti ea res erit, tantam pecuniam condemnetur.' Dem Kläger stand also ein Anspruch auf Schadensersatz zu, der auch das umfaßte, was durch eine in integrum restitutio nicht ungeschehen gemacht werden konnte; fand eine in integrum restitutio statt, so waren zudem die weiteren Prozeßkosten ersatzfähig, die aufgrund des Restitutionsverfahrens entstanden war e n . 2 1 2 D a die Tatbestandsmerkmale der Klage im einzelnen beschrieben sind, ist davon auszugehen, daß die Klage eine formula in factum concepta aufwies. 2 1 3 Für den Fall, daß ein gutgläubiger Dritter dazu veranlaßt wurde, zur Litiskontestation mit dem Mündel die auctoritas zu erteilen, gewährte der Prätor gegen den mittelbaren Täter eine Klage nach dem V o r b i l d der ediktalen Schadensersatzklage. D. 27.6.9pr.,1, Ulp. 12 ad ed.: Huius actionis exemplo Pomponius libro trigesimo primo scribit dandam actionem adversus eum, qui dolo malo adhibuit, ut alius auctoraretur inscius. (1) Has in factum actiones heredibus quidem competere 214 ceterisque successoribus, 215 in eos vero non reddi Labeo scribit nec in ipsum post annum, quoniam et factum puniunt et in dolum concipiuntur: et adversus eas personas, quae alieno iuri subiectae sunt, noxales erunt. M i t has in factum actiones ist nicht nur die abgewandelte Klage gegen den mittelbaren Täter, sondern auch die ediktale Grundklage gemeint. Bei beiden Klagen handelt es sich um Strafklagen, wie sich aus der Begründung für ihre passive Unvererblichkeit und Annalität ergibt: et factum puniunt et in dolum concipiuntur. 216 De Francisci verdächtigt den Ausdruck in factum actiones als 211
Vgl. auch Ulp. D. 27.6.7.2. Vgl. Ulp./Pomp. D. 27.6.7.3: ... etiam sumptuum in hoc iudicio rationem haberi, quos facturus est actor restitutorio agendo. 213 Vgl. Lenel, EP3 120. 214 Zur Verwendung von competere ο. 56 f. m. 7 1 215 C. Longo, BIDR 14 (1901) 150 f f , hält den Ausdruck ceteri successores (oder ähnlich) durchweg für interpoliert; zustimmend Käser, RP I 2 223 17 . Zwar kennt das klassische römische Recht keinen Übergang der Aktivlegitimation kraft Einzelrechtsnachfolge; im Zusammenhang mit der Erbfolge spricht jedoch bereits Gaius vom ius success ionis (Gai. 2.14). Mit ceteri successores können daher ohne weiteres alle Gesamtrechtsnachfolger - abgesehen von den zivilen Erben - gemeint sein, also der bonorum possessor , der bonorum emptor , der Adrogierende sowie der Ehemann bei conventio in manum einer Gewaltfreien; vgl. Gai. 2.98. 216 Die passive Unvererblichkeit und die Annalität selbst lassen dagegen, ebenso wie die am Ende der Stelle erwähnte Noxalität, keinen zwingenden Schluß auf den pönalen Charakter der Klage zu (vgl. ο. 52 4 8 , 79 1 7 1 ). Keinen Widerspruch zur der in fr. 9.1 bezeugten Pönalität der Klage bildet Ulp. D. 27.6.7.2: Quod ait praetor ' quanti ea res erit 212
90
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
unecht, w e i l i m Zusammenhang mit der Frage der Vererblichkeit der Klagen keine Notwendigkeit bestanden habe, auf ihren Charakter als „ actiones in factum " hinzuweisen. 2 1 7 Dieser Einwand trifft allerdings nur dann zu, wenn man - wie De Francisci - den Begriff actio in factum als Hinweis auf die Formelkonzeption in factum versteht; 2 1 8 die passive Unvererblichkeit hat in der Tat nichts mit der Formelkonzeption zu tun. Der Begriff actio in factum wurde jedoch zum Teil als Synonym für die Klage aus prätorischem Delikt verwendet; 2 1 9 in diesem Sinn konnten hier sowohl Grund- als auch Abwandlungsklage als actio in factum bezeichnet w e r d e n . 2 2 0 Die zweite Strafklage betrifft die Erteilung der auctoritas durch den Scheintutor zu einem Rechtsgeschäft des Mündels. Gefährlich waren insbesondere Geschäfte mit Unmündigen, die für diese keine nachteiligen, sondern nur vorteilhafte Wirkungen entfalteten. 2 2 1 Die i m voraus erbrachte Leistung konnte der Geschäftspartner nicht zurückfordern. 2 2 2 A u c h hier w i r d die Klage gegen den mit dolus malus handelnden Scheintutor als actio in factum bezeichnet.
magis puto non poenam, sed veritatem his verbis contineri; a.A. Ankum, BIDR 85 (1982) 23 2 5 , der eine rein sachverfolgende Klage annimmt, was aber mit fr. 9.1 nicht in Einklang zu bringen ist. Käser, Quanti 190, hält den Ausdruck non poenam, sed für interpoliert. Am naheliegendsten scheint, daß Ulpian mit „magis puto non poenam, sed veritatem contineri " nur die reine Strafnatur der Klage ablehnt, weil diese auf das individuelle Interesse des Klägers gerichtet war (vgl. Gai. D. 27.6.10: omnia incommoda; Ulp./Pomp. D. 27.6.7.3: sumptuum; o . 2 1 0 ' 2 1 2 ) und damit auch sachverfolgende Funktion hatte; vgl. auch Levy, Privatstrafe 85 f. Mit magis ist also gemeint, daß den Schwerpunkt der Klage nicht die poena, sondern der Schadensausgleich bildet. Klärungsbedarf bestand insofern, als zumindest eine auf quanti ea res est gerichtete Klage rein pönal sein konnte, wie Ulp. D. 2.3.1.4 zeigt: Hoc iudicium non ad id quod interest, sed quanti ea res est concluditur: et cum meram poenam contineat ...; hierzu Medicus 230f. m. 2 , 312 2 ; Käser, Quanti 162 f. Der Auffassung von Tafaro, La interpretatio ai verba 'quanti ea res est' 150, 193, der aus fr. 7.2 folgert, daß bei einer poena die Bezugnahme auf die Veritas ausgeschlossen sei, steht die Existenz gemischter, auf das individuelle Interesse gerichteter Pönalklagen entgegen; vgl. etwa die Klage bei Behinderung des in den Besitz Eingewiesenen (u. 103) oder die actio servi corrupti (hierzu Käser, Quanti 182 ff.). 217 Vgl. De Francisci, Συνάλλαγμα II 110. 218 Ähnlich Horak, Rationes decidendi I 114 f., der sich für eine Verbesserung zu „quoniam et dolum puniunt et in factum concipiuntur" ausspricht. Vgl. aber zu einer ähnlichen Verwendung von concipere Ulp. D. 42.5.9.8: poenaeque nomine concipiatur (u. 96). 219 Vgl. Ulp. D. 2.7.5.3 (o. 51), 40.12.22 pr. (u. 93 f.), 44.7.25.1 (o. 46f.), 47.8.4.11 (u. 106). 220 Vgl. auch Erman, SZ 19 (1898) 304. 221 Aus dem sogenannten * negotium claudicans war der Unmündige zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet; vgl. Ulp. D. 19.1.13.29; Inst. 1.21 pr.: ... placuit meliorem quidem suam condicionem licere eis facere etiam sine tutoris auctoritate, deteriorem vero non aliter quam tutore auctore. 222 Solange der Geschäftspartner seine Leistung noch nicht erbracht hatte, war er gegenüber der Forderung des Mündels - wie bei allen Austauschverträgen - durch ein Zu-
1.9 Klagen gegen den tutor falsus
91
D. 27.6.11 pr., 1, Ulp. 35 ad ed.: Falsus tutor qui in contrahendo auctor [minori duodecim vel quattuordecim annis] 2 2 3 fuerit, tenebitur in factum actione propter dolum malum. (1) Cuiuscumque condicionis fuerit vel sui iuris vel alieni, qui dolo malo auctoritatem accommodavit, tenebitur hoc edicto. Wie bei der ersten Strafklage handelt es sich auch hier um eine ediktal verheißene Grundklage (tenebitur hoc edicto). 224 Was die Frage der Formelkonzeption betrifft, ist auch hier von einer formula in factum concepta auszugehen. A n anderer Stelle w i r d gegen den falsus tutor eine actio utilis gegeben, wobei es sich aber nicht um eine Abwandlung der eben beschriebenen Strafklagen anläßlich der Schädigung eines Dritten handelt. D. 27.6.12, Ulp. 1 resp.: Ex eo, quod interrogatus tutorem se esse respondit, nulla eum actione teneri: si tarnen, cum tutor non esset, responso suo in aliquam captionem adulescentem induxit, utilem actionem adversus eum dandam. I m vorliegenden Fall hatte sich jemand als Vormund ausgegeben, 225 obwohl das angebliche Mündel bereits adulescens, also mündig w a r . 2 2 6 Aus einem solrückbehaltungsrecht geschützt; vgl. Käser, RP I 2 276 13 , 530 20 . Erst durch Antoninus Pius erhielt der Geschäftspartner eine Klage auf Herausgabe der Bereicherung; vgl. Ulp. D. 26.8.1 pr., 5 pr. 223 Hierzu Lenel, EP 3 317 6 , Pal. II 664 1 (Ulp. 1017); Cujaz, Observ. üb. 22, cap. 20 (Opera III 603). Die Beschränkung der Klage auf unmündige Frauen, auf die sich minori duodecim ... annis bezieht (vgl. Inst. 1.22 pr.; C. 5.60.3), kann für das klassische Recht nicht zutreffen, da mündige Frauen auch nach Aufhebung der tutela legitima für bedeutendere Geschäfte der Mitwirkung des tutor Atilianus bedurften; vgl. Gai. 1.190, 192; Ulp. ep. 11.27; hierzu Gröschler, Die tabellae-Urkunden 194 f. 224 Vgl. Lenel, EP 3 317; a.A. De Francisci, Συνάλλαγμα II llOf., der die actio in factum in fr. 11 pr. für eine kompilatorische Anpassung an die in D. 27.6.7 pr. verheißene Klage hält. 225 Es bestehen keine Anhaltspunkte, daß „ interrogatus " hier gerade im Sinne einer interrogatio in iure zu interpretieren ist; vgl. Spengler, Studien 155; Medicus, St. Volterra I (1971) 466. 226 Einen ganz anderen Sachverhalt konstruiert Valino, Actiones utiles 43 f.: Es gehe um eine Klage, die ein adulescens gegen einen Pupill mit falsus tutor erhoben habe und die durch die Litiskontestation konsumiert worden sei. Zugunsten des adulescens habe eine in integrum restitutio ex lege Laetoria stattgefunden, wobei sich allerdings die restituierte Klage nicht mehr gegen den Pupill, sondern gegen den falschen Vormund gerichtet habe. Die actio utilis solle eine Fiktion der Art „como si fuese el tutor verdadero y corno si estuviese él mismo obligado" enthalten haben. Nicht ersichtlich ist bereits, inwiefern die Fiktion „como si fuese el tutor verdadero" die Situation des klagenden adulescens hätte verbessern sollen; wenn man nämlich fingiert, daß der wahre Tutor bei der Litiskontestation seine auctoritas erteilt habe, so ist die Klage erst recht konsumiert bzw. wegen der exceptio rei iudicatae deren erneute Erhebung fruchtlos. Vor allem aber findet die von Valino vorgeschlagene Interpretation in der Quellenstelle keine Stütze. Dafür, daß es sich hier um eine Klage des adulescens gegen einen nicht erwähnten Pupill handeln würde, gibt es keine Anhaltspunkte. Selbst
92
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
chen Verhalten ergab sich grundsätzlich keine Klage des adulescens gegen den falschen Vormund. N u r dann, wenn dem adulescens ein Schaden entstanden war, erhielt er eine actio utilis. Wäre das Scheinmündel nicht adulescens, sondern noch impubes gewesen, so hätte ihm ohne weiteres die actio in eum qui pro tutore negotia gessit, d.h. die sogenannte actio protutelae, zugestanden, die der actio tutelae nachgebildet w a r . 2 2 7 Der Mündige konnte diese Klage nicht anstrengen, weil der Scheintutor hierbei gerade in einer Angelegenheit eines Unmündigen (in re impuberis) tätig werden m u ß t e . 2 2 8 M i t actio utilis war hier eine Abwandlungsklage zur actio protutelae gemeint, die dem adulescens gegen den falschen Vormund gegeben wurde. 10. Klage bei betrügerischem Verkaufeines Scheinsklaven: D. 40.12.22 pr. Für den Fall des betrügerischen Verkaufs eines Scheinsklaven sah das Edikt Schutzmaßnahmen zugunsten des gutgläubigen Käufers vor. Ließ sich ein Freier pretii participandi causa als Sklave verkaufen, d.h. in der Absicht, den Kaufpreis mit dem Verkäufer zu teilen, wurde - sofern der Freie mindestens zwanzig Jahre alt war - vom Prätor die vindicatio in libertatem versagt; 2 2 9 der Käufer konnte den Freien damit wie einen Sklaven behandeln. 2 3 0 Soweit es, insbeson-
wenn man der Sachverhaltsinterpretation Valinos folgen würde, vermag seine Erklärung der Stelle nicht zu überzeugen: Die Erteilung der restituierten Klage als actio utilis nicht gegen das Mündel, sondern gegen den falsus tutor erscheint unsachgemäß. Gegen den falsus tutor gab es ohnehin die ediktale Schadensersatzklage (vgl. Ulp. D. 27.6.7 pr., o. 89); eine Änderung der Passivlegitimation bei der Ausgangsklage im Zuge der in integrum restitutio hätte dem adulescens unnötigerweise den Zugriff auf den Pupill als den primären Schuldner versperrt. 227 Zur Klassizität der Klage vgl. Käser, RP I 2 367 5 1 ; Seiler, Negotiorum gestio 208 ff. 228 Vgl. Ulp. D. 27.5.1.1: Pro tutore autem negotia gerit, qui munere tutoris fungitur in re impuberis, sive se putet tutorem, sive seit non esse, finget tarnen esse. 229 Vgl. Ulp. D. 40.13.1 pr.; Pomp. eod. 3; Sat. D. 40.14.2 pr. Zur Echtheit von ad libertatem proclamare bzw. ad libertatem proclamatio vgl. Käser, SZ 101 (1984) 88 3 9 8 ; Kaser/Hackl, RZ 2 2 1 8 8 8 . Die Verweigerung der vindicatio in libertatem war wohl - wie Ulpians Kommentar in Ulp. D. 40.12.14.1 (hierzu gleich) nahelegt - ebenso wie die Klage gegen den Scheinsklaven im Edikt geregelt, das auf republikanische Zeit zurückgeht (vgl. Ulp./Lab. D. 40.12.22.5); bei den in Pomp. D. 40.13.3 genannten Senatus Consulta und der in Sat. D. 40.14.2 pr. erwähnten Konstitution Hadrians handelt es sich um spätere Ergänzungen. Vgl. Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1117; Zilletti, SDHI 34 (1968) 35 1 3 ; Käser, RP I 2 2 9 2 4 3 f ; Robleda, Il diritto degli schiavi 37; a.A. Mommsen, Rom. Strafrecht 854 5 ; Buckland, Law of Slavery 433; Lenel, EP 3 382; Nicolau, Causa liberal is 275 f. 230 Dabei handelt es sich um eine honorarrechtliche Form der Unfreiheit, die aufgrund der Verweigerung der vindicatio in libertatem entstand; vgl. Perozzi, Istituzioni I 2 236 3 . Paul. D. 40.12.23 pr. (servum efßci eum) bezieht sich nicht auf den Verkauf eines Freien pretii participandi causa, wie die geforderte Gutgläubigkeit des Verkäufers beweist; vgl. Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1117; Nicolau, Causa liberalis 266; Reggi,
1.10 Betrügerischer Verkauf eines Scheinsklaven
93
dere wegen Unterschreitung der Altersgrenze, nicht zu einer solchen Quasi-Versklavung k a m , 2 3 1 wurde dem Käufer gegen den dolos handelnden Freien vom Prätor als Auffangrechtsbehelf eine Strafklage auf das Doppelte des Kaufpreises gegeben. 2 3 2 D. 40.12.14 pr.,1, Ulp. 55 ad ed.: Rectissime praetor calliditati eorum, qui, cum se liberos scirent, dolo malo passi sunt se pro servis venum dari, occurrit. (1) Dedit enim in eos actionem, quae actio totiens locum habet, quotiens non est in ea causa is qui se venire passus est, ut ei ad libertatem proclamatio denegetur. D. 40.12.18pr., Ulp. 55 ad ed.: In tantum ergo tenetur, quantum dedit vel in quantum obligatus est, scilicet in duplum. Die Beschreibung als generell-abstrakter Rechtsbehelf (... totiens locum habet, quotiens ...) sowie der ausfuhrliche Kommentar zur condemnatio in duplum 233 zeigen, daß es sich um eine i m Edikt verheißene Klage handelt. 2 3 4 A n anderer Stelle w i r d die Klage als actio in factum bezeichnet. D. 40.12.22pr., Ulp. 55 ad ed.: Non solum autem emptor, sed et successores eius hac in factum actione agere poterunt.
Liber homo 313; Watson, Law of Persons 166 ff.; Behrends, Sympotica Wieacker (1970) 30 m. 1 0 7 , in: Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung 78 7 6 a ; Robleda, Il diritto degli schiavi 37f.; Käser, Ius gentium 78 3 1 6 (anders noch in RP I 2 292 44 , TR 36 [1968] 432). Erst in der Spätklassik wurde zivile Unfreiheit im Sinne einer capitis deminutio angenommen: Marci. D. 1.5.5.1; Mod. eod. 21; vgl. auch Inst. 1.16.1 gegenüber Gai. 1.160. Hierzu Zilletti, SDHI 34 (1968) 36 m. 1 4 ; Käser, Ius gentium 78 3 1 6 , SZ 101 (1984) 88 4 0 2 ; RP I 2 292 4 6 ; für eine Interpolation von fr. 5.1 und 21 dagegen Robleda 36f. m . 1 4 9 231 Die vindicatio in libertatem wurde auch dann nicht verweigert, wenn der Scheinsklave den Anteil am Kaufpreis nicht erhalten hat; vgl. Ulp. D. 40.13.1 pr. Darüber hinaus waren wohl auch die Fälle gemeint, in denen der Freie zwar bösgläubig war, jedoch nicht pretiiparticipandi causa handelte; vgl. Buckland, Law of Slavery 433. 232 Zur Pönalität Mod. D. 40.12.21 pr.; Ulp. eod. 22.6. Die prätorische Strafklage richtete sich nur gegen den Freien, der sich pretii participandi causa verkaufen ließ, nicht auch gegen den Verkäufer; a.A. Käser, RP I 2 292; Zilletti, SDHI 34 (1968) 35 1 3 . Mit der actio in duplum gegen den Verkäufer, die in Ulp. eod. 20.4 i.f. erwähnt wird (vgl. auch Mod. eod. 21 pr., 1), ist die Eviktionsklage gemeint, wie sich aus dem Hinweis auf die stipulatio duplae ergibt: ... et praeterea in venditorem vel eum, qui duplam promisit, in duplum actio est; nach klassischen Recht wurde der Verkäufer, falls der Abschluß der stipulatio duplae unterlassen worden war, im Rahmen der actio empti auf das duplum verurteilt (vgl. Paul. sent. 2.17.2; hierzu Käser, RP I 2 556 29 ; Kunkel/Honsell, Rom. Recht4 313 21 ). 233 Vgl. Ulp./Paul./Mod. D. 40.12.18-21. 234 So ausdrücklich Mod. D. 40.12.21.1: Actionem , quae ex hoc edicto oritur, ... Vgl. Lenel, EP 3 387 5 ; Käser, RP I 2 292 45 .
94
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
Die Klage war also zwar aktiv, dagegen - ebenso wie alle anderen Strafklagen - wohl nicht passiv vererblich. 235 Die aktive Vererblichkeit der Klage stand nicht in Verbindung mit der Frage der Formelkonzeption. Nur ausnahmsweise, bei den sogenannten actiones vindictam spirantes, war die aktive Vererblichkeit ausgeschlossen;236 dazu zählen Pönalklagen, bei denen nicht die Schädigung des Vermögens, sondern die Verletzung der Person im Vordergrund stand. 237 Der Ausdruck hac in factum actione kann daher nicht als Hinweis auf eine formula in factum concepta aufgefaßt werden, sondern steht wohl als Synonym für die Klage aus prätorischem Delikt. 2 3 8 Dem steht nicht entgegen, daß es durchaus wahrscheinlich ist, daß die Klage eine in factum konzipierte Formel besaß, die auf das dolose Sich-Verkaufenlassen des Scheinsklaven abstellte. 11. Strafklagen im Zusammenhang mit der missio in possessionem Die missio in possessionem diente der Einweisung in den Besitz 2 3 9 des Schuldnervermögens (missio in bona),240 einer Erbschaft (missio legatorum servandorum causa und missio ventris nomine) oder auch - bei der missio wegen Unterlassung der cautio damni infecti - eines einzelnen Gegenstands;241 sie erfolgte auf Antrag des Einzuweisenden durch Dekret des Prätors bzw. des Statthalters. 242 Durch die missio in bona wurde die Vollstreckung in das Vermögen des Schuldners eingeleitet, wobei der Gläubiger zur Sicherung der Vollstrekkung (rei servandae causa) die tatsächliche Sachherrschaft über die Vermögensgegenstände des Schuldners erhielt. 243 Zur missio legatorum servandorum causa kam es, wenn der mit einem befristeten oder bedingten Damnationslegat belastete Erbe keine Sicherheit (cautio legatorum servandorum causa) leistete. 244 Durch die missio ventris nomine wurde der zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits gezeugte, aber noch nicht geborene Erbe in den Besitz der Erbschaft eingewie-
235 Vgl. Blanch Nougués, La intransmisibilidad 118. Zur aktiven bzw. passiven Vererblichkeit siehe Käser, RP I 2 612. 236 Vgl. Käser, RP I 2 612. 237 Zur actio iniuriarum als Beispiel für eine solche auch aktiv unvererbliche Pönalklage vgl. Gai. 4.112. Hierzu Hagemann, Iniuria 239 f. 238 Vgl. auch Ulp. D. 2.7.5.3 (o. 51), 27.6.9.1 (o. 89f.), 44.7.25.1 (o. 46f.), 47.8. 4.11 (u. 106). 239 Der Eingewiesene erhielt grundsätzlich nicht die zivile possessio, sondern nur die tatsächliche Sachherrschaft (detentiof vgl. Pomp. D. 42.4.12; Ulp. D. 43.17.3.8. Zur missio wegen Unterlassung der cautio damni infecti vgl. u. 2 4 7 240 Zum Begriff der missio in bona vgl. Betancourt, AHDE 52 (1982) 3 82 ff. 241 Vgl. Ulp. D. 42.4.1. 242 Vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 427ff. 243 Vgl. Gai. 3.79. 244 Vgl. Ulp. D. 36.4.5 pr.ff.; hierzu Käser, RP I 2 743 f.
1.11 Strafklagen bei der missio in possessionem
95
sen. 2 4 5 Schließlich fand eine Einweisung in den Besitz des Nachbargrundstücks statt, wenn der Nachbar trotz drohenden Schadens - insbesondere aufgrund der Baufalligkeit des Nachbargebäudes 2 4 6 - die cautio damni infecti verweigerte; 2 4 7 der Betroffene konnte aufgrund der Einweisung die erforderlichen Sicherungsarbeiten selbst veranlassen. a) Strafklage gegen den in den Besitz eingewiesenen D. 42.5.9 pr.
Gläubiger:
Neben sachverfolgenden Klagen, die das Verhältnis zwischen dem Schuldner und dem durch missio in bona eingewiesenen Gläubiger regelten, 2 4 8 verhieß der Prätor mit den Worten „ iudicium in factum dabo " eine Strafklage gegen den eingewiesenen Gläubiger, der vorsätzlich das Schuldnervermögen verminderte (sive dolo malo ... diceturj. 249 D. 42.5.9pr., Ulp. 62 ad ed. : Praetor ait: 'Si quis, cum in possessione bonorum esset, quod eo nomine fructus ceperit, ei, ad quem ea res pertinet, non restituat: sive, quod impensae sine dolo malo fecerit, ei non praestabitur: sive dolo malo eius deterior causa possessionis facta esse dicetur, de ea re iudicium in factum dabo.'
245 Da es sich bei der missio ventris nomine um ein Institut des prätorischen Rechts handelt, war - trotz Ulp. D. 37.9.1.2: inter suos heredes - nicht Voraussetzung, daß es sich um einen postumus suus handelte (so aber die h.M., vgl. Käser, RP I 2 699 2 0 ; Käser/ Hackl, RZ 2 428; Weiss, RE 15.2 [1932], s.v. missio in possessionem [10], 2061); es war ausreichend, wenn der nasciturus der Klasse unde liberi angehörte (vgl. Ulp. D. 40.4. 13.3 i.f.: ... edictum praetoris, quo ita cavetur 'ventrem cum liberis in possessionem esse iubebo '... ; Ulp./Iul. D. 37.9.1.11 im Hinblick auf einen postumus, der vor der Emanzipation des Erblassers gezeugt wurde und daher von vornherein nicht dessen suus werden konnte). Später wurden grundsätzlich in allen Klassen nascituri zugelassen (vgl. Ulp. D. 37.9.7 pr.,1; Paul. eod. 10); hierzu Meinhart, SZ 82 (1965) 200ff. Zur Wahrnehmung der Rechte des nasciturus wurde üblicherweise ein curator ventris bestellt; vgl. Mod. D. 26.5.20 pr.; Ulp. D. 27.10.8, 37.9.1.17. 246 Neben dem Vitium aedium konnte für den drohenden Schaden auch ein Vitium operis oder loci verantwortlich sein; vgl. Branca, Danno temuto 105ff.; Rainer, Bestimmungen 97 f f , 102 f f , 117ff. Zum Begriff des Vitium im Sinn von 'schädigende Eigenschaft einer Sache' vgl. Simshäuser, SZ 110 (1993) 715; Heumann/Seckel, Handlexikon 9 , s.v. vitium (lc), 630. 247 Vgl. Ulp. D. 39.2.7 pr. Zunächst erhielt der Betroffene aufgrund eines ersten Dekrets die tatsächliche Sachherrschaft am Grundstück; bei Vorliegen einer iusta causa kam es zu einem zweiten Dekret, worin der Prätor dem Betroffenen den Ersitzungsbesitz am Grundstück übertrug; hierzu u. 169 2 6 1 f . 248 Hierzu u. 164 ff. 249 Vgl. Lenel, EP3 424; a.A. Krüger ad h.l., der in factum für ein Glossem hält. Aus der Wortstellung iudicium in factum (statt in factum iudicium; vgl. Ulp. D. 9.3.5.6, 43.4. 1 pr., 47.12.3 pr.) läßt sich entgegen De Francisci, Συνάλλαγμα II 128, kein Indiz für eine Interpolation ableiten.
96
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
M i t ei ad quem ea res pertinet war der Schuldner bzw. der zur Verwertung des Vermögens eingesetzte curator g e m e i n t . 2 5 0 Ob über die Verheißung der Klage hinaus auch die Klagformel im Edikt proponiert war, läßt sich nicht sicher feststellen. 2 5 1 Aus der Beschreibung der Klage mit ihren einzelnen Voraussetzungen ist aber ohne weiteres ersichtlich, daß es sich bei der Klagformel um eine formula in factum concepta gehandelt haben muß; ein ausdrücklicher Hinweis hierauf ist daher im Rahmen des Verheißungsedikts nicht zu erwarten. Die Ediktsworte „ iudicium in factum dabo " sind damit nicht auf die Formelkonzeption zu beziehen, sondern als Bezeichnung der ediktalen Grundklage als solcher zu verstehen. 2 5 2 Die auf dolus malus beruhende Klage w i r d als Strafklage, die zugleich sachverfolgende Funktion hatte, bezeichnet und zielte somit w o h l auf die Leistung von Schadensersatz ab. Gegen den Erben des eingewiesenen Gläubigers wurde die Klage auf die Bereicherung beschränkt. 2 5 3 D. 42.5.9.8, Ulp. 62 ad ed. : Si possessionis causa deterior facta esse dicetur dolo eius, qui in possessionem missus sit, actio in eum ex dolo datur, quae neque post annum neque in heredes ceterosque successores 254 dabitur, cum ex delicto oriatur et poenaeque nomine concipiatur, D. 42.5.10, Paul. 59 ad ed. : nisi quatenus ad eum pervenit. D. 42.5.11, Ulp. 62 ad ed.: 255 Heredi autem dabitur, quia et rei continet persecutionem. Da mit den Ediktsworten „sive dolo malo eius deterior
causa possessionis
facta esse dicetur " die Voraussetzungen der actio in factum
in genere 11-abstrak-
250 Vgl. Ulp. D. 42.5.9.3: His verbis 'ad quem ea res pertinet ' etiam curator bonis distrahendis datus continebitur et ipse debitor, si contigerit, ne bona eius veneant. (...) 251 In D. 42.5.9.2 (Quod ait praetor 'sive quod impensae nomine sine dolo fecit, ei non praestabitur', hoc eo spectat, ut ...) kommentiert Ulpian ebenso wie in fr. 9.3 (o. 2 5 0 ) das Verheißungsedikt, nicht die Klagformel. 252 Vgl. Ulp. D. 9.3.5.6 (in factum iudicium daboλ ο. 82. 253 Vgl. Levy, Privatstrafe 92 3 , 94 1 ; für eine Interpolation des fr. 10 dagegen Blanch Nougués, La intransmisibilidad 176 f., 326. 254 Zur Echtheit von ceterosque successores siehe ο. 89 2 1 5 . 255 Ankum, BIDR 85 (1982) 27, hält fr. 11 für interpoliert. Ein Widerspruch zu fr. 9.8, in dem es nicht um die aktive, sondern nur um die passive Vererblichkeit geht, läßt sich allerdings nicht feststellen. Auch wenn die aktive Vererblichkeit selbst bei reinen Strafklagen nur ausnahmsweise ausgeschlossen war (siehe o. 94), kann die vereinzelte Ableitung der aktiven Vererblichkeit aus der zugleich sachverfolgenden Funktion einer Klage nicht generell als unecht angesehen werden. Es handelt sich vielmehr um ein zulässiges Argument 'a fortiori \ weil jedenfalls alle sachverfolgenden Klagen auch aktiv vererblich waren; vgl. Levy, Privatstrafe 3 5 ; a.A. Lübtow, SZ 52 (1932) 334 ff. (337); Voci, SDHI 64(1998) 43.
1.11 Strafklagen bei der missio in possessionem
97
ter Weise festgelegt waren, gab es kein Bedürfnis, die Klagformel an den jeweiligen Einzelfall anzupassen.256 b) Strafklage
bei Behinderung des in den Besitz eines Vermögens Eingewiesenen: D. 43.4.1 pr., 2
Eine eigenständige gemischte Strafklage 257 erhielt der in den Besitz eines Vermögens Eingewiesene, wenn er an der Ausübung der tatsächlichen Sachherrschaft gehindert wurde; 258 die Klage war hier wieder mit den Worten „ in factum iudicium ... dabo " verheißen. D. 43.4.1 pr.-2, Ulp. [72] ad ed.: Ait praetor: 'Si quis dolo malo fecerit, quo minus quis permissu meo eiusve, cuius ea iurisdictio fuit, in possessione[m] 259 bonorum sit, in eum in factum iudicium, quanti ea res [fuit] , 2 6 0 ob quam in possessionem missus erit, dabo.' (1) Hoc edictum summa Providentia praetor proposuit: frustra enim in possessionem mitteret rei servandae causa, nisi missos tueretur et prohibentes venire in possessionem coerceret. (2) Est autem generale hoc edictum: pertinet enim ad omnes, qui in possessionem a praetore missi sunt: convenit enim praetori omnes, quos ipse in possessionem misit, tueri. sed sive rei servandae causa sive legato rum aut ventris nomine in possessionem missi fuerint, habent ex hoc edicto in factum actionem, sive [doli] sive aliter [prohibuerint] . 261
256
A.A. Käser, SZ 101 (1984) 100 m. 4 5 6 Zum gemischt-pönalen Charakter der Klage siehe u. 103. 258 Trotz der auf ein Interdikt zugeschnittenen Rubrik von D. 43.4 ('Ne vis fìat ei, qui in possessionem missus erit ') handelt es sich in fr. 4.1 pr. um eine von dem auf vis zugeschnittenen Interdikt zu unterscheidende Klage; siehe Ulp. D. 43.4.1.3: nec exigitur, ut vi fecerit qui prohibuit (u. 99); vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 393 49 ; im Ergebnis auch X.dOrs, El interdicto fraudatorio 98 f. 259 Vulg.; vgl. Haloander ad h.l. (Ed. Kriegel 1843). 260 Vgl. Ulp. D. 43.4.1.5: Haec verba 'quanti ea res erit, ob quam in possessionem missus erit' ...; Paul. D. 43.4.2 pr. (haec enim verba ' quanti ea res est' ...), 42.4.14 pr. Hierzu Lenel, EP3 424 1 5 ; Käser, Quanti 199 49 ; Medicus, Id quod interest272f.; X.d'Ors, El interdicto fraudatorio 97 2 ; Betancourt, AHDE 52 (1982) 455 1 9 4 . 261 Vgl. Betancourt, AHDE 52 (1982) 466 2 1 4 f., unter Berufung auf Bas. 51.5.1 (Scheit. A V I 2414; Heimb. V 100): ε'ίτε δόλω εϊτε άλλως κωλυθώσιν; Subjekt des Satzes sind die in den Besitz Eingewiesenen. Von anderen wird vorgeschlagen, den letzten Teilsatz durch sive domini sive alii prohibuerint zu rekonstruieren; vgl. Mommsen ad h.l.; ähnlich bereits die Glosse (ad h.l.); Cujaz, Komm, ad D. 42.4.14 (Opera V 904). Schmidt, Interdiktenverfahren 308 27 , will doli durch adversarii vi auflösen. Lenel, Pal. II 790 4 (Ulp. 1418), glaubt an einen Abschreibefehler oder eine Interpolation; vgl. auch Ubbelohde, Glücks Pandekten 43/44 III 1946. De Francisci, Συνάλλαγμα II 115 f., hält den letzten Satz aus formalen Gründen für eine tribonianische Ergänzung. Jedoch ist weder die Konjunktion sed noch die Aufzählung sive ... sive ... aut verdächtig. Sed kann in abgeschwächter Bedeutung - im Sinne von et, atque - zur bloßen Fortsetzung eines Gedankens dienen, ohne einen Gegensatz auszudrücken; im Gebrauch von sive, aut, vel wird zum Teil bereits in der silbernen Latinität kein Unterschied mehr gemacht. Vgl. Kühner/Stegmann, Lat. Grammatik II 2, 76 f., 439. 257
98
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
Ob auch die Klagformel im Edikt proponiert war, läßt sich - ebenso wie in Ulp. D. 42.5.9 p r . 2 6 2 - nicht sicher feststellen. 2 6 3 Aus der Beschreibung der Klage mit ihren einzelnen Tatbestandsmerkmalen ist aber auch hier die Formelkonzeption in factum unmittelbar abzuleiten, so daß ein ausdrücklicher Hinweis darauf nicht zu erwarten ist. Die Ediktsworte „ in factum iudicium ... dabo " sind damit als Bezeichnung der ediktalen Grundklage als solcher zu verstehen. 2 6 4 Ulpian kommentiert, wie § 1 z e i g t , 2 6 5 in erster Linie die missio rei servandae causa, weshalb die Stelle dem 62. Buch von Ulpians Ediktskommentar, in dem es um die Vollstreckung geht, zuzuordnen i s t . 2 6 6 Der im Edikt verwendete Ausdruck in possessione bonorum ist aber nicht hierauf beschränkt, sondern bezieht sich auf jedwede Einweisung in ein Vermögen, also auch auf die missio legatorum servandorum causa und ventris nomine , 2 6 7 Nichts deutet daher daraufhin,
Folgt man den Basiliken, stellt sich die - von Betancourt nicht beantwortete - Frage, wie sive aliter zu interpretieren ist. Bereits im Hinblick auf den pönalen Charakter der actio in factum (vgl. Ulp. D. 43.4.1.8; u. 103) erscheint es ausgeschlossen, sive aliter auf bloße äußere Hindernisse zu beziehen, die nicht auf einem vorwerfbaren Verhalten des Gegners beruhen; vgl. dagegen Ulp. D. 43.4.4.4, wo es um die Ausweitung der sachverfolgenden actio in factum geht, die für den Fall der verweigerten cautio damni infecti vorgesehen war (hierzu u. 178). Die Anwendung der in D. 43.4.1 pr. beschriebenen actio in factum auf eine nichtdolose, aber immerhin schuldhafte Hinderung widerspricht dem von Ulpian wiedergegebenen Wortlaut des Edikts: 'Si quis dolo malo fecerit ... '; zum Erfordernis des dolus vgl. auch Ulp. eod. 1.6. Vorstellbar ist dagegen, daß sive aliter im Vergleich zu sive dolo keine Abschwächung darstellt, sondern im Gegenteil auf die Anwendung von vis, d.h. die gewaltsame Hinderung des Eingewiesenen, abzielt; die Anwendung von vis war für die actio in factum zwar nicht erforderlich, wohl aber hinreichend (vgl. Ulp. eod. 1.3, o. 2 5 8 ). Mit sive dolo wäre dann die ausschließlich auf dolus, nicht zugleich auf vis beruhende Hinderung gemeint. 262 Siehe o. 95. 263 In Ulp. D. 43.4.1.5, Paul. eod. 2 pr. (o. 2 6 0 ) wird das Verheißungsedikt und nicht die Klagformel kommentiert. 264 Vgl. auch Ulp. D. 9.3.5.6 (in factum iudicium dabo), o. 82. 265 Ebenso § 5 (u. 103 2 9 9 ) . 266 Vgl. Lenel, EP3 424 11 , der auf die Parallele zu Paul. 59 ad ed., D. 43.4.2, hinweist. 267 Vgl. zur missio legatorum servandorum causa: Ulp. D. 36.3.1.2; Call. D. 36.4. 13; zur missio ventris nomine: Paul. D. 37.9.10; Ulp. D. 25.6.1.1, 38.15.2.4. Die Quellen verwenden sowohl für die vom Prätor durch missio in possessionem erteilte Sachherrschaft als auch für die umfassende Rechtsstellung des prätorischen Erben den Begriff der bonorum possessio; vgl. Ulp. D. 36.3.1.2: Nec sine ratione hoc praetori visum est, sicuti heres incumbit possessioni bonorum, ita legatarios quoque carere non debere bonis defuncti : sed aut satisdabitur eis aut, si satis non datur, in possessionem bonorum venire praetor voluit. Die bonorum possessio des in den Besitz Eingewiesenen unterscheidet sich von derjenigen kraft prätorischen Erbrechts darin, daß erstere nur zu einer vorübergehenden Sachherrschaft berechtigt, letztere dagegen eine dauerhafte und umfassende Rechtsstellung erzeugt: Nach Ulp. D. 36.4.5 pr. haben Erbe und Eingewiesener zwar gemeinsam die Sachherrschaft inne (simul cum eo possidere iubeturj; dem Eingewiesenen kommt aber - im Gegensatz zum Erben - keine Eigentümerstellung zu (nunquam pro domino esse incipit). Zur kontrovers diskutierten Frage des Verhältnisses von
1.11 Strafklagen bei der missio in possessionem
99
daß der inhaltlich zutreffende Hinweis auf die Generalität des Edikts in § 2 nicht von Ulpian stamme, sondern eine kompilatorische Erweiterung der actio in factum auf die missio ventris nomine und legatorum servandorum causa darstelle. 268 Ausgeschlossen von der in fr. 1 pr. beschriebenen actio in factum war nur der Fall der missio damni infecti causa, die sich nicht auf ein Vermögen als ganzes, sondern auf einen einzelnen Vermögensgegenstand bezog; hierfür war eine spezielle Klage im Edikt verheißen. 269 Lenel nimmt dagegen an, daß im klassischen Recht die actio in factum nur für die missio rei servandae causa gegolten habe, während bei der missio ventris nomine und legatorum servandorum causa der Schutz des Eingewiesenen durch Interdikte gewährleistet worden sei. 270 In der Tat sind Interdikte zwar für die missio ventris nomine und legatorum servandorum causa, nicht aber für die missio rei servandae causa bezeugt, 271 woraus jedoch nicht zwingend geschlossen werden kann, daß es für die missio rei servandae causa kein Interdikt gab. Zu den hier interessierenden Interdikten ist nur wenig überliefert; 272 zur Zeit der justinianischen Kompilation handelte es sich beim Interdiktenschutz nicht mehr um eine eigenständige Kategorie, 273 weshalb Hinweise zu Interdikten nur vereinzelt erhalten sind. Immerhin deutet folgende Stelle auf ein Nebeneinander von Interdikt und actio in factum hin. D. 43.4.1.3, Ulp. [72] 274 ad ed.: Haec actio non tantum eum tenet, qui prohibuit quem venire in possessionem, sed etiam eum, qui possessione pulsus est, cum venisset in possessionem: nec exigitur, ut vi fecerit qui prohibuit. missio in possessionem und bonorum possessio siehe Betancourt. AHDE 52 (1982) 3 8 0 2 0 f., 396 6 0 ff.; Stiegler, St. Volterra IV (1971) 245 4 8 f. (jeweils m.w.N.). Ein ähnliches Problem stellt sich bei der vorläufigen bonorum possessio aufgrund des edictum Carbonianum zugunsten des Unmündigen, dessen Kindesstatus bestritten wird; vgl. Käser, RP I 2 699 21 ; Stiegler, Statusstreit und Kindeserbrecht 117 ff. 268 So aber Lenel, Pal. II 7903 (Ulp. 1418); Solazzi, Il concorso I 25 f.; Wesener, SZ 75 (1958) 233f.; zweifelnd X.dOrs, El interdicto fraudatorio 101 f. m. 1 8 . Gegen Lenel bereits Ubbelohde, Glücks Pandekten 43/44 III 194 f. Auch Betancourt, AHDE 52 (1982) 466, sieht in fr. 1.2 einen Beleg für die generelle Anwendbarkeit der actio in factum; anders noch in AHDE 45 (1975) 55, wo Betancourt die Stelle auf das Interdikt bezieht. 269 Hierzu u. 168 ff. Zur Verschiedenheit der actio in factum für den Fall der missio damni infecti causa von der in D. 43.4.1 pr. genannten actio in factum vgl. Burckhard, Glücks Pandekten 39/40 II 575, 584ff; Schmidt, Interdiktenverfahren 195; Betancourt, AHDE 52 (1982) 434 ff. (443), 469, 479 f. 270 Vgl. Lenel, Pal. II 7903 (Ulp. 1418); EP 3 455 (§§ 230 f.), 469 (§ 246); ebenso Berger, RE 9.2 (1916), s.v. interdictum (Nr. 38-40), 1656f.; Solazzi, Il concorso I 159f. 271 Vgl. Ulp. D. 43.4.3.2, 36.4.5.27 (Lenel, EP 3 455). Auch für die missio damni infecti causa gab es einen Interdiktenschutz: Ulp. D. 43.4.4 pr. (Lenel, EP3 469). 272 Vgl. Berger, RE 9.2 (1916), s.v. interdictum (Nr. 38-40), 1657; SZ 36 (1915) 215 f. 273 Vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 637f. 274 Vgl. o . 2 6 6
100
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
Die Stelle ist leicht beschädigt, gibt jedoch im Kern den klassischen Rechtszustand w i e d e r : 2 7 5 M i t „tenet ... etiam eum, qui possessione pulsus est, cum venisset in possessionem " ist gemeint, daß die actio in factum auch bei einer nachträglichen Entsetzung angestrengt werden k o n n t e . 2 7 6 Die besondere Feststellung, daß für die actio in factum keine vis erforderlich war, deutet auf eine Abgrenzung gegenüber dem Interdiktenschutz h i n . 2 7 7 Während das Interdikt an das Vorliegen von vis anknüpfte, 2 7 8 genügte für die actio in factum das Vorliegen von dolus? 19 Da sich Ulpian in D. 43.4.1 in erster Linie auf die missio rei servandae causa bezog, muß die Gegenüberstellung von Interdikt und actio in factum auch hierfür Gültigkeit gehabt haben. Damit ist wahrscheinlich, daß auch dem durch missio rei servandae causa Eingewiesenen ein Interdikt gegen die Anwendung von vis zur Verfügung stand. 2 8 0 Vermutlich gab es für sämtliche Fälle der missio in possessionem ein einheitliches Interdikt (ne vis fiat ei qui in possessionem missus erit'. m Einen weiteren Beleg für das Nebeneinander von Interdikt und actio in factum bietet D. 43.4.3.2, Ulp. 68 ad ed. : Praetor ventrem in possessionem mittit, et hoc interdictum prohibitorium et restitutorium est. 2 8 2 sed si mulier velit in factum actione uti ad exemplum creditorum magis quam interdicto, posse earn experiri sciendum est.
275 Vgl. Betancourt, AHDE 52 (1982) 467 2 1 5 f. Dagegen hält X.d'Ors, El interdicto fraudatorio 98 7 , den Schluß „nec exigitur ... " für interpoliert. 276 Vgl. Bas. 51.5.1 (Scheit. A V I 2414; Heimb. V 100): Ε ν ά γ ε τ α ι δέ κ α ι ό κωλύων καί ό έξωθών, καν μή βίαν έποίησε, ... Mommsen (ad h.l.) rekonstruiert: non tantum [eum] tenet quis prohibuit quem venire in possessionem, sed etiam [eum] qui possessione pulsus est; X.dOrs, El interdicto fraudatorio 98 7 : sed etiam eum qui possessione pulsus est. 277 So auch Schmidt, Interdiktenverfahren 308. 278 Vgl. D. 43.4 rubr.; Ulp. eod. 4 pr. 279 Vgl. Ulp. D. 43.4.1 pr.,2,6. 280 Zum selben Ergebnis kommt Betancourt, AHDE 52 (1982) 497 ff., der sich allerdings auf Interpolationsvermutungen zu Ulp. D. 43.4.4.4 stützt (498 2 7 6 mit 441 f.); hierzu u. 178 m . 3 0 2 281 Vgl. Betancourt, AHDE 52 (1982) 422 ff. (427); Schmidt, Interdikten verfahren 307 2 5 ; Burckhard, Glücks Pandekten 39/40 II 582 2 9 ; für die missio ventris nomine, legatorum servandorum causa und damni infecti causa auch X.dOrs, El interdicto fraudatorio 76 6 , 102. 282 Die prohibitorische Fassung des Interdikts zum Schutz des in den Besitz Eingewiesenen ergibt sich aus D. 43.4 rubr.: ne vis fìat ei, ... ; Ulp. eod. 4 pr.: ... ne ei vis fìat ; vgl. Schmidt, Interdiktenverfahren 67 f. 5 2 ; Berger, SZ 36 (1915) 213 4 , RE 9.2 (1916), s.v. interdictum (Nr. 38-40), 1657; Lenel, EP 3 455 6 . Ob es daneben auch eine - nicht überlieferte - restitutori sehe Fassung gab, ist fraglich. Von einigen wird die Existenz von Interdikten, die zugleich prohibitorisch und restitutorisch waren (sogenannte interdicta mixta), als unklassisch abgelehnt und in fr. 3.2 eine Interpolation von et restituto-
1.11 Strafklagen bei der missio in possessionem
101
Die Mutter hatte bei der missio ventris nomine die Wahl, ob sie im Rahmen des Interdiktenverfahrens oder mit der actio in factum vorgehen wollte. 2 8 3 Bei der actio in factum handelt es sich um die in D. 43.4.1 pr. beschriebene Klage, die sich aufgrund ihrer allgemeinen Verheißung zugunsten der in den Besitz Eingewiesenen auch auf die missio ventris nomine bezog, und wohl nicht - wie ad exemplum creditorum in fr. 3.2 glauben machen könnte - um eine Abwand-
rium angenommen; vgl. Berger, SZ 36 (1915) 212ff.; Betancourt, AHDE 45 (1975) 57, AHDE 52 (1982) 488, 491; Kaser/Hackl, RZ 2 420 35 . Andere vertreten die Ansicht, daß et restitutorium nicht im technischen Sinn zu verstehen sei; gemeint sei nur, daß sich mit dem prohibitorischen Interdikt im Ergebnis auch eine Restitution verwirklichen ließ; vgl. Schmidt 68f.; Burckhard, Glücks Pandekten 39/40 II 577f.; Ubbelohde, ib. 43/44 III 214. Zutreffend ist, daß der Eingewiesene, dem die tatsächliche Sachherrschaft nachträglich entzogen worden war, auch im Rahmen eines prohibitorischen Interdikts nicht völlig schutzlos gestellt war (a.A. Berger, SZ 36 [1915] 213 f.; Betancourt, AHDE 52 [1982] 491). Das Einweisungsdekret des Prätors behielt nämlich auch nach Entziehung der Sachherrschaft seine Gültigkeit, so daß der Eingewiesene, wenn ihm die erneute Inbesitznahme gewaltsam verweigert wurde, ohne weiteres mit dem prohibitorischen Interdikt vorgehen konnte. Seit Einfuhrung des iudicium Cascellianum sive secutorium, vermutlich im 1. Jh. v. Chr., wurde dem Gegner im Streitverfahren aus prohibitorischen Interdikten die Herstellung des dem jeweiligen Interdikt entsprechenden Zustands aufgegeben; kam der Gegner dem nicht nach, wurde er zum Schadensersatz verurteilt (vgl. Gai. 4.166 a, 169; hierzu Kaser/Hackl, RZ 2 418 m. 1 6 ). Allerdings weist Liebs, Index 1 (1970) 147 f., zu Recht daraufhin, daß prohibitorische Interdikte gegenüber restitutorischen durchaus eine Schutzlücke aufweisen: Der Ersatz von Schäden, die vor Erlaß des Interdikts eingetreten sind, kann nur mit Hilfe eines restitutorischen Interdikts erreicht werden. Im Fall der missio ventris nomine ist die Entziehung der Sachherrschaft mit der besonderen Gefahr einer zwischenzeitlichen Verminderung des Nachlasses durch den Gegner verbunden, so daß ein Schutzbedürfnis des in den Besitz eingewiesenen, noch nicht geborenen Erben auf der Hand liegt. Es ist daher durchaus glaubhaft, daß Ulpian in fr. 3.2 den Rechtsschutz des noch nicht Geborenen durch eine restitutori sehe Erweiterung des Interdikts vervollständigt hat. Vgl. Liebs 148, der allerdings nur auf - allenfalls erhöhte - „Aufwendungen für anderweitige Alimentation" abstellt. 283 Vgl. Burckhard, Glücks Pandekten 39/40 II 582; Ubbelohde, ib. 43/44 I 399. Dagegen meint Betancourt, AHDE 52 (1982) 488 2 4 5 a.E., daß der zweite Teil der Stelle von den Kompilatoren verändert worden sei. Nicht die Mutter, sondern der curator ventris sei sowohl im Hinblick auf das Interdikt als auch auf die actio in factum aktivlegitimiert; vgl. Betancourt 487 2 4 4 f. Hiergegen ist einzuwenden, daß die missio in possessionem der Leibesfrucht gerade dadurch bewerkstelligt wurde, daß die Mutter 4 im Namen der Leibesfrucht' (ventris nomine) eingewiesen wurde und nicht etwa der curator ventris; vgl. Macer D. 1.21.4.1: ventris nomine in possessionem mulier ... mittatur. Auf diese Weise erklärt sich auch, daß die Quellen teils von der Einweisung der Leibesfrucht, teils von der Einweisung der Mutter 4 im Namen der Leibesfrucht' sprechen (vgl. die Nachw. bei Betancourt 4 2 6 1 3 1 J 3 2 f . , der allerdings von einer - aus den Quellen nicht hervorgehenden - zeitlichen Abstufung der Terminologie ausgeht). Die Beschränkung der Aktivlegitimation auf den curator ventris ist auch deshalb abzulehnen, weil dessen Bestellung nicht zwingend war, sondern auf Antrag der Mutter erfolgte; vgl. Ulp. D. 37.9.1.17: Quotiens autem venter in possessionem mittitur, solet mulier curatorem ventri petere, ...
102
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
lungsklage. 284 Der Ausdruck ad exemplum er editor um hat hier vermutlich keinen formeltechnischen Sinn, sondern besagt nur, daß die in den Besitz eingewiesene Frau in gleicher Weise wie die Gläubiger im Zuge der missio rei servandae causa die im Edikt verheißene Klage, die in erster Linie für den letzteren Fall entwickelt worden war, 2 8 5 anstrengen kann. Betancourt will Interdikt und actio in factum wie folgt abgrenzen: 286 Während bei der Einweisung in den Besitz beweglicher Sachen die actio in factum statthaft sei, beziehe sich das Interdikt auf unbewegliche Sachen. Die Unterscheidung sei daraus abzuleiten, daß die in D. 43.4.1 pr. beschriebene actio in factum nur für die missio rei servandae bzw. legatorum servandorum causa sowie für die missio ventris nomine zur Verfügung stand, also in Fällen, in denen sich die Einweisung auch auf bewegliche Sachen beziehen konnte, nicht aber für die auf Grundstücke beschränkte missio damni infecti causa, 287 Die vorgeschlagene Abgrenzung widerspricht aber der eben behandelten Stelle D. 43.4. 3.2, wonach für die Frau ein Wahlrecht zwischen Interdikt und actio in factum bestand. 288 Außerdem ergibt sich weder aus der Beschreibung der actio in factum in D. 43.4.1 pr. noch aus den Stellen, die das Interdikt betreffen, ein Hinweis zugunsten der von Betancourt entwickelten These. 289 Für die alternative Anwendbarkeit von Interdikt und actio in factum bestand auch ein rechtliches Bedürfnis. Zum einen unterscheiden sich die beiden Rechtsbehelfe darin, daß sich das Interdikt nur gegen vis richtet, für die actio in factum dagegen dolus ausreicht. 290 Zum anderen haben Interdikt und actio in factum verschiedene Funktionen: Das Interdikt verbietet dem Gegner die Besitzwehr und verschafft damit dem Eingewiesenen die Möglichkeit, sich - notfalls im Wege der Selbsthilfe - die tatsächliche Sachherrschaft zu verschaffen; 291 unmittelbares Ziel des Interdikt ist also die tatsächliche Verwirklichung des prätorischen Einweisungsdekrets. 292 Dagegen führt die actio in factum zu einem Schadensausgleich und 284
A.A. X.d'Ors, El interdicto fraudatorio 99. Vgl. Schmidt, Interdiktenverfahren 308 26 . Siehe auch o . 2 6 6 286 Betancourt, AHDE 52 (1982) 445 ff. 287 Zu der speziellen Klage für den Fall der missio damni infecti causa siehe u. 168 ff. 288 Zur Echtheit der Stelle vgl. o. 2 8 3 289 Die allgemeine Fassung der actio in factum nach dem Edikt (vgl. Ulp. D. 43.4. 1 pr.) erkennt auch Betancourt 453 f. an. Der Hinweis in Ulp. D. 43.17.3.8, daß die eingewiesenen Gläubiger nicht wirklich Besitzer waren und daher nicht das interdictum uti possidetis anstrengen konnten, beweist - entgegen Betancourt 499 ff. - nicht die Richtigkeit seiner These. Daß Ulpian hier das auf Grundstücke zugeschnittene interdictum uti possidetis ablehnt, läßt nicht den Rückschluß zu, daß auch das Interdikt 'ne vis flat ei qui in possessionem missus erit ' nur für Grundstücke statthaft gewesen wäre. 290 Vgl. Schmidt, Interdiktenverfahren 307f. 291 Vgl. Burckhard, Glücks Pandekten 39/40 II 578 f. 292 Bei Zuwiderhandlung gegen das prohibitorische Interdikt wird der Gegner im Nachverfahren zur Stipulation einer Strafsumme (poena) veranlaßt, die nicht zugleich 285
Strafklagen bei der missio in possessionem
103
kann den Gegner allenfalls indirekt unter Druck setzen, dem Eingewiesenen die Ausübung der tatsächlichen Sachherrschaft zu gestatten. Als Beleg für eine kompilatorische Vermischung der Klage mit dem Interdikt wird schließlich folgende Stelle angeführt. 293 D. 43.4.1.8, Ulp. [72] 294 ad ed.: Hanc actionem excepta legatorum missione intra annum competere 295 et non postea sciendum est, cum sit poenalis, nec in heredem similesque personas 296 dabitur, nisi in id quod ad eas pervenit: 297 sed heredi similibusque personis dabitur. nam cum prohibitus quis est legatorum vel fideicommissorum causa possessionem adipisci, tunc actio et perpetua est et in heredem dabitur, quia est in potestate successorum evitare interdictum satisdatione oblata.
Die actio in factum wird hier ausdrücklich als actio poenalis bezeichnet. Sie ist als gemischte Strafklage einzuordnen; 298 da sich die Verurteilung nach dem subjektiven Interesse des Klägers richtete, 299 hat die Klage auch sachverfolgen-
sachverfolgende Funktion hatte; vgl. Gai. 4.141,147 (hierzu Kaser/Hackl, RZ 2 417 9 ; Hackl, Praeiudicium 189f.). 293 Vgl. Ubbelohde, Glücks Pandekten 43/44 I 397ff. (398), III 206 ff. (207), der die Stelle nicht auf die actio in factum, sondern auf das Interdiktenverfahren bezieht: Das gegen den Erblasser erteilte Interdikt binde auch den Erben, weshalb dieser wegen einer eigenen Zuwiderhandlung zur sponsio ex interdicto veranlaßt werden könne. Aufgrund des Wegfalls des Interdikten Verfahrens in nachklassischer Zeit sei es zu einer Verschmelzung der ursprünglichen actio ex interdicto mit der actio in factum gekommen. Auch Betancourt, AHDE 52 (1982) 474 2 2 3 , sieht in fr. 1.8 eine kompilatorische Vermischung von Interdikt und actio in factum. Für im Kern echt hält die Stelle dagegen Lenel, Pal. II 7 9 1 l f (Ulp. 1418). 294 Vgl. o . 2 6 6 295 Zur Verwendung von competere ο. 56 f. m. 7 1 296 Zur Echtheit der Erstreckung auf andere Gesamtrechtsnachfolger (similesque personas - similibusque personis) siehe o. 89 2 1 5 ; a.A. Betancourt, AHDE 45 (1975) 473 m. 2 2 3 ; X.d'Ors, El interdicto fraudatorio 103f.; C.Longo, BIDR 14 (1901) 1512. 297 Zur Bereicherungshaftung siehe Levy, Privatstrafe 94 1 , 1061; für Interpolation dagegen Betancourt, AHDE 52 (1982) 473 m. 2 2 3 ; Blanch Nougués, La intransmisibilidad 17 5 5 2 3 f. 298 Vgl. Käser, Quanti 188 f. Dagegen nimmt Ankum, BIDR 85 (1982) 25 3 4 , eine reine Pönalklage an; eine gemischte Strafklage setzt nach Ankum 29 f. voraus, daß die Kondemnationssumme die Vermögenseinbuße des Klägers übersteigt. Hiergegen spricht jedoch, daß auch die von Ankum 26 f. als gemischte Strafklage eingestufte Klage gegen den publicanus, der vi ademerit, nach einem Jahr nur noch auf den einfachen Betrag geht (vgl. Ulp. D. 39.4.1 pr.), ohne ihren gemischt-pönalen Charakter zu verlieren; hierzu Levy, Privatstrafe 145. Gleiches gilt etwa für die actio vi bonorum raptorum, die offenbar ursprünglich als gemischte Strafklage angesehen wurde (vgl. Ankum 30f.; Käser, Quanti 158), sowie für die Kalumnienklage (vgl. Ulp. D. 3.6.1 pr., o. 63 ff). 299 Vgl. Ulp. D. 43.4.1.5: Haec verba ' quanti ea res erit, ob quam in possessionem missus erit ' continent utilitatem creditoris, ut quantum eius interest possessionem habere, tantum ei qui prohibuit condemnetur. Die Höhe der Kondemnationssumme richtet
104
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
de Funktion. Anlaß fur die Vermutung, es liege ein kompilatorischer Eingriff vor, ist der Wechsel von der Klage im ersten Teil der Stelle zum Interdikt im zweiten Teil (nam cum prohibitus quis est ...). Jedoch ergibt die Stelle auch in unveränderter Form einen guten Sinn. Der grundsätzliche Ausschluß der passiven Vererblichkeit folgt aus der pönalen Natur der actio in factum: Nur der Erblasser hatte sich ein doloses Handeln zuschulden kommen lassen, weshalb der Strafzweck zwar ihm gegenüber, nicht aber gegenüber dem Erben Platz greift. Diese Überlegung gilt grundsätzlich auch für die missio legatorum servandorum causa, 300 so daß sich die Frage stellt, weshalb es hier dennoch zur passiven Vererblichkeit der Pönalklage kommt. 301 Eine Erklärung ergibt sich aus dem besonderen Zweck der missio legatorum servandorum causa. Im Gegensatz zur missio rei servandae causa und missio ventris nomine, die die einzigen Sicherungsmittel für die Gläubiger bzw. die Leibesfrucht darstellten, verfolgte die missio legatorum servandorum causa nur eine Hilfsfunktion: In erster Linie sollte die Sicherung des Legatars durch die cautio legatorum servandorum causa bewerkstelligt werden; nur wenn die cautio vom Belasteten nicht geleistet worden war, fand als Druckmittel die Einweisung in den Besitz statt. 302 Zur Leistung der cautio war auch der Erbe des Belasteten, auf den die Verpflichtung zur Vollziehung der Legate überging, verpflichtet. Leistete der Erbe die cautio, so bestand für den Legatar kein Grund mehr, aus dem sekundären Sicherungsmittel der missio legatorum servandorum causa vorzugehen. Mit „quia est in potestate successorum evitare interdictum satisdatione oblata" ist gemeint, daß sich der Erbe durch Kautionsleistung dem Interdikt 'ne vis fiat ei qui in possessionem missus erit ' entziehen konnte. 303 Diesem war er - nicht anders als jeder Dritte, der den in den Besitz Eingewiesenen gewaltsam hindert 304 - grundsätzlich auch dann ausgesetzt, wenn die missio legatorum servandorum causa noch zu Lebzeiten des sich also nach dem Rechtsverhältnis, das Grund für die Besitzeinweisung war; vgl. Käser, Quanti 189; Medicus, ld quod interest 272 f. 300 Zur Erweiterung der missio legatorum servandorum causa auf Fideikommisse vgl. Ulp. D. 36.4.5 pr.; Einzelheiten bei Arcaria, BIDR 89 (1986) 253 ff. 301 Der Hinweis von X.dOrs, El interdicto fraudatorio 104, daß die Pönalklage je nach Fall nicht immer dieselbe „intensidad" habe, ist zu vage. 302 Vgl. Ulp. D. 36.4.5 pr.: ... ut saltem taedio perpetuae custodiae extorqueat heredi cautionem. Siehe auch o. 2 4 4 303 Vermutlich stand dem Erben eine exceptio zu, ähnlich wie im Fall der missio damni infecti causa; vgl. Ulp. D. 43.4.4.1: sive ergo promittat, sive per eum non fìat, quo minus promittat, non tenebit interdictum repulso per exceptionem eo qui experitur. j04 Das Interdikt 'ne vis fìat ei qui in possessionem missus erit ' richtet sich seiner Funktion nach, ebenso wie die actio in factum (vgl. Paul. D. 43.4.2.1), nicht nur gegen den von der missio in possessionem unmittelbar Betroffenen, sondern gegen jedermann, der den Eingewiesenen an der Besitzergreifung hindert; vgl. Burckhard, Glücks Pandekten 39/40 II 582 f.; Betancourt, AHDE 45 (1975) 58 6 5 , der allerdings fr. 2.1 unmittelbar auf das Interdikt und nicht auf die actio in factum bezieht (wie hier dagegen in AHDE 52 [1982] 470 f.).
1.12 Klage aus Schädigung bei turba
105
Erblassers erfolgt war, weil dieser die Kautionsleistung verweigerte. 305 Da aufgrund einer nachträglichen Kautionsleistung des Erben das Rechtsschutzbedürfnis für die actio in factum in gleicher Weise entfallt wie für die Erteilung des Interdikts, 306 leitet Ulpian hieraus ein Argument für die ausnahmsweise passive Vererblichkeit der Klage ab. Der Erbe kann sich durch Erfüllung seiner Kautionspflicht auch im Hinblick auf die actio in factum der Bußzahlung entziehen, weshalb keine Notwendigkeit bestand, ihn vor einer Inanspruchnahme im Wege dieser Klage zu bewahren. Die Klage läßt sich vom Interdikt also auch hier trennen. Der generelle Charakter der actio in factum, die für alle Fälle der Besitzeinweisung in ein Vermögen anwendbar war, sowie die genaue Festlegung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen durch das in D. 43.4.1 pr. überlieferte Verheißungsedikt zeigen, daß mit den Worten „in factum iudicium ... dabo" nicht eine Klage gemeint war, bei der die Klagformel jeweils dem Einzelfall angepaßt werden sollte. 307 12. Klage aus Schädigung bei turba: D. 47.8.4.11 Wer im Rahmen eines Tumults (turba) einem anderen vorsätzlich Schaden zufügte, haftete mit einer prätorischen Strafklage zunächst auf den doppelten, nach einem Jahr auf den einfachen Schadensbetrag. 308 Die Klage war im Edikt wie folgt verheißen. D. 47.8.4pr., Ulp. 56 ad ed.: Praetor ait: 'Cuius dolo malo in turba damnum quid factum esse dicetur, in eum in anno, quo primum de ea re experiundi potestas fuerit, in duplum, post annum in simplum iudicium dabo'.
Angesichts der Beschreibung der einzelnen Voraussetzungen der Klage ist davon auszugehen, daß die Klagformel eine Konzeption in factum aufwies. 309 Der Begriff turba wird bereits von Labeo kommentiert, wobei er den Tumult von einer bloßen Schlägerei (rixa) unterscheidet. D. 47.8.4.2f, Ulp. 56 ad ed.: Turbam autem appellatam Labeo ait ex genere tumultus idque verbum ex Graeco tractum άπό του θορυβεΐν. (3) Turbam autem ex quo numero admittimus? si duo 305
Da der Erbe nicht etwa kraft Universalsukzession dem Interdikt ausgesetzt ist, handelt es sich nicht um einen Fall der passiven Vererblichkeit von Interdikten; vgl. hierzu Kaser/Hackl, RZ 2 411 f.; Betancourt, AHDE 53 (1983) 45 ff. 306 Vgl. insoweit Ubbelohde, Glücks Pandekten 43/44 I 397, gegen Burckhard, ib. 39/40 II 580 ff. 307 A.A. Käser, SZ 101 (1984) 100 m . 4 5 6 308 Siehe neben der nachfolgenden Stelle auch Ulp. D. 47.8.4.8 f. 309 Vgl. Lenel, EP3 396.
106
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
rixam commiserint, utique non accipiemus in turba id factum, quia duo turba non proprie dicentur: enimvero si plures fuerunt, decern aut quindecim homines, turba dicetur. quid ergo, si tres aut quattuor? turba utique non erit. et rectissime Labeo inter turbam et rixam multum interesse ait: namque turbam multitudinis hominum esse turbationem et coetum, rixam etiam duorum.
Die Kommentierung zeigt, daß es sich um eine generell-abstrakte und nicht um eine auf den Einzelfall zugeschnittene Klage handelt. In der folgenden Stelle wird die Klage als actio in factum bezeichnet. D. 47.8.4.11, Ulp. 56aded: Haec autem actio in factum est et datur in duplum, quanti ea res erit: quod ad pretium verum rei refertur. et praesentis temporis fit aestimatio: et semper in duplum intra annum est.
De Francisci zweifelt, ob die Einstufung als actio in factum echt ist. 3 1 0 Sein Einwand, die klassischen Juristen hätten die Formeln der ediktalen Klagen gekannt, weshalb ein Hinweis auf die Art der Formelfassung nicht nötig gewesen sei, setzt wiederum voraus, daß der Ausdruck actio in factum tatsächlich mit einer in factum konzipierten Klage gleichzusetzen ist. Die Formelkonzeption in factum hat jedoch mit der Verurteilung auf das duplum und der Frage der Schadensberechnung nichts zu tun, so daß auch hier hinter der Qualifikation der Klage als actio in factum eine andere Bedeutung zu suchen ist. Aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs ist zu vermuten, daß der Ausdruck actio in factum auch hier als Synonym für die Klage aus prätorischem Delikt steht. 311 Problematisch ist, ob für die Berechnung des Schadens der Zeitpunkt der Urteilsfallung maßgeblich war, wofür der Wortlaut der Stelle mit quanti ea res erit und praesentis temporis fit aestimatio spricht. Dies wird verneint, weil nach einer allgemeinen Regel im Fall der Beschädigung oder Zerstörung einer Sache grundsätzlich auf ihren Wert im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses abzustellen sei. 312 Betti schlägt die Ergänzung praesentis temporis vor; 3 1 3 auch Käser nimmt eine den Sinn verdunkelnde Textverkürzung an. 3 1 4 Allerdings zeigt bereits die im einzelnen komplizierte Schadensberechnung nach der
310
De Francisci, Συνάλλαγμα II 125ff. (127). Vgl. ο 89f. Vgl. Ulp. D. 2.7.5.3 (o. 51), 27.6.9.1 (o. 89 f.), 40.12.22 pr. (o. 93 f.), 44.7.25.1 (o. 46 f.). 312 Vgl. Baizarini, Ricerche in tema di danno 327; Voci, Risarcimento 78 ff. (83); Käser, Quanti 160; Betti, Litis aestimatio 64 ff. (67). 313 Siehe Betti 67. Auch Voci 83 und Baizarini 327 f. beziehen praesentis auf den Zeitpunkt der Deliktsbegehung; dagegen spricht aber der Vergleich mit Ulp. D. 11.3.5.4 zur actio servi corrupti, wo zwar - entsprechend der Grundregel - eine Rückrechnung stattfindet, mit praesens aber wie in fr. 4.11 der Ästimationszeitpunkt gemeint ist: Haec actio refertur ad tempus servi corrupti vel recepii, non ad praesens, ... 314 Siehe Käser 161. 311
1.13 Actio de sepulchro violato
107
lex Aquilia, 315 daß die Grundregel der Rückrechnung auf den Schadenseintritt kein allgemeingültiges Prinzip war. 3 1 6 Bei der actio servi corrupti steht fest, daß nicht nur deren ediktale Verheißung, sondern auch die Klagformel auf quanti ea res erit gerichtet war. 3 1 7 Auch wenn es bei der actio servi corrupti nicht um eine Körperverletzung, sondern um die charakterliche Entwertung des Sklaven geht, 318 beweist das, daß im Bereich der Sachbeschädigung eine Klage mit Schadensberechnung nach dem Urteilszeitpunkt vorhanden war. Man wird daher keinen Anstoß daran nehmen dürfen, wenn auch für die Klage aus dem Edikt 'De turba ' der Urteilszeitpunkt maßgeblich war. 3 1 9 Die Klage hatte demnach - ebenso wie die actio servi corrupti - gemischt-pönalen Charakter. Dagegen spricht nicht die Bezugnahme auf das verum pretium rei ,320 also auf den objektiven Sachwert und nicht das subjektive Interesse des Klägers; die objektive Berechnung der Kondemnationssumme schließt den gemischten Charakter einer Strafklage nicht aus, 321 zumal auch bei rein sachverfolgenden Klagen ein objektiver Maßstab anzutreffen ist. 3 2 2
13. Die actio de sepulchro violato: D. 47.12.3 pr. Eine Grabschändung konnte mit der actio de sepulchro violato geahndet werden. Es handelt sich hierbei um eine Pönalklage, die im Edikt mit den Worten „ in factum iudicium dabo " verheißen war. 3 2 3
315
Vgl. Kunkel/Honseil, Rom. Recht4 365 f. mit Lit. So auch Käser, Quanti 1685. Daß bei der actio furti Werterhöhungen bis zum Zeitpunkt der litis contestatio berücksichtigt werden (vgl. Ulp. D. 47.2.50 pr. i.f.), beruht auf der Einstufung des furtum als Dauerdelikt; hierzu Käser 134 ff.; Medicus, Id quod interest 232. 317 Vgl. Ulp. D. 11.3.1 pr., 11 pr.; hierzu Käser, Quanti 1822; Lenel, EP3 175. 318 Vgl. Ulp. D. 11.3.1 pr.: recepisse persuasisseve. 319 A.A. Käser, Quanti 160f., der das Futur quanti ea res erit in D. 47.8.4.11 nicht für zutreffend hält. 320 Auch die actio vi bonorum raptorum, die ursprünglich als zugleich sachverfolgende Klage behandelt wurde, stellt auf das verum pretium rei ab; vgl. Ulp. D. 47.8. 2.13: In hac actione intra annum utilem verum pretium rei quadruplatur, non etiam quod interest (hierzu Liebs, Klagenkonkurrenz 161 f.; Medicus, Id quod interest 237). Zur actio furti als reiner Strafklage vgl. Ulp. D. 47.2.50 pr.: In furti actione non quod interest quadruplabitur vel duplabitur, sed rei verum pretium, wobei mit verum pretium der allgemeine Verkehrswert gemeint ist (vgl. Ulp. eod. 52.29: quanti emptorem potest invenire ); hierzu Käser, Quanti 132 f. 321 Vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 318; Käser, Quanti 166f. 322 So auch bei der condictio furtiva , die beim Diebstahl eines Sklaven, der als Erbe eingesetzt war, auf das pretium hereditatis ging (vgl. Paul. D. 13.1.3); hierzu Medicus, Id quod interest 262f.; Käser, RP I 2 499 7 mit weiteren Fällen. 323 Vgl. Lenel, EP3 228 f. Die Annahme Krügers ad h.l., daß in factum Glossem sei, wird bereits von De Francisci, Συνάλλαγμα II 127, in Frage gestellt. 316
108
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
D. 47.12.3pr., Ulp. 25 ad ed.: Praetor ait: 'Cuius dolo malo sepulchrum violatum esse dicetur, in eum in factum iudicium dabo, ut ei, ad quem pertineat, quanti ob earn rem aequum videbitur, condemnetur. si nemo erit, ad quem pertineat, sive agere nolet: quicumque agere volet, ei centum [aureorum] 324 actionem dabo, si plures agere volent, cuius iustissima causa esse videbitur, ei agendi potestatem faciam. si quis in sepulchro dolo malo habitaverit aedificiumve aliud, quamque sepulchri causa factum sit, habuerit: in eum, si quis eo nomine agere volet, ducentorum [aureorum] iudicium dabo.' Zugunsten des Grabberechtigten war die Klage auf quanti ob eam rem (bonum et) aequum videbitur gerichtet. 3 2 5 Wenn kein Grabberechtigter vorhanden war bzw. dieser nicht klagen wollte, stand die Klage als auf eine feste Geldbuße gerichtete Popularklage dem quivis ex populo z u . 3 2 6 Die Klage wegen habitatio vel aedificatio in sepulchro stellt - ausweislich der erhöhten Geldbuße - einen qualifizierten Fall der populären actio de sepulchro violato d a r . 3 2 7 Wie die genaue Definition der unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen der actio de sepulchro violato in ihren verschiedenen Erscheinungsformen zeigt, war mit „ in factum iudicium dabo " nicht gemeint, daß die Klage jeweils dem Einzelfall angepaßt werden s o l l t e . 3 2 8 Die Fallgruppen waren vielmehr durch das Edikt in generell-abstrakter Weise abschließend festgelegt. Ebenso enthält „in factum iudicium dabo " wohl keinen besonderen Hinweis auf die Formelkonzeption in factum; diese ist aufgrund der Beschreibung der Klage in all ihren Voraussetzungen im Rahmen des Verheißungsedikts ohne weiteres erkennbar und bedurfte daher keiner Klarstellung durch den Prätor. 3 2 9
324
Vgl. o. 43 3 . Vgl. auch Pap. D. 47.12.10 (u. 109). Zur auf quantum ludici (bonum et) aequum videbitur lautenden condemnatio, bei der der Richter die Urteilssumme nach billigem Ermessen festzusetzen hatte, siehe Kaser/Hackl, RZ 2 318 f. m.w.Lit. 326 Der Ausdruck actionem dabo anstelle des häufiger vorkommenden iudicium dabo widerspricht nicht dem Ediktsstil; vgl. Käser, FS Schulz II 51 1 4 ; Gandolfi, SDHI 42 (1976) 494; offengelassen bei Gradenwitz, SZ 8 (1887) 254. 327 Wahrscheinlich wurde der Fall erst später als Anhängsel vom Prätor in das Edikt aufgenommen; vgl. Morel, Le 'sepulchrum' 154ff; Casavola, Actiones populäres 24; Paricio, Actiones in aequum 66; dagegen hält Dernburg, FG Heffter (1873) 124 f., das zweite Edikt aufgrund seiner Kürze fur das ältere. Angesichts der allgemeinen Formulierung „si quis ... " erscheint es entgegen Fadda, L'azione popolare 34, nicht glaubhaft, daß die Klage speziell gegen den Grabberechtigten selbst gerichtet war, der in dem Grab wohnte bzw. daraufbaute; wie hier Casavola 24. Der Grabberechtigte wird im Fall, daß sich ein anderer der habitatio vel aedificatio in sepulchro schuldig machte, die Klage auf quanti de ea re (bonum et) aequum videbitur gegen den Störer gehabt haben; a.A. Paricio 66, der annimmt, daß dem Grabberechtigten ebenso wie dem quivis ex popido nur die erhöhte Geldbuße zustand. 328 A.A. Käser, SZ 101 (1984) 100 m . 4 5 6 329 Vgl. Ulp. D. 9.3.5.6 (o. 82), 42.5.9 pr. (o. 95), 43.4.1 pr. (o. 97). 325
1.13 Actio de sepulchro violato
109
Der pönale Charakter der Popularklage ergibt sich bereits daraus, daß der quivis ex populo wegen der Schändung eines fremden Grabes kein sachverfolgendes Interesse haben konnte. Auch die Klage zugunsten des Berechtigen war pönal, wie die beiden folgenden Stellen zeigen. 330 D. 47.12.6, lui. 10 dig.: Sepulchri violati actio in primis datur ei, ad quem res pertinet. quo cessante si alius egerit, quamvis rei publicae causa afuerit dominus, non debebit ex integro adversus eum, qui litis [aestimationem] 331 sustulerit, dari. nec potest videri deterior fieri condicio eius, qui rei publicae causa afuit, cum haec actio non ad rem familiarem eiusdem, magis ad ultionem pertineat.
Die actio de sepulchro violato zugunsten des Grabberechtigten hatte nicht die Funktion des vermögensbezogenen Schadensausgleichs (non ad rem familiarem), sondern der objektiven Vergeltung des in der Grabschändung liegenden Frevels (magis ad ultionem ). D. 47.12.10, Pap. 8 quaest.: Quaesitum est, an ad heredem necessarium, cum se bonis non miscuisset, actio sepulchri violati pertineret. dixi recte eum ea actione experiri, quae in bonum et aequum concepta est: nec tamen si egerit, hereditarios creditores timebit, cum etsi per hereditatem optigit haec actio, nihil tamen ex defuncti capiatur voluntate, neque id capiatur, quod in rei persecutione, sed in sola vindicta sit constitutum.
330
Vgl. Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 10562. Bei Abwesenheit in Staatsgeschäften kam grundsätzlich eine in integrum restitutio in Betracht (vgl. Ulp. D. 4.6.1.1), die hier mit ex integro ... dari angesprochen ist; vgl. Scialoja, Studi giuridici I 221 (= AG 31 [1883] 229); Betti, Trattato 417. Die Annahme von Morel, Le 'sepulchrum' 171, mit ex integro sei die volle Strafsumme im Rahmen der condemnatio in bonum et aequum im Gegensatz zur festen Geldbuße bei der actio popularis gemeint, vermag nicht zu überzeugen; hiergegen auch Casavola, Actiones populäres 39. Die Wiedereinsetzung konnte insbesondere dazu dienen, die klageausschließende Wirkung einer bereits erfolgten litis contestatio zu überwinden; vgl. nur o. 88. Daß in lui. D. 47.12.6 von litis aestimatio die Rede ist, beruht offenbar auf einer Interpolation; ursprünglich war für den Ausschluß der actio de sepulchro violato die litis contestatio maßgeblich; vgl. Ulp. D. 47.12.3.10: antequam Iis ab alio contestetur. Die Interpolation erklärt sich vermutlich aus der Tendenz im justinianischen Recht, die Konsumptionskonkurrenz durch eine Solutionskonkurrenz zu ersetzen; vgl. Levy, Konkurrenz I 398f., der allerdings zu Unrecht den gesamten Relativsatz qui ... sustulerit streicht. Allgemein zur justinianischen Solutionskonkurrenz siehe Käser, RP II 2 429 3 6 ; zum Bereich des Deliktsrechts Liebs, Klagenkonkurrenz 249 und passim. Nicht zu folgen ist der These von Casavola 36 ff. (43), der aus litis aestimatio in lui. D. 47.12.6 schließt, daß die populäre actio de sepulchro violato ursprünglich nicht auf einen festen Bußbetrag ging, sondern wie die Klage des Grabberechtigten auf quanti de ea re (bonum et) aequum videbitur. Vgl. hiergegen De Visscher, Le droit des tombeaux 141; Paricio, Actiones in aequum 67, die zu Recht daraufhinweisen, daß eine Festsetzung der Geldbuße nach billigem Ermessen zugunsten des quivis ex populo , der - anders als der Grabberechtigte - mit der Klage kein Eigeninteresse verfolgte, nicht sinnvoll erscheint. 331
110
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
Aufgeworfen ist die Frage, ob dem Zwangserben (heres necessarius) 332 der sich der Erbschaft enthalten wollte, um so einer Haftung gegenüber den Erbschaftsgläubigern zu entgehen, 3 3 3 infolge seiner zivilen Erblasserstellung die actio de sepulchro violato zustand. 3 3 4 Papinian gibt eine positive Antwort und stellt klar, daß allein in der Erhebung der actio de sepulchro violato noch kein se inmiscere hereditati 335 lag und somit dem Zwangserben weiterhin die Enthaltung von der Erbschaft möglich w a r . 3 3 6 Der Grund ist in der rein pönalen Funktion der actio de sepulchro violato zu sehen, die - wie der letzte Satz zeigt nicht sachverfolgend war, sondern nur der Vergeltung diente. 14. Klage gegen den Richter qui litem suam fecerit: D. 50.13.6 In einer Stelle aus Gaius' res cottidianae w i r d die Klage gegen den Richter, der eine Rechtsbeugung begangen hat (iudex qui litem suam fecit % als actio in factum bezeichnet; die Klage war wohl im Edikt verheißen. 3 3 7 D. 50.13.6, Gai. 3 rer. cott. sive aur.; 338 Si iudex litem suam fecerit. non proprie ex maleficio obligatus videtur: sed quia neque ex contractu obligatus et utique peccasse aliquid intellegitur, licet per impruden332
Vgl. Gai. 2.152 ff.; hierzu Nelson/Manthe, Gai Inst. III 1-87, 209ff. Die Befugnis, trotz der zivilen Erbenstellung die Erbschaft nach Honorarrecht auszuschlagen (beneficium abstinendi), stand nur solchen Zwangserben zu, die zugleich sui heredes waren (sui et necessarii heredes)\ vgl. Gai. 2.158 ff. Dagegen hatte ein Sklave als heres necessarius nicht die Möglichkeit, sich der Erbschaft zu enthalten; ihm gewährte der Prätor aber die separatio bonorum, wodurch die Vollstreckung auf den Nachlaß beschränkt wurde; vgl. Gai. 2.155. 334 Casavola 46 weist zu Recht darauf hin, daß es in der Stelle nicht um die aktive Vererblichkeit der actio de sepulchro violato geht, sondern vielmehr um die Frage, ob der Zwangserbe allein kraft seiner zivilen Erbenstellung zum Grabberechtigten wird. 335 Vgl. Gai. 2.163: Sed sive is, cui abstinendi potestas est, inmiscuerit se bonis hereditariis, ..., postea relinquendae hereditatis facultatem non habet, nisi si minor sit annorumxxv; Pomp. D. 29.2.11; Ulp. eod. 12; Gai. eod. 57 pr.; Paul. sent. 3.4b. 11. 336 Ebenso Ulp. D. 29.2.20.5. 337 Vgl. Lenel, EP3 168 f.; Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1350. 338 Vgl. auch die Parallelüberlieferung in Gai. D. 44.7.5.4 (ohne den Schluß in factum actione ... sustinebit); Inst. 4.5 pr.: (...) ideo videtur quasi ex maleficio teneri, et in quantum de ea re aequum religioni iudicantis videbitur, poenam sustinebit. De Francisci, Συνάλλαγμα II 135, hält die Erwähnung der actio in factum, die nur in fr. 6 erscheint, für unecht. Jedoch spricht der - abgesehen von der Weglassung von in factum actione - fast gleichlautende Schluß von Inst. 4.5 pr. gerade dafür, daß fr. 6 hierfür die Vorlage lieferte. Auch De Franciscis Hinweis, daß der Ausdruck actio in factum in den Institutionen des Gaius nicht auftaucht (hierzu o. 36), kann seine Interpolationsvermutung nicht rechtfertigen. Außerhalb der Institutionen spricht Gaius nämlich wiederholt von einer actio bzw. einem iudicium in factum; vgl. D. 4.3.28; 4.7.1 pr. (u. 123); 11.7.7 pr., 1 (u. 131, 134); 19.5.22; 40.12.13 pr. (u. 163). Daß all diese Stellen interpoliert seien, ist - entgegen De Francisci, Συνάλλαγμα II 91 f., 98f., 106ff. (108), 111, 129ff. (135), anders nur zu D. 19.5.22 (Συνάλλαγμα I 217 ff., I I 63 f.) - nicht glaubhaft. 333
1.14 Iudex qui litem suam fecerit
111
tiam, ideo videtur quasi ex maleficio teneri in factum actione, et in quantum de ea re aequum religioni iudicantis visum fuerit, poenam sustinebit. Zum Teil w i r d die Ansicht vertreten, daß die Kategorie der Quasi-Delikte (non proprie ex maleficio , quasi ex maleficio) nicht von Gaius stamme, sondern auf einer nachklassischen Bearbeitung beruhe. 3 3 9 Jedoch führt Gaius in den res cottidianae explizit die Dreiteilung der Obligationen in obligationes ex contractu und ex maleficio sowie die Gruppe der obligationes ex variis causarum figuris ein, die gerade der dogmatischen Erfassung der Quasi-Delikte und QuasiKontrakte diente. 3 4 0 Unter der Kategorie der Quasi-Delikte faßte Gaius deliktsnahe Verpflichtungen zusammen, die sich von den eigentlichen Delikten dadurch unterschieden, daß der Gläubiger kein aktuelles Verschulden des Gegners nachweisen m u ß t e . 3 4 1 V o n einigen w i r d angenommen, es hätte sich um eine rein objektive Verantwortlichkeit im Sinne einer Gefährdungshaftung gehandelt. 3 4 2 Bei Betrachtung der einzelnen Tatbestände zeigt sich jedoch, daß es um Fälle eines typisierten Verschuldens g e h t : 3 4 3 Beim iudex qui litem suam fecit w i r d ein Ver339
So noch Mayer-Maly, IJ 2.2 (1967) 379; Käser, RP I 2 524 19 ; Hochstein, Obligationes quasi ex delicto 19f.; G. Longo, St. Sanfilippo IV (1983) 401 f. Gegen die Einordnung der res cottidianae als nachklassische Kompilation vgl. Wolodkiewicz, Riv.it. 3 14 (1970) 8 4 f f ; Nelson, Überlieferung 294ff; Liebs, Klagenkonkurrenz 54ff.; Herzog/ Schmidt-Liebs, HLL IV (1997) 192; Honoré, Gaius 68 f. 340 Vgl. Gai. D. 44.7.1 pr.: Obligationes aut ex contractu nascuntur aut ex maleficio aut proprio quodam iure ex variis causarum figuris; hierzu Nelson/Manthe, Gai Inst. III 88-181, 64ff.; Nelson, Überlieferung 224 6 3 ff. Für die Authentizität der Quasi-Delikte bzw. -Kontrakte auch Kunkel /Honseil, Rom. Recht4 259; Giménez-Candela, Cuasidelitos 157; Hübner, Iura 5 (1954) 202 f. 341 Dagegen nehmen folgende Autoren an, daß die Quasi-Delikte kein entscheidendes gemeinsames Merkmal aufweisen würden: Käser, Rom. Rechtsquellen 169 65 (= Studies Thomas 83 6 5 ) ; Robinson, JLH 19 (1998) 245 ff.; Stojcevic, Iura 8 (1957) 63 f.; Volterra, Istituzioni 569; Girard, Manuel 8 678. Der These Albertarios, Riv. dir. comm. 21.1 (1923) 493 ff. (= Studi III 85 ff.), RIL 2 59 (1926) 409 ff. (= Studi III 140), das Charakteristikum der Quasi-Delikte liege gerade in einer culpa-Haftung - im Gegensatz zu einer Haftung nur für dolus - , widerspricht, daß es auch bei den reinen Delikten, insbesondere im Rahmen der actio legis Aquiliae, eine Haftung für culpa gegeben hat; vgl. Stein, RIDA 3 5 (1958) 564 ff.; Stojcevic 58ff. (60f.). 342 Giménez-Candela, Cuasidelitos 157f.; Paricio, Cuasidelitos 49; A.d'Ors, SDHI 48 (1982) 393; Pugsley, IJ 4.2 (1969) 353; Gordon, Temis 21 (1967) 305; Stein, RIDA 3 5 (1958) 569f.; Hübner, Iura 5 (1954) 203 ff.; Seidl, SDHI 18 (1952) 343. 343 Vgl. Käser, RP I 2 63 0 6 5 , zur Klage gegen den iudex qui litem suam fecerit; ebenso Kaser/Hackl, RZ 2 196 38 . Bei der Klage gegen den nauta, caupo, stabularius wegen Sachbeschädigung und Diebstahl an Sachen der Gäste (hierzu Käser, RP I 2 5 8 6 3 6 f f ) geht es um eine typisierte Haftung für Organisations- bzw. Aufsichtsverschulden; vgl. Gai. D. 44.7.5.6 i.f.: ... aliquatenus culpae reus est, quod opera malorum hominum uteretur, ... Ähnlich verhält es sich bei der actio de deiectis vel effusis gegen den habitator (o. 79 ff); vgl. Ulp. D. 9.3.1.4: Haec in factum actio in eum datur, qui inhabitat ... : culpa enim penes eum est (...). Seidl, St. Volterra I (1971) 76, spricht von einer Haftung aus „Gefahrbeherrschung". Die Haftung bei der sogenannten actio de posito vel suspenso (o. 82 ff.) gründet sich auf die Fahrlässigkeit, die in der Aufstellung bzw. Aufhängung einer Sache
112
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
schulden ohne weiteres unterstellt (utique peccasse aliquid intellegitur). Es geht also nicht um eine - vom Verschuldensgedanken völlig losgelöste - Garantiehaftung; 3 4 4 das Verschulden wird aber aufgrund der typischen Fallgestaltung vermutet. 3 4 5 Den Passus ideo videtur quasi ex malefìcio teneri in factum actione sieht Giménez-Candela als Hinweis auf die Formelkonzeption in factum an. 3 4 6 Auch wenn es durchaus wahrscheinlich ist, daß die Klagformel auf die Voraussetzung des litem suam facere abstellte, und damit von einer formula in factum concepta auszugehen ist, 3 4 7 läßt sich diese Formelkonzeption nicht aus der Bezeichnung der Klage als actio in factum ableiten. Gegen eine solche Ableitung spricht, daß sich die Bezeichnung als actio in factum im Zusammenhang mit der Qualifikation der Klage als Strafklage (utique peccasse aliquid intellegitur - poenam sustinebit) findet; die pönale Natur der Klage stand mit der Frage der Formelkonzeption in keiner Verbindung. Zum Teil wird allerdings der pönale Charakter der Klage gegen den iudex qui litem suam fecit abgelehnt; 348 die Einstufung als Strafklage in fr. 6 sei unecht. Die Frage, ob es sich bei der Klage gegen den iudex qui litem suam fecerit um eine pönale oder aber rein sachverfolgende Klage handelt, wurde von den Klassikern jedoch unterschiedlich beantwortet. Julian tritt - anders als Ulpian - für die passive Vererblichkeit der Klage ein, was für eine Strafklage gerade nicht zu erwarten wäre. 349
an einer Gefahrenstelle liegt; vgl. Ulp. D. 9.3.5.7: (...) consequens etenim fuitpraetorem etiam in hunc casum prospicere, ut, si quid in his partibus aedium periculose positum esset, non noceret. 344 Vgl. Birks, TR 52 (1984) 384. 345 Einen ähnlichen Fall der Haftung für typisiertes Verschulden bildet die custodiaHaftung, die sich auf eine Bewachungspflicht des Schuldners gründet; vgl. Kunkel/Honsell, Rom. Recht4 234. 346 Vgl. Giménez-Candela, Cuasidelitos 53. 347 Vgl. Lenel, EP 3 169. 348 Vgl. Pernice, Labeo II 2.1 2 , 172: Hübner, Iura 5 (1954) 202; Stein, RIDA 3 5 (1958) 569; Cremades/Paricio, AHDE 54 (1984) 200 55 . Giménez-Candela 53 f. verneint den pönalen Charakter der Klage, weil diese keinen dolus voraussetze. Damit müßte aber sämtlichen Quasi-Delikten, da diese keinen Nachweis eines aktuellen Verschuldens erforderten, die Pönalität abgesprochen werden. Indes handelt es sich bei der actio de effusis vel deiectis und der actio de posito vel suspenso sicher um Strafklagen (o. 79 f f , 82 ff.). Für die pönale Funktion der Klage gegen den iudex qui litem suam fecit Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1350; De Francisci, Azioni penali 59f.; Levy, Privatstrafe 50ff.; Kübler, SZ 39 (1918) 217; Lenel, EP 3 168; Käser, RP I 2 6 3 0 6 5 ; Blanch Nougués, La intransmisibilidad 138 f. 349 Zur fehlenden passiven Vererblichkeit bei Strafklagen vgl. statt aller Käser, RP I 2
612.
1.14 Iudex qui litem suam fecerit
113
D. 5.1.16, Ulp. 5 ad ed.: 350 Iulianus autem in heredem iudieis, qui litem suam fecit, putat actionem competere: 351 quae sententia vera non est et a multis notata est. In der Tat bereitet es Schwierigkeiten, die Klage gegen den iudex qui litem suam fecerit eindeutig als pönale bzw. rein sachverfolgende Klage einzuordnen. Der typische Fall des litem suam facere lag, wie jetzt vor allem die lex Imitarla zeigt, nicht etwa bei einer materiellen Fehlentscheidung des iudex vor, sondern dann, wenn dieser überhaupt keine bzw. keine wirksame Entscheidung f ä l l t e ; 3 5 2 für materielle Fehlentscheidungen haftete der iudex dagegen grundsätzlich, d.h. mit Ausnahme der vorsätzlichen Rechtsbeugung, 3 5 3 überhaupt n i c h t . 3 5 4 D a es gerade zu keinem Abschluß des Prozesses durch Urteil kam, war nicht ohne weiteres klar, wie der Rechtsstreit in der Sache hätte entschieden werden müssen. Der Richter, der im Rahmen der Klage gegen den iudex qui litem suam fecit zu urteilen hatte, konnte also - es sei denn, man nimmt eine komplette Aufrollung des Vorprozesses an - im Regelfall keine exakte Aussage über die Höhe des verletzten Interesses machen. Die in (bonum et) aequum lautende condemna350 Siehe auch Ulp. disp. frag. Arg. 3 II b (FIRA II 311 f.): ... quamvis Iulianus in heredem magistratus non putaverit tribuendam actionem, cum idem heredem iudieis, qui litem suam fecisset, teneri existimaverit. Sed utrumque contra est, cum heres magistratus teneatur et iudieis non teneatur. (...); hierzu A.d'Ors, SDHI 48 (1982) 383 ff.; Cremades/Paricio, AHDE 54 (1984) 194 ff. 351 Zur Verwendung von competere ο. 56 f. m. 7 1 352 Vgl. lex Irnit., Kap. 91, Tab. X, Col. Α, Ζ. 51 f f : et si | neque dies diffisus neque iudicatum fuerit, uti lis iudi- \ ci arbitrove damni sit ; ähnlich Col. Β , Ζ. 15 ff. (hierzu Simshäuser, SZ 109 [1992] 177, RH 67 [1989] 635 f.; Giménez-Candela, Cuasidelitos 38 ff.); P. Ant. I 22, Ζ. 17ff. : q(ui)a neq(ue) diffidit neq(ue) \ s(ententi)am dixit, litem suam fe- | [cisse videri] (hierzu Giménez-Candela, Est. A.d'Ors I [1987] 569 f f , Los llamados cuasidelitos 41 ff.; Lamberti, Labeo 36 [1990] 228 ff). Eine indirekte Urteilsverweigerung lag vor, wenn der iudex pflichtwidrig keine Vertagung (diffisio) vornahm; es konnte dann nämlich zu keinem Urteil mehr kommen. Gai. 4.52 nennt die Abweichung des iudex von der Klagformel als Fall des litem suam facere : Debet autem iudex attendere, ut cum certae pecuniae condemnatio posita sit, neque maioris neque minoris summa posita condemnet, alioquin litem suam facit; item si taxatio posita sit, ne pluris condemnet quam taxatum sit : alias enim similiter litem suam facit. minoris autem damnare ei permissum est. (...) Auch hier geht es der Sache nach wohl um das Fehlen eines iudicatum , denn ein Urteil ultra vires war vermutlich nichtig (siehe lav. D. 10.3.18: ultra id quod in iudicium deduetum est excedere potestas iudieis non potest ); vgl. hierzu Kaser/Hackl, RZ 2 371 1 7 ; Käser, SZ 84 (1967) 517 36 ; Burdese, in: Diritto e processo (1994) 170 f f ; Simshäuser, SZ 109 (1992) 177 41 , RH 67 (1989) 636 85 ; Giménez-Candela, Cuasidelitos 46; Cremades/Paricio, AHDE 54 (1984) 183; A. d'Ors, SDHI 48 (1982) 372; Cannata, Profilo istituzionale II 186 25 ; Wenger, Zivilprozeßrecht 201. Anders dagegen De Martino, BIDR 91 (1988) 31 ff.; Lamberti 227 34 , 256; Kelly, Roman Litigation 107; Robinson, SZ 116 (1999) 197; Bürge, Rom. Privatrecht 78, der bei einem Urteil ultra vires einen Schadensersatzanspruch nicht des Klägers, sondern des Beklagten annimmt. 353 Vgl. Ulp. D. 5.1.15.1 (hierzu gleich). 354 Vgl. Simshäuser, SZ 109 (1992) 177f., RH 67 (1989) 636.
114
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
tio 355 ließ allenfalls eine summarische Prüfung der Aussichten des Vorprozesses und eine Wertung der Schwere des v o m iudex begangenen Verfahrensverstoßes erwarten. Das zeigt, daß die Klage gegen den iudex qui litem suam fecerit nicht rein sachverfolgend war, sondern auch eine pönale Komponente aufwies. N u r dann, wenn die Höhe des Interesses leicht feststellbar war, w i r d die Verurteilung auf diesen Betrag gelautet haben; die von Gaius so bezeichnete poena fiel dann ausnahmsweise mit dem sachverfolgenden Interesse zusammen. U m einen solchen Fall geht es wohl in folgender Stelle. D. 5. LI 5.1, Ulp. 21 ad ed.: 356 Iudex tunc litem suam facere intellegitur, cum dolo malo in fraudem legis sententiam dixerit (dolo malo autem videtur hoc facere, si evidens arguatur eius vel gratia vel inimicitia vel etiam sordes), ut veram aestimationem litis praestare cogatur. Der Grundsatz, daß der iudex für eine materielle Fehlentscheidung nicht haftete, wurde offenbar bei vorsätzlicher Rechtsbeugung durchbrochen. 3 5 7 Hier
355 Vgl. Gai. D. 50.13.6: ... in quantum de ea re aequum religioni iudicantis visum fuerit, poenam sustinebit; Inst. 4.5 pr. Siehe hierzu Lenel, EP3 168f.; Guarino, Labeo 8 (1962) 10, 13 f.; Lamberti, Labeo 36 (1990) 237 66 . Zum Teil wird die Auffassung vertreten, daß die condemnatio - entgegen fr. 13.6 - stets auf den Betrag des Vorprozesses gelautet hätte; so Giménez-Candela, Cuasidelitos 54; Paricio, Actiones in aequum 111 f.; Cremades/Paricio, AHDE 54 (1984) 207; A.d'Ors, SDHI 48 (1982) 390f.; De Francisci, Συνάλλαγμα II 134f. Das erscheint aber angesichts der im Regelfall bestehenden Unsicherheit hinsichtlich des Ausgangs des Vorprozesses nicht überzeugend. Zu der in Ulp. D. 5.1.15.1 angesprochenen Verurteilung auf die vera aestimatio litis siehe gleich (u. m. 3 5 6 ). 356 Die Stelle wird zum Teil - im Hinblick auf die These einer verschuldensunabhängigen Haftung oder wegen der nach Gai. D. 50.13.6 in (bonum et) aequum lautenden condemnatio - für unecht erklärt; Lenel, EP 3 216f.; A.d'Ors, SDHI 48 (1982) 378; Giménez-Candela, Cuasidelitos 48ff.; Voci, SDHI 64 (1998) 27ff. Einen größeren Textausfall nimmt Mayer-Maly, TR 60 (1992) 196, an. Robinson, SZ 116 (1999) 199 m. 2 9 bezieht fr. 15.1 auf das Kognitionsverfahren. Indes weist Birks, TR 52 (1984) 384, zu Recht darauf hin, daß sich eine Ausweitung der Haftung des Richters bei dolus auf materielle Fehlentscheidungen mit der sonst nicht auf Vorsatz basierenden Haftung vereinbaren läßt. Die condemnatio in (bonum et) aequum bot die erforderliche Grundlage, um die vorsätzliche Rechtsbeugung des iudex besonders zu berücksichtigen. Für die Echtheit der Stelle auch Pugsley, IJ 4.2 (1969) 353 f.; Lamberti, Labeo 36 (1990) 248ff., 264. Zur palingenetischen Einordnung - insbesondere zur Frage, ob mit fraus legis die Umgehung einer bestimmten lex gemeint war - siehe Lenel 216f.; Birks 386f.; Giménez-Candela49f. 357 Vgl. Birks, TR 52 (1984) 384f.; zustimmend De Martino, BIDR 91 (1988) 13; Simshäuser, SZ 109 (1992) 178 43 , RH 67 (1989) 636 87 . Die Interpretation von Cremades/Paricio, AHDE 54 (1984) 204f., wonach mit dolus malus in Ulp. D. 5.1.15.1 nicht der subjektive Tatbestand im Sinne von 'Vorsatz' gemeint sei, sondern die 'bösartige', d.h. zu einem Schaden führende fraus legis, vermag nicht zu überzeugen; gegen Cremades/Paricio vgl. auch Giménez-Candela 50.
II. Zusammenfassung
115
mußte der iudex in Höhe des tatsächlichen Streitwerts (vera aestimatio litis) einstehen. 358
I I . Zusammenfassung Die Behandlung der im Edikt enthaltenen pönalen actiones in factum hat gezeigt, daß der Begriff der actio in factum hier weder für Klagen steht, die jeweils dem Einzelfall angepaßt werden sollten, noch mit der Kategorie der Klagen mit in factum konzipierter Formel gleichgesetzt werden kann. Bei den im Edikt enthaltenen pönalen actiones in factum handelt es sich durchweg um generell-abstrakte Klagen, die durch das Edikt in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen genau definiert waren. Die Klagformel erfaßte von vornherein eine unbestimmte Vielzahl von Fällen, weshalb für eine Anpassung der Klagformel an den jeweiligen Einzelfall grundsätzlich kein Bedürfnis bestand. 359 Der generell-abstrakte Charakter der Klagen ergibt sich dabei zum Teil aus dem allgemein gehaltenen Verheißungsedikt, zum Teil aus dem Wortlaut der überlieferten bzw. rekonstruierten Klagformel. Weiterhin lassen die Beschreibung der einzelnen Klagen als allgemeine Rechtsbehelfe in den Juristenschriften bzw. die ausführliche Kommentierung von Tatbestandsmerkmalen den Rückschluß zu, daß die Klagen auf eine Vielzahl von Fällen Anwendung fanden. Im einzelnen haben sich folgende Hinweise auf die generell-abstrakte Natur der Klagen ergeben: 1. Klage wegen Ladung einer Respektsperson: Klagformel in Gai. 4.46. 3 6 0 2. Klagen wegen Verhinderung der Ladung bzw. des Erscheinens vor Gericht: a) Klage wegen gewaltsamer Verhinderung der Ladung: Beschreibung der Klage in Ulp. D. 2.7.5.1 (In eum autem, qui vi exemit, ...J. 3 6 1 b) Klage wegen doloser Verhinderung des Erscheinens in iure: Beschreibung der Klage in lui. D. 2.10.3 pr. (Ex hoc edicto adversus eum, qui dolo fecit, quo minus quis in iudicium vocatus sistat, in factum actio competit ...). 358
In der Anweisung zur condemnatio in (bonum et) aequum lag ohne weiteres auch die Ermächtigung, auf quanti ea res est - d.h. hier auf die vera aestimatio litis - zu verurteilen; vgl. Lenel, EP3 168f.; Guarino, Labeo 8 (1962) 14; De Martino, BIDR 91 (1988) 9 f. Die Annahme zweier verschiedener Klagen, je nachdem, ob es sich um einen Fall des dolus oder der bloßen imprudentia handelte (so noch Rudorff, EP 92; Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1349 f.), ist daher abzulehnen. 359 A.A. Käser, SZ 101 (1984) 100 (zustimmend Reichard, Drittschadensersatz 47): „Gemeint ist überall, daß die Formel der Lage des Einzelfalls angepaßt werden soll." Siehe o. 26 m. 4 6 360 Siehe o. 43. 361 Siehe 0.48. 362 Siehe 0.53.
116
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
3. Klage auf Rechnungslegung aus dem Edikt 'De edendo': Rekonstruktion der Klagformel. 363 4. Klage wegen prozessualer calumnia gegen Bezahlung: Beschreibung der Klage in Ulp. D. 3.6.1 pr. (In eum qui, ut calumniae causa negotium faceret vel non faceret, pecuniam accepisse dicetur, .. J. 364 5. Strafklagen gegen nauta , caupo, stabularius wegen damnum oder furtum: Rekonstruktion der Klagformeln. 365 6. Actio de deiectis vel effusis: Verheißungsedikt in Ulp. D. 9.3.1 p r . 3 6 6 7. Sogenannte actio de posito vel suspenso: Verheißungsedikt in Ulp. D. 9.3.5.6, Kommentierung der Formelworte „positum habuisse Ulp. eod. 5.12. 3 6 7 8. Klage gegen den Feldmesser: Rekonstruktion der Formel. 3 6 8 9. Klagen gegen den tutor falsus: Verheißungsedikt in Ulp. D. 27.6.7 pr.; Beschreibung als ediktale Klage in Ulp. D. 27.6.11.1 (tenebitur hoc edicto). 10. Klage bei betrügerischem Verkaufeines Scheinsklaven: Beschreibung der Klage in Ulp. D. 40.12.14.1 (quae actio totiens locum habet, quotiens ...). 11. Strafklagen im Zusammenhang mit der missio in possessionem: a) Strafklage gegen den in den Besitz eingewiesenen Gläubiger: Verheißungsedikt in Ulp. D. 42.5.9 p r . 3 7 1 b) Strafklage bei Behinderung des in den Besitz eines Vermögens Eingewiesenen: Verheißungsedikt in Ulp. D. 43.4.1 pr., Beschreibung als edictum generale, Ulp. eod. 1.2. 3 7 2 12. Klage aus Schädigung bei turba: Verheißungsedikt in Ulp. D. 47.8.4 pr., Kommentierung des Begriffs turba , Ulp. eod. 4.2 f . 3 7 3 13. Actio de sepulchro violato : Verheißungsedikt in Ulp. D. 47.12.3 p r . 3 7 4 14. Klage gegen den Richter qui litem suam fecerit: Beschreibung der Klage in Gai. D. 50.13.6 (Si iudex litem suam fecerit, . . J . 3 7 5
Hinweise darauf, daß es zu einer Anpassung der ediktalen Klage an ursprünglich nicht erfaßte Sachverhalte durch eine allmähliche Erweiterung des Edikts kam, finden sich nur im Zusammenhang mit der Feldmesserklage. 376 Hier wurde die ediktale Strafklage auf die vorsätzlich fehlerhafte Messung an363 364 365 366 367 368 369 370 371 372 373 374 375 376
Siehe o. 62. Siehe 0.63. Siehe 0.77 f. Siehe o. 79. Siehe o. 82. Siehe o. 84. Siehe o. 89, 91. Siehe 0.93. Siehe 0.95. Siehe o. 97. Siehe o. 105 f. Siehe o. 108. Siehe o. 110. Vgl. Ulp. D. 11.6.5.2: Hoc iudicium latiuspraetorporrexit:
... Hierzu o. 86f.
II. Zusammenfassung
117
derer Gegenstände als landwirtschaftlicher Felder durch einen mensor sowie auf die falsche Angabe der Grundstücksfläche durch Personen, die nicht die Eigenschaften eines mensor erfüllten, ausgedehnt. Aus diesem Sonderfall kann freilich nicht geschlossen werden, daß es bei den eigenständigen actiones in factum regelmäßig um eine Anpassung der Klagformel an den jeweiligen Einzelfall gegangen wäre. Bei einigen pönalen actiones in factum wird die generell-abstrakte Ausgestaltung der jeweiligen ediktalen Grundklage besonders deutlich: Es kam zur Bildung von formularen Abwandlungsklagen, was beweist, daß die jeweilige ediktale Klage als feststehender Rechtsbehelf angesehen wurde. Waren die Voraussetzungen für die ediktale Klage nicht gegeben, so mußte - nicht anders als bei zivilen Klagen - eine formulare Abwandlungsklage gewährt werden. Folgende Fälle von Abwandlungsklagen zu im Edikt enthaltenen pönalen actiones in factum sind in den Quellen überliefert: -
-
-
Actio utilis zur Strafklage gegen den nauta wegen damnum , wenn der Schaden durch den Sklaven eines vom exercitor navis eingesetzen nauta verursacht wurde und der Sklave selbst nicht die Aufgaben eines Seemanns hatte (Ulp. D. 4.9. 7.3). 3 7 7 Abgewandelte actio in factum zur actio de deiectis vel effusis bei gewerblicher Nutzung von Räumen (Ulp. D. 9.3.5.3). 378 Actio utilis zur actio de deiectis vel effusis gegen den Kapitän eines Schiffes (Paul. D. 9.3.6.3). 379 Actio ad exemplum zur Grundklage aus dem Edikt 'Ne quis in in suggrunda \ wenn der Gegenstand nicht auf einem Wetter- oder Vordach (in suggrunda protectove Λ sondern auf einer Bude (pergula) aufgestellt war (Ulp. D. 9.3.5.12). 8 0 Actio ad exemplum zur Klage gegen den tutor falsus (Ulp. D. 27.6.9 pr., I ) . 3 8 1
Nicht stören darf, daß Ulpian und Paulus die Abwandlungsklagen verschieden bezeichnen, nämlich als actio in factum, actio utilis und actio ad exemplum; in der Spätklassik wurden - neben dem allgemeinen Begriff der actio ad exemplum 3S2 - für Tatbestandserweiterungen auch die Begriffe actio in factum und actio utilis unterschiedslos verwendet. 383 Die Ausbildung von Abwandlungsklagen zeigt, daß mit der Bezeichnung der zugehörigen ediktalen Grundklagen als actiones in factum nicht gemeint sein kann, daß die Formel jeweils
377 378 379 380 381 382 383
Siehe o. 79. Siehe 0.81. Siehe o. 81. Siehe o. 82. Siehe 0.89. Hierzu ο. I I 3 Vgl. o. 34 ff.
118
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
der Lage des Einzelfalls angepaßt werden sollte. 384 Würde dies zutreffen, hätte die ediktale Grundklage selbst erteilt werden können, so daß es einer Gewährung formularer Abwandlungsklagen gerade nicht bedurft hätte. Auch die Gleichsetzung des Begriffs der actiones in factum mit dem der formula in factum concepta hat sich als unzutreffend herausgestellt. Zwar weisen wohl die meisten der im Edikt enthaltenen pönalen actiones in factum in der Tat eine in factum konzipierte Formel auf; häufig läßt aber - wie sich gezeigt hat der inhaltliche Zusammenhang erkennen, daß die Bezeichnung als actio in factum keinen Bezug zur Frage der Formelkonzeption aufweist. Die nachfolgende Obersicht gibt die in den Quellen enthaltenen Belege bzw. Indizien für das Auftreten von in factum konzipierten Klagformeln bei den Pönalklagen wieder; insbesondere die Beschreibung der einzelnen Klagevoraussetzungen im Verheißungsedikt und in den Kommentaren läßt auf eine formula in factum concepta schließen, die auf eben diese Voraussetzungen abstellte: -
-
384 385 386 387 388 389 390 391 392
Klage wegen Ladung einer Respektsperson: Wiedergabe der in factum konzipierten Klagformel in Gai. 4.46. 3 8 5 Klagen wegen Verhinderung der Ladung bzw. des Erscheinens vor Gericht: a) Klage wegen gewaltsamer Verhinderung der Ladung: Beispiel für eine Klage mit formula in factum concepta in Gai. 4.46. 3 8 6 b) Klage wegen doloser Verhinderung des Erscheinens in iure: Beschreibung der einzelnen Klagevoraussetzungen in lui. D. 2.10.3 p r . 3 8 7 Klage auf Rechnungslegung aus dem Edikt 'De edendo Rekonstruktion der in factum konzipierten Klagformel. 388 Klage wegen prozessualer calumnia gegen Bezahlung: Klagevoraussetzung des calumniae causa negotium, vgl. Ulp. D. 3.6.1 p r . 3 8 9 Actio de deiectis vel effusis: Beschreibung der einzelnen Klagevoraussetzungen im Verheißungsedikt, vgl. Ulp. D. 9.3.1 p r . 3 9 0 Sogenannte actio de posito vel suspenso: Beschreibung der einzelnen Klagevoraussetzungen im Verheißungsedikt, vgl. Ulp. D. 9.3.5.6. 391 Klage gegen den Feldmesser: Rekonstruktion der in factum konzipierten Klagformel. ^
Vgl. die Nachw. o. 26 m. 4 6 Siehe 0.43. Siehe o. 51. Siehe o. 53, 60. Siehe o. 62. Siehe 0.63. Siehe o. 79. Siehe 0.82. Siehe o. 84.
II. Zusammenfassung -
-
-
119
Klagen gegen den tutor falsus: Beschreibung der einzelnen Klagevoraussetzungen im Verheißungsedikt, vgl. Ulp. D. 27.6.7 pr., bzw. in der Kommentierung in Ulp. D. 27.6.11.1. Klage bei betrügerischem Verkauf eines Scheinsklaven: Klagevoraussetzung des dolosen Sich-Verkaufenlassens, vgl. Ulp. D. 40.12.14 p r . 3 9 4 Strafklagen im Zusammenhang mit der missio in possessionem: a) Strafklage gegen den in den Besitz eingewiesenen Gläubiger: Beschreibung der einzelnen Klagevoraussetzungen im Verheißungsedikt, vgl. Ulp. D. 42.5. 9 pr.395 b) Strafklage bei Behinderung des in den Besitz eines Vermögens Eingewiesenen: Beschreibung der einzelnen Klagevoraussetzungen im Verheißungsedikt, vgl. Ulp. D. 43.4.1 p r . 3 9 6 Klage aus Schädigung bei turba: Beschreibung der einzelnen Klagevoraussetzungen im Verheißungsedikt, vgl. Ulp. D. 47.8.4 p r . 3 9 7 Actio de sepulchro violato: Beschreibung der einzelnen Κ läge Voraussetzungen im Verheißungsedikt, vgl. Ulp. D. 47.12.3 p r . 3 9 8 Klage gegen den Richter qui litem suam fecerit: Klagevoraussetzung des litem suam facere, vgl. Gai. D. 50.13.6. 3 9 9
Daß der Begriff actio in factum dennoch nicht mit der Formelkonzeption in factum korrespondiert, wird insbesondere aus der Stelle D. 44.7.25.1 deutlich, 400 in der Ulpian den actiones ex contractu die actiones ex facto und in factum gegenüberstellt. Die actiones in factum stehen hier, wie das in fr. 25.1 genannte Beispiel der Strafklage des Patrons gegen den Freigelassenen nahelegt, für die prätorischen Delikte. Eine Gleichsetzung mit den Klagen, die eine formula in factum concepta aufweisen, verbietet sich; zu den Klagen mit in factum konzipierter Formel zählen nämlich, wie die formulae in factum conceptae zur actio depositi und commodati zeigen, auch Kontraktsklagen, so daß insoweit die Kategorie der actiones ex contractu und gerade nicht die der actiones in factum angesprochen ist. Auch in weiteren Stellen wird der Begriff actio in factum gelegentlich als Synonym für die Klage aus prätorischem Delikt verwendet; 401 zum Teil steht er ohne einen Bezug auf die Konzeption der Klagformel - für die ediktale Grundklage als solche. Gegen einen Zusammenhang des Begriffs der actio in factum 393
Siehe o. 89,91. Siehe 0.93 f. 395 Siehe o. 95. 396 Siehe o. 97. 397 Siehe o. 105 f. 398 Siehe o. 108. 399 Siehe o. 110. 400 Siehe o. 46. 401 Vgl. - außer den Nachweisen in der folgenden Übersicht - auch Ulp. D. 12.2.3.1 (u. 142). 394
120
§ 4 Im Edikt enthaltene Pönalklagen
und der belegten bzw. zu vermutenden Formelkonzeption in factum sprechen im einzelnen folgende Anhaltspunkte: -
-
-
-
-
-
-
-
-
402 403 404 405 406 407 408 409 410 411 412
Ulp. D. 44.7.13: Die Frage der Formelkonzeption hat ftir die Erstreckung von Klagen auf den Haussohn keine maßgebliche Bedeutung. 402 Ulp. D. 2.7.5.3: Die Bezeichnung der Klage als iudicium in factum steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beschreibung als Klage aus prätorischem Delikt.403 Ulp. D. 48.10.25: Der Ausdruck actio in factum poenalis dient vermutlich als Hinweis darauf, daß es sich um eine Strafklage aus prätorischem Delikt handelt. 4 0 4 Paul. D. 4.9.6.1: Mit „quia in factum est" ist wohl gemeint, daß die Klagen gegen den nauta , caupo oder stabularius auf einen anderen Sachverhalt (factum) als die actio legis Aquiliae und die actio furti abstellen 4 0 5 Ulp. D. 9.3.1.4: Es geht um den materiellen Anwendungsbereich der Klage und nicht um die Frage der Formelkonzeption. 406 Ulp. D. 9.3.5.6: Die Ediktsworte „in factum iudicium dabo" sind nicht als Hinweis auf die in factum konzipierte Formel zu verstehen; aus der im Anschluß proponierten Klagformel war die Formelkonzeption ohne weiteres ersichtlich 4 0 7 Ulp. D. 27.6.9.1: Die Frage der passiven Unvererblichkeit der Klage steht in keiner Verbindung zur Formelkonzeption; der Begriff actio in factum meint wohl die Klage aus prätorischem D e l i k t 4 0 8 Ulp. D. 40.12.22 pr.: Die von Ulpian befürwortete aktive Vererblichkeit der Klage weist keinen Bezug zur Frage der Formelkonzeption auf; der Begriff actio in factum meint wohl die Klage aus prätorischem Delikt. 4 0 9 Ulp. D. 42.5.9 pr.: Aus der Beschreibung der einzelnen Tatbestandsmerkmale ist ersichtlich, daß die Klagformel in factum konzipiert war; ein ausdrücklicher Hinweis hierauf ist im Rahmen des Verheißungsedikts nicht zu erwarten 4 1 0 Ulp. D. 43.4.1 pr.: Aus der Beschreibung der Klage in ihren einzelnen Tatbestandsmerkmalen ist die Formelkonzeption in factum unmittelbar erkennbar, weshalb im Verheißungsedikt ein ausdrücklicher Hinweis hierauf nicht zu erwarten ist. 4 1 1 Ulp. D. 47.8.4.11: Die Formelkonzeption in factum hat mit der Verurteilung auf das duplum und der Frage der Schadensberechnung nichts zu tun; der Begriff actio in factum meint wohl die Klage aus prätorischem D e l i k t 4 1 2
Siehe o. 45. Siehe 0.51. Siehe 0.58. Siehe o. 70, 72 ff. (76). Siehe o. 80. Siehe o. 82. Siehe o. 89 f. Siehe 0.93 f. Siehe 0.95. Siehe 0.97. Siehe o. 106.
II. Zusammenfassung -
-
121
Ulp. D. 47.12.3 pr.: Die Formelkonzeption in factum ist aufgrund der Beschreibung der Klage in all ihren Einzelheiten im Rahmen des Verheißungsedikts ohne weiteres erkennbar und bedurfte daher keiner Klarstellung durch den Prätor. 413 Gai. D. 50.13.6: Die Qualifikation der Klage als Strafklage (utique peccasse aliquid intellegitur - poenam sustinebit) steht mit der Frage der Formelkonzeption in keiner Verbindung. 414
Entscheidend gegen die Gleichsetzung von actio in factum und formula in factum concepta spricht, daß nicht sämtliche eigenständigen pönalen actiones in factum eine in factum konzipierte Formel besaßen, sondern durchaus auch Klagen mit einer formula in ius concepta anzunehmen sind. Die Ähnlichkeit der besonderen Sachbeschädigungs- und Diebstahlsklage gegen den nauta , caupo, stabularius mit der actio legis Aquiliae bzw. zur actio furti machen es wahrscheinlich, daß es sich hierbei um in ius konzipierte Klagen handelt, die gleichwohl als actiones in factum bezeichnet wurden. 415 Gegen eine Formelkonzeption in factum, wie sie Lenel vermutet, spricht, daß die sonstigen Abwandlungsklagen zur actio legis Aquiliae wohl Klagen mit formula in ius concepta waren. Da nur einzelne Tatbestandsmerkmale geändert werden mußten, konnte die Konzeption der zivilen Grundklage unschwer aufrechterhalten werden. Dem Prätor, der im Bereich der klageerweiternden actiones in factum zur actio legis Aquiliae aufgrund seiner Jurisdiktionsgewalt honorarrechtliche Klagen mit ziviler Formelkonzeption schaffen konnte, muß dies auch bei honorarrechtlichen Klagen möglich gewesen sein, die - wie bei der besonderen Sachbeschädigungs- und Diebstahlsklage gegen den nauta , caupo, stabularius - nicht mehr bloße Klageerweiterungen, sondern eigenständige Klagen darstellten. Ein Unterschied zwischen den durch Einzelfalldekret erteilten klageerweiternden actiones in factum und den eigenständigen actiones in factum, die im Edikt enthaltenen waren, ist hier entgegen einer verbreiteten Meinung 4 1 6 nicht feststellbar.
413
Siehe o. 108. Siehe o. 11 Off. 415 Siehe o. 70 ff. (77 ff). 416 Vgl. Wesener, SZ 112 (1995) 1 12f.; Selb, St. Biscardi III (1982) 324f., St. Sanfilippo V (1984) 739; Sotty. Recherche 479; Talamanca, Istituzioni 313, 317, ED 36 (1987) 53 m . 3 7 4 Hierzu o. 24 f. m. 3 9 414
§ 5 Im Edikt enthaltene rein sachverfolgende Klagen Das häufige Vorkommen ediktaler prätorischer Strafklagen, die als actiones in factum bezeichnet werden, 1 hat Levy zu dem Schluß veranlaßt, sämtliche actiones in factum seien als Strafklagen einzustufen. 2 Die Sichtung der einschlägigen Quellen zeigt jedoch, daß es sich auch bei den im Edikt verheißenen actiones in factum durchaus um rein sachverfolgende Klagen handeln konnte. Selbst die honorarrechtlichen Delikte sind nicht durchweg pönaler Natur, sondern weisen zum Teil eine rein sachverfolgende Funktion auf. Die These, daß es sich bei sämtlichen actiones in factum um Strafklagen handeln würde, muß daher abgelehnt werden. 3 Der folgende Überblick wird dies deutlich machen.
I. Darstellung der einzelnen Klagen 1. Klage bei Veräußerung einer vom Prozeß bedrohten Sache: D. 4.7.1 pr. Im Fall der Veräußerung einer vom Prozeß bedrohten Sache - d.h. noch vor Abschluß der litis contestatio - in der Absicht, die Rechtslage des Gegners zu erschweren (alienatio iudicii mutandi causa), sah das Edikt besondere Maßnahmen vor. 4 Dem Aktivlegitimierten gewährte der Prätor eine in integrum restitutio, 5 die mit Hilfe einer auf Schadensersatz gerichteten actio in factum verwirklicht wurde. 6
1
Vgl. § 4 I, o. 42 ff. Levy, Privatstrafe 8 f., 12 ff., 88 f. 3 Vgl. gegen Levy auch Käser, RP I 2 502 27 , 626 1 ; Mitteis, SZ 37 (1916) 331 ff.; Beseler, Beiträge IV 258 f f ; Siber, Rom. Recht II 227f. Dagegen nimmt Murga, RIDA 3 21 (1974) 304 f. (= Est. Santa Cruz Teijeiro II [1974] 121 f.) erst eine spätere Depönalisierung der Klagen an. 4 Vgl. Paul. D. 4.7.8.1: A it praetor: 'quaeve alienatio iudicii mutandi causa facta erit id est si futuri iudicii causa, non eius quod iam sit. Hinweise auf das Edikt auch in Gai. D. 4.7.3.5; Ulp. eod. 4 pr.-4, 10 pr.; Marci, eod. 12. Zur Veräußerung der bereits prozeßbefangenen Sache siehe u. 127 f f 5 Vgl. D. 4.7.3.4: ... proconsul in integrum restituturum se pollicetur, ... (hierzu gleich). 6 Vgl. Lenel, SZ 27 (1916) 104ff. (111 f.); EP3 127; Kupisch, In integrum restitutio 12 f., 254f.; Käser, SZ 94 (1977) 171; Knütel, FG Käser (1986) 118 98 . De Francisci, Συνάλλαγμα II 99, hält in factum actione für interpoliert, weil der Ausdruck in den Institutionen des Gaius nicht auftaucht; hierzu ο. H O 3 3 8 . 2
1.1 Veräußerung einer vom Prozeß bedrohten Sache
123
D. 4.7. / pr., Gai. 4 ad edprov.: Omnibus modis proconsul id agit, ne cuius deterior causa fiat ex alieno facto: et cum intellegeret iudiciorum exitum interdum duriorem nobis constitui opposito nobis alio adversario, in eam quoque rem prospexit, ut, si quis alienando rem alium nobis adversarium suo loco substituerit idque data opera in fraudem nostram fecerit, tanti nobis in factum actione teneatur, quanti nostra intersit alium adversarium nos non habuisse. Die Klage beruhte zwar auf Delikt, war aber nicht pönal, sondern hatte rein sachverfolgende Funktion. 7 V o n Julian w i r d die Klage auch als prätorische Klage (actio praetoria)
be-
zeichnet: D. 10.3.24.1, lui. 8 dig.: Cum agere tecum communi dividundo vellem, partem tuam Titio tradidisti mutandi iudicii causa: teneris mihi praetoria actione, quod fecisses, ne tecum communi dividundo ageretur. Der Schutz des Passivlegitimierten bestand darin, daß der Prätor dem Erwerber die Klage denegierte. 8 D. 4.7.12, Marci. 14 inst. : (...) is vero qui emit si experiri velit, ex illa parte edicti vetatur, qua cavetur, ne qua alienatio iudicii mutandi causa fiat. Ein Verschlechterung der Rechtslage des Gegners konnte darin liegen, daß sich der Erwerber der Sache in einer anderen Provinz befand, so daß auswärts geklagt werden mußte, oder daß es sich um einen potentior handelte, der gefährlich werden konnte. 9 Weitere Fälle werden in Gai. D. 4.7.3.2f. genannt. Da7 Vgl. Ulp. D. 4.7.4.6: Haec actio non est poenalis, sed rei persecutionem arbitrio iudieis continet, ...; Gai. eod. 7: quia pertinet quidem ad rei persecutionem, videtur autem ex delicto dari; hierzu Ankum, BIDR 85 (1982) 18 7 ; Käser, SZ 94 (1977) 1 7 1 2 7 0 f ; Knütel, FG Käser (1986) 118; Kaser/Hackl, RZ 2 299 26 . Dagegen halten Biondi, Actiones arbitrariae llOf.; Levy, Privatstrafe 83f.; Lübtow, SZ 52 (1932) 334; Voci, SDHI 64 (1998) 44, non est poenalis in fr. 4.6 für unecht; für Pönalität auch Blanch Nougués, La intransmisibilidad 81 ff. 8 Nach Ulp. D. 4.7.11 muß der Veräußerer (prior dominus) die Klage erheben und nicht der Erwerber (miles)'. ... si iudicii mutandi causa donatio facta fuerit, priorem dominum experiri oportere, ut rem magis quam litem in militem transtulisse credatur. Problematisch ist, wie die Klage des Veräußerers, der ja nicht mehr berechtigt war, verwirklicht wurde. Lenel, EP3 127, geht von einer Klage rescissa alienatione aus; jedoch erscheint eine in integrum restitutio zugunsten des Veräußerers, gegen den sich das Edikt 'De alienatione iudicii mutandi causa facta ' gerade richtete, nicht wahrscheinlich. Vermutlich mußte der Veräußerer im Prozeß als cognitor oder procurator in rem suam auftreten; vgl. Partsch, De l'édit 6ff. Im Rahmen der Bestellung des Veräußerers als cognitor oder procurator wird dabei auch das Innenverhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber geregelt worden sein; a.A. Käser, SZ 94 (1977) 172 276 , der eine - nirgends belegte - actio in factum zugunsten des Erwerbers annimmt. 9 Vgl. Gai. D. 4.7.1.1, 3 pr., Ulp. eod. 2.
124
§ 5 Im Edikt enthaltene rein sachverfolgende Klagen
zu gehört die Veräußerung eines Grundstücks, bevor der Nachbar die actio aquae pluviae arcendae ]0 erheben konnte, so daß die Klage gegen den Erwerber nicht mehr auf Restitution, sondern nur noch auf patientiam praestare ging, d.h. auf Duldung der Beseitigung ohne Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen. Ähnlich verhält es sich beim interdictum quod vi aut clam, n wenn das mit einer Dienstbarkeit oder einem Nießbrauch belastete Grundstück, auf dem der Eigentümer eine den beschränkt-dinglich Berechtigen störende Anlage errichtet hatte, vor Anstrengung des Interdikts veräußert wurde; der beschränkt-dinglich Berechtigte konnte auch hier nicht mehr Restitution, sondern nur noch patientiam praestare verlangen. Einen weiteren Fall bildet die Grundstücksveräußerung, nachdem der Eigentümer des Nachbargrundstücks oder der beschränkt-dinglich Berechtigte sich mit einer operis novi nuntiatio gegen die Errichtung einer störenden Anlage gewandt hatte; 12 der Nachbar konnte gegen den Erwerber, gegen den die nuntiatio nicht gerichtet war, nicht vorgehen. Abzulehnen ist die ältere Ansicht, wonach in integrum restitutio und actio in factum voneinander zu trennen seien,13 etwa dergestalt, daß erstere bei einer Verfügung über das Recht an der Sache gewährt worden sei, zweitere im Fall der bloßen Besitzübertragung. 14 Die eben genannten Beispiele aus Gai. D. 4.7. 3.2f., bei denen es gerade um die Übertragung von Grundstückseigentum geht, zeigen, daß die in integrum restitutio nicht etwa darauf gerichtet war, die alte Eigentumslage durch Fiktion wiederherzustellen, um so die verlorene Klage zu eröffnen; 15 die in integrum restitutio wurde vielmehr durch die actio in factum verwirklicht. 16 Das zeigt auch die nachfolgende Stelle, die sich an die Beispiele 10 11
Hierzu Käser, RP I 2 407. Vgl. Käser 409 m. 5 2 ; Musumeci, St. Sanfilippo V I I (1987) 489if.; Fargnoli, Studi
42 ff. 12
Vgl. Käser 408 f. Vgl. noch Lenel, EP 2 121 ff. (anders bereits in SZ 27 [1916] 104 ff. [111 f.]; EP 3 127); De Francisci, Συνάλλαγμα II 99; Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1092f.; neuerdings Valino, Actiones utiles 54; Kaser/Hackl, RZ 2 299 (vgl. aber 299 26 , 425 m. 33 ). 14 Zu anderen Versuchen, das Nebeneinander von in integrum restitutio und actio in factum zu erklären, vgl. Partsch, De l'édit 40ff. (43 ff.); L. Mitteis, SZ 30 (1909) 451 ff. (454); Kniep, Gaius 310; Pissard, NRH 34 (1910) 377ff. (386ff); Biondi, Actiones arbitrariae 106ff.; Kretschmar, SZ 40 (1919) 136ff. (156f.); 48 (1928) 556ff. Beseler, Beiträge II 153 ff, hält die in integrum restitutio im Fall der alienatio iudicii mutandi causa für unklassisch. 13
15 Auch Diocl./Max. C. 2.54.1 (quem elegeris conveniendi tibi tributam esse iure facultatem) zwingt nicht zu dem Schluß, daß die verlorene vindicatio gegen den Veräußerer wieder ermöglicht wird; das Wahlrecht läßt sich - im Einklang mit den übrigen Quellen - auf zwei verschiedene Klagen beziehen, nämlich die vindicatio gegen den Erwerber sowie die actio in factum gegen den Veräußerer; vgl. Lenel, EP3 128; Käser, SZ 94 (1977) 171 214 . 16 Vgl. Gai. D. 4.7.3.3: te hoc iudicio teneri , wobei mit hoc iudicio die actio in factum gemeint ist. Vor der Erteilung der actio in factum mußte vom Prätor wohl kein ge-
1.1 Veräußerung einer vom Prozeß bedrohten Sache
125
mit „ex quibus apparet, quod" 17 anschließt und auf die actio in factum verweist. D. 4.7.3.4, Gai. 4 ad ed. prov.: Ex quibus apparet, quod proconsul in integrum restituturum se pollicetur, ut hac actione officio tantum iudieis consequatur actor, quantum eius intersit alium adversarium non habuisse: forte si quas inpensas fecerit aut si quam aliam incommoditatem passus erit alio adversario substituto.
Dabei tritt die actio in factum nicht an die Stelle der durch die alienatio verloren gegangenen actio in rem. iS Mit dem bloßen Ausgleich des Verlusts der actio in rem wäre die weite Ausdehnung des Schadensersatzanspruchs auf sämtliche Nachteile, die dem Kläger aufgrund der alienatio iudicii mutandi causa entstanden sind (forte si quas inpensas fecerit aut si quam aliam incommoditatem passus erit% nicht zu erklären. Die arbiträre 19 actio in factum war daher auf eine judiziale Restitution gerichtet: In erster Linie wurde dem Beklagten vom iudex aufgegeben, die Situation, wie sie vor der alienatio iudicii mutandi causa bestanden hat, wiederherzustellen; kam es dazu nicht, schuldete der Beklagte umfassenden Schadensersatz. Zum Teil wird folgende Stelle als Beleg für eine in integrum restitutio Sinne einer fiktiven Wiederherstellung der alten Eigentumslage angeführt. 20
im
D. 4.7.10.1, Ulp. [12] ad ed. (Paul. 12aded.?J: 2] Si tutor pupilli vel adgnatus furiosi alienaverint, utilis actio competit, 22 quia consilium huius fraudis inire non possunt.
Der Tutor eines Pupills bzw. der adgnatus proximus als Kurator eines Geisteskranken haben eine alienatio iudicii mutandi causa vorgenommen. Da Pupill und Geisteskranker schlechthin als unfähig angesehen wurden, den für eine alienatio iudicii mutandi causa erforderlichen Entschluß zu fassen, 23 konnte ihsondertes Restitutionsdekret erlassen werden; vgl. Kupisch, In integrum restitutio 254f.; Käser, SZ 94 (1977) 171 2 7 4 ; a.A. Lenel, SZ 37 (1916) 112, EP 3 127. 17 Lenel, EP 3 126, schließt aus der Verbindung von apparet mit quod (statt mit Acl) zu Unrecht auf eine Verkürzung der Stelle; vgl. Kupisch, In integrum restitutio 254 57 . Im Spätlatein kommt quod anstelle des Acl häufiger vor; vgl. Hofmann/Szantyr, Lat. Grammatik II 731; Kühner/Stegmann, Lat. Grammatik II 2, 274 f., 279. 18 So Lenel, EP3 127f.; SZ 37 (1916) 111 f.; vgl. hiergegen Kupisch 254f. 19 Vgl. Ulp. D. 4.7.4.6; Paul. eod. 8 pr.; hierzu Lenel, EP3 129; Kupisch 255 61 . 20 Vgl. V alino, Actiones utiles 55; Hartkamp, Daube Noster (1974) 147f.; zweifelnd Solazzi, Scritti 1(1955) 520f. 21 Zur Inskription vgl. Lenel, SZ 37 (1916) 1161. 22 Zur Verwendung von competere im Zusammenhang mit Einzelfallklagen siehe o. 57 f. m. 7 4 23 Anders etwa bei der gemischten Strafklage wegen Behinderung des in den Besitz eines Vermögens Eingewiesenen (hierzu u. 97 ff), bei der auf die konkret-individuelle Einsichtsfahigkeit des Pupills abgestellt wird; vgl. Ulp. D. 43.4.1.6: doli capax.
126
§ 5 Im Edikt enthaltene rein sachverfolgende Klagen
nen auch die Arglist des Tutors bzw. Kurators nicht ohne weiteres, d.h. ohne eine Änderung der Klagformel, 24 zugerechnet werden. Die actio in factum aus dem Edikt war aus diesem Grund nicht unmittelbar anwendbar; an ihre Stelle trat eine actio utilis. Dabei handelt es sich nicht um eine Klage, bei der die Veräußerung hinwegfingiert wurde, sondern um eine Abwandlung der ediktalen actio in factum? 5 Vermutlich fand ein Subjektwechsel statt: Der Tatbestand der actio in factum, nämlich die alienatio iudicii mutandi causa, war durch das Handeln des Tutors bzw. Kurators erfüllt. In der intentio mußte folglich auf diese Personen abgestellt werden, d.h. auf die von ihnen vorgenommene alienatio und auf ihren dolus, 26 während in der condemnatio der Pupill bzw. der Geisteskranke als zu Verurteilender erschien. Eine fiktizische Klage ist nur für den Fall bezeugt, daß sich der Veräußerer freiwillig darauf einließ, im Prozeß so gestellt zu werden, als hätte er den Besitz nicht verloren. D. 4.7.3.5, Gai. 4 ad ed prov.: Quid ergo est, si is, adversus quem talis actio competit, paratus sit, utile iudicium pati perinde ac si possideret? recte dicitur denegandam esse adversus eum ex hoc edicto actionem.
Die fiktizische Klage ist hier also nicht Mittel der in integrum restitutio, sondern macht diese gerade überflüssig.
27
Die Identifizierung der vom Magistrat versprochenen in integrum restitutio mit der Erteilung der actio in factum macht es wahrscheinlich, daß die einzelnen Voraussetzungen der actio in factum im Rahmen des Verheißungsedikts genannt waren. 28 Es wird sich daher um eine auf den Tatbestand der alienatio iudicii mutandi causa abstellende Klage mit formula in factum concepta gehandelt haben. Wir haben es mit einer generell-abstrakten Klage zu tun, die nicht der Lage des Einzelfalls angepaßt werden mußte. 29 Hierfür spricht auch die Gewährung einer actio utilis im Fall der alienatio iudicii mutandi causa durch den 24
Zu einer unmittelbaren Zurechnung der Arglist kommt es dagegen beispielsweise bei der actio tributària, wobei die Haftung des Pupills allerdings auf die Bereicherung beschränkt war; vgl. Pap. D. 26.9.3: tributoria actione pupillum conveniendum ex dolo tutoris; ebenso Ulp. D. 14.4.3.1 mit weiteren Fällen. 25 So auch Käser, SZ 94 ( 1977) 171 2 7 0 ; Knütel, FG Käser ( 1986) 118. 26 Vgl. Käser 17 1 2 7 0 , Knütel 118", die sich allerdings nur auf den dolus beziehen. 27 So aber Valifio, Actiones utiles 55. 28 Auf die genaue Beschreibung der Klage im Verheißungsedikt deutet Gai. D. 4.7. 3.5 (ex hoc edicto actionem) hin; vgl. auch Paul. eod. 8 pr. (ex hoc edicto tenetur). 29 A.A. Lenel, EP3 128, der ausschließlich von einer Verheißung der in integrum restitutio ausgeht, ohne daß die Voraussetzungen der actio in factum im Edikt näher spezifiziert worden seien; der Prätor habe nur „eine Musterformel der actio in factum proponiert und sich stillschweigend vorbehalten, je nach Lage des Falls die actio so oder so zu fassen".
1.1 Exkurs: Veräußerung der streitbefangenen Sache Tutor oder Kurator; wäre die actio in factum
127
ohnehin jeweils nach dem Einzel-
fall gestaltet worden, hätte es einer Abwandlungsklage nicht bedurft. * * *
Exkurs: Veräußerung der streitbefangenen Sache Anders als die Veräußerung der von einem Prozeß bedrohten Sache war die Veräußerung der streitbefangenen Sache, d.h. nach Abschluß der litis contestatio, im klassischen Recht grundsätzlich nicht sanktioniert. 3 0 Eine Ausnahme bildet ein Edikt des Augustus, das vermutlich kurz nach 23 v. Chr. erlassen wurde. 3 1 fr. de iure fìsci 8 (FIRA II 628): Qui contra edictum divi Augusti rem litigiosam a non possidente comparavit, praeterquam quod emptio nullius momenti est, poenam quinquaginta 3 2 sestertiorum fisco repraesentare compellitur. Res autem litigiosa videtur, de qua Iis apud suum iudicem delata est. Sed hoc in provincialibus fundis prava usurpatone obtinuit. Nach dem Edikt war es verboten, daß ein Dritter in Kenntnis der litis contestatio v o m Kläger (a non possidente) - nicht dagegen vom Beklagten - ein
30
Anders Kaser/Hackl, RZ 2 298: „Prozeßbefangene Sachen dürfen nicht durch Kauf erworben ... werden." 31 Vgl. De Marini Avonzo, I limiti 173 ff.; Kiefner, GS Kunkel (1984) 119. 32 Sämtliche Textausgaben lösen die Zahlsigle der Veronenser Handschrift - soweit ersichtlich - in „ quinquaginta " sestertiorum auf (ebenso in fr. de iure fìsci 9: sestertiorum „quinquaginta"); vgl. neben FIRA II 268 auch Goeschen, Gai inst. 412 mit App.; Krüger, Ulpiani Uber singularis 164; Seckel/Kübler, Iurisprudentiae anteiustinianae reliquias 6 179. Die Auflösung quinquaginta sestertiorum würde - im Gegensatz zu quinquaginta milia sestertiorum - allerdings eine Strafandrohung in Höhe von nur 50 Sesterzen bedeuten; vgl. zur Sesterzenrechnung Nelson/Manthe, Gai Inst. I I I 88-181, 485 ff. (493). Eine derart niedrige Strafandrohung ist freilich nicht zu erwarten; vgl. Bachofen, Ausgewählte Lehren 88; De Marini Avonzo, I limiti della disponibilità 250 m. 2 4 2 ; Kiefner, GS Kunkel (1984) 120 14 ; Käser, SZ 86 (1969) 233; Kaser/Hackl, RZ 2 298 2 1 ; a.A. Provera, La vindicatio caducorum 149. Böcking, Gai inst., Anh. nach S. 258, liest bei fr. 9 (fol. I 4.23): SS*TA. Die Überstreichung der Sigle \ bedeutet eine Vertausendfachung, weshalb hier sicher in sestertiorum quinquaginta milium aufzulösen ist. Dagegen fehlt nach Böckings Apographum bei fr. 8 die Überstreichung (fol. I 4.10): JTASTOHUIII (quinquaginta sestertiorum). Aufgrund der unmittelbaren Abfolge der Siglen innerhalb von wenigen Zeilen ist jedoch eine unterschiedliche Abkürzungsweise bei ein und derselben Zahl nicht anzunehmen. Näher liegt, daß der Schreiber die Überstreichung in fr. 8 vergessen hat oder diese in der Handschrift nicht mehr lesbar ist, so daß +TA zu quinquaginta milium berichtigt werden muß. Puliatti, II 'de iure fìsci' 200, gibt fr. 8 ohne nähere Begründung folgendermaßen wieder: „... poenam quinquaginta millia sestertiorum ... " Jedoch paßt die Nominativ- bzw. Akkusativform millia nicht zum genitivus qualitatis.
128
§ 5 Im Edikt enthaltene rein sachverfolgende Klagen
streitbefangenes italisches Grundstück kaufte. 33 Der Kaufvertrag war unwirksam; 34 außerdem traf ihn eine Strafe von 50.000 Sesterzen. Es handelt sich hier wohl um eine Reaktion auf spekulative Grundstücksaufkäufe im Zusammenhang mit den zahlreichen Eigentumsprozessen, bei denen Proskribierte oder ihre Erben Grundstücke mit der Begründung zurückverlangten, daß diese unrechtmäßig konfisziert worden seien.35 Die Beklagten, meist Veteranen, sollten hier vor einem Wechsel des Prozeßgegners geschützt werden. 36 Die Veräußerung der streitbefangenen Sache durch den Beklagten war dagegen nicht regelungsbedürftig. Für die actiones in rem läßt sich das am Beispiel der rei vindicatio zeigen.37 Die Verfügung über das Recht an der Sache durch den Beklagten war für den Ausgang des Prozesses ohne Bedeutung. Hatte der Beklagte als Nichteigentümer verfügt, so war die Verfügung unwirksam und damit ohne Einfluß auf den Erfolg der Klage; war der Beklagte dagegen berechtigt, so mußte die Klage ohnehin als unbegründet abgewiesen werden, und zwar ohne Rücksicht darauf, daß der Beklagte zwischenzeitlich sein Eigentum auf einen Dritten übertragen hatte. Auch die Besitzübertragung nach der litis contestatio hatte auf den Prozeß keinen Einfluß; allenfalls der sine dolo malo eingetretene Besitzverlust führte zu einem Freispruch des Beklagten, dagegen nicht die vorsätzliche Besitzübertragung. 38 Auch soweit es bei actiones in personam auf das Eigentum bzw. den Besitz des Beklagten ankam, war eine Verfügung über das Eigentum oder die Aufgabe des Besitzes nach Abschluß der litis contestatio grundsätzlich ohne Wirkung auf den weiteren Prozeß. 39 Im Interdiktenverfahren war eine Veräußerung der 33 Betroffen waren von dem Edikt zunächst nur italische Grundstücke, nicht etwa allgemein die „ res litigiosa " (so aber Kaser/Hackl, RZ 2 298), wie der letzte Satz zeigt; vgl. De Marini Avonzo, I limiti della disponibilità 173 ff.; Käser, SZ 86 (1969) 521, Verbotsgesetze 55 m. 1 0 ; Kiefner, GS Kunkel (1984) 120. Erst später wurde das Verbot auf die Verpfandung von Grundstücken erweitert; vgl. Marci. D. 20.3.1.2. Zur nachklassischen Entwicklung siehe De Marini Avonzo 331 ff.; Kiefner 129ff. 34
Dagegen war die Verfügung über das Grundstück durch mancipatio wirksam; gegen den Erwerber, der um die Rechtshängigkeit des Grundstücksprozesses wußte, wurde aber eine exceptio gegeben; vgl. Gai. 4.117; Ulp. D. 44.6.1.1. 35 Vgl. Bachofen, Ausgewählte Lehren 60; De Marini Avonzo 180ff; Kiefner 122ff. 36 Zur exceptio, die die Beklagten gegen die Vindikation des Erwerbers erhielten, siehe o. 3 4 37 Vgl. Kiefner 128. 38 Vgl. Gai. D. 6.1.36.1; Ulp. eod. 15.3; Paul. eod. 27.1; Iul./Ulp. D. 21.2.21.3, die den Besitzer für dolus und culpa hafteten lassen. Nach Ansicht der Prokulianer konnte ein Besitzverlust nach Abschluß der litis contestatio grundsätzlich überhaupt nicht befreiend wirken; vgl. Paul. D. 5.3.40 pr. (zur hereditatis petitio). Siehe hierzu Käser, SZ 98 (1981) 102 ff., RP I 2 4 3 6 4 8 f r m.w.N. 39 Vgl. etwa zu Veräußerung des schädigenden Grundstücks durch den Beklagten bei der actio aquae pluviae arcendae Ulp./Iul. D. 39.3.4.1: Iulianus quoque scribit, si post iudicium aquae pluviae arcendae susceptum fundum alienaverit is cum quo actum
1.2 Sachverfolgende Klagen im Bereich des Grabrechts
129
Sache jedenfalls nach Erteilung des Interdikts ohne Bedeutung; im Rahmen des Nachverfahrens wurde nämlich nur geprüft, ob der Beklagte dem prätorischen Befehl bzw. Verbot zuwidergehandelt hat. 4 0 * *
*
2. Sachverfolgende actiones in factum im Bereich des Grabrechts a) Klage bei unrechtmäßiger
Bestattung : D. 11.7.2.1 f
Für den Fall, daß jemand einen Leichnam auf fremdem Grund bestattete, war im Edikt 'Si quis mortuum in locum alterius intulerit ' eine besondere Klage vorgesehen. 41 Eine unrechtmäßige Bestattung konnte zwar einen locus purus nicht zum locus religiosus machen, 4 2 so daß der am Grundstück Berechtigte nach weltlichem Recht grundsätzlich keinen Nachteil erlitt. 4 3 Die Exhumierung des Bestatteten durfte aber aus sakralen Gründen nur aufgrund eines decretum pontificum erfolgen. 4 4 Ohne ein solches Dekret war der Berechtigte sakralrechtlich daran gehindert, die uneingeschränkte Nutzung des Grundstücks wiederherzuesset, de praeterito damno et de opere restituendo id statuere iudicem debere, quod iudicaret, si nulla alienatio facta esset: nam et fundo alienato nihilominus iudicium manere et damni rationem venire etiam eius, quod alienationem contingit. Nach Pomponius bleibt die Klage sowohl bei einer Veräußerung des geschädigten Grundstücks durch den Kläger als auch bei einer Veräußerung des schädigenden Grundstücks durch den Beklagten unberührt; vgl. Pomp. eod. 16: Post venditionem et traditionem quod nocitum sit ei fundo, de quo ante iudicium acceptum sit aquae pluviae arcendae, nihilo minus eo iudicio venditorem posse consequi, non quia venditori, sed quod rei damnum datum sit, idque eum emptori restituere debere, sed si ante quam noceatur is cum quo actum sit vendat, statim agendum cum emptore, vel intra annum cum eo qui vendiderit, si iudicii evitandi causa id fecerit. In den beiden Fragmenten wird übereinstimmend für den Fall einer Veräußerung durch den Beklagten nach erfolgter litis contestatio ein Fortbestehen der Haftung jedenfalls für Schäden, die zum Zeitpunkt der Veräußerung bereits vorhanden waren, angenommen. Die unterschiedliche Position hinsichtlich der nach der Veräußerung eintretenden Schäden bietet keinen hinreichenden Anlaß, fr. 16 als interpoliert anzusehen; auch in fr. 4.1 wird zwischen dem Schadenseintritt vor und nach der Veräußerung ausdrücklich unterschieden, was auf den Meinungsstreit hindeutet. Für die Echtheit der Stellen auch Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1094; F.Peters, SDHI 35 (1969) 177 187 , 206 3 0 7 ; a.A. Partsch, De l'édit 19ff; Sargenti, L'actio 191; Sitzia, Ricerche 136 221 . 40 Vgl. zum Nachverfahren Kaser/Hackl, RZ 2 416 ff. Beim interdictum quod vi aut clam haftete der Täter auch im Fall der Veräußerung vor Erteilung des Interdikts; vgl. Gai. D. 39.3.13; hierzu F. Peters SDHI 35 (1969) 206 m . 3 0 8 41 Vgl. Lenel, EP 3 226 ff. 42 Vgl. Ulp. D. 10.3.6.6, 11.7.2.7f.; Paul. D. 11.7.34; hierzu Käser, SZ 95 (1978) 3 4 8 5 f f m.w.N. 43 Bestattungsberechtigt war grundsätzlich nur der Inhaber des unbeschränkten Eigentums am Grundstück; vgl. Käser, SZ 95 (1978) 34 f. 44 Vgl. Ulp./Lab. D. 11.7.8 pr. Siehe hierzu Manthe, RIDA 26 (1979) 293.
130
§ 5 Im Edikt enthaltene rein sachverfolgende Klagen
stellen. Die ediktale Klage, 45 die als actio in factum bezeichnet wird, diente hier der Schaffung eines gerechten Ausgleichs. D. 11.7.2.1 f
Ulp. 25 ad. ed. :
Qui mortuum in locum alienum intulit vel inferre curavit, tenebitur in factum actione. (...) (2) Praetor ait: 'Sive homo mortuus ossave hominis mortui in locum purum alterius aut in id sepulchrum, in quo ius non fuerit, illata esse dicentur.' qui hoc fecit, in factum actione tenetur et poena pecuniaria subicietur.
Schwierigkeiten bereitet die Erwähnung der poena pecuniaria im letzten Satz. Von einigen wird angenommen, daß der letzte Satz ebenso wie die Alternative aut in id sepulchrum interpoliert sei. 46 Der Fall der Bestattung in ein bereits benutztes Grab (sepulchrum) sei unter die violatio sepulchri zu subsumieren. Dabei wird aber übersehen, daß die actio de sepulchro violato nur bei einer vorsätzlichen Grabschändung zur Anwendung kam, 47 während die in Frage stehende actio in factum offenbar keinen Vorsatz verlangt. 48 Außerdem hatten die Klagen eine unterschiedliche Zielrichtung: Die actio de sepulchro violato diente als rein pönale Klage ausschließlich der Ahndung der Grabschändung; 49 dagegen war die actio in factum - wie sich sogleich zeigen wird - in erster Linie auf Naturalrestitution gerichtet. Aus diesem Grund kann auch die Einordnung als Pönalklage nicht überzeugen. 50 Folgende Stelle beweist, daß wir es mit einer rein sachverfolgenden Klage zu tun haben.51
45 Die Klagformel war wohl im Anschluß an das in D. 11.7.2.1 wiedergegebene Verheißungsedikt proponiert; vgl. insoweit Lenel, EP3 227 f. 46 So De Francisci, Συνάλλαγμα II 106ff.; Biondi, Actiones arbitrariae 116ff.; Blanch Nougués, La intransmisibilidad 233 7 5 1 . Vgl. auch Kniep, Gaius 218 ff.; Lenel, EP3 226f. m. 8 , die jedenfalls den letzten Satz für kompilatorisch halten. Lenel bezieht die poena pecuniaria auf eine von den Kompilatoren eingeführte extraordinaria coercitio; nach Kniep 220 sei die poena pecuniaria an die Stelle einer vom Prätor verheißenen Strafklage getreten. 47 Vgl. Ulp. D. 47.12.3 pr.: dolo malo (ο. 108); hierzu Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1056. Die unberechtigte Bestattung in ein bereits benutztes Grab war daher nur dann mit actio de sepulchro violato verfolgbar, wenn der Bestattende im Bewußtsein der Widerrechtlichkeit handelte; vgl. zu solchen Fällen Paul. sent. 1.21.6,9; Ulp. D. 47.12.3.3. 48 Vgl. die verwandte Klage bei Bestattung in einen locus publicis usibus destinatus, zu der nur im Fall des dolosen Handelns eine strafrechtliche Verfolgung hinzutrat (Ulp. D. 11.7.8.2: si dolo fecerit et erit extra ordinem plectendus); hierzu Lenel, EP3 227; Levy, Privatstrafe 66. 49 Siehe o. 107 ff. 50 So aber - unter Berufung auf die poena pecuniaria - Levy, Privatstrafe 64 ff. (67f.); ihm folgend Käser, RP I 2 630 55 (anders jetzt SZ 95 [1978] 77 2 7 0 ). 51 Vgl. auch Kariowa, Röm. Rechtsgesch. II 1, 1053; Morel, Le 'sepulchrum' 76ff. (79); Voci, Risarcimento 146 ff. (150).
1.2 Sachverfolgende Klagen im Bereich des Grabrechts
131
D. 11.7.7pr., Gai. 19 ad. ed.prov.: 52 Is qui intulit mortuum in alienum locum, aut tollere id quod intulit aut loci pretium praestare cogitur per in factum actionem, quae tarn heredi quam in heredem competit et perpetua est. 53
Aller Wahrscheinlichkeit handelt es sich hierbei nicht um eine Alternativobligation, 54 sondern um eine Klage mit Arbiträrklausel. 55 Die Klage war also zunächst auf die Exhumierung des unrechtmäßig Bestatteten gerichtet und erst hilfsweise auf den Ersatz des pretium, d.h. des Werts des Grabplatzes. Gegen eine Einordnung als Pönalklage spricht zudem der ausdrückliche Hinweis auf die passive Vererblichkeit und die fehlende Annalität. 56 Käser entwickelt eine Deutung, 57 die sich auf die in D. 11.7.2.2 angelegte Unterscheidung zwischen der Bestattung einerseits in einen locus purus alterius, also in ein noch nicht als Grab benutztes Grundstück, andererseits in ein sepulchrum, d.h. in ein benutztes Grab und damit in einen locus religiosus, stützt. Er spricht sich dafür aus, daß das Edikt - entsprechend den beiden Fällen - anfangs zwei Klagen enthalten hätte. Grund dafür sei gewesen, daß „namentlich im zweiten Fall die Bestimmung des Geldwerts in der älteren Zeit als schwierig empfunden" worden sei. Gegen diese Lösung spricht jedoch, daß in fr. 2.2 die poena pecuniaria nicht etwa als Rechtsfolge der actio in factum beschrieben wird; vielmehr treten actio in factum und poena pecuniaria als eigenständige Rechtsinstitute nebeneinander: in factum actione tenetur et poena pecuniaria subicietur. Der unrechtmäßig Bestattende ist also nicht nur der actio in factum ausgesetzt, sondern ihn trifft zusätzlich die poena pecuniaria .58 Hätte es zunächst zwei sich ausschließende Klagen - gerichtet auf Wertersatz oder aber auf eine poena pecuniaria - gegeben, so wäre nicht zu erwarten, daß diese beiden Alternativen später kumuliert worden wären. Vielmehr hätte die poena pecuniaria nach der Theorie Käsers ersatzlos wegfallen müssen, sobald man auch im Fall der Bestattung in ein benutztes Grab zum Ersatz des Geldwert des noch freien Grabplatzes überging. Das Nebeneinander der beiden Rechtsinstitute spricht dafür, daß mit poena pecuniaria die seit dem 1. Jh. n. Chr. überlieferten Sepulkralbußen gemeint 52 Für Interpolation von per in factum actionem De Francisci, Συνάλλαγμα II 108; hierzu ο. 1 10 338 . 53 Zur Verwendung von competere ο. 56 f. m. 7 1 54 So noch Pescatore, Alternative Obligation 80; Ubbelohde, Glücks Pandekten 43/44 I 107 27 ; Brinz, Pandekten II l 2 , 102 20 ; neuerdings Drosdowski, Das Verhältnis 77. 55 Vgl. Kariowa, Rom. Rechtsgesch. I I 1, 1052; Wieacker, SZ 53 (1933) 513 ff.; Käser, SZ 101 (1984) 100 457 . 56 Zu den Eigenschaften der Pönalklagen vgl. Käser, RP I 2 612 f. 57 Käser, SZ 95 (1978) 76 f. 58 So zutreffend Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1052.
132
§ 5 Im Edikt enthaltene rein sachverfolgende Klagen
sind, 59 die insbesondere auch die Verletzung des Grabes ahndeten.60 Für die Sepulkralbuße ist in den Inschriften der Begriff poena mehrfach belegt. 61 Der Hinweis et poena pecuniaria subicietur in fr. 2.2 dient damit der Klarstellung, daß die Sepulkralbuße neben den Schadensersatz aus der actio in factum treten konnte, also hierauf nicht angerechnet werden mußte. Die Identifizierung der poena pecuniaria mit den Sepulkralbußen erklärt auch, warum Ulpian die Höhe der Geldbuße völlig offenläßt. 62 Die Sepulkralbußen wurden nämlich, auch was deren Höhe betrifft, durch den Grabgründer im Rahmen der Grabinschrift angedroht, 63 wobei sowohl die Rechtsgrundlage als auch die Durchsetzbarke it der Bußen unklar ist. 64 Auch wenn sich die poena pecuniaria bei der hier vorgeschlagenen Deutung nur auf die unmittelbar vorhergehende Alternative, d.h. die unrechtmäßige Bestattung in ein bereits benutztes Grab (aut in id sepulchrum, in quo ius non fuerit% beziehen kann, nicht dagegen auf die Bestattung in einen locus purus, muß fr. 2.2 insgesamt vom Verdacht der Interpolation freigesprochen werden. Die dort genannte actio in factum stellt eine rein sachverfolgende prätorische Grundklage dar. Nach der Ansicht von Trebatius und Labeo konnte die actio in factum wegen unrechtmäßiger Bestattung auch gegen den Miteigentümer angestrengt werden. D. 10.3.6.6, Ulp. 19 ad. ed.: Si quis in communem locum mortuum intulerit, an religiosum fecerit, videndum. et sane ius quidem inferendi in sepulchrum unicuique in solidum competit, locum autem purum alter non potest facere religiosum. Trebatius autem et Labeo quamquam putant non esse locum religiosum factum, tarnen putant in factum agendum.
Da ein Miteigentümer (socius) zur Bestattung in einen locus purus nicht allein berechtigt war und es ohne die Zustimmung aller Miteigentümer nicht zur Entstehung eines locus religiosus kam, 65 handelt es sich um eine unrechtmäßige Bestattung in ein zumindest auch-fremdes Grundstück, so daß die Voraussetzungen der ediktalen Klage an sich unproblematisch zu bejahen sind. Die in fr. 6.6 genannte actio in factum stellt somit die Grundklage aus dem Edikt und 59
Zu den Sepulkralbußen vgl. Käser, SZ 95 (1978) 82 ff. (m.w.Lit. 82 2 9 4 ). Vgl. Käser 83 2 9 8 ; De Visscher, Le droit des tombeaux 116. 61 Siehe CIL V I 5175, 13152 (= FIRA III 82 b, 83 b); ILS 8227; Thyl. A 19. 62 Käser 77 vermutet dennoch eine feste Bezifferung der poena pecuniaria. 63 Vgl. Käser 82f.; De Visscher 113. 64 Zu den verschiedenen Theorien siehe Käser 85 ff. 65 Vgl. auch Marci. D. 1.8.6.4 = Inst. 2.1.9; Paul. D. 11.7.3; Call. D. 11.7.41; hierzu van Warmelo, TR 25 (1957) 193 f. m. 1 2 2 ; Käser, SZ 95 (1978) 7 2 3 5 2 f ; Drosdowski, Das Verhältnis 74 70 . Der Miteigentümer konnte allerdings trotz seiner fehlenden Berechtigung von den anderen Miteigentümern nicht gewaltsam an der Bestattung gehindert werden; vgl. Pap. D. 11.7.43 (hierzu Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1051; Daube, Iura 11 [1960] 84ff.; Honsell, SZ 95 [1978] 128; Käser, SZ 103 [1986] 52 f.). Die Miteigentümer waren also auf einen nachträglichen Ausgleich beschränkt. 60
1.2 Sachverfolgende Klagen im Bereich des Grabrechts
133
nicht eine formulare Abwandlungsklage dar. 66 Unpassend erscheint dabei der Gegensatz quamquam ... tarnen. 61 Nicht 'obwohl' die Bestattung durch den einzelnen Miteigentümer aufgrund des fehlenden Alleinbestattungsrechts die Grabstelle zu keinem locus religiosus gemacht hatte, sondern eben deshalb kamen Trebatius und Labeo zur Bejahung der actio in factum, 68 Man wird von einer nachträglichen Verkürzung der Stelle ausgehen müssen. Möglich erscheint, daß durch quamquam ... tamen die nur teilweise Übereinstimmung Ulpians mit der Ansicht von Trebatius und Labeo ausgedrückt werden soll: Zwar besteht Einigkeit darin, daß die eigenmächtige Bestattung durch einen der Miteigentümer die Grabstelle nicht zum locus religiosus macht; hinsichtlich der Klage, die den beeinträchtigten Miteigentümern erteilt werden soll, weicht Ulpian jedoch - wie folgende Stelle zeigt - von Trebatius und Labeo ab. 69 D. 11.7.2.1, Ulp. 25 ad. ed.: (...) an et socius teneatur, si ignorante socio intulerit, tractari potest: est tamen verius familiae erciscundae vel communi dividundo conveniri eum posse.
Nach Drosdowski habe Ulpian die Teilungsklagen nicht generell, sondern nur für den Fall bevorzugt, daß der beeinträchtigte Gemeinschafter kein berechtigtes Interesse mehr am Fortbestand der Gemeinschaft habe.70 Für eine solche Interessenabwägung im Einzelfall fehlt in der Stelle jedoch der Anhaltspunkt; mit est tamen verius ... bietet Ulpian vielmehr eine allgemein gültige Lösung der zuvor aufgeworfenen Streitfrage (tractari potest). Man wird in der Tat eine Kontroverse zwischen Trebatius und Labeo einerseits und Ulpian andererseits annehmen müssen.71 Der Grund, weshalb Ulpian die Teilungsklagen der actio in factum vorzieht, lag vermutlich darin, daß die - nicht nur sakral-, sondern wohl auch polizeirechtlich unerwünschte - Exhumierung, die das primäre Ziel
66 Vgl. Selb, St. Sanfilippo V (1984) 739; Drosdowski, Das Verhältnis 76 7 9 ; Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1051 f.; Scialoja, Teoria della proprietà I 459f. 67 Vgl. Selb 739. 68 A.A. Käser, SZ 101 (1984) 100 457 , der quamquam für richtig hält, weil die actio in factum „auch bei unberechtigter Bestattung auf einem locus purus sinnvoll" sei. Jedoch scheidet die Variante der unberechtigten Bestattung in einen locus religiosus, also in ein bereits benutztes Grab, bei Miteigentümern in aller Regel aus, weil hier das Bestattungsrecht den Miteigentümern - wie fr. 6.6. zeigt - grundsätzlich in solidum zustand; vgl. auch Mod. D. 10.2.30 i.f. 69 Berger, Teilungsklagen 118 f., schließt aus den unterschiedlichen Lösungen in den beiden Stellen auf eine Interpolation von est tamen verius ... in fr. 2.1; zustimmend Arangio-Ruiz, Scritti I 497; De Francisci, Συνάλλαγμα II 75; Biondi, APal. 10 (1925) 116; Ein, BIDR 39.I-III (1931) 249 1 ; Frezza, Riv. it. 2 7 (1932) 135 f.; Gaudemet, Indivision 439 2 . Für die Echtheit der Stelle dagegen Käser, SZ 95 (1978) 73 2 5 5 ; Drosdowski, Das Verhältnis 77 f. 70 Vgl. Drosdowski, Das Verhältnis 78. 71 Vgl. Käser, SZ 95 (1978) 74 2 5 5 , der den Schluß von D. 11.7.2.1 für einen verkürzten Überrest eines Kontroversenberichts hält.
134
§ 5 Im Edikt enthaltene rein sachverfolgende Klagen
der actio in factum war, vermieden werden sollte. Das ließ sich nur durch die Aufteilung des Grundstücks im Rahmen der Teilungsklagen erreichen, indem der iudex demjenigen Miteigentümer, der die eigenmächtige Bestattung vorgenommen hatte, durch adiudicatio das Alleineigentum an der Grabstelle zuwies. 72 In folgender Stelle ist im Zusammenhang mit der Klage aus dem Edikt 'Si quis mortuum in locum alterius intulerit ' von einer utilis actio in factum die Rede, womit eine Abwandlung der ediktalen actio in factum gemeint ist. 73 D. 11.7.7.1, Gai. 19 ad. ed.prov.: Adversus eum, qui in alterius arcam lapideam, in qua adhuc mortuus non erit conditus, mortuum intulerit, utilem actionem in factum proconsul dat, quia non proprie vel in sepulchrum vel in locum alterius intulisse dici potest.
Valifio leitet aus dieser Stelle ab, daß immer dann, wenn in einen locus purus bestattet worden sei, eine utilis actio in factum erforderlich gewesen sei. 74 Das steht freilich mit D. 11.7.2.2 in Widerspruch, wo die actio in factum in ihrer Grundform gerade auch für die Alternative der Bestattung in einen locus purus gegeben wird. Außerdem war, wie der letzte Halbsatz in fr. 7.1 (quia non proprie ...) zeigt, der Grund für die Abwandlung der Klage nicht etwa der, daß in einen locus purus bestattet wurde; Gaius sah sich vielmehr außerstande, die Bestattung in einen leeren Steinsarg ohne weiteres unter eine der beiden Alternativen der actio in factum in ihrer Grundform, nämlich inferre in locum purum bzw. in sepulchrum, zu subsumieren. 75 Hintergrund hierfür ist vermutlich der zur Zeit des Gaius noch nicht entschiedene Streit, ob ein leeres Grab bereits zu den res religiosae zählt. 76 Dadurch konnte es dazu kommen, daß der leere Steinsarg weder unter den Begriff des locus purus fiel, weil er bereits als res religiosa angesehen wurde, noch unter den des sepulchrum, womit ein bereits
72 Falls zwischen den Miteigentümern ein Gesellschaftsverhältnis bestand, konnte ein Ausgleich - allerdings nicht im Wege der adiudicatio - auch durch die actio pro socio erfolgen; vgl. Pomp. D. 17.2.39 (hierzu Drosdowski, Das Verhältnis 73 ff.). 73 Vgl. Wesener, St. Betti IV (1962) 501. Entgegen Valino, Actiones utiles 352 f., läßt sich daraus, daß Gaius hier vom Prokonsul spricht, nicht schließen, daß es um das Kognitionsverfahren ging; jedenfalls in den Senatsprovinzen, die den Prokonsuln unterstanden, stellte der Formularprozeß das ordentliche Verfahren dar, wie das von Gaius kommentierte Provinzialedikt beweist; vgl. auch Gai. 1.6. Hierzu Kaser/Hackl, RZ 2 165 ff. m. 2 1 , ACop. 8 (1996/99) 314 ff. Für Interpolation von utilem actionem in factum De Francisci, Συνάλλαγμα II 108 (hierzu ο. 1 10 3 3 8 ); Zweifel an der Echtheit auch bei G. Longo, St. Vassalli II (1960) 1040 (= Ricerche romanistiche 237). 74
Vgl. Valifio, Actiones utiles 353. Vgl. Wesener, St. Betti IV (1962) 501. 76 Vgl. Marci. D. 1.8.6.5: Cenotaphium quoque magis placet locum esse religiosum, sicut testis in ea re est Vergilius (vgl. Aen. 3.304f.); Ulp. eod. 7: Sed divifratres contra rescripserunt; Ulp. D. 11.7.6.1; Flor. eod. 42. Siehe auch Käser, SZ 95 (1978) 3 1 6 6 f . 75
1.2 Sachverfolgende Klagen im Bereich des Grabrechts
135
belegtes Grab gemeint war. 77 Die Abwandlungsklage wird man sich so vorstellen müssen, daß an die Stelle der Voraussetzung 'inferre in locum purum alterius ' bzw. 'inferre in id sepulchrum, in quo ius non fuerit ' die Voraussetzung 'inferre in arcam lapideam alterius ' trat. Damit haben wir es hier mit einer Tatbestandserweiterung zu tun, die von den älteren Juristen, einschließlich Julian, als actio in factum bezeichnet wurde. 78 Gaius verwendet hierfür den Begriff actio utilis im weiteren Sinn, 79 so daß utilis actio in factum hier für die Abwandlung der ediktalen actio in factum steht. Wesener sieht den Ausdruck „ in factum " als Hinweis auf die formula in factum concepta der Abwandlungsklage an; mit utilis actio in factum sei „eine in factum konzipierte actio utilis" gemeint. 80 Aufgrund der Beschreibung der einzelnen Tatbestandsmerkmale im Verheißungsedikt 81 ist in der Tat sowohl für die ediktale Grundklage als auch für die darauf basierende Abwandlungsklage eine formula in factum concepta zu erwarten. Dennoch darf der Ausdruck actio in factum in Gai. D. 11.7.7.1 nicht mit der Formelkonzeption in factum gleichgesetzt werden. Sowohl im Bereich der Klageerweiterungen als auch bei den eigenständigen prätorischen Klagen kann actio in factum nämlich auch für Klagen mit formula in ius concepta stehen.82 Das Bedürfnis, eine Abwandlungsklage zu der Klage aus dem Edikt 'Si quis mortuum in locum alterius intulerit ' zu schaffen, zeigt, daß es sich bei der actio in factum um eine generell-abstrakte Klage handelt. Wäre die Klagformel ohnehin jeweils der Lage des Einzelfalls angepaßt worden, 83 so hätte es nicht der Erteilung einer actio utilis bedurft. b) Klage bei Verkauf eines locus religiosus als locus purus: D. 11.7.8.1 Probleme bereitet die Einordnung der actio in factum, die vom Prätor beim Verkauf eines locus religiosus als locus purus gewährt wurde. 84 D. 11.7.8.1, Ulp. 25 ad. ed.: Si locus religiosus pro puro venisse dicetur, praetor in factum actionem in eum dat ei ad quem ea res pertinet: quae actio et in heredem competit, 8 5 cum quasi ex empto actionem contineat.
77 78 79 80 81 82 83
Vgl. Ulp. D. 10.3.6.6 (o. 132); Marci. D. 1.8.6.4 = Inst. 2.1.9 (hierzu Käser 74 2 5 8 ). Hierzu o. 30 ff. Hierzu o. 34 ff. Vgl. Wesener, St. Betti I V (1962) 501. Vgl. Ulp. D. 11.7.2.2(0. 130). Siehe o. 22 ff., 70 ff. (77 ff.), 121. So Käser, SZ 101 (1984) 100 m . 4 5 7
84
Murga, R I D A 3 21 (1974) 299 (= Est. Santa Cruz Teijero I I [1974] 117), spricht von einer „extrafia acción in factum 85
Zu competere ο. 56 f. m. 7 1
136
§ 5 Im Edikt enthaltene rein sachverfolgende Klagen
Der im Ediktsstil gehaltene Passus „Si locus religiosus pro puro venisse dicetur" 86 macht es wahrscheinlich, daß w i r es mit einer durch Edikt verheißenen Klage zu tun haben. 8 7 Der K a u f eines locus religiosus, also einer res extra commercium, war i m Einklang mit der Regel inpossibilium nulla obligatio est ss grundsätzlich un89 wirksam. U m den gutgläubigen Käufer zu schützen, wurde allerdings von einigen Juristen in Fällen der anfänglichen objektiven Unmöglichkeit die actio empti insoweit zugelassen, als dies für einen Schadensersatzanspruch des Käufers gegen den Verkäufer nötig w a r . 9 0 In dem Fall, daß ein noch nicht geborenes K i n d einer unfruchtbaren Sklavin verkauft wurde, bejaht Paulus eine Haftung des Verkäufers gegenüber dem gutgläubigen Käufer aus dem K a u f (ex empto). D. 19.1.21 pr., Paul 33 ad ed.: Si sterilis ancilla sit, cuius partus venit, vel maior annis quinquaginta, cum id emptor ignoravit, ex empto tentur venditor. In ähnlicher Weise kommt Modestin beim Verkauf einer res extra cium zu einem Schadensersatzanspruch des gutgläubigen Käufers.
commer-
D. 18.1.62.1, Mod. 5 reg.: Qui nesciens loca sacra vel religiosa vel publica pro privatis comparavit, licet emptio non teneat, ex empto tarnen adversus venditorem experietur, ut consequatur quod interfuit eius, ne deciperetur. Auch wenn der Kaufvertrag nicht wirksam war (licet emptio non bejaht Modestin dennoch einen Schadensersatzanspruch ex empto
86
92
teneat) 91 Die an-
Zur Verwendung von „ dicetur " im Rahmen der Klageverheißung siehe o. 63 1 0 2 . Vgl. Lenel, EP 3 227f.; Käser, SZ 84 (1967) 550 10 . 88 Siehe Cels. D. 50.17.185. 89 Vgl. Ulp. D. 18.1.22; Paul. eod. 34.1; Mod. eod. 62.1 (hierzu gleich); Gai. 3.97. Dabei geht es jeweils um die schuldrechtliche, nicht um die sachenrechtliche Ebene (a.A. Fadda, Studi e questioni I 171, zu Mod. D. 18.1.62.1); daß eine Eigentumsübertragung wie sie im Rahmen des Kaufs ohnehin nicht geschuldet war - an einem locus religiosus nicht möglich war, folgt bereits daraus, daß es an res extra commercium kein Eigentum gab, das hätte übertragen werden können. Die Pflicht aus dem Kaufvertrag, dem Käufer das utifrui habere licere zu gewähren, konnte bei einer res religiosa nicht erfüllt werden, weil an solchen Sachen kein Besitz möglich war; vgl. Paul. D. 41.2.30.1. 90 Vgl. über die nachfolgenden Stelle hinaus auch Pomp./Cels. D. 18.1.4, 6 pr.; Licin. Ruf. eod. 70; Inst. 3.23.5. Hierzu Käser, RP I 2 549 42 . 91 Im Zusammenhang mit Verträgen wird mit tenere bzw. non tenere die rechtliche Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit bezeichnet; vgl. nur Ulp. D. 7.5.10.1: ... sive antea sive postea pecunia data sit, tenere stipulationem (weiter Nachw. bei Heumann/Seckel, Handlexikon 9 , s.v. tenere [8], 582). Nicht vereinbar mit licet emptio non teneat ist die Ansicht von F. Peters, FS Käser (1976) 304 f., der wegen der Fehlvorstellung des gutgläubigen Käufers den Vertragsschluß für wirksam hält, wobei der einseitige geheime Vorbehalt des Verkäufers die Annahme eines Kaufs nicht gehindert habe; vgl. auch Har87
1.2 Sachverfolgende Klagen im Bereich des Grabrechts
137
fängliche objektive Unmöglichkeit hatte zwar zur Folge, daß kein Anspruch des Käufers auf Erfüllung bestand, die j a aufgrund der objektiven Unmöglichkeit schlechterdings nicht erfolgen konnte; der Schadensausgleich im Rahmen der Kaufklage ist dadurch aber nicht notwendig ausgeschlossen. 93 Grundlage für die actio empti war hier nicht etwa ein wirksamer Kaufvertrag, sondern die rechtlich zwar unwirksame, rein tatsächlich aber vorhandene Kaufabrede. 9 4 Da die demonstratio der Kaufklage (Quod ASAS de N°N° hominem q.d.a. emit, q.d. r.a., ...)95 nur eine Beschreibung des tatsächlichen Geschehens enthält und damit nicht zwingend einen gültigen Vertrag voraussetzt, 96 erscheint es durchaus möglich, daß im Rahmen des bonae fidei iudicium ausnahmsweise trotz der Unwirksamkeit des Kaufvertrags ein Anspruch auf Schadensersatz gegeben wurde. Die auf Schadensersatz gerichtete actio empti wurde aber offenbar nicht von jeher gewährt. Ulpian beschreibt in fr. 8.1 mit der vom Prätor gewährten actio in factum einen anderen Lösungsweg. Der letzte Halbsatz (cum quasi ex empto ke, JbJZivRWiss. 2001, 33 1 7 , wonach Modestin nur habe klarstellen wollen, daß sich aus dem Kauf keine nachteiligen Rechtsfolgen für den Käufer ergeben können. 92 Vgl. insb. Honsell, Quod interest 107 f.; zustimmend Käser, RP I 2 549 42 . Ähnlich Cannata, SDHI 57 (1991) 363; Cuena Boy, BIDR 91 (1988) 681 , 7 f.; Russo Ruggeri, Sodalitas (Scritti Guarino) V I (1984) 2824 33 f.; Stein, Fault 75 f.; Sargenti, St. ArangioRuiz II (1953) 240; Voci, Le obbligazioni I 1, 153 (für eine Streichung von licet emptio non teneat dagegen in L'errore 154); Jhering, JherJb. 4 (1860) 8 ff. (15) (= Ges. Aufsätze I 333 ff. [339]), mit Choe, Culpa in contrahendo 23 ff. Entgegen Honsell braucht für die Rechtsfolge des Schadensersatzes nicht der Grundsatz der Geldkondemnation bemüht zu werden; das auf quidquid dare facere oportet ex fide bona gerichtete bonae fidei iudicium beinhaltet auch einen unmittelbaren Anspruch auf Schadensersatz. 93 A.A. Levy, SZ 52 (1932) 519 f. (anders noch in Privatstrafe 66 2 ); Arangio-Ruiz, La compravendita 2 23If.; Medicus, Id quod interest 164f. (aufgegeben in FG Käser [1986] 170 11 ), die die Worte ex empto fìir unecht halten; es sei widersprüchlich, daß trotz Ungültigkeit des Kaufvertrags eine Schadensersatzklage 'aus Kauf gegeben wurde; vgl. auch Murga, RIDA 3 21 (1974) 308 (= Est. Santa Cruz Teijero II [1974] 124), RIDA 3 31 (1984) 268 ff.; Reggi, Liber homo 253 f. Der Widerspruch zwischen licet emptio non teneat und ex empto tamen ... experietur ist jedoch nur ein scheinbarer. Angesichts der unmittelbaren Abfolge steht fest, daß Modestin mit ex empto ... experietur gerade nicht die actio empti aus einem wirksamen Kaufvertrag, sondern aufgrund der tatsächlich vorhandenen Kaufabrede meint. Behrends, SZ 95 (1978) 195f. 1 7 f , weist zu Recht daraufhin, daß emptio und ex empto hier auf verschiedenen Denkebenen liegen. Was die Ausdrucksweise Modestins betrifft, darf daher kein zu strenger Maßstab angelegt werden. Die terminologische Schwierigkeit, bei der anfänglichen objektiven Unmöglichkeit die rein tatsächliche Vertragsabrede vom wirksamen Vertragsschluß zu trennen, trat auch in § 307 BGB a.F. zu Tage, in dem trotz der Nichtigkeit des Vertrags (nach § 306 BGB a.F.) von der „Schließung eines Vertrags" die Rede war. 94 Vgl. Honsell, Quod interest 108; Käser, RP I 2 549 42 . 95 Vgl. Gai. 4.59. Rekonstruktion nach Lenel, EP 3 299; Mantovani, Le formule 2 53 (Nr. 32). 96 Vgl. Wacke, SZ 94 (1977) 239 m. 2 4 0 ; a.A. Medicus, Id quod interest 165; Choe, Culpa in contrahendo 24.
138
§ 5 Im Edikt enthaltene rein sachverfolgende Klagen
actionem contineat) zeigt, daß die actio in factum an die Stelle der hier nicht für möglich gehaltenen actio empti trat. 9 7 Es geht also - ebenso wie in fr. 6 2 . 1 9 8 um das Erfüllungsinteresse des Käufers an der Verwertbarkeit des Grundstücks. Ebenso wie die actio empti hatte die v o m Prätor gewährte actio in factum somit sachverfolgenden Charakter, 9 9 so daß die Begründung der passiven Vererblichkeit der Klage mit ihrer funktionalen Vergleichbarkeit mit der actio empti nicht anzuzweifeln i s t . 1 0 0 Z u m T e i l w i r d angenommen, daß es sich bei der actio in factum in D. 11.7.8.1 in Wirklichkeit um eine actio utilis gehandelt hätte, bei der die Wirksamkeit des Kaufvertrages fingiert worden s e i . 1 0 1 Für eine solche Fiktion gibt es allerdings keine Anhaltspunkte. Neuerdings w i r d die Stelle auch i m Sinne einer actio praescriptis verbis interpretiert; aufgrund des Schlußsatzes sei zu erwägen, ob der Prätor hier eine actio in factum civilis gewährt hat, die der actio empti nahestand. 1 0 2 Dagegen spricht jedoch, daß Ulpian ausdrücklich auf die passive Vererblichkeit der Klage hinweist. Bei einer actio praescriptis verbis , die der Form
97
Vgl. Levy, Privatstrafe 66 2 ; Arangio-Ruiz, La compravendita 2 133; Käser, SZ 84 (1967) 550 10 ; Murga, RIDA 3 21 (1974) 309 (= Est. Santa Cruz Teijero II [1974] 124). Dagegen nehmen Voci, L'errore 159, und Biondi, St. Riccobono IV (1936) 38 f., an, daß die actio in factum in fr. 8.1 - im Gegensatz zur actio empti, bei der der Käufer nesciens sein mußte - keine Gutgläubigkeit vorausgesetzt hätte. Dagegen spricht jedoch der Wortlaut der Stelle, wonach die actio in factum den Verkauf eines locus religiosus „pro puro" voraussetzte, was einen entsprechenden Irrtum des Käufers erwarten läßt. Zudem ist nicht ersichtlich, weshalb ein bösgläubiger Käufer hätte schutzbedürftig sein sollen. 98 Aus ut consequatur quod interfuit eius, ne deciperetur läßt sich in fr. 62.1 keine Beschränkung auf den Ersatz des Vertrauensschadens ableiten; eine solche Beschränkung ist mit dem Gedanken einer besonders strengen Haftung des dolosen Verkäufers nicht vereinbar. Vgl. Honsell, Quod interest 107ff; Käser, RP I 2 549 42 ; a.A. Medicus, Id quod interest 165. 99 Für eine Pönalklage dagegen Beseler, SZ 43 (1922) 543; Käser, RP I 2 630 55 , anders jetzt SZ 101 (1984) 9 9 4 5 2 (hierzu gleich). 100 Vgl. Levy, Privatstrafe 66. Dagegen streicht Stein. Fault 68 ff.. St. Biondi I I (1965) 113 f f , quae actio ... contineat ais interpoliert und nimmt an, daß es sich um eine Klage des Grabberechtigten handeln würde. Für eine Interpolation auch Solazzi, BIDR 25 (1912) 120 3 f.; De Francisci, Συνάλλαγμα II 76; Beseler, SZ 43 (1922) 543; Lenel, EP 3 227; Morel, Le 'sepulchrum' 43 f.; G. Longo, St. Bonfante III (1930) 382f.; Voci, L'errore 158ff.; Sargenti, Studi Arangio-Ruiz II (1953) 239f. m. 1 8 Nach Watson, Tul. Law Rev. 33 (1958) 278f., soll die Klage nicht dem Käufer, sondern dem für dessen Bestattung Verantwortlichen zugestanden haben; jedoch ist aus D. 11.7.8.1 nicht ersichtlich, daß der Käufer das Grundstück für seine Bestattung gekauft hat. 101 Vgl. Murga, RIDA 3 21 (1974) 309 ff. (=Est. Santa Cruz Teijero II [1974] 124 f f ) ; Riccobono, Corso II 288 f. 102 Vgl. Käser, SZ 101 (1984) 99 4 5 2 ; ihm folgend Kranjc, SZ 106 (1989) 460 75 . Ebenso, allerdings erst für das byzantinische Recht, Murga, RIDA 3 21 (1974) 315 ff. (= Est. Santa Cruz Teijero II [1974] 129 ff.).
1.2 Sachverfolgende Klagen im Bereich des Grabrechts
139
nach eine zivile Vertragsklage darstellt, 103 wäre die Vererblichkeit unproblematisch gegeben und hätte daher keiner besonderen Erwähnung bedurft. Zudem erscheint es ausgeschlossen, daß Ulpian hier mit Hilfe einer actio praescriptis verbis über das Hindernis des inpossibilium nulla est obligatio hinweghelfen wollte. Da Ulpian infolge der anfänglichen objektiven Unmöglichkeit einen Anspruch aus der actio empti offenbar ablehnte, hätte dies genauso für die actio praescriptis verbis als zivile Vertragsklage gelten müssen, die denselben Grundsätzen wie die actio empti unterliegt. Die in D. 11.7.8.1 genannte actio in factum ist daher als eigenständige, im Edikt verheißene prätorische Klage aufzufassen. Was die Formelkonzeption betrifft, liegt eine formula in factum concepta nahe, die auf die rechtlich zwar nicht wirksame, rein tatsächlich aber vorhandene Kaufabrede abgestellt war. c) Klage bei Behinderung der Bestattung: D. 11.7.8.5, eod. 9 Wer als Bestattungsberechtigter eine rechtmäßige Bestattung vornehmen wollte, wurde vom Prätor, außer durch das prohibitorische Interdikt de mortuo inferendo ,104 auch durch eine - wie die nachfolgenden Kommentierungen zeigen 1 0 5 - ediktale Grundklage geschützt, die als actio in factum bezeichnet wird. D. 11.7.8.5, Ulp. 25 ad ed.: Ei, qui prohibitus est inferre in eum locum, quo ei ius inferendi esset, in factum actio competit 1 0 6 et interdictum, etiamsi non ipse prohibitus sit, sed procurator eius, quia intellectu aliquo ipse prohibitus videtur. D. 11.7.9, Gai. 19 ad ed. prov. : Liberum est ei qui prohibetur mortuum ossave mortui inferre aut statim interdicto uti, quo prohibetur ei vis fieri, aut alio inferre et postea in factum agere: per quam consequetur actor, quanti eius interfuerit prohibitum non esse, in quam computationem cadit loci empti pretium aut conducti merces, item sui loci pretium, quem quis, nisi coactus est, religiosum facturus non esset, unde miror, quare constare videatur neque heredi neque in heredem dandam hanc actionem: nam ut apparet, pecuniariae quantitatis ratio in earn deducitur: certe perpetuo ea inter ipsos competit.
Der Bestattungsberechtigte hatte die Wahl, mit dem Interdikt de mortuo inferendo sein Recht durchzusetzen oder mit Hilfe der actio in factum nach dem
103
Hierzu o. 20 f. Während das Interdikt de mortuo inferendo (vgl. Ulp. D. 11.8.1 pr.) das Recht zur Bestattung der Leiche an einem bestimmten Ort schützt, richtet sich das Interdikt de sepulchro aedificando (vgl. Ulp. D. 11.8.1.5 ff.) gegen die Behinderung des Baus eines Grabmonuments, wozu auch die Herbeischaffung des Baumaterials gerechnet wird. Hierzu Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1051, 1056; Käser, SZ 95 (1978) 78. 105 Vgl. Lenel, EP 3 228; Kariowa, Rom. Rechtsgesch. I I 1, 1054. 106 Zur Verwendung von competere ο. 56 f. m. 7 1 107 Vgl. o. 1 0 6 ; Voci, SDHI 64 (1998) 43, hält den Schlußsatz für kompilatorisch. 104
140
§ 5 Im Edikt enthaltene rein sachverfolgende Klagen
Grundsatz 'dulde und liquidiere' Ersatz des Schadens zu verlangen, der ihm durch die Behinderung entstanden ist. Der Schaden konnte dabei im Kaufpreis (loci empti pretium) liegen, den der Bestattungsberechtigte für ein Ersatzgrundstück aufbringen mußte, bzw. im Wert eines für die Bestattung ersatzweise verwendeten eigenen Grundstücks; auch der Mietzins (loci... conducti merces) für die Einbringung der Leiche an einem anderen Ort war ersatzfahig. 108 Teilweise wird für fr. 9 eine Verbesserung von in factum agere zu in factum agere vorgeschlagen. 109 Dagegen spricht aber, daß es zu dem von einer bestimmten Formelkonzeption unabhängigen Begriff der actio in factum auch die Verbalform in factum agere gibt. 1 1 0 Käser hält den zweiten Abschnitt der Stelle (in quam computationem ... competit % allerdings „nur aus formalen Gründen", für unecht und glaubt an eine aus klassischem Geist geschöpfte Paraphrase. 111 Inhaltlich besteht jedenfalls kein Grund, dem Bericht des Gaius keinen Glauben zu schenken. Die Klage wurde offenbar von der herrschenden Meinung der römischen Juristen als weder aktiv noch passiv vererblich angesehen (constare videatur), was auf eine reine Pönalklage in der Form der sogenannten actio vindictam spirans hinweist; 112 dazu zählen Klagen aus Delikten, die sich stärker gegen die Person als gegen das Vermögen richten und deshalb ausnahmsweise nicht einmal aktiv vererbbar sind. 113 Das spricht dafür, daß noch zu Gaius' Zeiten die Behinderung der Bestattung als Verletzung der Totenehre und als Beleidigung des Bestattungsberechtigten aufgefaßt wurde. Gaius wendet sich gegen die Unvererblichkeit der Klage und weist auf ihre sachverfolgende Funktion hin. Sein Plädoyer nicht nur für die aktive, sondern auch die passive Vererblichkeit sowie gegen die zeitliche Beschränktheit der Klage (perpetuo ea inter ipsos competit) zeigt, daß er von einer rein sachverfolgenden und nicht etwa einer gemischt-pönalen Klage ausgeht.114 Gegenüber der herrschenden Meinung vertritt Gaius also eine modernere Linie, 1 1 5 wonach die actio 108
Die mit Zustimmung des bestattungsberechtigten Vermieters (vgl. ο. 129 43 ) vorgenommene Bestattung machte den Ort wohl zum locus religiosus; a.A. Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1055. 109 Vgl. Käser, Quanti 193 22 ; Erman, SZ 25 (1904) 3291 (ähnlich in SZ 23 [1902] 500). 110 Zur Verwendung von in factum agere im Zusammenhang mit Abwandlungen zur actio legis Aquiliae siehe nur Ulp./Iul. D. 9.2.11.5; Ulp./Sab. eod. 27.35; Ulp. eod. 29.5, 41 pr. 111 Käser, Quanti 193 f. 112 Vgl. Käser, RP I 2 612 26 . 113 Vgl. 0.94. 114 Eine rein sachverfolgende Klage nimmt auch Ankum, BIDR 85 (1982) 23 2 5 , an; Käser, Quanti 193 f., ordnet die actio in factum bei den gemischt-pönalen Klagen ein. 115 Vgl. Morel, Le 'sepulchrum' 84; Murga, RIDA 3 21 (1974) 305 15 (= Est. Santa Cruz Teijero II [1974] 122 15 ); Blanch Nougués, La intransmisibilidad 124; a.A. Kariowa, Rom. Rechtsgesch. II 1, 1055, wonach sich Gaius hier nicht „in echt römische Anschauungen hineinfinden" könne.
1.3 Freiwilliger Parteieid über das Klagebegehren
141
in factum nicht mehr die Sühne eines immateriellen Schadens bezweckt, sondern den Ausgleich des durch die anderweitige Bestattung entstandenen materiellen Schadens. Er hat sich offenbar - wie die Aufnahme der Stelle in die Digesten zeigt - mit seiner Auffassung durchgesetzt. Die von Ulpian in fr. 8.5 wiedergegebenen Klage Voraussetzungen (Ei, qui prohibitus est inferre in eum locum , quo ei ius infer endi esset, ...) sind vermutlich dem Verheißungsedikt entnommen und weisen auf eine in factum konzipierte Klagformel hin. Die Fassung der condemnatio kann aus dem Wortlaut der Stelle nicht sicher erschlossen werden; 116 die grundsätzliche Möglichkeit, die Klage sowohl als rein pönal, wie das die herrschende Meinung tat, als auch entsprechend der von Gaius vertretenen Ansicht - als rein sachverfolgend zu interpretieren, spricht dafür, daß sie auf quanti ea res est gerichtet war. 1 1 7 3. Actio in factum beim freiwilligen Parteieid über das Klagebegehren Zur Beilegung streitiger Fragen ohne Urteil dienten - neben dem Anerkenntnis (confess io in iure) und dem Vergleich (transactio) - der Eid (iusiurandum). m Von besonderer Bedeutung ist hierbei der teilweise im Edikt geregelte Parteieid über das Klagebegehren, 119 also etwa der Eid des Klägers mit dem Inhalt 'dari sibi oportere ' bzw. 'rem suam esse ' oder des Beklagten mit dem Inhalt 'se dare non oportere' oder 'rem petitor is non esse'} 20 Hierbei ist zwischen dem freiwilligen und dem vom Prätor auferlegten Eid zu unterscheiden. Die verwendeten Bezeichnungen iusiurandum voluntarium bzw. necessarium sind nicht klassisch, sondern stammen wohl aus justinianischer Zeit; aus der Palingenesie ergibt sich aber, daß beide Institute von jeher getrennt wurden. 121 Darüber hinaus kam zur Streitbeilegung auch das auf einem Vertrag beruhende iusiurandum ex conventione in Betracht. 122 Der Eid bezog sich hier nicht not-
116
Die Kommentierung durch Gaius (quanti eius interfuerit prohibitum non esse) läßt keinen sicheren Schluß zu, daß die condemnatio auf das Interesse gerichtet war; vgl. Medicus, Id quod interest 15. 117 So im Ergebnis auch Käser, Quanti 193. 118 Vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 266ff.; Münks, Vom Parteieid zur Parteivernehmung 8ff. 119 Vgl. Lenel, EP 3 149ff., 235ff. 120 Vgl. Ulp. D. 6.2.7.7, 12.2.9.1,7, eod. 11, 13.6, 25; Paul. eod. 14, 28.10. 121 Freiwilliger und auferlegter Eid werden in den Ediktskommentaren verschiedenen Stellen behandelt: Vgl. Ulp. 22 ad ed., Paul. 18 ad ed., Gai. 5 ad ed., Iul. 9 ad ed. (zum freiwilligen Eid) gegenüber Ulp. 26 ad ed., Paul. 28 ad ed.; Gai. 9 ad ed.; Iul. 10 ad ed. (zum auferlegten Eid); hierzu Lenel, EP3 149 f f , 235 ff. Vgl. auch Demelius, Schiedseid 20 f f ; Münks, Vom Parteieid zur Partei Vernehmung 8; Kaser/Hackl, RZ 2
2662.
122
Vgl. Paul. D. 12.2.17 pr., 26.2; Pomp. eod. 42 pr.; C. 4.1.1. Hierzu Fierich, GrünhZ 16 (1889) 97f.; Amirante, Il giuramento 201 ff.; Münks 19ff.; Kaser/Hackl, RZ 2 267 9 . Im Gegensatz zum iusiurandum ex conventione, bei dem der Eidesleistung
142
§ 5 Im Edikt enthaltene rein sachverfolgende Klagen
wendig auf das Klagebegehren, sondern konnte jede beliebige Frage zum Gegenstand h a b e n ; 1 2 3 der E i d mußte auch nicht notwendig von einer der Prozeßparteien geleistet w e r d e n . 1 2 4 In seiner W i r k u n g war das iusiurandum ex conventione über das Klagebegehren einem freiwilligen Parteieid gleichgestellt. 1 2 5 Der auferlegte Parteieid war i m Edikt 'Si certum petetur ' geregelt und bezog sich insbesondere auf die actio certae creditae pecuniae ;126 daneben traten noch andere auf ein certum gerichtete Klagen, etwa die kondiktionsähnliche actio operarum} 21 Dagegen war der freiwillige Parteieid nicht auf bestimmte Klagen beschränkt. D. 12.23.1, Ulp 22 ad ed. : Quacumque autem actione quis conveniatur, si iuraverit, proficiet ei iusiurandum, sive in personam sive in rem sive in factum sive poenali actione vel quavis alia agatur sive de interdicto.
ein besonderer Vertrag der Parteien über den Inhalt und die Wirkung des Eides vorausgeht, wird beim freiwilligen Eid über das Klagebegehren in der bloßen Aufforderung zur Eidesleistung durch die eine Partei und der daraufhin erklärten Bereitschaft der anderen Partei, den Eid tatsächlich zu leisten, kein Vertragsschluß gesehen. Maßgeblich für die Rechtsfolgen, die das Edikt an den freiwilligen Eid knüpft (hierzu u. 145 ff), ist nicht eine irgendwie geartete conventio der Parteien, sondern der nach Aufforderung geleistete Eid; vgl. Ulp. 22 ad ed., D. 12.2.3 pr., 7, 9 pr., 1. Hierzu Amirante 36ff.; Fadda, BIDR 1 (1888) 34ff.; Kaser/Hackl, RZ 2 267 8 ; gegen Demelius, Schiedseid 26ff., der den freiwilligen Eid noch als „Konventionaleid" versteht. 123 Vgl. Iul. D. 12.2.39: Si quis cum debitore suo pepigerit, ne ab eo pecunia peteretur, si iurasset se Capitolium non ascendisse vel aliud quodlibet fecisse vel non fecisse, isque iuraverit, et exceptio iurisiurandi dari debebit et solutum repeti poterit: est enim iusta conventio, si quaelibet causa in condicione iurisiurandi deducta fuerit. 124 Vgl. Ulp. D. 44.5.1.2. 125 Das zeigt lui. D. 12.2.39 (o. 1 2 3 ), wo sich aus dem vom Beklagten geleisteten Vertragseid - wie beim freiwilligen Parteieid - die exceptio iurisiurandi ergibt. Zur möglichen Exekutivwirkung des iusiurandum ex conventione siehe u. 148 160 . Vgl. auch Münks 21. 126 Vgl. Lenel, EP 3 235. 127 Vgl. Ulp. D. 12.2.34 pr.: Iusiurandum et adpecunias et ad omnes res locum habet: etiam de operis iusiurandum deferri potest (...). Zur actio operarum vgl. Pomp. D. 38.4.1; hierzu Lenel, EP 3 339f.; Käser, RP I 2 300. Weitere dem auferlegten Eid zugängliche Klagen sind die actio de pecunia constituta sowie die actio rerum amotarum; vgl. Lenel, EP 3 249, 310. Zum Teil wird in fr. 34 pr. ad omnes res als interpoliert angesehen, weil erst im justinianischen Recht alle Klagen einem iusiurandum necessarium zugänglich gemacht worden sind; vgl. Amirante, Il giuramento 59 4 4 ; Kaser/Hackl, RZ 2 168 19 . Anstößig ist ad omnes res jedoch nur dann, wenn man hierfür die Bedeutung 'für alle Klagegegenstände' annimmt. Diese Bedeutung paßt jedoch nicht in den Zusammenhang: Die Aufzählung einzelner Klagegegenstände (ad pecunias, de operis) ergibt keinen Sinn, wenn ohnehin alles vom auferlegten Eid umfaßt wäre. Dagegen läßt sich ad omnes res aufrechterhalten, wenn man den Ausdruck auf all diejenigen Klagegegenstände bezieht, bei denen es nicht um certa pecunia , sondern um eine certa res geht; vgl. Demelius, Schiedseid 43; zustimmend Fierich, GrünhZ 16 (1889) 92f.; Münks 9 1 0 .
1.3 Freiwilliger Parteieid über das Klagebegehren
143
Die Konkretisierung von quacumque actione durch die Aufzählung einzelner Klagearten (sive in personam sive in rem sive in factum sive poenali actione vel quavis alia agatur sive de interdicto) wird zum Teil als unecht angesehen.128 Die Verwendung von agere bzw. actio bei Interdikten entspricht jedoch bereits dem klassischen Sprachgebrauch. 129 Mit actio de interdicto ist hier die Klage aus dem Nach verfahren zum Interdikt gemeint; 130 da der Prätor bei Erteilung des Interdikts den Sachverhalt nur summarisch prüfte, war der Eid, der im römischen Recht auf die endgültige Klärung streitiger Umstände abzielte, 131 erst im Rahmen des Nachverfahrens sinnvoll. Auch der Vorwurf, die Aufzählung sei überflüssig, 132 da sie aufgrund des Zusatzes vel quavis alia agatur offen sei und somit keine echte Konkretisierung von quacumque actione darstelle, kann nicht überzeugen. Die Stellung von vel quavis alia vor sive de interdicto spricht dagegen, daß wir es hier mit einer insgesamt offenen Aufzählung zu tun haben; hierzu hätte vel quavis alia den Abschluß der Aufzählung bilden müssen. Der Abschluß mit sive de interdicto legt dagegen nahe, daß der vorhergehende Ausdruck sive poenali actione vel quavis alia agatur nicht auf gleicher Stufe mit den anderen aufgezählten Klagearten steht, sondern eine Apposition zu sive in factum darstellt und der näheren Erklärung der actio in factum dient. Die Aufzählung ist danach wohl wie folgt zu lesen: ... sive in personam sive in rem sive in factum - sive poenali actione vel quavis alia agatur - sive de interdicto.
Damit erledigt sich auch das Problem, daß die Bezeichnung actio in factum, die zum Teil als Synonym für die prätorischen Deliktsklagen verwendet wird, 1 3 3 nicht einen Gegensatz zur actio poenalis bilden kann. Mit actio poenalis ist vielmehr ein wichtiger Anwendungsfall der actio in factum gemeint; daneben gibt es freilich auch rein sachverfolgende actiones in factum, die mit dem Ausdruck vel quavis alia zusammengefaßt sind. Der Begriff actio in factum steht hier für die prätorischen Klagen, die den zivilen Klagen, welche in actiones in personam und actiones in rem unterschieden werden, gegenübertreten. Voraussetzung für eine wirksame Eidesleistung war - sowohl beim freiwilligen als auch beim auferlegten Eid - das Vorliegen einer delatio iurisiurandi: UA 128
Vgl. - außer Ind. Int. ad. h.l. (mit Suppl.) - Amirante, Il giuramento 53 f. Vgl. Kaser/Hackl, RZ 2 4 1 5 5 9 m.w.N. 130 Vgl. Gandolfi, Contributo 65; Biscardi, Iura 7 (1956) 357; Kaser/Hackl, RZ 2 415 56 . Zur Verwendung von agere in diesem Zusammenhang vgl. Gai. 4.114, 163, 166a. 131 Anders die eidesstattliche Versicherung im geltenden Zivilprozeßrecht, die nach § 294 Abs. 1 ZPO nur der Glaubhaftmachung dient. 132 Vgl. De Francisci, Συνάλλαγμα II 146 („superfluità vana"). 133 Vgl. Ulp. D. 2.7.5.3 (o. 51), 27.6.9.1 (o. 89f.), 40.12.22 pr. (o. 93 f.), 44.7.13, 25.1 (o. 46ff.), 47.8.4.11 (o. 106). 134 Vgl. zum freiwilligen Eid Ulp. 22 ad ed., D. 12.2.3 pr. (u. 162). 129
144
§ 5 Im Edikt enthaltene rein sachverfolgende Klagen
Die eine Partei mußte der anderen den Eid 'zuschieben' (iusiurandum deferri), d.h. sie zur Eidesleistung auffordern. Die Delation eines vom Prätor auferlegten Eides konnte nur vom Kläger ausgehen,135 die eines freiwilligen Eides dagegen auch vom Beklagten. 136 Handelt es sich um einen Fall des freiwilligen Eides, hatte der zur Eidesleistung Aufgeforderte zwei Möglichkeiten: Er konnte sich zum einen zur Eidesleistung bereit erklären und, falls ihm der Gegner daraufhin die Eidesleistung nicht erließ (iusiurandum remitiere), 17,1 den Eid leisten; dabei schwor er als Kläger den positiven Eid, daß das Klagebegehren begründet, als Beklagter den negativen Eid, daß es unbegründet sei. Zum anderen konnte der Aufgeforderte die Eidesleistung aber auch ohne nachteilige Folgen verweigern. 138 Im Fall des auferlegten Eides hatte der Beklagte, der vom Kläger zur Eidesleistung aufgefordert worden war, nicht die Möglichkeit der Eidesverweigerung. Er mußte vielmehr den Eid leisten oder dem Kläger den Eid 'zurückschieben' (iusiurandum referre), d.h. seinerseits den Kläger zur Eidesleistung auffordern. 139 Da der auferlegte Eid auf der Zwangsgewalt des Prätors beruhte (solvere aut iurare cogam), m mußte er im Rahmen des Verfahrens in iure geleistet werden; 141 dagegen konnte der freiwillige Eid sowohl außergerichtlich als auch noch in iure geleistet werden. 142
135
Vgl. Ulp. 26 ad ed., D. 12.2.34.6f. (u. 1 3 9 ). Voraussetzung für die Eidesdelation war, daß der Kläger das iusiurandum calumniae leistete; vgl. Ulp. eod. 34.4, 37. 136 Zu Fällen eines vom Beklagten deferierten Eides vgl. Ulp. 22 ad ed., D. 12.2.9.7; Paul. 18 ad ed., eod. 28.10. 137 Vgl. Paul. [19]aded., D. 12.2.6. 138 Vgl. Ulp. 22 ad ed., D. 12.2.5.4: Si neque iuratum est neque remissum iusiurandum, pro eo debet haberi, atque si res in iusiurandum admissa non esset. (...) 139 Vgl. Ulp. 26 ad ed., D. 12.2.34.6f.: Ait praetor: 'eum, a quo [iusiurandum] (Lenel, EP 3 235) petetur, solvere aut iurare cogam': alterum itaque eligat reus, aut solvat aut iuret: si non iurat, solvere cogendus erit a praetore. (7) Datur autem et alia facultas reo, ut, si malit, referat iusiurandum : et si is qui petet condicione iurisiurandi non utetur, iudicium ei praetor non dabit. aequissime enim hoc facit, cum non deberet displicere condicio iurisiurandi ei qui detulit: ... 140 Siehe o . 1 3 9 141 Vgl. Demelius 44; Fierich, GrünhZ 16 (1889) 94; Münks 18ff.; Kaser/Hackl, RZ 2 268 21 . 142 Vgl. Demelius 44ff.; Fierich, GrünhZ 16 (1889) 98 f.; Münks 17 56 ; a.A. Käser/ Hackl, RZ 2 2674